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Kunst und Ideologiekritik nach 1989 /

Art and Ideology Critique After 1989


Herausgegeben von / Edited by Eva Birkenstock, Max Jorge Hinderer Cruz,
Jens Kastner, Ruth Sonderegger

Kunsthaus Bregenz A r e n a
Publikationsreihe herausgegeben von / Series edited by
Eva Birkenstock & Yilmaz Dziewior

Arena 3
VORWORT
Bei den unabhängig von den großen Einzel- und Gruppenausstellungen realisierten Prä-
sentations- und Vermittlungsformaten der KUB Arena handelt es sich um interdisziplinäre
und theorieorientierte Veranstaltungen, die das Spektrum der Aktivitäten des Kunsthaus
Bregenz dezidiert erweitern. Nicht nur in Bezug auf die Form und den Inhalt setzt die KUB
Arena zusätzliche Schwerpunkte im Programm, sondern auch mit Blick auf die Kooperati-
onspartner und das Publikum werden hier neue Interessengruppen angesprochen.
Mit ihrem edukativen Ansatz steht die Sommerakademie zum Thema Kunst und Ideologie-
kritik nach 1989 exemplarisch für diese Vorgehensweise und pointiert die grundsätzliche
Ausrichtung des Kunsthaus Bregenz, dass Kunst nicht losgelöst als reine Form, sondern
immer gekoppelt an diejenigen gesellschaftlichen Verhältnisse vermittelt, in denen sie ent-
steht. In Zusammenarbeit mit dem Institut für Kunst- und Kulturwissenschaften der Akade-
mie der bildenden Künste Wien und Max Jorge Hinderer Cruz wurden in Bregenz ein Semi-
nar und eine Konferenz realisiert, bei denen Lehrende und Studierende aus Wien gemeinsam
mit internationalen Experten sowie einer lokal interessierten Öffentlichkeit in Vorarlberg
das komplexe Feld der Ideologiekritik aus unterschiedlichen Blickwinkeln in Lesegruppen
und Vorträgen diskutierten.
Die Ausstellungsinstitution wird so mit dem akademischen Feld verknüpft, und insbeson-
dere mit den jungen Teilnehmerinnen und Teilnehmern werden nachfolgende Generationen
angesprochen. Zudem wird durch deren Interesse und Beteiligung an der temporären Aka-
demie auf den grundsätzlichen Bedarf an akademischen Bildungseinrichtungen in Vorarl-
berg aufmerksam gemacht.
Abgesehen von diesem kulturpolitischen Aspekt ist der Schritt aus der eigenen Institution
hinaus von besonderer Bedeutung. Dieser findet sowohl im konkreten Sinn in Form von
Seminaren in der Bregenzer Villa Raczynski statt als auch im übertragenen Sinn als kriti-
scher Blick von außen auf die Kunst und das Ausstellungsgeschehen. Die Sommerakade-
mie bildete den Auftakt für Aktivitäten der KUB Arena, bei denen der eigene Ausstellungs-
ort, das Foyer des Kunsthaus Bregenz, verlassen wird, um jenseits des abgezirkelten
Kunstsystems in der näheren Umgebung Veranstaltungen zu realisieren. So fanden zum
Beispiel im Rahmen des Sommerprogramms der KUB Arena 2013 Zurück in die Zukunft
Veranstaltungen auf der Fähre Lochau und in der Bregenzer Diskothek Calypso statt. Dass
diese Orte auch andere Besucher generieren und bei ihnen Interesse am Programm des
Kunsthaus Bregenz wecken, ist ein positiver Nebeneffekt.
Das vorliegende Buch – bereits der dritte Band der Reihe Kunsthaus Bregenz Arena – geht
weit über eine Dokumentation der Veranstaltungen der KUB Arena Sommerakademie hi-
naus. Die bewusste zeitliche Entkoppelung der Sommerakademie von den nachfolgenden,
sich fast ein Jahr erstreckenden Diskussionen ermöglichte einen substanziellen Reader,
der weit mehr Informationen und Facetten inkludiert, als in der einwöchigen Veranstaltung
in Bregenz verhandelt werden konnten. Ähnlich wie die beiden zuvor entstandenen Bücher
On Performance und Anfang Gut. Alles Gut. Aktualisierungen der futuristischen Oper Sieg
über die Sonne (1913) hat auch die vorliegende Publikation das Potenzial zu einem Stan-
dardwerk der in ihr erläuterten Themenkomplexe.

Yilmaz Dziewior

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PREFACE
The KUB Arena’s discrete presentational and educational formats, realized independently
of larger in-house solo and group exhibitions, focus on interdisciplinary and theory-
oriented events that decidedly expand the spectrum of activities taking place in Kunsthaus
Bregenz. In addition to endowing the program with supplementary points of emphasis
in terms of form and content, the KUB Arena addresses new interest groups with an eye
toward the audience and toward cooperating partners.
With its educational approach, the Summer Academy on Art and Ideology Critique After
1989 is exemplary of this strategy, as it foregrounds the basic orientation of Kunsthaus
Bregenz: art communicates and mediates not as a pure, detached form, but rather in
interplay with the societal conditions that give rise to it. In collaboration with the Institute
for Art Theory and Cultural Studies, Academy of Fine Arts Vienna, and Max Jorge Hinderer
Cruz, a seminar and conference were realized in Bregenz, offering space in which professors
and students from Vienna could discuss the complex field of ideology critique in reading
groups and lectures from different points of view together with international experts
and local audiences from Vorarlberg.
Such an enterprise establishes links between the academic field and the exhibition setting,
and the presence of young participants in particular attests to an accommodation of
emerging generations. Furthermore, their interest and participation in the temporary
academy sheds some light on the fundamental need for academic educational institutions
in Vorarlberg. Aside from this cultural-political aspect, it is of crucial importance that we
take steps outside of our own institutions. This happens both in a concrete sense in the
form of seminars in the Bregenzer Villa Raczynski and in a metaphorical sense through
the undertaking of critical perspectives on art and mechanisms of exhibition. The Summer
Academy was the prelude for subsequent KUB Arena activities in which the exhibition
space, the Kunsthaus Bregenz foyer, was temporarily vacated in order to realize events
within its close surroundings, beyond the delineations of the art system. Activities on the ferry
Lochau and in the Bregenzer nightclub Calypso took place as part of the KUB Arena’s
2013 summer program, for example. The fact that these venues generate new visitors, and
among them an interest in the Kunsthaus Bregenz program, is one positive side effect.
The book before you—already the third volume of the Kunsthaus Bregenz Arena series
—goes far beyond a mere documentation of the KUB Arena Summer Academy events.
The deliberate temporal uncoupling of the Summer Academy from the following discussion,
which spans almost a year, enabled the production of a substantial reader that includes far
more facets and information than the one-week event in Bregenz could have moderated.
Similar to the two previously published volumes, On Performance and Anfang Gut. Alles
Gut. Actualizations of the futurist opera Victory Over the Sun (1913), this publication also
has the potential to become a definitive work among those engaged in its constellation
of themes.

Yilmaz Dziewior

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Kunst und
Ideologiekritik
nach 1989
Art and
Ideology Critique
After 1989
Yilmaz Dziewior
Vorwort
Preface . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5/6

Eva Birkenstock, Max Jorge Hinderer Cruz,


Jens Kastner, Ruth Sonderegger
Kunst und Ideologiekritik nach 1989
Art and Ideology Critique After 1989 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19/23

Max Jorge Hinderer Cruz, Ruth Sonderegger


Zur Kritik von Kritiken der Ideologiekritik. Genealogische Konstellationen
und Zeitdiagnosen
Towards a Critique of Critiques of Ideology Critique: Genealogical
Constellations and Diagnoses of Times (Zeitdiagnosen) . . . . . . . . . 27/51

INHALT I
GENEALOGISCHE KONSTELLATIONEN
CONTENTS GENEALOGICAL CONSTELLATIONS

Jan Rehmann
Ideologiekritik, Ideologietheorie und Poststrukturalismus –
eine Neubesichtigung
Ideology Critique, Ideology Theory, and Poststructuralism—
A Re-Evaluation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75/89

Jens Kastner
Ideologie und Habitus
Ideology and Habitus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103/105

Kerstin Stakemeier
Entkunstung diesseits der Kunst – Ideologiekritik, Autonomie
und Reproduktion
Deaesthetization This Side of Art—Ideology Critique, Autonomy,
and Reproduction . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107/119

Silvia Federici
Ideologie und Feminismus (Reproduktion)
Ideology and Feminism (Reproduction) . . . . . . . . . . . . . . . 131/134

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INHALT / CONTENTS

Jens Kastner, David Mayer Vesna Madžoski


Althusser andernorts. Anmerkungen zur Aneignung der Ideologietheorie Die Austreibung der Gespenster aus Europa. Die Manifesta, Biennale
im lateinamerikanischen Kontext für zeitgenössische Kunst, und die gescheiterte Rhetorik der Demokratie
Althusser elsewhere. Remarks on Applying Ideology Theory in Exorcising the Ghosts of Europe. Manifesta Biennial of
a Latin American Context . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137/147 Contemporary Art and the Failed Rhetorics of Democracy . . . . . . 265/279

Max Jorge Hinderer Cruz, Jens Kastner Ruth Sonderegger


Interview mit Alberto Híjar Serrano zu Kunst und „Wir hatten die Illusion, dass die Welt weniger gefährlich werden könnte“
Ideologiekritik in Mexiko nach 1968 Ruth Sonderegger im Gespräch mit Ágnes Heller und János Weiss über
Interview with Alberto Híjar Serrano on Art and Ideology Ideologie, Kunst und die Situation in Ungarn nach 1989
Critique in Mexico After 1968 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157/163 “We had the illusion that the world could become less dangerous”
Ruth Sonderegger in conversation with Ágnes Heller and János Weiss on
Ruth Sonderegger ideology, art, and the situation in Hungary after 1989 . . . . . . . . . 291/303
Ideologie und Subjektivierung
Ideology and Subjectivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169/172 Tom Holert
Ideologie und Kulturindustrie
Ideology and the Culture Industry . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315/317

II Merijn Oudenampsen
ZEITDIAGNOSEN Der Kulturkampf in den Niederlanden. Über eine Politik
DIAGNOSES OF OUR TIMES der Entkernung von Kultur
Dutch Culture Wars. On the Politics of Gutting the Arts . . . . . . . . 319/331
Diedrich Diederichsen
Das Jahrzehnt ohne Ideologiekritik Matthijs de Bruijne
The Decade without Ideology Critique . . . . . . . . . . . . . . . . 179/193 Ideologie und Arbeitsverhältnisse
Ideology and Labour Conditions . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341/345
Lea Susemichel
Ideologiekritik/-theorie & Feminismus Stephan Dillemuth
Theory/Critique of Ideology & Feminism . . . . . . . . . . . . . . . 205/208 Der arge Weg zur Erkenntnis. Dramatisierung eines Vortrags
über The Academy and the Corporate Public – in zwei Teilen
Eva Birkenstock The Hard Way to Enlightenment. Dramatization of a Lecture
Feminismus als Skizze und Übersetzung. on The Academy and the Corporate Public—in two Parts . . . . . . . 349/367
Ein Gespräch mit Ulrike Müller
Feminism as Sketch and Translation. Max Jorge Hinderer Cruz
A Conversation with Ulrike Müller . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211/227 Ideologie und Kontrolle
Ideology and Control . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383/386
Alice Creischer
Ideologische Erfahrung und Interventionen im Kunstkontext
in Deutschland nach 1989 BIBLIOGRAFIE / BIBLIOGRAPHY . . . . . . . . . . . . . . . . . 391
Ideological Experience and Interventions in the BIOGRAFIEN / BIOGRAPHIES . . . . . . . . . . . . . . . . . . .403
German Art Context After 1989 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241/253 IMPRESSUM / IMPRINT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413

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KUNST UND
IDEOLOGIEKRITIK NACH 1989

Für einige VertreterInnen des postmodernen Denkens war die Sache von vorn-
herein klar: Das „Ende der großen Erzählungen“ (Lyotard) und das „Ende der
Geschichte“ (Fukuyama) schienen das von Daniel Bell bereits 1960 propagier-
te und kontrovers rezipierte „Ende der Ideologien“ zu implizieren. Spätestens
der Epochenbruch von 1989/91 jedoch katapultierte die Meta-Erzählung
eines „Endes der Ideologien“ aus dem Feld der Theorie in den politischen All-
tag: Nach dem Zusammenbruch des so genannten Systemgegensatzes wurde
nicht nur die Vorstellung einer auf komplexen Ideen, Praktiken und System-
zwängen basierenden sozialen Wirklichkeit („soziale Marktwirtschaft“ und
„Sozialismus“) für beendet erklärt. Damit einhergehend etablierte sich das
Credo, die „Realität“ sei nun unverstellt und unvoreingenommen zugänglich
geworden. Zeitgleich verloren jene theoretischen Ansätze massiv an akade-
mischem und politischem Einfluss, die bis dahin – wie etwa die kritische
Theorie – ihre Aufgabe in der Kritik des Ideologischen gesehen und der Kunst
dabei eine besondere Rolle zugesprochen hatten. Stattdessen traten die
positivistischen Wirtschaftswissenschaften, Bio- und Neurowissenschaften
ihren akademischen, aber auch gesellschaftlichen Siegeszug an. In den Geis-
tes- und Sozialwissenschaften erhielten zudem die verschiedenen Spielarten
der Postmoderne, insbesondere der Poststrukturalismus, institutionellen
Aufwind. Dies konnte aus Sicht der zeitgenössischen materialistischen Kultur-
und Sozialtheorien nicht anders denn als eine Flankierung des Neoliberalis-
mus gesehen werden. Zumindest für einige VerfechterInnen der Ideologiekritik
war klar, dass gerade die Totsagung der Ideologien (und der Geschichte) deut-
lich machte, dass man an Ideologie als Kategorie und am ideologiekritischen
Handeln festhalten sollte. Deswegen besteht z. B. Terry Eagleton in einem Inter-
view mit der deutschen Wochenzeitung Die Zeit auch Mitte der 1990er noch
auf Louis Althussers pointierter Antwort auf die Verkündung des „Endes der
Ideologien“: „Es gibt keine ideologischere Annahme als die, man habe alle
Ideologie hinter sich gelassen.“ Andererseits zeigte sich nach 1989, dass
es gerade die poststrukturalistischen Ansätze waren, die mittels psychoanaly-
tischer, habitus- und praxistheoretischer Erweiterungen der Ideologietheorie
zum besseren Verständnis der neoliberalen Konstellation beitragen konnten.
Auf dieser damals möglicherweise einfach nur als „postmodern“ bezeichneten
Grundlage entwickelten sich auch und gerade innerhalb der internationalen

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KUNST UND IDEOLOGIEKRITIK NACH 1989

Kunstfelder der 1990er Jahre neue ideologiekritische Diskurse und Praxisan- dem Wettbewerb auf den freien Märkten der Kunst in keinem Widerspruch
sätze. Seither ist eine Tendenz der politisierten (künstlerischen) Kritik spürbar, mehr zu stehen scheinen. Die aktuelle Weltwirtschaftskrise und der damit
die sich in den letzten zwei Jahrzehnten auch zunehmend im institutionellen einhergehende Zusammenbruch des traditionellen bürgerlich-liberalen Werte-
Rahmen artikuliert; nicht immer widerspruchsfrei, aber auch nicht selten mit kanons legen es nahe, anhand von theoretischen Überlegungen und empiri-
dem Anspruch, sich dabei auf „strategische“ Weise ideologiekritisch zu posi­ schen Untersuchungen die Frage nach der Notwendigkeit von Ideologiekritik
tionieren. Wobei die Charakterisierung „strategisch“ oft nicht mehr, aber auch unter veränderten Bedingungen weiterzuentwickeln.
nicht weniger meint als den Wunsch, an die Ideologiekritik anknüpfen zu Das vorliegende Buch ist das Ergebnis ausgedehnter Diskussionen – nicht nur
können, auch wenn man weiß, dass sie nicht mehr als „notwendig falsches unter den HerausgeberInnen. Es basiert darüber hinaus auf einem Seminar
Bewusstsein“ begriffen werden kann. und einem Symposium, die im September 2012 im Rahmen der Sommeraka-
Die Zeit nach 1989 zeichnet sich vor allem durch einen breiten Methodenplu- demie in der KUB Arena des Kunsthaus Bregenz in Kooperation mit dem Insti-
ralismus der Kritik aus. Mit den Großausstellungen Magiciens de la Terre oder tut für Kunst- und Kulturwissenschaften der Akademie der bildenden Künste
der 3. Havanna Biennale (beide 1989) etabliert sich ein wichtiges Schlagwort Wien stattgefunden haben. Wir danken allen TeilnehmerInnen, Studierenden
der politisierten Neuansätze im Kunstfeld: De-Zentralisierung. Was vorder- und Vortragenden für ihre engagierten Beiträgen zu diesen Debatten. Als
gründig nur eine geografische Dimension bezeichnet, entwickelt sich im sel- Kollaboration verschiedener AkteurInnen im (Um-)Feld der zeitgenössischen
ben Moment zur Idee einer grundsätzlichen epistemologischen Alternative. Sie Kunst ist dieses Buch auch Ausdruck eines zunehmenden Interesses, sich
wird von Maßstäbe setzenden sozialen, technologischen und politischen Er- stärker mit denjenigen materiellen Wirklichkeiten auseinanderzusetzen, die
neuerungen flankiert (Techno, Internet, vernetzte und tanzende Globalisie- das „Kunstsystem“ als solches ausmachen. Seminar und Sommerakademie
rungsgegnerInnen etc). Im akademischen Mainstream und im institutionalisier- verorteten uns nach ausgiebigen Rekonstruktionen und genealogischen
ten Kunstfeld etablieren sich Cultural Studies, Gender Studies und Post Colo- Arbeiten zur Ideologiekritik vergangener Zeiten selbstverständlich auch selbst
nial Studies zu wichtigen Referenzen. Michel Foucault wird zum meistzitierten im Kontext bzw. als Symptom eines ideologischen Kunst/Wissen-Betriebs. Sie
Denker der Geisteswissenschaften und seine Theorien zum beliebten Ideen- machten aber auch deutlich, dass im Bereich der Ideologieforschung in der zeit-
spender für einen sich als postideologisch verstehenden Ausstellungsbetrieb. genössischen Kunst noch viel zu tun ist. Wir wollen mit diesem Buch keines-
Wellenartig folgen bald andere: Deleuze/Guattari, Rancière, Agamben, Latour wegs behaupten, dass das ideologische Kunst/Wissen-Feld aus der Perspek-
und andere, die vom Kunstbetrieb als Theorie-Superstars gefeiert und gern tive der Gegenwartskunst bereits lückenlos analysiert ist. Vielmehr hoffen wir
als kritisches Fundament für post-kritische Ausstellungen verwendet werden. mit diesem Buch einen bescheidenen Beitrag dazu leisten zu können, die
Diese Tendenz wird von der schrittweisen Privatisierung von Sammlungen, LeserInnenschaft überhaupt wieder für das Thema der Ideologiekritik sensi-
Museen- und Bildungsinstitutionen begleitet. Logiken der Privatisierung be- bilisieren zu können.
stimmen heute weitgehend unser Selbstverständnis in Bezug auf Anstellungs-
verhältnisse und den Maßstab unserer eigenen Produktivität. Das betrifft auch Eva Birkenstock, Max Jorge Hinderer Cruz, Jens Kastner und
die Produktion von kritischen Perspektiven im Bereich der Bildung. Ruth Sonderegger, Bregenz/Wien/Berlin, Juni 2013
Der erste Teil des vorliegenden Buchs entwickelt unter dem Titel Genealogische
Konstellationen einen historisch-systematischen Zugang zur Geschichte und
Gegenwart der Ideologiekritik. Dem zweiten Teil geht es mit dem Fokus Zeit-
diagnosen um eine Anbindung konkreter Untersuchungsgegenstände an die
jüngsten Entwicklungen und um einzelne Erfahrungsberichte im Feld der
Kunst heute. Damit wollen wir Rahmenbedingungen der künstlerischen Felder
überprüfen und ausfindig machen, ob von einem Paradigmenwechsel nach
1989 tatsächlich die Rede sein kann. Vor diesem Hintergrund sind für uns die
ökonomischen Umstrukturierungen von Kulturinstitutionen im Zuge heftiger
Etat-Kürzungen nach 2008 ebenso symptomatisch wie die Entwicklung von
Rhetoriken der „Kritikalität“, in internationalen Biennale-Formaten z. B., die mit

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ART AND IDEOLOGY CRITIQUE
AFTER 1989

For some proponents of postmodern thought, the matter was clear from the
outset: the “end of grand narratives” (Lyotard) and the “end of history”
(Fukuyama) seemed to imply the controversially received “end of ideology”
already propagated by Daniel Bell in 1960. By the time the epochal rupture of
1989/91 was underway, however, there was no question that the meta-
narrative of an “end of ideology” had now been catapulted out of the field of
theory and into political everyday life: after the collapse of the so-called clash
of ideologies, not only was the idea of a social reality that is based on complex
ideas, practices, and conformities (“social market economy” and “socialism”)
proclaimed to be at an end. Concomitantly, a new credo of “reality” established
itself, a now-accessible genuine and unbiased reality; and those theoretical
approaches, such as critical theory, that had hitherto been committed to the
critique of the ideological—while attributing to art a special role therein—
experienced an immense loss of academic and political influence. In their place,
the positivistic economic sciences, bio- and neurosciences set off on their
academic, but also societal, triumphal course. Moreover, in the humanities
and social sciences, different varieties of the postmodern, poststructuralism in
particular, gained an institutional tailwind. From the perspective of contemporary
materialistic theories of culture and society, this could be seen as none other
than a flanking of neoliberalism. At least for some advocates of ideology critique,
this death certificate for ideology (and history) made clear the necessity of
persevering with ideology as a category, and with ideology-critical action.
For this reason, Terry Eagleton, for example, in an interview with the German
weekly newspaper Die Zeit emphatically repeats Louis Althusser’s pointed
answer to the proclamation of the “end of ideology”: “There is no assumption
more ideological than the assumption that we have put all ideologies behind
us.” On the other hand, after 1989 it became apparent that poststructuralist
approaches could, by means of psychoanalytic, habitus- and practice-
theoretical elaboration, contribute to a better understanding of the neoliberal
constellation. On this foundation, which at the time was occasionally given the
simple designation “postmodern,” new ideology-critical discourses and
practical approaches evolved, especially within the international art fields of
the 1990s. Ever since, a tendency toward political (artistic) critique has been

23
ART AND IDEOLOGY CRITIQUE AFTER 1989

palpable, a tendency that has articulated itself increasingly within institutional Studies at the Academy of Fine Arts Vienna. Our thanks go to all participants,
frameworks over the last two decades, not always without contradictions, yet students, and lecturers for their dedicated contributions to these debates.
often with the aspiration to position oneself and one’s doings “strategically” As a collaboration between a range of different protagonists in the field of
and ideology-critically. Here, the characterization “strategic” often means contemporary art and its surroundings, this book is also an expression of
nothing more, but also nothing less, than the desire to have recourse to growing interest in the intensified examination of those material realities which
ideology critique, even if we know that “ideology” can no longer be understood combine to form the “art system” as such. With extensive reconstructions and
as “necessarily false consciousness.” genealogical papers on the ideology critique of times past, the seminar and
The time after 1989 is most notably characterized by a wide-ranging pluralism Summer Academy located us, as a matter of course, in the context at issue;
as concerns methods of critique. With the large-scale exhibitions Magiciens de we too became a symptom of an ideological art and knowledge enterprise.
la Terre or the third Havana Biennial (both in 1989), an important keyword for The seminar and academy also revealed, however, that much study remains to
politicized new approaches in the art field established itself: decentralization. be done in the area of ideology research in contemporary art. In no way do we
The concept of decentralization, which in the foreground denotes only a wish to claim with this book that the ideological field of art and knowledge has
geographic dimension, evolves in the same moment into an idea for a already been analyzed consistently and without interruption from contemporary
fundamental epistemological alternative, which is flanked by benchmark-setting art’s perspective. Instead, our hope is that this book can serve as a modest
social, technological, and political innovations (techno, the Internet, networked contribution in an effort to at least raise the readership’s awareness of ideology
and dancing opponents of globalism, etc.). Cultural Studies, Gender Studies, critique as a subject of study.
and Post-Colonial Studies establish themselves as important references in
the academic mainstream and in the institutionalized art field. Michel Foucault Eva Birkenstock, Max Jorge Hinderer Cruz, Jens Kastner, and
becomes the most quoted thinker of the humanities, and his theories are Ruth Sonderegger, Bregenz/Vienna/Berlin, June 2013
transformed into a popular source of ideas for an exhibition enterprise that
considers itself post-ideological. Others follow like a wave: Deleuze/Guattari,
Rancière, Agamben, Latour, etc., whom the art scene celebrates as theory
superstars and readily utilizes as critical foundations for post-critical exhibitions.
This tendency is accompanied by the gradual privatization of collections,
museums, and educational institutions. Today, logics of privatization to a large
extent define our self-conception when it comes to conditions of employment
and our own standards of personal productivity. This also applies to the
production of critical perspectives in areas of education.
Under the title Genealogical Constellations, the first part of this book develops
a historic-systematic entryway to the ideology critique of yesterday and today.
The second part focuses on Diagnoses of our Times, striving to link concrete
objects of examination—and individual testimonies—with recent developments
in the contemporary field of art. The current worldwide economic crisis
and accompanying collapse of the traditional civic and liberal canon of values
prompt us to broaden, under modified terms and on the basis of theoretical
reflections and empirical investigations, the question of the necessity of
ideology critique.
The book before you is the result of extensive discussions—not only among its
editors. Beyond that, it is based on a seminar and a symposium that took
place in September 2012 as part of the Summer Academy in the KUB Arena at
Kunsthaus Bregenz, in cooperation with the Institute for Art Theory and Cultural

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ZUR KRITIK VON
KRITIKEN DER IDEOLOGIEKRITIK.
GENEALOGISCHE
KONSTELLATIONEN UND
ZEITDIAGNOSEN
Max Jorge Hinderer Cruz, Ruth Sonderegger

1.  Wovon gehen wir eigentlich aus?

Warum hängen wir so am Ideologiebegriff und noch mehr an der Praxis der
Ideologiekritik? Warum erscheint uns das mit Blick auf 1989 immer wieder
behauptete Ende der Ideologien als skandalös? Was wollen wir eigentlich
ideologiekritisieren – im Kunstfeld und darüber hinaus? Welche künstlerischen
Praktiken missversteht man, wenn man sie nicht (auch) als Antwort auf Heraus-
forderungen der Ideologiekritik ernst nimmt? Sind künstlerische Praktiken
ausgezeichnete Modi der Ideologiekritik? Diese Fragen haben wir uns im Zuge
der Vorbereitung des Seminars und der Konferenz, die diesem Band zugrunde
liegen, immer wieder gestellt und sie haben sich uns im Lauf der Verfertigung
des Buches noch widerspenstiger in den Weg gestellt. Und diese Fragen bleiben.
Bereits im Vorfeld der Sommerakademie im Kunsthaus Bregenz hatten zwei
Fragen unsere Auseinandersetzung mit Kunst und Ideologiekritik nach 1989
geprägt. Die erste hatte mit unserem Interesse an der Geschichte und einer
möglichen Genealogie der Ideologiekritik zu tun: Wie weit muss man zurück-
gehen, um über Kunst und Ideologiekritik nach 1989 sprechen zu können?
Die zweite Frage bezog sich auf unseren Wunsch, Ideologiekritik nicht auf eine
rein theoretische Angelegenheit zu reduzieren, sondern auch in (künstlerischen)
Praxisformen zu verorten; d. h. den Wunsch, Ideologiekritik in Praktiken des
Kunstfelds der Gegenwart gerade dort sichtbar zu machen, wo sie ausgeblen-
det oder von herrschenden Repräsentationssystemen verdeckt wird. Wir kön-
nen beide Fragen in einer Einleitung nicht beantworten. Wir wollen aber skiz-
zieren, wie diese Fragen zuallererst ein Feld von Problemstellungen und
Verbindungen sichtbar gemacht haben, die uns im Verlauf unseres Projekts
u.a. auf einige der in diesem Band versammelten AutorInnen verwiesen haben.
Wie weit also in der Geschichte zurückgehen, um über Kunst und Ideologie­

27
ZUR KRITIK VON KRITIKEN DER IDEOLOGIEKRITIK

kritik nach 1989 sprechen zu können, ohne dabei gleich die halbe Philosophie- zuholen, allerdings nicht ohne uns auch damit auseinanderzusetzen, dass
geschichte der Neuzeit mit auf den Verhandlungstisch zu legen? Aus pragma- Althusser eine durchaus widersprüchliche Figur ist. Besonders interessant war
tischen Gründen haben wir beschlossen, die von Jan Rehmann als „ideolo- für uns, dass das theoretische Erbe Althussers immer wieder im Verhältnis zu
gietheoretische Wende“ beschriebene theoretische Neuorientierung der Ideo- Praxisformen in Anschlag gebracht wurde, die zum expertokratischen Wissen-
logiekritik in den 1960er Jahren als Ausgangspunkt zu nehmen und Louis schaftsverständnis Althussers bisweilen im krassen Gegensatz stehen, ohne
Althusser zu unserer zentralen Referenz zu machen. Denn bei Althusser, so dass dieser Gegensatz je aufgelöst worden wäre; wie wir später sehen werden,
scheint es, kommen besonders viele Themen zusammen, mit denen wir uns oft zuungunsten des Ideologiebegriffs selbst.
beschäftigt haben: eine Neuorientierung in der marxistischen Tradition, der Als wir in der letzten Septemberwoche 2012 mit unserem Seminar in Bregenz
historische Kontext um den Mai ’68 in Paris sowie das grundlegende Interesse begannen, setzte die Diskussion mit den Studierenden aus Wien und München
an einer materialistischen Wissenschaft, nicht zuletzt auch der Zusammenhang nicht 1989 an – auch nicht ’68 –, sondern 1956: mit dem Entstehen der soge-
von Kunst und Ideologie. Überhaupt, so predigt Slavoj Žižek auf der Buch- nannten Neuen Linken, ausgelöst durch die Reaktionen auf unterschiedliche
rückseite der letzten deutschsprachigen Pour Marx-Ausgabe (dt. Für Marx), politische Ereignisse nach dem 20. Parteitag der KPdSU in Moskau und der
ist Althusser „der große Abwesende der gegenwärtigen linken Theorie. Aufdeckung der Verbrechen des Stalinismus. Wir begannen bei der Nieder-
Obwohl sein Name nur selten erwähnt wird, sind die von ihm geprägten schlagung des Arbeiter- und Volksaufstands in Ungarn und dem Ausbruch des
Begriffe überall zu finden – von der Überdetermination bis zu den ideologischen arabisch-israelischen Konflikts samt der Suez-Krise (im gleichen Jahr) sowie
Staatsapparaten“.1 den globalpolitischen Interessen, die in die Suez-Krise mit hineinspielten. Im
Tatsächlich ist Althusser nicht nur in der zeitgenössischen (französischen) lin- Seminar wurde schnell deutlich, dass wir in einer Diskussion über Ideologiekri-
ken Theorie ein – in seiner An- und Abwesenheit – stets gegenwärtiger Denker, tik nicht umhinkonnten, die Ideologie selbst als wandelbare Kategorie im poli-
sondern er ist es auch in der heute etablierten (internationalen) Kunst- und tischen und theoretischen Diskurs zu begreifen. Vor dem Hintergrund der
Kulturtheorie. Er taucht als ausgewiesene Referenz bei so unterschiedlichen erschütternden geopolitischen Ereignisse, die in den Zweiten Weltkrieg führten,
AutorInnen wie Rosalind Krauss (z. B. in The Optical Unconscious, 1994) und sowie der Barbarei während des Zweiten Weltkriegs und den Ereignissen rund
Nicolas Bourriaud (z. B. in Relational Aesthetics, 1998) auf, steht an zentraler um 1956 musste der Ideologiebegriff (spätestens ab 1956) neu gedacht werden.
Stelle bei Fredric Jamesons berühmter Postmoderne-Kritik (The Cultural Logic In den Neuverhandlungen des Ideologiebegriffs auf internationaler Ebene
of Late Capitalism, 1991) und ist etwa mit seiner Figur der Interpellation (dt. und in den neuen Formen der politischen Bewegungen, wie sie sich nach
Anrufung) über DenkerInnen wie Judith Butler und Stuart Hall zudem zu einer 1956 – vielleicht am deutlichsten um 1968 herum – formierten, fanden wir einen
kanonischen Referenz in den Post-Colonial-, Cultural-, Gender- und Perfor- fruchtbaren Ansatzpunkt. Von dort aus versuchten wir nachzuvollziehen, ob
mance-Studies geworden. Darüber hinaus ist Althusser als implizite Referenz und wie die historischen auch mit epistemologischen Umbrüchen in Bezug auf
in vielen Werken seiner Wegbegleiter und Schüler präsent. Deren teilweise Kunst und Ideologiekritik zusammenhängen – nicht nur nach 1956 oder 1968,
späte Rezeption ist wiederum aus den Geisteswissenschaften seit den 1990er sondern eben auch nach 1989. Offensichtlich waren die Artikulationsformen
Jahren nicht mehr wegzudenken. Mehr noch als die Althusser näher stehen- von Kunst und Ideologiekritik, die nach 1956 – vor allem aber in den 1960er bis
den Pierre Macherey und Étienne Balibar betrifft das vor allem Theorie-Super- 1970er Jahren – im Feld der Kunst und im Zusammenhang mit Akteuren oder
stars wie Michel Foucault, Jacques Derrida, Pierre Bourdieu, Alain Badiou und Kollektiven der Neuen Linken entstanden, untrennbar verbunden mit der Erfin-
Jacques Rancière, die sich von Althusser abwenden oder sich sogar explizit dung von neuen Formen der künstlerischen Produktion, aber auch neuen For-
gegen Althusser in Stellung bringen. Für unser Vorhaben machte es also durch- men der Politik. Sie haben bis heute gültige Maßstäbe für das System „Zeitge-
aus Sinn, Althusser in den Mittelpunkt der theoretischen Überlegungen zurück- nössische Kunst“ gesetzt. So lassen sich auch Konsumkritik, Institutionskritik,
Repräsentationskritik, Rassismuskritik, feministische und Kolonialismus-kritik
in den Nachkriegsavantgarden nicht trennen von situativen Interventionen, von
1  Siehe Louis Althusser, Gesammelte Schriften, hg. von Frieder Otto Wolf, Bd. 3: Für Marx,
Performance und Happening, von der sogenannten „Dematerialisierung“ der
Frankfurt a. M. 2011. Das nicht weiter ausgewiesene Zitat Žižeks lautet vollständig: „Louis Kunstobjekte in ihren diversen Spielarten, von Minimal und Concept, Pop und
Althusser ist der große Abwesende der gegenwärtigen linken Theorie: Obwohl sein Name nur Op, Film- und Videokunst, Medienkunst und ihren Installationen im weitesten
selten erwähnt wird, sind die von ihm geprägten Begriffe überall zu finden – von der Über-
determination bis zu den ideologischen Staatsapparaten. Es ist an der Zeit, ihn dorthin zurück- Sinne, Environments etc.
zuholen, wo er hingehört: in den Mittelpunkt unserer theoretischen Kämpfe.“

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ZUR KRITIK VON KRITIKEN DER IDEOLOGIEKRITIK

Im Licht der vielfältigen Überschneidungen und gleichzeitigen strukturellen (1972) 3 die Autoren Gilles Deleuze und Félix Guattari in einem Interview. Sie
Erneuerungen von „Kunst und Ideologiekritik“ in den 1960er und 1970er Jah- referieren dabei auf die Ideologie als „falsches Bewusstsein“ – also auf jene
ren scheint es uns umso interessanter festzustellen, dass die Entwicklungen Formel, mit der Ideologie wohl am häufigsten umschrieben wird und die in der
in beiden Feldern seitdem keineswegs analog zueinander verlaufen sind. Dem- Kommunistischen Partei unangefochten als Paradigma erhalten geblieben
entsprechend haben wir uns in der Vorbereitung auf die Sommerakademie war: „Wir sagen nicht: die Ideologie ist Augenwischerei (oder ein Begriff, der
zum Thema Kunst und Ideologiekritik nach 1989 dafür entschieden, bei der gewisse Illusionen bezeichnet). Wir sagen vielmehr: es gibt keine Ideologie,
Ideologiekritik anzufangen; genauer gesagt bei der Kritik an der Ideologiekri- das ist ein illusorischer Begriff. Gerade deshalb kommt er der KP, dem ortho-
tik. Erst später haben wir uns wieder auf jenen Pfad begeben, den die kunst- doxen Marxismus, so gelegen. Der Marxismus hat dem Thema der Ideologien
feldimmanenten KritikerInnen – diejenigen, die der sogenannten Kritikalität des deshalb so große Bedeutung beigemessen, um besser kaschieren zu können,
Kunstfelds Namen und Gesichter geben – in den letzten 40 Jahren an der was in der UdSSR vor sich ging: die neue Organisation der repressiven Macht.“
Schnittstelle von Kunst und Kritik immer wieder abgegangen sind, und zwar in Und sie fügen hinzu: „Allenthalben begegnet man der uralten List: große ideo-
Verteidigung der ethischen und politischen Integrität der Kunst. Manche haben logische Debatte auf der Generalversammlung und den Fachkommissionen
es geschafft, trotz ihrer Praxis der expliziten (Ideologie-)Kritik einen festen vorbehaltene Organisationsfragen. Diese erscheinen zweitrangig, von den
Platz an prominenten Orten der zeitgenössischen Kunst und in Großausstel- politischen Optionen festgelegt. Während die realen Probleme dagegen die
lungen zu behalten: von Hans Haake über Andrea Fraser zu Hito Steyerl und Organisation betreffen, die aber weder erörtert noch rationalisiert, sondern in
der Gruppe Chto Delat, von Catherine David zu Okwui Enwezor. Denn viel- ideologische Termini projiziert werden.“ 4 Laut Deleuze/Guattari befindet sich
leicht zeichnet sich das Feld der Kunst mittlerweile gerade dadurch aus, dass die Welt in einem Zustand des Irreseins, „das in den Hospitälern keine Ent-
es seinen eigenen KritikerInnen einen besonders geschätzten Kanon der Aner- sprechung hat. Aber die Ideologie ist dabei völlig bedeutungslos: was zählt, ist
kennung widmet. Wir sagen es lieber gleich: Wir sind nicht mehr dazu gekom- nicht die Ideologie, nicht einmal die Unterscheidung oder der Gegensatz zwi-
men, eine repräsentative Übersicht der verschiedenen Artikulationen künstleri- schen ‚Ökonomischem‘ und ‚Ideologischem‘, sondern vielmehr die Organisa-
scher Ideologiekritik im Kunstfeld nach 1989 zu erstellen. Nicht einmal tion der Macht“.5 Nicht zuletzt sind derlei theoretische Aufteilungen – die Unter-
ansatzweise – falls wir das je wollten. Bald war uns klargeworden, dass das teilung der Gesellschaft und Produktion mittels der drei säuberlich voneinan-
eigentliche Sorgenkind im Seminar und bei der Konferenz nicht die Kunst war, der getrennten Kategorien „Politik, Ökonomie und Ideologie“ (wie sie Friedrich
der schien und scheint es gut zu gehen. Unsere Sorge galt vor allem der Ideo- Engels vorschlug) – und verhärtete binäre Konstruktionen wie Basis/Überbau,
logiekritik. Denn, so stellt Balibar treffend fest: Produktion/Reproduktion etc. für Deleuze und Guattari deshalb unannehmbar,
weil für sie die Ideologie genauso wenig restlos im „Überbau“ aufgeht, wie der
Ganz offensichtlich hat die Philosophie Marx niemals seinen Begriff Wunsch (und das Leben) restlos in der „Reproduktion“ aufgeht. Vielmehr
der Ideologie vergeben: Sie hat niemals in ihren Bemühungen nachge- begründen diese theoretischen Aufteilungen (und andere Leitmotive der Partei-
lassen, zu zeigen, dass es sich um eine begriffliche Fehlkonstruktion ideologie ihrer Zeit) eine praktische Komplizenschaft mit einem repressiven System,
handelt, die keine eindeutige Bedeutung aufweist, und durch die Marx dem des Sowjetkommunismus, der für Deleuze/Guattari zum Kapitalismus und
in Widerspruch mit sich selbst gerät.2 der liberalen Marktwirtschaft keine annehmbare Alternative darstellt. Bei den
Revolten um 1968 ging es aber oftmals genau darum: um Alternativen.
Offensichtlich ist die Ideologiekritik auch um 1968 herum massiv unter Beschuss Man muss den Anti-Ödipus nicht gelesen haben, um zu verstehen, dass die
geraten. Eine der grundlegenden Charakteristika der Neuen Linken bestand in Absage an die Ideologie als relevante Kategorie der Kapitalismuskritik auch
ihren radikalen Absagen an die „alte“, orthodoxe Linke und somit auch an als performative Stellungnahme zu verstehen ist, als Intervention im politi-
eines ihrer Lieblingsthemen: die Ideologie. Das angebliche Scheitern der schen Diskurs und als unmissverständliche Geste der Abgrenzung gegenüber
Revolten von 1968 wird ebenso gebetsmühlenartig als Grund für diese Welle dem orthodoxen Marxismus. Diese Geste teilen Deleuze und Guattari mit vie-
der Kritik an der sich auf Marx berufenden Ideologiekritik angeführt wie das
Bekanntwerden bzw. Zur-Kenntnis-Nehmen der stalinistischen Verbrechen. 3  Gilles Deleuze und Félix Guattari, Anti-Ödipus, Frankfurt a. M. 1977.
In diesem Sinn äußern sich ein Jahr nach dem Erscheinen von Anti-Ödipus 4  Siehe Gilles Deleuze und Félix Guattari, „Über den Kapitalismus und den Wunsch“, in: Gilles
Deleuze, Die einsame Insel. Texte und Gespräche 1953–1974, Frankfurt a. M. 2003, S. 381–397,
hier S. 383–384.
2  Étienne Balibar, Marx’ Philosophie, Berlin 2013, S. 76. 5  Ebd.

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ZUR KRITIK VON KRITIKEN DER IDEOLOGIEKRITIK

len DenkerInnen ihrer Zeit. Ähnlich wie Foucault oder Bourdieu sollten später die Ideologiekritik verdeckt. Zumindest in Bezug auf Althusser ist es deshalb
auch Deleuze und Guattari wieder vermehrt auf die Kategorie des Ideologischen falsch, eine bestimmte Kritik an der Ideologiekritik lediglich als Verarbeitung
Bezug nehmen, wenn sie diese auch in neuen Begriffen zu fassen versuchten, der – angeblich gescheiterten – revolutionären Ereignisse von 1968 zu interpre-
so z. B. mit den Begriffen des „Habitus“ (Bourdieu) oder der „Gouvernemen- tieren. Es ist auch deshalb falsch, weil Althusser viel daran gelegen ist heraus-
talität“ (Foucault). Guattari seinerseits schlägt vor, methodologisch „Ideologie“ zuarbeiten, dass bereits Marx gegen ein vereinfachtes Ideologieverständnis
durch „Produktion von Subjektivität“ zu ersetzen und nähert sich damit trotz argumentiert hat, an dem Marx selbst freilich nicht vollkommen unschuldig war.
der Absage an den Begriff der Ideologie zweifellos wieder an Althussers ideo- So ist zumindest in manchen Texten von Marx polemisch vereinfachend davon
logische Staatsapparate an. Viel unmittelbarer jedoch scheint Guattaris „Pro- die Rede, dass die ökonomische (materialistische) Basis den ideologischen
duktion von Subjektivität“ an Althussers frühere Überlegungen zu Ideologie (ideellen) Überbau schlicht und einfach determiniert. Inbegriff dieser unter-
und der „Produktion von Bewusstsein“ im Verhältnis zur Kunst in Für Marx komplexen Verhältnisbestimmung zwischen materialistischer Basis und Ideo-
anzuschließen, wobei die Auseinandersetzung mit Kunst und Ideologie – nach logie ist in den Augen Althussers die Bemerkung von Marx: „Die Handmühle
Balibars Einschätzung – das „eigentliche theoretische und geometrische Zentrum“ ergibt eine Gesellschaft mit Feudalherren, die Dampfmühle eine Gesellschaft mit
von Für Marx darstellt.6 industriellen Kapitalisten.“ 9 Althusser zufolge sollte man diese Karikatur aller-
dings so schnell wie möglich fallen lassen, denn „[…] wie viele unwiderlegbare
Texte gegen den Ökonomismus stehen da diesem [einen] nur allzu berühmten
2.  Welche (Geschichte der) Ideologiekritik meinen wir? Text über die Dampfmaschine gegenüber!“ 10 Vor diesem Hintergrund geht es
Althusser in den Aufsätzen seines Buchs Für Marx darum, einen anderen Marx
Bereits in den frühen 1960ern, als viele hämisch den Tod von Marx verkünde- in Erinnerung zu rufen bzw. zugänglich zu machen – einen nicht deterministi-
ten, arbeitet insbesondere Louis Althusser an einer neuen Fassung marxisti- schen und einen insofern anti-hegelianischen, als er die Opposition zwischen
scher Ideologiekritik – jedoch nicht als Antwort auf die damals überlaut vorge- zugrunde liegendem Wesen und davon abzuleitenden Erscheinungen hinter
tragenen Abgesänge auf Marx. Althussers 1965 erschienene Aufsatzsammlung sich lässt, und zwar ganz grundsätzlich, unabhängig davon, ob man – wie Hegel 
Für Marx macht deutlich,7 dass er schon seit einiger Zeit mit dem Projekt – das Geistige zum Wesen erklärt oder – wie gewisse reduktionistische Marxi-
befasst war, die Marx’sche Ideologiekritik zu transformieren. Die Tatsache, sten – die materiellen Verhältnisse zur alles determinierenden Grundlage macht.11
dass Althusser in seinem wohl bekanntesten Text zur Ideologie – in Ideologie Verabschiedet man die Dichotomie von Wesen und Erscheinung, so gibt es
und ideologische Staatsapparate 8 – auch auf die Ereignisse von 1968 reagiert, weder eine Einbahnstraße vom Geist zur Materie noch eine von den ökonomi-
hat seine schon viel früher begonnene Transformationsarbeit in Bezug auf schen Verhältnissen zu den mentalen (ideologischen) Begleiterscheinungen.
Determinationen wirken wechselseitig und werden vielfältig, ja polymorph. In
diesem Sinn hält Althusser in Widerspruch und Überdetermination (1962) fest:
6  Siehe Louis Althusser, „Das Piccolo Teatro – Bertolazzi und Brecht. Bemerkungen über ein
„Bei Marx verschwindet die Vorstellung von der stillschweigenden Identität […]
materialistisches Theater“, in: ders., Für Marx (1965), aus dem Französischen von Werner Nitsch
u. a., hg. von Frieder Otto Wolf, Frankfurt a. M. 2011, S. 161–190, hier S. 190. Trotz der geringen zwischen dem Ökonomischen und dem Politischen; sie wird durch eine neue
akademischen Beachtung, die dieser Text gefunden hat, stellt Étienne Balibar im Vorwort der
französischen Neuauflage von Pour Marx 1996 fest, dass der „Piccolo Teatro“-Text das „eigent-
liche geometrische und theoretische Zentrum“ von Pour Marx sei. Dabei ist – wie Warren Montag 9  Marx, Karl/Friedrich Engels, Marx-Engels-Werke (MEW), Bd. 4, hg. vom Institut für
in Bezug auf Balibars Aussage suggeriert – aufschlussreich, dass die Schriften Althussers über Marxismus-Leninismus beim ZK der SED, Berlin/DDR 1957ff., S. 30; Louis Althusser,
Kunst vielleicht weniger Einblicke in das Wesen oder die Entwicklung der Kunst bieten können. „Widerspruch und Überdetermination“, in: ders., Für Marx, wie Anm. 6, S. 105–160, hier S. 132.
Vielmehr ermöglichen sie einen tieferen Einblick in die frühe Ideologietheorie Althussers und 10  Ebd., S. 133. Auf eine analoge Stelle (MEW 3) beim sehr jungen Marx weist János Weiss im
damit auch einen „neuen Zugang“ zu seinen Gedanken. Auf einen solchen neuen Zugang lässt Gespräch mit Ágnes Heller hin. Vgl. das in diesem Band abgedruckte Gespräch.
sich deshalb spekulieren, weil Montag in seiner Re-Lektüre Althussers dessen wenig rezipierte 11  Althussers oft beschworener Anti-Hegelianismus (zugunsten Spinozas) ist allerdings durch-
Texte zur Kunst in den Vordergrund rückt, obwohl sein Anliegen nicht darin besteht, Althusser als aus einer Überprüfung wert. Wie Katja Diefenbach feststellt, kann gerade Althussers Begriff der
Kunst- oder Literaturkritiker zu etablieren. Montag geht es vielmehr um die Entwicklung von Überdetermination nicht zuletzt auch im Zeichen Hegels gelesen werden. Darauf weist Diefenbach
Althussers Ausführungen zur Ideologie. Vgl. Warren Montag, „Towards a New Reading of Louis in ihrem Text „Althusser with Deleuze: how to think Spinoza’s immanent cause“ anhand von Jean
Althusser“, in: ders., Louis Althusser, Houndmills Basingstoke 2003, S. 16–71, hier S. 23. Hyppolites Hegel-Lektüre hin, die für Althusser (und andere französische TheoretikerInnen)
7  Eine Neuausgabe der deutschen Fassung ist 2011 erschienen: Louis Althusser, Für Marx, wie als von entscheidendem Einfluss gelten können. (In: Katja Diefenbach, Sara Ferris, Gal Kirn und
Anm. 6. Peter Thomas (Hg.), Encountering Althusser. Politics and Materialism in Contemporary Radical
8  Louis Althusser, Ideologie und ideologische Staatsapparate, 1. Halbband, hg. von Frieder Thought, New York/London 2013, S. 165–184, hier insbes. S. 170–173.) Warren Montag verweist
Otto Wolf, Hamburg 2010. darauf, dass Pierre Macherey bereits 1965 in einem Briefwechsel mit Althusser von durchaus

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ZUR KRITIK VON KRITIKEN DER IDEOLOGIEKRITIK

Auffassung des Verhältnisses der determinierenden Instanzen im Komplex logie und ideologische Staatsapparate von 1970 erläutern, sondern, trotz all
Basis und Überbau ersetzt“.12 Etwas später ist im gleichen Aufsatz von der „rela- seiner Fehler, den theoretisch weniger ausgefeilten Band Für Marx von 1965,
tive[n] Autonomie der Überbauten und ihre[r] spezifische[n] Wirksamkeit“ die der meines Erachtens schöpferischer und origineller ist, vielleicht weil er vor-
Rede.13 Vor diesem Hintergrund ist die bekannte These Althussers in Ideologie sichtiger operiert. Insbesondere der Essay Widerspruch und Überdeterminie-
und ideologische Staatsapparate (1970) zu verstehen, wonach für die Aufrecht- rung denkt genau über komplexe Formen der Determinierung nach, ohne sie
erhaltung der bestehenden Produktionsverhältnisse Repression und physische auf eine einfache Einheit zu reduzieren. […] Indem es uns ermöglichte, über
Gewalt nicht ausreichen bzw. nicht zielführend sind; dass vielmehr nur das verschiedene Ebenen und verschiedene Arten der Determinierung nachzuden-
Zusammenspiel der repressiven mit den sogenannten ideologischen Staats- ken, gab uns Für Marx, was uns Das Kapital lesen nicht gab: Die Fähigkeit, […]
apparaten zu dem Ziel führt, die bestehenden Produktionsverhältnisse zu bestimmte ideologische Formationen (Humanismus) als von mehr als einer
reproduzieren: „Wie Marx sagte, weiß jedes Kind, dass eine Gesellschaftsfor- Struktur determiniert zu sehen (das heißt, den Prozess der Überdeterminierung
mation, die nicht zur gleichen Zeit, wie sie produziert, auch ihre Produktionsbe- zu denken).“ 17 Mit anderen Worten: Hall interessiert sich für jenen Althusser
dingungen reproduziert, kein Jahr überleben würde.“ 14 Mit anderen Worten: und jenen Marx, die den Ökonomismus ebenso hinter sich gelassen haben wie
ohne Schulen, Universitäten, Rechtssysteme, aber auch Religionen und Künste den Klassenreduktionismus, wonach die ideologische Position einer Klasse auto-
etc. könnten die herrschenden kapitalistischen Produktionsverhältnisse nicht matisch ihrer Position in der Produktion entspricht. Es handelt sich um einen
bestehen – geschweige denn bestehen bleiben. Marx und einen Althusser, die sich gegen die Einsicht wenden, „die man aus
An die unorthodoxen Marx-Lektüren Althussers knüpft in der Folge unter Marx/Engels Die deutsche Ideologie bezogen hat, dem Grundtext der klassischen
anderen Stuart Hall an; und zwar im Wissen darum, dass die meisten Althuss- Ideologietheorie des Marxismus: Dass herrschende Ideen immer mit der Posi-
er-Schüler – am prominentesten wohl Bourdieu, Foucault und Rancière – sich tion der herrschenden Klasse übereinstimmen; dass die herrschende Klasse
vehement vom Begriff der Ideologie und von der Ideologiekritik als theoreti- als Ganzes ein eigenes Bewusstsein hat, das sich in einer bestimmten Ideologie
scher Herausforderung distanzieren. Hall knüpft an jenen Althusser an, der die festmachen lässt“.18
orthodoxen und bekanntesten Thesen von Marx zur Ideologie, wie dieser sie Am Althusser der Staatsapparate hebt Hall die Weiterentwicklung des Gedan-
vor allem in Die deutsche Ideologie formuliert hat, als Polemik relativiert und kens der (teilweisen) Autonomie und der determinierenden Kraft des soge-
einen Marx dagegen hält, der mehrfache Determinationen ohne letzte Instan- nannten Überbaus hervor und er schätzt außerordentlich, dass Althusser in
zen und Garantien zulässt.15 Viel wichtiger als die orthodoxen und polemischen den Überlegungen zu den ideologischen Staatsapparaten den Praktiken im
Thesen von Marx (und Engels) sind für Hall etwa Marx’ methodische Überle- Allgemeinen und der Sprachpraxis im Besonderen ein bis dahin unbekanntes
gungen in den Grundrissen.16 Damit entscheidet er sich nicht nur für einen Gewicht einräumt.19 Denn mit diesen Praktiken kommen Strukturen in den Blick,
bestimmten, und zwar den unorthodoxen Marx, sondern gibt auch dem frühen, die aufgrund ihrer Vieldeutigkeit niemals vollständig und damit auch nie ein-
unorthodoxen Althusser gegenüber dem Althusser der ideologischen Staats- deutig determiniert sind. Hall zufolge eröffnet die Konzeption von Ideologien
apparate den Vortritt: „Deshalb möchte ich im Folgenden nicht den proto- als Praktiken sogar Handlungsspielräume, die Althusser selbst in seinem Buch
Lacan’schen, neo-Foucault’schen, prä-Derrida’schen Text von Althusser Ideo- zu den ideologischen Staatsapparaten leugnet, indem er die Staatsapparate
dort so funktionalistisch konzipiert, dass sie die bestehenden Produk­tionsver-
hältnisse reibungslos reproduzieren. Sie bringen am laufenden Band Subjekte
Hegel’schen Implikationen der Theorie Althussers spricht. Siehe dazu Montags Einleitung zu der
von ihm herausgegebenen Schriftensammlung Machereys In a Materialist Way. Selected Essays hervor, die die bestehenden Praktiken bestätigen und fortsetzen. Bekanntlich
by Pierre Macherey, New York/London 1998, S. 7–8. Die AutorInnen danken Katja Diefenbach für scheitert die Anrufung der Althusser’schen Subjekte seitens der ideologischen
diesen Hinweis.
12  Louis Althusser, „Widerspruch und Überdetermination“, wie Anm. 9, S. 137.
Staatsapparate nie, zumindest scheint diese Variante für Althusser nicht von
13  Ebd. Interesse, sondern führt geradezu zauberhaft zu den gewünschten Antworten
14  Louis Althusser, Ideologie und ideologische Staatsapparate, wie Anm. 8, S. 37. und Handlungen. Nicht ohne Grund wird in Judith Butlers Ausei­nandersetzung
15  Vgl. Stuart Hall, „Ideologie und Ökonomie. Marxismus ohne Gewähr“ und „Bedeutung,
Repräsentation, Ideologie. Althusser und die poststrukturalistischen Debatten“, beide in: Stuart
Hall, Ideologie, Identität, Repräsentation, Ausgewählte Schriften 4, hg. von Juha Koivisto und 17  Stuart Hall, „Bedeutung, Repräsentation, Ideologie“, wie Anm. 15, S. 37.
Andreas Merkens, Hamburg 2004, S. 8–65. 18  Ebd., S. 42. Ähnlich knüpft auch Warren Montag an Für Marx an, und zwar zulasten der in
16  Diesen methodischen Bemerkungen in den Grundrissen hat Hall auch einen instruktiven der Rezeption im Vordergrund stehenden Theorie der ideologischen Staatsapparate. Vgl. Warren
Aufsatz gewidmet: „Marx’s notes on method: A ‚reading‘ of the 1857 Introduction“, in: Cultural Montag, Louis Althusser, wie Anm. 6; vgl. auch Katja Diefenbach u. a., wie Anm. 11.
Studies 17 (2), 2003, S. 113–149 (Erstveröffentlichung 1974). 19  Vgl. Jens Kastner, „Ideologie und Habitus“, abgedruckt in diesem Band.

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ZUR KRITIK VON KRITIKEN DER IDEOLOGIEKRITIK

mit Althusser die zentrale Frage lauten, ob und wie man im Angesicht der ideo- Das könnte man zunächst noch so verstehen, als ginge es um einen möglichst
logischen Staatsapparate ein „schlechtes“, d. h. ein widerständiges Subjekt vollständigen oder adäquaten Begriff eines bestimmten Sachverhalts oder
werden kann.20 Verhältnisses. Doch hier bleibt Hall nicht stehen. Sein ideologiekritisches Kon-
Aber kehren wir zurück zu Stuart Hall, in dem Butler merkwürdigerweise kei- zept der Neu-Artikulation (die immer auch eine Des-Artikulation impliziert) ana-
nen Komplizen in Sachen schlechte, widerständige Subjekte sieht. Hall zufolge lysiert bedeutungsgenerierende Ketten von Konnotationen und aufeinander
findet man schon bei Marx und erst recht bei Althusser ausreichend Bausteine verweisende Handlungen, die wiederum mit Begriffen ebenso verbunden sind
für eine überzeugende Ideologiekritik, d. h. für eine Ideologiekritik, die weder wie mit Bedeutung generierenden kollektiven Praxisformen (z. B. sozialen Bewe­
die ausgebeuteten Massen noch die Kapitalisten „wie erklärte Deppen ausse- gungen, aber auch konsumorientierten Subkulturen im Verhältnis zur Musikin-
hen“ lässt,21 was eben dann der Fall wäre, wenn eine ökonomische Struktur dustrie etc.). Halls Analyse zielt dabei nicht nur auf die mehrfache Determinie-
gleichermaßen das vorgeben würde, was die kapitalistischen Profiteure denken, rung von Praxisstrukturen ab; er weist auch auf Vereinseitigungen hin, denen
wie das, was die nicht nur Ausgebeuteten, sondern auch über ihre wahren sie gleichzeitig zu unterliegen scheinen. Hall benennt in dieser Hinsicht explizit
Wünsche und Überzeugungen Getäuschten glauben. die Determinierung durch rassifizierende, klassierende und gendernde Struk-
Halls Vorschlag lautet: Statt das ideologische Bewusstsein, wie es sich immer turen.24 Die Des- und Neu-Artikulation geht in einer bloßen Analyse jedoch
auch materiell in Praktiken manifestiert, als vollkommen falsch zu beschreiben, nicht auf. Sie ist immer auch eine Positionierung in einem Kampf um alterna-
sollte man (im Anschluss an Marx) viel eher von einem verzerrten Bewusstsein tive Verständnisse und alternative Verkörperlichungen in Praxisformen. Damit
oder auch von strukturellen Halb-Wahrheiten sprechen,22 die ganz bestimmte schließt Hall sowohl an Gramscis Konzept der Hegemonie an, das schon
Aspekte eines Sachverhalts – etwa, um beim Master-Beispiel von Marx zu blei- Althusser als wesentliche Neuartikulation der Marx’schen Ideologiekritik ins
ben, den Produktionsaspekt der kapitalistischen Ökonomie – ausblenden. Spiel gebracht hatte,25 als auch an die Weiterentwicklung des Gramsci’schen
Unter dieser Prämisse kann eine Analyse der bestehenden Praktiken und der Ideologieverständnisses bei Ernesto Laclau. In Bezug auf Valentin Volosinov
zu ihnen gehörigen Bewusstseinsformen nicht mehr getrennt werden von der spricht Hall davon, dass die „Multiakzentuierung des ideologischen Zeichens“
Neuartikulation des gleichzeitig analysierten, kritisierten und transformierten einen „Klassenkampf in der Sprache“ möglich mache. 26 Eben diese Multiak-
Sachverhalts. Die Grundlage für ideologiekritische Neu-Artikulationen im Sinne zentuierung kann man jedoch auch gegen Althussers Theorie der bruchlos
Halls, die man von Des-Artikulationen und Strategien des aktiven Verlernens funktionierenden Staatsapparate wenden, und Hall tut das explizit: „Die sozi-
nicht trennen kann, ist die Einsicht, dass alle Verhältnisse und Sachverhalte ale Reproduktion als solche wird zum umstrittenen Vorgang“,27 anstatt von
verschieden ausgedrückt und die Ausdrücke wiederum verschieden interpre- den ideologischen Staatsapparaten einfach bruchlos vollzogen zu werden.
tiert werden können, also immer bewusste und unbewusste Lücken aufweisen: Halls Trick besteht wie gesagt darin, aus Für Marx – auf nur scheinbar wider-
„Aber – und damit bewegen wir uns möglicherweise im Gegensatz zu der sprüchliche Weise – einen jüngeren, zugleich aber poststrukturalistischeren
Emphase dessen, womit ‚Materialismus‘ gewöhnlich assoziiert wird – ​die öko- Althusser herauszufiltern, der die strukturelle Determination multidirektional denkt.
nomischen Verhältnisse können nicht von sich aus eine bestimmte, festgelegte Diesen poststrukturalistischen Althusser wendet er dann gegen den determinis­­­­­
und unveränderliche Art und Weise vorschreiben, um sie begrifflich zu erfas- tischen Strukturalisten der Ideologischen Staatsapparate. In Halls Re-Lektüre
sen. Es kann in unterschiedlichsten ideologischen Diskursen ausgedrückt ist dieser frühe Althusser gleichzeitig – auch das auf nur scheinbar widersprüch-
werden. […] Auch haben wir die Unterscheidung ‚wahr‘ und ‚falsch‘ verworfen liche Weise – anschlussfähig an die metalinguistische Variante der Ideologiekri-
und durch andere, genauere Ausdrücke wie ‚partiell‘‚ ‚adäquat‘ oder ‚einseitig‘ tik à la Ernesto Laclau, die Ideologie als prinzipiell sprachlich konstituiert und
und ‚in seiner differenzierten Totalität‘ ersetzt.“ 23 performativ funktionierend begreift. Ideologie kann demzufolge bei Laclau und
in Halls Lesart des frühen Althusser niemals als beständig angenommen werden.
Vielmehr reproduziert sie sich über die erwähnten bedeutungsgenerierenden
20  „Here one might usefully conjecture that the reason there are so few references to ‚bad Ketten von Signifikanten, welche ihrerseits tendenziell unendlichen Verschie-
subjects‘ in Althusser is that the term tends toward the oxymoronic. To be ‚bad‘ is not yet to be a
subject (…).“ Judith Butler, „Conscience Doth Make Subjects of Us All. Althusser’s Subjection“, bungen unterliegen. Gleichzeitig ist Halls Althusser auch anschlussfähig an
in: Judith Butler, The Psychic Life of Power, Stanford/CA 1997, S. 106–131, hier S. 118f. Vgl. auch
Ruth Sonderegger, „Ideologie und Subjektivierung“, abgedruckt in diesem Band. 24  Stuart Hall, „Bedeutung, Repräsentation, Ideologie“, wie Anm. 15, S. 51.
21  Stuart Hall, „Ideologie und Ökonomie. Marxismus ohne Gewähr“, wie Anm. 15, S. 16. 25  Louis Althusser, „Widerspruch und Überdeterminierung“, wie Anm. 9, Fußnote 29, S. 140f.
22  Ebd., S. 22f. 26  Stuart Hall, „Bedeutung, Repräsentation, Ideologie“, wie Anm. 15, S. 27 und S. 65.
23  Ebd., S. 25. 27  Ebd., S. 64.

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ZUR KRITIK VON KRITIKEN DER IDEOLOGIEKRITIK

diejenigen post-ideologischen Theorien, die für die Analyse der Organisation seiner karibischen Herkunft in Jamaica einerseits und in Großbritannien ande-
von Macht alternative Kategorien jenseits der Ideologiekritik zu finden versuchen rerseits als „schwarze“ Person ausgesetzt war: Im konkreten Moment der
und eine unverkennbare Gemeinsamkeit besitzen: Ihnen allen liegen Katego- Anrufung (als „schwarzes“ Subjekt) entlädt sich die stete Bedeutungsverschie-
rien der Praxis, des Lebens, Erlebens oder der Erfahrung zugrunde – oft mit bung und sprachliche Verkettung als Moment der Gewalt und findet so zu einem
unmittelbarem Bezug auf Körper, Sinnlichkeit und/oder Subjektivität. Deleuze’/ willkürlichen Abschluss (arbitrary closure); und zwar an genau jenem Ort, wo
Guattaris Begriffe „Wunschmaschine“ und „Segmentarität“ 28, Foucaults „Zu- das als schwarz angerufene Subjekt auftritt, indem man es in einen historisch-
sammenschließung, Taktung und Durcharbeitung der Körper“ 29, aber ebenso ideologischen Kontext zwingt – den Kontext der Sklaverei und der vermeintlich
sein „Dispositiv der Sexualität“ oder die „Biomacht“ als Spielart gouverne- freien Verfügbarkeit der eigenen Arbeitskraft in der liberalen Arbeitsteilung
mentaler Menschenführung, Bourdieus „Habitus“ und Rancières „Aufteilung  – und das angerufene Subjekt sich „umdreht“ oder eben nicht.31
des Sinnlichen“ – sie alle teilen, mal mehr, mal weniger, eine tendenziell aisthe- Mit dem methodologisch entscheidenden Begriff der ideologischen Halbwahr-
tische Alternative zu einem Ideologieverständnis, das Ideologie mit bloß men- heiten kommt Hall – vielleicht unerwarteterweise – auch in direkte Berührung
talen Phänomenen kurzschließt. Sie tun das allerdings ganz im Sinne des mit Theodor W. Adorno, der in seinem „Beitrag zur Ideologienlehre“ schreibt,
bereits vom frühen Althusser postulierten „gelebten Verhältnis“ zu den Reprä- dass in Ideologien „das Wahre und das Unwahre immer miteinander verschränkt“
sentationssystemen, in die Individuen als sich fortlaufend subjektivierende sind. „Als objektiv notwendiges und zugleich falsches Bewußtsein […] gehört
Wesen eingelassen sind. Hall schreibt: Ideologie, wenn nicht bloß der modernen, so jedenfalls der entfalteten städti-
schen Marktwirtschaft an. Denn Ideologie ist Rechtfertigung. […] Wo bloße
Vielleicht die subversivste Implikation des Begriffs „leben“ besteht unmittelbare Machtverhältnisse herrschen, gibt es eigentlich keine Ideologien.
darin, dass er auf den Bereich der Erfahrung verweist. Durch die und […] Demgemäß ist auch Ideologiekritik, als Konfrontation der Ideologie mit ihrer
in den Systemen der Repräsentation der Kultur „erfahren“ wir die Welt: eignen Wahrheit, nur soweit möglich, wie jene ein rationales Element enthält,
Erfahrung ist das Produkt der Codes unserer Verständnisfähigkeit, an dem die Kritik sich abarbeiten kann. Das gilt für Ideen wie die des Liberalis-
unserer Interpretationsraster. Folglich gibt es keine Erfahrung außer- mus, des Individualismus, der Identität von Geist und Wirklichkeit. Wollte man
halb der Kategorien von Repräsentation oder Ideologie. Die Vorstel- jedoch etwa die so genannte Ideologie des Nationalsozialismus ebenso kriti-
lung, dass unsere Köpfe voller falscher Ideen stecken, die allerdings sieren, man verfiele der ohnmächtigen Naivität.“ 32
aufgelöst werden können, wenn wir uns „dem Wirklichen“ in einem Akt Die Überzeugung Adornos, wonach Ideologien strukturelle, d. h. gesellschaft-
absoluter Authentisierung öffnen, ist wohl die ideologischste aller Kon- lich wirksame einseitige, aber nicht vollkommen falsche Rechtfertigungen
zeptionen.30 sind, drückt sich auch darin aus, dass Adorno beispielsweise im Aufsatz Funk-
tionalismus heute darauf besteht, dass Menschen ein Recht auch noch auf die
In gewisser Hinsicht setzt sich Hall mit seiner Position zwischen alle Stühle. Erfüllung falscher Bedürfnisse haben, dass man – ähnlich wie auch Hall das in
Auf der einen Seite wehrt er die Tendenz zur Totalisierung der Praxis (zulasten seinem Aufsatz Kodieren-Dekodieren 33 betont – Menschen mit ideologischen
diskursiver Phänomene) ab, auf der anderen Seite findet er die Bedeutung Bedürfnissen nicht zu Trotteln erklären kann, sondern vielmehr das Wahre in
des Praxisbegriffs als Kritik des reinen Bewusstseinsphänomens wichtig. Vor ihrem Falschen erkennen muss, wenn man an der Des-Artikulation und Trans-
allem aber besteht er auf der Kategorie lebendiger Praktiken. Hall erläutert das formation von Ideologien interessiert ist.34
abschließend in einer zumindest angefangen Analyse und Kritik des sowohl
rassifizierenden als auch klassierenden Begriffs „schwarz“; und zwar im Aus-
31  Ebd., S. 55 und S. 56–62. Zum „Umdrehen“ vgl. Ruth Sonderegger, „Ideologie und
gang von den durchaus widersprüchlichen und deswegen einander auch rela- Subjektivierung“, in diesem Band.
tivierenden Anrufungen und Zuschreibungen, denen er vor dem Hintergrund 32  Theodor W. Adorno, „Beitrag zur Ideologienlehre“ (1954), in: Gesammelte Schriften, Bd. 8,
Frankfurt a. M. 1972, S. 457–477, hier S. 465.
33  In: Stuart Hall, „Ideologie, Identität, Repräsentation“, wie Anm. 15, S. 66–80.
28  Zum Begriff der Segmentarität vgl. Gilles Deleuze/Félix Guattari, Tausend Plateaus: 34  In Auseinandersetzung mit den „großen Architekten von Loos bis Corbusier und Scharoun“
Kapitalismus und Schizophrenie, Berlin 2002, insbes. Kap. 9: „1933 – Mikropolitik und und der These, dass menschenwürdige Architektur besser von den Menschen denkt, als sie
Segmentarität“, S. 283–316. sind, schreibt Adorno: „Die lebendigen Menschen, noch die zurückgebliebensten und konventionell
29  Vgl. Michel Foucault, Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses (1975), befangensten, haben ein Recht auf die Erfüllung ihrer sei’s auch falschen Bedürfnisse. Setzt der
Frankfurt a. M. 1994, S. 192–201. Gedanke an das wahre, objektive Bedürfnis sich rücksichtslos über das subjektive hinweg, so
30  Stuart Hall, „Bedeutung, Repräsentation, Ideologie“, wie Anm. 15, S. 52–53. schlägt er, wie von je die volonté générale gegen die volonté de tous, in brutale Unterdrückung

38 39
ZUR KRITIK VON KRITIKEN DER IDEOLOGIEKRITIK

Wir betonen diese Seite Adornos deshalb, weil sein als elitär verpöntes Den- gen Nähe zu Thesen, die Luc Boltanski gemeinsam mit Laurent Thévenot und
ken und besonders das gemeinsam mit Max Horkheimer verfasste ideologie- Ève Chiapello am Beginn der 1990er Jahre entwickelt hat; Thesen, wonach
kritische Manifest Dialektik der Aufklärung in der deutschsprachigen Diskus- Ideologiekritik im Sinn eines theoretischen Projekts epistemologisch völlig
sion nach ’68 wohl am häufigsten als Indiz (oder gar Beweis) dafür herhalten überholt, weil selbstwidersprüchlich und darüber hinaus paternalistisch und
musste, dass die von Marx inspirierte Ideologiekritik ein Irrweg ist. Nicht nur elitär sei.37 Die Zielscheibe dieser Thesen ist Pierre Bourdieu, dem die genann-
wurde Adorno (und Horkheimer) vorgeworfen, elitär einen Standpunkt außer- ten TheoretikerInnen vorwerfen, eine sowohl epistemologisch als auch poli-
halb aller Ideologie in Anspruch zu nehmen – ungeachtet der Tatsache, dass tisch unhaltbare Ideologiekritik zu betreiben, und zwar der Tatsache zum Trotz,
Adorno und Horkheimer schon in der Vorrede der Dialektik der Aufklärung die dass Bourdieu den Ideologie-Begriff genauso vehement ablehnt wie viele
Herausforderung thematisieren, am Kritikpotenzial der Vernunft festhalten zu andere Althusser-SchülerInnen.38 Bourdieu beschreibe die von ihm analysier-
wollen, obwohl sie der Vernunft zugleich eine grundsätzlich zerstörerische ten agents nicht weniger als durch ideologische Praxisstrukturen determiniert
Logik zuschreiben. Es wurde ihnen auch zum Vorwurf gemacht, dass sie alle als Althusser. Darüber hinaus mache er sich eines epistemologischen Selbst-
BewohnerInnen des 20. Jahrhunderts gleichermaßen als ideologisch verblen- widerspruchs schuldig, wenn er für die ideologiekritischen Sozialwissen-
det beschreiben würden; unabhängig davon, ob die jeweiligen Menschen schaftlerInnen einen kategorialen Abstand (Bourdieu spricht von „Bruch“) zu
Opfer der kapitalistischen Kulturindustrie im Westen oder des staatlich verord- der verblendeten Praxis behaupte, der bestenfalls eine naive Illusion sei.
neten Kommunismus im Osten sind. Selbst innerhalb der sogenannten Frank- Boltanski, Chiapello und Thévenot halten dagegen, dass die sozialen AkteurIn-
furter Schule hat das zur Abwendung vom ideologiekritischen Projekt geführt, nen bei der Ideologiekritik keine (sozial-)wissenschaftliche Hilfe benötigen,
wie man am deutlichsten an Habermas’ Theorie des kommunikativen Han- sondern dieses Genre durchaus selbst beherrschen. Mittels empirischer
delns sehen bzw. nachlesen kann.35 An die Stelle der konkreten (Ideologie-) Untersuchungen rekonstruieren sie, dass und wie in den alleralltäglichsten
Kritik tritt dort die quasi-transzendentale Untersuchung der erkenntnis- als Situationen oft genug Ideologiekritik betrieben wird; und zwar dort, wo wir
kommunikationstheoretischen Grundlagen der kritischen Vermögen. Das ist einander Verblendung, verzerrte Wahrnehmung und dergleichen mehr vorwer-
zugleich auch eine Absage an die kämpferischen ideologiekritischen Neu-Arti- fen und uns dann meist argumentativ zur Wehr setzen oder uns in unserem
kulationen, wie Stuart Hall sie am Beginn der 1980er Jahre vorgeschlagen Verhalten oder unserer Wortwahl sogar tatsächlich verändern. An die Stelle
hatte. Kein Wunder also, dass das Projekt Ideologietheorie, das sich in den der (ideologie-)kritischen Soziologie muss Boltanski und seinen MitstreiterIn-
späten 1970er Jahren im Umfeld von W. F. Haug an der FU in Berlin formierte, nen zufolge also eine Soziologie der Kritik treten, die lediglich beschreibt, dass
an die französische Traditionslinie Althussers – mit Gramsci als Vorläufer und und wie ideologiekritische Praktiken neben anderen kritischen Registern im
Hall als Weiterentwickler – anknüpfte und nicht an die Frankfurter Schule.36
Mit der auch von Habermas gegen die erste Generation der kritischen Theorie
gerichteten These, dass es vermessen sei, als TheoretikerIn (statt als soge-
nannter einfacher Bürger) Menschen falsche Bedürfnisse zuzuschreiben und Adornos Ästhetischer Theorie hat sich z. B. Otto Karl Werckmeister um eine ideologiekritische
sie dafür auch noch zu kritisieren, befindet Habermas sich in einer merkwürdi- Variante der Kunstgeschichte und Kunsttheorie verdient gemacht, siehe u. a. O. K. Werckmeister,
Ende der Ästhetik, Frankfurt a. M. 1971. Foucault macht in Was ist Kritik? (Berlin 2006, Vortrag
von 1978) darauf aufmerksam, dass die Anliegen der frühen Kritischen Theorie in Frankreich
besser überlebt haben und weiter entwickelt wurden als in Deutschland. Daneben gab es in
um. Sogar im falschen Bedürfnis der Lebendigen regt sich etwas von Freiheit; das, was die Frankreich auch eine viel lebendigere Marx-Rezeption als in Deutschland, wie etwa auch in der
ökonomische Theorie einmal Gebrauchswert gegenüber dem abstrakten Tauschwert nannte. Monografie Marx’ Philosophie von Étienne Balibar (wie Anm. 2) zum Ausdruck kommt, die 2013
Ihnen erscheint die legitime Architektur notwendig als ihr Feind, wie sie ihnen vorenthält, was sie, auf Deutsch erschienen ist und ein Kapitel zu „Ideologie oder Fetischismus: die Macht und die
so und nicht anders beschaffen, wollen und sogar brauchen.“ Theodor W. Adorno, „Funktio- Unterwerfung“ enthält. Siehe dort auch das Vorwort von F. O. Wolf.
nalismus Heute“, in: Ohne Leitbild. Parva Aesthetica, Frankfurt a. M. 1967, S. 104–127, hier S. 121. 37  Luc Boltanski und Laurent Thévenot, Über die Rechtfertigung. Eine Soziologie der kriti-
35  Jürgen Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns, Bd. 1: Handlungsrationalität und schen Urteilskraft, Hamburg 2007 (frz. 1991); Luc Boltanski, Ève Chiapello, Der neue Geist des
gesellschaftliche Rationalisierung, Bd. 2: Zur Kritik der funktionalistischen Vernunft, Frankfurt Kapitalismus, Konstanz 2003 (frz. 1999).
a. M. 1981. Vgl. auch Ruth Sonderegger, „Wie diszipliniert ist (Ideologie-)Kritik? Zwischen Philo­ 38  Vgl. zur Distanzierung Bourdieus vom Ideologie-Begriff das Gespräch zwischen Pierre
sophie, Soziologie und Kunst“, in: Rahel Jaeggi und Tilo Wesche, Was ist Kritik?, Frankfurt a. M. Bourdieu und Terry Eagleton „Doxa and Common Life: An Interview“, in: Slavoj Žižek (Hg.),
2009, S. 23–54. Mapping Ideology, London/New York 1994, S. 265–277. Wir folgen hier der Rekonstruktion von
36  Vgl. Jan Rehmann, „Ideologiekritik, Ideologietheorie und Poststrukturalismus – eine Neube- Robin Celikates, ohne jedoch seine Schlussfolgerung zu teilen: Robin Celikates, „From Critical
sichtigung”, in diesem Band, und ders., Einführung in die Ideologietheorie, Hamburg 2008, Social Theory to a Social Theory of Critique: On the Critique of Ideology after the Pragmatic
insbes. Kapitel 9, S. 153ff. Parallel zum Projekt Ideologietheorie und in kritischer Abgrenzung zu Turn“, in: Constellations, Bd. 13, Nr. 1, 2006, S. 21–40.

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ZUR KRITIK VON KRITIKEN DER IDEOLOGIEKRITIK

Alltag (gut) funktionieren.39 Ideologiekritik ist demnach wohlauf und wird über- tant von der Ideologiekritik und Althusser verabschiedet, könnte man als He-
all dort praktiziert, wo bestimmte, aus der Tradition der Ideologiekritik bekannte rausforderung des jeweiligen ideologischen „Konsenses“ fruchtbar machen.
Wörter wie „verzerrt“, „blind“, „unbewusst“ etc. vorkommen. (Soziologische) Derlei nicht deterministische und multidirektionale Ansätze scheinen nicht
TheoretikerInnen können das rekonstruieren – und müssen das gegen Starr- zuletzt deshalb wegweisend, weil sie sich offensiv auch der Frage öffnen, wie
köpfe wie Bourdieu auch tun –, hüten sich aber davor, sich als ExpertInnen in viel Expertentum der Ideologiekritik zuträglich ist und wo die Grenze der soge-
die alltäglichen Praktiken der Ideologiekritik einzumischen. nannten Ideologie-Theorie erreicht ist. Mit ihren Vorbehalten gegenüber wis-
Im Licht der massiven Kritik, die an bestimmten Konzeptionen der Ideologie senschaftlichen Ideologie-SpezialistInnen leugnen die Genannten aber keines-
oder auch ganz grundsätzlich an der Rede von Ideologien geübt worden falls die theoretischen und analytischen Aspekte der Ideologiekritik, sondern
ist – und zwar zu Zeiten von Marx ebenso wie um 1968 oder eben auch um fordern vielmehr die Annahme heraus, dass solche Analysefähigkeiten an die
1989 (wofür im Bereich der Theorie insbesondere die Arbeiten von Luc Boltan- bekannten Wissenschaftsfabriken gebunden sind.40
ski stehen) –, könnte man den Eindruck gewinnen, dass die gegenwärtig eher Gerade an diesem Punkt jedoch – im Kontext der Frage, ob und wie poststruk-
spärlichen VerteidigerInnen der Ideologiekritik an einem toten Patienten he- turalistische TheoretikerInnen an die marxistische Tradition der Ideologiekritik
rumdoktern; dass sie – sei es aus Nostalgie, aus arroganter bis elitärer Wissen- anknüpfen und wie sie diese artikulieren – gebührt Gayatri Chakravorty Spi-
schaftsgläubigkeit oder aus dem Wunsch nach einfachen Schwarz-Weiß-Ver- vaks Text Can the Subaltern Speak? besondere Aufmerksamkeit.41 Mit Bezug
hältnissen heraus – einen Modus der überheblichen Zurechtweisung verteidigen, auf ein Gespräch zwischen Deleuze und Foucault von 1972 42 wirft Spivak die-
der epistemologisch, politisch und ethisch fragwürdig ist und letztlich alles so sen beiden Theoretikern, letztlich aber auch anderen poststrukturalistischen
lässt, wie es ist. Denn, so die KritikerInnen der Ideologiekritik, Ideologiekriti­ DenkerInnen, zunächst einmal Folgendes vor: Indem diese PoststrukturalistIn-
kerInnen würden ohnehin nichts anderes tun, als einfach anderen die Schuld nen Strukturen der Macht und der Repression in Bezug auf den immer glei-
zuzuschreiben. chen westlichen Teil der Welt analysieren, suggerieren sie, es gäbe solche
Unsere Überzeugung ist, dass gerade solche TheoretikerInnen, die sich äußerst Strukturen anderswo nicht, zumindest nicht in einer der Analyse und Kritik
kritisch mit Althusser (interessanterweise auch mit der frühen kritischen Theo- würdigen Form. Das ist Spivak zufolge keineswegs so selbstkritisch, wie es
rie, wie man am späten Foucault und an Butler sehen kann) auseinanderge- auf den ersten Blick scheint. Es bedeutet vielmehr, dass die Verstrickung der
setzt haben, vielversprechende Bewegungen der praktischen Ideologiekritik eigenen mit der ignorierten Welt ausgeblendet wird. Ein Symptom dieser
vollzogen haben. Das gilt insbesondere für Judith Butler und denjenigen Fou- Ignoranz ist in Spivaks Augen die Art und Weise, wie in der ungeschützten
cault, der sich in seinen letzten Schriften von den kynischen Parrhesiasten Gesprächssituation bei Foucault und Deleuze das souveräne Subjekt wieder
inspirieren lässt, aber auch für Deleuze und Guattari, die im Sinne von maschi- auftaucht, das die beiden in ihren Theorien längst verabschiedet hatten.
nischen Gefügen und Assemblagen für Formen der (eigen)namenlosen Kritik Genauer gesagt taucht das souveräne Subjekt dort wieder auf, wo es um so
argumentieren. Eigennamenlos kann diese Kritik deshalb genannt werden, große Dinge wie das „Subjekt-in-Revolution“ geht – ein selbstredend männli-
weil die ideologietheoretisch fruchtbaren Elemente im Denken von Deleuze/ ches Subjekt –, und zwar als der Maoist und als das Subjekt des Arbeiter-
Guattari, aber auch Foucaults und Butlers nicht deren Erfindungen oder allei- kampfs. Im Unterschied zu den Intellektuellen, die im Gespräch zwischen
nige Errungenschaften sind. Vielmehr sind sie mit anderem Denken, kollekti- Foucault und Deleuze mit Eigennamen angesprochen werden und zu denen
vem Begehren, gesellschaftlichen Formationen und politischen Ereignissen sich Deleuze und Foucault offensichtlicherweise auch selbst zählen, bleiben
vielfach verflochten. Selbst Rancières Denken des Politischen, das sich mili- die Arbeiter und Maoisten namenlos und werden überdies als dumm darge-
stellt. Denn sie verstehen nicht, wie gleich zu Beginn des Gesprächs deutlich ge-
39  Luc Boltanksi und Laurent Thévenot, „The Sociology of Critical Capacity“, in: European
Journal of Social Theory, 2 (1999) 3, S. 359–377. Da zumindest Boltanski diese These mittlerweile
teilweise relativiert hat, kann man sich fragen, wie ernst sie je gemeint war. Vgl. Luc Boltanksi 40  Zu einer zeitdiagnostischen Analyse gegenwärtiger Wissenschaftsfabriken vgl. Gerald
und Axel Honneth, „Soziologie der Kritik oder Kritische Theorie? Ein Gespräch mit Robin Raunig, Fabriken des Wissens. Streifen und Glätten 1, Zürich 2012. Siehe auch Stephan
Celikates“, in: Rahel Jaeggi und Thilo Wesche (Hg.), wie Anm. 35, S. 81–114; sowie Luc Boltanski, Dillemuth, „Der arge Weg zur Erkenntnis. Dramatisierung eines Vortrags über The Academy and
Soziologie und Sozialkritik (Frankfurter Adorno-Vorlesungen 2008), Berlin 2010; vgl. auch Ève the Corporate Public – in zwei Teilen“, abgedruckt in diesem Band.
Chiapellos Aufsatz zu einem von allen normativen und wertenden Dimensionen gereinigten 41  Gayatri Chakravorty Spivak, Can the Subaltern Speak? Postkolonialität und subalterne
Ideologie-Begriff: „Reconciling the Two Principal Meanings of the Notion of Ideology. The Artikulation. Mit einer Einleitung von Hito Steyerl, Wien 2008, hier S. 64.
Example of the Concept of the ‚Spirit of Capitalism‘“, in: European Journal of Social Theory, 42  „Die Intellektuellen und die Macht“, in: Michel Foucault, Schriften II, Frankfurt a. M. 2002,
2003, Bd. 6, Nr. 2, S. 155–171. S. 382–393.

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ZUR KRITIK VON KRITIKEN DER IDEOLOGIEKRITIK

macht wird, dass „wir [Deleuze und Foucault, Anm. d. Verf.] dabei sind, die lation von bedeutungsgenerierenden und Herrschaft etablierenden Verkettun-
Theorie-Praxis-Beziehungen auf eine neue Weise zu leben.“ 43 gen. Wir denken hier an die SituationistInnen ebenso wie an die mal mehr, mal
Gegen diese strukturelle Borniertheit bringt Spivak nichts anderes als die gar nicht künstlerischen widerspenstigen Gender-Performances, die Butler
Ideologiekritik ins Spiel: „Das Scheitern von Deleuze und Guattari daran, die beschreibt, oder an die inszenierten öffentlichen Interventionen des anarcho-
Beziehungen zwischen Begehren, Macht und Subjektivität zu denken, setzt feministischen Kollektivs Mujeres Creando in Bolivien; aber auch an die theo-
sie außerstande eine Theorie der Interessen zu artikulieren. In diesem Zusam- retischen Interventionen und Inventionen von Theoretikerinnen wie Gloria
menhang ist ihre Indifferenz gegenüber der Ideologie (deren Theoretisierung Anzaldúa oder bell hooks, die am Zusammenhang von Rasse, Klasse und
notwendig ist, um zu einem Verständnis von Interesse zu gelangen) verblüf- Geschlechtsidentität (race, class, and gender) ansetzen.47 Der Weg der Akzen-
fend, aber konsistent. […] Weil diese Philosophen sich offenkundig gezwungen tuierung situativer Praktiken und ihrer performativen Analysen und Verschie-
sehen, alle Argumente, die den Ideologiebegriff im Munde führen, als nur bungen ist sicher nicht der einzige, der von der Ideologieforschung auch ins
schematisch und nicht textuell zurückzuweisen, sehen sie sich gleichermaßen Kunstfeld führt. Wir möchten an dieser Stelle jedoch festhalten, dass dieser
dazu genötigt, eine mechanisch-schematische Gegenüberstellung von Inter- Weg als exemplarisch für eine (ideologie-)kritische Neuorientierung im Feld
esse und Begehren zu produzieren. […] Das Rennen um ‚die letzte Instanz‘ ist der Kunst der 1990er Jahre betrachtet werden muss.
nun jenes zwischen Ökonomie und Macht. […] Im Namen des Begehrens füh-
ren sie erneut das ungeteilte Subjekt in den Machtdiskurs ein.“ 44 Damit
behaupten Deleuze und Foucault einen klaren Vorrang der Begehrens- und 3.  Was für ein Kunstfeld adressieren wir?
Zeichenstrukturen vor solchen der Ökonomie. Eine Auseinandersetzung mit
(der Geschichte) der Ideologiekritik hätte ihnen jedoch zeigen können – so So stellt sich die Frage: Können wir angesichts der oben zumindest angerisse-
muss man Spivak wohl verstehen –, wie problematisch das Behaupten bzw. nen Kritik an der Ideologiekritik an einem revidierten Verständnis von notwen-
bloße Umkehren von einseitigen Determinationen und damit einhergehenden dig falschem Bewusstsein festhalten? Oder müssen wir sogar? Und warum in
Oppositionen wie z. B. Unterdrücker-Unterdrückte ist. Bezug auf das Kunstfeld? – Unsere Überzeugung ist, dass wir müssen.
Dennoch lässt sich Folgendes festhalten: Durchaus anders als Boltanski haben Seit den 1990er Jahren ist im Kunstfeld wieder deutlich mehr von „Politik“
Hall, Spivak, Butler, Deleuze/Guattari und Foucault auf mehr oder weniger all- die Rede, als das im Jahrzehnt davor der Fall gewesen ist.48 Damit einher ging
tägliche Szenen der – insbesondere auch praktischen – Ideologiekritik verwie- eine Rückbesinnung auf die avantgardistischen Strategien der 1960er bis
sen. Aber eben nicht, um sich damit zufriedenzugeben, sondern immer mit 1970er Jahre, welche die 1990er Jahre als Jahrzehnt der Re-Politisierung im
dem Ziel, analytischen und widerständigen Praktiken der Ideologiekritik zuzu- Feld der Kunst erst möglich gemacht haben. Diese Rückbesinnung hat auch
arbeiten; auch wenn die meisten von ihnen diese widerständigen Praktiken die Schnittstellen zu Praxisformen der Ideologiekritik außerhalb des Kunst-
nicht als Ideologiekritik bezeichnet hätten.45 Und sie tun das konsequent bis felds wieder zugänglicher gemacht, nicht zuletzt zu solchen Praxisformen, die
zu jenem Punkt, wo die Eigennamen und Karrieren der hier genannten Theore- den Begriff der Ideologie weitgehend außen vor und eine genaue Abgrenzung
tikerInnen nicht mehr relevant sind – und ebenso wenig die Eigennamen von zwischen Kunst und Nicht-Kunst hinter sich gelassen haben. In diesem
Theorien.46 Damit eröffnen sie die Möglichkeit, auch dort Ideologiekritik am Zusammenhang gewannen die zuvor beschriebenen poststrukturalistischen
Werk zu sehen und aufzugreifen, wo dieses Wort nicht vorkommt – insbeson- bzw. post-ideologischen Strategien der Verschiebung und Akzentuierung nicht
dere auch in politischen und künstlerischen Praktiken der Des- und Neuartiku- nur an Bedeutung, sondern auch entscheidend an Popularität. Denn trotz all-
gegenwärtiger Privatisierungstendenzen und des dadurch bedingten Erfolgs-
43  Ebd., S. 282.
44  Gayatri Chakravorty Spivak, wie Anm. 41, S. 24–26.
45  Die genannten poststrukturalistischen Ansätze kritisieren nicht willkürlich bis neutral alle 47  Vgl. u. a. bell hooks, Art on My Mind: Visual Politics, New York 1995; Judith Butler, Das
Bedeutungsfestschreibungen und Habitualisierungen/Naturalisierungen von Tätigkeiten, sondern Unbehagen der Geschlechter, Frankfurt a. M. 1991; Gloria Anzaldúa, Borderlands/La Frontera:
sehr spezifische. Deshalb sind sie keine – ihrerseits neutralisierenden – Theorien der allseitigen The New Mestiza, San Francisco 1987; zu den Aktionen des anarcho-feministischen Kollektivs
Verflüssigung, wie z. B. Rahel Jaeggi „der Ideologietheorie von Althusser zu Butler“ vorwirft. Mujeres Creando siehe online: http://www.mujerescreando.org/ (zuletzt besucht 22.8.2013).
Siehe Rahel Jaeggi, „Was ist Ideologiekritik?“, in: Rahel Jaeggi und Tilo Wesche, wie Anm. 35, 48  Vgl. etwa die tabellarische Ausstellungsübersicht von Elena Filipović, Rafal B. Niemojewski
S. 266–295, hier S. 282. und Barbara Vanderlinden, „One Day Every Wall Will Fall: Select Chronology of Art and Politics
46  Gerade weil uns Spivaks Kritik ebenso treffend erscheint wie ihr Eintreten für die after 1989“, in: Barbara Vanderlinden und Elena Filipović (Hg.), The Manifesta Decade. Debates
Ideologiekritik haben wir oben versucht, eine gewissermaßen (eigen)namenlose Ideologiekritik on Contemporary Art Exhibitions and Biennials in Post-Wall Europe, Cambridge/MA 2005, S. 20–44.
auch bei einem bestimmten Deleuze und beim späten Foucault offenzulegen.

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ZUR KRITIK VON KRITIKEN DER IDEOLOGIEKRITIK

drucks erlaubten nicht zuletzt die in den 1990er Jahren steigenden Besucher- ganz allgemein von einer (post-)ideologiekritischen Repolitisierung des Kunst-
zahlen, dass Kunstinstitutionen zunehmend Räumlichkeiten und Budgets für felds sprechen würde. Denn die entstehenden Interventionsräume für Praxis-
Formen der kritischen Artikulation zur Verfügung stellten. formen der (Ideologie-)Kritik und anti-hegemonialer Diskurse sind nicht frei
Parallel zu dieser Entwicklung wächst im zunehmend globalisierten Kunstbe- von Widersprüchen. Diese Widersprüche wiederum, die heute den Bereich der
trieb die Bedeutung von internationalen Biennalen und bringt eine Tendenz zur Kapitalisierung von „Andersheit“ und „Multikulturalität“ im neoliberalen Kunst-
Internationalisierung der präsentierten Kunst mit sich.49 Diese Entwicklung betrieb genauso betreffen wie die Verwertungslogik von individualisierten
lässt sich exemplarisch an der „kritischen“ Neuorientierung einiger Biennalen Emotionen, von Selbstständigkeit und ihren Freiheitsversprechen, sind von
nachvollziehen; man denke etwa an die Havanna Biennale (II und III Bienal de kritischen Theorien als paradigmatisch für die zeitgenössischen kapitalistischen
la Habana, 1986 und 1989), an die Documenta 10 in Kassel 1997 und die Neu- Produktionsmodi thematisiert und problematisiert worden. Schließlich stellt
erfindung ganzer Biennalenformate wie z. B. die Manifesta (European Biennial das Kunstfeld nicht nur ein Archiv von (post-)ideologiekritischen Strategien dar;
of Contemporary Art, ab 1996), die sich seit ihrer Gründung einer (post-)insti- es ist auch ein Sammelplatz für Ideologien.51
tutionskritischen Flexibilität (Stichwort „Nomadentum“) und der Rhetorik einer Sowohl die poststrukturalistischen Strategien, die wir oben für die Ideologiekritik
neuen Demokratie verschrieben hat – Inbegriff eines „wiedervereinigten“ Euro- produktiv zu machen versucht haben, als auch die post-ideologischen Strate-
pas.50 Groß angelegte Ausstellungen wie Magiciens de la Terre (Centre natio- gien der 1990er Jahre sind deswegen wohl mindestens genauso oft kritisiert
nal d’art et de culture Georges Pompidou, Paris, 1989) und Seven Stories worden, wie sie erfolgreich umgesetzt werden konnten – und zwar nicht nur
About Modern Art in Africa (u. a. in der Whitechapel Gallery, London, 1995, von rechts, sondern gerade auch von links; nämlich aus dem Kreis derer, die
und im Guggenheim Museum, New York, 1996), Global Conceptualism: Points im Imperativ der künstlerischen Kritik im Allgemeinen und der (post-)instituti-
of Origins, 1950s–1980s (Queens Museum of Art, New York, 1999) oder onskritischen „Kritikalität“ im Besonderen die gleichen Mechanismen am Werk
Vivências / Lebenserfahrungen (Generali Foundation, Wien, 2000) können wie- sehen wie im neoliberalen Kurs einer neuen Form der Sozialdemokratie.52
derum als Meilensteine für den Einzug „nichtwestlicher“ Kunst in die etablier- Denn ganz im Sinn von Stuart Halls Halb-Wahrheiten kommt der Kunst in die-
ten Institutionen Europas und der USA gelten. Für diese Tendenz setzte sich sen Mechanismen der Status einer besonderen Projektionsfläche zu: In der
spätestens mit der Documenta 11 (Kassel, 2002) der Begriff der „Dezentralisie- öffentlichen Meinung neoliberaler Demokratien, aber auch aus der Perspektive
rung“ durch, der zu Recht als wichtiger Etappensieg gegen den hegemonialen vieler kritischer TheoretikerInnen werden wohl nur wenige gesellschaftliche
Euro-Amerika-Zentrismus von Kunstkritik und Ausstellungsbetrieb gefeiert Felder vergleichbar stark mit (individueller) Freiheit und zugleich mit sozialem
wurde. Nicht zuletzt hat der Versuch, die real stattfindende geografische Engagement assoziiert wie das Feld der zeitgenössischen Kunst. Dieser
Dezentralisierung mit dem poststrukturalistischen Projekt einer „epistemologi- Annahme dürften de facto auch viele KünstlerInnen und die im Kunstfeld agie-
schen Dezentralisierung“ zusammenzudenken, neue Maßstäbe gesetzt, die für renden AktivistInnen nicht widersprechen wollen.
eine sich als kritisch verstehende Kunst bis heute gelten und hinter die – unse- Wie umkämpft die Projektionsfläche der Kritikalität im Kunstfeld ist, sieht man
rer Ansicht nach – auch kein ideologiekritisches Projekt mehr zurückfallen darf. etwa daran, dass Boltanski/Chiapello die auf Selbstverwirklichung abzielende
Trotzdem wäre es verkürzt, wenn man in Bezug auf die 1990er Jahre deshalb „Künstlerkritik“ 53 als Erfüllungsgehilfin des neuen Kapitalismus kritisieren, die
künstlerische Institutionskritik im Sinn von systemischer Kritik am Kunstfeld
49  Da es sich bei der Globalisierung des Kunstbetriebs jedoch nicht um einen einseitigen,
abgeschlossenen Prozess handelt, ist es mindestens genauso wichtig, auf den globalisierungs- 51  Zu reaktionären, neo-nationalistischen und/oder heuchlerischen Tendenzen im sich selbst
kritischen Diskurs im Kunstfeld zu verweisen. Mit Lara Buchholz und Ulf Wuggenig ließe sich als „progressiv“ verstehenden neoliberalen Kunstbetrieb siehe u. a. die Beiträge von Alice
z. B. argumentieren, dass es sich beim Begriff der Globalisierung und Fragen der repräsentativen Creischer, Diedrich Diederichsen, Stephan Dillemuth, Vesna Madžoski, Mereijn Oudenampsen
Internationalität in erster Linie um eine Ausbreitung westlicher Machtstrukturen handelt. Vgl. Lara sowie das Gespräch mit Ágnes Heller und János Weiss in diesem Band.
Buchholz/Ulf Wuggenig, „Cultural Globalization between Myth and Reality: The Case of the 52  Diese neoliberal ausgerichtete „neue“ Sozialdemokratie hielt zeitgleich in mehreren Regierungen
Contemporary Visual Arts“, online unter: über den Globus verteilt Einzug (1993 Bill Clinton in Washington, 1995 Fernando Henrique Cardoso
http://artefact.mi2.hr/_a04/lang_en/theory_buchholz_en.htm (zuletzt besucht am 22.8.2013). in Brasília, 1997 Tony Blair in London oder 1998 Gerhard Schröder in Berlin). Zur Kritik am Kriti-
50  Zur Kritik an einem solchen Selbstverständnis siehe Vesna Madžoski, „Die Austreibung der kalitätsanspruch des Kunstfelds vgl. Helmut Draxler, Gefährliche Substanzen. Zum Verhältnis
Gespenster aus Europa. Die Manifesta, Biennale für zeitgenössische Kunst, und die gescheiterte von Kritik und Kunst, Berlin 2007. Zur Kritik an Draxlers Position vgl. Jens Kastner, „Zur Kritik
Rhetorik der Demokratie“ in diesem Band. Zu den Konjunkturen der Kritik(alität) im Kunstfeld vgl. der Kritik der Kunstkritik. Feld- und hegemonietheoretische Einwände“, in: Birgit Mennel, Stefan
auch Oliver Marchart, Hegemonie im Kunstfeld. Die documenta-Ausstellungen dX, D11, d12 und Nowotny und Gerald Raunig (Hg.), Kunst der Kritik, Wien 2010, S. 125–147.
die Politik der Biennalisierung, Köln 2008. 53  Vgl. Luc Boltanski, Ève Chiapello, wie Anm. 37.

46 47
ZUR KRITIK VON KRITIKEN DER IDEOLOGIEKRITIK

dabei aber ebenso ausblenden wie die politische und soziale Kritik von Künst- der systematische Zusammenhang von race, class, and gender oder der poli-
lerInnen, worauf insbesondere Maurizio Lazzarato hingewiesen hat.54 Andere tische Preis für die feldimmanente Kompromissbildung. Das Verschweigen
kritisieren die Tendenz zur „Fragmentarisierung“ und Kompromissbildung im betrifft vor allem das, was jede/r weiß, worüber aber nicht gesprochen werden
Bereich der künstlerischen Ideologiekritik; 55 oder sie warnen vor der effektiven darf, weil es gegen das vorherrschende Selbstverständnis im Kunstfeld ver-
Kapitalisierung von gegenkulturellen Strategien und die daran gebundenen stößt: schlechte bis gar keine Bezahlungen, fragwürdige Sponsoreninteressen
affektiven Dispositionen seitens des zeitgenössischen Kunst- und Kulturbe- und nicht zuletzt strukturelle Zensur aufgrund der prekären Arbeitsverhältnisse.
triebs.56 In diesem Sinn beschreibt auch Jan Rehmann in seiner Einführung in
die Ideologietheorie, wie wenig der gute Wille von freien KulturproduzentInnen
von der herrschenden Produktionslogik isoliert werden kann, d. h. von ihrem
gelebten Verhältnis zur Welt. Im Unterkapitel Befreiungsversprechen und
Fremdbestimmung im Neoliberalismus verweist er auf ganz alltägliche ideolo-
gische Abläufe im Kunstfeld und fasst in einem knappen Absatz zwei Studien
aus dem Jahr 2005 zusammen. In diesen berichten prekär arbeitende Kultur-
schaffende,

wie wichtig es sei, sich bei Ausstellungseröffnungen nicht nur regel-


mäßig sehen zu lassen und Gespräche zu suchen, sondern auch alles
dran zu setzen, „Lust zu haben und sich wohl zu fühlen, denn wer sich
nicht wohl fühlt, hat an einem Abend auch keinen Erfolg“. Dabei ist
auch erforderlich, dass alle sich permanent bemühen, „von geplanten
oder bevorstehenden Projekten zu berichten, um ja nicht den Eindruck
zu erwecken, man befinde sich in einer Notsituation und suche ver-
zweifelt nach einer Anschlussmöglichkeit“. 57

In Anbetracht dieser durchaus berechtigten Vorbehalte können wir aus einer


von Marx inspirierten Perspektive der Ideologiekritik nur vermuten, dass die
eigentlichen Probleme dort verborgen liegen, worüber in den repräsentativen
Diskursen im Feld der Kunst gerade nicht gesprochen und was dementspre-
chend auch nicht kritisiert wird. Das betrifft nicht nur Probleme, die in den
herrschenden Repräsentationssystemen gern durch die Maschen fallen: z. B.

54  Maurizio Lazzarato, „Die Missgeschicke der ‚Künstlerkritik‘ und der kulturellen Beschäftigung“, samtgesellschaftlichen Kontext isolierte Forderungen der latenten Komplizenschaft mit dem neo-
in: Gerald Raunig und Ulf Wuggenig (Hg.), Kritik der Kreativität, Wien 2007, S. 190–204. Ähnlich liberalen Mechanismus der Fragmentarisierung zu bezichtigen – sofern diese nicht explizit als
argumentiert auch Ulf Wuggenig in „Paradoxe Kritik“, in: Birgit Mennel u. a., wie Anm. 52, S. 105–124. Solidarität im Kampf gegen den Kapitalismus artikuliert werden. Darunter zählt Herkommer
55  Sowohl die Figur der „Fragmentarisierung“ als auch die Tendenz zur Kompromissbildung allerdings auch Rassismuskritik, Feminismus, Forderungen für Rechte von Homosexuellen etc.
sind von verschiedenen TheoretikerInnen gern als Charakteristiken der „Postmoderne“ und/oder und verfällt damit nicht nur wieder in die orthodoxe Logik von „Haupt- und Nebenwiderspruch“,
des „Spätkapitalismus“ bezeichnet, dabei jedoch auch auf unterschiedliche Weise diskutiert und sondern leistet der Fragmentarisierung damit selbst mehr Vorschub, als dies die Anerkennung von
kritisiert worden. Für Fredric Jameson z. B. ist die „Fragmentarisierung“ eine ästhetische zivilen Rechten für einzelne Minderheiten je erreichen könnte. Vgl. Sebastian Herkommer, Meta-
Kategorie, die die Aufteilung von Räumen und der Wahrnehmung betrifft und die mit semiotischen morphosen der Ideologie, Hamburg 2004, insbesondere Teil 3, Kap. 1, „Das ‚Ende der Ideologie‘:
Formen der Wertproduktion im Spätkapitalismus zusammenhängt. Siehe Fredric Jameson, „Post- Vom ideologischen zum nachideologischen Alltagsbewusstsein?“, S. 115–123.
moderne – zur Logik der Kultur im Spätkapitalismus“, in: Andreas Huyssen und Klaus Scherpe, 56  Siehe z. B. Suely Rolniks hervorragende Analyse des Verhältnisses von gegenkulturellen
(Hg.), Postmoderne. Zeichen eines kulturellen Wandels, Hamburg 1986, S. 45–102. Als „Frag- Strategien der 1960er und 1970er Avantgarden in Brasilien zu den Mechanismen der gegen-
mentarisierung“ empfindet andererseits der Soziologe Sebastian Herkommer den Zusammen- wärtigen Produktionslogik, „Geopolitik der Zuhälterei“ (2006), online unter: http://www.eipcp.net/
bruch einer einheitlichen Basis der Kapitalismuskritik, die mit dem Neoliberalismus einhergeht. transversal/1106/rolnik/de (zuletzt besucht: 12.8.2013)
Herkommer geht dabei so weit, alle Formen der entweder individualisierten Kritik oder vom ge- 57  Vgl. Jan Rehmann, Einführung in die Ideologietheorie, wie Anm. 36, S. 200.

48 49
TOWARDS A CRITIQUE
OF CRITIQUES OF IDEOLOGY
CRITIQUE: GENEALOGICAL
CONSTELLATIONS AND
DIAGNOSES OF OUR TIMES
(ZEITDIAGNOSEN)
Max Jorge Hinderer Cruz, Ruth Sonderegger

1.  Where are we actually starting from?

Why are we so attached to the term ideology, and even more to the practice of
ideology critique? Why does the idea of the end of ideology, so often proclaimed
in light of 1989, seem so scandalous to us? What do we actually want to do
with ideology critique—in the field of art and beyond? What artistic practices
get misunderstood if we don’t (also) take them seriously as a response to the
challenges of ideology critique? Are artistic practices superior modes of ideology
critique? These questions kept coming up, over and over again, in the course
of preparing the seminar and the conference that are the source of this volume,
and they stubbornly kept getting in the way while we were preparing the book.
And these questions still remain.
Already in advance of the summer academy at the Kunsthaus Bregenz, two
questions had marked our examination of art and ideology critique after 1989.
The first had to do with our interest in the history of a possible genealogy of
ideology critique: how far back do we have to go in order to be able to speak
about art and ideology critique after 1989? The second question was related
to our desire not to reduce ideology critique to a purely theoretical issue,
but to locate it in forms of (artistic) practice as well—that is, the desire to make
ideology critique visible in current practices within the art field, precisely
where it is masked or concealed by dominant systems of representation. We
cannot answer either question in our introduction. But we do want to sketch
out how these questions have first of all made visible a field of problems and
connections that, over the course of our project, drew us to some of the authors
collected in this volume.

51
TOWARDS A CRITIQUE OF CRITIQUES OF IDEOLOGY CRITIQUE

How far back in history do we have to go to be able to speak about art and opposition to Althusser’s expertocractic understanding of scholarship, without
ideology critique after 1989, without having to put half of modern philosophical this opposition ever being resolved—as we will later see, often to the disadvantage
history on the bargaining table in the process? For pragmatic reasons we of the term ideology itself.
decided to take the theoretical reorientation of ideology critique in the 1960s, When we began our seminar in Bregenz in the final week of September in 2012,
which Jan Rehmann has described as the “turn” in ideology theory, as our the discussion with the students from Vienna and Munich did not begin with
starting point, making Louis Althusser our central reference point. For it seems 1989—nor with ’68—but with 1956: with the emergence of the so-called
that a great many of the themes that concern us here come together in the New Left, triggered by the reactions to various political events following the
figure of Louis Althusser: a reorientation in Marxist tradition, the historical twentieth Congress of the Communist Party of the Soviet Union in Moscow
context around May ’68 in Paris, and the basic interest in materialism within and the revelations of the crimes of Stalinism. We began with the defeat of the
scholarship, and not least also the connections between art and ideology. workers’ and people’s uprising in Hungary and the outbreak of the Arab-Israeli
Indeed, as Slavoj Žižek blurbs on the back cover of the last German edition of conflict together with the Suez crisis (in the same year), as well as the global
Pour Marx, Althusser is “the great absence in current leftist theory. Although political interests that played into the Suez crisis. It quickly became clear
his name is rarely mentioned, the terms that he coined can be found everywhere during our discussions in the seminar that we had no choice but to understand
—from overdetermination to the ideological state apparatuses.” 1 ideology itself as a variable category in political and theoretical discourse.
In fact, Althusser is not only an ever present thinker in contemporary (French) Given the terrifying geopolitical events that had led to the Second World War,
leftist theory—in both his presence and his absence—but also in today’s as well as the barbarism during the Second World War and the events that
established (international) art and cultural theory. He turns up as an explicit occurred around 1956, the term ideology critique had to be rethought (at the
reference in such diverse authors as Rosalind Krauss (for example in The latest starting in 1956).
Optical Unconscious, 1994) and Nicolas Bourriaud (for instance in Relational The renegotiation of the term ideology at an international level and the new
Aesthetics, 1998), assumes a central position in Frederic Jameson’s famous forms of political movements that have formed after 1956—perhaps most
postmodernist critique (The Cultural Logic of Late Capitalism, 1991), and his clearly in the period around 1968—have provided us with a fruitful point of
figure of interpellation has made him a canonical reference in post-colonial approach. From there we have attempted to trace whether and how the
studies, cultural studies, gender studies, and performance studies by way of historical upheavals in relation to art and ideology critique have a bearing on
thinkers such as Judith Butler and Stuart Hall. Furthermore, Althusser is epistemological upheavals—not only after 1956 or 1968, but also after 1989.
present as an implicit reference in many works by his colleagues and students. Obviously the forms for articulating art and ideology critique that emerged
Though the reception of these thinkers sometimes came quite late, since after 1956—but especially in the 1960s to 1970s—in the field of art and in
the 1990s it has become hard to imagine the humanities without them. This relation to persons or collectives in the New Left are inseparably tied to the
pertains to Pierre Macherey and Étienne Balibar, whose association with invention of new forms of artistic production, but also new forms of politics.
Althusser is quite close, but even more so to theory superstars such as Michel They have established standards for the system “contemporary art” which are
Foucault, Jacques Derrida, Pierre Bourdieu, Alain Badiou, and Jacques Rancière, in place to this day. And so the critiques of consumerism, institutions,
who turn away from Althusser or even explicitly position themselves against representation, racism, sexism, and colonialism in post-war avant-gardes is
him. For our purposes then, it makes sense to pull Allthusser back into the inseparable from situational interventions, from performance and happening,
focus of our theoretical reflections, although not without ourselves dealing from the so-called “dematerialization” of art objects in their diverse varieties,
with the fact that Althusser is an utterly contradictory figure. It was especially from minimalism and conceptual art, pop and op art, film and video, media, and
interesting for us that the theoretical legacy of Althusser has been considered their installations in the broadest sense, environments, etc.
time and again in relation to forms of practice that occasionally stand in stark In light of the many overlappings and simultaneous structural renewals of art
and ideology critique in the 1960s and 1970s, it seems all the more interesting
1  See the German translation of Louis Althusser, Gesammelte Schriften, ed. by Frieder Otto to us to establish that the developments in both fields have in no way run
Wolf, Vol. 3: Für Marx, Frankfurt a. M., 2011. The complete citation from Žižek reads as follows: analogously since that time. Correspondingly, while preparing for the summer
“Louis Althusser is the great absence in current leftist theory. Although his name is rarely academy on the topic of art and ideology critique after 1989, we decided to
mentioned, the terms that he coined can be found everywhere—from overdetermination to the
ideological state apparatuses. It is high time to bring him back where he belongs: in the center of begin with ideology critique; or more precisely, with the critique of ideology
our theoretical battles.”

52 53
TOWARDS A CRITIQUE OF CRITIQUES OF IDEOLOGY CRITIQUE

critique. Only later did we come back to that path that the critics within the power.” And they add: “It’s always the same old trick: a big ideological debate
field of art—those who give the so-called criticality of the field of art a name and in the general assembly, and the questions of organization are reserved for
a face—have revisited time and again in the last 40 years, at the intersection of special committees. These look secondary, having been determined by political
art and criticism, and indeed, in defense of the ethical and political integrity of options. Whereas, in fact, the real problems are precisely the problems of
art. Some, despite their practice of explicit (ideology) critique, have managed organization, never made explicit or rationalized, but recast after the fact in
to maintain a secure spot in prominent places of contemporary art and in large ideological terms.” 4 According to Deleuze/Guattari, the world finds itself in
exhibitions: from Hans Haake and Andrea Fraser to Hito Steyerl and the group a state of dementia that is “without precedent […] in all the hospitals. […]
Chto Delat, from Catherine David to Okwui Enwezor. For perhaps one of the Ideology has no importance here: what matters is not ideology, and not even
new characterstics of the field of art is that it devotes a particularly esteemed the ‘economic/ideological’ distinction or opposition; what matters is the
canon of recognition to its own critics. We would rather say straight away: organization of power.” 5 Such theoretical partitioning—the subdivisions of
We have not been able to draw up a representative overview of the various society and production by means of the three clearly separated categories
articulations of artistic ideology critique in the field of art after 1989. Not even “politics, economy, and ideology” (as Friedrich Engels suggested)—and
provisionally—even if we had wanted to. It soon became clear to us that the solidified binary constructions such as base/superstructure, production/reprod­-
actual trouble child in the seminar and at the conference was not art, which uction, etc., are therefore unacceptable to Deleuze and Guattari, because
seemed and seems to be doing quite well. Our concern was mainly ideology ideology for them is not completely absorbed in the “superstructure” any more
critique. For, as Balibar has aptly assessed: than desire (and life) is completely absorbed in “reproduction.” Rather, these
theoretical partitionings (and other leitmotifs of the party ideology of their time)
Philosophy quite evidently has not forgiven Marx for ideology. It is justify a practical complicity with a repressive system, that of Soviet communism,
constantly at pains to show that this is a badly constructed concept, which for Deleuze/Guattari does not represent an acceptable alternative to
which has no unambiguous meaning and which puts Marx in capitalism and the liberal market economy. In fact, in the revolts around 1968,
contradiction with himself.2 that was often exactly the point: alternatives.
It is not necessary to have read Anti-Oedipus to understand that the rejection
Obviously, around 1968 ideology critique had already heavily come under fire. of ideology as a relevant category of the critique of capitalism can also be
One of the fundamental characteristics of the New Left consisted in its radical taken as a performative posturing, as an intervention in political discourse,
rejection of the “old” orthodox left and thus also of its favorite topic: ideology. and as an unmistakable gesture of demarcation from orthodox Marxism. This
The reason invoked for this wave of critiquing ideology critique that draws on gesture is something that Deleuze and Guattari share with many thinkers of
Marx was as much the supposed failure of the revolts of 1968 as it was the their time. Much like Foucault and Bourdieu, Deleuze and Guattari would later
acknowledgement or rather the becoming-aware-of the crimes of Stalinism. It on revisit the category of the ideological more and more frequently, attempting
is against this backdrop that we have to understand Gilles Deleuze and Félix to get to its substance by using new terms, such as the term habitus (Bourdieu)
Guattari’s comments in an interview given a year after the appearance of Anti- or governementality (Foucault). For his part, Guattari suggests methodologically
Oedipus (1972).3 They do refer here to ideology as “false consciousness”—that replacing “ideology” with “production of subjectivity,” thus doubtlessly once
is, that formula with which ideology is most frequently described and that had again coming near to Althusser’s ideological state apparatus, despite rejecting
remained uncontested as a paradigm within the Communist Party: “We’re not the term ideology. Much more direct still, however, Guattari’s “production of
saying that ideology is smoke and mirrors (or any other concept that serves to subjectivity” seems to link up to Althusser’s earlier reflections on ideology
designate an illusion). We’re saying there is no ideology, the concept itself is and the “production of consciousness” in relation to art in For Marx, whereas
an illusion. That’s why it suits the Communist Party and orthodox Marxism so the engagement with art and ideology—according to Balibar’s assessment
well. Marxism has given such emphasis to the theme of ideologies precisely —represents the “actual theoretical and geometric center” of For Marx.6
to cover up what was going on in the USSR: a new organization of repressive

2  Étienne Balibar, The Philosophy of Marx, trans. by Chris Turner, London, 2007, p. 43. 4  See Gilles Deleuze and Félix Guattari, “On Capitalism and Desire,” in: Desert Islands and
3  Gilles Deleuze and Félix Guattari, Anti-Oedipus: Capitalism and Schizophrenia, trans. by Other Texts, 1953–1974, New York, 2004, pp. 262–273, here p. 264.
Robert Hurley, Mark Seem and Helen Lane, London, 2009. 5  Ibid., 263.

