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Evolution/Schöpfung

Sechs Fragen an Ulrich Kutschera

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FACTUM: Herr Professor, was verbinden
Sie mit dem Wort Schöpfung?
KUTSCHERA: Der Begriff «Schöpfung»
entstammt dem Bereich des religiösen
Glaubens. Im Verlauf der Mensch-
heitsgeschichte wurden von unseren
Vorfahren mehr als 100 verschiedene,
sich teils widersprechende Schöp-
es sich zum Ziel gesetzt, der Evolution
eine auf der Schöpfungslehre beru-
hende Gegenposition beiseite zu set-
zen.
Dieses auf biblischen Dogmen ba-
sierende «Schöpfungsmodell» wird
von den Autoren wie folgt umrissen:
Die heute lebenden Organismen sol-
fungsgeschichten verfasst. Der be- len auf getrennt erschaffene «Grundty-
kannteste Mythos ist im Buch Genesis pen» zurückgehen. Die erschaffenen
der Bibel nachlesbar. Die dort nieder- Arten waren von Anfang an perfekt or-
geschriebenen Allegorien sind durch ganisiert und zu beschränkter Variati-
die Erkenntnisse der Naturwissen- on befähigt. Der Schöpfungsakt ist
schaften seit langem widerlegt. «naturwissenschaftlich nicht nach-
Ein bekannter Physiker soll einmal vollziehbar». In einer Abbildungsle-
gesagt haben: Man kann die Bibel gende findet sich die bemerkenswerte
wörtlich oder ernst nehmen. Dieser Aussage: Aus der Schöpfung folgt die
Ansicht schliesse ich mich an. Da Voraussage, dass Zwischenformen

«Evolution ist eine Tatsache ...»


Schöpfungsmythen auf übernatürli- zwischen Grundtypen niemals exis-
Ulrich Kutschera ist Professor chen Glaubensinhalten basieren, die tierten und auch künftig nicht gefun-
Naturwissenschaften jedoch nur real den werden.
für Pflanzenphysiologie/
vorhandene Dinge erforschen können, Diese Bauplan-Mischtypen sind je-
Evolutionsbiologie und ist der Begriff «Schöpfungstheorie» doch fossil und rezent im Tier- und
Verfasser des Lehrbuchs widersprüchlich. Schöpfungsmythen Pflanzenreich dokumentiert und in
sind Sache des nicht überprüfbaren, meinem Lehrbuch beschrieben. Wür-
«Evolutionsbiologie. Eine
subjektiven Glaubens, Theorien die den perfekt erschaffene Arten existie-
allgemeine Einführung», Parey Resultate naturwissenschaftlicher Er- ren, so gäbe es keine C3-Pflanzen (90
Buchverlag, Berlin 2001, kenntnisse, die auf objektiven Daten Prozent aller Gewächse mit fehlerhaf-
284 S., ISBN 3-8263-3348-9 basieren. ter Photosynthese); wir kennen C3-

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/C4-Übergangsformen: Hier wird ein
FACTUM: Das Lehrbuch «Evolution» von Photosyntheseapparat Schritt für
Scherer und Junker belegt, dass Ur- Schritt umgebaut (Makroevolution);
sprung und Geschichte des Lebens der perfekt erschaffene Mensch würde
nicht ohne weltanschauliche Grenz- keine Bandscheibenprobleme bekom-
überschreitungen erforscht werden men und nicht an Krebs sterben; die
können. Nun wurde dieser Titel mit Dinosaurier wären nicht ausgestor-
dem Schulbuchpreis 2002 ausgezeich- ben. Die Jury war offensichtlich über-
net. Hat die Jury richtig entschieden? wiegend mit biologischen Laien be-
KUTSCHERA: Ihre Frage enthält eine un- setzt und hat daher so entschieden.
zutreffende Behauptung. Die Ge- Aus meiner Sicht ist das Werk als ge-
schichte des Lebens wurde unter Ver- lungenes Propagandastück des deut-
wendung von Dokumenten (Fossilien) schen Neo-Kreationismus zu bewer-
rekonstruiert. Weltanschauliche Be- ten und als «Lehrbuch» völlig ungeeig-
trachtungen haben bei den betreffen- net, da ein verzerrtes Bild der Evoluti-
den Paläobiologen und Geologen kei- on vermittelt wird. So sind zum Bei-
ne Rolle gespielt. Das Schulbuch von spiel die «Grundtypen» als «geschaffe-
Junker und Scherer – ich beziehe mich ne Arten» eine freie Erfindung der Au-
auf die 3. Auflage 1992 und 4. Auflage toren. Diese Begriffe existieren in der
1998 – ist didaktisch gut aufgemacht Evolutionsbiologie nicht und disquali-
und zu einem Preis zu erwerben, den fizieren daher das Buch.
kaum ein anderer Verlag ohne Sponso-
ren halten könnte. Die Autoren haben Fortsetzung auf Seite 36.

