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Thema: Übersicht: Erkenntnistheorie

TMD: 34609

Kurzvorstellung des • Die Erkenntnistheorie ist ein wichtiger Teilbereich der


Materials: Philosophie. So spielt sie im Philosophieunterricht der
Oberstufe eine wichtige Rolle.

• Das Material bietet einen ersten Überblick über das


weitreichende Themengebiet. Von Platon bis Kant
werden die wichtigsten Positionen vorgestellt.

• Fragen am Ende jeden Kapitels sollen Diskussionen


anregen und zum Selbstdenken einladen.

Übersicht über die • Einleitung


Teile
• Platons Ideenlehre

• John Locke – Wahrnehmung als Basis des Erkennens

• David Hume – Skeptizistischer Empirismus

• Immanuel Kant – Die Kritik der reinen Vernunft

• Der radikale Konstruktivismus – Jedem seine Welt

Information zum • Ca. 12 Seiten


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Übersicht Erkenntnistheorie
Thematische Einführung und ausgewählte, schulrelevante
Beispiele
1. Erkenntnistheorie
Wer hat sich nicht schon einmal geirrt? Etwas anzunehmen, dass sich im
Nachhinein als falsch herausstellt, ist im Normalfall nicht verwerflich und durchaus
alltäglich. Allerdings gibt es wohl niemanden, der sich irren möchte oder gar bei
gutem Verstand beschließt, sich zu irren. Im Gegenteil: als Menschen wollen wir
über Angelegenheiten, die uns betreffen, richtig informiert werden. Wir suchen
kurz gesagt Wissen, die Wahrheit über die Welt, in die wir hineingeboren wurden.

Wissen suchen wir nicht nur seiner selbst willen, im Alltag und in der
Wissenschaft etwa soll es uns helfen, einer Situation angemessen zu handeln.
Was jedoch macht dieses Wissen aus? Wie gelangen wir zu ihm? Wie
gewiss sind unsere Überzeugungen überhaupt? Und können wir immer
sicher gehen, nicht doch getäuscht worden zu sein? Diese und weitere
Fragen versucht die philosophische Erkenntnistheorie seit jeher zu beantworten.
Ihr Anliegen zielt auf eine tiefgründige Untersuchung der zentralen Begriffe des
Erkenntnisprozesses ab. Sie strebt danach, die Werkzeuge unserer
Verständnistätigkeit offenzulegen und beleuchtet, wie unsere Urteile in der
Wissenschaft, aber auch unsere Gewissheiten über unseren Alltag zustande
kommen. Gleichzeitig legt die Erkenntnistheorie sozusagen das Maß an, an
welchem eine jede Ansicht für richtig oder falsch, für begründet oder unbegründet
erklärt wird.

Reden wir jedoch von der Erkenntnistheorie, so ist keine einzelne, spezielle
gemeint. Es handelt sich vielmehr um eine grundlegende Disziplin der
Philosophie, in der unterschiedlichste Positionen vertreten wurden. Betrachtet
man die Geschichte der Erkenntnistheorie, so hat man es mit einer Unsumme von
Ansichten zu tun, die einander in zentralen Punkten widersprechen und sich
gegenseitig ausschließen. Wo der eine sein Hauptaugenmerk auf die Tätigkeit
unseres Verstandes legt, entdeckt der andere gerade in unserem gesunden
Menschenverstand und unserem sinnlichen Bezug auf die Welt die Quelle eines
sicheren, Wahrheit garantierenden Wissens. In den nachfolgenden Kapiteln
sollen einige wichtige Überzeugungen zum Problem der Erkenntnis dargestellt
und erklärt werden.

Fragen:
1. Welcher dieser Sätze erscheint Ihnen am gewissesten?
„Der Mond ist aus Käse.“
„Vor 300 Millionen Jahren gab es einen zusammenhängenden Urkontinent.“
„Angela Merkel ist deutsche Bundeskanzlerin.“
„Ich lese gerade diesen Satz.“

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2. Diskutieren Sie Ihre Wahl. Warum haben Sie sich so entschieden? Woher nehmen Sie die
Gewissheit?
3. Gibt es einen Unterschied zwischen Meinung und Wissen? Begründen Sie Ihre Antwort.

2.1. Platons Ideenlehre

Den ersten dokumentierten Versuch einer in sich


geschlossenen Erkenntnistheorie schreibt man
üblicherweise Platon zu, welcher von 428/427 bis 348/347
v. Chr. im antiken Athen gelebt hat. Beeinflusst von der
Methode seines Lehrers Sokrates entwickelte er in
verschiedenen Dialogen (u.a. in der Politeia und dem
Theaitetos) ein Erkenntnissystem, das über lange Zeit
großen Einfluss auf die gesamte Philosophie ausüben
sollte.

