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Die christlichen Wurzeln der Wissenschaft

Alvin J. Schmidt, Wie das Christentum die Welt veränderte,


Leseprobe aus Kapitel 8:

Die christlichen Wurzeln


der Wissenschaft
8.1 Wie der christliche empirisch-induktiven Methode ver-
knüpften. Einer von ihnen war Ro-
Glaube Wissenschaft bert Grosseteste (ca. 1175 - 1253),
möglich macht ein englischer Philosoph, Naturfor-
  Einer der zahlreichen Unter- scher und Theologe (u.a. Kanzler
schiede zwischen dem christlichen der Universität Oxford und Bischof
Glauben und den heidnischen von Lincoln), der als Erster die
Religionen besteht darin, dass Ers- induktive, experimentelle Methode
terer, getreu seinem jüdischen Erbe, vorschlug. 504 In seine Fußtapfen
stets gelehrt hat, dass es nur einen trat sein Schüler Roger Bacon
Gott gibt und dass dieser Gott ein (1214 - 1294), ebenfalls ein Fran-
Vernunftwesen ist. Ohne diese ziskanermönch, der betonte, dass
christliche Grundannahme gäbe es „alle Dinge durch die Erfahrung
keine Wissenschaft. Die moderne verifiziert werden müssen.”505 Bacon
Wissenschaft wurde möglich, so glaubte fest an die Wahrheit der
Whitehead, durch die christliche Bibel, und als empirisch denkender
„Auffassung von der Rationalität Mensch betrachtete er die Bibel im
Gottes”.503 Wenn Gott ein ratio- Lichte des Verstandes und als durch
nales Wesen ist, kann dann der die Erfahrung verifizierbar. Ein
Mensch, der doch nach Gottes Bild anderer Naturphilosoph dieser Zeit,
erschaffen ist, nicht auch seinen ebenfalls ein Franziskaner, war
Verstand einsetzen, um mit rationa- Wilhelm von Ockham (William of
len Methoden die Welt, in der er Occam, 1285 - 1349), der ebenfalls
lebt, zu untersuchen? Diese Frage argumentierte, dass Wissen induk-
wurde bejaht, als christliche Phi- tiv zu gewinnen war. Fast 300 Jahre
losophen die Rationalität mit der danach trieb ein anderer Bacon,

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Francis Bacon (1561 - 1626), die teste, Wilhelm von Ockham und


induktive Methode weiter voran, beide Bacons ganz erheblich von
indem er differenzierte Experimen- der antiken Perspektive des Aris-
te anstellte und sie protokollierte. toteles (384 - 322 v. Chr.). Der
Man hat ihn auch „den faktischen Aristotelismus, der das Abendland
Erfinder der wissenschaftlichen fast 1500 Jahre lang beherrschte,
Induktion” genannt. 506 Er betonte sich weit von den Schriften des
die sorgfältige Beobachtung der Aristoteles selbst entfernt hatte und
Phänomene und das systematische zu einem dogmatischen System
Sammeln von Information, um verhärtet worden war, ging davon
so den Geheimnissen der Natur aus, dass Wissen nur durch die
auf die Spur zu kommen. 507 Seine deduktiven Prozesse des reinen
wissenschaftlichen Interessen hiel- Denkens erlangt werden konnte;
ten ihn nicht davon ab, sich auch die induktive Methode, die außer
der Theologie zu widmen, und er dem Denken das Arbeiten mit den
schrieb auch Abhandlungen über Händen verlangte, war tabu – ganz
die Psalmen und das Gebet. Mit in Übereinstimmung mit der in
der Einführung der durch rationale Kapitel 7 dargestellten Haltung,
Verfahren gesteuerten empirischen dass körperliche Arbeit nur Sklaven
Methode entfernten sich Grosse- vorbehalten war. Auch unter den
 ortsetzung auf Seite 31