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factum 1/2003
Evolution/Schöpfung

Sechs Fragen an Siegfried Scherer

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FACTUM: Herr Professor, was verbinden
Sie mit dem Wort Evolution?
SCHERER: Unter Evolution verstehe ich
diejenige Ursprungslehre, welche die
Entstehung der ersten Zelle (chemi-
sche Evolution) und deren Entwick-
lung hin zu allen heute existierenden
Lebewesen (biologische Evolution)
Schliesslich stelle ich immer wieder
fest, dass die Evolutionslehre als Gan-
zes mit persönlichen Glaubensent-
scheidungen verbunden ist, was ich
achte. Das erklärt m. E. den Absolut-
heitsanspruch, mit dem diese Lehre
ausdrücklich auftritt. Absolutheitsan-
sprüche sind immer ein Kennzeichen
vollständig und ausdrücklich ohne Zu- der Religion, niemals der Wissen-
hilfenahme übernatürlicher Faktoren schaft.

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zu erklären versucht.
Die Evolutionsforschung gliedert FACTUM: Das von Ihnen und Dr. Junker
sich in verschiedene Teildisziplinen herausgegebene Lehrbuch «Evolution»
aus Biologie, Chemie, Geologie und belegt, dass Ursprung und Geschichte
Physik. Teile der Evolutionsforschung des Lebens nicht ohne weltanschauli-
gehören in den Bereich der empiri- che Grenzüberschreitungen erforscht
schen Wissenschaften, beispielsweise werden können. Nun wurde dieser Titel
die Untersuchung von Variations-, mit dem Schulbuchpreis 2002 ausge-
Selektions- und Artbildungsprozessen zeichnet. Hat die Jury das an den Schu-
(Mikroevolution). Ich habe viele evolu- len nicht akzeptierte Buch überhaupt
tionsbiologisch orientierte Kollegen, gelesen?
die auf diesen Gebieten ausgezeichne- SCHERER: In der Tat sind Ursprung und
te wissenschaftliche Arbeit leisten. Geschichte des Lebens nicht ohne Siegfried Scherer ist Professor
Übrigens bin ich der Meinung, dass weltanschauliche Grenzüberschrei- für Mikrobielle Ökologie und
Charles Darwin ein hervorragender tungen zu erforschen, doch ist es nicht
Direktor eines Instituts für
Biologe war; viele seiner Erkenntnisse unser Verdienst, darauf als Erste hin-
haben auch heute noch Gültigkeit. gewiesen zu haben. Es handelt sich bei Mikrobiologie. Er ist Mitautor
Andere wichtige Bereiche der Evolu- dieser Erkenntnis um eine vielfach be- des Buches «Evolution –
tionsforschung sind der experimentel- legte Einsicht, welche unter Wissen- ein kritisches Lehrbuch»,
len Methode der Naturwissenschaften schaftsphilosophen und Erkenntnis-
grundsätzlich nicht zugänglich, bei- theoretikern schon lange akzeptiert 5. Aufl. 2001, Giessen,
spielsweise die Entstehung der Tier- ist. Daten (z. B. Fossilien) sprechen ISBN 3-921046-10-6
stämme oder der vermutete Übergang eben nicht für sich selbst, sondern sie

