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Kostenlos 
INTRO

Geneigte_r Leser_in,

in deinen Händen hältst du die zweite Nummer der Broschüre AS_ISM vom „Antisexismusbündnis.Berlin“. Wir haben diesmal auch
anderen Gruppen und Initiativen für ihre Positionen Raum gegeben. Die einzelnen Beiträge spiegeln nicht unbedingt die Meinung
des gesamten ASB wieder. In der Mitte des Heftes findest du unser „NEIN heißt NEIN“-Plakat im A3-Format zum rausnehmen. Zur
weiteren Verbreitung kannst du das auch im A2-Format kostenlos bei uns per mail bestellen. Zum Schluß sei für die, die sie noch nicht
kennen, noch auf die erste AS_ISM hingewiesen. Sie kann digital auf unserer Homepage eingesehen werden: antisexismonline.tk

Und nun viel Spaß beim Lesen.

INHALT

3 „Schwule Mädchen gibt es nicht“ - Antifa und Heterosexismus / Wie entsteht Heterosexualität?
GHG Berlin

6 “Das Unbehagen der Geschlechter” für Queer-Einsteiger_innen


a.g.gender-killer

8 „Schön“ und „hässlich“ und was das mit (geschlechtlicher) Normierung zu tun hat
projekt l

11 Alles Teil des Systems


Antifaschistischer Frauenblock Leipzig (AFBL)

15 Von Geschichtsrelativierenden Feministinnen, Kopftüchern und vermeintlichen Antideutschen


Sinistra!

17 Die deutsche Mehrheitsgesellschaft entdeckt die Frauenunterdrückung Oder: Wer ist eigentlich Christiane Klawitter?
AG “Für eine hedonistische LINKE!”

25 Comic - „Meine Freundin ist Feministin“


Antifafrauenbündnis

26 Was tun wenn´s brännt? Zum Umgang mit sexueller Gewalt


GAP - Gruppe Antisexistische Praxis, Berlin

32 when my anger starts to cry… / Debatten zur Definitionsmacht und der Versuch einer notwendigen Antwort
definitionsmacht.tk

Eigentumsvorbehalt

Nach dem Eigentumsvorbehalt ist die Broschüre solange Eigentum des Absenders, bis sie dem/der Gefangenen persönlich ausgehän-
digt ist. »Zur-Habe-Nahme« ist keine Aushändigung im Sinne dieses Vorbehalts.
Wird sie nicht persönlich ausgehändigt, ist sie dem Absender mit Angabe von Gründen zurückzusenden.

V.i.S.d.P.: Herta Schmitz, Allee der Kosmonautinnen 5, 12345 Berlin

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„Schwule Mädchen gibt es nicht“
Antifa und Heterosexismus

GHG Berlin

...Selbst die beiden 17-jährigen Stadtteilantifas eine oder andere brenzlige Situation irgendwie
wissen doch heute schon, dass auch Frauen bei miteinander vertraut fühlen, jedoch nie mitei-
der Soliparty mit Schutz machen sollten und nander ins Bett gehen würden. Pauls Bedürfnis
Homophobie irgendwie auch Scheiße ist. Genau- nach körperlicher Nähe zu Tim wird dann nur
so sicher wie das Amen in der Kirche ist aber in zufälligen Berührungen und kumpelhaftem
auch, dass Tim und sein Kumpel Paul zwar Spaßgeraufe gestillt...
gerne miteinander abhängen und sich durch die

W
ährend in anderen linken Sub- Flyern: Frauen haben sportlich zu sein (im- gelt dabei jedoch natürlich unter der Flagge
szenen der sensible Kuscheltyp merhin sind wir hier nicht im Theorie-Lese- selbstbestimmten Handelns, denn nichts ist
noch als Männlichkeitsideal zu Kreis), sollten aber auch den männlichen bedrohlicher als der Verdacht, sich so oder
funktionieren scheint (wir kennen ihn alle: Attraktivitätserwartungen entsprechen, so für Männer zu verhalten. Die (teilweise
präsentiert sich als ach so gegendert und während sich die Männer im Fußballstadi- auch Selbst-) Sexualisierung von Frauen
nimmt ganz viel Rücksicht auf deine und on für den Antifa-Kampf stählen und dabei innerhalb des heterosexuellen Geschlech-
vor allem seine Befindlichkeiten), hat die Scooter imitieren lernen. terspiels dient dabei vor allem ihrer (wo-
Antifa mit dem Pop auch die Geschlech- Frauen und Männer bestätigen sich in die- möglich eigenen) Disziplinierung, auch
terstereotypen wiederentdeckt und lieben ser sozialen Positionierung immer wieder weil ihre als weiblich markierte Attrakti-
gelernt. Die Orientierung an dem gesell- gegenseitig in der Erfüllung heterosexueller vität für ihre heterosexuelle Identität von
schaftlichen Mainstream ist dabei nicht nur Hoffnungen. Es geht hier nämlich auch um fundamentaler Bedeutung ist. Das System
politische Strategie um den Mobilisierungs- eine explizite Inszenierung von Geschlecht der Heterosexualität vermag hier, cleverer
grad zu erweitern, sondern entspringt dem und sexueller Orientierung. Weise, in der Erotisierung von Herrschafts-
Wunsch dazuzugehören, später halt auch Gerade weibliches Schönheitshandeln ist beziehungen das Einfügen in sexistische
Karriere machen zu können oder einfach ein Teil heterosexistischer Alltagspraxis. Muster beinahe zwanglos zu arrangieren.
mal in die Prolldisko in Lichtenberg zu ge- Die Allgegenwärtigkeit eines männlichen Heterosexualität ist damit Kern einer sexi-
hen... warum auch nicht. Blickregimes, dem Frauen auch in Abwe- stischen Gesellschaft, da sie die Herstellung
Zudem birgt der gesellschafts-affirmative senheit von Männern unterworfen sind von Geschlechtern zur Bedingung macht,
Style auch die Möglichkeit, trotz der Verun- (Foucault hat sich einmal mit diesem pa- und fetischartig in ständiger Erneuerung
sicherungen durch Feminismus und Queer- radoxen Phänomen beschäftigt), ist das Er- Frauen und Männer erschafft.
Theory, seiner/ihrer Geschlechterrolle ge- gebnis der Fokussierung auf den Körper, Selbst wenn Geschlecht noch als soziale
recht werden zu können und dies freilich die körperliche Repräsentation von Frauen, Konstruktion durchgeht, Sexualität scheint
nicht jenseits heteronormativer Ordnungs- das fortwährende Betrachten und ständige natürlich bestimmt, denn Sex wollen wir ja
prinzipien. Wir sehen es auf den Demos, Bewerten von Frauenkörpern. Das ‚auf sich schließlich alle und ich hab ja nichts gegen
den Partys und den geschlechtergerechten achten‘ und eben attraktiv sein wollen, se- Schwule, aber ich bin ja nun mal hetero...
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In antifaschistischen Zusammenhängen
ist es dann auch nicht die aktive Diskrimi-
nierung von Nichtheterosexuellen, es sind
vielmehr die Orte und Situationen, wo bei-
spielsweise Homosexualität gar nicht prä-
sent ist.
Aber Heterosexismus ist auch die starre
Einordnung, der Zwang zum Festlegen,
zum Stigmatisieren, das Nichtzulassen von
Widersprüchen und Uneindeutigkeiten. Er
unterdrückt nicht nur Schwule, Lesben oder
wie auch immer nicht-heterosexuell leben- wahrgenommen werden und wie du die
de Menschen, sondern auch Frauen, die auf ganze Situation wahrnimmst. Eine nicht-he-
Männer stehen, aber einer weiblichen Norm terosexuelle Kultur existiert beispielsweise
nicht entsprechen können oder wollen. Die in größeren Städten auch, jedoch wird sie
ideologischen Vorbilder von Romeo und Ju- nur toleriert, wenn sie innerhalb heterose-
lia bis hin zu Papa und Mama erzeugen eine xistischer Schemata funktioniert, dass heisst
genaue Vorstellung von einer Liebesbezie- eindeutig als homosexuell markiert und in
hung und entsprechende Erwartungen, einen kaum wahrnehmbaren Bereich der
die fest an geschlechtliche Rollen geknüpft Gesellschaft verbannt werden kann.
sind. Werbung, die heterosexuellen Sex as- Der Weg aus dem fortwährenden Repro-
soziieren will, Sexualkundeunterricht, der duzieren dieser normativen Prinzipien he-
sich vor allem dem Geschlechtsverkehr raus ist tatsächlich schwierig, da Begehren
zwischen Frauen und Männern bezieht, schließlich nicht einfach steuerbar ist. Es
Filme, die die Liebe zwischen der Heldin bleibt die Möglichkeit die gesellschaftlichen
und dem Helden als höchstes Glück abfei- Zwänge und sich selbst darin wahrzuneh-
ern, ergeben eine heterosexuelle Kultur die men, also herauszubekommen, wie man so
in unserer Gesellschaft allgegenwärtig ist. geworden ist, wie man ist und was das mit
In der Schule oder auf Solipartys, in der Fa- der Gesellschaft zu tun hat, in der man lebt.
milie oder der politischen Gruppe, überall Zustände sind veränderbar und die Domi-
spielt die sexuelle Ausrichtung und das da- nanz von Heterosexismus muss nicht weiter
mit verknüpfte Geschlechterbild eine ent- hingenommen werden und schon gar nicht
scheidende Rolle dafür, wie du oder andere als implizierte Maxime der Pop-Antifa.

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Wie entsteht Heterosexualität?
Aus:
Was left
Jan/Feb 96
Kathrin,
S.13

These 1 – Elternhaus stanz und der Umgebung, also fällt auch den Heterosexuellen eine
gewisse Verantwortung für ihre Veranlagung zu.
In den meisten Fällen zwanghafter Heterosexualität erweist sich,
dass auch die Eltern darunter gelitten haben.
These 5 – kulturelle Einengung
These 2 – Kindheitstrauma
Es hat sich erwiesen, dass viele Heterosexuelle aus einer Umge-
Ein schlimmes Erlebnis mit dem eigenen Geschlecht in der Kind- bung kommen, in der die Freude an ihrem Körper erbarmungslos
heit kann die spätere Zurückweisung des eigenen Geschlechts zur unterdrückt wurde. Viele psychische Verwirrungen können aus
Folge haben. Aus Angst vor dem eigenen Geschlecht sinkt das Ver- der Zurückweisung des eigenen Körpers resultieren.
langen danach ins Unterbewusstsein und kommt als heterosexuel-
le Neurose wieder zum Vorschein. These 6 – Angst vor dem Tod

These 3 – Soziale Bedingungen Oft ist die Angst vor dem Tod der Grund für heterosexuelle Paa-
rungen. Viele Heterosexuelle werden vom starken Wunsch, sich
Viele Heterosexuelle geben der ständigen Berieselung durch die fortzupflanzen, in ihre Veranlagung getrieben.
Massenmedien und deren Verhaltenspropaganda nach und leben
entsprechend dieser typisch tyrannischen Klischees. Wir sollten These 7 – Hormonelle Störungen
ihnen nicht Ablehnung, sondern Verständnis und Mitleid entge-
genbringen, denn die Zurückweisung, mit der sie ihrem eigenen Statt eines normalen Verhältnisses zweier Haupthormone haben
Geschlecht und somit auch sich selber begegnen, ist das Maß da- Heterosexuelle einen Überschuss des einen und einen Mangel des
für, wie weit sie ihre eigene Sexualität und ihre Beziehung zu sich anderen Hormons, was zur Folge hat, das sie unfähig sind, eine
selbst verloren haben. befriedigende Beziehung zum eigenen Geschlecht aufzubauen.

These 4 – pathologische Bedingtheit These 8 – Ökonomische Gründe

Viele Heterosexuelle glauben fest daran, dass sie “so” geboren sind. Unsere Gesellschaft verspricht Prämien für heterosexuelle Paa-
Unglücklicherweise unterliegen sie einem großen Irrtum, denn wie rung. Homosexuell sein hingegen ist teuer und viele Leute können
wir alle, sind auch Heterosexuelle das Produkt ihrer eigenen Sub- es sich einfach nicht leisten.
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“Das Unbehagen der Geschlechter”
für Queer-Einsteiger_innen

a.g.gender-killer

Judith Butler ist in aller Munde. Wenn es um die Hier wird versucht den zentralsten Text für die ge-
Themen “Sexismus” oder neuerdings “gender” samte Entwicklung der gender studies bzw. queer
geht, ist an ihr und ihrem Buch “Das Unbehagen theory seit den 90ern verständlich zusammen zu
der Geschlechter” kein vorbeikommen. fassen:

1. Kapitel Geschlecht wird durch den Diskurs kon- wenn diese Trennung die Grundlage ist,
“Die Subjekte von Geschlecht/Geschlechts- struiert. Ein Diskurs ist nach Foucault eine so Butler, dann gäbe es zum einen einen
identität/Begehren” Summe von Aussagen zu einer bestimmten Geschlechtskörper, der als natürlich, biolo-
Zeit an einem bestimmten Ort über ein be- gisch usw. gilt und zum anderen eine sozi-

I
m bisherigen Feminismus waren “die stimmtes Thema. Wichtig dabei ist, dass ale Geschlechtsidentität, die gesellschaftlich
Frauen” als Kollektiv das politische Sub- Diskurse immer mit Macht verknüpft sind. und kulturell ist. Der Körper wird damit
jekt. D.h. es gab den Anspruch oder die D.h. ein Diskurs ist nichts neutrales, ist nicht aber in den Bereich der Natur “abgescho-
Idee, es gäbe “die Frauen”, die alle gleicher- einfach nur das, was geredet wird, sondern ben” bzw. diesem Bereich zugeordnet und
maßen von einem universellen Patriarchat der Diskurs produziert und reproduziert das ist Teil eines bestimmten Diskurses, der
unterdrückt wären. Seit den feministischen die Dinge, über die er spricht. Das ist für den Körper als etwas natürliches hinstellt,
Debatten in den 80ern wird jedoch davon Butler deswegen so, weil sie einen ganz be- d.h. ihn naturalisiert.
ausgegangen, dass nicht alle Frauen gleich, stimmten Begriff von Sprache hat. Sprache Der Diskurs über Geschlecht bringt also den
sondern in ganz unterschiedlicher Weise ist bei ihr nicht einfach ein Medium, das die Körper als einen natürlichen, biologischen
von Sexismus betroffen sind. Eine schwarze Welt außerhalb der Sprache beschreibt, son- Körper hervor, der außerhalb des Diskurses
Frau z.B. anders als eine weiße, eine Lesbe dern sie ist performativ, d.h. sie konstruiert liegt, denn der Diskurs ist gesellschaftlich/
anders als eine Hetera usw. die Welt erst so, wie sie ist. Sie bringt die kulturell und der Körper scheinbar Natur.
Außerdem ist das Subjekt “Frauen” eine Dinge erst hervor, weil sie die Wirklichkeit Das Problem mit diesem vermeintlich vor-
Kategorie, die vereinheitlicht, wo es keine bzw. die Wahrnehmung der Wirklichkeit diskursiven Körper ist, dass auf diese Weise
Einheit gibt. Indem der Begriff “Frauen” strukturiert . immer zwei verschiedenartige bestehen blei-
eine scheinbar feste kollektive Identität Der Diskurs über Geschlecht konstruiert ben, nämlich ein männlicher und ein weib-
konstruiert, sind in ihm Ausschlussmecha- also das Geschlecht. Und zwar folgender- licher, und nichts anderes. Der biologische
nismen enthalten, nämlich für all jene, die maßen: Der Diskurs beinhaltet die Tren- Körper bleibt auf diese Weise immer nur als
sich unter diesen Begriff (der ja eine ganz nung von “sex” und “gender”. “Sex” ist der zweigeschlechtlicher denkbar. Diesen Du-
bestimmte Bedeutungen beinhaltet) nicht geschlechtliche Körper und “gender” die alismus nennt Butler “binäre Opposition”.
einordnen können oder wollen. Geschlechtsidentität, also in einem psycho- Wenn der Körper als zweigeschlechtlicher
Der bisherige Feminismus betrieb also nach logischen Sinne stark vereinfacht so etwas erhalten bleibt, so kann aus ihm auch stets
Butler reine Identitätspolitik und beruhte wie das “innere Gefühl”, ob sich eine Per- eine Geschlechtsidentität abgeleitet werden,
auf der Annahme eines feststehenden Sub- son als Mann oder Frau fühlt. Diese Tren- die dementsprechend auch zweigeschlecht-
jekts, das eine feste Identität hat. nung ist nach Butler sehr problematisch. lich ist. Das ist für Butler so, weil der Körper
Ein Problem ist, dass ein Subjekt immer ein Für den bisherigen Feminismus war es aber in ihrer Theorie eine besondere Rolle spielt.
geschlechtliches Subjekt sein muss. Sub- wichtig, sex und gender begrifflich zu tren- Es geht bei ihr vor allem um die Frage, wie
jekte sind überhaupt nur Subjekte, weil sie nen, um klarzumachen, dass sich aus dem Körper als geschlechtliche Körper kulturell
eine feste Geschlechtsidentität besitzen; an- Geschlechtskörper keine Annahmen über “gemacht”, inszeniert, konstruiert, und re-
dernfalls wären sie gesellschaftlich nicht als das soziale Geschlecht ableiten lassen, son- produziert werden.
Subjekte anerkannt. dern das soziale Geschlecht gesellschaft- Bei ihr ist der Körper nicht eine natürliche
Wodurch entsteht die Geschlechtsidentität? lich produziert und ansozialisiert ist. Aber Masse, die dann eine Geschlechtsidentität

