Professional Documents
Culture Documents
Das Spektrum
der Anti-Antifaschisten
Eine Einleitung
erläuterte 1932 in seinem Buch “Der Begriff des Politi- Akademische Säulen der “Anti-Antifa”
schen”, dass zu den wichtigsten Fähigkeiten eines politi-
schen Akteurs die Unterscheidung in Freund und Feind Waren in “Nation Europa” schon die künftigen Elemen-
gehöre. Ebenso auch die Feststellung, wem als Souverän te einer anti-antifaschistischen Propaganda dargelegt wor-
letztlich die Entscheidung über Leben und Tod zukomme. den, so war es der Bonner Professor Hans-Helmuth
Zunächst der Kenntlichmachung und schließlich der Ver- Knütter, der ab Anfang der 1990er Jahre mit Büchern wie
nichtung wird so das Wort geredet. “Kritik des Antifaschismus” anti-antifaschistische Ideolo-
gie popularisierte und modernisierte. Das Buch wurde von
Anti-Antifaschismus nach 1945 der Bundeszentrale für politische Bildung in hoher Aufla-
ge kostenlos verteilt.
Neonazistische Organisationen arbeiteten nach der Knütter löste den Anti-Antifaschismus vom reinen Anti-
militärischen Niederlage des Faschismus schon früh wie- kommunismus und verortete ihn im Antitotalitarismus.
der daran, Antifaschisten zu bekämpfen, so zum Beispiel Der von staatlichen Organisationen wie dem Polizeilichen
der 1950 gegründete “Bund Deutscher Jugend” (BDJ), Staatsschutz und dem Verfassungsschutz vertretenen Ideo-
eine nach außen an der bündischen Jugend orientierten logie des Antitotalitarismus folgt die Erkenntnis, dass in
Organisation, die intern eine antikommunistische Kampf- der Praxis beide Extreme in gleicher Weise zu bekämpfen
gruppe aufbaute. Die als “Technischer Dienst” bezeichne- seien. Ein Zitat der führenden deutschen Totalitarismus-
te Kampfgruppe bestand zu einem wesentlichen Teil aus Experten Uwe Backes und Eckhard Jesse mag diese
ehemaligen Wehrmachts- und SS-Offizieren. Der “Techni- Grundannahme verdeutlichen: “Rechtsextremisten und
sche Dienst” legte eine umfangreiche Feindkartei an, in Linksextremisten brauchen mithin einander. Letztlich sind
der sich sozialdemokratische und kommunistische Funk- sie gar nicht daran interessiert, dass die andere Variante
tionäre wie beispielsweise Herbert Wehner befanden, die des Extremismus, die sie zu bekämpfen vorgeben, gänz-
es, wenn nötig, zu ermorden gelte. lich von der Bildfläche verschwindet. Sie wollen vielmehr
das hervorrufen, was sie so heftig attackieren. Denn je
Alter Wein in neuen Schläuchen stärker der extremistische Antipode ist, umso mehr Reso-
nanz versprechen sie sich für die eigene Richtung [...]
