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CHANCEN HOCHSCHULE

29. Juli 2010 DIE ZEIT No 31 65

»Die Leute können rechnen« Offene Rechnungen


Der gerade abgetretene FDP-Wissenschaftsminister von Nordrhein-Westfalen, Andreas Pinkwart, über einen Strapazieren ausländische Studenten die Schweizer
Linksruck in der Bildungspolitik und die Frage, warum liberale Bildungspolitik dennoch eine Zukunft hat Hochschulen? VON CHRISTINE BRINCK

I
DIE ZEIT: Sie waren einer der lautesten Verfechter Bundesländern, die die Beiträge wieder abgeschafft ZEIT: Sie stellen die FDP-Bildungspolitik gern als n zehn Jahren wird, Prognosen des Schweizer eigenen Universitäten – zu Recht: Die ETH ist
von Hochschulautonomie und Studiengebühren. haben, dass die versprochene Kompensation bei der fortschrittlich dar. In der Schulpolitik zeigt sich ein Bundesamts für Statistik zufolge, jeder vierte nach dem einflussreichen Shanghaier Hochschul-
Als NRW-Wissenschaftsminister mussten Sie ab- nächsten Gelegenheit wieder einkassiert wird. anderes Bild. Sind die Liberalen zusammen mit der Student in der Schweiz ein Ausländer sein. ranking die Nummer 4 in Europa, direkt hinter
treten. Ein Beleg dafür, dass sich der bildungspoliti- ZEIT: Dennoch: Kaum ein Bildungsthema ist so CSU die letzten Verteidiger der Hauptschulen? Die Zahl der internationalen Studenten im Al- drei englischen Universitäten. Die Universität
sche Wind auch bundesweit gedreht hat? unpopulär wie Studiengebühren. Haben das die Pinkwart: Ganz sicher nicht. Richtig ist: Wir haben penstaat hat sich seit 1997 mehr als verdoppelt Zürich steht mit Platz 13 in Europa immer noch
Andreas Pinkwart: Gesellschaftliche Tendenzen, Gebührenfans selbst zu verantworten, weil sie die in der FDP eine Debatte über die Schule der Zu- – von 12 400 auf 30 300. Die Hochschulen sind vor den beiden besten deutschen Unis, der
die Reformen der vergangenen Jahre rückgängig zu soziale Absicherung nicht hinbekommen haben? kunft. In NRW habe ich erreicht, dass die regionale besorgt. Grund für die öffentliche Aufregung ist Ludwig-Maximilians-Universität und der Tech-
machen, gibt es zweifellos. Ich hoffe, dass sie nicht Pinkwart: Für NRW gilt das nicht. Wir haben eine Mittelschule nach sächsischem Vorbild in unser Par- nicht etwa eine grassierende Fremdenfeindlich- nischen Universität, beide in München.
zu erfolgreich sein werden, denn ein Zurückdrehen vorbildliche Regelung der Gebührenbefreiung ge- teiprogramm aufgenommen wurde. Sie verbindet keit, sondern es sind die explodierenden Kosten. Die Universität St. Gallen (HSG) wiederum
wäre gefährlich. Die Reformen hin zu mehr Eigen- habt, gerade für Bafög-Empfänger. Aber natürlich Haupt-, Real- und Gesamtschule, ohne auf die ver- Die Ausländer zahlen zu niedrige Studienbeiträ- ist schon seit Jahren eine so beliebte Adresse für
verantwortung und Gestaltungskraft an Schulen ist es so, dass die Mehrheit der Bürger immer gegen schiedenen Abschlusszweige zu verzichten. Am Ende ge, die hier Kollegiengelder heißen. Wirtschaftler, Juristen und Politologen, dass sie
und Hochschulen dienten ja vor zusätzliche Belastungen ist. Las- eines auf freiwillige, dezentrale Entscheidungen der Wie bei den Einheimischen beläuft sich auch eine Quote für Ausländer festgelegt hat. Nicht
allem einem Ziel: den Bildungs- sen Sie die Leute mal über Rund- Schulkonferenzen und -träger bauenden Prozesses ihre Gebührenrechnung auf 1000 bis 2000 mehr als ein Viertel der Studenten darf aus dem
standort Deutschland konkurrenz- funkgebühren abstimmen. Wol- sehe ich ein Zwei-Säulen-Modell aus Gymnasium Schweizer Franken pro Jahr. Lediglich die Uni- Ausland kommen. Da aber weit mehr Bewerbun-
fähiger zu machen. len Sie die deshalb abschaffen? An und differenzierter Regionalschule. versität in der italienischen Schweiz in Lugano gen vorliegen, müssen die Ausländer eine strenge
ZEIT: Wie dienten denn Studien- dieser Stelle will ich auch noch ZEIT: Das klingt ja fast so wie der rot-grüne Koali- knöpft den Ausländern doppelt so viel wie den Aufnahmeprüfung bestehen. Die Schweizer brau-
gebühren dem Bildungsstandort mal festhalten: Jahrzehnte kosten- tionsvertrag in NRW. Inländern ab: 8000 Schweizer Franken. Innerhalb chen keine solche Prüfung abzulegen. Auch nach
Foto: Marco Urban