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“annimmt”, sondern der Körper wird als
Geschlechtskörper stets neu hergestellt. Der
Körper wird durch den Diskurs geformt.
Außerhalb des Diskurses ist der Körper so
etwas wie eine ungeformte Masse, und erst
durch den Diskurs wird der Körper zu dem
gemacht, was er ist, bekommt eine Form,
bekommt eine gewisse Bedeutung, durch
die er “verstehbar”, wahrnehmbar wird. Die
Form des Körpers schafft seine Bedeutung,
so als ob er ein kulturelles Zeichen wäre.
Das Ganze ist sehr sprach- und zeichenthe-
oretisch zu verstehen. Der Körper ist nur als
geschlechtlicher Körper wahrnehmbar und
nur so als vollgültiger Körper akzeptiert.
Das heißt, Körper müssen eben entweder fühl/Verstand, Emotionalität/Rationalität,
als männliche oder weibliche Körper wahr- Materie/Geist. Dieses Denken an sich ist
genommen und eingeordnet werden. Dafür Teil eines dualistischen Denkens, und wird
gibt es ein gesellschaftliches Muster oder von Butler als patriarchal und die dahinter-
Raster, das Butler “heterosexuelle Matrix” stehende Bedeutungsökonomie als masku-
nennt. Diese Matrix strukturiert die Wahr- lin charakterisiert.
nehmung und Einordnung von Körpern, Geschlecht setzt sich bei Butler aus den
Subjekten und Identitäten. Es ist aber nicht drei Elementen sex, gender and desire zu-
so, dass Körper entweder weibliche oder sammen. Sie werden vom Diskurs über Ge-
männliche Körper sind. Sondern sie wer- schlecht als kohärente Einheit konstruiert.
den erst durch den Diskurs, der die hete- Das heißt, bspw. ein weiblicher Körper muß
rosexuelle Matrix hervorbringt, zu solchen eine weibliche Geschlechtsidentität haben,
geformt. und ein dementsprechend heterosexuelles
Durch den Diskurs wird etwas in den Begehren, das sich auf Männer richtet. Da-
Körper eingeschrieben, er wird durch ihn rüber hinaus gibt’s bei Butler die gender
beschrieben und benannt. Dieser Diskurs performance, die Inszenierung oder Auf-
schreibt ihm die Geschlechtsidentität, die führung und Darstellung von Geschlecht.
zweigeschlechtliche Ordnung, die Hete- Sie gehört immer zur Konstruktion des
rosexualität ein. Der Körper seinerseits Geschlechts dazu und passiert immer und
muß diese Einschreibung nun immer wi- nicht nur, wenn sie bewusst inszeniert wird.
derspiegeln, aufführen, inszenieren, also Die gender performance muß natürlich zum
reproduzieren. Auf der Körperoberfläche Geschlecht passen, d.h. mit einem weib-
bzw. in dem, wie Körper Geschlecht zur lichen Körper muss ich auch eine weibliche
Darstellung bringen, reproduziert sich die gender performance haben/machen - was
Einschreibung. Der Körper ist Produkt und auch die Norm ist. Butler nennt das Bei-
Effekt des Diskurses, nicht sein Ursprung. spiel der Travestie, also der drag kings and
Die Geschlechtsidentität ist nicht etwas, queens, um zu verdeutlichen, was passiert,
was sich aus dem biologischen Körper er- wenn die gender performance nicht zum
gibt, was daraus abzuleiten ist, sondern sie zugeschriebenen Geschlecht passt. Norma-
wird in den Körper eingeschrieben, und lerweise wird einem weiblichen Körper,
zeigt sich daher wiederum in der Art und aufgrund dessen, dass er als weiblicher Kör-
Weise, wie sich der Körper inszeniert. Dass per wahrgenommen wird, eine weibliche
das alles so ist, wird aber wiederum durch Geschlechtsidentität zugeschrieben, d.h. es
den Diskurs selber verschleiert, so dass in wird angenommen, dass diese Person sich
den Körper gleichzeitig auch immer wieder als Frau fühlt. Bei drag gibt es einen Wider-
eingeschrieben wird, dass er natürlich sei. spruch zwischen dem Geschlechtskörper,
Was ist an der Zweigeschlechtlichkeit und der z.B. als ein männlicher wahrgenommen
der binären Opposition nun scheiße? Sie wird und der performance, die eine weib-
basiert auf Ausschlussmechanismen für liche ist. Es entsteht eine Irritation in der
alle diejenigen Identitäten bzw. Körper die Wahrnehmung. Und der Betrachter ist ir-
aus dem Raster fallen, die ihm nicht ent- ritiert darüber, welche Geschlechtsidentität
sprechen, z.B. keine Eindeutigkeit aufwei- diese Person wohl haben mag: Fühlt er/sie
sen, sich nicht eindeutig zuordnen lassen. sich nun als Frau oder als Mann? Diese Ge-
Dahinter steckt ein bestimmter Begriff von schlechterverwirrung oder Irritation ist für
Identität bzw. Subjekt, der von Butler stark Butler subversiv und kann als politische
kritisiert wird, weswegen Butlers Theorie Strategie eingesetzt werden.
auch oft der Postmoderne zugeordnet wird,
die auch Kritik an festen geschlossenen Hauptsächliche Kritikpunkte an Butler sind, Trotz allem : Wege zur Selbstheilung
Identitäten übt. Feste geschlossene Identi- dass ihr politisches Konzept eher schwach für sexuell missbrauchte Frauen
täten basieren immer auf Ausschluss, und und nur auf bestimmte Subkulturen be-
nur solche festen Identitäten bekommen ei- schränkt ist. Es sei zu wahrnehmungsphi- Bass, Ellen und Davis, Laura
nen Subjekt- bzw. Personenstatus zugespro- losophisch, und würde den handfesten
chen. Außerdem ist für Butler das denken in Problemen in Bezug auf Sexismus, die oft Orlanda Frauenverlag
binären Oppositionen ein typisches Kenn- mit (physischer und psychischer) Gewalt Berlin 2006
zeichen der modernen westlichen abend- verbunden sind nicht gerecht. Außerdem
ländischen Philosophie, Wissenschaft, Kul- blende es ökonomische Probleme aus, die 20,50 €
tur, etc. Darunter fallen zentrale Begriffe z.B. ganz realpolitische Gleichstellungsstra-
wie Natur/Kultur, weiblich/männlich, Ge- tegien erfordern. ISBN: 3-936937-42-7
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„Schön“ und „hässlich“
und was das mit (geschlechtlicher) Normierung zu tun hat

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Lookism – das ist ja was ganz neues?! Ist der Be- oder irgendwo „dazwischen“ eingeteilt und erhal-
griff auch eher unbekannt, beschreibt er dennoch ten aufgrund dessen Vor- oder Nachteile. Das ist
einen gewohnten und ganz alltäglichen Mecha- – kurz gefasst - Lookism.
nismus. Menschen werden in „schön“, „hässlich“

W
as „schön“ und „hässlich“ ist, wird Schaut mensch sich Lookism näher an, dem, ob das Bein von einer Frau oder einem
durch gesellschaftliche Prozesse fällt auch auf, dass es gewisse strukturelle Mann7 ist . Von einer Frau wird also nicht
bestimmt. Menschen, die dem Parallelen zu anderen Unterdrückungsme- nur das passende „weibliche“ Verhalten
gerade vorherrschenden Schönheits- bzw. chanismen gibt. So werden zum Beispiel verlangt, sondern auch das dementspre-
Körperideal nicht entsprechen, werden aus- sowohl bei Sexismus, Rassismus, Ableism4, chende Aussehen (und für Frauen ist das
gegrenzt. Es ist schwieriger, Freund_innen1 Ageism5 als auch bei Lookism Menschen Aussehen tendenziell immer noch wichtiger
zu finden, mensch muss besonders viele unter anderem6 anhand ihrer Körper nach als für Männer8), ein Typ dagegen muss wie
Qualitäten aufweisen, dass sich „trotzdem“ einem hierarchischen Prinzip beurteilt. Sie ein „richtiger“ Mann aussehen - sonst käme
eine_r in sie_ihn verliebt, unter Umständen erhalten auf Grund körperlicher Merkmale ja noch die Geschlechterordnung durchei-
gibt es scheiß Blicke und Sprüche in der unterschiedlichen Status und/oder ihnen nander..
Straßenbahn oder anderswo im öffentlichen werden mit Werturteilen versehene Eigen-
Raum. Diese gesellschaftlich konstruierten schaften zugeschrieben. Das Schönheitsempfinden ist also, genauso
Ideale werden meist verinnerlicht und auch wie die Vorstellung von Geschlechtern und
auf sich selbst angewendet, so dass mensch Aber zurück zum jeweiligen Schönheitside- Sexualität, weder angeboren, „natürlich“
noch nicht mal bei der Selbstbetrachtung al. Je näher mensch diesem kommt, umso oder gänzlich individuell, sondern immer
von diesen verschont bleibt. Lookism über- besser für den Marktwert, sowohl „beruf- von sozialen Normen und gesellschaftlichen
all und kein Entrinnen... lich“ als auch im „Privaten“. Denn auch hier Machtverhältnissen beeinflusst. Klar haben
ist es wichtig, sich „gut zu verkaufen“, also alle unterschiedliche Lebensumstände und
Genauso wie die Vorstellung von Ge- eigene Vorzüge, auch die äußeren, in den das Schönheitsempfinden der einzelnen ist
schlecht ist auch das Schönheitsideal je nach Vordergrund zu stellen. So spielt es beim daher auch nie absolut identisch, aber auch
Kultur, Zeit und sozialem Umfeld völlig un- Aussuchen von Freund_innen meist auch ein „total eigenes“ Schönheitsempfinden
terschiedlich. So galten früher beispielswei- eine Rolle, ob sie den eigenen Wert steigern wird trotzdem - und das nicht nur zufällig
se dickere Menschen als „schöner“ und in oder zumindest den gleichen Marktwert - in vielen Punkten mit dem gesellschaft-
China waren bis ins 20.Jahrhundert kleine besitzen wie mensch selber (denn wer will lichen oder szeneinternen Schönheitsideal
Füße der Inbegriff weiblicher „Schönheit“, sich schon innerhalb des eigenen Umfeldes übereinstimmen. Und „Schönheit“ lässt sich
weshalb die Kinderfüße der Mädchen2 fest für Freund_innen „schämen“ müssen?). nicht ohne „Hässlichkeit“ denken, wodurch
„geschnürt“ und die Zehen gebrochen wur- es zwangsläufig zu einer Hierarchisierung
den; in Europa wiederum zwängten sich Diskriminierung aufgrund des Aussehens von Individuen kommt.
Frauen in Korsetts (oder wurden gezwängt). hat aber nicht nur mit Idealbildern, sondern
Und ob zum Beispiel sonnengebräunte auch viel mit gesellschaftlichen Normen zu Einerseits gibt es den Slogan „Liebe deinen
Haut als „schön“ wahrgenommen wird, ist tun, die den Schönheitsidealen den Rahmen Körper, so wie er ist!“, der auch in soge-
auch zeitlich und kulturell bedingt. Welt- vorgeben. Bestimmtes Aussehen ist „nor- nannten „Frauenzeitschriften“ zu finden
weit gesehen spielt auch die westlich weiße mal“. Und ist mensch nicht „normal“ – weil ist, während andererseits fast nur norment-
Vorherrschaft aufgrund von (post-) kolo- sie_er den aufgedrückten Erwartungen sprechende Körper gezeigt werden und die
nialen Strukturen eine Rolle. So haben in nicht entsprechen kann oder will, dann Wichtigkeit des Äußeren betont wird. Wie
vielen asiatischen Ländern fast alle kosme- wird sie_er ausgegrenzt und angegriffen. also soll mensch ihren_seinen Körper vor-
tischen Produkte einen „whitening“-Effekt, Aber nicht für jede_n gelten dieselben Nor- behaltlos mögen, solange es gesellschaft-
d.h. sie enthalten Wirkstoffe, die die Haut men. Welche Schönheitsnormen für wen liche/szeneinterne/.. Normvorstellungen
bleichen - unter anderem mit dem Ziel, zum Tragen kommen, hängt von mehreren von „schön“ und „hässlich“, von einem
dem weiß-westlichen Bild näherzukommen, Faktoren ab. Eine große Rolle spielt dabei „richtigen“ und „falschen“ Körper gibt?
das auch in TV und Werbung gezeigt wird. das gesellschaftlich zugeteilte Geschlecht. Deshalb: Weg mit diesen Kategorien! Klar
Um „westlichere“ Augen zu bekommen, ist in So gelten Haare an den Beinen gesellschaft- ist es toll, etwas „schön“ zu finden. Pro-
Teilen Asiens die Lidoperation sehr beliebt.3 lich mal als „hässlich“, mal nicht – je nach- blematisch wird es ja auch erst, wenn es

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www.lookism.info - Streetart

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sich nicht um Gegenstände dreht, sondern nen Nomen geprägt und daher auch je nach halb der eigenen (Sub-)Kultur. Daher rich-
Individuen ins „schön-hässlich“-Raster ge- Zeitpunkt inhaltlich total unterschiedlich tet sich Queer als politischer Begriff auch
packt werden. Genauso wie Geschlecht und besetzt. gegen Lookism.
Hautfarbe bei der Bewertung von anderen Eine andere, auch in der Queer Theory be-
nicht nur eine untergeordnete Rolle, son- Allerdings lässt sich Kleidung nicht nur kannte Strategie ist es, sich ursprünglich ab-
dern gar keine spielen sollten, sollte unserer unter diesen Geschichtspunkt fassen. Ei- wertende Bezeichnungen oder Kennzeichen
Meinung nach ein Individuum generell nen Menschen abzuwerten, weil sie_er sich anzueignen und positiv zu besetzen. Auch
nicht aufgrund bestimmter Körperformen/- beispielsweise nicht die „passende“ Mode- mit dieser Strategie können Schönheitsvor-
Merkmale auf- oder abgewertet werden. marke leisten kann, ist eine Form von Aus- stellungen gestört werden. Ganz nach dem
Was nicht heißt, dass mensch niemanden grenzung. Aber andererseits können durch Motto „Fat and Proud“ - einem Slogan des
mehr schön, im Sinne von toll/angenehm/ Kleidung auch bewusst politische Aussagen Fat Liberation Movement9, einer Bewegung,
sexy/..., finden soll. Wir denken, dass es transportiert werden – und es macht durch- die gegen Diskriminierung und Vorurteile
genug andere Möglichkeiten und Gründe aus Sinn, eine Person nach diesen zu beur- gegenüber dickeren Menschen kämpft und
gibt, sich selber und andere zu mögen, näm- teilen (ein extremes Beispiel wäre eindeutig vor allem in den USA zu verorten ist.
lich was sie_er tut und sagt – und da gibt es rechtsradikale Kleidung/Symbolik).
ja mehr als genug Sachen, die mensch groß- Also können Kleidung und andere Kör- Fight lookism? Menschen nicht nach ihrem
artig (oder scheiße) finden kann! pergestaltungen auch ein Mittel sein, sich Körper zu beurteilen, ist meist schwieriger
selbst (politisch) auszudrücken und zu als gedacht. Selbst wenn Gegenstrate-
Schönheitsvorstellungen drehen sich nicht verorten. Unter Umständen kann Kleidung gien bestehen und von dem Konzept von
nur um den Körper, sondern umfassen sogar einer subversiven Praxis dienen, zum „schön“ und „hässlich“ theoretisch Ab-
auch die „passende“ Kleidung und Körper- Beispiel kann durch Kleidung/Schminke/ stand genommen wird, lassen sich die da-
gestaltung, wobei es auch hier meist ganz etc. die herrschende Geschlechterordnung mit verbundenen, schon lange verinnerlich-
unterschiedliche Erwartungen je nach ange- durcheinander gebracht werden. So stellt ten Denkmuster nicht einfach so streichen.
nommenem Geschlecht gibt. ein Typ mit Nagellack und Rock durchaus Das kann nur ein Prozess sein. Davon abge-
Diskriminierung aufgrund „unpassender“ die heterosexistische Männlichkeitsvorstel- sehen, dass es im realen Leben weiterhin ei-
Kleidung findet einerseits zwischen (Sub- lung in Frage. nen riesigen Unterschied macht, ob mensch
)Kulturen und Szenen mit konträren Klei- dem Schönheitsideal entspricht oder eben
dungsnormen statt, aber es gibt auch Diskri- Durch solche Normbrüche kann nicht nur nicht – mit den damit verbundenen Vor-
minierung innerhalb einer Szene, wenn es die geschlechtliche Ordnung aufgebrochen oder eben Nachteilen!
einem Menschen nicht gelingt (oder sie_er werden, sondern mensch kann auch dem Obwohl es also eher trostlos aussieht, Norm-
sich verweigert), dem internen Schönheitsi- gesellschaftlichen Konsens von „schön“ und zustände sich nicht einfach so ändern lassen
deal und Kleidungscode zu entsprechen. „hässlich“ etwas entgegensetzen. Normen und es noch genug andere Probleme auf
Andererseits gibt es Menschen, die nach von Geschlecht (und damit auch Schönheit) der Welt gibt, denken wir, dass es trotzdem
gesellschaftlicher/szeneinterner Ansicht lassen sich spielerisch und parodistisch um- Sinn macht, sich über die Vielzahl und Ver-
den „richtigen“ Stil haben, diese haben die drehen - und stellen somit das „Normale“ schränkungen von Unterdrückungsverhält-
„richtige“ Kleidung in der „richtigen“ Kom- in Frage. Dies ist auch eine Idee der Queer nissen bewusst zu werden und damit auch
bination mit den „richtigen“ Accessoires Theory. Dieses politische Konzept wendet eigenes Verhalten, Positionen und eventu-
und sind deshalb „schön“ angezogen, was sich gegen Normierungen jeglicher Art und elle Privilegien kritisch zu hinterfragen.
ihren Marktwert erhöht. Dieser „richtige“ beinhaltet auch eine kritische Auseinander-
Stil ist von gesellschaftlichen/szeneinter- setzung mit möglichen Ausschlüssen inner- In diesem Sinne: Radicalize yourself.

1
Der Unterstrich „.._innen“ soll die Funktion haben, dass nicht nur Frauen mitgedacht werden, sondern auch Menschen, die sich zwischen/außerhalb
der Zweigeschlechtlichkeit verorten.

2
Also die Kinder, die der Kategorie „weiblich“ zugeordnet wurden. Wir gehen davon aus, dass die Geschlechterordnung bzw. die Zweigeschlecht-
lichkeit gesellschaftlich konstruiert ist, sprechen im Text aber trotzdem von Frau/Mann, da diese Konstrukte die Gesellschaft strukturieren und als
Gewaltverhältnisse real wirksam sind.

3
Was nur zeigt, dass das Schönheitsideal immer und überall etwas mit Machtstrukturen zu tun hat.

4
Ableism ist die Diskriminierung von Menschen mit „Behinderung“, da sie nicht in die gesellschaftliche Norm passen.

5
Ageism bedeutet soziale und ökonomische Benachteiligung von Personen aufgrund ihres Lebensalters.

6
Dieses „unter anderem“ ist wichtig, da diese Mechanismen komplexer sind, als dass sie sich nur auf die Formel „Diskriminierung aufgrund des
Körpers“ zusammenfassen ließen.

7
Jedoch ist es in Teilen der linken Szene als Frau eher verpönt, sich zu rasieren (wobei sich die Frage auftut, ob es mit der Etablierung einer Gegen-
Norm getan ist).

