Erinnerung Am 27.
Dezember 2009 hat Bischof Dieses erinnert an einen außergewöhnlichen Mann und
Golser im Bozner Dom mit einer
und Eucharistiefeier das Josef Mayr-
Mahnung Nusser Gedenkjahr ausgerufen.
(Aus „Dolomiten“)
Dr. Günther Andergassen Dr. Erhard Hartung
Südtiroler Freiheitskämpfer Sprecher der Kamerdschaft der
ehemaligen Freiheitskämpfer
Gedenken an ein Südtiroler Schicksal:
Bekenntnis und Tod des Josef Mayr-Nusser
Im Jahre 2010 jährt sich zum 100. Male der Geburtstag eines
außerordentlich mutigen Südtirolers, dessen kompromißlose
Handlungsweise bis heute diskutiert wird.
Der am 27. Dezember 1910 auf dem Nusserhof, einem alten
Weinbauernhof im Bozner Boden geborene Josef Mayr wuchs
in einer Familie auf, deren Tiroler Selbstverständnis Religio-
sität, Nächstenliebe und Volkstum in einer selbstverständli-
chen Weise als Einheit umschloß.
Auch die Familie Mayr auf dem Nusserhof litt unter dem fa-
schistischen Joch. Wertvollste Kulturgründe rund um den Hof
waren im Zuge faschistischer Baumaßnahmen zu lediglich der
Hälfte des Schätzpreises enteignet worden. (Siehe: Josef Innerhofer:
„Er blieb sich selber treu“, Athesia Bozen, 2005, S. 24 f)
Josef Ferrari – Priester, Vorbild und Freund
Mit 24 Jahren wurde Josef Mayr erster „Bundesführer“ der
Katholischen Jugend des deutschen Anteils der Diözese Tri-
ent, des „Jungmännerverbandes Bozen“. Der Leiter der Jugend-
arbeit der „Katholischen Aktion“ war damals der ebenfalls aus
Bozen stammende katholische Priester und Diözesanassistent
Josef Ferrari, mit welchem der „Nusser Peppi“, wie er von sei-
nen Freunden genannt wurde, nun eng zusammen arbeitete.
Ferrai war ein ehemaliger Mitschüler von Josef-Mayrs älte-
rem Bruder Jakob. Er war nur 3 Jahre älter als Josef Mayr
und auch mit diesem persönlich befreundet. Seit den frühen Bu-
benjahren war er oft auf dem Nusserhof anzutreffen gewesen.
Der Südtiroler Historiker Othmar Parteli schreibt in einem
Nachruf über Ferraris Jugendarbeit: „Er sah sie als Vorausset-
zung dafür, der heranwachsenden Generation dieser Zeit, in
der die Fundamente der heimischen Gesellschaftsstruktur mit
dem Fernziel einer totalen Assimilierung von Land und Leuten
im Ungeist faschistischer Verblendung torpediert wurden, ein
Mindestmaß an Orientierung und Halt zu bieten.“ (Othmar Parteli:
„Vor 50 Jahren starb Josef Ferrari“, in: „Dolomiten“, 16. April 2008)
Kampf gegen Totalitarismus und für Religion und Volkstum
Um zu verstehen, mit welcher Selbstverständlichkeit sich ka-
tholische Priester und Laien damals gleichzeitig für die Be-
wahrung religiöser Werte und für die Aufrechterhaltung der
deutschen oder der ladinischen Sprache und Kultur der Tiro-
ler einsetzten, muß man sich vor Augen halten, daß für einen
Großteil der Bevölkerung Religion und Volkstum gemeinsam
und untrennbar zur Tiroler Identität gehörten. Bei vielen Men-
Tiroler – Sonderdruck 57/2010
an eine schlimme Zeit, als Faschismus und National-
sozialismus das Volk Südtirols einschließlich seines
Klerus in verfeindete Lager von „Bleibern“ und
„Optanten“ zerrissen, dabei Freundes- und Familien-
bande zerstört und die Landeskinder in schreckliche
Kriege von Äthiopien bis Russland geschickt hatten.
Das Schicksal Josef Mayrs berührt uns heute noch zu-
tiefst. Sein Einsatz für Glaube, Heimat und Volk darf
nicht vergessen werden. Sein tragisches Ende soll auch
den heute Lebenden Mahnung sein, totalitären Ideolo-
gien jederzeit die entschiedene Absage zu erteilen. Wir
legen nachstehende Dokumentation vor allem in die
Hände der Jugend.
Roland Lang Sepp Mitterhofer
Obmann-Stellvertreter Obmann
Südtiroler Heimatbund Südtiroler Heimatbund
Josef Mayr vom Josef Ferrari, Priester und
Nusserhof in Bozen. Freund des jungen Josef Mayr.
schen in Südtirol ist diese Sichtweise auch heute noch gültig.
Josef Ferrari, der priesterliche Jugendfreund Mayr-Nussers hat
dieses Selbstverständnis auch auf dem Nusserhof angetroffen,
in dessen Stube die Mayrs seit Generationen unter dem Kreuz
im Herrgottswinkel gesessen waren und wo Freunde, Rat- und
Hilfesuchende stets willkommen waren. Es war ein Ort der
Nächstenliebe und der Gläubigkeit, wo man nach Ferraris ei-
genen Worten zweifeln konnte, daß es die Erbsünde gab.
(Reinhold Iblacker: „Kein Eid auf diesen Führer“, Innsbruck-Wien-Mün-
chen 1979, S. 47)
Josef Innerhofer, der Biograph Mayr-Nussers, berichtet, daß
die „Katholische Aktion“ (KA), in deren Rahmen sich Mayr-
Nusser so tatkräftig betätigte, in den Augen der Faschisten
„eine Quelle des deutschen Widerstandes gegen die Italieni-
sierung“ geworden war.
(Josef Innerhofer: „Er blieb sich selber treu“, Athesia Bozen, 2005, S. 41)
Die Mitgliedsausweise der KA für Lehrer und Lehrerinnen
sowie KA-Veranstaltungen in Pfarrhöfen, Privathäusern und
auf Berghütten und Almen waren oft ein Schutz für den durch
Kanonikus Gamper so tatkräftig geförderten deutschen
„Katakombenunterricht“. Die KA verlegte und verbreitete auch
deutsche Schriften, Weihnachtsbücher und Religionsbücher.
Es wurde 1934 in Bozen eine als Haushaltungskurs getarnte
„Apostolatsschule“ und 1936 im Deutschordenskonvent von
Lana sogar eine KA-Jugendführerschule mit eigenen Deutsch-
kursen eingerichtet.
1
 Jugend der Katholischen Aktion im Jahre 1932 auf der Seiser Alm.

Meraner Jugendliche der Katholischen Aktion vor der

Zufritthütte am Ortler im Jahre 1931.