Platon wendet sich in seinen Ausführungen gegen eine


skeptizistische Philosophieströmung seiner Zeit, den
Sophismus. Dieser Lehre zufolge ist jedes Wissen von der
Wahrnehmung des Subjekts abhängig, eine übergeordnete Platon
Wahrheit gibt es demnach nicht, nur unterschiedliche
Standpunkte. Eine Meinung wäre so gut wie die andere, im Grunde hätte keiner
und alle gleichzeitig recht. Eine Diskussion wäre hiernach ein zweckfreies
Unterfangen, ginge es doch nur um den Austausch von Überzeugungen, ohne
Ziel der Wahrheitsfindung. Platon argumentiert gegen diese gleichmacherische
Auffassung in verschiedenen Schritten.

Zuerst stellt er fest, dass es, um etwas zu wissen, nicht ausreicht, einen
Gegenstand einfach sinnlich zu erfassen, ihn beispielsweise nur anzusehen.
Beobachte ich zum allerersten Mal einen Baum, so weiß ich allein deswegen
noch lange nicht, dass sein Material brennt und einen Menschen im Winter
wärmen kann. Ebenso wenig setzt mich der jetzige sinnliche Eindruck von seinen
Entwicklungsstadien über das Jahr hinweg in Kenntnis, die Blüte im Frühling und
den Abfall seiner Blätter im Winter. Wissen und Wahrnehmung sind also
voneinander verschieden.

Zweitens ist Platon der Ansicht, dass auch unsere grundlegenden Begriffe nicht
auf Beobachtung beruhen. Wenn wir ohne vorherige Erfahrung zwei Pferde auf
der Wiese grasen sehen, haben wir keine Mühe, die Gleichheit der beiden zu
erkennen. Platon zufolge liegt dies daran, dass wir bereits zuvor über Begriffe-an-
sich wie Gleichheit-an-sich verfügt haben. Also über vollkommene Begriffe, durch
welche wir bestimmen können, ob etwas mehr oder weniger gleich oder doch
vollkommen verschieden voneinander ist. Wir wissen sozusagen über die

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gleichste Gleichheit bescheid, bevor wir überhaupt etwas in der Welt gleich
nennen.

Weder das Wissen noch unsere Begriffe sind also nur durch Wahrnehmung allein
zu erklären. Doch was muss dafür hinzukommen und woher nehmen wir es, wenn
nicht aus unseren Sinnen? Platon selbst begründet den Umstand, dass wir
dennoch über Wissen und Begriffe verfügen, mit seiner eigenwilligen Ideenlehre.
Ein jeder Mensch verfügt demnach über eine unsterbliche Seele, die vor ihrer
Geburt auf die Welt an einem „überhimmlischen Ort“ die vollkommenen Ideen des
Baumes, der Gleichheit usw. betrachtet hat. Einmal auf die Erde gekommen
vergisst sie hiervon das meiste und muss sich durch Erfahrung oder Reflexion
mühselig an diese Begriffe wiedererinnern (anamnesis, von gr. Erinnerung). Die
Ideen sind also von Geburt an im Menschen und müssen nur durch
Beschäftigung mit ihnen zu Tage gefördert werden. Sie sind sozusagen auf einer
höheren Wirklichkeitsstufe, weil ewig und unveränderlich. Wie die Tätigkeit der
Erkenntnis genau aussieht oder zur Wahrheitsfindung aussehen müsste,
veranschaulicht Platon in drei Gleichnissen, dem Sonnen-, dem Linien- und dem
Höhlengleichnis.

Zum Sonnengleichnis: so wie die Sonne in der Welt des Sichtbaren die
Gegenstände für uns erkennbar macht, so sei dies im Reich der Ideen die Idee
des Guten. Sie gibt den Objekten der Erkenntnis erst Existenz und Wesen und
lässt ihnen Wahrheit zukommen, die wir durch Überlegung allein erkennen
können, ebenso wie die Idee des Guten selbst. Wir sind dazu nicht auf unsere
Sinne angewiesen, im Gegenteil sähen wir damit lediglich blasse, farblose
Abbilder der reinen und vollkommenen Ideen.