8
Wobei die Vorstellung, dass Sich-Schön-Machen immer nur Frauensache war, eher als ein Mythos zu bewerten ist. „Denn im klassischen Griechen-
land galt beispielsweise der Männerkörper als attraktiver, „adonisch“ heißt schön. Schönheit als Frauensache ist eine moderne Zuschreibung. Bis zum
frühen 18. Jahrhundert etwa war die Geschlechterdifferenzierung in der Mode weniger wichtig als die Differenzierung nach Klasse.“ (Nina Degele:
„Wie´s gefällt“, Freitag 39, http://www.freitag.de/2004/39/04392301.php)

9
Ganz viel darüber steht im engl. Wikipedia http://en.wikipedia.org/wiki/Sizeism

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Alles Teil des Systems

Antifaschistischer Frauenblock Leipzig (AFBL)

D
as Geschlechterverhältnis war und re, wobei traditionell Männern der öffent- weibliche Tätigkeiten” sind eher dienstlei-
ist Transformationen unterworfen, liche, produktive und Frauen der private, stend oder sozial und stützen sich auf die
die Situation von Frauen hat sich reproduktive Bereich zugeordnet ist. Dabei zugeschriebenen “weiblichen” Qualitäten
verbessert und der soziale Handlungs- wird die Arbeit im Reproduktionsbereich wie Einfühlungsvermögen, Fürsorge und
rahmen für Männer erweitert, aber immer nicht bezahlt, bzw. nur über die Lohnarbeit Vermittlung. Durchsetzungsvermögen,
noch ist das Verhältnis ein hierarchisches. des Mannes indirekt vergütet. Verschie- Machtstreben und dominantes Verhalten
Schließlich haben gesellschaftliche Verän- bungen in diesen traditionellen Geschlech- sind dagegen die “männlichen” Qualitäten,
derungen zwar zu einer formellen Gleich- terzuweisungen haben zwar stattgefunden, die die Männer zu produktiven, führenden
behandlung der Geschlechter z.B. bei den jedoch waren sie nie radikal genug, um zu und planenden Tätigkeiten befähigen und
Zugangsmöglichkeiten zu Bildung und Po- einer Bedrohung des Kapitalismus zu füh- die Überzahl der Männer in Führungspo-
litik geführt und inzwischen besteht auch ren oder die Auflösung der Geschlechter sitionen erklären würden. Einhergehend
für Frauen die Möglichkeit, in der Sphäre zu bewirken. Gendermainstreaming ist in- mit dieser Einteilung ist auch eine implizite
der gesellschaftlichen Öffentlichkeit zu wir- zwischen ein etabliertes Konzept und ein- Wertung, die sich sowohl in der Bezahlung
ken, aber ökonomische, berufliche, soziale zelne Forderungen der diversen Frauenbe- als auch in der Hierarchisierung der Felder
und private Geschlechterzuweisungen exi- wegungen wurden erfüllt, allerdings stellt niederschlägt.
stieren weiterhin. sich immer wieder heraus, dass das kapita- Da die Trennung der Gender-Rollen derart
Machtverhältnisse, die sich auf die Tren- listische System genug Flexibilität aufweist, manifest ist, kommt es zu Problemen, wenn
nung und Hierarchisierung der Geschlech- um auf die Veränderungen einzugehen Rollenklischees durchbrochen werden. Mit
ter stützen, äußern sich vielfältig in den ohne das Geschlechterverhältnis grundsätz- dieser “Unordnung” umzugehen, gibt es
verschiedensten Bereichen. Die Strukturen lich zum Wanken zu bringen. Ein weites verschiedene Strategien, um passend zu
bestehen auf verschiedenen Ebenen und Spektrum verschiedener Positionen kann machen, was laut Geschlechtervorstel-
sind kompliziert und komplex und man parallel in gesellschaftlichen Diskursen be- lungen nicht passt. In dieser Gesellschaft
macht es sich zu einfach, Männern die stehen, und so ist die Gleichzeitigkeit von wird von jedem Menschen gefordert, eine
Herrschaftsausübung und somit die Rolle kritischen Gender und Queer Theories und eindeutige Gender-Identität mit einem
der Unterdrücker und Frauen die Rolle der konservativen antifeministischen Backlash- festen Inventar an Eigenschaften zu leben,
Unterdrückten zuzuschreiben, denn an der positionen möglich. und zwar die als Mann oder Frau, etwas da-
Gestaltung und Aufrechterhaltung sind bei- Prinzipiell stehen Frauen inzwischen alle zwischen gibt es nicht. Menschen, die sich
de Geschlechter beteiligt. Berufszweige offen, aber sie sind immer nicht den geschlechtsspezifischen Zuord-
Die gegenwärtige Gesellschaft ist von noch die Hauptverantwortlichen für den nungen unterwerfen, sehen sich besonde-
Macht- und Hierarchiestrukturen geprägt, Reproduktionsbereich, bei der Karriere- ren Schwierigkeiten ausgesetzt, ihnen wird
die sich sowohl im Geschlechterverhältnis planung hindert sie nach wie vor die viel- oft die gesellschaftliche und private Aner-
wie in der ökonomischen Ordnung zeigen, beschworene Doppelbelastung. Bis heute kennung entzogen, da sie von ihrer Umwelt
wobei diese zwei Aspekte miteinander ver- wird innerhalb dieser Gesellschaft in „ty- als verstörend und verunsichernd wahrge-
flochten sind. Die eindeutige Unterschei- pisch männliche“ und „typisch weibliche“ nommen werden. Dies kann weitreichende
dung der Geschlechter ist nicht nur eine Er- Tätigkeiten unterschieden und wie fest Folgen haben und der Druck führt ja genau
scheinung des Kapitalismus, aber sie wird diese Einteilung auch in den Köpfen ver- dazu, dass sich Menschen einpassen und
in ihm brauchbar gemacht. Eines seiner he- ankert ist, lässt sich z.B. an Statistiken ab- sich so das System perpetuiert. Wie sehen
rausragenden Merkmale ist die Trennung lesen, die die Berufswünsche von jungen die Strategien, die die Trennung der Ge-
von Produktions- und Reproduktionssphä- Männern und Frauen abfragen. “Typisch schlechter aufrechterhalten soll, also aus?
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Frauen, die in “männliche Domänen” und tigkeit. Männer hätten zum Beispiel ein bes- Szene - nur Teil des Ganzen
sei es nur der Führungsbereich vordrin- seres räumliches Sehvermögen, weil sie in
gen, haben erst einmal mit den Vorurteilen Urzeiten für die Jagd zuständig waren und Klar ist, dass die so genannte linke Szene
zu kämpfen, dass ihnen doch das “natür- weite Entfernungen gut abschätzen können nicht außerhalb der Gesellschaft steht. Nur
liche Grundwissen” fehle oder sie qua Ge- mussten, während bei Frauen der Blick auf aufgrund ihrer emanzipatorischen Ansprü-
schlecht unfähig zu dieser Tätigkeit seien nahe, kleine Dinge besser ausgebildet ist che werden Linke nicht zu besseren Men-
oder zumindest ihre Arbeit einer sehr viel aufgrund ihrer damaligen Aufgabe, Früchte schen. Auch innerhalb einer (sub-)kultu-
kritischeren Beurteilung ausgesetzt sehen. und Beeren zu sammeln. rellen Szene, deren Leute als weitestgehend
Sollte eine Frau in einer nicht typisch weib- politisiert bezeichnet werden, fehlt oftmals
lichen Position oder Tätigkeit erfolgreich Sexistischer Normalzustand das Bewusstsein für das Thema Sexismus.
sein, wird ihr oftmals vorgeworfen, sie Ein antisexistisches Selbstverständnis ge-
habe sich “männlicher” Verhaltensweisen Das Geschlechterverhältnis findet seinen hört zwar in linken Projekten inzwischen
bedient und sei keine “echte” Frau mehr. Ausdruck im sexistischen Alltag, der von beinahe zum Standard, wird jedoch kaum
Ebenso findet sich aber auch die Argumen- strukturellen und individuellen Bedro- mit Inhalten gefüllt. So kommt es nicht sel-
tation, dass Frauen eben besonders gut für hungen und Einschränkungen geprägt ist. ten vor, dass bei Konzerten jeglicher Musi-
leitende Posten geeignet seien, weil ihnen Diese umfassen eine große Bandbreite, von krichtungen sexistische Ansagen oder Texte
bspw. eine höhere Kompetenz in Kommu- sexistischen Sprüchen, ungewollten Berüh- zu hören sind. Wird dies überhaupt themati-
nikation zugesprochen wird. Parallele Vor- rungen bis hin zu Vergewaltigungen. Schon siert, ist die Reaktion oft Unverständnis: die
stellungen finden wir auch, wenn Männer in die Möglichkeit einer Vergewaltigung Band sei doch gut, man dürfe das alles nicht
“weiblichen Berufen” arbeiten. Ihnen wird und damit verbundene Ängste begrenzen zu ernst nehmen, schließlich sei es ja nur ein
gern ihre “Männlichkeit” abgesprochen Frauen in ihren Möglichkeiten. Lied und alles nur eine Interpretationsfra-
(z.B. Weichei-Waschlappen-Vorwurf), und Dieser Position steht die gesellschaftlich ge etc. Ein irgendwie politischer Anspruch
sie werden belächelt. Obwohl Arbeiten in vorgeprägte relative Machtposition von scheint sich im sozialen Bereich häufig gar
einem gesellschaftlich geringer bewerteten Männern gegenüber. Hier gilt ebenso, wie nicht fortzusetzen. Sexistische Sprüche am
Beruf einen sozialen Abstieg/Machtverlust bereits oben gesagt, dass es nicht um eine Tresen, Rumgepose im Club oder Antat-
bedeutet, wird aber in speziellen Bereichen einseitige Schuldzuweisung geht, sondern schen im Gedränge sind auch in linken Lä-
ihre Tätigkeit von den Mitarbeiterinnen als dass Männer wie Frauen diese Verhältnisse den an der Tagesordnung. Abgetan wird
besonders positiv und lobenswert ange- reproduzieren. Wer dagegen angeht, ist dieses Verhalten beispielsweise damit, dass
sehen. Es werden ihnen eher Fehler zuge- beständig von Aggressionen bedroht, da der Verantwortliche jedoch ansonsten ein
standen, weil sie mit diesem Bereich “nicht niemand sich gern sein einfaches Weltbild guter Antifaschist oder Antideutscher oder
vertraut” seien und es gibt ebenso die Auf- wegnehmen lässt. Diese Verhältnisse auf- Kumpel ist. Von Paarbeziehungen wollen
fassung, dass Männer auch in traditionell zubrechen erfordert permanente Reflexion wir gar nicht erst anfangen.
weiblichen Berufen qua ihres Geschlechts und Auseinandersetzung, auch mit dem ei-
von besonderer Eignung seien, z.B. wir es genen Verhalten. Auch in Gruppenstrukturen ist Sexismus
in Kindergärten für zunehmend wichtig Geschlechtsspezifische Hierarchie- und ein niemals endendes Thema. Trotz des
empfunden, dass den Kinder auch männ- Machtkonstellationen wirken sich auch vielen Geschriebenen und Gesagten sind
liche Betreuer als Rollenmodelle vorgeführt auf Sexualität und Körperempfinden aus. kaum Fortschritte erzielt worden. Im Ge-
werden. Eine „natürliche“ Sexualität existiert nicht, gensatz zu anderen Themen verlaufen Dis-
Ähnliche Mechanismen wirken im Frei- Lustempfinden und Wünsche sind ver- kussionen über Sexismus, so sie überhaupt
zeitbereich. „Versagt“ zum Beispiel ein gesellschaftet. Allgemein wird jedoch ein geführt werden, oft sehr aufgeheizt und
Mann - mal ganz platt: kann er nicht Fuß- anderes Bild vermittelt, Sexualität wird kommen über strukturelle Standards (z.B.
ball spielen -, so wird dies mit fehlendem individualisiert, als rein privat angesehen quotierte Redeliste, paritätisch besetzte Po-
Talent oder individuellem Nichtkönnen und zusätzlich mit Tabus belegt. Im ge- dien) selten hinaus.
begründet. „Versagen“ Frauen hingegen, schlechtshierarchischen System ist ein un- Außerdem scheint es, als müssten seit Jah-
so ist dies oft genug die Bestätigung für das gutes Körpergefühl von Frauen angelegt, ren immer wieder dieselben Diskussionen
Versagen eines ganzen Geschlechts. Dies das diese jedoch ebenfalls als persönliches geführt werden, hier kann zum Beispiel das
äußert sich dann in Sätzen wie: „Hab ich Problem begreifen sollen. Diese Verwund- ewig leidige Redeverhalten genannt wer-
es doch gewusst - Frauen können so etwas barkeit wird benutzt, um das Machtgefü- den.
nicht.“ oder: „Frauen sind für so etwas ein- ge aufrechtzuerhalten, ein Mittel und ein Wenn es dann zu strukturellen Maßnahmen
fach nicht geschaffen”. Ausdruck davon ist sexualisierte Gewalt. gekommen sein sollte, stellen solche Verän-
Individuelle oder sozialisationsbedingte Bei einer Vergewaltigung versucht der derungen immer nur einen kleinen Schritt
Unterschiede werden so übergangen, da- Täter eben diese Macht zu zeigen und die auf dem Weg zur Durchsetzung nicht-se-
mit eine allgemein gültige Aussage über Frau zu kontrollieren, zu beherrschen und xistischer Standards dar. Weder sexistische
Geschlechter möglich wird. Es gibt genug zu erniedrigen. Vergewaltigungen finden noch sozialisationsbedingte Verhaltenswei-
Beispiele, die nicht den Stereotypen ent- in einem gesellschaftlichen Kontext statt, sen werden damit grundsätzlich in Frage
sprechen, doch diese werden viel weniger der auf Hierarchie und Gewalt in den Ge- gestellt oder aufgelöst. Nach dem Plenum
wahrgenommen als solche, die sie stützen, schlechterverhältnissen basiert, diesen Zu- ist ein reflektierteres Verhalten nicht zu
sie werden immer wieder gesucht und stand auszunutzen und zu reproduzieren bemerken. Allerdings werden von Frauen
pseudowissenschaftlich begründet, z.B. ist aber eine Entscheidung und ein Verge- die geschaffenen Möglichkeiten oft nicht
durch Biologisierung der Geschlechter und waltiger ist für seine Taten verantwortlich ausgeschöpft, denn die Angst, zu versagen,
ihre Erklärung durch evolutionäre Sinnhaf- zu machen. das Unbehagen vor der zu übernehmenden

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Verantwortung wird nicht abgebaut. Diese Sexismus und das hierarchische Geschlech-
Ängste können nur überwunden werden, terverhältnis sind keine marginalen Pro-
wenn sie aktiv angegangen werden und bleme, dem sich nur Frauen widmen sollten
sich nicht auf einem Status Quo ausgeruht und die in der Gesamtheit der politischen
wird. Themenfelder eine neben- oder unterge-
ordnete Rolle spielt. Nicht nur, weil sexi-
Frauen in der linken Szene gehen ständig stische Sprüche nerven und sexualisierte
zugunsten einer vermeintlich allgemeinen Gewalt Leid verursacht, sondern weil es da-
Politik Kompromisse in Bezug auf die The- bei um etwas geht, das alle betrifft. Frauen
matisierung sexistischer Verhältnisse und wie Männer, Intersexuelle, Transsexuelle,
Verhaltensweisen ein. Oft genug verzichten erfahren Einschränkungen durch die herr-
sie auf diese Diskussionen, obwohl sie ihnenschenden Zu- und Abschreibungen, die
wichtig sind, um mit der Arbeit innerhalb einer freien Entwicklung im Wege stehen
der Gruppe voranzukommen oder weil sie und so ist die Einführung nicht-sexistischer
negative Reaktionen befürchten. Es muss Standards zwar eine begrüßenswerte Maß-
nicht bis zum Dissing der Betreffenden nahme, aber nicht das non-plus-ultra. Die
kommen, ein bloßes Augenrollen oder an- Reflexion des eigenen Verhaltens und
dere Anzeichen von Genervt-Sein reichen weitergehende Auseinandersetzung mit
unter Umständen aus, um Frauen die Moti- Geschlecht/Gender als eine grundlegende
vation für die Diskussion zu nehmen. Diese Kategorie, die das Leben strukturiert, kann
Anzeichen vermitteln Frauen, dass es kein und soll sie nicht ersetzen.
Interesse an einer Auseinandersetzung gibt.
Das Thema Sexismus wird nicht nur belä-
chelt, sondern auch gerne übergangen oder Dieser Beitrag ist eine gekürzte und überar-
immer wieder verschoben. beitete Version eines Textes von 2001.

as.ism_2 13
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Von
Geschichtsrelativierenden Feministinnen,
Kopftüchern
und
vermeintlichen Antideutschen

Sinistra!
im herbst 2006

N
achdem in der „Bild am Sonntag“ Dieses Bild ist insofern problematisch, daantirassistische Konsequenz einer Kritik des
vom 14.10.2006 ein Artikel erschie- die verschiedenen Motive für die Verschlei-
konservativen Alltagsislam gegen Kulturre-
nen ist, indem prominente mus- erung nicht thematisiert werden und die lativisten, Traditionslinke und antideutsche
limische Frauen sich für ein Ablegen des muslimische Frau, die eine Burka oder ein Softies verteidigt“ (Vgl: www.redaktion-
Kopftuches aussprechen, ist die Debatte um Kopftuch trägt, nur als passives Opfer ge-bahamas.org), durchaus seine richtigen
ein Kopftuchverbot wieder aufgeflammt. sehen wird, welches von der aktiven patri-Punkte hat. Es deutet auf eine Leerstelle der
Ihre Argumentation, Deutschland sei ihre archalen Gewalt gezwungen wird, sich zu Linken hin und stellt richtig fest: „An Grau-
Heimat und es sei im Sinne der „Integrati- verschleiern. Dieses Bild wird oft mit demsamkeit, Perversion und
on“ sich den deutschen Standards anzupas- Vorwurf zivilisatorischer Rückständigkeit Wahnsinn ist das System Jungfrauenkäfig
sen, ist einerseits selbstverständlich nicht gekoppelt. In dieser Argumentation schei- schwer zu überbieten“.
unterstützenswert. Doch andererseits er- nen sich die Kritikerinnen des Machismo Doch diese vermeintlich „kommunistische“
hielt eine der Unterzeichnerinnen, Ekin De- muslimischer Männer sicher zu sein, so wiebzw. „liberale“ Position ist letztendlich ras-
ligöz, daraufhin prompt Morddrohungen. auch der radikalen Andersheit gegenüber sistisch, sexistisch und deutschlandliebend.
Anhand dieses Beispiels wird das Dilemma der eigenen „westlichen“ Identität, welcheSo wird zum Beispiel der Sexismus in
deutlich, das sich fast jedes Mal bei der Be- vernünftig und zivilisiert erscheint. Man Deutschland an mehreren Stellen
schäftigung mit der so genannten „Kopf- fühlt sich in seine eigene Identität bestätigt,
des Textes verharmlost und auf „deutsche(s)
tuchdebatte“ auftut: denn „anders sind immer die Anderen“. (und linke(s) Mackertum, das sich vorwie-
Uns ist zwar einerseits klar, das eine Kritik So konnte Alice Schwarzer, eine Gegnerin gend im Unterbrechen von Frauen und
des Kopftuches als Element zur Unterdrü- des Kopftuches , in einem Interview mit anderen stillen und lauten Praktiken (wie
ckung der Frau wichtig ist, gerade in Zeiten Frank Schirrmacher das Kopftuch als „eine Augenrollen, Ironie, Rhetorik und Polemik)
von „multikulturell“ bewegten Bauchlin- Art `Branding´“ sehen, welches „vergleich-und „pfeifende Bauarbeiter“ reduziert. Ge-
ken, doch andererseits ist auch wichtig, bar mit dem Judenstern“ sei. „Das Kopftuchpaart wird diese Argumentation mit Ver-
das eben diese Kritik allzu häufig Gefahr sei“, so Schwarzer, „das Zeichen, welches wendung von Mackersprache, wie „Softies“
läuft, reaktionäre Tendenzen aufzuweisen, die Frau zu der Anderen, also einem Menschund „hasenfüßig“.
welches verhindert werden sollte. Diese zweiter Klasse, machen würde“ (vgl. F.A.Z.Darüber hinaus wird anhand der Schluss-
Tendenzen werden wir im vom 4.7.2006). Schwarzer reproduziert an folgerung, welche schon in der
Folgenden exemplarisch an zwei Argumen- dieser Stelle ein dichotomes Täter-Opfer Überschrift deutlich wird, zu der die hedo-
tationsbeispielen kurz anreißen. Bild, das die muslimischen Frauen immer nistische Mitte letztendlich
nur als Opfer der islamistischen Männer gelangt, deutlich, dass sie ihren Frieden mit
So nicht… ansieht. Sie setzt den Islamismus mit dem Deutschland gemacht haben.
Nationalsozialismus gleich - die Frauen Die Forderung nach der repressiven Durch-
Die Diskussionen um das Tragen eines nehmen die Rolle der Juden ein. Diese Ge- setzung des Kopftuchverbots und der
Kopftuches durch muslimischen Frauen schichtsrelativierende Argumentation dientSchulpflicht durch den deutschen Staat,
(Zweifelsohne unterscheiden sich die Dis- zur Stärkung der weißen, deutschen Identi-lässt darauf schließen,
kussionen in Ländern wie zum Beispiel tät, welche sich nur aufrecht erhalten kann,
dass hier kein Interesse mehr an der Beson-
Frankreich, Deutschland, der Türkei oder wenn endlich ein „Schlussstrich“ unter derderheit der postfaschistischen
dem Iran. Wir wollen uns hier auf den deut- Vergangenheit gezogen wurde. Zustände, und dem damit verbundenen
schen Kontext beschränken.), kennzeichnen Anspruch, diese mit dem Ziel ihrer Ab-
sich unter anderem dadurch, dass das Bild ... und so auch nicht schaffung zu sabotieren, besteht. Denn
einer durch patriarchale Herrschaft unter- schließlich führt die
drückten Frau entworfen wird. Diese Form Der folgenden kurzen Analyse sei vorange- allgemeine Schulpflicht in Deutschland im-
der Frauenunterdrückung wird in den Kon- stellt, das das Papier „Islam mer noch vor allem zu Einem:
text einer sog. „arabischen Welt“ angesie- is lame! Das Kopftuchverbot für Schüle- Zur Schaffung neuer Arbeiterinnen für die
delt. rinnen als feministische und deutsche Volksgemeinschaft.