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Die christlichen Wurzeln der Wissenschaft

 ortsetzung von Seite 14

Schöpfer und Schöpfung

christlichen Mönchen, Naturphi- als letzte Ursache der Welt und als
losophen und Theologen war der „unbewegten Beweger” auf. Im
Glaube an die deduktive Methode Hintergrund lebte die heidnische
als einzige Möglichkeit zur Erlan- Vorstellung vieler Gottheiten weiter,
gung von Wissen weit verbreitet die mit der Natur verschränkt
– bis Grosseteste, Ockham und oder verwoben seien – ein panthe-
Roger und Francis Bacon kamen. istisches, panemanationistisches
Doch auch noch nach diesen Weltbild. 508 Die Planeten zum
Pionieren der induktiven Metho- Beispiel sollten eine ihnen innewoh-
de hielt die Welt der Gelehrten in nende Intelligenz (anima) haben,
ihrer Mehrzahl an dem System der die sie erst ihre Bahnen beschreiben
Aristoteliker fest. ließ. Diese pantheistische Sicht der
Eine zweite entscheidende Planetenbahnen wurde erstmals
Grundannahme im Christen- von Jean Buridan (um 1300 - 1358)
tum ist, dass Gott, der Schöpfer infrage gestellt, einem Philosophen
der Welt, dieser Welt als von ihr an der Universität Paris. 509 Ebenfalls
separate Person gegenübersteht. Die in Widerspruch zu der christlichen
griechische Philosophie dagegen Sicht vom Schöpfergott („Am An-
sah Gott als Intellectus (Nous), fang schuf Gott Himmel und Erde”,
nicht als Person an und fasste ihn 1. Mose 1, 1) stand Aristoteles’

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Theorie, dass die Welt ohne Anfang dem Bacon selbst gehörte, warf ihn
und unerschaffen war (siehe sein 1278 für 14 Jahre ins Gefängnis.510
„Vom Himmel” 279 - 284). Die Dieser anhaltende Widerstand
Urkirche hatte den Pantheismus gegen die induktive Methode und
verurteilt, doch während des ganzen die Blindheit gegenüber dem anti-
Mittelalters waren die christlichen ken Pantheismus bedeutete einen
Naturphilosophen und Scholastiker ausgesprochenen Hemmschuh für
blind für die pantheistischen Züge den wissenschaftlichen Fortschritt,
in der antiken Philosophie, die sie denn der Pantheismus ist seiner
sich angeeignet hatten und mit der Natur nach forschungsfeindlich; er

Religionen gegen Naturwissenschaft


sie das Wesen der Welt zu erklären kann die wissenschaftliche Metho-
versuchten. Selbst als Roger Bacon de, die mit der Manipulation von
und Wilhelm von Ockham mit Elementen im physischen Univer-
der induktiven Methode aus der sum arbeitet, nur als gotteslästerlich
aristotelischen Schule ausgeschert betrachten, wohnt doch allem
waren, hielten die Naturphilo- Physischen das Göttliche inne, und
sophen und Scholastiker weiter mit dem Göttlichen darf man nicht
an ihr fest. Einige betrachteten experimentieren. Erst in der christ-
die induktive Methode sogar als lichen Perspektive, die Gott und
Irrlehre; der Franziskanerorden, zu die Natur als voneinander getrennte

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Größen betrachtet, wird eine freie, verkennen, dass die experimentelle


experimentierende Wissenschaft Naturwissenschaft, sobald sie die
überhaupt möglich. In den Worten Verbindung zu einem lebendigen
von Kennedy und Newcombe: „Un- Gottesglauben verlor, auch prob-
ter den Animisten in Zentral- oder lematische Folgen zeitigte und den
Südafrika, aber auch in vielen an- Zusammenhang des Lebens zerstör-
deren Kulturen hätte die moderne te, bis zur heutigen ökologischen
Wissenschaft nie entstehen können, Krise. Große Naturforscher unserer
weil diese Gesellschaften nie damit Zeit sahen sich allerdings immer auf
begonnen hätten, mit der Natur das Wunder der Schöpfung zurück-
zu experimentieren; für sie enthielt verwiesen. Mit C.S. Lewis: „Ein we-
alles – ob Steine, Bäume, Tiere oder nig Wissenschaft entfernt von Gott,
was auch immer – die Geister diver- viel Wissenschaft führt zu ihm
ser Götter oder Vorfahren.”511 Wäre zurück”. Der Glaube an die Ratio-
es durch Männer wie Grosseteste, nalität Gottes führte nicht nur zur
Buridan, die Bacons, Wilhelm von induktiven Methode, sondern auch
Ockham und Nikolaus von Oresme zu dem Schluss, dass das Universum
sowie später Kopernikus, Vesalius, von vernünftigen, der menschlichen
Kepler und Galilei, die ihre Bibel Erkenntnis zugänglichen Gesetzen
kannten und wussten, dass die beherrscht wird. Diese Annahme
Natur an sich nicht göttlich ist, ist ein absoluter Schlüssel für die
nicht zu diesem Paradigmenwechsel wissenschaftliche Forschung, denn
vom Aristotelismus zur rational- in einer heidnisch-polytheistischen
induktiven Methode gekommen, Welt, deren Götter irrationale
es gäbe heute keine empirische Akteure in einer irrationalen Welt
Wissenschaft. Diese Pioniere sahen waren, war an systematische For-
sich als Menschen, die versuchten, schung nicht zu denken. Allein im
eine Welt zu verstehen, die Gott er- christlichen Denken, das von der
schaffen hatte und die der Mensch „Existenz eines einzigen Gottes, der
sich „untertan” zu machen hatte (1. das Universum erschaffen hat und
Mose 1,28). Dieser Paradigmen- lenkt”, ausgeht und davon, dass die
wechsel ist ein Beispiel mehr für das Welt in ihrem Funktionieren festen,
Positive, dem Fortschritt Dienen- erkennbaren Gesetzen gehorcht,512
de, das das Christentum der Welt ist wissenschaftliche Forschung
gebracht hat. Man darf aber nicht möglich.