Das Bildungsdefizit der heranwachsenden Jugendführer, wel-
che wie alle Jugendlichen die staatliche italienische Schule
besuchen mußten, wurde in bezug auf die deutsche Sprache
und Kultur durch die „Katholische Aktion“ ausgeglichen. Es
fanden im Untergrund Dekanatstagungen, Einkehrtage, Jung-
führerschulungen, Werkwochen und Exerzitien statt.
Diese wurden oft in freier Natur oder auf entlegenen Bauern-
höfen abgehalten, um unliebsamen faschistischen Spähern aus
dem Wege zu gehen. Gemeinschaftsmessen fanden vor allem
in der von der Bozner Jugendgruppe renovierten alten roma-
nischen Kirche von St. Johann im Dorf statt. Auf diesen Zu-
sammenkünften, an denen Josef Mayr-Nusser mit großer Treue
teilnahm, hielt Josef Ferrari oft zusammen mit anderen Prie-
stern Unterricht.
Breiter Raum wurde neben der Behandlung von Glaubensfra-
gen auch der Pflege der Literatur, der Heimatkunde, des Volks-
liedes und des Volkstanzes gegeben. Das deutsche Liedgut
wurde in Singkreisen gepflegt und in Liederheften und Rund-
briefen weiter gegeben. (Siehe: Maria Villgrater: „Katakombenschule“,
Athesia Bozen 1984, S. 295 ff) Alle Gesangvereine außer dem Män-
nergesangverein von Bozen waren ja mittlerweile von den Fa-
schisten verboten worden.
Josef Mayr-Nusser selbst hat als Verbandsobmann des Katho-
lischen Jungmännerverbandes Bozen in einer Ansprache zum
Thema „Jugendführung“ betont, daß die Jugendarbeit in „kirch-
licher und volklicher Gemeinschaft“ erfolge. (Josef Innerhofer: „Er
blieb sich selber treu“, Athesia Bozen, 2005, S. 44)
Der spätere Parlamentsabgeordnete der Südtiroler Volkspar-
tei (SVP) Karl Mitterdorfer war als junger Bursch im Winter
1936/37 von dem Priester Josef Ferrari zu einem der Jugend-
abende der „Katholischen Aktion“ eingeladen worden.
Mitterdorfer erinnert sich: „Ich tat es und dieser Abend gefiel
mir so, dass ich mich dieser Organisation voll anschloss ... In
der neuen Gemeinschaft wurde auch sehr kritisch über den Na-
tionalsozialismus diskutiert ... Diese Katholische Jugend war
nach den Ideen der deutschen Jugendbewegung aufgebaut,
unserer Religion verbunden, im nationalen Bereich aber genauso
eingestellt wie die andere Gruppe, so dass ich also unser natio-
nales Anliegen nicht im Geringsten vermisste ... Diese Heim-
abende waren etwas Wunderschönes, da wurden unsere deut-
schen Lieder gesungen, wurden interessante Texte gelesen, Spiele
veranstaltet und es wurde viel diskutiert.“ (Heinz Degle: „Erlebte
Geschichte – Südtiroler Zeitzeugen erzählen ... 1918-1945“, Athesia Bozen
2009, S. 34 f)
Tatsächlich war es in Südtirol die katholische Kirche, die „als
der einzige Hort der deutschen Kultur“ überlebte. (Maria Villgrater:
„Katakombenschule“, Athesia Bozen 1984, S. 294)
2 Tiroler – Sonderdruck 57/2010
Der Konflikt mit der staatlichen Macht war
unausweichlich
Die Jugendarbeit der „Katholischen Aktion“ war eine ständige
Gratwanderung, da sich der Vatikan im Jahre 1929 in den
Lateranverträgen, welche die Souveränität des Vatikanstaates
garantierten, sowie in dem Konkordat von 1929 gegenüber der
faschistischen Regierung hatte verpflichten müssen, daß die
„Katholische Aktion“ wie alle anderen katholischen Jugend-
vereine keine politische und schon gar keine antifaschistische
Jugendarbeit leisten dürfe. (Siehe: Alfons Gruber: „Südtirol unter dem
Faschismus“, 3. Auflage, Athesia Bozen 1978, S. 155 f; sowie: Maria
Villgrater: „Katakombenschule“, Athesia Bozen 1984, S. 293)
Der Andrang der Jugend zu der „Katholischen Aktion“ wurde
von den Faschisten mit zunehmendem Mißtrauen beobachtet.
Der faschistische Abgeordnete Giarratana vermerkte bereits
am 20. März 1928 in der Zeitung „Provincia di Bolzano“ voll
Ärger, daß die „Katholische Aktion“ in Südtirol „der Mittelpunkt
des deutschen Widerstandes gegen die Italianisierung gewor-
den sei und die Abschließung ganzer Volksteile gegen die italie-
nische Infiltration bewirke.“ (Zitiert nach: Maria Villgrater: „Katakom-
benschule“, Athesia Bozen 1984, S. 294)
Die Überwachung durch den Staat war scharf.
Pepi Posch, ein Jugendführer der ersten Stunde und Mitstrei-
ter Mayr-Nussers, schildert: „Es war damals ... ein Wagnis,
irgendwo zu siebt oder zu acht oder zu zehnt zusammen zu kom-
men ... die Kontrolle der Polizei, der Carabinieri unter dem
Die Jugend traf
sich auf Almen,
um dem Zugriff
der Faschisten
nicht ausge-
liefert zu sein.
Faschismus war damals so scharf, daß sich niemand getraute,
sich irgendwo zu versammeln. Ja, es war gerade schon so, daß
wenn sich drei oder vier Leute auf der Straße oder auf dem
Obstmarkt in Bozen oder in Meran auf dem Sandplatz hin-
stellten und miteinander eifrig diskutierten, dann waren die
bereits staatsgefährlich. Und so mußte die Schulung, die wir
planten, die Tagungen, die Werkwochen, die in der folgenden
Zeit entstanden, sie mußten in die Täler hinaus verschoben
werden. Wir wanderten in die Täler, von dort hinauf in die Ber-
ge und irgendwo auf einer Waldlichtung in der Nähe einer Ka-
pelle wurden dann unsere Werkwochen-Schulungs-Tagungen
abgehalten, mit Sport, Spiel, Gesang und Musik.“ (Zitiert bei:
Josef Innerhofer: „Er blieb sich selber treu“, Athesia Bozen, 2005, S 46)
In der Praxis konnten weder Ferrari noch Josef Mayr-Nusser
als katholische und als völkische Bekenner den politischen und
ideologischen Fragen aus dem Wege gehen. So nahm Mayr-
Nusser in einem Rundbrief an die Pfarrgruppen der Katholi-
schen Aktion bereits im Juni ein klare Stellung gegenüber den
„verschiedenen Internationalismen“ wie „Liberalismus, Bolsche-
wismus, Kapitalismus, Hypernationalismus“ (Anm.: womit er
natürlich Faschismus und Nationalsozialismus meinte) ein und
bezeichnete sie als „Mächte der Finsternis, die keine höheren
Werte über sich anerkennen wollen.“ Man dürfe von diesen
Mächten dem Volke nicht das Heiligste entreißen lassen und
müsse vor allem auch den Verwüstungen auf dem Gebiet der
Religion entgegentreten. In weiteren Schreiben wandte sich
Mayr auch ganz konkret gegen den Führerkult von Faschis-
mus und Nationalsozialismus. (Zitiert bei Reinhold Iblacker: „Kein
Eid auf diesen Führer“, Innsbruck-Wien-München 1979, S. 15ff)
Es sollte sich zeigen, daß der Konflikt mit der staatlichen Macht
unausweichlich war. Die Schule in Laas trug wie viele andere Südtiroler Schulen die
Aufschrift, wonach man an den Faschismus glauben, ihm gehor-
Josef Ferrari: Die Muttersprache blieb ein mächtiger Wall! chen und für ihn kämpfen solle. Das war es, was die Kinder lernen
In Hinblick auf den katholischen Widerstand gegen die ver- sollten. Ihr Volkstum, die deutsche Sprache und die angestammte
suchte Italianisierung der Südtiroler hat Josef Ferrari im Jah- Kultur ihres Elternhauses sollten die Kinder ablegen.