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TOWARDS A CRITIQUE OF CRITIQUES OF IDEOLOGY CRITIQUE

2.  Which (history of) ideology critique do we mean? steam engine!” 10 Taking this into account, Althusser’s essays in his book For
Marx are about recalling a different Marx, or making him accessible—a non-
Already in the early 1960s, when many were gloatingly announcing the death deterministic and in this sense anti-Hegelian Marx, so that he abandons the
of Marx, others, and especially Louis Althusser, were working on a new opposition between an underlying essence and the appearance derived from
version of Marxist ideology critique—although not as a response to the swan it, and indeed, quite fundamentally. That is to say, regardless of whether—as in
song that was being sung a bit too loudly at the time. Althusser’s 1965 Hegel—the spirit is declared to be essence or—as in certain reductionist
collection of essays For Marx makes it clear 7 that he had been dealing with the Marxists—the material relations are made the determining basis for everything.11
project of transforming Marx’s ideology critique for some time already. The If one dismisses the dichotomy between essence and appearance, there is
fact that Althusser was partly reacting to the events of 1968 in his most well- neither a one-way street from spirit to matter nor one from economic relations
known text on ideology—in Ideology and Ideological States Apparatuses 8 to the mental (ideological) side effects. Determinations mutually influence each
—had concealed the transformational work with regard to ideology critique other and are multiple, even polymorphous. In this sense, Althusser asserts in
that he had begun much earlier. This is why it is wrong, at least with regard to Contradiction and Overdetermination (1962): “For [Marx], this tacit identity […]
Althusser, to interpret a certain critique of ideology critique merely as a way of the economic and the political disappears in favour of a new conception of
of processing the—supposedly failed—revolutionary events of 1968. It is also the relation between determinant instances in the structure-superstructure
wrong because Althusser went to great pains to work out how Marx had complex.” 12 Somewhat later in the same essay he speaks of the “relative
already argued against a simplistic understanding of ideology, which Marx autonomy of the superstructures and their specific effectivity.” 13 This is the
himself was certainly not completely innocent of. backdrop against which to understand Althusser’s well-known thesis in Ideology
At least in some of his texts, Marx’s language is polemically simplified, such and Ideological State Apparatuses (1970), according to which repression and
as when he claims that the economic (materialist) basis plainly and simply physical force are not sufficient or expedient to maintain the existing conditions
determines the ideological (idealist) superstructure. In Althusser’s view, the of production, that instead only the interplay of the repressive with the so-called
epitome of this undercomplex relationship of determination is Marx’s remark: ideological state apparatuses leads to the goal of reproducing the existing
“The hand-mill gives you society with the feudal lord; the steam-mill, society conditions of production: “As Marx said, every child knows that a social formation
with the industrial capitalist.” 9 According to Althusser, this caricature should which did not reproduce the conditions of production at the same time as it
be abandoned as soon as possible, for “how many peremptory attacks produced would not last a year.” 14 In other words: without schools, universities,
on economism there are to counterbalance that well-thumbed piece on the justice systems, but also religions and arts, etc., the reigning capitalist conditions
of production could not exist in the first place—much less go on existing.
Others subsequently linked back to Althusser’s unorthodox readings of Marx,
6  See Louis Althusser, “The ‘Piccolo Teatro’: Bertolazzi and Brecht: Notes on a Materialist including Stuart Hall; indeed, in the full knowledge that most of Althusser’s
Theatre,” in: idem, For Marx (1965), trans. by Ben Brewster, London, 2005, pp. 129–152, here
p. 152. Despite the limited academic attention that this text has received, Étienne Balibar asserts
in the preface to the new French edition that the “Piccolo Teatro” text is the “actual geometric 10  Ibid., p. 109. Janós Weiss, in a conversation with Ágnes Heller, refers to an analogous spot in
and theoretical center” of Pour Marx. It is revealing—as Warren Montag has suggested with Marx’s very early writings. See the conversation published in this volume.
regard to Balibar’s statement—that Althusser’s writings on art can perhaps offer little insight into 11  Althusser’s often noted anti-Hegelianism (in favor of Spinoza), however, is worth taking a
the essence or the development of art. Rather, they facilitate a deeper insight into Althusser’s second look at. As Katja Diefenbach asserts, precisely Althusser’s understanding of overdeter-
early ideology theory, and thus also provide a “new access” to his thinking. Such a new access mination can be read in part in light of Hegel. Diefenbach points this out in her text “Althusser
comes into view because in Montag’s rereading of Althusser, Althusser’s little known texts on art with Deleuze: How to Think Spinoza’s Immanent Cause” with reference to Jean Hyppolite’s
take center stage, although it is not his objective to establish Althusser as an art or literary critic. readings of Hegel, which can be considered as having a decisive influence on Althusser (and
Montag is much more interested in the development of Althusser’s remarks on ideology. other French theorists). (In: Katja Diefenbach, Sara Ferris, Gal Kirn, and Peter Thomas (Eds.),
Cf. Warren Montag, “Towards a New Reading of Louis Althusser,” in: idem, Louis Althusser, Encountering Althusser: Politics and Materialism in Contemporary Radical Thought, New York/
Houndmills Basingstoke, 2003, pp. 16–71, here p. 23. London 2013, pp. 165–184, here esp. p. 170–173.) Warren Montag points out that Pierre Macherey
7  New editions of Pour Marx have been recently released, in German in 2011, and in French and was already speaking about Hegelian impliciations of Althusser’s notion of a “structured whole”
English in 2005. Louis Althusser, For Marx, see note 6. in an exchange of letters in 1965. See Montag’s introduction to the collection of Macherey’s
8  Louis Althusser, “Ideology and Ideological State Apparatuses,” in: Lenin and Philosophy. writings that he edited, In a Materialist Way: Selected Essays by Pierre Macherey, London, 1998,
Notes towards an Investigation, New York, 2001, pp. 127–186. pp. 7–8. The authors would like to thank Katja Diefenbach for drawing their attention to this.
9  Karl Marx/Friedrich Engels, The Poverty of Philosophy, in: Marx Engels Collected Works, 12  Louis Althusser, “Contradiction and Overdetermination,” see note 9, p. 111.
Vol. 6: 1845–1848, London/New York, 1975–2005, p. 165; Louis Althusser, “Contradiction and 13 Ibid.
Overdetermination,” in: For Marx, see note 6, pp. 87-128, here p. 108. 14  Louis Althusser, “Ideology and Ideological State Apparatuses,” see note 8, p. 127.

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TOWARDS A CRITIQUE OF CRITIQUES OF IDEOLOGY CRITIQUE

students—most prominently Bourdieu, Foucault, and Rancière—vehemently that Althusser grants considerable weight, which it previously had not had,
distance themselves from the term ideology and from ideology critique as in his reflections on ideological state apparatuses to practices in general and
a theoretical challenge. Hall harkens back to that Althusser that polemically linguistic practice in particular.19 For structures can be seen in these practices
relativizes the orthodox and most well-known theses of Marx on ideology, above that can never be complete due to their multiplicity, and therefore can never
all those formulated in The German Ideology, holding instead to a Marx that be conclusively determined. According to Hall, the conception of ideologies as
allows for multiple determinations without a final instance and guarantee.15 For practices even opens up spheres for action that Althusser himself denies in his
Hall, what is much more significant than the orthodox and polemical theses book on ideological state apparatuses by conceiving them in such a functional
of Marx (and Engels) are, for instance, Marx’s methodological reflections in the sense that they easily reproduce the existing conditions of production.
Grundrisse.16 He thus makes a decision, not only for a particular and indeed According to Althusser, ideological state apparatuses continually generate
unorthodox Marx, but also gives precedence to the early, unorthodox Althusser subjects that confirm and continue existing practices. As is well known, the
over the Althusser of the ideological state apparatuses: “That is why, despite interpellation of Althusserian subjects on the part of the ideological state
all of its fault, I want to bring forward to you, not the proto-Lacanian, neo- apparatuses never fails, or at least this variation seems not to interest Althusser,
Foucauldian, pre-Derridean, Althusserean text—‘Ideological State Apparatuses’ instead leading almost magically to the desired answers and actions. It is not
(Althusser, 1970/1971), but rather the less theoretically elaborated but in my by chance that in Judith Butler’s examination of Althusser the central question
view more generative, more original, perhaps because more tentative text, For is whether and how one can be a “bad,” that is, a resisting subject in view of
Marx (Althusser, 1965/1969): and especially the essay ‘On Contradiction and the ideological state apparatuses.20
Overdetermination,’ which begins precisely to think about complex kinds of But let’s get back to Stuart Hall, in whom, oddly enough, Butler does not find
determinacy without reductionism to a simple unity. […] By enabling us to an accomplice in the matter of bad, resistant subjects. According to Hall,
think about different levels and different kinds of determination, For Marx gave already in Marx but then all the more in Althusser, one finds sufficient building
us what Reading Capital did not: the ability to theorize about […] particular blocks for a persuasive ideology critique, that is, for an ideology critique that
ideological formations (humanism) as determined by more than one structure makes neither the exploited masses nor the capitalists “look like judgemental
(i.e., to think the process of overdetermination).” 17 dopes.” 21 The latter would be the case if an economic structure were to
In other words: Hall is interested in that Althusser and that Marx that have predetermine the thoughts of the capitalist profiteers no less than the beliefs
abandoned economism as much as they have class reductionism, according of those who are not only exploited but who have also been cheated about
to which the ideological position of a class automatically corresponds to its their wishes and convictions.
position in production. This is a Marx and an Althusser that turn against the Hall’s suggestion runs as follows: rather than describing ideological consciousness,
insight “which people have taken from The German Ideology […]—the however it materially manifests itself in practices, as completely false, we should
founding text of the classical Marxist theory of ideology: namely, that ruling instead (following Marx) speak of a distorted consciousness, or even of
ideas always correspond to ruling class positions; that the ruling class as a structural half-truths,22 which hide quite particular aspects of an issue—for
whole has a mind of its own which is located in a particular ideology.” 18 instance, to stay with the master example from Marx, the production aspect of
What Hall emphasizes in relation to the Althusser of state apparatuses is the capitalist economy. Starting from this premise, an analysis of existing practices
further development of thinking about (partial) autonomy and the determining and the forms of consciousness associated with them can no longer be
power of the so-called superstructure, and he sees enormous value in the fact separated from re-articulations of the simultaneously analyzed, critiqued, and
transformed issue. The basis for articulating ideology critique in Hall’s sense,
15  Cf. Stuart Hall, “The Problem of Ideology: Marxism without Guarantees,” in: Stuart Hall,
Critical Dialogues in Cultural Studies, ed. by David Morley and Kuan-Hsing Chen, London, 1996,
which cannot be separated from dis-articulations and strategies of active
pp. 25–46; and “Signification, Representation, Ideology: Althusser and the Post-Structuralist
Debates,” in: Critical Studies in Mass Communication, 2 (2), 1985, pp. 91–114. 19  Cf. Jens Kastner, “Ideology and Habitus,” in this volume.
16  These methodological remarks in the Grundrisse are the subject of an instructive essay by 20  “Here one might usefully conjecture that the reason there are so few references to ‘bad
Hall, “Marx’s Notes on Method: A ‘Reading’ of the 1857 Introduction,” in: Cultural Studies, 17 (2), subjects’ in Althusser is that the term tends toward the oxymoronic. To be ‘bad’ is not yet to be
2003, pp. 113–149 (first published in 1974). a subject.” Judith Butler, “Conscience Doth Make Subjects of Us All: Althusser’s Subjection,” in:
17  Stuart Hall, “Signification, Representation, Ideology,” see note 15, pp. 93–94. idem, The Psychic Life of Power, Stanford/CA, 1997, pp. 106–131, here p. 118f. Cf. also Ruth
18  Ibid., p. 97. Warren Montag similarly builds on For Marx, and indeed at the expense of the Sonderegger, “Ideology and Subjectivation,” in this volume.
theory of the ideological state apparatuses, which remains in the foreground of reception. 21  Stuart Hall, “The Problem of Ideology,” see note 15, p. 31.
Cf. Warren Montag, Louis Althusser, see note 6; cf. also Katja Diefenbach et al., see note 11. 22  Ibid., p. 36.

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unlearning, is the insight that all conditions and issues can be expressed differently directions. He then uses this post-structuralist Althusser against the determinist
and that expressions in turn can be interpreted differently—that is, they always structuralist of the Ideological State Apparatuses. In Hall’s re-reading, this
exhibit conscious and unconscious gaps. “But—and here we may be on a earlier Althusser can at the same time—again only seemingly a contradiction—
route contrary to emphasis from that with which ‘materialism’ is usually be linked up to the meta-linguistic variation of ideology critique à la Ernesto
associated—the economic relations themselves cannot prescribe a single, Laclau, which constitutes ideology as principally linguistic and understands
fixed and unalterable way of conceptualizing it. It can be ‘expressed’ within it as functioning performatively. Ideology, according to Laclau and Hall’s
different ideology discourses. […] We have also by-passed the distinction ‘true’ reading of the early Althusser, can thus never be taken as constant. Rather, it
and ‘false,’ replacing them with other, more accurate terms: like ‘partial’ and reproduces itself through the meaning-generating chains of signifiers that we
‘adequate,’ or ‘one-sided’ and ‘in its differentiated totality.’” 23 have mentioned, which for their part underlie potentially infinite shifts. At the
In the first instance this could be understood as if it were a matter of the most same time, Hall’s Althusser can also be linked up with those post-structuralist
complete or adequate understanding of a particular issue or condition. But theories that attempt to find alternative categories outside of ideology critique
Hall doesn’t rest here. His concept of re-articulation in ideology critique (which to analyze the organization of power, and that possess an unmistakable
always also implies a dis-articulation) analyzes chains of connotations that commonality: they are all based on categories of practice, of living, sensing, or
generate signification and self-referential actions that in turn are as linked with experiencing—often with a direct relation to the body, sensibility, and/or
understandings as they are with the collective forms of practices that generate subjectivity. Deleuze/Guattari’s terms “desiring machine” and “segmentarity”,28
signification (for instance, social movements, but also consumer-oriented Foucault’s notion of articulation, rhythmicization, and elaboration of the
subcultures in relation to the music industry, etc.). Hall’s analysis not only body,29 but also his “deployment of sexuality” or “biopower” as a variety of
targets the multi-faceted determination of structures of practice; he also points governmental leadership, Bourdieu’s “habitus,” and Rancière’s “distribution of
out the one-sidedness that seems to underlie them at the same time. In this the sensible”—all of these, sometimes more, sometimes less, tend to offer an
respect, Hall explicitly names the determination through racializing, class- aisthetic alternative to an undertanding of ideology that would reduce it to a
identifying, and gendering structures.24 Both, dis-articulation and re-articulation, simple mental phenomenon. But they do this quite in keeping with the “lived
however, cannot be reduced to mere analysis. It is also always a positioning relation” to the system of representation already postulated by the early
within a battle over alternative ways of understanding and alternative Althusser, in which individuals get involved as continuously subjectifying beings.
embodiments in forms of practice. Hall thus links back to Gramci’s concept Hall writes:
of hegemony, as Althusser had also done, as an essential re-articulation of
Marx’s ideology critique 25 as well as to the further development of the “Perhaps the most subversive implication of the term “live” is that it
Gramscian understanding of ideology by Ernesto Laclau. Referring to Valentin connotes the domain of experience. It is in and through the systems of
Volosinov, Hall speaks of the fact that it is the “multiaccentuality of the representation of culture that we “experience” the world: experience is
ideological sign” that would make possible a “class struggle in language.” 26 the product of our codes of intelligibility, our schemas of interpretation.
It is precisely this multi-accentuation, however, that can also be used against Consequently, there is no experiencing outside of the categories of
Althusser’s theory of the seamlessly functioning state apparatuses, which Hall representation or ideology. The notion that our heads are full of false
explicity undertakes: “Social reproduction itself becomes a contested ideas which can, however, be totally dispersed when we throw
process,” 27 rather than simply being seamlessly achieved by the ideological ourselves open to “the real” as a moment of absolute authentication,
state apparatuses. is probably the most ideological concept of all.” 30
As we have said, Hall’s trick consists in filtering out—in a way that is only
seemingly contradictory—a younger, but at the same time more post-structural
Althusser from For Marx; one who thinks structural determination in multiple
28  On the term segmentarity, cf. Gilles Deleuze/Félix Guattari, A Thousand Plateaus: Capitalism
23  Ibid., p. 38. and Schizophrenia, trans. by Brian Massumi, Minneapolis, 1987, esp. chapter 9: “1933—Mikro-
24  Stuart Hall, “Signification, Representation, Ideology,” see note 15, pp. 102–103. politics and Segmentarity,” pp. 208–231.
25  Louis Althusser, “Contradiction and Overdetermination,” see note 9, footnote 29, p. 114. 29  Cf. Michel Foucault, Discipline and Punish. The Birth of the Prison (1975), trans. by Alan
26  Stuart Hall, “Signification, Representation, Ideology,” see note 15, p. 113. Sheridan, New York, 1995, pp. 149–155.
27 Ibid. 30  Stuart Hall, “Signification, Representation, Ideology,” see note 15, pp. 104–105.

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TOWARDS A CRITIQUE OF CRITIQUES OF IDEOLOGY CRITIQUE

In a certain sense, Hall falls between the cracks. On the one hand he fends off be saps because they have ideological needs, but must instead recognize the
the tendency of totalizing practice (at the expense of discursive phenomena); truth in their falsehood if one is interested in the dis-articulation and
on the other, he finds importance in the meaning of the term practice as a transformation of ideologies.34
critique of the pure phenomenon of consciousness. But more than anything, We are emphasizing this side of Adorno because his thinking, derided as elitist,
he insists on the category of living practices. Hall explains this in closing in an and especially his ideology-critical manifesto Dialectic of Enlightenment,
analysis and criticism, or at least the beginnings of such, of the both racializing co-written with Max Horkheimer, has most often served in German-language
and class-identifying term “black”; indeed by starting from the thoroughly discussion after ’68 as an indication (or even as proof) that the ideology
contradictory and thus relativizing interpellation and attributions that he has critique inspired by Marx is a wrong track. Not only was Adorno (and
been subjected to due to his Carribbean origins in Jamaica on the one hand Horkheimer) accused of elitism in making use of a position outside all ideology—
and as a “black” person in Britian on the other. At the concrete moment of despite the fact that Adorno and Horkheimer, already in their preface to
interpellation (as a “black” subject), the constant shift in meaning and linguistic Dialectic of Enlightenment, thematize the challenge of wanting to hold on
assemblage is discharged as the moment of violence, thus coming to an “arbitrary to the critical potential of reason while at the same time ascribing reason with
closure;” and indeed at that exact place where the subject interpellated as a fundamentally destructive logic. They were also accused of having likewise
black enters, because it has been forced into a historico-ideological context described all the inhabitants of the twentieth century as being ideologically
—the context of slavery and the presumably free accessibility of one’s own deluded; unrelated to whether the people in question are victims of the
working power in the liberal division of labor—and the interpellated subject capitalist culture industry in the West or of state-prescribed communism in the
“turns around” or perhaps does not.31 East. Even within the so-called Frankfurt School, this led to a turning away
With the methodologically significant term of ideological half-truths, Hall also from the project of ideology critique, as can be seen, or rather read most
comes—perhaps unexpectedly—in direct contact with Theodor W. Adorno, clearly in Habermas’s Theory of Communicative Action.35 Instead of concrete
who writes in his “contributions to the theory of ideology” about “the (ideology) critique, what appears there is a quasi-transcendental examination
intertwining of truth and falsehood.” “As a consciousness which is objectively of the epistemological foundations of the critical faculty. At the same time,
necessary and yet at the same time false […] ideology belongs, if not to a Habermas’ Theory of Communicative Action is also a rejection of certain
modern economy, then, in any case, to a developed urban market economy. militant ideology-critical re-articulations such as those proposed by Stuart
For ideology is justification […]. Where purely immediate relations of power Hall at the beginning of the 1980s. No wonder, then, that the Projekt Ideologie-
predominate, there are really no ideologies […]. Accordingly, the critique of theorie, which was formed in the late 1970s around W. F. Haug at the Free
ideology, as the confrontation of ideology with its own truth, is only possible University in Berlin, linked back with Althusser’s French tradition—with Gramsci
insofar as the ideology contains a rational element with which the critique can
deal. That applies to ideas such as those of liberalism, individualism, the
identity of spirit and reality. But whoever would want to criticize, for instance,
the so-called ideology of National Socialism would find himself victim of an
impotent naïveté.” 32 34  Examining the “great architects from Loos to Le Corbusier and Scharoun” and the thesis
that “architecture worthy of human beings thinks better of men than they actually are,” Adorno
Adorno’s conviction that ideologies are structural, that is, socially effective, writes: “Living men, even the most backward and conventionally naive, have the right to the
and one-sided albeit not entirely false, justifications is also expressed in his fulfillment of their needs, even though those needs may be false ones. Once thought supersedes
insistance, for instance in the essay Functionalism Today, that people also without consideration the subjective desires for the sake of truly objective needs, it is trans-
formed into brutal oppression. So it is with volonté générale against the volonté de tous. Even in
have a right to the fulfillment of even false needs, that—like Hall also stresses the false needs of a human being there lives a bit of freedom. It is expressed in what economic
in his essay Encoding/Decoding 33—one cannot simply declare people to theory once called the ‘use value’ as opposed to the ‘exchange value.’ Hence there are those
to whom legitimate architecture appears as an enemy; it withholds from them that which they,
by their very nature, want and even need.” Theodor W. Adorno, “Functionalism Today,” in:
31  Ibid., p. 55 and pp. 56–62. On “turning around,” cf. Ruth Sonderegger, “Ideology and Rethinking Architecture: A Reader in Cultural Theory, ed. by Neil Leach, London, 1997, pp. 6–20,
Subjectivation,” in this volume. here pp. 15–16.
32  Theodor W. Adorno, “Ideology” (1954), in: Aspects of Sociology, Frankfurt Institute for Social 35  Jürgen Habermas, Theory of Communicative Action, trans. by Thomas A. McCarthy,
Research, London, 1973, pp. 182–205, here p. 189. Boston, 1984–1985. Cf. also Ruth Sonderegger, “Wie diszipliniert ist (Ideologie-)Kritik? Zwischen
33  Cf. Stuart Hall, “Encoding/Decoding,” in: Culture, Media, Language, ed. by Stuart Hall et al., Philosophie, Soziologie und Kunst,” in: Rahel Jaeggi and Tilo Wesche (Eds.), Was ist Kritik?,
London, 1991, pp. 128–138. Frankfurt a. M., 2009, pp. 23–54.

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TOWARDS A CRITIQUE OF CRITIQUES OF IDEOLOGY CRITIQUE

as a precursor and Hall as a developer—and not with the Frankfurt School.36 of words. What must replace the sociology of (ideology) critique, according
With the thesis, leveled against the first generation of critical theory, namely to Boltanksi and his comrades-in-arms, is a sociology of critique that merely
that it is presumptuous to ascribe as theorists (as opposed to simple citizens) describes that and how ideology critical practices function (well) alongside
false needs to people and, what’s more, to criticize them for it, Habermas other critical registers in everyday life.39 Ideology critique is thus doing fine,
finds himself oddly close to theses that Luc Boltanski developed together with and is being practiced everywhere that one finds words particular to the
Laurent Thévenot and Ève Chiapello at the beginning of the 1990s; theses tradition of ideology critique, words such as “distorted,” “blind,” “unconscious,”
according to which ideology critique as a theoretical project would be etc. (Sociological) theorists can reconstruct this—and also have to do so against
epistemologically obsolete because it is self-contradictory and furthermore the die-hards like Bourdieu—but they must beware of meddling as experts in
paternalistic and elitist.37 The target of these theses is Pierre Bourdieu, who the everyday practices of ideology critique.
the theorists mentioned accused of carrying out an ideology critique that is In light of the massive critique that was levied against certain conceptions
both epistemologically as well as politically indefensible, indeed despite the fact of ideology, or much more fundamentally, against even talking about ideologies
that Bourdieu rejects the term ideology as vehemently as many of Althusser’s —both at the time of Marx as well as around 1968, or even around 1989
other students do.38 According to these theses, Bourdieu does not describe (especially represented in the area of theory by the works of Luc Boltanski)—,
the agents that he analyzes as any less determined by ideological structure of one could get the impression that the rather scant defenders of ideology
practice than does Althusser himself. Furthermore, he becomes guilty of an critique were fiddling around with a dead patient; that they—whether out of
epistemological self-contradiction when he claims a categorical distance nostalgia, out of arrogant or even elitist faithfulness in science, or out of the
(Bourdieu speaks of a “break”) for social scientists doing ideology critique, desire for simple black-and-white circumstances—were defending a mode of
which is at best a naïve illusion. presumptuous rebuke, which is epistemologically, politically, and ethically
Boltanski, Chiapello, and Thévenot, on the other hand, maintain that social dubious and in the end leaves everything just as it is. For according to the
agents in ideology critique do not need any help from (social) science, rather critics of ideology critique, ideology critics would be doing nothing more than
that they themselves have complete command of this genre. Using empirical simply ascribing guilt to others anyway.
examinations they reconstruct that and how ideological critique is carried out It is our conviction that precisely those theorists who have grappled most
in the most everyday situations; and indeed, exactly there where we accuse critically with Althusser (interestingly also with early critical theory, as one can
one another of blindness, distorted perception, and so on, and then usually see in the late Foucault and Butler) are the ones who have carried out promising
argue to defend ourselves or even make changes in our behavior or our choice movements in practical ideology critique. This is especially the case for Judith
Butler and for Foucault’s later writings that were inspired by cynical parrhesiastes,
36  Cf. Jan Rehmann, “Ideology Critique, Ideology Theory, and Poststructuralism—A Re-Evalu-
ation,” in this volume, and his Einführung in die Ideologietheorie [Introduction to Ideology but also for Deleuze and Guattari, who argue, with their machines and
Theory], Hamburg, 2008, esp. chapter 9, pp. 153ff. Parallel to the Projekt Ideologietheorie and in assemblages, for forms of critique without a name (of their own). This critique
critical differentiation to Adorno’s Aesthetischer Theory, Otto Karl Werckmeister has contributed
cannot be subsumed under proper names because the elements that might
an ideology-critical variation of art history and theory. See for instance O. K. Werckmeister, Ende
der Ästhetik, Frankfurt a. M., 1971. In his 1978 lecture “What is Critique?” (in: The Politics of be fruitful for a theory of ideology in Deleuze/Guattari’s thinking, but also
Truth, ed. by Sylvère Lotringer and Lysa Hochroth, New York, 1997), Foucualt draws attention to Foucault’s and Butler’s, are not their conceptions or their accomplishments
the fact that the concerns of early Critical Theory have survived better and been developed
alone. Rather, they are multiply intertwined with other ways of thinking, collective
further in France than in Germany. Alongside this, there was a much more active reception of
Marx in France than in Germany, which is also expressed in Étienne Balibar’s monography The desires, social formations, and political events. Even Rancière’s ideas of the
Philosophy of Marx, for instance, which has just appeared in German (The Philosophy of Marx, political, which depart militantly from ideology critique and from Althusser, can
see note 2) and which contains a chapter on “Ideology or Fetishism: Power and Subjection.” The
German edition also contains a preface by F. O. Wolf.
37  Luc Boltanski and Laurent Thévenot, On Justification: Economies of Worth, trans. by 39  Luc Boltanksi and Laurent Thévenot, “The Sociology of Critical Capacity,” European Journal
Catherine Porter, Princeton, 2006 (French original 1991); Luc Boltanski and Ève Chiapello, The of Social Theory, 2 (1999) 3, pp. 359–377. Since Boltankski has at least partly relativized this
New Spirit of Capitalism, trans. by Gregory Elliot, London/New York, 2005 (French original 1999). thesis in the meantime, one can wonder how seriously it was meant in the first place. Cf. Luc
38  On Bourdieu’s distancing himself from the term ideology, cf. his conversation with Terry Boltanksi and Axel Honneth, “Soziologie der Kritik oder Kritische Theorie? Ein Gespräch mit Robin
Eagleton, “Doxa and Common Life: An Interview,” in: Slavoj Žižek (Ed.), Mapping Ideology, Celikates,” in: Rahel Jaeggi and Tilo Wesche (Eds.), see note 35, pp. 81–114; and Luc Boltanski,
London, 1994, pp. 265–277. We are following Robin Celikates’s reconstruction here, albeit On Critique: A Sociology of Emancipation, Cambridge, 2011; cf. also Ève Chiapello’s essay on an
without sharing his conclusions: Robin Celikates, “From Critical Social Theory to a Social Theory understanding of ideology purified of all normative and evaluative dimensions, “Reconciling the
of Critique: On the Critique of Ideology after the Pragmatic Turn,” in: Constellations, Vol. 13, No. 1, Two Principal Meanings of the Notion of Ideology: The Example of the Concept of the ‘Spirit of
2006, pp. 21–40. Capitalism,’” in: European Journal of Social Theory, 2003, Vol. 6, No. 2, pp. 155–171.

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be made fruitful as a challenge to the ideological “consensus” in each case. than ideology critique: “The failure of Deleuze and Guattari to consider the
Such non-determinist and multi-directional approaches seem to be relations between desire, power and subjectivity renders them incapable of
groundbreaking at least in part because they also aggressively open up the articulating a theory of interests. In this context, their indifference to ideology
question of how much expertise in ideology critique is beneficial, and where the (a theory of which is necessary for an understanding of interests) is striking
limit of so-called ideology theory is reached. With their reservations about but inconsistent. […] Because these philosophers seem obliged to reject all
academic ideology specialists, Deleuze and Guattari, Foucault, Butler, and arguments naming the concept of ideology as only schematic rather than
Rancière in no way negate the theoretical and analytical achievements of textual, they are equally obliged to produce a mechanically schematic opposition
ideology critique. Rather, they challenge the assumption that such capacities between interest and desire. […] The race for ‘the last instance’ is now between
for analysis are tied to the familiar factories of knowledge.40 economics and power. […] In the name of desire, they reintroduce the undivided
However, it is precisely in this point—in the context of the question of whether subject into the discourse of power.” 44 In doing so, Deleuze and Foucault claim
and how post-structuralist theorists can join up with the Marxist tradition of a clear precedence of desiring and signifying structures over those of the
ideology critique and how they can articulate it—that particular attention is economy. An examination of (the history of) ideology critique, however, would
due to Gayatri Chakravorty Spivak’s text Can the Subaltern Speak? 41 Referring have shown them—this is how we must understand Spivak—how ploblematic
to a conversation between Deleuze and Foucault from 1972,42 Spivak first claiming or merely reversing one-sided determinations—and thus concomitant
accuses both theorists, but ultimately also other post-structuralist thinkers, of oppositions such as oppressor-oppressed, for example—is.
the following: by analyzing the structures of power and repression always in Nonetheless, we can maintain the following: In a manner quite distinct from
reference to the same western part of the world, these post-structuralists are Boltanski, Hall, Spivak, Butler, Deleuze/Guattari, and Foucault refer to more or
suggesting that such structures do not exist elsewhere, at least not in a form less everyday scenes of ideology critique—especially to its practical dimensions.
worthy of analysis and critique. According to Spivak, this is in no way as self- But not as an end to itself, but always with the goal of supporting the
critical as it might seem at first glance. Rather, it means that one blocks out analytical and resistant practices of ideology critique; even if most of them
the degree to which one’s own world is intertwined with the world one is did not call these resistance practices ideology critique.45 And they do this
ignoring. One symptom of this ignorance, in Spivak’s eyes, is the way that the consistently to the point that the names and careers of the theorists mentioned
sovereign subject turns up again in Foucault and Deleuze in this unguarded here are no longer relevant—nor are the names of the theories themselves.46
discussion, something that both of them had long ago abandoned in their In doing so, they open up the possibility of seeing and apprehending ideology
theories. To be more precise, the sovereign subject turns up again when it is a critique at work where this word doesn’t even appear—particularly in political
matter of big topics such as the “subject-in-revolution”—self-evidently a male and artistic practices of dis-articulation and re-articulation of assemblages
subject—and indeed as the Maoist and as the subject of the class struggle. that generate meaning and establish dominance. We are thinking here of the
In contrast to the intellectuals that are addressed by name in the conversation Situationists as well as the gender performances that Butler describes,
between Foucault and Deleuze, and to which they also obviously belong sometimes artistic and unruly, sometimes not at all, or of the staged public
themselves, the workers and Maoists remain nameless and furthermore are interventions by the anarcho-feminist collective Mujeres Creando in Bolivia;
represented as dumb. For they do not understand, as is made clear right from but also of the theoretical interventions and inventions by theorists such as
the beginning of the conversation, that “we’re [Deleuze und Foucault] in the Gloria Anzaldúa or bell hooks, who take up the correlations between race,
process of experiencing a new relationship between theory and practice.” 43
What Spivak puts into play against this narrow-mindedness is nothing other
44  Gayatri Chakravorty Spivak, see note 41, pp. 273–274.
40  For an analysis of factories of knowledge in the present time, cf. Gerald Raunig, Factories of 45  The post-structuralist approaches mentioned here are not random or neutral in their critique
Knowledge, Industries of Creativity, trans. by Aileen Derieg, New York, 2013. See also Stephan of all the fixations of meaning and habitualization/naturalization of activities, but rather very
Dillemuth, “The Hard Way to Enlightenment: Dramatization of a Lecture on The Academy and the specific. For this reason, they are not—neutralizing for their part—theories of all-round fluidity,
Corporate Public—in two Parts,” published in this volume. like Rahel Jaeggi accuses “the theory of ideology from Althusser to Butler” of being. See Rahel
41  Gayatri Chakravorty Spivak, “Can the Subaltern Speak?”, in: Marxism and the Interpretation Jaeggi, “Was ist Ideologiekritik?,” in: Rahel Jaeggi and Tilo Wesche, see note 35, pp. 266–295,
of Culture, ed. by Cary Nelson and Lawrence Grossberg, Urbana, 1988, here p. 272. here p. 282.
42  “Intellectuals and Power,” in: Michel Foucault, Language, Counter-Memory, Practice, Ithaca, 46  Precisely because Spivak’s critique seems to us as pertinent as does her advocacy of
1977, pp. 205–217. ideology critique, we have attempted above to lay bare a certain (proper) nameless ideology
43  Ibid., p. 205. critique in a particular Deleuze and in the late Foucault.

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TOWARDS A CRITIQUE OF CRITIQUES OF IDEOLOGY CRITIQUE

class, and gender.47 The path of accentuating situative practices and their clearly be seen in the “critical” re-orientation of some of the biennials; some
performative analyses and shiftings is certainly not the only one that also examples would include the Havana Biennale (II and III Bienal de la Habana,
leads from ideology research into the field of art. But at this point we would 1986 and 1989), the 10th Documenta in Kassel (Documenta 10, 1997), and the
like to maintain that this path must be seen as exemplary of the re-orientation invention of entire biennial formats such as the Manifesta (European Biennial
of (ideology) critique in the field of art that took place in the 1990s. of Contemporary Art, starting in 1996), which have been committed from the
beginning to a (post-)institutional-critique flexibility (keyword: “nomadism”)
and to the rhetoric of a new democracy—the epitome of a “reunified” Europe.50
3.  What is this field of art that we are addressing? Large scale exhibitions such as Magiciens de la Terre (Centre Pompidou,
Paris, 1989) and Seven Stories About Modern Art in Africa (at the Whitechapel
So the question arises: In light of the critique of ideology critique traced out Gallery, London, 1995, and at the Guggenheim Museum, New York, 1996,
above, can we still hold onto a revised understanding of necessary false among others), Global Conceptualism: Points of Origins, 1950s–1980s (Queens
consciousness? Or do we even have to? And why in relation to the art world? Museum of Art, New York, 1999), or Vivências / Lebenserfahrungen (Generali
We are convinced that indeed we must. Foundation, Vienna, 2000) can in turn be considered milestones in the entry of
Since the 1990s the topic of “politics” has resurfaced in the field of art much “non-western” art into the established institutions of Europe and the USA.
more clearly than was the case in the previous decade.48 This has involved a The term “decentralization” has become established for this tendency at least
return to the avant-garde strategies of the 1960s and 1970s, which is what since Documenta 11 (Kassel, 2002), which has rightly been celebrated as an
made it possible to see the 1990s as the decade of re-politicization in the field important if partial victory against the hegemonic Euro-America-centrism of
of art in the first place. This return also made intersections with the forms art criticism and exhibition practices. Furthermore, the attempt to consider
of practice of ideology critique outside the field of art accessible once again, real, existing geographical decentralization together with the post-structuralist
not least those intersections that largely left out the term ideology and had project of an “epistemological decentralization” has set new standards which
abandoned any precise delimitation between art and non-art. In this context, are in place to this day for an art that understands itself as critical, and
the post-structuralist or post-ideological strategies of shifting and accentuating which—in our view—no project of ideology critique can fail to keep up with.
that we have described not only increased in significance, but also in popularity. Nonetheless, it is not precisely adequate to speak quite generally of a (post-)
For despite the ever-present tendency toward privatization and the pressure ideology-critical repoliticization in the field of art in reference to the 1990s. For
to succeed associated with it, the rising attendance figures in the 1990s the emerging spaces of intervention for forms of practice of (ideology) critique
allowed art institutions to make more and more of their space and budgets and anti-hegemonic discourse are not free of contradictions. These contradictions,
available to forms of critical articulation. in turn, which today take on the form of capitalizing on “otherness” and
Parallel to this development, the significance of international biennials has “multiculturalism” in the neo-liberal art business as much as the form of the
grown throughout the increasingly globalized art scene, bringing along a logic of valorization of individualized emotions, of independence and its promise
tendency to internationalization in the art presented.49 This development can of freedom, have been thematized and problematized by critical theories as
paradigmatic for the contemporary capitalist modes of production. Finally, the
47  Cf. bell hooks, Art on My Mind: Visual Politics, New York, 1995; Judith Butler, Gender Trouble:
Feminism and the Subversion of Identity, New York, 2006; Gloria Anzaldúa, Borderlands/La
field of art does not only represent an archive of (post-) ideological strategies;
Frontera: The New Mestiza, San Francisco, 1987; on the actions by the anarcho-feminist collective it is also an assembly point for ideologies.51
Mujeres Creando, see online: http://www.mujerescreando.org/ (last viewed:August 22, 2013).
48  Cf. for instance the tabular exhibition overview by Elena Filipović, Rafal B. Niemojewski, and
Barbara Vanderlinden “One Day Every Wall Will Fall: Select Chronology of Art and Politics after
1989,” in: Barbara Vanderlinden and Elena Filipović (Eds.), The Manifesta Decade: Debates on 50  For a critique of such a self-understanding, see Vesna Madžoski, “Exorcising the Ghosts of
Contemporary Art Exhibitions and Biennials in Post-Wall Europe, Cambridge/MA, 2005, pp. 20–44. Europe. Manifesta Biennial of Contemporary Art and the Failed Rhetorics of Democracy,” in this
49  Since the globalization of the art business is not a finished process, it is at least as important volume. On the conjunctures of critique (and criticality) in the field of art, cf. also Oliver Marchart,
to point out the discourse within the field of art that is critical of globalization. It can be argued, for Hegemonie im Kunstfeld. Die documenta-Ausstellungen dX, D11, d12 und die Politik der
instance along with Lara Buchholz and Ulf Wuggenig, that the term globalization and questions of Biennalisierung, Cologne, 2008.
representative internationality are in the first place matters of extending western power structures. 51  On reactionary, neo-nationalist, and/or duplicitous tendencies in the neo-liberal art business
Cf. Lara Buchholz/Ulf Wuggenig, “Cultural Globalization between Myth and Reality: The Case of that sees itself as “progressive,” see the contributions by Alice Creischer, Diedrich Diederichsen,
the Contemporary Visual Arts,” online at: http://artefact.mi2.hr/_a04/lang_en/theory_buchholz_en.htm Stephan Dillemuth, Vesna Madžoski, Mereijn Oudenampsen and the conversation with Ágnes
(last viewed:August 22, 2013). Heller and János Weiss in this volume.

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TOWARDS A CRITIQUE OF CRITIQUES OF IDEOLOGY CRITIQUE

Both the post-structuralist strategies that we have just attempted to make art, summarizing two studies from 2005 in a concise paragraph. In these
productive for ideology critique and the post-ideological strategies of the studies, cultural creators in precarious working conditions say:
1990s are thus criticized at least as often as they have been able to be
successfully implemented—and not only from the right, but also from the left; how important it is, not only to be seen regularly at exhibition openings
namely, from the circle of those who see the same mechanisms at work in the and to seek out people to talk to, but also to do everything possible
imperative of artistic critique in general and of (post-)institutional-critique “to be enjoying it and to feel comfortable, for anyone who doesn’t
“criticality” in particular as are at work in the neoliberal course of a new form seem comfortable on an evening is also not going to be successful.” It
of social democracy.52 For, quite in keeping with Stuart Hall’s half-truths, art is is also essential that everyone make constant efforts “to talk up
herein often ascribed the status of a particular projection surface. In the public planned or upcoming projects, so as not to give the impression that
opinion of neoliberal democracies, but also from the perspective of many one is in an emergency situation, desperately looking for connections.” 57
critical theorists, there are very few social fields that are as strongly
associated with (individual) freedom and at the same time social engagement With this completely justified caveat in mind, we can only suppose, starting
as the field of contemporary art. De facto, many artists and activists active in from a perspective of ideology critique inspired by Marx, that the actual
the field of art would also not want to contradict this assumption. problem lies hidden in what is not being spoken about, and thus not critiqued,
How contested the projection surface of criticality is in the field of art can be in the representative discourses in the field of art. This not only concerns the
seen for instance in the fact that Boltanski/Chiapello criticize the “artistic problems that often slip through the loopholes in the dominant systems of
critique” aimed at self-realization as the accomplice of the new capitalism.53 In representation: for instance the systematic interconnections of race, class,
its turn, Boltanski/Chiapllo’s critique masks the systematic critique of the field and gender or the political price for the compromises made that are immanent
of art, which is part and parcel of “artistic critique,” as Maurizio Lazzarato in to the field. Above all, this concealment concerns precisely what everyone
particular has pointed out.54 Others criticize the tendency of “fragmentation” knows but cannot speak about because it offends the dominant self-
and making compromises in the area of artistic ideology critique; 55 or they conception in the field of art: bad to no payment, questionable interest on the
warn of the effective capitalization of contemporary strategies and the part of sponsors, and, not least structural censorship due to precarious
associated dispositions on the side of the contemporary art and culture working conditions.
business.56 This is also the sense in which Jan Rehmann in his Introduction to
Ideology Theory writes how little the good will of free cultural production can
be isolated from the dominant production logic, that is, from its lived relation
to the world. In the sub-chapter Promises of Liberation and Heteronomy in
Neoliberalism he points to quite ordinary ideological processes in the field of
instance, “fragmentation” is an aesthetic category that concerns the distribution of spaces and
perception, and which correlates to the semiotic forms of producing value in late capitalism.
52  This neo-liberally oriented “new” social democracy has found its way into several governments See Fredric Jameson, Postmodernism: Or, The Cultural Logic of Late Capitalism, Durham, 1991,
distributed throughout the globe (1993 Bill Clinton in Washington, 1995 Fernando Henrique pp. 1–54. The sociologist Sebastian Herkommer sees “fragmentation” as the disintegration of a
Cardoso in Brasilia, 1997 Tony Blair in London, or 1998 Gerd Schröder in Berlin). For a critique of unified basis for critiquing capitalism, which is part and parcel of neo-liberalism. Herkommer
the demand for criticality in the field of art cf. Helmut Draxler, Gefährliche Substanzen. Zum even goes so far as to incriminate all forms of either individualized critique or demands isolated
Verhältnis von Kritik und Kunst, Berlin, 2007. For a critique of Draxler’s position, cf. Jens Kastner, from the wider social context of latent complicity with the neo-liberal mechanism of
“Zur Kritik der Kritik der Kunstkritik. Feld- und hegemonietheoretische Einwände,” in: Birgit fragmentation—as long as these kinds of critque are not explicitly articulated as solidarity in the
Mennel, Stefan Nowotny, and Gerald Raunig (Eds.), Kunst der Kritik, Vienna, 2010, pp. 125–147. struggle against capitalism. Herkommer includes in this also the critique of racism, feminism,
53  Cf. Luc Boltanski, Ève Chiapello, see note 37. demands for the rights of homosexuals, etc., thus not only falling once again into the orthodox
54  Maurizio Lazzarato, “The Misfortunes of the ‘Artistic Critique’ and of Cultural Employment,” logic of “main and side contraction,” but also encouraging even more fragmentation himself than
in: Gerald Raunig, Gene Ray, and Ulf Wuggenig (Eds.), Critique of Creativity. Precarity, Subjectivity what the recognition of civil rights for invidiual minorities could ever achieve. Cf. Sebastian
and Resistance in the ‘Cultural Industries,’ London, 2011, pp. 41–56, online at: Herkommer, Metamorphosen der Ideologie, Hamburg, 2004, especially part 3, chapter 1. “Das
http://mayflybooks.org/wp-content/uploads/2011/05/9781906948146CritiqueOfCreativity.pdf ‘Ende der Ideologie’: Vom ideologischen zum nachideologischen Alltagsbewußtsein?”, pp. 115–123.
(last viewed:Sept. 29, 2013). Ulf Wuggenig makes a similar argument in “Paradoxe Kritik,” in: 56  See for instance Suely Rolnik’s outstanding analysis of the relation of the countercultural
Birgit Mennel et al., see note 52, pp. 105–124. strategies by the avant-gardes in Brazil in the 1960s and 1970s to the mechanisms of the
55  Various theorists have gladly characterized both the figure of “fragmentation” and the contemporary logic of production, “Geopolitics of Pimping” (2006), online at: http://www.eipcp.
tendency to form compromises as characteristics of the “postmodern” and/or of “late capitalism,” net/transversal/1106/rolnik/en (last viewed: August 12, 2013).
but this has been discussed and criticized in a wide variety of ways. For Fredric Jameson, for 57  Cf. Jan Rehmann, Einführung in die Ideologietheorie, see note 36, p. 200.

70 71
I

GENEALOGISCHE
KONSTELLATIONEN

GENEALOGICAL
CONSTELLATIONS
IDEOLOGIEKRITIK,
IDEOLOGIETHEORIE UND
POSTSTRUKTURALISMUS
– EINE NEUBESICHTIGUNG
Jan Rehmann

Mit dem Titel stelle ich drei komplexe und umstrittene Begriffe zur Diskussion,
die im Rahmen dieses Vortrags sicher nicht flächendeckend und erschöpfend
behandelt werden können. Möglich ist ein begrenzter Zugriff, eine bestimmte
Schneise, die natürlich nicht voraussetzungslos gelegt wird. In meinem Fall
sind Auswahl und Schwerpunktsetzung davon beinflusst, dass ich schon als
junger Student an dem von Wolfgang Fritz Haug geleiteten Berliner Projekt
Ideologietheorie (PIT) teilnehmen konnte, das meine weiteren Studien und
Forschungen nachhaltig prägte.
Ich werde mich im Folgenden zunächst mit der „ideologietheoretischen Wende“
der 1970er und 1980er Jahre beschäftigen, die ich am Beispiel von drei
Theorien behandle, der von Louis Althusser, von Stuart Hall und vom Projekt
Ideologietheorie. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass diese „Wende“
z. T. bereits durch Gramsci und durch Marx und Engels vorweggenommen
wurde. In einem zweiten Punkt gehe ich auf die wichtigsten Unterschiede
zwischen den verschiedenen ideologietheoretischen Ansätzen ein. In einem
dritten Punkt zeige ich, wie im Poststrukturalismus der Ideologiebegriff durch
die Begriffe des Diskurses und der Macht ersetzt wurde und warum ich diese
Ersetzung letztlich für einen Rückschritt halte. Schließlich diskutiere ich ab-
schließend an ausgewählten Beispielen, wo es meines Erachtens interessante
Überschneidungen zwischen Ideologietheorie und Poststrukturalismus gibt
und wie man die Errungenschaften beider Theorietraditionen wieder miteinander
verknüpfen könnte.

Die ideologietheoretische Wende

Der Begriff der „Ideologietheorie“ hat sich in den 1970er Jahren vor allem im
Anschluss an Louis Althusser herausgebildet, um eine Neubegründung marxis-
tischer Ideologieforschung zu bezeichnen. Er sollte eine doppelte Abgrenzung
markieren: zum einen gegenüber einem weit verbreiteten „Ökonomismus“,
der die Ideologie auf eine bloße Erscheinung des Ökonomischen, auf einen

75
IDEOLOGIEKRITIK, IDEOLOGIETHEORIE UND POSTSTRUKTURALISMUS

einfachen Ausdruck von Klasseninteressen reduzierte. Der Vorwurf lautete, wenn sie zuweilen hinter dem vorherrschenden Bewusstseinsdiskurs ihrer Zeit
dass hierbei die relative Eigengesetzlichkeit des Ideologischen über- verborgen lagen. Entgegen einem weit verbreiteten Missverständnis ging es
sehen werde; zum anderen gegenüber einer traditionellen Ideologiekritik, die ihnen nicht nur um die Aufdeckung und Richtigstellung „verkehrten Bewusst-
die Ideologie lediglich als falsches, verkehrtes Bewusstsein verstand, um seins“, sondern grundsätzlicher um die Frage, wie solche „Verkehrungen“ im
sie vom Standpunkt einer „richtigen“, nun „wissenschaftlichen Weltanschauung“ Denken von zugrundeliegenden „Verkehrungen“ der gesellschaftlichen
aus zu kritisieren. Verhältnisse erzeugt wurden. So argumentierten sie z. B. in der Deutschen
Auch hier lief der Vorwurf darauf hinaus, dass eine solche Kritik die Eigen- Ideologie, dass die idealistische Verkehrung im Bewusstsein von der wirklichen
dynamik und spezifische Wirksamkeit des Ideologischen übersehe. Die gesellschaftlichen Trennung von materieller und geistiger Arbeit hervorge-
Einwände lassen sich in drei Punkten zusammenfassen: Zum einen sei die bracht wird, die sich zusammen mit der Entstehung gegensätzlicher Klassen
Kritik eines „falschen Bewusstseins“ noch nicht auf sozialwissenschaftlichem und des Staates herausgebildet hat. Erst dann und auf dieser Grundlage
Niveau angekommen, da sie die materielle Existenz des Ideologischen, seine „kann sich das Bewusstsein wirklich einbilden, etwas Andres als das Bewusst-
Apparate, Intellektuellen und Praxisformen übersehe, die auf den Alltags- sein der bestehenden Praxis zu sein, wirklich etwas vorzustellen, ohne etwas
verstand der Menschen einwirken; zum anderen tendiere ihre Orientierung auf Wirkliches vorzustellen“, erst dann kommt es „zur Bildung der ‚reinen‘ Theorie,
das Bewusstsein dazu, die unbewussten Funktionsweisen von ideologischen Theologie, Philosophie, Moral“. ² Wenn Marx im Kapital den Fetischcharakter
Formen und Praxen sowie ihre Formatierung von Subjektivitäten zu verfehlen; der Ware, des Geldes und des Kapitals analysiert, geht es nicht in erster Linie
und drittens verdränge das Bemühen, die Ideologie zu „widerlegen“, die um Mystifizierungen im Kopf, sondern um objektive Verkehrungen im Kapita-
ideologietheoretische Hauptaufgabe, ihre Wirkungsweise bei der Unterordnung lismus, bei denen der Tauschwert den Gebrauchswert beherrscht, die
von Denkweisen, Körpern und „Herzen“ zu verstehen. Ohne ein Verständnis abstrakte Arbeit die konkrete Arbeit, der privatkapitalistische Profit das Leben
der Attraktionspunkte sei Ideologiekritik ein unwirksames, hilflos rationalisti- der Menschen. Diese objektiven Verkehrungen erzeugen „gesellschaftlich
sches Unternehmen. Stuart Hall zufolge ist die wichtigste Frage an eine gültige, also objektive Gedankenformen“, in denen die Menschen ihre Verhält-
„organische“, bindungsfähige Ideologie nicht, was falsch, sondern was „wahr“ nisse spontan wahrnehmen. ³ Und schließlich fundiert der späte Engels den
an ihr ist, und dies sei nicht als universelle „Wahrheit“ aufzufassen, sondern im Ideologiebegriff in einer kritischen Theorie des Staats. Er definiert den Staat
Sinne von „what makes good sense“, was den Menschen lebenspraktisch als die „erste ideologische Macht über den Menschen“, gefolgt vom „Recht“
sinnvoll erscheint. ¹ und von den „höheren“ Mächten wie Religion und Philosophie. 4
Man kann also zusammenfassend sagen: Zentrales Thema der Ideologietheorie Es geht also in allen drei Verwendungen um strukturell verankerte gesell-
ist die freiwillige Einordnung in entfremdete Herrschaftsformen, die aktive schaftliche Anordnungen. Und zugleich wird Ideologie bei Marx und Engels als
Zustimmung zu einschränkenden Lebensbedingungen. Ihr Ziel ist es, die kritischer Begriff verwendet. Damit ist gemeint, dass nicht jede Wahrneh-
gesellschaftliche Herausbildung solcher Unterstellungshaltungen, ihre Funkti- mungs- und Denkweise per definitionem ideologisch ist, sondern bestimmte
onsnotwendigkeit, ihre Wirkungsweise und Wirksamkeit zu begreifen. Um dies Formen, die an der Reproduktion ökonomischer und staatlicher Herrschaft
zu tun, richtet sie den Blick auf die Materialität des Ideologischen, d. h. seine beteiligt sind und im Prinzip durch andere, sich solcher ideologischen Repro-
Realität als Ensemble von Apparaten, Intellektuellen, Ritualen und Praxis- duktion widersetzende Formen infrage gestellt und abgelöst werden können.
formen. Althusser versuchte, diesen Zusammenhang in seiner Theorie der Bemerkenswerterweise kam es sowohl im „offiziellen Marxismus“ der II.
„Ideologischen Staatsapparate“ zu begreifen, die selbst wiederum auf Internationale als auch im Marxismus-Leninismus der III. Internationale zu einer
Gramscis Konzept der „Hegemonialapparate“ zurückverweist. Ideologien Neutralisierung des Ideologiebegriffs als ideeller Ausdrucksform von Klassen-
wirken nicht nur auf das Bewusstsein, sondern verankern sich auch unbewusst interessen allgemein, in der der ideologiekritische Ansatz von Marx und Engels
in körperlich verinnerlichten Dispositionen und Haltungen des „habitus“ (Bourdieu). in seinen verschiedenen Varianten nahezu vollständig verdrängt wurde. Zu den
In den 1970er und 1980er Jahren wurde dieser Paradigmenwechsel explizit wenigen Ausnahmen zählten u. a. Georg Lukács und Antonio Labriola, die an
formuliert. Aber es stellte sich bald heraus, dass zentrale Elemente dieses einem kritischen Ideologiebegriff festhielten. 5
Wechsels bereits in den Schriften von Marx und Engels zu finden waren, auch
2  MEW 3, S. 31.
3  MEW 23, S. 90; vgl. ebd., S. 564.
4  MEW 21, S. 302.
1  Hall 1989, S. 189. 5  Vgl. Rehmann 2011, S. 55ff., S. 66ff.

76 77
IDEOLOGIEKRITIK, IDEOLOGIETHEORIE UND POSTSTRUKTURALISMUS

Zu einigen Unterschieden in der Ideologietheorie Modell der ideologischen Anrufung können die vom großen SUBJEKT angeru-
fenen kleinen Subjekte nichts anderes tun, als sich „umzudrehen“, sich in dem
An dieser Stelle ist es angebracht, auf einen wichtigen Unterschied zwischen Anruf „wiederzuerkennen“ und „ja“ zu sagen. 10 Stuart Hall hat diesem Modell
Althusser und dem Projekt Ideologietheorie zu verweisen. Althusser wendet ein flexibleres und dialektischeres entgegengesetzt, bei dem zwischen der
sich gegen den kritischen, an Entfremdung, Klassenherrschaft und Staat Kodierung einer ideologischen Botschaft und ihrer aktiven Dekodierung durch
gebundenen Ideologiebegriff von Marx und Engels, den er (zu Unrecht) mit das angerufene Subjekt differenziert wird. Auf der Grundlage dieser Differen-
dem Paradigma des „falschen Bewusstseins“ identifiziert. Stattdessen zierung unterscheidet er zwischen drei grundlegenden typischen Antworten,
definiert er unter dem Einfluss von Jacques Lacan die Ideologie im Allgemeinen einem „dominant-hegemonialen“ Modell, bei dem die Dekodierung der Ideologie
als „ewig“, vergleichbar dem Freud’schen Unbewussten, sodass der Mensch sich innerhalb des dominanten Kodes vollzieht, einem „ausgehandelten Kode“,
als ein „ideologisches Tier von Natur aus“ (animal idéologique) behandelt bei dem die dominante Position nur auf allgemeiner Ebene akzeptiert und
wird. 6 In diesem Sinne bewegt sich Althusser innerhalb des neutralen Ideolo- hinsichtlich der lokalen Bedingungen eigenständig umdefiniert wird, und
giebegriffs des Marxismus-Leninismus, wenn auch nun mit psychoanalyti- schließlich einem „oppositionellen Kode“, bei dem die Empfänger die Botschaft
scher Begründung. Das Projekt Ideologietheorie hält dagegen an Marx’ auf „völlig entgegengesetzte Weise“ interpretieren. 11 Es ist offensichtlich, dass
kritischem Ideologiebegriff fest und sieht das Ideologische als entfremdete Althussers Anrufungsmodell lediglich Halls erste Variante abdeckt, und auch in
Vergesellschaftung „von oben“, bewerkstelligt durch übergeordnete ideolo- diesem Fall würden die Angerufenen sich nur dann „freiwillig“ unterstellen, wenn
gische Mächte. 7 Durch diese spezifischere Fassung wird es möglich, unter- sie etwas „Eigenes“ in der Anrufung wiedererkennen.
schiedliche Dimensionen der Vergesellschaftung zu unterscheiden, neben der Dieses „Eigene“ ist in der Interpretation des „Projekts Ideologietheorie“ ein
ideologischen Dimension z. B. „horizontale“ Vergesellschaftungsformen, Stück „Gemeinwesen“, das in Ideologien repräsentiert ist, wie verschoben und
in denen Menschen versuchen, ihr Zusammenleben ohne Dazwischenkunft entfremdet auch immer. 12 Es gibt eine Dialektik des Ideologischen, die darin
übergeordneter ideologischer Instanzen zu regeln, oder Dimensionen des besteht, dass jede Ideologie, die massenwirksam sein will, auch Elemente des
Kulturellen, in denen Gruppen und Individuen ihr Leben als sinnlichen Genuss Gemeinwesens, z. B. plebejische und gegenkulturelle Motive, enthalten muss.
gestalten und das praktizieren, was ihnen lebenswert erscheint. 8 Dabei ist zu Dies ist keineswegs nur eine Eigentümlichkeit „progressiver“ Tendenzen,
berücksichtigen, dass es sich hier um analytische Unterscheidungen handelt. sondern gilt z. B. auch für faschistische Ideologien, für die Ernst Bloch schon
In der Empirie überlagern sich diese Dimensionen und durchdringen sich 1933 darlegte, dass sie ihren Erfolg u. a. den „Entwendungen aus der Kommune“
gegenseitig. Wie Boltanski und Chiapello am französischen Beispiel gezeigt verdankten. 13 Das Projekt Ideologietheorie hat diese innere Widersprüchlichkeit
haben, wurden zahlreiche gegenkulturelle Artikulationen der ’68-er-Bewegung des Ideologischen mit zwei Begriffen zu fassen versucht: zum einen mit
erfolgreich von einer neoliberalen Management-Ideologie kooptiert und zum Sigmund Freuds Begriff der „Kompromissbildung“, bei der gegensätzliche
neuen Lebensstil vermarktet. 9 Und umgekehrt kann es sozialen Bewegungen Kräfte (z. B. das Über-Ich und die verdrängten Triebwünsche des Es) in einem
gelingen, bestimmte Gemeinwesenfunktionen, die in Ideologien repräsentiert neurotischen Symptom verdichtet werden, zum anderen mit dem Begriff der
und aufbewahrt sind, von unten zurückzugewinnen und für ihre eigene Hand- „antagonistischen Reklamation des Gemeinwesens“, bei der dieselben ideo-
lungsfähigkeit umzufunktionieren. logischen Instanzen und Werte jeweils entgegengesetzt ausgelegt und in
Althusser tendiert dazu, die Konstruktion ideologischer Subjekte und Subjek- Anspruch genommen werden. 14 Die verschiedenen Klassen, Geschlechter und
tivitäten allzu monologisch von oben nach unten zu konzipieren. In seinem Generationen interpretieren oft vollkommen unterschiedlich, was Gottes Wille
ist, was Gerechtigkeit bedeutet, was die Moral verkündet, was nach Ästhetik
6  Althusser 1977, S. 133, 140 (Übers. korr., JR).
und Geschmack als schön oder hässlich zu gelten hat. Wenn man die wider-
7  PIT 1979, S. 179ff; vgl. Rehmann 2011, S. 153ff. Innerhalb kritischer Ideologietheorien gibt sprüchliche Zusammensetzung und die antagonistische Reklamation des
es wiederum Debatten darüber, ob „objektive Gedankenformen“ wie der Warenfetisch oder
Marktidole als „Elementarmächte“ des Ideologischen oder als ihre bürgerliche Voraussetzung
anzusehen sind (vgl. den Briefwechsel Rehmann/Metscher 2012). 11  Hall 2004, S. 77–80.
8  PIT 1979, S. 184f. Zur begrifflichen Unterscheidung zwischen dem Ideologischen und dem 12  PIT 2007, S. 108. Engels zufolge ist „Gemeinwesen […] ein gutes altes deutsches Wort, das
„kulturellen Moment“, vgl. Haug 2011, S. 44–49. das französische ‚Kommune‘ sehr gut vertreten kann“ (Brief an Bebel, 18. und 28. März 1875, in:
9  Vgl. Boltanski/Chiapello 2003, S. 235f., 249, 252f. MEW 19, S. 7).
10  So ruft das große Subjekt GOTT das kleine Subjekt Moses bei seinem Namen, worauf 13  Bloch 1965, S. 70.
dieser sich umdreht und „Ja Herr, hier bin ich“ antwortet (Althusser 1977, S. 146). 14  PIT 1979, S. 190f.; Haug 1993, S. 84f.

78 79
IDEOLOGIEKRITIK, IDEOLOGIETHEORIE UND POSTSTRUKTURALISMUS

Ideologischen berücksichtigt, erhält auch die Ideologiekritik eine neue konst- womit gemeint ist, man müsse die Diskurse, statt sie auf ihre Widersprüche,
ruktive Aufgabe, und zwar die im Ideologischen repräsentierten horizontalen Lücken und Mängel abzuklopfen, in ihrer „Positivität“ und Regelhaftigkeit
Gemeinwesenfunktionen aufzunehmen, in Anspruch zu nehmen und für die untersuchen. 18 Foucault richtete sich hierbei gegen Althussers Methode, Texte
Entwicklung gesellschaftlicher Handlungsfähigkeit zurückzugewinnen. Dies einer „symptomalen Lektüre“ zu unterziehen und mit ihrer Hilfe die Bruch-
bedeutet z. B., dass eine ideologietheoretisch informierte Religionskritik nicht stellen, das Ungesagte im Gesagten, das Ungesehene im Gesehenen aufzu-
mehr den Nachweis versuchen sollte, dass die Religion als Ganzes ein finden. 19 Dies war das Projekt einer differenzierten Ideologiekritik von innen,
„verkehrtes Bewusstsein“ oder „Opium des Volks“ ist. Vielmehr geht es um die die den Text in seine eigenen Widersprüche verstrickt. Indem Foucault gerade
analytische Aufgabe, die sozialen Antagonismen und Kämpfe im religiösen dies durch eine positivistische Beschreibung ersetzt, zieht er der Diskurs-
Feld zu entziffern und die emanzipatorischen Gehalte freizusetzen. 15 analyse den kritischen Stachel: Die Aufgabe, innerhalb von Diskursen die
spezifischen Formen und Funktionsweisen zu identifizieren, die die Tendenzen
zu einer freiwilligen Einordnung in die jeweiligen Herrschaftsverhältnisse
Die poststrukturalistische Herausforderung: „Diskurs“ und „Macht“ stärken und sie von denen zu unterscheiden, die ein herrschaftskritisches
oder subversives Potenzial beinhalten, ist preisgegeben.
Da das Verhältnis zwischen Poststrukturalismus und Postmoderne in der Man muss hier hinzufügen, dass „Diskurs“ in Foucaults Archäologie noch in
Literatur umstritten ist, möchte ich zunächst eine terminologische Klärung einem linguistischen Sinn verwendet wurde, als eine Menge von Zeichenfolgen
vorschlagen: Während „Postmoderne“ zu einem allgemeinen Sammelbegriff und Aussagen, die mit sprachlichen Performanzen zusammenhängen. 20 Diese
für eine „Fühlsstruktur“ (Raymond Williams) der 1970er Jahre und der darauf relativ enge, auf sprachliche Praxis bezogene Verwendung wird im Poststruk-
folgenden geworden ist, die quer durch verschiedene Bereiche wie Ästhetik, turalismus zunehmend ausgeweitet, bis der Diskurs sowohl linguistische als
Kultur, Lebensweisen, Philosophie usw. verläuft, verwende ich den Ausdruck auch nicht-linguistische Bestandteile enthält und somit jede Bedeutungspro-
„Poststrukturalismus“, um eine theoretische Formation zu bezeichnen, die sich duktion bezeichnet. Auf diese Weise fällt das Diskursive mit dem Sozialen
zunächst in Frankreich als Nachfolge und Überwindung des Strukturalismus schlechthin zusammen. Und natürlich kann man dann sagen, dass es kein
herausgebildet hat. Er ist kein Gegenbegriff zur Postmoderne, sondern eine Objekt gibt, das nicht „diskursiv konstituiert“ ist. Aber das wird bloße Tauto-
ihrer theoretischen Strömungen oder, wie Manfred Frank formuliert, „ein logie, die lediglich die Binsenweisheit wiederholt, dass alles Erfahrene auf
Denken […] unter den Bedingungen der Nachmoderne“. 16 Ich beschränke mich irgendeine Weise geschichtlich und sozial determiniert ist. Wie Terry Eagleton
im Folgenden auf die theoretische Formation des Poststrukturalismus und bemerkt, ist die Kategorie des Dikurses „bis zu dem Punkt aufgebläht worden,
konzentriere mich hierbei wiederum auf nur eine Fragestellung, und zwar wo sie […] von der ganzen Welt Besitz ergreift“. 21 Sie hat so viele Bedeutungen
darauf, wie im Verlauf der Krise der Althusser-Schule auch der Ideologiebegriff aus den verschiedenen Bereichen der Ideologie, der Kultur und der Sprache in
in eine Krise geriet und nacheinander durch die Begriffe des „Diskurses“ und sich aufgesogen, dass sie analytisch unbrauchbar geworden ist. In der Nacht
der „Macht“ ersetzt wurde. Als prominentes Beispiel wähle ich Michel Foucault, eines endlos erweiterten Diskursbegriffs werden alle Katzen grau.
da die meisten poststrukturalistischen Ansätze sich seiner Verabschiedung
des Ideologiebegriffs angeschlossen haben. Diese Preisgabe wurde in großen Ähnliches gilt für den Begriff der Macht, den Foucault seit Beginn der 1970er
Teilen der Sekundärliteratur dafür gelobt, dass damit nun endlich die marxis- Jahre entwickelt hat. Diesen Machtbegriff hat er vom späten Nietzsche bezogen,
tische „Fixierung“ auf Klassenherrschaft und Staat überwunden sei, so dass genauer aus Nietzsches Kombination von Macht-Willen und Wahrheits-Willen:
wir Zugang erhalten zur pluralen Vielfalt der Diskurse und zu den Mikrostruk- „Auch du, Erkennender, bist nur ein Pfad und Fußstapfen meines Willens:
turen der Macht im Alltagsleben. wahrlich, mein Wille zur Macht wandelt auch auf den Füßen deines Willens
Foucault argumentiert in Archäologie des Wissens, die Wissenschaft funtio- zur Wahrheit“, verkündete Nietzsche im Zarathustra. 22 Diese Kopplung von
niere dort ideologisch, wo sie sich ins „Wissen“ einreiht und als „diskursive Macht- und Wahrheitswillen wird nun die zentrale Fragestellung in Foucaults
Praxis“ existiert. 17 Methodisch reklamiert er einen „glücklichen Positivismus“,
18  Foucault 1973, S. 182, 265.
19  Vgl. Althusser/Balibar 1972, S. 27ff., 36, 39ff.
15  Vgl. Rehmann 2012, S. 662–664. 20  Foucault 1973, S. 156, 170; vgl. Sawyer 2003, S. 50f.
16  Frank 1983, S. 29; vgl. Rehmann 2004, S. 10–17. 21  Eagleton 2000, S. 252.
17  Foucault 1973, S. 263f. 22  KSA 4, S. 148.

80 81
IDEOLOGIEKRITIK, IDEOLOGIETHEORIE UND POSTSTRUKTURALISMUS

Machtanalysen, und dies in unterschiedlichen Phasen seines Werks. Wie in Interesse, innerhalb von Diskursformationen und Machtkonstellationen zwischen
seiner Diskursanalyse lässt sich auch in seinen Machtanalysen beobachten, verschiedenen sozialen Perspektiven zu differenzieren. Vor allem ist ausge-
dass die Gegensätze zwischen einer Herrschaftsmacht von oben und einer rechnet verlorengegangen, wodurch sich die Ideologietheorien von Beginn an
kollektiven Handlungsmacht von unten bis zur Unkenntlichkeit eingeebnet von traditioneller Ideologiekritik als bloßer Bewusstseinskritik unterschieden
werden. Der Gegensatz zwischen Spinozas Machtbegriff einer potentia haben: die Materialität des Ideologischen, die Realität der Hegemonialapparate,
agendi, d. h. einer kollektiven und kooperativen Handlungsfähigkeit, und verschiedenen Intellektuellentypen, der ideologischen Praxen und Rituale. Der
Nietzsches extrem hierarchiefaszinierter Vorstellung eines „Willens zur Macht“, Poststrukturalismus ist bekanntlich über weite Strecken aus einer Radikali-
der bis zur projizierten Vernichtung der Kranken, Schwachen und Missratenen sierung des linguistic turns hervorgegangen. Derridas Kritik an Saussures
weitergetrieben wird, ist unsichtbar geworden. 23 Foucault lässt seinen Macht- „Phonozentrismus“ ist hier nur ein Beispiel. Während bei den Ideologietheorien
begriff aus einem notwendig fiktionalen und bösartigen „Willen zum Wissen“ die Produktion von Texten und Diskursen im Zusammenhang mit den jewei-
hervorgehen. Er führt ihn nicht als Analyseinstrument ein, um gesellschaftliche ligen ideologischen Apparaten und Feldern untersucht wurde, tendierte man
Verhältnisse und entsprechende Handlungs(un)fähigkeiten zu entschlüsseln, nun dazu, sie losgelöst von den praktischen und institutionellen Kontexten zu
sondern um eine diffuse Eigenschaft von Erkenntnisprozessen und Wahrheits- behandeln, in die sie eingebettet sind.
ansprüchen zu bezeichnen, unabhängig von und für wen, von welcher Art und Ich möchte diese Tendenz am Beispiel des Begriffs des Sprachspiels auf­-
zu welchen Zwecken sie erfolgen. Nicos Poulantzas kritisiert zu Recht, dass in zeigen, auf den in postmodernen Ansätzen immer wieder begeistert Bezug ge-
Foucaults Machtbegriff die qualitative Frage, um welche Art Macht es sich nommen wird. Diesen Begriff hat bekanntlich der späte Wittgenstein in seinen
handle und um was zu tun, aus der Analyse verbannt wird. 24 Es gibt nichts Philosophischen Untersuchungen von 1945 entwickelt. Dort wird Sprachspiel
mehr, was die Macht begrenzen könnte. Da Foucaults Macht immer nur sich definiert als „das Ganze: der Sprache und der Tätigkeiten, mit denen sie
selbst zur Grundlage hat, verwandelt sie sich zu einer allmächtigen „Meister- verwoben ist“. 27 Wittgenstein wollte damit hervorheben, dass Sprechen Teil
Macht“ (maître-pouvoir), die den Kämpfen immer schon zugrundeliegt. Hinter eines umgreifenden Handlungszusammenhangs, einer „Lebensform“ ist. 28
der Rhetorik einer vielfältigen Mikromacht verbirgt sich ein essenzialistisches Man könnte freilich zurückfragen, warum er hier den zweideutigen Begriff des
Konstrukt, bei der die Macht sich wie eine „Fresszelle“ (essence phagocyte) „Sprachspiels“ benutzt, statt „das Ganze“ der Sprache und der mit ihr verwo-
bewegt, die sich sowohl durch die Mechanismen der Herrschaft als auch benen Tätigkeiten mithilfe des Marx’schen und Gramsci’schen Praxisbegriffs
des Widerstands hindurchfrisst. 25 Dies liegt an einer neo-nietzscheanischen zu fassen. 29 An Lyotards La condition postmoderne lässt sich exemplarisch
Metaphysik, bei der die Macht als eine rätselhafte Kraft hinter den gesell- beobachten, wie diese Zweideutigkeit Anlass zu einer grundlegenden Sinnnver-
schaftlichen Verhältnissen in Stellung gebracht wird, statt konkret aus ihnen schiebung geben kann: Nun lösen sich die Subjekte in eine Vielzahl von
entwickelt zu werden. Damit werden die strukturell verankerten gesellschaft- „Sprachspielen“ auf, und das soziale Band, das sie verbindet, ist nur noch
lichen Verhältnisse von Macht und Ohnmacht aus der Analyse ausgeklammert. 26 „linguistisch“. 30 Herauskommt also das genaue Gegenteil: Während Wittgen-
stein die Sprachspiele als integralen Teil des jeweiligen gesellschaftlichen
Entgegen der weit verbreiteten Erfolgsgeschichte des Poststrukturalismus Praxisfelds bestimmte, trennt Lyotard die Sprache von ihren materiellen und
sehe ich gerade in der Verabschiedung des Ideologiebegriffs keine theore- praktischen Verhältnissen ab.
tische Errungenschaft, sondern einen Rückschritt gegenüber der analytischen Meine Kritik lässt sich dahingehend zusammenfassen, dass poststruktura-
Differenziertheit der damaligen Ideologietheorien. Während diese zu verstehen listische Ansätze sich regelmäßig in den Widerspruch verwickeln, dass ihr
versuchten, wie die „organischen Intellektuellen“ (Gramsci) verschiedener berechtigtes dekonstruktives Anliegen einer Ent-Naturalisierung ideologisch
Klassen oder hegemonialer Blöcke um die jeweilige Auslegung und Anwendung fixierter Bedeutungen und Identitäten in Gefahr steht, in eine Ent-Materialisie-
ideologischer Werte kämpfen, zeigten poststrukturalistische Ansätze kaum rung des gesellschaftlichen Lebens und eine Ent-Köperlichung der menschlichen
Subjekte umzukippen, die nurmehr als Effekte unendlicher Signifikantenketten
23  KSA 6, S. 170; KSA 13, S. 192; auch KSA 5, S. 207f., S. 315f.; zum Vergleich der Machtbegriffe
Spinozas und Nietzsches, vgl. Rehmann 2004, S. 52–60. 27  PhU, § 7.
24  Poulantzas 1978, S. 137f. 28  PhU, § 23.
25  Poulantzas 1978, S. 139. 29  Vgl. den arrangierten Dialog zwischen Wittgenstein, Gramsci und Brecht in: Haug 2006,
26  Dies gilt nicht nur für die Verhältnisse ökonomischer Ausbeutung und staatlicher Herrschaft, S. 69 –91.
sondern auch für die Geschlechterverhältnisse (vgl. Rehmann 2004, S. 139f .). 30  Lyotard 1984, S. 40.

82 83
IDEOLOGIEKRITIK, IDEOLOGIETHEORIE UND POSTSTRUKTURALISMUS

erscheinen. Hier hat sich ein Theorietypus herausgebildet, der bruchlos in die Hilfe den Subjekten Disziplinartechniken inkorporiert werden. Gemeint sind
neoliberale Ideologie einer immateriellen, gewichtslosen Produktions- und z. B. detaillierte Tagespläne oder Anordnungen des Raums, in denen die Beob­­­
Lebensweise eingefügt werden konnte. Diese Verbindung hat dazu beige- achter alles sehen können, ohne selbst gesehen zu werden, wie in Jeremy
tragen, dass die transnationalen Machtstrukturen des Hightech-Kapitalismus, Benthams Plänen zu einem „Panopticon“. 35 Der Begriff überschneidet sich
seine enormen sozialen Spaltungen, seine Erzeugung von Massenarmut und offensichtlich mit ideologietheoretischen Ansätzen, die das Ideologische primär
Obdachlosigkeit, sein astronomisch steigender Ressourcenverbrauch und als eine äußere Anordnung begreifen, die Haltungen und Subjektivitäten frei-
seine Umweltzerstörung so erfolgreich aus dem Bewusstsein verdrängt wurden. 31 williger Unterstellung generieren.
Untersucht man den deutschen Faschismus in Bezug auf seine ideologische
Wirksamkeit, kann man einen deutlichen Primat ideologischer Dispositive,
Überschneidungen und Möglichkeiten einer Neuverknüpfung Praxen und Rituale vor den Ideengebäuden ausmachen: „Weit vor jeder
faschistischen Orthodoxie rangiert die ‚Orthopraxie‘“ (wörtlich: richtiges
Ich habe jetzt zum Zweck der Verdeutlichung den Stab in die Richtung einer Handeln), verstanden als eine Folge „performativer Akte“ z. B. des Marschierens,
Poststrukturalismuskritik gebogen, was zu einer Einseitigkeit führte, die ich von Massenveranstaltungen, Sammeln fürs Winterhilfswerk, Lagerleben,
abschließend korrigieren oder zumindest relativieren möchte. Es geht mir nicht Betriebsferien etc. 36
darum, das Verhältnis zwischen Ideologietheorie und Poststrukturalismus als Am späten Foucault ist interessant, dass er nun zwischen Macht und Herrschaft
frontale Gegnerschaft zu definieren, als könnten beide nichts voneinander unterscheidet (wenn auch nicht systematisch und konsequent). Er differenziert
lernen. Zum einen handelt es sich auch hier um ein „Minenfeld einander zwischen Herrschaftstechniken und Techniken der „Selbstführung“ und fragt
widersprechender Begriffe“,32 zum anderen tauchen viele ideologietheore- danach, wie sie sich miteinander verzahnen. Dazu nimmt er zwischen beiden
tische Themen und Fragestellungen erneut in ihm auf und werden mit anderen eine Vermittlungsebene an, die er als „Gouvernementalität“ bezeichnet. Diese
Instrumentarien bearbeitet, z. T. auch verfeinert. Eine kritische Ideologie- kennzeichnet er wiederum dahingehend, dass hier ein „Führen der Führungen“
theorie hat hier die Aufgabe, solche Weiterbearbeitungen aufzunehmen und (conduite des conduites) stattfindet. 37
zu re-interpretieren. Es geht also darum, wie die Selbstführungen der Menschen wiederum geführt
Auf methodischer Ebene ist z. B. leidenschaftlich debattiert worden, ob oder werden können. Das ist natürlich eine ideologietheoretisch grundlegende
inwiefern Derridas „Dekonstruktion“ als eine spezifische Ausprägung von Fragestellung, die auch schon das Projekt Ideologietheorie mit seiner Unter-
Ideologiekritik verstanden werden kann, freilich eine, die sich textimmanent scheidung von ideologischer Vergesellschaftung von oben und horizontaler
auf die Auflösung binärer Oppositionen und fixierter Identitäten beschränkt. 33 Selbstvergesellschaftung bearbeitet hatte. Denn wenn es einer Ideologie
Trotz vieler Unterschiede berührt sie sich mit dem, was Marx als „rationelle“, gelingt, sich mit der Selbstführung der Menschen zu verbinden, sie zu mobi-
nicht spekulative Dialektik beschrieben hat, nämlich mit einer Methode, die lisieren oder in ihrem Namen aufzutreten, hat sie sich tief im Alltagsleben
„jede gewordene Form im Flusse der Bewegung, also auch nach ihrer verankert. Und umgekehrt können Gemeinschaften und Individuen sich gegen
vergänglichen Seite auffasst“. 34 Eine weitere Gemeinsamkeit besteht darin, ideologische Fremdführungen nur nachhaltig zur Wehr setzen, indem sie
dass Derrida sich gegen Unmittelbarkeitsideologien wendet, denen zufolge Fähigkeiten zur kollektiven und individuellen Selbstführung entwickeln und
Bedeutungen direkt aus den empirischen Sprechakten der Subjekte hervor- einüben. Foucault selbst hat eine solche Einübung der „Widersetzlichkeit“
gehen. Stattdessen verweisen sie auf ein unendliches Netz vergangener und (insoumission) und des „Gegen-Verhaltens“ (contre-conduite) u. a. an der
gegenwärtiger Sprachhandlungen, eine Abhängigkeit, die Derrida als Vorrang mittelalterlichen Askese aufgezeigt. 38 Ein anderes Beispiel ist die Wahrheitsrede
der „Schrift“ und des „Textes“ (der Textur) vor dem Sprechen versteht. (parrēsia) des antiken Zynismus, die sich als „Anrufung der Mächtigen in der
Für das Wiederauftauchen ideologietheoretischer Fragestellungen im Post- Form einer Schmährede“ manifestiert. 39
strukturalismus müssen wieder einige Beispiele genügen. Schon der mittlere
Foucault hat den Begriff des raum-zeitlichen „Dispositivs“ geprägt, mit dessen 35  Foucault 1976, S. 260.
36  PIT 2007, S. 104f., 118ff., 208ff., 228ff., 258ff.
31  Zur Kritik des Mythos der „gewichtslosen Ökonomie“, vgl. Huws 2003, S. 126ff., 150ff. 37  Z.B. Foucault 2001, S. 1056, 1401, 1604. Zur Kritik des Foucault’schen Gouvernementalitäts-
32  Harvey 1990, S. VIII. begriffs und der „Gouvernementalitätsstudien“, vgl. Rehmann 2011, S. 202ff.
33  Vgl. z. B. Ryan 1982, S. 34ff., und McNally 2001, S. 45ff., 56ff. 38  Vgl. Foucault 2004, S. 290, 292, 296ff.
34  MEW 23, S. 27f. 39  Foucault 2009, S. 344; vgl. auch ebd., S. 360f., 383, 435f.

84 85
IDEOLOGIEKRITIK, IDEOLOGIETHEORIE UND POSTSTRUKTURALISMUS

Wir haben gesehen, dass die Verzahnung zwischen Ideologie und Alltagsleben von Repressionsapparaten, die Verzahnung von Klassenherrschaft und
im Paradigma von Althussers überallgemeinen und alles durchdringenden patriarchalen Geschlechterverhältnissen, die gegenwärtige Krise der neolibe-
Ideologiebegriff nicht differenziert bearbeitet werden konnte. Es ist deshalb ralen Hegemonie bedürfen dessen, was der junge Marx eine „rücksichtslose
von Vorteil, dass poststrukturalistische Ansätze häufig von Althussers Ansatz Kritik“ nannte, die sich nicht „vor ihren Resultaten fürchtet und ebensowenig
ausgegangen sind, um ihn an manchen Stellen zu differenzieren. Dies gilt u. a. vor dem Konflikte mit den vorhandenen Mächten“.44 Nachdem wir epistemolo-
für Judith Butler, die an Althussers Anrufungsmodell kritisiert, dass es nicht gisch und methodologisch unsere postmodernen Lektionen gelernt haben, ist
erlaube, Ungehorsam, Brüche oder Reartikulationen zu denken. Sie argumen- es nun an der Zeit, das Projekt einer Ideologiekritik wieder aufzunehmen, die
tiert dagegen, dass es zwischen der diskursiven Anrufung und ihren Effekten mit einer Theorie des Ideologischen als „begrifflichem Hinterland“ operiert.45
immer wieder Verschiebungen gibt, die zu einem konstitutiven Scheitern des Dabei besteht eine der Aufgaben darin, die fruchtbaren Methoden und Er-​
Performativen führen. Dies eröffnet dann Räume für „Resignifikation“, kenntnisse poststrukturalistischer Ansätze sorgfältig zu sammeln, aus ihrer
d. h. die Möglichkeit, den Anrufungen eine andere Richtung zu geben. 40 Unter Engführung herauszulösen und wieder in eine erneuerte kritische Gesellschafts-
welchen hegemonialen Bedingungen und aufgrund welcher Erfahrungen theorie einzubetten.
solche diskursiven Verschiebungen und Resignifikationen zustandekommen
können, bleibt allerdings im Dunkeln. Was das Projekt Ideologietheorie mit
dem Freud’schen Begriff der „Kompromissbildung“ theorisierte, wurde
wiederum in postkolonialen Theorien als „Hybridität“ und „Mimikry“ verhandelt,
hier aber meistens nur auf der Ebene literarischer Diskurse, ohne das Verhältnis
zwischen kolonialer Gewaltherrschaft und Hegemonie zu berücksichten. 41
Es gehört zu den allgemeinen Grenzen poststrukturalistischer Ansätze, dass
sie aufgrund ihrer nahezu ausschließlichen Orientierung an Diskursen und
Zeichensystemen den Zusammenhang mit den Makrostrukturen der Gesell-
schaft und ihren hegemonialen Kräfteverhältnissen nicht mehr überzeugend
herstellen können. Foucaults Versprechen einer „aufsteigenden“ Macht-
analyse, die von den Mikrostrukturen der Macht ausgeht und sich dann zu den
Makrostrukturen gesellschaftlicher Herrschaft hinaufarbeitet, ist nicht eingelöst
worden. Hierzu fehlte ein theoretisches Verständnis, wie Macht akkumuliert
und zu strategischen Achsen ökonomischer, staatlicher und patriarchaler
Herrschaft zusammengefügt werden kann.42 Die Ersetzung des Ideologiebe-
griffs durch den Diskurs und die Macht hatte realiter zur Folge, das Soziale auf
das Symbolische und das Materielle auf die Wirksamkeit von Normen zu
reduzieren, sodass die profane Realität des Kapitalismus nahezu verdrängt
wurde.43 Diese kapitalistische Realität gilt es nun wieder in den Mittelpunkt zu
stellen. Ihre verschiedenen Ausprägungen von Entfremdung, die von ihr
produzierte massenhafte Verelendung, ihr Abbau von Demokratie und Ausbau

40  Butler 1997, S. 174, 176.


41  Vgl. Bhabha 1994, S. 122ff., 159f.
42  Dies ist einer der zentralen Punkte, in denen Bourdieu über den Poststrukturalismus
hinausgeht: in seinem Ansatz ist ökonomische, kulturelle, soziale und symbolische Macht, die er
auch „Kapital“ nennt, in verschiedenen „Feldern“ verankert und kann über „Konvertierung“ in 43  Vgl. Rosemary Hennessys Kritik an Butler und anderen poststrukturalistischen Gender-
andere Felder akkumuliert werden, wodurch das besondere Gewicht ökonomischer Verhältnisse, Theorien (2000, S. 53f., 56, 61, 108).
oder im marxistischen Diskurs, ihre „letztliche Determination“, wieder auf die Tagesordnung 44  MEW 1, S. 344.
gesetzt wird (vgl. Rehmann 2011, S. 124f.). 45  Haug 1993, S. 21.

86 87
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Überbau, Ideologie, Sozialistische Demokratie, turn to the major differences between the ideology theories in question. In
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1977–78, hg. von Michel Sennelart, Hamburg 1978. a third step, I will demonstrate how poststructuralist approaches replaced the
Frankfurt a. M. 2004. Rehmann, Jan, Postmoderner Links-Nietz- concept of ideology with those of discourse and of power, and why I think this
scheanismus. Deleuze & Foucault.
Foucault, Michel, Die Regierung des Selbst replacement was ultimately a step backwards. Finally, I will show with some
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88 89
IDEOLOGY CRITIQUE, IDEOLOGY THEORY, AND POSTSTRUCTURALISM

“inverted” consciousness, which was to be criticized from the standpoint of a together with the genesis of antagonistic classes and the state. It is only from
“correct consciousness,” or a “scientific world view.” here onwards, and on this foundation that “consciousness can really flatter
Here too, the critique amounted to the argument that such criticism neglected itself that it is something other than consciousness of existing practice, that
the proper dynamics and specific efficacy of the ideological. The objections it really represents something without representing something real,” only then
can be summarized in three points: First, the critique of “false consciousness” can consciousness “proceed to the formation of ‘pure’ theory, theology,
had not yet reached the social scientific level, in that it overlooked the material philosophy, morality.” ² When Marx analyzes in Capital the fetishism of the
existence of the ideological; that is to say, its apparatuses, its intellectuals and commodity, of money, and of capital, he is not primarily concerned with the
forms of praxis that impact on people’s common sense. Secondly, it tended mystifications in the brain, but rather with the objective inversions in capitalism,
to miss, by its fixation on phenomena of consciousness, the unconscious by which exchange value rules over use value, abstract labor over concrete
functioning of ideological forms and practices and their formatting of labor, and private capitalist profit rules over people’s lives. These objective
subjectivities. And finally, the endeavor to “refute” ideologies risked taking inversions engender “socially valid, and therefore […] objective thought forms”
attention away from the main ideology-theoretical task, which is to grasp their by which people spontaneously perceive their conditions. 3 The later Engels
efficacy in subjecting minds, bodies, and “hearts.” An ideology critique finally anchored the concept of ideology in a critical theory of the state. He
without an understanding of the points of attraction of the criticized ideologies defined the state as “the first ideological power over man,” followed by the law
turns into an ineffective and helplessly rationalist endeavor. According to and the “higher” ideological powers, like religion and philosophy. 4
Stuart Hall, the most important question regarding an “organic” connective All three usages thus deal with structurally anchored social arrangements.
ideology is “not what is false about it but what about it is true” i. e., not in At the same time, Marx and Engels used ideology as a critical concept.
terms of a universal truth, but rather of what “makes good sense.” ¹ This means that not every mode of perception and of thinking is by definition
To sum up: The central subject matter of ideology theory is why and how ideological. Rather, the ideological refers to specific forms, which are part of
subjects “voluntarily” submit to alienated forms of domination and actively the reproduction of economic and state domination and can in principle be
agree to restrictive conditions of life. Its objective is to grasp the social challenged and superseded by other forms that are opposed to this ideological
emergence of these attitudes of subjection, their functional necessity, the way reproduction. It was a remarkable development that both the “official
they work, and their efficacy. In order to do that, it focuses on the “materiality” Marxism” of the Second International and the “Marxism-Leninism” of the Third
of the ideological, its reality as an arrangement of apparatuses, intellectuals, International carried out a “neutralization“ of the concept of ideology (namely
rituals, and forms of praxis. Althusser tried to conceptualize this arrangement as an ideational form of expression of class interests in general), which all but
within the framework of his theory of “ideological state apparatuses,” which in eliminated Marx’ and Engels’ ideology-critique in its different varieties. Two of
turn referred back to Gramsci’s concept of “hegemonic apparatuses.” the few thinkers who held on to a critical concept of ideology were Georg
Ideologies not only impact consciousness, but also anchor themselves Lukács and Antonio Labriola. 5
unconsciously in bodily dispositions and attitudes of “habitus” (Bourdieu).

This paradigm shift was explicitly formulated in the 1970s and 1980s. But it Regarding Some Differences among Ideology Theories
soon turned out that crucial elements of this shift could already be found in
the writings of Marx and Engels, even though they were at times hidden It is appropriate here to point out an important difference between Althusser
beneath the predominant discourse of consciousness of the time. Contrary to and the Projekt Ideologietheorie. Althusser turned against Marx’ and Engels’
a widespread misunderstanding, they were not just concerned with the critical concept of ideology connected to alienation, class, and state
disclosure and rectification of “inverted consciousness,” but were more domination, which he (wrongly) identified with the paradigm of “false
fundamentally interested in how such “inversions” in thought were engendered consciousness.” Influenced by Jacques Lacan, he instead defined ideology in
by underlying “inversions” in social relationships. They argue, for example, in
the German Ideology that the idealistic inversion in consciousness is produced 2  MECW 5, p. 45.
by the social division of manual and intellectual labor, which in turn emerged 3  MECW 35, pp. 87, 542; cf. Marx 1976, pp. 169, 682.
4  MECW 26, pp. 392–393.
5  Cf. Rehmann 2011, pp. 55ff, 66ff.
1  Hall 1988, p. 46. 6  Althusser 2001, pp. 109, 116.

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IDEOLOGY CRITIQUE, IDEOLOGY THEORY, AND POSTSTRUCTURALISM

general as being “eternal” like the Freudian unconsciousness, so that the message in a “globally contrary way.” 11 It is obvious that Althusser’s model of
human being was conceived of as an “ideological animal by nature.” 6 In this interpellation only covers Hall’s first variety, and even in this case, the
sense Althusser moved within the “neutral” concept of ideology of Marxism- interpellated subjects would only subjugate themselves “voluntarily,” if they
Leninism, even though it was now legitimated by a psychoanalytic point of recognized something “of their own” in the interpellation.
view. The Projekt Ideologietheorie, however, held on to Marx’ critical concept
of ideology and conceptualized the ideological as an alienated socialization This “of their own” is, according to the interpretation of the Projekt Ideologie-
“from above,” operated by superordinated ideological powers. 7 This more theorie, a dimension of the “common” (Gemeinwesen) that is represented in
specific definition makes it possible to distinguish between different ideologies, however displaced and alienated. 12 There is a dialectic of the
dimensions of socialization apart from the ideological dimension, for example ideological, in which each ideology that tries to appeal to the broader masses
“horizontal” forms, by which people try to organize their lives together without must also contain elements of the common; for example, plebeian and counter-
the imposition of superordinated ideological entities; or dimensions of the cultural motifs. This is by no means a peculiarity of “progressive” tendencies,
cultural in which individuals and groups arrange their activities in a sensuously but also applies, for instance, to fascist ideologies whose success, as Ernst
enjoyable way, and “practice what appears to them to be worth living.” 8 It is Bloch had already shown in 1933, can be explained, among others things, by
important to bear in mind that these are analytical distinctions. In empirical their “thefts from the commune.” 13 The Projekt Ideologietheorie has
reality these dimensions intersect and permeate each other. As Boltanski and conceptualized this inner contradictoriness with two concepts: First, with
Chiapello have shown with the example of France, many of the counter- Freud’s concept of compromise formation, through which opposite forces (e.g.
cultural articulations of the ’68 movement were successfully co-opted by a the super-ego and the repressed wishes of the Id) are condensed into a
neoliberal management ideology and marketed as a new lifestyle. 9 And neurotic symptom. Second, with the concept of an “antagonistic reclamation
conversely, certain community-oriented functions that are represented and of the Gemeinwesen” (of the community or of the common), by which the same
preserved in ideologies can be successfully reclaimed by oppositional social ideological instances and values are interpreted and claimed in an opposite
movements and redirected toward their own capacity to act. perspective. 14 Different classes, genders, and generations often interpret very
Althusser had the tendency to conceptualize the construction of ideological differently what God’s Will is, what justice means, what morality proclaims,
subjects and subjectivities too monologically from the top down. In his model and what aesthetics and taste define to be “beautiful” or “ugly.” As soon as
of ideological interpellation, the small subjects interpellated by the big SUBJECT one accounts for the contradictory composition and antagonistic reclamation
can do no more than “turn around,” recognize themselves in the call, and of the ideological, the ideology critique takes on a new, constructive assignment
affirm it with “yes.” 10 Stuart Hall has contrasted this model with a more flexible as well, namely, to pick up the “horizontal” functions of the common
and dialectical one, which differentiates between the coding of an ideological represented in the ideological; to claim them and to fetch them back for the
message and its active decoding by the interpellated subject. With this he can development of social agency. This means, for example, that a critique of
distinguish between three different types of responses: a “dominant-hegemonic” religion informed by ideology theory should not try to prove again that religion
model, according to which the decoding takes place within the dominant as such is an “inverted consciousness” or “opiate of the people.” Its analytical
code; a “negotiated code,” in which the dominant position is accepted only on task is rather to decipher the social antagonisms and struggles in the field of
a general level and redefined independently with regard to the local conditions; religion and to set free the emancipatory impulses. 15
and finally an “oppositional code,” by which the addressees interpret the

7  Haug 1987, pp. 60 –62; cf. Rehmann 2011, pp. 153ff. There are also debates between critical
theories of ideology about whether “objective forms of thought” like commodity fetishism and
market idols are to be considered “elementary powers” of the ideological or rather as its 11  Hall 1993, p. 517.
bourgeois precondition (cf. the letter exchange of Rehmann/Metscher 2012). 12  PIT 2007, p. 108. According to Engels, the “Gemeinwesen” ( literally: “common-being”) “is a
8  Cf. Haug 1987, pp. 31, 65. See also the conceptual distinction between the ideological and good old German word that can very well do service for the French ‘Commune’” (Letter to Bebel,
the “cultural moment” in Haug 2011, pp. 44– 49. March 18 and 28, 1875, in: MECW 45, p. 64).
9  Boltanski/Chiapello 2007, pp. 197f, 326, 461, 498. 13  Bloch 1990, p. 64.
10  The big subject GOD calls the small subject Moses by his name, to which Moses responds 14  Haug 1987, pp. 71–72, 94.
“It’s really I!” (Althusser 2001, p. 121) 15  Cf. Rehmann 2011a, pp. 151–152.

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IDEOLOGY CRITIQUE, IDEOLOGY THEORY, AND POSTSTRUCTURALISM

The Poststructuralist Challenge: “Discourse” and “Power” a linguistic sense; namely as a group of sequences of signs and statements
connected to verbal performances. 20 However, this relatively limited meaning
Since the relationship between “poststructuralism” and “postmodernity” is related to linguistic practices was then extended more and more, until discourse
disputed in the secondary literature, I would first like to propose a terminological comprised both linguistic and non-linguistic components and thus came to
clarification. Whereas “postmodernity” has become a general notion for a designate any generation of meaning. The discursive thus came to be identified
“structure of feeling” (Raymond Williams) from the 1970s onwards, which cuts with the social in general. Based on this equation, one could of course argue
through different fields like aesthetics, culture, modes of life, philosophy, etc., that there is no object that is not “discursively constructed.” But this turns into
I employ the term “poststructuralism” to designate a theoretical formation that mere tautology, repeating the truism that everything we experience is in some
(first of all in France) reacted to and claimed to have overcome structuralism. way historically and socially determined. According to Eagleton, the category
Poststructuralism is therefore not a counter-concept to postmodernism, of discourse “is inflated to the point where it imperializes the whole world.”  21
but rather one of its theoretical tendencies, or, as Manfred Frank formulates: It has absorbed into itself so many meanings from the different fields of
it describes “thought under the conditions of the postmodern era.” 16 In the ideology, culture, and language that it has become analytically useless. In the
following, I will restrict myself to the theoretical formation of “poststructuralism” night of an indefinitely extended meaning of discourse, all practices turn grey.
and in addition will focus only on one question; namely, on how during the crisis A similar observation can be made with regard to the concept of power
of the Althusser School the concept of ideology went into crisis as well and Foucault developed at the beginning of the 1970s. He adopted the concept
was substituted successively by the concepts of “discourse“ and “power.” from the later Nietzsche, more precisely from Nietzsche’s linkage of the “Will
I choose Michel Foucault as a prominent example, because his dismissal of the to Power” to the “Will to Truth.” Nietzsche had proclaimed in the Zarathustra:
concept of ideology was adopted by most of the poststructuralist approaches. “And even thou, discerning one, art only a path and footstep of my will: truly,
Large portions of the secondary literature praised this abandonment for finally my Will to Power also walketh on the feet of thy Will to Truth.” 22 This coupling
overcoming the Marxist “fixation” on class and state domination, so that we of the “will to power” and the “will to truth” now became the central topic of
could get access to the plural varieties of discourse and the “microstructures Foucault’s investigations on power throughout different periods of his oeuvre.
of power” in everyday life. Similar to his discourse analysis, Foucault’s power analyses dissimulate the
Foucault argued in the Archaeology of Knowledge that science functions in an contradictions between a power of domination from above and a collective
ideological way where it is inserted in “knowledge” and exists as a “discursive agency from below. The opposition between Spinoza’s power concept of a
practice.” 17 Methodologically, he claims a “happy positivism,” meaning that potentia agendi, that is, of a collective and cooperative “capacity to act,” and
discourses, instead of being searched for contradictions, lacunae, and the extremely hierarchical obsession of Nietzsche’s “Will to Power,” which is
defects, are to be described on the level of their “positivity.” 18 This is directed pushed to the extreme of a fantasized annihilation of the sick, the weak, and
against Althusser’s method of exposing texts to a “symptomatic reading,” the “degenerate,” is erased. 23 Foucault derives his power concept from a
which helps lay open the ruptures, the unsaid within what is being said, and necessarily fictitious and malicious “will to knowledge.” He does not introduce
the invisible within what is seen. 19 This was the project of a differentiated it as an analytical tool to decipher social relations and respective capacities
ideology critique “from within,” which entangles a text in its own contradictions. and incapacities to act, but rather to designate a vague quality somehow
By replacing this with a positivistic description, Foucault deprives discourse attached to knowledge and truth claims, no matter by and for whom, of what
analysis of its critical edge: the task of identifying within discourses the specific kind, and to what ends they occur. Poulantzas is right in pointing out that in
forms and functions supporting the tendencies toward voluntary submission Foucault’s concept of power the qualitative questions of what power? and the
to the predominant order, and of distinguishing them from those that contain power to do what? are excluded from the analysis. 24 There is nothing any more
a subversive potential opposed to domination, has been abandoned.
It needs to be added that Foucault’s Archaeology used the term “discourse” in
20  Foucault 1972, pp. 107, 117; cf. Sawyer 2003, pp. 50f.
21  Eagleton 1991, p. 219.
22  Zarathustra, Part II, On Self-Overcoming; KSA 4, p. 148.
16  Frank 1989, p. 19; cf. Rehmann 2004, pp. 10 –17. 23 Cf. Anti-Christ, §2 (KSA 6, p. 170; KSA 13, p. 192), also Beyond Good and Evil, §259
17  Foucault 1972, p. 185. (KSA 5, pp. 207–208) and Genealogy of Morals, II, § 12 (KSA 5, pp. 315 – 316). For a comparison
18  Foucault 1972, pp. 125, 186. of the power concepts of Spinoza und Nietzsche, cf. Rehmann 2004, pp. 52–60.
19  Althusser/Balibar 2009, pp. 28–29, 34–35, 39–40. 24  Poulantzas 1979, p. 149.

94 95
IDEOLOGY CRITIQUE, IDEOLOGY THEORY, AND POSTSTRUCTURALISM

that could limit power. Since Foucault’s power never has any other basis than “the whole” of language and actions in terms of the Marxian and Gramscian
itself, it turns into a “Master-Power” (Maître-Pouvoir), which always already concept of praxis. 29 Lyotard’s La condition postmoderne shows in an
forms the basis of the struggles. Behind the rhetoric of a multiple micro-power exemplary way how this ambiguity of the term can give occasion to a funda-
lies an essentialist construct, according to which power operates like a mental displacement of meaning: now the subjects dissolve in a dissemination
“phagocytic essence” (essence phagocyte) that penetrates both the mechanisms of language games, and the social bond that connects them is only “linguistic.”  30
of domination and of resistance. 25 This can be explained by a neo-Nietzschean The outcome is the exact opposite: whereas Wittgenstein conceived of
metaphysics, whereby Foucault has installed power as an enigmatic force language games as an integral part of the social field of praxis in question,
behind the social relations, instead of concretely developing it from them. The Lyotard again severs language from its material and practical conditions.
structurally anchored relationships of power and powerlessness thus drop out To sum up my criticism: poststructuralist approaches regularly get entangled
of his analysis. 26 in the contradiction that their valuable project of the de-naturalization of fixed
Contrary to the widespread success story of poststructuralism, the dismissal meanings and identities is at risk of morphing into an overall de-materialization of
of the concept of ideology is in my opinion not a theoretical accomplishment, social life and the disembodiment of the human subjects, who appear to
but rather a step back behind the level of analytical differentiation of ideology become mere effects of indefinite chains of signifiers. We can thus observe
theories of that time. Whereas these theories tried to grasp how the “organic the establishment of a way of doing theory that could be seamlessly
intellectuals” (Gramsci) of different classes or hegemonic blocs fight about the integrated into the neoliberal ideology of an “immaterial,” “weightless” mode
interpretation and application of ideological values, poststructuralist methods of production and of life. This combination is one of the reasons why the
have shown hardly any interest in distinguishing different social perspectives transnational power structures of High-Tech-Capitalism, its enormous social
within discourse formations and power configurations. Above all, what got divisions, its generation of mass poverty and homelessness, its astronomically
lost is exactly what distinguished ideology theories from a traditional ideology increasing consumption of raw material, and ecological destruction, could be
critique as mere critique of consciousness in the first place; namely, the so successfully repressed from consciousness. 31
“materiality” of the ideological, the reality of hegemonic apparatuses, of
different types of intellectuals, and of ideological practices and rituals. As is
well known, poststructuralism emerged to a large extent from a radicalization Intersections and Possibilities for a New Combination
of the “linguistic turn”—Derrida’s critique of Saussure’s “phonocentrism” is
only a case in point. Whereas ideology theories investigated the production of For the sake of clarification, I bent the stick in the direction of a critique of
texts and discourses in connection with the respective ideological apparatuses poststructuralism, which has led to a one-sidedness that I would like to
and fields, the tendency was rather to separate them from the practical and correct, or at least relativize in conclusion. I am not interested in describing
institutional contexts in which they are embedded. the relationship between ideology theory and poststructuralism as a frontal
I’d like to demonstrate this with the example of the concept of language opposition, as though both could not learn from each other. On the one hand,
games, which is time and again enthusiastically referred to in postmodernist we are dealing again with a “mine-field of conflicting notions.” 32 On the other
approaches. This concept, as is well known, was developed by the later hand, many topics and questions tackled by ideology theories re-emerged in
Wittgenstein in his Philosophical Investigations of 1945. He defined “language poststructuralist approaches as well, where they were processed with
games” as “the whole, consisting of language and the actions into which it is different tools and partly refined. A critical ideology theory is compelled to
woven.”   27 The concept was intended to highlight that speaking is part of an follow up on such developments and to re-interpret them.
encompassing activity, of a “form of life.” 28 It could be asked, however, why On a methodological level, there were, for instance, passionate debates about
Wittgenstein used the ambiguous term “language game” instead of describing whether or in what respect Derrida’s “deconstruction” can be considered to
be a specific development of ideology critique, even though it is one restricted

25  Poulantzas 1979, p. 151.


26  This applies not only to the relations of economic exploitation and state domination, but also 29  Cf. the arranged dialog between Wittgenstein, Gramsci, and Brecht, in Haug 2006, pp. 69–91.
to gender relations (cf. Rehmann 2004, pp. 139f ). 30  Lyotard 1984, p. 40.
27  Wittgenstein 1958, §7. 31  Cf. the criticism of the myth of a “weightless economy” in Huws 2003, pp. 126ff, 150ff.
28  Wittgenstein 1958, §23. 32  Harvey 1990, VIII.

96 97
IDEOLOGY CRITIQUE, IDEOLOGY THEORY, AND POSTSTRUCTURALISM

to an immanent textual criticism aiming at dissolving binaries and fixed soon as an ideology succeeds in allying itself with the “self-conduct” of
identities. 33 In spite of many differences, deconstruction overlaps with what people, in mobilizing it and speaking in its name, it anchors itself deeply in
Marx has described as a “rational,” non-speculative dialectic; namely, with a everyday life. Conversely, communities and individuals can only resist ideological
method that regards “every historically developed form as being in a fluid socialization in a sustainable manner if they develop and practice capacities
state, in motion, and therefore grasps its transient aspect as well.” 34 Another of collective and individual self-conduct. Foucault himself demonstrated such
commonality is Derrida’s challenge to ideologies of immediacy, according to an exercise of “insubordination” (insoumission) and “counter-conduct” with
which meanings emerge directly from the empirical speech acts of subjects. the example of medieval asceticism. 38 Another case in point is the truth-speech
They refer rather to an unlimited network of past and present linguistic practices (parrēsia) of ancient Cynicism, which manifests itself as an “interpellation of
—a dependency described by Derrida as a primacy of “writing” and of “text” the powerful in the form of the diatribe.” 39
(texture) over speaking.
A few examples must again suffice to demonstrate the re-emergence of As we have seen, Althusser’s over-general and all-permeating concept of
ideology-theoretical topics in poststructuralism. Towards the middle of his ideology was not suited to treating the interlocking of ideology and everyday
carreer Foucault had already coined the concept of a spatio-temporal dispositive life in a nuanced way. It is therefore advantageous that poststructuralist
by which disciplinary techniques are engrained in subjects. Here he means, approaches frequently took Althusser’s theory as their starting point in order
for example, the detailed timetables or spatial arrangements in which observers to differentiate it in some respect. This applies, for instance, to Judith Butler,
can see everything without being seen themselves, as in Jeremy Bentham’s who criticized Althusser’s model of interpellation for not allowing disobedience,
projects for a “panopticon.” 35 The concept obviously intersects with ideology- fractures, or re-articulations to be conceived of. She argued that there are
theoretical approaches that conceive of the ideological as a primarily outer always “slippages” between the discursive command and its effects that lead
arrangement generating attitudes and subjectivities of voluntary subjection. to a constitutive failure of the performative. This in turn opens spaces for
Investigations into the ideological efficacy of German fascism have shown, for “resignification,” i. e., for the possibility to give the interpellations another
instance, that ideological dispositives, practices, and rituals clearly had a direction. 40 It remains, however, unclear under what hegemonic conditions and
stronger impact than systems of ideas: “Much more than any fascist orthodoxy, based on what experiences such discursive displacements and resignifications
there was an ‘orthopraxy’” (literally: “correct practice”) to be understood as a can occur. What the “Projekt Ideologietheorie” conceptualized with the
sequence of “performative acts” like e. g. marching, mass assemblies, youth Freudian concept of “compromise formation,” was in turn discussed in
camps, company fêtes, or collecting foodstuff and money for those exposed to postcolonial theories in terms of “hybridity” and “mimicry”; here however
the cold [Winterhilfswerk]. 36 mostly restricted to the level of literary discourses, without taking the relation
The later Foucault is interesting in that he distinguished between power and between colonial violence and hegemony into consideration. 41
domination (however, not in a systematic and consistent way). He differentiated
between techniques of domination and techniques of “self-conduct” and It belongs to the general limits of poststructuralist approaches that their almost
asked how they are interlaced with each other. For this, he developed an exclusive orientation toward discourses and sign-systems prevents them from
intermediary level, which he called “governmentality.” He defined the term as re-connecting their analysis in a convincing way with the macrostructures of
a “conduct of conducts” (conduite des conduites). 37 The issue is, therefore, society and its hegemonic power relations. Foucault’s promise of an “ascending”
how the self-conduct of people can in turn be conducted. This is of course a analysis starting out from the microstructures of power and moving up to the
fundamental topic for ideology theories. This was also the problem the Projekt macrostructures of social domination has not been kept. What was missing
Ideologietheorie dealt with when it distinguished between ideological socialization was a theoretical account of how power can be accumulated and assembled
from above and horizontal “self-socialization” (Selbstvergesellschaftung). As so that it builds strategic axes of economic, state, and patriarchal domination. 42

33  Cf. e.g. Ryan 1982, pp. 34ff and McNally 2001, pp. 45ff, 56ff.
34  Marx 1976, p. 103. 38  Foucault 2007, pp. 200f, 204ff.
35  Foucault 1995, pp. 202–203. 39  Foucault 2010, p. 344.
36  PIT 2007, pp. 104f, 118ff, 208ff, 228ff, 258ff. 40  Butler 1993, pp. 122, 124.
37  Cf. Foucault 2001, pp. 1056, 1401, 1604. For a critique of the Foucauldian concept of 41  Cf. Bhabha 1994, pp. 122ff, 159f.
governmentality and the “Governmentality-Studies,” cf. Rehmann 2011, pp. 202ff. 42  This is one of the crucial points where Bourdieu goes beyond poststructuralism. In his

98 99
IDEOLOGY CRITIQUE, IDEOLOGY THEORY, AND POSTSTRUCTURALISM

The substitution of ideology by discourse and power actually had the consequence References
that the social was reduced to the symbolic and the material to the efficacy of
“norms,” so that the profane reality of capitalism was all but obfuscated. 43 This Althusser, Louis, “Ideology and Ideological Harvey, David, The Condition of Postmodernity.
State Apparatuses. Notes towards an An Enquiry into the Origins of Cultural Change,
capitalist reality needs to be brought back to center stage. Its different forms of Investigation” (1970), in: Lenin and Philosophy Cambridge/MA, 1990.
alienation, its production of mass impoverishment, its dismantling of democracy and other Essays, trans. by Ben Brewster, Haug, Wolfgang Fritz, Commodity Aesthetics,
and build-up of repressive apparatuses, the interlocking of class rule and New York, 2001, pp. 85–126. Ideology & Culture, New York, 1987.
patriarchal gender relations, and the current crisis of neoliberal hegemony are Althusser, Louis and Étienne Balibar, Reading Haug, Wolfgang Fritz, Elemente einer
Capital (1968), London, 2009. Theorie des Ideologischen, Hamburg, 1993.
in dire need of what the young Marx called a “ruthless criticism” (rücksichtslose
Althusser, Louis, For Marx (1965), Haug, Wolfgang Fritz, Philosophieren mit
Kritik), “in the sense of not being afraid of the results it arrives at and […] just trans. by Ben Brewster, London, 1979. Brecht und Gramsci, Hamburg, 2006.
as little afraid of conflict with the powers that be.” 44 After having learned our Bhabha, Homi K., The Location of Culture, Haug, Wolfgang Fritz, Die kulturelle Unter-
postmodern lessons in the domains of epistemology and methodology, we London/New York, 1994. scheidung. Elemente einer Philosophie des
need to again take up the project of an ideology critique that operates with a Bloch, Ernst, Heritage of Our Times, trans. Kulturellen, Hamburg, 2011.
by Neville and Stephen Plaice, Berkeley/ Hennessy, Rosemary, Profit and Pleasure.
theory of the ideological as a “conceptual hinterland.” 45 One of the tasks is to Los Angeles, 1990. Sexual Identities in Late Capitalism,
diligently collect the fruitful methods and findings of poststructuralist approaches, Boltanski, Luc and Eve Chiapello, The New New York/London, 2000.
to release them from their narrow framework, and to re-embed them in a Spirit of Capitalism, trans. by Gregory Elliot, Huws, Ursula, The Making of a Cybertariat.
London/New York, 2005.
renewed critical social theory. Virtual Work in a Real World, New York/
Butler, Judith, Bodies that Matter, London, 2003.
New York, 1993. Lyotard, Jean-François, The Postmodern
Eagleton, Terry, Ideology: an Introduction, Condition: A Report on Knowledge (1979),
London, 1991. Minneapolis, 1984.
Foucault, Michel, The Archaeology of Marx, Karl and Friedrich Engels, Marx Engels
Knowledge (1968), trans. by A. M. Sheridan Collected Works, London, 1975 –2005 (quoted
Smith, New York, 1972. after MECW ).
Foucault, Michel, Discipline and Punish. Marx, Karl, Capital. A Critique of Political
The Birth of the Prison (1975), trans. by Economy, Vol. I, trans. by Ben Fowkes,
Alan Sheridan, New York, 1995. London, 1976.
Foucault, Michel, Dits et Écrits, Vol. II. McNally, David, Bodies of Meaning.
1976–1988, Paris, 2001. Studies on Language, Labor, and Liberation,
Foucault, Michel, Security, Territory, New York, 2001.
Population. Lectures at the Collège de France, Nietzsche, Friedrich, Kritische Studien-
1977–1978, trans. by Graham Burchell, ausgabe, ed. by Giorgio Colli und Mazino
New York, 2007. Montinari, Munich, 1999 (quoted after KSA).
Foucault, Michel, The Government of Self PIT ( Projekt Ideologietheorie), Faschismus
and Others. Lectures at the Collège de France und Ideologie, Berlin, 1980, newly ed. by Klaus
1982–1983, ed. by. Frédéric Gros, Weber, Hamburg, 2007.
New York, 2010. Poulantzas, Nicos, State, Power,
Frank, Manfred, What is Neostructuralism?, Socialism, trans. by Patrick Camiller,
trans. by Sabine Wilke and Richard Gray, London/New York, 1979.
Minneapolis, 1989. Rehmann, Jan, Postmoderner Links-
Hall, Stuart: “The Toad in the Garden. Nietzscheanismus. Deleuze & Foucault.
Thatcherism among the Theorists,” in Eine Dekonstruktion, Hamburg, 2004.
account, economic, cultural, social, and symbolic power, which he also calls “capital,” is objectively C. Nelson, L. Grossberg (Eds.), Marxism and Rehmann, Jan, Einführung in die Ideologie-
anchored in different “fields” and can be accumulated by “conversion” into other fields, by which the Interpretation of Culture, London, 1988, theorie, 2nd Edition, Hamburg, 2011.
the predominant weight of economic relations, or in Marxist discourse, their determination “in pp. 35–57.
the last instance,” comes back onto the agenda (cf. Rehmann 2011, pp. 124f ). Rehmann, Jan, “Can Marx’s Critique of Religion
Hall, Stuart, “Encoding, Decoding,” in: The Be Freed from Its Fetters?,” in: Rethinking
43  Cf. Rosemary Hennessy’s criticism of Butler and of other poststructuralist gender theories Cultural Studies Reader, ed. by S. During,
(2000, pp. 53f, 56, 61, 108). Marxism, 23:1, January 2011a, pp. 144–153.
London/New York, 1993, pp. 507–517.
44  MECW 3, p. 142.
45  Haug 1993, p. 21.