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8.2 Die Pioniere der von Wissenschaftlern vorstellen,


die gleichzeitig Christen und Weg-
Wissenschaft waren bereiter ihrer wissenschaftlichen
Christen Disziplin waren. Es würde den
„Vom 13. bis hinein ins 18. Jahr- Rahmen dieses Buches sprengen,
hundert”, schreibt Lynn White, sie alle zu nennen, aber die meis-
„begründete jeder Wissenschaft- ten der im Folgenden Genannten
ler, der etwas auf sich hielt, seine gehörten zu ihrer Zeit zur „Avant-
Forschungstätigkeit mit religiösen garde” der Forschung …
Motiven.”513 Wer die heutigen
naturwissenschaftlichen Lehrbü-
cher liest, käme kaum auf diese
Idee, denn in ihnen erfährt man 8.5 Physik
rein nichts mehr über den christ-
… Blaise Pascal (1623-1662) ist
lichen Glauben der Pioniere der
sowohl als Mathematiker und
Wissenschaft. Dies ist um so
Physiker als auch als Christ bekannt
bedauerlicher, als dieser Glaube oft
geworden. Den Naturwissenschaft-
eine entscheidende Rolle in ihrer
lern ist er aufgrund des sogenann-
wissenschaftlichen Arbeit spielte.
ten Pascalschen Gesetzes bekannt
In der zweiten Hälfte dieses Kapi-
(es besagt, dass eine Flüssigkeit in
tels möchte ich daher eine Reihe
einem Gefäß in alle Richtungen
den gleichen Druck ausübt), für
seine Theorie über die Messung
des Luftdrucks auf unterschiedli-
chen Höhen, für die Erfindung der
Injektionsspritze und der hydrauli-
schen Presse, für die Konstruktion
der ersten Rechenmaschine und für
das Pascalsche Dreieck. Die Pro-
grammierer haben eine Computer-
sprache nach ihm benannt, und die
christliche Theologie kennt ihn als
entschiedenen Verteidiger des Glau-
Blaise Pascal bens. In seinen „Pensées” schreibt

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er: „Es ist nicht nur unmöglich, es und die Motivation zur Erforschung
ist auch nutzlos, Gott ohne Jesus der Welt der Natur gaben, die
Christus zu kennen.”553 für die Genese der neuzeitlichen
William Thomson Kelvin (1824- Wissenschaft unumgänglich sind.
1907), besser bekannt als Lord Lassen wir zum Schluss dieses
Kelvin, war einer der Begründer der Kapitels Stanley Jaki noch einmal zu
Thermodynamik und entwickelte Wort kommen. Er schreibt, dass die
eine von der jeweiligen Substanz alten Ägypter ihre gewaltigen Py-
unabhängige Definition der Tempe- ramiden und ein hoch entwickeltes
ratur. Die absolute Temperatur wird Schriftsystem schufen, „aber wenn
heute nach der Kelvin-Skala ange- es um Quantitäten, Messungen
geben. Als Christ sah Kelvin keinen und Berechnungen ging, die doch
Widerspruch zwischen Religion und an sich leichter zu bewerkstelligen
Wissenschaft – eine Position, die bei hätten sein müssen als die Umset-
denjenigen seiner Zeitgenossen, die zung des gesprochenen Wortes in
von einem Konflikt zwischen Religion abstrakte Symbole, schafften sie
und Wissenschaft ausgingen, auf Wi- keinen vergleichbaren Durchbruch.
derspruch stieß. Kelvin sagte einmal: Die ägyptische Mathematik und
„Wer stark genug denkt, der wird von Geometrie verharrte auf dem Niveau
der Wissenschaft gezwungen werden, eines Hilfsmittels für den Alltag.”589
an Gott zu glauben.”558 ... Doch in den heutigen Schulen,
Universitäten und Lehrbüchern er-
fährt man für gewöhnlich wenig bis
nichts über die christlichen Wurzeln
8.8 Schluss der modernen Wissenschaft. Diese
Unterschlagung der christlichen
Dieses Kapitel begann mit der Wurzeln begann im 18. Jahrhundert
Behauptung, dass die moderne Wis- mit „der Hochzeit der Wissenschaft
senschaft ihre Wurzeln in der christ- mit dem philosophischen Materi-
lichen Theologie des Mittelalters alismus”.592 Mit der Zeit wurde sie
hat. Wir haben daraufhin dargelegt, institutionalisiert, so dass heute der
wie es die Werte des Christentums Normalbürger nicht mehr weiß,
waren, die seinen gebildeten Anhän- dass praktisch alle Wissenschaftler
gern (die man heute Wissenschaftler (darunter ausgesprochene Pioniere)
nennen würde) das nötige Weltbild vom Mittelalter bis tief ins 18. Jahr-