Zum Liniengleichnis: Platon zufolge gibt es vier unterschiedliche Gruppen von


Gegenständen, welche wir mehr oder minder klar erfassen können. Am
ungewissesten sind die Abbilder: ein Spiegelbild eines Balles im Wasser oder
eine Fotografie davon sagen für uns kaum etwas über die Wirklichkeit der Dinge
aus. Besser dafür sind die sinnlich wahrgenommenen Gegenstände, da jede
Abbildung nur ein Abbild derer ist. Der Bereich der Mathematik lässt uns durch
Nachdenken die Idealformen dieser Gegenstände finden. So ist es beim
beschriebenen Ball etwa die perfekte Kugel, beim Grashalm die Linie. Sie sind
unabhängig von Sinneswahrnehmung und damit für Platon reiner. Die sicherste
und achtbarste Gruppe ist jedoch die der Ideen selbst, die durch
wissenschaftliche Dialektik, also die Vernunft, erkannt werden können. Wo Abbild
und Bild nur vom Körper wahrgenommen werden, da hat bei den mathematischen
und idealen Begriffen die Seele im höchsten wahrheitsgrade Anteil an der
Erkenntnis.

Zum Höhlengleichnis: das vielleicht bekannteste der platonischen Gleichnisse


beschreibt den Weg des Philosophen zur Wahrheit und die Konsequenzen, die
ihm von Seiten seiner Gesellschaft blühen. Platon entwirft hierin ein sehr
lebhaftes Bild. Man stelle sich eine Höhle vor, in welcher die Menschen von
Geburt an mit dem Rücken zum Eingang, also gegen die Felswand, festgebunden

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sind. Sie sind unfähig, ihren Kopf dorthin zu wenden. Hinter ihnen befindet sich
ein Feuer, vor welchem ständig Gegenstände vorbeigetragen werden, die dann
Schatten auf die Felswand werfen, die unsere Gefangenen sehen können. Nach
Platons Ansicht werden die Festgebundenen zwangsläufig diese Schatten für das
Wesen der Dinge halten, sie irren sich also in der Wirklichkeit der Sachen, die sie
umgeben. Wer nun philosophiert, so weiter, der sei in der Lage, die Ketten, die
den Menschen in seiner erkenntnislosen Finsternis halten, zu sprengen und das
erste Mal die sinnlichen Gegenstände zu betrachten, von welchen man vorher nur
farblose Abbilder sehen konnte. Im Weiteren wird der Philosoph auch die Höhle
verlassen. Er wird die Spiegelungen der Dinge im Wasser, dann die Dinge selbst
und zuletzt die Sonne ansehen können. Jede Station dieses Aufstiegs, so
beschreibt es Platon, ist mit großer Anstrengung und Gewöhnung verbunden.
Erkennen ist nicht einfach, will er uns sagen. Ginge der Erkennende nun wieder
herunter zu seinen ehemals Mitgefangenen, so könnten sie ihm seine Erkenntnis
nicht abnehmen, da es für sie zu ungewöhnlich wäre. Platon schließt das
Gleichnis mit der auf Sokrates bezogenen Vermutung, dass die Gefesselten den
Philosophen für seine Erkenntnis umbrächten.

Zusammenfassend ist zu sagen, dass Platon von einer Welt ausgeht, in der
die Ideen die unabänderlichen und ewigen Gegenstände jeder wahren
Erkenntnis sind. Alles andere ist davon abgeleitet und je mehr es mit einem
Sinneseindruck vermischt ist, desto weniger wertvoll ist die entsprechende
Aussage über ein Ding. Nur Verstand und Vernunft also geben uns geeignete
Auskunft über die Wirklichkeit der Welt und ihrer Objekte. Platons
Erkenntnistheorie ist somit ein gutes Beispiel für eine rationalistische Position
(von lat. ratio, Vernunft, Verstand).

Fragen:

1. Versuchen Sie, Platons Höhle aus dem Gleichnis zu zeichnen. Was entspricht darin Abbild,
Gegenstand, mathematischen Begriffen, den Ideen und speziell der Idee des Guten? Besprechen
Sie Ihr Ergebnis.

2. Halten Sie es für überzeugend nur wegen der Tatsache, dass sinnliche Wahrnehmung allein
Wissen und Begriffe nicht erklärt, auf eine unsterbliche Seele zu schließen, die all dies eigentlich
schon immer besessen hat? Diskutieren Sie in der Klasse.

3. Was glauben Sie, würde die heutige Naturwissenschaft zum Thema Seele sagen? An welchem
Ort müsste sie überhaupt suchen?

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2.2. John Locke – Wahrnehmung als Basis des Erkennens

Gegen die platonische Vorstellung von dem Menschen


angeborenen Ideen argum entierten viele, doch erst der
britische Empirismus des 18. Jahrhunderts brachte
die Einwände gegen diese Vermutung in einer
besonderen Weise auf einen Nenner. John Locke (1632
– 1704) gilt als einer der Hauptvertreter einer
Erkenntnistheorie, die sich auf das stützt, was wir im
Alltag, wenn wir Einkaufen gehen oder den Hund
ausführen, stets schon als befriedigende Quelle der
Erkenntnis voraussetzen: unsere Sinne.

