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24 | Direkte Demokratie | 6 | 11.

Februar 2010

Straßburger Kreidekreis
Eingezwickt zwischen Bürgerwillen und
Menschenrechten – „wer möchte jetzt in
der Haut der Straßburger Gens de Justi-
ce stecken?“ fragt Autor J. Pichler.

Foto: Council of Europe (1) / EPA (1)


Kreuze runter – Minarette rauf?
S | Wenn der steht |
eit Sonntag, 29. November 2009, 19 Schweizer Minarettstreit zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte kommt, on meint, das seien ja wir. Weit gefehlt, zeigt
Uhr tickt ganz Europa anders. Die Bürgerwille gegen Menschenrechtskonvention, Demos gegen Justizia. sich jetzt, den Bürgern sind das zwei Paar
Schweiz hat abgestimmt. Minarette? Schuhe. Die haben über den EMRK-Beitritt
Nicht bei uns. Sagen so um die 57 Prozent nie abgestimmt, also sehen die Übergan-
der Abstimmenden. Gratulationen kommen | Von Johannes Pichler | genen sie als fremdes Recht, als Recht „von
an die Schweizer. Eliten protestieren. Merkt aussen“, „von oben“. Blocher spricht das un-
jemand was sich da insgesamt anbahnt? Ein EGMR hofspräsidenten, die es wissen müssen, glas- geniert aus. Auch ein österreichischer Abge-
Zuzug zur direkten Demokratie, zu Auf-be- Der Europäische klar geäußert, Jutta Limbach (D) und Philipp ordneter hatte beim österreichischen EMRK-
gehren und zu Ab-stimmen. Deutsche und Gerichtshof für Adamovich (Ö) (in: Pichler, J.W. (Hg) Rechts- Beitritt ins Parlamentsplenum gebrüllt: Das
Foto: Council of Europe

Franzosen fragen schon laut, warum dürfen Menschenrechte akzeptanz und Handlungsorientierung, ist das Ende der Souveränität. Nochmal, ja,
wir nicht abstimmen, worüber die Schweizer ist der zur Wahrung 1998): Topgerichtshöfe sind zwar an sich ent- ist es. Partiell. Aber das ist auch gut so. Gul-
Bürger selbstbestimmen dürfen? Holländer der Europäischen scheidungsautark und das ist gut so. Aber liver und Leviathan haben sich selber gefes-
sagen, wir fragen nicht lange, wir werden es Menschenrechts- sie können dennoch nicht nachhaltig und selt. Aus weiser Einsicht. Was ein außer
tun. Der kleine österreichische Hexenmeis- konvention einge- dauerhaft die Überzeugungen des Souve- Rand und Band geratener Nationalstaat mit
ter in Kreuzritterpose sagt, wir tun es auch. richtete Gerichts- cken zur Wand der Rechtsakzeptanz – und räns ignorieren. grauenhafter Fratze anrichten kann, wissen
Polen, Tschechen, Spanier mit maurischer hof in Straßburg. mithin zur Disposition. Rechtsakzeptanz ist Der Souverän ist jedoch das Volk, zugespitzt wir aus zwölf Jahren der europäischen Düs-
Vergangenheit, und andere eint: Lasst uns nun zwar für die Gültigkeit von Recht nicht gesagt die jeweilige Mehrheit des Volkes. Die ternis nur zu gut. Ist also schon gut, dass wir
auch ein Volks-Aufbegehren starten. Und, zwingend erforderlich. So weit die Rechts- kann natürlich irren, klar. Aber fürs erste uns in den Menschenrechten selber restlos
wohlgemerkt, es geht weder um Ortsbild- theorie. Aber wenn sie gründlich abhanden erzeugt sie Recht, das solange gilt, bis eine gesamteuropäisch verstrickt haben.
schutz noch um einen Krieg der Religionen kommt, ist dieses Recht recht schnell nur andere Mehrheit anderes Recht durchsetzt. Nur wäre es dennoch angebracht gewe-
(so christlich sind die Europäerinnen und mehr eine morsche Fassade. Einsturz ist nur Nun ist natürlich für Verfassungsrecht, wo- sen, die Bürger in die Europäisierung des