Deutschland? freien Studiums haben die Chan- Pinkwart: SPD und Grüne wollen die Schulen der Schweiz sorgt indes ein ausgeklügelter Finanz- dem Examen herrschen vergleichsweise rigide Vor-
Pinkwart: Bildungspolitik muss cengerechtigkeit nicht verbessert. über den goldenen Zügel in ihre Richtung ziehen. ausgleich dafür, dass die Hochschulen nicht auf schriften: In der Schweiz bleiben darf nur, wer eine
immer wieder deutlich machen, In den vergangenen Jahren da- So wie sie früher die Gesamtschule zulasten der an- ihren tatsächlichen Kosten sitzen bleiben. Besucht seiner Qualifikation gemäße Arbeit nachweist. Bei
dass gute Bildung ein Wert an gegen, seit Einführung der Stu- deren Schulformen bevorzugt haben, wollen sie etwa eine Studentin aus dem Kanton Graubünden der ETH in Zürich wird die Zahl der Bleibenden
sich ist, für den sich neben dem dienbeiträge, ist der Anteil der jetzt die Gemeinschaftsschule privilegieren. Gleich- die Universität Zürich, dann ersetzt der Kanton entsprechend als eher gering eingeschätzt.
staatlichen Engagement auch ei-
gene Anstrengungen lohnen. Et-
» Wenn wir den
Bildungsföderalismus
Arbeiterkinder unter den Erstse-
mestern gestiegen, auch hatten
zeitig muss künftig jede Schule sicherstellen, dass sie
die Schüler, die sie aufnehmen muss, auch zum Ab-
Graubünden dem Kanton Zürich einen großen
Teil der Studienfinanzierung.
Umso offensiver werben die Hochschulen um
ausländische Promovenden, denn die einhei-
wa durch maßvolle Studienbei- nicht korrigieren, wir Rekorde bei den Studien- schluss führt. Das ist das Ende des Gymnasiums, Anders bei den Ausländern: Studiert zum Bei- mischen Studenten interessieren sich immer we-
träge der Studierenden oder das wird er zum Strick, anfängern und Absolventen – und das lehnen wir ab: Wir wollen nicht, dass die spiel ein Deutscher in Zürich, Fribourg oder St. niger für ein Doktorstudium. So stammt unter den
Engagement der Wirtschaft für trotz Studienbeiträgen. Oder, wie Gymnasien mit ihrer fachwissenschaftlichen Orien- Gallen, gibt es aus Deutschland keinen Cent. Der Doktoranden schon jeder zweite von außerhalb
ein Stipendiensystem. Wenn Bund an dem wir ich sage: wegen der Studienbeiträ- tierung in den Gemeinschaftsschulen aufgehen. Kanton muss zahlen. Schon jetzt stellen die Deut- der Schweiz. In den Wirtschaftswissenschaften in
und Länder das große Ziel errei- unsere Zukunft ge. Das Teure am Studium sind Damit würden wir eine enorme Stärke unseres Bil- schen mit fast 30 Prozent die größte Gruppe der St. Gallen liegt der Ausländeranteil sogar bei fast
chen wollen, zehn Prozent der
Wirtschaftsleistung für Bildung
und Forschung auszugeben, dann
aufhängen « die Lebenshaltungskosten. Wenn
sich dank Beiträgen die Semester-
zahl durch einen effizienteren Ab-
dungssystems ohne Not aufgeben.
ZEIT: Gibt es etwas, das Sie Ihren früheren Kultus-
ministerkollegen mit auf den Weg geben wollen?
ausländischen Studenten, gefolgt von Franzosen
und Italienern. Und es dürften noch mehr werden,
droht doch durch die doppelten Abiturjahrgänge
70 Prozent, in den Naturwissenschaften an der
ETH Lausanne bei 68 Prozent. Die italienisch-
sprachige Uni Tessin berichtet von bis zu 90 Pro-
geht das neben zusätzlichen staatlichen Anstrengun- lauf nur um ein Semester verkürzt, sparen Sie so viel Pinkwart: Wenn wir weltweit weiter vorne mit- in Deutschland mancherorts ein noch stärkerer zent ausländischen Doktoranden in den Natur-
