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Fluchtpunkt Hollywood
Folge 6
Eine ganze Kultur wanderte
aus, als die Nazis die Macht
übernahmen. Mit Beginn des
Zweiten Weltkrieges wurde die
 
    
Eine Spurensuche bei letzten
Überlebenden des deutschen Anti-
Nazi-Exils in Hollywood


Falle Europa
  
  


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ten Hafenstadt arbeitete der junge Schriftsteller im Untergrund
 
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Pyrenäen. Doch dann musste er sich selbst absetzen, mit einer
geheimen Botschaft im Gepäck.
Von Gundolf S. Freyermuth

 
   
  
 
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D er Koffer, den Hans Sahl in der Hand trägt, ist alt und schäbig. Die Ecken sind

           
solche Koffer nicht mehr hergestellt. Auf sie stößt man sonst nur beim Stöbern im Ge-
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Gesicht schaut fast bewegungslos. Er lässt die beiden Schnallen des Koffers hoch
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sich in Berlin wie unter einer Glocke
gefühlt, aus der die Luft gepumpt
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und aufschlägt. »Das war ein Gefühl
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des Erstickens. Überall, auf der
Straße, im Autobus, im Theater, spürte
man, dass sich etwas Unglaubliches
  6

Vorsichtig streichen Hans Sahls Finger


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er die Brille auf, deren dicke Gläser
seine Augen unheimlich groß und un-
heimlich fern erscheinen lassen.

 
   
  
 
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Fahrgäste auf dem Perron des Anhalter Bahnhofs. An der Sperre kontrollieren SA-Män-
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Amsterdam und Budapest aus.

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nen. Das luxuriöse Ambiente, so hofft man, wird die subalternen Kontrolleure an den
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SA-Leuten aufgehalten.

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seinem Begleiter die Sperre.

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und Krieg. Nur knapp ist Sahl seinen Häschern über das Dach entkommen.

 
   
  
 
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»Deutschland war ein feindliches Land


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ben. »Man war aus Versehen hinter die
feindlichen Linien geraten und musste

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An diesem Abend besteigt Hans Sahl den


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in einem leeren Abteil und schiebt das
Fenster herunter. In einiger Entfernung
patrouillieren Posten, das Gewehr geschul-
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Augenblick drückt der ordensbewehrte Pro-
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bensretter, auf den Auslöser seiner Kamera.

 
   
  
 
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Das Foto ist eins der wenigen Dokumente, auf denen die Flucht aus Deutschland fest-
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Hans Sahl lacht leise. »Über Mangel an Abenteuern brauchte ich mich später allerdings
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Hoffnung geworden, die er nicht hat aufgeben müssen.

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lich nach Marseille, und natürlich waren die Deutschen schon da. Sie durften nicht rein-

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Fry in Hemdsärmeln, der kommt aus Amerika und der stopft mir Geld in die Taschen,
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Fluchthelfer-Trupp, der auf nächtlichen
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fälschte Pässe werden in Auftrag gegeben,
Visen bei obskuren Botschaftern ferner
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Markt gewechselt, geheime Botschaften
nach Amerika gesandt, die Untergrund-
Fluchtroute über die Pyrenäen organi-
siert. Fry und seine Leute arbeiten mit
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»Ich bin ein harmloser Mensch, eher schüchtern. Aber immer bin ich in Geschichten
 
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fach amüsiert. »Das muss man Hitler lassen, es war furchtbar, aber man hat sich nie
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Hans Sahl nimmt die Brille ab und reibt sich die Augen. »Ich kann meine eigene Schrift
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det und deshalb auf Hilfe angewiesen. Er selbst, ein Meister der Ironie, stellt diesen
Umstand anders dar.

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gegnung mit mir angenehmer machen kann. Für nachher habe ich ein schönes Mädchen
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den Mund gelebt, manchmal auch furcht-
bar gehungert. Aber ich habe dem Schick-
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»Viele der Flüchtlinge hatten Schwierigkei-


ten, sich nach all den Schrecken der Flucht
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gewöhnen. Gelang Ihnen der Übergang
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formphobie gehabt. Unwillkürlich bin ich
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peinlich, weil es hier in New York doch so
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»Sie seien immer noch im Exil, sagen Sie. Aber Sie sind bald Ihr halbes Leben amerika-
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# "     1 R     1 N&! 
2   & Die Wenigen und die Vielen, ein Meisterwerk der Exil-Literatur,
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Mann, der sich nicht eingerichtet hat, ein Genie des gewohnheitsmäßigen Außenseiter-
tums.

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Tonfall, »wundere ich mich, dass alle Menschen weiß sind. Und hier in Amerika erstaunt
mich immer wieder die Völkermischung, der kosmopolitische Hintergrund. So bin ich
  
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legt die Seite auf den Tisch und signiert sie.

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Namensnennung-Keine DRUCKGESCHICHTE
kommerzielle Nutzung- Fluchtpunkt Hollywood. Sechste Folge: Ein Leben aus dem Koffer.
Keine Bearbeitung 2.0 …4  % † 2[ <:&/
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Deutschland Lizenzvertrag Eingearbeitet in das Kapitel „Falle Europa“ des Buchs Reise in die
lizenziert. Um die Lizenz Verlorengegangenheit
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anzusehen, gehen Sie bitte München 1993 (TB).
zu http://creativecommons.
org/licenses/by-nc-nd/2.0/ DIGITALER REPRINT
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Brief an Creative Com- 1     ? + QOO@  www.freyermuth.com unter der Creative Commons
mons, 171 Second Street, License #   … )  † ([ ?O
Suite 300, San Francisco,
California 94105, USA. ÜBER DEN AUTOR
Gundolf S. Freyermuth ist Professor für Angewandte Medienwissenschaften an der ifs
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$  1 R    www.freyermuth.com.

 
   
  
 
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