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hundert hinein gläubige Christen bar, ohne Gott auskommen zu wol-


waren, die sich bei ihren Theorien len. Was Kepler sagte, war ihrer aller
von biblischen Grundsätzen und Motto: „Mit dem Glauben ist es mir
Prämissen leiten ließen. Diese ernst, mit ihm spiele ich nicht.” 593
Pioniere der Wissenschaft, auf deren Sie waren Lichtjahre entfernt von
Schultern die heutigen Forscher dem relativistischen Klischee des
stehen, kannten und glaubten die heutigen Postmodernismus, welches
Worte des Psalmisten: „Die Himmel da lautet: „Was für dich wahr ist,
erzählen die Ehre Gottes, und die muss es für mich nicht sein.” Für sie
Feste verkündigt seiner Hände Werk” gab es nur eine Wahrheit, und ihr
(Psalm 19, 1). Für sie war es undenk- Urheber war Gott. 

Anmerkungen:
503
Whitehead, Wissenschaft und moderne Welt, S. 16.
504
Thomas Goldstein, Dawn of Modern Science: From the Arabs to Leonardo da Vinci (Boston:
Houghton Mifflin, 1980), S. 171.
505
Roger Bacon, Opus majus, transl. Robert Belle Burke (New York: Russell and Russell, 1962),
S. 584.
506
Magnus Magnusson (ed.), „Bacon, Francis, Baron Verulam of Verulam, Viscount St. Albans”,
Cambridge Biographical Dictionary (New York: Cambridge University Press, 1990), S. 88.
507
Herbert Butterfield, The Origins of Modern Science, 1300-1800 (London: G. Bell and Sons,
1951), S. 79.
508
Stanley L. Jaki, The Savior of Science (Edinburgh: Scottish Academic Press, 1990), S. 41.
509
Butterfield, Origins of Modern Science, S. 7f.
510
Andrew Dickson White, Geschichte der Fehde zwischen Wissenschaft und Theologie in der
Christenheit (übers. von C.M. v. Unruh, Leipzig: Theod. Thomas Verlag, o.J.), Bd. 1, S. 333.
511
D. James Kennedy und Jerry Newcombe, What If Jesus Had Never Been Born? (Nashville:
Thomas Nelson, 1994), S. 95.
512
White, „Significance of Medieval Christianity”, S. 96.
513
Lynn White Jr., Dynamo and Virgin Reconsidered: Essays in the Dynamism of Western
Culture (Cambridge, Mass.: MIT Press, 1968), S. 89.
553
Blaise Pascal, Über die Religion und über einige andere Gegenstände (Frankfurt/M: Insel
Verlag, 1987), S. 241 (= Nr. 549).
558
Zitiert in: Kneller, Christianity and the Leaders of Modern Science, S. 38.
589
Jaki, Savior of Science, S. 23.
590
Ebd., S. 28.
591
Ebd., S. 33.
592
Jacques Barzun, From Dawn to Decadence: 500 Years of Western Cultural Life, 1500 to the
Present (New York: Harper Collins, 2000), S. 365.
593
Zitiert in: Koestler, Die Nachtwandler, S. 281.

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