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Christsein zwischen

Weltflucht und Anpassung

Ron Kubsch, Jahrgang 1965, ist nach mehr- standen ist oder nicht.’ Der Bischof schaute
jähriger missionarischer Auslandstätigkeit verlegen, als er die Bibel durchblätterte,
seit 2002 als Dozent für Apologetik und und sagte: ‘Jungfrauengeburt, Wasser zu
Neuere Theologiegeschichte am Martin Wein, leibliche Auferstehung. Ich weiß
Bucer Seminar (Bonn, Deutschland) tätig. ehrlich nicht, ob ich diese Dinge glauben
Zusammen mit seiner Frau Dorothea hat kann, Herr. Ich bin mir nicht einmal si-
er drei Kinder im Alter von 16, 14 und 8 cher, dass ich glaube, dass du ein persona-
Jahren. les Wesen bist. Doch ich werde weiter auf
der Suche bleiben.’ Ich sage euch, dieser
 „Jesus erzählte auf einer Versammlung liberale Bischof ging vor Gott gerecht-
evangelikaler Verantwortlicher folgendes fertigt nach Hause, nicht jener.“
Gleichnis: Ein Spring Har vest-Redner
und ein liberaler Bischof setzten sich und
lasen, jeder für sich, die Bibel. Der Spring Zeitgemäß gläubig?
Harvest-Redner dankte Gott für das wun-
derbare Geschenk der Heiligen Schrift und Mit dieser Parabel illustrierte Dave
gelobte einmal mehr, sie vertrauensvoll Tomlinson 1995 seine Pilgerreise vom
öf fentlich zu verkündigen. ‘Danke, Gott’, evangelikalen zum nach-evangelikalen
betete er, ‘dass ich nicht so bin wie dieser Glauben. Der Evangelikalismus1 habe ihm
arme Bischof, der dein Wort nicht glaubt, geholfen, mit dem Glauben anzufangen.
und der unfähig scheint, sich zu entschei- Inzwischen sei er jedoch aus dieser kind-
den, ob Christus nun von den Toten aufer- lichen und autoritätsgläubigen Frömmig-

28 Das Fundament 02.2010


Christsein zwischen Weltflucht und Anpassung

keit herausgewachsen und definiere sei- den die Gemeinden vor der Herausforde-
nen Glauben neu. Die Überzeugungen des rung, die Verkündigung des Evangeliums
Spring Harvest-Redners, so Tomlinson, mit dieser Wirklich keit auszusöhnen.
stünden für einen selbstgerechten, bib-
lizistischen und arroganten Glauben an
objektive Heilstatsachen, so wie er bei den Geschichten-Erzählen
Evangelikalen verbreitet sei. Der Glaube statt Auslegungspredigt
des Bischofs dagegen sei kritisch, demütig
und zweifelnd. Darum könne er sich mit So bekommt heute vielerorts das Gemein-
diesem Glauben leichter identifizieren. deleben ein neues Gesicht. Die bibelaus-
Damit steht der Anglikaner Tomlinson legende und dogmatische Predigt wird
stellvertretend für viele Christen, die heu- durch das Erzählen von Geschichten mit
te evangelikales Denken und evangelikale dem Argument verdrängt, dass diese dem
Positionierungen entgrenzen und mit postmodernen Menschen zugänglicher sei-
postmodernen und liberalen Strömungen en. Die christliche Unterweisung wird von
versöhnen wollen. Einige von ihnen, zum vernünftigen Verstehens- und Erklärungs-
Beispiel etliche Repräsentanten der Emer- bemühungen suspendiert, da man sich
ging Church2, gehen davon aus, dass die dem Evangelium nur auf mystisch-esoteri-
westlichen Gesellschaften in ein postmo- sche Weise annähern könne. Und weil die
dernes und nach-christliches Denken3 ein- gemeindliche Unterscheidung zwischen
getreten sind und diese Entwicklung von einem Drinnen (Gemeinde) und Draußen
den Kirchen verarbeitet werden müsse, (Welt) trennende Barrieren schaffe, ver-
wenn sie nicht in der Bedeutungslosigkeit zichten immer mehr Gemeinden darauf,
verschwinden wollen. Der inzwischen Christsein für die Menschen von Draußen
über 100 Jahre alte Evangelikalismus ist attraktiv zu machen, um stattdessen ‘in
ihrer Meinung nach unauflösbar mit dem die Welt einzutauchen’.
Weltbild der Neuzeit verknüpft. Als Neu-
zeit (zirka 15. bis Mitte des 20. Jahrhun-
dert) wird dabei ein Zeitalter interpretiert,
in dem Kirchen und christlicher Glaube
eine dominante Stellung in nehatten.
Diese Vorherrschaft des Christentums
sei jedoch in der zweiten Hälfte des 20.
Jahrhunderts mit dem Eintritt in die
Postmoderne verloren gegangen. Das Stre-
ben nach Gewissheit, Ordnung, Einheit,
Perfektion und Eindeutigkeit seien den
Menschen von heute fremd. Deshalb stün-