100 101
IDEOLOGIE UND HABITUS

Rehmann, Jan and Thomas Metscher,


“Betr. Ideologietheorie – ein Briefwechsel”,

in: Z, No. 92, December 2012.
Ryan, Michael, Marxism and Deconstruction.
„Habitus“ ist ein Konglomerat von in Fleisch und Blut übergegangenen
A Critical Articulation, Baltimore/London, Haltungen, ansozialisierten, aber meist unbewussten Einstellungen
1982. gegenüber der Welt. Vor allem durch den spezifischen Gebrauch des
Sawyer, R. Keith, “Ein Diskurs über den Soziologen Pierre Bourdieu (1930–2002) hat das Konzept des Habitus
Diskurs. Historische Archäologie eines
intellektuellen Konzepts,” in: Das Argument einige Prominenz erlangt. Es ist einerseits als Erweiterung des Ideologie-
249, Vol. 45, 2003, Issue 1, pp. 48–62. Begriffs zu verstehen. Zunächst hatte Bourdieu sein Konzept in Anlehnung
Wittgenstein, Ludwig, Philosophical an das Habitus-Verständnis des Kunsthistorikers Erwin Panofsky entwi-
Investigations (1945 ), 3rd Edition,
ckelt, der mit dem Begriff das Auftreten ähnlicher architektonischer For-
trans. by G. E. M. Anscombe, New York, 1958.
men zu einer bestimmten Zeit und an einem bestimmten Ort bezeichnete
und Habitus als „kollektives Unbewusstes“ begriff. ¹ Diese nicht-bewussten,
gemeinsam geteilten Vorlieben, Ansichten und Vorstellungen erkannte
Bourdieu später als Klassenphänomene und als verkörperlichte Phäno-
mene. Habitus besteht demnach aus inkorporierten Dispositionen („Leib
gewordene Geschichte“), er vermittelt Struktur und Praxis. Insofern er
das Kollektive im Individuellen ausmacht, durchkreuzt der Habitus auch
die klaren Dichotomien von Subjekt/Objekt und Individuum/Gesellschaft.
Der Habitus ist aber nicht nur ein verkörperlichtes Klassenphänomen,
sondern bildet darüber hinaus spezifischere Formen je nach sozialem
Feld aus. Dennoch ist er kein deterministisches Konzept, sondern sieht
unzählbare Varianten individueller Praxis vor. So wie der Habitus – bezogen
auf die Konzepte Louis Althussers – die Ideologie um eine kollektive körper-
liche Dimension erweitert, dynamisiert und historisiert der Feld-Begriff
das, was Althusser „Apparat“ genannt hat. ² Hinsichtlich der Kunst betont
Bourdieu, dass KünstlerInnen – wie auch Intellektuelle im Allgemeinen – in
ihrem Selbstbild wie kaum eine andere gesellschaftliche Gruppe von dem
Bild abhängig seien, das andere sich von ihnen machen. Auf diese Weise
interveniere die Gesellschaft „noch im Herzen des künstlerischen Projekts“. ³
Das Habitus-Konzept erweitert den Ideologie-Begriff aber nicht nur,
sondern ergänzt ihn andererseits auch. Bourdieu verwirft die Rede von
Ideologie keineswegs. Er spricht sogar von einem „Feld der Ideologiepro-
duktion“ 4, in dem – zwischen Presse, Bildungssektor sowie Parteien und
anderen Staatsapparaten – um das politisch Denkbare gerungen wird. So
wie eine individuelle „Meinung“ in kollektiven Prozessen generiert wird,
entsteht auch der persönliche Geschmack als Effekt kollektiver Praxis.
Weil diese kollektive Praxis verschleiert wird, kann die Distinktion über
Geschmack besonders effektiv wirken. Bezogen auf die Kunst, aber auch
auf den Konsum kultureller Güter im Allgemeinen, betont Bourdieu: „Wie
jede aus dem tagtäglichen Klassenkampf geborene ideologische Strategie

102 103
IDEOLOGY AND HABITUS

   
zieht auch die Ideologie des natürlichen Geschmacks ihren ideolo­gischen “Habitus” is a conglomerate of mindsets that have undergone transition
Schleier und ihre Wirksamkeit aus ihrer Naturalisierung realer Unterschiede.“ 5 into flesh and blood, a set of socialized yet generally unconscious attitudes
Politische Strategien gegen solche Formen der Naturalisierung sozial toward the world. The concept of habitus gained prominence thanks
generierter Praktiken und Strukturen erfordern, weil sie sich als in Ge- largely to its specific use by sociologist Pierre Bourdieu (1930–2002). On
wohnheiten ausagierter „praktischer Glaube“ manifestieren, der in die Körper the one hand, it can be understood as an expansion of the notion of
eingegangen ist, nicht nur Arbeit am kollektiven Bewusstsein, nicht nur ideology. Initially Bourdieu developed his idea on the basis of art historian
Ideologiekritik. Es bedarf dazu, so Bourdieu, einer „wahre[n] Arbeit der Erwin Panofsky’s habitus concept, with which Panofsky described the
Gegendressur, die ähnlich dem athletischen Training wiederholte Übungen appearance of similar architectural forms in specific times and places,
einschließt, [um] eine dauerhafte Transformation des Habitus zu erreichen.“ 6 thereby discerning a “collective unconscious.” ¹ These non-conscious, jointly
held beliefs, inclinations, and ideas were recognized later by Bourdieu as
Jens Kastner embodied phenomena and phenomena of class. Hence habitus consists
of incorporated dispositions (“history made flesh”) and mediates structure
and praxis. Insofar as it accounts for the collective within the individual,
the habitus frustrates clear dichotomies of subject/object and individual/
society. Yet it operates beyond mere embodied class phenomena, shaping
more specific forms according to each specific social field. It is not a
deterministic concept, however; as it allows for innumerable variants of
individual practice. Just as the habitus—referring to the concepts of Louis
1 Pierre Bourdieu, Zur Soziologie der symbolischen Formen, Althusser—expands ideology by adding a collective corporeal dimension,
Frankfurt a. M. 1997, 6. Aufl., S. 125ff.
the concept of “field” dynamizes and historicizes what Althusser called
2 Vgl. Pierre Bourdieu, Loïc J. D. Wacquant, „Die Ziele der reflexiven
Soziologie“, in: dies., Reflexive Anthropologie, Frankfurt a. M. 1996, “apparatus.” ² With regard to art, Bourdieu emphasizes that artists—the
S. 95–249, hier S. 133. same as intellectuals in general—are dependant, vis-à-vis their self-image,
3 Pierre Bourdieu, wie Anm. 1, S. 86; vgl. hierzu auch Jens Kastner, on others’ idea of them to a degree unmatched by almost all other social
Die ästhetische Disposition. Eine Einführung in die Kunsttheorie groups. Thus society intervenes “in the very heart of the artistic project.” ³
Pierre Bourdieus, Wien 2009.
4 Pierre Bourdieu, Die feinen Unterschiede. Kritik der gesell-
On the other hand, the habitus concept also supplements the concept of
schaftlichen Urteilskraft, Frankfurt a. M. 1987, S. 623. ideology rather than merely expanding it. In no way does Bourdieu
5 Ebd., S. 124. dismiss talk of ideology. He even speaks of a “field of ideology production”  4
6 Pierre Bourdieu, Meditationen, Frankfurt a. M. 2001, S. 220. wherein press and education as well as other state apparatuses compete
for the politically thinkable. Just as individual “opinion” is generated within
collective processes, personal taste too arises as an effect of collective
praxis. Because this collective praxis is veiled, distinction by way of taste
has the potential to operate with particular effectiveness. With reference
to art, and the consumption of cultural commodities in general, Bourdieu
emphasizes: “like each ideological strategy born of day-to-day class
struggle, the ideology of natural taste extracts its ideological veil and its
potency from its naturalization of real differences.” 5
Political strategies against such forms of the naturalization of socially
generated practices and structures demand—because those forms manifest

104 105

ENTKUNSTUNG DIESSEITS
as “practical belief” that is acted out in habit and absorbed by the body DER KUNST – IDEOLOGIEKRITIK,
—more than work on the collective consciousness, more than ideology
critique. They must be augmented, says Bourdieu, by a “thoroughgoing AUTONOMIE UND
process of countertraining, involving repeated exercises, [that] can, like
an athelete’s training, durably transform habitus.” 6 REPRODUKTION
Kerstin Stakemeier
Jens Kastner

„Konkret indessen ist zu analysieren, was Entkunstung der Kunst sei, eine
Praxis, welche die Kunst unreflektiert, diesseits ihrer eigenen Dialektik der
außerästhetischen annähert.“ ¹
In der Ästhetischen Theorie ² bezeichnet Theodor W. Adorno mit „Entkunstung“
1 Pierre Bourdieu, “Künstlerische Konzeption und Intellektuelles ein unlösbares Problem: den Eingriff der äußeren Welt in die Autonomie der
Kräftefeld,” in: Zur Soziologie der symbolischen Formen,
Frankfurt a. M., 1970, pp. 75–124, here p. 125ff [trans. by WW]. Kunst, geführt von den „von der Kulturindustrie Überlisteten und nach ihren
2 Cf. Pierre Bourdieu, Loïc J. D. Wacquant, “The Purpose of Reflexive Waren Dürstenden“, die sich „diesseits der Kunst“ befinden.³ Die Rollen
Sociology,” in: idem, An Invitation to Reflexive Sociology, Chicago, scheinen klar verteilt. Der Angriff des 20. auf das 19. Jahrhundert, der Massen-
1992, pp. 61–216, here p. 102.
3 Pierre Bourdieu, “Der Habitus als Vermittlung zwischen Struktur kultur auf die moderne Kultur der Emanzipation, ebenso fatal wie unabwendbar,
und Praxis,” in: Zur Soziologie der symbolischen Formen, see note 1, der Auftrag der modernistischen Verfechter der Autonomie gegen die in der
pp. 125–58, here p. 86 [trans. by WW]; see also Jens Kastner,
kulturindustriellen Gegenwart gefangenen Opfer ihrer Ersetzung durch
Die ästhetische Disposition. Eine Einführung in die Kunsttheorie
Pierre Bourdieus, Vienna, 2009. austauschbare Aktualitäten wirken unmissverständlich. Und doch naht keine
4 Pierre Bourdieu, Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Rettung. „Die Entkunstung der Kunst [bestimmt sich, KS] nicht allein als Stufe
Urteilskraft, Frankfurt a. M., 1987, p. 623 [trans. by WW].
ihrer Liquidation, sondern als ihre Entwicklungstendenz“ 4, und die Überlisteten
5 Ibid., p. 124 [trans. by WW].
6 Pierre Bourdieu, Pascalian Meditations, trans. by Richard Nice, befinden sich ebenso „diesseits der Kunst“, wie die Entkunstung sich „dies-
London, 2000, p. 172. seits ihrer eigenen Dialektik“ wiederfindet. Kein Jenseits ist in Sicht. Vielmehr
ist die Entkunstung ein Angriff der Kunst als Teil gesellschaftlicher Wirklichkeit
auf die Kunstwerke als Widerspruch gegen diese gesellschaftliche Wirklichkeit.
Die im 19. Jahrhundert institutionalisierte Autonomie der Kunst, um die es
Adorno geht, zerfällt im 20. Jahrhundert an der Unablösbarkeit der künstleri-
schen von der ökonomischen Bedeutung dieser Autonomie. Und prekärer-
weise verlor die Autonomie gerade dort, wo die Moderne seit den 1950er
Jahren als Modernismus von Adorno und anderen gegen ihren Verfall verteidigt
wurde, durch die Verteufelung ihrer ökonomischen Bedeutung auch die

1  Theodor W. Adorno, Gesammelte Schriften, Bd. 7: Ästhetische Theorie, hg. von Rolf
Tiedemann, Frankfurt a. M. 1997, S. 271.
2 Adornos Ästhetische Theorie ist eine posthum 1970 erschienene Sammlung systematischer
Fragmente zu einer kritischen Theorie der Ästhetik. Adorno selbst hatte die Fertigstellung des
Buches für das gleiche Jahr geplant.
3  Ebd., S. 32.
4  Ebd., S. 123.

106 107
ENTKUNSTUNG DIESSEITS DER KUNST

materielle Durchschlagkraft ihrer künstlerischen Bedeutung. Wo Autonomie jenseits dessen spätfeudaler Produktionsmittel bewegt. Letztlich wird die
den modernen Status der Kunst als gesellschaftlich separiertes Feld unpro- Werkform durch diese aktuellen Elemente in sich selbst heterogen. Denn
duktiver Arbeit und ästhetischer Individuation bezeichnete, charakterisiert „was die Grenzpfähle der Gattungen einreißt, wird bewegt von geschichtlichen
Entkunstung mit Adorno die massenkulturelle Identifizierung ihrer Individua- Kräften, die innerhalb der Grenzen aufwachten und schließlich sie überflu-
tionen und gegen ihn das Produktiv-Werden künstlerischer Arbeit in der Gegen- teten.“ 10 Die Entkunstung trägt die Kunst jenseits des Werks, und es sind
wartskunst. In diesem Text soll Entkunstung daher als Kippfigur der Kunst meines Erachtens diese Heterogenitäten, durch die sich die hieraus entste-
eingeführt werden, die die Desintegration der Moderne nicht nur als das Verlust- hende Gegenwartskunst auf Augenhöhe mit ihrer Zeit verortet.
geschäft sichtbar werden lässt, als das Adorno sie begriff, sondern ebenso als
einen Mechanismus, der innerhalb der Kunst, ihrer Produktion und Zirkulation Für diese Gegenwartskunst ist Herbert Marcuses an Adorno angelehntes Diktum
konkrete gesellschaftliche Perspektiven eröffnet, in denen die Kunst eine im von 1973, dass „als ‚Ideologie‘ […] Kunst die herrschende Ideologie außer
modernistischen Verständnis noch undenkbare Gegenwärtigkeit erhielt. Kraft“ 11 setzt, nicht länger haltbar. Dass „ein jedes Kunstwerk vom Verdikt
Doch für Adorno ist die Trennung von Kunst und Leben notwendiger Grundstock falschen Bewußtseins ereilt und der Ideologie zugerechnet werden [könnte,
künstlerischer Autonomie und deren Entkunstung eine zweiseitige Perforierung: KS]“, trifft für Adorno eben nicht aus dem Kunstwerk heraus zu, sondern aus
zum einen der Wegfall der historischen „Verselbständigung […] [der Kunst, KS] dessen ökonomischer Sonderstellung als Kunst. Denn „formal sind sie [die
gegenüber den Lebenszusammenhängen, in die sie zuvor eingebettet war“ 5 Werke, KS], unabhängig von dem, was sie sagen, Ideologie darin, daß sie a
– der Verlust ihrer mit der Moderne institutionalisierten Autonomie als einer priori Geistiges als ein von den Bedingungen seiner materiellen Produktion
gesellschaftlichen Sonderstellung und damit auch der Kunst selbst als einer Unabhängiges und darum höher Geartetes setzen und über die uralte Schuld
eigenständigen ideologischen Figur. 6 Entkunstung zieht diese beiden Aspekte in der Trennung körperlicher und geistiger Arbeit täuschen“.12 In der von
zusammen, Ideologie und Realität bewegen sich aufeinander zu. 7 Was bleibt, Adorno bezeichneten Moderne ist das Verhältnis der Kunst zur Arbeit ein
ist modernistische Autonomie „reiner“ Kunst als Ideologie inmitten der Gesell- kategorisches. Nicht an ihm unterscheidet sich, was ihr Vermögen ist, sondern,
schaft bei gleichzeitigem Verlust der gesellschaftlich ihr zugehörigen Sonder- im Gegenteil, erst der schuldhafte Ausschluss aus der allgemeinen gesell-
stellung. Entkunstung bezeichnet die Einbettung der autonomen Kunst als schaftlichen Produktion ermöglicht dem einzelnen Kunstwerk die „Macht
integrierte gesellschaftliche Realität. Im Stande der Entkunstung ist Autonomie seiner Geschlossenheit“.13 Das Durchbrechen dieser Trennung aus der Kunst
in der Kunst nicht ausgeschlossen, doch sie hat aufgehört, modern zu sein. heraus ist für Adorno Makel der Entkunstung der modernen Kunst und wurde
Sie ist, so will ich demonstrieren, eben nicht mehr Autonomie der Kunst, doch gleichzeitig in ihr zu einem individuierenden Ausgangspunkt der Gegen-
sondern Autonomie in der Kunst. Zum anderen zielt die Entkunstung bei Adorno wartskunst. Das Ende der kategorischen Scheidung der Kunst von der
auf die Verselbstständigung „der Andersheit. Kunst bedarf eines ihr Hetero- quantifizierbaren, produktiven körperlichen Arbeit bedeutete zwar in Adornos
genen, um es zu werden“ 8. Die Andersheit, sozusagen die materielle Ebene Verständnis eine Entkunstung der Moderne und damit einen Verlust ihrer
der gesellschaftlichen Sonderstellung im Werk, verselbstständigt sich zu- Autonomie, aber sie produzierte im selben Zug einen neuen gesellschaftlichen
nehmend mit der Reorganisation der das Kunstwerk umgebenden Welt nach Typus von Kunst, die Gegenwartskunst, die nicht länger hinreichend aus
dem kapitalistischen Tauschprinzip. 9 Heterogenes ist nicht länger spurlos einem kunsthistorischen Epochenbegriff heraus erklärbar war. Konstatierte
integrierbar, sondern platziert eine Ordnung im Werk, die sich mehr und mehr Adorno Ende der 1960er Jahre noch, dass „die jüngste Entkunstung der Kunst
[…] sich versteckt des Spielmoments auf Kosten aller anderen“ bediene,14 so
sind seine Referenzpunkte hierfür, wie zeitgleich auch die Marcuses, Friedrich
5  Theodor W. Adorno, „Theorie der Halbbildung“, in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. 8:
Soziologische Schriften I, hg. von Rolf Tiedemann, Frankfurt a. M. 1997, S. 97. Adorno schreibt
Schillers Briefe Über die ästhetische Erziehung des Menschen (1801), eine
hier über die Bildung, jedoch in einer Struktur, die sich auch auf die Kunst und Philosophie Perspektive, die jegliche Form von Aktivität innerhalb der Kunst nicht als
übertragen lässt, wie Adorno selbst auf S. 112f. argumentiert.
6  Theodor W. Adorno, „Beitrag zur Ideologielehre“, in: ebd., S. 474.
7  Ebd., S. 477. 10  Ebd., S. 434.
8  Theodor W. Adorno, „Die Kunst und die Künste“, in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. 10: 11  Herbert Marcuse, Konterrevolution und Revolte, Frankfurt a. M. 1973, S. 115; vgl. Theodor ­
Kulturkritik und Gesellschaft I, hg. von Rolf Tiedemann, Frankfurt a. M. 1977, S. 439. W. Adorno, Ästhetische Theorie, wie Anm. 1, S. 345ff.
9  Adornos Kritik des Kapitalismus als gesellschaftlicher Reproduktionsform stützt sich 12  Ebd., S. 337.
wesentlich auf eine Kritik des verabsolutierten Tausches – ein Problem, zu dem ich im nächsten 13  Ebd., S. 121.
Teil des Textes zurückkehren werde. 14  Ebd., S. 470.

108 109
ENTKUNSTUNG DIESSEITS DER KUNST

Arbeit erkennen kann, weil eben deren Ausschluss in diesem historischen Kaprows 18 Happenings in 6 Parts (1958) oder traumatisch wie in Claes
Moment konstitutiv ist. Schiller jedoch beschrieb spätfeudale Abhängigkeits- Oldenburgs Snapshots from the City (1960). Sie agieren durch künstlerische
verhältnisse, Adorno, wie er selbst schreibt, den „Hochkapitalismus“. Was er Medien Alltäglichkeiten aus und veröffentlichen so ihre Produktion, ordnen sie
als Spiel der Entkunstung angreift, ist eine Vergegenwärtigung der ein, anstatt sie auszusondern. Dies zeigt sich gerade im Verhältnis zu den
geschichtlich sich verändernden Arbeitsformen in der Kunst. „Lässt überhaupt zeitgleich raumgreifenden Aktualisierungen der fordistischen Arbeitsordnung
keine Autonomie der Kunst ohne Verdeckung der Arbeit sich denken, so wird durch den steigenden Anteil der Dienstleistungstätigkeiten 17, der eine Ver-
diese im Hochkapitalismus unter der totalen Herrschaft des Tauschwerts und schiebung des Arbeitsbegriffs innerhalb und außerhalb der Kunst nach sich
der gerade kraft solcher Herrschaft anwachsenden Widersprüche problema- zieht. Mit der Professionalisierung zuvor unbezahlter, privater oder individuali-
tisch und zum Programm. […] Das Kunstwerk bekräftigt“, wie Adorno in siert entlohnter Tätigkeiten gerade im Gesundheitssektor, im Bildungsbereich
seinem Versuch über Wagner (1952) schreibt, der wesentlich von der Exilierung und in Produktionsdiensten veränderten sich in den Nachkriegsjahrzehnten
der Arbeit aus dem Werk handelt, „was sonst die Ideologie bestreitet: Arbeit die KünstlerInnenausbildung, Zuliefererstruktur und Produktionsmittel, und die
schändet“. 15 Und dass sie das tut, scheint für Adorno unumstößlich. Nur KünstlerInnen wurden Teil der gesellschaftlichen Veränderungen jenseits ihres
jenseits der Arbeit kann sich Autonomie formieren; beide sind sozial negativ. Genres; im Gesundheitswesen, Finanz- und Immobilienwesen.
Und eben darum kann Adorno die Arbeit in der Kunst trotz praktischer Ideolo- Dies betraf speziell die Veränderungen der Praxisformen in der nordamerikani-
giekritik nicht erkennen und klassifiziert das Auftauchen von jeglicher Tätigkeit schen Kunstszene, da hier die ökonomischen Umbrüche bereits in den 1950er
als Spielmoment, in dem die Trennung geistiger und körperlicher Arbeit ein Jahren deutlich anzogen und mit einem weiteren von David Harvey in seiner
weiteres Mal zementiert wird. Analyse der Einführung der „flexiblen Akkumulation“ betonten Aspekt zusam-
Doch was Adorno als Spiel der Entkunstung irritiert und als Arbeit im Werk mentreffen: der, in Adornos Worten, „Atomisierung“ , d. h. einer kurzlebigeren
seiner taktischen Projektion von Autonomie widerspricht, entwickelt sich Taktung des Konsumverhaltens in Bezug auf neue Produkte.18 Harvey beschreibt
zeitgleich zu künstlerischen Ausbruchszenarien jenseits der Enge des Werk- anhand des ansteigenden Anteils der Dienstleistung in allen Produktionsbe-
raums. Künstlerische Arbeitsformen setzen jenseits der modernistischen reichen eine Verschiebung von der Produktion von Gütern hin zu derjenigen
Kompositionsarbeit an und orientieren sich an den internationalen Formen der von Ereignissen. 19 Wenn auch der Gegensatz meines Erachtens in dieser
industriellen Massenkultur. 1952 schließt sich in London die Independent Schärfe schwer zu halten ist, so ist der in ihm verzeichnete Übergang von
Group (IG) zusammen. Richard Hamilton, Eduardo Paolozzi, Reyner Banham, Ware zu Ereignis doch gerade im Bezug auf z. B. Allan Kaprows Assemblagen,
Alison und Peter Smithson, Nigel Henderson, Toni del Renzio und andere Environments und Happenings  extrem aussagekräftig.20 Auch deshalb, weil
starten eine Auseinandersetzung mit dem durch die amerikanische Magazin- hiermit die Gegenüberstellung vom Warencharakter der Werke in der Distribu-
kultur und den darin beworbenen Designs offensichtlich gewordenen und tionssphäre und ihre scheinbar vorkapitalistische Existenz außerhalb des
auch in den Ruinen Europas kaum mehr zu leugnenden Vorrang der Alltags- Tauschs, die sich ein Jahrzehnt später in der Konzeptkunst großer Beliebtheit
kultur vor der ästhetischen Konstruktion. Sie setzen das Werk aus, oder erfreuen sollte, 21 praktisch kritisiert wird. Die Ereigniswerdung der Kunst wird
vielmehr setzen sie es ein, in Ausstellungen, Vorträgen und Serien, in denen bei Kaprow, Oldenburg und anderen eben als Schritt in eine öffentlichere
ihre künstlerische und wissenschaftliche Arbeit sich über Fotografie, Archi- Praxis demonstriert. Schon Adorno reduzierte, wie bereits zitiert, die fortge-
tektur, Malerei, Collage, Kunstgeschichte ebenso erstreckt wie sie deren setzte kapitalistische Reorganisierung der Welt auf die Identifikation ihrer Teile
massenkulturelle Wiederholungen und Erweiterungen einbezieht. 16 im Tausch. Er unterstrich damit nicht zuletzt die fordistische Trennung von
Jim Dines, Allan Kaprows, Claes Oldenburgs oder Robert Rauschenbergs körperlicher und geistiger Arbeit. Aus deren Hierarchisierung gewann er einen
Entwicklungen einer Happening- und Performancepraxis aus der Malerei in
der zweiten Hälfte der 1950er Jahre in New York könnten, wie viele andere 17  David Harvey, The Condition of Postmodernity. An Enquiry into the Origins of Cultural
künstlerische Erweiterungen des Arbeitsfeldes dieser Zeit, aus einer ähnlichen Change, Cambridge/MA/Oxford 1990, S. 152f., 156f.
18  Vgl. Theodor W. Adorno, in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. 18: Musikalische Schriften IV,
Perspektive diskutiert werden. Sie agieren Alltäglichkeiten aus, ob banal wie in hg. von Rolf Tiedemann, Frankfurt a. M. 1997, S. 695.
19  David Harvey, wie Anm. 17, S. 157.
15  Theodor W. Adorno, „Versuch über Wagner“, in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. 13: 20  Vgl. Allan Kaprow, Assemblage, Environments & Happenings, New York 1966.
Die musikalischen Monographien, hg. von Rolf Tiedemann, Frankfurt a. M. 1997, S. 80f. 21  Vgl. Lucy R. Lippard, Six Years: the Dematerialization of the Art Object from 1966 to 1972;
16  Vgl. Anne Massey, The Independent Group: Modernism and Mass Culture in Britain, A Cross-Reference Book of Information on Some Esthetic Boundaries, New York 1973, Escape
1945–1959, Manchester 1995. Attempts, S. viiff., und Postface, S. 263ff.

110 111
ENTKUNSTUNG DIESSEITS DER KUNST

der Distributionssphäre scheinbar vorgelagerten Bereich geistiger Arbeit, des Kapitals als Selbstzweck entgegen.“ 24 Die Autonomie der Kunst ist also
einen potenziell autonomen Tätigkeitsbereich. Doch mit der gesellschaftlichen gesellschaftlich gesehen, ganz in Adornos Sinne, ein fortgesetzt negativer
Verbreiterung und Professionalisierung der Dienstleistungstätigkeiten, die das Prozess unproduktiver Arbeit, der jedoch durch die umrissenen Verände-
langsame Ende der fordistischen Produktionsordnung charakterisierte, war rungen, die die Desintegration der fordistischen hin zu einer flexiblen Akkumu-
diese strenge Trennung nicht länger aufrechtzuerhalten. lation nach sich zogen, entgrenzt wird. Durch die nachhaltige Intensivierung
Die Londoner IG wiederum erweist sich vor allem deshalb als ein so gegen- der Arbeitsteilung und der progressiven Integration von Dienstleistungsar-
wärtiges künstlerisches Verhalten zu den Umbrüchen ihrer Zeit, weil ihr beiten im Luxus- ebenso wie im Massensegment ist auch die Kunstproduktion
gemeinsames Interesse eben aus dem Gegensatz zwischen der von ihnen nicht mehr streng vom allgemeinen Zweck des Kapitals zu scheiden. Kunst
untersuchten US-amerikanischen Massenkultur, der Explosion des Alltagsde- geht in die „Produktion um der Produktion Willen“ 25 ein und wird produktiver
signs und der Nachkriegssituation in Großbritannien entsprang und ihre Praxis Teil der kapitalistischen Nachkriegsgesellschaft. Nicht, weil sie nun Gebrauchs-
hieraus ihre Struktur fand. Sie gaben nicht auf, KünstlerInnen zu sein – alle werte produzierten – obwohl auch dies sich zu einem eigenen Bereich innerhalb
produzierten individuell jenseits der IG –, verzichteten aber darauf, im gemein- des oberen Segments des Galeriemarktes entwickelte, in dem KünstlerInnen
samen Format Kunstwerke zu produzieren. In ihren Ausstellungsprojekten Lampen, Architekturen, Stühle, Tische und Teppiche im Luxussegment als
ordneten sie vor allem den ästhetischen Blick jenseits der modernen Hierarchie Seitenstrang ihrer Kunstproduktion herstellen, die von Galerien seriell vertrieben
von Kunst und Massenkultur neu. 22 Hierin trifft sich die Verschiebung künstleri- werden –, sondern weil ihre Produktionswege und -weisen, ihre Distributions-
scher Tätigkeiten mit einer weiteren Tendenz, die David Harvey für dieselbe formen und Produktivitätsmargen zunehmend eng mit denen angrenzender
Zeit als aktualisierte kapitalistische Arbeitsformen nachzeichnet: Die fordis- Zuliefererindustrien verwoben wurden. Eine Industrie entwickelte sich.
tische Massenproduktion spezifiziert sich in drastisch erweiterten, aber dafür Dies betrifft auch den Status der Kunst als ideologische Figur, denn „von
in wesentlich kleineren Zahlen produzierten Warensegmenten. In der Kunst Ideologie lässt sich“, so Adorno 1954, „sinnvoll nur soweit reden, wie ein
lässt sich auch bei der IG, und in ihrem Gefolge in der Produktpalette der Geistiges, selbständig und substantiell und mit eigenem Anspruch aus dem
Pop-Art, eine drastische Erweiterung der Warensegmente verzeichnen. Hier gesellschaftlichen Prozess hervortritt“. 26 In der zerstörten Moderne treten
jedoch bedeutete dies eine absolute Steigerung der Produktionsmengen, Durchlässigkeiten auf, die Louis Althusser elf Jahre später in der produktiven
eben weil zuvor die künstlerische der fordistischen Produktionsnorm diametral Vermutung zusammenfasste, „dass die Menschen ihre Handlungen, die die
gegenüber stand (als individuierte Einzelstücke gegenüber standardisierter klassische Tradition üblicherweise der Freiheit und dem ‚Bewußtsein‘ zu-
Massenware). Künstlerische und andere Arbeitsformen nähern sich ebenso schreibt, in der Ideologie, über und durch die Ideologie leben; kurz, dass das
wie künstlerische und andere Warenformen nach dem Zweiten Weltkrieg ‚gelebte‘ Verhältnis der Menschen zur Welt einschließlich das zur Geschichte
nachhaltig einander an. […] die Ideologie selbst ist“ .27 Die Rückprojektion auf die Kunst als gegen-
Deren unversöhnliche Gegenüberstellung charakterisierte in Adornos Perspek- ideologische Ideologie, die Adorno in den 1960ern strategisch gegen ihre
tive, wie bereits ausgeführt, zentral die ideologische Stellung der modernen Gegenwart in Anschlag brachte, ist nicht zuletzt selbst vergangenes ideologi-
Kunst selbst, ihre Autonomie als gesellschaftlich gegebene Ausgrenzung aus sches Phänomen einer nicht mehr gegenwärtigen Spaltung der unterschied-
einem Prozess, in dem, wie Hans-Georg Bensch zusammenfasste, der lichen gesellschaftlichen Produktionsbereiche voneinander. Nur im modernis-
„Zweck der Produktion nicht die Erhaltung der Menschen ist. Sondern Zweck tischen Bild tritt an die Stelle der Moderne eine Nachmoderne, wohingegen
der Produktion ist die Erhaltung des Kapitals, das […] sich nur erhalten kann, sich etwa in strukturalistischen Perspektiven wie derjenigen Althussers aus
wenn es sich vermehrt“. 23 Die Stellung der modernen Kunst als Produktions- der gesteigerten Vermittlung eines ideologischen gesellschaftlichen Lebens
sphäre ist für das Kapital systematisch irrelevant, denn „Luxusgüter sind“, wie aneinander neue Autonomien und Antagonismen erkennen lassen, die eben
Frank Kuhne hinzufügt, „für die individuelle Konsumtion bestimmt, ohne wie
die notwendigen Lebensmittel der Reproduktion des Gebrauchswertes der
24  Frank Kuhne, „Marx’ Ideologiebegriff im Kapital“, in: Hans-Georg Bensch, Frank Kuhne (Hg.),
Ware Arbeitskraft zu dienen. Die Produktion von Luxus ist deshalb dem Begriff Das Automatische Subjekt bei Marx, Lüneburg 1998, S. 85.
25  Karl Marx, Das Kapital I, in: Marx-Engels-Werke (MEW), Bd. 23, hg. vom Institut für
22  Vgl. Thomas Schregenberger, Claude Lichtenstein (Hg.), As Found, The Discovery of The Marxismus-Leninismus beim ZK der SED, Berlin/DDR 1981, S. 618.
Ordinary, Zürich 2001. 26  Theodor W. Adorno, Beitrag zur Ideologielehre, wie Anm. 6, S. 474.
23  Hans-Georg Bensch, „Zum ‚Automatischen Subjekt‘“, in: http://www.trend.infopartisan.net/ 27  Louis Althusser, Für Marx (1965), aus dem Französischen von Werner Nitsch u. a., hg. von
trd0705/t180705.html Frieder Otto Wolf, Frankfurt a. M. 1968, S. 184.

112 113
ENTKUNSTUNG DIESSEITS DER KUNST

auf einer gegenwärtigen und sich stetig aktualisierenden ideologischen Praxis Punkt, wo er sie als das vorwärtstreibende Element in der Kapitalentwicklung
aufbauen und sich von ihr momentweise lösen, anstatt auf historische Ver- und das Kapital als eine Funktion der Arbeiterklasse definiert.“  30 In Trontis
­selbstständigungen gesellschaftlicher Funktionen gegenüber den konkreten Worten: „Distribution, Austausch, Konsumtion müssen vom Standpunkt der Pro-
Lebensumständen aufzubauen. duktion aus gesehen werden.“ 31 Ausgangspunkt der Subjektivierung ist somit
Was bei Adorno in der Entkunstung noch der autonomen modernen Kunst weiterhin die Fabrik, jedoch als Bild der kapitalistischen Gesamtordnung, nicht
zustößt (ihre ideologische Rolle als Ideal geistiger Arbeit), wurde mit der lediglich als geografischer Ort. Die Autonomie im ArbeiterInnenkampf wird
kapitalistischen Vergegenwärtigung der Kunst nach dem Zweiten Weltkrieg in gesellschaftlich neu verortet, diesseits und jenseits der Fabrikmauern, „die
der Vernetzung der Gesellschaft durch die Ausweitung der Dienstleistung zu Arbeiterklasse muß sich selbst materialiter als Teil des Kapitals begreifen“.32
einem inhärenten künstlerischen Prozess (als Autonomisierung von der Trontis Diskussion politischer Autonomie im Rahmen eines desintegrierten
Ideologie einer nur geistigen Arbeit). Dieser Umschlag in der Bedeutung der modernistischen Konzepts kapitalistischer Antagonismen ist hier vor allem
Moderne auf der einen Seite und das Entstehen der Gegenwart(skunst) auf der deswegen interessant, weil Autonomie nicht als Entwicklung jenseits der bloß
anderen Seite lässt sich mit der vollen Ausprägung dieser Tendenzen in den ökonomischen Funktion der eigenen gesellschaftlichen Rolle bestimmt wird,
späten 1960ern und 1970ern kursorisch in den Zusammenhang zweier grund- sondern aus dieser heraus.33 Dieses Autonomiekonzept materialisiert die
legender ökonomischer und gesellschaftlicher Perspektivänderungen, zweier Erfüllung einer fordistischen Rolle gegen deren systemimmanenten Zweck, wie
politischer Kämpfe um Autonomie stellen, die hier abschließend umrissen etwa in den Setzungen und Kämpfen um eine feministische Kunst in den
werden sollen: 1970er Jahren, in denen für die Autonomie einer „weiblichen Ästhetik“ (Silvia
1. Der Übergang aus der fordistischen in die sogenannte postfordistische oder Bovenschen) gekämpft wurde, eben weil diese sich mit dem modernistischen
mit Harveys Worten in die „flexible Akkumulation“, wie er sie für die Vereinigten Autonomieverständnis in der Kunst nicht vereinbaren ließ und so zur Sprengung
Staaten in den späten 1980ern für die Zeit ab etwa 1950 skizziert, wurde des modernistischen Autonomiebegriffs ansetzte. Das ideologische Konzept
von operaistischen Theoretikern wie Raniero Panzieri oder Mario Tronti in den der modernen Autonomie in der Kunst fungiert hier als autoritäres Zitat, dessen
1960er und frühen 1970er Jahren für Italien aus einer konkreten politischen Autorität durch eine gegen es gewendete künstlerische Praxis aktualisiert wird.
Praxis heraus beschrieben. Eine zentrale Rolle spielt auch in der operaistischen Tronti führte im Operaismus eine Vergegenwärtigung der gesellschaftlichen
Theorie die veränderte Bedeutung der Dienstleistungsarbeit in der Kapitalpro- Bedeutung von Autonomie ein, in der der modernistische Glaube einer Auto-
duktion, die allerdings erst bei Antonio Negri in dessen Aufsatz Proletarier und nomie von der ökonomischen Reproduktion als bloß kapitalimmanente Pro-
Staat (1976) 28 in der Figur des „vergesellschafteten Arbeiters“ und dessen jektion sichtbar wurde. Was in diesem Sinn die strukturalistischen Theorien
Organisierung jenseits der Fabrik offen zutage tritt.29 Im Gegensatz zu Harvey Althussers wie auch die operaistischen Theorien Trontis der 1960er und 1970er
liegt hier der Schwerpunkt nicht so sehr auf der veränderten Zusammen- Jahre in meinen Augen gegenüber vielen ihnen nachfolgenden Überlegungen
setzung des Kapitals, sondern vielmehr auf der veränderten Rolle der Arbeit zum selben Gegenstand auszeichnet, ist ihre Insistenz auf die Materialität der
und der ArbeiterInnen. Tronti argumentiert Ende der 1960er, dass die Arbeiter- modernen Kategorien noch in der Gegenwart, ihre Wirkungsmacht weit über
Innenklasse sich von ihrem Status als LohnarbeiterInnen emanzipieren müsse, ihre eigene Aktualität hinaus. Das öffentliche Leben der Kunst blieb in vielerlei
um politisch autonom zu werden und damit mehr als eine bloß ökonomische Hinsicht bis heute modern, doch die möglichen Unterlaufungsstrategien moder-
Kategorie zu sein. „Er betont ihre ‚Autonomie‘ und ‚Subjektivität‘ bis zu dem nistischer Hierarchien und ideologischer Figuren veränderten sich mit dem
Paradigma der grundlegenden Dehierarchisierung von „Distribution, Austausch,
Konsumtion“ dramatisch. Mit Tronti könnte man sagen, dass sich auch die
28  Deutsche Übersetzung erschienen in: Antonio Negri, Massenautonomie gegen historischen
Kompromiss, München 1977.
29  Vgl. Dario Gentili, „The Autonomy of the Political in the Italian Tradition (Tronti, Negri,
Cacciari)“, in: Nathaniel Boyd, Michele Filippini, Luisa Lorenza Corna (Hg.), The Autonomy of the 33  Postoperaistische Theorien haben die Veränderungen der konkreten Arbeitsverhältnisse
Political: Concept, Theory, Form, Jan van Eyck Academie, Maastricht 2012, S. 12. seit den 1970er Jahren bis in die Gegenwart wesentlich aktueller gefasst, allerdings stehen ihren
30  Gisela Bock, „Zur deutschen Ausgabe“, in: Mario Tronti, Extremismus und Reformismus, optimistischen Ausblicken auf neue Klassen, neue Bewegungen und neue Arbeitsformen
Berlin 1971, S. 10. ökonomische, gesellschaftliche und kulturelle Hegemonien gegenüber, die effektiv soziale
31  Mario Tronti, „La fabbrica et la società“, in: Quaderni Rossi, Nr. 2, 1962 (deutsche Strukturen reinitiieren, die weiterhin auf der Basis moderner Gesellschaftsmodelle aufbauen.
Übersetzung in: Mario Tronti, Arbeiter und Kapital, Frankfurt a. M. 1974, S. 17–40, hier: Vgl. Toni Negri, Maurizio Lazzarato, Paolo Virno, Umherschweifende Produzenten, hg. von
http://www.wildcatwww.de/dossiers/operaismus/qr2_tron.htm). Thomas Atzert, Berlin 1998.
32 Ebd. 34 http://www.klassenlos.tk/data/pdf/dalla_costa.pdf.

114 115
ENTKUNSTUNG DIESSEITS DER KUNST

KünstlerInnen von ihrer bloß ökonomischen Rolle (derjenigen unproduktiver und Arbeitsmittel und durch die Beschränkung ihrer sozialen Existenz auf solche
unmessbarer Arbeit) emanzipieren mussten, um politisch autonom werden zu öffentlichen Repräsentationsformen, die auf die Negation der in ihnen veraus-
können (aus einem Selbstverständnis als DienstleisterInnen). gabten Arbeit basierten. Doch wo die Projektion auf die Kunst eine auf
2. Die feministischen Ansätze derselben Zeit, wie sie nicht zuletzt von den scheinbar nur geistige Arbeit war, Inbegriff entkörperlichter Autonomie, wurde
Beteiligten der Wages for Housework-Kampagne, gegründet 1972 von Selma die Reproduktionsarbeit auf den Stereotyp einer vordergründig bloß körper-
James, u. a. mit Mariarosa Dalla Costa und Silvia Federici, verfochten wurden, lichen Anstrengung reduziert, Essenz physischer Heteronomie. Der bis heute
zielen auf eben diesen Punkt. Ihre marxistischen und teils, wie etwa Dalla andauernde feministische Kampf für die Etablierung von Autonomien aus der
Costa oder Federici, vor einem operaistischen Hintergrund argumentierenden Perspektive der Reproduktion inmitten des Kapitals ist daher meines
Theoretikerinnen betonen die bereits im Zusammenhang des Fordismus Erachtens wegweisend auch für eine künstlerische Neubestimmung dessen,
untergrabene Rolle reproduktiver Arbeit in der Konstitution des Kapitals und was Autonomien in der Kunst gegenwärtig bezeichnen könnten. Das schlägt
fordern deren Einbezug in die Analyse und politische Konfrontation der kapi- sich nicht nur in denjenigen künstlerischen Arbeiten der 1960er und 1970er
talistischen Gegenwart. Unproduktive Arbeit soll als produktive sichtbar Jahre nieder, die dieses Verhältnis explizit zum Ausgangspunkt ihrer Produk-
gemacht und ihrer Privatisierung ein Ende gesetzt werden. Fiel die Kunstpro- tionen machten, wie etwa Margaret Harrison, Mary Kelly, Helke Sander oder
duktion aus der marxistischen Analyse des Kapitals in modernen Zeiten nicht Mierle Laderman Ukeles. Ebenso kehren „Veröffentlichungen“ und Sichtbar-
ganz zu Unrecht heraus, da ihre Produktionsordnung in keinem systemati- machungen des Privaten in gegenwärtigen künstlerischen Versuchen wieder,
schen Zusammenhang zu dem von ihr erzeugten Wert stand, lässt sich dies die eine Entgrenzung der eigenen Existenz im globalisierten Kapital in ästheti-
für die Reproduktionsarbeit schwerlich behaupten. Wie Dalla Costa 1971 schen Rekonstruktionen darstellen und keine strenge Scheidung zwischen Arbeit
argumentierte, ist es im Gegenteil so, dass die zumeist von Frauen unbezahlt (künstlerisch individualisierter Produktion) und Leben (kapitalistisch individua-
verrichtete Reproduktionsarbeit eben diejenige Ware produziert, von der die lisierter Reproduktion) zulassen.
Produktion aller weiteren Waren abhängt: diejenige der Arbeitskraft.34 Doch Die Frage, inwiefern eine künstlerische Praxis, die in gewisser Weise sonst
als unbezahlte und gesellschaftlich damit als unproduktiv angesehene Arbeit sozialisierte Phänomene autonomisiert, heute aktualisierbar ist, ließe sich etwa
erscheint „die Frauenarbeit […] als persönliche Dienstleistung außerhalb des anhand der Arbeiten und Arbeitsweisen von KünstlerInnen wie Discoteca
Kapitals“.35 Auch die von Helke Sander 1968 vor dem SDS geforderte „Politi- Flaming Star, Emma Hedditch, Karolin Meunier, Ulrike Müller, Anja Kirschner
sierung des Privatlebens“ 36 markiert eben diesen Punkt als Ausgangspunkt und David Panos, Johannes Paul Raether oder Ian White diskutieren, um nur
einer aktualisierten Bestimmung einer Autonomie gegen das Kapital, an dem einige zu nennen. Diese Frage ausführlicher zu beantworten steht jedoch noch
sich dessen innerstes Bewegungsgesetz, „die Produktion um der Produktion aus. Denn vor dem Hintergrund eines generativen Verständnisses von Ideolo-
Willen“, seine fortgesetzte erweiterte Reproduktion letztlich materialisiert. Die giekritik, Autonomie und Reproduktion ginge es hierbei weniger um eine fortge-
Öffentlichmachung unproduktiver Arbeit als kapitaler Dienstleistung begegnet setzte Selbstbespiegelung der künstlerischen Produktions-, Distributions- und
den Residuen moderner Gesellschaften noch in der Gegenwart, hier derje- Konsumtionsordnung, sondern um deren Homologien mit anderen gesell-
nigen der Hausfrauenarbeit, indem sie aus deren Identifizierung als Teil des schaftlichen Orten, Phänomenen und Narrationen, an denen ebenso die eigene
kapitalistischen Gegenwartsgeschäfts in Trontis Sinne eine Autonomisierung ideologische Rolle wie deren gegenläufige Autonomisierung zu verzeichnen wäre.
gegen das System der kapitalistischen Reproduktion erwirken. Mit der im
modernen Gesellschaftsbild ebenso als unproduktiv stigmatisierten künstleri-
schen Produktion teilt die Reproduktionsarbeit auf der einen Seite den Mythos
der Unmessbarkeit im fordistischen Schema und auf der anderen Seite ihre
Kapitalisierung als Dienstleistungsarm im Zuge der Flexibilisierung der
Akku­mulation nach dem Zweiten Weltkrieg. Beide Produktionsbereiche waren
im fordistischen Schema des Kapitals durch ihren Ausschluss aus der direkten
Industrialisierung charakterisiert; durch die fortgesetzte Archaik ihrer

35  Ebd., S. 7.


36 http://www.1000dokumente.de/pdf/dok_0022_san_de.pdf.

116 117
DEAESTHETIZATION
THIS SIDE OF ART—IDEOLOGY
CRITIQUE, AUTONOMY, AND
REPRODUCTION
Kerstin Stakemeier

“It is concrete, however, to analyze the deaesthetization of art as a praxis that,


devoid of reflection and this side of art’s own dialectic, progressively delivers
art over to the extra-aesthetic dialectic.”¹
In Aesthetic Theory ² Theodor W. Adorno names an irresolvable problem,
“deartification” [Entkunstung]: the encroachment of the outside world into art’s
autonomy, led by “those who have been duped by the culture industry and are
eager for its commodities,” those who are “this side of art.”³ The roles seem
to be clearly distributed. The assault of the twentieth century on the nineteenth,
that of mass culture on the modern culture of emancipation, seems as fatal as
it was inevitable, the mission of the modernist advocate of autonomy against
the victims of its replacement by disposable novelties, who are caught up
in the cultural-industrial present—all this seems unmistakably clear. And yet,
salvation doesn’t seem to come. “The deartification of art is not only a stage
of art’s liquidation but also the direction of its development,”4 and those who
have been duped find themselves “this side of art” as much as deartification
finds itself “this side of art’s own dialectic.” There is no other side in sight.
Rather, deartification is an assault by art in general, as part of social reality,
on artworks, seen as an individuated protest against this social reality.
The institutionalized autonomy of art in the nineteenth century that Adorno is
addressing falls apart in the twentieth century, when the artistic meaning of
this autonomy gets detached from its economic meaning.
And precariously, autonomy lost the material clout of its artistic meaning,
precisely where Adorno and others had been defending the modern against its
decline by instituting it as modernism since the 1950s, demonizing its economic

1  Theodor W. Adorno, Aesthetic Theory, trans. by Robert Hullot-Kentner, Minneapolis, 1998,


p. 182.
2 Adorno’s Aesthetic Theory, published in 1970, is a posthumous collection of systematic
fragments on a critical theory of aesthetics. Adorno himself had planned for the book to be
completed in the same year.
3  Ibid., p. 16.
4  Ibid., p. 79.

119
DEAESTHETIZATION THIS SIDE OF ART

meaning. Whereas autonomy characterizes the modern status of art as a markers is motivated by historical forces that sprang into life inside the existing
socially separate field of unproductive labor and aesthetic individuation, boundaries and then ended up overwhelming them.” 10 Deartification takes
deartification, with Adorno, characterizes the mass-cultural identification of its art outside the work, and it is, I believe, through these heterogeneities that the
individuations, and counter to him, the becoming-productive of artistic labor contemporary art that emerged from this can be positioned on a par with
in contemporary art. In the present text, deartification is therefore to be seen its time.
as a transitional figure that not only makes it possible to see the disintegration
of modernity visible as the losing deal that Adorno saw it as, but also as the For this contemporary art, Herbert Marcuse’s dictum from 1973, based on
mechanism that opens up concrete social perspectives within art, its production Adorno, that “art, as ‘ideology,’ overrides the reigning ideology,” 11 is no longer
and circulation, in which art achieves a kind of presentness that was still sustainable. The fact that “each artwork could be charged with false
inconceivable in the modernist understanding. consciousness and chalked up to ideology” does not apply, for Adorno, from
But for Adorno, the separation of art and life is the necessary basis for artistic the artwork, but from its special economic status as art. For “in formal terms,
autonomy, and its deartification is a two-sided perforation. independent of what they [the works, KS] say, they are ideology in that a priori
On the one hand is the decline of the historical “self-understanding […] [of art, they posit something spiritual as being independent from the conditions of its
KS] in relation to the living contexts in which it previously had been embedded” 5— material production and therefore as being intrinsically superior and beyond
the loss of its institutionalized autonomy, obtained in modernity as a special the primordial guilt of the separation of spiritual and physical labor.” 12 In
social status, and thus also of art itself as an independent, ideological figure.6 modernism as Adorno describes it, the relationship between art and labor is a
Deartification brings these two aspects together; ideology and reality, in Adorno’s categorical one. Art’s assets cannot be distinguished by it; on the contrary,
words, are moving towards one another.7 What remains is a modernist autonomy only the rejection of general social labor as culpable makes it possible for an
of “pure” art as ideology, in the middle of society, with the simultaneous loss of individual artwork to have the “power of its internal unity.” 13 Breaking through
the special status that socially belonged to it. Deartification designates the this separation from out of art, for Adorno, is a defect of the deartification of
embedding of autonomous art as an integrated social reality. In deartification, modern art, and, at the same time, it became an individualizing starting point
the autonomy in art is not ruled out, but it has ceased to be modern. It is, as of contemporary art in this separation. In Adorno’s understanding, the end of
I will demonstrate, no longer the autonomy of art, but autonomy in art. the categorical divorce of art from quantifiable, productive physical work does
On the other hand, deartification in Adorno is aimed at the self-understanding indeed mean a deartification of modernity and thus a loss of its autonomy, but
“of alterity. Art needs something heterogeneous in order to become art.” 8 The in the same stroke it produced a new social type of art, contemporary art,
alterity, that is to say the material level of the special social status of art within which could no longer be sufficiently explained through an art historical
the work, increasingly develops a life of its own as the world surrounding the understanding of epochs. If at the end of the 1960s Adorno was still claiming
artwork gets reorganized according to the capitalist principle of exchange.9 that “the most recent deartification of art covertly exploits the element of play
The heterogeneous can no longer be integrated without a trace, rather, an at the cost of all others,” 14 his reference point for this, at it was for Marcuse
order is situated in the work that lies more and more outside its late feudal during the same period, is Friedrich Schiller’s letters On the Aesthetic
means of production. Ultimately, the form of the work becomes heterogenous Education of Man (1801), a perspective that cannot recognize any form of
in itself due to these changed elements. For “whatever tears down the boundary activity within art as labor because its rejection is precisely what constitutes
this historical moment. Schiller, however, was describing late feudal relations
of dependence; Adorno, as he himself writes, was describing “high
5  Theodor W. Adorno, “Theorie der Halbbildung,” in: ibid., Gesammelte Schriften, Vol. 8:
Soziologische Schriften I, ed. by Rolf Tiedemann, Frankfurt a. M., 1997, p. 97. Adorno writes
capitalism.” What he attacks as the play of deartification is an updating of the
about education here, but in a structure that can be extended to art and philosophy, as Adorno historically changing working forms in art. “A contradiction of all autonomous
himself argues on pp. 112f.
6  Theodor W. Adorno, “Contribution to the Theory of Ideology,” in: Aspects of Sociology,
ed. by Frankfurt Institute for Social Research, London, 1973, p. 189. 10  Ibid., p. 370.
7  Ibid., p. 193. 11  Herbert Marcuse, Counterrevolution and Revolt, Boston, 1972; cf. Theodor W. Adorno,
8  Theodor W. Adorno, “Art and the Arts,” in: Can One Live after Auschwitz? A Philosophical see note 1, pp. 232ff.
Reader, Stanford, 2003, p. 375. 12  Ibid., p. 227.
9  Adorno’s critique of capitalism as a social form of reproduction is essentially based on a 13  Ibid., p. 77.
critique of exchange made absolute. A problem that I will return to in the next part of this text. 14  Ibid., p. 317.

120 121
DEAESTHETIZATION THIS SIDE OF ART

art is the concealment of the labor that went into it, but in high capitalism, with sector, 17 which caused a shift in how work was understood both inside and
the complete hegemony of exchange-value and with the contradictions arising outside art. With the professionalization of previously unpaid, private, or
out of that hegemony, autonomous art becomes both problematic and individually remunerated activities, especially in the areas of health, education,
programmatic at the same time […]. The work of art,” as Adorno writes in his and production services, the post-war years saw a great change in the
In Search of Wagner (1952), which deals with the banishment of labor [Arbeit] education of artists, the structures of supply, and the means of production,
from the work [Werk], “endorses the sentiment normally denied by ideology: while simultaneously artists became part of the social changes outside their
work is degrading.” 15 And the fact that it does this seems incontrovertible to genre; in healthcare, finance, and real estate.
Adorno. Autonomy can only be formed beyond work; both are socially negative. In particular, this concerned changes in the forms of practice in the North
And this is why Adorno cannot recognize work in art despite practical ideology American art scene, for here the economic upheavals had clearly accelerated,
critique, and why he classifies the appearance of any activity as an element even in the 1950s, coinciding with a further aspect, which David Harvey has
of play in which the separation of spiritual and physical work is cemented emphasized in his analysis of the introduction of “flexible accumulation”: of,
once again. in Adorno’s words, “atomization,” 18 that is, a short-lived pattern of consumer
But what disturbs Adorno as the play of deartification and contradicts his behavior in relation to new products. Harvey, on the basis of the increasing
tactical projection of autonomy as a presence of labor in the work [Arbeit im proportion of the service sector in all areas of production, describes a shift
Werk] develops at the same time into scenarios of artistic disruption outside from the production of goods to that of events.19 Even if, in my opinion, the
the constriction of the space of the work. Artistic forms of labor start up opposition is difficult to maintain at such a level, the transition from goods to
outside modernist compositional work and are oriented to the international events documented in it, indeed precisely with regard, for instance, to Allan
forms of industrial mass culture. In 1952 the Independent Group (IG) was Kaprow’s assemblages, environments, and happenings, 20 is extremely
established in London. Richard Hamilton, Eduardo Paolozzi, Reyner Banham, significant. Also because the comparison between the commodity character
Alison and Peter Smithson, Nigel Henderson, Toni del Renzio, and others of the works in the sphere of distribution and their seemingly pre-capitalist
started examining the primacy of everyday culture, which had become obvious existence outside exchange, which would enjoy great popularity a decade
from American magazine culture and the design advertised in them, and in the later in conceptual art,21 is herein criticized in terms of practice. The becoming-
priority of everyday culture over aesthetic construction, which was hardly event of art is demonstrated by Kaprow, Oldenburg, and others as a step into
deniable anymore in the ruins of Europe. They suspended the work, or rather public (production) practice. Even Adorno, as mentioned, reduced the
they inserted it into exhibitions, lectures, and series in which their artistic and reorganization of the world in advanced capitalism to the identification of its
scholarly work extended over photography, architecture, painting, collage, and parts within exchange. He therefore underscored in part the Fordist separation
art history, as much as they incorporated the repetitions and expansions of art of physical and mental labor. From its hierarchization, it gained an area of mental
from mass culture.16 labor seemingly previous to the sphere of distribution, a potentially autonomous
The developments by Jim Dine, Allan Kaprow, Claes Oldenburg, or Robert area of activity. But with the social expansion and professionalization of the
Rauschenberg from painting to a practice of happenings and performance in service industries, which characterized the end of the Fordist order of production,
the second half of the 1950s in New York, like many other artistic expansions this strict separation could no longer be maintained.
of the working field at this time, could be discussed from a similar perspective. In turn, the London IG therefore turned out to be such a timely artistic response
They act out ordinary events, whether these are banal, like in Kaprow’s 18 to the upheavals of its time above all because their common interest arose
Happenings in 6 Parts (1958), or traumatic, like in Claes Oldenburg’s Snapshots from the opposition between the American mass culture that they examined,
from the City (1960). They act out ordinary events with artistic means, thereby
making their production public, codifying it rather than segregating it. This can 17  David Harvey, The Condition of Postmodernity. An Enquiry into the Origins of Cultural Change,
be seen precisely in the relationship to the expansive changes in Fordist work Cambridge/MA/Oxford, 1990, pp. 152f and 156f.
18  Cf. Theodor W. Adorno, “Schöne Stellen,” in: ibid., Gesammelte Schriften, Vol. 18: Musikalische
rules going on at the same time due to the increasing proportion of the service Schriften IV, ed. by Rolf Tiedemann, Frankfurt a. M., 1997, p. 695.
19  David Harvey, see note 17, p. 157.
20  Cf. Allan Kaprow, Assemblage, Environments & Happenings, New York, 1966.
15  Theodor W. Adorno, In Search of Wagner, London, 2005, p. 72. 21  Cf. Lucy R. Lippard, Six Years: the Dematerialization of the Art Object from 1966 to 1972;
16  Cf. Anne Massey, The Independent Group: Modernism and Mass Culture in Britain, A Cross-Reference Book of Information on Some Esthetic Boundaries, New York, 1973, Escape
1945–1959, Manchester, 1995. Attempts, pp. viiff, and postface, pp. 263ff.

122 123
DEAESTHETIZATION THIS SIDE OF ART

the explosion of ordinary design, and the post-war situation in Great Britain, own within the upper segments of the gallery market, where artists create lamps,
and because their practice grew out if their structure. They did not stop being architectures, chairs, tables, and rugs in the luxury segment as a sideline to
artists—all of them continued to produce outside IG—but they abstained from their art production, which are then distributed in series by galleries—but
producing artworks in their shared collective formats. In their exhibition projects, because their ways and types of production, their forms of distribution and
they re-arranged the aesthetic gaze above all outside the modern hierarchy of margins of productivity become increasingly tightly interwoven with the adjacent
art and mass culture.22 Here the shift of artistic activities takes on another supply industry. An industry developed.
aspect, which David Harvey, considering the same period, traces as an This also concerns the status of art as an ideological figure, for “one can
updated capitalist form of labor. Fordist mass production becomes specialized speak of ideology,” as Adorno writes in 1954, “in a meaningful way only to the
in drastically expanded, but essentially smaller numbers of segments of goods extent that something spiritual emerges from the social process as something
produced. In art, even with IG, and subsequently in the product palette of pop independent, substantial, and with its own proper claims.” 26 In a devastated
art, one can observe a drastic expansion of commodity segments. But here, modernity, permeabilities appear, which Louis Althusser summarized eleven
this means an absolute increase in the quantity of production, precisely because years later in the productive supposition “that men live their actions, usually
the artistic had previously been diametrically opposed to Fordist production referred to freedom of ‘consciousness’ by the classical tradition, in ideology,
norms (as individuated single pieces as opposed to standardized mass by and through ideology; in short, that the ‘lived’ relation between men and
commodities). Artistic and other forms of labor converged appreciably after the world, including History […] is ideology itself.” 27 The rear projection to art
the Second World War, just as artistic and other forms of commodities had. as counter-ideological ideology, which Adorno strategically confronted with its
From Adorno’s perspective, as already mentioned, their irreconcilable present, is in part itself a past ideological phenomenon of a no longer current
opposition characterized the centrality of the ideological position of modern division of the various social areas of production from one another. Only in the
art itself, its autonomy as a socially given exclusion from a process in which, modernist vision of things does a post-modernity take the place of modernity,
as Hans-Georg Bensch has summarized, the “goal of production is not to whereas, from structuralist perspectives such as Althusser’s, for instance, new
sustain people. But the goal of production is to sustain capital, which […] can autonomies and antagonisms can be recognized from the increased mediation
only be sustained through accretion.” 23 The position of modern art as a of an ideological social life, which are built up on a present and constantly
sphere of production is systematically irrelevant to capital, for “luxury goods,” changing ideological practice, momentarily coming detached from them instead
as Frank Kuhne adds, “are meant for individual consumption, without, as is the of being built up on historical independencies of social functions in relation to
case for food, being necessary to reproduce the use value of the commodity the concrete circumstances of living. For Adorno, what happens to autonomous
of labor. The production of luxury is thus opposed to the understanding of modern art in deartification (its ideological role as the ideal of mental work),
capital as an end in itself.” 24 The autonomy of art, viewed socially, is, quite in became an inherent artistic process with the capitalist realization of art after
keeping with Adorno, a continuing negative process of unproductive work, the Second World War through the interconnection of society by expanding
which is, however, dissolved from its boundaries by the changes outlined here, the service industry (as autonomization of the ideology of a solely mental work).
which involve the disintegration of Fordism up to the point of flexible accumulation. This alteration in the meaning of modernity on the one hand and the emergence
Through the sustained intensification of the division of labor and the progressive of the contemporary (art) on the other can be cursorily positioned, with the full
integration of service work in the luxury segment as well as in the mass manifestation of these tendencies in the late 1960s and 1970s, in the
segment, art production can also no longer strictly be distinguished from the connection of two fundamental economic and social changes in perspective,
general goal of capital. Art begins “to produce for production’s sake,” 25 two political battles over autonomy, which I will outline here in conclusion:
becoming a productive part of capitalist post-war society. Not because it now 1. The transition from Fordism to so-called post-Fordism, or to use Harvey’s
produced consumer goods—although this also developed into an area of its words, “flexible accumulation,” as he sketched out for the United States in the

22  Cf. Thomas Schregenberger, Claude Lichtenstein (Eds.), As Found, The Discovery of The
Ordinary, Zurich, 2001.
23  Hans-Georg Bensch, “Zum ‘Automatischen Subjekt,’” see 25  Karl Marx, Capital, Vol. 1: A Critique of Political Economy, trans. by Ben Fawkes, New York,
http://www.trend.infopartisan.net/trd0705/t180705.html. 1967, p. 592.
24  Frank Kuhne, “Marx’ Ideologiebegriff im Kapital,” in: idem, Hans-Georg Bensch (Eds.), Das 26  Theodor W. Adorno, see note 6, p. 199.
Automatische Subjekt bei Marx, Lüneberg, 1998, p. 85. 27  Louis Althusser, For Marx, London, 2005, p. 233.

124 125
DEAESTHETIZATION THIS SIDE OF ART

late 1980s for the period starting around 1950, was described for Italy by In “workerism,” Tronti introduced a realization of social meaning of autonomy
theorists of “workerism” [operaismo] such as Raniero Panzieri or Mario Tronti in which the modernist belief in an autonomy from economic production came
in the 1960s and early 1970s from a concrete political practice. The altered to be seen as a mere projection that was immanent in capital. What distinguishes
significance of service work in capitalist production also plays a central role in both Althusser’s structuralist theories and Tronti’s workerist theories of the
workerist theory, which first appeared publicly in Antonio Negri’s “Proletarians 1960s and 1970s, in comparison to many of the ideas that follow them and take
and the State” (1976) 28 in the figure of the “socialized worker” and its organizing up the same object, is their insistence on the materiality of modern categories
outside the factory.29 In contrast to Harvey, the emphasis here is not so much even in the present, their effectiveness far beyond their own timeliness. In
on the changed constitution of capital, but rather on the changed role of labor many respects, the public life of art remains modernist to this day, but the
and laborers. At the end of the 1960s, Tronti argued that the working class possible strategies for undermining modernist hierarchies and ideological figures
needed to liberate itself from its status as wage laborers in order to become dramatically changed with the paradigm of the fundamental dehierarchization
politically autonomous, and thus to be more than a mere economic category. of “distribution, exchange, consumption.” Speaking with Tronti, one could say
“He emphasizes their ‘autonomy’ and ‘subjectivity’ to the point of defining them that artists have to be liberated from their merely economic role (that of
as the propulsive element in capitalist development, and capital as a function unproductive and immeasurable work) in order to be able to become politically
of the working class.” 30 In Tronti’s words: “Distribution, exchange, consumption autonomous (from a self-conception as service providers).
must be seen from the standpoint of production.” 31 The starting point of 2. Feminist efforts in the same period, as advocated, among others, by participants
subjectification thus continues to be the factory, but now as the image of total in the Wages for Housework campaign, founded in 1972 by Selma James with
capitalist organization, not merely as a geographical site. Autonomy in the Mariarosa Dalla Costa, Silvia Federici, and others, was aimed at exactly this
workers’ struggle is socially repositioned, within and outside the walls of the point. These theorists, with Marxist, and, in the case of Dalla Costa or Federici,
factory, “the working class must see itself materially as part of capital.” 32 workerist backgrounds, emphasize the role of reproductive labor, already
Tronti’s discussion of political autonomy within the framework of a disintegrating undermined in the context of Fordism, in the constitution of capital, demanding
modernist concept of capitalist antagonism is interesting here primarily because that it be incorporated into the analysis and political confrontation of the
autonomy is not defined as a development beyond the mere economic function capitalist present. What is deemed “unproductive” labor should be made
of its own social role, but as a development from this.33 This concept of visible as in fact productive, and an end should be put to its privatization. If it
autonomy materializes the fulfillment of a Fordist role against the goal immanent was not entirely unjustifiable that art production fell out of the Marxist analysis
in its system, for instance in the claims and battles about a feminist art (history) of capital in modern times since its order of production does not stand in any
in the 1970s, in which there was a struggle for the autonomy of a “feminine systematic connection to that of the value it generates, this was not so easy to
aesthetic” (Silvia Bovenschen), precisely because such an aesthetic could not claim for reproductive labor. As Dalla Costa argued in 1971, the contrary is so,
be aligned with the modernist understanding of autonomy in art and thus set that the unpaid labor of reproduction, mostly performed by women, produces
up an explosion within the modernist view of autonomy. The ideological concept exactly that commodity on which the production of all other commodities is
of modern autonomy in art functions here as an authoritarian citation, the authority dependent: that of the laborforce.34 But the labor of women, seen as unpaid
of which is updated through an artistic practice that is turned against it. and therefore socially as unproductive, “appears to be a personal service outside
of capital.” 35 Also the “Politicization of Private Life,” 36 which Helke Sander

28  English translation appeared in: Antonio Negri, Books for Burning: Between Civil War and
Democracy in 1970s Italy, London, 2005. 32 Ibid.
29  Cf. Dario Gentili, “The Autonomy of the Political in the Italian Tradition (Tronti, Negri, 33  Post-workerist theories have seen the changes in concrete working conditions since the
Cacciari),” in: Nathaniel Boyd, Michele Filippini, Luisa Lorenza Corna (Eds.), The Autonomy of the 1970s in an essentially more contemporary way, even if their optimistic outlooks on new classes,
Political: Concept, Theory, Form, Jan van Eyck Academie, Maastricht, 2012, p. 12. new movements, and new forms of work are faced with economic, social, and cultural hegemonies
30  Gisela Bock, “Zur deutschen Ausgabe,” in: Mario Tronti, Extremismus und Reformismus, that effectively reinitiate social structures that continue to be built up on the basis of modernist
Berlin, 1971, p. 10. models of society. Cf. Toni Negri, Maurizio Lazzarato, Paolo Virno, Umherschweifende Produzenten,
31  Mario Tronti, “La fabbrica e la società,” in: Quaderni Rossi, No. 2, 1962. No English trans- ed. by Thomas Atzert, Berlin, 1998.
lation has yet been published. German translation in: Mario Tronti, Arbeiter und Kapital, Frankfurt 34 http://www.libcom.org/library/power-women-subversion-community-della-costa-selma-james.
a. M., 1974, pp. 17– 40, here: http://www.wildcatwww.de/dossiers/operaismus/qr2_tron.htm. 35 Ibid.
A French translation also exists: http://www.multitudes.samizdat.net/L-usine-et-la-societe. 36 http://www.1000dokumente.de/pdf/dok_0022_san_de.pdf.

126 127
DEAESTHETIZATION THIS SIDE OF ART

called for in 1968 at the Socialist German Student Union, marks exactly this concerned with a continued self-reflection of artistic orders of production,
point as the starting point of a newly modified definition of autonomy against distribution, and consumption than about their homologies with other social
capital, at which its innermost law of motions, “to produce for production’s sites, phenomena, and narratives, in relation to which it would be necessary to
sake,” its advanced, expanded reproduction, finally materializes. Making register one’s own ideological role as much as its oppositional autonomization.
unproductive labor public as services to capital encounters the residues of
modern societies that still exist in the present, here those of women’s
housework, by becoming automatized, in Tronti’s sense, against the system of
capitalist reproduction from being identified as part of the business of the
capitalist present.
What artistic production shares with reproductive labor, aside from the fact
that both are stigmatized as unproductive in the modern image of society, is,
on the one hand, the myth of their immeasurability in the Fordist schema,
and on the other, their capitalization as a service arm over the course of the
flexibilization of accumulation after the Second World War. Both areas of
production were characterized in the Fordist schema of capital by their exclusion
from direct industrialization; by the advanced archaism of their working
means, and by the limitation of their social existence to such public forms of
representation based on negating the labor carried out in them. But where the
projection onto art was a projection onto a seemingly only intellectual labor,
the epitome of disembodied autonomy, reproductive labor was reduced to the
stereotype of an ostensibly merely physical effort, the essence of physical
heteronomy. The feminist battle that continues to this day over establishing
autonomy from the perspective of reproduction within capital is therefore, in
my opinion, seminal for an artistic redefinition of what could be designated as
autonomies in art today. This is not only reflected in those artistic works of
the 1960s and 1970s that explicitly used these relations as the starting point
of their productions, such as works by Margaret Harrison, Mary Kelly, Helke
Sander, or Mierle Laderman Ukeles. There has also been a return to making
the private “public” and visible in current artistic efforts, which represent
a breaking of the boundaries of one’s own existence within globalized capital in
aesthetic reconstructions, and which do not allow for any strict separation of
labor (artistically individualized production) and life (capitalistically individualized
reproduction).
The question of how much an artistic practice, which in a certain sense
autonomizes phenomena that are otherwise socialized, can be made more
timely can be discussed, for instance, in relation to works and working
methods by artists such as Discoteca Flaming Star, Emma Hedditch, Karolin
Meunier, Ulrike Müller, Anja Kirschner and David Panos, Johannes Paul Raether,
or Ian White, to name a few. A more thorough answer to this question,
however, remains open. For against the backdrop of a generative understanding
of ideology critique, autonomy, and reproduction, this effort would be less

128 129
IDEOLOGIE UND FEMINISMUS (REPRODUKTION)


Einer der entscheidenden Beiträge zu einer neuen Sicht auf die marxis-
tische Theorie im 20. Jahrhundert war die Neudefinition von „gesellschaft-
licher Reproduktion“, wie sie von Aktivistinnen des Internationalen
Feministischen Kollektivs (International Feminist Collective) wie Mariarosa
Dalla Costa, Selma James 1 und anderen entwickelt wurde. Diese Feminis-
tinnen kritisierten die zentrale Rolle, die Marx und die marxistische Tradition
der Lohnarbeit und dem Lohnarbeiter/der Lohnarbeiterin für den Prozess
der Kapitalakkumulation zugewiesen hatten, und legten dar, dass die
wichtigste Arbeit in einer kapitalistischen Gesellschaft in der täglichen
und generationsstiftenden Produktion von Arbeitskraft liegt. Denn diese
Tätigkeit, in überwältigendem Maß von Frauen unentlohnt zu Hause ver­­­­­
richtet, wird gemeinhin als „Hausarbeit“ bezeichnet und von Marxisten
als ein Erbe aus vorkapitalistischen Verhältnissen betrachtet. Sie ist jedoch
die Vorbedingung für alle anderen Formen von Arbeit, da erst sie das
wichtigste Produktionsmittel des Kapitalismus hervorbringt: den Arbeiter/
die Arbeiterin selbst. Mit anderen Worten ist „Hausarbeit“, reproduktive
Arbeit, nicht nur „echte Arbeit“, sondern stellt darüber hinaus eine wert-
schöpfende Tätigkeit dar. Sie ist jenes Segment des gesellschaftlichen
Montagebands, auf dem unsere Energie, unsere Arbeitskapazität täglich
erneuert wird. Geschlechtliche und häusliche (sexuelle, familiäre) Verhält-
nisse sind demnach Produktionsverhältnisse. Die Unterscheidung von
privater und öffentlicher Sphäre erweist sich als Illusion. Auch existiert keine
Dichotomie von biologischem/sozialem Geschlecht und sozialer Klasse,
da im Kapitalismus das Geschlecht zu einer Beschreibung der Klassen-
verhältnisse geworden ist. Wie Dalla Costa und James deutlich machen,
wird dies nicht allgemein anerkannt, weil Arbeit nach wie vor mit Lohn-
arbeit gleichgesetzt wird, was dazu dient, die Hausarbeit abzuwerten, ihre
Ausbeutung zu verschleiern, den Kampf der Frauen gegen diese Aus-
beutung gesellschaftlich unsichtbar werden zu lassen, vor allem aber die
Kosten für diese Arbeit in ungeheuerlicher Weise zu reduzieren.
Dieser Paradigmenwechsel hat das Feld für eine kritische Untersuchung
der marxistischen Grundbegriffe geöffnet, die unsere Auffassung des
Marxismus, des Kapitalismus und des Klassenkampfs tiefgreifend ver-
ändert hat. Wir haben erkannt, dass der Kapitalismus in die Lage versetzt
wurde, sich weniger aufgrund seines Beitrags zur Entwicklung der
Technologie weltweit auszubreiten als vielmehr auf der Grundlage seiner
Fähigkeit, Löhne bzw. ihre Verknappung einzusetzen, um Macht an einige
Segmente der arbeitenden Klasse zulasten der anderen zu delegieren

131
IDEOLOGIE UND FEMINISMUS (REPRODUKTION)

   
und so ein System differenzierter Arbeitsregime einzurichten, die faktisch
die Arbeiterklasse teilen und so den Klassenkampf unterlaufen. Diese
Hierarchien sind derart strukturell im Gewebe der kapitalistischen Gesell-
schaft verankert ebenso wie die rassistischen, sexistischen und alten-
feindlichen Ideologien, die auf ihnen gründen, dass sie unausgesetzt
rekonstituiert worden sind, wann immer ihre Grundlagen erschüttert
wurden, wie dies im antikolonialen Kampf und der feministischen Be-
wegung der 1970er und 1980er Jahre der Fall war. Sogar die Umstruktu-
rierung der reproduktiven Arbeit, die aus der Globalisierung der Weltwirt-
schaft hervorgegangen ist, und zwar als Reaktion auf ebendiese Kämpfe,
hat sie lediglich in einer neuen Form reproduziert. Zwar haben in einigen
Teilen der Welt Frauen mit ihrem massenhaften Eintritt in die Lohnarbeit
Männern Autonomie abgerungen, in der Folge ist die reproduktive Arbeit
in einem gewissen Maß aus dem Haushalt verlagert oder auf bezahlte
Hausangestellte umgeschichtet worden. Dennoch konnte dadurch die
hierarchische Struktur der sexuellen Arbeitsteilung nicht erschüttert werden.
Nach wie vor verrichten Frauen in dieser Welt ebenso den weitaus größten 1 Mariarosa Dalla Costa und Selma James, Die Macht der Frauen und
Teil dieser Arbeit, wie sie die Mehrheit der unbezahlten Arbeitskräfte der Umsturz der Gesellschaft, Berlin 1973.
2 Siehe auch Silvia Federici, Caliban und die Hexe. Frauen, der Körper
stellen. Das ist nicht allein der Materialität derjenigen Ideologien zuzu-
und die ursprüngliche Akkumulation, Wien 2012; dies., Aufstand
schreiben, die konstituierende Bestandteile kapitalistischer Planung sind, aus der Küche. Reproduktionsarbeit im globalen Kapitalismus und
sondern vor allem der fortgesetzten Entwertung reproduktiver Arbeit als die unvollendete feministische Revolution, Münster 2012.
Bedingung für die Entwertung der Arbeitskraft, und folglich eine struktu-
relle Notwendigkeit der Kapitalakkumulation. Während jedoch die repro-
duktive Arbeit noch immer von einem Netz aus hierarchischen Verhält-
nissen impliziert wird und unter die Logik der Kapitalakkumulation fällt,
durchlaufen die disziplinarischen Systeme, die ihren Vollzug untermauern,
eine größere Krise. Der neoliberale Angriff auf unsere Produktionsmittel
(Löhne, Häuser, Land, Wasser, Bildungs- und Gesundheitssysteme) er-
zeugt weltweit Kämpfe auf breiter Basis um die Wiederaneignung von
natürlichen Ressourcen, urbanen Räumen und die Schaffung von kollek-
tiven, „kommunizierenden“ Formen der Reproduktion, der erste Schritt
hin zum Aufbau einer Alternative zur kapitalistischen Organisation unserer
Lebensverhältnisse.2

Silvia Federici

132 133
IDEOLOGY AND FEMINISM (REPRODUCTION)

   
One of the main contributions to a rethinking of Marxist theory in the has only reproduced them in a new form. While in some parts of the world
twentiethth century was the redefinition of “social reproduction” developed women have gained more autonomy from men through their massive
by feminist promoters of the International Feminist Collective, such as entrance into the waged work-place, and while reproductive work has, to
Mariarosa Dalla Costa and Selma James, ¹ among others. Critical of the some extent, been taken out of the home and been redistributed among
central role that Marx and the Marxist tradition have assigned to waged paid domestic workers, the hierarchical structure of the sexual division of
labor and the waged worker in the process of capitalist accumulation, labor has not been destabilized. Women still perform most of this work
these feminists argued that the most important work in capitalist society and remain the majority of the world’s unpaid work force. This is to be
has been the daily and generational production of labor-power; for this attributed not only to the materiality of ideologies as constituent elements
activity, mostly performed by women in the home for no pay, commonly of capitalist planning, in time capable of becoming an autonomous force,
referred to as “domestic work” and viewed by Marxists as a legacy of but also the continuing devaluation of reproductive work as the condition
pre-capitalist relations, has been the precondition for every other form of for the devaluation of labor power, and therefore a structural necessity of
work, as it has produced the most important means of capitalist production: capital accumulation. But while reproductive work is still implicated in a
the worker itself. In other words, “housework,” reproductive labor, is not network of hierarchical relations and subsumed under the logic of capital
only “real work,” but is value creating activity; it is that crucial segment of accumulation, the disciplinary regimes underpinning its performance are
the social assembly line in which our energy, our capacity for work is undergoing a major crisis. For the neo-liberal assault on our means of
regenerated daily. Gender and domestic relations (sexual, familial) are reproduction (wages, houses, lands, waters, education and healthcare
therefore relations of production, the private/public split is an illusion, and systems) is generating worldwide, broad based struggles for the
no dichotomy exists between sex/gender and class, for in capitalism reappropriation of natural resources and urban spaces while stimulating the
gender has become a specification of class relations. As Dalla Costa and creation of collective, “communing” forms of reproduction, the first steps
James have pointed out, this is not commonly recognized because of the towards the construction of an alternative to the capitalist organization of
mistaken identification of work and wages, which has served to devalue our lives.2
domestic labor, hide its exploitation, make women’s struggle against it socially
invisible, and, first and foremost, immensely reduce the cost of labor. Silvia Federici
This paradigm shift has opened the ground to a critical investigation of
Marxist categories that has profoundly changed our conceptions of Marxism,
capitalism, and class struggle. We have learned that what has enabled
capitalism to reproduce itself on a global scale, more than its contribution
to technological development, has been its capacity to use the wage and
lack of it to delegate power to some sectors of the working class over 1 See Mariarosa Dalla Costa and Selma James, The Power of Women
and the Subversion of the Community, Bristol, 1975.
others and thus institute a system of differential labor regimes and labor
2 See Silvia Federici: Caliban and the Witch. Women, the Body and
hierarchies that have effectively divided the working class and undermined Primitive Accumulation, New York, 2004; and Silvia Federici,
class struggle. These hierarchies in the fabric of capitalist society are so Revolution at Point Zero. Housework, Reproduction, and Feminist
structurally grounded and the racist, sexist, ageist ideologies constructed Struggle, Oakland, 2012.
on their basis are so consolidated that they have been constantly
reconstituted whenever their foundations have been shaken, as they were
by the anti-colonial struggle and the feminist movements of the 1970s
and 1980s. Even the restructuring of reproductive work that has issued
from the globalization of the world economy in response to these struggles

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ALTHUSSER ANDERNORTS.
ANMERKUNGEN ZUR
ANEIGNUNG DER
IDEOLOGIETHEORIE IM
LATEINAMERIKANISCHEN
KONTEXT
Jens Kastner und David Mayer

Ideologie sei, so Louis Althusser in einer seiner umstrittenen Thesen, über-


zeitlich: Trotz aller konkreter Manifestationen handle es sich bei Ideologie um
eine untergründige, ja unbewusste Konstellation von Herrschaft, die gerade
aufgrund ihrer unveränderlichen Stabilität so mächtig sei. Dieser anti-historis-
tische Grundton ¹ erscheint als eine der wenigen Konstanten in einem Werk,
das ansonsten durch seine enigmatische Wandelbarkeit und Elastizität
gekennzeichnet ist.² Spricht man über die Genealogie der Althusser’schen
Ideologiekritik, mag es angebracht scheinen, diesen Bann Althussers wider
das Spezifische, Einzelne und Kontextuelle an ihm selbst zu brechen. Zwar
sind gerade bei Althusser Ideologie und das, was man landläufig als „Ideen“
bezeichnet, keinesfalls in eins zu setzen (weil Ideologien weit mehr umfassen,
sich auf körperliche Praxen erstrecken und dennoch über einzelne Subjekte
hinausgehen); dennoch scheint es gewinnbringend, Althusser, seine Wirkungs-
geschichte und die Entwicklung der Ideologietheorie als ideologische Mani-
festationen im erweiterten Sinne zu betrachten und sie dabei an das Geschich-
tliche rückzubinden.
Eine dieser Fragen lautet: Wie lässt sich die Wirkmacht Althussers Ende der
1960er, Anfang der 1970er Jahre erklären? Wie konnte es dazu kommen, dass
ein Denken, über dessen weitläufigen Einfluss heute vielfach Verwunderung
besteht und das von manchen als „die denkbar wunderlichste, abstruseste
und unhistorischste Version der marxistischen Philosophie“ bezeichnet wird,³

1  In den verschiedenen humanwissenschaftlichen Diskussionen sind die Begriffe „historisch“,


„historistisch“, „historizistisch“ oder „genealogisch“ unterschiedlich konnotiert. Hier ist der Begriff
„historistisch“ in einem geschichtswissenschaftlichen Sinne gemeint und bezeichnet eine idio-
grafische Rekonstruktion zeitlich und räumlich spezifischer Situationen, Prozesse und Handlungen.
2  Zur Wandelbarkeit von Althussers Werk siehe z. B.: François Matheron, „Louis Althusser, or
the Impure Purity of the Concept“, in: Jacques Bidet, Stathis Kouvelakis (Hg.), Critical Companion
to Contemporary Marxism, Leiden/Boston 2008, S. 503–527.
3  Tony Judt, „Louis Althusser und sein eigenwilliger ‚Marxismus‘“, in: ders., Das vergessene 20. 
Jahrhundert. Die Rückkehr des politischen Intellektuellen, München 2010, S.113–122, hier S.114.

137
ALTHUSSER ANDERNORTS

während etwa eines Jahrzehnts in verschiedenen Ländern und Weltregionen besucht. 7 Auf das gleiche Jahr ist der Beginn einer starken Rezeption von
rezipiert und vielfach zum zentralen Referenzpunkt wurde? War dieser Althussers Theorie in Lateinamerika anzusetzen, ab 1966 erschienen seine
Althusser extra muros überall derselbe? 4 Werke auf Spanisch, zuerst in Havanna im Umfeld der legendären Theoriezeit-
In der gegenwärtigen dekolonialen Theorie ist der Gedanke zentral, dass das schrift Pensamiento Crítico, 8 relativ kurze Zeit später wurden verschiedene
Denken und seine Subjekte an einen Ort gebunden sind bzw. von einem Ort Texte von ihm auch in Buenos Aires und Mexiko-Stadt verlegt.9 Es entwickelte
ausgehen. Von wo aus man denkt, ist demnach mit entscheidend dafür, wie sich nicht nur eine eigene Althusser-Schule – die immer umstritten blieb und
und was man denkt. Diese Erkenntnis wurde etwa von Walter D. Mignolo in nicht an die weitreichende Bedeutung anderer Marxismen wie jene etwa der
einer Althusser’schen Wendung als „epistemischer Bruch“ 5 bezeichnet, als marxistischen Strömung innerhalb der Dependenztheorien heranreichte –,
Abkehr von der universalistischen (und als eurozentrisch beklagten) Annahme, in vielen linken Diskussionen und Texten von Anfang der 1970er ist auch ganz
das Denken finde unabhängig von Raum, Zeit und letztlich auch von den allgemein ein strukturalistisch-marxistischer Ton vernehmbar. Man kann von
Subjekten statt. Es drängt sich auf, diesen Gedanken exemplarisch auf die einer Althusser’schen Signatur sprechen. Viel zu dieser Präsenz Althussers in
Rezeption von Althusser in einigen lateinamerikanischen Ländern anzuwenden, Lateinamerika trug die Chilenin Martha Harnecker durch ihre Übersetzungen
denn diese verlief dort in den 1960er und 1970er Jahren vollkommen anders und ihre Einführung in den historischen Materialismus bei, die in Paris bei
als in Westeuropa. Darüber hinaus kann eine Anwendung des dekolonialen Althusser studiert hatte.10 Ihre systematisch-didaktische Darstellung, die mit
Gedankens auf Althusser selbst auch grundsätzlich eine Auseinandersetzung einem Vorwort Althussers versehen war, wurde in Lateinamerika millionenfach
mit den Brüchen auslösen – oder in Erinnerung rufen –, die seine theoretischen verkauft (Mitte der 1970er Jahre waren bereits über 75 Auflagen erschienen)
Einsätze in der Epistemologie und schließlich hinsichtlich politischer Praxis und prägte das Verständnis von Marxismus und „historischem Materialismus“
hervorzurufen beabsichtigt hatten. Dabei lassen sich Althusser und sein Werk mehrerer Generationen von Studierenden und AktivistInnen. Der Band stellt
auch „vom Süden her“ lesen: Louis Althusser wurde im kolonialen Algerien ge- so etwas wie die weltweit wichtigste Althusser-inspirierte Vulgata dar. Die Dar-
boren. Ohne diese Erfahrungen von kolonialer Herrschaft und Gewalt, so Robert legungen zu Natur und Funktion von Ideologie nehmen darin einen privilegierten
Young, könne weder die Affinität Althussers zum Maoismus der 1960er Jahre Platz ein: Das Kapitel hierzu findet sich auf Platz 6 gleich nach jenen mit den
noch das Herausschälen des Poststrukturalismus aus dem Umfeld seiner Überschriften „Produktion“, „Produktionsverhältnissen“, „Produktivkräften“,
SchülerInnen (von denen selbst einige aus Algerien stammten) erklärt werden. 6 „Die ökonomische Struktur der Gesellschaft“ sowie „Basis und Überbau“.
Während in vielen Darstellungen zur Marxismus-Entwicklung auf die Bedeutung
der Althusser-Rezeption in Lateinamerika verwiesen wird, 11 finden sich darin
1.  Althusser in Lateinamerika: strukturalistische Gemeinplätze, kaum Überlegungen, warum Althusser so wirkmächtig wurde. Erklärungen
Grundrisse-Rezeption und akademisches Feld hierzu müssen einerseits über genealogische Konstrukte und ideengeschicht-
liche Ableitungen hinausgehen, andererseits detaillierter sein als der obligate
Als in Havanna 1966 die Trikontinentale Konferenz mit Abgesandten aus über Hinweis auf die Kubanische Revolution und die erschütterungsreichen „langen
80 Staaten stattfand, gehörte der französische Philosoph Louis Althusser
ebenfalls zu den Teilnehmenden. Er hatte die Konferenz gemeinsam mit einem 7  Vgl. Ingrid Gilcher-Holtey, Die 68er Bewegung. Deutschland – Westeuropa – USA, 2. Aufl.,
München 2003, S. 42.
seiner Schüler, dem späteren Gefährten Che Guevaras, Regis Débray, 8  Vgl. Néstor Kohan, „Pensamiento Crítico y el debate por las ciencias sociales en el seno de la
Revolución Cubana“, in: Fernanda Beigel u. a., Crítica y teoría en el pensamiento social latino-
americano, Buenos Aires 2006, S. 389–437; Kepa Artaraz, „El Ejercicio de Pensar: The Rise and
4  Dieser Text impliziert nicht, es habe in Lateinamerika flächen- und milieuübergreifend eine Fall of Pensamiento Crítico“, in: Bulletin of Latin American Research, 24/3, 2005, S. 348–366.
Gleichverteilung in der Rezeption Althussers gegeben; umgekehrt behaupten wir auch nicht, in 9  Erste mexikanische Ausgaben von Pour Marx und Lire le Capital, siehe Louis Althusser,
Westeuropa habe es nur eine einzige Interpretation seines Werks gegeben. Die von uns vorge- La revolución teórica de Marx, Mexiko, D.F. 1967; Louis Althusser, Étienne Balibar, Para leer el
schlagene These stellt Tendenzen zur Diskussion. Capital, Mexiko, D.F. 1969. In der mexikanischen Ausgabe von Lire le Capital fehlen jedoch
5  Walter D. Mignolo, Epistemischer Ungehorsam. Rhetorik der Moderne, Logik der Kolonialität einige der Beiträge des französischen Originals.
und Grammatik der Dekolonialität, Wien/Berlin 2012, S. 164. Mignolo bezieht sich zwar auf 10  Martha Harnecker, Los conceptos elementales del materialismo histórico, Mexiko, D.F. 1969.
verschiedene Theorie-Stränge hinsichtlich des „epistemischen Bruchs“, verweist aber auch 11  Siehe z. B. Raúl Fornet-Betancourt, Ein anderer Marxismus? Die philosophische Rezeption
konkret auf den Begriff bei Althusser und in der an ihn anschließenden Debatte, vgl. ebd. S. 171 des Marxismus in Lateinamerika, Mainz 1994, S. 233; Jan Hoff, Marx global. Zur Entwicklung des
(Fußnote). internationalen Marx-Diskurses seit 1965, Berlin 2009, S. 169; Néstor Kohan, De Ingenieros al
6  Vgl. Robert J. C. Young, Postcolonialism. An Historical Introduction, 2. Aufl., Malden 2004, Che. Ensayos sobre el marxismo argentino y latinoamericano (Vorwort von Michael Löwy),
S. 413–414. Buenos Aires 2000.

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ALTHUSSER ANDERNORTS

1960er“ Jahre in Lateinamerika.12 Solch eine Spurensuche müsste bei der in Althussers in Lateinamerika bildete Ende der 1960er Jahre zugleich die kommu-
Lateinamerika (im Gegensatz z. B. zum anglophonen oder deutschsprachigen nistische Matrix: Während sich zu diesem Zeitpunkt nicht mehr viele Links-
Raum) schon bestehenden starken strukturalistischen Präsenz beginnen: in intellektuelle im Umfeld kommunistischer Parteien bewegten, hatten nicht
der Ökonomie war um die UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika (CEPAL) wenige von ihnen in ihrer Biografie dennoch eine kommunistische Erfahrung
bereits in den 1940er Jahren eine „strukturalistische Schule“ entstanden; 13 in gemacht. Diese Mischung aus ehemaliger Nähe und konfliktreicher Distanz
der Anthropologie – in jenen Ländern, deren Staatsideologie sich am präko- gegenüber dem Kommunismus fand in Althusser einen intellektuellen Avatar,
lumbischen Erbe orientierte, eine neuralgische Wissenschaft – war die struktu- der beides, Kritik und Fortschreibung, offerierte. Althusser galt in Lateinamerika
ralistische Ethnologie à la Lévi-Strauss stark rezipiert worden; in der Geschichts- vielfach als Referenz für eine post-stalinistische, humanistische Option, im
wissenschaft war in einigen Ländern schon früh die Annales-Schule um Gegensatz zu seinem Bild in den westeuropäischen Auseinandersetzungen, in
Fernand Braudel herangezogen worden; und schon seit den 1920er Jahren war denen er als Mitglied der Kommunistischen Partei Frankreichs und Gegner
im Kontext anti-imperialistischer Strömungen ein Denken entstanden, das der Studentenproteste von 1968 mit einer stalinistischen Haltung identifiziert
Lateinamerika im Sinne von äußeren und inneren Abhängigkeitsstrukturen wurde. Wie Miguel Valderrama schreibt, „[…] verkörperte der Althusserismus
erklärte (und nicht durch zivilisatorische oder gar rassische „Defizite“). Althusser in den 1960er Jahren die Speerspitze der Kritik an der Etappentheorie des
erlaubte eine Anknüpfung an diese gleichermaßen transnational wirksamen 14 klassischen Marxismus […]. […] Paradoxerweise stärkte […] der Althusserismus
wie lokal geprägten intellektuellen Praktiken (die zugleich immer politische somit die Positionen des revolutionären Humanismus […]“.17 Die Paradoxien
Praktiken waren). Zugleich boten die Schriften Althussers eine interpretierende lassen sich hierbei noch steigern und verweisen so auf das irrlichternd Wider-
Rezeption der wichtigsten Neuerung innerhalb des Marxismus in den frühen sprüchliche, das dem Ideologischen stets anhaftet und das Althusser in seiner
1960er Jahren: die Entdeckung der Grundrisse von Karl Marx.15 Neben Eric J. Ideologietheorie durch seinen Blick auf gleichmäßig arbeitende „Apparate“
Hobsbawm 16 wurde Althusser in Lateinamerika zum wichtigsten Vermittler nicht wahrnehmen konnte: Während es für manche RezipientInnen Althusser
dieser für das sozialtheoretische und historische Denken so wichtigen polit-öko- war, der für „revolutionären Humanismus“ stand, war es in den 1960er Jahren
nomischen Notizen. Eine wichtige Grundlage für den Rezeptionserfolg vor allem die Dependenztheorie, die als sozialtheoretische Fürsprecherin
herzrasender Revolutionsausweitung im Sinne der Kubanischen Revolution
gesehen wurde. Jene, die sich durch ihre gesellschaftsanalytischen und
12  Zu den „langen 1960er“ Jahren in Lateinamerika vgl. David Mayer, „Vor den bleiernen Jahren
der Diktatur – 1968 in und aus Lateinamerika“, in: Jens Kastner, David Mayer (Hg.), Weltwende historischen Aussagen herausgefordert sahen, setzten der Dependenztheorie
1968? Ein Jahr aus globalgeschichtlicher Perspektive, Wien 2008, S. 143–159. Anfang der 1970er Jahre mit dem – auch im Ansatz Althussers bedeutsamen – 
13  Im Zentrum dieser Denkrichtung stand die Frage, wie wirtschaftliche Entwicklung möglich Begriff der „Produktionsweisen“ eine alternative Interpretation entgegen.18 So
ist. Dabei wurde „Entwicklung“, ganz im Gegensatz zur Modernisierungstheorie, auf die histo-
­­­­­­­­­­­­rischen Bedingungen von Kolonialismus und untergeordneter Weltmarktintegration bezogen. ist in der in Lateinamerika einige Jahre lang virulenten Debatte darüber, welche
Zu den bekanntesten Hervorbringungen dieser Schule gehört das von Raúl Prebisch in die Produktionsweisen (modos de producción) bzw. Gesellschaftsformationen in
Diskussion gebrachte Zentrum-Peripherie-Modell und die von Prebisch (und zeitgleich von Hans
der Kolonialgeschichte vorherrschend waren, der Einfluss Althussers unverkennbar.19
Singer) entwickelte These von sich tendenziell verschlechternden Terms of Trade zwischen den
Ländern der Peripherie und des industrialisierten Zentrums. Vgl. Eduardo Devés Valdés,
El pensamiento latinoamericano en el siglo XX – entre la modernización y la identidad. Tomo 1:
Del Ariel de Rodó a la CEPAL. 1900 –1950, Buenos Aires 2000, S. 287–304.
14  Zur verwobenen Geschichte des Strukturalismus allein in Frankreich, in der Althusser nur 17  Miguel Valderrama, „Althusser y el marxismo latinoamericano. Notas para una genealogía
einen, wenn auch bedeutenden Strang darstellt, siehe: François Dosse, Geschichte des del (post)marxismo en América Latina“, in: Mapocho. Revista de humanidades y ciencias
Strukturalismus, Bd. 1: Das Feld des Zeichens, 1945–1966, Hamburg 1996, und François Dosse, sociales 43, 1998, S. 167–182, hier S. 173. (Übersetzung JK/DM)
Geschichte des Strukturalismus, Bd. 2: Die Zeichen der Zeit, 1967–1991, Hamburg 1997. 18  Vgl. Ruy Mauro Marini, „Introducción: la década de 1970 revisitada“, in: ders., Márgara
15 Die Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, ein Manuskript aus den Jahren 1857 Millán Moncayo (Hg.), La teoría social latinoamericana. Tomo 3: La centralidad del marxismo,
bis 1858 mit grundlegenden Vorarbeiten für Das Kapital, wurden als Gesamttext erst ab 1953 Mexiko, D.F. 1995, S. 17–44, hier S. 37.
zugänglich. Nach dem Tod Stalins erlaubten sie neue Interpretationen des zuvor kanonisierten 19  Richard Harris, „The Influence of Marxist Structuralism on the Intellectual Left in Latin
und dogmatisierten Marx’schen Werks, insbesondere auf den Gebieten von politischer Ökonomie, America“, in: Insurgent Sociologist, 9:1, Sommer 1979, S. 62–73, hier S. 63–66. Die Diskussion in
Philosophie und Geschichtstheorie. In Lateinamerika erschien eine erste vollständige Fassung Lateinamerika war dabei nicht nur durch theoretisch-begriffliche Dichte gekennzeichnet, sondern
1970/71 in Havanna. Zur vielpfadigen Editions- und Rezeptionsgeschichte der Grundrisse siehe auch durch einen hohen empirischen Gehalt. Vgl. auch den legendären Sammelband zur Debatte
auch: Marcello Musto (Hg.), Karl Marx’s Grundrisse. Foundations of the critique of political über unterschiedliche Produktionsweisen in der lateinamerikanischen Geschichte: Carlos
economy 150 years later (With a special foreword by Eric J. Hobsbawm), London u. a. 2008. Sempat Assadourian, Ciro Flamarión Santana Cardoso, Horacio Ciafardini, Juan Carlos
16  Vgl. Eric J. Hobsbawm, Karl Marx, Pre-capitalist economic formations, London 1964 (erste Garavaglia, Ernesto Laclau, Modos de Producción en América Latina (= Cuadernos de Presente
lateinamerikanische Ausgabe Buenos Aires 1966). y Pasado Nr. 40) [1973], 11. Aufl., Mexiko, D.F. 1983.

140 141
ALTHUSSER ANDERNORTS

Doch auch auf einer habituellen Ebene fungierte Althusser als Medium eines die Subjekte in Althussers Modell durch die Ideologie erst hergestellt – „Die
wichtigen Wandels: In Lateinamerika waren Linksintellektuelle länger als etwa Ideologie ruft die Individuen als Subjekte an“ 21 – , sie sind ihr im wahrsten
in Europa in hohem Maße bewegungsverbunden und (im Sinne Gramscis) Wortsinne strukturell ausgeliefert. Denn Ideologie manifestiert sich überall, in
„organisch“ geblieben. Ende der 1960er Jahre begann in wichtigen Zentren den alltäglichen und religiösen Gewohnheiten, in den allgemeinen Verhaltens-
der intellektuell-politischen Auseinandersetzung in Argentinien, Chile und weisen und den Gefühlen. Ihrer Anrufung entwischt niemand. Und sie tragen
Mexiko eine Verschiebung weg von Bewegungen hin zum akademischen Feld. auf nicht immer geradlinige Art und Weise dazu bei, dass die ideologischen
Der mit Althusser verbundene intellektuelle Habitus – hohe Kenntnisschwelle, Staatsapparate sich erneuern.
unzugängliche Sprache, methodologische Reflexivität – entsprach dieser So wird schließlich die Ideologiekritik zum einzigen Ausweg, der „epistemolo-
Ausweitung und Autonomisierung des linksintellektuell-akademischen Feldes. gische Bruch“ bzw. „Einschnitt“ zur einzigen Möglichkeit, durch das Gestrüpp
Themen der Herrschaft und ihrer nicht allein auf physischen Zwangsmitteln des Ideologischen zur Wissenschaft zu gelangen. Andererseits bot also dieser
beruhenden ideologischen Absicherung erlangten dabei verstärkt Interesse. Weg der strukturalen Analyse und des epistemologischen Einschnitts vielen
Auch die Krisenmomente sozialemanzipatorischer Bewegungen – Scheitern jungen Intellektuellen die Möglichkeit, gegen die Ideologie vorzugehen und
der Guerilla in ihren Varianten in Stadt und Land, Aufstieg der Militärdiktaturen, damit zugleich wissenschaftlich und politisch tätig zu werden. 22 Anders als
Putsch gegen Salvador Allende in Chile 1973 – ließen in den 1970er Jahren neu etwa das Ideologieverständnis innerhalb der Kritischen Theorie, insbesondere
ausgerichtete Diskussionen über Staat, Herrschaft und Demokratie entstehen. bei Max Horkheimer und Theodor W. Adorno, führte bei Althusser zumindest
Dabei wurde auf die in Argentinien und Brasilien bereits in den 1950er Jahren der Konzeption nach ein Weg über die Praxis zum „Anderen“ der Ideologie
begonnene Übersetzung und Lektüre von Antonio Gramscis Schriften ebenso (oder mindestens zu einer anderen, als positiv gewerteten, nämlich proletari-
zurückgegriffen wie auf ideologietheoretische Anstöße von Althusser. schen Ideologie). Die Auffassung von Ideologie als Verdinglichung und
Althusser zu lesen und ihn, zumindest was die Ideologietheorie betrifft, zu Verblendung hält im Grunde selbst diesen Pfad für ungangbar. 23 Der Marxis-
transzendieren, indem man ihn mit Antonio Gramsci in Bezug setzte, wurde mus Althussers verstand sich zugleich als „theoretische Praxis“ und als
also in Lateinamerika erstmals erprobt und war in den Eigenheiten des intel- Metatheorie aller theoretischen Praxen. Allerdings führte dieses Verständnis
lektuell-politischen Milieus in Lateinamerika angelegt. In der Ferne eines anderen letztlich auch dazu, in der wissenschaftlichen die einzig mögliche politische
Kontexts ergaben sich andere Nachbarschaften. Praxis zu sehen – eine konzeptionelle Idee, die nicht nur, aber auch in Latein-
amerika enormen (theoretischen) Widerstand gegenüber dem Althusserismus
hervorgerufen hat.24
2.  Althussers Ideologiebegriff: ewig, anrufend und ein imaginäres Die Attraktivität von Althussers Ideologiebegriff gründete sich aber noch auf
Verhältnis repräsentierend eine weitere seiner Dimensionen. Gewissermaßen zwischen den ideologischen
Staatsapparaten auf der einen und den angerufenen Subjekten auf der anderen
Neben den genannten Gründen war es auch die Ideologietheorie Althussers Seite gibt es eine Idee von Ideologie, die zwischen diesen beiden Ebenen
selbst, die zu seiner relativ starken Rezeption in Lateinamerika führte. Der vermittelt. Die Ideologie repräsentiere, schreibt Althusser, „das imaginäre
Althusser’sche Ideologiebegriff schien geradezu Paradoxes zu leisten: Einer- Verhältnis der Individuen zu ihren realen Existenzbedingungen.“ 25 Damit vollzog
seits erklärt er die Ideologie zum überzeitlichen, „ewigen“ Phänomen. er eine Abkehr von der allzu simplen Leseweise von Marx’ Satz in der Deutschen
Althusser hatte eine Theorie der Ideologie im Allgemeinen im Sinn und formu-
lierte in Anlehnung an Freuds Psychoanalyse: „Die Ideologie ist ewig, ebenso
23  Insofern sieht Jan Rehmann hier auch zu Recht „Verbindungslinien“, die sich zwischen den
wie das Unbewußte ewig ist.“  20 Die soziale Reproduktion der Produktions- unausweichlichen, vielleicht zirkulären Ideologieverständnissen in Adornos „Wahrheitsmoment
verhältnisse, um die es ihm ging, schien damit in den sich aktualisierenden von Ideologie“ und Althussers „ewiger Ideologie“ im Allgemeinen ergeben, vgl. Jan Rehmann,
ideologischen Staatsapparaten auf unendliche Dauer gestellt. Zugleich werden Einführung in die Ideologietheorie, Hamburg 2008, S. 78.
24  Unter den mexikanischen marxistischen Intellektuellen wandte sich vor allem Adolfo
Sánchez Vázquez gegen das Althusser’sche Verständnis von Praxis als „theoretischer Praxis“,
20  Louis Althusser, „Ideologie und ideologische Staatsapparate. (Überlegungen für eine Adolfo Sánchez Vázquez, „El teoricismo de Althusser (notas críticas sobre una autocrítica)“, in:
Untersuchung)“, in: ders., Ideologie und ideologische Staatsapparate (1970), Hamburg 1977, Cuadernos Políticos, Nr. 3, Mexiko, D.F. 1975, S. 82–99, und Adolfo Sánchez Vázquez, Ciencia
S. 108–153, hier S. 133. y revolución: el marxismo de Althusser, Madrid 1978, zusammenfassend vgl. Stefan Gandler,
21  Ebd., S. 140. Peripherer Marxismus. Kritische Theorie in Mexiko, Hamburg 1999, S. 168ff.
22  Vgl. auch François Dosse, wie Anm. 14 (1996), S. 446. 25  Louis Althusser, wie Anm. 20, S. 133.

142 143
ALTHUSSER ANDERNORTS

Ideologie, dass die herrschenden Ideen immer die Ideen der Herrschenden sich formierenden Bewegung der Künstlerkollektive Los Grupos im Mexiko
seien, ohne auf einen systematischen, strukturellen Herrschaftskontext, in dem der 1970er Jahre 29 wurden Althussers Texte u. a. im von Alberto Híjar Serrano
die Gedanken gedacht werden, zu verzichten. gegründeten Taller de Arte e Ideología (TAI) diskutiert. 30
Das schien gerade für Linke und SozialwissenschaftlerInnen in Lateinamerika
eine überzeugende Konzeption zu sein. Denn erstens, und das wurde insbe-
sondere von SozialanthropologInnen und KulturwissenschaftlerInnen in 3.  Schluss: der historisierende Blick
Lateinamerika immer wieder hervorgehoben, erwies sich die kapitalistisch-
bürgerliche Kultur in vielen Ländern des Subkontinents als keinesfalls so Was lässt sich aus diesen Betrachtungen über „Althusser andernorts“ in
hegemonial wie in Europa und ließ daher bestimmte gesellschaftliche Sekto- Bezug auf Ideologietheorie und -kritik schließen? Zunächst wird deutlich, dass
ren weithin relativ unberührt. Die dort herrschenden Ideen mussten mit denen die Wege von Rezeption und Transfer im Marxismus des 20. Jahrhunderts
der Herrschenden nicht viel gemein haben. Auch diese Menschen gingen ein nicht geradlinig waren und viele Aneignungen kannten, die nicht den Konstel-
imaginäres Verhältnis zu ihren Existenzbedingungen ein und dieses war nicht lationen z. B. in Europa entsprachen. Dies lässt sich jedoch nur dann sichtbar
notwendigerweise in die Reproduktion der Staatsapparate integriert.26 machen, wenn sowohl Ideologietheorien als auch die Entwicklung von Ideologie
Zweitens ließen sich aber auch die Ambivalenzen des Denkens innerhalb der selbst nicht genealogisch betrachtet werden, sondern historisch: Im Gegen-
herrschenden Klasse mit Althussers Modell besser fassen. Anders als die satz zu Genealogien, die gewissen metahistorischen Verlaufsprinzipien ge-
Dependenztheorie(n) widmete sich das marxistisch-strukturalistische Denken horchen müssen, zeigt der historisierende Blick, in welcher spezifischen Vielfalt
prinzipiell weniger den „externen“, den globalen (postkolonialen) Abhängig- im jeweiligen Kontext Debatten und Praktiken aufgenommen werden. Diese
keiten geschuldeten, sondern den „internen“ Widersprüchen und Herrschafts- stehen freilich nie für sich allein, sondern sind über viele Fäden miteinander
mechanismen der jeweiligen Gesellschaften.27 Zentrale Fragen waren hier verbunden. Althusser in Lateinamerika ist ein Teil der grenzüberschreitenden
unter anderem die nach den Bedingungen der Möglichkeit von Allianzen unter- und verflochtenen Wirkungsgeschichte dieses Denkers. Wer hätte gedacht:
schiedlicher Fraktionen sowie jene nach den Grundlagen der in den 1970er Wechselt man in diesem Geflecht den Standort, kommt nicht bloß ein dogma-
Jahren vorherrschenden Militärdiktaturen. Ambivalente und widersprüchliche tischer Szientist, sondern auch ein Althusser als „revolutionärer Humanist“
Strömungen innerhalb des Denkens der Herrschenden fielen u. a. im Rahmen zum Vorschein. Ein Althusser, der sich, inspiriert von den lateinamerikanischen
der sich reartikulierenden Kunstsoziologie der 1970er Jahre besonders auf. Debatten, in Europa vielleicht erst noch etablieren muss.
Denn gerade das Kunstfeld erwies sich immer wieder als eines, in dem
die Abkömmlinge der herrschenden Klasse durchaus Ideen und Vorstellungen
vertraten, die zu den in ihrer (Herkunfts-)Klasse herrschenden Vorstellungen in
Widerspruch standen. Um diese abweichenden, untypischen Denkweisen
ohne die Abkehr von der Annahme einer Eingebundenheit und Prägung durch
die Klassenverhältnisse erklären zu können, bot Althussers Ideologiebegriff
eine Alternative zur Bewusstseinsphilosophie Jean-Paul Sartres, die auch von
vielen MarxistInnen auf Fragen der Kunst angewandt worden war.28 In der

26  Stuart Hall diskutiert die Vorzüge und Nachteile der Althusser’schen Ideologietheorie und
konstatiert in diesem Zusammenhang: „Weil es keine eindeutige Beziehung gibt zwischen den
Bedingungen der von uns gelebten sozialen Existenz und der Art, wie wir sie erfahren, ist es für 28  Néstor García Canclini, La producción simbólica. Teoría y método en sociología del arte,
Althusser notwendig, diese Beziehung ‚imaginär‘ zu nennen.“ Stuart Hall, „Bedeutung, Reprä- Mexiko, D.F. 1979, S. 10.
sentation, Ideologie. Althusser und die poststrukturalistischen Debatten“, in: ders., Ideologie –  29  Vgl. Jens Kastner, „Praktiken der Diskrepanz. Die KünstlerInnenkollektive Los Grupos im
Identität – Repräsentation. Ausgewählte Schriften 4, hg. von Juha Koivisto und Andreas Merkens, Mexiko der 1970er Jahre und ihre Angriffe auf die symbolische Ordnung“, in: Jens Kastner,
Hamburg 2004, S. 34–80, hier S. 53. Tom Waibel (Hg.), … mit Hilfe der Zeichen | por medio de signos… Transnationalismus, soziale
27  Richard Harris, wie Anm. 19, macht diesen Gegensatz zum zentralen Unterschied zwischen Bewegungen und kulturelle Praktiken in Lateinamerika, Atención! Jahrbuch des Österreichischen
dependenztheoretischen und strukturalistischen Marxismen in den 1970er Jahren. Letztere Lateinamerika-Instituts, Bd. 13, Wien/Münster 2009, S. 65–80.
vermittelt er interessanterweise weniger über Althusser selbst als über dessen Schüler, den 30  Vgl. Cristina Híjar, „Entrevista a Alberto Híjar“, in: dies., Siete grupos de artistas visuales de
Staatstheoretiker Nicos Poulantzas.  los setenta, Mexiko, D.F. 2008, S. 80–93, hier S. 83.

144 145
ALTHUSSER ELSEWHERE.
REMARKS ON APPLYING
IDEOLOGY THEORY IN A LATIN
AMERICAN CONTEXT
Jens Kastner and David Mayer

Ideology, according to Louis Althusser’s controversial thesis, transcends


time. Despite all concrete manifestations, ideology is an underground, even
unconscious constellation of domination, which is so powerful precisely
because of its unchanging stability. This anti-historicist basic tone ¹ seems to
be one of the few constants in a body of work that otherwise is marked by
its enigmatic inconstancy and elasticity.² When speaking of the genealogy
of Althusserian ideology critique, it might seem suitable to break with this ban
of Althusser’s on the specific, individual, and contextual in himself. Although
precisely for Althusser ideology and what is commonly called “ideas” can in
no way be regarded as identical (because ideologies comprise far more,
extend to bodily practices, and nonetheless exceed individual subjects); it
still seems advantageous to view Althusser, the history of his appeal, and the
development of ideology theory as ideological manifestations in a broader
sense and thus to tie back into the historical.
One of these questions is: How can Althusser’s impact at the end of the 1960s
and beginning of the 1970s be explained? How can it be that a kind of thinking,
the widespread influence of which is today cause for amazement, and which
has been characterized as the “most astonishingly abstruse, self-regarding
and ahistorical version of Marxist philosophy imaginable,” ³ was received and
accepted in many cases as a central point of reference for more or less a
decade in various countries and regions of the world? Was this Althusser extra
muros the same everywhere? 4
In current decolonial theory, the idea that thinking and its subjects are tied to a
place, or come from a place, is central. Where one is thinking from is therefore

1  The terms “historical,” “historicist,” “historistic,” or “genealogical” have taken on different


connotations in discussions in the various social sciences. Here the term “historicist” is meant in
the sense used in the historical sciences and designates an ideographic reconstruction of
temporally and spatially specific situations, processes, and actions.
2  On the inconstancy of Althusser’s work, see for instance: François Matheron, “Louis Althusser,
or the Impure Purity of the Concept,” in: Jacques Bidet, Stathis Kouvelakis (Eds.), Critical
Companion to Contemporary Marxism, Leiden/Boston, 2008, pp. 503–527.
3  Tony Judt, “The Paris Strangler,” in: The New Republic 210/10, 1994, March 7, pp. 33–37,
here p. 33.

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ALTHUSSER ELSEWHERE

one of the significant elements of how and what one thinks. This was referred published in Buenos Aires and Mexico City.9 Not only did a specific Althusser
to, for instance by Walter D. Mignolo, using an Althusserian turn of phrase, as school develop—which always remained controversial and never achieved the
an “epistemic break,” 5 as a rejection of the universalist (and lamented as far-reaching significance of other Marxisms, such as that of the Marxist strain
Eurocentric) assumption that thinking can take place independently of space, within dependency theories—but a general structuralist-Marxist tone can be
time, and, in the end, even of subjects. It would seem useful to apply this idea, sensed in many leftist discussions and texts starting from the beginning of the
for example, to the reception of Althusser in certain Latin American countries, 1970s. One could speak of an Althusserian signature. Much was contributed
for things went quite differently there in the 1960s and 1970s than they did in to this Althusserian presence in Latin America by the Chilean Martha Harnecker,
Western Europe. Furthermore, applying decolonial thinking to Althusser who had studied with Althusser in Paris, both through her translations and her
himself could also entail a way to engage with (or at least call to memory) the introduction to historical materialism.10 Her systematic-didactic presentation,
breaks which his theoretical work was intended to evoke both in epistemology which was supplied with a foreword by Althusser, sold millions of copies in
and with regard to political practice. In doing so, Althusser and his work can Latin America (by the mid 1970s more than 75 editions had appeared) and
also be read “from the South”: Louis Althusser was born in colonial Algeria. marked the understanding of Marxism and “historical materialism” of several
Without this experience of colonial domination and violence, according to generations of students and activists. The volume represents something like
Robert Young, neither Althusser’s affinity for 1960s Maoism nor the crystallization the world’s most important Althusser-inspired Vulgate. The explanations of the
of post-structuralism out of the scene around his students (some of whom nature and function of ideology occupy a privileged place in the book.
also came from Algeria) can be explained.6 The relevant chapter comes in place 6, right after those entitled “Production,”
“Relations of production,” “Productive forces,” “The economic structure of
society,” and “Base and Superstructure.”
1.  Althusser in Latin America: structuralist ascendancy, Grundrisse While many presentations of the development of Marxism in Latin America
reception, and the academic field make reference to the significance of the reception of Althusser,11 hardly
anyone reflects on why Althusser had such a strong effect. Explanations for
When the tri-continental conference took place in Havana in 1966, with this must on the one hand go beyond genealogical constructs and historical
representatives from over eighty countries, the French philosopher Louis derivations of ideas, and on the other be more detailed than the obligatory
Althusser was also among those participating. He had attended the conference reference to the Cuban Revolution and the turmoil-laden “long 1960s” in
together with one of his students, the later companion of Che Guevara, Regis Latin America.12 Such a search for traces would have to begin with the already
Débray.7 The same year can mark the beginning of a wide reception of existing strong structuralist presence in Latin America (as opposed, for
Althusser’s theories in Latin America; his works started appearing in Spanish example, to those in the Anglophone of German-speaking worlds): in economics,
in 1966, first in Havana in the circle around the legendary theoretical journal a “structuralist school” had already emerged as early as the 1940s around
Pensamiento Crítico,8 shortly thereafter various texts by him were also the UN Economic Commission for Latin America (CEPAL); 13 in anthropology
—a politically crucial discipline in those countries whose state ideology was
4  This text does not imply that there was an equal distribution over areas and milieus in the
reception of Althusser in Latin America; inversely, we also are not claiming that there was only
a single interpretation of his work in Western Europe. Rather, the thesis that we are proposing 9  For the first Mexican edition of Pour Marx and Lire le Capital, see Louis Althusser, La revolución
here is meant to put certain tendencies up for discussion. teórica de Marx, México, D.F., 1967; Louis Althusser, Étienne Balibar, Para leer el Capital, México,
5  Walter D. Mignolo, Epistemischer Ungehorsam. Rhetorik der Moderne, Logik der Kolonialität D.F., 1969. There are, however, some sections of the French original missing in the Mexican
und Grammatik der Dekolonialität, Vienna/Berlin, 2012, p. 164. Mignolo deals with various edition Lire le Capital.
strands of theory with regard to the “epistemic break,” but he does concretely refer to the term 10  Martha Harnecker, Los conceptos elementales del materialismo histórico, México, D.F., 1969.
as it was used by Althusser and in the subsequent debate. Cf. ibid., p. 171 (footnote). 11  See for instance Raúl Fornet-Betancourt, Ein anderer Marxismus? Die philosophische
6  Cf. Robert J. C. Young, Postcolonialism. An Historical Introduction, 2nd edition, Malden, Rezeption des Marxismus in Lateinamerika, Mainz, 1994, p. 233; Jan Hoff, Marx global. Zur
2004, pp. 413–414. Entwicklung des internationalen Marx-Diskurses seit 1965, Berlin, 2009, p. 169; Néstor Kohan,
7  Cf. Ingrid Gilcher-Holtey, Die 68er Bewegung. Deutschland – Westeuropa – USA, 2nd edition, De Ingenieros al Che. Ensayos sobre el marxismo argentino y latinoamericano (preface by
Munich, 2003, p. 42. Michael Löwy), Buenos Aires, 2000.
8  Cf. Néstor Kohan, “Pensamiento Crítico y el debate por las ciencias sociales en el seno de la 12  On the “long 1960s” in Latin America, cf. David Mayer, “The Cuban Cycle, non-synchronicity
Revolución Cubana,” in: Fernanda Beigel et al., Crítica y teoría en el pensamiento social latino- and transnational contexts –1968 from and within Latin America,” in: Angelika Ebbinghaus, Max
americano, Buenos Aires, 2006, pp. 389–437; Kepa Artaraz, “El Ejercicio de Pensar: The Rise Henninger, Marcel van der Linden (Eds.), 1968—A view of the protest movement 40 years after,
and Fall of Pensamiento Crítico,” in: Bulletin of Latin American Research, 24/3, 2005, pp. 348–366. from a global perspective, Vienna/Leipzig, 2009, pp. 125–136.

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ALTHUSSER ELSEWHERE

oriented to the pre-Columbian legacy—a structuralist ethnology à la Lévi-Strauss French Communist Party and opponent of the student revolts in 1968, was
had already had a strong standing; in the field of history, scholars in many identified with a Stalinist stance. As Miguel Valderrama writes,
countries were drawing on the Annales School around Fernand Braudel quite “Althusserianism in the 1960s expressed the pinnacle of the critique of the
early; and already in the 1920s, in the context of anti-imperialist currents, a stage theory of classical Marxism […] Paradoxically […] Althusser fortified the
thinking had developed that explained Latin America in the sense of external positions of revolutionary humanism.” 17 The paradoxes can be extended
and internal structures of dependency (and not through civilizational or even further, reminding us of the wandering contradictoriness that always adhered
racist “deficits”). Althusser’s work allowed for a tie into these intellectual to the ideological, and which Althusser could not perceive in his ideology
practices, which had both their local roots and their transnational contexts 14 theory due to his view of equally functioning “apparatuses”: While it was
(and which always also included political practices). At the same time, Althusser who for some stood for “revolutionary humanism,” for most in the
Althusser offered an interpreting reception of the most important innovation 1960s it was above all dependency theory that was seen as the social-
within Marxism in the early 1960s: the discovery of Karl Marx’s Grundrisse.15 theoretical advocate of the rapid expanse of the revolution in the sense of the
Along with Eric J. Hobsbawm,16 Althusser became the most important Cuban Revolution. At the same time, those who saw themselves as challenged
mediator of these political-economic notes, so important for socio-theoretical by their socio-analytical and historical statements opposed dependency
and historical thinking. At the same time, one important basis for the success theory at the beginning of the 1970s with an alternative interpretation of the
of Althusser’s reception in Latin America was formed at the end of the 1960s term—also significant in Althusser’s approach—“means of production.” 18 In the
by the communist matrix. While at this point in time, not many leftist debate regarding which means of production (modos de producción) or
intellectuals were still moving in the circles around the communist parties, formations of society were dominant in colonial history, a debate that raged
more than a few of them nonetheless had certain communist experiences in their virulently for years in Latin America, Althusser’s influence is unmistakable.19
biographies. This mixture of former proximity and conflict-laden distance in But even on the level of habitus, Althusser functions as the medium for an
relation to communism found an intellectual avatar in Althusser, who offered important shift. In Latin America, leftist intellectuals were largely connected
both critique and continuation. In Latin America, Althusser was thus widely to social movements and remained organic (in Gramsci’s sense) longer than
considered a reference point for a post-Stalinist, humanist option, in contrast in Europe, for instance. At the end of the 1960s, in the important center of
to his image in Western European conflicts, where he, as a member of the intellectual-political engagements in Argentina, Chile, and Mexico, a shift
began, away from movements and into the academy. The intellectual habitus
associated with Althusser—a high knowledge threshold, inaccessible language,
13  In the center of this strain of thinking is the question of how economic development is possible. methodological reflexivity—corresponded to the expansion and autonomization
Here, unlike in theories of modernization, “development” is related to the historical conditions of
colonialism and subordinate integration into world markets. One of the best known products of of the leftist intellectual-academic field. Topics around domination and how to
this school is the model of center and periphery which Raúl Prebisch had brought to discussion, ensure it ideologically, not only based on physical coercion, gained great
and the thesis developed by Prebisch (and at the same time by Hans Singer) of the tendency
interest. Also, the crisis moments of social liberation movements—failures of the
for the Terms of Trade to deteriorate between countries in the periphery and those in the
industrialized center. Cf. Eduardo Devés Valdés, El pensamiento latinoamericano en el siglo guerillas in various ways in city and country, the rise of military dictatorships,
XX – entre la modernización y la identidad. Tomo 1: Del Ariel de Rodó a la CEPAL. 1900 –1950, the putsch against Salvador Allende in Chile in 1973—gave rise in the 1970s to
Buenos Aires, 2000, pp. 287–304.
14  On the entangled history of structuralism in France alone, in which Althusser represents only
one strand, albeit a significant one, see: François Dosse, History of Structuralism, Vol. 1: The 17  Miguel Valderrama, “Althusser y el marxismo latinoamericano: Notas para una genealogía
Rising Sign, 1945–1966 and History of Structuralism, Vol. 2: The Sign Sets, 1967—Present, del (post)marxismo en América Latina,” in: Mapocho. Revista de humanidades y ciencias
Minneapolis, 1997. sociales 43, 1998, pp. 167–182, here p. 173 (trans. by JK/ DM).
15 The Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, a manuscript from the years 1857 to 18  Cf. Ruy Mauro Marini, “Introducción: la década de 1970 revisitada,” in: Ruy Mauro Marini,
1858, with fundamental preliminary work for Das Kapital, was only made available as a full text Márgara Millán Moncayo (Eds.), La teoría social latinoamericana: Tomo 3: La centralidad del
in 1953. Following Stalin’s death, new interpretations of previously canonized and dogmatized marxismo, México, D.F., 1995, pp. 17–44, here p. 37.
Marxian works were allowed, in particular in the areas of political economy, philosophy, and 19  Richard Harris, “The Influence of Marxist Structuralism on the Intellectual Left in Latin America,”
theory of history. A first complete version appeared in Latin America in 1970/71 in Havana. On in: Insurgent Sociologist, 9:1, Summer 1979, pp. 62–73, here pp. 63–66. The discussion in Latin
the circuitous history of publication and reception of the Grundrisse, see also: Marcello Musto America was not only characterized by theoretical-terminological density, but also by a high level
(Ed.), Karl Marx’s Grundrisse: Foundations of the critique of political economy 150 years later of empirical content. Cf. also the legendary collection on the debate about the different means of
(with a special foreword by Eric J. Hobsbawm), London, 2008. production in Latin American history: Carlos Sempat Assadourian, Ciro Flamarión Santana
16  Cf. Eric J. Hobsbawm, Karl Marx: Pre-Capitalist Economic Formations, London, 1964 (first Cardoso, Horacio Ciafardini, Juan Carlos Garavaglia, Ernesto Laclau, “Modos de Producción en
Latin American edition, Buenos Aires, 1966). América Latina” (= Cuadernos de Presente y Pasado No. 40), México, D.F., 1983 [1973].