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Besonders in einem Staat wie dem deut- se plötzlich ihre Liebe zu den unterdrückten
schen, der z.B. nicht mal die Abtreibung Frauen entdecken, die sie in anderen Fällen,
legalisiert hat, erscheint diese Forderung wenn es nicht um die islamische Welt geht,
mehr als fragwürdig. bekanntlich herzlich wenig interessieren.
Auch die Kritik der „Hedonistischen Mitte“ So lautete zum Beispiel ein Wahlspruch der
an der „Multikulti“- Gesellschaft, welche FPÖ während der letzten Wahl in Österrei-
durchaus richtig und wichtig sein kann, ch: „Freie Frauen statt Kopftuchzwang“.
greift hier
nicht zu Genüge. Denn die Autorinnen Abschließend können und wollen wir nicht
blenden bei ihrer Analyse komplett aus, das den einzig wahren Ausweg aus dem thema-
es zu diesen Bestrebungen in Deutschland tisierten Dilemma bieten, sondern uns auf
durchaus auch Gegentendenzen gibt, die die Kritik bestimmter Positionen beschrän-
nicht zu unterschätzen sind; als Stichwort ken, in der Hoffnung, dass die Gefährlich-
sei hier die Debatte um die Leitkultur, als keit solcher vermeintlich „linker“ oder „fe-
nur eine unter vielen vergleichbaren, ge- ministischer“ Argumentationen deutlich
nannt. geworden ist.

Ausblicke (Aus verständlichen Gründen sollten wir


diesen Artikel auf Wunsch der Macherinnen
Anhand der vorherigen Ausführungen ist dieses Readers kurz halten. Es sei aber hier
hoffentlich deutlich geworden, wie schmal darauf hingewiesen, das es in der nächsten
der Grad zwischen gelungener Kritik an Zeitung der Gruppe Sinistra! einen ausführ-
realen geschlechterspezifischen Unterdrü- lichen Artikel zu diesem Themenkomplex
ckungsverhältnissen, und rassistischen, geben wird).
nationalistischen, geschichtsrelativierenden
und sexistischen Argumentationen ist.
Wie bereits erwähnt steht es außer Frage,
das das Kopftuch in den
meisten Fällen zur Unterdrückung der
Frauen dient. Außerdem wird es häufig aus
antiwestlichen und somit tendenziell reakti-
onären Gründen, im
schlimmsten Fall in Abgrenzung zu den
USA oder Israel, getragen.
Darüber hinaus erscheint es uns noch wich-
tig zu erwähnen, dass auch ganz gewöhn-
liche Nazis innerhalb dieser Debatte teilwei-

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Die deutsche Mehrheitsgesellschaft entdeckt
die Frauenunterdrückung
Oder: Wer ist eigentlich Christiane Klawitter?

AG “Für eine hedonistische LINKE!”


Januar 2007 (aktualisierte Version)

Christiane Klawitter:
Am 22. Juli 2005 stürzt ein Kleinflugzeug vor diese Geschichte mit dem Namen verbinden?
dem Berliner Reichstag ab. Der Pilot aus Erk- Kaum eine_r. Doch wer weiß alles was mit dem
ner, Volker Klawitter, kommt dabei ums Leben. Namen Hatun Sürücü anzufangen? Und wem
Die Ermittler gehen von Selbstmord infolge fällt dazu noch der Begriff “Ehrenmord” ein?
eines Gewaltverbrechens aus, denn die Polizei Wir wollen gut zwei Jahre nach dem Mord an
findet auf dem Grundstück des Todespiloten die Hatun, an sie und diese schreckliche Tat erin-
Leiche seiner Ehefrau: eine Woche nach ihrem nern und gleichzeitig einen Perspektivwechsel
Verschwinden - tot im Kohlenkeller. Wer kann einfordern.

Wichtiges zu Beginn oder zumindest um eine Markierung von - am 07.02.2005 wird die 23jährige Hatun
Nicht-Deutschen als “rückständig”. Das Sürücü von mind. einem ihrer Brüder er-

E
s geht hier explizit nicht um eine Ver- lässt sich an zwei Punkten zeigen: mordet
harmlosung von frauenverachtender
Gewalt und Unterdrückung. So ge- 1.) Viele sind meist blind für “deutsch-deut- (Quelle: “Im Namen der Ehre” von Kerstin
nannte Ehrenmorde verurteile wir wie jede sche” Frauenunterdrückung und Gewalt Eschrich in Konkret 12/05)
Form sexistischer Gewalt aufs schärfste. in Beziehungen oder sogar erklärte Ideolo-
Auch sind wir keine Freund_innen von gInnen patriarchaler (Familien-)Politik. Beim Fall Hatun Sürücü gab und gibt es ein
geschlechtsspezifischer Kleidung oder klar riesiges mediales Interesse. Die CDU z.B.
verteilten und unterschiedlich bewerteten 2.) Die Ursache für z.B. das Wiedererstarken beschäftigte sich in der Folge ausführlich
Geschlechterrollen. Uns geht es im fol- des Kopftuches in der BRD wird auf “die mit dem sonst von ihr vernachlässigten Pro-
genden aber in erster Linie um die Analyse fremde Kultur” reduziert und Aspekte, wie blem der Gewalt gegen Frauen, allerdings
wer, wie und warum zum Retter der Frau- sozialer Status oder Ausgrenzungserfah- ausschließlich im migrantischen Milieu. Der
enrechte wird, wenn es um Migrant_innen rungen und eine damit einhergehende Re- Lesben- und Schwulenverband Deutsch-
geht. Wir werden dabei nicht kulturrelativi- Islamisierung, werden nicht thematisiert. lands (LSVD) organisierte eine Demonstra-
stisch nach dem Motto argumentieren, dass tion durch Neuköln und Kreuzberg. Es gab
das “bei denen” halt so ist, das “ihre Kultur, I.) Ehrenmorde vs. Familien- oder Reportagen und Artikel, die Feuilleton-Sei-
ihre Tradition” sei. Wir denken Menschen- Beziehungsdrama ten waren voll, auch später angesichts des
recht sind universell. Allerdings spielt es, Prozesses. Und alle sind sich einig: Ein zu
unserer Meinung nach, auch eine große Die Berliner Kriseneinrichtung für junge verurteilender barbarischer Akt, der aus ei-
Rolle, wie diese Rechte verankert werden Migrantinnen “Papatya” dokumentierte ner anachronistischen Tradition und einem
- durch Kriege, Gesetzte und Zwang oder von 1996-2004 insgesamt 45 “Ehrenmorde” überalterten Ehrbegriff herrührt. Und dieses
durch Unterstützung der Betroffenen, in- in Berlin. Während für das vergangene Jahr Problem haben die Moslems, es ist ein Pro-
haltliche Vermittlung und Integration. keine Fälle bekannt geworden sind gab es blem des Islam.
Auch denken wir nicht, das in der BRD von in den Jahren 2004 und 2005 insgesamt 4 Was dagegen würde passieren, wenn mal
Parallelgesellschaften gesprochen werden Opfer: wieder ein bio-deutscher Mann seinen Ar-
kann und sollte. Vielmehr wird damit die beitsplatz verliert, nach Hause geht und zu-
absurde Verflachung von möglichen Grün- - am 25.11.2004 ersticht der Ex-Mann die 21- erst seine Frau und seine Kinder und dann
de für z.B. Ehrenmorde gefördert und eine jährige Semra U. sich selbst erschießt. Das wäre eventuell der
bestehende Wechselwirkung zwischen der Aufmacher für die Regionalnachrichten. Es
mehrheitsdeutschen Gesellschaft und mi- - am 29.11.2004 wird die 35-jährige Melere würde von einem schrecklichen Familien-
grantischen Communities ignoriert. Den E. von ihrem Lebensgefährten erstochen drama gesprochen werden und bestimmt
meisten Protagonist_innen geht es bei der - am 04.01.2005 wird die 32-jährige Meryem würde z.B. keine_r auf die Idee kommen,
Debatte offenkundig nicht wirklich um O. von ihrem Lebensgefährten erwürgt die Familienpolitik der Bundesregierung
Frauenrechte, sondern um Ausgrenzung dafür verantwortlich zu machen, weil sie im
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aktuellen Koalitionsvertrag erneut die Mut- II.) Kopftuch Schon damals bezeichnete Birgit Rommel-
ter-Vater-Kind-Familie zur Keimzelle des spacher das in einem Kritiktext als “Eine
Staates erklärt und den Mann zum Ernäh- Auch der Streit ums Kopftuch und die Fra- ‚billige’ Lösung” und entlarvte die Forde-
rer bestimmt. Das dieser dann eventuell mit ge, ob dieses von Frauen im öffentlichen rung als rassistisch. Getoppt hat das ganze
dem Arbeitsplatzverlust auch einen krassen Dienst getragen werden darf und was es zwei Jahre später die CDU in Baden Württ-
Stausverlust und damit unter Umständen überhaupt bedeutet, hat in den vergangenen emberg und andere Bundesländer soll(t)en
eben einen völligen Identitätsverlust erlei- Jahren hohe Wellen geschlagen. Zur Zeit folgen. In einem “Gesprächsleitfaden für
det, dem nur noch mit dem Auslöschen der fordern einige “Bahamas”-Fans sogar ein die Einbürgerungsbehörden” soll das “Be-
gesamten Schicksalsgemeinschaft “Fami- generelles Kopftuchverbot in Schulen für kenntnis zur freiheitlichen demokratischen
lie”, dessen Oberhaupt er ja ist bzw. war, alle. Und auch hier wird meist mit einer to- Grundordnung nach dem Staatsangehö-
begegnet werden kann, denkt kaum eine_r. tal verflachten Analyse argumentiert. Das rigkeitsgesetz (StAG)” geprüft werden.
Oder was ist mit so genannten Beziehungs- Frauen, die erst durch das Kopftuch die Es wäre sicher interessant z.B. die zwei
dramen, bei denen der (Ex-)Freund/Mann Möglichkeit haben, den öffentlichen Bereich folgenden Fragen im Rahmen einer stati-
die Zurückweisung durch “seine” Frau zu nutzen, mit Berufsverboten und ähn- stischen Erhebung in der NPD-Hochburg
nicht mehr ertragen kann und entweder lichem (auch der allgemeinen Debatte, in Sächsische Schweiz zu stellen:
nur sie oder danach auch noch sich selbst der jede Frau mit Kopftuch zum Opfer sti- “27. Manche Leute machen die Juden für
umbringt (Die Justiz spricht in einem sol- lisiert wird) wieder in den privaten Bereich alles Böse in der Welt verantwortlich und
chen Falle übrigens immer noch von “er- und damit unter die Kontrolle der Männer behaupten sogar, sie steckten hinter den
weitertem Suizid”.)? Wen interessiert das und der Familie gedrängt werden, wird sel- Anschlägen vom 11. September 2001 in
und wer würde wohl daraus eine generelle ten in Betracht gezogen. Auch wie absurd es New York? Was halten Sie von solchen Be-
Kritik am Konzept der monogamen Zwei- ist sie aus der Bevormundung durch “ihre” hauptungen?
erbeziehung, Besitzanspruchsdenken und Männer zu erlösen, indem sie durch die 28. Ihre Tochter bewirbt sich um eine Stel-
romantischer Liebe schließen? Wer würde weiße deutsche Mehrheitsgesellschaft be- le in Deutschland. Sie bekommt jedoch ein
z.B. in diesem Zusammenhang “Die Toten vormundet werden, fällt wenigen auf. Und ablehnendes Schreiben. Später erfahren Sie,
Hosen” für ihren Song “Alles aus Liebe” die zu konstatierende Re-Islamisierung in dass eine Schwarzafrikanerin aus Somalia
kritisieren, weil die letzte Textzeile wie folgt den migrantischen Communities wird auch die Stelle bekommen hat. Wie verhalten Sie
lautet: ”Komm ich zeig dir wie groß meine nicht angemessen mit den Ausgrenzungs- sich?”
Liebe ist und bringe uns beide um.”? erfahrungen der Betroffenen in Verbin- Etwa genauso ernüchternd dürften auch
Es ist klar, das sich z.B. ein Ehrenmord und dung gebracht. Denn dann wäre man ganz die Antworten etwaiger bio-deutscher Be-
ein so genanntes Beziehungsdrama nicht schnell beim Thema Rassismus und der, oft fragter bei den Fragen 29 und 30 in einer be-
ohne weiteres vergleichen lassen. Aller- geforderten aber nicht annähernd sinnvoll liebigen Gemeinde in Baden Württemberg
dings sind z.B. drei der vier Berliner “Ehren- angegangenen, Integration. Denn die heißt ausfallen.
morde” aus dem Jahr 2004 nicht klassisch für viel zu viele Bio-Deutsche immer noch “29. Stellen Sie sich vor, Ihr volljähriger
von Brüdern oder dem Vater begangen Assimilation “der Ausländer”. Sohn kommt zu Ihnen und erklärt, er sei
worden, sondern von Lebensgefährten oder homosexuell und möchte gerne mit einem
dem Ex-Mann. Die Kategorisierung scheint III.) Verfassungstreuetest für anderen Mann zusammen leben. Wie rea-
hier eher nach der Herkunft des Täters zu Moslems und für Christen? gieren Sie?
geschehen. Nach einer Studie des Bundesmi- 30. In Deutschland haben sich verschiedene
nisterium für Familie, Senioren, Frauen und Im Januar 2004 forderten ca. 100 meist pro- Politiker öffentlich als homosexuell bekannt.
Jugend aus dem Jahr 2003 wird in der BRD minente Feministinnen in einem offenen Was halten Sie davon, dass in Deutschland
jede vierte Frau Opfer häuslicher Gewalt Brief: “Alle Frauen und Männer, die aus Homosexuelle öffentliche Ämter beklei-
durch ihren Beziehungspartner. Es handelt Ländern kommen, in denen Männer gegen- den?”
sich also um ein Problem, das bei weitem über den Frauen rechtlich privilegiert sind, Rommelspacher fragte in diesem Zusam-
nicht nur Frauen mit migrantischem Hinter- und die ein Aufenthaltsrecht in Deutsch- menhang schon vor zwei Jahren: “Denn
grund betrifft. Bleibt die Frage, warum es in land beantragen, unterschreiben ab sofort, wer würde all die deutschen christlichen
solchen Fällen so skandalisiert und mit der dass sie Art.3 Abs. 2 GG anerkennen. Damit Männer und Frauen ausbürgern, die gegen
kulturellen Frage verknüpft wird und sonst unterschreiben sie gleichzeitig, dass sie bei den Grundsatz der Gleichberechtigung ver-
eher breites Schweigen herrscht. Verstößen ihr Aufenthaltsrecht verwirken.” stoßen?”

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22 as.ism_2
IV.) Fazit

Unsere Meinung nach gibt es zwei große


Felder die, miteinander verwoben, die Moti-
vation für die scharfe und aufgeregt Verur-
teilung von Ehrenmorden, Kopftüchern,...
stellen. Zum einen rassismus, d.h. Men-
schen, denen eh fast jedes Thema recht ist
um gegen migrant_innen zu hetzen und das
Zusammenleben “verschiedener Kulturen”
in Frage zu stellen, springen gerne auf den
Zug auf oder bringen ihn erst so richtig in
Fahrt. Außerdem, und jetzt wird’s psychoa-
nalytisch, können Menschen so sehr gut bei
“den Anderen” das erkennen, kritisieren
und bekämpfen, was bei ihnen, in “ihrer
gesellschaft” schief läuft, oder besser ge-
sagt nicht so wie es eigentlich laufen sollte. V.) Literaturtipps zum thema:
So werden Frauenunterdrückung, Homo-
phobie, veraltete rollenklischees und Ehr- - “Lebenssituation, Sicherheit und gesund-
begriffe, Antisemitismus und sogar rassis- heit von Frauen in Deutschland” – Eine re-
mus bei “den moslems” oder generell “den präsentative Untersuchung zu gewalt ge-
ausländern” gesucht und gefunden und gen Frauen in Deutschland vom
“wir” werden als Kontrast als fortschritt- Bundesministerium für Familie, Senioren,
lich, zivilisiert, aufgeschlossen, und tolerant Frauen und Jugend (Hg.), 2004
dargestellt. Diese zwei Komponenten sind
jeweils unterschiedlich stark ausgeprägt.
Bei den einen, die eigentlich gar kein großes
Problem mit klarer geschlechterrollenver-
teilung haben und Schwule auch irgend- - “Überwachen und Strafen”, 1977 sowie
wie abstoßend finden, überwiegt wohl der “Der Wille zum Wissen, sexualität und
Rassismus als motivation. Bei den anderen, Wahrheit Bad.1.”, 1983 von Michel Foucault
die eigentlich total links und emanzipiert (Hg.)
sein wollen spielt die Verdrängung und
Bekämpfung der eigenen Unzulänglich-
keiten und der der “eigenen” gesellschaft,
die größere rolle. Und so ist es wohl doch
kein großes rätsel, warum BZ und Berliner - “Politik ums Kopftuch” - Ein Diskussions-
Kurier es zwar zu verstehen wissen, ih- und Materialienband von Frigga Haug und
rer männlichen Leserschaft jeden Tag von Katrin reimer (Hg.), 2005: Hier finden sich
nackten Frauen absurde Kurzgeschichten u.a. der erwähnte offene Brief und die Reaktion
erzählen zu lassen, aber türkische Machos von Birgit Rommelspacher.
ganz böse finden. oder warum deutsche
linksradikale Männer, die sich noch nie mit
sexismus beschäftigt haben, wenn’s nicht
gerade um die empörte Abwehr femini-
stischer Forderungen ging, auf einmal zum
Antipat-Checker werden, wenn es um oder gEgEN gEWALt gEgEN FrAUEN!
besser gegen moslems geht. gEgEN (HEtEro)SEXISMUS UND ZWANgSZWEIgESCHLECHtLICHKEIt!
as.ism_2 
„Meine Freundin ist
Feministin“ and action...
and ac a

t
Ey, kannst du mi
vo rne
den jungs nach spi
ont tr an
kommen. Am fr
gibts stress!

Das ist wieder mal ty-


pisch, dass du nur die Typen an-
sprichst, die du kennst. Und dann
heisst es wieder, dass Frauen
nicht ausgegrenzt werden.

Wenn Frauen
ausgegrenzt werden,
dann weil sie sich selbst
ausgrenzen! Ich weiss
doch schon von vorn-
herein, dass ich Frauen
fuer bestimmte Aktionen
nicht anzusprechen brau-
che, weil die Antwort
sowieso nein lautet.

24 as.ism_2
andand
action...
action...

Alles Klar.
Das heisst Frauen sind
also selbst Schuld, wenn
sie ausgegrenzt werden.
Dann ist das nicht Sexismus,
sondern eine realistische
Einschaetzung, oder was?
Das ist ja ein Sehr einfaches
Erklaerungsmuster, um Frau-
en desintegrieren zu koen-
nen. Die Realitaet sieht ein-
fach so aus, dass es Frauen
unmoeglich gemacht wird ,
sich an bestimmten Sachen
zu beteiligen wie Typen.

wATt STEH
DENN DIE N
KLEINEN
FRAUEN h
ier AM RA
WATt SOLL ND?!
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CHEN WEN N MA-
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BULLEN KO DER
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len und N -
azis
in die Fu
esse
beissen na
-
tuerlich...

kurze Ze
it spaeter
auf derse
lben Demo
...