All die Gegenstände unseres Denkens, sozusagen die


Stoffe, mit denen es umgeht, basieren hiernach
entweder auf unseren äußeren Sinnen (Sehen, Hören, John Locke
etc.) oder unseren inneren Sinnen von
Geistesoperationen (Selbstwahrnehmung, Denken,
etc.). Die Objekte der Außenwelt bewegen uns derart, dass sie in uns
unterschiedlichste Wahrnehmungen auslösen, die wir zu Ideen zusammensetzen.
Die Wahrnehmung der Gegenstände über äußere Sinne nennt Locke
Sensationen (engl. sensations, bedeutet in diesem Fall eher Sinnesempfindung).
Die Verfahren unseres Geistes können uns ähnlich klare Objekte liefern, sie seien
Reflexionen. Je aufmerksamer wir uns mit den Gegenständen der Außenwelt und
unserem geistigen Treiben beschäftigen, desto klarer werden wir später über
deren Begriffe verfügen. Ein Gemälde, an dem wir tagtäglich vorbeigehen, mögen
wir im Ernstfall wiedererkennen, aber erst ein genaues Studium des Inhalts, des
Bildaufbaus und der Malweise geben uns konkreteren Aufschluss darüber. Für
John Locke gilt der Mensch also als unbeschriebenes Blatt, welches sich selbst
durch Erfahrung mit der Welt nach und nach füllt. Erst einmal mit einfachen
Begriffen ausgestattet, die der Geist passiv in seiner Umwelt registriert hat, kann
dieser ebenso aktiv auf ebenjene eingehen. Locke beschreibt drei grundlegende
Möglichkeiten.

Die erworbenen einfachen Ideen, welche sich aus der inneren oder äußeren
Wahrnehmung ergeben, lassen sich so etwa durch Verknüpfung zu komplexen
Ideen weiterentwickeln. Eine ganzheitliche Erfahrung eines Theaterstückes zum
Beispiel ist ja nicht allein auf einzelne Anschauungen beschränkt, sondern enthält
unter sich viele solcher. Als Beispiel mag nur die Verbindung vom hörbaren
Vortrag der Schauspieler mit deren sichtbaren Handlungen auf der Bühne dienen.

Gleichzeitig lassen sich verschiedene Ideen als in Relation zueinander begreifen.


So können bestimmte Ereignisse gleichzeitig oder stets nacheinander auftreten.
Sie können in einer ganz besonderen Beziehung zueinander stehen, etwa Teil
voneinander sein oder eben nicht.

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Als drittes nennt Locke die Fähigkeit der Abstraktion. Sehen wir verschiedene
Ideen von ein und demselben Merkmal begleitet, so können wir dieses selbst zur
Sprache bringen. Unter Weglassung der unterschiedlichen Merkmale bilden wir
somit allgemeine Begriffe.

Die Grundlage der Erkenntnis ist somit die Erfahrung, aber hier bleibt die
Erkenntnis durch die Anwendung der genannten Denkprinzipien noch lange nicht
stehen. Wahrnehmung ist also die Basis eines komplexeren Systems von
Übertragung und Umgestaltung von Bewusstseinsinhalten. Daraus resultierende
Einblicke können verschiedene Grade von Einsehbarkeit haben.

Die höchste Gewissheit bietet Locke zufolge die Intuition. Jedem Menschen mit
funktionstüchtigem Augenlicht leuchtet etwa sofort ein, dass schwarz nicht weiß
ist, dass ein Elefant keine Katze ist oder dass drei gleichartige Gegenstände mehr
sind als zwei dieser Gegenstände. Eine Nachfrage erübrige sich hier.

Auf der zweiten Stufe der Einsehbarkeit, aber ebenso gewiss, sind demonstrative
Erkenntnisse der Mathematik und Geometrie. Dass die Winkelsumme im Dreieck
stets einhundertachtzig Grad beträgt, lässt sich nicht durch einfache Anschauung
herausfinden, sondern bedarf eines darlegenden Beweises.