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ALTHUSSER ELSEWHERE

newly oriented discussions about state, domination, and democracy. Already becoming both academically and politically active.22 Unlike, for instance, the
in the 1950s in Argentina and Brazil, some intellectuals and militants had understanding of ideology within critical theory, especially in the work of Max
turned to the recently translated writings of Antonio Gramsci and maintained Horkheimer and Theodor W. Adorno, in Althusser the concept at least led
him as an important reference point during the 1960s. Consequently, in the to a way to the “Other” of ideology via practice (or at least to another ideology,
1970s, reading Althusser and, at least as far as ideology theory is concerned, evaluated as positive—namely, proletarian—ideology). Admittedly, the conception
transcending him by relating him to Antonio Gramsci, was attempted for the of ideology as reification and obfuscation essentially considers even this path
first time in Latin America. This innovation—which revealed that Latin American to be impassable.23 Althusser’s Marxism was understood as “theoretical
discussions were quite ahead of Western European ones—was thus conditioned practice” and meta-theory of all theoretical practices simultaneously. At any
by the specificities of the intellectual-political milieu in Latin America: With the rate, this understanding eventually also led to seeing academic practice as the
distance provided by another context, other elective affinities could arise. only possible political practice—a conceptual idea that has provoked enormous
(theoretical) resistance against Althusserianism, not only, but also in Latin America.24
The attractiveness of Althusser’s concept of ideology, however, is predicated
2.  Althusser’s understanding of ideology: eternal, appelative, and on yet another of its dimensions. Between the ideological state apparatuses on
representing an imaginary relationship the one hand and the interpellated subjects on the other, there is, to a certain
degree, an idea of ideology that mediates between these two levels. Ideology
Aside from the reasons we have mentioned, it was also Althusser’s ideology represents, writes Althusser, “the imaginary relationship of individuals to their
theory itself that led to his relatively wide reception in Latin America. The real conditions of existence.” 25 In doing so, he performed a renunciation of the
Althusserian concept of ideology positively seemed to reconcile paradoxes. all too simple way of reading Marx’s sentence in The German Ideology, that
On the one hand, it declared ideology to be a supratemporal “eternal” phenom- ruling ideas are always the ideas of those ruling, without dispensing with a
enon. Althusser had a theory of ideology in general in mind and formulated it systematic, structural context of domination, in which these thoughts are thought.
with reference to Freud’s psychoanalysis: “Ideology is eternal, exactly like the Precisely for leftists and social scientists in Latin America, this seemed to
unconscious.” 20 The social reproduction of the relations of production (which be a convincing conception. For in the first place (and this was emphasized
was what Althusser was interested in), thus seemed to persist infinitely through over and over again, especially by social anthropologists and cultural scholars
ideological state apparatuses which actualized themselves constantly. At the in Latin America) capitalist-bourgeois culture in many countries of the
same time, subjects in Althusser’s model are produced in the first place by subcontinent in no way turned out to be as hegemonic as in Europe, and it
ideology—“All ideology hails or interpellates concrete individuals as concrete therefore left certain social sectors largely relatively untouched. The ruling
subjects”   21—they are structurally exposed to it. For ideology is manifest ideas there did not necessarily need to have much in common with those ruling.
everywhere, in ordinary customs and religious rites, in general ways of These sectors too assumed an imaginary relationship to their conditions
behaving and in feelings. No one can escape its interpellation. And the of existence, a relationship which was not necessarily integrated into the
subjects contribute, not always in the most straightforward way, to a renewal reproduction of the state apparatuses.26
of the ideological state apparatuses.
In the end, ideology critique becomes the only way out, the “epistemological 23  In this respect, Jan Rehmann is correct in seeing “connecting lines” that emerge between
break” or the “insertion” becomes the only possibility of getting through the the inevitable, perhaps circular understanding of ideology in Adorno’s “truth moment of
undergrowth of the ideological and on to scientific knowledge. On the other ideology” and Althusser’s “eternal ideology” in general. Cf. Jan Rehmann, Einführung in die
Ideologietheorie, Hamburg, 2008, p. 78.
hand, this way of structural analyzing and epistemological breaking offered 24  Among Mexican Marxist intellectuals, it was above all Adolfo Sánchez Vázquez who turned
many young intellectuals the possibility of acting against ideology and thus of against Althusser’s understanding of practice as “theoretical practice.” Adolfo Sánchez Vázquez,
“El teoricismo de Althusser (notas críticas sobre una autocrítica),” in: Cuadernos Políticos, No. 3,
México, D.F., 1975, pp. 82–99, and Adolfo Sánchez Vázquez, Ciencia y revolución: el marxismo
de Althusser, Madrid, 1978. For a summary, cf. Stefan Gandler, Peripherer Marxismus. Kritische
20  Louis Althusser, “Ideology and Ideological State Apparatuses (Notes Towards an Theorie in Mexiko, Hamburg, 1999, pp. 168ff.
Investigation),” in: Lenin and Philosophy and Other Essays, New York, 1971, pp. 127–186, 25  Louis Althusser, see note 20, p . 162.
here p. 161. 26  Stuart Hall discusses the advantages and disadvantages of Althusserian ideology theory,
21  Ibid., p. 115. saying in this context: “Because there is no one to one relationship between the conditions of
22  Cf. also François Dosse, see note 14, Vol. 1, p. 308. social existence we are living and how we experience them, it is necessary for Althusser to call

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ALTHUSSER ELSEWHERE

In the second place, however, ambivalences of thinking within the ruling classes when both ideology theories and the development of ideology itself are not
could also be grasped better using Althusser’s model. Unlike dependency viewed genealogically, but historically. In contrast to genealogies, which must
theories, Marxist-structuralist thought was less dedicated in principle to the obey certain meta-historical operating principles, the historicizing view shows
“external” contradictions and mechanisms of domination in their various the specific variety in which debates and practices are taken up in each context.
societies, those due to global (postcolonial) dependencies, and more dedicated Admittedly, these never stand for themselves alone, but are interconnected
to “internal” ones.27 Among the central questions here are that of the conditions among each other by many threads. Althusser in Latin America is a part of the
for possible alliances between different factions, as well as that of the border-crossing and entangled history of his impact. Who would have thought:
foundations for the military dictatorships that reigned in the 1970s. Ambivalent if you shift your position in this entangled mesh, it is not a proponent of
and contradictory strains within the thinking of the dominant classes were dogmatic scientism who appears, but Althusser as a “revolutionary humanist.”
particularly noticeable, for instance, in the framework of the sociology of art An Althusser, inspired by Latin American debates, who has perhaps yet to be
that was being rearticulated in the 1970s. For it was precisely the field of art discovered in Europe.
that time and again proved to be one in which the progeny of the ruling
classes held ideas that were in complete contradiction to those of their class
(of origin). In order to explain these deviating, untypical ways of thinking
without rejecting the assumption of being incorporated and marked by class
relations, Althusser’s concept of ideology offered an alternative to Jean-Paul
Sartre’s philosophy of consciousness, which had also been applied to questions
of art by many Marxists.28 In the movement of the artists collectives Los Grupos
in Mexico, forming in the 1970s,29 Althusser’s texts were among those discussed
in the Taller de Arte e Ideología ( TAI), founded by Alberto Híjar Serrano.30

3.  Conclusion: The historicizing view

What can be concluded from these observations about “Althusser elsewhere”


in relation to ideology theory and critique? First, it is clear that the paths
of reception and transfer within Marxism in the twentieth century were not
straightforward and have followed many tracks that did not correspond to the
constellations in Europe, for instance. This, however, can only become visible

these relationships ‘imaginary.’” Stuart Hall, “Signification, Representation, Ideology: Althusser


and the Post-Structuralist Debates,” in: Critical Studies in Mass Communication, Vol. 2, No. 2,
June 1985, pp. 91–114, here p. 105.
27  Richard Harris (see note 19) makes this opposition the central difference between dependency-
theoretical and structuralist Marxisms in the 1970s. Interestingly, he presents the latter less
through Althusser himself than through his student, the political philosopher Nicos Poulantzas.
28  Néstor García Canclini, La producción simbólica: Teoría y método en sociología del arte,
México, D.F., 1979, p. 10.
29  Cf. Jens Kastner, “Praktiken der Diskrepanz. Die KünstlerInnenkollektive Los Grupos im
Mexiko der 1970er Jahre und ihre Angriffe auf die symbolische Ordnung,” in: Jens Kastner, Tom
Waibel (Eds.), … mit Hilfe der Zeichen | por medio de signos… Transnationalismus, soziale
Bewegungen und kulturelle Praktiken in Lateinamerika, Atención! Jahrbuch des Österreichischen
Lateinamerika-Instituts, Vol. 13, Vienna/Münster, 2009, pp. 65–80.
30  Cf. Cristina Híjar, “Entrevista a Alberto Híjar,” in: ibid., Siete grupos de artistas visuales de
los setenta, México, D.F., 2008, pp. 80–93, here p. 83.

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INTERVIEW MIT
ALBERTO HÍJAR SERRANO ZU
KUNST UND IDEOLOGIEKRITIK
IN MEXIKO NACH 1968
Von Max Jorge Hinderer Cruz und Jens Kastner

MAX JORGE HINDERER CRUZ, JENS KASTNER  Sie haben die Gruppe
Taller de Arte e Ideología (TAI) 1 1974 an der Fakultät für Philosophie und
Literaturwissenschaften an der Universidad Nacional Autónoma de México
(UNAM) gegründet. Die Gruppe, an der auch KünstlerInnen beteiligt waren,
beschäftigte sich u. a. mit marxistischer ästhetischer Theorie. Worin be-
standen die Arbeitsschwerpunkte der Gruppe, mit welchen Motivationen und
Anliegen hat sie sich gegründet?

ALBERTO HÍJAR SERRANO  Der Taller de Arte e Ideología entstand aus der
Notwendigkeit, den Kurs zur Ästhetik an der Philosophischen Fakultät an der
UNAM zu öffnen und zu vertiefen, sowie aus der Notwendigkeit, sich nach der
gewaltigen Repression gegen die Fuerzas de Liberación Nacional 2 zusammen-
zuschließen. Diese folgte auf meine Verhaftung, Folterung und den Prozess
wegen Verschwörung im Februar 1974. Es war eine umfassende Mobilisierung
vonnöten, damit der TAI in Erscheinung treten konnte. Unsere Ausrichtung
begründete sich in der Kritik Althussers an einem vereinfachenden und
dogmatischen Marxismus. Im Zeichen von „Das Kapital lesen“ versuchten wir,

1  Der TAI war Teil einer Bewegung künstlerischer Kollektive, die als Los Grupos (Die Gruppen)
in die Kunstgeschichte eingegangen ist und das mexikanische Kunstfeld der 1970er Jahre
geprägt hat. Vgl. etwa Alberto Híjar Serrano (Hg.), Frentes, Coaliciones y Talleres. Grupos
visuales en México en el siglo XX, Mexiko, D.F. 2007: Coneja Nacional para la Cultura y las Artes;
Kirsten Einfeldt, Moderne Kunst in Mexiko. Raum, Material und nationale Identität, Bielefeld
2010, S. 297ff.; Jens Kastner, „Praktiken der Diskrepanz. Die KünstlerInnenkollektive Los Grupos
im Mexiko der 1970er Jahre und ihre Angriffe auf die symbolische Ordnung“, in: Jens Kastner,
Tom Waibel (Hg.), … mit Hilfe der Zeichen / por medio de signos… Transnationalismus, soziale
Bewegungen und kulturelle Praktiken in Lateinamerika. Atención!, Jahrbuch des Österreichischen
Lateinamerika-Instituts, Bd. 13, Wien/Münster 2009, S. 65–80; Víctor Muñoz, „‚Die Dinge
konnten nicht so bleiben, als wenn nichts passiert wäre.‘ Kunstproduktion und soziale Bewegungen
im Mexiko der 1970er Jahre. Ein Interview von Jens Kastner“, in: Das Argument, 293, Heft 4/2011,
53. Jg., Berlin, S. 515–522.
2  Die Fuerzas de Liberación Nacional (Streitkräfte zur Nationalen Befreiung) wurden 1969
als klandestine Guerilla-Gruppe gegründet und lösten sich 1981 auf. Aus ihr gingen unter anderem
die zapatistische Bewegung um die EZLN (Ejército Zapatista de Liberación Nacional) hervor
(gegründet 1983), die mit ihrem Aufstand 1994 für weltweites Aufsehen sorgte.

157
INTERVIEW MIT ALBERTO HÍJAR SERRANO ZU KUNST UND IDEOLOGIEKRITIK
IN MEXIKO NACH 1968

eine ästhetische Anwendung des ersten Kapitels umzusetzen, etwa durch Historia [Nationale Schule für Anthropologie und Geschichte]. Der Einfluss
meine Intervention im gerade eröffneten Sala de Arte Público, den der Althussers war akademischer Art und reichte nicht bis zur politischen Linken,
kommunistische Maler David Alfaro Siqueiros3 der mexikanischen Bevölkerung außer über den Weg einiger universitärer Zeitschriften. In diesen wies man den
vererbt hatte. epistemischen Bruch, die Unterscheidung zwischen einem jungen und einem
alten Marx, sowie die in Wirklichkeit bei Althusser nicht existierende Wissen-
MJHC & JK  Der programmatische Zusammenhang von Kunst und Ideologie schaftsgläubigkeit (cientificismo) zurück. Aber es formierte sich die Kritik am
im Namen der Gruppe – wie wurde der konzipiert? Was wurde unter Ideologie naiven und schablonenhaften Marxismus und an seinen parteipolitischen
verstanden und in welcher Beziehung zu ihr wurden künstlerische Praktiken Ableitungen, beispielsweise bei Rafael Guillen mit seiner Abschlussarbeit über
begriffen? die schulischen Staatsapparate mit thematischen Bezügen zu Althusser und
Foucault und einem versteckten und burlesken Zitat von Marx, das sich in
AHS  Der wesentliche Punkt der Althusser’schen Kritik ist die Präzisierung einem Text voller Ironie und Sarkasmus über Süßigkeiten und die Industrie des
des Ideologiebegriffs und damit des Problems der Reproduktion, die es Spektakels konkretisierte. Rafael Guillen wird heute verdächtigt, Subcoman-
erlaubt, die Gebrauchsweisen der Bedeutungsgebung (significación) als dante Insurgente Marcos gewesen zu sein. Als Motto stellte er seiner
Konstruktionen der Macht zu erkennen. Die antipositivistische Definition der Abschlussarbeit in Philosophie über Foucault und Althusser den überspitzten
Ideologie und der ideologischen Staatsapparate ermöglicht es, die Idealismen Titel eines Interviews voran: „Die Philosophie als Waffe der Revolution“. Die
zu überwinden und sich einer Kritik des Wertgesetzes anzunähern. von den AkademikerInnen zurückgewiesene theoretische Praxis gewann in
diesem und in anderen historischen Projekten eine strategische Wichtigkeit.
MJHC & JK  Die Ideologietheorie von Louis Althusser scheint ein wichtiger
Bezugspunkt Ihrer theoretischen Arbeit gewesen zu sein. Seine Texte wurden MJHC & JK  Noch einmal zurück zu Los Grupos und zur Arbeit des TAI: Ende
gelesen und diskutiert, ein Schüler Althussers, Pierre Macherey, wurde sogar der 1970er Jahre waren die Mitglieder Ihrer Gruppe maßgeblich an dem Zu-
von Ihrer Gruppe ins Spanische übersetzt. Können Sie die Bedeutung sammenschluss der Gruppen zur Frente Mexicano de Grupos Trabajadores de
Althussers für die mexikanische Linke nach 1968 genauer beschreiben? la Cultura beteiligt. Als sich diese Anfang der 1980er aufgelöst hatte, gewann
In Westeuropa wurde Althussers These der ideologischen Staatsapparate der Slogan „Vincular, articular y fusionar en la lucha popular“ [„Sich verknüpfen,
häufig vor allem als strukturdeterministisch kritisiert – das passt nicht gerade artikulieren und zusammenschließen mit den popularen Kämpfen“] an
zum Aktivismus der künstlerischen Gruppen mit ihrer Betonung der Praxis. Bedeutung für Sie und den TAI. Heißt das, eine spezifisch künstlerische und
Gab es in Mexiko bzw. in Lateinamerika eine andere Art der Althusser- kulturpolitische Praxis wurde zugunsten einer allgemein soziopolitischen, an
Rezeption und wenn ja, inwiefern und warum? sozialen Kämpfen orientierten aufgegeben? Welche strategische Entscheidung
stand dahinter?
AHS  Die jungen Althusserianer, die La Pensée4 abonniert hatten, gründeten
mit den Cuadernos del Archivo de Filosofía eine Serie von Publikationen, AHS  Die Frente Mexicano de Trabajadores de la Cultura strich die Erwähnung
damit zogen wir uns den Hass der gewöhnlichen Professoren und Bürokraten der Gruppen [Los Grupos] aus ihrem Namen, um Worte einzusparen und
zu, dem die jungen Studenten wiederum mit Spott und Sarkasmus begeg- damit die Kritik am Konzept des Künstlers und der Kunst als ein Arbeiten an
neten. Ich war durch den Druck des Comité de Lucha als Lehrer für Ästhetik der theoretischen und praktischen Produktion der vielseitigen und komplexen
an die Fakultät gekommen und erfüllte damals schlichtweg die vertraglich Linken deutlich zu machen. Das Motto des TAI entstand danach, vielleicht in
festgelegten Stunden. In den 1970er Jahren, mit der Ankunft der exilierten den 1990er Jahren angesichts einer leninistischen Befürwortung der gewerk-
TheoretikerInnen aus den Diktaturen Südamerikas, wurde ich Teil der Selbst- schaftlichen Arbeit. Ähnlich funktionierte der Leitspruch, den der Che als
verwaltung in der Escuela de Arquitectura (Schule für Architektur) und später Industrieminister Kubas ausgegeben hatte, „Qualität ist Respekt gegenüber
Teil der Mitverwaltung [cogobierno] der Escuela Nacional de Antropología e der Bevölkerung“, der von der Gruppe Ojos de Lucha [Augen des Kampfes]
aufgegriffen wurde, die während der Gründung der Gewerkschaft der
3  David Alfaro Siqueiros (1896–1974) war neben Diego Rivera und José Clemente Orozco Näherinnen nach dem Erdbeben von 1985 entstanden und gewachsen war.
einer der prägenden Künstler der mexikanischen Wandmalerei (Muralismus) und einer der
bedeutendsten linken Intellektuellen Mexikos. Der TAI stimmte damit überein, weil er Beziehungen zu klandestinen sandi-
4  La Pensée. Revue du rationalisme moderne, 1939 in Paris gegründete marxistische Zeitschrift.

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INTERVIEW MIT ALBERTO HÍJAR SERRANO ZU KUNST UND IDEOLOGIEKRITIK
IN MEXIKO NACH 1968

nistischen GenossInnen hatte, die die Möglichkeit der kulturellen Arbeit in der MJHC & JK  Und um schließlich den Bogen in die Gegenwart zu schlagen:
sandinistischen Revolution direkt nach dem Sturz Somozas 1979 eröffneten. Die politischen und künstlerischen Strategien von Los Grupos fanden vor dem
Die Grupo Germinal, bestehend aus AbsolventInnen der La Esmeralda Hintergrund einer staatlichen Kontrolle statt – bezogen auf die Institutionen des
genannten [Kunsthochschule] Escuela Nacional, reiste herum und arbeitete Kunstbereichs, aber auch auf den Alltag insgesamt –, die heute kaum mehr
mit der geschätzten Aktivistin und hervorragenden nordamerikanischen vorstellbar ist. Hat mit dem Siegeszug des Neoliberalismus als Ökonomi-
Künstlerin Rini Templeton, mit dem Glück, Anerkennung vom Ministerium für sierung des Sozialen nicht auch die staatszentrierte Ideologietheorie an Erklä-
Erziehung und Kultur für die Alphabetisierungskampagne erhalten zu haben. rungskraft eingebüßt?
Währenddessen ging die Frente nach San Francisco und Los Angeles, und die
anderen Gruppen intervenierten auf der Straße und in den Wohnvierteln. Der AHS  Wir erleben derzeit eine falsche, pragmatische und opportunistische,
TAI leistete logistische Arbeit für die FPL [Fuerzas Populares de Liberación] in gegen die theoretische Reflexion eingestellte Linke. Die kritische Philosophie
El Salvador und die ORPA [Organización del Pueblo en Armas] in Guatemala, zählt immer noch auf den Beitrag Althussers und auf die neuen, von den
während wir gleichzeitig Ausstellungen und Solidaritätsaktionen mit Vietnam, akademischen WissenschaftlerInnen Verfluchten: Toni Negri und Michael
Kuba, Nicaragua, El Salvador und Chile sowie Diskussionsworkshops zu Hardt und andere wie Samir Amin, die gegenwärtig noch nicht die große Auf-
theoretischen Problemen in Seminaren organisierten, aus denen Abschlussar- merksamkeit erfahren. In diesem kritischen Denken haben die Beiträge von
beiten, Studienprogramme und die Escuela de Cultura Popular „Matires del Foucault zur Mikrophysik der Macht, von Deleuze und Guattari zur Dekon-
68“ [Schule der Popularen Kultur „Märtyrer von 68“], die im Sala de Arte struktion, von Ginzburg zur historischen Kritik sowie von den sogenannten
Público Siqueiros entstand, hervorgingen. Die Schule gibt es nach wie vor.5 Klassikern der politischen Ökonomie und der revolutionären Praxis nach wie
vor Bestand, Che Guevara mit eingeschlossen. Zugegebenermaßen ist das
MJHC & JK  Die Praktiken von Los Grupos waren sehr unterschiedlich und wenig, angesichts des Aufstiegs eines vulgären Postmodernismus zur vorherr-
variierten auch in der Art ihres politischen Anspruches: Manche Gruppen schenden Haltung innerhalb der Staatsapparate, inklusive den Universitäten.
machten das, was man heute Stadtteilarbeit nennen würde, andere kritisierten
die Kunstinstitutionen zwar, verließen sie aber nicht. Wie beurteilen Sie MJHC & JK  Wir möchten mit zwei Fragen schließen, die sich auf die Institu-
rückblickend die Arbeit des TAI im Kontext der Bewegung der Gruppen? tionen der Kunst und die zeitgenössische Kunst im Allgemeinen beziehen:
Wie schlug sich der politische Umbruch von 1989/91 innerhalb der politischen
AHS  Der Titel einer Veranstaltung, die der TAI beim Kolloquium „Rini Kunst in Mexiko nieder? Worin bestehen die Aufgaben, die es Ihrer Meinung
Templeton“ abhielt, als der Aufstand der EZLN begann, war am Civilismo 6 und nach im Feld der Kunst angesichts der ideologischen Veränderungen der
am Kommunitarismus orientiert und fasste den Einfluss des TAI zusammen: letzten zwei Dekaden anzugehen gilt?
„Die Theorie, Genossen, die Theorie!“ Zahllose Flugblätter, die kurzzeitig
erscheinende Zeitschrift Grito Rojo [Der Rote Aufschrei], kollektiv verfasste AHS  Seit 1968 hat die Notwendigkeit einer neuen Darstellungsweise, einer
Bücher mit geringer Verbreitung und nichtige Diskussionen, die sich über zehn neuen Grafik und eines neuen Muralismus, die unter vielfältigsten, in ganz
Jahre hinzogen, ließen den TAI an Entkräftung sterben, um schließlich vom Lateinamerika zirkulierenden Bezugnahmen die Befreiung der öffentlichen
Taller de Construcción del Socialismo [TACOSO, Workshop zur Schaffung des Räume beanspruchen, nicht nachgelassen – insbesondere von den Straßen
Sozialismus] 7 ersetzt zu werden, der für die Gewerkschaft der mexikanischen Argentiniens aus, dieses Landes mit seiner exemplarischen Kritik am repres-
Elektrizitätsarbeiter vor deren Zerstörung durch die Regierung von Felipe siven Staat, wurde dies vorbildlich reflektiert, die rot gefärbten öffentlichen
Calderón8 Broschüren herausgab – all das zeugt vom Einfluss des TAI. Springbrunnen, die Stickereien mit den Namen und Lebensdaten der Ver-
missten (desaparecidos) als von den chilenischen AktivistInnen gegen die
Diktatur geerbter Bezug, der Aufwand für Dokumentarfilmvideos, die Nutzung
5  http://www.opcescuela.org/. und die Aneignung sozialer Netzwerke und die Bauernorganisationen zur Ver-
6  Der sogenannte Civilismo bezeichnet eine Haltung der zivilgesellschaftlichen Solidarität, die teidigung der Wälder, der Wasserquellen und der Umwelt, begleitet von den
über Bürgerinitiativen organisiert ist. Karawanen und den Aktionen gegen die ungezügelte Staatsgewalt, die mit
7  http://www.tacoso.org/.
8  Felipe Calderón von der konservativen Partei der Nationalen Aktion (PAN) war von 2006 bis den Plänen der Yankees in (Latein-)Amerika zusammenhängt und ihnen
2012 Präsident Mexikos.

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untergeordnet ist. Der TACOSO kämpft für die Verteidigung der Kooperative El
Ocotenco de Zacacuautla, eine Gemeinde mit 1400 EinwohnerInnen an der
INTERVIEW WITH ALBERTO
Grenze im Hochland zwischen [den mexikanischen Bundesstaaten] Hidalgo HÍJAR SERRANO ON ART AND
und Puebla, die von talamontischen 9 Kaziken mit der Unterstützung der
Regierung von Hidalgo eingenommen wurde. Es wurden Workshops für druck- IDEOLOGY CRITIQUE IN MEXICO
grafische Propaganda, Nähen und Textilhandwerk und zur Organisierung von
Zeugenaussagen gegründet. Und wir haben angefangen, ein Gemeindemuseum AFTER 1968
aufzubauen. Die kritische und organisatorische Orientierung der Workshops
by Max Jorge Hinderer Cruz and Jens Kastner
steht dem vulgären Anarchismus entgegen, der sich gegen jede Form der Orga-
nisierung sperrt. Wir bringen uns beispielsweise in dem Taller Integral (Integraler
Workshop) des Kollektivs Voz Nomada aus der Bewegung Yo Soy 132  ein – eine MAX JORGE HINDERER CRUZ, JENS KASTNER  You founded the group
Bewegung, deren zentraler Motor die interuniversitäre Versammlung ist, an der Taller de Arte e Ideología (TAI) 1 in 1974 at the Facultad de Filosofía y Letras
diverse Organisationen beteiligt sind.10 Um eine Bezeichnung Althussers at the Universidad Nacional Autónoma de México (UNAM). The group, which
wieder aufzugreifen, werden diese Workshops als praktische Kritik an ihren also included artists, was concerned in part with Marxist aesthetic theory.
eigenen Umständen und knappen Ressourcen betrieben. What were the main focus points of the group, and what kinds of motivations
contributed to its thematic orientation?

Das Interview führten Jens Kastner und Max Jorge Hinderer Cruz im August/ ALBERTO HÍJAR SERRANO  The Taller de Arte e Ideología arose out of the
September 2012 per E-Mail. Die Übersetzung des spanischen Originals ins necessity to extend and deepen the course on aesthetics at the philosophy
Deutsche, Ergänzungen in eckigen Klammern, alle erklärenden Fußnoten und department at the UNAM, and the necessity to come together after the violent
die Redaktion des Endtextes erfolgten durch die Autoren. repression of the Fuerzas de Liberación Nacional.2 This was motivated by
my arrest, torture, and conspiracy trial in February 1974. A strong mobilization
was necessary for the TAI to appear. Our orientation was grounded in Althusser’s
critique of a simplistic and dogmatic Marxism. Under the slogan “Reading Capital,”
we began an aesthetic application of the first chapter, for instance through my
intervention in the newly opened Sala de Arte Público, which the communist
painter David Alfaro Siqueiros 3 had bequeathed to the Mexican people.

1  The TAI was part of a movement of artists’ collectives, which has gone down in art history as
Los Grupos and which marked the field of Mexican art in the 1970s. Cf. for instance Alberto Híjar
Serrano (ed.), Frentes, Coaliciones y Talleres: Grupos visuales en México en el siglo XX, Mexico,
D.F., 2007: Coneja Nacional para la Culutra y las Artes; Kirsten Einfeldt, Moderne Kunst in
Mexiko. Raum, Material und nationale Identität, Bielefeld, 2010, pp. 297ff.; Jens Kastner,
“Praktiken der Diskrepanz. Die KünstlerInnenkollektive Los Grupos im Mexiko der 1970er Jahre
und ihre Angriffe auf die symbolische Ordnung,” in: Jens Kastner, Tom Waibel (Eds.), … mit Hilfe
der Zeichen | por medio de signos… Transnationalismus, soziale Bewegungen und kulturelle
Praktiken in Lateinamerika. Atención!, Jahrbuch des Österreichischen Lateinamerika-Instituts,
Vol. 13, Vienna/Münster, 2009, pp. 65–80; Víctor Muñoz, “‘Die Dinge konnten nicht so bleiben,
9 Talamontes sind Holzfäller, häufig mafiös organisiert, mit Kontakten zu lokalen Machthabern als wenn nichts passiert wäre.’ Kunstproduktion und soziale Bewegungen im Mexiko der 1970er
(Kaziken). Jahre. Ein Interview von Jens Kastner,” in: Das Argument, 293, Issue 4/2011, Vol. 53. pp. 515–522.
10  Die Bewegung „Yo Soy 132 – Für eine authentische Demokratie“ entstand im Mai 2012 im 2  The Fuerzas de Liberación Nacional (Armed Forces of National Liberation) was founded in
Rahmen des Präsidentschaftswahlkampfs. Der damalige Präsidentschaftskandidat – und jetzige 1969 as a clandestine guerilla group and was disbanded in 1981. It was the source, among
Präsident – der Institutionell Revolutionären Partei (PRI), Enrique Peña Nieto, hatte die Proteste others, for the Zapatista movement around the EZLN (Ejército Zapatista de Liberación Nacional,
bei einem seiner Wahlkampfauftritte an einer Privatuniversität als von bezahlten Provokateuren founded 1983), which came to international attention in 1994.
organisiert beschrieben. Daraufhin stellten 131 Studierende in einem YouTube-Video klar, 3  David Alfaro Siqueiros (1896–1974) was, along with Diego Rivera and José Clemente Orozco,
einfache Studenten zu sein. Im Netz und auf den Straßen Mexikos entstand anschließend eine one of the most influential artists in Mexican muralism and one of the most important leftist
Mobilisierung unter dem Motto „Ich bin 132“ (Yo Soy 132) – daher der Name der Bewegung. intellectuals in Mexico.

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INTERVIEW WITH ALBERTO HÍJAR SERRANO ON ART AND
IDEOLOGY CRITIQUE IN MEXICO AFTER 1968

MJHC & JK  The programmatic combination of art and ideology in the name philosophy on Foucault and Althusser, he used the title of an interview: “Philosophy
of the group—how was this conceived? How was ideology understood, and as a Weapon of the Revolution.” The theoretical practice that the academics
what was the relation of artistic practice to the notion of ideology critique? had refuted took on a strategic importance in this and other historical projects.

AHS  The main point of Althusserian critique is to refine the concept of MJHC & JK  To return to Los Grupos and to the work of the TAI: At the end of
ideology and therefore the problem of reproduction that allows us to recognize the 1970s, members of your group were significantly involved in establishing
the uses of signification as a construction of power. The anti-positivist definition the groups’ participation in the Frente Mexicano de Grupos Trabajadores de
of ideology and the ideological state apparatuses allows us to get beyond la Cultura. When this was dissolved at the beginning of the 1980s, the slogan
idealism and closer to a critique of the law of value. “Vincular, articular y fusionar en la lucha popular” [Linking, articulating, and
fusing into the popular struggle] became an important phrase for you and the
MJHC & JK  Louis Althusser’s theory of ideology seems to have been an TAI. Does that mean that a specific artistic and cultural political practice was
important reference point for your theoretical work. His texts were read and abandoned in favor of a general, socio-political practice oriented toward social
discussed; a student of Althusser’s, Pierre Macherey, was even translated by struggles? What strategic decision lay behind this?
your group into Spanish. How would you describe Althusser’s importance for
the Mexican left after 1968? AHS  The Frente Mexicano de Trabajadores de la Cultura dropped the allusion
In western Europe, Althusser’s thesis of ideological state apparatuses was to Los Grupos in its name to cut down on the number of words and to clarify
often criticized, above all for its structural determinism—this did not fit well the critique of the concept of the artist and of art as a means of working on
with the activism of artists groups and their emphasis on practice. Was there a the theoretical and practical project of the versatile and complex left. The motto
different kind of reception of Althusser in Mexico, or in Latin America in general, of TAI was created later, perhaps in the 1990s, in view of a Leninist
and if so, how and why? recommendation by the work in trade unions. It was similar to Che’s slogan as
Cuba’s Minister of Industry: “Quality is respect for the people,” which had
AHS  The young Althusserians who had subscribed to La Pensée4 founded a been taken up by the group Ojos de Lucha [Eyes of the Struggle], which had
series of publications, the Cuadernos del Achivo de Filosofía. This brought us been formed and developed during the founding of the Seamstresses Union
the hatred of the usual professors and bureaucrats, which was in turn met by after the earthquake of 1985. The TAI agreed because it had relationships to
mockery and sarcasm from the young students. Due to the demands made clandestine Sandinista comrades, which opened up the possibility of cultural
by the Comité de Lucha I became a professor of aesthetics at the department, work in the Sandinista revolution direction after Somoza fled in 1979. The Grupo
conforming to the contractually stipulated hours. In the 1970s, with the arrival Germinal, which consisted of graduates from the Escuela Nacional known as
of the theorists who had been exiled from South American dictatorships, I was La Esmeralda traveled around and worked with the beloved activist and
part of the self-administration in the Escuela de Arquitectura and later part outstanding North American artist Rini Templeton, and had the good fortune
of the co-administration of the Escuela Nacional de Antropología e Historia. to receive recognition from the Ministry of Education and Culture for the
Althusser’s influence was mostly academic and did not extend to the political literacy campaign. In the meantime, the Frente went to San Francisco and Los
left except through a handful of university journals. These publications rejected Angeles, and the other groups intervened on the streets and in the housing
the epistemological break, the distinction between a young and an old Marx, units. The TAI did logistical work for the FPL (Fuerzas Populares de Liberación)
and a scientism that in reality did not exist in Althusser. But the critique of in El Salvador and the ORPA (Organización del Pueblo en Armas) in Guatemala,
a naïve, routine Marxism and its derivations in party politics was formed, for while at the same time we were organizing exhibitions and acts of solidarity
example, by Rafael Guillen with his thesis on the academic apparatuses, with with Vietnam, Cuba, Nicaragua, El Salvador, and Chile as well as discussion
epigraphs from Althusser and Foucault and an apocryphal and burlesque citation workshops on theoretical problems in seminars. These resulted in final theses,
from Marx that sums up a text full of irony and sarcasm about trifles and the study programs, and the Escuela de Cultura Popular “Matires del 68” [School
industry of the spectacle. Today, Rafael Guillen is suspected of having been of Popular Culture “Martyrs of 68”], which began in the Sala de Arte Público
Subcomandante Insurgente Marcos. As an epigraph for his final thesis in Siqueiros. The school continues to this day.5

4  La Pensée: Revue du rationalisme moderne, Marxist journal, founded in Paris in 1939. 5  http://www.opcescuela.org/.

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INTERVIEW WITH ALBERTO HÍJAR SERRANO ON ART AND
IDEOLOGY CRITIQUE IN MEXICO AFTER 1968

MJHC & JK  The practices of Los Grupos were very diverse and also varied on, in your opinion, in the field of art in view of the ideological changes of the
according to their political aspirations. Some groups did what would today be last two decades?
called neighborhood work, and while other certainly criticized art institutions,
they did not abandon them. Looking back, how do you assess the work of the AHS  Since 1968 there has been no decline in the need for new representational
TAI in the context of this movement? strategies, a new graphics, and a new muralism, which would demand the
liberation of public spaces with respect to various interventions circulating
AHS  The title of an event that the TAI held at the colloquium “Rini Templeton” throughout Latin America—this has especially and concretely been reflected
when the EZLN revolt began was oriented toward cilivismo 6 and communitarianism from the streets of Argentina, this country with its exemplary critique of the
and summarized the influence of the TAI: “Theory, comrades, theory!” repressive state. The red fountains, the embroidery with the names and dates
Numerous leaflets, the short-lived paper Grito Rojo [Red Scream], collectively of the desaparecidos, with their reference inherited from Chilean activists
produced books with limited distribution, and no discussion whatsoever over against dictatorship, the profusion of documentary films, the use and abuse of
the course of ten years had left the TAI debilitated, and it was finally replaced social networks, and the rural organizations for defending the forests, the water
by the Taller de Construcción del Socialismo [TACOSO, a workshop on sources, and the environment, accompanied by caravans and acts against
establishing socialism],7 which published brochures for the Mexican Electrical rampant state violence, which is associated with and subordinated to the
Workers Union before it was destroyed by Felipe Calderón’s 8 government, all Yankee security plans for (Latin) America. The TACOSO is fighting in defense
of this attests to the influence of the TAI. of the cooperative El Ocotenco de Zacacuautla, a community of 1400
inhabitants on the highland border between [the Mexican states] Hildalgo and
MJHC & JK  To bring things up to the present: the political and cultural Puebla, which have been invaded by Talamonte 9 leaders with the support of
strategies of Los Grupos took place against a backdrop of state control—both the government of Hidalgo. Workshops have been founded for print propaganda,
in relation to the field of art as well as to everyday life as a whole—which is needlework, and to organize statements by witnesses. And we have begun
hard to imagine today. Hasn’t the triumph of neoliberalism as an economization work on a community museum. The critical and organizational orientation of
of the social also meant that state centered ideology theory has lost its the workshops is opposed to vulgar anarchism, which is resistant to any form
explanatory power? of organization. For instance, we are involved in the Taller Integral [integral
workshop] of the collective Voz Nomada from the movement Yo Soy 132 10
AHS  We are currently having to endure a false left, pragmatic and opportunistic, —a movement based on interuniversity assembly, and which includes the
which is against theoretical reflection. Critical philosophy still counts on participation of various organizations. To follow up on a statement of Althusser’s,
Althusser’s contributions and on new polemics by academics: Toni Negri and these workshops function as a practical critique of their own circumstances and
Michael Hardt, and others who have not yet got much attention, such as Samir limited resources.
Amin. In this critical thinking, there are the contributions of Foucault on the
microphysics of power, of Deleuze and Guattari on deconstruction, of Ginzburg The interview was conducted by Jens Kastner and Max Jorge Hinderer Cruz in
on historical critique, as well as the so-called classics of political economy August/September 2012 by e-mail. German translation of the Spanish original
and revolutionary practice, including Che Guevara. Admittedly, this is very little text, additions in brackets, all explanatory footnotes, and final editing of the
in comparison with the rise of the vulgar postmodernism that predominates in text was done by the authors. The English translation was done from this final
the state apparatuses, including the universities. German version, in consultation with the original e-mails.

MJHC & JK  We would like to end with two questions related to the institutions 9  Talamontes are loggers, often organized in a mafia-like structure, with contacts to local
of art and contemporary art in general. How was the political upheaval of leaders (caziques).
10  The movement “Yo Soy 132—For an Authentic Democracy” emerged in May 2012 in the
1989/91 reflected in the political art of Mexico? What tasks should be taken context of the presidential election. The candidate—and now reigning president—from the
Institutional Revolutionary Party (PRI), Enrique Peña Nieto, claimed that protesters at one of his
6  Civilismo refers to a stance of solidarity in civil society, organized through citizens’ initiatives. election appearances at a private university were paid provocateurs. In response, 131 protesters
7  http://www.tacoso.org/. proved that they were just students in a YouTube video by showing their student IDs. This
8  Felipe Calderón, of the conservative National Action Party (PAN), was president of Mexico unleashed a mobilization in the internet and on the streets of Mexico under the slogan “I am 132”
from 2006 to 2012. (Yo Soy 132), from which the movement gets its name.

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IDEOLOGIE UND SUBJEKTIVIERUNG


Es war vor allem Louis Althusser, der die marxistische Ideologietheorie
auf die Frage des Subjekts hin geöffnet hat, oder genauer gesagt: auf die
Frage der Subjektivierung hin. Während der Subjektbegriff von mehr oder
weniger festgefügten Entitäten ausgeht, betont der Begriff der Subjekti-
vierung von Anfang an jenes durchaus kämpferische Geschehen, in dem
Subjekthaftigkeit produziert und verändert wird. Wie Marx geht Althusser
in seinem Aufsatz Ideologie und ideologische Staatsapparate davon aus,
dass jede herrschende Klasse mit der (kapitalistischen) Produktion auch
für die Reproduktion der Produktionsbedingungen kämpfen muss. Althusser
nennt das den „bürgerlichen Klassenkampf“.¹ Zu dieser Reproduktion
gehört auch die Herstellung von Subjekten, die für die Einwirkungen ideolo-
gischer Staatsapparate wie Schule, Familie, Religion, Recht etc. empfäng-
lich sind und – umgekehrt – mit ihrer Empfänglichkeit die jeweils vorherr-
schenden ideologischen Staatsapparate bestätigen, so dass für den
Fortbestand der bestehenden Verhältnisse gesorgt ist. Die Produktion
von Subjektivität geschieht Althusser zufolge durch Anrufung. Er demons-
triert sie an einer berühmt gewordenen Straßenszene: Ein Polizist ruft „He,
Sie da!“, woraufhin sich jemand angesprochen fühlt und sich umdreht.
Althusser zufolge ist damit im Grunde das Entscheidende zur Subjekt-
werdung gesagt: „Durch diese einfache physische Wendung um 180 Grad
wird es [das angerufene Individuum, Anm. RS] zum Subjekt.“ ²
Judith Butler hat später hervorgehoben, was durch die Konzentration der
Althusser-Rezeption auf die erwähnte Straßenszene in Vergessenheit
geriet: nämlich die Notwendigkeit von wiederholten Anrufungen, von Ritualen
und Praktiken der Anrufung sowie ihrer Beantwortung. Althusser selbst
betont die Rolle von Ritualen im Sinn von (körperlichen) Wiederholungs-
praktiken, die von Pierre Bourdieu später als „Habitus“ bezeichnet wurden,
jedoch unzweifelhaft deutlich. So sehr Butler Althussers These über die
Herstellung von Subjektivität in Praktiken der Wiederholung unterstreicht
und insbesondere in Bezug auf die Produktion von Geschlechtsidentität
weiterentwickelt, so sehr kritisiert sie Althussers Glaube an das einfache
Funktionieren der Anrufung. Genauer gesagt wirft sie Althusser ein
autoritäres, ja autoritätshöriges Verständnis der ideologischen Staatsap-
parate vor: „a theological fantasy of the law“.³ Dieser Fantasie zufolge
müssen VertreterInnen eines ideologischen Apparats gewissermaßen
nur kurz mit dem Finger schnippen oder eben anrufen, und schon steht ein
fertig unterworfenes Subjekt auf der Straße. Butler hingegen fragt nach
Möglichkeiten des Scheiterns der anrufenden Subjektivierung; danach,

168 169
IDEOLOGIE UND SUBJEKTIVIERUNG

   
ob es Fälle gibt, in denen angerufene Subjekte sich nicht oder nur halb Sicherheitsapparaten bewacht werden, die noch vor wenigen Jahren als
umdrehen. Denn davon hängt ab, ob in Subjektivierungsprozessen auch Militäreinsatz abgelehnt worden wären. Andererseits besteht auch die
widerständiges Verhalten möglich ist, was beinhalten würde, dass man Möglichkeit, im Innewerden und Reflektieren des Mitwirkens am – durch-
kein selbst-identisches Subjekt wäre. Wesen, die sich in Anrufungssituationen aus auch affektiven – Regiert-Werden die Fremdregierung zurückzuweisen.
nur halb umdrehen, wären schwächer als jene, die in der zugerufenen Dabei geht es nicht nur um kleine Verschiebungen, darum, nur ein wenig
Rolle ganz aufgehen, aber stärker insofern, als nur halb unterworfene anders regiert zu werden, wie Foucault manchmal vorgeworfen wurde.
Subjekte Terrain zur selbstbestimmteren Gestaltung ihrer selbst gewonnen Insbesondere unter dem Stichwort parrhesia 6 (griech. für vorbehaltloses,
haben. Ohne Butler zu nennen, knüpft Jacques Rancière hier an, indem mutiges Sprechen) hat Foucault in seinen letzten Vorlesungen grundsätz-
er einen gewissermaßen normativen Begriff der politischen Subjektivierung lichen Protest untersucht und propagiert. Die Frage, ob und wie die Unter-
entwickelt. Nur jene Wesen, denen es gelingt, einen herrschaftsförmigen stützung durch Gruppen oder Kollektive die Anstrengung zur emanzipato-
gesellschaftlichen Konsens zu durchbrechen, entfalten einen Prozess der rischen Subjektwerdung vorantreiben könne, bleibt dabei unterbelichtet.
politischen Subjektivierung. (Althusser’sche) Wesen hingegen, die sich auf Vieles spricht beim späten Foucault dafür, dass man zur Selbstregierung
die Anrufung hin anerkennend umdrehen, wären demnach keine Subjekte.4 nicht von einer schon emanzipierten Avantgarde geführt werden kann,
Pierre Macherey hat gegen die Betonung des widerständigen Subjekts sondern Verhältnisse kreieren müsse, in denen es keine VordenkerInnen
bei Butler Zweifel geäußert. Man werde Butlers berechtigtem Anliegen gibt und Beliebige sich emanzipieren können. In Richtung einer solchen
einer Entmystifizierung allmächtiger Staatsapparate durch die Betonung Foucault-Lektüre denken z. B. Christina Hendricks und Michael Hardt, sofern
von Subjekten, die durch die Anerkennung ihrer Schwächen stark werden, sie Foucaults Überlegungen zur parrhesia als Anlass nehmen, das emanzi-
nicht gerecht. Damit würde die Fixierung auf die Autorität von Staats- patorische Potenzial von Intellektuellen und anderen VordenkerInnen kritisch
apparaten lediglich durch eine Fixierung auf widerständige Schichten im zu beleuchten. 7
Subjekt ersetzt. Macherey hält dagegen, dass man Althussers und Butlers
Anliegen am ehesten gerecht wird, wenn man von einem Prozess ausgeht, Ruth Sonderegger
in dem die Subjekte gleichzeitig mit den ideologischen Apparaten ent-
stehen, ohne dass die Macht von einer Seite eindeutig ausginge. Diesen 1 Louis Althusser, Ideologie und ideologische Staatsapparate, 1. Halb-
Prozess solle man mit Marx als das Ensemble der zentrumslosen gesell- band, Hamburg 2010, S. 121f.
2 Ebd., S. 88.
schaftlichen Verhältnisse denken, d. h. als einen „unstable complex of 3 Judith Butler, „,Conscience Doth Make Subjects of Us All.‘ Althusser’s
antagonistic forces, in the plural, whose conflicts, at each instant, make, Subjection“, in: dies., The Psychic Life of Power. Theories in Subjection,
unmake, and remake that which is nothing but a precarious resultant“.5 Er Stanford/CA 1997, S. 106–131, S. 130.
4 Jacques Rancière, Das Unvernehmen, Frankfurt a. M. 2002.
schlägt vor, hier mit Michel Foucault weiterzudenken. 5 Pierre Macherey, „Judith Butler and the Althusserian Theory of
Mir scheint, dass dafür jener Foucault am besten geeignet ist, der unter Subjection“, in: Décalages, Bd. 1, Nr. 2, Artikel 13, 2012, S. 13,
dem Stichwort „Gouvernementalität“ den Zusammenhang zwischen Pro- http://scholar.oxy.edu/cgi/viewcontent.cgi?article=1031&context=
decalages [Februar 2013].
zessen der Selbst- und Fremdregierung untersucht, d. h. jener Foucault, 6 Michel Foucault, Die Regierung des Selbst und der Anderen.
der sich nicht mehr nur für die unterwerfende Subjektivierung interes- Vorlesung am Collège de France (1982/83), Frankfurt a. M. 2009;
siert, die er als assujettissement bezeichnet hatte. Der Zusammenhang ders., Der Mut zur Wahrheit. Vorlesung am Collège de France
(1983/84), Frankfurt a. M. 2010.
zwischen Selbst- und Fremdregierung ist nicht von Anfang an von einer 7 Vgl. Christina Hendricks, „Prophecy and Parrēsia: Foucauldian
der beiden Seiten her determiniert. Einerseits gibt es Verhältnisse, in denen Critique and the Political Role of Intellectuals“, in: Karin de Boer und
die Subjekte – scheinbar von selbst – ausführen, was die Apparate der Ruth Sonderegger, Conceptions of Critique in Modern and Contem-
porary Philosophy, New York 2012, S. 212–230; Michael Hardt,
Herrschaft ihnen gar nicht mehr zurufen müssen: Etwa, wenn bürgerliche „The Militancy of Theory“, in: The South Atlantic Quarterly, Nr. 110/1,
EuropäerInnen sich heute nur dann sicher fühlen, wenn ihre Grenzen von Winter 2011, S. 19–35.

170 171
IDEOLOGY AND SUBJECTIVATION

   
It was most notably Louis Althusser who expanded Marxian ideology viability or impossibility of disobedience within processes of subjectivation,
theory in response to the question of the subject, or more precisely, in implying the potential for a non-self-identical subject. Beings who in
response to the question of subjection. Whereas the concept of the subject interpellative situations turn around only halfway would be weaker than
derives from more or less firmly established entities, the concept of subjection those who are fully realized in their interpellated role; but they would also
emphasizes, from the outset, the thoroughly contentious process in which be stronger, because merely half-subjected subjects are apt to gain ground
subjectness is produced and modified. In his essay Ideology and Ideological for a more autonomous formation of the self. Without naming Butler,
State Apparatuses, Althusser presupposes, like Marx, that every ruling Rancière takes up this discussion by developing a somewhat normative
class must struggle, by means of (capitalistic) production, for the reproduction concept of political subjectivation: Only the being who manages to breach
of the conditions of production. Althusser calls this the “class struggle dominating societal consensus can unfurl a process of political subjectivation.
conducted by the bourgeoisie.” ¹ Such reproduction involves the production Accordingly, no (Althusserian) being who turns around in acknowledgement
of subjects who are amenable to the influence of ideological state of interpellation would constitute a subject.4
apparatuses such as school, family, religion, law, and so forth, and whose Pierre Macherey expressed skepticism about Butler’s emphasis on the
amenability reciprocally affirms prevailing ideological state apparatuses disobedient subject. No one could possibly fulfill Butler’s valid objective
so as to ensure the continuity of the established order. The production of of demystifying all-powerful state apparatuses by giving preeminence
subjectivity occurs, according to Althusser, through interpellation, or to subjects who become strong thanks to the recognition of their
hailing. He demonstrates this in his famous street scene: a police officer weaknesses; this would entail a mere replacement of the fixation on the
shouts “Hey, you there!” whereupon someone feels addressed and turns authority of state apparatuses with a fixation on disobedient strata within
around. This, Althusser asserts, exemplifies the determining aspect of the subject. On the contrary, Macherey holds that one would rather most
subjection: “By this mere one-hundred-and-eighty-degree physical conversion, likely fulfill Althusser’s and Butler’s objectives were one to shift the point
[the hailed individual ] becomes a subject.” ² of departure toward a process in which subjects develop simultaneous to the
Judith Butler later highlighted a facet of interpellation which had faded development of ideological apparatuses, without a one-sided distribution
into obscurity thanks to the fact that the reception of Althusserian thought of power. With Marx, one should conceive this process as the ensemble
focused on the street scene example, namely, the necessity of repeated of decentralized social relations, or, in other words, as an “unstable complex
interpellations, of rituals and practices of interpellation and response. of antagonistic forces, in the plural, whose conflicts, at each instant, make,
Althusser, however, clearly and undoubtedly stresses the role of rituals in unmake, and remake that which is nothing but a precarious resultant.” 5
terms of ( bodily) practices of repetition, which Pierre Bourdieu later Macherey proposes thinking this idea further by way of Michel Foucault.
described as “habitus.” As strongly as Butler underscores and expands  Such a line of thought, in my opinion, would be best served by the Foucault
—especially in relation to the production of gender identity—Althusser’s who examines, under the heading “governmentality,” the correlation between
thesis on the production of subjectivity via practices of repetition, she also processes of self-government and the government of others; i. e., the Foucault
emphatically criticizes Althusser’s belief in the simplicity of the interpellative whose interest is no longer limited to subjectivation qua subjugation, which
function. More precisely, she accuses Althusser of an authoritarian, he described as assujettissement. The correlation between self-
indeed authority-compliant conception of ideological state apparatuses: government and the government of others is not determined ab initio by
“a theological fantasy of the law.” ³ According to this fantasy, agents of an only one of these two poles. On the one hand, there exist circumstances
ideological apparatus need only snap their fingers once or simply call in which the subject—with seeming autonomy—obeys imperatives that
out, and a completely subjugated subject will appear on the street. By authority need not even call on them to obey: when, for instance, middle-
contrast, Butler inquires into the possibility of failure on the part of the class Europeans require that their borders be patrolled by security forces
interpellating subjectivation; she asks whether cases exist where hailed in order to lend them a feeling of safety, a deployment which only a few
subjects do not turn around, or turn only halfway. For herein lies the relative years ago would have been rejected as military intervention. On the other

172 173
IDEOLOGY AND SUBJECTIVATION

   
hand, there remains the possibility to repudiate the government of others
by becoming aware of, and reflecting upon, our own complicity in—
thoroughly affective—processes of being governed. This is no matter of
minor displacements, or of merely a slightly different sort of being-
governed, of which Foucault was sometimes accused. Focusing on the
concept of parrhesia 6 (Greek, meaning “bold, courageous speech”),
Foucault examined and propagated fundamental protest in his last
lectures. Yet, the question as to if and how group or collective support
can advance efforts at emancipatory subject-formation remains rather
1 Louis Althusser, “Ideology and Ideological State Apparatuses,” in:
unclear. However, much of Foucault’s later thought suggests that self-
Lenin and Philosophy, and Other Essays, trans. by Ben Brewster,
government cannot be taught by an already-emancipated avant-garde, London, 1971, pp. 127–188, http://www.rlwclarke.net/courses/
that it depends, rather, on conditions and relations in which no mentors LITS3304/2010-2011/07Althusser,IdeologyandIdeologicalStateAppar
or masterminds exist, i. e. on contexts in which anyone can emancipate atuses.pdf, p. 2 (accessed March 2013).
2 Ibid. p. 6 (accessed March 2013).
themself. Such a perspective on Foucault is taken up by, amongst others,
3 Judith Butler, “‘Conscience Doth Make Subjects of Us All’:
Christina Hendricks and Michael Hardt inasmuch as they use Foucault’s Althusser’s Subjection,” in: The Psychic Life of Power: Theories in
reflections on parrhesia as an opportunity to critically examine the Subjection, Stanford/CA, 1997, pp. 106–31, p. 130.
emancipatory potential of intellectuals and other leaders in thought. 7 4 Jacques Rancière, Disagreement: Politics and Philosophy,
Minneapolis, 1998.
5 Pierre Macherey, “Judith Butler and the Althusserian Theory of
Ruth Sonderegger Subjection,” in: Décalages, Vol. 1, No. 2, Article 13, 2012, p. 13,
http://scholar.oxy.edu/cgi/viewcontent.cgi?article=1031&context=
decalages (accessed February 2013).
6 Michel Foucault, The Government of Self and Others: Lectures at the
College de France, 1982–1983 and The Courage of Truth: The
Government of Self and Others II, Lectures at the College de France,
1982–1983, trans. by Graham Burchell, London, 2011.
7 Cf. Christina Hendricks, “Prophecy and Parrēsia: Foucauldian
Critique and the Political Role of Intellectuals,” in: Karin de Boer
and Ruth Sonderegger, Conceptions of Critique in Modern and
Contemporary Philosophy, New York, 2012, pp. 212–30; Michael
Hardt, “The Militancy of Theory,” in: The South Atlantic Quarterly,
No. 110/1, Winter 2011, pp. 19–35.

174 175
II

ZEITDIAGNOSEN

DIAGNOSES OF OUR TIMES


DAS JAHRZEHNT OHNE
IDEOLOGIEKRITIK
Diedrich Diederichsen

Das Jahrzehnt ohne Ideologiekritik – wann war das? Ich meine die letzten zehn
Jahre: die Zeit, als die Ideologiekritik ohne großen Widerspruch bei Harald
Schmidt gelandet war und dadurch gekennzeichnet, dass der berühmte
„oppositional code“ Stuart Halls, von dem Jan Rehmann spricht, nicht mehr
einen Einspruch oder Widerstand gegen Ideologie darstellt, sondern dessen
zentrales Interface. Indem ich mit einer Ideologie nicht einverstanden bin,
innerlich auf Distanz gehe, Sarkasmus und kognitive Dissonanz hochfahre,
erkläre ich und – vor allem – installiere ich mein Einverständnis. Die Ideologie
des Neoliberalismus war keine, an die irgendjemand geglaubt hat, sondern die
wirkmächtig wurde, indem niemand an sie glaubte, aber dem eigenen Nicht-
glauben keine besondere Bedeutung zumaß. Das Jahrzehnt ohne Ideologie-
kritik, um der Frage nach seiner materiellen Grundlage eine Begründung
nachzureichen, war das Jahrzehnt, in dem die die Ideologiekritik tragende Klasse,
die akademische Mittelschicht, einerseits ihren Einfluss und ihre Sicherheiten
in den Demokratien des Westens schwinden sah, andererseits erlebte, wie die
Trennung von Kopf und Kopfarbeit eingeführt wurde. Maximale Aufgeklärtheit
hatte paradoxerweise einen quietistischen Effekt: sie sedierte. Ich möchte
von diesem Jahrzehnt erst gegen Ende des Vortrags wieder sprechen. Zuvor
möchte ich mich über zwei andere Zeitzonen äußern: die späten 1970er,
frühen 80er Jahre, als Ideologiekritik als soziale Praxis gültig installiert war,
und von den 90er Jahren, als sie sich, unter dem Einfluss des Poststruktura-
lismus, aber auch anderen gesellschaftlichen Strömungen veränderte.

Generell hat Ideologiekritik zwei Grundlagen: zum einen ihren Gegenstand, der
aus materiellen und historischen Fakten und deren Wirkungen besteht 
– wobei ich die harten Fakten nicht auf die ökonomischen beschränkt sehen
will –, aber auch aus den vielfältigen kulturellen Wirkungen dieser Fakten, die
ihrerseits längst selbst ökonomische Basis anderer Wirkungen geworden sind;
zum anderen aber gibt es die Verhältnisse in der Mikrowelt, in der mehr oder
weniger berufsmäßig Ideologiekritik betrieben wird; das sind die Universitäten,
das Gebiet der Künste und der offiziellen Kultur und das der Gegenkulturen. In
den 1970er Jahren öffneten sich die Universitäten des europäischen Westens
großen Massen bisher zum Studium nicht zugelassenen Teilen der Gesellschaft.

179
DAS JAHRZEHNT OHNE IDEOLOGIEKRITIK

In den 1980er und 90er Jahren gab es vor allem an britischen und amerika- und im Vergleich mit Coming Home von Hal Ashby mit Jane Fonda, Jon Voight
nischen Universitäten zum ersten Mal eine größere Anzahl nicht weißer Studie- und Bruce Dern wurde er unter der Annahme diskutiert, es handle sich um
render, die dank verschiedener, von der Bürgerrechtsbewegung erkämpfter eine Aufarbeitung des amerikanischen Vietnam-Traumas. Diese Diskussion
Maßnahmen an Hochschulen auch Geisteswissenschaften studierten, außer- bestimmte auch das Vorfeld der kurz nach der Berlinale anstehenden Oscar-
dem waren weibliche Studierende in anderer Weise und anderen Konstella- Verleihung. Dabei dominierte eine ideologiekritische Lektüre des Films
tionen präsent geworden. Zugleich gab es aber in derselben Zeit neue Formen The Deer Hunter, die bei diesem rassistische und imperialistische Positionen
von Rassismus und einen ersten antifeministischen Backlash. Dies sind die erkennen wollte. Die vietnamesischen Charaktere würden als inhumane, folternde
Konstellationen der ersten beiden Stadien, von denen ich sprechen werde. In „grüne Teufel“ dämonisiert, während die amerikanischen Soldaten, die Namen
der dritten Phase scheint es, als gäbe es keine Ideologie mehr, an die und Persönlichkeit hätten, zur Empathie einluden. Umgekehrt sei Hal Ashbys
geglaubt wird, wenngleich die grundlegende Neuerung eintrat, dass Ideologie Drama über die Rückkehr eines Vietnamveteranen und eine Frau, deren Liebe
sich dadurch verbreitet, indem sie nicht geglaubt wird. Auch das stimmt nicht zwischen diesem und einem anderen, an den Rollstuhl gefesselten Kriegs-
total: Zynische Aufgeklärtheit hat ein supplementäres Pendant in einem nicht heimkehrer schwankt, eine sensible Auseinandersetzung mit einem nationalen
mehr überprüften, tief geglaubten Glauben – und das sind im letzten Jahrzehnt: Trauma, allegorisch aufgezogen an den geschundenen Seelen und den
Antisemitismus und Islamophobie. zerstörten Körpern von Einzelnen. Geschichte im Spiegel einzelner Schicksale und
komplexer Psychologien galt als unideologisch, man konnte das sogar mit
I Lukács’ Romantheorie rechtfertigen. Mein Verdacht gegen die linken und
Ich möchte Ideologiekritik als eine soziale Tatsache einführen, mit der ich aufge- liberalen Gegner von The Deer Hunter war, dass sie nicht damit einverstanden
wachsen bin. Ihre theoretische Begründung und der diskurspolitische Kampf waren, dass das Soldatenschicksal als Klassenschicksal erzählt wurde, dass
um ihre Durchsetzung hatten bereits stattgefunden. Auffällig an dieser sozialen es ihnen weniger um die Würde der Vietnamesen als die des leidgeprüften,
Tatsache „Ideologiekritik“, die ich in den Geisteswissenschaften der mittleren aber freien Subjekts ging. Die Delegation der Sowjetunion hatte unter Protest
1970er Jahre kennenlernen sollte, war auch, dass die diskutierenden Subjekte gegen die Darstellung der nordvietnamesischen Kämpfer die Berlinale verlassen,
gegenüber Kunstwerken stets eine gnadenlosere und unbedingtere Position Coming Home hatte die relevanten Oscars gewonnen.
einnahmen als in ihrer sonstigen politischen Arbeit. Kunstwerke standen Entscheidend für die Diskussion und ihre ideologiekritische Komponente war
für Fallhöhe: Sie hatten die existenzielle Dimension, die man in der Kritik der aber die vorherrschende Annahme, Hollywood handle als eine Art Großsubjekt
Verhältnisse nicht realisieren konnte. Kapitalistischer Warenfetisch und der Öffentlichkeit. Es beschließe, was in der sogenannten freien Welt gedacht
Tauschwertdominanz waren tote externe Bedingungen, die in der Distanz des werden soll. Wenn das US-amerikanische Kino nun zwei Filme mit angeblich
Apriori schlummern durften – sie waren unberührbar, weil eh klar. gegensätzlichen Aussagen herausbringt, dann hat der jeweils neuere, unge-
Die soziale Tatsache Ideologiekritik war zwar zunächst eine Übung innerhalb wöhnlichere den Trend auf seiner Seite und indiziert damit die neue Initiative
der Kulturen der Linken und der aufkommenden neuen sozialen Bewegung. Hollywoods, während der eingeführte ältere nur auf den Rückzug und den Verlust
Interessanterweise gab es die Figur der Ideologiekritik damals auch von von Hegemonie der anderen Position verweise. Mich hat damals der Auto-
rechts; als eine Rhetorik, die falsches Bewusstsein offenlegen wollte, falsches matismus dieser Ideologiekritik herausgefordert, mit dem feststand, dass
Bewusstsein, das, nach linkem Vorbild gedacht, materielle Ursachen haben erstens der ästhetisch eher nicht konforme Deer Hunter einem anderen, neuen
sollte – linke Sub- und Gegenkulturen wurden etwa als Symptome desjenigen reaktionären Hollywood zugeordnet wurde, einem Großtrend des aufkommenden
falschen Bewusstseins denunziert, das durch unverdienten Wohlstand Reaganismus, der großen kulturellen Rechtswende zu Beginn der 1980er Jahre 
entstand. „Die sollen erstmal arbeiten“, war der zentrale Einwand gegen Linke – konnte er nicht stattdessen ein Ausnahmeprodukt, einem Regisseur oder
und Gegenkulturen – wenn das nicht rechter Materialismus war! einem Studio unterlaufen, sein, war das Autorenkino des New Hollywood,
Meinen ersten veröffentlichten Text schrieb ich gegen Ideologiekritik.1 Auf den dessen Highlights man gerade erlebte, nicht mehr so ohne weiteres in das Schema
Berliner Filmfestspielen des Jahres 1979 wurde der Film The Deer Hunter (Die einer gezielt ideologisch handelnden Bewusstseinsindustrie einzu-ordnen?
durch die Hölle gehen) von Michael Cimino mit unter anderem Christopher Und wie sollte ein gut gemeinter sozialdemokratischer Problemfilm wie Coming
Walken, John Savage, Robert De Niro und Meryl Streep gezeigt. Gemeinsam Home das Maximum an Traumaverarbeitung und politischer Kritik darstellen?

1  Diedrich Diederichsen, „Der Oscar und die grünen Teufel“, in: Sounds, 4/79, S. 18–19.

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DAS JAHRZEHNT OHNE IDEOLOGIEKRITIK

Ich wollte natürlich auch keine rechte Position einnehmen, einen tatsächlich glauben, in der keine Affekte und Brüche von der diskursiv unerreichbaren
neuen amerikanischen Patriotismus vorbereitenden Film gegen einen wenigstens Unerträglichkeit sozialer Verhältnisse künden. Es ist eine Position, die sich
sozialdemokratischen verteidigen – denn es spricht auch tatsächlich manches gegen die latente Subtraktionsthese der Ideologiekritik wehrt, dass man nur
dafür, The Deer Hunter so zu lesen. Ich wollte einen Punkt außerhalb der das falsche Bewusstsein aus den Gehirnen und Vorstellungen abziehen müsse,
Ideologiekritik finden und zugleich zeigen, dass von diesem Punkt aus auch und schon werde sich, nachdem der so geklärte Nebel verzogen sei, ein
das Geschäft der Ideologiekritik von seinen Automatismen befreit werden richtiges Bewusstsein einstellen. Sie ist andererseits aber auch eine starke
könnte. Natürlich hätte ich das mit 22 so nicht sagen können, dies war eher ästhetische Position, denn sie glaubt an die Schocks und Diskontinuitäten in
eine Intuition, deswegen bediente ich mich bestimmter Vorlagen. Meine Vorbilder Deer Hunter als Antwort einer Welt aus Demütigung und Begehren, deren von
waren einige Texte des frühen Peter Handke aus Ich bin ein Bewohner des materiellen Verhältnissen verursachte Gewalt von der dominanten Ideologie-
Elfenbeinturms 2 und vor allem einige Essays der Filmkritikerin Frieda Grafe, kritik in ihrer narrationsfixierten Deutung der Kulturindustrie und der Ideologie-
insbesondere der Text „Ein linker Film für Axel Springer“,3 in dem sie exempla- produktion als lediglich falscher Inhalt verkannt wird. Eine verbreitete Idee der
risch die Matrix der damaligen Ideologiekritik offenlegte und eine Umkehrung Zeit um 1980 war, dass nicht die falsche Deutung der Wirklichkeit das Objekt
vorschlug. Am Beispiel des von der Spät-’68er-Linke geliebten Films Z von von Kritik sein müsse, sondern Sinn überhaupt.4 Bis zu einem gewissen Grad
Costa-Gavras und des vermeintlich rechten Kalten-Kriegs-Thrillers Topas von wäre eine solche Zuspitzung mit poststrukturalistischen Spielarten von
Alfred Hitchcock konnte Grafe zeigen, dass der künstlerisch schlichte Ideologiekritik vielleicht zu haben gewesen, aber nicht in der in der Kritik der
Costa-Gavras-Film zwar ein Szenario entwickelte, in dem die Linken die Guten Künste aktiven und hegemonialen Spielart, auch nicht in der populären oder
und die Rechten die Bösen waren, darüber hinaus aber von überaus konventi- auch der dissidenten Kultur.
onellen Charakterologien ausging, eben Guten und Bösen, so das Politische In den berühmten Russisches-Roulette-Szenen von The Deer Hunter herrsche
als eine Domäne männlich souverän handelnder eindimensionaler Figuren hingegen eine namenlose Gewalt, die das wutverzerrte, erregte Gesicht der
fasste, das ganz extern konstruiert war – und damit genau der als Natur Vietnamesen, die dem Amerikaner die Pistolen vorhalten, ebenso entstellen
markierten Konvention zuarbeitete, die das rechte Weltbild des Axel-Springer- wie die Züge des todessüchtigen ehemaligen GIs, den Christopher Walken dar-
Verlags ausmacht. Hitchcock ergriff dagegen, oberflächlich betrachtet, zwar für stellt. Dies war ein wichtiger Aspekt der damaligen Zweifel an Ideologiekritik,
die westliche Seite im Kalten Krieg Partei, entzog darüber hinaus aber jeder nicht nur ein Einwand gegen ideologiekritische Kunst oder den ideologiekritischen
psychologischen Konvention den Boden und arbeitete stets die private Seite Umgang mit Kunst, es war auch ein Einwand, der nun Bilder, Geräusche, Lärm,
der politischen Position und die politische des scheinbar rein privat Ge- aber auch Fetische und Gewalt über Worte und Diskurse stellen und das
schmacklichen heraus – in den Liebes- und Agentenverwicklungen zwischen Primat der Narration und der Figurenzeichnung angreifen wollte. Ein Begriff
Russen, Kubanerinnen, Afroamerikanern, Französinnen, Briten und Dänen. machte damals die Runde: das Wort von der „Vernunftkritik“. Die Vernunftkritik
Ich machte mir dieses Beispiel zunutze: The Deer Hunter sei nur oberflächlich konnte damals noch eine ästhetische und eine radikale Position zusammen-
betrachtet ein patriotisch proamerikanischer Film, der, indem er die Perspektive bringen. Sie vereinte auch die unterschiedlichen nihilistischen, linksradikal-
des Nichtverstehens von proletarischen, durch unbegriffene Tradition in den anarchistischen und ästhetizistischen Motive unter einem einstweilen tragfä-
Krieg gezwungenen Arbeiterkindern einnimmt, eine prekäre und unstabile und higen Dach aus Poststrukturalismus samt Bataille- und Artaud-Wiederentdeckung.
darum subversive Position entwickelt, während Coming Home nur tautolo- Diese Kritik der Ideologiekritik, die schließlich in dieser Formel der Vernunft-
gisch die Annahmen seiner Mittelschichtspsychologie lahmarschig bestätigt. kritik aufging und Verlagsgründungen und Zeitschriftenprojekte vom Konkurs-
Um 1980 ist die Position, die sich wie meine außerhalb der Ideologiekritik buch bis zum Neuen Loten Folum, von Merve bis Matthes & Seitz befeuerte,
ansiedeln will, bereits überdeterminiert; das machte wohl auch für mich ihren verstand sich für eine gewisse Zeit und bei gewissen Leuten als eine Überbietung
Reiz aus. Sie ist einerseits eine radikale Position. Sie lässt sich nichts von den von Ideologiekritik, als deren Steigerung und angemessene Verbesserung,
Sozialdemokraten erzählen, die in einer Welt kommunikativ aushandeln zu können irgendwann und/oder auch bei anderen Leuten verstand sie sich als Avant-
garde eines in die entgegengesetzte Richtung zielenden Stoßes.
2  Peter Handke, „Horvath und Brecht“ und „Ein Beispiel für die Verwendungsweise grammati-
scher Modelle“, in: ders., Ich bin ein Bewohner des Elfenbeinturms, Frankfurt a. M. 1972, S. 63f.
und S. 78–82.
3  Frieda Grafe, „Ein linker Film für Axel Springer – Z von Costa-Gavras“ und „Kalter-Kriegs- 4  Die „Diktatur des SINNS zersprengen“ und das „Delirium in die Ordnung der Kommunikation
Film  – Topaz von Alfred Hitchcock“, in: dies., Enno Patalas, Im Off, München 1974, S. 147–156. einführen“ wollte etwa das Kollektiv A/Traverso vom berühmten autonomen Radio Alice.

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DAS JAHRZEHNT OHNE IDEOLOGIEKRITIK

II aber daran gescheitert, dass die historisch zur Verfügung stehenden politi-
Fast forward um zehn Jahre ins Jahr 1990. Schalten wir nun in die Epoche, in schen Subjekte – Arbeiterklasse und antikoloniale Befreiungsbewegungen – 
der Ideologiekritik erfolgreich ersetzt werden konnte. Vertiefen wir nicht die für das Publikum der Ideologiekritik nicht offen standen bzw. nur in Ausnah-
Frage, ob Vernunftkritik und Punk-Nihilismus im Laufe der 1980er Jahre mefällen.6 Das war um 1990 nicht nur deswegen anders, weil sich die demo-
unmittelbar zu den Beständen einer neuen kulturellen Rechten beitrugen, grafische Situation in Akademia geändert hatte: Die Debatten um AIDS und
die man ab 1990 immer häufiger auch als offen politische Rechte beobachten Homophobie, ein neuer Feminismus und ein neuer Antirassismus betrafen nun
konnte, oder ob sie ein historisches Recht des Inkommensurablen und des auch das bürgerliche Publikum, zudem waren die neuen Ansätze teilweise
Ästhetischen einklagten, das eher eine defizitäre Ideologiekritik vervollstän- auch erfolgreich darin, ein nicht bürgerliches Publikum zu mobilisieren, und die
digte, als als deren Gegenteil zur Verfügung stand. Schauen wir auf eine Ent- schon damals in den USA und einem post-kaltkriegerischen Europa begin-
wicklung, die tatsächlich ein unstrittiges Projekt jeder Ideologiekritik weiter- nende Erosion der Mittelklasse gestaltete auch die Klassengrenzen poröser.
führte: die ideologischerweise für Natur gehaltenen politischen und kulturellen Zum einen hatte das den Vorteil, dass Ideologie (oder das, was man an ihrer
Selbsteinschätzungen der Subjekte als Männer und Frauen, als Angehörige Stelle kritisierte) nun nicht mehr als ein rein diskursiv bestimmtes Übel erschien,
bestimmter Ethnien und Traditionen, als für diese zugängliche, menschenge- das man aus den Köpfen vertreiben und durch etwas Besseres ersetzen
machte Lebensbedingungen kenntlich zu machen. Ich rede von dem neuen musste– eine Art objektorientierte Aufklärung der Unmündigen über die Struktur
Schub, den antirassistische, feministische, queere und, wenn man sie so ihrer Unmündigkeit– , sondern auf das Alltagsleben der kritisierenden Beteiligten
nennen will, identitätspolitische Diskurse, Projekte und Bewegungen in den selbst bezogen wurde. Es ging weniger um abstrakte argumentative Positionen,
1990er Jahren erhielten; im lokalen Aktivismus, in den Künsten, aber auch in die oft schon fertig waren, wie in den Jahren linker Stellvertreterpolitik und
Akademia – ausgelöst zunächst dadurch, dass Leute mit anderen Biografien einer Ideologiekritik, die statt Ideologie zu kritisieren, die richtige installieren
dort anwesend waren, wo Ideologiekritik betrieben wurde. Man kann in all wollte: Wenn sie hitzig diskutiert wurde, war ihr Austausch oft nur Stellvertretung
diesen Praktiken so etwas wie eine zum einen angewandte – also nicht mehr für andere Interessen. Stattdessen ging es nun in der Diskussion um Ge-
auf Texte und Diskurse eingeschränkte 5 – Form der Ideologiekritik finden, eine, schlechterkonstruktion, soziale Ein- und Ausschlussmechanismen, um die
die sich unmittelbar mit den Prägungen, dem Habitus und anderen Charakte- Ideologie am eigenen Leib, nicht um ihre Repräsentation in Diskursen über
ristika der Anwesenden beschäftigt; zum anderen eine Fortentwicklung ihrer zum Beispiel Kunst. Die seinerzeit verdrängten Fragen nach Begehren, Inte-
Parameter beobachten: Das falsche Bewusstsein ist nicht mehr nur über das ressen und Verstricktheit spielten eine immer größere Rolle und konnten auch
zu erklären, was für die kapitalistische Ökonomie gut ist, sondern, eingereiht hin und wieder in narzisstischer Weise absolutiert werden, wie in den be-
in größere oder andere politische und kulturelle Objekte wie Patriarchat, wird sein rühmten Selbstrelativierungen jener Jahre. „Ich bin ein weißer, heterosexueller
Falschsein relativiert, indem die zentrale universalistische Beobachtungsstation Mann aus der mittleren Mittelschicht mit einem latenten Missbrauchshinter-
infrage gestellt wird, von der aus sein Falschsein gemessen werden konnte. grund und wollte sagen…“ Noch wichtiger war aber, dass dieser neue Stil der
Nennen wir diese Praktiken der 1990er Jahre post-ideologiekritisch, insofern Ideologiekritik in einer viel massiveren Weise erfolgreich war als jener der neuen
als man sie nun tatsächlich zugleich als Ersetzung und Fortsetzung von Ideologie- Linken, dessen Reste als Feuilletondiskussion ich bei meinem autobiografi-
kritik verstehen kann – was für die Vernunftkritik der 1980er Jahre fraglich ist. schen Einstieg sicher etwas unfair erst in ihrem Spätstadium geschildert habe.
War es in der Debatte um De Niro versus Fonda oder Hitchcock versus Diesen Erfolg, von dem ich eben sprach, konnte man sowohl an der Präsenz
Costa-Gavras um den Bewusstseinsinhalt politischer Meinungen gegangen, entsprechend neu gesetzter Themen in den westlichen Öffentlichkeiten
Meinungen zu Fragen der Welt, auf die die Filmzuschauer als Bürger und feststellen – Anti-Diskriminierungsgesetze, Quotenregelungen etc. – , auch wenn
Teilnehmer einer Öffentlichkeit reagieren sollten, so ging es bei den seit den diese Veränderungen oft als rein kosmetisch geschmäht wurden und dies oft
1990er Jahren zu beobachtenden post-ideologiekritischen Praktiken, von auch zurecht; wenn ein Antidiskriminierungsgesetz z. B. parallel mit einer
denen ich eben gesprochen habe, um die soziale, politische und psycholo- massiven Verschärfung von Einwanderungspolitik verabschiedet wurde. Doch
gische Konstituierung der Betreffenden selbst: als politische Subjekte. Das der Erfolg ließ sich noch viel mehr an den massiven Abwehrreaktionen ablesen – 
hatte zwar die Ideologiekritik der sagenumwobenen 1960er Jahre auch, war

6  Eine solche Situation gab es allenfalls punktuell in den intellektuellen Zentren des Trikont,
5  Das gilt für einige eher subkulturelle Außenposten der 1960er Jahre natürlich auch schon: etwa in Nordafrika oder Lateinamerika oder in unmittelbar aufständischen Situationen etwa rund
Sexpol-Initiativen, Drogenpolitik, Reichianer etc. um die Black Panther Party.

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DAS JAHRZEHNT OHNE IDEOLOGIEKRITIK

diese trugen den Namen „Political Correctness“. Denn diesen Namen bekam Initiativen durch die böswillig und verschwörungstheoretisch von der Gegen-
unsere Ideologiekritik 2.0 von denjenigen, die sie ablehnten – eine Schmähka- seite zugeschusterte gesamtpolitische Weltanschauung plötzlich wieder ein
tegorie, deren komplexe Wirkung sich seitdem unübersichtlich bis epidemisch ungewolltes Zentrum zu, das diesen gar nicht immer so schlecht stand. Wenn
weiterentwickelt hat. Eine Logik dieser Schmähung ist aber insofern inter- es am Ende dieses Jahrzehnts, der 1990er Jahre, wieder zu großen Mobilisie-
essant, weil sie quasi ex negativo die Logik der alten Ideologiekritik mit den rungen kommen konnte, von Seattle bis Genua, und der Begriff der Globalisie-
neuen kritischen, hier post-ideologischen Praktiken der 1990er Jahre zusam- rungsgegnerschaft ebenfalls ex negativo den Patchwork-Bewegungen der
menbrachte, die gemeint waren. 1990er Jahre wieder ein – wenn auch leeres – Zentrum einbrachte, einen vakanten,
In den 1990er Jahren ist es zunehmend skandalisiert worden, mit der Einnahme unheimlichen Mittelpunkt, der sich aus der nicht kontingenten Pauschalisierung
politischer Positionen überhaupt noch Konsequenzen zu verbinden. Einen ihrer Gegner zu politischer Korrektheit und der eigenen Pauschalisierung in der
Einwand gegen eine Praxis oder einen Umstand zu formulieren, der sich auf Konstruktion eines Gegners (Globalisierung) zusammensetzte, war dies nicht
eine politische Position und deren normativen Anspruch bezog, war im Zeitalter nur strategisch, sondern auch politisch-historisch nicht ganz unberechtigt.
von Maggie Thatchers TINA-Bonmot und der gewaltigen Einigkeit diskreditiert. Vielleicht war man zu anarchistisch gewesen und die sich ihrerseits nun den
Eine solche bestand darüber, dass nach dem Zusammenbruch des Realsozia- anarchistischen Gestus ausleihenden Mainstream-Verteidiger und PC-Bekämpfer
lismus zwar ökonomisch eine Welt unbegrenzter – kapitalistischer – Möglich- von FPÖ bis zur Achse des Guten hatten durch ihr Menetekel eines stali-
keiten ausgebrochen war, der Spielraum politischen Handelns aber zugleich nistischen, schwulen Feminismus – eines McCarthyismus von links – dessen
auf ein Minimum schrumpfe, da Staaten nur noch dazu da seien, erfolgreiches Handlungsfähigkeit verbessert.
privatwirtschaftliches Handeln zu ermöglichen; aber auch dadurch, dass
vernunftkritische und andere gegen die Blindheiten von Ideologiekritik 1.0 III
entwickelten Argumente es als anmaßend erachteten, wenn jemand oder eine Und hier beginnt dann das dritte Jahrzehnt, von dem ich nun rede, das Jahr-
Gruppe aus ihren Einsichten eine Norm ableiten will. zehnt, das eigentlich mein Thema ist und das in diesen Jahren zu Ende geht:
Die Anti-PC-Argumentation unterstellte der von ihr pauschal angegriffenen das Jahrzehnt ohne Ideologiekritik. Dieses Jahrzehnt möchte ich hier
vermeintlichen Political Correctness, dass sie überhaupt wieder auf politischen beginnen lassen mit einer meines Erachtens typischen, wenn auch vielleicht
Überzeugungen basierende Forderungen legitimieren und in Gesetzestexte belanglosen oder unbedachten Äußerung von Okwui Enwezor im Katalog der
umsetzen wollte – unabhängig davon, ob das auf der Ebene feministischer Documenta 11,7 und ich möchte es zu Ende gehen lassen mit einer ganz
Forderungen etwa nach Schutz vor praktischem Sexismus oder besserer Be- frischen Debatte, derjenigen um die Verleihung des Adorno-Preises an Judith
zahlung für Frauen geschah oder ob es sich um Anti-Diskriminierungsgesetze Butler im September 2012. Zwischen diesen beiden Daten, 2002 und 2012,
oder die Ächtung beleidigender oder rassistischer Kollektivbezeichnungen spielt ein Jahrzehnt, in dem Ideologiekritik in beiden Varianten – als Kampf
handelte. Das Skandalon bestand weniger in einem Dissens über die eine gegen falsches Bewusstsein im Namen emanzipatorischer oder demokrati-
spezifische Forderung, sondern in der Tatsache, dass diese sich auf politische scher Projekte, für die man richtiges Bewusstsein braucht, oder als Kampf
Überzeugungen berief und sowohl deren Richtigkeit als auch überhaupt die gegen die Naturalisierung meiner Unterdrückung und Marginalisierung ohne
Relevanz politischer Überzeugungen einklagte; dass es so etwas geben sollte zentrale inhaltliche Unterscheidung von richtig und falsch, sondern nur mit
wie das politisch Richtige. Dabei war aber das Spezifische dieser neuen, relationalen, situativen, lokalen Unterscheidungen – blockiert war. Beispiel für
zwischen Identitätspolitik, Minderheitenrechten und später Intersektionalität diese Blockade sind der missglückte Versuch des Spiegel-Autors Georg Diez,
oszillierenden Bewegung ja gerade, dass sie nicht abstrakte Positionen um- in dem letzten Roman von Christian Kracht einen Flirt mit rechten, rassisti-
setzen und falsches und richtiges Bewusstsein in einem allgemeinen Diskurs schen und anderen problematischen Positionen zu erkennen und weder in der
suchen wollte, sondern aus konkreten Situationen heraus und für konkrete Lage zu sein, diesen Verdacht zu formulieren und zu argumentieren, noch
Situationen agieren wollte und eher dazu neigte, Universalismen und abstrakte irgendeine Unterstützung in dem daraufhin gegen ihn einsetzenden Shitstorm
Wahrheiten zu dekonstruieren. Ja, ich würde sogar einen gewissen Unmittelbar- zu erhalten. Eine ähnliche Hilflosigkeit prägte zuvor die Debatten um Thilo Sarrazin
keitsfetischismus und Betroffenheitsgestus, eine emotionalistische Abstraktions- und Jonathan Littell – ihnen war gemeinsam, dass sie nicht unterscheiden
feindlichkeit in vielen Komponenten dieser politischen Gegenkultur als deren
Hauptproblem beschreiben. Dennoch wuchs vielen identitätspolitischen 7  Okwui Enwezor, „Black Box“, in: Documenta11_Plattform 5, Ausst.kat. Documenta 11, Kassel,
Ostfildern-Ruit 2002, S. 42–58, besonders S. 47f.

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DAS JAHRZEHNT OHNE IDEOLOGIEKRITIK

konnten zwischen einem begründeten Unbehagen und einer Nostalgie nach Verhältnissen innerhalb der kapitalistischen Wirtschaftsform gleichsetzte und
einem von der Öffentlichkeit vage und informell verbotenen früheren „ideolo- so in einem parallelen Zug antiimperialistische und antikapitalistische Ideolo-
giekritischen“ Umgang mit diesem Unbehagen. Ideologiekritische Sprache giekritik betreiben zu können glaubte, so hatte es nach 9/11, nach den Invasionen
war blockiert und auch, so dämlich das klingt, tabuisiert. Blockiert war sie in den Irak und nach Afghanistan, entsprechende Lesarten der neuen Konfi-
aber nicht allein durch die Dominanz der eingangs beschriebenen zynischen guration gegeben. Die aktivistische Gruppe Retort etwa, mit unter anderem
Aufgeklärtheit, sondern eben auch durch eine unausgesprochene, undisku- T. J. Clark, sah einen Zusammenhang zwischen den neuen Kriegen des
tierte Überforderung, die darin bestand, dass global-ideologisch tatsächlich US-amerikanischen Imperiums gegen ebenso ölreiche wie islamische Staaten
ein neuer manichäischer Binarismus nach dem Kalten-Krieg-Schema instal- und der Rückkehr zur ursprünglichen Akkumulation als dominanter neuer
liert wurde – Westen versus Islam – , der in keiner Weise mit dieser zynischen Ressource eines anderswo ausbeutungsunfähig gewordenen Kapitalismus – 
Aufgeklärtheit zusammenging. Zwischen diesen beiden Ideologemen schien dies war dabei noch eine der komplexeren und in mancher Hinsicht auch
es keinen Zusammenhang zu geben – was ihre Macht verstärkte. plausibleren Lektüren der neuen Lage.
Enwezor schrieb für den Documenta-Katalog 2002 einen Essay, in dem er die Auf der anderen Seite gab es eine insbesondere in den deutschsprachigen
Multitude, den alten und schon per Deleuze in den post-ideologiekritischen Ländern starke Bewegung, die sich massiv gegen die alte antiimperialistische
Debatten kursierenden und damals von Negri/Hardt neu gefassten Begriff auf Lektüre der Konflikte wandte, sich von einer linken Solidarität mit den ange-
die globalen Konstellationen in einem postkolonialen Universum der Kunst griffenen islamischen Ländern und Regionen lossagte und stattdessen die
anwandte. Dabei rechnete er ausdrücklich den Islamismus zu den wichtigen relativ fortgeschrittenen Menschenrechte in Israel lobte. Lediglich dort, wo
antihegemonialen Bewegungen, expressis verbis die iranische Revolution von bürgerliche Freiheiten verwirklicht seien, habe Kommunismus eine Chance; im
1979, gemeinsam mit unstrittig emanzipativen Bewegungen. Zehn Jahre Antiimperialismus alter Schule tobe sich hingegen ein nur schwach maskierter
später wird Judith Butler aus Anlass der Verleihung des Adorno-Preises heftig Antisemitismus aus. Diese unter dem Namen „antideutsch“ populär oder
angegriffen, weil sie ungefähr zur selben Zeit wie Enwezor äußerte, Hisbollah zumindest bekannt gewordene Position, die es aber auch bei Linken und
und Hamas seien linke Bewegungen. Interessant ist, dass sie auf die aufge- ehemaligen Linken anderer Sprachräume gibt, ausgeprägt etwa bei dem vor
regten Debatten im Vorfeld ihrer Ehrung mit dem Adorno-Preis in der Frank- Kurzem verstorbenen und zuletzt als Religionskritiker erfolgreichen Christopher
furter Paulskirche recht ausführlich in der tageszeitung und Frankfurter Hitchens, konnte, so überzogen und ihrerseits ideologisch sie zuweilen auftrat,
Rundschau mit Relativierungen und Distanzierungen reagiert hat, indem sie zumindest eines auch weit über ihr unmittelbares ideologisches Einzugsgebiet
auf den Kontext der Äußerung verweist, auf ihre Ablehnung der gewalttätigen hinaus klarmachen: Weder eignen sich Israel und die israelischen Juden für
Politik beider Organisationen, überhaupt auf ihre Ablehnung von Gewalt. Sie die alte Rolle des Imperialisten und Unterdrückers, noch eignen sich Muslime
distanziert sich aber nicht von der Einschätzung beider Organisationen als im Allgemeinen und Islamisten im Besonderen für die Rolle der revolutionären
links, das impliziere nicht unbedingt Zustimmung, es gäbe auch eine abzuleh- Anti-Imperialisten. Diese Einsicht war allerdings ideologiekritisch nur tauglich,
nende Linke. Im Gegenteil, es sei ein Stück aufgeklärter Realismus, nicht zu wenn man sie mit derjenigen verband, dass sich ideologiekritisch gesehen
verdrängen, dass auch solche unerfreulichen Gruppen zur Linken gehören. zwischen dem sicher in den letzten zehn Jahren angewachsenen Antisemi-
Ich nenne diese beiden zehn Jahre auseinanderliegenden Äußerungen, die ja tismus und der ebenso anwachsenden massiven Islamophobie nicht zwei
im weiteren Sinne im Kunstfeld spielen, um die Blockade der Ideologiekritik, Seiten eines globalen Verhältnisses zeigen, zwischen denen man sich entschei-
ja einer vielleicht schon um 2000 herum sich abzeichnenden und notwendig den müsse, sondern zwei nahezu identische Ausprägungen eines neuen
gewordenen dritten Ideologiekritik in den Kontext von zwei typischen Fällen zu Rassismus, eines Rassismus, der auf andere Weise geglaubt wird als frühere
stellen. Vereinfacht gesagt: In der Zeit nach 9/11, nach der neuen ideologi- Rassismen, der distanzierter, zynischer, scheinaufgeklärter, digitaler, weniger
schen Konfiguration einer Auseinandersetzung zwischen Westen und Islam, schwitzend und technologischer ist – die Drohne unter den Rassismen.
machten viele den Fehler, die alte Blockkonfiguration des Kalten Krieges wieder- Hinzu kam aber im letzten Jahrzehnt noch eine andere ideologiepolitische Neu-
erkennen und analog bekämpfen zu wollen. So wie man damals im Westen, heit. In dem schon lange nicht mehr nur zwischen Linken ausgefochtenen Streit
auch wenn man nicht auf Seiten der realsozialistischen Staaten stand und zwischen einer Orientierung an den globalen Unterdrückten und einer Orien-
deren Idee von Sozialismus und Kommunismus ablehnte, grundsätzlich die tierung an den bürgerlichen und menschenrechtlich Freien als jeweils dem
globale und außenpolitische Ideologie des Westens mit den ideologischen politisch Erstrebenswerten näherstehenden Subjekten wurden die politischen

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DAS JAHRZEHNT OHNE IDEOLOGIEKRITIK

Erfolge verheizt und verfeuert, die in der post-ideologiekritischen Ideologie- Die Gegenposition, mit einem hochnormativen Begriff zu operieren und die Linke
kritik der 1990er Jahre entwickelt wurden: Feminismus, Anti-Homophobie, so zu definieren, hätte den Vorteil, dass der blinde Flecks quasi offengelegt
Anti-Rassismus waren nun, da viel weitreichender diskutiert und mit welchen und, wenn schon nicht überwunden– das geht mit blinden Flecken bekanntlich
Motiven auch immer anerkannt, Bauern im Spiel der neuen, falschen binären nicht– , damit doch einer Untersuchung unterzogen oder einfach als perspek-
Konstellation. So konnten feministische Ideen plötzlich im Munde von Rechts- tivisch und interessiert formuliert werden kann. Das müsste jenseits der
radikalen dazu dienen, eine brachiale Islamfeindschaft zu begründen. Das war rituellen apolitisch-persönlichen Offenlegung von eigenen Interessen und
die Lage in dem Jahrzehnt ohne Ideologiekritik: Man kann resümieren, sie fand Verstrickungen geschehen, durch das Offenlegen derjenigen eigenen Kriterien
nicht statt. Man könnte auch sagen, sie war entfesselt. Jeder benutzte ihre Tools. und Absichten, die sich auf andere beziehen: Das, was ich von anderen will, ist
Alle konnten sich aller kritischen Tools bedienen, sofern diese nur genügend mein blinder Fleck, nicht das, was ich an mir nicht sehen kann, weil ich nach
weit von ihren kritischen Kontexten entfernt waren – sollte man dagegen etwa außen schaue.
nach dem Stiften neuer Zusammenhänge rufen? Dies kann man aber nur in der Besetzung und Öffnung von Bewegungs- und
An dieser Stelle würde ich gern noch einmal die zu Beginn des dritten Teils Projektkategorien wie „Die Linke“ machen (gemeint ist der Begriff, nicht die
erwähnten Einlassungen von Butler und Enwezor aufgreifen, die sich explizit gleichnamige Partei in Deutschland): also indem man Zuständigkeit akzeptiert,
auf das Problem eines Zusammenhangs ideologiekritischer Aktivität beziehen; weder monadische Ironie noch super allgemeine Kampfkonstellation. Es geht
einmal auf dem Wege eines Einschlusses und damit einer Zustimmung zur darum, den Kopfarbeitern den eigenen Kopf zurückzugeben, den sie an die
Zusammenhangsbildung – Islamisten gehören zur Multitude – , zum anderen Arbeit delegiert haben: den Ort, an dem sie ihre Urteile fällen und ihre Loyalitäten
über eine Absage an die Zusammenhangsbildung qua Einschluss – es besagt konstruieren. Ein Ort, den sie heute tendenziell den Gefühlen und Ressentiments
nichts, wenn ich Hamas und Hisbollah zur Linken zähle. Wir müssen uns davon überlassen, die umso mächtiger werden, als Entkoppelung von Kognition und
verabschieden, dass die Linke automatisch für das Richtige steht. Einmal geht Handeln die Verstärkung der Bindung von Gefühl, Treue, Identifikation mit
es um die Multitude als neuen Zusammenhang, einmal um die Linke – beide Handeln verursacht. Dagegen hilft weder ein universeller Wert noch eine rela-
sind Kandidaten für die Achillesferse jeder Ideologiekritik: den vorgegebenen tionale, proto-narzisstische Kategorie von Emanzipationssubjektivität, sondern
Anteil des eigenen Standpunkts, den notwendigen blinden Fleck, die Partei- nur eine Konstellation aus beiden, in der der Begriff und die Markierung der
lichkeit. In beiden Äußerungen erscheint also ein Bewusstsein für die Wichtigkeit Perspektive gleich stark sind. Dazu braucht man die Analytik von Ideologiekritik
des Kontexts, zugleich scheint absichtlich oder unabsichtlich ein Problem 1.0 ebenso wie den Nichtsinn oder Antisinn der Kunst, der gegen sie entstanden
solcher Kontextbildung auf. Es ist zum einen der jeweilige Status der Beschrei­­­ ist, ebenso wie die Fähigkeit, die Konditionierungen der Anwesenden, die Materi-
­bung: Bezieht sie sich auf eine deskriptive Bestandsaufnahme oder impliziert alität ihrer Überzeugungen auf den Tisch zu bringen, schließlich aber vor allem
sie eine schwierige Einigung auf etwas Normatives. Die Multitude ist womöglich eine praktische Kritik des Zusammenhangs zwischen kognitiver Handlungs-
Ersteres, die Linke eher Letzteres. ohnmacht und dem Glauben an die „Tat der Emotion“. Mit dieser leider sehr
Man könnte also Enwezor zunächst freisprechen. Indem er die islamischen und allgemeinen Skizze einer dritten Ideologiekritik – mit jeweils starken Universalien
islamistischen Erhebungen den Bewegungen der Multitude zuordnet, nimmt und starken Partikularien und einer nicht machtblinden und neutralistischen Idee
er nur eine Deskription vor. Er antwortet damit auf dieselbe Schwierigkeit wie von Perspektive und Beobachterbeobachtung, die von Systemtheorie gelernt
Butler, die sich keine universelle linke Normativität bieten lassen will, und behält hat, ohne alles übernommen zu haben – möchte ich die Diskussion eröffnen.
sozusagen mehr als sie auf der Hand: eine Einschätzung und eine Begriff-
lichkeit. Das Problem ist nur, dass eine Kategorie wie die „Multitude“ nie ganz
unnormativ zu haben ist, egal wie man sie begrifflich fasst, wenn man sie in
einer Beschreibung politischer Konstellation verwendet, die natürlich durchsetzt
ist mit Objekten, die alle Diskursteilnehmer bewerten und bewerten müssen.
Es kommt so zu einer schwachen Normativität, die durchaus den Automatismen
ähnelt, die der Ideologiekritik 1.0 in Gestalt des blinden Flecks eines immer
schon entschiedenen Wissens, wer je die Guten und wer die Bösen sind,
vorgehalten wurde – mit dem Unterschied, dass er sich nicht so deutlich zeigt.

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THE DECADE WITHOUT
IDEOLOGY CRITIQUE
Diedrich Diederichsen

The decade without ideology critique (Ideologiekritik)—when was that? I mean


the last ten years, when ideology critique was finally taken over by the Harald
Schmidt show with very little objection and when Stuart Hall’s “oppositional
code,” which Jan Rehmann discusses, ceased to embody an objection or
resistance to ideology but became its primary interface. When I do not agree
with an ideology, when I distance myself from it inwardly, when I ramp up the
sarcasm and cognitive dissonance, I declare and above all concretely establish
my consent. The ideology of neoliberalism wasn’t something that anyone
believed in, but something that gained power because no one believed in it
but didn’t attribute any particular significance to that fact. The decade without
ideology critique—to address the question of its material basis—was the
decade when the class responsible for such critique, the academic middle
class, on the one hand saw its security and influence vanish in the Western
democracies and on the other experienced the introduction of a separation
between intellect and intellectual work. Paradoxically, maximum enlightenment
had a quietist effect: it acted as a sedative. I will come back to this decade
toward the end of my talk. First, however, I would like to discuss two other time
periods: the late 1970s and early 1980s, when the critique of ideology was
solidly established as a social practice, and the 1990s, when it changed under
the influence of post-structuralism but under other influences as well.
Generally speaking, the critique of ideology has two foundations: first, its object,
which consists of material and historical facts and their effects—and I don’t
wish to see the “hard facts” equated exclusively with economic ones—but also
of the cultural effects of those facts, which have long since in turn become the
economic basis for other effects; second, however, there are the conditions in
the micro-world where ideology critique is more or less practiced professionally—
these are the universities, the realm of the arts and official culture, and that of
the countercultures. In the 1970s, Western universities opened their doors to
large sectors of society that hadn’t previously been admitted. In the 1980s and
1990s, primarily at British and American universities, there were for the first time
a large number of non-white students who were there thanks to various measures
won by the civil rights movement and who also studied the humanities; women
students had also arrived in other ways and other constellations. There were

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THE DECADE WITHOUT IDEOLOGY CRITIQUE

also new forms of racism and a first anti-feminist backlash. These are the drama about the return of a Vietnam War veteran and a woman whose affections
constellations of the first two stages I will discuss. In the third phase, it appeared between him and another, wheelchair-bound veteran was seen as the sensitive
as if there had ceased to be any ideology believed in at all, even though there examination of a national trauma, allegorically played out in the tortured souls
was also the fundamental novelty that ideology now spread by not being believed. and shattered bodies of individuals. History reflected in the mirror of individual
Yet even this was not entirely true: enlightened cynicism had a supplementary destinies and complex psychologies was regarded as non-ideological; it could
counterpart in a deeply held and now unexamined belief—which in the last even be justified with Lukács’s theory of the novel. My suspicion of The Deer
decade took the forms of anti-Semitism and Islamophobia. Hunter’s left-wing and liberal detractors was that what bothered them was really
that the film recounted the soldiers’ fate as connected with their class; I
I suspected they were less concerned about the dignity of the Vietnamese than
I would like to introduce ideology critique as a social fact that I grew up with. about the sorely tried but autonomous subject beyond class. The Soviet delegation
Its theoretical justification and the discursive and political struggle to establish left the Berlinale in protest against the depiction of the North Vietnamese
it had already taken place. A striking feature of this social fact, “ideology troops; Coming Home won the relevant Oscars.
critique,” with which I became acquainted in the humanities of the mid-1970s Key to the discussion and its ideology-critical components, however, was the
was that the subjects who practiced it always took a more merciless and more prevailing assumption that Hollywood acted as a kind of megasubject of public
absolute position vis-à-vis artworks than they did in their other political work. opinion. It decided what would be thought in the so-called free world. So if the
Artworks had a long way to fall: they had the existential dimension that couldn’t US cinema produced two films with supposedly contradictory messages, then
be realized in the critique of existing conditions. Capitalist commodity the newer, more unusual one represented the current trend and reflected
fetishism and the dominance of exchange value were dead external conditions Hollywood’s new initiative, whereas the older one merely pointed to the other
that were free to slumber in the distance of the a priori—they were untouchable position’s retreat and loss of hegemony. What bothered me at the time was
because they were here to stay and already well understood. the automatic character of this critique of ideology, which had no doubt that
The social fact of ideology critique was initially an exercise within the cultures the aesthetically more nonconformist The Deer Hunter belonged to a different,
of the left and the emerging new social movement. Interestingly, at the time new, and reactionary Hollywood, a major trend of emerging Reaganism, the
there was also a figure of ideology critique on the right, a rhetoric which great rightward cultural shift of the early 1980s. Couldn’t it instead have been
sought to expose a false consciousness that was seen, on the left-wing model, an exception that a director or studio had “let slip,” a product of the New
as having material causes—left-wing sub- and countercultures were denounced Hollywood’s auteur cinema, which was just then enjoying its heyday and which
as symptoms of the false consciousness that comes from unearned wealth. could no longer simply be shoehorned into the role of a consciousness industry
Get a job! That was the main objection against leftists and countercultures. acting with single-minded ideological purpose? And how could a well-intentioned
Now if that isn’t right-wing materialism! social democratic problem film like Coming Home represent a maximum in
I wrote my first published text against ideology critique.1 At the 1979 Berliner matters of trauma processing and political critique?
Filmfestspiele, Michael Cimino’s film The Deer Hunter with Christopher Of course, my intention wasn’t to take a right-wing position or to defend a film
Walken, John Savage, Robert De Niro, Meryl Streep, and others was on the that really was preparing the way for a new American patriotism against another
program. Together and in comparison with Hal Ashby’s film Coming Home that was at least social democratic—since there is also substantial reason to
starring Jane Fonda, Jon Voight, and Bruce Dern, it was discussed on the think that this is how The Deer Hunter should be read. I wanted to speak from
assumption that it represented an attempt to come to terms with the American a point outside the critique of ideology and show that from it the work of ideology
trauma of the Vietnam war. This discussion also marked the run-up to the critique could be freed from its automatisms. Of course I couldn’t have put it
Oscars, which took place shortly after the Berlinale. It was dominated by an that way at age twenty-two; this was more an intuition; so I made use of certain
ideology-critical reading of The Deer Hunter, which argued that it contained models. My paradigms were a few texts by the early Peter Handke from Ich
racist and imperialist positions, that the Vietnamese characters were demonized bin ein Bewohner des Elfenbeinturms2 and above all a number of essays by the
as inhuman, torturing “green devils” while the American soldiers had names
and personalities and elicited empathy from the viewer. By contrast, Hal Ashby’s
2  Peter Handke, “Horvath und Brecht” and “Ein Beispiel für die Verwendungsweise grammati-
scher Modelle,” in: ibid., Ich bin ein Bewohner des Elfenbeinturms, Frankfurt a. M., 1972,
1  Diedrich Diederichsen, “Der Oscar und die grünen Teufel,” in: Sounds, 4/79, pp. 18 – 19. pp. 63ff, and pp. 78 – 82.

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film critic Frieda Grafe, especially “Ein linker Film für Axel Springer,” 3 in which was the proper object of critique.4 To some degree, this intensification might
she exposed the matrix of the ideology critique of the day and proposed a have been available in poststructuralist varieties of ideology critique, but not in
reversal. Taking as her examples Costa-Gavras’s film Z, a favorite of left-wing the variety that was active and hegemonic in art criticism or in popular or even
“sixties survivors,” and Alfred Hitchcock’s ostensibly right-wing Cold War dissident culture.
thriller Topaz, Graf showed that although the artistically plain Costa-Gavras By contrast, I argued that the famous Russian roulette scene in The Deer
film developed a scenario in which the leftists were the good guys and the Hunter was dominated by a nameless violence that distorts the rage-twisted,
rightists the bad guys, it also involved extremely conventional characters agitated faces of the Vietnamese who hand the pistols to the Americans no
(precisely good guys and bad guys) and hence framed the political as a quite less than it does the features of the death-seeking former GI played by
externally constructed domain of virile, one-dimensional figures in complete Christopher Walken. This was not just an objection to ideology-critical art or
command of their actions—and thus played directly into the hands of the an ideology-critical approach to art; it was also—and this was an important
convention marked as nature that constitutes the right-wing world view of the aspect of the doubts that swirled around the critique of ideology at the time
Axel Springer Verlag. By contrast, while on the surface Hitchcock seemed to —an objection which sought to place images, sounds, noise, but also fetishes
take the West’s side in the Cold War, at a deeper level he pulled the rug out and violence above words and discourses and to challenge the primacy of
from under all psychological conventions and constantly teased out the private narrative and character development. At the time there was a concept making
dimension of political positions and the political dimension of seemingly purely the rounds: that of Vernunftkritik, or the critique of reason. At that point,
private matters of taste—in the romantic and cloak-and-dagger imbroglios Vernunftkritik was still capable of bringing together aesthetic and radical
between Russians, Cubans, African Americans, French, British, and Danes. positions. It also united the various nihilistic, radical left-wing/anarchist, and
I made good use of this example. Only when considered superficially, I aestheticist themes beneath what was, for the time being, still a sturdy umbrella
argued, is The Deer Hunter a patriotic pro-American film. In fact, by adopting compounded of poststructuralism and the rediscovery of Bataille and Artaud.
the perspective of the incomprehension of proletarian, working-class children For a while and in certain hands, this critique of the critique of ideology, which
forced into the war by a tradition they do not understand, it develops a ultimately culminated in this formula of Vernunftkritik and inspired the founding
precarious and unstable and hence subversive position. By contrast, Coming of a dizzying variety of publishing houses and journals, from Konkursbuch to
Home merely lazily and tautologically confirms the assumptions of its middle- Neues Lotes Folum, from Merve to Matthes & Seitz, continued to see itself as
class psychology. In 1980, a position like mine that wished to situate itself an outbidding of ideology critique, as its heightening and necessary improvement.
outside the critique of ideology was already overdetermined; that was also no At a certain point, however, and/or in other hands, it began to see itself as the
doubt why I found it so appealing. On the one hand, it was a radical position. vanguard of a thrust in the opposite direction.
It refused to be taken in by the social democrats, who thought they could act
and negotiate communicatively in a world where no affects or ruptures bore II
witness to the discursively inaccessible unbearableness of social conditions. Fast forward ten years to 1990. I now turn to the era in which ideology critique
It was a position which resisted the latent subtraction thesis of ideology was successfully replaced. I will not pursue the question of whether Vernunftkritik
critique that all one had to do was remove the false consciousness from and punk nihilism directly contributed, in the 1980s, to the assets of a new
people’s brains and ideas and then as soon as the fog had lifted and cleared cultural right which from 1990 on could be more and more frequently observed
a correct one would take its place. At the same time, however, it was also as an overtly political right, or whether they demanded the historical due for
a strong aesthetic position, because it believed in The Deer Hunter’s shocks the incommensurable and aesthetic, which more completed a deficient ideology
and discontinuities as the response of a world of humiliation and desire, whose critique than presented themselves as its opposite. Let’s consider a development
violence caused by material conditions was misunderstood by the dominant that actually continued what was undeniably a project of all ideology critique:
critique of ideology with its narrative-focused interpretation of the culture the attempt to make the subjects’ political and cultural self-assessments as
industry and ideological production as merely wrong content. A popular idea men and women, as members of particular ethnicities and traditions—self-
around 1980 was that meaning itself, not the mistaken interpretation of reality,

4  For example, the collective A/Traverso wished to see the famous autonomist broadcaster
3  Frieda Grafe, “Ein linker Film für Axel Springer—Z von Costa-Gavras” and “Kalter-Kriegs-Film –  Radio Alice “blow up the dictatorship of MEANING” and “introduce delirium into the orderly
Topaz von Alfred Hitchcock,” in: Frieda Grafe, Enno Patalas, Im Off, Munich, 1974, pp. 147 – 156. world of communications.”

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THE DECADE WITHOUT IDEOLOGY CRITIQUE

assessments ideologically regarded as nature—recognizable and accessible to of their immaturity. Rather, it was connected with the everyday lives of the critics
them as man-made life conditions. I’m referring to the new push that anti- themselves. The focus was less on abstract argumentative positions that were
racist, feminist, queer discourses, projects, and movements and so-called often preconceived, as in the years of left-wing substitutionist politics and
identity politics received in the 1990s in local activism, the arts, but also an ideology critique that, instead of critiquing ideology, merely sought to install
academia—sparked initially by the fact that people with other biographies the correct one: when they were hotly disputed, the exchange was often
were present where the critique of ideology was being practiced. On the one merely a proxy for other interests. Instead, what was at stake in discussions
hand, we can find in all these practices an applied form of ideology critique, of gender construction and social mechanisms of inclusion and exclusion was
one that was no longer restricted to texts and discourses5 but that dealt ideology as experienced first-hand, not its representation in discourses, for
directly with the dispositions, habitus, etc., of those involved. On the other, we example, on art. The previously suppressed issues of desire, interests, and
can observe a further development of its parameters: false consciousness was personal implication played an increasingly important role and now and then
now explained not just in terms of what was good for the capitalist economy. could even be narcissistically absolutized, as in the famous self-relativizations
Rather, inscribed within larger or other political and cultural objects such as of those years: “I am a white, heterosexual male from the middle middle class
patriarchy, its falseness was relativized; the central universalist vantage point with a latent history of abuse, and I would like to say…” Even more important,
from which its falseness could be measured was called into question. I will call however, was the fact that this new style of ideology critique was incomparably
these practices of the 1990s post-ideology-critical, since they now really can more successful than that of the New Left, whose remnants as a culture-pages
be understood as both a replacement and continuation of ideology critique— debate I depicted, admittedly somewhat unfairly, only in its late stages in my
something which is doubtful for the Vernunftkritik of the 1980s. autobiographical introduction.
The debates that pitted De Niro against Fonda or Hitchcock against Costa- This success was apparent in the presence of new topics of public discussion
Gavras had centered on the conscious content of political views, opinions on in Western countries—anti-discrimination laws, quota systems, etc.—, even
world issues to which viewers were expected to respond as citizens and if these changes were often disparaged as purely cosmetic (often legitimately,
participants in public discussion. By contrast, the post-ideology-critical practices as when an anti-discrimination law was adopted together with a massive
to which I’ve just alluded, which have emerged since the 1990s, focused on tightening of immigration policy). But it was even more evident in the vehement
the social, political, and psychological constitution of the critics themselves as defense reactions it elicited, which bore the name “political correctness.” For
political subjects. That had been an aspect of the ideology critique of the this is what our critique of ideology 2.0 was called by those who rejected it—a
legendary 1960s as well, but it had come up against the fact that the historically term of abuse whose complex effects have been far-reaching, even epidemic.
available political subjects—working class and anti-colonial liberation movements— The logic of this aspersion is interesting, however, because it brought the logic
were not potential members of the audience for ideology critique, or were so of the old ideology critique together, virtually ex negativo, with the new, critical,
only in exceptional cases.6 This had changed by 1990, and not just because here post-ideological practices of the 1990s which it targeted.
the demographic situation in academia had changed: the debates over AIDS In the 1990s, it became increasingly scandalous to draw any consequences
and homophobia, a new feminism, and a new anti-racism now impacted at all from political positions. The formulation of an objection to a practice or
a bourgeois audience as well; moreover, the new approaches were partially condition based on a political position and its normative force was discredited
successful in mobilizing a non-bourgeois audience; and the erosion of the in the age of Maggie Thatcher’s “TINA” (“there is no alternative”) bon mot and
middle class that was already underway at the time in the USA and post-Cold- the overwhelming consensus. That consensus surrounded the fact that, whereas
War Europe was making class boundaries more porous. economically the collapse of “really existing socialism” had given rise to a
On the one hand, this had the advantage that ideology (or what was critiqued world of unlimited—capitalist—possibilities, the room for political action had
in its place) now no longer appeared as a purely discursively specified evil that shrunk to a minimum, since states were only there to enable successful private
had to be driven from people’s minds and replaced with something better in a economic activity. But it also surrounded the fact that vernunftkritische and
kind of object-oriented enlightenment of the immature regarding the structure other arguments against the blindness of ideology critique 1.0 considered it
presumptuous for a group or individual to seek to derive a norm from its insights.
5  This was already the case for some of the more subcultural outposts of the 1960s: Sex-Pol The anti-PC argument accused ostensible political correctness, the target of
initiatives, politics of psychedelia, Reichians, etc.
6  Such cases did arise briefly in the intellectual centers of the Third World, in North Africa, for its wholesale attack, of seeking to relegitimize demands derived from political
example, or Latin America, as well as in insurgent milieus like that of the Black Panther Party.

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convictions and to translate those demands into law—whether it was a matter surrounding the awarding of the Adorno Prize to Judith Butler in September
of feminist demands for protection from practical sexism or better pay for 2012. Between these two dates, 2002 and 2012, there stretches a decade
women or a question of anti-discrimination laws or the banning of offensive or in which the critique of ideology was blockaded in both of its versions—as
racist collective designations. The scandal resided less in a disagreement a struggle against false consciousness in the name of emancipatory or
over this or that particular demand than in the fact that it appealed to political democratic projects for which correct consciousness is required, or as a
convictions and insisted on their correctness and on the relevance of such battle against the naturalization of my oppression and marginalization without
convictions in the first place—in the very idea that there was such a thing as a any central substantive distinction between right and wrong but only with
correct political course. And yet the distinguishing feature of this new movement relational, situational, local distinctions. One example of this blockade is the
oscillating between identity politics, minority rights, and later on intersectionality failed attempt of Spiegel writer Georg Diez to recognize Christian Kracht’s
was precisely that it didn’t wish to implement abstract positions or to locate most recent novel as a flirtation with right-wing, racist, and other problematic
correct and false consciousness within a universal discourse but sought to act positions and his inability either to formulate and cogently argue that suspicion
from within and on behalf of concrete situations, and was actually inclined to or to draw any support whatsoever in the ensuing shit storm against him.
deconstruct universalisms and abstract truths. Indeed, I would even describe A similar helplessness earlier marked the debates over Thilo Sarrazin and
a certain fetishization of immediacy and a certain gesture of personal implication Jonathan Littell—all these debates had in common that they were unable
and dismay, an emotionalistic hostility to abstraction in many components of to distinguish between legitimate discomfort and nostalgia for an approach to
this political counterculture, as its primary problem. this discomfort that was now vaguely and informally prohibited by the public.
Be that as it may, as a result of the overarching political world view maliciously Ideology-critical language was blockaded and also, as silly as it sounds,
steered their way by an opposing side with its fair share of conspiracy theorists, taboo. It wasn’t just blocked, however, by the dominance of the enlightened
many identity-political initiatives suddenly acquired an unwanted center that cynicism described at the beginning of this talk, but also by an unspoken,
actually suited them rather well. If there were large-scale mobilizations again undiscussed additional burden: the fact that on the global ideological front a
by the end of the 1990s from Seattle to Genoa, and if the concept of new Manichaean binarism had actually now been established on the Cold War
anti-globalization, also ex negativo, brought the patchwork movements of the model—the West versus Islam—which did not fit with that enlightened cynicism
1990s a center, albeit an empty one—a vacant, uncanny focal point made up at all. There seemed to be no connection between these two ideologemes—
of the non-contingent blanket generalization to which they were subjected by which made them more powerful.
their opponents and of their blanket generalization of themselves in the
construction of an adversary (globalization)—, this was not wholly unjustified Enwezor wrote an essay for the 2002 Documenta catalog in which he applied
either in strategic or even in political and historical terms. Perhaps they had the concept of the multitude—a notion already introduced into the post-
been too anarchistic, and the defenders of the mainstream and combatters of ideology-critical debates by Deleuze and at that time newly reformulated by
PC from the Austrian Freedom Party to the Achse des Guten (Axis of the Good), Negri/Hardt—to the global constellations in a post-colonial art world. In doing
who now borrowed the anarchist gesture for themselves and decried the so, he explicitly included Islamism among the important anti-hegemonic
menace of a Stalinist gay feminism—a McCarthyism of the left—had actually movements, expressly mentioning the Iranian revolution of 1979 along with
improved their capacity to act. other, undeniably emancipatory movements. Ten years later, when Judith Butler
was selected to receive the Adorno Prize, she was sharply attacked because
III at about the same time as Enwezor she had described Hezbollah and Hamas
And this is where the third decade begins, the one that is actually my topic as left-wing movements. What’s interesting is that she responded to the
and that is now in the process of ending: the decade without ideology critique. agitated debates which erupted in the run-up to the conferring of the Adorno
I’d like to mark the beginning of this decade with what is in my view a typical, Prize in St. Paul’s Church in Frankfurt in considerable detail in the tageszeitung
if perhaps trivial or careless remark by Okwui Enwezor in the catalog for and Frankfurter Rundschau by relativizing and distancing herself from her
Documenta 11,7 and I’d like to mark its end with a very recent debate, the one comments, pointing to their context and her rejection of both organizations’
violent policies as well as her rejection of violence in general. She did not,
7  Okwui Enwezor, “Black Box,” in: Documenta11_Platform 5, exh. cat. Documenta 11, Kassel, however, distance herself from her assessment of the organizations as left-wing,
Ostfildern-Ruit, 2002, pp. 42 – 58, especially pp. 47f.