«Evolutionslehre
braucht Glaubens-
entscheidungen ...»
zwischen verschiedenen Tier- und müssen interpretiert werden. Jede In-
Pflanzengruppen (Makroevolution). terpretation von Daten beruht auf
Diese Teildisziplinen interpretieren nicht beweisbaren, oft auch weltan-
naturwissenschaftliche Fakten, arbei- schaulich motivierten Annahmen. Lei-
ten dabei jedoch mit Verfahren, die der weigern sich einige Biologen im-
viele Ähnlichkeiten zu geisteswissen- mer noch nachhaltig, diesen Sachver-
schaftlichen (z. B. historischen) Me- halt zur Kenntnis zu nehmen. Ich habe
thoden aufweisen. Auch wenn sie ihre den Eindruck, dass diese Weigerung
Aussagen anders begründen als em- zuweilen mit einer agnostischen oder
pirische Wissenschaften und mit Mut- atheistischen weltanschaulichen Bin-
massungen arbeiten müssen, sind sie dung zusammenhängt. Nur so kann
deshalb nicht «weniger wissenschaft-
lich». Fortsetzung auf Seite 37.

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factum 1/2003
Evolution/Schöpfung
welchen Schaden die fundamentalisti- gehen. Eine wörtliche Interpretation
Fortsetzung von Seite 34.
schen Anhänger des biblischen Schöp- biblischer Schöpfungsmythen passt
fungsglaubens (Kreationisten) der Na- allerdings nicht mehr in unsere Zeit,
Kutschera turwissenschaft Biologie zufügen kön- da die Geologie und die Biowissen-
nen. Evolution ist als dokumentierte schaften enorme Fortschritte gemacht

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FACTUM: Evolutionskritiker geben vor, Tatsache zur Über-Disziplin und Fun- haben, die nicht einfach ignoriert wer-
die Evolution sei unbewiesen. Bis heute dament der Biowissenschaften gewor- den können.
fehle der experimentelle Beweis. Sind Sie den. Ohne eine evolutionäre Sicht sind Eine Aufwertung der Jahrhundert-
anderer Meinung? Wer oder was hat den die Organismen nicht naturwissen- wissenschaft Biologie, der wir u. a. un-
Evolutionsmechanismus bewiesen? schaftlich analysierbar, da der in der sere gute Ernährung und Gesundheit
KUTSCHERA: Junker und Scherer liefern DNA niedergelegte historische Cha- verdanken, wäre wünschenswert, um
eine populäre Fehldefinition der Na- rakter ausgeblendet wird. dem Bildungsmangel zum Thema Evo-
turwissenschaft Biologie: Diese basiert Mit Erstaunen musste ich nach mei- lution entgegenzuwirken.