re 1958, schon vom nahen Tode gezeichnet, niedergelegt, wor-
um es damals gegangen war: „Was der italienische Staat mit Was die italienische Schule den deutschen Kindern in dem Ge-
der Italianisierung der Schule in Südtirol erreichen wollte, war schichtsunterricht, der ganz dem Zwecke des Staates dienstbar
klar. Das Volk sollte gewaltsam durch die Verdrängung der In- gemacht worden war, zu bieten hatte, erweckte die Kräfte des
telligenz italianisiert werden. Ist es ihm auch gelungen? Widerstandes im jungen Menschen. Sie wurden zum treiben-
Südtirol hatte nicht allein seinen Lehrerstand verloren, son- den Moment in einer geheimen Bewegung, die sich dem Zugriff
dern auch die Lehrerfamilien. Durch fast zwei Jahrzehnte blieb der faschistischen Staatspolizei zu entziehen wußte.“ (Josef Ferrari:
jeder Lehrernachwuchs aus, ein Umstand, der den Wiederauf- „Das Schulwesen in Südtirol“, in: Wolfgang Pfaundler Hrsg.): „Südtirol -
bau der deutschen Schule besonders schwer machte. Versprechen und Wirklichkeit“, Wien 1960, S. 222 f)
Ohne Zweifel hat der Faschismus in Südtirol sehr viel zerschla-
gen. Er hat den deutschen Beamtenstand fast vollständig aus-
Option 1939 – Die Südtiroler in einem schrecklichen
gerottet. Er hat eine ganze junge Generation geistig entwurzelt.
Gewissenskampf
Aber an das Fundament des Volkstums der Südtiroler ist er
nicht herangekommen. Südtirol stellt ein leuchtendes Beispiel Die „Katholische Aktion“ arbeitete ebenso wie Kanonikus
dafür dar, wie ein Volk durch die Bewahrung seiner Mutter- Gamper eng mit den nationalen Jugendgruppen des „Völki-
sprache seine geistige Eigenart erhalten konnte. Die Mutterspra- schen Kampfringes Südtirol“ (VKS) zusammen.
che blieb für das Südtiroler Volkstum ein mächtiger Wall, der Walther Amonn, einer der prominentesten „Dableiber“ berich-
allen Zugriffen der Gewaltpolitik widerstand. tete: „Die Ausrichtung (des Völkischen Kampfringes Südtirol)
Was allerdings für die junge Generation verhängnisvoll wurde, war katholisch. Damit entstand für die Faschisten eine Kon-
war die Ausmerzung der Geschichtskenntnis über das eigene Volk. kurrenz, die sie nicht litten.“ (Walther Amonn: „Die Optionszeit er-
Neben den religiösen Bildungskräften ist die Geschichte für die lebt“, Athesia Bozen 1982, S. 25)
Formung des jungen Menschen einer der bedeutendsten Bil- Diese Zusammenarbeit dauerte bis zum Jahre 1939, als die
dungsfaktoren. Die Jugend Südtirols ist wohl aus dem öster- über Nacht getroffene Entscheidung der VKS-Führung, sich
reichischen Kulturraum herausgerissen wor-
den, sie ist aber nicht in den italienischen Kul-
turkreis hineingewachsen. Kultur kann allein
nach den Gesetzen des Geistes wachsen; nie-
mals kann sie ein Exportartikel auf dem Mark-
te politischer Spekulation werden.“

Der Faschismus griff nach den deutschen

Kindern, die in die Uniform der faschi-
stischen Jugendorganisation „Balilla“
gesteckt wurden. Auch der Vater des
Südtiroler Heimatbundobmannstellvertreter
Roland Lang mußte diese verhaßte Uniform
gegen seinen Willen tragen.
Tiroler – Sonderdruck 57/2010 3

„Die Heimatlosen“ hat der Imster Maler Thomas Walch dieses er-
schütternde Bild genannt. Das Schicksal der Heimatlosigkeit hielt
die von den Diktatoren Mussolini und Hitler aufgezwungene Opti-
on für die Südtiroler bereit.
bei der aufgezwungenen Option für die Auswanderung zu ent-
scheiden, diese Gemeinsamkeit beendete.
Ferrari, dessen freundschaftlicher und priesterlicher Einfluss
ohne Zweifel auf den jungen Mayr-Nusser tief einwirkte, war
ebenso wie Kanonikus Gamper ein entschiedener Gegner der
aufgezwungenen Option, der schrecklichen Entscheidung zwi-
schen Heimat und Volkstum. Man kann sich heute kaum mehr
vorstellen, in welchem Ausmaß die vor eine solche Entschei-
dung gestellte Volksgruppe innerlich zerrissen und wie ver-
nichtend ihre geistige Einheit zerstört wurde.
Hitler hatte Südtirol an seinen Freund Mussolini preisgege-
ben und nun sollte die ethnische Frage in Südtirol nach dem
Willen der Diktatoren ein für alle Mal bereinigt werden. Der
lästige Zankapfel Südtirol sollte einfach aus der Welt ver-
Schon frühzeitig hatte Hitler auf Südtirol verzichtet und dies bei
jeder Gelegenheit kund getan. Als er 1938 zu seinem bewunderten
Vorbild und Freund Benito Mussolini auf Staatsbesuch nach Rom
reiste, wollte er von der Bevölkerung Südtirols nichts sehen. Er
fuhr in seinem Salonwagen mit zugezogenen Vorhängen durch das
Land. Erst südlich von Salurn blickte Hitler aus dem Fenster sei-
nes Salonwagens und ließ sich auf jedem Bahnhof von den begei-
sterten Italienern feiern.
4 Tiroler – Sonderdruck 57/2010
schwinden. Um die Südtiroler für die schwerste Entscheidung
ihres Lebens zu bearbeiten, stellte die übermächtig einsetzen-
de NS-Propaganda den „Endsieg“ Hitlers und Mussolinis über
deren Feinde als unausweichlich und das Schicksal Südtirols
als italianisiertes Land als unabwendbar hin.