200 201
THE DECADE WITHOUT IDEOLOGY CRITIQUE

insisting that it didn’t necessarily imply approval, since there is also a left that perspective, the anti-Semitism that has certainly increased in the last ten years
deserves to be rejected. On the contrary, she argued, it is an act of enlightened and the similarly expanded virulent Islamophobia are not two sides of a global
realism not to deny that unsavory groups like these also belong to the left. relationship between which a choice must be made, but two nearly identical
I mention these two statements lying ten years apart, both of which were expressions of a new racism, a racism believed in differently from earlier racisms,
made within the art field broadly speaking, in order to place the blockade of which is more detached, more cynical, more seemingly enlightened, more
ideology critique—indeed of a third ideology critique that had now become digital, less “sweaty,” and more technological—the drone aircraft of racisms.
necessary and had perhaps begun to appear on the horizon as early as But there was also another ideological-political novelty in the last decade. In
2000—in the context of two typical examples. To oversimplify somewhat, in the dispute over who stands closer to the political ideal, the global oppressed
the period after 9/11, in the context of the new ideological configuration of a or the seemingly free people with civil and human rights—a dispute that has
confrontation between the West and Islam, many made the mistake of detecting long since spread beyond the left—the political achievements of the post-
the old block configuration of the Cold War and seeking to combat it by ideology-critical ideology critique of the 1990s became grist for the mill:
analogous means. During the Cold War, many in the West, even if they didn’t feminism, anti-homophobia, and anti-racism, since they were now much more
side with the “really socialist” countries but rejected their idea of socialism and widely discussed and, for whatever reasons, acknowledged, were now pawns
communism, nonetheless in principle equated the West’s global and foreign in the game of the new false binary constellation. Thus, in the mouths of
policy ideology with ideological relations under capitalism and thus believed right-wing radicals, feminist ideas could suddenly be used to justify a visceral
they could practice anti-imperialist and anti-capitalist ideology critique in parallel. hostility to Islam. That’s how it was in the decade without ideology critique.
Similarly, after 9/11 and the invasions of Iraq and Afghanistan, there were One can sum it up by saying that no such critique took place. One might also
corresponding readings of the new configuration. The activist group Retort, for say it raged unchecked. Everyone used its tools. Everyone was able to employ
example, including T. J. Clark, saw a connection between the U.S. empire’s all existing critical tools, provided those tools were sufficiently far removed
new wars against states that were both oil-rich and Islamic and a return to primitive from their critical contexts. Is it time to break with this practice and call for the
accumulation as the dominant new resource of a capitalism now incapable of formation of new contexts and connections?
carrying out exploitation elsewhere—indeed, this was one of the more At this point, I would like to return to the statements by Butler and Enwezor that
nuanced and in many respects more plausible readings of the new situation. I mentioned at the beginning of section three, which explicitly raise the problem
of a context of ideology-critical activity: one by way of an inclusion and hence
On the other hand, especially in Germany there was a strong movement that an approval of the context formed—Islamists belong to the multitude –, the
turned vehemently against the old anti-imperialist reading of the conflicts, other by way of a rejection of context formation via inclusion—it doesn’t mean
rejected any left-wing solidarity with the attacked Islamic countries and anything if I include Hamas and Hezbollah in the left; we have to let go of the
regions, and instead praised the relatively advanced human rights situation in notion that the left automatically stands for what’s right. In one case the new
Israel. Only where civil liberties are realized, it argued, does communism have context is the multitude, in the other it is the left—both are candidates for the
a chance; old-school anti-imperialism, by contrast, was merely a pretext for Achilles’ heel of all ideology critique: the impact of the speaker’s own viewpoint,
lightly disguised anti-Semitism. As over the top and in its own turn ideological his or her necessary blind spot or bias. Both remarks thus evince an awareness
as it sometimes appeared, this position, which became popular or at least of the importance of context; at the same time, intentionally or not, they reveal
widely known under the label “anti-German” but is also held by leftists and a problem with such context formation. That problem concerns, among other
former leftists in other language areas—a strong proponent, for example, was things, the status of the description: is it a simple descriptive stock-taking,
the recently deceased Christopher Hitchens, whose final success was as a or does it imply a hard-won consensus around something normative? The
critic of religion—was able at least to make one thing clear even far beyond its multitude is likely the former, while the left is probably the latter.
immediate ideological “back yard”: neither are Israel and the Israeli Jews Hence Enwezor can be exonerated. In assigning the Islamic and Islamist
suitable candidates for the old role of the imperialist and oppressor, nor are uprisings to the movements of the multitude, he is only offering a description.
Muslims in general and Islamists in particular suitable candidates for that of He thus responds to the same difficulty as Butler, who refuses to put up with
revolutionary anti-imperialists. This insight, however, was only a useful tool of any universal left-wing normativity, and is, as it were, left with more to show
ideology critique when connected with the insight that, from an ideology-critical for his trouble: an assessment and a conceptual framework. The problem is

202 203
IDEOLOGIEKRITIK/-THEORIE & FEMINISMUS

that a category like the “multitude” can never be completely non-normative,


no matter how it is conceptualized, when it is used to describe a political  
constellation, which of course is full of objects that all discourse participants Ideologiekritik im engen Sinne wurde im Wesentlichen von marxistischen
necessarily evaluate. The result is a weak normativity which closely resembles Feministinnen betrieben. Doch auch wenn sie selten dezidiert so benannt
the automatisms adduced against ideology critique 1.0 in the form of the blind wurde: Ideologiekritik und -theorie sind seit jeher ein Kernbestandteil femi-
spot of an always already formed knowledge of who the good guys and bad nistischer Theorietradition. Selbst von Anfang an immer unter Ideologie-
guys were—the difference being that here that blind spot does not appear as verdacht stehend, hat der Feminismus aufzuzeigen versucht, dass es generell
clearly. The counterposition, which would operate with a highly normative keine ideologieunverdächtige (Gesellschafts-)Theorie gibt. Analog zur
concept and use it to define the left, would have the advantage that the blind Grundfrage jeder Ideologiekritik, wieso Menschen bereitwillig immer wieder
spot could be exposed and, if not overcome—since everyone knows that’s not auch Denksystemen folgen und in Praktiken verharren, die ihren eigenen
possible with blind spots—at least examined or simply formulated as perspectival Interessen widersprechen, suchte der Feminismus zunächst vor allem nach
and interested. That would have to happen beyond the ritual apolitical-personal einer Erklärung für die soziohistorische Stabilität von Misogynie, die global
disclosure of one’s own interests and involvements, by disclosing one’s criteria zu einer massiven und dauerhaften Disprivilegierung der Hälfte der Mensch-
and intentions relating to others: my blind spot is what I want from others, not heit geführt hat. Früh kritisierte er dabei jene zentrale Strategie, die bei der
what I can’t see about myself because my gaze is turned outward. Institutionalisierung von Ideologien – gleich ob es sich dabei um neoliberale
But this is something that can only be done by occupying and opening up oder um patriarchale handelt – besonders gern verfolgt wird: dieser den
movement- and project-based categories like “the Left” (by which I mean the Anschein von naturgegebener Unausweichlichkeit zu geben. Seit Simone
concept, not the German political party of the same name), that is, by accepting de Beauvoir ist nicht allein der abendländische Natur/Kultur-Dualismus
responsibility, not monadic irony or a super-universal “fighting constellation.” samt seiner geschlechtsrigiden Implikationen unter feministischem Be-
The point is to give the headworkers back their heads, which they have schuss, mit diesem Dualismus geriet schnell auch jeder Versuch in die Kritik,
delegated to their work: the place where they pass their judgments and construct kontingente Ergebnisse hegemonialer Verhältnisse als Resultat biologi-
their allegiances. A place they tend to leave today to their feelings and scher Bestimmung oder anderweitig als natürlich gesetzte Disposition
resentments, which become all the stronger since the decoupling of cognition zu verkaufen. Kaum eine andere Ideologiekritik hat außerdem die materiell-
and action tends to reinforce the bond between action and feeling, loyalty, körperlichen Auswirkungen von Ideologie so konsequent verfolgt wie die
identification. The remedy is neither a universal value nor a relational, proto- feministische Beschäftigung mit dem Leib als einem Ort ideologischer
narcissistic category of emancipatory subjectivity but a constellation of the Anrufungen und Anpassungen. Der Blick auf vergeschlechtlichte Körper,
two, in which the concept and the marking of perspective are equally strong. die mit ihrer vorgeblichen Naturwüchsigkeit die Plausibilität der Ideologie
This requires the analytical power of ideology critique 1.0, the non- or von einer unhintergehbaren Geschlechterdifferenz scheinbar ständig reaffir-
anti-sense of the art that emerged against it, as well as the ability to put the mieren, kann überdies als paradigmatische Analyse gelten, wie materielle
conditionings of those in the room, the materiality of their convictions, on the Manifestationen Funktionsweise und Fortbestand von Ideologie sichern.
table. Finally and above all, however, it takes a practical critique of the connection Pionierarbeit wurde auch von feministischer Wissenschaftskritik geleistet,
or contextual link between cognitive paralysis and the belief in the “deed indem diese eine Ausweitung von Ideologiekritik auf Wissensproduktion
of emotion.” With this unfortunately quite general sketch of a third critique und Wissenschaft betrieb und deren strukturellen Androzentrismus
of ideology—with equally strong universals and particulars and a notion of offenlegte. Diese Wissenschaftskritik hat sich nie auf einen bloß kompen-
perspective and observation of the observer that isn’t blind to power or satorischen Ansatz beschränkt – indem zum Beispiel die geschichts-
neutralistic, and which has learned from systems theory without adopting it politische Anerkennung der historischen Relevanz der Leistung von Frauen
wholesale—I would like to open the discussion. durch Frauengeschichtsschreibung vorangetrieben wurde –, sondern darüber
hinaus stets auch eine Fundamentalkritik an wissenschaftlicher Epistemo-
logie und Methodologie geübt, weil wissenschaftliche Objektivität als
immer bloß „situiertes Wissen“ (Donna Haraway) ¹ und Wissenschaft als

204 205
IDEOLOGIEKRITIK/-THEORIE & FEMINISMUS

   
auf subjektiver und kollektiver Erfahrung basierende „soziale Institution“
(Sandra Harding) ² entlarvt wurden.
Der klassisch-marxistische Gebrauch des Begriffes Ideologie als etwas,
das der Verschleierung und Legitimierung der tatsächlichen Machtver-
hältnisse dient, wurde von Feministinnen um eine zentrale Ebene dieser
Verschleierung ergänzt, indem auf die Ausblendung von weiblicher Repro-
duktionsarbeit als „blinde[m] Fleck in der Kritik der politischen Ökonomie“
(Claudia von Werlhof ) ³ verwiesen wurde. Die Haus- und Familienarbeit
von Frauen vergrößere durch die geleistete Reproduktion von Arbeits-
kraft den Mehrwert der industriellen Produktion und trage damit zu einer
Maximierung der Akkumulation von Kapital bei.
Doch auch wenn feministische Marxistinnen Kritik daran übten, dass der
Marxismus die Unterdrückung von Frauen als bloßen Nebenwiderspruch
1 Donna J. Haraway, „Situiertes Wissen. Die Wissenschaftsfrage im
betrachtete, blieb Ideologie auch für sie häufig auf ein Epiphänomen des Feminismus und das Privileg einer partialen Perspektive“, in: Sabine
Ökonomischen reduziert. Oder sie billigten der Ideologie zwar eine relative Hark (Hg.), Dis/Kontinuitäten: Feministische Theorie, 2., aktualisierte
Autonomie zu, wie etwa Michèle Barrett in „Ideology and the Cultural Pro- und erweiterte Aufl., Wiesbaden 2007, S. 305–322.
2 Sandra Harding, Feministische Wissenschaftstheorie. Zum Verhältnis
duction of Gender “ 4, betonten zugleich jedoch deren unauflöslich rezipro-
von Wissenschaft und sozialem Geschlecht, Hamburg 1990.
kes Abhängigkeitsverhältnis zu den materiellen ökonomischen Strukturen. 3 Claudia von Werlhof, „Frauenarbeit. Der blinde Fleck in der Kritik der
Postrukturalistische feministische Ideologietheorie hingegen betrachtet politischen Ökonomie“, in: beiträge zur feministischen theorie und
Ideologie im Anschluss an wie auch in Abgrenzung zu Louis Althusser nicht praxis, Heft 1, München 1978, S. 18 –32.
länger als „falsches Bewusstsein“ oder als „Verblendungszusammenhang“, 4 Michèle Barrett, „Ideology and the Cultural Production of Gender“,
in: Judith Newton, Deborah Rosenfeldt (Hg.), Feminist Criticism and
wogegen sich ein wie auch immer geartetes verbindlich Gutes oder eine Social Change, New York 1985, S. 65 –85.
objektive Wahrheit wenden könnten. Ideologie wird mit Rekurs sowohl 5 Judith Butler, Hass spricht. Zur Politik des Performativen, Berlin 1998,
auf psychoanalytische Theorien als auch auf den Dekonstruktionsbegriff S. 44.
Jacques Derridas als subjektkonstituierende, sinnstiftende Sprachim-
manenz verstanden sowie als Teil des „Imaginären“ und der „Ordnung des
Symbolischen“ (Jacques Lacan). Ideologie ist somit konstitutiver Bestand-
teil jeder Intelligibilität und bildet „die Möglichkeitsbedingung des Subjekts“
(Judith Butler).5 Denn nach Judith Butler korrespondiert im Althusser’schen
Anrufungsszenario die ideologische Interpellation – die immer auch ge-
schlechtszuweisend ist – mit dem Begehren des Subjekts nach autoritativer,
identifizierender Anerkennung.
Dennoch entwirft postmoderner Feminismus Subjekte keineswegs als bloß
unterworfene Ideologieprodukte, sondern richtet, u. a. mithilfe von Michel
Foucaults Machtanalysen, den Fokus auf die Möglichkeit einer wider-
ständigen Destabilisierung von Hegemonie.

Lea Susemichel

206 207
THEORY/CRITIQUE OF IDEOLOGY & FEMINISM

   
Ideology critique in the strict sense has essentially been carried out by The classic Marxist usage of the term ideology, as something that serves
Marxist feminists. But even if it is rarely decidedly labeled as such: the to veil and legitimize actual power relations, was amended by feminists
theory and critique of ideology have always been a core component of to include a central level of this veiling. They pointed to the active ignoring
the feminist theoretical tradition. Seen from the very beginning as of female reproductive work as a “blind spot in the critique of political
ideologically suspect, feminism has attempted to demonstrate that there economy” (Claudia von Werlhof).³ The reproduction of the worker, attained
is no (social) theory that is not ideologically suspect. In analogy with the by women’s work in the home and with the family, augments the surplus
basic question of every ideology critique, that is, why people are willing, value of industrial production, thus contributing to a maximum accumulation
time and again, to subscribe to systems of thought and to persist in of capital.
practices that go against their own interests, feminism initially and primarily But even when feminist Marxists leveled the criticism that Marxism
sought to account for the socio-historical stability of misogyny, which viewed the oppression of women as a mere secondary contradiction,
has led globally to a massive and durable de-privileging of half of humanity. ideology often remained reduced to an epiphenomenon of economics,
Very early on, it criticized the central strategy that is all too readily pursued even for them. Or they granted a relative autonomy to ideology, such as
in the institutionalization of ideologies—whether these are neoliberal or Michèle Barrett does in “Ideology and the Cultural Production of Gender,” 4
partriarchal: that of giving them the appearance of inevitability, established while at the same time emphasizing its irresolvably reciprocal dependence
by nature. Since Simone de Beauvoir, it is not only the occidental nature/ on material economic structures.
culture dualism, including its gender-rigid implications, that has come Poststructuralist feminist ideology theory, on the other hand, drawing on
under fire. Along with this dualism, any attempt to present contingent but also distinguishing itself from the work of Louis Althusser, no longer
findings of hegemonic conditions as the result of biological determinism views ideology as “false consciousness” or as a “context of delusion” which
or otherwise as a disposition fixed by nature has quickly met with criticism. could be opposed by a mandatory good or an objective truth of any kind
Furthermore, hardly any other critique of ideology has so consistently whatsoever. With recourse to both psychoanalytic theories as well as
pursued the material-corporal effects of ideology as has the feminist Jacques Derrida’s concept of deconstruction, ideology is understood as
engagement with the physical body as the site of ideological appeals a linguistic immanence that constitutes the subject and institutes meaning,
and accomodations. The view to the gendered body, with its ostensibly as well as part of the “imaginary” and the “symbolic order” (Jacques Lacan).
natural basis, which seems to constantly reaffirm the ideological plausibility Ideology is thus a constitutive component of all intelligibility, and forms
of an absolute difference between the sexes, can serve as a paradigmatic “the condition of possibility for the speaking subject” (Judith Butler)5. For,
analysis of how material manifestations can ensure the ways ideology according to Butler, ideological interpellation in the Althusserian scenario
functions and see to its continued existence. of appeal—which is also always gendered—corresponds to the desire of the
Pioneering work has also been done by the feminist critique of science, subject for authoritative, identifying recognition.
extending the critique of ideology to the production of knowledge and Nonetheless, postmodern feminism does not imagine subjects as simply
science, and revealing their structural androcentrism. This critique of subjugated products of ideology; it instead shifts the focus, in part using
science has never been restricted to mere compensation—in which, for Michel Foucault’s analyses of power, to the possibility of a resistant
example, the historico-political recognition of the historical relevance of destabilization of hegemony.
the achievements of women would be promoted by writing women’s
history—but has also continually leveled a basic criticism of scientific Lea Susemichel
epistemology and methodology. Scientific objectivity has been exposed
as always merely “situated knowledges” (Donna Haraway) ¹ and science
as a “social institution” (Sandra Harding) ² based on subjective and
collective experience.

208 209
THEORY/CRITIQUE OF IDEOLOGY & FEMINISM


FEMINISMUS ALS SKIZZE UND
ÜBERSETZUNG. EIN GESPRÄCH
MIT ULRIKE MÜLLER
Eva Birkenstock

In Vorarlberg aufgewachsen, hat Ulrike Müller in Wien studiert und ist 2002
nach New York gegangen, wo sie heute noch lebt. Für den vorliegenden
Beitrag haben wir über ihr Agieren im Spannungsfeld zwischen individuellen
und kollektiven Arbeiten nachgedacht und darüber, was es bedeutet, feministi-
sche Diskussionen und künstlerische Praxis zusammenzudenken. Ausgehend
von ihren eigenen künstlerischen Arbeiten haben wir das Verhältnis von Kunst
1 Donna J. Haraway, “Situated Knowledges: The Science Question und Feminismus befragt und überlegt, wann und ob künstlerische Arbeiten
in Feminism and the Privilege of Partial Perspectives,” in: Feminist „feministisch“ sein können. Im Zentrum unseres Gesprächs steht das Projekt
Studies, 14, 1988, pp. 575 –599.
Herstory Inventory, das Ulrike Müller 2009 initiierte. Ausgangspunkt von Herstory
2 Sandra Harding, The Science Question in Feminism, New York, 1986.
3 Claudia von Werlhof, “Frauenarbeit. Der blinde Fleck in der Kritik der Inventory bildete eine Recherche in den Lesbian Herstory Archives 1 in Brook-
politischen Ökonomie,” in: beiträge zur feministischen theorie und lyn, New York, ein 1974 von einer Gruppe von Frauen gegründetes, selbst-
praxis, Issue 1, Munich, 1978, pp. 18 – 32. organisiertes Archiv, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, Dokumente und
4 Michèle Barrett, “Ideology and the Cultural Production of Gender,”
Memorabilia lesbischer Lebensentwürfe und Aktivitäten zu sammeln und auf-
in: Judith Newton , Deborah Rosenfeldt (eds.), Feminist Criticism and
Social Change, New York, 1985, pp. 65 – 85.
zubewahren. Während ihrer Recherchen ist sie auf eine von einer ehrenamtli-
5 Judith Butler, Excitable Speech: A Politics of the Performative, chen Mitarbeiterin verfasste Inventarliste gestoßen, die auf eigenwillig akri-
New York, 1997, p. 28. bische und zugleich poetische Art und Weise die grafischen Elemente der seit
den 1970er Jahren im Archiv verwahrten T-Shirts beschreibt. Als Codes von
Mitgliedern einer Gemeinschaft äußern sie teils humorvoll, teils wütend Begier-
den, politische Ansichten und Allianzen. Von dieser Liste ausgehend hatte
Ulrike Müller 100 Künstlerinnen eingeladen, die textuellen Beschreibungen
in Zeichnungen zu übertragen und damit von ihrer jeweiligen Gegenwart aus
subjektive Perspektiven auf die feministische Bewegungsgeschichte zu
richten. In einem breiten Spektrum an Stilen und Herangehensweisen führen
die kleinformatigen Zeichnungen und Collagen bzw. die Übersetzungen der
Textzeilen in Bilder persönliche Haltungen gegenüber lesbisch-feministischen
Bildfindungen auf und konfrontieren sie mit ihren queer-feministischen Aktuali-
sierungen. Im Frühjahr 2012, kurz bevor die Sommerakademie in Bregenz
stattfand, war eine Auswahl dieser an die T-Shirt-Beschreibungen angelehnten
Zeichnungen in der Ausstellung Herstory Inventory. 100 feministische Zeich-

1 http://www.lesbianherstoryarchives.org.

210 211
FEMINISMUS ALS SKIZZE UND ÜBERSETZUNG

nungen von 100 Künstlerinnen in einer Rauminstallation in der KUB Arena zu Edition von b_books in Berlin. In dieser Diskussion um Althusser etablierte
sehen. Im Juni 2012 wurde die Ausstellung in einer anderen Form im Brooklyn sich unter anderem die Einsicht, dass es kein Außerhalb von Ideologie gibt, auch
Museum präsentiert. Die Arbeit erschien uns in vielerlei Hinsicht als Aus- und besonders nicht in der Kunst. Zwischen diesen beiden grundlegenden
gangspunkt unseres Beitrags interessant, da sie eine Vielzahl künstlerischer Erkenntnissen, dass Feminismus eine strukturelle, politische Herausforderung
Vorgehensweisen feministische Fragestellungen betreffend impliziert. Das ist und dass kritisches Begehren innerhalb von Ideologie operiert, welche han-
Zeichnen wurde zu einem Akt der politischen Auseinandersetzung mit histori- delnde Subjekte als solche erst konstituiert, wurde deutlich, dass in Bezug auf
schen Insignien, Symbolen und Positionierungen des US-amerikanischen Subjektkonstrukte und Handlungsfähigkeiten komplexere Denkmodelle not-
feministischen Diskurses, die entstandenen Zeichnungen wiederum verweisen wendig waren. In dieser Zeit habe ich Judith Butlers Unbehagen der Geschlechter
auf die der Reproduktion dieser Kultur eigenen Herausforderungen. Kurz, es gelesen und Musik wie die von Le Tigre gehört. Auch wenn mir damals die
war naheliegend, an unseren Austausch über Herstory Inventory anzuschlie- konkrete Geschichte der Riot-Grrrl-Bewegung nicht vertraut war, ist ihre Energie
ßen, um über Politiken der Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit sowie über das durch Songs und Lyrics doch sehr direkt angekommen.
Verhältnis des Projekts zu Ulrike Müllers individueller malerischer Praxis nach- Die Entscheidung nach New York zu gehen war vornehmlich von der Frage
zudenken – Themen, die wir im Rahmen zweier Skype-Gespräche und geleitet, ob ich nun Künstlerin sein würde oder nicht, und wenn ja, was das
einiger E-Mails, auf denen dieses Interview beruht, aufgriffen und fortsetzten. konkret bedeutete. In meinem Wiener Umfeld schien kritischer Anspruch fast
synonym mit einer „post-studio“-Haltung, und mein künstlerisches Schaffen
Eva Birkenstock  Im Herbst 2002 bist du von Wien nach New York gegan- löste sich in Zusammenarbeit nahezu auf. Konkret habe ich damals u. a. eine
gen, was hat dich dorthin geführt? Erinnerst du dich daran, welche Diskussio- Zeitschrift 2 mitherausgegeben oder im Rahmen der Freien Klasse mit anderen
nen jeweils in Wien und New York zu dieser Zeit für dich prägend waren, wie Studierenden zusammengearbeitet. Mich beschäftigten zunehmend Fragen
du beide Kontexte wahrgenommen hast? nach meiner Position als Künstlerin außerhalb dieser Gruppenkontexte und
nach Kunst als Lebensentwurf und Berufsentscheidung. So wichtig und
Ulrike Müller  Während meines Studiums begann an den Wiener Kunsthoch- prägend die Zeit in Wien auch war, und besonders die autodidaktische Haltung
schulen ein verspäteter Generationswechsel, der auf mehreren Ebenen einen und der Aktivismus der Freien Klasse, so gab es gleichzeitig ein Begehren
Epochenumbruch bedeutete, nicht zuletzt weil Frauen noch Anfang der 1990er nach einer materiellen und nicht nur diskursiven Praxis, die in diesem Kontext
Jahre in der Lehre stark unterrepräsentiert waren. Zwischen einem veralteten zu kurz zu kommen schien. Diese Fragen habe ich nach New York mitge-
Kunstbegriff an der Akademie und Tendenzen zur kritisch-diskursiven Produk- bracht. Ich hatte damals den Eindruck, dass die einzelnen Ansätze, aus denen
tionsverweigerung unter jüngeren KünstlerInnen präsentierte sich die Formu- ich mir so etwas wie eine Ausbildung zusammenbastelte – die autodidakte
lierung von künstlerischer Praxis als komplexes Problem. Wichtig war, dass Haltung, das ständige Operieren in Opposition zu Institutionen oder der Ver-
Mitte der 1990er Jahre Isabelle Graw nach Wien kam. Sie führte in ein ver- such, aus der Kritik heraus eine Haltung zu formulieren –, dass all diese Puzz-
staubtes Modell von Kunsterziehung und Akademie eine neue Perspektive ein lestücke sehr interessant waren, jedoch strukturelle Zusammenhänge fehlten.
und damit ein anderes Kunstverständnis, eine Alternative zu dem noch sehr Als Weiterführung und Intensivierung der Auseinandersetzungen in Wien
dominanten Meisterklassenprinzip; eine Öffnung hin zur Gegenwartskunst erschien das Whitney Independent Study Program (ISP) 3 ein logischer nächs-
als diskursivem Feld. Erstmals wurde innerhalb des Kunsthochschulkontextes ter Schritt, vielleicht auch weil hier kritischer Anspruch und produktive Haltung
feministische Theorie explizit rezipiert und diskutiert. Ich erinnere mich, dass vereinbar schienen. Das Werk von Mary Kelly und Martha Rosler hatte ich in
es damals wichtig war, zu dem Verständnis zu kommen, dass es sich beim Wien durch Ausstellungen in der Generali Foundation kennengelernt, und ich
Feminismus nicht um einen Inhalt handelt, der in einfach vorgegebene Formen erinnere mich daran, in der Kunsthalle Arbeiten und Filme von Yvonne Rainer
überführt werden kann, sondern dass Feminismus immer auch ein Neudenken gesehen zu haben, um nur einige Beispiele zu nennen.
und Umdenken von Struktur- und Machtverhältnissen innerhalb von Institu-
2  Die weiße Blatt, mit Linda Bilda, Nora Herrmann und Kristina Haider.
tionen bedeuten muss. Etwa zeitgleich leitete Isolde Charim an der Philoso- 3  Bei dem Whitney Independent Study Program handelt es sich um ein 1968 von Ron Clark
phischen Fakultät ein Seminar zu Althussers Ideologiekritik und ideologische gegründetes und an das Whitney Museum of American Art in New York angebundenes
Staatsapparate, das ich, wie auch andere Kunststudierende, regelmäßig Ausbildungsprogramm für angehende KünstlerInnen, KuratorInnen und TheoretikerInnen. Seit
seiner Gründung wird jährlich eine Gruppe von Personen für die Teilnahme am ISP ausgewählt,
besuchte; das Buch war damals vergriffen, aber es gab eine schicke Bootleg- das jeweils von September bis Mai abgehalten wird. Für weitere Informationen siehe:
http://www.whitney.org/Research/ISP.

212 213
FEMINISMUS ALS SKIZZE UND ÜBERSETZUNG

EB  Du hast in der Folge ein Jahr am Whitney ISP teilgenommen. Kannst du UM  Der Kontext um LTTR wurde in meinen ersten Monaten in New York
die Struktur des Programms genauer beschreiben, wo lagen die Arbeits- schnell zum wichtigsten Bezugspunkt. Einerseits gab es das Whitney-Pro-
schwerpunkte, was wurde diskutiert oder gelesen, wie konntest du als Künst- gramm mit dieser Wucht der postmarxistischen Kritik und den diskursiv veran-
lerin, die du schließlich geworden bist, davon profitieren? kerten Kunstpraxen der Leute, die da präsentierten, und andererseits das
Realzeitgeschehen um LTTR und die queer-feministische Energie der hier ver-
UM  Am Whitney Program gab es zwei wöchentliche Veranstaltungen, einen sammelten künstlerischen und aktivistischen Projekte. Ich kam im September
Gastvortrag und das Leseseminar, das mit dem Erbe der Britischen Cultural 2002 in New York an, im Dezember wurde die Präsentation der ersten
Studies und mit poststrukturalistischen Begrifflichkeiten operierte und etwa Ausgabe von LTTR gefeiert, Redakteurin wurde ich erst 2005. In den folgen-
einen Bogen von Benjamin und Brecht zur Institutionskritik schlug, zum anderen den Jahren war es dieser Kontext, der es mir ermöglichte, die Produktion
aber auch psychoanalytische Denkmodelle einführte, die mir aus Wien nicht bedeutungsstiftender Objekte, die sich nicht in der kapitalistischen Warenform
vertraut waren. Gregg Bordowitz öffnete diesen Diskurs hin zur Affekttheorie, erschöpfen, nicht nur zu denken, sondern auch zu erproben. Wichtig war die
was eine Brücke von kritischer Auseinandersetzung hin zu Gefühlen und Materi- Autonomie von Form und die Erkenntnis, dass Form Bedeutung hält, ohne
alität schlug. Zudem waren auch einfach die Differenzen innerhalb dieses erwei- dass Haltung immer direkt in Inhalt übersetzt werden muss bzw. dass es
terten, späten October-Umfelds, das ich in Europa zwar nicht als uniforme, möglich ist, Begehren und Haltung formal zu fassen. Das von dir angespro-
aber doch als kohärente Diskussion rezipiert hatte, sehr viel größer als vermu- chene andere Verständnis von Kollektivität hat auch damit zu tun: LTTR ope-
tet. In Studio Visits mit Vortragenden wie Andrea Fraser, Yvonne Rainer, rierte auf der Basis von Zusammenarbeit und mit einer Idee von „community“
Benjamin Buchloh oder Isaac Julien gab es nicht einfach nur eine Perspektive als größerem Kontext und Potenzial. Zugleich gab es auch Raum für eine
auf meine Arbeit. Ich hatte in Wien in Zusammenarbeit mit zwei Künstlerinnen anders gedachte Konzeption von Autorschaft. Während es im Wiener Kontext
aus der Freien Klasse, Jane Heiss und Patricia Reschenbach, ein recherche- eine Tendenz gab, individuelle Positionen im Kollektiv aufzuheben, entstand im
basiertes Projekt über Frauen in der Situationistischen Internationalen 4 entwi- Umfeld von LTTR aus vielen einzelnen Projekten ein vielstimmiges und offenes
ckelt, und diese Arbeit bildete eine Grundlage für erste Gespräche am Whitney. Feld, in dem das Eigene das Kollektiv gestaltet und bedingt. Nicht normative
Beeindruckend fand ich damals zum Beispiel, dass sich Benjamin Buchloh bei politische und sexuelle Begehren bildeten einen sinnstiftenden Kontext für
seinem Studio Visit mit mir über die formalen Aspekte der Zeichnungen unter- künstlerische Tätigkeit und wurden zum Rahmen, in dem sich meine maleri-
halten wollte, die wir im Zusammenhang mit diesem Projekt gemacht hatten. sche Praxis entwickelte.
Insgesamt war es wichtig, in New York ein Umfeld zu finden, in dem es eine
lange Geschichte von Kunstbetrachtung gibt, in der formale Kriterien nicht nur EB  Welche Rolle spielten die Veränderungen im New Yorker Kunstfeld der
ernst genommen, sondern als zentral verstanden werden. Aus Wien kannte ich frühen 1990er Jahre im Zuge der AIDS-Krise für die Gründung von LTTR? Zu
das so nicht, dort lag der Fokus verstärkt auf Diskurs und Inhalt, formal gab es jener Zeit schienen sich die getrennten Sphären von aktivistischen Tendenzen,
eine bestimmte konzeptuelle Ästhetik und natürlich auch kreative Ideen, es wurde z. B. im Kampf gegen AIDS, und Initiativen wie ACT UP 6 verstärkt mit dem
aber auf dieser Ebene nicht wirklich mit der gleichen Intensität gearbeitet. künstlerischen und kunsttheoretischen Feld verwoben zu haben. Natürlich
spielt hier auch die 1987 von Douglas Crimp gestaltete Ausgabe des Magazins
EB  Neben den Aktivitäten am Whitney-Programm hast du dich seit deiner
Ankunft in New York auch in kollektiven Arbeitszusammenhängen außerhalb
und Kooperationen mit dem Ziel, einen Kontext für kulturkritische Denkerinnen zu schaffen, deren
dieser Struktur bewegt, hier denke ich insbesondere an das 2002 gegründete Arbeit nicht nur ein Dialog miteinander ist, sondern die sich konsequent, durch Änderungen in
Kollektiv LTTR.5 Vielleicht kannst du diesen Kontext näher beschreiben, auf Form und Design, immer wieder neu den zeitgenössischen Fragen stellt, aus: http://www.lttr.org/.
welches Verständnis von Kollektivität bist du gestoßen? 6  ACT UP (AIDS Coalition to Unleash Power) ist eine Bewegung, die 1987 in New York in
Reaktion auf Versäumnisse der US-amerikanischen Regierung im Zuge der sich zunehmend
dramatisierenden AIDS-Krise gegründet wurde und in einem Marsch mit 650000 Menschen nach
4  J.U.P., Situationistinnen und andere …, Berlin 2001. Washington gipfelte. Als unabhängige Vereinigung bewirkte ACT UP durch öffentlichkeits-
5  LTTR ist ein queeres, genderüberschreitendes Künstlerinnenkollektiv, das flexibel und wirksame Aktionen eine Sichtbarkeit und Politisierung der AIDS-Krise, Lobby-Arbeit ermöglichte
projektorientiert arbeitet. Gegründet wurde es 2001 von Ginger Brooks Takahashi, K8 Hardy und darüber hinaus, politischen Druck auszuüben, während zugleich Netzwerke zur Unterstützung
Emily Roysdon. Von 2001 bis 2006 gab LTTR ein unabhängiges jährlich erscheinendes Kunst- und Pflege von Erkrankten geschaffen wurden. ACT UP ist bis in die Gegenwart aktiv und findet
magazin heraus, produzierte zudem eine Performance-Serie, Veranstaltungen, Filmvorführungen weltweit Resonanz. Siehe http://www.actupny.org/.

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FEMINISMUS ALS SKIZZE UND ÜBERSETZUNG

October, AIDS:Cultural Analysis/Cultural Activism, eine wichtige Rolle.7 Mit ihr feministischen Archiv beziehst, um gegenwärtige Kollektivität zu formulieren.
erreichten die aktivistischen Tendenzen auch die Spitzenpositionen der Kunst- Wie denkst du kritische Positionalität und identitäre Zuschreibungen in diesem
kritik und führten zu einer Auflösung der strikten Hierarchien zwischen Hoch- Zusammenhang?
kultur, Subkultur und sozialer Realität – zumindest für einen Moment. Wie lässt
sich LTTR in diesem Zusammenhang verorten? Inwiefern war die AIDS-Krise UM  Ich erinnere mich an den Moment bei dir im Büro, als wir darüber nach-
mit ihren anhaltenden Auswirkungen präsent, wie hast du das wahrgenommen, dachten, wie wir die speziell für Bregenz entwickelte Rauminstallation auf der
als du Anfang 2000 nach New York kamst? Kann man sagen, dass die Arbeits- Checkliste bezeichnen sollten. Wir einigten uns auf „feministische Raum-
weise und das Selbstverständnis von LTTR von dieser Zeit geprägt waren, ge- skizze“, was einen gewissen Humor hatte, aber aus der Dynamik, der Energie
rade in der Verbindung von künstlerischen und aktivistischen Vorgehensweisen? und der Haltung des Projekts selbst entstanden war. In solchen Momenten
Wie siehst du das Verhältnis von LTTR zu diesem Teil der Bewegungsgeschichte? konkreter Zusammenarbeit interessiert mich genau das, wie diese Idee
spontan zwischen uns beiden entstehen konnte, aber gleichzeitig einer gewis-
UM  In Gesprächen mit Leuten, die ich damals kennenlernte, begegnete mir sen, vom Projekt vorgeschlagenen Logik folgt. Ich glaube, in Bezug auf Ideo-
die AIDS-Krise als offene Geschichte, als traumatische jüngere Vergangenheit logiekritik als Thema dieses Buchs war es im konkreten Fall der Ausstellung
mit verheerenden Auswirkungen auf nicht-heteronormative Körper, die keines- Herstory Inventory in der KUB Arena wesentlich, darauf zu reflektieren, was
wegs vorbei war. Ein Bewusstsein der AIDS-Krise war auf jeden Fall in der eigentlich die Annahmen und Erwartungen sind, die im gebauten Raum schon
Formulierung von LTTR präsent. Die erste Ausgabe trug beispielsweise Emily vorhanden waren, um dann Strategien zu entwickeln, diesen zu begegnen. Die
Roysdons Arbeit zu David Wojnarowicz auf dem Cover,8 es gab also eine Aus- Architektur bildete so etwas wie eine konkrete Instanz der Frage danach,
einandersetzung mit diesem aktivistischen Erbe sowie zahlreiche persönliche welches kritische Verhältnis zur Anwendung gebracht werden sollte. Mit der
Verbindungen zu einem von der AIDS-Krise gezeichneten New York. Wir honiggelbfarbenen Fläche, die fast den gesamten Raum der KUB Arena als
waren uns bewusst, dass die queeren Räume, die wir gestalteten, politische intervenierendes Ausstellungsdisplay sozusagen überschrieb, war es möglich
Wurzeln in ACT UP hatten, wo angesichts akuter Lebensgefahr identitätspoliti- einen eigenständigen Raum für die auf Stellwänden gruppierten Zeichnungen
sches Denken anderen Allianzen weichen musste. zu eröffnen. Auf diesem „quer“ zum Raster der Zumthor-Architektur in das
Meine Begeisterung für LTTR begann konkret bei der Party zur Präsentation Erdgeschoss gesetzten Rechteck, das das in der gebauten Struktur angelegte
der ersten Nummer mit dem Titel Lesbians To The Rescue. Matt Wolf, ein Regelwerk missachtete, um an einer Stelle an der Betonwand hochzuklappen
damals junger Filmemacher, kletterte auf einen Stuhl und sagte, dass er die und ein Dreieck zu bilden, verschränkten sich individuelle und kollektive,
Frage, warum ausgerechnet er eingeladen worden war, die Ansprache zu künstlerische und kuratorische, gegenwärtige und vergangene Gesten. Neben
halten, nur so beantworten könne: „because I’m a fag and also a feminist“ den Verweisen auf die 1970er Jahre – durch die Tapete auf den Stellwänden
(weil ich schwul und zudem ein Feminist bin). Weil in meiner eigenen Erfahrung und die auf der Fläche verteilten Zimmerpflanzen – war es wichtig, innerhalb
Identitätskategorien ebenfalls nie so recht zu passen schienen, war ich natür- der Institutition einen eigenen Raum zu behaupten und die Zeichnungen nicht
lich Feuer und Flamme. direkt an die Wände der Institution zu hängen.

EB  Im Jahr 2012 hatten wir die Gelegenheit, anlässlich der Ausstellung EB  Das ist ein interessanter Punkt, du sprichst damit auch die Beobachtung
deines Projekts Herstory Inventory. 100 feministische Zeichnungen von 100 an, die während unserer Recherchen in Bregenz wichtig wurde, dass es vor
KünstlerInnen in der KUB Arena des Kunsthaus Bregenz miteinander zu arbei- Ort keine queer-feministische Szene gibt, die in direktem Bezug zu dem
ten. Bei diesem Projekt geht es um die Auseinandersetzung mit einer feminis- Projekt steht – wie es bei der Ausstellung in New York der Fall war: durch die
tischen Bewegungsgeschichte, da du dich auf Materialien aus dem lesbisch- Tatsache, dass das Brooklyn Museum nicht weit von den Lesbian Herstory
Archives entfernt liegt, aber auch, weil viele der beteiligten ZeichnerInnen in
7  http://www.mitpressjournals.org/loi/octo.
8  Emily Roysdon, Untitled (David Wojnarowicz Project), 2001–2007, ist ein Projekt, das New York leben. Hinzu kam nun noch die erstmalige Verschiebung von der
fotografische Arbeiten des Künstlers, Aktivisten, Autors und Filmemachers David Wojnarowicz Vergabe von Zeichenaufgaben, des Austauschs über künstlerische Praxis und
(1954–1992) aus den spätern 1970er Jahren neu positioniert und Abbildungen seines Gesichts Bewegungsgeschichte bis hin zu Fragen der Präsentation in der KUB Arena,
karikiert. Wojnarowicz schuf Arbeiten zum Thema AIDS und verwendete eine große Bandbreite
an Medien, um offen und direkt die Notlage der an AIDS Erkrankten im New York der 1980er Jahre fernab von den intimen und geschützten Kontexten und Verhandlungsräumen
darzustellen.

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FEMINISMUS ALS SKIZZE UND ÜBERSETZUNG

ihrer Entstehung. Ich glaube, dass es vor diesem Hintergrund wichtig war, die und absolut angenommen, sondern als wandlungsfähige und bewegte Refe-
feministische Raumskizze erst einmal als Behauptung zu implementieren, als renz, die sich in der Gegenwart fortschreibt, das kommt nicht zuletzt medial
Bezeichnung für das entworfene Raumbild. Du hast es daher auch so entwor- zum Ausdruck. So war es bei der Ausstellung in der KUB Arena, in der verhält-
fen, dass es für einige Zeit die Architektur der Institution überlagerte. Vielleicht nismäßig dominanten Architektur von Peter Zumthor, wichtig, die Präsentation
ging es auch darum, von vornherein einen Rahmen abzustecken – es geht um nicht einer absoluten Setzung folgen zu lassen, die nur eine mögliche Leseweise
Feminismus –, wobei der Begriff Skizze wiederum Offenheit zulässt. Zudem vorschreibt, sondern verschiedene Zugänge, Öffnungen zu dem Material zu
wirft die Behauptung natürlich die Frage auf, was überhaupt feministische Räume generieren: Neben der Präsentation all derjenigen Publikationen, in denen das
ausmacht bzw. wann ein Raum als feministischer Raum bezeichnet werden Projekt bereits veröffentlicht worden war, neben der Audioinstallation, wo die
kann und was überhaupt feministische Zeichnungen sind? T-Shirt-Beschreibungen bzw. die Titel der Zeichnungen vielstimmig im Raum
zu hören waren, gab es nicht nur vier frei stehende Wände mit der Auswahl der
UM  Du hast natürlich Recht, für die Ausstellung in Bregenz war es grundle- von dir gruppierten Zeichnungen, sondern zusätzlich eine Diaprojektion als
gend, erst einmal zu verstehen, wie sich die Frage nach queerer Sichtbarkeit Verweis auf eine andere Form der Betrachtung der Zeichnungen. Beim Betrach-
heute im lokalen Kontext anfühlt. Ich glaube, dass die Frage nach Ideologie ten der Dias konnte man dir zuschauen, wie du dir selbst die Zeichnungen ansiehst,
immer auch die Frage nach der unsichtbaren Logik ist, die Beziehungen und Details näher heranzoomst usw. Schon in der Präsentation schienen eine gewisse
Lebensalltag strukturiert – was kann wie erfahren und adressiert werden? Im Beweglichkeit und das Potenzial von Veränderung im Vordergrund zu stehen.
Rahmen von Herstory Inventory in Bregenz wollte ich Fragen nach Sichtbarkeit
und Unsichtbarkeit in den Raum stellen und die von dir angesprochene Prob- UM  Es war mir bewusst, dass es kulturelle, soziale und institutionelle Verschie-
lematik von Übersetzung thematisieren, ohne die dabei entstehenden Leer- bungen gibt, die nicht nahtlos miteinander funktionieren können. Und dass in
stellen zu füllen. In meiner Vorstellung funktionierte die Ausstellung als eine Art der Übersetzung aus einem doch recht spezifischen Zusammenhang, der sich
Parallelraum, und die feministische Raumskizze im Erdgeschoss des Kunst- zum einen aus meiner eigenen Verortung, zum anderen aus der Logik des
hauses war ein Versuch, einem an sich sehr soliden Gebäude verschiedene Projekts produziert, eine Ferne zu Bregenz, zur am Ausstellungsort vorgefun-
Öffnungen für nicht normative Imagination einzuschreiben. Eine positive For- denen Situation entsteht. In diesem Zusammenhang beschäftigte mich die
mulierung von Kritik, die sich nicht an Missständen abarbeitet, sondern vielmehr Frage, ob es einen queeren Raum geben kann, der nicht von queeren Körpern
andere Perspektiven als Angebot formuliert. besetzt ist. Ich wollte wissen, ob soziale Vorstellungen und Erwartungen im
Was die Behauptung „feministischer“ Zeichnungen betrifft – sie ist natürlich Raum so aktiviert werden können, dass sie Körper adressieren, die sich selbst
auch eine Provokation genau der Frage, die du stellst. Zum einen ging es nicht als unangepasst oder pervers identifizieren. Also ein Prozess des Erken-
darum, dieses Adjektiv im Titel unterzubringen, zum anderen Übergriffe und nens und Nicht-Erkennens oder vielleicht auch von verfehlter Anrufung, den
Zuschreibungen zu vermeiden. Nachdem ich die teilnehmenden KünstlerInnen ich zumindest versuchsweise in Bewegung setzen wollte. Eine der Fluchtlinien
gefragt hatte, ob sie Lust hätten, historisches feministisches Bildmaterial neu von queerer Theorie ist ja, dass alle Sexualität queere Sexualität ist, und ich
zu interpretieren, schien es zulässig, die Zeichnungen als feministisch zu fragte mich, ob sich das vielleicht als Ausgangspunkt für ein Misstrauen gegen-
bezeichnen. Andererseits wirkt sich das natürlich auf die Wahrnehmung der über zu viel performter Normalität mobilisieren ließe.
Arbeiten aus, wenn etwa Linda Bildas Comic-Zeichnung von zwei Guerilla-
Kämpferinnen im Dialog – Wipe them out! All of them? –, in der die Künstlerin EB  Mir ist aufgefallen, dass du, wenn du das Projekt beschreibst, den Begriff
aus Star Wars zitiert, von einem Betrachter als Ausdruck von Männerhass „queer“ benutzt. Wie kommt es, dass wir, als wir eine Bezeichnung für die
gelesen wurde. Ich sehe das aber eher als Manifestation individueller Ängste „feministische Raumskizze“ entwarfen, nicht auf die Formulierung „queere“
und Stereotypen und nicht als als eine der Zeichnung inhärente Problematik. oder „queer-feministische Raumskizze“ gekommen sind?

EB  Möglichkeiten der anhaltenden Übersetzung und Neupositionierung des UM  Gut, dass du das ansprichst. Ich habe ein sehr ambivalentes Verhältnis
Ausgangsmaterials und der auf dieses Bezug nehmenden zeichnerischen Pers- zu dem Begriff „queer“ und wollte eigentlich versuchen, ihn nicht mehr zu ver-
pektiven scheinen zentral, so präsentiert sich das Projekt als unendlicher wenden. Ich tue es aber doch immer wieder, vielleicht weil er als Abkürzung
Übersetzungsprozess. Der historische Ausgangspunkt wird nicht als eindeutig nützlich erscheint. Obwohl das gerade in diesem Zusammenhang zu hinterfra-

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FEMINISMUS ALS SKIZZE UND ÜBERSETZUNG

gen ist: Wie produktiv ist diese Abkürzung im Endeffekt, wie viel Verständnis UM  Herstory Inventory beruht auf ungezählten Interaktionen mit KünstlerIn-
und Missverständnis produziert diese Verkürzung? Auf jeden Fall wollte ich nen, üblicherweise waren das Gespräche, im Zuge derer ich irgendwann fragte,
diesen Begriff nicht im Titel von Herstory Inventory verwenden. Ich erinnere „Zeichnest du?“ Mit der Ausstellung der Zeichnungen in einem öffentlichen
mich im Zusammenhang mit der Ausstellung in Bregenz an ein Gespräch mit Kontext fand eine konzeptuelle Verschiebung hin zu einer komplexeren Aufgabe
Johanna Schaffer, die genau diese Wortwahl infrage stellte, weil aus ihrer Per- statt: Nun ging es um eine Auseinandersetzung damit, wie sich diese Samm-
spektive in Österreich und Deutschland der Begriff „Feminismus“ problema- lung von Zeichnungen zu den ausstellenden Institutionen verhält. Es schien
tisch ist, da er eine weiße, bürgerliche Subjektivität impliziert. Im Gegensatz mir zwar wichtig, über Fragen der „Sichtbarkeit“ und der „institutionellen Kritik“
dazu verstand ich den Begriff „Feminismus“ als gemeinsamen Bezugspunkt, nachzudenken und damit über zwei Begriffe, die seit den 1980ern politische
der auch die Lesbian Herstory Archives und die dort dokumentierte Geschichte und künstlerische Diskurse bestimmen. Ich verstehe meine Rolle dabei aber
des lesbischen Feminismus mit einschließt. Die intergenerationale Weitergabe nicht als die einer Kuratorin. Für mich ist dieses Projekt Teil meiner künstleri-
des dort gesammelten Wissens ist eine komplexe und emotionale Angelegen- schen Praxis. Es entsteht aus einem Nachdenken darüber, was Kunst kann, wie
heit, nicht zuletzt weil sich die Möglichkeiten von Gender in den letzten Jahr- Ideen entstehen, wie Dinge zirkulieren – und auch aus dem schon in der Freien
zehnten so drastisch erweitert haben und das Subjekt des Feminismus nicht Klasse formulierten Begehren, den Vereinzelungsmechanismen im Kunstbetrieb
mehr einfach „Frau“ oder „Lesbe“ ist. Der Begriff „queer“ kann von einer entgegenzuwirken, nur eben nicht aus einer Produktionsverweigerung heraus.
älteren Generation von Feministinnen auch als abgrenzend und sogar abwer- Mit deiner Frage weist du zudem hin auf die Schnittstelle zwischen einem
tend wahrgenommen werden. Was für die Verwendung dieses Begriffs spricht, künstlerischen Formverständnis im traditionelleren Sinn, wo es um Farbe, Form
ist, dass er sexuelle Politik und eine Allianz des Dagegenseins behauptet, und Raum geht, und einem Konzept von Form, das sich auf soziale Strukturen
andererseits riskiert er zunehmend, sich auf unproduktive Art und Weise auf bezieht. In der Installation ging es mir um die Verbindung von beidem. Die
Identität zurückzufalten und zu einer von außen zuschreibenden, ethnografi- Art und Weise, wie sich das 150 Quadratmeter große gelbe Rechteck in die
schen Bezeichnung zu werden. Zudem finde ich es schwierig, diesen englischen Betonarchitektur einschiebt und eine eigenständige Fläche, einen Raum im
Begriff in einem deutschsprachigen Kontext zu verwenden, wo seine Geschichte Raum bildet, entwickelte sich unmittelbar aus meinen malerischen Vorgehens-
und nicht akademische Alltagsbedeutung verloren gehen. Das Wort „Feminis- weisen. Diese formale Intervention zielte darauf ab, Raum zu schaffen für die
mus“ schien es im Rahmen von Herstory Inventory zu ermöglichen, Vorstel- Akkumulation von Gesten in den Zeichnungen, für die Vielfalt von Denkbewe-
lungskraft als politisches Begehren zu fassen, während „queer“ ein Wort ist, gungen und Entscheidungen, handgemachte Materialitäten und damit schluss-
das ich im Gespräch mit dir verwende, weil ich ein gemeinsames Verständnis endlich für eine intime Auseinandersetzung mit den Zeichnungen und dem
voraussetzen kann. Projekt. Ich glaube, dass es mir immer auch um nicht hegemoniale Sichtwei-
sen und Beziehungsformen geht und damit um die Frage nach der Möglichkeit
EB  Ich würde gern noch mal auf die „Raumskizze“ zurückkommen. Mich anderer Subjektivitäten. Die Rauminstallation, die ich im Sinne von Malerei
interessieren die Überlegungen hinsichtlich der Frage, wie man die Zeichnun- auch als großes Bild verstehe, ist natürlich durch mein künstlerisches Denken
gen im Raum formuliert, und die an dieser Stelle stattfindende Verschränkung geformt. Gleichzeitig formt aber eben auch die angesprochene Logik mein
deiner Praxis mit allen anderen Beteiligten. Sicher sind das Einladen zum Verständnis der Aufgabe, mit der ich hier konfrontiert war. In der Formulierung
Zeichnen, das Einsammeln der Zeichnungen, das Auswählen und Gruppieren dieser Ausstellung fanden bedeutsame Transfers zwischen mir als Entschei-
für die Ausstellung als solche nicht weit von einer kuratorischen Tätigkeit ent- dungsträgerin und den beitragenden Künstlerinnen statt. Du hast in Bregenz
fernt, aber es gibt hier klare Unterschiede für dich. Zudem handelt es sich bei beobachtet, dass das Projekt weder eine Einzel- noch eine Gruppenausstel-
der räumlichen Präsentation nicht um ein Display oder eine funktionale Vitri- lung ist, sondern möglicherweise beides zugleich. Und das verweist sympto-
nenarchitektur, vielmehr hast du ausgehend von deiner Praxis ein Raumbild matisch auf ein größeres Begehren: die Formulierung von „ich“ und „wir“ neu
entwickelt. Vielleicht kannst du am Beispiel des Projekts das Verhältnis von zu denken, was ein kollektives Unterfangen und ein feministisches Projekt ist.
kollektiven und individuellen Arbeitsweisen erläutern. Wie siehst du deine Posi-
tion in diesem Verhältnis? EB  Ich muss gerade daran denken, was du eingangs in Bezug auf unter-
schiedliche Auffassungen von kollektivem Handeln gesagt hast. Du hast

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FEMINISMUS ALS SKIZZE UND ÜBERSETZUNG

beschrieben, dass du in deinem New Yorker Umfeld auf ein Verständnis von in der Zusammenarbeit mit dir geht Herstory Inventory weiter, nachdem das
Kollektivität gestoßen bist, das nicht darauf beruht, gemeinsam eine Sprech- selbstgesetzte Ziel von 100 Zeichnungen erreicht ist.
weise auszuhandeln, sondern vielmehr einen vielstimmigen Raum zu eröffnen,
der vor dem Hintergrund bestimmter geteilter Einsichten verschiedenste Pers- EB  Im Anschluss an einen Vortrag, den ich in einem Seminar über archivari-
pektiven zulässt. Hier sehe ich Analogien zum Umgang mit Herstory Inventory, sche Praktiken an der Universität Bayreuth hielt, kam die Frage auf, ob die
wenn es darum geht, kontinuierlich Öffnungen und neue Handlungsräume zu Zeichnungen irgendwann zurück in die Lesbian Herstory Archives gehen und
erzeugen, indem die Zeichnungen immer wieder aufs Neue kontextualisiert wieder Teil des Archivbestands werden. Mit deinem Projekt hast du die Bewe-
werden. Darüber hinaus wird zugelassen bzw. ist es erwünscht, dass mit den gungsgeschichte bewusst in den Raum der Kunst übertragen und mit künstle-
Zeichnungen umgegangen wird, so dass stets neue Übersetzungen und Ver- rischen Perspektiven konfrontiert. Was ist das Potenzial dieser Verschiebung,
schiebungen produziert werden können. welche anderen Möglichkeiten tun sich in dieser Bewegung auf?

UM  Das hängt damit zusammen, dass Herstory Inventory den oben ange- UM  Als Künstlerin nehme ich mir im Archiv Freiheiten heraus, es ist mir
sprochenen größeren und gemeinschaftlich entwickelten kulturellen und politi- bewusst, dass ich immer auch nach etwas suche, das es nicht gibt, das nicht
schen Logiken entspringt und diese zu verkörpern beginnt. Meine eigene Rolle existiert, das unsichtbar oder sogar unmöglich ist und daher imaginiert,
konterkariert nicht nur, wie du sagst, ein traditionelles Künstlerbild, sie verän- erfunden werden muss. Mich interessieren die Begegnungen zwischen Körpern
dert sich auch mit der Zeit. Zum jetzigen Zeitpunkt bin ich zwar noch zentral, und Archiven – und das Archiv als Ort, an dem Vergangenheit und Zukunft auf-
aber auch nicht mehr so wichtig: Meine liebsten Momente sind immer auch einandertreffen, ein Ort, der „entweder ein Friedhof der Fakten oder ein Garten
diejenigen, wo andere im Rahmen von Herstory Inventory Lösungen finden, der Fiktionen“ ist.11 Mir wurde im Zuge der Arbeit mit Herstory Inventory klar,
die zwar vielleicht anders aussehen als meine Lösungen, aber der Logik des dass es ein Missverständnis wäre, dem Problem von Unsichtbarkeit mit einem
Projekts entsprechen. Inzwischen verselbstständigt sich das Projekt immer Bild begegnen zu wollen. Vielmehr liegt eine mögliche Antwort in der Formulie-
mehr. Als ein Beispiel dafür steht der Beitrag für die Publikation von Katrin rung von Räumen für nicht hegemoniale Erzählungen und Subjekte in Orten,
Mayer,9 den du aus dem Material zur Bregenzer Ausstellung entwickelt hast. die Ann Cvetkovich „queer counter-archives“ nennt.12
Dieser Prozess der Verselbstständigung scheint in dieser Phase wichtiger zu Derzeit arbeite ich an einem Buch zu Herstory Inventory. Es handelt sich dabei
sein als meine formalen Lösungen. Ein anderes Beispiel bezieht sich auf die nicht um eine Dokumentation in der Vergangenheitsform, vielmehr ist die Pub-
Ausstellung von Herstory Inventory in Toronto.10 Für die Ausstellung dort habe likation der nächste spezifische Ort, an dem sich das Projekt manifestiert, wie
ich mit der Sammlung der öffentlichen Bibliothek gearbeitet, die sich im glei- auch die Ausstellungen. Ein Exemplar dieses Buchs geht dann natürlich zu
chen Gebäude befindet wie auch die Galerie. Aus einer informellen Umfrage den Lesbian Herstory Archives, und das scheint folgerichtig diesen Bogen zu
zu prägenden queeren Leseerfahrungen erstellte ich eine Buchliste, von der schließen. Die Zeichnungen selbst verwahre und verwalte bis dato noch ich,
ausgehend die Bibliotheksbestände ergänzt wurden. Diese Bücher sollten, die Lesbian Herstory Archives hätten dafür gar nicht die Kapazität. Das hat
bevor sie in die Zirkulation aufgenommen wurden, mit einem Exlibris versehen natürlich auch mit der angesprochenen, im Projekt angelegten Kunstbehauptung
werden. Ich hielt das Entwerfen dieses Exlibris zunächst für meine Aufgabe, zu tun. Was hier produziert wurde, ist kein Archivmaterial, es gibt einen Trans-
es hat sich jedoch herausgestellt, dass Simone Meltesen, eine Kunststudentin, fer hin zur Kunst. Es war auch nicht das Ziel, auf Grundlage der neuen Bilder
die ich nach einer Präsentation von Herstory Inventory getroffen hatte, genau wieder T-Shirts zu entwerfen, das schien viel zu einschränkend, was die Mög-
die richtige Person für diese Aufgabe war. Ich finde, dass es der Logik des lichkeiten von Zeichnung betrifft. Ich finde zudem, dass das Kunstbegehren
Projekts eher entspricht, dass eine weitere Künstlerin sich in das Projekt ein- sehr wichtig für das Projekt ist, in Bezug auf Aufmerksamkeit, Publikum, kultu-
schreibt. Schließlich geht es auch immer wieder darum, andere Vorstellungen, relle Bedeutungskraft, die Behauptung von Zentralität und nicht zuletzt auch in
andere Erwartungen, andere Perspektiven auf das Material zu eröffnen. Wie Bezug auf die Fragestellung nach Ideologie und Kritik, die wir hier besprechen.
Im Rahmen von Herstory Inventory zirkulieren auch immer wieder Fragen nach
dem Monument (oder Gegenmonument). Dieser Gedanke tauchte schon zu
9  Katrin Mayer (Hg.), Opulente Figuren, Künstlerische Publikation zu Strategien des Sammelns
und Montierens von Bild- und Textmaterialien, Hamburg 2013. 11  Wolfgang Ernst, Das Rumoren der Archive. Ordnung aus Unordnung, Berlin 2002.
10  Ulrike Müllers Herstory Inventory: Shoes and Books (2007–2013) war Teil der Ausstellung 12  Ann Cvetkovich, „The Queer Art of the Counterarchive“, in: Cruising the Archive, ONE
After My Own Heart, Oakville Galleries, Toronto, 2013, kuratiert von Matthew Hyland. National Gay and Lesbian Archives, Los Angeles 2012, S 32–35.

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FEMINISMUS ALS SKIZZE UND ÜBERSETZUNG

Beginn von Herstory Inventory auf, als die Audioinstallation einen Abend lang Motiven ist doch eindeutig an die Geschichte des lesbischen Feminismus an-
im klassizistischen Hof der Hispanic Society in New York gezeigt wurde. Und gedockt. Feminismus ist eine aus gelebter Politik und erfahrenen Debatten
das ist ja auch gar nicht so anders als die feministische Raumskizze, nur dass gewachsene Sicht- und Denkweise, und Auseinandersetzungen können
die Behauptung andersherum in den Raum gestellt wird – statt der verräumlichten da sehr tief gehen, da sie im Grunde genommen das Verständnis des Selbst in
und begehbaren Skizze ein temporäres und weitgehend immaterielles Monument. der Welt betreffen: Sprache, Identität, Begehren – all diese Dinge. Und gerade
Für das Exlibris für die Bibliothek in Toronto formulierte ich in Referenz an Eve auf der Bildebene gibt es in der feministischen Auseinandersetzung seit den
Kosofsky Sedgwick diesen kurzen Text: „With 30 others the book in your 1970ern eine weitreichende Problematisierung von Repräsentation. Es schien
hands forms a monument to queer survival in this library.“ (Mit 30 anderen wichtig, Raum zu schaffen für eine Vielzahl von Subjektivitäten, Vorstellungs-
bildet das Buch in deinen Händen ein Monument für queeres Überleben in möglichkeiten, Fragen nach dem Subjekt des Feminismus, neu durchdachte
dieser Bibliothek.) 13 Mich interessiert die Behauptung von Monument in Bezug Bildstrategien, die sich auf gelebte Gegenwart beziehen. Und deswegen war
auf einen verhältnismäßig kleinen Stapel von Büchern, die in der Bibliothek genau dieser Raum zwischen Bild und Text der Ort, an dem Herstory Inventory
verschwinden, um wieder aufzutauchen, wenn jemand einen der Titel ausleiht. überhaupt seinen Ausgang finden konnte.

EB  Ein weiterer Aspekt, der mich interessiert, ist, dass die von dir an die
KünstlerInnen herangetragene Zeichenaufgabe, die ja auch eine Form von
Aktualisierung einer feministischen Bewegungsgeschichte darstellt, bereits auf
der Grundlage einer Übersetzung stattfand, auf der Grundlage der gefunde-
nen textuellen Beschreibungen. Du sagtest, dass die Beteiligten die T-Shirts
selbst nie gesehen haben und es genau darum nicht ging.

UM  Ja, diese erste Übersetzung fand im Archiv statt, als eine der freiwilligen
Archivarinnen die Bilder und grafischen Elemente auf den T-Shirts in der
Inventarliste beschrieb und dabei sehr detailgenau und gewissenhaft war, aber
nicht unbedingt archivarischen Kriterien folgte. Es war genau diese Qualität
des Texts, seine Verbindung zum Material, die mich faszinierte – als gefunde-
nes Gedicht und als vielstimmige und nicht hierarchische Erzählung von
Bewegungsgeschichte. Ich sah darin eine Möglichkeit, diese Geschichte anzu-
erkennen und sie zugleich für gegenwärtige Vorstellungsvermögen und gegen-
wärtiges Begehren zu öffnen. Die Distanz zum beschriebenen Original war
dafür wesentlich. Im Grunde genommen ging es darum, Raum für Ambivalenz
und kritische Perspektiven auf dieses Erbe zu schaffen.
Die Beschreibungen sind unterschiedlich transparent, aber ihr Repertoire von

13  „Ich denke, dass für viele von uns in der Kindheit die Fähigkeit, eine intensive Bindung zu
manchen kulturellen Objekten einzugehen, eine wichtige Überlebensstrategie war: zu Objekten
der Hoch- oder Populärkultur oder beiden; zu Objekten, deren Bedeutung uns, im Verhältnis zu
den geheimen Chiffren, die uns ohne Weiteres zur Verfügung standen, mysteriös, übertrieben
oder obskur erschien. Wir brauchten die Gewissheit, dass es Orte gab, an denen Bedeutungen
nicht fein säuberlich in Schubladen sortiert waren, und wir lernten, diese Orte mit Faszination
und Liebe zu hüten. Zwangsläufig würde dies unsere Beziehungen zu Texten und Objekten im
Erwachsenenalter beeinflussen; tatsächlich ist schwer vorstellbar, wie man sonst dazu gelangen
könnte, Literatur für so wichtig zu halten, dass man das ganze Leben mit ihr verbringt.“ Aus: Eve
Kosofsky Sedgwick, „Queer and Now“, in: Tendencies, London 1994, S. 3.

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FEMINISM AS SKETCH
AND TRANSLATION.
A CONVERSATION WITH
ULRIKE MÜLLER
Eva Birkenstock

An artist originally from Vorarlberg who studied in Vienna, Ulrike Müller moved
to New York in 2002, where she still lives today. The following conversation
reflects on her operations between the poles of individual and collaborative
work while contemplating what it means to view feminist discussions and
artistic praxis as coinciding activities. Using her own artistic work as the
backdrop for our discussion, we inquired into the relation between art and
feminism and pondered whether, and in which cases, artistic works can be
“feminist.” At the center of our conversation stands Herstory Inventory, which
Ulrike Müller initiated in 2009. Herstory Inventory originated in research at the
Lesbian Herstory Archives 1 in Brooklyn, New York, a self-organized archive
founded by a group of women in 1974 dedicated to the task of collecting and
preserving documents and memorabilia of lesbian lives and activities. In
the course of her research, she stumbled upon an inventory list compiled
by a volunteer employee who in an idiosyncratically meticulous yet poetic way
described the graphic elements of T-shirts that have been collected in the
archive since the 1970s. As codes among members of a community, they
express, sometimes humorously, sometimes angrily, desires, political opinions,
and alliances. Using this list as a point of departure, Ulrike Müller invited one
hundred artists to translate the textual descriptions into drawings and thereby
apply subjective perspectives to the history of the feminist movement from the
perspective of their own individual present-day lives. Within a wide spectrum
of styles and approaches, the small drawings and collages, or in other words
the pictorial translations of the texts, enact personal attitudes toward lesbian-
feminist imagery, resulting in their queer-feminist rethinking. In spring 2012,
shortly before the summer academy in Bregenz, a number of these drawings
based on T-shirt descriptions were on display in the exhibition Herstory
Inventory: 100 Feminist Drawings by 100 Artists in an installation in the KUB
Arena. In June 2012 the exhibition was presented in another form at the

1 http://www.lesbianherstoryarchives.org.

227
FEMINISM AS SKETCH AND TRANSLATION

Brooklyn Museum. The work seemed interesting in many respects as the base concerned. During this time I read Judith Butler’s Gender Trouble and was
for our conversation because it implies numerous artistic approaches that listening to music like Le Tigre. Even though I wasn’t familiar with the concrete
have bearing on feminist issues. Drawing became an act of political engagement history of the Riot Grrrl movement at that time, its energy reached me directly
with the historic insignias, symbols, and positions of US lesbian feminist through songs and lyrics.
discourse; in turn, the drawings that emerged in effect address the challenges The decision to move to New York was predominantly informed by the question
inherent in the reproduction of this culture. In short, it was an obvious choice of whether I would become an artist or not, and if so, what that would mean
to continue our dialogue about Herstory Inventory as a way of reflecting on precisely. In my artistic environment in Vienna, critical ambition seemed almost
politics of visibility and invisibility and considering the project’s relation to synonymous with a “post-studio” attitude, and my own practice of artistic
Ulrike Müller’s individual practice as a painter. We raised and pursued these creation dissolved almost completely into collaboration. Among other things
topics further over the course of several emails and two Skype conversations. I was a coeditor of a magazine,2 and I worked together with other students as
part of the Freie Klasse Wien (Free Class Vienna). I became increasingly
Eva Birkenstock  In the fall of 2002, you moved from Vienna to New York. interested in questions that applied to my position as an artist outside these
What led you there? Do you have any recollection of which discussions in group contexts and to art as a way of life and professional choice. As important
Vienna and New York were formative for you at the time, or of how you and formative as my time in Vienna was, in particular the autodidactic
perceived both contexts? approach and activist practice of the Freie Klasse, I yearned for a material
rather than exclusively discursive practice; and there seemed not enough space
Ulrike Müller  During my studies, a belated generational changeover was for this in that setting. I brought these questions with me to New York. At the
taking place at Viennese art schools, which signaled a sudden epochal shift time, I had the impression that all these individual approaches from which I
on many levels, not least because at the beginning of the 1990s women were had pieced together an education of sorts—the autodidactic attitude, continually
still strongly underrepresented as professors. Between an outdated concept operating in opposition to institutions, and the attempt to form a position out
of art within the academy and tendencies toward a critical-discursive refusal of critique—, that all these pieces of the puzzle were really interesting, yet
among younger artists to produce work, the formulation of artistic practice lacked structural coherence. The Whitney Independent Study Program (ISP) 3
was a complex problem. That Isabelle Graw came to Vienna in the mid-90s seemed like the next logical step, maybe also because criticality and productivity
was crucial. She introduced a new perspective and thereby a new understanding seemed compatible there. I had gotten to know the work of Mary Kelly and
of art into an outmoded model of art education and the art academy; an Martha Rosler in Vienna through exhibitions at the Generali Foundation, and
alternative to the still so dominant master class principle, an opening up toward I remember seeing artworks and films by Yvonne Rainer at the Kunsthalle, to
contemporary art as a discursive field. For the first time, feminist theory was name just a few examples.
being comprehensively absorbed and discussed within the art school context.
I remember it was important at the time to comprehend that feminism, rather EB  Following your time in Vienna, you studied for one year in the Whitney
than being about a message that can be conveyed in preexisting forms, must, ISP program. Could you describe the program’s structure in detail? What were
on the contrary, always question the structural conditions and power relations the practical focal points, what was discussed or read, and how were you as
within institutions. Around the same time, Isolde Charim held a philosophy an artist, which you did ultimately become, able to profit from this?
seminar on Althusser’s Ideology and Ideological State Apparatuses that I as
well as other art students regularly attended. (The book was out of print at the UM  There were two weekly events in the Whitney program, a guest lecture
time, but there was a snazzy bootleg edition from b-books in Berlin.) In this and the reading seminar, which was based on the legacy of British Cultural
discussion on Althusser, the realization that there is no such thing as “outside Studies as well as poststructuralist conceptions and terminologies, reaching
of ideology” took root, even, and especially, in art. Between both of these
fundamental insights—that feminism is a structural, political challenge and that 2  Die weiße Blatt, with Linda Bilda, Nora Herrmann, and Kristina Haider.
critical desire operates within ideology, which constitues subjects and their 3  In association with the Whitney Museum of American Art in New York, The Whitney
agency in the first place—it became clear that more complex models of Independent Study Program, founded in 1968 by Ron Clark, is an educational program for
emerging artists, curators, and theorists. Since its establishment, a group of people is annually
thought were necessary as far as subject construction and agency were selected to participate in the ISP, which is held from September to May. For further information
see: http://whitney.org/Research/ISP.

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FEMINISM AS SKETCH AND TRANSLATION

all the way from Benjamin and Brecht to institutional critique, but also introducing 2005, but it was this context that made it possible for me in the following years
psychoanalytical models of thought that I hadn’t been familiar with in Vienna. not only to conceive of the production of meaningful objects that amount
Gregg Bordowitz opened up this discourse toward affect theory, which to more than capitalistic commodity forms, but also to try them out, to test
bridged from critical debate to emotions and materiality. Also, the differences them. The autonomy of form was crucial, as was an awareness that form
within this expanded, later October context—which in Europe I had understood holds meaning, so that stance doesn’t always have to be translated directly
not as a uniform debate, but surely at least as a coherent one—were much into substance, as in content; or in other words, so that it becomes possible to
larger than I had surmised. Studio visits with lecturers like Andrea Fraser, express desires and perspectives formally. The different understanding of
Yvonne Rainer, Benjamin Buchloh, or Isaac Julien opened diverse perspectives collectivity that you brought up has to do with the fact that LTTR operated on
on my work. In collaboration with two artists from the Freie Klasse in Vienna, the basis of collaboration and with the idea of “community” as larger context
Jane Heiss and Patricia Reschenbach, I had developed a research-based and potential. At the same time, there was also room for a different conception
piece about women in the Situationist International,4 and this work formed the of authorship. While in my Viennese context there was the tendency to override
basis for the first conversations at the Whitney. I found it striking at the time individual positions within the collective, in the contexts surrounding LTTR a
that Benjamin Buchloh, for example, wanted to talk to me about the formal multivocal and open field emerged out of multiple individual projects, a field
aspects of the drawings that we had made as part of this project. where singularities shaped and determined the collective. Non-normative
It was generally important that I found an environment in New York where there political and sexual desire formed a meaningful context for artistic activity and
was a long history of looking at art, a history in which formal criteria were became a framework within which my painting praxis developed.
not only taken seriously, but considered central. I hadn’t experienced this in
Vienna, where the focus there lay more intensely on discourse and content. EB  What influence did the changes that the New York art field underwent in
While there was a certain conceptual aesthetic, and of course creative ideas the early nineties in the wake of the AIDS crisis have on the founding of LTTR?
too, these things weren’t really worked on with the same level of intensity. At that time, the separate spheres of activistic tendencies—in the fight against
AIDS, for example, and initiatives like ACT UP 6—seemed to have become
EB  Besides the activities at the Whitney program, since your arrival in New interwoven with the artistic and art-theoretical field. Douglas Crimp’s 1987
York you’ve also moved within collective contexts outside this structure, which issue of October7 entitled AIDS: Cultural Analysis/Cultural Activism also played
especially calls to mind the collective LTTR,5 which was founded in 2002. an important role, of course. Here, activistic tendencies joined the cutting
Perhaps you could describe this context specifically—what sort of understanding edge of art criticism and led to a dissolution of the strict hierarchies between
of collectivity did you encounter there? high culture, subculture, and social reality—at least for a moment. Where
could LTTR be located in this context? To what extent were the AIDS crisis
UM  During my first months in New York, the context surrounding LTTR and its long-term effects present, and how did you perceive this when you went
quickly became my most important reference point. On one side there was the to New York in the early 2000s? Would it be safe to say that LTTR’s working
Whitney program with this forceful postmarxist critique and the discursively method and self-conception was characterized by these times, particularly
anchored art practices of the people who presented their work there, and on regarding its conjoining of artistic and activistic approaches? How do you see
the other side was the real-time evolvement around LTTR and the queer- LTTR’s relation to this part of AIDS activism history?
feminist energy of the artistic and activistic projects that came together there.
I arrived in New York in September of 2002; in December the release of the UM  In conversation with friends who I met at the time, I encountered the
first edition of the LTTR journal was celebrated. I didn’t become an editor until AIDS crisis as an unresolved story, as a traumatic recent past with devastating

4  J.U.P., Situationistinnen und andere …, Berlin, 2001. 6  ACT UP (AIDS Coalition to Unleash Power) is a movement founded in 1987 as a reaction to
5  LTTR is a feminist genderqueer artist collective with a flexible project oriented practice, the negligence of the US government in the wake of the increasingly dramatic AIDS crisis, and
founded in 2001 by Ginger Brooks Takahashi, K8 Hardy and Emily Roysdon. From 2001–2006 reached its peak when 650,000 people marched on Washington. As an independent association,
LTTR produced an annual independent art journal, as well as performance series, events, ACT UP achieved visibility and politicization for the AIDS crisis through actions in the media and
screenings, and collaborations. It seeks to create and build a context for a culture of critical in public space. In addition, lobbying made it possible to exercise political pressure, while
thinkers whose work not only speaks in dialogue with one another, but consistently challenges networks for the support and care for the sick were simultaneously established. ACT UP remains
its own form by shifting shape and design to best respond to contemporary concerns, from: active to this day and continues to produce resonance worldwide. See: http://www.actupny.org/.
http://www.lttr.org/. 7  http://www.mitpressjournals.org/loi/octo.

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FEMINISM AS SKETCH AND TRANSLATION

effects on non-heteronormative bodies, a past that was by no means over. exhibition display, it was possible to open an autonomous space for the
A consciousness of the AIDS crisis was definitely present in LTTR’s self- drawings, which were grouped on free-standing walls. Individual and collective,
formulation. The cover of the first journal issue bore Emily Roysdon’s work on artistic and curatorial, contemporary and past gestures became entangled
David Wojnarowicz, for example.8 So there was an engagement with this activistic in the space proposed by this unruly rectangle, positioned against the logic
legacy as well as a network of personal connections to a New York that was of the grid that structures Zumthor’s architecture, and folding up at one point
scarred by the AIDS crisis. We were aware that the queer spaces that we were along the concrete wall to form a triangle. In addition to references to the
shaping had political roots in ACT UP, where identity-based politics had to 1970s achieved via wallpaper on the free-standing walls and houseplants
give way to other alliances in the face of an acutely life-threatening situation. placed throughout the display, it was important to claim a separate space and
My enthusiasm for LTTR really began at the release party for the first journal not hang the drawings directly on the wall of the institution.
issue entitled Lesbians to the Rescue. Matt Wolf, a then-young filmmaker,
climbed onto a chair and said that he had only one answer for why he of EB  That’s an interesting point, and it brings up an observation that became
all people had been invited to make a speech: “Because I’m a fag and also a important during our research in Bregenz—we were aware of the absence of
feminist.” Since in my own experience identity categories also never quite a local queer-feminist scene to which the project could stand in direct relation,
seemed to fit, I was enthused. which wasn’t the case with the exhibition in New York: due to the fact that
the Brooklyn Museum is located rather close to the Lesbian Herstory Archives,
EB  Last year we had the opportunity to work together on the occasion but also since many of the participating artists live in New York. In addition,
of your exhibition Herstory Inventory: 100 Feminist Drawings by 100 Artists in the project in and of itself shifted—from the distribution of drawing assignments
the KUB Arena at Kunsthaus Bregenz. This project engages with a history and discussions about artistic practice and movement histories to questions
of the feminist movement and formulates contemporary collectivity through of presentation in the KUB Arena, far away from the intimate and protected
reference to materials in the lesbian-feminist archive. How do you think critical contexts and spaces of negotiation where the drawings first came into existence.
positionality and identitarian categories in this context? Given these circumstances, I think it was important to begin by implementing
the feminist spatial sketch as an assertion, as a designation of the proposed
UM  I remember the moment in your office when we were debating how to artistic concept of space. You also designed it so that it would overwrite the
describe the installation setup specifically developed for the exhibition space architecture of the institution for a period of time. Maybe it was also a question
in Bregenz on the checklist. We agreed on “feminist spatial sketch,” which of delimiting a frame from the outset—it’s about feminism—, whereas the term
implied a certain humor, but also stemmed from the project’s dynamic, its “sketch” in turn allows for openness. What’s more, the assertion of course
energy, and its point of view. In moments of concrete collaboration like these, raises the question of what a feminist space is supposed to consist of, or
I am interested precisely in how an idea like this one could arise spontaneously when exactly can a space be described as feminist; what exactly are feminist
between the two of us, while also following a logic proposed by the project. drawings?
I think—in relation to the critique of ideology as the topic of this book—that it
was essential in the concrete case of Herstory Inventory in the KUB Arena to UM  You’re right, of course. It was fundamental for the exhibition in Bregenz
reflect on which assumptions and expectations were actually already present that we sought to understand from the outset what the question of queer
in the built environment, in order to then develop strategies for encountering visibility feels like in the local context. I think that the question of ideology is
them. The architecture amounted to something like a concrete instance of also always the question of the invisible logic that structures relationships and
the challenge to figure out a critical relation. With the honey-yellow-colored everyday life—what can be experienced and addressed, and how? Within the
surface that in a sense overwrote the entire KUB Arena space as an intervening framework of Herstory Inventory, I wanted to put forward questions of visibility
and invisibility and thematize the problematic of translation that you raised,
without filling the resulting gaps. In my imagination the exhibition established a
8  Emily Roysdon, Untitled (David Wojnarowicz Project), 2001–2007, is a project which kind of parallel space, and the feminist spatial sketch in the ground floor of the
repositions photographic works by artist, activist, writer, and filmmaker David Wojnarowicz Kunsthaus was an attempt to inscribe various entryways for non-normative
(1954–1992) in the late 1970s and caricatures his visage. Wojnarowicz developed outspoken
works on AIDS and employed a whole range of media as a means of representing the plight of imaginations into a building that is, in itself, very solid. A positive formulation
those suffereing from AIDS in 1980s New York.

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FEMINISM AS SKETCH AND TRANSLATION

of critique that doesn’t exhaust itself in raising grievances, but that rather occupied by queer bodies can exist. I wanted to know whether social beliefs
formulates other perspectives as propositions. and expectations could be activated such that they address bodies that don’t
As far as the assertion of “feminist” drawing goes—it is of course a provocation identify themselves as nonconformist or perverse. So I wanted to set in motion
of precisely the question you’re asking. On the one hand, it was about finding processes of recognition and non-recognition, or maybe also of failed or
a place for this adjective in the title, and on the other hand, avoiding misguided interpellation, at least experimentally. One of queer theory’s vanishing
encroachment and over-determination. After I asked the participating artists lines is, in fact, that all sexuality is queer sexuality, and I asked myself whether
if they had the desire to interpret historical feminist image material anew, this couldn’t perhaps also be mobilized as a basis for a mistrust of too much
it seemed okay to describe the drawings as feminist. On the other hand, this performed normality.
does of course affect how the works are perceived, for instance when Linda
Bilda’s comic drawing of two guerilla fighters in dialogue—Wipe them out! EB  I noticed that you use the word queer when you describe the project.
All of them?—in a scene which quotes Star Wars was read by a viewer as an How is it that the formula “queer” or “queer-feminist spatial sketch” didn’t
expression of man-hating. I see this, however, more as a manifestation of occur to us while we were coming up with a description for the “feminist
individual fears and stereotypes rather than as a problematic inherent in the spatial sketch”?
drawing.
UM  Good that you bring that up. I have a very ambivalent relationship with
EB  Possibilities for the continuous translation and repositioning of both the the word “queer” and actually wanted to try and not use it anymore. But I do
original materials and the positions taken in relation to them through various anyway, time after time, maybe because it seems useful as a shortcut.
forms of drawing practice seemed central. The project presents itself as a Even though that seems questionable in this context: how productive is this
never-ending process of translation. The historical point of origin is not adopted shortcut ultimately; how much understanding and misunderstanding does
unambiguously and absolutely; it’s chosen as a reference that is in motion and such an abbreviation produce? I definitely didn’t want to use this term in the
ripe for transformation, that adjusts itself to the present, which also comes title of Herstory Inventory. I can recall a conversation with Johanna Schaffer
across in the way different mediums are engaged. As you say, it was important in connection with the exhibition in Bregenz. She questioned precisely this
with the exhibition in the KUB Arena, in the quite dominant architecture of choice of words, because in her view the term “feminism” is problematic
Peter Zumthor, both to prevent the exhibition from settling in unequivocally so in Germany and Austria because it implies a white, bourgeois subjectivity.
that one reading alone is prescribed, and to generate various access points, In contrast to that, I understood the term “feminism” as a common point of
or openings, to the material: next to the presentation of all the publications reference that also includes the Lesbian Herstory Archives and the history of
where the project had thusfar been included as well as the audio installation lesbian feminism documented there. The intergenerational passing on
where the T-shirt descriptions, or in other words the titles of the drawings, could of the knowledge collected there is a complex and emotional affair, not least
be heard spoken by many voices throughout the space, there were not only because the possibilities of gender have expanded so drastically in recent
four free-standing walls displaying selections of drawings grouped by you; there decades and the subject of feminism is no longer limited to “woman” or
was also a slide projection as a proposal for another way of looking at the “lesbian.” By an older generation of feminists the term “queer” can sometimes
drawings. Looking at the slides, one could watch you, how you examine the be perceived as marginalizing or even pejorative. What can be said in favor
drawings, zoom in closer to details, and so on. The presentation itself already of the use of the term is that it asserts sexual politics and an alliance
seemed to foreground a certain mobility and potential for change. characterized by opposition; on the other hand, it runs the increasing risk of
folding back into identity in an unproductive way and becoming an ethnographic
UM  I was aware of the existence of cultural, social, and institutional shifts designation ascribed by outside forces. Additionally, I find it difficult to
that cannot function seamlessly, and that the translation from an indeed quite use this English term in a German-speaking context, where its history and
specific context that is contingent on my own location, on the one hand, and non-academic, everyday meaning get lost. In Herstory Inventory, the word
on the project’s logic, on the other hand, would create a distance to Bregenz, “feminism” seemed to allow powers of imagination to be understood as
to the preexisting situation in the place where the exhibition happened. In that political desire, while “queer” is a word that I use in conversation with you
regard, I was pondering the question of whether a queer space that isn’t because I can presuppose that we share a common understanding.

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FEMINISM AS SKETCH AND TRANSLATION

EB  I would like to return to the “spatial sketch.” I’m interested in your thoughts transfers took place between me as decision maker and the contributing artists.
with regard to the question of how to formulate, or arrange, the drawings in In Bregenz you made the observation that the exhibition was neither a solo nor
space; and in the intertwining that occurs here between your practice and that a group exhibition, but possibly both at the same time. And that’s symptomatic
of all the other participants. The invitation to draw, the gathering of the of a larger desire to find new ways of thinking about “I” and “we,” which is a
drawings, and the selection and grouping for the exhibition as such are surely collective undertaking as well as a feminist project.
in proximity to curatorial activity, but for you there are clear differences here.
Rather than being a matter of creating a display or a functional vitrine EB  This brings to my mind what you said at the beginning of our discussion
architecture, the spatial presentation is about developing an artistic concept regarding different understandings of collective action. You described how
of space derived from your practice. Perhaps you could elaborate the relation you came across an understanding of collectivity in your context in New York
between collective and individual practice through this example. How do you that isn’t based on negotiating a common mode of speech, but that is instead
see the relation of these fields to one another? founded on the idea of opening up a multivocal space that allows for the
widest possible array of perspectives against a background of certain shared
UM  Herstory Inventory is based on countless interactions with artists; insights. Here I see analogous approaches in Herstory Inventory when the
normally they were conversations in the course of which I at some point asked thing at issue is to continuously generate openings and new spaces for action
“Do you draw?” The exhibition of the drawings in a public context was by contextualizing the drawings anew time after time. Beyond that, it’s allowed,
accompanied by a conceptual shift toward a more complex task: at that point, or even desired, that the drawings be handled in such a way as to enable the
it became about an examination of how this collection of drawings relates to constant production of new translations and shifts.
the exhibiting institution. It did seem important to me to reflect on questions of
“visibility” and “institutional critique,” and that by doing so I was reflecting on UM  This is related to the fact that Herstory Inventory springs from the
two terms that have informed political and artistic discourses since the 1980s. aforementioned cultural and political logics and begins to embody them. My
But I don’t understand my role here as that of a curator. For me, this project is own role thwarts not only, as you said, a traditional image of the artist; it also
a part of my artistic practice. It arises out of deliberations on what art can do, changes with time. At the present moment, I am, admittedly, still central, but
on how ideas come into being, how things circulate—and also out of a desire no longer very important: the moments I love the most are always those when
already formulated in the Freie Klasse in Vienna that has to do with counteracting others find solutions within the frame of Herstory Inventory that do perhaps
the mechanisms of isolation generated by the art market, just not by means of diverge from my solutions, but that correspond to the project’s logic. As time
a refusal to produce. goes on, the project increasingly takes on a life of its own. There’s the example
Your question also points to the intersection between an artistic understanding of the contribution to Katrin Mayer’s publication,9 which you developed out of
of form in the traditional sense, where color, form, and space are at issue, and the material from the Bregenz exhibition. This process of gaining independence
a concept of form that relates to social structures. I was concerned with seems at this phase to be more important than my formal solutions. Another
linking these in the installation. The way the 150 square-meter yellow rectangle example is related to the exhibition of Herstory Inventory in Toronto.10 For the
inserts itself into the concrete architecture, forming an autonomous surface, a exhibition there, I worked with the public library’s collection, which is housed
space in a space, has direct origins in my approach to painting. The goal of in the same building as the gallery. Based on an informal survey on formative
this formal intervention was to create space for the accumulation of gestures queer reading experiences, I compiled a collective book list that was used to
in the drawings, for their diverse movements of thought, their decisions and supplement the library’s holdings. The plan was to furnish these books with an
handmade materiality, and ultimately for an intimate engagement with the ex libris before putting them into circulation. At first, I considered it my task
drawings and the project. I think I’m also always concerned with non-hegemonic to design this ex libris; however, as it turned out, Simone Meltesen, a painting
perspectives and relationship-forms and hence with with the question of the student whom I met after a presentation of Herstory Inventory, was exactly the
possibility of other subjectivities. The spatial installation, which I also understand right person for the job. I think it’s more befitting of the project’s logic that a
as a big painting, is of course formed through my artistic thought. Conversely,
the logic we’ve been discussing here also forms my understanding of the task 9  Katrin Mayer (Ed.), Opulente Figuren, Künstlerische Publikation zu Strategien des Sammelns
und Montierens von Bild- und Textmaterialien, Hamburg, 2013.
I found myself confronted with. In the process of this exhibition, meaningful 10  Ulrike Müller’s Herstory Inventory: Shoes and Books (2007–2013) was part of the exhibition
After My Own Heart, Oakville Galleries, Toronto, 2013, curated by Matthew Hyland.

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FEMINISM AS SKETCH AND TRANSLATION

different artist becomes visible therein. After all, it has and will always be In relation to Herstory Inventory, questions of the monument (or counter-
about opening up other ideas, other expectations, other perspectives on the monument) have also been circulating. This thought already arose when Herstory
material. As with our collaboration, this too is a point where Herstory Inventory Inventory was getting started, when the audio installation was shown for one
continues even after the self-determined goal of one hundred drawings has evening in the neoclassical courtyard of the Hispanic Society in New York.
been reached. And this is really not so different than the feminist spatial sketch, except that
the claim is positioned the other way round—instead of a spatialized walk-
EB  Subsequent to a lecture about archival practices which I held as part through sketch, a temporary and largely immaterial monument. Regarding the
of a seminar at the University of Bayreuth, the question was raised of whether ex libris for the library in Toronto, I formulated the following short text in
the drawings will ever be placed back into the Lesbian Herstory Archives, reference to Eve Kosofsky Sedgwick: “With 30 others the book in your hands
becoming part of the archive’s holdings. With your project, you have forms a monument to queer survival in this library.” 13 I’m interested in the
consciously transferred the history of the movement into the space of art and claim of monumentality in relation to a comparatively small stack of books that
confronted it with artistic perspectives. What is the potential of this transfer, disappear into the library in order to surface again when someone borrows
and what other possibilities present themselves through this movement? one of the titles.

UM  As an artist, I take liberties in the archive; I’m aware that I’m always EB  One further aspect that interests me is that the drawing task you brought
searching for something that isn’t there, that doesn’t exist, that is invisible or to these artists, which also constitutes a kind of updating of a history of the
even impossible, something that needs to be imagined and invented. I’m feminist movement, itself came about based on a translation, based on the
interested in the movements between bodies and archives—and in the archive found textual descriptions. You said that the participants have never seen the
as a place where past and present encounter one another, a place that is T-shirts and that this is exactly what it isn’t about.
“either a graveyard of facts or a garden of fictions.” 11 During the process of
working with Herstory Inventory, it became clear to me that it would be a UM  Yes, this first translation took place in the archive when one of the
misunderstanding to confront the problem of invisibility with any one image. volunteer archivists described in the inventory list the images and graphic
A possible answer is much more likely to be found in the formulation of spaces elements on the T-shirts, remaining very faithful to precise details but not exactly
for non-hegemonic narratives and subjects in places that Ann Cvetkovich calls following archival criteria. It was this very quality of the text, its connection to
“queer counterarchives.” 12 the material, that fascinated me—as a found poem and as a multivocal and
Right now I’m working on a book about Herstory Inventory. The idea isn’t to non-hierarchical telling of the movement’s history. I saw a possibility therein to
document the project in the past tense; rather, the publication is the next acknowledge this history and simultaneously open it up for contemporary
specific place where the project will manifest, the same as with the exhibitions. imagination and desires. The distance to the described original was therefore
A copy of the book will go to the Lesbian Herstory Archives, of course, and essential. It was basically about creating room for ambivalence and for critical
this seems a logical way to close the circle. To date, I’m still the person in perspectives on this legacy.
charge of storing and taking care of the drawings; these tasks would be beyond The descriptions vary in their degree of transparency, but the repertoire of
the capabilities of the Lesbian Herstory Archives. This, of course, also has motifs is explicitly attached to the history of lesbian feminism. Feminism is
to do with the project’s self-assertion as art. What was produced here is not a way of seeing and thinking that grew out of lived politics and personally
archival material; there’s a transfer happening toward art. Nor was the aim experienced debates, and the engagements are deep—because in essence
ever to design T-shirts on the basis of the new images. That seemed much too they apply to the understanding of one’s self in the world: language, identity,
narrow with respect to the possibilities of drawing. Besides that, I think the claim
to be art is very important for the project when it comes to attention, audience, 13  “I think that for many of us in childhood the ability to attach intently to a few cultural objects,
objects of high or popular culture or both, objects whose meaning seemed mysterious, excessive,
cultural significance, the assertion of centrality, and last but not least, also in or oblique in relation to the codes most readily available to us, became a prime resource of
relation to the question of ideology and critique that we’re discussing here. survival. We needed for there to be sites where the meanings didn’t line up tidily with each other,
and we learned to invest these sites with fascination and love. This can’t help coloring the adult
11  Wolfgang Ernst, Das Rumoren der Archive. Ordnung aus Unordnung, Berlin, 2002. relationship to texts and objects; in fact, it’s almost hard to imagine any other way of coming to
12  Ann Cvetkovich, “The Queer Art of the Counterarchive,” in: Cruising the Archive, ONE care enough about literature to give a lifetime to it.” From Eve Kosofsky Sedgwick, “Queer and
National Gay and Lesbian Archives, Los Angeles, 2012, pp. 32–35. Now,” in: Tendencies, London, 1994, p. 3.

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desire, all these things. Also, there has been a far-reaching problematization
of representation in feminist analyses since the 1970s—especially on the image
IDEOLOGISCHE ERFAHRUNG
level. It seemed important to create space for a multiplicity of subjectivities, UND INTERVENTIONEN
possibilities for imagination, questions regarding the subject of feminism,
differently conceived image strategies that relate to the lived present. Which IM KUNSTKONTEXT
is why precisely this space between image and text was necessary in order
to even conceive of a project like Herstory Inventory. IN DEUTSCHLAND NACH 1989
Alice Creischer

„Mit dem Epochenbruch von 1989 scheint auch die klassische Ideologiekritik
am Ende. Deren Grundlagen, ein sozialer Objektivismus und/oder eine meta-
linguistische Perspektive, erscheinen zu einem Zeitpunkt obsolet, an dem
politisch das ‚Ende der Ideologien‘ proklamiert wird.“ (aus dem Konzeptpapier
der KUB Arena Sommerakademie, Kunsthaus Bregenz, 2012)

Dieser Beitrag widmet sich dem, was das „Ende der Ideologien“ in der politi-
schen Wirklichkeit im Deutschland der 1990er und Nuller Jahre bedeutete,
und beschreibt einige Interventionen, die es im Kunstbereich dagegen gab.
Ich verstehe unter Ideologie eine alltäglich zugemutete Gewalt. Ideologiekritik
kann zu einer Praxis gegen diese Gewalt werden.
Ausgangspunkt des Beitrags ist ein Text, den ich 2006 für die Ausstellung La
Normalidad in Buenos Aires geschrieben habe.¹ Die Ausstellung thematisierte
die Normalisierung nach der „Argentinien-Krise“ 2001/02 und die darauf
folgenden sozialen Mobilisierungen. Letztere waren eng mit Protesten gegen
die Straffreiheit des Junta-Regimes (1976 –1983) verknüpft. Bei dem Text
handelte es sich um eine stichwortartige Chronik unserer eigenen Erfahrung
von nationaler Normalisierung im deutschen Kunstbetrieb nach 1989. Er war
als Beitrag zur Diskussion gedacht, inwieweit sich nationale „Normalisierungen“
vergleichen lassen.
Zur besseren Vermittelbarkeit in einem anderen Kontext sind die Episoden der
Chronik sehr allgemein geschrieben. Im Nachhinein erscheint diese Schreib-
weise das eigene Erstaunen vor der alltäglichen Gewalt der Ideologie adä-
quater darzustellen als eine objektivere Art der Darstellung. Die Episoden wurden
ergänzt durch Fußnoten und Kommentare, die die konkreten Ereignisse und
die Proteste dagegen erläutern.

1  Abrufbar unter: http://www.nationalismreloaded.info/?timeline.

240 241
IDEOLOGISCHE ERFAHRUNG UND INTERVENTIONEN

Normalisierung eine „Stärkung des mangelnden deutschen Nationalgefühls“. Die Konferenz


war als Ausführung dieser Absicht geplant. Genau in dem Zeitraum, in dem
Wir haben die folgenden Ereignisse zuerst nicht als eine Kette verstanden, als auch Asylbewerberheime angezündet wurden, entstanden ein Beitrag von
etwas, wo eins aus dem anderen folgt. Wir dachten immer, dass sich in unserem Boris Groys mit dem Titel Der Asylant aus ästhetischer Sicht,5 ein Film des
Bereich, dem der Kunst, alle doch eher als Linke verstehen oder zumindest als Antisemiten Hans-Jürgen Syberberg und viele Arbeiten zum Thema „Deutsch-
progressiv. Erst viel später merkten wir, dass diese Progressivität eine andere sein“: Fahnen, Stacheldrahtzäune, Soldaten und Erinnern und dieses seltsame
Richtung eingeschlagen hatte. Die folgenden Episoden sind Beispiele für Verschlucken der eigentlichen Gründe dafür.
den Richtungswechsel einer subjektiv so wahrgenommenen Progressivität.
1993 veranstaltete die Kunsthalle Düsseldorf eine Ausstellung und eine „Deutschsein fällt aus“ war eine Aktion von Düsseldorfer Kunst-
Konferenz mit dem Titel Deutschsein?, finanziert mit Geldern, die das Innenmi- studentInnen und KünstlerInnen und der lokalen Antifa, die das
nisterium in einer großen Kampagne gegen Fremdenhass und Gewalt zur Symposion der Ausstellung Deutschsein? blockierten. Zuvor
Verfügung gestellt hatte.² Diese Kampagne war eine Reaktion auf die erste wurde über die Möglichkeit von Protesten in der Ausstellung und
Welle von Anschlägen auf Ausländer und Asylbewerber, die seit 1991 sowohl während des Symposions diskutiert. Dabei war allen die Gefahr
in Ost- als auch in Westdeutschland stattfanden.³ Gleichzeitig wurde das bewusst, wie schnell man genau das pluralistische Ritual von
bisherige Asylgesetz, das im Grundgesetz festgelegt war, abgeschafft.4 Die Meinungsfreiheit bedienen würde, das der Kunstbereich die
mit diesen Geldern finanzierte Ausstellung intendierte in ihrer Presseerklärung ganze Zeit inszeniert. Dieses Ritual übt eine unangezweifelte
Hegemonie mit ein, die davon ausgeht, dass alle – vor allem junge
2  Jürgen Harten, Marie Luise Syring, Deutschsein? Eine Ausstellung gegen Fremdenhass und KünstlerInnen – in ihr inkludiert werden wollen. Proteste, Kritik und
Gewalt, Ausst.kat. Kunsthalle Düsseldorf, Düsseldorf 1993. Aktionen sind so immer schon ein Selbstangebot, eine Petition
3  Die Anschläge waren Massenbewegungen: z. B. greifen in Hoyerswerda (17.– 23. September um das eigene Inkludiertwerden. Es war uns in den Diskussionen
1991) 500 Personen ein Wohnheim für Vertragsarbeiter und ein Flüchtlingswohnheim an.
Hoyerswerda war ein Initial. „Überwiegend in Ostdeutschland überfielen Gruppen von bis zu 200 sehr klar geworden, dass wir diese Unterstellung durchkreuzen
Skinheads und rechtsgerichteten Jugendlichen […] vor allem Asylbewerberheime und benutzten und trotzdem präsent sein mussten. Wir hatten damals noch nicht
[…] Schusswaffen und Brandsätze. In Westdeutschland kam es ebenfalls zu zahlreichen von Militanz gesprochen, weil wir so vollkommen abgetrennt
Überfällen, [… z. B.] die tagelangen Übergriffe von einigen hundert Anwohnern in Mannheim-
Schönau im Mai 1992 auf ein Flüchtlingsheim.“ Die größten Ausschreitungen fanden in Rostock- waren von einer diesbezüglichen politischen Tradition. Der
Lichtenhagen statt (August 1992), eine dreitägige Belagerung des Asylbewerberheims und
Wohnheims für vietnamesische Vertragsarbeiter. Dabei unterblieb größtenteils der Schutz durch
die Polizei. Die Gewalttäter wurden nach Schätzungen der Polizei auf etwa 1000 geschätzt, Die rechtsradikalen Parteien […] profitierten ab 1989 von der Radikalisierung und Emotiona-
unterstützt von rund 3000 Schaulustigen. „Die tatsächliche Gesamtzahl der Todesopfer rechts- lisierung des Themas […]. Nach der Wiedervereinigung verschärfte die Union die Asylkampagne
extremer Gewalt in der Bundesrepublik Deutschland ist umstritten. Die Liste, welche die Bundes- und die Debatte entwickelte sich, mitgetragen von der Bildzeitung und der Welt am Sonntag, zu
regierung […] veröffentlichte, geht von 58 Todesopfern im Zeitraum von 1990 bis 2011 aus. Eine einer der schärfsten, polemischsten und folgenreichsten Auseinandersetzungen der deutschen
von der Amadeu Antonio Stiftung erstellte inoffizielle Liste führt im selben Zeitraum hingegen Nachkriegsgeschichte. Die Situation verschärfte sich […] als insbesondere wegen des Bürger-
182 Todesopfer an. Siehe: http://www.de.wikipedia.org/wiki/Todesopfer_rechtsextremer_ kriegs in Jugoslawien die Flüchtlingszahlen stark anstiegen und […] Umfragen zeigten, dass
Gewalt_in_Deutschland (September 2012).“ zunächst eher die Aussiedler aus dem Osten, die zahlenmäßig überwogen, als Belastung
Als weitere Quellen sind ARI Berlin (Antirassistische Initiative e.V.) zu nennen, die sich mit empfunden wurden, doch die Unionsparteien kanalisierten die Aggressionen gegen die Asylbe-
Rassismus in Gesellschaft, Politik und Gesetzgebung auseinandersetzt (http://www.ari-berlin. werber um […]. Zwischen Juni 1991 und Juli 1993 wurde das Thema Asyl/Ausländer weit vor
org/doku/titel.htm) sowie die wissenschaftliche Aufarbeitung des Themas von Christine Morgen- der deutschen Vereinigung und der Arbeitslosigkeit in Umfragen als das dringendste Problem
stern, Rassismus – Konturen einer Ideologie. Einwanderung im politischen Diskurs der Bundes- angegeben.“ Siehe: http://wiki.verkata.com/de/wiki/Pogrom_von_Rostock-Lichtenhagen.
republik Deutschland, Hamburg 2002. Die Abschaffung des bis dahin für die Asylgesetzgebung verbindlichen Paragrafen 16a stand
4  „Asylkompromiss nennt man die durch den Deutschen Bundestag am 6. Dezember 1992 jedoch besonders im Zusammenhang mit der Entwicklung der Politik des Schengener
beschlossene Neuregelung des Asylrechts […] durch die Regierungskoalition aus CDU, CSU und Abkommens, in der die gesamte EU vor sogenannten „Wirtschaftsflüchtlingen“ geschützt
FDP mit Zustimmung der (für die verfassungsändernde Zweidrittelmehrheit im Bundestag werden sollte, um andererseits Waren und Arbeitskräfte ungehindert zirkulieren lassen zu
erforderlichen) SPD-Opposition. Durch die Änderung des Grundgesetzes […] wurden die können. Die Zahl der Asylsuchenden in Deutschland erreichte 1992 mit über 440.000 ihren
Möglichkeiten eingeschränkt, sich erfolgreich auf das Grundrecht auf Asyl zu berufen. Weitere Höhepunkt. Gleichzeitig betrug die Anerkennungsquote nur noch 4,3 Prozent. 1993 wurde etwa
Bestandteile des Asylkompromisses waren die Einführung des Asylbewerberleistungsgesetzes 125.000 Personen die Einreise nach Deutschland verweigert; 30.000 wurden sofort abgescho-
sowie die Schaffung eines eigenständigen Kriegsflüchtlingsstatus (§ 32a Ausländergesetz).“ ben. Die Abschiebung bereits am Flughafen wurde möglich. Siehe: http://de.wikipedia.org/wiki/
Siehe: http://www.de.wikipedia.org/wiki/Asylkompromiss (September 2012). Todesopfer_rechtsextremer_Gewalt_in_Deutschland.
Seit den frühen 1980er Jahren bestimmte das Thema Asylpolitik den politischen Diskurs. „CDU 5  Boris Groys, „Der Asylant aus ästhetischer Sicht“, in: ders., Logik der Sammlung. Am Ende
und CSU […] führten ab 1986 eine Kampagne gegen ‚Asylbetrüger durch Wirtschaftsflüchtlinge‘. des musealen Zeitalters, München/Wien 1997, S. 145 –153.

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IDEOLOGISCHE ERFAHRUNG UND INTERVENTIONEN

Eingang der Kunsthalle wurde mit Tischen und Bänken blockiert. Schafhausen kuratierte Ausstellung. Sie wurde Ende Juni 1996 im
Die Polizei hielt den Seiteneingang frei. Vor allem bei den Funktio- Rohbau des dortigen Landesmuseums eröffnet, das mit dem
nären und Referenten des Symposions waren die Empörung und ehemaligen NS-Gauforum baulich verbunden ist. „Nach Weimar“
das Erstaunen gleich groß. Etwas schien zu Ende gegangen in funktionierte als Aperto für die Kulturhauptstadt Weimar 1999 und
dem selbstverständlichen kulturellen Konsens der Nachkriegs- die dortige ständige Präsenz der Sammlung Maenz im rekonstru-
BRD – in dieser Verwaltung von Kritikalität und Inklusionsbereit- ierten Museum. „Nach Weimar“ ist ein neues Beispiel für die
schaft, die Marcuse repressive Toleranz genannt hatte.6 kuratorische Integration von Kunst in den schon länger laufenden
Prozess der sogenannten Rekonstruktion historischer Orte und
Die Anschläge und die Toten verursachten einen Schock, der in unserem deren unhinterfragte Bedeutungsaufladung. Die Musealisierungs-
Bereich eine seltsame Dialektik hervorrief. Diese Dialektik verstand sich als ambitionen gegenwärtiger Kunstpraktiken dienen dazu. Der Film
Option, „Stolzsein auf Deutschland“ 7 als eine Kontroverse zu verstehen, oder entstand nach längerer Diskussion um neokonservative Kulturpo-
sie verstand sich anscheinend auch als Neutralisierung rechter Tendenzen, so litik, die sich verstärkt seit der „Wende“ abzeichnet. Im internatio-
wie schon immer alle politischen Ansätze in der Kunst neutralisiert werden nalen Kunstkontext sind Ausstellungen wie „Nach Weimar“
konnten, indem man schweigt oder auch beipflichtet. Zum Beispiel wenn Plattform für solche Tendenzen. 9
nationalsozialistische Verbrechen gleich gemacht werden und verschwinden
im Eingedenken an stalinistische Lager oder Hiroshima,8 oder wenn man In der Ausstellung Nach Weimar waren Kollegen und Kuratoren der eigenen
schweigt oder beipflichtet bei dem Wort „Entstigmatisierungsarbeit“, das Generation involviert, deren Rechtfertigungen in diesem Kontext eines natio-
erfunden wurde in einer Pressemitteilung, um das ehemalige NS-Gauforum in nalen Festivals ( Weimar als Kulturhauptstadt wurde stark national beworben)
Weimar für eine trendy Kunstausstellung benutzbar zu machen, deren Attrak- auszustellen, wahrscheinlich ungewollt immer „symptomatischer“ wurden.
tivität auch darin lag, „Bauhaus und Buchenwald“ in einem Atemzug zu nennen. Zugleich wurde die eigene künstlerische Praxis und ihre vorsichtigen Neu-
Ein Atemzug, der nach geschichtlicher Rasanz, Zusammenfassung der Inhalte orientierungen an Tendenzen wie Site-Specificity und Institutionskritik zweifel-
und Bedeutungen in einer neuen Generation klang, die anscheinend all dem haft, weil KünstlerInnen, die dies mitvertraten, hier mitmachten.
nur noch sentimental begegnen konnte, weil sie die Sensibilität für die tatsäch- Es schien uns auch, als ob viele der künstlerischen Methoden, die wir in den
lichen Vorfälle verloren hatte. 1980er Jahren in der Akademie gelernt hatten – das Arbeiten mit Ironie, Affir-
mation, Übertreibung, das Zusammenziehen von Inhalten auf ein Bild, das
Anlässlich der Ausstellung „Nach Weimar“ hatte die Gruppe knallt oder in diesem Moment alles sagt – , dass dies alles nichts mehr aus-
„Gruppe Gummi K“ aus Berlin den Animationsfilm „Wie eins zum machen konnte bei dieser neuen nationalen Beanspruchung von künstlerischer
andern kam“ (1996) gemacht, der die ideologische Disposition Arbeit. Es war vielleicht allen klar, dass alle künstlerischen Formate ideolo-
der Ausstellung hinterfragte. Der Film wurde von Studenten als gisch ohne den geringsten Widerstand benutzbar waren und dass es jetzt
Vorkritik auf der V.I.P.-Party in Weimar eingeschleust und gleich- darum ging, künstlerisch das zu tun, was immer verpönt war: nämlich ganz
zeitig in verschiedenen Städten an Kunstszeneorten gezeigt. eindeutige Aussagen zu treffen. Als Paul Maenz seine Sammlung dem
„Nach Weimar“ war eine vom ehemaligen Kölner Galeristen Paul Museum der Stadt Weimar schenkte bzw. Teile verkaufte, sagte er in einem
Maenz angeregte und von Klaus Biesenbach und Nicolaus Interview: „Zum ersten Mal war ich nicht mehr stolz darauf, mich zu schämen,

6  Alice Creischer, „Deutschsein fällt aus!“, in: Texte zur Kunst, Heft 10, Juni 1993, S. 164–167, 8  In den 1990er Jahren entstand eine Debatte über die Einrichtung von Gedenkstätten der
und Herbert Marcuse, „Repressive Toleranz“, in: Robert Paul Wolff, Barrington Moore, Herbert Opfer des Stalinismus in Konzentrationslagern wie Buchenwald oder Sachsenhausen. Diese
Marcuse, A Critique of Pure Tolerance, Boston 1969, S. 95–137. Deutsch erschienen als Kritik der Debatte knüpft an den sogenannten „Historikerstreit“ von 1986 an, in dem der Historiker Ernst
reinen Toleranz, übers. von Alfred Schmidt, Frankfurt a. M. 1996. Nolte den „Rassenmord“ der Nationalsozialisten mit dem „Klassenmord“ unter Josef Stalin
7  „Wir sind stolz darauf, Deutsche zu sein“ ist eine Zeile im Lied Deutschland im ersten Album parallelisierte. Die Zusammenziehung von Nationalsozialismus und Stalinismus unter dem
der Band Böhse Onkelz (1984). Das Album wurde 1986 als jugendgefährdend indiziert und später historischen Begriff „Totalitarismus“ begann sehr vehement in den politischen und Feuilleton-
wegen Gewaltverherrlichung zusätzlich beschlagnahmt. Siehe: http://de.wikipedia.org/wiki/ Debatten, in Großausstellungen – besonders im neu errichteten Deutschen Historischen Museum
Der_nette_Mann (November 2012). Der Slogan wurde jedoch bald zu einem in den Debatten des in Berlin – und setzt sich bis jetzt fort.
Feuilletons und der Politik gängigen Topos und ist es bis heute, vgl. die Umfrage der Zeitung 9  Gruppe Gummi K für Microstudio Surplus, „Wie eins zum andern kam“, in: Texte zur Kunst,
Welt (7.5.2009): 83 Prozent sind „stolz darauf, Deutsche zu sein“. Heft 23, August 1996, S. 76.

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IDEOLOGISCHE ERFAHRUNG UND INTERVENTIONEN

ein Deutscher zu sein. Buchenwald und Goethe denkt man als Teil der Ge- auf dem Potsdamer Platz statt. Bauarbeiter marschierten durch das Branden-
schichte und der eigenen Verwicklungen darin. Daher vielleicht auch der erste burger Tor und Daniel Barenboim dirigierte Baukräne im Takt von Beethoven.
Gedanke: Hier würde ich gerne etwas machen.“ 10 1997 fand im Berliner Martin-Gropius-Bau die Ausstellung Deutschlandbilder:
Wir beobachteten nun Revisionen, die ständig stattfanden. Zwei Kerzen für Kunst aus einem geteilten Land statt. Sie verstand sich als erste umfassende
Dresden, ein Bild von Gerhard Richter, auf Gebäudegröße hochgeplottet als Präsentation der Kunstentwicklung in beiden deutschen Staaten, als eine Art
Logo für den neuen Dresdner Kunstverein 1994, in Gedenken an die Bomben- angeordnete und nun manifeste Vereinigung. Dazwischen hatte es viele dem-
nächte und in einem Stadtfest, das sich in den Geldspenden für den Wieder- entsprechende Versuche gegeben, die immer daran gescheitert waren, dass
aufbau der Frauenkirche manifestierte. „Wiederaufbau“ war ein Begriff, der so die künstlerischen Arbeiten in Ost- und Westdeutschland so intensiv ihre
tat, als ob es kurz nach 1945 wäre, was uns wie die Rekonstruktion einer Ideologien mittransportierten. Es gab Ausstellungen, die dies immer wieder
Identität vorkam, die nichts mit uns zu tun hatte. Wir konnten uns an diesen für die Kunst aus der DDR nachwiesen, in Weimar oder Berlin. Aber es gab nie
Begriff nicht erinnern, aber mit dieser Zumutung assoziierten wir nun zu einen Versuch, die Ideologie der Westkunst nachzuweisen – diese Reeducation
„Wiederaufbau“ den Begriff „Täter“, so als ob in diesem „Wiederaufbau“ sie, zur Freiheit und ihre Bereitschaft zur Umarmung aller kulturellen Affekte, die
„die Täter“, an der Reihe wären, sich selbst endlich gegenseitig Genugtuung die wirtschaftliche Konjunktur belebten. Dieser totale emanzipatorische Bankrott
zu geben. Das war in der Zeit, in der in allen Städten Schlösser, Kasernen, von Pop zum Beispiel. In der Ausstellung geschah eine kritische Revision der
Gefängnisse und Gebäude der Bürokratie rekonstruiert wurden, sodass man Freiheitsideologie von Westkunst. Aber sie ging in eine andere Richtung. Die
unwillkürlich auf den Einzug der entsprechenden Personen wartete. 1992 Kuratoren stellten fest, dass es in Westdeutschland einen politisch korrekten
wurde der Kadaver des letzten Preußenkönigs in Potsdam im Dom beigesetzt. Konsens gegeben hätte. Sie stellten die notwendige selbstverständliche Existenz
Wir verfolgten ohnmächtig Vittorio Magnano Lampugnanis Polemiken gegen eines Nationalgefühls fest, das durch diesen Konsens verdrängt worden wäre.
die Architektur der Moderne und sahen, dass genau dies in Berlin die Legiti- Sie sagten: „verdrängt“, „tabuisiert“, und es war klar, dass damit diese Begriffe
mation lieferte, die DDR-Gebäude abzureißen und die Baulücken mit Repliken von dem Vorwurf, mit dem sie sich für uns immer verbunden hatten – die
der preußischen Gründerzeit zu besetzen.11 Tabuisierung von nationalsozialistischen Verbrechen und ihres Nutzens für das
Wirtschaftswunder –, getrennt wurden und eine andere semantische Verbindung
Es gab nun Nationalfeiertage, die zu Stichtagen für Ausstellungseröffnungen eingingen. Wir erfuhren die Zumutung einer unterstellten psychischen Dispo-
wurden. Zum Beispiel eröffnete die neue Berlin Biennale im Zusammenhang sition. Es wurde uns außerdem suggeriert, Opfer zu sein und uns in einer Ge-
mit den Feierlichkeiten am Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober. Zugleich meinschaft namens „Deutsche“ zu befinden, die wir nie so empfunden hatten.12
fand die Eröffnung des großen Immobilienagglomerats des Daimler Konzerns Es gab auch so etwas wie den Verdacht, dass Toleranz nur ein Indiz für

10  Peter Herbstreuth, „Keine Angst vor Blitzgewitter, Interview mit Paul Maenz“, in: Der 11  Die Architekturdebatte ging in den 1990er Jahren von Berlin als exemplarischem Beispiel
Tagesspiegel, Berlin, 17.12.1998. Maenz, einer der Hauptakteure der Kunstspekulationen der aus. Sie wurde besonders von dem damaligen Leiter des Deutschen Architekturmuseums,
1980er Jahre, schloss in der Kunstbaisse der 1990er seine Kölner Galerie. Er popularisierte sein Vittorio Magnano Lampugnani, initiiert. „Am 20. Dezember 1993 schrieb Lampugnani: ‚Wir
Public-Private-Partnership-Vorhaben, Teile seiner Bestände nun als Sammlung Maenz dem müssen den Mythos der Innovation, eine der verhängnisvollsten Erbschaften aus der Epoche
Neuen Museum in Weimar teilweise zu schenken oder zu verkaufen, als nationale Widmung. der Avantgarden, aufgeben. Wo Innovation bloße Attitüde ist, hat die Konvention das bessere
„Beim Besuch der Sammlung fiel es uns schwer, vom Ort zu abstrahieren. Wir haben uns gefragt, Argument.‘ […] Von Lampugnanis ‚Konvention‘ bis zu Hans Kollhoffs ‚Das 19. Jahrhundert ist
ob oder wie sich diese Haltung, die nun Goethe und Buchenwald […] im ehemaligen Gauforum noch nicht zu Ende‘ war es kein weiter Weg mehr. […] Die Konventionalität einer neuen ‚Berlini-
homogenisiert, mit den gezeigten Arbeiten verbindet? Gibt es vielleicht sogar einen Zusam- schen Architektur‘ sollte plötzlich einhergehen mit dem guten Geschmack des Publikums. Das
menhang zwischen Maenz als Pioniergalerist von der amerikanischen und italienischen Konzept- schloss im Übrigen einen groß angelegten Propagandafeldzug gegen die DDR-Moderne nicht
kunst zu den geläuterten Nationalen. Uns interessiert, warum sich die grauschwarzen Sol Lewitt aus. Im Gegenteil: Gerade am Beispiel der Ostberliner Mitte versuchten die Protagonisten der
Arbeiten so reibungslos zwischen die Pilaster des Eingangsfoyers integrieren lassen, […] warum konservativen Wende zu begründen, wie wichtig eine ‚kritische Rekonstruktion‘ sei.“ Uwe Rada,
Judd so harmonisch in die Wand eingelassen werden kann und warum Buren durch seine Wand- „Welches Berlin hätten Sie denn gern?“, in: taz, 19.12.2008, http://www.taz.de/1/archiv/print-
arbeit zum Kitsch des Foyers beiträgt. Die Schlitze in der linken Treppenhaushälfte sind nicht […] archiv/printressorts/digi-artikel/?ressort=bl&dig=2008%2F12%2F19%2Fa0139&cHash=6c55
in den Putz geschlagen. Sie sind in ihrer Glätte streifenweise aus jenem typischen Material auf 4155d7 (September 2012).
die Steine geklebt, das als Grundsubstanz so gerne in kritisch rekonstruierten Gebäuden […] 12  Deutschlandbilder: Kunst aus einem geteilten Land, kuratiert von Eckhart Gillen,
traurige Berühmtheit erlangte – Gipskarton. Die rechte Treppenhälfte ist verspiegelt. Die Vereinigung 7. September – 11. Januar 1997, Martin-Gropius-Bau, Berlin. In einem Parcours von 25 Räumen
der Gipskartonstreifen mit ihrem ‚Spiegelstadium‘ vollzieht sich in einer unangetasteten Apsis in wurde eine geschichtliche Chronologie verfolgt, die in Abschnitte unterteilt betitelt war mit
der Mitte des Treppenabsatzes – wie könnte es anders sein – hinter dem breiten Marmorrücken „1933“, „Mauerbau“, „’68“, „Stammheim“ und „1989“. Diese Chronologie begreift sich als Ab­­­­­­­­­­schluss
eines massiven, gemächlich sitzenden väterlichen Goethes.“ Alice Creischer, Andreas Siekmann, der Nachkriegsära und will eine Kontinuität von nationaler Identitätssuche beweisen. Dies tut sie
„Ich bin ein Monolith“, in: Texte zur Kunst, April 1999, S. 72. vor allem, indem sie „dem politischen korrekten Konsens“ eine Verdrängung des Nationalen vor-

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IDEOLOGISCHE ERFAHRUNG UND INTERVENTIONEN

Selbsthass und unterdrücktes Deutschsein wäre und dass diese Toleranz es abgestumpfte Installationsware. Vielleicht war die Flick-Sammlung auch sympto-
begrüßte, wenn Ausländer totgeschlagen würden, weil sie ein Beweis und eine matisch dafür, dass es schon längst nicht mehr um „Tabuisierung“ von NS-Ge-
Bestätigung dieses Selbsthasses wären.13 schichte ging, sondern um ihre Verwertung. Eine Aneignung von Geschichte,
Wir waren dann irgendwann zu erschöpft, um uns immer wieder über diese eine Art Schubumkehr von Legitimitätsenergie bei der Fortsetzung chauvinisti-
Form einer aufgezwungenen Identität zu empören. Wir waren auch mittlerweile scher Politik. Flick präsentierte sich bei der Eröffnung ganz als Mensch, der
mit dem Problem konfrontiert, im Kunstbereich auf eine spezielle Rolle als Antifa die Entschädigungszahlungen an die ZwangsarbeiterInnen mit seinem Gewissen
festgeschrieben zu sein. Wir liefen Gefahr, ein Bedürfnis zu bedienen, eine ausmacht. Diese Form des Humanismus hat uns ganz besonders angekotzt – 
obligate Kritik an nationalen Positionen zu liefern, nach deren Rezeption der so wie sie sich verbindet mit diesem Kitsch der privilegierten, der schönen
Betrieb dann weitermachen kann. Und damit hätten wir dann selbst eine Art Seele, die über Freiheit und Autonomie verfügt – ein Tand, der nur schlecht jene
Etablierung als „Ideologiekritiker“ erreicht. Brutalität kaschiert, mit der die ausdrückliche, willkürliche Gebärde der Ignoranz,
Als wir hörten, dass der Erbe des größten Nazi-Industriellen, Christian-Friedrich der Souveränität, der Herrschaft über Recht und Unrecht sich aufführt.
Flick, seine Kunstsammlung im Hamburger Bahnhof in Berlin zeigen wollte, Es kam eine Gruppe von ganz unterschiedlichen Leuten zusammen, die über
haben wir das zunächst einfach nicht geglaubt. Im ersten Moment wollten wir mögliche Protestformen gegen die Ausstellung nachdachte. Es gab anonyme
einen Artikel schreiben. Aber wir zögerten damit, weil das doch genau das Farb- und Lärmanschläge in der Ausstellung. Schließlich wurde eine Veran­­­­­­­­
war, was man von uns erwartete. Zwei Tage vor der Ausstellungseröffnung im staltung mit dem Titel Heil dich doch selbst/Die Flick Collection wird geschlos­­
Jahre 2004 fand in der Freien Universität Berlin ein Kolloquium statt, in dem ­­sen organisiert, die im Dezember 2005 im HAU Theater in Berlin stattfand.
ehemalige Zwangsarbeiterinnen über ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen in Sie bestand aus kurzen Stellungnahmen und Beiträgen einer Vielzahl von
den Fabriken des Flick-Konzerns berichteten. Wir konnten sie nicht sehen, weil Personen und Gruppen. Kurz darauf gab es eine anonyme Spende, mit der
zwischen ihnen und uns eine Phalanx von Kameras aufgebaut war. Die eine ganzseitige Anzeige in der FAZ gegen die Ausstellung geschaltet werden
Kameras verlangten ein Statement zur Sammlung, deren Eröffnung eines der konnte. Sie wurde von mehreren Hundert KünstlerInnen, MusikerInnen,
glanzvollsten gesellschaftlichen Ereignisse in diesem Herbst in Deutschland SchreiberInnen etc. unterschrieben. Es ist wichtig zu bemerken, dass einzelne
zu werden versprach. Eine der ehemaligen Zwangsarbeiterinnen antwortete, der Unterzeichner Probleme mit ihren Geldgebern, Institutionen oder Redak-
man könne Schuld prinzipiell nicht vererben, und fuhr nach einer Pause fort, tionen bekamen. Denn dies zeigt, dass die Grenzen der gesellschaftlichen
aber sie sei sich ganz sicher, dass in dieser Sammlung eine Tafel angebracht Inklusionsbereitschaft und dass das permanente Versprechen/die Drohung
sei, die mitteilt, dass sie mit geraubten und tödlich ausgebeuteten Profiten von Inklusion selbst wieder eine ideologische Unterstellung von Omnipotenz ist.
finanziert wurde. Es geht nicht darum, darauf hinzuweisen, wo die meisten Unter Druck geraten zahlte Flick nun doch in den Entschädigungsfonds ein.
Medien in der Übertragung den Schnitt setzten. Sondern es geht darum, auf Er tat dies mit der widerwärtigen Geste der Freiwilligkeit, die allen Entschädi-
eine Verbindung hinzuweisen zwischen der Phalanx, dem Schnitt und dem gungszahlungen in dieser Zeit anhaftete. Es war eine lächerliche Summe von
Begehren nach diesen Zeuginnen. fünf Millionen Euro – peanuts. Wir erschienen bei der folgenden Vernissage
Vielleicht projizierten wir, aber uns kam es beim Betrachten der Flick-Sammlung und verteilten Flugblätter und Erdnüsse und wurden vor die Tür gesetzt.
vor, als bildete sich in den Arbeiten uneingestanden doch etwas ab an Durch- Die Eröffnung der Flick-Sammlung war am 3. November 2004. Uns fielen in
setzungswillen, an der Funktion, Alibi zu sein, und an dem, was man „Symptom“ dieser Zeit die vielen Filme zum Nationalsozialismus und Zweiten Weltkrieg auf,
nennen könnte: in ihrem Arrangement und ihren Anhäufungen, in den immer von denen wir den Eindruck hatten, dass sie sich permanent das gegenseitige
wiederkehrenden Motiven von Gewalt und Krieg – eine in ihrer Existenzialität Verzeihen bestätigten und dass sie eine eigenartige Form von Erinnerung ein-
übten – sehr nahe bei der Psyche, ohne Distanz, Bilder einer Konditionierung, eine
wirft. „Mit der Frage nach den Deutschlandbildern der Künstler zwischen Düsseldorf und Dresden, Industrie von Tränen, Du und Ich und obligatorische Gefühlen, wie eine Haut, die
Hamburg und Leipzig rührt die Ausstellung an dem tabuisierten Begriff der Nation.“ Eckhart so klebrig ist, dass man sie kaum abstreifen kann, die sagt, was man sein soll.14
Gillen, „Weiterleben mit der Vergangenheit“, in: Deutschlandbilder: Kunst aus einem geteilten
Land, Ausst.kat. hg. von Eckhart Gillen im Auftrag der Berliner Festwochen, Berlin 1997, S. 32. Das war genau in der Zeit, als in öffentlichen Kontroversen über die Abstufungen
13  „Zuweilen sollte man aber prüfen, ‚was an der eigenen Toleranz echt […] ist und was sich
davon dem verklemmten deutschen Selbsthaß verdankt, der die Fremden willkommen heißt, damit
hier […] sich die Verhältnisse endlich zu jener berühmten [faschistoiden, Anm. Gillen] Kennt- 14  Als Beispiele sind Filme wie Sophie Scholl – Die letzten Tage (Regie: Marc Rothemund, 2005)
lichkeit entpuppen.‘“ Botho Strauß, Anschwellender Bocksgesang, zit. nach: Eckhart Gillen, wie oder auch Oliver Hirschbiegels Der Untergang (2004) zu nennen. Siehe dazu u. a. Willi Bischof
Anm. 12, S. 37. (Hg.), Filmri:ss. Studien über den Film „Der Untergang“, Münster 2005.