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nicht ausschliesslich auf Experimen- ner Rückkehr nach Deutschland fest-
ten, wie die Autoren vorgeben, son- stellen, dass sich auch hier eine Krea- FACTUM: Auf welche Begriffe könnten
dern auch auf historischen Dokumen- tionisten-Szene etabliert hatte, deren Sie am ehesten verzichten, ohne Ihre
ten. In den USA wurde vor einigen Jah- Ziel es ist, die Vor-Darwinsche, auf Weltanschauung zu beschneiden: «Na-
ren das teuerste Dokument der Paläo- biblischen Offenbarungen basierende tur», «Zufall», «Liebe», «Tod», «Gott»,
biologie, ein 65 Millionen Jahre altes «Schöpfungstheorie» unter Verdre- «Planung», «Selektion», «Wunder»?
Tyrannosaurus Rex-Skelett für 8,36 hung und Ignorierung biologischer KUTSCHERA: Die Begriffe Natur, Liebe
Millionen Dollar verkauft. Evolution – Fakten der Jugend näher zu bringen. (im Sinne von Fortpflanzung), Tod und
das Andersartigwerden der Organis- Im Buch von Junker und Scherer Selektion haben direkten Bezug zur
men im Verlauf unzähliger Generati- habe ich dann unter anderem die Evolutionsbiologie, da diese eine echte
onsabfolgen – ist eine durch mehr als folgenden Fehlinformationen gefun- Natur-Wissenschaft ist: Populationen
250 000 fossile Arten dokumentierte den: Das dokumentierte Erdalter von bestehen aus sich fortpflanzenden
Tatsache; dieses Faktum wird durch etwa 4,6 Millionen Jahren sei eine sterblichen Individuen, die in ihren
ein System von Aussagen (die Erwei- «verbreitete Annahme»; die Endo- Nachkommen weiterleben; durch Aus-
terte Synthetische Theorie) beschrie- symbiontentheorie sei hochgradig sterben der nicht an die Umwelt ange-
ben und erklärt. Es gibt zahlreiche Ex- unwahrscheinlich; fossile Über- passten Varietäten (natürliche Selekti-
perimente zur Überprüfung der der- gangsformen seien nicht nachweis- on) kommt es zum Andersartigwerden
zeit akzeptierten Evolutionsmechanis- bar. Wenn derartige Behauptungen dieser Fortpflanzungsgemeinschaften
men, die ich in Kapitel 9 meines Bu- in einem Schulbuch stehen, kann im Verlauf tausender von Generatio-
ches beschrieben habe. Allerdings ist der in Forschung und Lehre aktive nen. Diese Evolution kann u. U. zu ei-
unser Bild von den Antriebskräften des Evolutionsbiologe nicht länger ner Komplexitätszunahme («Höher-
evolutiven Artenwandels noch lücken- schweigen. Nach dem Motto «wehret entwicklung») führen, muss es aber
haft. Dies gilt aber auch für andere den Anfängen» habe ich dann in Ka- nicht (z. B. Höhlentiere, die von Frei-
Teilgebiete der Biologie. pitel 11 meines Buches die Haupt- lichtpopulationen abstammen). Der
Die 1839 formulierte Zellentheorie einwände gegen die Evolutionstheo- Zufall (Schaffung genetischer Variabi-
sagt aus, dass alle Lebewesen aus Zel- rie und die entsprechenden Gegen- lität) spielt im Evolutionsgeschehen
len bestehen (aus heutiger Sicht eine argumente dargelegt. Würden Sie ein die primäre Rolle; die Selektion ist
dokumentierte Tatsache). Wir sind Mathematikbuch empfehlen, in dem dann der richtungsgebende Prozess.
trotz jahrzehntelanger Forschung steht, dass nach «verbreiteter An- Dieser Zweistufencharakter des Evo-
noch immer weit davon entfernt, alle nahme» 2 mal 2 gleich 4 ist? lutionsmechanismus wird häufig nicht

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zellulären Vorgänge auf molekularem verstanden, so dass sich das Unwort
Niveau im Detail zu verstehen. Kein FACTUM: Ist denn Otto Normalverbrau- von der «Darwinschen Zufallstheorie»
sachkundiger Biologe zweifelt jedoch cher, der an Gott und seine Schöpfung ausbreiten konnte. Die Begriffe Gott,
mehr daran, dass das klassische Postu- glaubt, ein bemitleidenswerter Tor? Planung (im Sinne von Schöpfungs-
lat (Lebewesen sind aus Zellen aufge- KUTSCHERA: Es ist ein bedauernswerter plan), Wunder und Liebe (bezogen auf
baut) korrekt ist. In diesem Sinne soll- Missstand, dass die Biologie an deut- zwischenmenschliche Beziehungen)
te der Begriff Evolutionstheorie ver- schen Schulen nur eine Nebenrolle haben in der Naturwissenschaft Biolo-
standen werden. spielt. Ich bin dennoch davon über- gie keinen Raum, da nur reale Dinge
zeugt, dass die Mehrheit der aufgeklär- erforschbar sind und Bausteine von