Aufgrund der jahrzehntelangen Unterdrückung durch den
Faschismus glaubte die Mehrheit der Bevölkerung an diese
Unabwendbarkeit. Anders wäre das Ergebnis nicht zu erklä-
ren, daß sich rund 86 Prozent der Südtiroler voll Verzweiflung
für die Bewahrung des Volkstums in der Heimatlosigkeit ent-
schieden.
Wer nicht für die Auswanderung optiere, sei bereit, sein Volks-
tum zu verraten und ein „Walscher“ zu werden, sein Bekennt-
nis zum Bleiben sei ein Bekenntnis für Italien, so hieß es bei
vielen Optanten. Das Verhalten einiger großer Wirtschafts-
treibender und deren geschmeidiges Auftreten in Faschisten-
uniform schien diese Propaganda zu bestätigen. Einige „Da-
bleiber“ wiederum sahen in den „Gehern“ Verräter an der Hei-
mat und in deren Entscheidung ein Bekenntnis zu Adolf Hit-
ler, der zusammen mit Mussolini schuld an dem Unglück Süd-
tirols war.
Der „Geher“ Franz von Braitenberg schildert, warum viele jun-
ge Südtiroler zu „Gehern“ wurden. Es war der Wunsch nach
Freiheit: „Die ganze Jugend, die zweiten, dritten Söhne auf den
Höfen (Anm.: die den Hof nicht erben würden), die wollten in
die Freiheit, wollten deutsche Schulen, deutsche Ausbildung,
Arbeit und vor allem weg vom Faschistenjoch, weg hier, nichts
wie weg! Deswegen wurden wir ‚Geher‘ genannt, trotzdem die
Mehrzahl von ihnen bei Gott nicht gehen, sondern dableiben
wollte, genauso wie die andere Seite, die ‚Dableiber‘.“ (Zitiert aus:
Willy Acherer: „...mit seinem schweren Leid...“, Brixen 1986, S. 79)
In der Führungsspitze des „Völkischen Kampfringes Südtirol“
(VKS), die sich für die Option entschieden hatte, geisterte auch
die irreale Vorstellung herum, daß ein prozentuell möglichst
hohes Bekenntnis für die Auswanderung in das Deutsche Reich
den „Führer“ dazu bewegen würde, nicht nur die Leute, son-
dern letztlich doch das ganze Land „heim ins Reich“ zu holen.
(Siehe: Benedikt Erhard (Hrsg.): Option-Heimat-Opzioni. Eine Geschich-
te Südtirols vom Gehen und vom Bleiben“, Wien 1989, S. 167)
Josef Ferrari und Kanonikus Gamper waren aber der Meinung,
daß die Südtiroler im Lande bleiben sollten. Sie glaubten nicht
an den „Endsieg“ von Faschismus und Nationalsozialismus,
nicht daran, daß der „Führer“ Südtirol schon noch „heimho-
len“ werde und sie glaubten auch nicht, daß die Optanten in
der Fremde eine gute Zukunft erwartete.
Im Dezember 1939 hielt Ferrari am Ritten bei Bozen eine Pre-
digt, in welcher er seiner Befürchtung Ausdruck verlieh, daß
die Deutschlandoptanten nach Polen geschickt werden wür-
den, um dann als Kanonenfutter gegen den Bolschewismus zu
dienen.
Mayr-Nusser folgte bei der Option von 1939 dem Vorbild sei-
nes Freundes Ferrari und des verehrten Kanonikus Michael
Gamper und betätigte sich im illegalen „Andreas Hofer Bund“
mit der Betreuung der „Dableiber“, damit diese nicht aus Är-
ger über Anfeindungen und „Übergriffe der Optanten in das
italienische Lager überwechselten“, wie der damalige Obmann
des geheimen Bundes, der spätere SVP-Politiker Friedl Volgger,
in seinen Erinnerungen festhielt. „Der Bund konnte keine gro-
ßen Taten setzen“, berichtet Volgger weiter, wurde aber nicht
müde, der Umsiedlungspropaganda entgegen zu wirken und
„in den einigermaßen ansprechbaren Optanten den Widerwil-
len gegen die Abwanderung zu stärken. Alle einzelnen Dableiber-
Familien bis in die entlegensten Täler wurden besucht und auf-
gemuntert.“ (Friedl Volgger: „Mit Südtirol am Scheideweg“, Innsbruck
1984, S. 63)
Diese Tätigkeit war aber gefährlich. Friedl Volgger mußte nach
dem Einmarsch der deutschen Truppen im Jahre 1943 dafür
mit Verhaftung, Einweisung in das KZ Dachau und schreckli-
chen Erlebnissen in diesem Lager bezahlen.
Mayr-Nusser mußte auch die Verhaftung seines priesterlichen
Freundes Ferrari erleben, was seine tiefe Abneigung gegen das
NS-Regime verstärkte.
Nach dem Einmarsch der deutschen Truppen im Jahre 1943
war der von den nationalsozialistischen Dienststellen als poli-
tischer Gegner wahrgenommene unbotsame Priester Ferrari
im September von der Gestapo inhaftiert und erst auf Inter-
vention des Fürstbischofs Geisler zu Weihnachten wieder frei-
gelassen. Er wurde allerdings bis Kriegsende nach St. Josef
am See/Kaltern „verbannt“, wo er den Seelsorgedienst versah.
Exkurs: Nach dem Krieg errang Ferrari der Südtiroler
Jugend ihre deutsche Schule zurück
Im Jahre 1945 nahm Ferrari erfolgreich mit der amerikani-
schen Besatzungsmacht Verhandlungen über den Wiederauf-
bau der deutschen Schule in Südtirol auf und erwirkte das
„Erste Volksschuldekret“ vom 27. Oktober 1945, in welchem es
hieß: „Der Unterricht in den Volksschulen der Provinz Bozen
wird in der Muttersprache der Schüler von Lehrkräften erteilt,
für welche die Unterrichtssprache ebenfalls die Muttersprache
ist.“
Als Schulamtsleiter leistete Ferrai in der Folge Ungeheures
für den Wiederaufbau des deutschen Schulwesens in Südtirol,
den Bau von Heimen und die Errichtung von Bildungs- und
Weiterbildungseinrichtungen. Er meisterte diese gewaltige
Aufgabe in aufopfernder Weise. Als er am 23. Jänner 1958 nach
einer klinischen Untersuchung im Krankenhaus in Wien von
der Diagnose einer unheilbaren Krankheit erfuhr, brachte er
sein geistiges Testament in Form einer Anrufung Gottes zu
Papier. Darin hieß es unter anderem: „Ich opfere Dir mein Le-
ben für die deutsche Schule. Ich danke denen, die mit mir die
große Mühe teilten! Wir haben die Steine gefügt auf oft schwan-
kendem Fundament ... Lebt alle wohl! Das Sterben ist der wah-
re Beginn unseres Lebens. Amen!“ (Othmar Parteli: „Vor 50 Jahren
starb Josef Ferrari“, in: „Dolomiten“,16. April 2008. Zu Josef Ferrari siehe
auch: Josef Gelmi: „Bedeutende Tiroler Priesterpersönlichkeiten“, Athesia
Bozen, 2009, S. 286 ff)
Tiroler – Sonderdruck 57/2010
Josef Mayr-Nusser:
Ein Leben in Einklang von Wort und Tat – Entscheidung
über die Eidesleistung
Im Jahre 1942 heiratete Josef Mayr die junge Hildegard Straub,
die ihm den Sohn Albert schenkte und führte ein vorbildliches
und glückliches Familienleben inmitten einer politischen Um-
welt, die ihn zunehmend bedrückte.