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IDEOLOGISCHE ERFAHRUNG UND INTERVENTIONEN

zwischen strengen Verhören und Folter diskutiert wurde – wissend, zu welchem des Kolonialismus von Europa aus auf den Rest der Welt fiel. Vielmehr wird
Verhörcamp die Flugzeuge gerade fliegen. Es wird von Gefühlen der Sicherheit Andersheit ontologisiert, die zur Souveränitäts- und Kosmopolitismusdemons-
und der Angst, es wird von Ernstfällen gesprochen, ohne zu merken, dass man tration der Ausstellernation dient. Die Schlossfassade steht symbolisch für die
Menschenrechte abschafft, weil diese Kategorie zu keinem identitären Bild taugt. verlorene und zurückgewonnene Einheit Deutschlands sowie für das ‚Goldene
Zeitalter‘ des Preußentums, das nun zum nachteilungsgeschichtlichen Lücken-
füller wird. Gerade in einem solchen Zusammenhang dienen ‚Kulturschätze‘
Schluss aus aller Welt zur Demonstration von Weltoffenheit unter dem Deckmantel
‚Kulturnation‘. Eine solche Rekontextualisierung an diesem zentralen und
Was wir hier beschreiben, haben wir – als eine Generation von Künstle- symbolisch aufgeladenen Ort in direkter Nachbarschaft zur Museumsinsel mit
rInnen und TheoretikerInnen, die die ideologische Wende nach 1989 miterlebt den Sammlungen der ‚klassischen Hochkulturen‘ nennen wir eine weitere
haben – oft schon beschrieben. Zur Normalität gehört es, dass man sich Instrumentalisierung nichteuropäischer Künste und Kulturen.“ 15
ständig wiederholen muss. Und man muss immer wieder versuchen, Worte oder Es gibt viele wünschbare Anlässe für eine empirische Ideologiekritik, die zu
Bilder zu finden, die diese so oft beschriebene Wirklichkeit aufschminken wie einer aktivistischen Praxis werden kann – z. B. Untersuchungen der Codes of
eine tote Person, von der man sich einfach nicht verabschieden kann. Würden Conducts von Konzernen wie Nokia, H&M oder Apple, die nach der Kritik an
wir uns verabschieden von dieser Person und unserer Tätigkeit des ihren outgesourcten Produktionsweisen entstanden sind. Analysen der juridi-
Schminkens, dann hätten wir etwas aufgegeben, was man den Anspruch auf schen Textkörper von multilateralen Abkommen oder Privatisierungsverträgen,
die Möglichkeit von Veränderungen nennen könnte. die Stadt- oder Landesparlamente entmündigen. Eine solche Praxis von
Ideologiekritik wäre vielleicht auch eine Aneignung/Sozialisierung jener ideolo-
giekritischen Diskurse, deren Freiheit und Distribution in hart erkämpften Leucht-
Nachwort turm- und Exzellenzprojekten ihre Grenzen erfahren.

Diese Beschreibung der nationalen Ideologisierung im deutschen Kunstbereich


nach ’89 ist begrenzt und sie läuft Gefahr  –  ein bekanntes Prob­­­­­­­­­­­­lem antinatio- Fußnoten
naler Ideologiekritik –, in der eigenen Empörung nicht den essentialistischen
Kategorien entkommen zu können, die man vehement bekämpft. Besonders Die Fußnoten können nur stichwortartig oft diskutierte und vielen bekannte
wichtig waren mir – hier als einzelne Chronistin schreibend – die Beispiele Tatsachen und Diskussionen in Erinnerung rufen. Sie weisen auf ein eigenes
ideologiekritischer Praxis und deren Fortsetzbarkeit, z. B. der Protest gegen Problem hin, nämlich wie man mit dieser Gewissheit umgeht, von der man nie
das Humboldt-Forum, den ich zum Schluss noch erwähnen möchte. Anti- sicher ist, was schon vergessen ist oder mit heutigem Blick banal oder gra-
Humboldt, eine Veranstaltung zum selektiven Rückbau des Humboldt-Forums vierend erscheint. Ich habe mich größtenteils auf Wikipedia bezogen, weil es
fand im Juli 2009 in Berlin statt und bestand aus einem Abend mit einer Vor- selbst während der 1990er Jahre entstand und einige Diskussionen quasi parallel
lesung in wechselnden Rollen und mit Workshops zu Nationbranding, postko- chronologisierte. So sind die Seiten zum deutschen Asylrecht, zu den An-
lonialen Displays und Restitutionsfragen am Folgetag. „Nach dem Bundes- schlägen auf Ausländer sehr ausführlich. Eine andere Quelle sind unsere eigenen
tagsbeschluss zur Rekonstruktion der Schlossfassade von 2002 und dem Artikel in Texte zur Kunst. Diese Zeitschrift bot, wie auch springerin, vor allem
2008 vollendeten Abriss des Palasts der Republik wurde von kulturpolitischer in den 1990er und Nuller Jahren die Möglichkeit, sich als KünstlerIn zu artiku-
Seite das Humboldt Forum als rettende Idee zur Legitimation der Schlossre- lieren und Kunstkritik auch als Intervention zu begreifen.
konstruktion präsentiert. Neben Teilen der Zentral- und Landesbibliothek und
den wissenschaftlichen Sammlungen der Humboldt-Universität soll das
Humboldt-Forum vor allem die Sammlungen sogenannter außereuropäischer
Kunst und Kulturen der Staatlichen Museen zu Berlin beherbergen. […] Alle
bisherigen Verlautbarungen der Federführenden lassen erkennen, dass es bei
dem Humboldt-Forum nicht um eine Reflexion der Gewalt geht, die im Zuge 15  Ankündigung des Kongresses, Juli 2009. Alexandertechnik ist eine Gruppe aus Künstle-
rInnen, AktivistInnen und WissenschaftlerInnen.

250 251
IDEOLOGICAL EXPERIENCE
AND INTERVENTIONS IN
THE GERMAN ART CONTEXT
AFTER 1989
Alice Creischer

“With the epochal turnaround of 1989, classical ideology criticism also seems
to have come to an end. Its fundamental principles, a social objectivism and /
or a meta-linguistic perspective, seemed obsolete at a time when, politically,
the ‘end of ideologies’ was being declared.” (from the draft paper for the KUB
Arena Summer Academy, Kunsthaus Bregenz)

This essay deals with what the “end of ideologies” has meant for political reality
in Germany over the past two decades, and describes several interventions
undertaken against this in the art world. What I understand by ideology is
a violence people have to put up with at the everyday level. Ideology criticism
can become a useful praxis against that violence. My point of departure is a
text I wrote in 2006 for the exhibition La Normalidad in Buenos Aires.¹ The theme
of that exhibition was normalization after the 2001/02 “Argentinean Crisis”
and the social mobilizations that followed it. The latter were closely linked with
protests against the immunity from prosecution granted to the junta regime
(1976–1983). This text is a chronicle, in abbreviated form, of our own experience
of national normalization in the German art world after 1989. It was intended
as a contribution to the debate on the extent to which national “normalizations”
may be compared.
The episodes in this chronicle have been kept very general so as to facilitate
their presentation in a different context. In retrospect, this mode of writing
seems to represent our own astonishment at the everyday violence of ideology
more adequately than a more objective way of depicting things. The episodes
are complemented by footnotes and commentaries explaining the concrete
events and the protests against them.

1  See: http://www.nationalismreloaded.info/?timeline.

253
IDEOLOGICAL EXPERIENCE AND INTERVENTIONS

Normalization produced a film, and many other works, on the theme of “Deutschsein”: flags,
barbed-wire fences, soldiers and reminiscences, and that strange “swallowing”
Initially we did not grasp the following events as a chain, where one thing follows (suppression) of the actual reasons for them.
from another. We had always thought that everyone in our field, the art sector,
considered themselves more as left-wing, or at least as progressive. Only very “Deutschsein fällt aus” ( To Be German Cancelled) was the
much later did we realize that that progressivity had taken another direction. title of an action by Düsseldorf art students and the local Antifa
The following episodes are examples of the change of direction in a progressivity (anti-fascist movement) to block the conference linked with the
only subjectively perceived as such. Deutschsein? exhibition. Prior to that action, there had been
In 1993, the Kunsthalle Düsseldorf organized an exhibition and conference discussions about possibly protesting during the exhibition and/or
entitled Deutschsein? (To Be German?), financed by funds made available by the conference. In the course of these, everyone was aware of the
the Ministry of the Interior for a large-scale campaign against xenophobia and danger of how quickly we would be serving that very pluralist
violence.² That campaign came in response to the first wave of attacks on ritual of freedom of speech that was being staged all the while by
foreigners and asylum-seekers taking place in both East and in West Germany the art world. That ritual involves an unquestioned hegemony
since 1991.³ At the same time, the Asylum Act in force until then, and established which assumes that everyone—above all young artists—wishes to
in the German Basic Law, was in the process of being abolished.4 In a press be included in it. So protests, criticism, and actions are always
release, the exhibition thus funded claimed that its intention was to seen as a self-offering, a petition for inclusion. The discussions
“strengthen a national feeling that was missing in Germany.” The conference made it clear to us that we had to thwart that supposition and yet
was planned as an implementation of that objective. So, in the same period of still be present. We had not yet spoken about militancy, because
time in which homes for asylum seekers were being set on fire, Boris Groys we were so totally separated from any such political tradition. We
wrote an article entitled “Der Asylant aus ästhetischer Sicht” ( The Asylum- blocked the entrance to the Kunsthalle with tables and benches.
Seeker from an Aesthetic Viewpoint) 5; the anti-Semite Hans-Jürgen Syberberg The police kept the side entrance clear. Equally great was the
indignation, the astonishment of, above all, the officials and the

2  Jürgen Harten, Marie Luise Syring, Deutschsein? Eine Ausstellung gegen Fremdenhass und
Gewalt, exh. cat. Kunsthalle Düsseldorf, Düsseldorf, 1993. Other components of the Asylum Compromise were the introduction of the Social Welfare Law
3  The attacks represented mass movements: for example, in Hoyerswerda (September 17 for Asylum Seekers and the creation of an independent war refugee status (§ 32a Ausländer-
to 23, 1991) 500 people attacked a home for contract laborers and a home for refugees. gesetz)”. See: http://de.wikipedia.org/wiki/Asylkompromiss (September 2012, trans. by PC).
Hoyerswerda acted as a signal. “In East Germany mainly, groups of up to 200 skinheads and Political discourse had been dominated since the early 1980s by the asylum policy theme. “Since
right-wing youths attacked […] above all asylum seekers’ homes using […] firearms and fire 1986 CDU and CSU […] have led a campaign against ‘asylum deception by economic migrants.’
bombs. In West Germany there were also numerous attacks, […] for example, the long attack The right-wing radical parties […] benefited as of 1989 from the radicalisation and emotionalisation
by several hundred residents on a refugee home in Mannheim-Schönau in May 1992.” The most of the topic. […] After reunification, the Union intensified the asylum campaign and, with the
serious riots were in Rostock-Lichtenhagen (August 1992), a three-day siege of an asylum help of the Bildzeitung and the Welt am Sonntag, turned it into one of the most fierce, polemical,
seekers’ home and a residence for Vietnamese contract labourers. In the course of these, there and consequential conflicts in post-war Germany. The situation became more volatile when the
was no protection provided by the police. The perpetrators of the violence were estimated by numbers of refugees increased significantly, particularly due to the civil war in Yugoslavia […]
the police to have been about 1,000 people, supported by about 3,000 onlookers. “The overall and although surveys showed that it was the huge number of resettlers from the East who were
number of deaths due to extreme right-wing violence in the Federal Republic of Germany is thought to be a burden, the Union parties channelled the aggression against asylum seekers […].
actually a topic of debate. The list published by the Federal Government assumes 58 victims in Between June 1991 and July 1993, the theme of asylum/foreigners was mentioned in surveys as
the period from 1990 to 2011. An unofficial list drawn up by the Amadeu Antonio Foundation the most urgent problem, far in advance of German unification and unemployment.”
for the same time period says 182 victims.” See: http://www.de.wikipedia.org/wiki/Todesopfer_ See: http://www.wiki.verkata.com/de/wiki/Pogrom_von_Rostock_Lichtenhagen (trans. by PC)
rechtsextremer_Gewalt_in_Deutschland (September 2012). The abolition of Paragraph 16a, which until then was binding for asylum legislation, was
Mention should be made of other sources: ARI Berlin (Antirassistische Initiative e.V.), dealing with particularly linked with the development of the European Schengen policy, which was intended
racism in society, politics, and law (http://www.ari-berlin.org/doku/titel.htm) as well as the to protect the whole of the EU from so-called “economic refugees,” while on the other hand
scholarly account of the theme by Christine Morgenstern, Rassismus – Konturen einer Ideologie. enabling goods and labor to circulate unimpeded. The number of asylum seekers in Germany
Einwanderung im politischen Diskurs der Bundesrepublik Deutschland, Hamburg, 2002. reached more than 440,000 in 1992, its highpoint. At the same time, the recognition quota was
4  “Asylum Compromise is the name of the new adjustment to the Asylum Act decided in the only 4.3%. In 1993 about 125,000 people were refused entry to Germany; 30,000 were immediately
Bundestag on 6 December 1992 […] by the governing coalition of CDU, CSU, and FDP, with the deported. Deportation was made possible at the airport. See: http://www.de.wikipedia.org/wiki/
agreement of the SPD opposition (required in the Bundestag to achieve the two-thirds majority Todesopfer_rechtsextremer_Gewalt_in_Deutschland (trans. by PC).
necessary for constitutional change). Through the change to the Basic Law […] restrictions were 5  Boris Groys, “Der Asylant aus ästhetischer Sicht,” in: idem, Logik der Sammlung. Am Ende
placed on the possibility of successfully appealing in the name of the basic right of asylum. des musealen Zeitalters, Munich/Vienna, 1997, pp. 145 –153.

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IDEOLOGICAL EXPERIENCE AND INTERVENTIONS

conference speakers. Something seemed to have come to an end structurally linked with the former NS Gauforum building. “Nach
in the self-evident cultural consensus in post-war Federal Germany Weimar” functioned as a kind of aperitif, so to speak, before
—in its administrationof criticality and of the willingness to be Weimar became the 1999 Cultural Capital and before the
included, which Marcuse had called repressive tolerance.6 permanent presence there of the Maenz Collection in the
reconstructed museum. “Nach Weimar” is a new example of the
The attacks and the deaths caused considerable shock and gave rise to a strange curatorial integration of art into the unquestioned on-going
dialectic in our art world. That dialectic saw itself as an option: to understand process of the so-called reconstruction of historical sites and
“Being proud of Germany” 7 as a controversy, or else it apparently understood their re-charging with meaning. The museum ambitions of
itself as a neutralization of right-wing tendencies—just as it has always been contemporary art praxis also serves this process. The film came
possible in art to neutralize all political approaches by remaining silent, or else about after lengthy discussions on the neo-conservative cultural
concurring. Concurring, for example, when National-Socialist crimes are policies increasingly evident since the “Wende” or political
equated with, and disappear when one remembers, Stalinist camps or Hiroshima 8. turnabout of 1989. In the international art context, exhibitions
Or remaining silent or agreeing with the term “de-stigmatisation work” coined such as “Nach Weimar” provided a platform for such tendencies.9
in a press release aimed at making it feasible to use the building of the former
NS Gauforum in Weimar for a trendy art exhibition, the attractiveness of which lay The “Nach Weimar” exhibition also involved colleagues and curators of our own
in the exhibition was the naming of “Bauhaus and Buchenwald” in one breath. generation, whose justifications for exhibiting in the context of this national
A breath that sounded like historical alacrity, a summarizing of themes and festival (Weimar was strongly promoted nationally as European Cultural Capital)
meanings for a new generation apparently only able to encounter all this in became ever more “symptomatic,” probably involuntarily. At the same time,
a sentimental way because they had lost all sensitivity for the actual events. their art praxis and their cautious orientations around new trends, such as site-
specificity and institutional criticism, also became doubtful, because artists
On the occasion of the exhibition “Nach Weimar” (After Weimar), contributed who represented this.
the Berlin Group Gummi K made the cartoon film “Wie eins zum It also seemed to us that many of the art methods we had learned at the Academy
anderen kam” (How one thing led to another, 1996), which in the 1990s—working with irony, affirmation, exaggeration, gathering of
questioned the ideological disposition of that exhibition. The themes in one image that exploded or said everything at once—, that methods
students smuggled the film, as a preliminary-criticism, into the such as these could achieve nothing in the face of this new national claim for
VIP party in Weimar and simultaneously showed it at art venues art. Possibly everyone was aware that all art formats could be ideologically
in different cities. The exhibition “Nach Weimar” was instigated exploited without much opposition, and that it was now a matter of doing in
by the former Cologne gallerist Paul Maenz, and curated by Klaus something that was always abhorred in art: making clear statements. When
Biesenbach and Nicolaus Schafhausen. It opened in late June Paul Maenz gave, and also sold, parts of his collection to the Museum der Stadt
1996 in the shell of the new Landesmuseum in Weimar, which is Weimar, he said in an interview: “For the first time, I was no longer proud of
being ashamed of being a German. One considers Buchenwald and Goethe
as part of history and of one’s own involvement in it. Perhaps that was the
6  Alice Creischer, “Deutschsein fällt aus!”, in: Texte zur Kunst, Issue 10, June 1993, pp. 164–167,
and Herbert Marcuse, “Repressive Toleranz”, in: Robert Paul Wolff, Barrington Moore, Herbert reason for my first thought: ‘I would like to do something here.’” 10 We can now
Marcuse, A Critique of Pure Tolerance, Boston, 1969, pp. 95–137.
7  “Wir sind stolz darauf, Deutsche zu seen” is a line from the song Deutschland on the first album
of the band Böhse Onkelz (1984). In 1986 the album was branded as liable to corrupt the young Stalin. The conflation of National Socialism and Stalinism under the historical term “Totalitarianism”
and later seized because it glorified violence. See: http://de.wikipedia.org/wiki/Der_nette_Mann began very vehemently in the political and cultural debates in large exhibitions—especially in the
(November 2012). newly erected German History Museum in Berlin—and continues to this day.
However, the slogan soon became a common topos in debates in the newspaper culture-sections 9  Gruppe Gummi K für Microstudio Surplus, “Wie eins zum andern kam,” in: Texte zur Kunst,
and in politics, and has remained so to this very day, cf. the survey in Welt (7.5.2009): 83% are Issue 23, August 1996, p. 76 (trans. by PC).
“proud to be German.” 10  Peter Herbstreuth, “Keine Angst vor Blitzgewitter, Interview with Paul Maenz,” in: Der Tages-
8  In the 1990s a debate emerged about the inauguration of memorial sites to the victims of spiegel, Berlin, 17.12.1998 (trans. by PC). Maenz, one of the main actors in art speculation during
Stalinism in concentration camps like Buchenwald and Sachsenhausen. This debate linked in the 1980s, closed his Cologne gallery in the art downturn of the 1990s. He popularized his
with the so-called “Historians Debate” of 1986, in which the historian Ernst Nolte drew a parallel public-private-partnership ventures as dedication to the nation, donating and selling parts of his
between the “racial murders” under National Socialism and the “class murders” under Josef artworks, as the Maenz Collection, to the Neue Museum in Weimar. “When visiting the Collection

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IDEOLOGICAL EXPERIENCE AND INTERVENTIONS

observe revisions taking place constantly. Zwei Kerzen für Dresden (Two Candles In 1997 the exhibition Deutschlandbilder: Kunst aus einem geteilten Land
for Dresden), a painting by Gerhard Richter, enlarged to the size of a building (Images of Germany: Art from a Divided Country) was mounted in the Martin-
as a logo for the new Dresden Kunstverein in 1994, in memory of the bombing Gropius-Bau in Berlin. It saw itself as the first comprehensive presentation of
of the city and during a city festival that also manifested in donations for the developments in art in the two German states—a kind of arranged and now
reconstruction of the Frauenkirche. “Reconstruction” was a term used as if manifest unification. There had been many similar attempts in between, but
it were just after 1945. This struck us as the reconstruction of an identity that they had failed because of the fact that the artworks in East and West Germany
had nothing to do with us. We could not recall the term “reconstruction,” but clearly transported their respective ideologies. Exhibitions in Weimar and
as a result of this impertinence we associated it with the term “perpetrators,” as Berlin had demonstrated this as regards GDR art, but there had never been an
if through this “reconstruction” they, the “perpetrators,” could now finally make attempt to demonstrate the ideology of Western art—that freedom of
amends to each other. That was at a time when castles, barracks, prisons, and re-education and its willingness to embrace all cultural affects that fuelled the
administrative buildings in all cities were being reconstructed, so that, involuntarily, economic boom. Pop Art’s complete emancipatory bankruptcy, for example.
one anticipated the arrival of the corresponding residents. In 1992 the remains This exhibition contained a critical revision of Western art’s ideology of freedom,
of the last Prussian king were interred in the cathedral in Potsdam. Helplessly, but it went in a different direction. The curators realized that there had been a
we listened to Lampugnani’s polemics against the architecture of modernism, politically correct consensus in West Germany. They ascertained the necessary,
and realized that this provided the legitimation to pull down the GDR buildings self-evident existence of a national feeling which had been repressed by that
in Berlin and fill the gaps with replicas of buildings from the Prussian Gründer consensus. They used the terms “repressed” and “taboo,” and it was clear
era of 1871–1873.11 that the terms were being relieved of the reproach with which they had always
Now national holidays were key dates for exhibition openings. For example, been linked, in our eyes—the placing of the National Socialist crimes under
the new Berlin Biennale opened on October 3, in the context of celebrations taboo and the exploitation of this for the economic boom. Those terms were
for the Day of German Unity. The inauguration of the huge Daimler real-estate now being given another semantic link. We felt that a psychological disposition
agglomeration on Potsdamer Platz took place on the same day; building was being imputed to us; the suggestion was that we were victims and part of
workers marched through the Brandenburg Gate while Barenboim conducted a community called “Germans,” something we had never experienced as
construction cranes to strains of Beethoven. such.12 There was also something like a suspicion that tolerance was merely an
indicator of self-hatred and suppressed German identity, and that this tolerance
welcomed foreigners being beaten to death because they were proof and
we found it difficult to abstract from the venue. We wondered if and how this approach to confirmation of that self-hatred.13 Ultimately, we were too exhausted to repeatedly
homogenizing Goethe and Buchwald […] in the former Gauforum might be linked with the works
on exhibition? Is there perhaps a connection between Maenz as a pioneering gallerist for American rage about this form of forced identity. Meantime we were also faced with the
and Italian concept art and the reformed Nationalists? We were interested in why the grey-black problem of having a special role imposed on us as anti-fascists in the art
Sol LeWitt works could be so smoothly integrated into the pilasters of the entrance foyer […] why
Judd can be inserted so harmoniously into the wall, and why Buren’s wall work contributes to the
kitschy foyer. The slits in the left half of the stairwell are not […] cut into the plaster. They are
stuck to the stones in strips and made of the typical material which is favoured for critically taz, 19.12.2008. See: http://www.taz.de/1/archiv/print-archiv/printressorts/digi-artikel/?ressort
reconstructed buildings […] and has gained a sad fame […] plasterboard. The right stairwell half =bl&dig=2008%2F12%2F19%2Fa0139&cHash=6c554155d7 (September 2012, trans. by PC).
is mirrored. The unification of plasterboard strips and their ‘mirror stage’ is completed in an 12  Deutschlandbilder: Kunst aus einem geteilten Land, curated by Eckhart Gillen, September 7
untouched arch in the middle of the stairhead—how could it be otherwise—behind the wide marble to January 11, 1997, Martin-Gropius-Bau, Berlin. Over the course of 25 rooms, a historical
back of a massive, comfortably seated and paternal Goethe.” Alice Creischer, Andreas Siekmann, chronology was divided into sections with headings like “1933,” “Construction of the Wall,” “’68,”
“Ich bin ein Monolith,” in: Texte zur Kunst, April 1999, p. 72 (trans. by PC). “Stammheim,” and “1989.” This chronology saw itself as the completion of the post-war era and
11  The architecture debate in the 1990s began in Berlin with a typical example. It was initiated aimed to show a continuity in the nationalist search for identity. It did this mainly by accusing
by the then director of the Deutsche Architekturmuseum, Lampugnani. “On December 20, 1993, “the politically correct consensus” of suppressing the nationalist element. “With the question of
Lampugnani wrote: ‘We must abandon the myth of innovation, one of the most fateful heritages the images that artists, from Dusseldorf to Dresden, from Hamburg to Leipzig, had of Germany,
of the avant-garde epoch. Where innovation is mere attitude, convention has the better the exhibition touches on the taboo concept of the nation.” Eckhart Gillen, “Weiterleben mit der
arguments.’ […] It was not a long way from Lampugnani’s ‘convention’ to Hans Kollhoff’s ‘the Vergangenheit,” in: Deutschlandbilder: Kunst aus einem geteilten Land, exh. cat. ed. by Eckhart
nineteenth century is not over yet.’ […] Suddenly the conventionality of a new ‘Berlin architecture’ Gillen for the Berliner Festwochen, Berlin, 1997, p. 32 (trans. by PC).
had to go hand in hand with the good taste of the public. What is more, that did not exclude a 13  “One should occasionally examine ‘what is genuine about one’s own tolerance and what is
large-scale propaganda campaign against GDR Modernism. On the contrary: taking East Berlin’s due to the uptight German self-hatred that welcomes foreigners so that […] finally conditions
Mitte as an example, the protagonists of the conservative turnabout tried to justify how here are exposed for what they famously are [fascistoid, note Gillen].” Botho Strauß,
important a ‘critical reconstruction’ was.” Uwe Rada, “Welches Berlin hätten Sie denn gern?”, in: Anschwellender Bocksgesang, qtd. after Eckhart Gillen, see note 12, p. 37 (trans. by. PC).

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IDEOLOGICAL EXPERIENCE AND INTERVENTIONS

scene. We risked serving a need to provide an obligatory criticism of nationalist donation which financed a full-page protest advertisement against the exhibition
positions; once this had been done, the art world could go on as before. We in the Frankfurter Allgemeine Zeitung. This was signed by several hundred artists,
thus would have become quasi established, as “ideology critics.” musicians, authors, etc. It is important to mention that some of those signatories
When we first heard that Christian-Friedrich Flick, heir to the major Nazi subsequently had problems with their financiers, institutions, or editors. This
industrialist, wanted to show his art collection at the Hamburger Bahnhof in shows that the limits of a willingness for social inclusion, that the constant promise/
Berlin, we simply could not believe our ears. Initially, we wanted to write an threat of inclusion are, yet again, an ideological assumption of omnipotence.
article, but then hesitated, because that was exactly what was expected of us. Under pressure, Flick paid into the compensation fund, and he did so with the
Two days before the exhibition opening in 2004, a colloquium was held at the repulsive gesture of voluntariness inherent in all compensation payments at
Freie Universität Berlin, during which former women forced laborers reported that time. The sum was a ridiculous five million euros—peanuts. We went to
on their living and working conditions in the factories owned by the Flick concern. the subsequent vernissage to distribute flyers and peanuts, but were forced to
We could not actually see them during the colloquium, as our view was blocked leave the premises.
by a phalanx of cameras. The cameras demanded a statement on the Flick The exhibition of the Flick Collection opened on November 3, 2004. At the
Collection, as the opening of the exhibition that autumn promised to be one of time, we were struck by the number of films about National Socialism and the
the most spectacular social events in Germany. One of the forced laborers Second World War that were being shown. The impression we got was that
replied that, in principle, guilt could not be inherited. Then after a brief pause, they were permanently confirming mutual forgiveness, and that they practiced
she continued, saying that she was quite sure the collection would contain a strange form of remembrance—psychologically close, with no distance,
a plaque informing people that it was financed by profits made from robbery images of a conditioning, an industry of tears, You and I and obligatory emotions,
and death. The point here is not to indicate where most of the media edited like a skin so sticky it can scarcely be sloughed off, a skin that says what you
their broadcasts, but to show that a link exists between that camera phalanx, are supposed to be.14
the editing, and the desire to see these witnesses. It was at precisely this time that public controversy was raging regarding the
Perhaps we were projecting something, but on seeing the Flick Collection our nuances distinguishing severe interrogation from torture, in the clear
impression was that somehow the works exhibited something of an knowledge that certain airplanes were flying to certain interrogation camps.
unacknowledged assertiveness, their alibi function, and what could be called There was talk about feelings of security and of anxiety, of public
a “symptom”: in the arrangement and hanging of the works, in the recurring emergencies, without people noticing that human rights were being abolished
motifs of violence and war—installation commodities whose existentiality was because that particular category is no longer suitable for identity formation.
dulled. Perhaps the Flick Collection was also symptomatic of the fact that it
was no longer a matter of making a “taboo” of National Socialist history, but of
commercializing it; an appropriation of history; a kind of thrust reversal of In conclusion
energy for legitimating the continuation of chauvinist policies. At the exhibition
opening, Flick presented himself as someone who reconciled the compensation We have often described what is being described here—we, a generation of
paid to the forced laborers with his conscience. We found this particular kind artists and theorists who experienced the ideological turnabout after 1989. It
of humanism especially disgusting—how it blended with that kitsch of the has become normal to have to constantly repeat yourself, to be forced to
privileged beautiful soul with its freedom and autonomy—a trumpery that poorly repeatedly try and find words and images to doll-up an over-described reality
concealed the brutality behind the overt, arbitrary gesture of ignorance, of like a dead person from whom it is difficult to take leave. Were we to take
sovereignty, of dominion over right and wrong. leave of that person and of our activities as make-up artists, then we would
A group of very diverse people gathered to consider possible ways of protesting have given up something that could be called the aspiration to possibly bring
against the exhibition. Anonymous attacks using paint and noise took place about change.
during it. Finally, an event was held at the HAU Theater in December 2005
called Heil dich doch selbst/Die Flick Collection wird geschlossen (Heal Yourself/
The Flick Collection Closes). It involved brief statements and contributions by
14  Examples worth mentioning are films like Sophie Scholl – Die letzten Tage (dir. Marc Rothemund,
a variety of people and groups. Shortly afterwards, we received an anonymous 2005) or Oliver Hirschbiegel’s Der Untergang (2004). See Willi Bischof (ed.), Filmri:ss. Studien
über den Film “Der Untergang,” Münster, 2005.

260 261
Epilogue appropriation/socialization of those ideology-critical discourses whose
freedom and dissemination come up against their limits in hard-won beacon
This description of the nationalist ideologization that took place in the German and excellence projects.
art world after 1989 is limited. What is more, due to its own indignation it risks
not being able to escape the essentialist categories it so vehemently battles
against—a familiar problem with anti-nationalist ideology criticism. Of particular Footnotes
importance to me—writing here as a single chronicler—are the examples it
contains of ideology-critical praxis and its possible continuation: for example, These footnotes can only recall frequently debated and widely known facts
the protest against the Humboldt Forum, which I would like to mention here in and discussions in abbreviated form. They highlight a particular problem,
conclusion. An event called Anti-Humboldt, eine Veranstaltung zum selektiven namely, how to deal with this awareness that one is not sure what has already
Rückbau des Humboldt-Forums (Anti-Humboldt, On the Selective Unbuilding been forgotten, or what now seems banal or serious. I have referred largely to
of the Humboldt Forum) took place in Berlin in July 2009. It consisted of an Wikipedia because it emerged during the 1990s and chronicled several of the
evening with a lecture involving alternating roles and, the following day, workshops discussions in parallel, as it were. For example, the pages dealing with German
on the themes of nation-branding, post-colonial displays, and restitution Asylum Law, with the attacks on foreigners, are quite detailed. Another source
issues. “Subsequent to the Bundestag decision of 2002 to rebuild the castle was our own articles in Texte zur Kunst. In the 1990s and 2000s this magazine
façade, and the demolition of the Palast der Republik in 2008, the Humboldt as well as springerin offered artists the possibility to express themselves and
Forum was presented, from a cultural-political viewpoint, as the redeeming idea see art criticism as an intervention.
for legitimating the reconstruction of the castle. The Humboldt Forum would
accommodate not just sections of the Central and State Library and the scientific
collections of the Humboldt University, but primarily collections of so-called
non-European art and culture owned by the Staatliche Museen zu Berlin. […]
So far, all the statements by those in charge indicate that the Humboldt Forum
will not be about reflecting on the violence that emanated from Europe to the
rest of the world in the course of colonialism. Instead ‘Andersheit’ [Being Other]
is to be ontologized, and thus serve to demonstrate the sovereignty and
cosmopolitanism of the exhibitor nation. The castle façade symbolizes the lost
and regained unity of Germany as well as the ‘golden age’ of Prussianism that
now becomes a stop-gap in post-division German history. In this connection in
particular, ‘cultural treasures’ from around the world serve to demonstrate global
open-mindedness under the guise of a ‘cultural nation.’ Such a recontextualization
at this central, symbolically charged site, right next to the Museum Island with
its collections from the ‘classical high cultures,’ is what we call yet another
instrumentalization of non-European arts and cultures.” 15
There are many welcome occasions for an empirical critique of ideology that is
capable of becoming activist praxis—for example, the examinations of the
codes of conduct of companies like Nokia, H&M, or Apple, undertaken after
criticism of their outsourced production methods; analyses of the judicial texts
of multilateral agreements or privatization contracts that incapacitate city and
national parliaments. This kind of ideology criticism would perhaps also be an

15  Announcement of a congress, July 2009. Alexandertechnik is a group of artists, activists,


and scientists (trans. by PC).

262 263
DIE AUSTREIBUNG DER
GESPENSTER AUS EUROPA.
DIE MANIFESTA, BIENNALE
FÜR ZEITGENÖSSISCHE KUNST,
UND DIE GESCHEITERTE
RHETORIK DER DEMOKRATIE
Vesna Madžoski

Bei Ausstellungen zeitgenössischer Kunst handelt es sich um besondere,


ständig „im Bau befindliche“ Orte, an denen mit jeder weiteren Ausstellung,
mit jeder weiteren Präsentation neue Erzählungen und Bedeutungen entstehen.
Die westliche Kunstwelt ist nach wie vor tief in der modern(istisch)en Kons-
truktion des „White Cube“ verwurzelt, der als Raum seine Loslösung und
Unabhängigkeit von der Außenwelt garantiert. Diese weiße, sterile Präsentati-
onsform eines neutralen Raums galt auch als Garantie für einen objektiven
Blick außerhalb der Zeit und, wie Brian O’Doherty anführt, als festigendes
gesellschaftliches Konstrukt sowie als Garant für soziale Stabilität.1 Erschwert
wird eine solche Neutralitätsvorstellung, wenn die Hauptakteure jener innerhalb
des Ausstellungsraums konstruierten Beziehung ins Spiel kommen, und zwar
Kunstobjekte einerseits und BetrachterInnen andererseits. Ziel der folgenden
Analyse ist es aufzuzeigen, inwieweit sich der „neutrale“ Ausstellungsraum
mit dem ihn umgebenden gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen
System in besonderer Weise überschneidet. Die Leistung des „Neutralen“
zeichnet sich durch unterschiedliche Instrumente aus, die ich hier herauszuar-
beiten versuche.
Die Manifesta, die Europäische Biennale zeitgenössischer Kunst, wurde zu
Beginn der 1990er Jahre auf Initiative des niederländischen Staates als inter-
nationale Wander-Biennale konzipiert, die, obgleich in Amsterdam ansässig,
jedes Mal an einem anderen Gastort stattfindet. Die Manifesta entstand als

Reaktion auf die politischen und ökonomischen Veränderungen,


die sich aus dem Ende des Kalten Krieges und den darauf
folgenden Schritten in Richtung einer europäischen Integration

1  Siehe hierzu auch Brian O’Doherty, Inside the White Cube: The Ideology of the Gallery Space,
Berkeley 1999.

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DIE AUSTREIBUNG DER GESPENSTER AUS EUROPA

ergaben, und beabsichtigt, eine bewegliche Plattform zu liefern, nicht als schützenswert gelten. Während man mir den Zugang zu den meisten
die einen Beitrag zu einem stetig wachsenden Netzwerk aus regio- Dingen verwehrte, an deren Erforschung ich interessiert war, wies mich die
nalen bildenden Künstlern liefern kann.2 Direktorin ihrerseits auf eine im Auftrag der Manifesta unter dem Titel The
Manifesta Decade erschienene, ebenso aufwendige wie imposante 300-seitige
Bislang fanden neun Auflagen der Manifesta statt, wobei die sechste aufgrund Monografie zu Geschichte und Aufgabe dieser Veranstaltung hin. 4 Diese
eines eskalierenden Konflikts zwischen den Kuratoren und den Vertretern Publikation bietet einen historischen Abriss sowie eine Analyse der Auswirkungen
der Stadt Nikosia, in der die Ausstellung ausgerichtet werden sollte, letztlich dieser Ausstellung in den vergangenen Jahren, einschließlich eines Überblicks
nicht zustande kam.3 Der offizielle Name „Manifesta, The European Biennial über das Archiv selbst. Einer der HerausgeberInnen zufolge ist das Archiv dazu
of Contemporary Art“, beinhaltet zwei zentrale Begriffe: „European“ und imstande, auch denjenigen Interessierten, die selbst keine der Ausstellungen ge­­­­­­­­­­­­­-
„Contemporary Art“, wobei der erste auf die politischen Aspekte der mit der sehen haben, „einen Akt des Neuerlebens“ zu gewährleisten.5 Da ich mir also
Ausstellung verbundenen Aktivitäten verweist, der zweite auf die kunstbezo- der Schwierigkeit bewusst war, das „reale“ Archiv einzusehen, beschloss ich,
genen. So lassen sich am Beispiel dieser Biennale von der Manifesta angeregte mich auf dieses spezielle Segment zu konzentrieren und dabei die These
aktuelle Definitionen beider Begriffe, aber auch Verschiebungen politischer Jaques Lacans zu untersuchen, dass, sofern Symptome vorliegen, diese in jedem
und ästhetischer Paradigmen sowie deren Wechselwirkungen untersuchen. vom betreffenden Subjekt hervorgerufenen Ereignis erkennbar sein müssen.
In der folgenden Analyse richte ich mein Interesse weniger auf die konkreten In seiner Untersuchung des Begriffs „Archiv“ plädiert Jacques Derrida dafür,
Ausstellungsobjekte als auf die Ermittlung dessen, was in der Regel hinter unsere Aufmerksamkeit auf ein Ereignis, also einen Augenblick zu richten, der
dem Akt des Ausstellens verborgen bleibt, oder besser, was nach Überzeugung vermittels einer besonderen archäologischen Praxis eine kritische Deutung
der an der Entstehung der Manifesta beteiligten Akteure verborgen oder des Archivs erlaubt und in dem „der Ursprung […] nun von sich aus [spricht]“.6
unsichtbar bleibt. Innerhalb des Raums, den das Manifesta-Archiv inmitten von Miniaturabbil-
dungen von Kunstwerken vorangegangener Biennalen in jener Publikation
einnimmt, stieß ich überraschend auf etwas oder vielmehr auf jemanden, dem
Verbrechen innerhalb des Manifesta-Archivs hier zu begegnen ich nicht erwartet hatte. Dieser Jemand erregte auf den
ersten Blick meine Aufmerksamkeit und wurde nun, da man uns zuvor nicht
Die Manifesta ist von ihren Schöpfern zur demokratischen Institution, ihr miteinander bekannt gemacht hatte, zu meiner theoretischen Obsession.
öffentlich zugängliches Archiv zum Garant demokratischer Prinzipien erklärt Auf zahlreichen Fotos von Manifesta-Kuratoren und -Vorstandsmitgliedern, die
worden. Dieses in der Amsterdamer Manifesta-Zentrale beherbergte Archiv bei offiziellen Pressekonferenzen und „inoffiziellen“ Besprechungen in Cafés
soll als offene Ressource genutzt werden und ist der Öffentlichkeit frei zu- entstanden waren, stieß ich auf eine Person, deren Name nach Auskunft der
gänglich. Da während meines Besuchs im Jahr 2006 mein Hauptinteresse den zugehörigen Bildunterschrift „unbekannt“ war. Diese unbekannte Person nahm
kuratorischen Praktiken der Manifesta-Biennalen galt, bat ich um Einsicht in gleich in mehrfacher Weise Gestalt an. So handelte es sich auf einigen Fotos
die Unterlagen über das Auswahlverfahren, das für Kuratoren und Gastgeber- um eine Frau, auf anderen um einen Mann und auf wieder anderen um ihren
städte gilt. Man verweigerte mir allerdings den Zugriff auf diese Dokumente, eigenen Doppelgänger. Die Person bewegt sich offenbar ungehindert von
und zwar mit der Begründung, man wolle „die Rechte der Kuratoren schützen“. Stadt zu Stadt, von Land zu Land und folgt dieser Wander-Kunstausstellung
Stattdessen gewährte man mir teilweise Einsicht in die E-Mail-Korrespondenz wie ein Schatten. Am erschreckendsten ist hierbei jedoch, dass diese Unbe-
des Vorstands über die Entscheidung für Nikosia auf Zypern als letzte gast- kannten äußerst vertrauliche Gespräche mit den zentralen Figuren des Manifesta-
gebende Stadt. Anstelle der Kuratorenvorschläge wurden mir hingegen die Jahrzehnts führen, an Podiumsdiskussionen teilnehmen oder auch namentlich
Anträge abgelehnter KünstlerInnen präsentiert, da deren Interessen offenbar ausgewiesene Personen freundschaftlich umarmen, um ihre Zugehörigkeit zur
jeweils fotografierten Gruppe zu signalisieren. Begegnet man dem/der Unbe-
2  Offizielle Manifesta-Homepage: http://www.manifesta.org (Oktober 2006).
3  Obwohl als Brückenschlag zwischen Ost und West konzipiert, fanden die meisten Manifestas 4  Barbara Vanderlinden und Elena Filipović (Hg.), The Manifesta Decade. Debates on
in Städten des ehemaligen Westens statt: Rotterdam, Niederlande (1996), Luxemburg (1998), Contemporary Art Exhibitions and Biennials in Post-Wall Europe, Cambridge/MA/London 2005.
Ljubljana, Slowenien (2000), Frankfurt am Main, Deutschland (2002), Donostia/San Sebastián, 5  Barbara Vanderlinden, „The Archive Everywhere“, in: The Manifesta Decade, wie Anm. 4, S. 232.
Spanien (2004), Trentino/Südtirol, Italien (2008), Murcia, Spanien (2010) und Genk, Belgien 6  Jacques Derrida, Dem Archiv verschrieben. Eine Freudsche Impression [1995], Berlin 1997,
(2012). S. 164.

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DIE AUSTREIBUNG DER GESPENSTER AUS EUROPA

kannten im Archiv-Raum, dessen vorrangige Funktion in der Bewahrung der nicht nur die Macht über physische Gegenstände, sondern auch über den
Erinnerung besteht, so fördert dieser/diese Unbekannte nicht nur die Gedächt- historischen Diskurs beziehungsweise den Diskurs des Anfangs, des auf den
nisschwäche derjenigen zutage, die diese noch recht aktuellen Bilder auszu- im Archiv gehüteten materiellen Spuren gründenden Ursprungs.
werten hatten, sondern auch das Versagen des Archivs im Sinne der Funktion,
für die es ursprünglich entwickelt wurde. Folglich beschloss ich, dem/der Obgleich als Wanderveranstaltung konzipiert und wahrgenommen, befindet
Unbekannten nachzugehen, der/die mich in eine zunächst nicht geplante sich die Heimat der Manifesta ebenso wie ihr Archiv in Amsterdam. Da die
Richtung führte, zu einer Analyse des Begriffs Archiv an sich. Daher schlage Manifesta im selben Jahrzehnt entwickelt wurde, in dem auch die digitale
ich nun vor, diese ungewöhnliche Auslöschung, dieses ungewöhnliche Erinne- Revolution stattfand und die Digitalisierung von Archiven einen Höhepunkt
rungsloch des Manifesta-Archivs parallel zu jenem Kontext der offiziellen erreichte, wirkt es zumindest eigenartig, dass die altmodisch ortsgebundene
Rhetorik der Manifesta zu interpretieren, dem sich diese Auslöschung Haltung damit begründet wird, dass es unmöglich sei, das umfangreiche
verdankt, und deren mutmaßlich demokratische Prinzipien in einen Dialog mit Manifesta-Archiv ständig von einer Gastgeberstadt zur nächsten zu transportieren.8
Derridas Beschreibung des Archivs zu setzen. Die zentrale Frage lautet an Laut Derrida lässt sich der physische Standort des Archivs als ein Ort begreifen,
dieser Stelle: Inwiefern kann dieser/diese Unbekannte „Widerrede leisten“? an dem Macht ausgeübt wird und denjenigen, die diesen Ort betreten oder
Zunächst dekonstruiert er/sie offensichtlich das Ziel der Manifesta, vollständige interpretieren möchten, ein symbolischer Auftrag erteilt beziehungsweise
Kontrolle über ihr historisches Bild auszuüben. Wie wir sehen, entgleiten die verwehrt wird. Das Bedürfnis, diesen Vorgang zu kontrollieren, verdankt sich
Dinge (unter Umständen) unaufhörlich unserer Kontrolle. möglicherweise der Tatsache, dass jene Dekade, auch wenn sie seitens der
Manifesta im Sinne einer weit zurückliegenden Geschichte konstruiert wird,
von denselben Akteuren beherrscht wurde, die auch heute noch eine ausge-
Images from curatorial research trips. sprochen aktive und einflussreiche Rolle innerhalb des Kunstbetriebs spielen.
Daher der Wunsch, jedes Dokument zu schützen, das ihr erwünschtes proji-
3. Talin. Center: Inessa Josing. ziertes Bild dekonstruieren könnte. Derrida schreibt:

6. Luxembourg City. Keine politische Macht ohne Kontrolle des Archivs, wenn nicht gar
Left to right: Barbara Vanderlinden, Hans-Ulrich Obrist, des Gedächtnisses. Die wirkliche Demokratisierung bemißt sich
Maria Lind, Jo Kox, unidentified, Enrico Lunghi, stets an diesem essentiellen Kriterium: an der Partizipation am
unidentified and Hedwig Fijen. und dem Zugang zum Archiv, zu seiner Konstitution und zu seiner
Interpretation. A contrario lassen sich die Verstöße gegen die
Demokratie an dem […] Werk mit dem Titel Archives Interdites
[ermessen].9
Ausgelöschte Subjekte
Wie oben angeführt, wurden meine ersten Schritte in das „reale“ Archiv der
Bei seinem Versuch, im griechischen Wort arkhē den Ursprung für die heutige Manifesta durch meine Entdeckung unsichtbarer, unüberwindbarer Grenzen
Verwendung des Begriffs Archiv zu bestimmen, erinnert Derrida an dessen behindert. Wie die Entdeckung jener „Verbotenen Archive“ zeigt, wird das
doppelte Bedeutung beziehungsweise an die beiden in ihm enthaltenen demokratische Prinzip dieser Institution an einem solchen Punkt also erheb-
Prinzipien: das Prinzip des Anfangs einerseits und das Prinzip des Gebots lich verletzt. Vielmehr signalisiert die Manifesta im Bestreben nach Kontrolle
andererseits. Dementsprechend ist das Archiv im Haus der Mächtigen behei- über das Archiv ihr Bedürfnis, das Bild ihrer jüngsten Vergangenheit zu kontrol-
matet, die nicht nur Hüter dieser Dokumente sind, sondern denen auch das lieren und somit unmittelbar von einem selbst geschaffenen historischen
„hermeneutische Recht und die Kompetenz“ zuerkannt wurden, die ihnen die
Konsignationsmacht verleihen: die Macht „der Vereinheitlichung, der Identifi- 8  Die Online-Datenbank des Dokumentationszentrums basis wien, das von der Manifesta
zierung und der Einordnung“ des Archivs.7 Eine solche Stellung beinhaltet beauftragt wurde, einen Teil ihres Archivs zu digitalisieren, bietet einen selektiven und sehr ein­­­­-
geschränkten Einblick in diese Unterlagensammlung. Weitere Informationen hierzu finden sich
unter http://www.basis-wien.at.
7  Ebd., S. 12f. 9  Jacques Derrida, wie Anm. 6, S. 14f.

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Auftrag zu profitieren. Diese Praxis ist weder ungewöhnlich, noch drückt sie er skandiert und bedingt sogar die Bildung des Begriffs Archiv.“ 13 Richten wir
sich ausschließlich in der Vorgehensweise dieser Institution aus. Dort, wo sie den Blick erneut auf den/die Unbekannte, so besetzt dieser/diese exakt
sich unter dem Deckmantel demokratischer Prinzipien präsentiert, ist sie jene Lücke, in der er/sie nur noch als Spur einer Auslöschung, als Phantom
allerdings hochproblematisch.10 zwischen zwei Welten existiert. Dies offenbart das Geheimnis des Manifesta-
Archivs sowie seine Unfähigkeit, vergangene Ereignisse vor der Auslöschung
Das ideale Archiv, wie es alle Archivare aufzubauen versuchen, existiert und zu bewahren, ebenso wie die Bedeutung seiner auf dieser Grundlage konstru-
fungiert im Sinne eines einzelnen, kohärenten Körpers, der sich durch nichts ierten historischen Erzählung. Dank des/der Unbekannten, dank dieses
trennen oder zerstören lässt. Die Konsignationsmacht des Archivars betrachtet Phantoms des Archivs sind wir in der Lage, dieses zu betreten und ohne jede
die historischen Unterlagen als Teil einer größeren, kohärenten Geschichte, Bevormundung zu solchen Erkenntnissen zu gelangen.
eines singulären Bildes ohne Risse. Oder, um mit Derrida zu sprechen: „In Wir leben laut Derrida in einer Zeit, in der wir alle vor Leidenschaft für das
einem Archiv darf es keine absolute Aufspaltung, weder Heterogeneität noch Archiv brennen und vom sogenannten „Archivübel“ besessen sind.14 Dieses
ein Geheimnis (sécret) geben, das auf absolute Weise eine Abtrennung Übel bedeutet, „sich ihm in einem zwingenden, repetitiven und sehnsüchtigen
(secernere) oder Absonderung herbeiführen würde.“ 11 Das Begehren des Begehren, einem ununterdrückbaren Begehren nach einer Rückkehr zum Ur-
Archivars nach absoluter Macht über den Korpus der von ihm gehüteten sprung, einem Heim-Weh, einer Sehnsucht nach einer Rückkehr zum archaisch-
Unterlagen sowie nach einer Präsentation der Geschichte ohne Spannungen sten Ort des absoluten Anfangs zu[zu]tragen“.15 Was sagt uns der/die
und Widersprüche gerät durch die Erscheinung des/der Unbekannten ins Unbekannte als BewohnerIn des Ortes, an dem das Archiv sich selbst anarchi-
Wanken. Verborgen im ihn/sie umgebenden homogenen Diskurs, gelingt es viert, über den nostalgischen Punkt, an den die Manifesta zurückkehren
dem/der Unbekannten, durch dessen Risse zu schlüpfen und zu sprechen. möchte? Die Antwort scheint ebenso eindeutig wie einfach, wenn wir nach
Denn wir wissen: „Das Archiv arbeitet allzeit und a priori gegen sich selbst“,12 dem Zeitpunkt suchen, den die Manifesta als ihre eigene Geburtsstunde
während der/die Unbekannte genau dieses Übel, dieses Begehren des Archivs, zugrunde legt: Es handelt sich hierbei um das Jahr 1989, das Jahr ihres arkhē
sich selbst zu zerstören, verkörpert. (Ursprung, Anfang), ihres Beginns der Zeitrechnung.16 Nostalgie ist häufig das
Der Grund für das Begehren des Archivs, sich selbst zu zerstören, liegt in Resultat eines enormen Verlusts, wobei man das Jahr 1989 durchaus als
seinem hypomnestischen Charakter, da das Archiv als externes technisches traumatischen Moment innerhalb des westlichen Kunstdiskurses, als einen
Modell des psychischen Apparats konstruiert wurde. Das so bestimmte Moment bedeutender politischer und gesellschaftlicher Umwälzungen innerhalb
Archiv, argumentiert Derrida, kann sich dem Trieb, der sich ursprünglich auf der jüngeren europäischen Geschichte bezeichnen kann. So gesehen wird
den psychischen Apparat des Menschen richtet – dem Todes-/Aggressions-/ die Manifesta zu einem eigenartigen Monument für die Zeit vor dem Auftreten
Destruktionstrieb –, nicht entziehen. Daher fußt das Archiv auf schwankendem eines Traumas, das eine nostalgische Trauer um längst vergangene Zeiten
Boden, der unablässig von seinen inneren Widersprüchen im Hinblick auf das ausdrückt. Indem wir dem/der Unbekannten auf dem Weg durch das Archiv
Bedürfnis nach Erinnerung und den Trieb, etwas aus der Erinnerung zu und seine Symptome folgen, gelangen wir zur politischen Ebene der Manifesta-
streichen, bedroht ist. Und doch: „Ein derartiger Widerspruch ist nicht negativ, Aktivitäten beziehungsweise zu den Hauptgründen, aus denen sie entstand:
als Beitrag zur Begegnung mit den Anderen im Kontext eines neuen Kapitels
europäischer Geschichte.
10  Der Versuch einer Präsentation der Präsentation des Archivs zur Realisierung des Konzepts
der uneingeschränkten Demokratie wurde auch innerhalb einer der Manifesta-Ausstellungen Dieses Kapitel der europäischen Geschichte ist geprägt von Versuchen, eine
unternommen. So planten die Kuratoren der Manifesta 4, eine Ausstellung auf Grundlage der stabile und einheitliche kulturelle sowie politische Identität der Europäischen
Akten von unzähligen Künstlern zu konzipieren, die sie während ihrer Erkundungsreisen quer
durch Europa kennengelernt hatten. Dieses „administrative Monument“ sollte eine Atmosphäre
Union zu schaffen, die sich mit dem offiziellen Slogan „United in Difference“
schaffen, in der sich niemand ausgeschlossen fühlt und stattdessen jener inhärente (undemokra-
tische) Teil der Kuratorenpraxis ausgeblendet wird, der auf einem Selektionsvorgang, also auf
Ein- und Ausschluss basiert. Die Existenz dieses Archivs war nicht das zentrale kuratorische 13  Ebd., S. 159.
Konzept, das die Ausstellung in derartige Ansammlungen von Künstlerdokumentationen ver- 14  Ebd., S. 26.
wandelt hätte, und wirkt in Verbindung mit den ausgewählten und ausgestellten künstlerischen 15  Ebd., S. 161.
Arbeiten lediglich wie eine politisch korrekte Version des kuratorischen Ausschlussverfahrens. 16  Folglich lautet das erste Kapitel in The Manifesta Decade „One Day Every Wall Will Fall:
(Camiel van Winkel, „The Rhetorics of Manifesta“, in: The Manifesta Decade, wie Anm. 4, S. 222.) Select Chronology of Art and Politics after 1989“ und stellt ausgewählte Fakten und Persönlich-
11  Jacques Derrida, wie Anm. 6, S. 13. keiten des politischen und künstlerischen Lebens nach 1989 vor. Infolge dieses symbolischen
12  Ebd., S. 26. Aktes beginnt die Manifesta-Zeitrechnung offiziell mit ebenjenem Jahr.

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(vereint in der Unterschiedlichkeit) auf den Punkt bringen lässt. Dennoch weist und unveräußerlichen Menschenrechte, sobald sie nicht als Rechte eines
dieser Diskurs einer „Einheit der Differenzen“ auf seinen grundsätzlich undemo- Staatsbürgers zu handhaben sind, als bar allen Schutzes und aller Realität“.18
kratischen Hang zur Homogenisierung hin. Demzufolge wäre ein wirklich Im Fall der Manifesta-Biennale haben wir es augenscheinlich mit einer
demokratischer Standpunkt die „Differenz der Einheit“ beziehungsweise die Übertragung dieser Praxis auf den Bereich der Kultur zu tun, bei der die zur
Flexibilität, sämtliche heterogene Merkmale, die diese Einheit umfasst, in sich Erfassung anhaltender Veränderungen geschaffene Institution nicht in der
zu integrieren. Was nach Derrida diesen Prozess mit der vorangegangenen Lage war, die Internalisierung jener Vorgänge zu verhindern, gegen die vorzu-
Diskussion über das Archiv verbindet, ist die Tatsache, dass beide Vorgänge gehen sie ursprünglich angetreten war. Man scheint sich hier nicht der eigenen
ohne Gewalt undenkbar wären: Spaltung, der eigenen Brüche und Risse im Idealbild des Ichs bewusst zu
sein, die Voraussetzung dafür sind, dass dieses Ich überhaupt existieren kann.
Die Versammlung des Einen auf sich selbst geschieht niemals Der zentrale Mechanismus der Gewalt, ob in Gestalt des archivalischen
ohne Gewalt, und auch nicht die Selbstbejahung des Einmaligen, Impulses oder des Vereinheitlichungsprozesses des Ichs, ist die Wiederholung.
das Gesetz des Archontischen, das Konsignationsgesetz, welches Nur durch diese Wiederholung kann die Gewalt sich selbst behaupten. Was
das Archiv (an) ordnet. Die Konsignation geschieht nie ohne die verschiedenen Manifesta-Ausstellungen betrifft, so deuten die Spuren im
diesen übermäßigen Druck (pression) (Eindruck, Unterdrückung, Archiv tatsächlich auf einen Wiederholungsvorgang hin, wie die folgenden
Beseitigung [impression, répression, suppression]), wovon die Worte Camiel van Winkels belegen:
Verdrängung oder Urverdrängung und die Unterdrückung
zumindest Figuren sind.17 Das Fehlen eines radikal anderen Auswahlverfahrens bei allen
bisherigen fünf Auflagen der Manifesta legt nahe, dass die
Wie die Entdeckung des/der Unbekannten innerhalb des Manifesta-Archivs Kuratoren, obwohl keinerlei Druck auf sie ausgeübt wurde, sich
zeigt, befindet sich das Andere hier nicht mehr jenseits der Grenze, sondern einem vorgegebenen Modell zu beugen, sich freiwillig so
irgendwo weit im Osten. Das Andere hat bereits die Grenze überschritten und verhielten, als hätte es einen solchen Druck gegeben. [… Moisdon
uns infiltriert. Der/die Unbekannte scheint an dem Punkt entstanden zu sein, Trembley] erinnerte außerdem an die Nutzlosigkeit, dieselbe
an welchem dem Anderen der Eintritt in den offiziellen Diskurs gewährt, aber aufwendige europaweite Erhebung noch einmal durchzuführen
ein Eigenname verwehrt wird, damit es für immer jenes unbekannte, fremde wie bereits anderthalb Jahre zuvor die Kuratoren der vorangegan-
Andere bleibe. Die radikale Auslöschung des namenlosen Anderen geschieht genen Manifesta: „So schnell erneuert sich eine Kunstszene oder
in seinem Beisein, was seinen Schwebezustand zwischen zwei Welten unter- ein Kontext nicht von selbst.“ 19
streicht, bei dem das demokratische Gleichheitsprinzip lediglich auf einer
rhetorischen Ebene praktiziert wird. Um zu existieren, muss die Manifesta sich selbst wiederholen, indem sie bei
Berücksichtigt man die von Giorgio Agamben vorgeschlagene Perspektive jeder Neuauflage, jeder neuen Ausstellung dieselbe Gewalt gegen sich selbst
auf aktuelle politische Vorgänge, so lässt sich der/die Unbekannte als Verkör- und gegen das Andere wiederholt. Das Archiv ist der Beleg für diese Gewalt,
perung eines bei Agamben „homo sacer“ genannten Menschen begreifen, der aber auch eine Möglichkeit, künftige Entwicklungen zu gewährleisten, denn
rechtlich für tot erklärt und seines Rechtsstatus beraubt wurde, obwohl er bio- das Archiv zeichnet nicht nur Ereignisse auf, es erzeugt sie auch beziehungs-
logisch noch lebt. Daher, so Agamben, „erweisen sich die sogenannten heiligen weise schafft, um mit Derrida zu sprechen, die Kriterien, anhand derer

17  Jacques Derrida, wie Anm. 6, S. 140f.


18  Giorgio Agamben, Homo sacer. Die souveräne Macht und das nackte Leben, Frankfurt a. M.
2002, S. 135. Das eklatanteste Beispiel für eine solche Auslöschung findet sich in Slowenien, wurden sie de facto zu Ausländern beziehungsweise zu Staatenlosen, die sich illegal in Slowenien
einem der „Gastgeber“ der Manifesta: „Am 26. Februar 1992 wurden mindestens 18.305(3) aufhielten. In manchen Fällen folgte auf die ‚Streichung‘ unmittelbar die physische Vernichtung
Personen aus den slowenischen Einwohnermeldeämtern gestrichen und ihre Unterlagen an das der Ausweispapiere und anderer Dokumente der betroffenen Personen. Gegen einige ‚Gestri-
Ausländerregister weitergeleitet. Die Betroffenen wurden über diese Maßnahme und ihre Folgen chene‘ wurde eine zwangsweise Abschiebung angeordnet, und sie waren gezwungen, das Land
nicht in Kenntnis gesetzt. Bei den ‚Gestrichenen‘ handelte es sich überwiegend um Menschen zu verlassen.“ Zum Fall der „gestrichenen“ Slowenen siehe auch: Slovenia Amnesty Interna-
aus anderen Republiken des ehemaligen Jugoslawien, die in Slowenien gelebt hatten und nach tional’s Briefing to the UN Committee on Economic, Social and Cultural Rights, 35th Session,
dessen Unabhängigkeit zwischen 1991 und 1992 entweder nicht die slowenische Staatsbürger- November 2005, http://www.web.amnesty.org/library/index/engeur680022005 (Januar 2007 ).
schaft beantragt hatten oder denen diese verweigert worden war. Als Resultat der ‚Streichung‘ 19  Camiel van Winkel, wie Anm. 10, S. 226.

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künftige Ereignisse archivierbar werden.20 Insofern beinhaltet die Kontrolle des Folglich besitzt das Netzwerk an sich als Instrument demokratischer Praxis
Archivs nicht nur die Kontrolle über die Vergangenheit, sondern ebenso die demokratisches Potenzial, doch solange dieses Potenzial im Sinne eines
Kontrolle über die Zukunft. einschließenden Gebildes umgesetzt wird, wird es immer Personen geben, die
ausgeschlossen bleiben. Das hier entworfene Bild des aus wenigen Glück-
lichen bestehenden Manifesta-Netzwerks, der Manifesta-„Familie“, beginnt zu
Europas Demokratie, neu betrachtet bröckeln, sobald unser Blick in diesem Bild auf den/die Unbekannte/n fällt.
Der/die Unbekannte spricht über die Situation des Ausgeschlossen-, Namen-
los-, Unwichtig- und Unerkanntseins, obgleich er/sie dieselben körperlichen
1. Opening speeches for Manifesta 5. 2. Left to right: Eigenschaften besitzt wie die Bekannten, Gekennzeichneten. Hier wird eine
Massimiliano Gioni, unidentified, Henry Meyric Hughes, and weitere Macht des Archivars erkennbar: die Autorität der Benennung, im vorlie-
unidentified. 3. Left to right: Unidentified, unidentified, Joxe genden Fall von Menschen, und der Verortung dieser Menschen innerhalb des
Juan Gonzales de Txabarri, and Lourdes Fernández. Diskurses, wobei ihnen Name und Identität verliehen, Geschichte zuerkannt
beziehungsweise das Recht zu sprechen verweigert wird. Die Nicht-Vernetzten
werden vom Archivar als Unidentifizierbare zurückgewiesen und verbleiben
Wie die Entdeckung der Unbekannten innerhalb des Manifesta-Archivs bereits allein auf der anderen Seite. Dem Netzwerk gelingt es nicht, sein demokrati-
zeigte, ist der demokratische Charakter dieser Einrichtung ernsthaft gefährdet. sches Potenzial zu entfalten; stattdessen dient es dazu, die wirklich Mächtigen
An dieser Stelle interessierte mich, was dieselbe Erscheinung über zwei weitere auszublenden, die längst abgeschafft wären, wenn es tatsächlich so etwas
Aspekte aussagen könnte, auf denen jener demokratische Charakter der wie eine demokratische Transparenz gäbe.
Manifesta fußt: ihre Funktion im Sinne eines Netzwerks sowie die Ausübung einer Im Rahmen dieser auch von den Manifesta-Kuratoren beanspruchten Rhetorik
aktiven Selbstkritik. Wie wir erfahren haben, hat sich die Manifesta zu einem der freien Auslegung demokratischer Grundbegriffe, so van Winkel, „bedeutet
rasant wachsenden Netzwerk für junge europäische Künstler und zu einem der das Wort ‚demokratisch‘ innerhalb des Manifesta-Sprachspiels so viel wie
innovativsten Biennale-Programme überhaupt entwickelt. Dies verdankt sie ‚offen‘ und ‚inklusiv‘, aber auch ‚ergebnisoffen‘“.23 Alle diese Strategien (ergeb-
in hohem Maße ihrem gesamteuropäischen Anspruch und ihrem einzigartigen nisoffene, prozessbasierte Ansätze) verdanken sich offenbar der kritischen
nomadischen Charakter. Das Netzwerk und die Ausstellung mit ihren zugehörigen Haltung der Manifesta gegenüber der eigenen Praxis. Mittels dieser Strategien
Aktivitäten sind zwei zentrale Bestandteile dieser Wanderausstellung.21 ist die Manifesta in der Lage, sich gegen Kritik von außen zu schützen. Dieser
Dieser Auslegung folgend unterstellt man Netzwerken inhärent demokratische rhetorische Schachzug verwandelt Scheitern in Erfolg:
Eigenschaften. Camiel van Winkel allerdings merkt in seiner kritischen Analyse
der Manifesta-Rhetorik an: Dem Endresultat wird eine geringere Bedeutung beigemessen als
dem zu seiner Erreichung eingeschlagenen Weg. Dadurch lässt
Netzwerke sind nicht von Natur aus demokratisch. Ein Netzwerk sich die Möglichkeit des Scheiterns offen anerkennen und thema-
ist im Gegenteil eher exklusiv als inklusiv und basiert auf einer tisieren. […] Somit ist die interne Option der Kuratoren, das eigene
Reihe privilegierter Beziehungen zwischen bestimmten Personen. „Scheitern“ einzugestehen und detailliert darzustellen, paradoxer-
Welchen Platz nimmt die Öffentlichkeit bezogen auf das Netzwerk weise Bestandteil der rhetorischen Konstruktion des Erfolgs der
ein? […] Der schlechterdings als für die Öffentlichkeit, für „alle“ Manifesta.24
[…] offen reklamierte Diskurs ist derart allgemein und abstrakt,
dass jeder Anschein eines Privilegs oder einer Exklusion sich in
Luft auflöst.22
23 Ebd.
24  Ebd. Eine ganz ähnliche Strategie zur Abwehr von Kritik lässt sich auch in der Struktur der
Manifesta-Publikation ausmachen. So schließt sich hier jedem kritischen Beitrag ein von einem
zweiten Autor verfasster Text an, in dem der Kritik des eigentlichen Textes widersprochen wird.
20  Jacques Derrida, wie Anm. 6, S. 17. Das Layout dieser Seiten, ihre Inszenierung auf dem Papier, lässt zwei Stimmen gleichzeitig
21  Offizielle Manifesta-Homepage, wie Anm. 2. sprechen: die Stimme der Kritik und eine Stimme, die Geschichte und Funktion dieser Biennale
22  Camiel van Winkel, wie Anm. 10, S. 221. verteidigt.

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Diese Strategie tritt auch im Fall des/der Unbekannten deutlich zutage. Durch Vielleicht ist dieses erschreckende Bild der reflektierten Dualität
die Zuweisung eines ( beliebigen) Namens verdeckt die Archivarin die Unfähig- des Privilegs, das sich in seinem Gegenbild eines Luxushotels
keit, ihre Aufgabe zu erfüllen, verdeckt sie die Fehler und Erinnerungslücken, widerspiegelt, aus dem ein Krankenhaus für potenzielle Abschie-
die zu ihrer persönlichen Version dieser konkreten Geschichte gehören. Der beasylanten wird, das ultimative Sinnbild für die Festung Europa,
Diskurs schließt genau dann das Scheitern mit ein, wenn wegen dieser die ihren sichtbaren Wohlstand und Komfort gegen den Einsatz
mangelnden Fähigkeit oder Bereitschaft zur Recherche und Enthüllung der von Nichteuropäern verteidigt, die nach einem besseren Leben
Identität von Menschen, denen man erst vor wenigen Jahren begegnet ist, die streben. Das Bild der verweigerten „Gastfreundschaft“ ist das
Bildunterschrift nicht allgemein „die Kuratoren und Diskussionsteilnehmer“ Bild des Neuen Europas.27
lautet, sondern unverhohlen die eigene Unfähigkeit enthüllt wird, ausgerechnet
die Menschen zu benennen, die einen Beitrag zu dieser Geschichte geleistet Das zentrale Detail in diesem Bild, in diesem Rahmen, ist das Verschwinden
haben. Auf den ersten Blick erscheinen Abbildung und Bildunterschrift der Stimme. Den visuell anwesenden Anderen wird durch den Einsatz der
kongruent: Das Bild ist vorhanden, die Namen sind vorhanden, und diejenigen, schalldichten Doppelverglasung die Macht zu kommunizieren aberkannt – hier
an die wir uns nicht mehr erinnern können, sind ebenfalls ausgewiesen. Damit sprechen die Subalternen, sie rufen sogar, doch niemand kann sie hören.
betreibt die Manifesta weder eine Dekonstruktion noch eine Destruktion des Der visuellen Präsenz des Anderen gelingt es nicht mehr, uns zu stören: ihre
autoritären Charakters kuratorischer (und archivarischer) Praxis; vielmehr verbirgt Stimme befindet sich irgendwo dazwischen, im unsichtbaren Bereich zwischen
sie diesen hinter demokratischen Grundsätzen. Das Zerrbild der Demokratie zwei Schichten Glas.28
offenbart sich erst dank der ihrer Namen beraubten Unbekannten. Allerdings ist diese Haltung Europas gegenüber den Anderen keinesfalls eine
Es bleibt die Frage, ob man die gesamte Verantwortung für die rhetorische, neue Erscheinung innerhalb der europäischen Geschichte, wie Saskia Sassen
„freie“ Auslegung demokratischer Grundsätze dieser Kunstveranstaltung in einer kürzlich erschienenen Untersuchung zeigt:
ankreiden sollte. Vielleicht manifestieren sich gerade in ihr nur die Symptome
derselben Praxis, auf die man auch im weiter gefassten Diskurs stößt. Dass Wir haben es heute mit unterschiedlichen Religionen, Phänotypen
der Manifesta zuweilen vorgeworfen wird, „eine Fortführung der Kulturpolitik und Kulturen zu tun, und wir glauben, darin liege der Grund für
Brüssels“ und „mitschuldig am derzeitigen offiziellen Verschwinden von das Problem der Integration. Gerade unsere europäische Geschichte
Immigranten aus europäischen Kultureinrichtungen“ 25 zu sein, wie Okwui suggeriert, dass wir schon früher ähnlich heftige Gefühle gegenüber
Enwezor es ausdrückt, führt uns zu der Frage, ob es möglich ist, „Europa“ jenen hegten, die von heute aus betrachtet zu uns zu gehören
mithilfe seiner Kunstbiennale zu deuten. Welchen Eindruck macht „Europa“ also scheinen: die Deutschen, die Belgier, die Italiener, ja so ziemlich
im Rahmen der aktuellen politischen Entwicklungen? jeder der heutigen EU-Mitgliedsstaaten. Angesichts der Gewalt-
In ihrer Untersuchung jüngerer europäischer Kinofilme, die sich mit der Beziehung taten und Hassgefühle, die wir damals gegen sie richteten, frage
zum Anderen und mit bestimmten politischen Prozessen beschäftigen, erklärt ich mich, ob nicht diejenigen Menschen, die wir heute als derartig
Yosefa Loshitzky eine Szene aus dem Film Journey of Hope (1990, Regie anders und schwer assimilierbar empfinden, in späteren Genera-
Xavier Koller) zum „ultimative[n] Sinnbild für die Festung Europa“.26 In dieser tionen denselben Wandel vollzogen haben werden.29
Szene klopfen einige hungrige und frierende Flüchtlinge, die soeben mit Not
einem winterlichen Gebirgssturm entkommen sind, erbittert an die doppelver- Diese historischen Tatsachen, so tröstlich sie auch sein mögen, sollten nicht
glasten Fenster eines geheizten Hallenbades, das zu einem Kurhotel in den als Ausrede für gegenwärtige Verbrechen missbraucht werden, für all jene
Alpen gehört. Zwar können die Flüchtlinge den im Becken schwimmenden
Hoteleigentümer sehen, dieser aber hört aufgrund der schalldichten Glaswände 27  Ebd., S. 754.
nicht die verzweifelten Schreie der Hilfesuchenden: 28  Eine ähnliche „Toleranz“-Analogie ist offenbar auch bei jenem Umgang mit Kunst anzutreffen,
wie er sich in der heutigen Kuratorenpraxis widerspiegelt: Die jeweiligen Kunstwerke werden
auf einen Sockel gestellt, jedoch mit jenem Doppelglas gesichert, durch das ihre Stimme nicht
dringen kann. Zensur bedeutet heute nicht mehr die radikale Zerstörung von Kunstwerken;
vielmehr werden Kunstwerke heute zu Hintergrundillustrationen, zu Bildschirmhintergründen
degradiert, über die es sich nicht mehr nachzudenken lohnt.
25  Okwui Enwezor, „Tebbitt’s Ghost“, in: The Manifesta Decade, wie Anm. 4, S. 184. 29  Saskia Sassen, „Europe’s Migrations. The Numbers and the Passions are Not New“, in:
26  Yozefa Loshitzky, „Journeys of Hope to Fortress Europe“, in: Third Text, 20 (6), S. 745 –754. Third Text, wie Anm. 26, S. 645.

276 277
Auslöschungen, Streichungen und Beschneidungen, denen wir heute begegnen.
Den Mächtigen wäre es am liebsten, wenn die Unbekannten, Undokumen-
EXORCISING THE GHOSTS
tierten, Namenlosen und Unsichtbaren blieben, was sie sind. Hinsichtlich der OF EUROPE. MANIFESTA
Reise, die wir mit dem/der Unbekannten unternommen haben, bestand die
Aufgabe der Analyse nicht in der Entdeckung der historischen oder archivali- BIENNIAL OF CONTEMPORARY
schen „blinden Flecken“ oder der Enthüllung der „realen“ Namen der Unbe-
kannten, sondern vielmehr darin, diese Auslöschungen als Zeichen, als ART AND THE FAILED
Symptome zu deuten, die auf tiefere, größere Probleme verweisen, als auf den
ersten Blick angenommen. Wir haben an dieser Stelle versucht, die unsicht-
RHETORICS OF DEMOCRACY
baren gläsernen Grenzen sichtbar zu machen, Risse zu entdecken, durch die Vesna Madžoski
die Stimme des/der Anderen dringen kann, und eine Stimme zu finden, die in
der Lage ist, Widerspruch zu äußern. Ebenso sehr wie Europa die Anderen als
legitime Bürger integrieren muss, um zu existieren, bedarf es offenbar auch
neuer Kunstwerke für die Schaffung von Differenz und zur Destabilisierung
der heutigen homogenisierenden politischen und kulturellen Diskurse. Auch Exhibitions of contemporary art are specific sites permanently “under
hier sollte man keine Angst vor den Rissen im eigenen Idealbild haben. construction” where new narratives and meanings are produced with every
next show, every next exposure. Yet the Western art world is still embedded in
the modernist construction of a “white cube,” a space that gives a guarantee
of its separation and independence from the outside world. This white and
1. Left to right: Unidentified, Marta Kuzma, and Massimiliano sterile form of exposure also came to be considered a guarantee for an objective
Gioni. 2. Left to right: Massimiliano Gioni, Marta Kuzma, and gaze in a neutral space out of time, and, as Brian O’Doherty argues, a
Joxe Juan Gonzalez de Txabarri during the opening press stabilizing social construct and a guarantee of social stability.1 This notion of
conference for Manifesta 5. 3. Henry Meyric Hughes (left) neutrality becomes complicated with the entrance of the main agents of the
and Miren Karmele Azcarate. 4. Left to right: Lourdes relationship constructed within the exhibition space: of art objects on one side,
Fernández and Hedwig Fijen. 5. Massimiliano Gioni (left) and and the viewers on the other. The aim of the following analysis is to show the
Marta Kuzma. 6. Left to right: Martin Fritz, unidentified, ways in which the “neutral” space of exhibitions intersects with the surrounding
Hedwig Fijen, Igor Zabel, unidentified, and Lourdes Fernández. social, economic, and political system in a particular way. In other words, this
7. Vincente Todoli (left) and Lourdes Fernández. performance of the “neutral” is informed by various and dispersed agents and
means, as I will try to exemplify in the following text.
Manifesta—European Biennial of Contemporary Art was developed as itinerant
and nomadic biennial at the beginning of the 1990s as an initiative of the Dutch
government, and although based in Amsterdam, it travels to different host cities
with each new edition. It was created as:

A response to the political and economic changes brought about


by the end of the Cold War and the consequent moves towards
European integration, it aspired to provide a moveable platform
that could support a growing network of visual arts professionals
throughout the region.2

1  See Brian O’Doherty, Inside the White Cube: The Ideology of the Gallery Space, Berkeley, 1999.
2  Manifesta Official Website: http://www.manifesta.org (October 2006).

278 279
EXORCISING THE GHOSTS OF EUROPE

To date, there have been nine editions of Manifesta, the sixth of which never those who have never seen the exhibitions.5 Having in mind the obstacles in
happened due to the severe escalation of confrontations between curators and researching the “real” archive, I decided at that point to focus on this particular
officials of the city of Nicosia, where it was planned to take place.3 The name segment, testing the Lacanian notion that if there were some symptoms, they
of this art exhibition entails two important concepts: “European” and must be visible in every event produced by the subject in question.
“contemporary art,” where the first refers to the political aspects of its activities In his approach to exploring the notion of the archive, Jacques Derrida advises
and the latter to the aesthetic aspects. It therefore becomes possible at us to look for an event, a momentum that will open up the archive for critical
the example of this biennial to examine current definitions of both concepts as reading through specific archaeological practice, when “the origin then speaks
proposed by Manifesta as well as shifts in political and aesthetic paradigms by itself.” 6 In the space of the Manifesta archive in the publication, amidst
and their mutual interconnectedness. In the following analysis, we will not be “miniature” representations of the artworks from previous biennials, I had an
interested in what is intentionally exhibited; our focus shall consist in detecting unexpected encounter with something, or rather someone, whom I did not
that which usually stays concealed behind this act, that which agents involved expect to meet. This someone grabbed my attention instantly and, since we
in the production of Manifesta believe stays hidden or invisible. had not been introduced before, soon became my main theoretical obsession.
In numerous photographs of Manifesta curators and board members at official
press conferences and “informal” meetings in cafés, there was someone who
Crimes in the Manifesta Archive the caption referred to as “unidentified.” This unidentified person took on
different shapes: in some pictures it was a woman, in others it was a man, and
By its founders, Manifesta is regarded as a democratic institution, and its in some it duplicated itself. It moves freely from city to city, from country to
publicly accessible archive a guarantor of democratic principles. The archive country, following this itinerant art manifestation as a shadow. What shocks
is announced as an open resource available for public consultation at the the most is the fact that these Unidentified persons are engaged in very close
Manifesta Home Office in Amsterdam. Since my main interest was in the conversations with the main protagonists of the Manifesta decade, being part
curatorial practices of Manifesta biennials, during my visit in 2006 I requested of panel discussions or just giving a friendly hug to the identified ones as a
permission to inspect documents chronicling the selection procedure of way to demonstrate their belonging in the photographed group. When encountered
curators and host cities. However, I was denied any access to these documents in the space of the archive, whose main function is to preserve memory, what
in the interest, as I was informed, of “protecting the rights of curators.” Unidentified immediately evokes is not only the shortness of memory of those
I was given limited access to the email correspondence between the board who were identifying these fairly recent pictures, but also the failure of the
members about the selection of the last host city, Nicosia, Cyprus. Instead archive to perform the function for which it was created in the first place. As a
of curatorial proposals, I was offered proposals by rejected artists, since their consequence, I decided to follow Unidentified, who has taken me in a direction
interests, as it seems, are not worth protecting. While being denied access I hadn’t initially planned to go—toward analysis of the concept of the archive
to most of the things I was interested in researching, I was introduced, by the itself. Therefore, what I propose here is to read this unusual deletion, this unusual
director herself, with a publication, a luxurious and impressive three hundred hole in the memory of the Manifesta archive, side-by-side with the context that
page monograph on the exhibition’s history and mission, published by has produced it, i.e., the Manifesta’s official rhetoric, and bring its presumably
Manifesta and entitled The Manifesta Decade.4 This publication offers a wide democratic principles into dialog with Derrida’s accounts of the archive. My main
historical overview and analysis of the influences Manifesta had in the past, question here is what Unidentified can “speak back” about: at the very
also including, as its final chapter, an overview of the archive. According to beginning, Unidentified clearly deconstructs the Manifesta’s intention of having
one of the editors, the archive is able to give “an act of re-experience” even to full control over its historical image. As we see, things (can) always slip out
of control.

3  Although created to make a bridge between the East and the West, most Manifesta editions
took place in the former West: Rotterdam, The Netherlands (1996); Luxembourg (1998);
Ljubljana, Slovenia (2000); Frankfurt am Main, Germany (2002); Donostia/San Sebastián, Spain
(2004); Trentino/South Tyrol, Italy (2008); Murcia, Spain (2010); and Genk, Belgium (2012).
4  Barbara Vanderlinden, Elena Filipović (eds.), The Manifesta Decade: Debates on 5  Barbara Vanderlinden, “The Archive Everywhere,” in: The Manifesta Decade, see note 4, p. 232.
Contemporary Art Exhibitions and Biennials in Post-Wall Europe, Cambridge/MA/London, 2005. 6  Jacques Derrida, “Archive Fever: A Freudian Impression,” in: Diacritics, Vol. 25, No. 2, 1995, p. 58.

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EXORCISING THE GHOSTS OF EUROPE

There is no political power without control of the archive, if not


Images from curatorial research trips memory. Effective democratization can always be measured by
this essential criterion: the participation in and the access to the
3. Talin. Center: Inessa Josing archive, its constitution, and its interpretation. A contrario, the
breaches of democracy can be measured by […] Forbidden Archives.9
6. Luxembourg City.
Left to right: Barbara Vanderlinden, Hans-Ulrich Obrist, As previously noticed, my first steps into the “real” archive of Manifesta were
Maria Lind, Jo Kox, unidentified, Enrico Lunghi, uniden- limited by the detection of invisible, uncrossable borders; and as a consequence,
tified and Hedwig Fijen. the democratic principle of this institution became severely compromised the
moment the “Forbidden Archive” was discovered. Instead, through this attempt
to control the archive, Manifesta shows a desire to control the image of its
recent past and immediately profit from a self-created historical mandate. This
Deleted Subjects practice is not unusual or expressed by this institution only, but when presented
under the guise of democratic principles, it becomes highly problematic.10
In his attempt to bring out the archive in the Greek word arkhē and thus seek The ideal archive every archivist attempts to create is one that exists and
the origin of the present uses of this term, Derrida reminds us of its double functions as a single corpus, a coherent body that nothing can divide or destroy.
meaning, or of the two principles it entails: the principle of commencement Archivists’ power of consignation treats the historical documents as part of a
and the principle of commandment. According to this, the archive is located in larger, coherent story, a singular picture without cracks. Or, in Derrida’s words,
the house of those who command, who are not only the documents’ guardians “In an archive, there should not be any absolute dissociation, any heterogeneity
but also the ones who are given “hermeneutic right and competence,” endowing or secret which could separate (secernere), or partition, in an absolute manner.” 11
them with the power of consignation: of unification, identification, classification, This desire of the archivist to have absolute power over the corpus of the
and interpretation of the archive.7 This position means the power not only over documents it “guards” and to present history as a narrative without tensions
physical objects, but also over the historical discourse or the discourse of the or contradictions becomes destabilized with the appearance of Unidentified.
commencement, of the origin based on the material traces guarded in the archive. Hidden within the surrounding homogenous discourse, Unidentified manages
Although conceived and viewed as a nomadic art exhibition, Manifesta has to pass through its cracks and speak out. As we have learned, “the archive
its home in Amsterdam, as does its archive. Created in the same decade when always works, and a priori, against itself,” 12 and Unidentified embodies exactly
the information revolution took place and when the digitalization of archives this sickness, this desire of the archive to destroy itself.
was at its peak, it seems unusual to encounter such a retrograde tendency that The reason for this desire on the part of the archive to destroy itself lies in its
is sustained by the argument that it would be impossible to move the enormous hypermnesic character, since it has been constructed as exterior technical
contents of Manifesta’s archive from one host city to another.8 model of the psychic apparatus. Defined this way, Derrida argues that
Following Derrida, the physical location of the archive can be seen as the an archive cannot escape the drive that originally haunts the human psychic
location from which power is distributed, giving or denying the symbolic mandate
to those who would enter and interpret it. The need to control this process 9  Jacques Derrida, see note 6, pp. 10 –11.
might come from the fact that, although Manifesta constructs this recent 10  The attempt to present the archive in order to materialize the concept of full democracy
happened in one of the Manifesta exhibitions. The curators of Manifesta 4 decided to create an
decade as remote history, it is run by agents still very active and influential within exhibition item out of the files of all the thousands of artists they visited during their exploration
the art scene—hence the necessity of protecting any document that could trips across Europe. This “administrative monument” (Camiel van Winkel, “The Rhetorics of
deconstruct their desired projected image. According to Derrida, Manifesta,” in: The Manifesta Decade, see note 4, p. 226.) was supposed to create an atmosphere
from which nobody would feel excluded, instead hides the inherent (non-democratic) element of
curatorial practice, which is based on the process of selection, and thus inclusion and exclusion.
Not taken as a main curatorial concept that could have turned the exhibition into the collections
7  Ibid., p. 10. of artists’ documentations, the existence of this archive together with the selected exhibited art
8  Selective and very limited access to this archive is offered through the digital archive of the works seems like a mere politically correct version of the exclusionary practice of curatorship.
organization basis wien, which was commissioned by Manifesta to digitalize parts of its archive. 11  Jacques Derrida, see note 6, p. 10.
See: http://www.basis-wien.at. 12  Ibid., p. 14.

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EXORCISING THE GHOSTS OF EUROPE

apparatus—the death/aggression/destruction drive. The archive is therefore “difference in unity,” or the flexibility to accommodate all the heterogeneous
built on unstable ground, constantly endangered by its inherent contradictions, traits this unity contains. What connects this process with the previous
by the desire to remember and the drive to erase from memory. Nevertheless, discussion on the archive, according to Derrida, is the fact that both processes
“this contradiction is not negative, it modulates and conditions the very formation are impossible without violence:
of the concept of the archive.”13 If we go back to Unidentified, (s)he is born
exactly in this void, at the place where she still exists as a trace of a deletion, The gathering into itself of the One is never without violence, nor
as a phantom between two worlds. What follows is that this secret of the is the self-affirmation of the Unique, the law of the archontic, the
Manifesta archive and its failure to preserve past events from deletion becomes law of consignation which orders to archive. Consignation is never
exposed, as well as the inaccuracy of its historical narrative, which is constructed without that excessive pressure (impression, repression, suppression)
on this foundation. Thanks to Unidentified, the “phantom of the archive,” we of which repression and suppression are at least figures.17
are allowed to enter and gain these insights without the control of the guardians.
According to Derrida, we live in times when everybody burns with the desire to As the discovery of Unidentified in the Manifesta archive testifies, the Other is
archive, where each of us is possessed by le mal d’archive, or archive fever.14 no longer at the other side of the border, somewhere in the Far East. The
What this sickness means is “to have a compulsive, repetitive and nostalgic Other has crossed the line and infiltrated Us. Unidentified seems to be created
desire for the archive, an irrepressible desire to return to the origin, a at this spot, where the Other is allowed to enter the official discourse but
homesickness, a nostalgia for the return to the most archaic place of absolute denied identity, denied a proper name, thus remaining the unidentifiable Other
commencement.”15 What can Unidentified, as a resident of the place where forever. Radical deletion of the nameless Other is happening in her full
the archive “anarchives” itself, tell us about the nostalgic spot to which the presence, testifying to her existence in limbo, between two worlds, where the
archive of Manifesta wants to return? The answer seems clear and simple, if democratic principle of equality is being practiced only on the level of rhetorics.
we search for the moment Manifesta takes as the moment of its birth: it is the If we take into account the view on current political process as proposed by
year 1989, the year of its arkhē, of its beginning of counting time.16 Nostalgia Giorgio Agamben, it is possible to see Unidentified as the embodiment of
also occurs as an effect of significant loss; and if we pursue this, the year someone he names “homo sacer,” of someone who is legally dead, deprived
1989 can be read as a traumatic moment in Western art discourse, a moment of a determinate legal status, while biologically still alive. Thus, Agamben argues,
of major political and social changes in recent European past. If seen this way, “the so-called sacred and inalienable rights of man prove to be completely
Manifesta becomes a strange monument for the times before the occurrence unprotected at the very moment it is no longer possible to characterize them
of a trauma, revealing a nostalgic mourning of the times already gone. as rights of the citizens of a state.” 18 In the case of the Manifesta biennial, it
Following Unidentified through the archive and its symptoms, we have arrived seems that we are dealing with a translation of this same practice into the realm
at the political level of the activities of Manifesta, or at the primary reasons for of culture, where the institution created to accommodate ongoing shifts was
which it was created: to assist in the encounter with the Others within the new not able to prevent the internalization of the processes it was trying to fight
chapter of European history. against. The One seems unaware of its own split, of its own divisions and cracks
This chapter of European history is characterized by attempts to create a in the picture of its ideal Self, the split necessary for it to exist in the first place.
stable and unique cultural and political identity of the European Union, The main mechanism of the violence, whether encountered as the archival
summarized in one of its official slogans: “United in Difference.” Nevertheless, impulse or unifying process of the Self, is repetition. It can only affirm itself and
this discourse of “unity of differences” points out its inherently undemocratic engage itself in this repetition. In the case of Manifesta exhibitions, the traces
homogenizing tendencies. Hence the real democratic position would be in the archive do testify to the process of repetition, as the following words by
Camiel van Winkel confirm:

13  Ibid., p. 90.


14  Ibid., p. 14. 17  Jacques Derrida, see note 6, pp. 50 –51.
15  Ibid., p. 57. 18  Giorgio Agamben, Homo Sacer: Sovereign Power and Bare Life, Palo Alto/CA, 1998, p. 199.
16  Consequently, the first chapter in The Manifesta Decade is entitled “One Day Every Wall Will The most flagrant example of this deletion is discovered in Slovenia, one of the Manifesta “host”
Fall: Select Chronology of Art and Politics after 1989” and dedicated to the selected facts and countries: “On 26 February 1992, at least 18,305 individuals were removed from the Slovenian
figures from art and politics after 1989. Through this symbolic act, the counting of Manifesta time registry of permanent residents and their records were transferred to the registry of foreigners.
officially starts with this year. Those affected were not informed of this measure and its consequences. The ‘erased’ were

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EXORCISING THE GHOSTS OF EUROPE

The absence of radically different selection procedure in all five Europe and one of the most innovative biennial exhibition programs to be held
editions of Manifesta suggests that, even if the curators were not anywhere. This is due, in no small measure, to its pan-European ambitions
pressured to conform to a pre-established model, they voluntarily and its uniquely nomadic nature. Both the network and the exhibition with its
acted as if they were under such pressure. [… Moisdon Trembley] related activities are equally important components of this itinerant event.21
also evoked the ineffectiveness of repeating the intensive trans- Interpreted in this way, networks are assumed to have an inherent democratic
European survey that the curators of the previous Manifesta edition nature. Nevertheless, as Camiel van Winkel has noticed in his critical analysis
had performed only a year and a half before: “An art scene, or of Manifesta rhetoric,
context, does not renew itself that quickly.” 19
Networks are not inherently democratic. On the contrary, a network
In order to exist, Manifesta has to repeat itself, repeating the same violence is exclusive rather than inclusive, built upon a set of privileged
against itself and against the Other, with every new edition, every new exhibition. relations between selected individuals. What place does the
The archive is the record of this violence, but also a way to assure future public occupy in relation to the network? […] Ascribed as simply
developments. Because the archive not only records events; it also produces open to the public, to “everyone” […] the discourse is of such a
them, or, according to Derrida, produces the criteria by which the future general and abstract nature that any notion of privilege or exclusion
events will be “archivable.” 20 Hence, the control of the archive means not only evaporates.22
control over the past, but control over the future as well.
Hence, the network per se has a democratic potential, a potential to be an
instrument of democratic procedure, but as long as it is practiced as an entity
1. Opening speeches for Manifesta 5. 2. Left to right: to include, there will always be the ones who are excluded. The projected
Massimiliano Gioni, unidentified, Henry Meyric Hughes, and picture of the Manifesta network of happy individuals, of the Manifesta
unidentified. 3. Left to right: Unidentified, unidentified, “family,” becomes broken in the moment we perceive the Unidentified one in
Joxe Juan Gonzales de Txabarri, and Lourdes Fernández. the picture. Unidentified speaks about this position of being excluded, of
being nameless, irrelevant, and unrecognized, albeit in possession of the
same physical, bodily traits as the identified ones. Through this, one more
European Democracy Revised power of the archivist becomes visible: the authority to name things—in this
case people—and position them in the discourse, giving them name and
As the discovery of the Unidentified ones in the Manifesta archive earlier identity, giving them history, or denying them the right to speak. The
proved, the democratic nature of this institution has been severely compromised. “un-networked” ones are dismissed by the archivist as the unidentifiable ones,
At this point, I was interested in what this same phantom can say about two left alone at the other side. The network fails to perform its democratic
other aspects upon which Manifesta bases its democratic character: its potential; instead, it serves the particular function of hiding the actual authority
functioning as a network and its practice of active self-critique. As we read, figures who would be deposed were the democratic transparency proven real.
Manifesta developed into a fast-growing network for young professionals in In this same rhetoric of the free interpretation of basic concepts of democracy,
as noticed by van Winkel, “In the Manifesta language game, ‘democratic’
means ‘open’ and ‘inclusive’ but also ‘open-ended,’” 23 and this rhetoric has
mainly people from other former Yugoslav republics, who had been living in Slovenia and had not
applied for or had been refused Slovenian citizenship in 1991 and 1992, after Slovenia became
been practiced by its curators as well. All these strategies (open-ended,
independent. As a result of the ‘erasure,’ they became de facto foreigners or stateless persons process-based approaches) are evidently practiced through the critical attitude
illegally residing in Slovenia. In some cases the ‘erasure’ was subsequently followed by the Manifesta takes toward its own practice. They are the strategies Manifesta
physical destruction of the identity and other documents of the individuals concerned. Some of
the ‘erased’ were served forcible removal orders and had to leave the country.” For more on the employs to survive attempts of external criticism. Through this rhetorical move,
case of Slovenian “erased” ones, see Slovenia Amnesty International’s Briefing to the UN the failure is turned into success:
Committee on Economic, Social and Cultural Rights, 35th Session, November 2005, http://www.
web.amnesty.org/library/index/engeur680022005 (January 2007). 21  Manifesta Official Website, see note 2.
19  Camiel van Winkel, see note 10, pp. 225–226. 22  Camiel van Winkel, see note 10, p. 221.
20  Jacques Derrida, see note 6, p. 17. 23  Ibid., p. 221.

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EXORCISING THE GHOSTS OF EUROPE

The final result is valued less than the path followed in order to windows of a warm, indoor swimming pool inside an alpine spa hotel. They
achieve it. With it, the possibility of a failure can be openly see the owner of the hotel swimming in the pool, but because of the soundproof
acknowledged and even thematized. […] Thus the built-in option glass walls, he cannot hear the refugees’ desperate cries for help:
for curators to admit and elaborate their own “failure” paradoxically
contributes to the rhetorical construction of Manifesta success.24 Perhaps this shocking image of reflective duality of privilege
mirrored by its counter-image of a luxury spa hotel turning into a
This strategy becomes visible in the case of Unidentified as well. Through the hospital of potential deportees is the ultimate iconic image of
act of giving her (any) name, the archivist hides her failure to perform her Fortress Europe guarding its visible wealth and comfort against
function, hides the mistakes and memory lapses that are incorporated into her the pledge of non-Europeans in search of a better life. The image
version of this particular history. The failure is incorporated into the discourse of “hospitality” denied is the image of the New Europe.27
where this impossibility or unwillingness to research and reveal the identity of
the persons encountered just a few years ago does not turn the caption into The important detail in this image, in this frame, is the disappearance of the
some general description like “the curators and panelists,” but openly reveals voice. The visually present Others are denied the power to communicate by
its own failure to give a name to the people who contributed to this history in the institution of the soundproof double-layered glass—here the subalterns do
the first place. Hence, the picture and the caption seem perfectly in order speak, even shout, but nobody is able to hear them. The visual presence of
once we look at them: the image is there, the names are there, and the ones the Other is not able to disturb Us anymore: their voice is stacked somewhere
we do not remember are signed as well. Through this practice, Manifesta does in the middle, in the invisible space between two layers of glass.28
not deconstruct or destroy the authoritarian nature of curatorial (and archival) Nevertheless, this attitude of Europe toward its Others is nothing new in European
practice; instead, it hides it behind the basic postulates of democracy. The history, as Saskia Sassen shows in her recent analysis:
travesty of democracy is revealed thanks to the deprived Unidentified one.
The remaining question here is if we should put all the blame for the rhetorical Today we deal with different religions and phenotypes and cultures,
and “free” interpretation of democratic postulates on this art manifestation. and we think that is the reason for the difficulty of incorporation.
Perhaps it might be simply the one that manifests the symptoms of the same Our very European history suggests we had feelings of similar
practice present in the wider political discourse. Sometimes being accused of intensity about those who from today’s perspective appear to be
being “an extension of Brussels’s cultural policy” and “complicit in the current “one of us”: the Germans, the Belgians, the Italians, just about
official disappearance of immigrants in Europe from its cultural institutions,” 25 any of the current EU membership. Given the acts of violence and
as Okwui Enwezor has formulated, Manifesta leads us further to the question the hatreds we felt against them, I cannot help but wonder whether
of the possibility to read “Europe” through its art biennial. So what does this those who we experience today as so different and difficult
“Europe” look like within the scope of current political developments? to assimilate will not undergo the same transformation over the
In her study of recent European movies that deal with current issues of the coming generations.29
relationship with the Other and cultural and political processes, Yosefa
Loshitzky chooses one particular scene from the film Journey of Hope (1990, Although comforting, these historical facts should not be used as an excuse
directed by Xavier Koller) as the “ultimate iconic image of Fortress Europe.” 26 for present crimes, for all these erasures, deletions, mutilations we are
In this scene, hungry and freezing refugees who have just survived a harsh witnessing today. The ones in power would like these unidentified,
winter mountain storm desperately knock on the double-layered glass undocumented, nameless, and hidden ones to stay that way. In this journey on

27  Ibid., p. 754.


24  Ibid., p. 222. We find a similar strategy of neutralizing criticism in the structure of the Manifesta 28  A similar analogy of “tolerance” seems to be noticeable in the treatment of art works as
publication as well. Namely, each critical text is accompanied by a text written by a respondent reflected in current curatorial practice: the artworks are put on a pedestal but protected by
rejecting the criticism of the main text. The layout of the pages, its mise-en-page, simultaneously double-layered glass that will not allow their voice to be heard. Censorship no longer means the
offers two voices: the one of the criticism and the one defending the history and function of radical destruction of artworks; rather, art works are turned into background illustrations, into
this biennial. wallpaper images not to be reflected upon.
25  Okwui Enwezor, “Tebbitt’s Ghost,” in: The Manifesta Decade, see note 4, p. 184. 29  Saskia Sassen, “Europe’s Migrations: The Numbers and the Passions are Not New,” in:
26  Jozefa Loshitzky, “Journeys of Hope to Fortress Europe,” in: Third Text, 20 (6), pp. 745 –754. Third Text, see note 26, p. 645.

288 289
which Unidentified has taken us, the role of my analysis was not to discover
the historical or archival “blind-spots” and find the “real” names of the
„WIR HATTEN DIE ILLUSION,
Unidentified ones, but rather to read these erasures as signs, as symptoms DASS DIE WELT WENIGER
that point to deeper and bigger problems than those assumed at first glance.
What we have been trying to do here is make these invisible glass borders GEFÄHRLICH WERDEN KÖNNTE“
visible, find cracks through which the voice of the Other will be able to pass,
discover the voice that will be able to speak back. As it seems, the same way Ruth Sonderegger im Gespräch mit Ágnes Heller und János Weiss über
Europe will have to include the Others as its legal citizens in order to exist, it Ideologie, Kunst und die Situation in Ungarn nach 1989
will also need new artworks as a way to create difference and destabilize
Ruth Sonderegger
current homogenizing political and cultural discourses. Once again, the One
should not be afraid of the cracks in its idealized picture.

RUTH SONDEREGGER  Zusammen mit KollegInnen der Akademie der


1. Left to right: Unidentified, Marta Kuzma, and Massimiliano bildenden Künste Wien und des Kunsthaus Bregenz habe ich im Herbst 2012
Gioni. 2. Left to right: Massimiliano Gioni, Marta Kuzma, eine Tagung zur Frage der Ideologie in Kunst und Kultur nach 1989 veranstaltet.
and Joxe Juan Gonzalez de Txabarri during the opening press Unsere Hypothese war, dass das sogenannte Ende der Ideologien, das 1989
conference for Manifesta 5. 3. Henry Meyric Hughes (left) oft proklamiert wurde, zu einem gespenstischen Versteck für die Entwicklung
and Miren Karmele Azcarate. 4. Left to right: Lourdes neuer Ideologien geworden ist, denen man sich deshalb wieder stärker zu-
Fernández and Hedwig Fijen. 5. Massimiliano Gioni (left) and wenden müsste.
Marta Kuzma. 6. Left to right: Martin Fritz, unidentified, Vor diesem Hintergrund würde ich euch zunächst einmal gern Folgendes fragen:
Hedwig Fijen, Igor Zabel, unidentified, and Lourdes Fernández. Könnt ihr – fast 25 Jahre nach dem sogenannten Mauerfall – die oben skizzierte
7. Vincente Todoli (left) and Lourdes Fernández. Hypothese von einer erneuten Notwendigkeit, sich der Ideologiekritik zuzu-
wenden, nachvollziehen oder sogar teilen? Oder ist der Ideologie-Begriff zu
belastet, um heute noch produktiv mit ihm arbeiten zu können? Was für
begriffliche Alternativen gäbe es, um über Strukturen verdichteter Herrschaft
nachzudenken, die es unzweifelhaft gibt?

ÁGNES HELLER  Über etwas nachzudenken heißt auch, etwas neu definieren,
es auf eine neue Weise verstehen. Meine Position ist, dass ich eine erneuerte,
radikalisierte Version der marxistischen Ideologie anerkenne. Marx verein-
fachend würde ich sagen, sein Verständnis von Ideologie meint, dass eine
bestimmte Gruppe oder Klasse die eigenen Interessen als allgemeine mensch-
liche Wahrheiten darstellt und damit andere Interessen verdeckt. Dieses Ver-
ständnis von Ideologie setzt voraus, dass man Ideologie als ein falsches
Bewusstsein denken kann. Meiner Meinung nach jedoch sollte man nicht von
falschem Bewusstsein sprechen, denn das würde voraussetzen, dass es ein
wahres Bewusstsein gibt und dass wir wissen, was das wahre Bewusstsein
ist. Wenn man Ideologie als falsches Bewusstsein versteht, dann fetischisiert
man nicht zuletzt das Bewusstsein – etwa so, wie Adorno es getan hat.
Trotzdem muss man heutzutage über Ideologie sprechen, und zwar aufgrund
der fundamentalistischen Bewegungen und der totalitären Regime. Hier
geht es um eine umfassende Konzeption – um ein fest geschnürtes Paket

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DASS DIE WELT WENIGER GEFÄHRLICH WERDEN KÖNNTE“

gewissermaßen – von Begriffen, Urteilen und Praktiken, die wie ein Kompass dass Kunst oder die Künste und die Literatur Ideologien sind, nicht zustimmen.
wirken. Ein Kompass, der zeigt, was das Wahre, was das Gute ist; wer zu den Eine andere Sache ist die Frage, wie Künste durch Ideologien beeinflusst
Guten gehört und wer nicht, wer ein Feind ist. Wo entlang der Linie „wir oder werden können. Es gab ja eine Kunst des Nazismus, es gab eine Kunst des
die anderen“ agiert wird, wo den anderen ein falsches Bewusstsein zuge- Stalinismus. Sie konnten durchaus schön sein, aber letztlich haben sie eine
schrieben wird, da findet Ideologieproduktion statt. Ideologie kann man nicht an Ideologie verkörpert. Aber Kunst als solche ist keine Ideologie. Das hat auch
einzelnen Begriffen festmachen. Es gibt sehr viele verschiedene Begriffs- Marx nicht gesagt. Marx spricht von falschen, ideologischen Bewusstseins-
systeme, die man für Ideologien benutzen kann. Aber ideologisch werden sie formen, aber er sagt nicht, dass Kunst immer eine falsche Bewusstseinsform ist.
erst, wenn man sie in der spezifischen Weise benutzt, die ich als Kompass
bezeichnet habe. Dann hat man es mit einer fundamentalistischen Bewegung JW  Doch, doch, das kann ich bezeugen!
oder mit einem totalitären System zu tun, und Ideologiekritik wird sehr wichtig.
Ob sich diese Bewegungen auf Nationalismus, auf Rassismus, auf Religion Beide lachen.
gründen, das ist dann weniger wichtig. Alle Fundamentalisten brauchen
Ideologien, mit denen sie die Massen mobilisieren. Die Leute lieben es zu AH  Du hast natürlich recht, dass es ein Problem ist, wenn Marx sagt, die
wissen, was absolut wahr ist, und sie gehören gern zur Wahrheit. Ideologie sozialen Verhältnisse determinierten die Bewusstseinsformen, den Überbau.
hilft den Menschen, eine absolut wahre, gesicherte Identität zu haben. Das Dieser These zufolge ist Kunst Teil des Überbaus. Wenn du diese These
heißt, Ideologie ist auch identitätsschaffend. Und aufgrund dieser Attraktivität kritisierst, dann hast du natürlich vollkommen recht. Aber denk nur daran, wie
von Ideologien glaube ich, dass Ideologiekritik sehr wichtig ist. positiv Marx etwa in den Grundrissen1 von griechischer Kunst spricht! Der
Gedanke, dass die Ökonomie die Politik bestimmt und die Politik die Kunst, ist
JÁNOS WEISS  Ich habe zuerst gedacht, dass meine Antwort ganz ähnlich eine sehr problematische Auffassung. Dann spricht man nicht über Ideologien,
wie die von Ágnes sein wird, aber ich will doch auf etwas anderes hinaus. sondern über Kausalität. Das ist ganz und gar falsch. Eine Bedingung ist kein
Wenn man sich den sehr frühen Marx anschaut, findet man einen Ideologiebe- Grund. Dass Kunstformen und auch die Philosophie gesellschaftliche Bedin-
griff, den ich nicht für gelungen halte. In der frühen Phase hatte er die Vorstellung, gungen haben, wird niemand leugnen. Aber das sollte man nicht Ideologie
dass Ideologie etwas ist, was sich von einem ursprünglichen Kontext, von nennen. Klar, dass Aristoteles nicht so denken konnte wie Descartes, denn sie
einem Fundament abhebt. Das heißt, es gibt etwas, was Marx als fundamental waren Teil vollkommen verschiedener Gesellschaftsverhältnisse.
betrachtet, und das sind beim ganz jungen Marx die sozialen Verhältnisse; die
Wirtschaft spielt dabei nur eine kleine und etwas ambivalente Rolle. Ideologie RS  Da wir offenbar alle ein Problem mit dem Kausalmodell der Ideologie
ist hier alles, was gegenüber diesem ursprünglichen Kontext sekundär ist, was haben, schlage ich eine andere Beschreibung vor. Könnte man als ideologisch
zu diesem sozusagen noch dazu kommt – eigentlich alle kulturellen Sphären, in jene Verhältnisse begreifen, die man nicht oder nur schwer verändern kann,
denen die Sehnsüchte nach dem verhandelt werden, was den Menschen in obwohl sie von Menschen gemacht sind? Also Verhältnisse, in denen sich
den sozialen Verhältnissen fehlt. Mit Ideologiekritik bezog sich der junge Marx Praktiken der Herrschaft verdichten?
vor allem auf diese Sphären der Sehnsucht und ging davon aus, dass man nur
den primären, ursprünglichen Bereich der sozialen Verhältnisse verändern müsste, JW  Ja, mir scheint das eine glückliche Transformation des Begriffs zu sein,
damit die Ideologien – und die kulturelle Sphäre – verschwinden. Diesen Begriff wobei ich immer noch ein Problem damit habe, solche Herrschaftsverhältnisse
der Ideologie und der Ideologiekritik finde ich sehr problematisch. mit dem Ideologiebegriff des jungen Marx zusammenzubringen. Andererseits
Man müsste versuchen, eine glückliche Transformation des ideologiekriti- hat Marx später selbst seinen Kritikbegriff verändert und soziale Verhältnisse,
schen Anliegens von Marx zu finden. Ein solches Programm würde ich also Verhältnisse des sogenannten Unterbaus, kritisiert. In Das Kapital analy-
plausibel finden, nicht zuletzt, weil Marx selbst später den Begriff der Ideologie siert er die wirtschaftlichen Verhältnisse nicht nur, vielmehr kritisiert er sie.
auch komplexer gefasst hat.

AH  Ich glaube, ich möchte Marx verteidigen. Er hat über die Kunst nicht als
1  Karl Marx und Friedrich Engels, Werke, hg. vom Institut für Marxismus-Leninismus beim
Ideologie gesprochen. Das waren die späteren Marxisten. Ich kann der These, ZK der SED, Bd. 42, Berlin/DDR 1983, S. 19–875; Online-Version: http://www.dhcm.inkrit.org/
wp-content/data/mew42.pdf [aufgerufen am 6.4.2013].

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DASS DIE WELT WENIGER GEFÄHRLICH WERDEN KÖNNTE“

AH  Damit sind aber noch nicht alle Probleme gelöst. Das erste Problem ist, mit der Vorstellung, es gäbe so etwas wie ein konstantes und wahres, also
dass der Marx’sche Begriff für die kritisierten sozialen Herrschaftsverhältnisse nicht-entfremdetes menschliches Leben; da schwingen viele romantische
„Entfremdung“ war und nicht „Ideologie“. Was Ruth beschrieben hat, dass wir Vorstellungen von (individueller) Selbstverwirklichung mit. Unter Anthropolo-
Menschen Dinge tun, die dann ein selbstständiges Leben führen – ein Leben, gismus verstehe ich, dass alles als ein Problem des Menschlichen aufgefasst
das eine Macht produzieren kann, die uns als quasi autonome Macht unter- wird und außermenschliche Zwänge keine Rolle spielen. Ich würde gesell-
drückt –, ist paradigmatisch für die Marx’sche Entfremdung. Ich würde schaftliche Herrschaft lieber soziologischer denken, d. h. so, dass Ideologien
diese Phänomene eher mit Foucault beschreiben. Mit Foucault kann man die nicht anthropologisch missverstanden werden.
Gesellschaft als ein Feld, als ein Territorium beschreiben, auf dem es viele
Mächte und Machtverhältnisse gibt, an denen unterschiedlichste Gruppen und RS  Ich denke, dass gerade Foucaults Machttheorie helfen kann, Ideologien
Tätigkeitsformen partizipieren. Mit Foucault muss und kann man in der Tat die nicht anthropologisch zu denken, sondern als systemische Herrschaftskon-
Fragen stellen: Wo ist die größte Macht? Wo sind Mächte konzentriert? Wo zentrationen. Dann wird es zu einer soziologischen und politischen Frage, ob
sind sie de-konzentriert? Die Tatsache, dass das, was wir produzieren, nicht und wie man solche Herrschaftsverhältnisse verändern kann.
mehr zu uns gehört und ein unabhängiges Leben führen kann, gehört zur
conditio humana. Ich glaube nicht, dass man das verändern kann. Man kann AH  Den Totalitarismus kann man nicht verändern. Man muss ihn stürzen.
allenfalls verändern, dass die Folgen unserer Handlungen uns beherrschen. Es gibt verschiedene gesellschaftliche Mächte, die man nicht verändern kann.
Du hast über Marx’ Kapital gesprochen, János. Mein Problem mit Marx’ Das heißt aber auch: Es gibt viele Mächte, die man durchaus verändern
Kapital ist, dass es auf der problematischen Theorie des Gebrauchswerts kann – sowohl politisch im Sinn von bestehenden politischen Institutionen als
gegründet ist, der zufolge nur die menschliche Arbeit Wert schafft; dass die auch zivilgesellschaftlich. Das ist doch so wichtig bei Foucault, dass nicht alle
Natur als Natur überhaupt keinen Wert hat.2 Das heißt, ein Baum im Dschungel Mächte in politischen Institutionen konzentriert sind. Vielmehr gibt es auch
hat keinen Wert, sondern nur, wenn man den Baum fällt, weil dann mensch- gesellschaftliche Mächte.
liche Arbeit ins Spiel kommt. Als ökonomische Konzeption ist das ganz
und gar falsch. Trotzdem sprechen Marx’ Begriffe der Entfremdung und der RS  Genau! Und deswegen glaube ich auch, dass beim späten Foucault diese
Ideologie zu uns. Sie sagen uns noch immer etwas. Unterscheidung zwischen Macht und Herrschaft so entscheidend ist, wobei
Herrschaftsstrukturen solche sind, die man – um in Ágnes’ Terminologie
JW  Ich habe nun bei Marx endlich einen Satz gefunden, der zeigt, dass er zu bleiben – stürzen muss, während man Machtverhältnisse verändern kann.
Ideologie mit Bewusstseinsphänomenen identifiziert. Am Beginn von Zur Kritik
der Politischen Ökonomie schreibt er: „In der Betrachtung solcher Umwäl- AH  Ja, aber die Differenzierung zwischen Macht und Herrschaft stammt von
zungen muss man stets unterscheiden zwischen der materiellen, naturwissen- Weber. Zur Herrschaft gehört immer die Anerkennung von Autoritäten, und
schaftlichen treu zu konstatierenden Umwälzung in den ökonomischen von diesem Problem her habe ich auch die Ideologie als Kompass verstanden;
Produktionsbedingungen und den juristischen, politischen, religiösen, künstle- als Kompass, der dabei hilft, ein totalitäres System als etwas, das Autorität hat
rischen oder philosophischen, kurz, ideologischen Formen, worin sich die und dessen Autorität man sich unterordnen muss, zu rationalisieren. Das heißt,
Menschen dieses Konflikts bewusst werden und ihn ausfechten.“ 3 Wegen die Ideologie hilft den totalitären Systemen, sich als Autorität zu verstehen und
solcher Stellen meine ich, dass Ideologie – zumindest beim frühen Marx – gewisser- als Autorität anerkannt zu werden.
maßen die Zusammenfassung von all diesen Bewusstseinsphänomenen ist.
Auch mit der Entfremdungstheorie, so wie ihr sie formuliert habt, habe ich RS  Vielleicht darf ich noch mal auf einen Aspekt meiner Ausgangsfrage
noch ein Problem. Wenngleich ich weiß, dass ihr das nicht so meint, ist die zurückkommen; auf die Frage, ob für euch 1989 ein wichtiges Datum ist, wenn
Entfremdungstheorie eng verbunden mit einem gewissen Anthropologismus, es darum geht, über gegenwärtige Machtkonzentrationen nachzudenken.
Viele Leute sagen, mit 1989 sei das Ende der Ideologien erreicht und damit
2  Vgl. hierzu György Bence, János Kis, György Márkus, Hogyan lehetséges kritikai gazdaságtan? vielleicht auch das Ende totalitärer Herrschaftskonzentrationen. Andere hin-
[Wie ist eine kritische Wirtschaftswissenschaft möglich?], Budapest 1992 [verfasst 1970–1972], gegen sehen genau darin die Lüge, das Ideologische von 1989.
Kap. 1–2.
3  Karl Marx, „Zur Kritik der Politischen Ökonomie“, in: Karl Marx und Friedrich Engels, Werke,
hg. vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED, Bd. 13 (1985), wie Anm. 1, S. 9.