Sind diese beiden Einsichtsformen gesichert, so kann es jedoch weiterhin Zweifel


in Bezug auf eine Quelle unserer Erfahrung geben, die Außenwelt. Ein Skeptiker
könnte einwenden, dass wir niemals wissen, ob wir nicht in Wirklichkeit träumten,
wenn wir meinen wach zu sein. Unser vermeintliches Wissen könnte sich also auf
etwas beziehen, dass in Wirklichkeit nicht so ist, wie wir es angenommen haben.
Somit könnten wir nie sicher darüber sein und das entsprechende Wissen würde
sich in puren Glauben auflösen. John Locke ist der Ansicht, dass die Intensität
der Eindrücke allein eine zufriedenstellende Versicherung der Wirklichkeit der
Eindrücke selbst ist. Steckt ein Zweifler seine blanke Hand in die Glut eines
Ofens, so wird er sie angesichts der qualvollen Schmerzen durch die gleißende
Hitze unwillkürlich wieder herausziehen. Der Zweifel über die Existenz der
Außenwelt hebt sich Locke zufolge demnach in der Praxis auf. Die Welt ist so
eingerichtet, dass sie uns im Ernstfall nicht in Ungewissheit über sich selbst lässt.
Verallgemeinert ließe sich so sagen, dass sich die Wahrnehmung immer auf eine
in den Momenten des Wahrnehmens wirklich existente Außenwelt richtet.

Wenn auch diese Außenwelt gesichert scheint, so bleibt die Frage offen, ob wir
diese genau so wahrnehmen, wie sie für sich ist oder nur durch unsere Sinne
vermittelt trübe Abbilder von ihr erhalten. Locke beschreibt hier zweierlei
Qualitäten der Gegenstände. Primäre Qualitäten sind solche, die jedem
Einzelteil eines Objekts auf gleiche Weise zukommen. Als Beispiel gibt Locke ein
Weizenkorn an. Teilen wir dieses in zwei Hälften, so bleiben die Festigkeit und die
Tatsache, dass der Gegenstand ausgedehnt ist, gleichermaßen erhalten.
Sekundäre Qualitäten hingegen seien vielmehr in den Objekten angelegte
Kräfte, mithilfe derer sie uns zu sinnlichen Sensationen bewegen, so etwa
Farbeindrücke oder Tonwahrnehmung. Primäre Qualitäten bezeichnen nach
Locke reale, ursprüngliche Eigenschaften der Dinge an sich. Sie lassen sich für
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uns so wahrnehmen, wie sie auch wirklich in den Gegenständen der Außenwelt
ohne uns sind. Sekundäre Qualitäten jedoch liegen dort nicht vor, sie haben
überhaupt keine Ähnlichkeit mit den Objekten. Sie seien vielmehr Ergebnis der
Art und Weise, wie die Primärqualitäten dort veranlagt sind.

John Lockes Erkenntnistheorie war in vielen Belangen wegbereitend für eine auf
das Prinzip der sinnlichen Überprüfung gestützte Naturwissenschaft. Die
Wirklichkeit der Gegenstände, ohne dass sie von uns beobachtet werden, spielt
im Gegensatz zu Platons Ideenlehre kaum eine Rolle mehr. Alle Aussagekraft
richtet sich direkt oder mittelbar auf Objekte als wahrgenommene Dinge.

Fragen:

1. Wahrscheinlich trauen Sie, wie die meisten von uns, im Alltag Ihren Sinnen. Können Sie sich
einen Fall vorstellen, wo unsere Wahrnehmung uns an der Nase herumführt?

2. Was halten Sie von Lockes Argument zur Existenz der Außenwelt? Ist es überzeugend?
Diskutieren Sie Ihre Ansichten.

3. Wenn im Moment der Wahrnehmung laut Locke garantiert ist, dass es einen entsprechenden
Gegenstand in der Außenwelt gibt, was würde es dann überhaupt bedeuten, sich zu täuschen?
Gibt es eine Fata Morgana, nur weil wir glauben, sie zu sehen?

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2.3. David Hume – Skeptizistischer Empirismus

Hat sich John Locke noch eher implizit zu


metaphysischen Fragen geäußert, also Fragen über
die Erfahrung hinaus, so etwa nach Gott, der Freiheit
und der Seele, bezieht sein schottischer Nachfolger
David Hume (1711 – 1776) klar Stellung gegen die
Möglichkeit einer solchen Erkenntnis. In seinem
erkenntnistheoretischen Hauptwerk „Eine
Untersuchung über den menschlichen Verstand“
(1748 als Philosophical Essays Concerning Human
Understanding erschienen) behauptet Hume ähnlich
wie Locke, dass die Grundlage jedes Wissens die
sinnliche Erfahrung sei. Menschliche
Bewusstseinsinhalte seien grundlegend in zwei
Kategorien geteilt, impressions (Ein drücke) und
ideas (Vorstellungen). David Hume

Erstere sind sinnliche Eindrücke über die Welt und durch die Wahrnehmung
unmittelbar und lebendig; der Mensch hat sowohl Eindrücke der Außenwelt als
auch solche seiner inneren Gemütsbewegungen. Zweitere sind geistige
Auffassungen mittelbar vorgestellter, auch erinnerter Bewusstseinsinhalt von
zuvor Erfahrenem/Erlebtem – dies kann wiederum ein Eindruck der Außenwelt als
auch der eines Gefühls sein – oder dessen Verknüpfung. Nach Hume sind sie
farbloser als der Eindruck selbst, von welchem die Vorstellung stammt.