Mehrfach hat Mayr-Nusser in Rundbriefen und anderen schrift-
lichen und mündlichen Stellungnahmen festgehalten, daß die
katholischen Jugendführer Vorbilder und Bekenner sein müß-
ten, auch wenn um sie herum sich das „Dunkel des Unglaubens,
der Gleichgültigkeit und der Verachtung, vielleicht der Verfol-
gung“ ausbreite. (Reinhold Iblacker: „Kein Eid auf diesen Führer“, Inns-
bruck-Wien-München 1979, S. 21 ff)
Als 1944 reihenweise Südtiroler und auch er selbst zur Waf-
fen-SS einberufen wurden, traf Josef Mayr-Nusser bereits
seine persönliche Entscheidung über eine Ableistung des SS-
Eides.
Die Waffen-SS war eine militärische Elitetruppe, die aber stark
im NS-Geist ideologisiert war. Sie war nämlich aus einer Partei-
formation der NSDAP, der sogenannten „Schutzstaffel“ (SS)
hervorgegangen. Normalerweise beruhte die Zugehörigkeit zu
dieser Truppe auf Freiwilligkeit. Nun wurden aber Südtiroler
zwangsweise dazu eingezogen.
Mayr-Nusser war zusammen mit einigen seiner Kameraden
zu dem Schluß gekommen, daß die zwangsweise Einberufung
zur Waffen-SS rechtswidrig sei und die Ableistung des SS-Ei-
des nicht in Frage komme.
Der damalige Diözesansekretär Toni Kaser erinnert sich „Jo-
sef Mayr-Nusser wußte ... daß der Nationalsozialismus... das
Unglück Deutschlands und Europas bedeutete. Daß unser
Freund aus diesem profunden und exakten Wissen nicht bereit
war, für eine Spezialtruppe, nämlich die SS, die den Gottes-
und Kirchenhaß in unmißverständlicher Weise auf die Fahne
geschrieben hatte, einen Eid zu leisten, darf nicht wunderneh-
men.“ An einem Frühherbsttag des Jahres 1944 traf sich Kaser
zufällig mit Josef Mayr, der ihn mit der Mitteilung überrasch-
te, daß er zur SS eingezogen worden sei. Toni Kaser berichtet
weiter: „‘Unseren Willen sollen sie aber nicht beugen können‘,
sagten wir wie im Sprechchor, ‚den Eid leisten wir ihnen nicht!
Das sind wir unseren Jungmännern im Verband schuldig. Wir
können ihnen nicht zuerst etwas vorreden, und dann selbst nicht
zum Wort stehen‘, fügte dann J. M.-N., ganz ernst geworden,
hinzu. Und ‚Das werden wir wahrscheinlich mit dem Leben zu
bezahlen haben!‘ waren seine letzten Worte, die ich von ihm im
Leben wie ein Testament vernommen habe.“ (Zitiert in: Reinhold
Iblacker: „Kein Eid auf diesen Führer“, Innsbruck-Wien-München 1979,
S. 142 f)
Josef Nock, einer seiner damaligen Jugendführer Mayr-Nus-
sers, kann sich ebenfalls erinnern:
„Ich war nicht überrascht, daß er den Eid nicht abgelegt hat.
Es war fast selbstverständlich, nachdem wir geschworen hat-
ten, den Eid nicht abzulegen. Das war in Bozen, ich glaube, es
war im Deutschhaus eine kleinere Gruppe und da haben wir
den Schwur abgelegt.“ (Reinhold Iblacker: „Kein Eid auf diesen Füh-
rer“, Innsbruck-Wien-München 1979, S. 66)
Am 5. September 1944 wurde Mayr-Nusser dann eingezogen
und kam zusammen mit etwa 80 weiteren Südtirolern nach
Konitz bei Danzig, um dort einer Einheit der Waffen-SS zuge-
teilt zu werden.
Für Mayr-Nusser war diese Situation mit innerer Not verbun-
den. Er wäre bereit gewesen, den Wehrmachtseid zu leisten.
Er blieb aber dabei, den SS-Eid zu verweigern, in welchem Adolf
Hitler persönlich (und nicht nur als oberstem Militärbefehls-
haber, wie in dem sonst sehr ähnlichen Wehrmachtseid) die
Treue geschworen werden musste. In dem Eid hieß es näm-
lich: „Ich schwöre Dir, Adolf Hitler, als Führer des Reiches, Treue
und Tapferkeit. Ich gelobe Dir und den von Dir bestimmten
Vorgesetzten Gehorsam bis in den Tod, so wahr mir Gott helfe.“
5
 Zum Vergleich der Wehrmachtseid:
„„Ich schwöre bei Gott diesen heiligen Eid, dass ich dem Füh-
rer des Deutschen Reiches und Volkes, Adolf Hitler, dem Ober-
sten Befehlshaber der Wehrmacht, unbedingten Gehorsam lei-
sten und als tapferer Soldat bereit sein will, jederzeit für diesen
Eid mein Leben einzusetzen.“
In einem erschütternden Brief an seine Frau vom 27. Septem-
ber 1944, begründete Josef Mayr seine schwere Entscheidung,
den SS-Eid zu verweigern: „Dieses Bekennenmüssen wird si-
cher kommen, es ist unausbleiblich, denn zwei Welten stoßen
aufeinander. Zu deutlich haben sich Vorgesetzte als entschiede-
ne Verneiner und Hasser dessen gezeigt, was uns Katholiken
heilig und unantastbar ist. Bete für mich, Hildegard, damit ich
in der Stunde der Bewährung ohne Furcht und Zögern so hand-
le, wie ich es vor Gott und meinem Gewissen schuldig bin ...