gen nur über die Mobilisierung privater Mittel. In an Lebenshaltungskosten, wie zehn Semester Beiträ- spielen wollen, dürfen die Langsamen nicht das Mangel an Studienplätzen. Die NZZ am Sonntag wissenschaften. Eine Zahl, die vermutlich der
Deutschland gibt es eine enorme Spendenbereit- ge kosten. Die jungen Leute können rechnen. Tempo vorgeben. Dafür brauchen die Länder Mut zitierte bereits in dicken Lettern den Leiter des mangelnden Qualität italienischer Hochschulen
schaft, aber bisher kaum im Bereich der Wissen- ZEIT: Die neue Koalition will auch innerhalb der und Geld. Es war richtig, dass Bund und Länder Rektorats der Eidgenössischen Technischen Hoch- geschuldet ist. So wird die Forschungsleistung der
schaft – ein unglücklicher Zustand im Land der Hochschulen nachsteuern. Das Ende des von Ih- sich auf die Schuldenbremse verständigt haben. schule (ETH) Zürich, Dieter Wüest: »Wir sind Ausländer zum Unterfutter der Universitäten.
Dichter und Denker. Die Zivilgesellschaft muss sich nen so gerühmten Hochschulfreiheitsgesetzes? Doch es wäre fatal, wenn sie jetzt so ausgelegt wür- nicht daran interessiert, für halb Europa die Auch wenn sie die Vorzüge der ausländischen
auch als Wissenschaftsgesellschaft begreifen. Pinkwart: Wenn es zur Kompetenzverlagerung de, wie Roland Koch es getan hat. Durch die Föde- Grundausbildung zu leisten.« Sein Kollege von der Promovenden zu schätzen wissen, wird die Debatte
ZEIT: In Wirklichkeit ist es doch so, dass die Idee von den Rektoraten und Präsidien zu den Hoch- ralismusreform sind die Länder Hauptträger der Uni Zürich haute in dieselbe Kerbe. um die Flut der ausländischen Bachelorstudenten
der Studiengebühren so gut wie tot ist, sobald mit schulsenaten und Ministerien kommen sollte, dann staatlichen Bildung geworden, doch die nötigen Tatsächlich ist die Schweiz für Europäer ein und die Frage, wie man sie eindämmen könnte,
NRW das bevölkerungsreichste Land sie abschafft. wird das tief greifende Folgen haben. Schwächere Finanzen, etwa durch ein eigenes Steuerheberecht, beliebtes Ziel. Als Bologna-Staat hat sie die euro- unter Schweizern heftig geführt. Großbritannien
Pinkwart: Ganz so ist es nicht. Selbst dann bleiben Hochschulleitungen bedeuten schwächere Hoch- sind ihnen verwehrt geblieben. Wenn wir das nicht paweit vergleichbaren Abschlüsse Bachelor und etwa erhebt höhere Studiengebühren für (Nicht-
mit Hamburg, Niedersachsen, Bayern und Baden- schulen, die wieder ans Gängelband der Bildungs- schleunigst ändern, wird der Föderalismus zum Master eingeführt, sie hat ein paar Weltklasse- EU-)Ausländer. Eine andere Lösung für die
Württemberg gewichtige Bundesländer, die Beiträge bürokratie kommen. Dabei sind die Rektoren ihren Strick, an dem wir unsere Zukunft aufhängen. hochschulen – und niedrige Studiengebühren. Schweizer Hochschulen wäre, weitere Aufnahme-
erheben. Und auf Dauer werden diese vier enorme gewachsenen Aufgaben in den vergangenen Jahren Schweizer Studenten gehen dagegen kaum ins prüfungen nach dem Vorbild St. Gallens ein-
Qualitätsvorteile haben. Wir sehen bereits in den zumeist hervorragend gerecht geworden. Das Gespräch führte JAN-MARTIN WIARDA Ausland. Sie genießen lieber die Exzellenz ihrer zuführen.

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