„Antifafrauenbündnis: Afb@blacksec.org“

as.ism_2 25
Was tun wenn´s brännt?
Zum Umgang mit sexueller Gewalt

GAP - Gruppe Antisexistische Praxis, Berlin

In diesem Text geht es uns darum, Grundlagen für beit macht dabei die konkrete Unterstützung von
eine antisexistische Praxis vorzustellen und schnell Betroffenen von sexueller Gewalt und damit ein-
Handlungsperspektiven zu eröffnen, wenn ihr in hergehend die Auseinandersetzungen um konkrete
der Situation seid, dass in eurem Umfeld ein Über- „Fälle“ innerhalb der Linken aus.
griff oder eine Vergewaltigung stattgefunden hat.
Wir schreiben diesen Text vor dem Hintergrund (Dieser Text kann nur Ausschnitte unserer Praxis
unserer Erfahrung als gemischtgeschlechtliche wiedergeben und gehört eigentlich in den Kontext
Gruppe, die sich in linksradikalen Zusammen- eines Readers, der viele Stichworte aufgreifen und
hängen und Debatten mit Sexismus und sexueller vertiefen soll. Die Veröffentlichung ist perspekti-
Gewalt auseinandersetzt. Ein Großteil unserer Ar- visch geplant)

Sexistische Normalität und die Linke gerade im Bezug auf Sexualität konstruiert oder Kranke. Ein zentrales Moment ist hier-
wird, welche Bedeutung sexuelle Aktivität bei die Vorstellung eines sexuellen Triebes,

I
n der Linken würden sich die meisten für die männliche Geschlechtsidentität hat der durch die Frau provoziert würde und
als “antisexistisch” bezeichnen und zu- und wie sich dadurch männliche Sexualität vom Täter nicht zu kontrollieren sei. Eigent-
stimmen, dass das Thema Antisexismus strukturiert. Und natürlich geht es darum, lich steht hinter solchen Argumenten das
wichtig ist. Sich antisexistisch zu labeln ist wie „ganz normale“ Weiblichkeit über den strukturell rassistische Bild des Fremdtä-
Standard in linksradikalen Räumen und Status des sexuellen Objekts für Männer her- ters, der die schreiende Frau gegen ihren
Gruppen und gehört teilweise fast zum gestellt wird und was Frau-Sein im Bezug körperlichen Widerstand vergewaltigt. Ein
Szene-Style – umgesetzt wird davon lei- auf Sexualität mit Männern heißt. Aber die weiterer Mythos ist der sich in einer Aus-
der recht wenig, über bloße Phrasen und Übertragungsleistung, unsere eigene Sexu- nahmesituation befindende Täter (völlig
Selbstbezeichnungen geht es meistens nicht alität zum Thema zu machen und die eige- besoffen, Beziehungsstress, etc.). Diese
hinaus. Gerade deshalb ist es wichtig, sich ne Normalität zu hinterfragen, ist meist die Vorstellungen bilden sozusagen die Ne-
klar zu machen, dass sexistisches Verhalten Hürde, an der die antisexistischen Ansprü- gativfolie, auf die alle stattfindenden Situ-
und sexuelle Gewalt nicht unbedingt auf che scheitern. Darin unterscheidet sich die ationen projiziert werden. Das heißt, wir
bewusste Handlungen zurückgehen müs- Linke nicht sonderlich vom Rest der Gesell- haben in unseren Köpfen eine Reihe von
sen. Sexismus stellt wie Rassismus oder schaft: Wer hat schon Bock über sich, gute Bildern, die bestätigt werden müssen, damit
Kapitalismus eine größere gesellschaftliche Freunde oder Genossen als Vergewaltiger wir etwas als Vergewaltigung (an)erkennen.
Struktur dar, ein Verhältnis, aus dem ein nachzudenken? Und darüber hinaus auch Sprich: solange gewisse Muster oder Erwar-
“Ausstieg” durch einen Willensakt oder seine eigene Sexualität als eine gewaltför- tungen in diesem Denken nicht erfüllt sind,
eine Absichtserklärung nicht einfach mög- mig strukturierte zu denken, ist wohl auch „hat keine Vergewaltigung stattgefunden“.
lich ist. Wir alle sind Teil sexistischer Struk- nicht einfach. Aber wie ist es möglich, dass Jede Abweichung davon erschwert die
turen: Unser alltägliches Verhalten, unsere die Realität sexueller Gewalt so konstant ge- Einordnung von Situationen als sexuelle
Geschlechtsidentität, unsere Gefühle und leugnet werden kann? Eine Antwort darauf Gewalt. Vergewaltigungen oder sexuelle
Körper sind Teil und Ergebnis dieser Struk- sind die „Vergewaltigungsmythen“ - die Übergriffe entsprechen jedoch praktisch
turen und reproduzieren sie gleichzeitig. weit verbreiteten Bilder und Vorstellungen nie diesem Bild vom „fremden Mann der
Insofern wäre es vielleicht besser zu sagen, von sexueller Gewalt, die dazu dienen, das bei Dunkelheit im Park eine Frau auf dem
dass es keine Antisexist_innen gibt, sondern Thema von sich selbst und vom direkten Nachhauseweg vergewaltigt“.
nur antisexistisches Handeln. Das ist in Dis- Umfeld wegzuschieben, zu leugnen und zu Vergewaltigungsmythen sind also eine
kussionen um Fälle von sexueller Gewalt bagatellisieren. von mehreren Möglichkeitsbedingungen
meist nicht ganz klar. Zwar ist mittlerwei- für sexuelle Gewalt: Sie sind der Hinter-
le sogar im Mainstream angekommen (den Sexistische Strukturen als grund, vor dem Täter ihre Taten begehen
feministischen Kämpfen sei Dank), dass Täter-Ressourcen können. Diese Taten werden in der Regel
sexuelle Gewalt kein Problem des gesell- nicht als sexuelle Gewalt eingeordnet; von
schaftlichen Randes ist, sondern vor allem Die meisten Vergewaltigungsmythen be- den Tätern meist sowieso nicht und – sel-
in der Mitte der Gesellschaft und in unseren ziehen sich auf Frauen als Opfer sexueller tener - auch nicht von den Betroffenen. Die
persönlichen Verhältnissen stattfindet. Gewalt und ihr Verhalten. Sie definieren Mythen liefern den Tätern Argumente, wa-
Täter und Opfer kennen sich häufig und bestimmte Akte sexueller Gewalt als (noch) rum ihr Verhalten den Normalitätsrahmen
haben oft sogar ein sexuelles Verhältnis. im Rahmen der Normalität, beziehen sich nicht sprengt. Sie vermitteln ein Täterbild,
Konsequent zu Ende gedacht folgt daraus, auf die Glaubwürdigkeit der Opfer, die in zu dem kaum ein Täter passt. Sie machen es
dass die “ganz normale” Sexualität hier das Frage gestellt wird, und auf ihr Verhalten Frauen ungeheuer schwer, sexuelle Gewalt
Thema ist und “ganz normale” Frauen und in der Situation, das bewertet und kritisiert als solche zu benennen, da die eigene Wahr-
Männer die Handelnden und Behandelten. wird. Der zentrale Mythos im Bezug auf nehmung nicht mit den offiziell (z.B. durch
Oder etwas abstrakter ausgedrückt: Es geht Täter ist die Wahrnehmung des Täters als Medien) transportierten Bildern von sexu-
darum, wie „ganz normale“ Männlichkeit “Anderen”, als das Unnormale, Gestörte eller Gewalt übereinstimmt. Dazu kommt

26 as.ism_2
noch, dass Abweichungen den Frauen an- und Bildern) auseinander zu setzen. Eine wir uns anders hätten verhalten können oder
gelastet werden: Ihnen wird eine Teilschuld weitere Schwierigkeit ist in unserer Arbeit müssen oder empfinden sogar „Mitschuld“
oder sogar die alleinige Verantwortung für immer wieder die asymmetrische Konflikt- an dem was uns angetan wurde. Ganz klar
die Situation zugewiesen. Schließlich habe struktur: Während der Täter keine Schwie- ist: keine Betroffene ist (mit)schuld an dem
sie sich selbst in die Situation gebracht, sei rigkeiten hat, öffentlich herumzuerzählen, was ihr angetan wurde! Die gesellschaft-
nicht vorsichtig genug gewesen, habe ihr dass er unschuldig ist, bedeutet die Thema- lichen sexistischen Vorstellungen und opfer-
„Nein!“ nicht deutlich genug gemacht, habe tisierung ihrer Verletzung für die Betroffene feindlichen Überzeugungen sind so mäch-
den Täter provoziert oder sich nicht genug eine dauernde Retraumatisierung, ein stän- tig, dass sie in unsere Selbstwahrnehmung
gewehrt. Zu der schrecklichen Erfahrung diges Wiedererleben des ihr Angetanen. In hineinreichen. Diese Strukturen als solche
von Gewalt, Ohnmacht und Demütigung dieser gesellschaftlichen Situation, in der zu erkennen und zu bekämpfen ist für viele
kommt für Opfer sexueller Gewalt also zu- Sexismus und die Unsichtbarkeit sexueller Betroffene zentraler Bestandteil der eigenen
sätzliche die Belastung durch Gefühle von Gewalt Normalität sind, ist Parteilichkeit Auseinandersetzung mit sexuellen Gewal-
Scham und Schuld, die vor allem durch sol- gefragt. Immer, wenn wir diese Normali- terfahrungen. Diese Auseinandersetzung
che Vorstellungen hervorgebracht werden. tät aufrecht erhalten, lassen wir Betroffene ist notwendigerweise ein Prozess, in dem es
Tatsächlich ist es bis heute ein ungeheures sexueller Gewalt im Stich und stützen se- sogar wichtig und wünschenswert ist, dass
Stigma, sich als Opfer sexueller Gewalt zu xistische Strukturen und Täter. Aus diesen sich Gefühle und Bewertungen verändern.
bezeichnen. Aus all diesen Gründen kann Gründen kann es keine Neutralität geben. Es ist wichtig, Trauer und Wut empfinden
sexuelle Gewalt von vielen Betroffenen Niemals nie! Sich nicht zu verhalten, sich zu können und das ist keineswegs banal:
meist nicht als solche benannt werden. Es eine objektive Meinung zu bilden oder „bei- Es ist nicht selbstverständlich, dass die be-
sind enorme Ressourcen (wie Unterstüt- de Seiten hören zu wollen“ bedeutet, diesen troffene Frau sich diese Gefühle zugestehen
zung durch Freund_innen, Unterstützer_in- Zustand mitzutragen und Täter sexueller kann, und noch viel weniger werden sie ihr
nen-Kreis etc.) nötig, um diesen Schritt zu Gewalt zu unterstützen. von außen zugebilligt. Definitionsmacht ist
wagen. Doch selbst wenn die Betroffene die also eine Aneignungspraxis und für uns
Kraft findet, über das Erlebte zu sprechen, Definitionsmacht deshalb auch keine „schlechte aber derzeit
kommt es meist zu weiteren Verletzungen. in Ermangelung einer besseren Lösung not-
Zur Belastung, immer wieder über trauma- Den Prozess, in dem dieser sexistische wendige Praxis“, wie oftmals in der Linken
tische Dinge sprechen zu müssen, kommen Normalzustand bekämpft und in Frage argumentiert wird. Was angeeignet wird
die meist katastrophalen Reaktionen durch gestellt wird, bezeichnen wir als Definiti- ist die Wahrnehmung und Darstellung von
Umfelder hinzu, die aufgrund mangelnder onsmacht. Die betroffene Frau muss die un- Wirklichkeit. Wenn wir uns als antisexi-
Auseinandersetzung ebenfalls entsprechend eingeschränkte Möglichkeit zur Definition stische Aktivist_innen eine Perspektive von
der oben genannten Muster reagieren: Ent- des ihr Angetanen haben. Ihr Erleben, das Betroffenheit aneignen, geht damit notwen-
weder wird der Frau nicht geglaubt, ihre durch die sexistischen Normalitätsraster dig die Enteignung der Täterperspektive
Vorwürfe werden nicht ernst genommen, fällt, muss den Status des Formulierbaren einher. Mit Täterperspektive ist aber nicht
es werden Informationen eingefordert, ihr erhalten. Im Licht der bisher skizzierten nur die Position eines individuellen Mannes
wird eine Mitschuld zugewiesen oder sie Ausgangssituation verstehen wir Definiti- gemeint, sondern das Set an sexistischen
wird pathologisiert, d.h. als krank, verrückt, onsmacht als einen Prozess der Aneignung, Überzeugungen, das es einzelnen Män-
hysterisch etc. verleumdet. Oftmals wird in dem einer Realität, in der sexuelle Gewalt nern überhaupt erst ermöglicht, zu Tätern
Betroffenen unterstellt, sich aus irgendwel- nicht stattfindet, die Realität der Betroffenen zu werden, ohne sich als solche zu fühlen,
chen Gründen rächen zu wollen, Strukturen entgegengesetzt werden muss. Und das ist und die von allen möglichen Leuten in allen
(Gruppen, WG’s etc.) zerstören zu wollen überaus schwierig, denn schließlich stehen möglichen Situationen vertreten werden.
usw. Dies bedeutet eine Umkehrung des wir als Frauen, die sexuelle Gewalt erleben, Aus all diesen Gründen ist Definitions-
Täter-Opfer-Verhältnis, dass dazu dient nicht außerhalb der gesellschaftlichen, sexi- macht kein Recht, das irgendwer irgend-
sich nicht mit dem eigentlichen Problem stischen Strukturen. Manchmal kommt es wem einräumt. Das würde eine objektive
(sexueller Gewalt, sexistischen Strukturen vor, dass wir als Betroffene glauben, dass Instanz der Bewertung voraussetzen, die je
as.ism_2 27
28 as.ism_2
nach Bewertung Definitionsmacht verleiht litischen und persönlichen Fragen getrennt zu verdecken. Ein ähnliches Problem kann
oder versagt. Dabei ist es völlig egal, wer als werden, da sonst eine Instrumentalisierung auch durch das Abhaken des Definitions-
diese Instanz imaginiert wird - der Staat, die unvermeidlich ist! Sprich, Fälle sexueller rechts entstehen – schließlich hat „man“ der
Linke, politische Gruppen etc. - das voraus- Gewalt können und dürfen niemals als Ar- Frau ihre Definition ja „zugestanden“, was
gesetzte Verhältnis ist ein hierarchisches gument in anderen Konflikten verwendet ja auch nur „recht und billig“ ist, und da-
und paternalistisches. Unsere Erfahrung werden! Zum Problembereich Anonymi- mit seinen_ ihren Antisexismus zur Schau
ist, dass in allen Auseinandersetzungen sierung gehört auch, dass der Täter in den gestellt. Antisexistische Politik heißt jedoch,
um Fälle, in denen so eine objektive Instanz meisten Fällen auf Anonymisierung scheißt sich mit gesellschaftlichen Strukturen und
angenommen wird, die Bedürfnisse der Be- und verhindert werden muss, dass er den Ursachen von Sexismus auseinanderzu-
troffenen immer auf der Strecke bleiben. In Fall publik macht und „seine Version“ ru- setzen. Es heißt aber unbedingt auch, an-
einem Verständnis von Definitionsmacht merzählt. Insgesamt lässt sich ein anony- tisexistische Handlungsperspektiven, die
als Aneignungspraxis sind aber die Bedürf- misierter Umgang nur umsetzen, wenn als mensch sich so überlegt, auch auf sich und
nisse der Betroffenen der erste Ausgangs- Voraussetzung alle Leute im weiteren Um- das eigene Umfeld anzuwenden und vor
punkt jeglichen Handelns. Erst an zweiter feld sensibel genug sind, keine Namen und allem sein eigenes Handeln kritisch zu re-
Stelle steht eine allgemeine Debatte um an- Details wissen zu wollen und das Thema flektieren. Das sind die Ebenen prinzipieller
tisexistische Praxis in der Linken und eine nicht als „saftigen Skandal“, sondern als Auseinandersetzung mit Antisexismus, die
Auseinandersetzung mit den Strukturen. politisches Konfliktfeld ansehen, in dem So- für alle Gruppen und Einzelpersonen un-
An dritter Stelle steht für uns die Frage nach lidarität gefragt ist. bedingt notwendig sind – vor allem, um
dem Umgang mit dem Täter. Diese Hierar- Meist steht an erster Stelle (auch als kon- die in allen Gruppen faktisch existierende
chisierung von Praxis-Ansätzen wollen wir kretes Bedürfnis) der rein defensive Schutz Geschlechterkomplizenschaft und männer-
im Folgenden kurz ausführen: der privaten und politischen Räume der Be- bündische Identität in ihren Grundlagen zu
troffenen. Die Anwesenheit des Täters oder verunmöglichen. Wenn diese Auseinander-
1.) Aktive Solidarität mit Betroffenen des aktiven Täterumfelds stellt eigentlich setzung stattfände, könnten sich Betroffene
immer eine Einschränkung der Bewegungs- sexueller Gewalt auf einen besseren Um-
Die Bedürfnisse der betroffenen Frau müs- freiheit der Betroffenen dar. Gegen diese gang und ein höheres Reflektionsniveau in-
sen immer an allererster Stelle stehen. Jeder Gefährdung muss ein Schutzraum herge- nerhalb der Linken verlassen. Antisexismus
Vorwurf von sexueller Gewalt oder Sexis- stellt und durchgesetzt werden. hätte dann vielleicht auch etwas damit zu
mus ist in jeder Form absolut ernst zu neh- Die Betroffene trifft zusammen mit ihrem tun, sexuelle Gewalt viel unmöglicher zu
men. Die Solidarisierung mit ihr ist immer Vertrauensumfeld (Unterstützer_innen- machen bzw. die Situation von Betroffenen
erstmal das Wichtigste. Ein zentrales Ele- kreis) die Entscheidung, wann und wie eine nachhaltig zu verbessern.
ment der Erfahrung von sexueller Gewalt Täterkonfrontation stattfindet. Alle Fragen
ist eine Situation von absolutem Kontroll- der Verhaltensregeln für den Täter, der 3.) Umgang mit dem Täter
verlust und einem Gefühl tiefer Ohnmacht Bewertung seiner Reaktionen und der Ent-
- die Betroffene wird vom Täter gewalttätig scheidung über den weiteren Umgang mit Aus unserer Perspektive ist es derzeit fast
zum Objekt und Opfer gemacht. Sexistische ihm liegen bei der Betroffenen. Schließlich unmöglich, Täterarbeit zu machen, da fast
und Täterschutz-Strukturen zwingen die geht es nicht um die objektive Bewertung nie Einsicht des Täters da ist und er zudem
Betroffene immer wieder dazu, in dieser der “Schwere des Verbrechens” – sondern in seinem weiterhin sexistischen Handeln
Situation zu verharren. Darum ist es zen- um die Ausübung von Definitionsmacht in durch sein Umfeld oftmals gestützt, gestär-
tral für die Betroffene, eine möglichst große einem Unterdrückungsverhältnis. kt und rehabilitiert wird. D.h. die ohnehin
Kontrolle über alles zu haben, was passiert. schon zu seinen Gunsten (und zu Unguns-
Es darf wirklich absolut nichts laufen, was 2.) Antisexistische Politik ten der Betroffenen) verlagerten Ressourcen
die Betroffene nicht will. Positiv gewendet werden durch ein Umfeld, das sich nicht
geht es im Prozess der Unterstützung da- Ein “Fall” ist nie nur ein Konflikt mit dem verhält oder falsch verhält, auch noch ge-
rum, die Handlungsfähigkeit und Selbstbe- konkreten Täter, sondern auch mit sexi- stärkt. Wenn eine aktive Solidarisierung
stimmtheit von Opfern wiederzugewinnen. stischen gesellschaftlichen Strukturen. Da dieses Umfeldes mit der Betroffenen nicht
Das bedeutet, eine Position herzustellen, in Sexismus eine allgegenwärtige Realität ist stattfindet, läuft es in unserer Erfahrung fast
der die Betroffene nicht mehr Opfer sein und viele Leute sich völlig unzureichend immer auf Täterschutz hinaus. Das Umfeld
muss, sondern handelnde Aktivistin sein mit dem Thema auseinandersetzen, gibt es des Täters könnte jedoch im Idealfall dazu
kann. immer viele Konflikte mit Leuten, die mehr beitragen, Ressourcen für die Betroffene zu
Konkret heißt das: Es muss immer die au- oder minder eine Täterperspektive vertre- schaffen, beispielsweise, in dem es Schutz-
tonome Entscheidung der Betroffenen sein, ten, sexistische Stereotype reproduzieren, räume organisiert. Wenn der Täter aber
wem sie wann wie viel erzählt. Für eine Po- etc... Deshalb heißt für uns die konkrete Schutz durch sein Umfeld erhält, wird es
sitionierung und Solidarisierung reicht es Unterstützungsarbeit immer auch, einen sehr problematisch. Oft können Täter in
aus, zu wissen, dass es einen Vorwurf gibt. möglichst hohen Grad an Politisierung ihrem Umfeld entanonymisiert über den
Wenn es nötig sein sollte, über konkrete und Aufklärung zu erreichen. Außerdem Fall quatschen und sich selbst als Opfer
Fälle sexueller Gewalt zu sprechen (im Rah- ist neben der Anonymisierung der Debatte von Anschuldigungen inszenieren. Wenn
men einer Veröffentlichung, um Solidarität die Entpersonalisierung und Ent-Privati- er darin durch sein Umfeld bestärkt wird
einzufordern, etc.), muss dies grundsätzlich sierung auch im Sinne der Betroffenen ein (z.B. indem sie sich seinen ganzen Scheiß
immer in anonymisierter Form stattfinden. wichtiges Ziel, d.h. der Konflikt ist kein einfach so anhören), hat er die Möglichkeit,
Anonymisierung bedeutet, dass niemals individueller, sondern ein politischer und sein sexistisches Verhalten über bestimmte
der Name der Betroffenen genannt wird geht uns alle an. Eine reine Konzentration Strategien von sich zu weisen und sich ei-
und dass auch keine_r den Namen der Be- auf ein konkretes Täter-Opfer-Verhältnis ner Auseinandersetzung zu entziehen. Tä-
troffenen wissen will. Es darf nur veröffent- birgt die Gefahr, durch eine Fetischisierung terschutz bewegt sich innerhalb von Herr-
licht werden, was und wie die Betroffene der Täter-Position die eigene sexistische schaftsverhältnissen, in denen es eine klare
dies möchte. Das steht meist in engem Zu- Prägung oder die des Umfeldes verschwin- Ressourcenverteilung gibt: Täter haben in
sammenhang damit, welche Forderungen den zu lassen. Fetischisierung heißt hier, unserer Gesellschaft mehr Ressourcen, es
sie durchgesetzt haben will und ob sie dass über die Konstruktion des Täters als ist eben immer einfacher, zu sagen „ich bin
sich eine politische Auseinandersetzung das absolut „Andere“ von der sexistischen kein Vergewaltiger“, als für Betroffene, ei-
wünscht oder sie (vor dem Hintergrund lin- Normalität, in der wir leben, abgelenkt nen Täter, seine Tat und damit immer auch
ker Strukturen und bereits geführten Ver- werden kann. Eine Reduktion auf das kon- ihre Verletzung benennen zu müssen.
gewaltigungs-Debatten) zu Recht fürchtet. krete Täter-Opfer-Verhältnis heißt dann, Im nächsten Schritt versuchen wir grund-
Die Auseinandersetzung um sexuelle Ge- die sexistischen Strukturen, in denen wir legende Eckpunkte in der Auseinanderset-
walt muss unbedingt von allen anderen po- alle leben und die wir alle mitproduzieren, zung mit Tätern zu skizzieren:
as.ism_2 29
- Vorab: zu freundschaftlichem und politischem
Täter sind diejenigen, die die körperlichen Umgang kann nur dann gedacht werden,
oder psychischen Grenzen einer anderen wenn so etwas wie Einsicht und Verände-
Person überschreiten oder verletzen. rung da sind. Das darf allerdings nicht mit
einer Pseudo-Entschuldigung verwechselt
- Priorität von Opferschutz werden, sondern muss auch aus dem Han-
deln des Täters ersichtlich werden. Dieses
Es hat keine Priorität, dass der Täter klar- Handeln wird aus der Perspektive der Be-
kommt (sprich Sachen checkt, sich verän- troffenen bewertet.
dert etc.). Opferschutz und Politisierung Die schleichende Täter-Rehabilitation („es
des Konflikts müssen an erster Stelle stehen ist jetzt ja schon lange her...“) ohne Einsicht
(siehe oben). des Täters muss unbedingt vermieden wer-
den. An dieser Stelle spielt das Umfeld des
- Täter und Umfeld Täters, seine Politgruppe, sein Freund_in-
nenkreis oder sein Wohnumfeld eine große
Täter sind ganz „normale“/“linke“ Typen. Rolle. Solange der Täter durch sein Umfeld
Sie können aus deinem Umfeld, deinem geschützt wird, entstehen Räume, in denen
Freund_innenkreis oder deiner Politgruppe er der Auseinandersetzung mit seiner Tat looking forward...
kommen. Sie sind weder als Täter geboren, ausweichen kann und keine Verantwor-
noch ist es ihnen anzusehen. Deshalb ist es tung für sein sexistisches Handeln über- Dieser Text und unsere Arbeit richten sich
in der Auseinandersetzung mit Tätern not- nehmen muss. an linke Kontexte, in denen Ansprüche
wendig, sie als Täter zu benennen. Gerade existieren, die „Welt ein Bisschen besser
der Schritt, den Täter zu benennen, sehen - möglicher Umgang zu machen“. Dieser geteilte Anspruch ist
wir in unserer Praxis als besonders wich- die Grundlage unserer gemeinsamen Stär-
tig an. Denn nur so kann die Vorstellung Wenn also ein Täter in deinem Umfeld als ke und Solidarität. Aber wir haben immer
gebrochen werden, dass das nichts mit dir solcher benannt wird, erfordert das: dann ein Problem, wenn wir den Anspruch
und deinem Umfeld zu tun hat und nur nicht zur Wirklichkeit machen, wenn wir
so wird der Täter mit seiner Tat konfron- 1. eine klare Positionierung und Solidari- uns nur als Antisexist_innen labeln, ohne
tiert und zu einer Auseinandersetzung ge- sierung mit der Betroffenen. Heißt: es gibt dieses Label mit Praxis zu füllen. Dann
zwungen. Allerdings: eine ausschließliche keine neutrale Ebene, auf der mit einem Tä- wird aus „Wir sind die, die Sachen besser
Konzentration auf den Umgang mit dem ter ein Bier getrunken werden kann, weil er machen wollen“ ein „Wir sind die, die Sa-
Täter birgt wiederum die Gefahr in sich, ja „auch andere Seiten hat“ oder er wichtig chen besser machen“ und aus dem Kampf
dass seine Handlungen isoliert von gesell- für die Arbeit in der Gruppe ist. Es kann um Freiheit wird das Vortäuschen, bereits
schaftlichen Rahmenbedingungen betrach- keine Trennung zwischen seiner Person frei zu sein - frei von Sexismus, Rassismus,
tet werden. als Genosse, Freund, etc. und seinem se- Homophobie, etc. Und genau an diesem
xistischen Handeln geben. Solange diese Punkt wird das fleißig proklamierte antise-
- Verantwortung des Täters Trennung stattfindet und Normalität mit xistische Label immer wieder zum Bestand-
dem Täter performt wird, wird sein sexi- teil der Reproduktion sexistischer Struk-
Wir sind keine Sozialarbeiter_innen und stisches Handeln und damit Sexismus im turen und Handelungen, gerade indem sie
auch keine Anhänger_innen von Theorien, Allgemeinen als Herrschaftsstruktur ge- vordergründig verleugnet werden.
nach denen „böse Menschen, Nazis oder schützt und reproduziert. Antisexismus muss konkret werden. Nicht
Vergewaltiger nur böse sind, weil sie keine 2. ist eine Konfrontation des Täters mit sei- nur, weil wir tagtäglich in der Scheiße le-
Arbeit haben“ oder ähnlichem Schwach- nem Verhalten wichtig. Grundlage einer ben und sie machen, und Schutz und Soli-
sinn. Deshalb gehen wir im Kontext von weiteren Auseinandersetzung mit dem darität überlebensnotwenig sind, sondern
Sexismus von einer konkreten Verantwor- Täter ist die Anerkennung der Definition auch, weil es darum geht, anzufangen.
tung aus, die Männer für ihr Handeln zu und der Bedürfnisse der Betroffenen durch Anzufangen, der Alltäglichkeit der sexi-
tragen haben. Ignoranz und „sich halt nie den Täter und natürlich auch durch sein stischen Scheiße eine Alltäglichkeit von
mit Sexismus auseinandergesetzt haben“ Umfeld, das sich mit ihm auseinandersetzt. antisexistischem Widerstand entgegenzu-
sind keine Entschuldigungen dafür, Ver- Das beinhaltet auch die Anerkennung und setzen. Praxen entwickeln, Praxen benen-
gewaltiger zu werden oder/und sich sexi- Einhaltung der Forderungen (beispielswei- nen, Praxen zur Diskussion stellen und
stisch zu verhalten. se nach Schutzräumen) der Betroffenen. erweitern, Praxen umsetzen, Erfahrungen
sammeln und vernetzen. Kurz: Antisexis-
- Ausschluss und Bruch Eine Auseinandersetzung mit dem Täter, mus organisieren! In der Praxis der De-
die über den alltäglichen Umgang hinaus- finitionsmacht geht es uns nicht um die
Täterdistanzierung und sein Ausschluss geht, ist schwer und erfordert aus unserer Möglichkeit der Organisation von Utopien,
aus linken Räumen sind notwendiger Be- Perspektive unbedingt professionelle Be- sondern darum, das Überleben zum Leben
standteil antisexistischer Politik. Bruch mit ratung. Wir haben damit keine Erfahrung zu machen. Verhalte dich: jetzt!
sexistischer Normalität bedeutet gegenüber und können außer den oben genannten
dem Täter zunächst das Aufkündigen aller Eckpunkten nicht viel mehr dazu beitra- Für eine fette feministische Bewegung!
bisherigen Verhältnisse. An eine Rückkehr gen. Sexists - you can run - you can‘t hide!