Jedenfalls wird es gut sein, auf schlimme und schlimmste Mög-
lichkeiten gefaßt zu sein. Aber Du bist eine tapfere Frau, eine
Christin, und auch persönliche Opfer, die vielleicht von Dir ge-
fordert werden, wären sicherlich nicht imstande, Dich zur Ver-
urteilung Deines Mannes zu bestimmen, der es vorzog, lieber
sein Leben zu verlieren, als den Weg der Pflicht zu verlassen.“
(Reinhold Iblacker: „Kein Eid auf diesen Führer“, Innsbruck-Wien-Mün-
chen 1979, S. 12)
Mayr-Nusser erklärte vor angetretener Truppe, er könne die
Ableistung des SS-Eides aus religiösen Gründen nicht mit sei-
nem Gewissen vereinbaren, er sei aber ohne weiteres bereit,
den Eid auf die Wehrmacht abzulegen. (Margareth Lun: „NS-Herr-
schaft in Südtirol“, Innsbruck-Wien-München-Bozen 2004, S. 356; Rein-
hold Iblacker: „Kein Eid auf diesen Führer“, Innsbruck-Wien-München
1979, S. 134)
Vergeblich versuchten ihn die Vorgesetzten umzustimmen.
Mayr-Nusser beharrte auf seiner Weigerung und begründete
sie auch schriftlich. Damit legte er sich aber erst recht frontal
mit der Macht des Regimes an.
Mayr-Nusser hatte gehofft, durch die Verweigerung des SS-
Eides zur Wehrmacht abgeschoben zu werden, wie dies in der
Vergangenheit mit anderen Soldaten schon geschehen war. Er
hatte aber auch, wie er seiner Frau geschrieben hatte, mit dem
Schlimmsten gerechnet.
Das traurige Ende
Er wurde nun wegen des Verdachtes der „Wehrkraftzersetzung“
inhaftiert. Nach einer ergebnislosen Untersuchung durch ein
SS-Kriegsgericht – seine Kameraden hatten günstig für ihn
ausgesagt – wurde von der Gestapo seine Überweisung in das
Konzentrationslager Dachau verfügt.
Auf dem von Fliegerangriffen und Stillständen unterbroche-
nen Transport nach Dachau gab es tagelang keinen Nachschub
an Wasser und Lebensmitteln. Mayr-Nusser litt an Lungen-
entzündung, Erschöpfung, Hunger und krankhaftem Durch-
fall.
Die Wachmannschaft, die den Zug begleitete, bestand offenbar
keineswegs aus Unmenschen. Ein junger SS-Mann der Begleit-
mannschaft, Fritz Habicher aus St. Anton am Arlberg, nahm
sich nämlich zusammen mit einigen Kameraden des Schwer-
kranken an und versuchte, ihn in Erlangen, wo der Zug tage-
lang hielt, in ein Spital zu bringen. Fritz Habicher berichtet:
„Der Durchfall wollte beim Josef nicht aufhören und so haben
wir nicht nachgegeben, bis wir die Erlaubnis vom Begleitoffizier
bekamen, mit ihm und noch einigen Mitgefangenen ein Kranken-
revier aufzusuchen.“ Mayr-Nusser mußte auf dem Fußweg ins
Spital gestützt und zum Schluß sogar getragen werden. Im
Spital verweigerte aber der Stabsarzt seine Aufnahme und
vertröstete auf den nächsten Tag. Habicher dazu: „Sicher hat
der Arzt die Hoffnungslosigkeit einer Genesung erkannt und
ihn deshalb zurückgeschickt.“ Die Begleitmannschaft brachte
ihn also wieder zurück zum Zug, wobei Mayr-Nusser die mei-
ste Zeit getragen werden mußte. Noch hoffte man auf sein
6 Tiroler – Sonderdruck 57/2010
Mayr-Nussers
erste Ruhestätte
in Erlangen.
In diesem kleinen
Holzsarg wurden
die Gebeine Mayr-
Nussers nach Bozen
gebracht und von
Josef Ferrari voll
Erschütterung
übernommen.
Überleben. Habicher: „Niemand von uns ahnte, daß diese An-
strengung für ihn zuviel sein könnte. Später erreichten wir wie-
der unser trauriges Quartier, und mit einem herzlichen ‚Vergelt’s
Gott‘ für alles hat er Abschied genommen.“ Am nächsten Tag,
es war der 24. Februar 1945, verstarb Mayr-Nusser. (Josef Inner-
hofer: „Er blieb sich selber treu“, Athesia Bozen, 2005, S. 114 ff)
Er wurde zunächst auf durchaus würdige und christliche Wei-
se in Erlangen bestattet. Im Jahre 1958 wurden seine sterbli-
chen Überreste nach Bozen überführt, wo der bereits sterbens-
kranke Josef Ferrari zutiefst erschüttert die Gebeine Mayr-
Nussers in einem kleinen Sarg übernahm und eine Nacht bei
sich behielt. Dann wurden die sterblichen Überreste in der
Propsteikirche aufgebahrt und später in Lichtenstern am Rit-
ten beerdigt. (Siehe auch: Margareth Lun: „NS-Herrschaft in Südtirol“,
Innsbruck-Wien-München-Bozen 2004, S. 356 f; Eduard Widmoser: „Süd-
tirol A-Z“, Bd. 4, Innsbruck-München 1988, S. 281)
Gewissen und Bekenntnis
Wir wissen heute, daß Mayr-Nusser sich schon lange vor sei-
ner letzten Entscheidung mit den Fragen Eid – Gehorsam –
Gewissen geistig intensiv auseinandergesetzt hat. Er hatte die
religiösen Schriften des englischen Lordkanzlers, Heiligen und
Märtyrers Thomas Morus (1478 - 1535) aufmerksam studiert
und sich die Unbeugsamkeit dieses katholischen Bekenners
zum Vorbild genommen. Morus hatte sich geweigert gehabt,
nach dem Abfall des englischen Königs von der Katholischen
Kirche einen von der Krone verlangten Treueeid auf die neue
Verfassung zu leisten, mit welcher sich der König anstelle des
Papstes zum religiösen Oberhaupt der neuen Anglikanischen
Kirche erklären ließ.
Morus war darauf hin im Londoner Tower inhaftiert, zum Tode
verurteilt und im Jahre 1535 enthauptet worden. Seine Briefe
aus dem Kerker weisen ihn als standhaften bekennenden
Märtyrer aus. Dr. Jakob Mayr, der ältere Bruder Josef Mayr-
Nussers berichtet im Rückblick: „Ich möchte auch den uner-
wartet starken Eindruck hervorheben, den die Lektüre der
Gefängnisbriefe des Thomas Morus auf Josef Mayr machte.“
(Zitiert bei: Reinhold Iblacker: „Kein Eid auf diesen Führer“, Innsbruck-
Wien-München 1979, S. 49)
 Ein Vorbild für
Mayr-Nusser: Der
Freiheitskämpfer
von 1809, Peter
Mayr, Wirt an der
Mahr – Das Leben
nicht durch eine
Lüge erkaufen!