Auch wenn das menschliche Denken schrankenlos erscheint und sich


vermeintlich auch auf Gebiete zu erstrecken vermag, welche niemand je geschaut
hat – Fabelwesen, Monster, Metaphern –, so unterliegt der Verstand doch
bestimmten Gesetzen der Verknüpfung und Umstellung, Vermischung und
Vertauschung von Bewusstseinsinhalten. „All unsere Vorstellungen oder
schwächeren Auffassungen sind Abbilder unserer Eindrücke oder lebhafteren
Auffassungen“1, gleichgültig, ob erstere eingebildet, zur Unterhaltung, Belehrung
gedacht oder deren Inhalt zuvor in der sinnlichen Wahrnehmung angetroffen
worden ist. Jeder Gedanke, jede Vorstellung, gleich wie komplex sie auch sein
mag, lässt sich bei genauer Prüfung in einfachere Vorstellungen zergliedern, die
auf einem vorhergehenden Empfinden beruhen. Es zeige sich, dass, wenn
jemand niemals eine Erfahrung von etwas hatte, er sich dieses etwas auch nicht
vorstellen kann.

Bei Streitfragen und Unklarheiten, die sich um metaphysische Begriffe ranken, ist
zu fragen, ob diese Begriffe sich überhaupt auf Eindrücke beziehen. Das
Sinnkriterium eines Wortes, so mag man frei sagen, ist sein Bezug auf ein
Erlebnis. Findet man also einen Begriff, der nicht in die Welt der Wahrnehmung
ausgreift, so ist er sinnlos und verliert seinen Platz in der ernsthaften Diskussion.
1
David Hume, „Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand“ (EhU), Felix Meiner Verlag,
12. Ausg., S. 19

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Hume nimmt somit dem spekulativen Vernunftgebrauch in der natürlichen


Theologie (dem Gebiet der Theologie, das sich etwa mit Gottesbeweisen
beschäftigt) und der Metaphysik im Allgemeinen die Grundlage. Er spricht ihm die
Fähigkeit, sichere Erkenntnisse zu erreichen ab, und verortet seine Ergebnisse
ähnlich Geistergeschichten im Bereich der Fantasie. Rein verstandestechnisch ist
uns nichts verfügbar, erst durch die sinnliche Anschauung wird es wertvoll.

Neben seiner Metaphysikkritik ist David Hume auch für das erstmals von ihm
aufgestellte so genannte Induktionsproblem (Induktion: Schluss vom Einzelnen
auf das Allgemeine) bekannt, ein Problem, dass sich auf unser Verständnis von
Ursache und Wirkung bezieht. Während in der menschlichen Vernunft manche
Beziehungen von Vorstellungen etwa in der Mathematik oder Geometrie absolute
Gewissheit böten (logische Gesetze garantieren dies), ist unser Wissen über
Tatsachen (hier Verknüpfung von Ereignissen) hingegen fraglich.

Um Tatsachen als etwas betrachten zu können, das nicht nur für die bisher
gekannten Fälle, sondern für allgemein alle möglichen Fälle gültig ist (z.B.: wenn
es regnet, ist die Straße nass), müssen wir sie als Beziehungen von Ursache und
Wirkung begreifen. Diese Verknüpfung wird in den Tatsachen mitgedacht. Kein
Denkakt allein kann dieser Beziehung jedoch ansichtig werden, es ist vielmehr
eine Sache der Erfahrung und Gewohnheit, diesen festen Zusammenschluss
zweier Ereignisse anzunehmen. Es scheint unmittelbar einleuchtend, dass, bevor
wir bestimmte Gegenstände kannten, wir ihre Wirkungen und Eigenschaften nicht
gewiss vorhersagen konnten. Selbst die Gesetze der physischen Welt, die uns
doch seit Kindheit an in Mark und Bein gegangen sind, sind keine, die sich vor der
Erfahrung erfassen lassen. Es lässt sich ebenso vorstellen, dass ein Stein nach
oben fällt, wenn wir ihn loslassen. „Jede Wirkung ist ein von ihrer Ursache
verschiedenes Ereignis“2, von einer auf die andere zu schließen, ist unvernünftig.
Wir Menschen selbst verbinden also aufeinanderfolgende Ereignisse erst durch
wiederholte Betrachtung. Wir können demnach nicht wirklich aussagen, dass
jedes Mal, wenn es regnet, die Straße nass sein wird. Wir können lediglich sagen,
dass bisher immer die Straße nass war, nachdem es geregnet hat. Dass die Welt
immer gleich laufen wird, heute wie morgen, ist eine Annahme, die sich nach
David Hume nicht beweisen lässt. Kausalität ist demnach Gewohnheitsglaube
und keine absolut gewisse Erkenntnismöglichkeit.