30 as.ism_2
Susanne Heynen

Vergewaltigt.
Die Bedeutung subjektiver Thoerien für
Bewältigungsprozessenach einer Vergewaltigung

Kurzbeschreibung
Eine Vergewaltigung hat einen gravierenden Einfluß
auf das Leben der Angegriffenen. Im Gegensatz dazu
stehen die in der Gesellschaft verbreiteten Vergewalti-
gungsmythen. Diese belasten die Opfer und entlasten
die Täter von ihrer Verantwortung. In der vorliegenden
Untersuchung liegt der Schwerpunkt auf der subjek-
tiven Sicht von Vergewaltigungsopfern. Welche Kon-
sequenzen haben die auch von Frauen geteilten opfer-
feindlichen Alltagstheorien für Bewältigungsprozesse
nach einer Vergewaltigung? Welche Bedeutung hat da-
bei die Art der Vergewaltigung und die Täter-Opfer-Be-
ziehung? Wie gehen vergewaltigte Mädchen und Frauen
mit den Reaktionen des sozialen und gesellschaftlichen
Umfeldes um? Grundlage der Analyse bilden Inter-
views mit 27 Vergewaltigungsopfer. Dabei belegen die Juventa-Verlag Weinheim
Ergebnisse die erheblichen und anhaltenden negativen München, 2000
Konsequenzen einer Vergewaltigung sowie die langfri- ISBN 3-7799-1407-7
stigen, in die Lebenswelt eingebetteten Bewältigungs- 359 Seiten, Preis: 28.00 Euro
prozesse. Die Arbeit verdeutlicht die besondere Bedeu-
tung von subjektiven Theorien. Zentral für den Verlauf
des Verarbeitungsprozesses ist die Rekonstruktion der
Vergewaltigung. In der Regel bestätigen Vergewalti-
gungsopfer erst im Laufe der posttraumatischen Bewäl-
tigungsprozesse den begangenen Normbruch, für den
der Täter die Verantwortung trägt. Diese Anerkennung
ist verbunden mit erhöhter Selbstsorge und Inanspruch-
nahme von sozialer und professioneller Unterstützung,
Veröffentlichungs- und Anzeigebereitschaft.

as.ism_2 31
when my anger starts to cry…
Debatten zur Definitionsmacht und der Versuch einer notwendigen Antwort

© definitionsmacht.tk
oktober 2006

Soviel im Voraus: Die Kritik des Sexismus – wie ti hates Germany“ in dieser Broschüre) betroffen.
in (weiten) Teilen der feministischen Frauenbewe- Wir wollen mit diesem Text einen kleinen Beitrag
gung und der ‚Neuen Linken’ durchaus geschehen zur Wahrnehmung und Stärkung der Perspektive
- ausschließlich als Theorie/Kritik einer patriar- der von sexueller Gewalt betroffenen Menschen
chalischen Männerherrschaft zu entfalten, verfehlt leisten und eine Diskussion zum Umgang mit ge-
u.E.* den Gegenstand antisexistischer Kritik – die- sellschaftlichen Um- und Zuständen einfordern,
ser wurde an anderen Stellen unter dem Arbeits- die versuchen soll, dieser Perspektive gerecht zu
titel „Kein Geschlecht oder Viele!“ auf den sog. werden.
‚Punkt’ gebracht.
Die Antwort auf diesen Zustand allerdings fällt Im folgenden Beitrag sollen u.a. einige definiti-
nahezu erbärmlich aus und soll Gegenstand der onsmachtfeindliche Positionen dargestellt und
nachfolgenden Betrachtungen sein. Ist heutzutage kritisiert werden. Um verständlich zu machen,
von einem sexistischen Normalzustand innerhalb warum diese Positionen letztlich dem Ziel dienen,
der verschiedenen Gesellschaften dieser Erde die sexuelle Gewalt als gesellschaftlichen Normalzu-
Rede, dann fokussieren sich einige Debatten um stand zu bagatellisieren, die Verantwortung der
diesen Normalzustand mittlerweile zu Recht auf Täter wegzuwischen und ebenso der notwendigen
die Ausübung sexueller Gewalt und den Umgang Reflexion auf den eigenen Umgang mit dem sexi-
mit der Betroffenheit vieler Menschen als Reakti- stischen Normalzustand auszuweichen, räumen
on auf den Normalzustand. Nach wie vor sind vor wir in diesem Text auch Positionen Platz ein, die
allem Frauen von sexueller Gewalt betroffen, aber wir für menschenverachtend halten und die wir
auch lesbische1 und schwule Menschen, Trans- im Zusammenhang einer Diskussion über den
gender und ‚queer people’ sind von der Ausübung Umgang mit sexueller Gewalt eigentlich nicht re-
sexueller Gewalt durch einen heterosexistischen produzieren wollen. Wir schreiben hier in vollem
Mainstream (siehe dazu den Artikel von „Graffi- Bewusstsein dieses Widerspruches...

1. Zur Normalität sexueller Gewalt Koppelung von Sexualität und Gewalt. In ist strukturell geschlechtsspezifisch, wobei
patriarchalen Gesellschaften ist Sexualität konkrete Täterschaft durch Frauen nicht

I
n der gegenwärtigen Gesellschaft mit der Macht von Männern verbunden, auszuschließen ist2. Sexuelle Gewalt ist im
kommt der Kategorie Geschlecht eine ein Recht auf deren Ausübung zu postulie- Grundverständnis der bestehenden Gesell-
zentrale Funktion als Ordnungskriteri- ren. In sexistischen Vorstellungen werden schaftsstruktur verankert und es findet eine
um und Orientierungsmuster in Vergesell- Frauen zu Objekten gemacht, in denen sich permanente Reproduktion der Vorausset-
schaftungsprozessen zu. Die patriarchale Minderwertigkeit mit Passivität und sexu- zungen für potentielle und manifeste Täter-
Geschlechterordnung ist dabei fundamen- elle Verfügbarkeit vermeintlich vereinen. schaft statt.
tal von Machtstrukturen durchdrungen, in Mit der Sexualisierung von Gewalt werden Vergewaltiger sind keine abnormen oder
der das Männliche die dominante Position dabei erst die Voraussetzungen produziert, gestörten Persönlichkeiten, die sich von an-
einnimmt. Mit der Naturalisierung und um einen Penis als Waffe benutzen. deren Männern deutlich unterscheiden wür-
Normalisierung dieser Hierarchisierung Sexuelle Gewalt ist konstitutiver Kern und den. Sexuelle Übergriffe sind Praxen einer
der Differenz wird die Ungleichheit in die strukturelles Merkmal der gegenwärtigen Machtdemonstration, die einem ‚normalen’,
Körper eingeschrieben. Die dichotome Un- Gesellschaftsordnung, über die Menschen jedenfalls in der Mehrheitsgesellschaft aber
terschiedlichkeit der Geschlechter mit der erst zu Männern und Frauen gemacht wer- auch innerhalb der ‚Linken’ breit akzep-
damit einher gehenden Zwangsheterosexu- den. Sexuelle Gewalt findet alltäglich und tierten Männlichkeitsbild entsprechen und
alität erscheint damit als natürliche, unver- in den verschiedensten Formen statt. Es gesellschaftlich geduldet werden. Dadurch,
änderliche Tatsache, die kaum mehr hinter- ist eine gesellschaftlich verankerte Praxis, dass die Gesellschaft den Vergewaltiger als
fragt werden kann. in der männliche Macht immer wieder er- fremden und brutalen Täter konstruiert,
zeugt wird und Frauen in einem Zustand wird die Normalität und Alltäglichkeit des
Hegemoniale Männlichkeit ist eng mit Vor- der Angst und Minderwertigkeit gehalten selbigen geleugnet und es wird keine gesell-
stellungen von Stärke, Macht und Aggres- werden sollen. schaftliche Verantwortung gegenüber der
sionen verknüpft und die Demonstration Nicht alle Männer wollen dem Ideal der Problematik übernommen. Vielmehr fin-
von Gewaltbereitschaft gehört zum herr- hegemonialen Männlichkeit entsprechen den Vergewaltigungen oftmals im sozialen
schenden Selbstverständnis. Männlichkeit oder werden sexuell gewalttätig. Die Vor- Nahraum statt, Menschen sind besonders
wird über die Abwertung des Weiblichen herrschaft dieser Männlichkeitsform repro- da von sexueller Gewalt betroffen, wo sie
konstituiert und wird in alltäglichen Praxen duziert jedoch eine Gesellschaftsordnung, sich am sichersten fühlen: in der Partner-
der Unterwerfung reproduziert. Die Do- in der die überwiegende Mehrzahl der schaft, in der Familie, mit Freunden.
minanz wird dabei vor allem über sexuel- Männer von der Unterwerfung des Weib- In einer Gesellschaft, in der Männlichkeit
le Potenz vermittelt, es kommt so zu einer lichen profitiert. Dieses Gewaltverhältnis über sexuelle Potenz demonstriert wird