Europäer dann auch wieder nicht mehr), es eine Frage der Zeit. Deutsche erinnern sich zu allemal die Menschenrechte zählen, ein Rechts konstant wollensbildend und dann
geht um einen Kulturkampf. weises Sicherheitsventil installiert. Demzu- willenstragend einzubauen. Dann hätten die
Der Antagonist der Minarett-Stürmer, An- Topgerichtshöfe sind zwar an sich entscheidungs- folge können diese nur qualifizierte Mehr- Schweizer gewusst, dass sie über diese Fra-
di Gross, aufrechtes Urgestein der direkten autark und das ist gut so. Aber sie können dennoch heiten abändern. Ein starkes Argument, ge- ge, die möglicherweise die EMRK berührt,
Demokratie, hält Blocher in fulminanten wiss. Aber dennoch brüchig – auf längere nicht alleine abstimmen sollten, weil sie vor-
Wortschlachten ein grandios richtiges Argu- nicht nachhaltig und dauerhaft die Überzeu- Sicht. Wer Bürger beharrlich ignoriert, und her noch viele andere Bürgerschaften zu ei-
ment entgegen. Man hätte die Bürger eines
einzelnen Staates, diesfalls die Schweiz,
dann nicht abstimmen lassen dürfen, wenn
gungen des Souveräns ignorieren.