Beim Sterbegottesdienst am 11. April 1945 in Bozen hob der
Priester Josef Ferrari ebenfalls hervor, daß man bei dem Ge-
denken an seinen Freund Josef Mayr-Nusser unwillkürlich an
den „großen Laien und Familienvater aus der Kirchengeschich-
te“ denken müsse, „der ein Märtyrer geworden sei, weil er Gott
mehr gehorchte als den Menschen – an den hl. Thomas Morus.“
(Reinhold Iblacker: „Kein Eid auf diesen Führer“, Innsbruck-Wien-Mün-
chen 1979, S. 74)
Als sehr bewußter Tiroler kannte Josef Mayr-Nusser die Ge-
schichte seiner Heimat und der Helden von 1809. Ein Blutzeu-
ge von 1809 war ihm besonderes moralisches Vorbild. Sein
Bruder Dr. Jakob Mayr berichtet: „Von den damaligen Füh-
rern und Kampfgenossen Andreas Hofers hat ihn ganz beson-
ders und schon frühzeitig die Haltung Peter Mayrs, des Wirtes
an der Mahr, beeindruckt. Als Josef einmal mit mir am Gast-
haus vorbei fuhr, das ehemals Peter Mayr gehörte, fragte er: Ist
dieser Peter Mayr eigentlich nicht mehr als die Märtyrer? Und
erklärte dies so: Bei den Märtyrern handelt es sich um den Glau-
ben, und das ist immer etwas Schwerwiegendes, bei Peter Mayr
dagegen ging es nur um eine Lüge.“ (Reinhold Iblacker: „Kein Eid
auf diesen Führer“, Innsbruck-Wien-München 1979, S. 50)
Tiroler – Sonderdruck 57/2010
Es war nicht um Wehrdienstverweigerung, sondern um
das Bekenntnis gegen die NS-Ideologie gegangen
Am 27. Dezember 2009, dem 99. Geburtstag Mayr-Nussers,
eröffnete Bischof Golser im Bozner Dom mit einer Eucharistie-
feier das von ihm ausgerufene Josef Mayr-Nusser Gedenkjahr,
in dessen Rahmen sein „beispielhaftes Glaubens- und Lebens-
zeugnis“ gewürdigt werden soll.
Die Tageszeitung „Dolomiten“ berichtete am 28. Dezember 2009
etwas erstaunt:
„Wesentlich in der Predigt des Bischofs war dabei vor allem
auch das, was er nicht gesagt hat: Kein Wort verlor der Bischof
über die Eidesverweigerung von Josef Mayr-Nusser. Denn nicht
diese Eidesverweigerung mache das Besondere am Nusser-Sohn
aus, sondern sein beispielhaftes christliches Glaubens- und
Lebenszeugnis.“
Tatsächlich ist der Bischof hier einer Thematik aus dem Wege
gegangen, die zu komplex gewesen wäre, um in einer kurzen
Predigt abgehandelt werden zu können.
Es wäre um die Unterscheidung gegangen, die Mayr-Nusser
zwischen dem politischen SS-Eid und dem Wehrmachtseid, den
damals auch die hohe Geistlichkeit bejahte, getroffen hatte.
Um Mayr-Nussers damalige Haltung zu verstehen, muß man
zuerst einmal festhalten, daß er kein Wehrdienstverweigerer
war. Damit befand er sich im Einklang mit allen deutschen
hohen kirchlichen Verantwortungsträgern, die den Wehrdienst
in der Deutschen Wehrmacht uneingeschränkt bejaht und zur
Pflicht erklärt hatten.
Seit dem Jahre 1939 hatten die katholischen deutschen Wehr-
machtssoldaten ein von dem „Katholischen Feldbischof der
Wehrmacht“ genehmigtes „Katholisches Feldgesangsbuch“ im
Tournister. Darin war der „Fahneneid des deutschen Soldaten“
mit seiner Gehorsamsverpflichtung gegenüber „Adolf Hitler,
dem Obersten Befehlshaber der Wehrmacht“ ebenso enthalten,
wie es auch unter den ebenfalls in dem Büchlein enthaltenen
„Berufspflichten des deutschen Soldaten“ hieß, daß der katho-
lische Soldat zum Gehorsam gegenüber der Wehrmacht ver-
pflichtet sei.
Das war aber nicht eine einsame und von den übrigen Bischö-
fen nicht geteilte Meinung eines einzelnen Militärbischofs.
In der Frage der militärischen Gehorsamspflicht gegenüber
dem Staat hatten ausnahmslos alle anderen Bischöfe und Kar-
dinäle im Sinne des Christuswortes, dem „Kaiser zu geben, was
des Kaisers ist“, es bejaht, daß die militärische Gehorsams-
pflicht grundsätzlich auch gegenüber dem faschistischen Re-
gime in Italien und gegenüber dem NS-Staat bestanden habe.
In dem sogenannten Fuldaer „Dekalog-Hirtenbrief“ des deut-
Aus dem „Katholischen
Feldgesangbuch“.
7
schen Episkopats hatten die am Grab des Hl. Bonifatius ver-
sammelten Bischöfe Deutschlands folgende Worte an die Di-
özesanen gerichtet, die am 29. August 1943 von allen katholi-
schen Kanzeln des Reiches verlesen wurden:
„Unser Herz gehört unserem Volke, zu dessen Hirten uns Gott
bestellt hat; für unser Volk beten und arbeiten wir, mit ihm rin-
gen und leiden wir.
Vor allem sind wir mit unseren Gedanken, Gebeten, Wünschen
und Sorgen bei unseren Kriegern, die in heldenmütigem Kampfe,
mit Opfern und Leiden ohne Zahl die Heimat schützen und vor
unabsehbarem Unglück bewahren.“ (Zitiert nach: Ludwig Volk: „Ak-
ten deutscher Bischöfe über die Lage der Kirche 1933 - 1945“, Veröffentli-
chungen der Kommission für Zeitgeschichte, Reihe A: Quellen, Bd.38, IV
1943 - 1945, Mainz 1985, S. 180)
Die Bischöfe werden damals auch voll Sorge nach Osten ge-
blickt haben, wo sich die rote Sturmflut aufstaute, um Europa
zu überfluten und zu verschlingen. Die Bischöfe werden den
Bolschewismus wohl auch für ein Unglück für die Menschen
gehalten haben. Folgerichtig haben sie die Verteidigung der
Heimat gegen dieses Unheil für legitim und richtig erklärt.
Es ist heute Mode geworden, den Bischöfen jener Zeit vorzu-
werfen, sie seien eine geistige Kumpanei mit dem NS-Regime
eingegangen. Auch wenn man einräumt, daß außer Laien und
Angehörigen des niederen Klerus auch hohe kirchliche Wür-
denträger Irrtümern unterlegen sind, Schwäche gezeigt haben
und auch von Opportunismus nicht zur Gänze frei gewesen
sein mögen, so ist eine generelle Unterstellung dieser Art mit
Sicherheit nicht angebracht, wie Zeitdokumente beweisen.