32 as.ism_2
und Frauen als minderwertig und entweder praktiziert. Eine Umverteilung dieser De- in der linken Polit-Szene herumtreibt. Diese
ohne eigene oder aber mit einer suspekten, finitionshoheiten in Richtung der Frauen, Gestalten [gemeint sind die Feminist_innen;
gefährlichen Sexualität gesehen werden, ermöglicht diesen zunächst einmal, Sexuali- A.d.V.] machen sich seit über zwei Jahrzehnten
gibt es einen fließenden Übergang von ´nor- tät selbstbestimmt und den eigenen Vorstel- penetrant damit mausig, vor der männlichen
malen´ sexuellen Praktiken und Vergewal- lungen entsprechend zu leben. Sexualität, der Männlichkeit überhaupt zu war-
tigungen. Obgleich übergriffiges Verhalten Den von sexueller Gewalt Betroffenen die nen, als ginge ausgerechnet von diesen Gefahr
in dieser Gesellschaftsordnung grundsätz- Möglichkeit zu geben, ihre Erfahrungen oder auch nur Dominanz aus.“3
lich in männliche Sexualität eingeschrieben zu äußern und diesen ohne weiteren Erklä-
ist, erscheint dies als reines Frauenproblem. rungsbedarf Glauben zu schenken, ist eine Von den Gegner_innen4 der Definitions-
Maßnahmen und Projekte, die ausschließ- fundamental notwendige Antwort auf pa- macht wird der im ersten Abschnitt be-
lich mit von sexueller Gewalt betroffenen triarchale und sexistische Gewaltstrukturen. schriebene sexistische Normalzustand, die
Menschen arbeiten oder in Präventions- Seit geraumer Zeit gibt es allerdings Debat- Ausübung heterosexistischer Gewalt gegen
kampagnen Verhaltensregeln für Frauen zu ten um diese notwendige Antwort – die als Frauen und anderen, nicht dem hetero-
deren Schutz propagieren, greifen demnach „Definitionsmacht der Betroffenen“ auf den sexistischen Mainstream entsprechenden
zu kurz und belassen die Problematik in der Begriff gebracht wurde – und in diesen De- Menschen, grundsätzlich geleugnet; das an-
Verantwortung von Frauen. batten werden mit großer Vehemenz Posi- geführte Zitat unterstreicht diese Tendenz
Menschen werden aber aufgrund äußerer tionen vertreten, die zeigen sollen, dass die in den Argumentationen der Definitions-
Merkmale als Frauen und damit als poten- Definitionsmacht als Mittel zur Bekämp- macht-Gegner_innen. Diese gehen aber weit
tielle Ziele von Gewalt markiert, unabhän- fung des im Alltag einer jeden zu erleben- über diese grundsätzliche Wirklichkeitsver-
gig von dem individuellen Verhalten oder den sexistischen Normalzustandes verfehlt gessenheit und -verleugnung hinaus. Im
dem Kleidungsstil. Ebenso verhält es sich sei und als die notwendige Antwort nicht in Folgenden soll systematisch auf einzelne
mit anderen Menschen, die nicht dem hege- Frage kommen soll. Diskussionsstrategien eingegangen werden,
monialen Männlichkeitsbild und der hete- Im Folgenden sollen einige dieser definiti- die zum Ziel haben, die Definitionsmacht
rosexuellen Norm entsprechen, dort richtet onsmachtfeindlichen Positionen dargestellt als politisches Mittel im Kampf gegen se-
sich homophobe Gewalt gegen alles Nicht- und kritisiert werden. Um verständlich zu xuelle Gewalt zu delegitimieren und die
Männliche, welches die Vorherrschaft der machen, warum diese Positionen letztlich Vertreter_innen der Definitionsmacht als
hegemonialen Männlichkeit in Frage stellen dem Ziel dienen, sexuelle Gewalt als gesell- Spinner_innen oder ‚Verrückte’ zu denun-
könnte. schaftlichen Normalzustand zu bagatelli- zieren. Allerdings soll an dieser Stelle auch
Es gibt aber kein Verhalten von Menschen, sieren, die Verantwortung der Täter weg- festgehalten sein, dass Angriffe auf die Idee
welches in letzter Konsequenz vor sexuel- zuwischen und ebenso der notwendigen der Definitionsmacht noch nie Alternativen
ler Gewalt schützen könnte, genauso wenig Reflexion auf den eigenen Umgang mit dem für betroffene Menschen angeboten haben,
gibt es Verhaltensweisen, welche eine Ver- sexistischen Normalzustand auszuweichen, die Gegner_innen der Definitionsmacht sich
gewaltigung rechtfertigen können. räumen wir an dieser Stelle auch Positionen für die individuellen Verletzungen und die
In der Praxis tut sich dabei eine Kluft auf einen Platz ein, die wir für menschenverach- Überlebensstrategien von betroffenen Men-
zwischen deklarierter Empörung und der tend halten und die wir im Zusammenhang schen schlicht nicht interessiert haben und
konkreten Bereitschaft zum konsequenten einer Diskussion über den Umgang mit interessieren und keine Konzepte zum Um-
Schutz von Betroffenen. Die Täter werden sexueller Gewalt eigentlich nicht reprodu- gang mit sexueller Gewalt entwickelt wor-
oftmals geschützt und die Glaubwürdigkeit zieren wollen. Wir schreiben hier in vollem den sind, die nicht die Täter in den Mittel-
der Betroffen angezweifelt. Bewusstsein dieses Widerspruches... punkt des Interesses stellen und stattdessen
die Betroffenenperspektive kennenlernen
2. Für eine Definitionsmacht Definitionsmachtfeindliche Argumente und empowern wollen.
von Betroffenen und Diskussionsstrategien
Die Frage der Macht und von wem diese
Männer üben die Definitionsmacht über „[...] Das ganze Gespräch über sexuelle Gewalt eigentlich missbraucht wird...
weibliche Sexualität, über Vorstellungen hat doch nicht den Vergewaltiger hinter dem
über weibliche Sexualität aus; die weib- Busch zur Voraussetzung und auch nicht den Eines der beliebtesten Argumente gegen
liche Sexualität wird also aus der Perspek- terroristischen Papi, der nachts nach der Knei- die Definitionsmacht ist der Verweis auf die
tive des Männlichen gedacht und (natürlich pe sein Gattenrecht gewaltsam in Anspruch Möglichkeit des Machtmißbrauches durch
nicht ausschließlich) im heterosexuellen Sex nimmt, sondern stellvertretend für alle Männer Betroffene, wenn ihnen die Definitions-
überwiegend dieser Perspektive folgend einen bestimmten Mittelstandstypus, der sich macht zugesprochen wird. Der an dieser
as.ism_2 33
Stelle allerorten befürchtete Machtmiss- einmal gestellt zu haben: Was ist denn mit sind. Als Konsequenz dieser Prozesse wird
brauch allerdings, dies soll hier eingangs der Situation einer Betroffenen nach einem die Perspektive der Täter gestärkt: Sie ha-
festgestellt sein, steht in keinem Verhältnis ‚Outing’ als Betroffene? Wird jemand als ben durch ihre Tat (die ja wohl auch ihrer
zu dem Machtmißbrauch der durch das Vergewaltiger_in ‚geoutet’, outet sich auch Subjektivität entspringen dürfte) die Sub-
Verhalten der Täter vollzogen wird; welcher die Betroffene. Das ist nicht angenehm und jektivität der Betroffenen zuerst angegriffen
– und das zeigen sogar ‚offiziellen’ Zahlen die Betroffene erfährt durch die Auseinan- und negiert. In einem Verfahren in welchem
des Bundesfamilienministeriums (BMF)5 dersetzung in der Regel keine Aufwertung nach angeblich ‚objektiven Kriterien’ ent-
– in tausenden von Fällen und täglich statt- ihrer persönlichen Integrität durch ihren schieden werden soll, wie Menschen sich zu
findet. Die Erfahrungen und der Austausch Betroffenenstatus – auf den sie dann allzu einem ‚Vergewaltigungsvorwurf’ verhalten,
betroffener Menschen zeigt wieder und wie- oft festgeschrieben wird – sondern sie erlebt soll der Perspektive der Täter und zu einem
der aufs Neue: Der Machtmißbrauch durch durch das ‚Outen’ eines Täters in aller Regel zweiten Mal ihrer Subjektivität Raum gege-
die Täter, der sich in Vergewaltigungen selber einen erheblichen Autonomie- und ben werden. Ohne darauf zu reflektieren,
ausdrückt, wird in dieser Gesellschaft ge- Machtverlust. welcher Art die Differenz zwischen Tätern
stützt, geschützt und als traurige Realität so und Betroffenen ist – die Verletzungserfah-
lange ignoriert, bis man selbst oder eigene Hinter dem Ruf nach Objektivität ver- rungen der Betroffenen setzen diese in eine
Freund_innen betroffen sind. schanzen sich die Täter! Machtdifferenz zu den nicht-verletzten,
Es ist an der Zeit, an diesen Zuständen, selbstbewusst sich verteidigenden oder reu-
vor allem im persönlichen Umfeld, endlich Über die Festschreibung des ‚Opferstatus’ mütig schweigenden Tätern – wiederholt
etwas zu ändern, dem gesellschaftlichen der von sexueller Gewalt betroffenen Men- sich die Erfahrung der Machtlosigkeit der
Umgang mit sexueller Gewalt und dem in schen wird von den Gegner_innen der De- Betroffenen angesichts eines Tribunals von
der Sorge um den Machtmissbrauch enthal- finitionsmacht ein zweiter Anwurf gegen Menschen, die sich erst zu den Betroffenen
tenen Schutz der Täter etwas entgegen zu diese ins Feld geführt: Die Betroffenen, so bekennen, wenn diese sie durch ihre Dar-
setzen. wird argumentiert, seinen durch die Unmit- stellung, eine gelungene performance oder
Dazu wäre es wichtig, sich der gegenwär- telbarkeit der Ereignisse, die Wirrnisse der ihre Vehemenz zu überzeugen vermögen.
tigen Geschlechterordnung bewusst zu sein, Situation u.ä. nicht in der Lage, ‚rationale Auch wenn davon auszugehen ist, das dies
in der Frauen eine untergeordnete Position Entscheidungen’ zu treffen oder gar die durchaus einigen Betroffenen gelingen mag,
einnehmen. Die Vorstellung eines Macht- Situation ‚objektiv’ zu beurteilen. Schein- stellt sich die Frage, was mit denjenigen ist,
missbrauchs durch Frauen in einer Gesell- bare Empathie mit von sexueller Gewalt die in der Aufarbeitung einer Gewalterfah-
schaft, in der diese eben durch das Fehlen betroffenen Menschen wird an dieser Stel- rung nicht in der Lage sind, sich zu den ver-
solcher Handlungsmöglichkeiten markiert le argumentativ gegen diese gewendet; die langten ‚objektiven Kriterien’ zu verhalten
sind, erscheint an dieser Stelle vollkommen Betroffenen selber sollen nicht entscheiden oder einfach nur nicht über das Geschehene
absurd. können, wie mit den Tätern umgegangen sprechen wollen. Sie werden in der über-
Vielmehr tritt hier die Angst derjenigen zu werden soll, die Betroffenen sollen angeb- wiegenden Mehrzahl der Fälle schlicht und
Tage, die von der bestehenden Geschlech- lich gar nicht in der Lage und Verfassung ergreifend mit ihrer Situation vollkommen
terordnung profitieren. Frauen werden seit sein, ihre Bedürfnisse und Vorstellungen allein gelassen. Dazu kommt, dass es ein an
„Adam und Eva“ als mysteriöse, hinterli- über Konsequenzen zu artikulieren. Die Absurdität kaum zu überbietender Gedanke
stige und bedrohliche Wesen konstruiert, Subjektivität Einzelner, gerade wenn die- ist, die individuellen Verletzungen anhand
vor deren Rache sich die Männer fürchten. se Betroffene sind (sie könnten sich ja von ‚objektiver Kriterien’ messen zu wollen, wie
Und es ist genau diese Unsicherheit und sog. ‚Rachegelüsten’ leiten lassen…), ist dies z.B. in Vergewaltigungsdebatten inner-
Angst gegenüber dem Weiblichen, welche den Gegner_innen der Definitionsmacht halb der Linken an verschiedenen Stellen
zur Ausübung sexueller Gewalt führen eine dunkle Remineszenz an Lynchjustiz gefordert wurde.
kann. Ob dieser Mechanismus von den Tä- und terroristische Gewaltherrschaft, Will- Wer definiert solche Kriterien in welcher
tern nun bewusst oder unbewusst eingesetzt kür tritt hier vorgeblich an die Stelle eines Situation? Diese Frage beantwortet sich im
wird, ist dabei sekundär. Dem Anprangern „vernünftigen“ Umganges mit der Situa- Grunde von selbst: Es sind nicht-betroffene
des möglichen Machtmissbrauchs durch be- tion. An die Situation und die Beurteilung Menschen, die auf solche Ideen kommen,
troffene Menschen liegt zudem ein zutiefst der Vorgänge sollen stattdessen ‚objektive und sie kommen darauf in Situationen, in
frauenfeindliches Menschenbild zugrunde. Kriterien’ angelegt werden, entlang welcher denen sie sich gegenüber sexueller Gewalt
Viele Frauen werden im Laufe ihres Lebens allgemeingültig ein Umgang mit der Situa- verhalten wollen oder sollen und in denen
mit sexueller Gewalt konfrontiert, wobei tion der Betroffenen und der Umgang mit es ihnen es ihnen darum zu tun ist, ‚rich-
die wenigsten Vergewaltigungen benannt, den Tätern praktiziert werden soll. Im Ruf tig’ mit der Situation umzugehen; warum
öffentlich gemacht oder zur Strafanzeige nach diesen ‚objektiven Kriterien’ finden nun gerade in dieser Situation, in der alle
gebracht werden. Der Anteil der gericht- vor allem auch (ex-)linke Definitionsmacht- Beteiligten zutiefst subjektiv handeln, über
lich verurteilten Täter ist noch geringer. In gegner_innen fast jeder Strömung zueinan- Objektivität diskutiert wird, bleibt beim
Gerichtsverfahren werden die Bedürfnisse der; es ist symptomatisch, dass gegen jede gedanklichen Durchspielen der solcher-
von Betroffenen kaum berücksichtigt. Den sonstige Feinderklärung Einigkeit an einer art gegen die Definitionsmacht gerichteten
meisten Menschen fällt es sehr schwer, Stelle erzielt wird, an der es nicht um ‚unity’ Argumente letztlich unbeantwortet (wir
über Gewalterfahrungen zu sprechen, die sondern um Empathie mit den Betroffenen finden die Antwort jedenfalls nirgendwo,
gesellschaftliche Duldung, Akzeptanz und gehen könnte. auch nicht in unserem Köpfen), was wiede-
Verdrängung tragen dabei wesentlich zu In der Situation der Konfrontation mit den rum als Symptom für die gesamte Debatte
deren Fortbestehen bei. Die Anzahl einiger Folgen sexueller Gewalt macht es u.E. gar gewertet werden kann.
weniger Frauen, die die Möglichkeiten des keinen Sinn, nach irgendwelchen ‚objek-
Definitionsrechts zur Denunzierung und tiven Kriterien’, mit welchen angeblich ‚rich- The tyranny of beauty?
Diskreditierung nichtschuldiger Männer tig’ mit der Situation umgegangen werden Verführung und Verfügung
verwenden, ist im Verhältnis zu den nie- könnte, zu fragen. In dem Ruf nach Objek-
mals geäußert Vergewaltigungsfällen ver- tivität steckt vielmehr die Subjektivität der Oft genug und leider immer noch gibt es
schwindend gering, so unangenehm dies Täter, der derzeit zu konstatierende Status im Umgang mit sexueller Gewalt das Ar-
im Einzelfall auch sein möge. Quo – Vergewaltigung als gesellschaftliche gument zu hören oder zu lesen, dass die
Das Schicksal einiger Männer zu problema- Normalität – verletzt so viele Menschen Betroffenen möglicherweise durch den ein
tisieren, während die Betroffenen weiter- derart tief und langfristig, dass in dem Ruf oder anderen Beitrag eine Mitschuld an
hin zum Verstummen gebracht und igno- nach ‚Objektivität’ an dieser Stelle diese dem Geschehenen tragen sollen, sie also
riert werden, entspricht genau den Frauen Verletzungserfahrungen vollkommen ne- mithin der Mittäter_innenschaft sich schul-
verachtenden Vorstellungen weiblicher giert werden und sogar bis zur Nicht-mehr- dig gemacht haben sollen:
Minderwertigkeit. Und um diese Frage Wahrnehmbarkeit an den Rand gedrängt „[...] Ähnlich kurz greift die Kritik, Frauen

34 as.ism_2
Anita Heiliger, Constance Engelfried

Sexuelle Gewalt
Männliche Sozialisation und potentielle Täterschaft

Wie „normal“ sind sexuelle Übergriffe von Männern auf


Mädchen und Frauen? Die Autorinnen machen deutlich,
daß in der männlichen Sozialisation die Bereitschaft dazu
systematisch nahegelegt wird: Das patriarchale Männlich-
keitskonzept legitimiert aggressive und sexuelle Gewalt
als Männlichkeitsbeweis und damit als „Normalverhal-
ten“. Jungen wird bereits in früher Kindheit die angeb-
liche Unterlegenheit von Mädchen und Frauen durch
eine diskriminierende Wortwahl signalisiert. Gewalt- so-
wie Bemächtigungsverhalten ihnen gegenüber wird als
gewünschte Einübung in die männliche Rolle suggeriert.
Als Ergebnis zahlreicher Gespräche mit Männern und
der Auswertung von Gerichtsgutachten zeigen die Auto-
rinnen, was den Gewaltakten zugrunde liegt, wie sexuel-
ler Gewalt präventiv entgegengewirkt werden kann und
daß diese Prävention die Beendigung der Geschlechter-
hierarchie sowie einen radikalen Umbau des Männlich-
keitsbildes erfordert.