29
Drinnen und Draußen
Unkritische Begeisterung Authentisch christlich leben
für die Gegenwartskultur
In der Tat sind Christen berufen, ihren
Trotzdem kann die neuerliche Umge- Glauben auf einladende und authentische
staltung des Glaubens (sie wird von ihren Weise in der Welt zu leben (vergleiche Jo-
Befürwortern ‚Transformation’ oder hannes 17, 18). Viel zu oft haben bekennen-
‚zweite Reformation’ genannt) insgesamt de Christen den Glauben privatisiert und
nicht überzeugen. Es lässt sich nämlich das ‚öffentliche Feld’ Andersdenkenden
beobachten, dass bei den Nach-Evange- überlassen. Schon Dietrich Bonhoeffer
likalen das Misstrauen gegenüber dem (1906– 1945) warnte vor dem Rückzug aus
Protestantismus oft mit einer unkritischen einem weltlichen in einen geistlichen
Begeisterung für die Gegenwartskultur Raum und plädierte für das Einüben
korrespondiert. Allein der Wunsch, des christlichen Lebens in der ganzen
das Christsein kulturrelevant zu leben, Wirklichkeit Gottes (Ethik, Seite 70). Auch
bewahrt nicht vor einer Vereinnahmung der lange Zeit auf St. Chrischona lehrende
durch den Geist der Welt (vergleiche Ephe- Dozent für Ethik Dr. Klaus Bockmühl
ser 2, 2; 1. Korinther 2, 12 und Epheser 6, (1931– 1981) sah die problematischen
12). Auch bei einer guten Motivlage kann Verwicklungen, die mit der Aufspaltung
nämlich der Glaube durch eine unkritische des Lebens in einen christlichen und einen
Anpassung an die Gegenwartskultur ver- weltlichen Bereich verbunden sind: „Die
fremdet werden. In der Parabel von Tom- große Gefahr für die Rettungsboot- oder
linson steht beispielsweise der zweifelnde Rückzugsmentalität besteht (... ) darin,
Bischof als Vorbild. Interessanterweise dass ihre Vertreter fraglos weiter (und
bezweifelt der Bischof nicht alles, sondern oft mit großem Erfolg) am gesellschaft-
vor allem das, was in der Bibel steht. Die in lichen Leben teilnehmen. Da sie es von
seiner Denkkultur verbreitete Auffassung, aller göttlichen Weisung entleert sehen,
Wunder wie die Jungfrauengeburt oder bleibt ihnen nichts anderes übrig, als nach
die Auferstehung von den Toten seien un- den ortsüblichen Regeln zu kaufen und
möglich, hat er bedenkenlos übernommen. zu verkaufen und auf diese Weise um
So verfremdet Tomlinson nicht nur den so schlimmer unter die Herrschaft des
neutestamentlichen Glaubensbegriff, er
definiert ihn gänzlich neu: Rechtfertigen-
der Glaube ist ein Glaube, der das in Frage
stellt, was Gott getan und offenbart hat
(vergleiche dagegen Hebräer 11).

30 Das Fundament 02.2010 Ins Schneckenhaus


Christsein zwischen Weltflucht und Anpassung

‚Fürsten dieser Welt’ zu geraten“ (Theolo- biblische Konzept von der Sündhaftigkeit
gie als Lebensführung, Seite 131). des Menschen im Kontext solch eines
Freiheitsverständnisses keinen Sinn mehr
Wir dürfen uns also über das neue evan- macht, verzichtet man bei der Predigt auf
gelikale Engagement zum Beispiel in den das Thema „Sünde“ und knüpft „kontex-
Bereichen Politik, Ar mutsbekämpfung, tualisiert“ nur noch an die spirituelle
Ökologie oder Kunst freuen. Ebenso ermu- Bedürftigkeit der Menschen an. Die unbib-
tigen die aufkommende gesunde Selbstkri- lische Vorstellung, jeder Mensch müsse
tik, die Offenheit für den Einsatz kreativer seine eigenen Standpunkte für sich finden
Verkündigungsstile oder die Verknüpfung oder setzen, verdrängt auf diese Weise den
von Evangelisation und Diakonie. neutestamentlichen Freiheitsbegriff. Zwar
könnte man meinen, dass sich gerade beim
Thema ‚Freiheit’ biblisches Christentum
Verzicht auf das Thema und Humanismus oder Postmodernismus
die Hand reichen. Doch offenbaren sich
„Sünde“ besonders hier tiefe Widersprüche, die der
Schweizer Theologe Emil Brunner (1889-
Die Vereinnahmung durch den Zeitgeist 1966) einmal sehr eindrücklich aufgedeckt
lässt sich auch am Thema ‚Freiheit’ gut hat: Das ursprüngliche Sein des Menschen
illustrieren. Quer durch verschiedenste ist nämlich kein für sich bestehendes,
gesellschaftliche Strömungen hat sich in- «sondern es ist ein von-Gott-her-, in-Gott-
zwischen ein nach-christlicher Freiheits- und auf-Gott-hin-Sein». Die Freiheit des
begriff etabliert. Ihm zufolge gibt es keine Geschöpfes sei die der Abhängigkeit.
vorgegebenen moralischen Werte und der Deshalb erfahre ein Mensch, der sich ganz
Gesellschaft allein kommt die Aufgabe fest an Gott bindet, das Höchstmaß seiner
zu, jeweils geltende Nor men festzulegen. Freiheit. Wer sich von Gott entfernt, ver-
Der in diesem Sinne autonome Mensch liere dagegen seine Freiheit (Gott und sein
sei berufen oder verflucht, sich selbst zu Rebell, Seite 70– 71). Gerade ein Mensch,
sagen, was gut und richtig ist. der sich seine Abhängigkeit von Gott
eingesteht und kraft des Heiligen Geistes
Leider übernehmen Christen in vielen im Gehorsam gegenüber den schützenden
Bereichen unkritisch diesen Freiheitsbe- göttlichen Geboten lebt, ist frei. Die christ-
griff. So werden leichtfertig das christ- liche Freiheit ist also eine ganz auf Gott
liche Familienbild oder die christliche hin ausgerichtete Freiheit.
Sexualethik hinterfragt. Und weil das