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JW  1989 war wahrscheinlich das größte Ereignis in meinem Leben. Menschen kaum beteiligt. Sie konnten nicht sagen: „Das haben wir getan.
Aber Ágnes wollte vermutlich gerade sagen, dass 1989 Illusion war, oder? Zwar geht jetzt nicht alles so, wie wir es gewollt haben, aber wir haben es gewollt.“
Natürlich konnten die Menschen die Geheimpolizei nicht ausstehen und wollten
AH  Ja, ich meine, dass es im Zusammenhang mit den Veränderungen von sich von ihr befreien. Aber sie waren nicht beteiligt, als es darum ging, sie los-
1989 oder 1990 die Illusion gab, dass nun Demokratie in der ganzen Welt zuwerden. In dieser Hinsicht waren sie passiv. Das ist verständlich, denn alles
herrschen wird; dass totalitäre Herrschaften verschwinden werden und die kam sehr plötzlich. Es gab keine Vorbereitung, überhaupt keine. Zuerst kam
ganze Welt aus Republiken, aus demokratischen Ländern bestehen wird. Das Gorbatschow, der alles umgestoßen hat, dann ist die Mauer gefallen, demokra-
war eine Illusion. 1989 war ein großes Ereignis in unserem Leben. Wir wurden tische Lernprozesse waren nicht möglich. Und so folgten die politischen Fehler.
immerhin von einem totalitären Regime befreit, und mit „wir“ meine ich die
OsteuropäerInnen. Die Illusion war der Glaube, dass unsere Befreiung schon JW  Aber es gab doch einen Prozess, der Veränderungen zumindest indirekt
mit der Freiheit identisch sei. Das war eine zweifache Illusion. Ich glaube, vorbereitet hat. Es gab in Ungarn eine lange Diskussion darüber, wie man in
Hannah Arendt hatte recht. Befreiung ist keine Freiheit. Befreiung ist der erste das Wirtschaftssystem Marktelemente integrieren kann. Diesbezüglich gab es
Schritt, der Schritt vor der Institutionalisierung der Freiheiten. Und wenn man Versuche am Ende der 1960er Jahre und dann ab 1983 wieder. Da gab es
die Freiheiten nicht so institutionalisiert, dass sie bleiben, dass Menschen auch sehr radikale Leute. Weil Ungarn ein schlampiges totalitäres System war,
diese Institutionen als freie Institutionen anerkennen, dann bleibt die Befreiung konnte in den Nischen einiges passieren.
nur eine Befreiung ohne die Institutionalisierung von Freiheiten. Das war das
Problem in Osteuropa, auch in Ungarn. Nicht nur in der Weise, dass es keine AH  Diskussionen über Ökonomie waren möglich, aber politische Themen
Institutionen gab, sondern den Institutionen fehlte der Geist der Freiheit. Dabei konnte man nie diskutieren – wie heutzutage in China.
brauchen Institutionen den Geist der Freiheit, ohne ihn werden sie nicht funktio-
nieren. Und was die Welt im Ganzen betrifft: Nach ’89 kamen neue Diktaturen, JW  Stimmt, drei Fragen konnte man nicht diskutieren: das Einparteien-
neue totalitäre Regime, neue Fundamentalismen wurden geboren. Die Welt system, die sowjetische Besetzung und die 1956er-Revolution.
wurde wieder sehr gefährlich. Man könnte natürlich sagen, dass die Welt
immer ein gefährlicher Platz war (und im Moment ein sehr gefährlicher Ort ist), RS  Ich mache jetzt noch mal einen Sprung. Wir haben uns bei der Vorbe-
aber 1989 hatten wir die Illusion, dass die Welt weniger gefährlich werden könnte. reitung des Symposiums über Ideologiekritik in der Kunst nach 1989 auch
gefragt, welche Rolle in Ungarn heute Georg Lukács spielt. Denn Lukács war
JW  Noch mal zurück zu deiner Frage, was da zerbrochen ist und was die entscheidend für die Entwicklung einer Ideologiekritik, die sich auch in Phäno-
Befreiung eigentlich bedeutet hat. Es war die Befreiung von einer totalitären menen der Kunst vollziehen kann. Beziehen sich Intellektuelle heute auf
Ideologie in einem umfassenden Sinne. Ideologien, die die gesamte Gesell- Lukács? Ist er vergessen? Wird er absichtlich vergessen? Was ist die Rolle
schaft unterjochen, gab es später in Osteuropa nicht mehr. Wenn das des Lukács-Archivs?
überhaupt Revolutionen waren, dann sind die osteuropäischen von 1989 so
verlaufen, dass sie bei der Befreiung von einer Besetzung und von der AH  Lukács wird heute im Wesentlichen als alter Kommunist abgetan, dessen
Ideologie der herrschenden Partei stehen blieben. Die soziale Frage wurde Theorie unwichtig ist. Das Lukács-Archiv ist öffentlich und wird von Leuten
beispielsweise überhaupt nicht aufgeworfen. aus der ganzen Welt besucht. Aber die früheren Wissenschaftler des Lukács-
Archivs können und dürfen dort heute nicht mehr forschen. Sie sind zwangs-
AH  Es gab noch ein anderes Problem in Osteuropa, wobei man nicht alle versetzt worden in die Bibliothek der Ungarischen Akademie der Wissen-
Länder über denselben Kamm scheren kann. Die Leute fühlten nicht, dass sie schaften. In Amerika ist Lukács heute sehr berühmt. Die Seele und die Formen
die Subjekte der Befreiung waren. Menschen können Armut vertragen, wenn wurde zum zweiten oder dritten Mal veröffentlicht. Natürlich sind nicht seine
sie wissen, dass sie selbst es sind, die sich befreit haben. In Ungarn waren die kommunistischen Bücher berühmt, sondern die des jungen Lukács, aber auch
Menschen sehr stolz darauf, dass alles so leicht und friedlich ging; dass die Geschichte und Klassenbewusstsein, das ein kommunistisches und zu Recht
führende Partei und die Opposition an einem Tisch saßen. Aber alles passierte auch ein sehr berühmtes philosophisches Buch ist. Studierende in Amerika,
über den Kopf der Bevölkerung hinweg. Schon an der Befreiung waren die England, Frankreich, Deutschland und Österreich beschäftigen sich mit diesem

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Buch. Ich war am 11. Dezember 2012 in Wien zu einem Vortrag anlässlich des war wichtig, dass Lukács in Bezug auf wirtschaftliche Reformen sehr radikal
100. Jahrestags der Veröffentlichung von Die Seele und die Formen auf Deutsch. war und immer mehr wollte, als die Kommunisten zu geben bereit waren. So
In Ungarn ist darüber kein Wort gefallen. Es gab keine Veranstaltungen. habe ich langsam erfahren, dass man Lukács gegen den Strich lesen kann und
Über Lukács’ Leben kann man natürlich viel sagen. Er hatte zwei Funktionen: dass man bei ihm durchaus kritische Gedanken den Kommunismus betreffend
Er war ein wirklich großer Denker, andererseits ein Führer, der den Kommu- findet. Deshalb habe ich vor zwei Jahren ein Buch geschrieben, in dem ich
nismus als theoretische Möglichkeit für Ungarn verkaufen wollte. Er hat zum diesen kritischen Lukács vorzustellen versuchte.4 Und Ágnes war wahrscheinlich
Beispiel ein Buch über Lenin geschrieben, das mich sehr an Heideggers meine einzige Leserin.
Werbung für den Nationalsozialismus erinnert. Heideggers Held war Hitler, der
Held von Lukács ein Lenin, der dem wirklichen Lenin jedoch gar nicht ähnlich RS  Warum wird so ein Buch in Ungarn nicht diskutiert?
war. Am Anfang des 20. Jahrhunderts waren viele Intellektuelle von der bürger-
lichen Kultur sehr enttäuscht und entwickelten deswegen einen Führerglauben; AH  Die Ungarn sind traditionell philosophisch nicht sehr interessiert, sie
den Stalinglauben und den Hitlerglauben, den Glauben daran, dass wir einen haben keinen philosophischen Sinn kultiviert. Um die Literatur und die Ästhetik
Führer brauchen, der uns aus den Enttäuschungen der bürgerlichen Welt steht es etwas besser. Meine Bücher diskutiert man in Spanien, in Italien, in
herausführt. Das spezifische Problem von Lukács ist, dass er dem Kommunismus Deutschland oder in Amerika; aber kaum in Ungarn.
noch treu blieb, als er wusste, zu welchen Fürchterlichkeiten die stalinistischen
und poststalinistischen Regime führten. Auch nachdem Millionen von JW  Dazu muss man wissen, dass die Ästhetik in Ungarn seit etwa 100 Jahren
Menschen im Namen des Kommunismus getötet worden waren, bezeichnete von der Philosophie getrennt ist, auch an den Universitäten.
er sich noch als Kommunist. Auf der anderen Seite spielte er eine wichtige
Rolle in der ungarischen Revolution von 1956. Das war geradezu schizophren. AH  Zu Lukács und seiner schizophrenen Position möchte ich noch sagen,
Auf der einen Seite nannte er sich einen Kommunisten, auf der anderen war er dass er der anständigste Mensch war, den ich im Leben getroffen habe. Er hat
gegen alles, was den Kommunismus charakterisierte. Persönlich war Lukács in Verhören nicht einmal jene Leute verraten, die ihm übel mitgespielt haben
mein Lehrmeister, und ich mochte ihn sehr. Er war entscheidend für meine und kein Problem damit hatten, Lukács an Leib und Leben zu gefährden, etwa
Entwicklung als Philosophin. In seinen Seminaren über Kants Kritik der Urteils- László Rudas. Lukács hat im Gefängnis, als man ihn erpressen wollte (weil
kraft oder Hegels Ästhetik kam der Kommunismus mit keinem Wort vor. bekannt war, dass Rudas einen Aufsatz gegen Lukács geschrieben hatte), kein
einziges Wort gegen Rudas gesagt, obwohl er ihn hasste. Lukács war geradezu
JW  Ich habe Lukács nie erlebt, denn ich war erst 13 Jahre alt, als er starb. unmöglich anständig.
Aber als ich Wirtschaft studierte, begann ich mich für Lukács zu interessieren.
In der kommunistischen Zeit, als Lukács noch Bestandteil des Unterrichts war, RS  Vielleicht können wir zum Schluss auf die Gegenwart Ungarns zu
war seine Selbstkritik an seiner frühen Phase die einzig akzeptierte Position. sprechen kommen, insbesondere auf die gegenwärtige Kunst- und Kulturpo-
Bekanntlich hat Lukács 1971, im Jahr seines Todes, ein schreckliches Vorwort litik. Zuletzt sind hier in Österreich neben der Verschärfung der Mediengesetze
zu Geschichte und Klassenbewusstsein geschrieben, während die jungen etwa die von der Regierung (auch finanziell) aufgewertete ungarische Kunst-
Lukács-SchülerInnen wie z. B. Ágnes nur über die frühen Werke geforscht akademie und ihr Direktor György Fekete kritisch kommentiert worden.5 Wie
haben. Und das, obwohl es wegen Lukács’ Selbstkritik lange Zeit nur eine schätzt ihr die derzeitige Rolle von Kunst und Kultur in Ungarn ein? Ist der
einzige Ausgabe von Geschichte und Klassenbewusstsein gab, und zwar in offenbar stattfindende Kulturkampf nur ein Nebenschauplatz oder das Zentrum
einem Sammelband. Auch Die Seelen und die Formen konnte man nur in einer Ideologie?
einem Sammelband mit den Frühwerken von Lukács finden. Als dann aber die
Wende kam, hat der späte Lukács den frühen Lukács mit sich gerissen; der
4  Vgl. János Weiss, Lukács öröksége. Helyzetfelmérés a kommunizmus bukása után [Das Erbe
gesamte Lukács erschien als Parteikommunist und damit wertlos. Damit von Lukács. Eine Lagevermessung nach dem Fall des Kommunismus], Budapest 2011.
wurden die Versuche meiner Generation entwertet, Lukács gegen den Strich 5  http://www.derstandard.at/1358305219245/Kunstakademie-protestiert-gegen-nationalistischen
zu lesen und zu betonen, dass Lukács eigentlich immer in der Opposition war, -Chef; siehe auch den Themenschwerpunkt zum Rechtsruck in der ungarischen Politik in der
deutschen Wochenzeitung Jungle World, Ausgabe Nr. 12/13 vom 21.03.2013, mit Beiträgen von
dass er nie der offizielle Philosoph des Kommunismus gewesen war. Für mich Magdalena Marsovszky, Karl Pfeifer, Ivo Bozic, Danièle Weber, im Internet abrufbar unter:
http://www.jungle-world.com/artikel/2013/12/.

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AH  Was in der Kunstakademie passiert ist, hat mit der Kunst in Ungarn man zwar auch Kulturpolitik nennen, aber das setzt keine Fachkenntnisse über
nichts zu tun. Es gibt nach wie vor gute Kunst in Ungarn. Die Regierung hin- Kunst und Kultur voraus.
gegen hat keine Ahnung von Kultur, auch ihr Kulturkampf handelt nicht wirklich
von Kultur. Die Regierungsvertreter sind radikale Nationalisten, die nur ein RS  Sind das nur Pläne oder ist dieses neue Schulsystem schon umgesetzt?
Ziel haben: Alle Machtpositionen sollen von Menschen besetzt werden, die
hundertprozentig die Regierungsposition vertreten, also JOBBIK oder FIDESZ. AH  Im September wird man dieses Schulsystem einführen, gesetzlich ist es
Das ist die Kulturpolitik. Die RegierungsvertreterInnen haben überhaupt keine bereits verabschiedet. Wobei das mit den Gesetzen in Ungarn eine interes-
Ahnung von Kultur, sondern nur von Machtpolitik. Es geht also um Machtpo- sante Sache ist. Immer wenn ein neues Gesetz verfassungswidrig ist, wird die
litik und nicht um Kunst oder Kulturpolitik. Verfassung geändert. So einfach ist das in Ungarn.

JW  Ich bin einverstanden. Das einzige Ziel der Regierung ist das Konser- JW  Es geht in dieser Schulpolitik darum, die Menschen so zu erziehen, dass
vieren der Macht, solange man die Wahlen nicht abschaffen kann. Dafür sie richtig wählen – die Partei, die jetzt an der Macht ist. Langfristig oder mittel-
benutzen sie den Nationalismus auf sehr populistische Weise. Ziemlich lange fristig geht es um einen Elitewechsel. Denn die ungarische Elite ist ziemlich
waren Kunst und Kultur davon kaum berührt. Natürlich gab es diese restrik- deutlich linksliberal eingestellt. Deshalb ist „liberal“ in Ungarn das größte
tiven Mediengesetzte, aber die Kultur und die Universitäten waren noch nicht Schimpfwort geworden. Für Orbán sind alle Intellektuellen Heimatverräter.
an der Reihe. Dass die Regierung nun versucht, in die Kultur einzugreifen, ist
neu. Man sieht jetzt, dass die Regierung die Kompetenz hat, Gelder umzuver- RS  Wie sind vor diesem Hintergrund die derzeitigen Proteste der Studierenden
teilen, aber wir wissen noch nicht, was das für Bildung, Kultur und Kunst in Ungarn zu verstehen?
genau bedeuten wird.
JW  Die Studierenden haben in Budapest, aber auch in Pécs die Universität
AH  Orbáns Regierung hat keine Ahnung, welche Künstler und Künstlerinnen besetzt. Und schon wenige Tage später gab es etwas, was man in Ungarn
wichtig sind und welche man sozusagen kaufen müsste. Orbáns Liebling ist „Freie Universität“ nennt, mit Referaten, an denen viele ProfessorInnen und
der Fußball. Die Mitglieder seiner Regierung kennen sich mit Fußball aus, aber DozentInnen teilgenommen haben. Einige Tage später hat auch Ágnes die
sie haben keine Ahnung von Universitäten. Nur aufgrund dieser totalen Unwis- demonstrierenden StudentInnen an der Universität Budapest besucht.
senheit konnte Orbán mit der Idee kommen, die Studierenden sollten die
Universitäten in Zukunft selbst finanzieren. Gott im Himmel! Es gibt keine AH  Ja, mich haben die Studierenden gefragt, was die jungen Leute 1956 in
einzige Universität auf der Welt, die sich vollkommen selbst finanziert. Auch in Ungarn machten, wie 1968 in Frankreich war, wie sich die Studentenbewegung
den USA nicht. Wer so etwas fordert, hat keine Ahnung, worum es in der organisierte. Im Unterschied zu 1968, wo Gewerkschaften die Studierenden
Universität geht. In der Mittelschule will Orbán nun ein Fach mit Ethik und unterstützten, sind die Studierenden in Ungarn vorläufig isoliert. Sie sind da, sie
Religion einführen. Ich halte Religionsunterricht in der Schule für sehr gefährlich, wollen Freiheit, aber niemand, wirklich niemand von außerhalb unterstützt sie.
wenngleich ich nichts gegen Religionsunterricht habe. Aber er soll nicht in den
Schulen, sondern in den Kirchen stattfinden – wie in Amerika die Sonntagsschule JW  Den derzeitigen Protesten der Studierenden geht es um zwei Dinge.
oder für jüdische StudentInnen die Hebrew School. Alles andere unterläuft die Einerseits kämpfen sie dagegen, dass die Autonomie der Universitäten extrem
Säkularisierung der Moderne. Dem Ethik- und Religionsunterricht, den die zurückgeschraubt werden soll; zunächst einmal nur finanziell, aber das kann
Orbán-Regierung nun einführen will, geht es nicht um Fragen der Ethik, sondern gewaltige Folgen haben. Der Regierungsplan ist, dass für jede Universität ein
um Vorschriften; wie sich brave Mädchen benehmen sollen, wobei im Beson- Kanzler von der Regierung ernannt wird, der die Finanzen beaufsichtigen soll.
deren konservative Sexualvorstellungen und der Wert der Familie wichtig sind. Es gibt schon jetzt dramatische Kürzungen. Was die Studierenden in den
Das ist erschreckend. Auch dass der Schulunterricht nun zentralisiert wird und letzten Wochen gemacht haben, ist das Größte, was als Reaktion auf den
die Lehrinhalte von oben vorgegeben werden. Das ist ein sehr preußisch, ja Amoklauf der Regierung Orbáns bislang geschehen ist. Niemand hat mit dieser
militärisch organisiertes Schulsystem, ein wirklich tödliches System. Das kann Form von Basisdemokratie gerechnet, mit diesen Grundsatzdiskussionen

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darüber, was Universitäten sind, was Bildung ist, wohin es mit Ungarn gehen
soll. Da sind seit Mitte Dezember unglaubliche Lernprozesse in Sachen
“WE HAD THE ILLUSION THAT
Basisdemokratie in Gang gekommen. Die Politik war total sprachlos. Es gab THE WORLD COULD BECOME
auch handfeste Erfolge. Schon früher ist es den Akademikern gelungen, den
ungarischen Staatspräsidenten zu stürzen, und zwar wegen Plagiats. Man LESS DANGEROUS”
musste die Doktorarbeit dieses Mannes nicht lang überprüfen, denn alle
wussten, dass ein so dummer Mensch unmöglich eine Doktorarbeit geschrieben Ruth Sonderegger in conversation with Ágnes Heller and János Weiss on
haben kann. Er konnte nicht einmal korrekte Sätze formulieren. Während der ideology, art, and the situation in Hungary after 1989
Staatspräsident im Ausland war, hat ein sehr mutiger Rektor einer medizini-
schen Universität dem Präsidenten den Doktortitel aberkannt. Er musste als Ruth Sonderegger
Universitätspräsident abtreten, weil er total unter Beschuss geriet. Nach den
Protesten heute musste die Staatssekretärin für Hochschulangelegenheiten
dieses Ressort abgeben. Das zweite Ziel der Studierenden war, gegen die
sogenannte Leibeigenschaft zu protestieren. So nennen sie die neue Verordnung, RUTH SONDEREGGER  In autumn 2012, together with colleagues from the
wonach diejenigen, die in Ungarn mit staatlicher Unterstützung ein Studium Academy of Fine Arts Vienna and Kunsthaus Bregenz, I organized a conference
beginnen, einen Vertrag unterschreiben müssen, in dem sie sich verpflichten, centered on the question of ideology in art and culture after 1989. Our hypothesis
nach dem Studium in Ungarn zu arbeiten. Der Grund dafür ist, dass im was that the so-called end of ideology, often proclaimed in 1989, became a
Moment sehr viele junge Leute das Land verlassen. Nachdem die Studierenden spectral hiding place for the development of new ideologies, which should
diese Verordnung als „Leibeigenschaft“ skandalisiert hatten, besteht der neue therefore be readdressed more vigorously. Against this backdrop, I would like
Plan der Regierung darin, die neue Verordnung in die Verfassung aufzunehmen. to begin by asking you the following: are you—almost twenty-five years after
the so-called fall of the Berlin Wall—able to relate to, or even share, the above-
AH  Das ist genau das, was ich vorhin gemeint habe. In Ungarn werden sketched hypothesis of a renewed imperative of addressing oneself to ideology
verfassungswidrige Gesetze gemacht, die dann als Grund genommen werden, critique? Or is the concept of ideology too heavily loaded to work with
die Verfassung zu ändern. Wir haben eine „wunderbare“ Verfassung! productively today? What conceptual alternatives might be available through
which we could reflect on undeniably existent structures of condensed and
solidified domination?

ÁGNES HELLER  To reflect on something also means to redefine something,


to understand it in a new way.
My position is that I acknowledge a renewed, radicalized version of Marxist
ideology. Simplifying Marx, I would say that his understanding of ideology
holds that a certain group or class portrays its own interests as universal human
truths, thereby obscuring other interests. This understanding of ideology
presupposes that one can think ideology as a false consciousness. In my
opinion, however, one should not speak of false consciousness, as this would
presuppose that a true consciousness exists and that we know what this true
consciousness is. If one understands ideology as false consciousness, then
one is, if anything, fetishizing the consciousness—similar to how Adorno did.
Nevertheless, today one must talk about ideology, specifically because
of fundamentalist movements and totalitarian regimes. At issue here is a
comprehensive conception—a tightly wrapped package, as it were—of concepts,

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“WE HAD THE ILLUSION THAT THE WORLD COULD BECOME LESS DANGEROUS”

judgments, opinions, and practices that function like a compass. an ideology. Art as such, however, is no ideology. Marx didn’t say this either.
A compass that shows what the good, what the true is, who belongs to the Marx speaks of false, ideological forms of consciousness, but he doesn’t say
good and who doesn’t, who an enemy is. Wherever actions are carried out that art is always a form of false consciousness.
along the lines of “us or the others,” wherever a false consciousness is ascribed
to the other, is where ideology production takes place. You cannot link ideology JW  But he did, he did. I have evidence!
to single concepts alone. There is a wide range of varying conceptual systems
that one can utilize as ideologies. But they do not become ideological until Both laugh.
one uses them in the specific mode that I described as a compass. Then one
is dealing with a fundamentalist movement or a totalitarian system, and ideology AH  You’re right, of course, about it being a problem when Marx says that
critique becomes very important. Whether these movements are based on social circumstances determined forms of consciousness, the superstructure.
nationalism, on racism, or on religion—this is less important. All fundamenta- According to this thesis, art is part of the superstructure. If you’re criticizing
lists need ideologies with which they mobilize the masses. People love to know this thesis, then you’re completely right, of course. But think also of how
what is absolutely true, and they like belonging to the truth. Ideology helps positively Marx speaks of Greek art in the Grundrisse1, for example! The idea
people have an absolutely true, protected identity. In other words, ideology that economy conditions politics as politics do art is a very problematic view.
is also identity-producing. And because of the attractiveness that ideologies Then you’re no longer speaking about ideologies but rather about causality.
hold, I believe that ideology critique is very important. This is altogether wrong. A condition is not a cause. Nobody will deny that
artforms as well as philosophy have societal conditions. But one should not
JÁNOS WEISS  I initially thought that my answer would be quite similar to call this ideology. Of course Aristotle couldn’t think like Descartes; they were
Ágnes’s, but instead I want to go in a different direction. When you look at part of completely different societal circumstances.
very early Marx, you find an ideology concept that I don’t consider successful.
In the early phase, he had the notion of ideology as something that takes wing RS  Since we all obviously have a problem with the causal model of ideology,
from an original context, from a foundation. In other words, there is something I’ll propose another description. Could one understand as ideological those
that Marx views as fundamental, and the very young Marx thought this something circumstances which one cannot change, or which one can only change with
to be social circumstances; economy plays only a small and somewhat difficulty, even though they are man-made? Circumstances, therefore, under
ambivalent role in this. Here, ideology is everything that is secondary to this which practices of domination intensify?
original context, everything that is in addition to it, so to speak—actually, all
cultural spheres in which longings for that which the people lack in their social JW  Yes, that seems to me a favorable transformation of the concept,
circumstances are negotiated. With ideology critique, the young Marx referred although I still have a problem with bringing such circumstances of domination
above all to this sphere of longing, coming from the assumption that people together with the young Marx’s concept of ideology. On the other hand, Marx
needed to change only the primary, original domain of social circumstances in himself later changed his concept of critique and then also criticized social
order that ideologies—and cultural spheres—would disappear. I find this circumstances, ergo circumstances of the so-called substructure. In Capital
concept of ideology and ideology critique very problematic. One would have he not only analyzes economic circumstances but in fact criticizes them.
to try and find a favorable transformation of Marx’s ideology-critical objective.
I would find such a program plausible, not least because later on Marx himself AH  But this still doesn’t solve every problem. The first problem is that the
also had a more complex understanding of the concept of ideology. Marxist term for the criticized social circumstances of domination was
“alienation” and not “ideology.” What Ruth described, that we humans do
AH  I think I’d like to defend Marx. He didn’t talk about art as ideology. That things that go on to live an independent life—a life that can produce power
was the later Marxists. I cannot concur with the thesis that art, or literature that then oppresses us as a quasi-autonomous power—, is paradigmatic of
and the arts, are ideologies. Another thing is the question of how art can be Marxist alienation. I would rather describe these phenomena with Foucault.
influenced through ideologies. There was surely an art of Nazism; there was
an art of Stalinism. They could be quite beautiful, but they ultimately embodied 1  Karl Marx and Friedrich Engels, Grundrisse. Foundations of the Critique of Political Economy,
trans. by Martin Nicolaus, New York, 1993.

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“WE HAD THE ILLUSION THAT THE WORLD COULD BECOME LESS DANGEROUS”

With Foucault, one can describe society as a field, as a territory where we see concentrations of domination. Then whether or not and how one can change
the existence of many powers and power relations in which the widest variety such circumstances of domination becomes a sociological and political question.
of forms of activity and the widest range of groups participate. With Foucault,
one can and indeed must pose the question where is the largest power found? AH  You can’t change totalitarianism. You have to overthrow it. There are
Where are powers concentrated? Where are they de-concentrated? The fact various societal powers that one cannot change. But this also means that
that what we produce no longer belongs to us, that it can lead an independent there are many powers that one can definitely change—both politically in the
life, is part of the conditio humana. I don’t believe that we can change this. sense of existing political institutions and in the realm of civil society. This
At most, we can change the fact that the results of our actions dominate us. is really quite important to Foucault, that not all powers are concentrated in
You talked about Marx’s Capital, János. My problem with Marx’s Capital is political institutions. Rather, there are also societal powers.
that it is based on the problematic theory of use value, according to which
only human labor creates value, and nature as nature has no value whatsoever.2 RS  Precisely! And that’s why I also believe that this differentiation between
That is, a tree in the jungle has no value, except if we fell the tree, because power and domination is so crucial in Foucault’s later work, where structures
then human labor comes into play. As an economic conception, this is of domination are such that one must—to remain with Ágnes’s terminology
altogether wrong. But Marx’s concepts of alienation and ideology speak to us —overthrow them, while power relations can be changed.
nonetheless. They still tell us something.
AH  Yes, but the differentiation between power and control was originated by
JW  Now I’ve finally found a sentence of Marx’s showing that he identifies Weber. The recognition of authorities is always part of control, and this
ideology with phenomena of consciousness. At the beginning of A Contribution problem is where I derive my understanding of ideology as compass, as a
to the Critique of Political Economy he writes: “In studying such transformations compass that helps people rationalize a totalitarian system as something that
it is always necessary to distinguish between the material transformation of has authority, an authority to which one must subordinate oneself. In other
the economic conditions of production, which can be determined with the words, ideology helps totalitarian systems conceive of themselves as authority
precision of natural science, and the legal, political, religious, artistic or philosophic and be acknowledged as authority.
—in short, ideological forms in which men become conscious of this conflict and
fight it out.” 3 Passages like this lead me to think that ideology—at least in early Marx— RS  Perhaps I may return to an aspect of my initial question, to the question
is in some measure a summary of all these phenomena of consciousness. Also, the of whether 1989 is an important date for you when reflecting on present-day
theory of alienation, as formulated by both of you, is something I find problematic concentrations of power. Many people say that 1989 saw the manifestation of
in an additional way. Even though I know you don’t mean it this way, the theory the end of ideologies and therewith perhaps also the end of totalitarian
of alienation is strongly linked to a certain anthropologism, to the notion that concentrations of domination. Others, by contrast, see precisely therein the
there exists something like a constant and true, hence non-alienated, human lie, the ideological constitution of 1989.
life; this resonates with many romantic notions of (individual) self-realization. By
anthropologism, I mean that everything is understood as a problem of the JW  1989 was probably the biggest event in my life. But just now Ágnes most
human, and that nonhuman or extra-human dictates play no role. I would rather likely wanted to say that 1989 was an illusion, right?
think societal domination more sociologically, or, in other words, in such a way
that ideologies do not become misunderstood anthropologically. AH  Yes, I mean that in the context of the changes that occurred in 1989 or
1990, there was the illusion that democracy would now reign across the entire
RS  I think that Foucault’s theory of power could be of service to us here in world, that totalitarian leaderships are going to disappear and the whole world
order to think ideologies not as anthropological, but rather as systemic is going to consist of republics, of democratic countries. That was an illusion.
1989 was a huge event in our lives. After all, we were liberated from a totalitarian
regime, and when I say “we” I mean the Eastern Europeans. The illusion was
2  Cf. György Bence, János Kis, and György Márkus, Hogyan lehetséges kritikai gazdaságtan? the belief that our liberation was already identical to freedom. This was a
[How is a critical economic science possible?], Budapest, 1992 [written 1970–1972], Chs. 1–2.
3  Karl Marx, “A Contribution to the Critique of Political Economy,” two-fold illusion. I think Hannah Arendt was right: liberation is not freedom.
http://www.marxists.org/archive/marx/works/1859/critique-pol-economy/preface.htm#006.

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Liberation is the first step, the step before the institutionalization of freedoms. attempts at the end of the sixties and then once again starting in 1983. There
And if the freedoms are not institutionalized so that they remain, so that people were quite radical people involved in this, too. Since Hungary was a sloppy
acknowledge these institutions as free institutions, then the liberation remains totalitarian system, certain things could happen in the niches.
only a liberation without the institutionalization of freedoms. That was the problem
in Eastern Europe, in Hungary too. Not only in that sense—that there were AH  Discussions on economy were possible, but you could never discuss
no institutions—but these institutions lacked the spirit of freedom. Institutions need political topics—like in China today.
the spirit of freedom too; they can’t function without it. And as far as the world
as a whole is concerned, after ’89 new dictatorships, new totalitarian regimes JW  Right, you could discuss three questions: the single-party system, the
came, and new fundamentalisms were born. The world became very dangerous Soviet occupation, and the 1956 revolution.
once again. We were, of course, able to say that the world had always been a
dangerous place (and is a very dangerous place at the moment), but in 1989 we RS  I’m going to make another jump here. While preparing the symposium on
had the illusion that the world could become less dangerous. ideology critique in art since 1989, we also asked ourselves what role Georg
Lukács plays in Hungary today. Because Lukács was vital for the development
JW  Back to your question about what got broken there and what the liberation of an ideology critique that can also take place within phenomena of art. Do
actually meant. It was liberation from a totalitarian ideology in a comprehensive intellectuals today refer to Lukács? Is he forgotten? Has he been forgotten on
sense. Ideologies that enslaved the entire society didn’t exist anymore purpose? What’s the role of the Lukács Archive?
in Eastern Europe. If they were revolutions at all, then the East-European
revolutions of 1989 proceeded in such a way that they got stuck during AH  In essence, Lukács is dismissed these days as an old communist whose
liberation from an occupation and liberation from the ideology of the ruling theory is unimportant. The Lukács Archive is public and is visited by people
party. The social question, for example, was never posed in the slightest. from all over the world. But the former scholars of the Lukács Archive aren’t
able and aren’t allowed to research there any more. They were forcibly
AH  Another problem existed in Eastern Europe, although one cannot transferred to the Hungarian Academy of Sciences. Today in America, Lukács
measure all countries by the same yardstick. The people did not feel that they is very famous. Soul and Form has been published for the second or third
were the subjects of the liberation. People can endure poverty when they time. Of course it itsn’t his communist books that are famous, but the books
know that they are the ones who liberated themselves. In Hungary, the people of the young Lukács, also History and Class Consciousness, which is a
were quite proud that everything happened so easily and peacefully, that the communistic and also, deservedly, very famous philosophical book. Students
ruling party and the opposition sat down together at one table. But it all took in America, England, France, Germany, and Austria study this book. I was in
place over and above the heads of the population. The people were hardly Vienna on December 11, 2012, for a lecture during the centennial of the
even given the chance to be involved in the liberation. They were not able to publishing of the first German edition of Soul and Form. Not a word was said
say, “We made it happen. Admittedly, not everything is going the way we about it in Hungary. There weren’t any events.
want, but we wanted it.” Of course the people couldn’t bear the secret police One can, of course, say a lot about Lukács’ life. He had two functions: he was
and wanted to get rid of it, but they weren’t given any involvement in the a truly great thinker, and on the other hand, a leader who wanted to sell
process of doing so. In this regard, they were passive. This is understandable, communism as a theoretical possibility for Hungary. For instance, he wrote a
because everything came so suddenly. There was no preparation, none book about Lenin that reminds me a lot of Heidegger’s promotion of National
whatsoever. First came Gorbachev, who overturned everything; then the wall Socialism. Heidegger’s hero was Hitler, Lukács’ hero, a Lenin who was,
fell. Democratic learning processes weren’t possible. And this is what gave however, in no way similar to the real Lenin. At the beginning of the twentieth
rise to the political mistakes. century many intellectuals were disappointed in bourgeois culture and therefore
developed a belief in the leader-figure, the belief in Stalin and the belief in
JW  But there actually was a process that at least indirectly prepared the Hitler, the belief that we need a leader who would guide us away from the
changes. In Hungary there was a long discussion about how market elements disappointments of the bourgeois world. The specific problem with Lukács is
could be integrated into the economic system. To this effect, there were that he remained loyal to communism while knowing the terrors to which the

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Stalinist and Post-Stalinist regimes led. Even after millions of people were killed JW  One should also know that aesthetics has been separate from philosophy
in the name of communism, he still described himself as a communist. On the for one hundred years now in Hungary, even in the universities.
other side, he played an important role in the Hungarian Revolution of 1956.
This was downright schizophrenic. On the one side, he called himself a AH  Regarding Lukács and his schizophrenic position, I would like to add that
communist; on the other side, he was against everything that characterized he was the most honorable person I have ever met in my life. In interrogations,
communism. Lukács was my personal mentor, and I liked him very much. He never once did he betray the people who had played dirty tricks on him and who
was essential to my development as a philosopher. In his seminars on Kant’s didn’t have any problem with putting him in danger, life and limb, like László
Critique of Judgment or Hegel’s Aesthetics, communism wasn’t mentioned once. Rudas. In prison, when attempts were made to blackmail him (because it was
known that Rudas had written an essay against Lukács), Lukács didn’t say a
JW  I was never able to encounter Lukács because I was only thirteen years word against Rudas, even though he hated him. Lukács was utterly and impossibly
old when he died. But when I studied economics I began to develop an interest honorable.
in Lukács. During communist times, when Lukács was still part of the educational
curriculum, his self-criticism of his early phase was the only accepted position. RS  In conclusion, perhaps we can approach the present state of affairs in
As is well known, in 1971, the year of his death, Lukács wrote a terrible foreword Hungary, especially the current politics surrounding art and culture. In addition
to his History and Class Consciousness, while the young Lukács students, to the tightening of media laws, the Hungarian Academy of Arts, which is highly
such as Ágnes, were only researching the early works—despite the fact that valorized (and funded) by the government, and its director, György Fekete,
because of Lukács’ self-criticism only one single edition of History and Class have been the objects of critical comments made recently here in Austria.5
Consciousness existed for a long time, namely, in an anthology. Soul and How do you assess the current role of art and culture in Hungary?
Form too was only available in an anthology with Lukács’ early works. But then Is the conspicuously waged culture war only a secondary theater, or is it the
when the turning point came and communism fell, the early Lukács was carried center of an ideology?
off by the late Lukács; Lukács as a whole appeared to be a party communist
and thereby became worthless. In this situation, the efforts of my generation, AH  What happened in the Academy of Arts has nothing to do with art in
efforts to read Lukács against the grain and emphasize that he was actually Hungary. There is still good art in Hungary. The government, however, hasn’t
always part of the opposition and that he had never been the official philosopher the slightest clue about culture; their culture war isn’t really about culture
of communism, were invalidated. It was important to me that Lukács was either. The government officials are radical nationalists with only one goal; all
very radical with regard to economic reforms, always wanting more than the power positions should be held by those who represent the government’s
communists were ready to give. I thus slowly learned that you can read Lukács position one hundred percent, which means JOBBIK and FIDESZ. This is the
against the grain and that you can find thoroughly critical ideas with respect to cultural policy. The government officials are completely out of their depth
communism in his writings. This is why I wrote a book two years ago in an where culture is concerned, but not where power politics are concerned.
effort to present the critical Lukács.4 And Ágnes was probably my only reader. So it’s about power politics, not art or cultural policy.

RS  Why isn’t a book like this discussed in Hungary? JW  I agree. The government’s only goal is conserving power so long as they
aren’t able to abolish elections. To this end, they employ a very populistic
AH  Traditionally, Hungarians are not very interested in philosophy. They mode of nationalism. Art and culture were untouched by this for a pretty long
haven’t cultivated a feeling for philosophy. Things are better for literature and time. There were, of course, these restrictive media laws, but culture and the
aesthetics. My books are discussed in Spain, in Italy, in Germany, or in America, universities were never subjected to all of this. That the government is now
but hardly ever in Hungary. trying to intervene in culture is new. We now see that the government is

5  http://www.derstandard.at/1358305219245/Kunstakademie-protestiert-gegen-nationalist-
ischen-Chef; see also the main topic, “the swing to the right in Hungarian politics,” in the German
weekly newspaper Jungle World, issue 12/13 from 21-03-2013, with articles by Magdalena
4  Cf. János Weiss, Lukács öröksége. Helyzetfelmérés a kommunizmus bukása után [The Legacy Marsovszky, Karl Pfeifer, Ivo Bozic, and Danièle Weber, available on the Internet under: http://
of Lukács. The Situation After the Fall of Communism], Budapest, 2011. www.jungle-world.com/artikel/2013/12/.

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competent in redistributing funds, but we don’t know exactly what this will mean JW  The students have occupied the university in Budapest, but also in Pécs.
for education, culture, and art. And only a few days after, something that in Hungary is being called a “free
university” came to exist, with departments in which a large number of
AH  Orbán’s government doesn’t have a clue about which artists are important professors and lecturers participated. Some days after that, Ágnes also visited
and which ones they would have to buy, so to speak. Orbán’s favorite is the demonstrating students at the University of Budapest.
football. The members of his government are well-versed in football, but they’re
clueless where universities are concerned. Only because of this total lack of AH  Yes, the students asked me what the young people in Hungary did in
knowledge could Orbán come up with the idea of students having to finance 1956, what 1968 was like in France, how the student movement organized
the universities themselves in the future. God in heaven! There’s not a single itself. In contrast to 1968, where unions supported the students, the students
university in the world that finances itself completely. Not even in the USA. in Hungary are isolated for the moment. They’re there, they want freedom, but
Whoever makes such a demand has no clue about what goes on in universities. nobody, really nobody from the outside supports them.
Orbán now wants to establish ethics and religion as a middle-school subject.
I consider religious education in schools very dangerous, although I don’t have JW  Two things are at stake in the current student protests. On the one hand,
anything against religious education. But it should happen in churches rather they’re fighting against the extreme trimming back of the universities’ autonomy,
than in schools—like Sunday school in America, or Hebrew school for Jewish at first only financially, but this can have enormous effects. The government
students. Anything else would undermine modern secularization. The ethical plans to designate for every university a chancellor who will oversee finances.
and religious education that the Orbán government wants to establish now There are already dramatic cutbacks. What the students have done in the last
isn’t about questions of ethics; it’s about regulations—how good girls should weeks is the biggest reaction til now against the Orbán government’s rampage.
behave—wherein conservative ideas of sexuality and family values in particular Nobody expected this form of grassroots democracy, this fundamental
are given importance. This is frightening, as is the fact that school education is discussion about what universities are, what education is, and in what direction
now being centralized and curriculums are being predetermined from above. Hungary should be moving. Since the middle of December, incredible learning
This is a very Prussian, indeed militarily organized educational system, a really processes in grassroots democracy have been set in motion. The politicians
deadly system. One can in fact call this cultural policy, too, but it doesn’t were totally speechless. There have also been tangible successes. Once, it
presuppose any expertise in art and culture. was possible for academics to overthrow a former Hungarian president,
namely, because of plagiarism. They didn’t have to review this man’s doctoral
RS  Are these just plans, or has this new educational system already been thesis for very long, because everyone knew that a man that dumb would have
implemented? never been able to write a doctoral thesis. He couldn’t even formulate sentences
correctly. While the president was out of the country, a very courageous
AH  In September this system will be introduced; the laws have already been chancellor at a medical university revoked the president’s doctorate. He was
passed. And the thing with laws in Hungary brings up an interesting point: forced to step down as university president because he came under such heavy
whenever a new law is deemed unconstitutional, the constitution is amended. fire. After the current protests, the secretary of college affairs had to give up
It’s that easy in Hungary. her office. The students’ second goal was to protest against the so-called
peonage. This is the name they give to a new ordinance stating that everyone
JW  The logic behind this school policy is to educate people to vote the right who begins their education in Hungary and uses financial aid from the state
way—to vote for the party currently in power. In the long run, or in the midterm, must sign a contract in which they promise to work in Hungary after they complete
it’s about bringing about a shift in the elite. Because the Hungarian elite is quite their studies. The reason for this is that many young people are leaving the country
distinctly leftist and liberal-minded. This is why “liberal” has become the worst at present. After the students scandalized this ordinance by naming it “peonage,”
curse word in Hungary. To Orbán, all intellectuals are traitors to their homeland. the government’s new plan came to include the addition of the new ordinance
to the constitution.
RS  Against this background, how are the current student protests in Hungary
to be understood?

312 313
IDEOLOGIE UND KULTURINDUSTRIE

AH  This is exactly what I meant a moment ago. In Hungary, unconstitutional


laws are made, and then they are considered as grounds for amending the  
constitution. We have a “miraculous” constitution! Für Theodor W. Adorno und Max Horkheimer bezeichnete der Titel des
Kapitels „Kulturindustrie. Aufklärung als Massenbetrug“ ihrer 1947 er-
schienenen Dialektik der Aufklärung eine Machtformel des fortgeschrit-
tenen Kapitalismus, ein Kalkül zur Rekonfiguration der Kultur zum Zweck
der maximalen Wertschöpfung und der Produktion eines konformisti-
schen Konsumentensubjekts.¹ Ein entscheidendes Element dieser Formel
war die Abschaffung eines inkommensurablen Außen einer kulturindus-
triell verwalteten Wertsphäre. Indem sie alles filtert und durchdringt, ver-
sammelt die Kulturindustrie sämtliche kulturellen Praktiken und Produkte
auf ein und derselben Ebene der Verrechenbarkeit. Jede Kunst, so volks-
tümlich und grobschlächtig sie auch (gewesen) sein mag, wird auf „die Höhe
der Zeit“ gehoben, zur Unkenntlichkeit kultiviert – auf dass sich keine
„Negativität der Kultur“ mehr artikuliere. Die Zwangsheirat von Kunst und
Zerstreuung garantiert die „Totalität der Kulturindustrie“ im Zeichen des
Immergleichen, unter dem die Subjekte in einer standardisierten Produktion
von Persönlichkeitsschablonen allenfalls „Pseudoindividualität“ erreichen.
Geprägt durch die Erfahrung des europäischen Faschismus und der
Massen-kultur von Tonfilm, Radio und Broadway im amerikanischen Exil,
galt Adorno und Horkheimer der Begriff der Kulturindustrie als Chiffre für
die rückhaltlose Quantifizierung von Subjektivität. Ihre Theorie erlaubte
es, in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg die „Eindimensiona-
lität“ der kapitalistischen Gesellschaft und deren „Verblendungszusam-
menhang“ mit den Mitteln der Soziologie und der negativen Dialektik zu
kritisieren. Sie ist aber auch wiederholt auf Widerspruch gestoßen. Ihr
Bild von der „Totalität“ der Kulturindustrie ließ wenig Raum für differenz-
theoretische Überlegungen, für die Denkmöglichkeit eines Widerstands
in der (und durch die) Popkultur, für die Heterogenität der kommerziellen
Kultur im globalen Maßstab oder für die Kämpfe gesellschaftlicher Minder-
heiten im Raum der Medienkultur.
Dabei zeichneten Adorno und Horkheimer, was gern übersehen wird, ein
durchaus nuanciertes Bild der Aktivierung und Passivierung der Konsu-
mentInnen in der Kulturindustrie, in der – wie es Adorno 1962 in einem
kurzen „Résumé über Kulturindustrie“ erkannte – sogar der Verkauf der Kultur-
waren letztlich weniger zählte als „die Herstellung eines good will schlechthin“,
d. h. die Einwilligung in die „Ideologie“.² Ein solcher „good will“ ist den
wahlweise interaktiven oder interpassiven Usern des gegenwärtigen
Biokapitalismus, deren Leben immer unausweichlicher den Verwertungs-
prozessen einer finanzialisierten Ökonomie unterworfen sind, nicht abzu-

315
IDEOLOGY AND THE CULTURE INDUSTRY

   
sprechen. Sie produzieren Kultur, indem sie Kultur kommentieren, For Theodor W. Adorno and Max Horkheimer, the title of the chapter “The
downloaden, verlinken, mit Google recherchieren, bei Amazon einkaufen, Culture Industry: Enlightenment as Mass Deception” from their book
auf Facebook eine Statusmeldung posten oder einen Tweet über den Kon- Dialectic of Enlightenment, first published in 1947, designates one of the
zertbesuch verschicken. Die Totalität der „dritten Kulturindustrie“ formulas for power in advanced capitalism, a calculus to reconfigure
(Diedrich Diederichsen) schafft Wert in jedem Moment: in der Echtzeit culture so as to maximize value extraction and to produce a conformist
einer globalen Netzwerk-Allgegenwärtigkeit. Nach Auswegen wird gesucht.³ consumer subject.¹ One significant component of this formula was to abolish
any outside that would be incommensurable to the sphere of value
Tom Holert organized by the culture industry. By filtering and penetrating everything,
the culture industry gathers the entirety of cultural practices and products
on one and the same plane of calculability. Every art, no matter how folksy
or unsophisticated it may be (or have been), is “brought fully up to date,”
cultivated into unrecognizability—on which a “negativity of the culture” can
no longer be articulated. The arranged marriage of art and entertainment
guarantees the “totality of the culture industry” under the sign of unending
sameness, where the most that subjects can achieve is a “pseudoindi-
viduality” within a standardized production of personality patterns.
1 Max Horkheimer und Theodor W. Adorno, Dialektik der Aufklärung. Marked by the experience of European fascism and the mass culture of
Philosophische Fragmente (1944), Frankfurt a. M. 1986. sound film, radio, and Broadway in American exile, Adorno and Horkheimer
2 Theodor W. Adorno, „Résumé über Kulturindustrie“, in: ders., Ohne considered the term culture industry to be code for the wholehearted
Leitbild. Parva Aesthetica, Frankfurt a. M. 1967, S. 60 –70.
quantifying of subjectivity. In the decades after the Second World War,
3 Diedrich Diederichsen, „On All Channels: Media, Technology, and the
Culture Industry“, in: Artforum, Bd. 51, Nr. 1, September 2012, their theories allowed the “one dimensionality” of capitalist society and
S. 446 – 453. its “social context which induces blindness” to be critiqued by means of
sociology and the negative dialectic. But it also repeatedly came up
against contradictions. Their image of the “totality” of the culture industry
left little room for reflections guided by a theory of difference, for the
possibilities of imagining resistance in (and through) pop culture, for the
heterogeneity of commercial culture on a global scale, or for the struggles
of social minorities in the space of media culture.
All too readily ignored, Adorno and Horkheimer do chart out a thoroughly
nuanced image of the activation and passivation of consumers in the
culture industry. As Adorno recognized in a brief text from 1962, “Culture
Industry Reconsidered,” even the sales of cultural commodities ultimately
count for less than “the manufacturing of ‘goodwill’ per se,” that is, the
acquiescence to “ideology.”² Such a “goodwill” cannot be denied to
alternately interactive or inter-passive users in contemporary bio-capitalism,
whose lives are subjected to the ever more unavoidable evaluative
processes of a financialized economy. They produce culture by commenting

316 317

DER KULTURKAMPF
on culture, by downloading, linking, running a Google search, shopping IN DEN NIEDERLANDEN.
on Amazon, posting a status report on Facebook, or tweeting about a
concert that they are at. The totality of the “third stage of the culture ÜBER EINE POLITIK DER
industry” ( Diedrich Diederichsen) creates value at each moment: in the
real time of the ubiquity of a global network. Ways out are being sought.³ ENTKERNUNG VON KULTUR
Merijn Oudenampsen
Tom Holert

Einleitung

„Niemand ist sicher.“ Mit diesen Worten kündigte Halbe Zijlstra, Minister für
Bildung, Kultur und Wissenschaft, die drastischen Einschnitte im Kulturhaushalt
1 Max Horkheimer and Theodor W. Adorno, Dialectic of Enlightenment: in den landesweiten niederländischen Nachrichten im Dezember 2010 an.
Philosophical Fragments (1944). There are two English translations,
Werden Kürzungen im Allgemeinen zumindest von geheucheltem Widerwillen
the first by John Cumming (London, 1997) and the second by Edmund
Jephcott (Stanford, 2002), based on the definitive text from Horkheimer’s oder Bedauern begleitet, so wurde hier die Botschaft mit einem sardonischen
collected works. Citations in this text are taken from the latter. Lächeln vorgetragen. Halbe Zijlstra stellt seine Geringschätzung gegenüber
2 Theodor W. Adorno, “Culture Industry Reconsidered,” trans. by der Kultur gern öffentlich zur Schau. Er hat sich abschätzig über Künstler ge-
Anson G. Rabinbach, in: New German Critique, 6, Fall 1975, pp. 12–19.
äußert, die am „Subventionstropf“ hängen, und sich stolz als Fan von Dan
3 Diedrich Diederichsen, “On All Channels: Media, Technology, and
the Culture Industry,” in: Artforum, Vol. 51, No. 1, September 2012,
Brown, Tom Clancy, McDonald’s und Metallica bekannt. Unter Künstlern auch
pp. 446 – 453. „Halbe der Zerstörer“ genannt, verkörpert er geradezu die heute herrschende
kunst- und intellektuellenfeindliche Stimmung in den Niederlanden. Er ist zur
Galionsfigur jener Philister geworden, die die Künstler zu hassen lieben. Und
er genießt diesen Hass.
Der zusammengestrichene Kulturetat ist ein Symbol im Kulturkampf, der in den
Niederlanden seit dem jüngsten Rechtsruck in der Politik des Landes herrscht.
Die Konfliktlinien verlaufen entlang ähnlicher Koordinaten wie in seinem US-ameri-
kanischen Gegenstück, wo die konservative Rechte den Unmut der Bevölkerung
so steuert, dass anstelle des ökonomischen das kulturelle Establishment zum
Feindbild erhoben wird. Anders als in den USA spielen in den Niederlanden
christliche Werte keine entscheidende Rolle in den Debatten. Jedoch bewirken
islamophobe Stimmungsmache und die Forderung nach einer Leitkultur, die
den christlichen Fokus in den Niederlanden ersetzen, ähnliche Folgen. Die
undifferenzierte Kritik an der Kultur, die in rechtspopuli­stischen Anfeindungen
als „linkes Hobby“ oder „elitäres Spielzeug“ bezeich­­­­net wird, erlaubt es der poli-
tischen Rechten, ein wirtschaftliches Programm umzusetzen, das dezidiert auf
Ungleichverteilung basiert. In dieser Hinsicht veranschaulichen die Einschnitte
im niederländischen Kulturbudget die ungeheure Attraktivität dessen, was

318 319
DER KULTURKAMPF IN DEN NIEDERLANDEN

Wendy Brown als die widersprüchliche Konvergenz von Neoliberalismus und Für diese rechtsgerichtete Regierung sind die Etateinsparungen kein Selbst-
Neokonservatismus beschrieben hat.1 zweck, sondern ein Mittel zur Umstrukturierung des kulturellen Felds, die die
progressiveren Elemente der niederländischen Kultur aussondern soll.
Neben der bereits erwähnten Mehrdeutigkeit durchzieht die Debatte um die
Kultur ≠ Kommerz ≠ Unterhaltung Zukunft der Kultur ein weiterer roter Faden: Kultur in der Logik des Kommerzes
zu denken ist in den Medien und weiten Teilen der Öffentlichkeit mittlerweile
Die Widersprüche treten in der neuen Kunstpolitik deutlich zutage. Uns wird vollkommen normal. Ein Kommentar der etablierten niederländischen Tages-
gesagt, dass der Kultursektor in größerem Maß unternehmerisch denken und zeitung NRC Handelsblad zitierte das Ergebnis einer Umfrage, demzufolge
ein größeres Publikum anziehen sollte. Zugleich werden jedoch die Steuern 40 Prozent der niederländischen Bevölkerung Kultur als eine Form von „Unter-
auf Kulturprodukte verdreifacht – eine Maßnahme, die zum Teil nach dem Sturz haltung“ betrachten.3 Der Kommentar schloss daraus auf pedantische Art und
der Regierung im April 2012 wieder zurückgenommen wurde –, wodurch der Weise, dass die KulturproduzentInnen auf ihr Publikum hören sollten – mit
Kulturgenuss abermals zu einem Privileg der Eliten wird. Uns wurde mitgeteilt, anderen Worten: mehr Unterhaltung. Im selben Text kommt ein Arbeiter zu
dass man die Kultur dem Markt überlassen sollte und die Künstler selbst für Wort (ansonsten eine seltene Begebenheit im NRC), der die Meinung äußert,
finanzielle Unterstützung sorgen müssten. Allerdings gilt Selbiges nicht für die dass Museen abgeschafft werden sollten, weil er Bilder von den Gemälden im
sogenannten Spitzeninstitute (allen voran jene prominenten Häuser für Oper, Internet betrachten könne.
Ballett und klassische Musik sowie die bekannteren Museen), die einzigen Kultur wird hier in der öffentlichen Debatte als letzte Bastion eines ungerecht-
Organisationen, deren Sichtbarkeit und Renommee ihnen überhaupt erst Zu- fertigten Privilegs dargestellt, die dringend der Demokratisierung durch die
gang zu privaten Sponsoren ermöglichen. Kräfte des freien Markts bedarf. In diesem Kontext wurde der Appell des
Dieser widersprüchliche Charakter lässt sich auf drei unterschiedliche poli-tische Ministers, die Qualität eines Kulturprodukts nach der Größe des Publikums zu
Programme reduzieren, die in der neuen Politik gegenüber der Kunst zum beurteilen, das es anzieht, zu einer akzeptablen, wenn auch nicht zur herr-
Tragen kommen: ein populistischer Ansatz, der die Produzenten von Kulturgütern schenden Meinung. Kultur sollte auf Wettbewerb ausgerichtet sein, dem die
auf der Grundlage einer populistischen Freund-Feind-Rhetorik als Subventi- Gesetze des Marktes zugrunde liegen. Jene Institutionen, denen es nicht
onsjunkies verunglimpft; eine konservative Agenda, die eine konservative Auf- gelänge, hohe Besucherzahlen vorzuweisen, sollten bestraft werden und nicht
fassung von Kultur unter der Rubrik des Kulturerbes der Spitzeninstitute (Oper, etwa mit Subventionen ihre Verluste ausgleichen können. „Es kann nicht sein,
Ballett, klassische Musik und Museen) fördert; und eine neoliberale Ideologie, dass die Regierung automatisch mit Ausgleichszahlungen interveniert, wenn in
die für staatliche Ausgabenkürzungen plädiert und Kultur ausschließlich auf einer kulturellen Einrichtung schlechtes Management herrscht.“ 4
der Grundlage ihres Marktwerts und ihrer internationalen Wettbewerbsstärke zu
würdigen weiß. Das Ergebnis dieser kombinierten Programme besteht darin,
dass die Kürzungen die experimentellen, zeitgenössischen und kleinen Formen „Unterhaltung ist Verrat“
kultureller und künstlerischer Produktion unverhältnismäßig stark treffen. Allen diesen Überlegungen ist gemeinsam, dass sie ignorieren, was lange Zeit
Der Widerstand der Kunstwelt gegen die Sparmaßnahmen richtet sich nicht als selbstverständliche Norm galt: dass die Logik der Kultur mit derjenigen
einfach nur gegen die Kürzung des Etats um 20 Prozent, sondern gegen die des Kommerzes in Konflikt steht und als Gegengewicht zu diesem organisiert
explizit ideologische Motivation der Kürzungen. Dem Staatssekretär zufolge werden muss. Was wir stattdessen heute in den Niederlanden erleben, ist der
streicht die Regierung in Kunst und Kultur dreimal so viel wie auf anderen Ge- vollständige Sieg dessen, was Adorno und Horkheimer negativ als Kulturindustrie
bieten, weil es ihr sonst nicht möglich wäre, wahrhafte Veränderungen herbei- beschrieben haben: die Reduzierung der Kultur auf eine Ware wie jede andere.
zuführen. „Entschiede man sich, nur sechs Prozent zu kürzen, so würde
die Kunstwelt die Kürzungen innerhalb der bestehenden Strukturen ertragen.
2  Thijs Broer, Thijs Niemantsverdriet, „Halbe Zijlstra ‚Van Gogh kreeg ook geen subsidier‘“ [Van
Wenn ein echter Bruch mit der Vergangenheit gewollt ist, dann ist es nicht Gogh erhielt auch keine Subventionen], in: Vrij Nederland, 72 (2), 15.1.2011, S. 24 –29.
genug, nur eine Scheibe herauszuschneiden.“ 2 3  „Kunstenaars moeten naar publiek luisteren“ [Künstler müssen auf das Publikum hören], in:
NRC Handelsblad, 3.9.2011.
4  „Culturele Instellingen moeten van het subsidieinfuus af“ [Kultureinrichtungen müssen vom
1  Wendy Brown, „American Nightmare: Neoliberalism, Neoconservatism, and De-Democrati- Subventionstropf ], in: Elsevier, 13.12.2010. Verfügbar online: http://www.elsevier.nl/web/Nieuws/
zation“, in: Political Theory, 34, 2006, S. 690–714. Politiek/283863/Culturele-instellingen-moeten-van-subsidieinfuus-af.htm?rss=true.

320 321
DER KULTURKAMPF IN DEN NIEDERLANDEN

Horkheimer und Adorno schreiben in Dialektik der Aufklärung im Kapitel „Kultur- über die heilenden Eigenschaften der Kunst machte die Runde. Die Kunst biete
industrie. Aufklärung als Massenbetrug“: „Die Unverschämtheit der rhetori- Identifikation und Orientierung und verstärke den gesellschaftlichen Zusam-
schen Frage, ‚Was wollen die Leute haben!‘ besteht darin, dass sie auf menhalt, hieß es. Eine paternalistische Haltung in der Kunst, die sich anmaßt
dieselben Leute als denkende Subjekte sich be­ruft, die der Subjektivität zu zu wissen, was gut für die Leute ist, erscheint dem alten sozialdemokratischen
entwöhnen ihre spezifische Aufgabe darstellt.“ 5 Wohlfahrtsstaat zu ähnlich, als dass sie lange von einem neoliberalen Regime
Aus Adornos Sicht ist Unterhaltung Verrat. Unterhaltung ist Kultur im Gewand toleriert würde.“
eines Glücksversprechens, das im Kapitalismus nie eingelöst wird. Sie ist die Offenbar ist das gesellschaftliche Engagement der Künstler die Wurzel der
Apologie der Gesellschaft, da unterhalten zu werden bedeutet, einverstanden gegenwärtigen Legitimationskrise. Die Lösung besteht in einer Rückkehr zur
zu sein. Im Gegensatz dazu behauptet Adorno eine kritische Rolle für die Kultur. Autonomie: „Während der vergangenen fünfzehn Jahre war es in der Kunst-
Kultur müsse die Unzulänglichkeiten der Gesellschaft wie die des Betrachters welt ein Tabu, von der Autonomie der Kunst zu sprechen. Autonomie wird
hinterfragen. Im Lauf der Jahre ist die Hochkultur, wie sie von Schiller bis Adorno von vielen mit einem rein ,selbstreferenziellen Kunstwerk‘ gleichgesetzt – ein
verteidigt wurde, als Projekt des Bildungsbürgertums ausrangiert worden. In hübsches Stück Kindergarten-Semiotik. Da die Kunst ihre Autonomie auf dem
Die feinen Unterschiede hat Bourdieu die Funktion der Hochkultur als Indikator Altar ihrer gesellschaftlichen Relevanz geopfert hatte, galt es als ausgemacht,
für die Überlegenheit der gebildeten Klassen – und damit für die Legitimierung dass die Kunst damit auch ihren sakrosankten Status eingebüßt hat – wohingegen
von gesellschaftlicher Ungleichheit – gnadenlos seziert.6 Die künstlerische sie sich gerade in ihrer Autonomie in ihrer sozialsten Form zeigt.“ 8
Autonomie dient Bourdieu zufolge einer Kunstproduktion, die nur für dieje- Eine unkritische Rückkehr zur klassischen Auffassung von der Autonomie und
nigen mit entsprechender kultureller Ausbildung lesbar ist. Zudem erfordere Zweckfreiheit der Kunst, wie Adorno sie vertrat, bringt jedoch auch Schwierig-
sie eine Distanz zu den natürlichen und gesellschaftlichen Grundbedürfnissen, keiten mit sich. Zum einen ignoriert sie den neoliberalistischen Aspekt der
die wiederum einzig eine ökonomisch privilegierte Stellung ermögliche. partizipatorischen Kunst in den 1990er Jahren und identifiziert sie mehr oder
Kulturwissenschaftliche Studien haben im angelsächsischen Sprachraum eine weniger mit den Resten der emanzipatorischen Agenda der Sozialdemokratie.
ähnliche Rolle bei der Beseitigung von Vorurteilen bezüglich gesellschaftlicher Stattdessen fiel die partizipatorische Kunst zusammen mit dem Aufkommen
Klassen gespielt wie bei uns. In einer ironischen Wendung der Geschichte des Neoliberalismus, der Kunst für seine Programme der Stadtentwicklung
sind diese linken Kritiken nunmehr für die rechte Offensive gegen Kunst und instrumentalisierte, sei es für Immobilien-Branding, sei es als Rohmaterial für
Kultur appropriiert worden. So kritisiert etwa Zijlstra die „altmodischen“ Argu- die niederländische Kreativindustrie. Zum anderen und von größerer Wichtigkeit
mente, um die Kürzungen staatlicher Kulturförderung zu verteidigen: „Die ist die Tatsache, dass die klassische (und konservative) kantische Theorie der
Leute haben mir andauernd gesagt, dass Kunst die Menschen erbaut. Wenn Autonomie alles andere als tabu ist. Vielmehr ist sie in der niederländischen
aber nur die höheren Einkommen die Kunst nutzen, dann verliert dieses Argu- Kunstszene ungeheuer populär und verhindert ein Reflektieren über den poli-
ment seine Gültigkeit.“ 7 tischen Charakter der Künste.
In ihren Reaktionen auf die Einsparungen haben niederländische Kunstkriti­
kerInnen wie etwa Camiel van Winkel die Verantwortung für die gegenwärtige
Krise auf die Abkehr von der künstlerischen Autonomie und die Hinwendung Die Reservate der Künste
zu partizipatorischen Ansätzen während der 1990er Jahre geschoben: „Was
stattgefunden hat, ist, dass Künstler mit ihren gesellschaftlich engagierten Pro- Die institutionelle Kritik entlarvt die künstlerische Autonomie als grundsätzlich
jekten die Verluste ausgleichen sollten, die ihnen nach den staatlichen Ausga- relativ. Bisweilen dient sie als Deckmantel für die Verwicklung der Kunst in
benkürzungen widerfahren waren. Künstler machten sich fröhlich mit Büro- herrschende politische und wirtschaftliche Programme, so beim Streit zwischen
kraten und Immobilienentwicklern gemein. Ein zutiefst ideologischer Diskurs Hans Haacke und dem Museum of Modern Art in New York um die Immobilien-
firma Shapolsky et al. Manhattan Real Estate Holdings oder auch sein Projekt
5  „Kulturindustrie. Aufklärung als Massenbetrug“, in: Max Horkheimer und Theodor W. Adorno, On Social Grease, zu dem sich der Exxon-Manager Robert Kingsley folgender-
Dialektik der Aufklärung, Neuausgabe, Frankfurt a. M. 1969, S. 153. maßen geäußert hat: „Exxons Engagement für die Künste dient als ein gesell-
6  Pierre Bourdieu, Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft, Frankfurt schaftliches Gleitmittel. Soll die Wirtschaft in großen Städten auch weiterhin
a. M. 1982.
7  „Bezuinigingen op kunst ten dele eigen schuld“ Einsparungen in der Kunst zum Teil selbst-
verschuldet, in: Het Parool, 3.7.2012. 8  Camiel van Winkel, „Wat er is misgegaan“ [Was schief gelaufen ist], in: MetropolisM, 4, 2011.

322 323
DER KULTURKAMPF IN DEN NIEDERLANDEN

bestehen, so benötigt sie eine gleitfähige Umgebung.“ 9 Im Gegensatz zu den worden war, war der nicht genehmigte Protest nunmehr per Gesetz verboten.
USA, wo es vor allem der Markt und Privatpersonen sind, die sich die Mark Wallingers Reproduktion dieser Installation unter dem Titel State Britain
Schmiereigenschaften der Kunst zunutze machen, ist in den Niederlanden die ist stark symbolisch aufgeladen. Mitten auf dem Fußboden der Turbine Hall in
Kultur eine Angelegenheit des Staats. Das heißt nicht, dass staatlich sank- der Tate Modern markierte der Künstler die Bannmeile mit Klebeband und
tionierte Kunst in den Niederlanden nirgends instrumentalisiert würde: In den machte so deutlich, dass sich die Hälfte der Installation illegal innerhalb der
1980er Jahren zog der Kultusminister Elco Brinkman einen berühmt gewor- Bannmeile befand. Was immer man von dieser Art Kunstwerk halten mag, fällt
denen Vergleich zwischen der Kunst und einem Gleitmittel, das mit Hilfe von es schwer, es nicht als kritischen Kommentar auf den Zustand der britischen
klassischen Sinfonieorchestern, Rembrandt und modernem Tanz chinesische Demokratie zu lesen, wo das Museum als öffentlicher Raum und Schutzzone
und japanische Handelsdelegationen anzulocken vermag. Vielmehr prägen und für DissidentInnen dient. Der Kurator der Tate Modern machte in diesem
begrenzen der Staat und seine Fonds zur Kulturförderung die Autonomie der Zusammenhang deutlich, dass der Künstler darauf abzielte, die Forderung
Künste. Diese Eingrenzung gilt insbesondere für die politische Natur der Kunst. nach freier Meinungsäußerung anzufachen. Daher erstaunt es umso mehr, in
Die niederländische Lesart der Autonomie geht von der für die Niederlande was der niederländische Rezensent die Ausstellung verwandelt: „State Britain,
klassischen Auffassung des großen liberalen Denkers des 19. Jahrhunderts wie er die Installation betitelt, ist nunmehr das pièce de résistance der Einzel-
Johan Rudolf Thorbecke aus, die fordert, dass die Politik sich nicht in die ausstellung Wallingers in De Pont in Tilburg. Was sogleich hervorsticht: wie
Inhalte der Kunst einmischen solle. Auf der anderen Seite erwartet der Staat, impotent die Arbeit ist. Nicht nur, weil State Britain zu groß ist und zu laut
dass sich die ProduzentInnen von Kunst und Kulturgütern jeglicher Einmi- brüllt, sondern insbesondere, weil es emphatisch fehl am Platze ist in dem
schung in die Politik enthalten. Selbstverständlich wird dies nicht in Form schönen, anständigen Tilburger Museum. Einen Augenblick lang möchte man
eines expliziten Dogmas geäußert, sondern vielmehr als implizite und mitunter wütend werden, sich abwenden, bis einem klar wird, dass diese Fehlplat-
unbewusste Regel, denen sich Kunsthochschulen wie Kritiker, Kunstfonds wie zierung exakt dem Anliegen Wallingers entspricht: Indem die Arbeit auf diese
Künstler freiwillig unterwerfen. Das ist der Grund dafür, dass es in den Nieder- Weise installiert wird, indem Protest in Kunst verwandelt wird, macht er deut-
landen keine Tradition eines starken politischen Engagements in den Künsten lich, dass Haws Protest zwar ein aufrichtiger gewesen ist, jedoch auch ein
gibt. Der Avantgarde-Kritiker Jacq Vogelaar hat einmal erklärt, dass die Regie- vollkommen machtloser Aufschrei – und in genau dieser Hinsicht der Kunst
rung mit ihrer Subventionspolitik die unterschiedlichen kulturellen Disziplinen überraschend ähnlich ist.“ 11  

in einzelne Reservate trennt. Die entstehende relative Isolierung führt dazu, Die erste Reaktion des Kritikers ist die beinahe klassische bürgerliche Entrüstung
dass der gesellschaftliche Einfluss der Kunst gemindert wird. Diese Strategie angesichts der Entweihung der hehren Kunstsphäre – eines „schönen“ und
der Einhegung, die Leugnung des sozialen Charakters der Kunst stellt ein „anständigen“ Museums – durch ein Artefakt aus der Alltagswelt (ein Objet
wesentliches Element der niederländischen Idee von Autonomie dar, und sie trouvé, wenn man so will). Das Kunstwerk wird als Störung empfunden, als
wird unablässig in Kunstzeitschriften und Kritiken wiederholt. unbefugtes Eindringen in das Museum. Andererseits bemüht sich der Kritiker,
Anschaulich wird dies anhand der Rezension des hochgeachteten Kritikers das Kunstwerk als Ausdruck der Ohnmacht zu interpretieren. Damit wird die
Hans den Hartog Jager im NRC Handelsblad 10 zu einer Einzelausstellung des Arbeit für ihn zu etwas Harmlosem ohne jede politische oder ästhetische Kraft.
englischen Politkünstlers Mark Wallinger im Museum De Pont in Tilburg im Nachdem er so die Arbeit des Künstlers auf das Thema der Machtlosigkeit
Herbst 2011. Das Kernstück der Ausstellung ist eine geradezu liebevoll konst- reduziert hat, empfindet den Hartog Jager „sofort größere Sympathie gegen-
ruierte Nachbildung der Installation des Friedensaktivisten Brian Haw, der aus über seinem Werk“.12
Protest gegen den Irakkrieg von 2001 bis 2006 am Parliament Square in Das Motiv der Machtlosigkeit ist freilich eine Erfindung des Kritikers und hat
London kampierte und dort eine stetig wachsende Anzahl an Protestplakaten wenig mit dem Anliegen und der Kunstpraxis Mark Wallingers zu tun. Wallinger
sammelte. Am 23. Mai 2006 waren 78 Polizeibeamte damit beschäftigt, die ist es gelungen, mit seinem Exponat eine Kontroverse erheblichen Ausmaßes
Installation abzutragen. Innerhalb der Bannmeile des britischen Parlaments, auszulösen, die weit über die Kunstwelt hinaus Resonanz fand. 2007 bekam
die auf einen Radius von einem Kilometer um den Parliament Square festgelegt Wallinger für State Britain den Turner Prize zugesprochen. Das Kunstwerk
verbindet der Jury zufolge „eine kühne politische Aussage mit der Fähigkeit
9  Hans Haacke, „On Social Grease“, in: Art Journal, Bd. 42, Nr. 2: Words and Wordworks (1982),
S. 137–143.
10  Hans den Hartog Jager, „Mark Wallinger trekt de kunst in twijfel“ [Mark Wallinger zieht die 11  Ebd. (Übers. VE).
Kunst in Zweifel], in: NRC Handelsblad, 27.10.2011. 12  Ebd. (Übers. VE).

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DER KULTURKAMPF IN DEN NIEDERLANDEN

der Kunst, grundlegende menschliche Wahrheiten auszudrücken“.13 Auch hier Der Künstler als „Baron in den Bäumen“
fällt die Analyse Hans den Hartog Jagers entschieden anders aus: „Ebenso
wie Haw ein Außenseiter in der Welt der Politik ist, der nichts anderes auszu- Die grundlegenden Zutaten für eine solche Vision lassen sich in den Schriften
drücken hatte als seine Inspiration, seine Ehrlichkeit und vielleicht sogar die von Jacques Rancière auffinden, der erklärt, dass das ästhetische „Regime“
Wahrheit in der fraglichen Sache, scheint Wallinger eine ähnliche Geistes- der Kunst von der inhärenten Verstrickung von Autonomie und Heteronomie
haltung an den Tag zu legen. Seine gesamte Ausstellung ist davon durch- ihren Ausgang nimmt. Autonomie bezieht sich nicht so sehr auf das Kunstwerk
zogen: Was immer man als Künstler tut, wie laut man auch brüllt, es ist unmöglich, als vielmehr auf die autonome Stellung, die der Kunst von der Gesellschaft ein-
wirklich Einfluss auf die Welt auszuüben, eine Spur zu hinterlassen, die außer- geräumt wird, wie zum Beispiel innerhalb eines Museums: ein Raum, der eine
halb der Kunst von Bedeutung ist.“ 14 besondere Art der Erfahrung impliziert, der einen dazu anregt, den Gegenständen
Eine oft gehörte Kritik lautet, dass die künstlerische Darstellung politischer in ihm auf andere Weise zu begegnen als im alltäglichen Leben –„interesselos“ in
Themen innerhalb der Museumsmauern zu einer gewissen Neutralisierung den Begrifflichkeiten Kants und Schillers. Heteronomie oder Fremdbestimmung
ihrer Bedeutsamkeit führt. Man denke etwa an Walter Benjamins Bemer- bedeutet, dass Kunst jederzeit auf das Alltägliche bezogen ist. Es ist unmöglich,
kungen zur Fotografie der Neuen Sachlichkeit, die ihm zufolge „auch noch das Kunst abgetrennt von Alltagserfahrungen wahrzunehmen, wie etwa Land-
Elend, indem sie es auf modisch-perfektionierte Weise auffasste, zum Gegen- schaften, Körper, Gegenstände oder gesellschaftliche und politische Realitäten.
stand des Genusses“ machte, womit sie nichts anderes auszusagen in der Das Ideal der Avantgarde, Kunst und Alltag zu fusionieren, oder die dadaistische
Lage war als: „Die Welt ist schön.“ 15 Hier jedoch ist es der Kritiker, der die Einverleibung von Alltagsgegenständen in die Sphäre der Kunst basieren
Neutralisierung leistet, sie als existenzielle Vorbedingung für die Kunst selbst beide auf einer ähnlichen Logik der Heteronomie. Rancière formuliert:
einfordert – gemäß Bourdieus Charakterisierung des kantischen Autonomiege-
dankens als „Verweigerung des Gesellschaftlichen“.16 In offenem Widerspruch Eine kritische Kunst ist tatsächlich eine Art „dritter Weg“, eine Art
zum Geist der Arbeit interveniert der Kritiker selbst auf höchst ideologische von spezifischer Verhandlungsführung zwischen jenen zwei
Weise mit dem Ziel, ein Kunstwerk zum Schweigen zu bringen. Rezensionen konstitutiven Politiken der Ästhetik. Diese Verhandlungsführung
von ähnlicher Art erscheinen beinahe jede Woche in der niederländischen muss etwas von der Spannung erhalten, die die ästhetische Er-
Presse, aber es ist nicht einfach, ein anschaulicheres Beispiel für die Einkap- fahrung zur Rekonfigurierung des kollektiven Zusammenlebens
selung der Kunst und die Neutralisierungskampagnen zu finden, derer sich die drängt, und ebenso etwas von der Spannung, die die Kraft der
Torwächter der niederländischen Kunst- und Kulturreservate bedienen. Den ästhetischen Sinnlichkeit aus den Sphären der Erfahrung abzieht.
Hartog Jager liefert ein Beispiel für die entpolitisierende Natur der niederlän­ Sie muss etwas borgen aus den Zonen der Ununterscheidbarkeit
dischen Idee von künstlerischer Autonomie, die sich um die an die Kunst in Kunst und Leben, die politische Intelligibilität provozieren.
gestellte Forderung dreht, sich selbst gesellschaftlich impotent zu machen, Ebenso muss sie der Separatheit der Kunstwerke den Sinn der
um Bedeutung generieren zu können. An diesem Punkt kehrt sich die Autonomie sinnlichen Fremdheit entleihen, der politische Energien steigert.
der Kunst gegen die kommunikative Kraft der Kunst. Es ist nicht schwer zu Politische Kunst muss eine Art der Collage dieser Gegensätze sein.“ 17
erkennen, wie die Auffassung von Autonomie zu dem schwachen Widerstand
gegen Sparmaßnahmen und zur abnehmenden öffentlichen Relevanz der Rancière zufolge ist die Spannung, die aus der Verhandlungssituation zwischen
zeitgenössischen Kunst in den Niederlanden beigetragen hat. Damit eine Autonomie und Heteronomie resultiert, Bedingung für die Kraft der kritischen
Kunst ins Auge gefasst werden kann, die eine dringend benötigte kritische Kunst. Das lässt sich ohne Weiteres auf Wallinger anwenden: Die produktive
Funktion übernehmen kann, ist es erforderlich, von einem anderen Autono- Spannung, die von einer Ansammlung von alltäglichen Protestschildern und
miebegriff als dem beschriebenen auszugehen. einer staatlichen Bannmeile ausgelöst wird, entsteht, falls diese Begegnung
in einem anderen Bereich der Erfahrung reproduziert wird, der anderen Regeln
13  „Reviews roundup: Turner prize 2007“, in: The Guardian, 4.12.2007. Verfügbar online: gehorcht. Der Kritiker Hans den Hartog Jager hat demzufolge versucht, die
http://www.guardian.co.uk/artanddesign/2007/dec/04/turnerprize2007.turnerprize. Heteronomie der Arbeit Wallingers zu unterdrücken, indem er die Parallele zwi-
14  Hans den Hartog Jager, wie Anm. 10 (Übers. VE).
15  Walter Benjamin, „Der Autor als Produzent“, in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. II, 2,
Frankfurt a. M. 1977, S. 693. 17  Jacques Rancière, „Contemporary Art and the Politics of Aesthetics“, in: Beth Hindeliter,
16  Pierre Bourdieu, wie Anm. 7. William Kaizen, Vered Maimon, Jaleh Mansoor, Seth McCormick (Hg.), Communities of Sense.
Rethinking Aesthetics and Politics, Durham/NC 2009, S. 41 (Übers. VE ).

326 327
DER KULTURKAMPF IN DEN NIEDERLANDEN

schen Kunst und Alltag auf deren Machtlosigkeit reduziert hat. Seine Rezension das elterliche Anwesen verlassen hat und mit anderen Bewohnern des Tals
der Wallinger-Ausstellung zeigt in dieser Hinsicht, dass kritische Kunstpraxis in Kontakt kommt. Auf den Bäumen liest er Philosophie und Literatur der
sich der Bedingungen ihres möglichen Verständnisses vergewissern muss. Aufklärung und korrespondiert mit Voltaire und Diderot über das Ideal einer
Eine Kunstpraxis, die eine derart hybride Strategie verfolgt, impliziert eine universellen Gesellschaft. Aus der Höhe organisiert er die lokale Feuerwehr,
Form des Engagements, die sich von der weitläufigen Auffassung absetzt, hilft der verarmten Jugend beim Diebstahl von Obst, schlägt einen Piratenan-
dass eine politische Haltung unweigerlich dazu führt, dass die künstlerische griff zurück, veröffentlicht seine eigene Zeitung, unterstützt die Truppen
Autonomie geopfert wird. Es ist gerade das Festhalten an der Autonomie, die Napoleons und entwickelt eine nicht unproblematische Liebesbeziehung zu
Intervention durch die Materialien der Kunst beziehungsweise in der Sphäre einem Mädchen, das sich wünscht, dass er herabsteigt. Die Geschichte
der Kunst, das die Spannung erzeugt, die die kritische Kraft der Intervention Cosimos sagt uns, dass es ihm aufgrund seiner Abstandsnahme, seines Lebens
festlegt. In den Niederlanden ist in den vergangenen zehn Jahren das Aufkommen in einer anderen Welt, möglich wurde, eine kritische Perspektive zu entwickeln
des sogenannten „neuen Engagements“ zu verzeichnen, das eine weitgehende und sich mit anderen zusammenzuschließen. Nach Cosimos Tod versteht der
Einschränkung der künstlerischen Autonomie beinhaltet. Die klassische Idee Erzähler, sein Bruder: „[E]r hatte etwas anderes im Sinn, etwas, was alles um-
des Engagements – die auf Sartres Essay Was ist Literatur? basiert – ist ein spannen sollte, und er konnte es nicht mit Worten sagen, sondern nur dadurch,
Hybrid in dem Sinn, dass dort politische Intervention im Begriff der Autonomie dass er so lebte, wie er gelebt hat. Nur weil er so unerbittlich er selbst war,
von Kunst, Literatur und Universität enthalten ist. Was nun als „neues Engage- wie er es bis zum Tode gewesen ist, konnte er allen Menschen etwas geben.“ 21
ment“ bezeichnet wird – analog zu internationalen Tendenzen wie etwa der Cosimo di Rondò vergleichbar, impliziert eine kritische Kunstpraxis die Not-
partizipatorischen Kunst, der relationalen Kunst – , gibt diese Autonomie preis, wendigkeit, in einer anderen Welt zunächst zu überleben, um dann aus den
um im Dienst des Staats und privater Interessen zu intervenieren. Von der Baumwipfeln der Autonomie heraus Gemeinschaften zu bilden, das kritische
niederländischen Philosophin Karen Vintges erfahren wir, dass „neues Engage- Verständnis zu vertiefen und politisch zu intervenieren.
ment“ individuell, „post-ideologisch“ und „ethisch-spirituell“ ist.18 Die neue
Idee des Engagements kennzeichnet eine Position, die von der englischen
Kritikerin Claire Bishop mit der weiblichen Hauptfigur in dem Film Dogville
verglichen worden ist: Ihre unkritische Sehnsucht danach, der Gemeinschaft
zu dienen, fördert lediglich ihre eigene Unterwerfung.19
Eine interessante Metapher für eine gemischtere Form des politischen Engage-
ments liefert der allegorische Roman Der Baron in den Bäumen von Italo
Calvino.20 Die Geschichte setzt ein im Jahr 1767 in Ligurien, als der zwölf-
jährige Baron Cosimo Piovasco di Rondò von seiner sadistischen Schwester
ein ekelerregendes Schneckengericht serviert bekommt. Während des sich
erhebenden Streits steigt der junge Baron mit dem Versprechen auf eine
Steineiche, niemals wieder einen Fuß auf den Boden zu setzen. Die Hoffnung
seiner Familie, dass seine Drohung eine vorübergehende Torheit sei, wird
enttäuscht. Cosimo wird den Rest seines Lebens auf den Bäumen verbringen.
Zunächst stellt ihn dies vor zahllose Schwierigkeiten. Er muss lernen, auf
Bäumen zu überleben, ein Lager zu finden, zu jagen und sich zu verteidigen.
Seine ungewöhnliche Lage ist jedoch nicht nur eine Einschränkung seiner
Fähigkeiten. Vielmehr gewährt sie ihm ungekannte Freiheiten, da Cosimo nun

18  Siehe Jeroen Boomgaard u. a. (Hg.), New Commitment in Architecture Art and Design,
Rotterdam 2004.
19  Claire Bishop, „The Social Turn: Collaboration and its Discontents“, in: Artforum, Februar
2006, S. 178 –183.
20  Italo Calvino, Der Baron in den Bäumen, München 1984. 21  Ebd., S. 280.

328 329
DUTCH CULTURE WARS.
ON THE POLITICS
OF GUTTING THE ARTS
Merijn Oudenampsen

Introduction

“No one is safe.” With these words Halbe Zijlstra, the State Secretary of
Education, Culture and Science, announced the slashing of the cultural budget
on the Dutch national news in December 2010. Whereas cutbacks are generally
accompanied by at least the pretension of reluctance or regret, Zijlstra
delivered the message with a sardonic smile. It’s a rather uncommon spectacle:
a State Secretary of Culture who publicly flaunts his disdain for culture. Zijlstra
described artists as being on a “subsidy drip” and took care to present himself
as an avowed fan of Dan Brown, Tom Clancy, McDonalds, and Metallica.
Known amongst artists as “Halbe the Wrecker,” he has become the embodiment
of the anti-artistic and anti-intellectual sentiment in the Netherlands. Zijlstra has
become the figure of the philistine that the cultured classes love to hate. And
he welcomes that hatred.
The slashing of the cultural budget is a symbolical centerpiece of the Dutch
culture wars, initiated during the recent rightward turn in Dutch politics. It is a
conflict framed along similar coordinates as its American counterpart, where
the conservative Right channels popular discontent in the direction of the
cultural elites, instead of the economic establishment. What distinguishes the
Dutch culture wars from their inspiration on the other side of the Atlantic is that
conservative Christian values are largely absent from the debate. The American
focus on religious values is replaced with a secular “Judeo-Christian” anti-Islamism
and opposition to multiculturalism. These differences notwithstanding, the
effect is similar: the egalitarian critique of culture, described by its right-wing
populist detractors as a “left-wing hobby” or an “elitist plaything,” allows the Right
to push a decidedly non-egalitarian economic agenda. In this sense, the Dutch
culture cuts illustrate the powerful appeal of what Wendy Brown has described
as the contradictory convergence of neoliberalism and neo-conservatism.1

1  Wendy Brown, “American Nightmare: Neoliberalism, Neoconservatism, and De-Democrati-


zation,” in: Political Theory, No. 34, 2006, pp. 690 –714.

331
DUTCH CULTURE WARS

Where the neoconservative attack on “liberal elites” allows for a popular appeal Dutch discussion on the future of culture. It appears to have become completely
that neoliberalism would otherwise lack. normal—in the media and amongst the wider public—to think of culture
according to the logic of commerce. An editorial in the Dutch establishment
newspaper NRC Handelsblad cited a poll showing that the predominant
Culture ≠ commerce ≠ entertainment sentiment of Dutch citizens (forty percent) is to see culture as “entertainment.” 3
It went on to argue, in rather pedantic fashion, that cultural producers should
These contradictions are visibly present in the new art policy. It states that the listen to their public. In other words: entertain more. The same section featured
cultural sector should be more entrepreneurial and attract larger audiences. an interview with a worker, otherwise a rare presence in NRC Handelsblad,
At the same time, taxes on cultural products will be tripled (a measure that has who was of the opinion that museums could be abolished because he could
been partially revoked, after the fall of the government in April 2012), turning access the reproductions on the Internet.
cultural consumption once again into an elite privilege. Similarly, the art policy Culture came to be represented in the public debate as one of the last bastions
states that culture should be left to the market and artists should attract of unwarranted privilege, in need of democratization through the liberating
private funding. Then again, this does not apply to museums and the so-called force of the market. In this context, the plea of the state secretary to value the
“top-institutes”—the most prominent institutions for opera, dance, and quality of a cultural product according to the size of the audience it attracts
classical music—the only organizations with enough public visibility and became an accepted, if not dominant position. Zijlstra reframed culture as a
reputation to have access to private sponsorship in the first place. competitive enterprise in need of market discipline. According to this logic,
This contradictory character can be reduced to the three different political those institutions that would fail to attract large audiences should be punished,
agendas that converge in the new art policy: a populist agenda that vilifies not compensated with subsidies. In the words of Zijlstra: “It cannot be so, that
cultural producers as subsidy junkies on the basis of a populist friend-enemy the government intervenes as an automatic compensation when bad
distinction; a conservative agenda that promotes a conservative notion of management of a cultural institution occurs.” 4
culture under the rubric of cultural heritage and the preservation of the classic
and elitist culture of the top-institutes (opera, ballet, classical music, fine art);
and finally a neoliberal agenda that pleads for state retrenchment and “Entertainment is betrayal”
appreciates culture purely on the basis of its market value and international What all these arguments have in common is that they ignore what was long
competitiveness. The combined result of these different agendas is that the cuts taken as a given: that the logic of culture is at odds with that of commerce and
disproportionally target the more experimental, contemporary, and small-scale needs to be organized as its counterweight. Instead, what we experience
forms of cultural and artistic production. presently in the Netherlands is the complete victory of what Adorno and
The opposition to the cuts from within the art world is not simply directed Horkheimer described in negative terms as the “culture industry”: the reduction
against the twenty percent reduction of the budget. Rather, it is the explicit of culture to a product like any other. In their “Culture Industry: Enlightenment as
ideological nature of the cutbacks. According to the State Secretary, the Mass Deception” essay, Adorno and Horkheimer write: “The shamelessness
government is cutting three times as much on art and culture as on other terrains, of the rhetorical question ‘What do people want?’ lies in the fact that it appeals
because otherwise it would not be possible to effect real change: “If one to the very people as thinking subjects whose subjectivity it specifically seeks
would choose for only six percent, the cultural world would try and to annul.”  5
accommodate the cutbacks within existing structures. If you really want to In their view, entertainment is betrayal.6 It is culture packaged as a promise of
make a break with the past, taking out a slice is simply not enough.” 2 happiness that capitalism never quite delivers. It is society’s apologia, for to
For the right-wing government, the budget reduction is not an end in itself but
rather a means that serves the larger goal of restructuring the cultural field
3  “Kunstenaars moeten naar publiek luisteren,” in: NRC Handelsblad, September 3, 2011.
while eliminating the more progressive aspects of Dutch culture. 4  “Culturele Instellingen moeten van het subsidieinfuus af,” in: Elsevier, December 13, 2010.
Apart from the aforementioned ambiguity, a common thread connects the Available online: http://www.elsevier.nl/web/Nieuws/Politiek/283863/Culturele-instellingen-
moeten-van-subsidieinfuus-af.htm?rss=true, author’s translation.
5  Max Horkheimer and Theodor W. Adorno, Dialectic of Enlightenment. Philosophical Fragments,
2  Thijs Broer, Thijs Niemantsverdriet, “Halbe Zijlstra ‘Van Gogh kreeg ook geen subsidie,’” in: trans. by Edmund Jephsott, Stanford, 2002.
Vrij Nederland, 72 (2), January 15, 2011, pp. 24–29 (author’s translation). 6  Theodor W. Adorno, The Culture Industry, London, 1991.

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DUTCH CULTURE WARS

be entertained means to be in agreement. In contrast, Adorno and Horkheimer emergence of participation as a dominant practice in contemporary art
maintain a role for culture as critique. Aesthetic experience, in this perspective instead coincided with the embrace of neoliberalism in the politics of the Third
dating back to the Romantic tradition, is invested with emancipatory potential. Way. Art was instrumentalized for the sake of urban development agendas, real
Over the years, the high culture that Adorno defended, if not for its social estate branding, or as a form of raw material for the Dutch creative industries.
premises, then for the superiority of its form, has been shelved as a bourgeois Moreover, the classic (and conservative) Kantian view of autonomy is far from
project. In Distinction, Bourdieu mercilessly dissected the function of high a taboo in the Dutch art world. In fact, it is immensely popular and forestalls
culture as a marker of the superiority of the educated classes, thereby legitimating reflection on the political nature of the arts.
social inequalities.7 According to Bourdieu, artistic autonomy serves to produce
art that is only legible by those with a proper aesthetic education, requiring a
distance from the necessities of everyday life that economic privilege allows The reserve of the arts
for. Cultural studies played a similar role in critiquing culture for its class bias
in the Anglo-Saxon world. In an ironic twist of fate, these leftist critiques Institutional critique has revealed artistic autonomy to be an inherently relative
have now been recuperated in the right-wing offensive against art and culture. notion. At times, the idea of autonomy even serves as a smokescreen that
Zijlstra defends his cuts by lamenting the “old fashioned” arguments for obscures the entanglement of art with dominant political and economic
cultural funding: “People continuously told me that art serves to elevate the agendas. The classic example is Hans Haacke’s conflict with the Museum of
people. But if only the higher incomes make use of art, this argument no Modern Art, New York, about Shapolsky et al. Manhattan Real Estate Holdings
longer holds true.”8 In response to the cutbacks, prominent Dutch art critics or his project On Social Grease, which quotes Exxon executive Robert
such as Camiel van Winkel have blamed the present crisis on the departure Kingsley as follows: “Exxon’s support of the arts serves the arts as a social
from artistic autonomy and the turn towards participatory art in the 1990s: lubricant. And if business is to continue in big cities, it needs a more lubricated
“What happened is that artists, with their socially engaged projects, were environment.” 10 As opposed to the US, where primarily the market and private
supposed to set off the damages incurred after state retrenchment. Artists individuals aim to make use of the lubricating qualities of art, culture is a state
happily joined with bureaucrats and real estate developers. A heavily affair in the Netherlands. This does not mean that state-sanctioned art is not
ideological discourse circulated concerning the healing properties of art; art instrumentalized. In the 1980’s, the Dutch Minister of Culture, Elco Brinkman,
supposedly offered identification and orientation, and strengthened social famously compared art to a lubricant, using a combination of classical
cohesion. A paternalistic art practice that pretends to know what is good for orchestras, Rembrandt, and modern dance to entice Chinese and Japanese
the people, appears too much like the old social-democratic welfare state to be trade delegations. Instead, the state and its cultural funds both shape and
tolerated for long by a neoliberal regime.” curtail the autonomy of the arts. This curtailment applies specifically to the
Apparently it is the social engagement of artists that has caused the present political nature of art.
legitimacy crisis. The solution is a return towards autonomy: “Over the past The Dutch interpretation of autonomy departs from the classical notion of the
fifteen years it has been a taboo in the art world to speak of the autonomy of nineteenth century liberal Thorbecke, that politics should not concern itself
the arts. Autonomy is equated by many with ‘an artwork that only refers to with the content of art. On the other hand, it is expected of artistic and cultural
itself’—a nice piece of toddler semiotics. By sacrificing the autonomy of the producers not to meddle with politics. Of course this does not take the form
arts to its social relevance, it was taken for granted that art lost its sacrosanctity, of an explicit dogma, rather an implicit and sometimes even unconscious rule
while autonomy is exactly where art shows itself in its most social form.” 9 that art schools, critics, funds, and artists all subscribe to. It is the reason why
There is a problem in the uncritical return to a classic notion of autonomy and the Netherlands has no strong tradition of political engagement within the arts.
the purposelessness of the pure work of art that Adorno maintained. It ignores As the avant-garde literary critic Jacq Vogelaar once explained, through its
the neoliberal nature of artistic participation in the 1990s, mistakingly equating subsidies, the government organizes the different cultural disciplines into
it with the leftovers of the emancipatory agenda of social democracy. The separate reserves. Relative isolation leads to a negation of the social impact of
art. Such a strategy of containment, the denial of the social nature of art, forms
7  Pierre Bourdieu, Distinction, a Social Critique of the Judgement of Taste, Cambridge,
1979/1984.
8  “Bezuinigingen op kunst ten dele eigen schuld,” in: Het Parool, July 3, 2012 (author’s translation). 10  Hans Haacke, “On Social Grease,” in: Art Journal, Vol. 42, No. 2: Words and Wordworks
9  Camiel van Winkel, “Wat er is misgegaan,” in: MetropolisM 2011, p. 4 (author’s translation). (1982), pp. 137–143.

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DUTCH CULTURE WARS

a core element of the Dutch notion of autonomy that one finds repeated politically castrating it, den Hartog Jager becomes “immediately more
incessantly in art magazines and art critics’ reviews. sympathetic to his oeuvre.” 13
A prime example is the review of the solo exposition of the English artist Mark The critic invented the theme of powerlessness, which indeed has little to do
Wallinger at museum De Pont in Tilburg, written by the established critic Hans with the intentions and artistic practice of Mark Wallinger, who generated
den Hartog Jager in the NRC Handelsblad .11 The centerpiece of the exhibition controversy around his exhibit extending far beyond the realm of the arts.
is a carefully constructed imitation of the protest installation of Brian Haw, a Wallinger was awarded the Turner Prize for State Britain in 2007. According to
demonstrator against the Iraq War, who resided full-time on Parliament Square the jury, the artwork combined “a bold political statement with art’s ability to
from 2001 to 2006 with an ever-growing collection of protest signs. On the articulate fundamental human truths.” 14 Hans den Hartog Jager’s analysis
23rd of May, 2006, 78 officers were deployed to take down the installation. again seems decidedly different: “Much as Haw was an outsider in the world
Under the Serious Organised Crime and Police Act 2005, unauthorised of politics who had nothing more to express than his inspiration, his sincerity,
demonstrations within a one-kilometer radius of Parliament Square had and maybe even the truth of the matter, Wallinger seems to share a similar
become prohibited. Mark Wallinger’s reproduction of this installation under the sentiment. This feeling pervades his entire exhibition: whatever you do as an
title State Britain is, of course, charged with symbolic meaning. According to artist, however loud you scream, it is impossible to really exert an influence on
the press release of Tate Britain, the exclusion zone ran right through the middle the world, to leave something behind that is meaningful outside the artistic realm.” 15
of the Duveen Hall. Mark Wallinger had marked the one-kilometer radius with It is a recurrent criticism that the artistic representation of political subjects
tape, exposing that half of the exposition illegally resided in the no-protest within the walls of the museum tends to lead to a certain neutralization of its
zone. Whatever one might think of the nature of the art work, it is difficult not significance. Think of Walter Benjamin and his remarks concerning the
to read it as a critical comment on the state of British democracy, in which the photography of the New Objectivity that even “succeeded in making misery
museum functions as a replacement for public space and as a shelter for itself an object of pleasure, by treating it stylishly and with technical perfection,”
critical dissent. The curator of Tate Modern mentioned that the artist’s aim with which it managed to communicate nothing but: “the world is beautiful.” 16
was to foment debate on freedom of speech. It is surprising what den Hartog Here, however, the critic performs this neutralization and even demands it as
Jager transforms it into: “State Britain, as he titled the installation, is now the an existential precondition of art, in accordance with Bourdieu’s description of
pièce de résistance of the Wallinger solo exposition in De Pont in Tilburg. Kantian autonomy as a “denial of the social.” 17 In direct opposition to the nature
What stands out immediately: the work’s impotence. It’s not only because of the work, the critic engages in an ideological intervention with the aim of
State Britain is too large and screams too loud, but especially because it is silencing an artwork. Reviews of a similar nature appear almost every week in
emphatically placed in the wrong spot: in that beautiful, decent Tilburg the Dutch press, but it is hard to find a more explicit example of the art of
museum. For a moment, you are inclined to get angry, to turn your back, until containment and the neutralization strategies employed by the gatekeepers of
you realize that this misplacement is exactly Wallinger’s intention: by setting the Dutch art and culture reserves. It illustrates the depoliticizing nature of the
up the work in such a way, by transforming protest into art, he shows that Dutch conception of artistic autonomy, which revolves around the compelling
Haws emotional protest was indeed sincere, but an utterly powerless primal demand that art renders itself socially impotent to generate meaning. At this
scream—and in that respect, surprisingly resembles art.” 12 point, the autonomy of the arts turns itself against the communicative power
The critic’s first reaction evinces an almost classic bourgeois indignation about of art as such. It is not difficult to see how this vision of autonomy has
the desecration of the sphere of the arts—a “beautiful” and “decent” museum contributed to the poorly argued resistance against the cuts and the declining
—by an artifact from everyday life. Den Hartog Jager perceives the work as public relevance of modern art in the Netherlands. To arrive at an art that
an interruption, an unwarranted intrusion into the museum. The critic’s ability fulfills a much-needed critical function, we need to depart from a different
to interpret the artifact as an expression of impotence reassures him, thus conception of autonomy.
rendering the artwork harmless and ridding it of any aesthetic and political
power. After reducing the artist’s work to the theme of powerlessness, and thus 13  Ibid. (author’s translation).
14  Weigand, “Reviews roundup: Turner prize 2007,” in: The Guardian, December 4, 2007.
Available online: http://www.guardian.co.uk/artanddesign/2007/dec/04/turnerprize2007.turnerprize.
11  Hans den Hartog Jager, “Mark Wallinger trekt de kunst in twijfel,” in: NRC Handelsblad, 15  Hans den Hartog Jager, see note 11 (author’s translation).
October 27, 2011. 16  Walter Benjamin, “The Author as Producer,” in: New Left Review 62, July–August 1970, p. 230.
12  Ibid. (author’s translation). 17  Pierre Bourdieu, see note 7, p. 5.

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DUTCH CULTURE WARS

The artist as a “baron in the trees” An art practice that employs such a hybrid strategy implies a different form of
engagement than the commonplace notion that a political stance inherently
The basic ingredients for such a vision can be found in the work of Jacques results in a sacrifice of artistic autonomy. It is exactly the adherence to
Rancière, who states that the aesthetic regime of art departs from the inherent autonomy, intervening through the material or sphere of the arts, that
entanglement of autonomy and heteronomy. Autonomy refers not so much to generates the tension that determines the critical force of the intervention. In
the artwork itself, but to the place that art is given in society. This space implies the Netherlands, the last decade has seen the arrival of the so-called “new
a particular sphere of experience, meaning that one is supposed to approach engagement,” which implies an extensive restriction of artistic autonomy. The
objects in a different, or as Kant and Schiller would say “disinterested” manner classic idea of engagement—based on the notion developed by Sartre—is
than in everyday life. Heteronomy means that art always relates to everyday hybrid in the sense that it implies political intervention in the autonomy of
life. It is impossible to perceive art separately from day to day experiences the university, literature, or the arts. What has now been called the “new
such as landscapes, bodies, objects, or social and political realities. The avant- engagement,” parallel to international trends such as participatory or relational
garde ideal of the fusion of art and everyday life or the Dadaistic incorporation art, abandons this autonomy to intervene in society in the service of the state
of everyday objects in the artistic sphere is based on a similar logic of heteronomy. or private actors. We learn from Dutch philosopher Karen Vintges that the
According to Rancière: “new engagement” is “post-ideological” and individually “ethical-spiritual.”19
The new idea of engagement is a position that the English critic Claire Bishop
A critical art is in fact a sort of “third way,” a kind of specific once compared with the female protagonist in the film Dogville: her uncritical
negotiation between those two constitutive politics of aesthetics. desire to serve the community only furthers her subjection.20
This negotiation must keep something of the tension that pushes An interesting metaphor for a more hybrid form of political commitment is the
aesthetic experience toward the reconfiguration of collective life allegorical novel The Baron in the Trees by Italo Calvino.21 The story opens in
and something of the tension that withdraws the power of aesthetic Liguria in 1767 at the moment that the twelve year old baron Cosimo Piovasco
sensibility from the other spheres of experience. It must borrow di Rondò is served slugs for lunch by his sadistic sister. A fight ensues, and
from the zones of indistinction of art and life the connections the young baron takes to the trees of the estate with the promise that he will
that provoke political intelligibility. And it must borrow from the never set foot on the ground again. His family’s hope that this promise derives
separateness of art works the sense of sensory foreignness that from some sort of youthful folly proves unfounded: Cosimo will live in the trees
enhances political energies. Political art must be some sort of for the rest of his life. His decision initially presents him with many problems.
collage of the opposites.18 He must learn how to survive, to make a home for himself, to hunt, and defend
himself. But his unconventional position is not simply a restriction of his abilities.
According to Rancière, the tension resulting from the negotiation of autonomy It increases his freedom of movement, since Cosimo is now able to leave his
and heteronomy conditions the force of critical art. It can easily be applied to parents’ estate and associate with other inhabitants of the valley. On the trees,
Wallinger: the productive tension that a collection of everyday protest signs he reads enlightenment philosophy and literature and corresponds with Voltaire
and a state prohibition zone incite, if reproduced in another sphere of experience and Diderot on the ideals of a universal society. From the treetops he organizes
that functions according to a different set of rules. The critic Hans den Hartog a local fire patrol, helps the impoverished youth steal fruit, fights off a pirate
Jager, then, tried to suppress the heteronomy of Wallinger’s work by reducing raid, publishes his own newspaper, helps Napoleon’s troops, and develops a
the parallel between art and life to powerlessness. In this respect, the Wallinger troubled love affair with a girl who would prefer that he come down. What the
review shows that critical art practice needs to ascertain the preconditions for tale of Cosimo tells us is that by taking distance, by living in another world, he
its intelligibility. was able to develop a critical perspective and associate with others. At the
end of his life, Cosimo understands “something that was all-embracing, and

19  See Boomgaard et al. (eds.), New Commitment in Architecture Art and Design, Rotterdam,
2004.
18  Jacques Rancière, The Politics of Aesthetics, unpublished lecture at Aarhus University, 20  Claire Bishop, “The Social Turn: Collaboration and its Discontents,” in: Artforum, February
Denmark, September 2003. Available online at: http://www.16beavergroup.org/mtarchive/ 2006, pp. 178–183.
archives/001877.php. 21  Italo Calvino, The Baron in the Trees, Boston, 1977/1957.

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IDEOLOGIE UND ARBEITSVERHÄLTNISSE

he could not say it in words but only by living as he did. Only by being so
frankly himself as he was till his death could he give something to all men.” 22  
Similarly, critical artistic practice implies the need to survive in a different Für wen arbeiten wir?
world—and subsequently to associate, to deepen critical understanding, and
to intervene politically, from the treetops of autonomy. Während der Respektmärsche niederländischer Reinigungskräfte waren die
Gesichter in der ersten Reihe der Demonstrationszüge häufig dieselben.
Leyni, Laura, Hassan, Thijs heißen einige von ihnen. Diese Putzfrauen und
-männer trotzten der Kälte, um den ihnen gebührenden Respekt einzufor-
dern. Wie schon 2010 traten sie in einen Streik, weil ihnen klar geworden
war, dass im derzeitigen Klima der niederländischen Gesellschaft mit Ge-
sprächen allein keine besseren Arbeitsbedingungen zu erreichen waren.
Ihr ArbeiterInnenkampf begann am 2. Januar 2012 und dauerte 105 Tage.
Das Ergebnis war ein verbesserter Tarifvertrag. Wichtiger als dieser war
jedoch die daraus resultierende Aufmerksamkeit und das Bewusstsein,
gemeinsam eine Gewerkschaft, eine Bewegung bilden zu können, die
kollektiv zu einer Verbesserung ihrer aller Lebenswirklichkeit beiträgt.
Die Bilder machen es deutlich: Was wir hier sehen, sind nicht die Nieder-
lande der sogenannten Elite, sondern tatsächlich eine neue, verwandelte
Arbeiterklasse – zu großem Teil mit Migrationshintergrund, an die absur-
desten Arbeitsverträge gebunden und das zu minimalen Löhnen. Und ich,
ein Künstler, arbeite für sie!
Ist es überhaupt möglich, in den Niederlanden schlechtere Arbeitsbedin-
gungen zu finden als die von Reinigungskräften? Ja, es ist. Nur ein Bei-
spiel: Niederländische Kunstinstitute entschließen sich heute immer öfter,
ihre AssistentInnen als PraktikantInnen zu beschäftigen. PraktikantInnen
übernehmen heute häufig die Arbeit von Angestellten. Der einzige Unter-
schied liegt im Einkommen: PraktikantInnen arbeiten unbezahlt.
Demnach sind die katastrophalen Arbeitsbedingungen des niederländi-
schen Reinigungspersonals weder außergewöhnlich noch einzigartig.
Unsere gesamte Gesellschaft hat sich seit den 1990er Jahren unter den
neoliberalen Ideen von Management verwandelt. Im Reinigungssektor
wurden die Putzkolonnen zunehmend aus den Unternehmen ausgelagert,
sodass sie sich auf dem freien Markt im Bemühen um Aufträge zur Reini-
gung dieses oder jenes „Objekts“ gegen Mitbewerber durchsetzen muss-
ten. Dementsprechend fielen die Tarife für Reinigungsarbeiten – und dies
bedeutete für die einzelne Reinigungskraft, mehr Arbeit in weniger Zeit er-
ledigen zu müssen. Die gesteigerte Arbeitsbelastung zeigt sich in den Tat-
sachen, die uns täglich begegnen: schmutzige Züge, dreckige Bürotoiletten.
In den Künsten führten die neoliberalen Spielregeln dazu, dass wir uns
gezwungen sahen, uns um unsere Karriere sorgen und diese zum Zweck

22  Ibid., p. 214.

341
IDEOLOGIE UND ARBEITSVERHÄLTNISSE

   
unseres Handelns machen zu müssen. Unsere Namen mussten Bekannt- Titelblatt der liberalen Tageszeitung NRC stand zu lesen: „Endlich, weni-
heit erlangen. Wir wurden zu unseren eigenen Marken und mussten unsere ger Kunst“. Wir waren von unseren liberalen Freunden verraten worden,
eigenen Interessen wahrnehmen. Wir waren künstlerische Einzelkämp- die uns so lange gestattet hatten, selbstbestimmt zu arbeiten. Wir Künst-
fer – dazu verdammt, wie Unternehmer zu denken und zu handeln. Kunst ler gingen aus Protest auf die Straße. Und sehr schnell stellten wir fest,
als Raum für Reflexion und als Gedanke, der zur Tat wird, verloren an wie schwer es für uns war, uns zu organisieren, ein Gegengewicht zu
Bedeutung. Die Vorstellung, dass Kunst einen Beitrag zum gesellschaft- bilden. Und wir mussten feststellen, dass wir derart international ausge-
lichen Wandel leisten könnte, verschwand vollständig. Selbstverständlich richtet waren, dass wir vergessen hatten, wie man mit den Menschen von
existierten nach wie vor Menschen, die ein Interesse an politisch enga- nebenan kommuniziert. Wie sollten wir ihnen also erklären, was unsere
gierter Kunst hatten, Denker wie Rancière waren uns immer noch will- Ziele sind oder warum wir glauben, dass Menschen Kunst brauchen?
kommen. Ihr kritisches Denken wurde letztlich aber neutralisiert, reduziert Leyni, Laura, Hassan, Thijs – diese Putzleute brauchen Kunst. Sie wollen
auf die von den Kunstinstituten vorgegebenen Themen. Gesellschaftlich Geschichten hören, wollen denken. Ihre Arbeit ist stumpfsinnig, die Be-
engagierte Kunst wurde zur gesellschaftlich isolierten Kunst. Linker For- dingungen stumpfen sie weiter ab, sie wiederzubeleben geht nur durch
malismus, wie es die Russen nennen. neue Erfahrungen und Perspektiven. Obwohl sie im Ruf stehen, konser-
Der Prozess der Individualisierung war von großer Wirkung auf unser Leben. vativ zu sein, haben sie mich gefragt, für sie zu arbeiten, mich ihrem
Wir verfielen in eine Haltung, „uns mehr und mehr anstrengen zu müs- Kampf anzuschließen und eine neue Bildsprache zu erfinden, durch die
sen“. Mehr als je zuvor wurden wir zu Rivalen. Konkurrenz untereinander sie über ihre Lebenswirklichkeit sprechen können, um diese zu verän-
wurde zur normalen Umgangsform. Und je mehr sich jede/r Einzelne auf dern. Und sie bezahlen mich dafür.
die eigene Karriere besann, desto mehr isolierten wir uns von der Gesell- Die Entscheidung fiel mir nicht schwer. Wer will schon weiterhin gegen
schaft. Wir richteten uns auf die internationale Kunstszene aus, deren Niedriglohn für Menschen arbeiten, die einen ein ums andere Mal verraten?
Normen und Maße ganz offensichtlich nicht in unserer Umgebung veran- Ich will damit nicht sagen, dass wir in Zukunft nur noch außerhalb der
kert waren. Die Öffentlichkeit konnte die Sprache, derer wir uns bedien- Kunstwelt arbeiten werden. Aber wir müssen darüber nachdenken, für
ten, schon lange nicht mehr verstehen. wen wir arbeiten wollen. Wir müssen das Kritische wieder mit dem Prak-
In den letzten Jahren ist deutlich geworden, dass wir mehr mit den Putz- tischen verbinden, unsere Praktiken wieder mit den Menschen in unserer
leuten gemeinsam haben, als uns lieb ist. Wir arbeiten in einem Niedrig- Umgebung verknüpfen – innerhalb und außerhalb der Institutionen. Die
lohnsektor. Wir füllen die Lücken aus, die von einer im Rückzug befindli- Zeit ist reif, um die ewig gleichen Kreise hinter uns zu lassen.
chen Regierung hinterlassen wurden. Wir arbeiten für Spekulanten, ihre Und für alle diejenigen, deren Traum von der internationalen Karriere sich
Projektmanager und die Realisierung der Investitionen von Werbefach- noch nicht in Luft aufgelöst hat, gilt die Parole: „Die Karotte, die dir ver-
leuten. Wir schaffen kulturelle Legitimität für autoritäre Beamte oder für sprochen wurde, sie ist längst weg!“ – eine Wortschöpfung der Brigade
das soziale Profil einer Tochter eines argentinischen Kriminellen. Diese des ArbeiterInnenprekariats.
Dinge bieten uns einen gewissen Status, aber wir arbeiten umsonst, und
in der Wettbewerbswirtschaft ist das Individuum allein verantwortlich, Matthijs de Bruijne
wenn etwas schiefgeht. Wir KünstlerInnen und KulturarbeiterInnen analy-
sieren unsere Arbeitsbedingungen heute nicht genug.
Vor zwei Jahren beschloss die liberale Regierung, toleriert von ihren
rechtspopulistischen Förderern, den Sonderstatus des Künstlers abzu-
schaffen. Sie entschieden, dass das System der Sozialleistungen für die-
se Parasiten geändert werden müsse und von nun an der Markt darüber
entscheiden werde, welche Kunst gut und welche schlecht ist. Auf dem

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IDEOLOGY AND LABOUR CONDITIONS

   
For whom are we working?

During the Marches of Respect by Dutch cleaners, the people at the front
of the marches were often the same. Leyni, Laura, Hassan, Thijs are a few
of their names. These cleaners walked through the cold to demand the
respect due to them. As in 2010, they were on strike because they had
become aware that dialogue in the current conditions of Dutch society
does not earn you better working conditions.
Their strike action began on January 2, 2012, lasted 105 days, and resulted
in an improved contract. More importantly, it resulted in a broader awareness,
the awareness of forming a union together, a movement to collectively
Quellen improve your reality.
León Ferrari (1973), „Tucumán Arde – Arg, respuesta a un cuestionario“,
siehe: http://www.icaadocs.mfah.org/icaadocs/THEARCHIVE/
The images make it clear: what we see here is not the Netherlands of the
FullRecord/tabid/88/doc/761415/language/en-US/Default.aspx. so-called elite, but in fact a new, transformed working class. Mostly migrant,
working under the oddest of labour contracts, and of course for a minimum
Angela McRobbie (2003), „Everyone is Creative. Artists as Pioneers of
the New Economy?“,
wage. And I, as an artist, am working for them!
siehe: http://www.k3000.ch/becreative/texts/text_5.html. Is it possible to find worse conditions of labour in the Netherlands than
those of the cleaners? Yes, it is. One example: Dutch art institutes these
Merijn Oudenampsen (2011), „Monsterpolitiek, de strategie van het
dubbele perspectief“, days more and more often decide to hire their assistants as interns.
siehe: http://www.jaarboekkritiek.nl/images/jaarboeken/2011/kritiek%20 Interns, who often will be doing the work of a departed paid employee.
2011_075_oudenampse.pdf. The only difference is one of income: the intern will be unpaid.
The Precarious Workers Brigade, So the awful labour conditions that Dutch cleaners deal with are not
siehe: http:://www.precariousworkersbrigade.tumblr.com/texts. singular and unique. Our entire society has been transformed at the hands
of neoliberal ideas of management since their introduction in the nineties.
In the cleaning sector we saw the emergence of outsourced cleaning
companies competing on the free market to obtain cleaning contracts for
this or that “object.” The rates for cleaning work started to decline, and for
the individual cleaner, this meant more work in less time. An increased
workload results in the things we see: dirty trains, filthy toilets in offices.
In the arts, the neoliberal rules implied that we had to start worrying about
our career, to make that the final object of our activity. We had to get our
names known. We became our own brands and had to look out for our
own interest. We were artistic individuals, entrepreneurs. Art as a space
for reflection and thought-that-acts was removed from center stage. The
idea that art could contribute to change disappeared completely. Of course,
there were still people interested in socially engaged art, thinkers like
Rancière could depend on our welcome, but their critical thoughts ended
up being neutralised, reduced to themes/topics in the art institutes. Socially

344 345
IDEOLOGY AND LABOUR CONDITIONS

   
engaged art became socially isolated art. Leftist formalism, as the Russians and to invent a new imagery, a new language to talk about their reality in
have a way of expressing it. order to change it. And they will pay for that.
The process of individualisation had a great impact on our lives. We got This was a simple choice: do you want to continue to do low paid work for
the “must try harder and harder” mentality. More than ever we became a group of people that is betraying you time after time?
each other’s rivals, competing amongst ourselves became a normal form I am not saying that in the future we will only be working outside of the art
of contact. And the more we focused on our own individual career, the more world. But we do have to think for whom we want to work. We have to
we isolated ourselves from society. We were targeting the international reconnect the critical with the practical, to reconnect our practice with
art world, whose standards and units of measurement were clearly not the people around us. In and outside of the institutes. The time has come
anchored in our own environments. The public could no longer read the to collectively start moving outside of our same old circles.
language we produced. And for those whose career-dream has not yet evaporated, there is this
The last couple of years it has become fairly clear that we have more in slogan coined by the Precarious Worker’s Brigade: “The carrot you were
common with these cleaners than we would like to admit. We work in a promised has already gone off!”
low-pay sector. We are filling the gaps left by a government in retreat. We
are working for citymarketeers, project managers, and to realize the Matthijs de Bruijne
investments of advertising agents. We are creating cultural legitimacy for
collectors, social legitimacy for authoritarian public officials, or create the
social profile of a daughter of an Argentinean criminal. These things offer
us status, but we are working for nothing, and in the competitive economy
the individual only has himself to blame if something goes wrong. We
artists and cultural workers at present do not sufficiently analyze our own
working conditions. References
León Ferrari (1973), “Tucumán Arde – Arg, respuesta a un cuestionario.”
Two years ago, the liberals in government, enabled by their right-populist See: http://www.icaadocs.mfah.org/icaadocs/THEARCHIVE/
support, decided that the special status of the artist would come to an FullRecord/tabid/88/doc/761415/language/en-US/Default.aspx.
end. They determined that the system of benefits for these parasites
Angela McRobbie (2003), “Everyone is Creative. Artists as Pioneers of
would have to change, and that from now on it would be the market that the NewEconomy?”.
would decide which art was good and which was bad. On the cover of the See: http://www.k3000.ch/becreative/texts/text_5.html.
liberal newspaper NRC one could read: “Finally, less art.” We had been
Merijn Oudenampsen (2011), “Monsterpolitiek, de strategie van het
betrayed by our liberal friends, who for such a long time had allowed us dubbeleperspectief”.
to work autonomously. We artists went out on the street to protest. And See: http://www.jaarboekkritiek.nl/images/jaarboeken/2011/kritiek%20
very quickly we found out how hard it was for us to organize ourselves, to 2011_075_oudenampse.pdf.

form a counterpower. And we discovered we were so internationally oriented The Precarious Workers Brigade.
that we no longer knew how to communicate with the people who live See: http:://www.precariousworkersbrigade.tumblr.com/texts.
next door. How were we then to explain to them what our goals were, or
why we think people need art?
Leyni, Laura, Hassan, Thijs; these cleaners need art. They want to hear stories,
want to think. Their work is dull and the conditions numbing, revival only
comes through new experiences and perspectives. While they are considered
to be conservative, they have asked me to work for them, to join their fight

346 347
DER ARGE WEG ZUR
ERKENNTNIS.
DRAMATISIERUNG EINES
VORTRAGS ÜBER THE ACADEMY
AND THE CORPORATE PUBLIC
– IN ZWEI TEILEN
Stephan Dillemuth

TEIL I – DIE AKADEMIE


Forschung, Boheme und Selbstorganisation

Als Teil meines aktuellen Forschungsprojektes The Academy and the Corporate
Public möchte ich über die Beziehung zwischen der Akademie (als einem
diskursiven Feld der bildenden Künste) und einer Öffentlichkeit sprechen, die
durch die Einflüsse einer corporaten Weltökonomie eine grundlegende Verän-
derung erfährt.