In demselben „Dekalog-Hirtenbrief“ wird nämlich in einer
ungemein offenen und mutigen Sprache mit dem NS-Regime
abgerechnet. Da man heute nur selten davon hört, was dem
Regime trotz aller Macht und Repressionsmöglichkeiten von
den Kanzeln herab in das Gesicht geschleudert worden ist, sei
eine Passage, die für viele weitere steht, hier wiedergegeben:
„Kehre zurück zum Herrn, Deinem Gott! So ruft uns mit wuch-
tigem Ernst auch die heutige Zeit zu mit ihrem unheilvollen
Haß, ihrer abgrundtiefen Not und ihren furchtbaren Sünden
und Vergehen. Der Ruf ergeht an alle jene, die ... an die Stelle
der Liebe den Haß, an die Stelle von Recht und Gerechtigkeit
die Gewalt, an die Stelle der Sittlichkeit die Nützlichkeit zum
Lebensgesetz der Menschheit erheben wollen.
Auch an jene ergeht der Ruf, welche sich einen Gott zurecht rich-
ten, ... der nur für ihre Nation oder Rasse da ist und für sie zu
sorgen hat. An sie hat der Hl. Vater Pius XI. das mahnende
Wort gerichtet: ‚Nur oberflächliche Geister können der Irrlehre
verfallen, von einem nationalen Gott, von einer nationalen Re-
ligion zu sprechen, können den Wahnversuch unternehmen, Gott,
den Schöpfer aller Welt, den König und Gesetzgeber aller Völ-
ker, vor dessen Größe die Nationen klein sind wie die Tropfen
am Wassereimer (Is. 40,15) in die Grenzen eines Volkes, in die
blutmäßige Enge einer einzelnen Rasse einkerkern zu wollen.“
(Ludwig Volk, a.a. O., S. 179)
Gegen Ende des Hirtenbriefes erklärten die Bischöfe, daß sie
sich den mahnenden Worten verpflichtet fühlten, die ihnen bei
ihrer Bischofsweihe über Sinn und Inhalt ihres Amtes vorge-
halten worden waren und die da lauteten: „Der Bischof liebe
die Wahrheit und verlasse sie nie, weder durch Lob noch durch
Furcht überwunden. Nicht mache er das Licht zur Finsternis,
die Finsternis zum Licht. Das Böse nenne er nicht gut, das Gute
nicht böse.“ (Ludwig Volk, a.a. O., S. 196)
In ähnlicher Weise und mit demselben Mut äußerten sich die
Bischöfe noch in weiteren Hirtenbriefen.
Mayr-Nussers Entscheidung vor seinem Gewissen
und vor Gott
Josef Mayr-Nusser hat im Grunde die Einstellung der deut-
schen Bischöfe geteilt. Er hat die Wehrpflicht und den Abwehr-
kampf gegen die Rote Arme bejaht und gleichzeitig die in
Deutschland herrschende NS-Ideologie verabscheut. So wird
seine Entscheidung verständlich, den Dienst in der Wehrmacht
zu bejahen, den für eine politische Ideologie stehenden SS-Eid
aber abzulehnen und zu verweigern.
8 Tiroler – Sonderdruck 57/2010
Der SS-Eid als Eid einer Parteiorganisation
„Der SS-Mann band sich also auf Gedeih und Verderb an den
Willen und an das Schicksal Hitlers und schloß damit einen wah-
ren Pakt mit dem Teufel ... Die Institution des Fahneneides wurde
so endgültig sinnentleert und das ursprünglich auf Gegenseitig-
keit angelegte Treueverhältnis pervertiert.“ In dem Eid der Waf-
fen-SS „kam anschaulich die Vorstellung eines Ordens zum Aus-
druck, der allein und fanatisch Hitler ergeben war ...“ (Sven Lange:
„Der Fahneneid“, Dissertation an der Universität der Deutschen Bundeswehr
Hamburg, Sommertrimester 2001, Edition Temmen, Bremen 2002, S. 137)
Seine Handlungsweise wird bis heute teilweise kontrovers dis-
kutiert. Manche meinen, er hätte mit Rücksicht auf seine Frau
und sein Kind nicht derart kompromißlos handeln sollen. Er
hätte den SS-Eid ruhig leisten können, es sei ohnedies abzuse-
hen gewesen, daß der Krieg und damit das NS-Regime bald
vorbei sein würden.
Mayr-Nusser, dessen moralische und religiöse Integrität und
dessen Mut außer Zweifel stehen, hat seine mit größter Tragik
verbundene persönliche Entscheidung nach sorgsamer Abwä-
gung vor seinem Gewissen und vor Gott getroffen und gerecht-
fertigt. Er hat das Opfer, zu dem er sich entschieden hat, nie
von anderen verlangt. Man kann das nur mit tiefem Respekt
zur Kenntnis nehmen und sollte sich billiger Kritik enthalten.
Seine eigene Witwe hat später die Entscheidung ihres Man-
nes gebilligt und gesagt, daß ihr Mann aus seiner Gesinnung
heraus nicht anders habe handeln können. Auch sein Sohn
äußert heute, daß er größte Achtung vor dem Opfer seines Va-
ters habe und dieses verstehe.
Erinnerung an eine schlimme Zeit – Dankbarkeit für das
Werk der Versöhnung
Bis heute erinnert uns das traurige Schicksal des Josef Mayr-
Nusser daran, in welch schreckliche Situation Faschismus und
Nationalsozialismus die Südtiroler gebracht hatten. In solch
schweren Zeiten haben nur große Charaktere den Mut, sich
offen zu bekennen und mit den Machthabern auf Leben und
Tod anzulegen.
Der Name Josef Mayr-Nusser steht hier in einer Reihe mit
rühmenswerten Namen aus der Tiroler Geschichte, derer wir
gedenken. Er erinnert an Bekenner wie Peter Mayr, Wirt an
der Mahr, der Mayr-Nussers großes Vorbild war und der sein
Leben vor dem französischen Kriegsgericht nicht mit der Not-
lüge hatte erkaufen wollte, er habe von dem Friedensschluß
des österreichischen Kaisers mit Napoleon nichts gewußt.
Die aufrechte Haltung Mayr-Nussers gegenüber einer über-
mächtig erscheinenden Staatsgewalt erinnert auch an den
ebenfalls tief religiösen und moralisch unbestechlichen Josef
Kerschbaumer aus Frangart, der als Freiheitskämpfer von 1961
vor den Schranken des Gerichtes in Mailand mit tiefem Ernst
sein Bekenntnis zur Heimat und zur Freiheit abgelegt hat. Auch
Kerschbaumer hat sich dabei auf die göttliche Ordnung und
die Prinzipien einer höheren Gerechtigkeit berufen.
Bei all diesen Männern stand die moralische Überzeugung in
Einklang mit dem, was sie vor Gott und den Menschen sagten
und taten.
Es muß auch der Größe eines Kanonikus Gamper gedacht wer-
den, der dem Vermächtnis von Bekennern wie Mayr-Nusser
gerecht wurde, indem er nach 1945 das geteilte und verfeinde-
te Volk wieder im Geiste der Nächstenliebe und Vergebung
versöhnte. Er hat damit auch die wichtigste Voraussetzung zur
weiteren Selbstbehauptung der Südtiroler in ihrer Identität
des Glaubens, der Sprache, der Kultur und des Volkstums ge-
schaffen.
Impressum
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Für den Inhalt verantwortlich: Peter Kienesberger
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