Als Skeptiker geht Hume sogar noch weiter und behauptet, dass wir nicht
gesichert Wissen können, dass es außerhalb von uns überhaupt eine Außenwelt
gibt. Nichts in unseren Eindrücken oder dem Denken gibt uns Aufschluss darüber,
dass wir nicht etwa der einzige Mensch auf Erden sind und uns unsere Welt nur
ausdenken oder gar erträumen. Zwar nehme man im Alltag an, dass es nicht so
ist und es ist auch gut möglich, dass es wirklich nicht so ist, aber eine konkrete
Aussage dazu steht uns nicht zu.

Humes Positionen und besonders das von ihm aufgestellte Induktionsproblem


haben Generationen von Philosophen beeinflusst und auch in der heutigen
2
EhU, S. 40

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Wissenschaftstheorie, etwa dem kritischen Rationalismus oder Fallibilismus,


findet man Anhänger der grundlegend skeptizistisch-empiristischen
Weltanschauung, nach der vieles nur wahrscheinlich ist, aber kaum etwas wirklich
gewusst wird.

Fragen:

1. Was bleibt dem Skeptiker nach dem Zweifel? Gibt es einen gewissen Punkt im Leben, der nicht
angezweifelt werden kann? Wenn ja, welcher wäre das? Wenn nicht, ist so ein Leben
wünschenswert?

2. Die Fragen der Metaphysik sind von vielen als fundamentale Menschheitsfragen betrachtet
worden, deren Beantwortung der erste Zweck des Menschen sei. Sollte man diese Beschäftigung
einstellen, nur weil die eventuellen Antworten nicht gesichert sind? Richtig können die Antworten,
wenn auch rein zufällig und nicht überprüfbar, doch immer noch sein.

3. Erarbeiten Sie die Unterschiede von Lockes und Humes Position. Warum könnte man erstere
materialistisch und letztere skeptizistisch nennen?

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2.4. Immanuel Kant – Die Kritik der reinen Vernunft

Die „Kritik der reinen Vernunft“ (1781/87), die erste der


drei großen Kritiken Kants, ist als Antwort auf den
Jahrhunderte währenden erkenntnistheoretischen Streit
über die wahren Quellen des Wissens zu verstehen.
Standen sich Empirismus und Rationalismus im 18.
Jahrhundert weitgehend unversöhnlich gegenüber,
versuchte sich Kant an einer eigenen Lösung des
Problems der Erkenntnis, die Elemente beider
Anschauungen verbinden sollte.

Zeigte sich Kant früh eher rationalistischen Thesen


zugeneigt, beispielsweise dem Werk Gottfried Wilhelm
Leibniz‘, so war es die Lektüre von David Humes
verstandeskritischer Position, welche ihm nach eigener Immanuel Kant
Aussage „vor vielen Jahren zuerst den dogmatischen
Schlummer unterbrach“3. Beide Ansichten unterzog er einer tiefgehenden
Prüfung, um die Fehler beider Systeme gleichsam aufzudecken und zu zeigen,
dass beide Anschauungen auf ihre Weise richtig sind. Die Grundfrage, die Kant
immer wieder umtreibt, ist die, ob Metaphysik eine Wissenschaft ist, die sichere
Erkenntnis erlaubt oder nicht. Um diese zu beantworten, versucht er, das
gesamte Erkenntnisvermögen des menschlichen Geistes zu vermessen, um ein
für allemal klären zu können, was wir wissen können und was nicht.

Vom Empirismus der britischen Schule übernimmt Kant die Vorstellung, dass jede
Erkenntnis mit der Erfahrung anfange. Allein durch sinnliche Wahrnehmung
jedoch kann Kant zufolge keine Erkenntnis zustande kommen. Die Erfahrung, so
schreibt er, sei selbst zusammengesetzt aus dem, was wir durch sinnliche
Eindrücke empfangen und dem, was der Verstand dazu beiträgt. Hätten wir keine
Wahrnehmung von etwas, so könnten wir es nicht sinnvoll denken. Es fehlte dann
gewissermaßen der Grundstoff dafür. Gleichfalls aber wären Eindrücke
willkürliche Bild- oder Tonabfolgen für uns, wären sie nicht nach bestimmten
Prinzipien geordnet. Der aktive Verstand erarbeitet aus dem Grundstoff der
Eindrücke Begriffe und erst durch diese kommt Erfahrung zustande.