31
Quelle: Chrischona Panorama 4/2008,
Weder Hinterweltler www.panorama.chrischona.ch
noch Säkularisten
Zur Vertiefung: Lesen Sie Römer 12,1-2
Aber muss nicht so ein Leben zwangsläu- in verschiedenen Übersetzungen. Was
fig in den Rückzug aus der Welt und in versteht Paulus unter der Gleichschaltung
die geistliche Enge führen? Nein, muss mit der Welt, was unter einer Erneuerung
es nicht. Denn wer weiß, dass er nicht des Sinnes? Können wir etwas dafür tun,
von der Welt ist und sich im Kraftfeld des damit biblische Konzepte unser Denken
göttlichen Geistes bewegt, kann mutig und Handeln prägen? 
und offensiv in der Welt leben (vergleiche
Johannes 17, 14-18). Gerade der Mensch, Anmerkungen
der den Anspruch vom Zuspruch Gottes
kennt und bejaht, ist frei (vergleiche Johan- 1
Der Evangelikalismus (vom englischen
nes 8, 36). Die Bindung an Jesus Christus ‘evangelicalism’) ist eine Bewegung in-
und seine Gemeinde gibt Festigkeit und nerhalb des Protestantismus, die sich auf
befreit zu einem zeugnishaften Lebensstil. die Bibel als zentrale Grundlage christli-
„Wir Christen sind Hinterweltler, oder chen Glaubens beruft und die Bedeutung
wir sind Säkularisten“, schrieb Dietrich der persönlichen Gottesbeziehung, der
Bonhoeffer 1932 in einer kleinen Gelegen- Gemeinde und der Mission hervorhebt.
heitsarbeit. „Es sind nun Hinterweltlertum Für eine kurze Einführung siehe: Stephan
und Säkularismus nur die beiden Seiten Holthaus, Die Evangelikalen: Fakten und
derselben Sache – nämlich, dass Gottes Perspektiven, Lahr: St. Johannis, 2007.
Reich nicht geglaubt wird. Weder der
glaubt es, der zu ihm aus der Welt flieht, 2
Die ‚Emerging Church’ (englisch ‚to
der es dort sucht, wo seine Plage nicht ist, emerge‘: ‚auftauchen‘, ‚sich bilden‘, ‚sicht-
noch der glaubt es, der es als ein Reich der bar werden‘) ist eine nach-evangelikale
Welt selbst aufrichten zu sollen meint. Reformbewegung innerhalb konservativer
Wer der Erde entweicht, findet nicht Gott, und westlich geprägter christlicher Kreise.
er findet nur eine andere Welt, seine ei- Manchmal werden für die Bezeichnung
gene, bessere, schönere, friedlichere Welt, der Emerging Church bedeutungsähnli-
eine Hinterwelt, aber nie Gottes Welt, die che Begriffe wie ‚Epic Church’, ‚Missional
in dieser Welt anbricht.“ Seien wir weder Church’, ‚Experimental Church’ oder
Hinterweltler noch Säkularisten, sondern ‚Emergent Conversation’ verwendet.
Menschen, die wirklich etwas zu sagen
haben. Schämen wir uns des Evangeliums 3
Zur Postmoderne siehe: Ron Kubsch, Die
nicht (vergleiche Römer 1, 16)! Postmoderne: Abschied von der Eindeutig-
keit, Holzgerlingen: Hänssler, 2007.

32 Das Fundament 02.2010

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