Das wohl älteste “Plädoyer für einen “Anti-Antifaschis- Insofern besteht also eine merkwürdige Dialektik im Auf-
mus” veröffentlichte das extrem rechte Ideologieorgan treten von Rechts- und Linksextremisten, die in gewisser
“Nation Europa” 1972. Behauptet wurde hier, “nicht die Weise ‘Bundesgenossen’ und – wenn auch unfreiwillig –
kapitalistische Wirtschaft unterdrück[e] den Menschen, ‘Bündnispartner’ sind.” Die Argumentation, Antifaschis-
sondern die heute mit wenigen Ausnahmen in den Mas- mus bekämpfe Faschisten nicht, sondern fördere sie, ent-
senmedien tonangebende Ideologie des getarnten oder zieht – so absurd sie auch klingen mag – zum einen dem
offenen Marxismus”. Und eigentlich würden die Massen Antifaschismus seine Legitimation. Zum anderen ist hier
selbstverständlich wissen, dass der Marxismus sie “auf auch wieder das Argument zu finden, Antifaschismus sei
das niedrigste Niveau herabdrückt”. Dass die Massen dies Antifaschisten nur Mittel zu einem anderen Zweck. Damit
erdulden würden, sei nur damit zu erklären, dass sich der ist der alte Antikommunismus neu aufgelegt, ohne ihn
Marxismus als Antifaschismus tarne. Die Menschen beim Namen zu nennen. Ideologisch begründet ist diese
“durchschauten nicht, daß die ursprünglichen, die echten Gedanken-Figur in der These von Ernst Nolte, dass der
Antifaschisten reine Bolschewisten sind von nun an ent- Nationalsozialismus nur eine Abwehr gegen den Kommu-
schlossen, allein zu bestimmen, wer ein ‘faschistisches nismus und das russische Gulag-System der Prototyp des
Ungeheuer’ ist, was als ‘faschistisch’ zu betrachten und nationalsozialistischen Konzentrationslagers gewesen sei.
auszurotten sei”. Mit der Diffamierung von Antifaschisten Eine solche auch geschichtsrevisionistische Argumentati-
als Unterdrücker geht stets eine Entlastung der Täter, also on findet sich auch bei Knütter: “Die Aufdeckung kom-
der extremen Rechten, einher. munistischer Untaten legt es nahe, nationalsozialistische
Wie aktuell die Thesen in “Nation Europa” von 1972 Taten zu relativieren und eben nicht als einmalig und
sind, konnte man im Rahmen der Debatte um den ehema- unvergleichbar erscheinen zu lassen.” Knütter redete einer
ligen CDU-Bundestagsabgeordneten Martin Hohmann “Enttabuisierung des Faschismus”, wie er formuliert, das
und seine antisemitischen Äußerungen verfolgen. Beklag- Wort. Sein weiterer politischer Weg bis in die neonazisti-
te schon “Nation Europa”, dass “durch Diffamierung und sche Szene ist daher nur als konsequent und logisch zu
Rufmord der antikommunistischen Mehrheit die meisten bezeichnen.
Führungspersönlichkeiten entzogen” worden seien und
gerade die CDU auch “aus diesem Grunde nicht genügend Militante “Anti-Antifa”
Köpfe und noch weniger Führungsköpfe” habe, so knüpf-
ten rechte Kreise der CDU und der Publizistik in der Aus- Die militante Neonazi-Szene startete 1992 auf Initiative
einandersetzung um Hohmann genau an diese Positionen von Christian Worchs “Nationaler Liste” (NL) eine bun-
an. Auch hier wurde die Macht der vermeintlich linken desweite “Anti-Antifa”-Kampagne. Im August 1992 ver-
Medien kritisiert und von einem Kesseltreiben gegen Hoh- öffentlichte das Propagandainstrument der NL, der
mann gesprochen. “Index”, eine Schwerpunktausgabe zum Thema, in der
verschiedene linke Projekte, Initiativen und Einzelperso-
nen mitsamt Adressen aufgelistet wurden. Es ging darum, In der vorliegenden Ausgabe der LOTTA möchten wir
“möglichst viele personenbezogene Daten über die antifa- verschiedene Aspekte des Themenfeldes “Anti-Antifa”
schistischen Gewalttäter sowie deren Unterstützer bis hin beleuchten. Es wird sowohl auf die akademische “Anti-
ins bürgerliche Lager zu sammeln und abrufbar zu doku- Antifa” eingegangen, als auch auf den militanten Arm mit
mentieren.” Bundesweit gründeten sich “Anti-Antifa- Schwerpunktsetzung auf Nordrhein-Westfalen. Als Fall-
Gruppen” und mit der Broschüre “Der Einblick” wurde beispiel aus einer ferneren Region dient der Artikel über
eine Hetzschrift erstellt, die 250 Namen und Adressen von die “Anti-Antifa” in Potsdam, die sich als besonders aktiv
Einzelpersonen und Gruppen veröffentlichte, denen und dreist zeigt(e). Der Schwerpunkt wird abgeschlossen
“unruhige Nächte” angedroht wurden. In beiden Fällen mit einem Interview mit aktiven AntifaschistInnen, in dem
entstammte der Großteil der Informationen öffentlich es insbesondere um eine Einschätzung geht und um Ideen,
zugänglichen Quellen, genannt wurden vermeintliche sich vor Aktivitäten der “Anti-Antifa” zu schützen.