(ISBN 3 593), 35395 4 / Campus Verlag, Frankfurt

as.ism_2 35
würden nur als Sexualobjekte angesehen [...] Halluzination der Fährnisse, die aus der ver- dargestellt. Es wird nicht einmal erwähnt,
Dass Sexualobjekt zu sein aber in Maßen auch drängten Lust sich nähren und endet schließlich dass es höchst umstritten ist, ob es die so oft
angenehme Seiten hat, Frauen vielleicht auch bei der wirklichen Begegnung mit dem anderen bemühten Triebe als eine Art Naturgesetz-
als Frauen und eben nicht nur als Menschen Körper, dem Objekt der Begierde, katastrophisch. lichkeit, als angeborenen, determinierenden
geliebt werden wollen, wird nicht einmal in Be- Dem zu entgehen, kann nur über das typisch Teil des ‚Prinzips Mensch’ überhaupt gibt.
tracht gezogen. Dann möge man aber schlüssig sozialdemokratische Projekt der Sexualhygiene Die Fixierung auf eine Sexualität, die als
erklären, wieso Fernsehsendungen, die Mädchen gelingen: Die Antwort auf das nicht gewagte Ri- Kompensation der Erniedrigungserfah-
nackt fotografieren [sic!], den Mädchen damit siko [sic!] ist die Desexualisierung der Sexuali- rungen des unterworfenen Subjektes ver-
nach eigenen Aussagen einen Herzenswunsch tät, die Binnenmoral des Reihenhausbewohners standen wird, verweist auf den Stand eines
erfüllen? Wieso ist Model ein Traumjob vie- – und damit des Todesstrafenforderers.“8 Bewusstseins, dass reflexhaft auf antisexi-
ler Mädchen und Frauen? Und worin besteht stische Kritik mit reinem Ressentiment ant-
der Sinn des Spiels der kalten Schulter? Ist es Dagegen haben wir nur noch das eine auf- wortet; solche Argumentationen sind u.E.
womöglich die Freude daran, mit dem eigenen zuschreiben: „No means No!“ auch nicht mehr kritisch zu brechen.
– weiblichen –Körper im Anderen Begehren zu Männer müssen aber nicht heterosexistisch An dieser Stelle würden wir dagegen gern
erzeugen [...] handeln. Wenn Unsicherheiten darüber be- vorschlagen, die Perspektive der von den
Eine gewaltfreie Welt wird es mindestens vor stehen, wann eine sexuelle Handlung zu skizzierten Vorstellungen betroffenen Men-
der Revolution nicht geben. Die Linke aber will weit geht und Grenzen verletzt werden, schen zu beachten und zu respektieren:
nicht einsehen, dass es keine simple Lösung kann sich ein Mensch dementsprechend ver- Die all den zitierten Äußerungen innewoh-
gibt.“6 halten. Entgegen dem Stereotyp weiblicher nende grundsätzlich implizierte ständige
Emotionalität und Unentschlossenheit ha- Verfügbarkeit von Menschen, vor allem
Dazu möchten wir Folgendes noch einmal ben Frauen ein sehr klares Verständnis Frauen, als Sexualpartner_innen muss kri-
klarstellen: Es gibt keine Rechtfertigungen davon, welches Verhalten eine Vergewalti- tisch hinterfragt werden; woher kommt
für die Ausübung sexueller Gewalt und es gung ist. denn die heterosexistische Vorstellung,
gibt eben auch kein Verhalten der betrof- dass Frauen Objekte männlicher Sexualität
fenen Personen, dass in letzter Konsequenz Dumme Geschichten, die sich halten: seien und quasi permanent als ansprech-
eine Vergewaltigung ausschließen könnte. Das Märchen vom Trieb... bare Sexualpartnerinnen zur Verfügung
Denn über die Ausübung sexueller Gewalt stehen? Sie entspringt Omnipotenzphan-
entscheiden die Täter, die sich zu einer Ver- Ausgehend von dem Unfug, den Wertmül- tasien, die eng mit den Vorstellungen über
gewaltigung entschließen. ler und Krug in dem sattsam bekannten männliche Sexualität verbunden sind; sie
Auch das Argument, die Betroffenen hät- „Infantile Inquisition“ entwickelt haben, ist entspricht also der Vorstellungswelt der he-
ten eventuell ihren Willen nicht klar genug in den Debatten um die Definitionsmacht gemonialen Männlichkeit. Gegen diese Vor-
artikuliert oder das Geschehene schließlich unter den Gegner_innen derselben eine stellung ist es uns wichtig, den Gedanken
schweigend ertragen und damit eben ih- Tendenz auszumachen, in welcher Sexua- der sexuellen Selbstbestimmung der Frauen
ren Teil zum Geschehenen beigetragen, ist lität als pathologische Konstante gedacht zu betonen und gegen die erwähnten hete-
gefährlicher Unfug: Wir gehen davon aus, und begriffen werden soll, deren Voraus- rosexistischen Vorstellungen in Erinnerung
dass bei aufkommenden Unsicherheiten setzung und Grundlage ein grundsätzliches zu rufen!
jeder selbst die Möglichkeit und die Ver- Gewaltverhältnis zwischen den als ‚natür-
antwortung hat, nachzufragen, ob „alles lich’ gesetzten Geschlechtern bilden soll. Den Blick umdrehen:
O.K. ist“; so einfach wäre es jedenfalls an Im Rückgriff auf Freud und seine deter- Mein Körper gehört mir!
vielen Stellen. Die Wirklichkeit stellt sich ministische Trieblehre soll dann das Leben
leider auf grundsätzlich andere Weise dar: des Individuums, welches wortgewaltig als Schließlich wird gegen die ausgemach-
Es ist den Vorstellungen über männliche ‚Kampf um’s Dasein’ entfaltet wird, unter te Willkür im Denken und Handeln der
Sexualität scheinbar eingeschrieben, sexu- sozialdarwinistischen Voraussetzungen er- Vertreter_innen der Definitionsmacht, an-
elle Bedürfnisse und Interessen möglichst fasst werden: schließend an den schon diskutierten Ruf
durchzusetzen, auch gegen Widerstand. So nach ‚objektiven Kriterien’, das ‚Bürgerliche
werden sexuelle Beziehungen oft in Form „Die Natur, als deren Bestandteil der Mensch Recht’ als Referenzrahmen vorgeschlagen,
von Erobern und Überreden gedacht, eine sich nur noch angesichts seiner Vergänglichkeit in welchem über die Betroffenen und die
auf gegenseitige Lust bedachte Sexualität bewusst ist, stellt sich ihm [vom Menschen zum Täter einfach ein Urteil gefällt und so ent-
kommt darin nicht vor: Mann, so einfach geht das..., A.d.V.] von Be- schieden werden solle. Schließlich sei ja der
ginn an als Verführer und Verderber zugleich Gerichtssaal dafür da, um über „Schuld und
„Verführung ist der Versuch, einem anderen dar, sie ist sein Triebschicksal [...] Anders als Sühne“ zu befinden. Aufgrund der schon
seine sexuelle Begierde anzutragen, gegen seine beim Tier bleibt dem Menschen immer die vage dargestellten Problematik im Umgang mit
oder ihre Unzulänglichkeit anzurennen durch Erinnerung an die versöhnende Natur, der er den Verletzungserfahrungen jeder einzel-
Werben [...] Sexuelle Belästigung hat mit der in früher Kindheit entrissen wurde. Seither ist nen Betroffenen, der Nicht-Kategorisier-
Verführung [...] die Begierde gemein. Diesem alles Anstrengung, Anspannung der Kräfte, barkeit und Nicht-Verallgemeinerbarkeit
Verhalten fehlt die Bemühung, ja bereits die Selbstbehauptung. Selbst die Natur zeigt sich solcher Erfahrungen, ist davon auszugehen,
Hoffnung, das Objekt [sic!] zum Sexualakt nur noch von ihrer unbarmherzigen Seite und dass das bürgerliche Recht keine Möglich-
überhaupt nur überreden zu können. Sexuelle dem tagtäglichen Kampf tritt die Verlockung des keiten bereithalten, dem sexistischen Nor-
Belästigung bedient sich also [...] der Mittel der völligen Loslassens an die Seite. [...] malzustand entgegenzutreten.
Verführung [...]“7 Die Ahnung des Kindes, sich seine Befriedigung
am anderen erkämpfen zu müssen, also anders Vergewaltigungen sind nicht objektiv be-
Schließlich kommen die Vertreter_innen als der Säugling [...] etwas für seine sexuelle weisbar, sie sind ebenso wenig darstellbar
solcher Positionen symptomatischerweise Erfüllung tun zu müssen, ist doch Beginn der oder gar ‚nachvollziehbar’ zu machen, da
bei der strukturellen Analogie von sexuel- Genitalerotik und aggressives Sich-Erkämpfen die Erfahrungen die Betroffene machen
ler/sexualisierender Gewalt und Sexualität eines nie genügenden Lustquantums. Und aus Erfahrungen sind, die in der Mehrheitsge-
an: dieser frühkindlichen wie frühmenschheitlichen sellschaft der Nicht-Betroffenen gar nicht
Erfahrung [...] stammt doch die Aggression ‚per vorkommen, für die es nicht einmal eine
„ [...]Verführung hat, wenn sie gelingt, zur se’.“9 Sprache gibt, die dem Gedanken des Re-
Folge, daß aus einem Nein ein Ja wird. Die spekts gegenüber Betroffenen gerecht wird.
ursprüngliche Intention, nicht mit dem Mann Dazu erübrigt sich im Grunde jeder Kom- Diese Gewalterfahrungen werden von den
schlafen zu wollen, ist einem neuen Willen mentar. Das Weibliche wird in solchen betroffenen Menschen sehr unterschiedlich
gewichen[…]Diese Angst vor der Grenzüber- Argumentationen als reine, ‚versöhnende erlebt, die Verletzungen sind demnach zu-
schreitung, die man nicht wagt, produziert die Natur’, der Mann als ‚universelles Prinzip’ tiefst subjektiv. Die Anwendung objektiver

36 as.ism_2
Kriterien um feststellen zu wollen, was eine Kurzum: Im Alltagsverständnis gilt eine weil es im Bezug auf Sexualität und sexuel-
Vergewaltigung sei und die dementspre- Vergewaltigung als Vergewaltigung, wenn ler Gewalt um individuelle Bedürfnisse und
chende Bestrafung nach dem bürgerlichen die Vagina durch den Penis angegriffen subjektive Empfindungen der betroffenen
Rechtssystem entsprechen kaum den Be- werden, darüber hinaus soll dann nach den Menschen geht.
dürfnissen der betroffenen Personen. Kriterien der Definitionsmacht-Gegner_in-
nen sichergestellt werden, dass den Betrof- Die zusammengetragenen Einwände ge-
Bei der Definitionsmacht geht es auch gar fenen wirklich Schmerzen zugefügt wor- gen die Definitionsmacht stellen in ihrer
nicht um die Anwendung eines Strafsy- den. Das sich hier artikulierende Bedürfnis Gesamtheit einen Angriff auf diejenigen
stems, in dem Frauen Männern Schaden nach einer Besetzung der weiblichen Ana- Menschen dar, die von sexueller Gewalt
zufügen. Es geht um den Schutz von betrof- tomie (bzw. der Anatomie der betroffenen betroffen sind. Sie werden durch das Nicht-
fenen Menschen, egal welchen Geschlechts. Personen) verdichtet sich zu einer prakti- Einräumen ihrer Definitionsmacht wieder-
Zuallererst sollen die Bedürfnisse dieser zierten Definitionshoheit der Gegner_in- holt mit ihren bitteren Erfahrungen und den
Menschen beachtet werden, ohne dass in nen der Definitionsmacht darüber, was als daraus resultierenden Traumatisierungen
genauen Details Rechtfertigungen verlangt sexuell definierte Praktiken zu gelten hat, konfrontiert. Dabei werden die Betroffenen
werden, die niemanden etwas angehen. was als sexualisierte Praxis angenommen doppelten und dreifachen Grenzüberschrei-
Die Frage ist doch viel eher, woher (ob nun und akzeptiert wird. Dies setzt allerdings tungen, die die erlebte erste Aggression und
im Gerichtssaal oder beim Politgruppen- ebenso voraus, dass nicht die Betroffenen Gewalterfahrung wiederholen, ausgesetzt.
Tribunal) das Bedürfnis kommt, noch das selber entscheiden, wie sie ihre eigene Se- Durch das Definitionsrecht für Betroffene
allerkleinste Detail über das Geschehene in xualität leben wollen. Typischerweise wird soll im Gegensatz dazu die Perspektive
Erfahrung zu bringen. in dem hier verhandelten Zusammenhang dieser wahrgenommen und gestärkt wer-
Worin gründet der Wunsch von an Defini- die weibliche Sexualität räumlich im In- den und ihre Bedürfnisse beachtet werden;
tionsmachtdebatten beteiligten Menschen neren des Körpers von Frauen verortet, es Vergewaltigungen als eine gesellschaftlich
(und den an dieser Stelle gemeinten Geg- wird stillschweigend und einfach so davon verankerte Praxis bekämpft werden. Die
ner_inner der Definitionsmacht) Details ausgegangen, dass weibliche Sexualität an- Definitionsmacht ist ein politisches Instru-
über den Körper der Betroffenen zu erfah- geblich vor allem im Inneren des weiblichen ment, um den allerorten zu beobachtenden
ren und zu hören oder lesen, was diesen Körpers stattfindet und erst dort sexistisch sexistischen Normalzustand, der als Kern
Körpern ‚passiert’ ist. Wer möchte warum angegriffen werden könne. die Selbstverständlichkeit der Ausübung
nach dem eingeforderten ‚Erlebnisbericht’ Und im Bürgerlichen Gesetzbuch ist dann sexueller Gewalt vor allem gegen Frauen
darüber urteilen und möglicherweise den auch der Tatbestand der Vergewaltigung enthält, anzugreifen. Denn nur wenn se-
Betroffenen entgegenhalten, dass nach Er- als das Eindringen in irgendein Körperteil xuelle Gewalt ihrer gesellschaftlichen Ak-
wägung aller Kriterien ermittelt wurde, der Betroffenen durch einen Gegenstand zeptanz und stillschweigenden Tolerierung
dass die betroffene Person nicht vergewal- oder ein Körperteil des Täters definiert. entzogen wird, kann diese Praxis als sozi-
tigt wurde? Also: Die Zahnbürste im Nasenloch, die aler Normalzustand beendet werden:
Warum ist es also so entscheidend, dass Zigarette im Ohr? Die Definition nach den
die Betroffenen in aller Öffentlichkeit sagen Paragrafen des Gesetzbuches (§ 177/178:
und beweisen sollen, dass der Täter mit die- Verbrechen gegen die sexuelle Selbstbestim-
sem und jenem Körperteil dieses und jenes mung) macht nicht erst dieser polemischen Für die Definitionsmacht streiten! Entwi-
Körperteil der Betroffenen penetriert hat. Überlegung folgend einfach keinen Sinn, ckelt Konzepte jenseits des Täterschutzes!

* u.E. - Diese im Text häufiger verwendete Abkürzung steht für „unseres Erachtens“.
1
An dieser Stelle wird „lesbisch“ explizit gegen die Kategorie Frauen ‚abgegrenzt’, weil wir auch den lesbischen Menschen gerecht werden möchte, die sich selber nicht
(mehr) als Frauen begreifen wollen.
2
Wir werden aufgrund der erdrückenden Faktenlage in diesem Text an dem Begriff der/des ‚Täter(s)’ festhalten, um der Normalität der Ausübung sexueller Gewalt
durch Männer Rechnung zu tragen. Wir gehen davon aus, dass wir damit der Wirklichkeit eines sexistischen Normalzustandes – an dem eben auch Frauen und andere
Geschlechter partizipieren und davon profitieren können – nicht vollends gerecht werden; Männer also auch von sexueller Gewalt betroffen sind und Frauen ebenso als
Täterinnen in Frage kommen.
3
zit. nach Wertmüller, Justus: Über Wüstlinge und Hygienemonster, in: Bahamas 34 (2001), S. 33
4
zur Verwendung dieser Schreibweise siehe: s_he: Performing the Gap. Queere Gestalten und geschlechtliche Aneignung, in: Arranca! Ausgabe 28 / November 2003
5
Laut einer vom EU-Frauenrat initiierten und vom BMF 2004 erstellten Studie auf der Grundlage von Direktinterviews unter Frauen zwischen 16 und 85 Jahren gaben
14,5 % der Befragten an, vergewaltigt worden zu sein.
Die Bundeskriminalstatistik (Stand: 2004) weist eine absolute jährliche Zahl von 8331 erfassten Vergewaltigungsfällen aus; wenn in diesem Zusammenhang das An-
zeigeverhalten – in der Mehrzahl der Fälle kommt es nicht zu Anzeigen durch die Betroffenen – berücksichtigt wird, ist von einer immensen Dunkelziffer auszugehen.
Verurteilt werden jedes Jahr nur ca. 20% der Täter in den offiziell erfassten Vergewaltigungsfällen.
6
zit. nach: les madeleines: Nein heißt Nein? Grundlegende Erwägungen zum Definitionsrecht der Frau über eine Vergewaltigung, in: Gigi (Nr. 20). Zeitschrift für
sexuelle Emanzipation (http://www.gigi-online.de/definition20.html)
7
Wertmüller, Über Wüstlinge..., a.a.O., S. 34
8
In der Sprache der Vergewaltiger wimmelt es nur so vor ‚katastrophischer’ Gewalt: Wertmüller, J./Krug, Uli: Infantile Inquisition. Vergewaltigungsdebatten in der
Szene: Verdränger werden Verfolger.
9
Wertmüller, Über Wüstlinge..., a.a.O., S. 34f.

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für das definitionsrecht
streiten!
vorschläge zur diskussionsgestaltung:

voraussetzungen

beachtet, dass in dem diskussionsraum sehr wahrscheinlich auch betroffene anwesend sind.
diskutiert so, dass nicht wieder grenzen überschritten werden!!

führt diese debatte unabhängig von konkreten fällen.

damit ihr in akuten situationen und im sinne der Betroffenen reagieren könnt, ist es wichtig auf eine diskussion
zurückgreifen zu können, die vorher geführt wurde.

macht euch vorher klar, was die motivation für eure diskussion ist. warum z.b. eure gruppe sich jetzt mit definiti-
onsrecht und sexueller gewalt auseinandersetzen will.

die diskussion um das definitionsrecht macht mit frauenverachtenden personen keinen sinn.
denn: wenn feministische positionierungungen grundsätzlich abgelehnt werden hilft auch das beste argument
nicht und ihr reibt euch nur auf.

raumgestaltung

tut niemandem den gefallen, euch berühren zu lassen, verletzen zu lassen. erst checken, ob das gegenüber ein
wirkliches interesse an der diskussion hat. zuerst immer fragen, ob es überhaupt in deren interesse liegt, etwas
gegen sexuelle gewalt zu tun.

sehr wahrscheinlich wird es vehemente positionen gegen das definitionsrecht geben. dabei mischen sich unver-
ständnis und angst (vor allem unter männern) mit antifeministischen haltungen. versucht dies im diskussions-
raum zu unterscheiden.

es kann sehr hilfreich sein, festzuhalten, was für standpunkte in dem raum verteilt sind, ohne diese gleich zu dis-
kutieren – das kommt später. aber so könnt ihr euch einen überblick darüber verschaffen, was eure ausgangslage
ist.

diskussionsstrategie

es ist wichtig, die verschiedenen phasen des definitionsrechts in der diskussion erstmal voneinander zu trennen:

- sensibilisiert euch gegenüber den ausmaßen, der normalität und der tabuisierung von sexueller gewalt.

- sexuelle gewalt und vergewaltigungen sind nicht beweisbar; und so haben frauen viel, aber die täter nichts zu be-
fürchten. deshalb ist es wichtig über möglichkeiten des umgangs mit dieser situation zu diskutieren: was können
wir der alltäglichkeit sexueller gewalt entgegensetzen? macht eure diskussion hier am definitionsrecht fest!

- grundsätzlich: angriffe auf die idee des definitionsrecht haben noch nie alternativen angeboten, wie mit diesem
normalzustand umgegegangen werden könnte, sie verweisen höchstens auf die „objektivität des bürgerlichen
rechtes“. gegen die „objektivität“ der gerichtsverfahren und für eine offenkundige unverhältnismäßigkeit des
machtmissbrauchvorwurfes sprechen spätestens die offiziellen zahlen. zu tausenden findet jährlich machtmiss-
brauch durch die täter statt. doch dem wird nichts entgegengesetzt.

- er ist dafür verantwortlich, diesen zustand anzugreifen? Soll der umgang damit an frauenvertreter_innen und
gerichte delegiert werden?

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Kontakt

WEB MAIL

Antisexismusbündnis Berlin www.antisexismonline.tk antisexism@freenet.de

Antifa Hohenschönhausen www.ah.antifa.de antifah@web.de

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desperados.berlin - desperados@berlin.com

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interessante Links

www.transgender-net.de
Für alle, die ihr zugewiesenes Geschlecht nicht als bindend empfinden

www.etuxx.com
Homo-Diskussionsforum – surfing the queer underground

www.ladyfest.net
Ladyfest in Berlin

www.ladyfesteurope.org
Ladyfest-Übersicht

www.sexismandthemedia.tk
Internetseite zu einer antisexistischen Vortragsreihe

www.lookism.info
anti-lookism info site vom projekt l

www.afbl.tk
Antifaschistischer Frauenblock Leipzig (AFBL)

www.copyriot.com/sinistra
Sinistra! aus Frankfurt am Main

definitionsmacht.tk
Seite mit Texten zum Thema Definitionsmacht

www.tgnb.de
Transgender Netzwerk Berlin

www.gladt.de
Gays & Lesbians aus der Türkei e.V.

mehr-geschlechter.de
Seite gegen Zwangszweigeschlechtlichkeit

www.abqueer.de
Aufklärung & Beratung zu lesbischen, schwulen, bisexuellen und transgender Lebensweisen.

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