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FACTUM: Sie bezeichnen den Kreationis- ten Bürger eine naturalistische Welt- Theorien werden können. Sie spielen
mus als «Extremposition einiger Aus- sicht vertritt. Glaube und Wissen sollten allerdings im Privatleben vieler Men-
senseiter». Wozu dann der Aufwand, ei- nicht vermengt werden, wie es die Ver- schen (auch einiger Biologen) eine
nigen Exoten ein ganzes Kapitel in künder der «Schöpfungstheorie» tun, grosse Rolle und sollten daher dem
Ihrem Lehrbuch zu widmen? sondern getrennte Ebenen einnehmen. persönlichen Glaubens- und Gefühls-
KUTSCHERA: Während eines mehrjähri- Ich kenne bedeutende Biologen, die bereich vorbehalten bleiben. Im letz-
gen Forschungsaufenthaltes in den vom Konzept (Faktum) Evolution ten Kapitel meines Buches (Naturwis-
USA (Stanford University, Michigan überzeugt sind und dennoch als gläu- senschaft und Glaube) habe ich eine
State University) habe ich miterlebt, bige Christen regelmässig in die Kirche evolutionäre Ethik umrissen. ■

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factum 1/2003
Evolution/Schöpfung
serem Buch ausdrücklich hinweisen, anders gefragt: Treiben die Hochschu-
Fortsetzung von Seite 35.
von manchen Anhängern der Schöp- len unseren Kindern den Glauben aus?
fungslehre geleugnet oder mit Hilfe SCHERER: Durch die einseitige, evoluti-
Scherer von wissenschaftlich unhaltbaren onsgebundene Ausrichtung der Medi-
Scheinargumenten verteidigt. Es gibt en ist es nicht verwunderlich, dass sich
ich mir die teilweise bemerkenswerte darüber hinaus Kritik von Christen an viele schöpfungsgläubige Menschen in
Verweigerung des sachlichen Ge- der Evolutionslehre, die wissenschaft- der Defensive fühlen und verunsichert
sprächs erklären, die mir nicht selten lich nicht vertretbar ist. In diesen Fäl- sind. Kein Mensch sollte sich jedoch
begegnet. len ist es möglich und auch schon ge- als Tor fühlen, weil er an Schöpfung
Die Jury hat nach meiner Meinung schehen, dass die Kritiker der Evoluti- glaubt – genausowenig sollten evoluti-
sehr genau verstanden, was das Anlie- onslehre durch Fakten widerlegt wur- onsgläubige Menschen durch Christen
gen unseres Buches war, auch wenn den. diskriminiert werden.

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ich nicht davon ausgehe, dass alle Mit- Zuweilen werden unsere Kinder in
glieder das gesamte Werk in allen Ein- FACTUM: Die Schöpfungstheorie wird der Schule materialistisch geprägt –
zelheiten gelesen haben. Die Würdi- von Kritikern oft als «Extremposition das geschieht jedoch keineswegs nur
gung bezog sich auf unseren Versuch, einiger Aussenseiter» bezeichnet. Füh- im Biologieunterricht und hängt nach
der einseitigen, weltanschaulich be- len Sie sich als einer dieser Exoten? meiner Erfahrung ohnehin stark von
dingten Festlegung der öffentlichen SCHERER: Eine Schöpfungstheorie im den individuellen Lehrern ab. Auch El-
Diskussion über den Ursprung der Le- naturwissenschaftlichen Sinne gibt es tern haben die Möglichkeit, diesbe-
bewesen mit Sachargumenten zu be- nicht und kann es auch nicht geben. züglich erheblichen Einfluss auszu-
gegnen. Die Jury hat auch unsere Schöpfung muss, ebenso wie Makro- üben, wissen das aber meist nicht. Ich
Bemühungen gesehen, konträre Posi- evolution, letztendlich geglaubt wer- persönlich hätte zwar gerne eine
tionen zu respektieren und den den. Deshalb sprechen wir grundsätz- christliche Prägung unserer Schulen.
Schüler zu einer kritischen, ausgewo- lich von Schöpfungslehre und Evoluti- Allerdings leben wir auch in Mitteleu-
genen und sachlichen Auseinander- onslehre. Allerdings können – ich hab ropa in einer nachchristlichen Ära. Mit
setzung mit verschiedenen Stand- das schon erwähnt – bestimmte Teil- welchem Recht und mit welchen Mit-
punkten zu führen. bereiche von Ursprungstheorien wis- teln soll die kleine, christlich aktive