an die im Steilflug nach unten verglühte Wei-
wär‘s ein Gerichtshof, arbeitet just dem Her-
anwachsen solcher Mehrheiten zu.
Franz Matscher, zwanzig Jahre österrei-
ner gemeinsamen Sache hätten gewinnen
müssen. Dass ein gesamteuropäischer Sou-
verän dann am Ende aber immer recht hätte,
sie über Recht abstimmen, das mit dem Bei- marer Verfassung. chischer Höchstrichter in Straßburg, warnt dem würde sich wohl kein aufrechter Demo-
tritt zur Europäischen Menschenrechtskon- Schon bei geringeren Anlässen haben seit Langem: Gerichtshof, es gibt Zeiten, da krat verschließen dürfen.
vention (EMRK) zur Beurteilung in letzter EMRK-Staaten die rote Karte gezückt. Haben gilt es voranzugehen. Aber irgendwann heißt Aber eines derartigen Bewusstseins, dass
Instanz an den internationalen Gerichtssaal den Straßburger Gerichtshof wissen lassen, es dann innehalten und bei den Bürgerinnen Bürgerabstimmungen nur auf der jeweils
abgetreten worden ist. Wenn die Schweizer Richter, wenn ihr weiter so Politik macht, und Bürgern Akzeptanz einzuwerben, man richtigen Ebene ihren Platz haben können,
die „Panne“ nicht in einem weiteren Referen- dann müssen wir uns sogar den Austritt über- muss das Erreichte sich setzen lassen. also Wiener auf der Wiener Ebene und euro-
dum selber wieder reparieren, dann werde legen. Wenigstens aber eine Änderungskün- Im Moment sind halt die beunruhigten päische eben nur auf der europäischen, man-
wohl der Europäische Menschenrechtsge- digung mit anschließendem Wiederbeitritt Schweizer im Fadenkreuz der Kritik. Sie gelt es ganz grundsätzlich. Die Politik, je po-
richtshof in Straßburg (EGMR) diese reparie- Plakatstreit – dann aber nur mehr mit Vorbehaltserklä- sind ihrer wohl nicht verbietbaren subjek- pulistischer desto mehr, schürt absichtlich
ren müssen. Leider wird dieses starke Argu- Das Plakat der rungen. Was Großbritannien und Polen bei tiven Wahrnehmung der Gefahr einer Über- ein Kuddelmuddel. Und der Boulevard spielt
ment die gegenteilige Wirkung auslösen. Schweizer Volks- der EU-Grundrechtecharta recht war, näm- fremdung gefolgt. Sie mag ja irrig sein oder die passende Musik dazu.
partei (u.), das Mi- lich zu sagen, dies und jenes passt uns ein- überzogen. Bloß, der Bürgerschaft Wahrneh-
Ohne Rechtsakzeptanz keine Rechtstreue narette wie Ra- fach nicht und daher anerkennen wir nicht, mung ist der alleinige Weg zur Legitimität. Gebt den Bürgern ihren Staat zurück!
keten darstellt, basta, könnte anderen dann bei der EMRK Legitimität wiederum ist der Kitt, der eine
Gross weckt damit ein schlafendes Euro- wurde von der billig sein. Blocher hat es schon gebellt: Wir Gesellschaft mit ihrem Staat zusammenhält. Paul Kirchhof hat daher schon aufgestöhnt
pa auf. Ist es denn wirklich schon so, dass un- Eidgenössische kündigen. Andere werden folgen. Darauf Mit der beleihen wir unsere Nationalstaaten und eine Therapie ersonnen: Gebt den Bür-
sere Souveränitäten gar nicht mehr existie- Kommission ge- darf gewettet werden. üblicherweise in passablem Ausmaß. Auch gern ihren Staat zurück (2008). Großartig. Es
ren? Ja, Leute, Gross hat völlig recht. So ist gen Rassismus als weil wir eine wahrnehmende Ahnung, ein ist nur zu ergänzen, gebt den Bürgern doch
es. Und daher wird der Menschenrechtsge- „Verunglimpfung“ Gerichtshof, geh voran, aber nicht zu weit … Gefühl, haben, dass wir diese unsere Staa- endlich auch ihr Europa zurück. Egal ob das
richtshof, wenn er angerufen werden wird kritisiert, die den ten am langen Ende irgendwie unter Kontrol- EU-Europa oder das EMRK-Europa, aber
und er wird es werden, den Richterhut auf- „öffentlichen Frie- Das könnte dann aber der Anfang von le haben. Und sei es durch direktdemokra- gebt es gesamteuropäisch zurück. Es sind
setzen und den Fall entscheiden. Ja darf er den“ stört. Das Auf- einem langen und gefährlichen Ende wer- tisches Auf-Begehren. auch in Europa immer am Ende die Bürgerin
denn das? Falsche Frage, er muss. hängen der Plakate den. Wer möchte jetzt in der Haut der Straß- Mit dieser Legitimität haben wir jedoch und der Bürger, die ihr Recht tragen – und
Noch ist nur erst einmal der Zündsatz wurde daraufhin in burger „Gens de Justice“ stecken? Zum nie die EMRK beliehen. Wie auch? Nicht wir dann auch bei rauem Wetter selber in euro-
scharf gemacht, in dem der EGMR angeru- einigen Kantonen Handlungsspielraum von Verfassungs- und Bürger sind dort beigetreten, sondern unse- päischer Rechtstreue durchtragen müssen.
fen werden soll. Aber was wenn dieser Men- verboten. Höchstrichtern haben sich zwei Gerichts- re Staaten. Die staatsphilosophische Fikti- Richter können die nur ganz ersatzhalber
schenrechtsgerichtshof herstellen und auch das nur für ganz kurze
in Straßburg, der ja eben Zeit tun. Und keinesfalls gegen ein sich auf-
erst judiziert hat, dass die bauendes breites Klima der Kulturverunsi-
christlichen Kreuze (Kru- cherung. Halt, halt, ist denn Verunsicherung
zifixe) in öffentlichen Abstimmen über Menschenrechte à la carte nicht bloß ein emotionales Gefühl? Schon.
Räumen weg müssen, zu Aber Gefühle müssen erstens nicht zwin-
folgendem denkbaren Er-
gebnis kommt: Der Bau
von religiösen Symbolen
Z ustimmung zu den Menschen-
rechten kommt flott über aller Lip-
pen. Freilich, nur die „guten“ Men-
mung von politischer Kommunikation
sind wie eh und je: Furcht, Angst, Zorn,
Begeisterung – und Hoffnung. Nur man-
gend falsch sein und zweitens, Emotionen
siegen sowieso allemal.
Merke daher, was auch immer bei Ver-
im öffentlichen Raum, schenrechte kommen ins Kröpfchen. Die gels Hoffnungmachern haben Angstpo- stand auch Bestand haben soll, dafür müs-
eben Minaretten, gehört Menschenrechte der „Gfraster&Co“ lan- pulisten das bessere Blatt, bekommen die sen zuerst einmal die Herzen der Bürger ge-
zu den Grundpfeilern den im Mülltöpfchen. Tief aus den Her- Leute zur Abstimmungsurne. Und dort wonnen werden. Klingt pathetisch. Ist aber
des Religionsausübungs- zen kommt die Zustimmung zu den Men- sind die Bürger, anders als Richter, für ih- genau das, was die Politik bislang nicht bie-
rechts und dieses zur schenrechten bisher noch nicht. Wir re Entscheidungen nicht begründungs- ten konnte oder wollte. Daher wenden sich
EMRK-Garantie der Re- Menschen funktionieren eben anders als pflichtig. Wenn der Souverän an der Urne eben Bürger an Bürger – direktdemokra-
ligionsfreiheit. Verkürzt es sich die Aufklärung gewunschen hat. steht, gilt seit den Tagen Athens volle, be- tisch. Wohlan.
gesagt: Kreuze runter, Herz siegt über Verstand. Die „Transmit- dingungslose Entscheidungsfreiheit. Zu
Minarette rauf? ter“ zur verstandesmäßigen Wahrneh- dumm, es ist die Demokratie! (jp) | Der Autor, Uni-Professor, ist unter ande-
Dann steht die EMRK
Foto: EPA

rem Präsident von „Europa braucht Inititiati-


urplötzlich mit dem Rü- ve“, Berlin, www.we-change-europe.eu|

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