Antifaschistinnen, jüdische Gemeinden, Bundestagsabge-
ordnete oder linke Zentren. Auch die “NPD” unterstützte
die Kampagne, so informierte 1994 der damalige Bundes-
geschäftsführer der Jugendorganisation “Junge National-
demokraten” (JN), Sascha Wagner, die Mitglieder über
den Aufbau eines “Anti-Antifa”-Archivs in der Bundesge-
schäftsstelle der JN im nordrhein-westfälischen Stolberg.
Zunehmend begannen Neonazis, antifaschistische
Demonstrationen zu fotografieren und Informationen über
vermeintliche Linke und Gewerkschafter, aber auch miss-
liebige Staatsanwälte und Polizeibeamte zu sammeln. In Literaturhinweise
der Folge kam es zu Bedrohungen, Steckbriefen und ver-
einzelt auch zu gewalttätigen Übergriffen. Auch in späte- Javier Rojas
ren Jahren wurden sogenannte “Feindlisten” veröffentlicht Anti-Antifa. Ein Handbuch über
und Drohbriefe verschickt, so 2000 im Fall des Heftchens eine aktive Tarnorganisation der Nazis
“Wehrwolf”. Stuttgart 1999, ISBN 3-00-004043-9
Hatte die Popularität in der Szene bundesweit beständig
abgenommen, so ist in den letzten Jahren in einzelnen Bildungswerk Anna Seghers e.V.
Regionen wieder ein Anstieg solcher Aktivitäten zu ver- Die Anti-Antifa und der Einblick.
zeichnen. Auch wird verstärkt über den gezielten Einsatz Drahtzieher und Hintergründe.
von Gewalt gegen den politi- Broschüre , Wiesbaden 1994
schen Gegner diskutiert oder
dieser bereits praktiziert. Angriffsziel Antifa.
Faschisten machen mobil
Fazit Sonderheft der Zeitschrift “Der Rechte Rand”,
www.der-rechte-rand.de, Hannover, März 1994
Angriffen auf Antifaschisten
gehen in der Regel eine Diskre- Die Reihen fest geschlossen.
ditierung und die Delegitimie- Über die Anti-Antifa als innere Front
rung von Antifaschismus vor- in: “Antifaschistische NRW-Zeitung” Nr. 5,
aus. Die Gefährlichkeit der Wuppertal, Juni 1994
“Anti-Antifa” liegt also nicht
allein bei ihren militanten Ver- Prozess gegen die Anti-Antifa-Gruppe Volkswille
tretern, den Neonazis, sondern in: “Antifaschistische NRW-Zeitung Nr. 8,
auch im Zusammenspiel der Wuppertal, Mai 1995
unterschiedlichen Spektren.
Staatliche Totalitarismusdok- Die Aktivitäten der “Anti-Antifa”.
trin, rechte Wissenschaftler, Von der Bundeszentrale für Politische Bildung bis
rechte Ideologieschmieden und zum “Nationalen Einsatzkommando”
militanter Neonazismus arbei- in: “Antifaschistisches Infoblatt” Nr. 20b, www.nadir.org/aib
ten hier zwar nicht unbedingt
zusammen, aber die ideologi- Antirassistisches
sche Delegitimierung des Anti- Bildungsforum Rheinland
faschismus und seine praktische Totalitarismus-Theorie.
Bekämpfung sind zwei Seiten Vom Aufstieg der antikommunistischen Ideologie
einer Medaille. zur offiziellen deutschen Staatstheorie
in: LOTTA Nr. 16, Oberhausen, April 2004