Ich glaube, dass diese Veränderung eine andere Funktion der Kunst, eine
andere Auffassung von der Rolle des Künstlers/der Künstlerin in der Gesellschaft
und eine andere Qualität von Lehre und Forschung zur Folge hat.

Welche Rolle spielen institutionelle Forschung, Selbstorganisation und die Boheme


in dieser Entwicklung?

Zur Situation in Deutschland:

Der Herbst 2009 brachte breite Proteste und Hochschulbesetzungen, die


an der Kunstakademie in Wien begonnen hatten und sich auf die Universitäten
Europas und sogar auf die USA ausdehnten.

Diese Besetzungen sind dem Bologna-Prozess geschuldet, der aufgrund


der Vereinheitlichung des europäischen Hochschulwesens die Warenförmigkeit
von Bildung institutionell festschrieb. Ein hochschulpolitisches Versagen in
jeder Hinsicht.

349
DER ARGE WEG ZUR ERKENNTNIS

* Zum einen bedeutet die Einführung von Bachelor-/Master-Modulen und > Einige Probleme mit Forschung
Creditpoints einen Bruch mit der Humboldt-Tradition, auf die Deutschland
* Forschung ist zur bloßen Rechtfertigung von (künstlerischen) Projekten
seit jeher so stolz war. Diese Tradition verstand „Bildung“ als ein ganzheit-
verkommen.
liches Projekt, das dazu befähigen sollte, sich als autonomes Individuum im
Hinblick auf sein Menschsein selbst auszuformen. * Mittlerweile muss jedes Projekt als „Forschung“ verpackt werden, um über-
Dieser Bildungsbegriff ist heute einer technokratischen Aus-Bildung erlegen, haupt Aussicht auf eine eventuelle finanzielle Förderung zu haben.
und die StudentInnen erkennen, dass allein wirtschaftliche Aspekte die * Ein typischer Jargon, eine Forschungsantrags-Lingo, kontaminiert alle
Struktur und die Lehre der Hochschulen bestimmen. Dies ist nicht weiter Forschungsprojekte von Beginn an.
überraschend, denn Bertelsmann, einer der mächtigsten Medienkonzerne,
war Anstifter des Bologna-Prozesses. * Forschung ist in einem curricularen Masterplan zur Pflichtübung verkommen.

* Zum anderen wurden Studiengebühren eingeführt. Während StudentInnen * StudentInnen und LehrerInnen werden zur Forschung verpflichtet.
in Deutschland bisher kostenlos studieren konnten, müssen sie jetzt durch- * Diese von oben verordnete Forschung muss überprüft werden.
schnittlich 450 Euro pro Semester bezahlen. Dies ist ein erster Schritt in
Richtung einer allgemeinen Privatisierung von Bildung. Universitäten werden * Es werden daher Erfolgs- und Bewertungskriterien für StudentInnen und
nun zu profitorientierten Wissenskonzernen. Institutionen entwickelt. Doch wie messen wir den Erfolg der Forschung?
Durch ein Kredit- und Punktesystem? Durch Prüfungen und externe Evaluation?
* Drittens werden die demokratisch organisierten Entscheidungsorgane, welche
die Hochschulautonomie garantierten, durch corporate Unternehmens- * Die Forschungsprojekte werden beurteilt und bewertet, die Universitäten
strukturen abgelöst. So wird z. B. den externen Mitgliedern der neu instal- selbst werden beurteilt, bewertet und in Konkurrenz zueinander gebracht.
lierten Aufsichtsräte (Hochschulräte, Uniräte) unangemessen großer Einfluss Dazu gibt es externe Unternehmen und Ratingagenturen.
auf die Hochschulen gewährt. An der Universität München sind z. B.
* Evaluierung, die von außen kommt, wird leicht zum Überwachungs- und
Führungskräfte aus großen Konzernen, wie Siemens, BMW und Roland
Kontrollorgan.
Berger (himself!), zu Mitgliedern im Hochschulrat ernannt worden.
* Was also „Exzellenz“ genannt wird, resultiert aus Stromlinienförmigkeit und
Die verheerenden Auswirkungen der neoliberalen Politik auf Kunst, Bildungs-
Kontrolle.
einrichtungen und die gesamte Gesellschaft sind im Laufe der Jahre immer
sichtbarer geworden. Vor dem Hintergrund des weltweiten Zusammenbruchs * Und Kontrolle beginnt bereits dort, wo entschieden wird, welche Projekte
der Finanzmärkte scheint die corporate Infiltration aller öffentlichen Bereiche, gefördert werden sollen und welche nicht. Das bedeutet, dass bestimmte
wie z. B. der Universitäten, zu weit gegangen zu sein. Projekte ohnehin keine Chance haben, weil sie als zu kritisch empfunden
werden oder nicht der herrschenden Ideologie entsprechen. Man könnte
Unsere Bildungseinrichtungen gleichen Ruinen gescheiterter hegemonialer
hier von einer präventiven Zensur sprechen.
Projekte: Patriarchat, Neoliberalismus und Bürgergesellschaft. Forschung könnte
hier zur Untersuchung der Möglichkeiten dienen, die unter den Trümmern liegen. * Weil meist nur Projekte gefördert werden, die Gewinn versprechen, wird
schon bei Antragstellung Gewinn in Aussicht gestellt.
PROBLEME UND VORTEILE VON FORSCHUNG
* Der prognostizierte Profit und die Vorhersehbarkeit der Ergebnisse laufen
Doch wo und wie kann man überhaupt über Forschung reden? Wir müssen
einem ergebnisoffenen Prozess der Forschung zuwider.
an dieser Stelle äußerst vorsichtig sein, dass wir den gegenwärtigen Hype
um Forschung nicht befördern und auf diese Weise den ohnehin inflationären * Am schlimmsten aber für die beteiligten ForscherInnen ist es, dass all diese
Begriff nicht völlig entleeren. Maßnahmen den Spaß an Forschung rauben.

* Sie verhindern lustbetontes Lehren und Lernen und sind für begeistertes
Experimentieren kontraproduktiv. Forschen unter solchen Bedingungen ist
nur noch deprimierend – vorbei ist es mit der „fröhlichen Wissenschaft“.

350 351
DER ARGE WEG ZUR ERKENNTNIS

> Vorteile ARTEN VON FORSCHUNG

Auf der anderen Seite könnte Forschung viele Vorteile bieten. Denn Im Folgenden will ich mich selbst zum Untersuchungsobjekt machen und meine
Verwicklung in drei verschiedene Prozesse erörtern: Selbstermächtigung,
* Forschung ist undurchsichtig und geheimnisvoll – also gefährlich! – wie eine
Selbstorganisation und Forschung. Ich schlage dafür drei Kategorien vor:
Abenteuerreise in ein noch unbekanntes Gebiet.
pubertäre, bohemistische und institutionelle Forschung.
* Forschung ist ergebnisoffen, ein Endresultat lässt sich weder vorhersagen
noch versprechen. Strategien und Methoden werden oft im jeweiligen Diese Kategorien sollen aber nicht als bindende Konzepte verstanden werden,
Moment bestimmt oder von früheren Experimenten abgeleitet. Forschung sie entspringen vielmehr einer zurückblickenden Interpretation meiner eigenen
ist oft improvisiert, sie lässt sich nicht so leicht kontrollieren, wie sich Entwicklung als Künstler (und Forscher).
manche Geldgeber wünschen.
> Pubertäre Forschung
So hat der Kybernetiker Heinz von Foerster z. B. Finanzierungsanträge für
Ausgehend von meiner Studienzeit in den späten 1970er Jahren sehe ich Phäno-
Forschungsvorhaben gestellt, deren Ergebnisse er bereits in der Tasche
mene oder Methoden im Bereich der bildenden Kunst, die als pubertäre
hatte. Auf diese Weise konnte er die bewilligten Gelder selbstverantwortlich
Forschung verstanden werden könnten.
für Projekte seiner Wahl einsetzen.
Solche Strategien wurden seinerzeit von der Punk-Bewegung verwendet oder
* Forschung, wie ich sie begreife, muss versuchen, gegen ihre eigenen,
allgemeiner immer dann, wenn die Welt definiert, determiniert oder unzugäng-
inneren Schranken anzugehen.
lich erscheint.
* Sie muss aber ebenfalls versuchen, die äußeren Restriktionen (Umgebung
Seit frühester Kindheit erzählen uns die Eltern, die Schule und die Medien, wie
variablen, blinde Flecken und Kontrollmechanismen) im Hinblick auf die
die Welt zu sehen, zu benennen und zu interpretieren sei. Jugendlichen
Forschungsergebnisse zu reflektieren und diese möglichst auszuschalten.
er­­­­scheint es dann oft, als gäbe es keinerlei Möglichkeit zur subjektiven und
* Forschung kann daher auch ungewöhnliche Untersuchungsmethoden individuellen Inbesitznahme dieser vorgefertigten Welt. Es gibt keine Leerstel­
anwenden: Streik, Obstruktion und Protest sind nicht nur denkbar, sie ­­len oder freien Orte, alles ist mit Definitionen zubetoniert.
müssen als Experimente verstanden werden, die zu neuen und aufschluss-
Es ist daher verständlich, dass sich jede junge Generation in der sie umgeben­
reichen Erkenntnissen führen können.
­­den Aussichtslosigkeit neu erfinden will. Doch wie geht das? Manchmal hilft
> Zur Notwendigkeit der Forschung in der bildenden Kunst es, die empfundene Machtlosigkeit als Hebel zu benutzen: Du hast keine Chance,
aber nutze sie!
In der bildenden Kunst können wir heute eine verbreitete „Anything goes“-
Attitüde feststellen eine Beliebigkeit, die alles gleich gültig und damit auch Wie kann man aus der Schwäche eine Stärke machen? Pubertäre Strategien
gleich langweilig werden lässt. Alles scheint erlaubt, solange es wünschens- suchen Möglichkeiten, die gegebenen Definitionen zu verneinen, die (Defini-
werte neue Waren hervorbringt. tions-)Macht herauszufordern und zu verhöhnen.

In einer solchen Situation braucht die Kunst wie die Mode saisonale Hypes, * Wie also können Grenzen ausgelotet, provoziert und überschritten werden?
um eine Sache wünschenswerter als die andere erscheinen zu lassen. Die
* Es ist nicht notwendig zu wissen, was man will es ist notwendig zu wissen,
Erkenntnisse, die man daraus ziehen kann, sind äußerst fragwürdig, oft er-
was man nicht will. Unwissenheit kann strategisch werden: Ich weiß, dass
scheinen die Marktmechanismen interessanter als die „Innovationen“ der Kunst.
ich nichts weiß.
Gegen die Kunst in ihrer Funktion als bloßer Ausstatter der herrschenden
* Aneignung der Produktionsmittel! In den späten 1970er Jahren war die
Marktideologie schlage ich vor, künstlerische Forschung als epis-te-mo-
Malerei immer noch die prominenteste kulturell aufgeladene Disziplin. Das
logisches Tool zu begreifen, als ein Weg zu Einsicht, Wissen und Erkenntnis,
konnte man leicht umdrehen, Malerei konnte gegen die Malerei gewendet
als ein Instrument zum Öffnen der Welt, als ein Theater zur Reflexion über die
werden. Farbe war spottbillig, und Malerei war schnell gemacht, wenn sie
Rolle der Kunst als Kunst, als ein Gemälde, das uns sogar unterhalten kann.
mit der nötigen Respektlosigkeit angegangen wurde.

352 353
DER ARGE WEG ZUR ERKENNTNIS

* Der Code konnte also gegen den Code verwendet werden. Hässlich ist schön! Der Raum wurde also zu einer Art Treffpunkt, zu einem Ort des gemeinsamen
Abhängens und Arbeitens. Um diese Aktivitäten herum entstand eine Art
Alle diese Strategien können als Prozesse der Selbstermächtigung, Selbst-
Szene, die den Raum wiederum konstituierte. Diese wechselseitige Konstitu-
bildung, Identitätsbildung verstanden werden. Die Weigerung, an die alten
ierung könnte man sowohl als Selbstlegitimierung als auch als Bildungs-,
Ordnungen zu glauben, veränderte den Status der zuvor Machtlosen.
Formungs- und Wachstumsprozesse begreifen.
Diese Prozesse können als experimentelle Forschung begriffen werden. Ich
Gleichzeitig funktionierte der Raum auch als ein Archiv, das die darin stattfin-
nenne sie aus augenfälligen Gründen „pubertäre Forschung“, aber bestimmte
denden Aktivitäten einerseits befeuerte und sie andererseits dokumentierte.
Elemente davon sind bereits bei Kleinkindern zu erkennen: wenn sie z. B. auf
dem Küchenboden herumkrabbeln, Töpfe und Pfannen aus dem Regal holen Bald stießen wir auf andere selbstorganisierte Projekte. Das waren Fanzines
und darauf herumhämmern. Die Mutter schimpft und stellt die Töpfe wieder und Räume in Wien, Hamburg, Berlin und KünstlerInnen, die gerade ein elek-
zurück an ihren Platz, aber nach fünf Minuten wiederholt sich die Szene und tronisches Netzwerk aufbauten, das „The Thing“ genannt wurde.
es geht so weiter, bis die Mutter dem Kind völlig entnervt Einhalt gebietet.
Nach Fohrmann/Schüttpelz nenne ich diese Aktivitäten „bohemistische Forschung“.
Diese frühe Phase experimenteller Forschung probiert die Welt aus und bürstet
* Weil sie in einem bohemistischen Kontext zu lokalisieren ist.
sie gegen den Strich, sie wendet sich gegen geläufige Regeln und sondiert die
Grenzen der Macht. Dieses Modell von Forschung ist an deutschen Kunstaka- * Hier finden sich die beteiligten Personen durch Wahlverwandtschaften. Sie
demien ziemlich beliebt. Die meisten KünstlerInnen huldigen ihm lebenslang, teilen eine ähnliche Problemlage, aber sie bringen unterschiedliches Wissen
denn es bestärkt das Bild des Künstlers/der Künstlerin als geniale/r DilettantIn. und verschiedenste Hintergründe mit. Damit die gegenseitige Anziehung in
Und diese/r ist pubertär, antiautoritär und singulär, extrem subjektivistisch, einen zunehmend differenzierten Diskurs münden kann, müssen die Betei-
extrem individualistisch und in gewisser Weise naiv. ligten ausreichend unterschiedlich, aber auch ähnlich genug sein.
Aus diesen Gründen kann pubertäre Forschung nicht wirklich als Forschung * Dies kann in eine produktive kollektive Arbeit münden, die ich hier
im engeren Sinne verstanden werden. Es gibt keine Reflexion, kaum einen „Forschung“ nenne.
Versuch der Evaluation, kein Bewusstsein in der Rolle des Forschers/der For-
* Diese Arbeit erfolgt im Selbstauftrag, sie ist weitestgehend von den
scherin und keine Reflexion über diese Rolle.
Dynamiken der Gruppe selbst bestimmt.
> Bohemistische Forschung
* Meist geht es um die Erforschung von Problemen, die auf der Hand liegen,
Friesenwall 120 war in den frühen 1990er Jahren ein leer stehendes Laden- die also der täglichen Lebenspraxis entspringen. Es ist die Erforschung des
lokal in Köln, wo ich mit den Künstlern Josef Strau, Nils Norman, Kiron Khosla Lebens durch das Leben.
und Merlin Carpenter zusammenarbeitete.
Fast alle Avantgardegruppen des 20. Jahrhunderts (die Surrealisten, Situationisten,
Von Anfang an empfanden wir die Möglichkeiten einer Galerie oder einer Kommune 1 etc.) haben solch kollektive Forschungsmethoden praktiziert.
Produzenten-Galerie als unattraktiv. Letzteres ist eine von KünstlerInnen
In dieser Forschung gibt es kritische Werkzeuge zur Selbstbeobachtung
betriebene und finanzierte Galerie, die dort ihre eigenen Arbeiten und die von
und -analyse (Archive, Protokolle und Tagebücher), Planungsstrategien und
FreundInnen ausstellen. In unseren Augen wäre dies weniger Selbstorgani-
Methoden zur Durchführung von Experimenten. Es gibt Verfahren und
sation als Selbsthilfe, ein Versuch also, den gängigen Habitus und die Verfah-
Kriterien zur Evaluation, die zu weiteren Experimenten führen können. Hier
rensweisen der kommerziellen Kunstwelt zu kopieren, um daran teilzuhaben.
finden wir ein für das Forschen notwendiges Bewusstsein.
Um möglichst andere Wege zu beschreiten, mussten wir die normative Qualität
Diese Zeit bohemistischer Forschung war für mich die Erfahrung, von der ich
dieser Formate ablehnen und untersuchen, wie sie Kunstobjekte, Waren und
am meisten gelernt habe. Das war meine Akademie, meine künstlerische
deren Rezeption definieren. In unserer halböffentlichen Situation gelang es,
Ausbildung. Selbstorganisation, wie ich sie begreife, ist vor allem ein Akt der
mit den Bedingungen des Raums selbst zu experimentieren und Situationen
Selbstbildung und Selbsterziehung, sie ist eine Möglichkeit, „Akademie zu
zu schaffen, die dazu anregten, sich untereinander auszutauschen und sich an
den Experimenten zu beteiligen.

354 355
DER ARGE WEG ZUR ERKENNTNIS

machen“. Diese Erkenntnis veranlasste mich dazu, über die Akademie und ihre aufzulösen, was letztendlich gelungen ist. Bald gründeten die selbstorga-
Geschichte nachzudenken: nisierten „Gelehrten Gesellschaften von Amateuren und Dilettanten“ ihre
eigene Nachwuchsförderung, die sie nach Plato „Akademie“ nannten.
> Institutionelle Forschung, Exkurs
* Diese Ausbildungsstätte formalisierte und institutionalisierte sich zunehmend,
Im Hinblick auf die Entwicklung der Kunstakademie und der Universität
und bereits einhundert Jahre später kann die Akademie des absolutisti-
müssen wir unterschiedliche Methoden der Wissensproduktion und der Lehre
schen Königs festgeschriebene künstlerische Regeln und Vorschriften,
unterscheiden.
curriculare Strukturen und Punktesysteme vorweisen.
Die Universität hat sich in drei Phasen entwickelt:
Das ist wahrscheinlich ein vertrautes Bild: Die absolutistische Akademie
* In der scholastischen Phase wurden überwiegend christliche Dogmen findet ihren technokratischen Wiedergänger im Bologna-Prozess. Ähnlich
ausgelegt und begründet. wie heute versorgte die absolutistische Akademie schon damals die
Mächtigen mit saisonalen Stilen und lieferte ästhetisches Know-how für
* In der von Humboldt geprägten Universität sollte Forschung zu einem
Produktdesign, um Waren für die (ausländischen) Absatzmärkte attraktiver
Prozess der individuellen Selbstbildung führen. Forschung, Lehre und
zu machen.
Lernen sollten dabei Hand in Hand gehen. Mit der Einführung des Seminars
wurde auf Gruppenarbeit und einen gegenseitigen, möglichst unhierarchi- * Die KünstlerInnen der Romantik wehrten sich gegen diese als technokra-
schen Austausch Wert gelegt. tisch und utilitaristisch empfundene Ausbildung und propagierten dagegen
eine Rückkehr zum Ausbildungskonzept der mittelalterlichen Werkstatt, wo
* Durch die Einführung des Bologna-Prozesses ist dieses Modell heute im
der Meister das Monopol über die Ausbildung seiner Lehrlinge hatte.
Umbruch, und eine Beschreibung der neuen Rolle der Universitäten ist noch
nicht ausgebildet: Weil das romantische, autopoietische Genie nicht lehren kann, wie man ein
autopoietisches romantisches Genie werden kann, hat die Akademie bis
** Kann man sagen, die Universität ist ein offenes System und lädt dazu
heute keine Lehrmethoden und keine Vorstellung von Forschung. Die Lehre
ein, Communitys um Wissensproduktion herum auszubilden?
an der Akademie geschieht damals wie heute durch das Kopieren von
** Oder ist sie tendenziell geschlossen, und es werden Zugangsbe- Stil und Habitus des genialen Meisters/der genialen Meisterin, deshalb ist
schränkungen zu Lehre und Forschung aufgebaut, um von dieser diese Akademie lediglich ein Ort der „romantischen“ Reproduktion.
Verknappung zu profitieren?
Dagegen sehe ich die Akademie
** Oder wird die Universität zu einem Dienstleistungsanbieter:
* als einen temporären, improvisierten und selbstorganisierten Kommuni-
effektives Job-Training im Wissenskonzern?
kationszusammenhang.
Die Akademie bildete bereits in ihren Anfängen andere Formen des
* Akademie ist keine Institution, sondern eine Aktivität: Es geht darum,
Lernens aus.
„Akademie zu machen“.
* Ursprünglich war die Akademie nichts weiter als ein Wäldchen gleichen
Dies ist eine Form des möglichst unhierarchischen Austauschs mit Gleich-
Namens, in dem Plato und seine Schüler diskutierten und sich
gesinnten, ein Prozess der Selbstermächtigung.
austauschten.
> Institutionelle Forschung in der Kunst
* Im Zuge eines Plato-Revivals in der Renaissance wurde auch diese Form
des geselligen Lehrens und Lernens wiederentdeckt. Die Akademien in Nachdem ich über die Idee einer selbstorganisierten und außerinstitutionellen
dieser zweiten Phase nannten sich „Gelehrte Gesellschaften von Amateuren Akademie ein Buch herausgegeben und dieses wie ein Wanderprediger ange-
und Dilettanten“. Ihre Treffen kann man sich als informelle Veranstaltungen priesen hatte, wurde mir eine Professur an der Akademie in Bergen in Norwegen
vorstellen. Sie sind räumlich improvisiert und zeitlich begrenzt. Und sie angeboten. Hier saß ich nun und überlegte, wozu diese Institution denn zu ge-
versuchen, die alten und verknöcherten Institutionen des Zunftwesens brauchen wäre, weil ja doch alle ihre Akademie selber machen könnten.

356 357
DER ARGE WEG ZUR ERKENNTNIS

Zur gleichen Zeit wurde die „Kunsthøgskolen i Bergen“ mit Forschungsgeldern dann kann der nächste Versuch gestartet werden. Wahrscheinlich wird es
beglückt und die LehrerInnen wurden aufgefordert, Forschungsprojekte zu Serien von Experimenten und Evaluierungen kommen, die den/die
auszuhecken. ForscherIn auf seine/ihre Reise ins Unbekannte begleiten. (Aber wer
bewertet den Fortgang der Experimente?)
Halina Dusin-Woyseth wurde mir als Forschungsberaterin empfohlen. Sie sollte
mir erklären, wie Forschung in einem universitären Kontext zu strukturieren sei: * Es sind natürlich erst einmal die ForscherInnen selbst, das Team und dann
eine Gruppe von Peers, welche die Experimente bewerten, dann kommen
* Normalerweise beginnen wir unsere Forschungen in der Universität mit
weitere ExpertInnen aus dem jeweiligen Fachgebiet, dann Institutionen und
einem Problem, begann sie zu erzählen. (Ich räumte ein, dass ich eigentlich
institutionalisierte KritikerInnen. Das entspricht einem konzentrischen
viele Probleme hätte.)
Wachstum der Überprüfungsmechanismen, der Kritik und der öffentlichen
* Dann fangen wir an zu untersuchen, wer schon einmal über ein solches Wahrnehmung.
Problem gearbeitet hat, wie das gemacht wurde und zu welchen Ergeb-
* Ausstellungen, Manifeste, kritische Bewertungen, Broschüren, Bücher,
nissen das geführt hat. (Das erschien mir logisch.)
Webseiten und Plakate können als Teil der Experimente begriffen werden,
* Diese Untersuchung ist aber nicht Forschung, sondern nur ein erster wie sie auch helfen können, die öffentliche Wirkung der Forschung zu
notwendiger Schritt dorthin, Recherche. Diese Recherche kann nur Wissen verstärken.
zusammentragen, das bereits existiert, dagegen ist Forschung ein Prozess
Nachdem mir dieses Konzept institutioneller und universitärer Forschung
der Annäherung an etwas, das noch nicht existiert. (Interessant! Denn zu
vorgestellt worden war, musste ich zu meiner Überraschung eingestehen,
dieser Zeit recherchierten viele KünstlerInnen zu vielen Problemen, und oft
dass ich alles, was ich gerade gehört hatte, auf meine eigene künstlerische
zeigten sie lediglich ihr gefundenes Material das kann offenbar nicht
Praxis und generell auf die Genese von Kunst anwenden konnte.
Forschung genannt werden?)

* Resultierend aus den Ergebnissen der Recherche wäre eine spezifische


Sicht auf das Problem zu formulieren, die eine Vorstellung davon gibt, wie TEIL II – THE ACADEMY AND THE CORPORATE PUBLIC
man sich dem Problem weiter nähern will. Man nennt das status quaestionis
Mit dem in Bergen begonnenen Forschungsprojekt wollte ich untersuchen,
oder „den zu befragenden Gegenstand“. (Aha, die Problemstellung wird
wie sich ein durch die aktuelle Globalisierung, Privatisierung und Corporati-
also anhand der Recherchelage spezifiziert.)
sierung veränderter Öffentlichkeitsbegriff auf das Kunstfeld auswirkt.
* Für das weitere Vorgehen sollten einschlägige Methoden überlegt werden,
Die bisherige Vorstellung einer nationalen Öffentlichkeit, in der sich idealty-
die dem jeweiligen Fachgebiet entspringen. (Offensichtlich würden dann
pisch eine öffentliche Debatte konstituiert, löst sich auf. Heute müssen wir von
KünstlerInnen künstlerische Methoden verwenden!)
mehreren Öffentlichkeiten sprechen, die sich entlang subkultureller, ethnischer,
* Interdisziplinarität ist nicht die bessere Vorgehensweise an sich, sie macht geschlechts- und klassenbezogener Unterscheidungen ausdifferenzieren, sich
nur Sinn, wenn die eigene Disziplin zu eng geworden ist. (Dazu muss es überlagern, sich vermischen oder miteinander in Konflikt geraten können.
also erst einmal Disziplinen und dazugehörendes Fachwissen geben.)
Doch was haben all diese Fragmente von Öffentlichkeit gemeinsam? Meines
* Das wichtigste Element im Forschungsprozess ist das Experiment! Experi- Erachtens ist der gemeinsame Nenner die Tatsache, dass all diese Fragmente
mente sind notwendig, um herauszufinden, ob der eingeschlagene Weg zur Märkte darstellen oder dass sie als neue Märkte erschlossen werden.
Problemlösung überhaupt zielführend ist, und auch, ob sich die Problem-
Ich nenne diese übergreifende Öffentlichkeit eine „Corporate Public“. Sie ist in
stellung im Lauf der Experimente vielleicht ändert. Wahrscheinlich scheitern
direkter Weise in Abhängigkeit (und im Widerspruch) zu einer corporaten Öko-
90 Prozent aller Experimente, aber das gehört dazu, denn sonst würde man
nomie zu begreifen. Ist der Markt der einzige gemeinsame Ort, an dem sich eine
den Prozess nicht „Experiment“ nennen. (Das macht mich froh!)
übergreifende Öffentlichkeit ausbildet? Was hat das für die Kunst zu bedeuten?
* Die Reflexion über den Forschungsprozess und die Bewertung der Experi-
mente sind für den Fortgang des Forschungsprojekts sehr wichtig. Nur

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DER ARGE WEG ZUR ERKENNTNIS

Zeitgenössische Dystopien: Sponsoring, Branding, CSR Während wir stumpf vor uns hinstarren, vollzieht sich vor unseren Augen die
Privatisierung der Öffentlichkeit. Wie lässt sich unsere tiefe Lähmung begreifen?
Aber wie kam es dazu, dass Öffentlichkeit zu einer corporaten Öffentlichkeit
wurde? Wie entstand die „Corporate Public“? Ruft mich als Zeugen! Corporate Education

In den 1980er Jahren hatten wir SPONSORING: Als die Corporations auszogen, um Erziehung, Bildung und Ausbildung zu erobern,

Hier spielen Konzerne eine noch relativ passive Rolle als Kunstförderer, als * machten sie das nicht nur, um Universitäten als neue Märkte für ihre
angeblich selbstloser maecenas. Dabei beweisen Forschungsergebnisse Produkte zu erschließen,
doch, dass Sponsoring eigentlich die bessere Werbung ist, denn so werden
* sie taten dies auch nicht nur, um direkt von Bildungsprozessen zu profitieren,
die gewünschten Zielgruppen direkter angesprochen.
* sondern es war ihr eigentliches Ziel, die Lehre und die Strukturen der Hoch-
Während die Firmenlogos (und -egos) in der Folge größer werden, werden
schulen zu benutzen, um den „neuen Geist des Kapitalismus“ in die
staatliche und kommunale Fördertöpfe kleiner. Öffentliche Förderer sind
nächsten Generationen hineinzupflanzen.
offensichtlich froh, wenn sie Verantwortung und Entscheidungen an die
privaten Unternehmen abgeben können. Durch diesen Rückzug der öffent- ERZIEHUNG ALS DIENSTLEISTUNG
lichen Hand wird die Abhängigkeit vom privatwirtschaftlichen Sponsor größer.
* Vergesst Bildung! Die Universitäten werden zu Dienstleistern eines rein
Das ist problematisch.
formalen Wissens. Die Humboldt’sche Verbindung von Lehre und
Weil das Engagement der Sponsoren lediglich von imagebedingten Eitelkeiten Forschung wird aufgelöst. Lehre wird Dienstleistung, Forschung wird in
oder wirtschaftlichem Kalkül abhängt, sind Entscheidungen über zu fördernde Konzerne ausgelagert.
Projekte willkürlich und einseitig. Es gibt meist keine demokratische Legiti-
* Die StudentInnen bilden sogenanntes Humankapital, von dessen Produktion
mierung, keine längerfristige Finanzsicherheit. Weil alles vom Wohlwollen der
bereits Gewinne abgeschöpft werden. Als VerbraucherInnen, Konsumen-
Sponsoren abhängt, bleibt die Förderung ständig prekär, und das erlaubt dem
tInnen von Dienstleistungen, als UserInnen werden sie zur Kasse gebeten.
Sponsor, Einfluss und Kontrolle auf die geförderten Projekte auszuüben.
* Dabei formt sich die corporate Aus-Bildung ihre Assets, das sind Produktiv-
Dann, in den 1990er Jahren, kam BRANDING:
werte, die flexibel und allgemein verfügbar gehalten werden. Dafür müssen
Anstatt für sich damit zu werben, dass sie die Avantgarde durch Sponsoring die Assets lernen, sich selbst als Ware zu begreifen, ihr soziales und
unterstützen, wollen viele Konzerne nun selbst zur Avantgarde werden. Künst- formales Wissen selbst zu aktivieren, anzupreisen und zu verkaufen.
lerische Verfahrensweisen und emanzipatorische Strategien subkultureller
* Auch müssen sie lernen, diese Existenz als conditio sine qua non zu
Gruppierungen werden oft ungefragt für Marktstrategien vereinnahmt. Man
begreifen und sich mit den Institutionen, die das fördern, zu identifizieren.
hat KünstlerInnen nun lange genug unterstützt und studiert, jetzt kann man
sich selbst wie ein/e KünstlerIn verhalten und qua künstlerischer Definition Einrichtung neuer Strukturen
aus billigst hergestellten Produkten ungeahnte Werte schöpfen. Der Marken-
Anstatt ein Ort für Selbstgestaltung, für Streit und kritische Analyse zu sein,
name funktioniert dabei als Signatur, er veredelt das Produkt.
wird die Universität ein Instrument zur Herstellung einer neuen Ideologie.
Wir sprechen von CORPORATE SOCIAL RESPONSIBILITY (CSR), Und dieser Prozess, der eine Totalisierung des Marktes propagiert, ist bereits
selbst ein profitabler Markt.
wenn sich Privatfirmen in sozialen Einrichtungen engagieren und Verantwor-
tungsbereiche öffentlicher Institutionen übernehmen. Um die Jahrtausendwende Die bestehenden Strukturen werden dementsprechend ausgerichtet:
beginnen Konzerne damit, den „guten Samariter“ zu spielen und sich als
* Der Bachelor ist eine Basisqualifikation, die den flexibilisierten „Leistungs-
Garanten im Bereich der sozialen Projekte zu präsentieren: McDonald’s betreibt
trägerInnen“ eine Zukunft in der Job-Industrie verspricht. Mit einem
ein Kinderkrankenhaus, Shell spielt sich als Retter der Umwelt auf, in Berlin wird
vergleichsweise niedrigen und breiten Eintrittsniveau ist er relativ leicht
die Universitätsbibliothek in „Volkswagen-Bibliothek“ umbenannt, und Siemens
erschwinglich.
kümmert sich um die Zukunft der Kunstakademien. Ein vertrautes Bild.

360 361
DER ARGE WEG ZUR ERKENNTNIS

* Der darauf aufbauende Master dagegen qualifiziert die „Berufenen“ für Dies geht so weit, dass sogar die gesellschaftliche Grundversorgung (Luft,
ihren Beruf – hier wird der Zugang stärker begrenzt und öffnet sich nur Wasser, Energie, Wohnungsbau, Medien, Gesundheitswesen, Krankenhäuser,
denjenigen, die es sich leisten können. Nur etwa 40 bis 60 Prozent der Pflegeheime) privatisiert wird. Gehen wir davon aus, dass wir (immer noch) in
BA-StudentInnen sollten in der Lage sein, in die Elite aufzusteigen. Hier liegt einem demokratisch organisierten Gemeinwesen leben, dann kommen diese
 kein Wunder die tatsächliche Gewinnspanne. Privatisierungen einer Enteignung gesellschaftlichen Eigentums gleich.

* LLL (Lebenslanges Lernen) ist ein heiß begehrter neuer Markt. Wissen Noch vor ein paar Jahren erschien die corporate Übernahme staatlicher Funk-
muss ständig aktualisiert werden, und im beruflichen Wettbewerb braucht tionen allein eine Frage des Image Makings und Brandings zu sein: Staats-
man Zertifikate, die diese Updates beweisen. Für die Dauer eines Berufs- macht wird zur Macht der Konzerne! Aber inzwischen sind die Konzerne in das
lebens und möglichst darüber hinaus soll man an die Versorgung mit soziale Gefüge viel tiefer eingedrungen, als der Staat das jemals hätte tun
Wissensprodukten gekettet bleiben. Die Updates können ruhig ein wenig können: Jetzt sind die Corporations zu einem konstituierenden Element von
kosten, denn die KundInnen haben in der Regel bereits einen Beruf und uns allen geworden!
können sich das leisten.
Wir konsumieren corporate jederzeit! Wir kleiden uns corporate, wir essen,
Wir werden ZeugInnen der Implementierung eines umfassenden Lebenskon- trinken, lieben corporate, wir sehen, denken, handeln und empfinden corporate.
zepts kostenpflichtiger Wissensversorgung. Von der Wiege bis zur Bahre gilt
Abgesehen von der Tatsache, dass die supranationalen Konzerne bereits alle
es, den eigenen Kapitalwert auszubilden, ihn zu etablieren, ihn permanent
Rezepte, Patente und Urheberrechte besitzen, bedeutet die Übernahme
lebendig zu halten, ihn zu vermarkten und zu revitalisieren.
der Reproduktion, d. h. der Bildungseinrichtungen, dass dieser „neue Geist
Universitäten werden zu Corporations des Kapitalismus“ die kommenden Generationen erzeugen wird. Wie durch
eine Injektion eines genetischen Codes wird sich diese neue Ideologie nun
Die ehemalige „Wissensfabrik“ aus den 1970ern hat sich in der New Economy
selbst reproduzieren. Die Strukturen wurden entsprechend programmiert, eine
verwandelt. Universitäten werden zu Kapitalgesellschaften, die in Eigeninitia-
Wiederherstellung der Ausgangslage ist nicht möglich.
tive global handeln. Sie erschließen sich weltweit neue Märkte, bauen Netz-
werke und Tochtergesellschaften auf, etablieren ihre Wissens-Marken. Ich befinde mich bereits in einer neuen Totalität das klingt freilich paranoid. Ich
Darum sind sie eng mit Unternehmensberatern (z. B. McKinsey, Roland weiß, dass ich nichts weiß.
Berger, Ernst & Young) verflochten, und sie betreiben daher die üblichen
Wissensgesellschaft – Open Source, Open Access
Strukturanpassungen: Business Re-Engineering, Downsizing, Outsourcing,
Merging, Branding, Franchising. Wissen ist eine einzigartige Ressource. André Gorz schreibt:
Fragen: Mit welchen Partnern arbeitet die Corporate University an Forschungs- * Wissen ist keine gewöhnliche Ware.
projekten zusammen? Wem werden die daraus resultierenden Patente
* Wissen vermehrt sich wunderlich, wenn man es mit anderen teilt.
gehören? Wem wird es erlaubt sein, das neu gewonnene Wissen zu verbreiten?
Wem wird es erlaubt sein, darauf zuzugreifen? * Je mehr Wissen man benutzt, desto mehr Wissen produziert man.
Eine neue Totalität wird reproduziert * Seine Verbreitung steigert seine Wirksamkeit.
Wie wir gesehen haben, wird die Logik neoliberaler Wirtschaft auch das * Sein Geld-Äquivalent kann nicht definiert werden.
herrschende Prinzip an den Universitäten. Das Gleiche passierte in den letzten
* Seine Privatisierung reduziert es und widerspricht seinem inneren Kern.
Jahren in anderen gesellschaftlichen Bereichen. Über die Köpfe der demokra-
tisch gewählten Regierungen und ihrer Rechtssysteme hinweg haben Konzerne Gerade in Zeiten schwindender Ressourcen kommt dieses wundersame
mithilfe supranationaler Organisationen und Abkommen (WTO, GATT und vor Wissenszeug wie gelegen. Es vermehrt sich, wenn man es benutzt! Es gibt
Kurzem GATS) fast alle Märkte und öffentlichen Dienste besetzen können. einen sich nie erschöpfenden Vorrat davon! Seinen Wert kann man nicht
messen! Was wäre denn ein Patent auf 1 + 1 = 2 oder der Preis für Einsteins
Formeln?

362 363
Um also nach kapitalistischer Logik Profite aus Wissen zu schlagen, müsste * Während sich die Konflikte weiter verschärfen, werden wir auch weiterhin in
der Zugang zu Wissen eingeschränkt werden. Eine Grundversorgung an den Ruinen des Patriarchats und des Neoliberalismus leben. Daraus etwas
Wissen müsste kostenpflichtig werden, zusätzliches Wissen kostet mehr, es Neues entstehen zu lassen braucht Ausdauer.
qualifiziert ja auch mehr! Forschung müsste in geschlossenen Zirkeln statt-
* Wie können wir solide Fundamente für ein nachhaltiges Wissen legen, das
finden, das Know-how durch Patente, Copyright etc. geschützt werden.
für alle zugänglich ist und auf dem wir zusammen mit anderen aufbauen?
Angeblich ist Wissen das Öl des 21. Jahrhunderts. Und schon sind wir Zeugen
* Wie unterscheidet sich dieses Wissen von einer elitären und technokrati-
der Kämpfe um Wissensverbreitung und Privatisierung. Der Griff nach den
schen selbst ernannten „Wissensgesellschaft“, die ihre Besitzansprüche
Universitäten, die Patentierung, auch von Lebewesen, die Ausdehnung des
überall geltend macht, ohne jedoch die vielen Milliarden zu berücksichtigen,
Urheberrechts auf alle Felder der Wissensproduktion sind Privatisierungsstra-
die dafür die Drecksarbeit machen müssen?
tegien, um vom Mangel zu profitieren.
* Wir brauchen Forschung, die zu einem grundlegenden gesellschaftlichen
Dies geht Hand in Hand mit der Überwachung aller menschlichen Kommuni-
Wandel führt.
kationskanäle, auch dort wird Wissen erzeugt und geteilt: Internet, TV, Telefon,
Printmedien und öffentlicher Raum. * Symbolische Gesten sind dabei sehr wichtig; die Aufmerksamkeit und die
Bedeutung, die Kunst und Wissenschaft in der Gesellschaft haben, müssen
benutzt werden. Aber das ist nicht genug!
FAZIT
* Forschung muss aus den sicheren Institutionen hinaus auf die Straße.
Letztendlich, KünstlerInnen und ForscherInnen, WissenschaftlerInnen, Stu-
Forschung muss Partei ergreifen und ihre wichtigste Ressource – Wissen – 
dentInnen und DozentInnen, wo steht Ihr?
gegen die laufenden Privatisierungen schützen: keine Patente, kein
Sind wir die neuen HofkünstlerInnen? Tragen wir zu dieser neuen kapitalisti- Copyright und keine Zugangsbeschränkungen!
schen Herrschaft bei, weil wir ihren Triumphzug über den Planeten mit unseren
Wir müssen gegen die zunehmenden Privatisierungen kämpfen und Allmenden
Werken begleiten?
schaffen, das Teilen lernen, denn um zu wachsen, muss Wissen für alle zugäng-
Ich denke, Forschung ist nie neutral oder ausschließlich mit sich selbst be- lich gemacht werden.
schäftigt. Forschung muss sich mit den Widersprüchen dieser Welt auseinan-
Es gibt so viel zu tun, und eine Forschung, die dazu beitragen will, war noch
dersetzen und sie verändern. Durch ihre Einsichten und ihre Erkenntnisse,
nie so notwendig wie heute!
durch Experimente und Kämpfe gelingt das auch.
Das ist wahrscheinlich ein langer Weg, aber es ist ein völlig neues Spiel, kostet
Deshalb ist Forschung in Institutionen natürlich notwendig, aber durch die
viel Mühe, verspricht aber auch viel Spaß.
institutionelle Logik sehr eingeschränkt. Und deshalb rufe ich die Boheme zu
den Waffen!
Kommt, lasst es uns angehen! Jetzt!
Bohemistische Forschung übernimmt eine neue und wichtige Rolle als ein
letzter Zufluchtsort für die uneingeschränkte Produktion von Wissen.

Bohemistische Forschung ist selbstorganisiert (wir erinnern uns):

* Sie entspringt existenziellen Bedingungen und eigenem Antrieb.

* Sie investiert in die Untersuchung der Probleme, die unter den Nägeln brennen.

* Sie ist ein Kristallisationspunkt für kritisches Denken, der letzte Ort für poli-
tischen Dissens und kritische Analyse außerhalb allgemeiner sozialer Kontrolle.

Eine Dramatisierung dieses Vortrags ist im Internet gratis verfügbar: http://societyoutofcontrol.com.

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THE HARD WAY
TO ENLIGHTENMENT.
DRAMATIZATION OF A
LECTURE ON THE ACADEMY
AND THE CORPORATE PUBLIC
— IN TWO PARTS 
Stephan Dillemuth

PART I—THE ACADEMY


Research, bohemia, and self-organization

As part of my ongoing research project, The Academy and the Corporate


Public, I want to talk about the relationship between the academy (as a
discursive field in the fine arts) and the public sphere in the midst of a seismic
shift induced by the corporate world economy.

I believe that this shift goes hand-in-hand with a different function for the arts,
a different conception of the role of the artist in society, and a different quality
of education and research.

What part does institutional research, self-organization, and bohemia play in


these developments?

On the situation in Germany

The fall of 2009 brought widespread protests and squatting of universities by


students, starting at the Art Academy in Vienna and moving on to other
countries in Europe and even the US.

The occupations were triggered by the Bologna Process, which institutionalized


the commodification of education, a failure on all possible levels.

* Firstly, the implementation of BA/MA modules and credit points marks a


break with the Humboldt tradition, of which Germany has always been so
proud. This tradition grasped Bildung as a holistic project intended to
enable the autonomous individual to engage in a process of self-formation
in regard to his/her being human.

366 367
THE HARD WAY TO ENLIGHTENMENT

But now, this concept of education has succumbed to technocratic training, * Research prescribed from above has to be evaluated.
and students realize that solely commercial factors define the structure and * Thus, success and evaluation criteria for students and institutions have to
teaching at universities. This comes as no surprise as Bertelsmann, one be developed. But how can we measure the success of research? Through
of the most powerful media corporations, was the instigator of the Bologna a credit point system? Through exams and external evaluation?
Process.
* The research projects are assessed and rated; the universities themselves
* Secondly, student fees have been introduced. Whereas previously students are evaluated, ranked, and placed in competition with each other. To this
were able to study for free, they are now charged about 450 Euros per semester, end, there are external firms and rating agencies.
which may well herald the conversion of universities into profit-making
organizations. I see this as a first step towards the privatization of education. * External evaluation can easily turn into a surveillance and control program.
* What is called “excellence,” then, results from streamlining and control.
* And thirdly, democratic forms of decision-making within the institutions, the
Autonomy of Higher Education, have been replaced by corporate business * The exertion of control starts from the moment of the decision as to which
structures that give external members of the freshly installed supervisory research projects will be funded and which not, meaning that specific projects
boards (university council) unreasonable influence over the universities. may have no chance because they could be seen as too critical or otherwise
For example, managers from such large corporations as Siemens, BMW, unwanted by the ruling ideology. This may be called preemptive censorship.
and Roland Berger (himself!) have been appointed as board members at the * Usually only projects that can promise a profit receive funding, so the
university in Munich. application already promises a profit.
The devastating effects of neoliberal politics on the arts, the educational * The predictability of profit and results runs counter to an open-ended
institutions, and society as a whole have become more and more visible over process of research.
the years. In light of the global financial crash, people seem to feel that the * Worst of all, none of these measures are much fun for the researchers
corporate infiltration into all public sectors, especially universities, has gone involved.
too far.
* They prevent joyful teaching and learning and run counter to enthusiastic
Our educational institutions are in ruins, are failed hegemonic projects: experimentation. Research in such an environment can only be depressing;
patriarchy, neo-liberalism, and civic society. Research could be seen as a tool gone is “la gaya scienza.”
for exploring the possibilities that lie under the rubble. > Advantages
PROBLEMS AND ADVANTAGES OF RESEARCH On the other hand, research could have many advantages to offer.
But where and how to talk about research? I think we have to be extremely * Research is opaque and mysterious—meaning dangerous!—like a journey
careful to avoid promoting and perpetuating the contemporary hype of research, into unknown territory.
thus totally emptying this already inflationary term.
* Research is an open-outcome process, a final result can neither be
> Some problems with research predicted nor promised. Strategies and methods of research are often
determined from moment to moment, or by previous experiments, or
* Research has become a mere justification of (artistic) projects.
frequently improvised, meaning they are not as controllable as many
* It is now the case that every project has to be packaged as “research” to financial backers would wish.
even have the prospect of perhaps being funded.
Heinz von Foerster, the cybernetics guy, for example, applied for funding for
* A specific jargon, a research-funding-application lingo, has polluted all research projects that he had already undertaken and for which he already
research projects right from the beginning. had a result. Foerster used the funding for other projects instead, a brave
* Research has become an obligation in a curricular master plan. step into the unknown.
* Students and teachers are obliged to conduct research. * Research, as I see it, has to work against its own limitations.

368 369
THE HARD WAY TO ENLIGHTENMENT

* But it must equally seek to reflect on the external restrictions (variables One can therefore understand that each young generation seeks to reinvent
of the environment, blind spots, and control mechanisms) in regard to the itself in the hopelessness surrounding them. But how can that work? At times
research results so as to get rid of them if possible. it helps to use the sense of powerlessness as a lever: you don’t have a chance,
* Research can therefore also use unusual methods of resistance: strike, but use it!
obstruction, and protest are not only conceivable; they must be regarded How can one transform a weakness into strength? Pubescent strategies seek
as experiments that can lead to new and informative insights. possibilities to negate the given definitions, to challenge and deride the power
> On the necessity of research in the fine arts (of definition).

In the field of fine arts, we find today a widespread, anything-goes attitude * How can limits be fathomed, provoked, and transgressed?
—an arbitrariness that renders everything equally valid and, consequently, * It is not necessary to know what you want. It is necessary to know what you
equally boring. Everything seems to be allowed as long as it generates do not want. Ignorance can become strategic: I know that I know nothing!
desirable new commodities.
* Appropriate the means of production! In the late 1970s in the arts, painting
In such a situation, the art world, like the fashion industry, needs seasonal was the most prominent culturally charged discipline and could readily be
hypes to make one thing more desirable than the other. Knowledge gained hijacked. Painting could be used against painting. Paint was dirt-cheap, and
from such proceedings can only be seen as highly questionable, the market paintings were quickly done, if there was the necessary amount of disrespect.
mechanisms often appear more interesting than “innovations” in art. * The code could be used against the code: ugly is beautiful!
Against art in its function as a mere outfitter for the prevailing market ideology, All these strategies were processes of self-empowerment, self-education and
I propose artistic research as an epis-te-mo-logical tool, a path to insight, identity-formation. The refusal to believe in the old order brought changes in
knowledge and cognition, as a device to open the world, as a theater to reflect the status of the previously powerless.
on the role of art as art, as a painting that may even entertain us.
These processes can be seen as experimental research. For obvious reasons,
TYPES OF RESEARCH I call this “pubescent research,” and specific elements of it are present already
In the following I want to make myself the object of study in the examination in childhood, e. g., when a toddler crawls on the kitchen floor and drags pots
of three processes: self-empowerment, self-organization, and research. and pans from the shelf to bang them around. The child’s mother might put
I suggest three categories of research: pubescent, bohemian, and institutional the pots back in place, but five minutes later the scene repeats, and it goes on
research. These categories, however, should not be understood as binding and on until the mother, totally enervated, orders the child to stop it.
concepts; they instead arise from an interpretation of my own development as This early phase of experimental research turns against regulations and probes
an artist (and researcher) in retrospect. the limits of power systems; it tries the world against all odds.
> Pubescent Research This is the research model pretty much preferred in German art academies.
Starting from my student days in the late 1970s I can see research phenomena Most artists follow it their whole lives; it gives us the image of the artist as the
or methods that could be called pubescent. genius dilettante, pubescent, anti-authoritarian, and singular, extremely
subjective, extremely individualistic, and in some ways naïve.
Such strategies were used by the punk movement, or more generally, anytime
the world seemed pre-defined, pre-determined, or inaccessible. For that reason pubescent research cannot really be called research in the
strict sense, for there is no reflection, hardly any evaluation, no consciousness
From the earliest days, parents, school, and the media have been telling us on the part of the researcher, and no reflection on this role.
how to see, designate, and interpret the world, meaning that youths often have
the impression that there are no possibilities of subjective and individual > Bohemian research
appropriation in the prefabricated world. There are no voids or free spaces, Friesenwall 120 was a project space in Cologne in the early 1990s where I
everything is concreted over with definitions. collaborated with the artists Josef Strau, Nils Norman, Kiron Khosla, and
Merlin Carpenter.

370 371
THE HARD WAY TO ENLIGHTENMENT

Right from the beginning we found two options to be particularly unattractive: well lead to more experiments. Here we find the awareness necessary for
to become a gallerist or to become a producers’ gallery. The latter is a gallery research.
run and financed by artists who want to show their own work and that of some
This period of bohemian research was the experience from which I learned the
friends. In our eyes, this attitude shows less self-organization but instead, in
most; it became my academy, my art education! Self-organization, as I see it,
its desire to participate in the commodified art circuit, self-help.
is mainly an activity of self-formation and education; it is a possibility of “making
To take other paths, we had to reject the normative quality of these formats academy.” And that led me to enquire further about the academy and its history:
and examine how they define art objects, commodities, and their reception.
> Institutional research, excursus:
Being located in a semi-public situation, the project set out to experiment with
the possibilities of the space itself, and the chance to create and encourage a Regarding the development of the academy and the university, we have to
situation of exchange and participation in experiments. distinguish between different methods of knowledge production and
education.
The space became a meeting point or hangout, which means that there was a
community growing around the space and its activities as long as the community The development of the university can be seen as three phases:
determined and sustained it. This mutual constitution can be grasped both as
* In the scholastic phase, primarily Christian dogmas were legitimized and
self-legitimization and as processes of education, formation, and growth.
interpreted.
The space also functioned as an archive that documented and triggered some * In the university shaped by Humboldt, research was meant to lead to a
of its activities. process of individual self-formation. Here, research, teaching, and learning
We were finding other people and initiatives that were working in a similar, should go hand in hand. Working in groups became particularly important
self-organized way, including fanzines, and spaces in Vienna, Hamburg, and through the introduction of the seminar, as a form of non-hierarchical
Berlin, and artists that were working on establishing an electronic network, mutual exchange.
which was called “The Thing.” * Today, this model is undergoing a radical change due to the introduction of
In line with Fohrmann/Schüttpelz, I call these activities “bohemian research.” the Bologna Process, and for the phase we find ourselves in, the
description is still being formed.
* Because they are located in a bohemian context.
** Can we say that the university is an open system inviting people to
* The people involved find each other by elective affinities; they share similar create communities around knowledge production?
problems, but bring along a variety of knowledge and cultural backgrounds.
So that the mutual attraction can lead to an increasingly differentiated ** Or is it more of a closed system, with access restrictions to education
discourse, the participants must be sufficiently different yet similar enough. and research in order to gain profits from this scarcity?

* This can lead to productive collective work that I call “research.” ** Or is the university becoming a service provider: effective job training
inside a knowledge corporation?
* This work is self-commissioned and to a large extent determined by the
dynamism of the group itself. Right from its beginning, the academy engendered different ways of
* It is usually about investigating problems at hand that arise from the daily learning.
practice of life. It is researching life by living it. * The academy in its historical sense was nothing more than a little forest,
Almost every twentieth-century avant-garde group (the Surrealists, Situationists, where Plato and his students would “hang out” and talk to each other.
Kommune 1, etc.) practiced such collective methods. * In the wake of a Plato revival during the Renaissance, this form of convivial
In this research, there are critical tools for self-observation and analysis (e.g. teaching and learning was rediscovered. The academy in its second phase
keeping archives, logs, and diaries), planning strategies and methods for became a collection of “learned societies of amateurs and dilettantes.” The
staging experiments. There are processes and criteria of evaluation that may meetings can be imagined as loose and informal gatherings, limited in time,
improvised in space. And they attempted to get rid of the old and ossified

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THE HARD WAY TO ENLIGHTENMENT

institutions of the guild system. When eventually they succeeded in doing * Then we start looking into who has already worked on the problem, and
so, the self-organized “learned societies of amateurs and dilettantes” how, and what the results were. (That appeared logical to me.)
created educational institutions to promote their own young talents, which * But this process of investigation is not research; it is only a necessary first
they called “academies” after Plato. step, an inquiry. This inquiry can only compile knowledge that already
* Only a hundred years later the institutionalized academy of the absolutist exists, while research is a process of approximating something that does
king came with prescribed artistic rules and regulations, with curricular not yet exist. (Interesting! Because at that time many artists were under-
structures and point systems. taking these kind of inquiries, often just showing their investigated matter—
that can obviously not be called research!?)
Probably a familiar picture: the absolutist academy finds its technocratic
revenant in the Bologna Process. Not so very differently from the way it * The next step in research is to find and determine a specific view of the
works today, the absolutist academy supplied the court with seasonal styles problem, a specific idea about where and how to approach it. This is called
and delivered aesthetic know-how for product designs to make goods more status quaestionis, or, the “subject matter that has to be questioned.” (Aha,
attractive for the (foreign) markets. so the problem is specified based on the state of inquiries).

* Against this technocratic and utilitarian education, artists of the Romantic * Further, the methods to be employed should originate from the researcher’s
period pitched a return to the idea of the medieval workshop, where the field of expertise. (Obviously an artist would then use artistic methods!)
master has the monopoly of education of the apprentices. *  Interdisciplinarity as such is not the better approach. It makes sense only
Conversely, the romantic, autopoetic genius cannot teach another how to when one’s own discipline has become too narrow. (To this end, there have
become a genius; that is why, until today, the academy has had no method to be disciplines and the associated expertise in the first place.)
of teaching or any idea of research. Learning at the academy happens by * The most important element of research is experimentation! Experiments
copying the style and habits of the genius/master. It is therefore merely a are necessary to find out if the procedure for approaching the problem
place of “Romantic” reproduction. works out, and also how the nature of the problem might change through
In contrast, I see the academy experimentation. Probably ninety percent of all experiments will fail—no
worries!—this is inevitable, otherwise the process would not be called
* as a temporary, improvised, and self-organized context of communication. “experiment.” (That makes me happy!)
* academy is not an institution, but an activity. At issue is “making academy”! * The reflection on the research process and the evaluation of the experi-
It is a form of, if possible, non-hierarchical exchange with persons with similar ments are extremely important for the progress of the research project.
interests, a process of self-empowerment. Only then can the next experiment be launched. There will probably be a
sequence of experiments and evaluations that takes the researcher on a
> Institutional research, in the arts:
journey into the unknown. (But who is evaluating this progress of the
After editing a book on these ideas of the extra-institutional academy and experiments?)
promoting it as a kind of barefooted prophet, I became a professor at the * Of course, it is first of all the researchers themselves, the team, then a small
academy in Bergen, Norway, pondering what happens to these institutions if peer group of experts, then the institutions and the institutionalized critics.
everyone can “make academy” him- or herself. What are the institutions good for? There is a concentric growth in evaluation mechanisms, critique, and public
At the same time, the Kunsthøgskolen i Bergen was given an opulent perception.
government grant, and the teachers were encouraged to think up research * Exhibitions, manifestos, critical reviews, leaflets, books, websites, and posters
projects. Halina Dusin-Woyseth was recommended to me as a research advisor. may be seen as a part of the experiments and they might help to amplify
She was to explain how research should be structured within a university context: the public effect of research.

* We usually start with a problem, she began. (I admitted that I had plenty of After I was introduced to this concept of institutional and university research,
problems.) I had to admit, to my surprise, that I could apply everything I had just heard to

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THE HARD WAY TO ENLIGHTENMENT

the genesis of art in general and my own artistic practice in particular. Next, in the 1990s, came BRANDING:

Instead of promoting themselves by supporting the avant-garde through


sponsorship, many corporations now strive to become the avant-garde
PART II—THE ACADEMY AND THE CORPORATE PUBLIC
themselves! Artistic methods and emancipative strategies of subcultural
The research project that I started in Bergen was to look into how the idea of groups are often co-opted for marketing strategies. Companies have
the public sphere changed through globalization, privatization, and corporatization supported and studied artists long enough in order to act like artists and,
and what effect this has had on the art field. through artistic definition, create value from the most cheaply manufactured
products. The brand name functions like a signature; it ennobles the product.
The notion until now of a national public sphere, in which, ideally, a public
debate takes place, is falling apart. Today we have to speak of several public We speak of CORPORATE SOCIAL RESPONSIBILITY (CSR)…
spheres fragmented along subcultural, ethnic, gender- and class-related lines,
when private companies engage in social facilities and take responsibility for
which can overlap, merge, or fall into conflict with each other.
public institutions. Around the turn of the millennium, corporations began to
But what do these fragments have in common? In my eyes they are all markets play the “good Samaritan,” posing as guarantors in the field of social care:
or being targeted as new markets. McDonald’s runs a children’s hospital, Shell acts as the savior of the environment,
Berlin University Library is renamed The Volkswagen Library, and Siemens
I call this overarching public sphere a “corporate public.” It is directly dependent
cares about the future of the art academies. A familiar picture!
on a corporate economy (and conflicting with it?). Is the market the only
common arena in which an overarching public sphere emerges? And what But what can explain our profound paralysis, that we continue to stare in stupor
would that mean for the arts? at the corporate takeover that happens right in front of us?

Contemporary dystopias: sponsoring, branding, CSR Corporate Education

So how did the public sphere become a corporate one? What was the genesis When corporations set out to conquer upbringing, education, and training,
of the corporate public? Call me as a witness!
* they did so not only to target universities as new markets for their products,
In the 1980s we had SPONSORING: * they did so not only to profit directly from educational processes,
Here corporations still play a relatively passive role as art supporters, as * but their ultimate aim was to use the teaching and structures of universities
alleged selfless maecenas. Research demonstrates that sponsorship is more to implant the “new spirit of capitalism” in the next generations.
effective than conventional forms of advertising due to the directness with EDUCATION AS A SERVICE INDUSTRY:
which it is able to address a target group.
* Forget about education! Universities are becoming service providers of
As company logos (and egos) grow larger, state and municipal promotion purely formal knowledge. The connection of teaching and research in the
budgets shrink. Public financial backers are apparently happy to relinquish sense of Humboldt is dissolved. Teaching becomes a service, research is
their responsibilities and decision-making power to private corporations. As outsourced to the corporations.
state funding is reduced, dependency upon corporate sponsorship increases.
That’s problematic! * Students become so-called human capital, the production of which already
yields profits. As consumers of services, the users are asked to pay.
Because the commitment of sponsors is only dependent on image-based
* They become assets, shaped and made productive via corporate education.
vanities, or economic calculus decisions on projects to be funded are
These assets have to learn general flexibility and availability, they have to
one-sided and arbitrary. There is usually no democratic legitimization, no
learn to activate, praise, and sell their social and formal knowledge.
long-term financial security. Because everything depends on the goodwill of
the sponsors, funding constantly remains precarious, thus allowing the * They must also learn to grasp this existence as conditio sine qua non and
sponsor to exert more control and influence over the sponsored projects. identify with the institutions that promote it.

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THE HARD WAY TO ENLIGHTENMENT

Establishing new structures years in other areas of society. Above the heads of democratically elected
governments and their legal systems, supranational corporations have
Instead of being a place for self-formation, for dispute and critical analysis, the
installed agreements and organizations (WTO, GATT, and recently GATS) that
university becomes an instrument for generating a new ideology. And this process,
allow them to occupy all markets and public services.
propagating a totalization of the market, is itself already a profitable market.
This goes as far as to privatize most basic supplies (air, water, energy, housing,
The existing structures are oriented accordingly:
media, healthcare, hospitals, nursing homes). If we assume that we (still)
* The BA (Bachelor of Arts) is a basic qualification in order to give flexible live in a democratically organized polity, then the privatizations amount to an
“high achievers” a future in the job industry. With a relatively low and broad expropriation of social property.
admission level, it is relatively affordable.
A few years ago it seemed that the corporate takeover of functions that had
* The MA (Master of Arts) qualifies “those with a vocation” for their profession. been traditionally the privilege of the state was a matter of image making and
However, there is limited access, thus only for those who can afford it. Only branding: state power becomes corporate power! But meanwhile corporations
about 40–60% of BA students should be able to ascend to the elite. And have penetrated the social fabric much deeper than the state ever could do:
here, it is no wonder, is the actual profit margin. Now corporations have become a constituting element of all of us!
* LLL (Lifelong Learning) is a hot new market. Knowledge has to be updated
We consume corporate constantly! We eat, drink, love corporate, we see, act,
constantly, and in the competition on the job market, certificates proving
and feel corporate…
these updates are required. It means that one is supposed to stay chained
to the provision of knowledge throughout one’s professional life. The Besides the fact that the supranational corporations already own all recipes,
updates can cost quite a bit, for the customers of the service usually have a patents, and copyrights, the takeover of reproduction, i.e., educational institutions,
job and can afford it. means that this “new spirit of capitalism” will engender the generations to
We are witnessing the implementation of a comprehensive life concept of come. Similar to altering the genetic code, a new ideology is reproducing itself.
knowledge provision that must be paid for. From the cradle to the grave one The structures have been programmed accordingly; reverting seems impossible.
must enhance one’s capital value, establish it, keep it permanently alive, I already find myself in a new totality—but that sounds paranoid. I know that I
market and revitalize it. don’t know.
Universities become corporations Knowledge society—open source, open access
The former “knowledge factory” (a 1970s expression) has transformed itself in Knowledge is a very unique resource. André Gorz writes:
the new economy. Universities are becoming corporate enterprises, operating
globally in their own right. They are tapping into new markets all over the world, * Knowledge is not an ordinary commodity.
establishing networks and subsidiaries, asserting their knowledge brands. * Knowledge increases miraculously when shared with others.

That’s why they are closely intertwined with business consultants (e. g., McKinsey, * The more knowledge one uses, the more knowledge one produces.
Roland Berger, Ernst & Young) and undergo the usual structural adjustments: * Its dissemination increases its effectiveness.
business reengineering, downsizing, outsourcing, merging, branding, franchising…
* Its money equivalent cannot be defined.
Questions: With whom will the corporate university forge research alliances? * Its privatization reduces it and contradicts its essence.
Who will own the resulting patents? Who will be allowed to disseminate the
Precisely in times of resources becoming scarce, the miraculous knowledge
newly gained knowledge? Who will be allowed to access it?
stuff comes at the right time. It increases when it’s used! There is a never-ending
A new totality is reproduced supply of knowledge! Its value cannot be measured!? What would be a patent
on 1 + 1 = 2 or the price of Einstein’s formulas?
As we have seen, the logic of neoliberal business became the ruling principle
for universities—like everywhere else. The same happened in the last few In order to make a profit from knowledge according to capitalist logic, access
to knowledge would have to be limited and restricted. One would have to pay

378 379
for a basic provision of knowledge; additional knowledge would cost more, for * What we need is research that leads to fundamental social change.
it qualifies one more! Research would have to take place in closed circles, the * Symbolic gestures are very important, the attention and the significance
expertise would have to be protected by patents, copyright, etc. that art and science have in society must be used! But this is not enough!
Allegedly, knowledge is the oil of the twenty-first century, and we are witnessing * Research has to get out of the safe institutions and onto the street. It has to
the fights for knowledge distribution and privatization. Seizing the universities, take sides and protect its most important resource—knowledge—against
patenting even living beings, the extension of copyright to all fields of privatization: no patents, no copyright, and no access restrictions!
knowledge production are privatization strategies in order to profit from scarcity.
We have to fight against increasing privatization and create commons, learn
This goes hand in hand with the surveillance of all human communication how to share, for in order to grow, knowledge must be made accessible to all.
channels, where knowledge is also produced and shared: Internet, TV, telephone,
There is so much to do, and research has never been as necessary as it is today!
print media, and public space.
This may be a long way around, but it’s a whole new game, it costs a lot of
effort, but promises a whole lot of fun.
CONCLUSION

Finally, artists and researchers, students and teachers, where do you stand?
L e t ’s g o! N ow!
Are we the new court artists? Are we complicit in the new capitalistic rule
because we accompany its triumphant procession around the globe?

I think research is never neutral or solely concerned with its own matter.
Research has to deal with the contradictions in the world. And it may succeed
in changing them through insights and findings, through experiments and
struggles!

That is why research in institutions is necessary, but very limited by the


institutional logic. I therefore have to call bohemia to arms!

Bohemian research assumes a new and major role as the last refuge for the
unrestricted production of knowledge.

Bohemian research is self-organized (we recall):

*  It arises from existential conditions and is self-driven.


* It invests itself in the examination of the most pressing problems.
*  It is a crystallization point for critical thought, the last place of political
dissent, and analysis outside general social control.
* W
hile the conflicts are growing more acute, we will continue to live in the ruins
of patriarchy and neoliberalism. To shake off its strictures takes perseverance.
* How can we lay down solid foundations upon which we can construct
sustainable knowledge together with others and make it accessible to all?
* How is this knowledge different from an elitist and technocratic, self-
acclaimed “knowledge society” that installs its private claims on the backs
of those many billions who still do the dirty work? A dramatization of this lecture is available online for free: http://societyoutofcontrol.com.

380 381
IDEOLOGIE UND KONTROLLE


Wie Gilles Deleuze in seiner posthum veröffentlichten Auseinandersetzung
mit dem Werk Michel Foucaults rekapituliert, wird dieser „nicht selten als
Denker der Disziplinargesellschaften und ihrer prinzipiellen Technik, der
Einschließung (nicht allein Hospital und Gefängnis, sondern auch Schule,
Fabrik, Kaserne)“ wahrgenommen. Aber, so Deleuze, „in Wirklichkeit gehört
er zu den ersten, die sagen, daß wir dabei sind, die Disziplinargesell-
schaften zu verlassen, daß das schon nicht mehr unsere Gegenwart ist.
[…] Wir treten ein in Kontroll-Gesellschaften, die nicht mehr durch Inter-
nierung funktionieren, sondern durch unablässige Kontrolle und unmit-
telbare Kommunikation.“ ¹ Der Übergang von der Disziplinargesellschaft
zur Kontrollgesellschaft ist für Deleuze ein langsamer und gradueller, der
in Mitteleuropa seit dem 19. Jahrhundert bereits deutlich erkennbar ist,
seit dem Zweiten Weltkrieg jedoch eine rasante Entwicklung genommen
hat. Diese Entwicklung verläuft parallel zur „Krise der Einschließungs-
milieus“, ² die Deleuze mit der Liberalisierung und Auflösung eben jener
klassischen Einschließungen der Disziplinargesellschaften erklärt. Denn,
wie Foucault bereits anhand der Herausstellung des Sexualitäts-Dispo-
sitivs im Europa des 19. Jahrhunderts zeigt, sind in bestimmten sozialen
und ideologischen Formationen (z. B. in den liberal-protestantisch ge-
prägten) die Übergänge von den rigiden Kontrollmechanismen der Ein-
schließungsmilieus zu den „freien“ Bereichen der gesellschaftlichen Produktion
und Reproduktion fließend.³ In seinen späteren Schriften rückt Foucault
das Regiert- und Kontrolliert-Werden durch Freiheitszuwachs –vom Selbst-
verwirklichungsversprechen zum lebenslangen Lernen – ins Zentrum seiner
Arbeit. Hier schließt Deleuze an und beschreibt im Besonderen die Ent-
wicklungs-, Entfaltungs- und Veränderungsmöglichkeiten, die die diszip-
linären Einschließungen überwinden, als wesentliches Merkmal der Kon-
trollgesellschaften. Die kontrollierte Zusammenschaltung der Körper,
Diskurse, Objekte und Begehren als produktive Tätigkeit, wie sie Foucault
für die Disziplinargesellschaften diagnostiziert,4 wird nach Deleuze nun in
den Kontrollgesellschaften von „ultra-schnellen Kontrollformen mit frei-
heitlichem Aussehen“ umgesetzt und von tiefgreifenden technologischen
Erneuerungen auf den Feldern der Kommunikation, Informatik, Pharma-
industrie, Gentechnik und Energietechnik begleitet. Diese lösen seither
die „alten Disziplinierungen“ ab und/oder weiten sie aus.5 Bereits zehn
Jahre zuvor, 1980, noch vor Internet-Technologie und Ende des Kalten
Krieges, geht Félix Guattari dazu über, die Kontrolle über die Fragmen-
tierung der Körper, Begehren und Produktion mit dem Phänomen der Globa-

383
IDEOLOGIE UND KONTROLLE

   
lisierung zusammenzudenken.6 Für Guattari ist im globalisierten Kapita- genössische pharmako-technologische und informationstechnologische
lismus die gesamte Weltoberfläche eine einzige Einschließung, in der Erneuerungen und globalisierte Produktionsmodi neu zu fassen.
Kontrolle (z. B. Migrationspolitik, aber auch in der tolerierten Beschäf-
tigung von ArbeiterInnen ohne legalen Status in der Dienstleistungsin- Max Jorge Hinderer Cruz
dustrie) und geregelte Kommunikation (z. B. die internationale Reichweite
von Massenmedien oder, heute, in der Kommerzialisierung von global
agierenden sozialen Netzwerken im Internet) als weltumfassende Regulie-
rungsmechanismen lokale bzw. „territorialisierte“ Ideologien mehr und
mehr abzulösen beginnen. Zusätzlich zur internationalen Arbeitsteilung im
zeitgenössischen Kapitalismus, so Guattari, findet eine Globalisierung der 1 Gilles Deleuze im Gespräch mit Antonio Negri, „Kontrolle und
Werden“, in: Gilles Deleuze, Unterhandlungen 1972–1990, Frankfurt
Körper, des Diskurses, der Sinnlichkeit und damit einhergehend auch der a. M. 1993, S. 250. [Hervorhebung MJHC]
Subjektivierungsprozesse statt. Guattari spricht nicht mehr von Ideologie 2 Gilles Deleuze, „Postskriptum über die Kontrollgesellschaften“,
(als territorialem Prinzip), sondern von der Produktion der Subjektivität in: ebd., S. 254–262, hier S. 255.
oder gar von „Fließbändern der Subjektivität“ in einem „Integrierten Welt- 3 Siehe Michel Foucault, Sexualität und Wahrheit 1: Der Wille zum
Wissen, Frankfurt a. M. 1983.
kapitalismus“. Hier funktioniert Kontrolle eben nicht mehr als einschlie-
4 Michel Foucault, Überwachen und Strafen, Frankfurt a. M. 1994,
ßendes, sondern als „deterritorialisierendes“ Prinzip.7 hier vor allem S. 192–201.
Anders als bei Louis Althusser, der es vorzieht, sowohl die ideologischen 5 Gilles Deleuze, wie Anm. 2
als auch die repressiven Staatsapparate als territorialisierte und tenden- 6 Siehe z. B. Félix Guattari, Soft Subversions. Texts and Interviews
1977–1985, Los Angeles 2009, hier vor allem „Part V: Integrated
ziell isolierte Einschließungen beizubehalten, setzen Foucaults, Deleuzes
World Capitalism“, S. 227–308.
und Guattaris Überlegungen zu Einschließung und Kontrolle also gerade 7 Félix Guattari, Le capitalisme mondial intégré et la révolution
an der Erosion der festgelegten Grenzen der einzelnen Einschließungen moléculaire (1980), zunächst ein Vortragsskript, wurde zuerst 1981
bzw. historisch an der institutionellen „Krise der Einschließungsmilieus“ von Suely Rolnik auf Portugiesisch als O capitalismo mundial
an und entwickeln davon ausgehend (zumindest temporäre) Strategien integrado e a revolução molecular veröffentlicht, in: Félix Guattari,
Revolução molecular: Pulsações políticas do desejo, São Paulo
zu ihrer Überwindung. Die Gemeinsamkeit, die sie bei aller Unterschied-
1981, S. 211–227; sowie Félix Guattari und Suely Rolnik, Molecular
lichkeit allerdings haben, liegt in der Reflexion über Prozesse der Subjek- Revolution in Brazil, Los Angeles 2007, S. 35 –61.
tivierung durch die Programmierung oder Taktung ihrer formgebenden, 8 So Michel Foucault in einem Interview 1977, siehe Michel Foucault,
raum-zeitlichen und diskursiven Elemente bzw. die gemeinsame Grund- Das Spiel des Michel Foucault, in: ders., Dits e Ecrits: Schriften III,
Frankfurt a. M. 2003, S. 392. Siehe auch ders., wie Anm. 3, hier vor
annahme, dass die Kontrolle über Subjektivierungsprozesse auf kom-
allem das Zweite Kapitel „Die Repressionshypothese“, S. 21–53.
plexen systemischen Gefügen beruht, die sich nicht auf Repression im
Sinne von linearer und/oder angewandter physischer Gewalt reduzieren lässt,
sondern eine „heterogene Gesamtheit“ umfasst – in den Worten Foucaults:
 „von Gesagtem ebenso wie Ungesagtem“.8
Seit den Nuller Jahren knüpfen nun so unterschiedliche AutorInnen wie
Antonio Negri und Michael Hardt (Empire, 2000, Multitude, 2004, und
Commonwealth, 2009) oder Beatriz Preciado (Testo Junkie, 2008, Porno-
topia, 2010) unmittelbar an Foucault, Deleuze und Guattari und – spezifi-
scher noch – am Begriff der Kontrollgesellschaft an und versuchen, von
diesem aus Dispositive der Kontrolle und Subjektivierung in Bezug auf zeit-

384 385
IDEOLOGY AND CONTROL

   
As Gilles Deleuze recapitulates in his posthumous study of the work of (through migration politics, for example; but also through tolerated
Michel Foucault, “Foucault’s often taken as the theorist of disciplinary service-industry employment of workers with no legal status) and regulated
societies and of their principal technology, confinement (not just in communication (e.g. in the scope of international mass media; or in the
hospitals and prisons, but in schools, factories, and barracks).” However, commercialization of globally infuential social networks in the Internet
Deleuze adds, “he was actually one of the first to say that we’re moving today) as worldwide regulatory mechanisms begin more and more to supplant
away from disciplinary societies, we’ve already left them behind. We’re local, or “territorialized,” ideologies. According to Guattari, in addition to the
moving toward control societies that no longer operate by confining international division of labor in contemporary capitalism, we are witnessing
people but through continuous control and instant communication.” 1 a globalization of the body, of discourse, of sensibility, and, concomitantly,
Deleuze considers it slow and gradual, this transition from disciplinary of processes of subjection. Guattari no longer speaks of ideology (as
society to control society, detecting it in Middle Europe as early as the territorial principle), but of the production of subjectivity, or even of the
nineteenth century, though its growth has taken on a staggering speed “conveyor belt of subjectivity” in an integrated world capitalism. Here control
since the Second World War. This growth advances in parallel to “the functions no longer as a confining but rather as a “deterritorializing” principle.7
crisis in relation to all the environments of enclosure,” 2 which Deleuze Unlike Louis Althusser, who favors an understanding of both ideological
describes by citing the liberalization and liquidation of the very classical and repressive state apparatuses as territorialized and tendentially isolated
forms of confinement exerted by disciplinary society. For, as Foucault confinements, Foucault, Deleuze, and Guattari reflect on confinement
already demonstrates with the help of the singularization of the sexuality and control starting precisely where the very erosion of the prescribed
dispositive in nineteenth-century Europe, certain social and ideological boundaries of each respective confinement takes place, or, in a historical
formations (liberal-protestantism, for example) feature fluid transitions sense, where the institutional “crisis in relation to all the environments of
from the rigid control mechanisms of milieus of confinement to the “free” enclosure” unfolds, proceeding from that point onward with the development
zones of societal production and reproduction.3 In his later writings of (at least provisional) strategies aimed at overcoming those milieus of
Foucault shifts his central focus to the phenomenon of being governed enclosure. For all their differences, however, these thinkers’ commonality
and being controlled via the accumulation of freedom—from the promise lies in their reflecting on processes of subjection by means of a
of self-realization to lifelong learning. Here Deleuze connects with Foucault programming or a rhythmic measurement (Taktung) of those processes’
and identifies as essential features of control societies those opportunities form-giving, spatiotemporal, and discursive elements; or through their
for growth, evolvement, and change that overcome disciplinary forms of shared presupposition that control over processes of subjection is based
enclosure. The controlled interconnection between bodies, discourses, on complex systemic structures that are irreducible to repression as
objects, and desire as productive activity, the same interconnection linear and/or applied physical violence and that encompass a “heterogenous
Foucault diagnoses for the disciplinary societies,4 is, as per Deleuze, totality”—in the words of Foucault—“of the spoken as well as well as the
implemented in control societies by “ultrarapid forms of free-floating unspoken.” 8
control” that “express new freedom” and is accompanied by extensive Since 2000 a range of authors as varied as Antonio Negri and Michael
technological innovations in the fields of communication, informatics, Hardt (Empire, 2000; Multitude, 2004; and Commonwealth, 2009) or
pharmaceuticals, genetic engineering, and electrical power engineering Beatriz Preciado (Testo Junkie, 2008; Pornotopia, 2010) make direct links
that supplant the “old disciplines” and/or expand them.5 Already ten to Foucault, Deleuze, and Guattari, and—more specifically—to the concept
years before that, in 1980, before the Internet and the end of the Cold of the society of control in an attempt to redraft dispositives of control
War, Félix Guattari proceeds to discern the interrelationship between and subjection in relation to contemporary pharma-technological and
globalization, on the one hand, and the fragmentation of desire, the body, information-technological innovations and globalized modes of production.
and production, on the other.6 In Guattari’s view, globalized capitalism
turns the entire face of the Earth into one single enclosure in which control Max Jorge Hinderer Cruz

386 387
IDEOLOGY AND CONTROL

1 Gilles Deleuze in conversation with Antonio Negri, “Control and


Becoming,” in: Gilles Deleuze, Negotiations, 1972–1990, trans. by
Martin Joughin, New York, 1995, pp. 169–176.
2 Gilles Deleuze, “Postscript on the Societies of Control,” in: ibid.,
pp. 177–182.
3 See Michel Foucault, The History of Sexuality, Vol. 1: The Will to
Knowledge, trans. by Robert Hurley, London, 1998.
4 Michel Foucault, Discipline and Punish, London, 1994, see especially
pp. 192–201.
5 Gilles Deleuze, see note 2.
6 See Félix Guattari, Soft Subversions: Texts and Interviews,
1977–1985, Los Angeles, 2009, especially “Part V: Integrated World
Capitalism,” pp. 227–308.
7 See Félix Guattari, Le Capitalisme Mondial Intégré et la révolution
moléculaire (1980). The French original began as lecture notes and
was first translated in 1981 by Suely Rolnik into Portuguese as
O Capitalismo Mundial Integrado e a Revolução Molecular and
published in: Félix Guattari, Revolução Molecular: Pulsações
políticas do desejo, São Paulo, 1981, pp. 211–227. See also Félix
Guattari and Suely Rolnik, “Subjectivity and History,” in: Molecular
Revolution in Brazil, Los Angeles, 2007, pp. 35–178, here pp. 35–61.
8 Michel Foucault in an interview from 1977 [trans. by WW], French
original “Le jeu de Michel Foucault,” in: Ornicar?, Bulletin périodique
du champs freudien, No. 10, July 1977, pp. 62–93. See also
Michel Foucault, The History of Sexuality, Vol. 1: The Will to Knowledge,
trans. by Robert Hurley, London, 1990; especially chapter 2,
“The Repressive Hypothesis,” pp. 15–50.

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400 401
EVA BIRKENSTOCK

Eva Birkenstock studierte Kunstgeschichte, Ethnologie und Romanistische Philologie in Köln,


Havanna und Berlin. Von 2005 bis 2008 arbeitete sie am Kunstverein Hamburg und leitete von
2008 bis 2010 die Halle für Kunst in Lüneburg (gemeinsam mit Hannes Loichinger). Lehrtätigkeiten
u. a. an der Hochschule für bildende Künste Hamburg sowie an der Leuphana Universität Lüne-
burg. Seit Februar 2010 ist sie Kuratorin der KUB Arena und gestaltet als solche das Ausstellungs-
und Veranstaltungsprogramm im Erdgeschoss des Kunsthaus Bregenz. Ihre kuratorische Praxis
zeichnet sich u. a. durch kollaborative Projekte und Recherchen aus, die sich im Besonderen auf
die Verbindungspunkte unterschiedlicher Diskurse und künstlerischer Arbeitsfelder beziehen.

Eva Birkenstock studied art history, ethnology, and Romance philology in Cologne, Havanna, and
Berlin. From 2005 to 2008 she worked at the Kunstverein Hamburg and from 2008 to 2010 was
director of the Halle für Kunst in Lüneburg (with Hannes Loichinger). She has taught at the
Hochschule für bildende Künste Hamburg and the Leuphana University of Lüneburg. She has
been curator of the KUB Arena since February 2010, designing the exhibition and events program
on the ground floor of the Kunsthaus Bregenz. Her curatorial practice is typically based on
collaborative projects and research around the connections between different discourses and
artistic fields.

MATTHIJS DE BRUIJNE

BIOGRAFIEN Matthijs de Bruijne (geb. 1967 in Amsterdam) studierte an der Gerrit Rietveld Academie und der
Rijksakademie in Amsterdam. Seine Multimedia-Installationen sind Ergebnisse seiner Unter-
suchungen der politischen Realität in Argentinien, den Niederlanden, China und anderen Ländern.
BIOGRAPHIES De Bruijnes Werke werden in Europa, Argentinien, Bolivien, China und Kanada gezeigt, darunter in
den Ausstellungsprojekten Ex Argentina, 2004, im Museum Ludwig, Köln, Principio Potosí/Das
Potosí-Prinzip im Museo Nacional de Arte Reina Sofía, Madrid, 2010, und im Culture and Arts
Museum of Migrant Workers in Peking. Matthijs de Bruijne lebt in Amsterdam und hat in den letzten
zwei Jahren als Künstler in der Dutch Cleaners Union (Gewerkschaft der Putz- und Reinigungs-
arbeiterInnen in den Niederlanden) gearbeitet.

Matthijs de Bruijne (born 1967 in Amsterdam) studied at the Gerrit Rietveld Academie and the
Rijksakademie in Amsterdam. His multimedia installations are a reflection of research on political
realities in Argentina, the Netherlands, China, and elsewhere. De Bruijne’s works have been
shown in such locations as Europe, Argentina, Bolivia, China, and Canada, and in the exhibition
projects Ex Argentina, 2006, at Museum Ludwig, Cologne, Principio Potosí/Das Potosí-Prinzip at
Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofía, Madrid, 2010, and at the Culture and Arts Museum of
Migrant Workers in Beijing. Matthijs de Bruijne lives in Amsterdam and has worked as an artist
within the Dutch Cleaners Union for the last two years.

ALICE CREISCHER

Geboren 1960 in Gerolstein. Studierte Kunst, Philosophie und Deutsch in Düsseldorf, schreibt
(zusammen mit Andreas Siekmann) für Magazine wie Texte zur Kunst und springerin. Kuratiert
(z. B. zusammen mit Andreas Siekmann) zahlreiche Projekte, zuletzt Principio Potosí/Das Potosí-
Prinzip (Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofía, Madrid, 2010, Haus der Kulturen der Welt,
Berlin, 2010, und Museo Nacional de Arte, La Paz, 2011).
Zuletzt stellte Creischer in Das Etablissement der Tatsachen, Berlin, 2012 aus sowie in der Gruppen-
ausstellung Social Fabric, Dr. Bhau Daji Lad Museum, Byculla/Mumbai, 2012.

403
BIOGRAFIEN / BIOGRAPHIES

Born in 1960 in Gerolstein. Creischer studied art, philosophy, and German in Düsseldorf, she SILVIA FEDERICI
authors articles (together with Andreas Siekmann) for magazines such as Texte zur Kunst and
springerin. She has curated (with Andreas Siekmann, amongst others) numerous projects, most Silvia Federici ist Langzeitaktivistin, Lehrerin und Autorin. 1972 war sie eine der Gründerinnen des
recently Principio Potosí/Das Potosí-Prinzip (Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofía, Madrid, internationalen feministischen Kollektivs, der Organisation, die die Kampagne für bezahlte Haus-
2010, Haus der Kulturen der Welt, Berlin, 2010, and Museo Nacional de Arte, La Paz, 2011). arbeiten in den Vereinigten Staaten von Amerika und im Ausland ins Leben rief. Sie ist in der
Most recently Creischer exhibited in The Establishment of Matters of Fact, Berlin, 2012, as well as globalisierungskritischen Bewegung aktiv und streitet für die Abschaffung der Todesstrafe. Sie
in the group exhibition Social Fabric, Dr. Bhau Daji Lad Museum, Byculla/Mumbai, 2012. verfasste zahlreiche Essays über politische Philosophie, feministische Theorie, Kulturwissen-
schaften und Erziehung. Zur Zeit schreibt sie über Feminismus und Politiken des gemeinschaftlichen
Eigentums und Kinder im Kapitalismus. Veröffentlichte Werke sind unter anderem Revolution
DIEDRICH DIEDERICHSEN at Point Zero: Housework, Reproduction, and Feminist Struggle (2012); Caliban and the Witch:
Women, the Body and Primitive Accumulation (2004); „Care Work“ and the Commons (2013,
Geboren 1957 in Hamburg. In den 1980er Jahren Redakteur und Herausgeber von Musikzeitschriften, in Mitherausgeberin); A Thousand Flowers: Social Struggle Against Structural Adjustment in African
den 1990er Jahren Hochschullehrer als Gastprofessor oder Lehrbeauftragter u. a. in Frankfurt, Universities (2000, Mitherausgeberin); Enduring Western Civilization: The Construction of the
Stuttgart, Pasadena, Offenbach, Gießen, Weimar, Bremen, Wien, St. Louis, Köln, Los Angeles und Concept of Western Civilization and Its „Others“ (1994, Herausgeberin).
Gainesville. Von 1998 bis 2007 Professor für Ästhetische Theorie und Kulturwissenschaften an der Federici ist emeritierte Professorin für Politische Philosophie und Internationale Studien an der
Merz-Akademie, Stuttgart, seit 2006 Professor für Theorie, Praxis und Vermittlung von Gegenwarts- Hofstra University, Hempstead, New York.
kunst am Institut für Kunst- und Kulturwissenschaften der Akademie der bildenden Künste Wien.
Silvia Federici is a long-time activist, teacher, and writer. In 1972 she was one of the founders of
Born in 1957 in Hamburg. In the 1980s he was an editor and publisher of music magazines, and in the International Feminist Collective, the organization that launched the Campaign for Wages For
the 1990s he was a guest lecturer and tutor at universities and colleges in Frankfurt, Stuttgart, Housework in the United States and abroad. She has been active in the anti-globalization
Pasadena, Offenbach, Gießen, Weimar, Bremen, Vienna, St. Louis, Cologne, Los Angeles, and movement and the anti-death penalty movement. She is the author of many essays on political
Gainesville, amongst others. From 1998 to 2007 he was professor of aesthetic theory and cultural philosophy, feminist theory, cultural studies, and education. She is presently writing on the
studies at the Merz-Akademie, Stuttgart, since 2006 he has been professor of theory, practice, feminism and the politics of the commons and children in capitalism. Her published works include
and communication of contemporary arts at the Institute of Art Theory and Cultural Studies of the Revolution at Point Zero: Housework, Reproduction, and Feminist Struggle (2012); Caliban and
Academy of Fine Arts, Vienna. the Witch: Women, the Body and Primitive Accumulation (2004); “Care Work” and the Commons
(2013, co-editor); A Thousand Flowers: Social Struggle Against Structural Adjustment in African
Universities (2000, co-editor); Enduring Western Civilization: The Construction of the Concept of
STEPHAN DILLEMUTH Western Civilization and Its “Others” (1994, editor).
Federici is emerita professor of Political Philosophy and International Studies at Hofstra University,
Stephan Dillemuth, geboren 1954 in Büdingen, lebt und arbeitet in München. Dillemuth begreift Hempstead, New York.
seine Möglichkeiten als bildender Künstler vor dem Horizont der sich verändernden modernen
Öffentlichkeit. Im Nachdenken über die eigene Rolle und seine künstlerischen Handlungsmöglich-
keiten geht er beispielweise der Frage nach, inwieweit Selbstorganisation und persönliche und ÁGNES HELLER
kollektive Integrität im Rahmen unserer Kontrollgesellschaft herzustellen sind. Kunst schafft für
ihn mit den ihr innewohnenden Methoden der Reflexion, Analyse und des Experiments zwar Ágnes Heller (geb. 1929 in Budapest) ist Philosophin und Soziologin und promovierte 1955 bei
Schönheit, besitzt aber auch ein gesellschaftsveränderndes Potenzial. Mitunter untersucht Dillemuth Georg Lukács. 1977 emigrierte sie nach Australien, wo sie an der La Trobe University in Melbourne
zur Überprüfung aktueller Fragestellungen historische Bewegungen (z. B. die Lebensreformbewegung, bis 1983 eine Soziologie-Professur innehatte. 1986 wurde sie Hannah Arendts Nachfolgerin auf
alternative Erneuerungsversuche der 1970er Jahre) und gesellschaftliche Umbruchsituationen deren Lehrstuhl für Philosophie an der New School for Social Research in New York.
(Räterepublik), stellt seine eigenen Recherchen jedoch stets mit experimentellen künstlerischen Publikationen (Auswahl): Alltag und Geschichte: Zur sozialistischen Gesellschaftslehre, Neuwied
Mitteln infrage und führt sie so zu neuen Ergebnissen. Das Resultat dieser Experimente sind Installa- 1970; Die Seele und das Leben. Studien zum frühen Lukács, Frankfurt a. M. 1977; Theorie der
tionen, Inszenierungen und kollaborative Arbeiten ebenso wie Videos, Vorträge und Publikationen. Bedürfnisse bei Marx. Mit einem Vorwort von Pier Aldo Rovatti, Berlin 1976; Das Alltagsleben.
Versuch einer Erklärung der individuellen Reproduktion, hg. und eingeleitet von Hans Joas,
Stephan Dillemuth, born in 1954 in Büdingen, lives and works in Munich. Dillemuth understands Frankfurt a. M. 1978; Der Mensch der Renaissance, aus dem Ungarischen von Hans-Henning
his potential as a visual artist to exist within the context of modern transformations of the public. Paetzke, Frankfurt a. M. 1988; Biopolitik, Frankfurt a. M. 1995; Ist die Moderne lebensfähig?,
In considering his own role and his artistic scope for acting, he has, for example, addressed the Frankfurt a. M. 1995; Der Affe auf dem Fahrrad: Eine Lebensgeschichte, bearbeitet von János
question of to what extent self-organization as well as personal and collective integrity can be Köbányai, Berlin/Wien 1999; A Theory of Modernity, Cambridge/MA 1999; The Time is Out of Joint:
produced within the framework of our society of control. For him, even though art and its inherent Shakespeare as Philosopher of History, Cambridge/MA 2000.
methods of reflection, analysis, and experimentation may create beauty, it also has the potential
to transform society. Dillemuth engages in exploratory investigations of current issues, historic
movements (for example the Lebensreform (life reform) movement and alternative attempts at
innovation in the 1970s) and decisive social turning points (Soviet Republic), whilst always
questioning his own research through experimental artistic means, generating new conclusions.
The result of these experiments are installations, stagings, and collaborative works as well as
videos, lectures, and publications.

404 405
BIOGRAFIEN / BIOGRAPHIES

Ágnes Heller (born in 1929 in Budapest) is a philosopher and sociologist. In 1955 she wrote her JENS KASTNER
doctoral thesis under the supervision of György Lukács. In 1977 she emigrated to Australia, where
she was a professor of sociology at La Trobe University in Melbourne until 1983. In 1986 she Dr. phil. (geb. 1970), ist Kunsthistoriker und Soziologe. Er arbeitet als Senior Lecturer am Institut
succeeded Hannah Arendt as professor of philosophy at The New School for Social Research in für Kunst- und Kulturwissenschaften an der Akademie der bildenden Künste Wien und schreibt
New York. regelmäßig für verschiedene Zeitungen und Zeitschriften (u. a. graswurzelrevolution, Jungle
Selected publications: The Marxist Theory of Revolution and the Revolution in Everyday Life, New World, springerin). Seine Forschungsschwerpunkte sind Kunst-, Kultur- und Sozialtheorien sowie
York, 1970; Lukács and the Holy Family, New York, 1984; The Theory of Need in Marx, London, die Geschichte und Theorie sozialer Bewegungen. Er ist koordinierender Redakteur von Bildpunkt.
1976; Everyday Life, London, 1984; Renaissance Man, London, Boston 1978; Biopolitics, London, Zeitschrift der IG Bildende Kunst (Wien). Zuletzt erschienen Alles für alle! Zapatismus zwischen
1994; Can Modernity Survive?, Cambridge, Berkeley, Los Angeles, 1990; Der Affe auf dem Fahrrad: Sozialtheorie, Pop und Pentagon, Münster 2011, und Der Streit um den ästhetischen Blick. Kunst
Eine Lebensgeschichte, by János Köbányai, Berlin/Vienna, 1999 (translated in parts, see: und Politik zwischen Pierre Bourdieu und Jacques Rancière, Wien/Berlin 2012.
http://www.hlo.hu/news/monkey_on_a_bicycle_excerpts_from_a_memoir); A Theory of Modernity, www.jenspetzkastner.de
Cambridge/MA 1999; The Time is Out of Joint: Shakespeare as Philosopher of History,
Cambridge/MA 2000. Jens Kastner, Ph.D. (born 1970), is an art historian and sociologist. He works as a senior lecturer
at the Institute of Art Theory and Cultural Studies of the Academy of Fine Arts, Vienna, and
regularly authors articles for various newspapers and magazines (graswurzelrevolution, Jungle
MAX JORGE HINDERER CRUZ World, springerin, amongst others). His research focuses on art, cultural, and social theory as well
as the history and theory of social movements. He is the coordinating editor of Bildpunkt.
Max Jorge Hinderer Cruz arbeitet als freier Autor, Übersetzer und Kulturtheoretiker und veröffentlicht Zeitschrift der IG Bildende Kunst (Vienna). He has recently published Alles für alle! Zapatismus
regelmäßig Beiträge in internationalen Medienformaten in Lateinamerika und Europa. Er ist An- zwischen Sozialtheorie, Pop und Pentagon, Münster, 2011, and Der Streit um den ästhetischen
wärter auf den Doktor der Philosophie am Institut für Kunst und Kulturwissenschaften der Akademie Blick. Kunst und Politik zwischen Pierre Bourdieu und Jacques Rancière, Vienna/Berlin, 2012.
der bildenden Künste Wien. Letzte Buchveröffentlichungen: Principio Potosí/Das Potosí-Prinzip, www.jenspetzkastner.de
hg. mit Alice Creischer und Andreas Siekmann, Köln 2010, Hélio Oiticica and Neville D’Almeida:
Block-Experiments in Cosmococa – program in progress, in Co-Autorschaft mit Sabeth Buchmann,
London 2013. VESNA MADŽOSKI

Max Jorge Hinderer Cruz works as a freelance author, translator, and cultural theorist, and regularly Dr. Vesna Madžoski befasst sich mit Theorie und Forschung und lebt und arbeitet freiberuflich in
publishes contributions to international media in Latin America and Europe. He is a doctoral Amsterdam. Sie erwarb einen Doktortitel in Philosophie von der European Graduate School,
candidate in philosophy at the Institute of Art Theory and Cultural Studies of the Academy of Fine Saas-Fee, Schweiz. Forschungsschwerpunkt ihrer Doktorarbeit mit dem Titel DE CVRATORIBVS.
Arts, Vienna. Recent book publications: Principio Potosí/Das Potosí-Prinzip, co-ed. Alice Creischer The Dialectics of Care and Confinement ist die Geschichte des Kuratierens, die Transformationen
and Andreas Siekmann, Cologne, 2010, Hélio Oiticica and Neville D’Almeida: Block-Experiments dieser Praxis während der letzten 50 Jahre und ihr Verhältnis zum politischen und ökonomischen
in Cosmococa—program in progress, co-authored with Sabeth Buchmann, London, 2013. System. Sie ist Mitherausgeberin der in Belgrad erscheinenden Zeitschrift für Kunst und Theorie
Prelom und seit 2006 Mitglied des Künstlerkollektivs Public Space With A Roof in Amsterdam.
Weitere Informationen: http://madzoski.synthasite.com.
TOM HOLERT
Dr. Vesna Madžoski is an independent theorist and researcher based in Amsterdam. She has a
Tom Holert (geb. 1962) ist Kunsthistoriker und Kulturwissenschaftler, gelegentlich auch Künstler. Ph.D. in Philosophy from The European Graduate School, Saas-Fee, Switzerland. Her Ph.D. research,
Er lebt und arbeitet in Berlin und ist seit 2012 Gründungsmitglied der Akademie der Künste der entitled DE CVRATORIBVS. The Dialectics of Care and Confinement was focused on the history of
Welt in Köln. Seine Forschungs- und Arbeitsschwerpunkte sind die Beziehungen von künstle­- curating, transformations of this practice during the past 50 years, and its relationship with the
rischer Praxis, Pädagogik und Wissenspolitik, die Medialität, Ästhetik und Affektökonomie political and economic system. She has been one of the editors of Prelom, a Belgrade-based
politischer Symbole (u. a. der Flagge) sowie die visuelle Kultur der experimentellen Psychologie. journal for art and theory, and since 2006 she has been a member of the artists’ collective Public
Ausgewählte Buchveröffentlichungen: Mainstream der Minderheiten. Pop in der Kontrollgesellschaft Space With A Roof in Amsterdam. More info: http://madzoski.synthasite.com.
(hg. mit Mark Terkessidis, 1996); Künstlerwissen (1998); Regieren im Bildraum (2008); Das Er-
ziehungsbild (hg. mit Marion von Osten, 2010).
DAVID MAYER
Tom Holert (born in 1962) is an art historian and a cultural scholar, and occasionally also an artist.
He lives and works in Berlin and in 2012 was a founding member of the Akademie der Künste der David Mayer, Dr. phil., studierte Geschichte und Internationale Entwicklung an der Universität
Welt in Cologne. The focus of his research is the relationship between artistic practice, pedagogy, Wien. Arbeitsschwerpunkte sind die Geschichte sozialer Bewegungen, die Geschichte des
and educational politics; the mediality, aesthetics, and affect economy of political symbols Marxismus und der Links-Intellektuellen, Historiografiegeschichte sowie Geschichtspolitik. 2011
(e. g. the flag) as well as the visual culture of experimental psychology. Promotion mit einer Arbeit über marxistisch inspirierte Geschichtsdebatten in Lateinamerika in
Selected book publications: Mainstream der Minderheiten. Pop in der Kontrollgesellschaft (ed. den „langen 1960er“ Jahren. Jüngere Veröffentlichungen: Weltwende 1968? Ein Jahr aus global-
with Mark Terkessidis, 1996); Künstlerwissen (1998); Regieren im Bildraum (2008); Das Erziehungsbild geschichtlicher Perspektive (2008, Co-Herausgeber Jens Kastner); Vielstimmige Vergangenheiten – 
(co-ed. Marion von Osten, 2010). Geschichtspolitik in Lateinamerika (2009, Co-Herausgeber Berthold Molden).

406 407
BIOGRAFIEN / BIOGRAPHIES

David Mayer, Ph.D., studied history and international development at the University of Vienna. The JAN REHMANN
focus of his research is the history of social movements, the history of Marxism and left-wing
intellectuals, the history of historiography, and also the politics of history. In 2011 he received his Jan Rehmann, geb. 1953; Dr. phil. habil., lehrt am Union Theological Seminary in New York, PD
Ph.D. for a thesis on Marxist inspired historical debates in Latin America during the “long 1960s.” an der Freien Universität Berlin; Veröffentlichungen: Angriff der Leistungsträger? Das Buch zur
Recent publications: Weltwende 1968? Ein Jahr aus globalgeschichtlicher Perspektive (2008, Sloterdijk-Debatte (Mithg., Argument –  Sonderband 307, 2010); Einführung in die Ideologietheorie
co-ed. Jens Kastner); Vielstimmige Vergangenheiten – Geschichtspolitik in Lateinamerika (2009, (2008); I Nietzscheani di Sinistra. Deleuze, Foucault e il postmodernismo: una decostruzione
co-ed. Berthold Molden). (hg. von S. G. Azzarà, 2009); Postmoderner Links-Nietzscheanismus (Argument –  Sonderband
298, 2004); Max Weber: Modernisierung als passive Revolution (1998); Muss ein Christ Sozialist
sein? Nachdenken über Helmut Gollwitzer (Mithg., Argument –  Sonderband 232, 1994); Die
ULRIKE MÜLLER Kirchen im NS-Staat: Untersuchung zur Interaktion ideologischer Mächte (Argument –  Sonderband
160, 1986). Arbeitsschwerpunkte sind Ideologietheorie, Poststrukturalismus, christlich-
Die in Feldkirch, Vorarlberg, Österreich, geborene und in New York lebende Künstlerin Ulrike Müller marxistischer Dialog, Nietzsche und Bloch.
hat nach ihrem Studium an der Akademie der bildenden Künste Wien am Whitney Independent
Study Program (2003) sowie am P.S.1 International Studio Program (2004) teilgenommen. Sie lehrt Jan Rehmann, born in 1953; Ph.D and habilitation, teaches at the Union Theological Seminary in
seither an verschiedenen US-amerikanischen Universitäten. Ulrike Müller war von 2005 bis 2007 New York, PD at the Free University in Berlin; Publications: Angriff der Leistungsträger? Das Buch
Mitherausgeberin des queeren Zines LTTR. Neben zahlreichen internationalen Ausstellungs- zur Sloterdijk-Debatte (co-ed., Argument –  Sonderband 307, 2010); Einführung in die Ideologie-
beteiligungen nahm sie im Jahr 2010/11 an der 12. Biennale in Kairo teil. 2012 war ihre Ausstellung theorie (2008); I Nietzscheani di Sinistra. Deleuze, Foucault e il postmodernismo: una decostruzione
Herstory Inventory: 100 feministische Zeichnungen von 100 KünstlerInnen in der KUB Arena und (ed. by S. G. Azzarà, 2009); Postmoderner Links-Nietzscheanismus (Argument –  Sonderband 298,
im Brooklyn Museum, Brooklyn, New York, zu sehen. 2004); Max Weber: Modernisierung als passive Revolution (1998); Muss ein Christ Sozialist sein?
Siehe auch: Ulrike Müller, Fever 103, Franza, and Quilts, hg. von Achim Hochdörfer und Barbara Nachdenken über Helmut Gollwitzer (co-ed., Argument –  Sonderband 232, 1994); Die Kirchen im
Schröder, mit Essays von Aruna D’Souza, Achim Hochdörfer, Christian Kravagna und Amy Sillman, NS-Staat: Untersuchung zur Interaktion ideologischer Mächte (Argument –  Sonderband 160,
Brooklyn, New York 2012. 1986). The focus of his research is ideological theory, post-structuralism, Christian-Marxist dialogs,
Nietzsche, and Bloch.
Born in Feldkirch, Vorarlberg (Austria), Ulrike Müller lives and works in New York. After completing
her studies at the Academy of Fine Arts, Vienna, she participated in the Whitney Independent
Study Program (2003) and the P.S.1 International Studio Program (2004). She currently teaches at ALBERTO HÍJAR SERRANO
various US universities. From 2005 to 2007 Ulrike Müller was coeditor of the queer magazine
LTTR. Apart from numerous international exhibitions she was represented at the Cairo Biennale Alberto Híjar Serrano ist Professor emeritus an den Fakultäten Filosofia y Letras und Architektur
2010/2011. In 2012 her exhibition Herstory Inventory: 100 Feminist Drawings by 100 Artists was der Universidad Nacional Autónoma de Méxiko von Mexiko-Stadt (UNAM).
shown at the KUB Arena and the Brooklyn Museum, Brooklyn, New York. Mitbegründer und Mitglied des Taller de Arte e Ideología (1974) und des Taller de Construcción del
See also: Ulrike Müller, Fever 103, Franza, and Quilts, ed. by Achim Hochdörfer and Barbara Socialismo. Mitbegründer und Generalsekretär der Popularen Demokratischen Linken (Izquierda
Schröder, with essays by Aruna D’Souza, Achim Hochdörfer, Christian Kravagna, and Amy Democrática Popular, 2000–2003), Forscher am Centro Nacional de Investigación, Documentación
Sillman, Brooklyn, New York, 2012. e Información de Artes Plásticas del Instituto Nacional de Bellas Artes.
Er war Berater des Regierungs-Rates des Nationalen Wiederaufbaus (Junta de Gobierno de
Reconstrucción Nacional, 1979–1985) von Nicaragua.
MERIJN OUDENAMPSEN Híjar Serrano hat Texte zur Kultur der Ästhetik, zu politischer Philosophie, zur Kritik der Politischen
Ökonomie und zur Geschichte der Moderne in diversen Zeitungen und Fachzeitschriften in
Merijn Oudenampsen studierte Politikwissenschaft und Soziologie an der Universität von Amsterdam. Mexiko, Nicaragua, Kuba, den USA, Puerto Rico, Italien, Österreich und Spanien publiziert und
Er arbeitete am postakademischen Jan-van-Eyck-Institut für bildende Kunst in Maastricht an war Organisator zahlreicher Workshops, Kurse und Konferenzen in Mexiko und anderswo.
einem Design-Forschungsprojekt über Aspekte populistischer Ästhetik. 2010 war er Herausgeber Von Híjar Serrano publizierte Sammelbände sind etwa Arte y utopía en América Latina, Mexiko,
einer Sonderausgabe der niederländischen Zeitschrift für Kunsttheorie Open, die die populistische D.F. 2000, und Frentes, coaliciones y talleres: grupos visuales en México en el siglo XX, Mexiko,
Vorstellungskraft untersuchte. 2011 begann er Forschungen an der Universität Tilburg zu einer Casa Juan Pablos, Conaculta, Cenart, INBA, Cenidiap, 2007; Monografien: Semiótica del
Doktorarbeit über politischen Populismus und den politischen Rechtsruck in den Niederlanden, Imperialismo, Línea de izquierda, UCLAT, 2002; Introducción al neoliberalismo, 2001, Itaca-
in der sich zeitgenössische Politiktheorie mit Studien zu Kultur- und Medien-wissenschaften UCLAT, 2. Aufl. http://albertohijar.blogspot.com/
sowie Nationalismusforschung verbinden. 2012 war er Co-Herausgeber von Power to the People,
een anatomie van het populisme. Alberto Híjar Serrano is an emeritus professor at the faculties of Filosofia y Letras and architecture
of the Universidad Nacional Autónoma de México in Mexico City (UNAM).
Merijn Oudenampsen studied Political Science and Sociology at the University of Amsterdam. Co-founder and member of Taller de Arte e Ideología (1974) and Taller de Construcción del
He was a researcher at the Post-Academic Art Institute Jan van Eyck in Maastricht in a design Socialismo. Co-founder and general secretary of the Popular Democratic Left (Izquierda
research project on populist aesthetics. In 2010 he edited a special issue of the Dutch art theory Democrática Popular, 2000–2003), researcher at Centro Nacional de Investigación, Documentación
magazine Open, which investigated the populist imagination. In 2011 he began Ph.D. research at e Información de Artes Plásticas del Instituto Nacional de Bellas Artes.
Tilburg University on political populism and the swing to the right in Dutch politics, combining He was an adviser for the governmental advisory committee of National Reconstruction (Junta de
contemporary political theory and insights gleaned from cultural studies, media studies, and Gobierno de Reconstrucción Nacional, 1979–1985) in Nicaragua.
nationalism research. In 2012 he co-edited Power to the People, een anatomie van het populisme.

408 409
BIOGRAFIEN / BIOGRAPHIES

Híjar Serrano has published texts on the culture of aesthetics, political philosophy, critiques on Ruth Sonderegger (born in 1967) is a professor of philosophy and aesthetic theory at the Academy
political economy, and the history of modernism in various newspapers and journals in Mexico, of Fine Arts, Vienna. The focus of her current research is aesthetics, political philosophy as well
Nicaragua, Cuba, USA, Puerto Rico, Italy, Austria, and Spain and is an organizer of numerous as critical theory and resistance studies.
workshops, courses, and conferences in Mexico and elsewhere. Selected publications: Ed. (with Karin de Boer), Conceptions of Critique in Modern and Contemporary
Anthologies published by Híjar Serrano include Arte y utopía en América Latina, Mexiko, D.F. Philosophy, Houndmills Basingstoke, 2011; Ed. (with Diedrich Diederichsen, Christine Frisinghelli,
2000, and Frentes, coaliciones y talleres: grupos visuales en México en el siglo XX, Mexiko, Casa Matthias Haase, Christoph Gurk, Juliane Rebentisch, and Martin Saar), Golden Years: Materialien
Juan Pablos, Conaculta, Cenart, INBA, Cenidiap, 2007; Monographs: Semiótica del Imperialismo, und Doku­mente zur queeren Subkultur und Avantgarde zwischen 1959 und 1974, Graz, 2006; Für
Línea de izquierda, UCLAT, 2002; Introducción al neoliberalismo, 2001, Itaca-UCLAT, 2nd ed. eine Ästhetik des Spiels. Hermeneutik, Dekonstruktion und der Eigensinn der Kunst, Frankfurt
http://albertohijar.blogspot.com/ a. M., 2000.

LEA SUSEMICHEL
KERSTIN STAKEMEIER
Lea Susemichel (geb. 1976) hat Philosophie und Gender Studies in Wien studiert. Sie arbeitet zum
Kerstin Stakemeier (geb. 1975) ist Autorin und Hochschullehrerin und lebt in Berlin und München.
Thema Ereignis und hat u. a. zu feministischer Medienarbeit publiziert. Sie unterrichtet Philosophie
Sie ist Juniorprofessorin am cx centrum für interdisciplinäre studien an der Akademie der
und Kulturtheorie an der Wiener Kunstschule. Seit 2006 ist sie leitende Redakteurin der monatlich
Bildenden Künste München. Sie verfasste ihre Doktorarbeit über Entkunstung – Artistic Models for
erscheinenden Zeitschrift an.schläge. Das feministische Magazin (Wien).
the End of Art (2010) und forschte an der Jan van Eyck Academie, Maastricht (2009/10) über
Realisms in (Contemporary) Art. Anstellungen unter anderem beim Neuen Berliner Kunstverein,
Lea Susemichel (born in 1976) studied philosophy and gender studies in Vienna. She works on
dem Museum für Gegenwartskunst in Basel sowie dem Kunstverein in Hamburg. Unter anderem
the subject matter of events and has published, amongst other things, on feminist media work.
schreibt sie für Texte zur Kunst, springerin, Afterall und Phase 2. 2012 wurden Painting – The
She teaches philosophy and cultural theory at the Vienna Art School. Since 2006 she has been
Implicit Horizon (hg. mit Avigail Moss) und Anfang Gut. Alles Gut. Aktualisierungen der futu-
the senior editor of the monthly magazine an.schläge. Das feministische Magazin (Vienna).
ristischen Oper Sieg über die Sonne (1913) (hg. mit Eva Birkenstock und Nina Köller) veröffentlicht.
2013 wird Entkunstung – Artistic Models for the End of Art bei polypen b_books erscheinen.
JÁNOS WEISS
Kerstin Stakemeier (born in 1975) is a writer and teacher living in Berlin and Munich, where she is
a junior professor at the cx center for interdisciplinary studies at the Academy of Fine Art. She
János Weiss (geb. 1957 in Szűr, Ungarn); Studium der Wirtschaftswissenschaften in Pécs, der
wrote her Ph.D. on Entkunstung – Artistic Models for the End of Art (2010) and was a researcher at
Philosophie in Budapest, Frankfurt am Main, Tübingen und Berlin. 1991 Promotion über Adornos
the Jan van Eyck Academie, Maastricht (2009/10) on Realisms in (Contemporary) Art. She has
Ästhetik, 2000 Habilitation mit der Arbeit Die Konstitution des Staates (2006). Zurzeit Professor für
worked at the Neuer Berliner Kunstverein, the Museum für Gegenwartskunst Basel and the
Philosophie an der Universität Pécs. Letzte Buchveröffentlichungen: Was heißt Reformation der
Kunstverein in Hamburg, amongst others, and writes for the magazines Texte zur Kunst, springerin,
Philosophie? (2009) und Lukács öröksége (Das Erbe von Georg Lukács), Gond-Cura Alapítvány
Afterall, and Phase 2, amongst others. In 2012 Painting—The Implicit Horizon (co-ed. Avigail
(2011).
Moss) and Anfang Gut. Alles Gut. Actualizations of the futurist opera Victory Over the Sun (1913)
(co-ed. Eva Birkenstock and Nina Köller) were published. In 2013 Entkunstung—Artistic Models
János Weiss (born in 1957 in Szűr, Hungary) studied economics in Pécs and philosophy in
for the End of Art will be published by polypen b_books.
Budapest, Frankfurt am Main, Tübingen, and Berlin. 1991 Ph.D. on Adorno’s aesthetics. 2000,
habilitation with the work Die Konstitution des Staates (2006). Currently professor of philosophy at
the University of Pécs. Recent book publications: Was heißt Reformation der Philosophie? (2009)
RUTH SONDEREGGER
and Lukács öröksége (The Lecacy of György Lukács), Gond-Cura Alapítvány (2011).

Ruth Sonderegger (geb. 1967) ist Professorin für Philosophie und Ästhetische Theorie an der
Akademie der bildenden Künste Wien. Ihre derzeitigen Forschungsschwerpunkte sind Ästhetik,
politische Philosophie sowie Kritische Theorien und resistance studies.
Veröffentlichungen (Auswahl): Hg. (mit Karin de Boer), Conceptions of Critique in Modern and
Contemporary Philosophy, Houndmills Basingstroke 2011; Hg. (mit Diedrich Diederichsen,
Christine Frisinghelli, Matthias Haase, Christoph Gurk, Juliane Rebentisch und Martin Saar),
Golden Years: Materialien und Doku­mente zur queeren Subkultur und Avantgarde zwischen 1959
und 1974, Graz 2006; Für eine Ästhetik des Spiels. Hermeneutik, Dekonstruktion und der
Eigensinn der Kunst, Frankfurt a. M. 2000.

410 411
Diese Publikation erscheint Kunsthaus Bregenz A r e n a
im Zusammenhang mit dem Publikationsreihe herausgegeben von  /
KUB Arena Projekt / Series edited by
This book is published in conjunction Eva Birkenstock, Yilmaz Dziewior
with the KUB Arena project
Bd. 3
Kunst und Ideologiekritik Kunst und Ideologiekritik
nach 1989 / Art and Ideology nach 1989 / Art and Ideology
Critique After 1989 Critique After 1989

Im Zusammenhang mit der HerausgeberInnen / Editors:


Sommerakademie der KUB Arena im Eva Birkenstock, Max Jorge
September 2012 in Kooperation mit Hinderer Cruz, Jens Kastner,
dem Institut für Kunst- und Ruth Sonderegger
Kulturwissenschaften der Akademie
der bildenden Künste Wien / In Lektorat / Copy Editing:
conjunction with the KUB Arena Katrin Wiethege, Claudia Voit,
Summer Academy, September 2012, Volker Ellerbeck, Textual Bikini – Jesi
IMPRESSUM in cooperation with the Institute for Khadivi und / and Kathleen Reinhardt,
Art Theory and Cultural Studies at the Sam Putinja, William Wheeler
IMPRINT Academy of Fine Arts Vienna
Übersetzungen / Translations:
Konzipiert von / Concept by Sabine Bürger und / and Tim Beeby /
Eva Birkenstock, Max Jorge artlanguage, Pauline Cumbers,
Hinderer Cruz, Jens Kastner, Volker Ellerbeck, James Gussen,
Ruth Sonderegger Daniel Hendrickson, Textual
Bikini – Jesi Khadivi, Ralf Schauff,
William Wheeler

Gestaltung / Graphic Design:


HIT, Berlin
Druck / Printing:
DZA Druckerei zu Altenburg GmbH

Bildrechte / Credits
© Kunsthaus Bregenz

Fotonachweis / Photo Credits


Foto / Photo: Jens Kastner;
Montage: Stefan Gassner (S. / p. 11)

413
ISBN 978-3-86335-145-8 Kunsthaus Bregenz Vertrieb / Distribution Haussponsor des
Kunsthaus Bregenz
Printed in Germany Direktor / Director: Yilmaz Dziewior Europa / Europe
Kaufmännischer Geschäftsführer / Buchhandlung Walther König
Auflage Januar 2014 / Edition Chief Executive: Werner Döring Ehrenstraße 4
January 2014 Kurator / Curator: Rudolf Sagmeister D – 50672 Köln
Kuratorin KUB Arena / KUB Arena T +49 (0)221 205 96 53
Bibliografische Information der Curator: Eva Birkenstock F +49 (0)221 205 96 60 Kulturträger
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Die Deutsche Nationalbibliothek Kommunikation / Communications: koenig.de
verzeichnet diese Publikation in der Birgit Albers
Deutschen Nationalbibliografie; Assistenz / Assistant: Tina Süß Schweiz / Switzerland Mit freundlicher Unterstützung von
detaillierte bibliografische Daten sind Kunstvermittlung / Art Education: Buch 2000
über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Kirsten Helfrich c/o AVA, Verlagsauslieferungen AG
Assistenz / Assistant: Lisa Hann, Centralweg 16
© 2014 by Kunsthaus Bregenz Lidiya Anastasova CH – 8910 Affoltern a.A.
und Autoren / and authors Publikationen und Editionen / T +41 (44) 762 42 00 Mit freundlicher Unterstützung
Alle Rechte vorbehalten / All rights Publications and Artist´s Editions: F +41 (44) 762 42 10 von / With the kind support of
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