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senschaftlich formuliert werden. Zu Minderheit unseres Landes für alle
FACTUM: Evolutionsvertreter geben vor, Ihrer Frage: Es kann überhaupt kein Bürger verbindlich eine christlich ori-
die Evolution sei bewiesen, während Zweifel daran bestehen, dass die in un- entierte Erziehung durchsetzen? Was
die Kritik an der Evolutionsbiologie serem Buch vertretene Meinung eine aber eingefordert werden muss, ist die
durch Fakten widerlegt werden könne. Aussenseiterposition ist. Nur eine sehr weltanschauliche Neutralität des Bio-
Wie begegnen Sie dieser Meinung? kleine Minderheit unter den Biologen logieunterrichtes an unseren staatli-
SCHERER: Wer behauptet, die Evoluti- vertritt meine Ansichten öffentlich – in chen Schulen – und davon sind wir
onslehre sei bewiesen, hat erstens diesem Sinne bin ich sicher ein Exot. meines Erachtens inzwischen weit
nicht verstanden, wie die wissen- Sie stellen richtig fest, dass unser entfernt.

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schaftliche Methode arbeitet: Selbst Buch an staatlichen Schulen nur wenig
naturwissenschaftliche Theorien kön- vertreten ist. Ich kann die Weigerung FACTUM: Auf welche Begriffe könnten
nen niemals bewiesen (verifiziert), der Schulen und Schulbehörden, die Sie am ehesten verzichten, ohne Ihre
sondern im günstigsten Fall widerlegt Schöpfungslehre in den Unterricht der Weltanschauung zu tangieren: «Na-
(falsifiziert) werden. Noch viel mehr öffentlichen Schulen einzuführen, gut tur», «Zufall», «Liebe», «Tod», «Gott»,
gilt dies für alle Ursprungslehren (da- verstehen. Offiziell kann nur gelehrt «Planung», «Selektion», «Wunder»?
mit auch für die Evolutions- und werden, was die grosse Mehrheit der SCHERER: Darf ich die Frage entgegen-
Schöpfungslehre), weil sie neben em- Wissenschaftler für richtig hält – wel- gesetzt beantworten? Folgende Begrif-
pirischen Bereichen grundsätzlich chen anderen Massstab sollten die fe sind für mein persönliches Leben
auch historische und weltanschauli- Schulbehörden denn sonst anlegen? zentral: Gott – Liebe – Wunder. Ich se-
che Elemente enthalten. Zweitens sind Ich kann allerdings weder verstehen he für diese Begriffe in einem evolu-
zentrale Probleme der Evolutionslehre noch akzeptieren, dass sachliche Kritik tionär-materialistischen Weltbild kei-
nicht gelöst: Beispielsweise wissen wir an der Evolutionslehre sowie der viel- nen Raum. Werden sie dort dennoch
nicht, wie die erste Zelle entstanden fach geführte Nachweis der weltan- benutzt, bleiben sie nach meiner Mei-
ist, und wir kennen bis heute keine schaulichen Bindung aller Ursprungs- nung letztlich inhaltsleer. So bin ich
evolutionären Mechanismen, die zu lehren beharrlich verschwiegen wird. dankbar, dass ich in einer Welt leben
einer Höherentwicklung (Makroevolu- Unser Buch wurde geschrieben, um darf, in der uns die Heilige Schrift eine
tion) hätten führen können. Diese Tat- sowohl Lehrern als auch Eltern und über den Tod hinausreichende Hoff-
sache wird durch manche Evolutions- Schülern eine angemessene Informa- nung offenbart. ■
anhänger entweder geleugnet und mit tionsmöglichkeit zu geben.

537
einem Diskussionsverbot belegt, oder
die ungelösten Fragen werden als FACTUM: Ist Otto Normalverbraucher,
Randprobleme bagatellisiert. der an Gott und seine Schöpfung
Leider werden auch offene Fragen glaubt, ein bemitleidenswerter Tor,
der Schöpfungslehre, auf die wir in un- dem das nötige Schulwissen fehlt? Oder Interviews: Rolf Höneisen

factum 1/2003

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