Kant geht also davon aus, dass unsere Erfahrung gewissermaßen auf unserem
Erkenntnisvermögen basiert. Es lässt sich somit die Frage stellen, was wir
wirklich zur Sprache bringen, wenn wir meinen, etwas in unserer Erfahrungswelt
erkannt zu haben. Unsere Anschauung und unser Verstand formatieren sinnliche
Eindrücke vor, so dass wir Objekte nie so sehen, wie sie sind (Dinge an sich),
sondern lediglich so, wie sie uns vorkommen (Erscheinungen). Dinge an sich sind
jedoch nach Kant die Grundlage für Erscheinungen.

3
Immanuel Kant, „Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik die als Wissenschaft wird
auftreten können“, Vorrede (Riga, 1783)

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Erkenntnis ist demnach viel eher ein Wiedererkennen dessen, was unser
Verstand zuvor in die Gegenstände gelegt hat. Wo ein Botaniker ein
Schneeglöckchen entdeckt, wird ein Unkundiger womöglich nur eine krautige
Pflanze mit weißen Blütenblättern entdecken können. Dem Gegenstand an sich
ist dies gleichgültig, er verändert sich nicht, egal wie man ihn benennt oder
welche seiner Details man zur Sprache bringt.

Dieser Perspektivwechsel auf die Gegenstände der Welt wird nach Kopernikus,
der eine ähnliche Umdeutung in der Sternkunde vornahm, „kopernikanische
Wende“ genannt. Wir richten uns hiernach nicht mehr nach den Objekten,
sondern die Objekte richten sich nach uns. Kant versucht im Weiteren, die
Gesetzmäßigkeiten der sinnlichen Anschauung und der Verstandestätigkeit, die
die Objekte vorbringen, aufzuzeigen.

Um dies zu erreichen, macht sich Kant Gedanken darüber, welche


Voraussetzungen überhaupt im Geist vorliegen müssen, damit wir erkennen
können. Diesen Rückgriff auf die Basisfundamente des Wissens nennt er
Transzendentalphilosophie. Sie fragt nach den Bedingungen der Möglichkeit
von Sinneswahrnehmung und Denken überhaupt. Transzendental ist aber hier
nicht mit transzendent zu verwechseln. Letzteres bezieht sich auf das
Überschreiten von Grenzen, beispielsweise des Erlebens. Im Verlauf seiner
Untersuchung macht Kant zwei unterschiedliche Begriffe aus, unter denen
Erkenntnis gedacht werden muss, die reinen Anschauungsformen und die reinen
Verstandeskategorien (rein bedeutet hier vor jeder Erfahrung; verständlich, wenn
sie selbst erst die Bedingungen ebenjener Erfahrung sein sollen).

Noch bevor wir irgendetwas wahrnehmen, müssen wir das, was wir wahrnehmen
sowohl in Raum als auch in Zeit verorten. Kant nimmt an, dass jede Anschauung,
der keine Empfindung des Sinnlichen beigemischt ist, eine reine Anschauung ist.
Laut ihm können wir uns zwar einen Raum oder einen Augenblick vorstellen, in
dem kein Gegenstand ist, aber wir können uns andersherum niemals einen
Gegenstand vorstellen, der nicht in Raum oder Zeit ist. Raum und Zeit sind
deshalb reine Formen der Anschauung und liegen jeder Wahrnehmung zu
Grunde. Sie sind die transzendentalen Bedingungen der Sinnlichkeit (Rezeptivität
der Eindrücke).

So wie Raum und Zeit reine Anschauungsformen sind, sind die Kategorien die
reinen Formen des Verstandes, mit denen er sinnliche Eindrücke zu Einheiten
zusammenfasst. In Anlehnung an die Kategorienlehre von Aristoteles erkennt
Kant zwölf solcher Kategorien, die er in vier Gruppen einteilt (Quantität, Qualität,
Relation und Modalität). Im Folgenden sollen die wichtigsten genannt sein.

Die Kategorien der Quantität beispielsweise beziehen sich im weitesten Sinne auf
die Art und Weise, wie ich einen Gegenstand auffasse. Ich kann ein Buch als
Einheit betrachten oder als Vielheit von zusammengebundenen Seiten.

In der Gruppe der Qualität finden sich Bestimmungen über die Wirklichkeit und
Gültigkeit von Aussagen wieder.

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Der Block der Relation umfasst die Verbindungen, die Gegenstände miteinander
haben können. So ist etwa das Beispiel „Der Ball ist gelb“ eine Zuordnung der
Eigenschaft „gelb“ zu „Ball“. Auch ist nach Kant die Beziehung von Ursache und
Wirkung eine Verstandeskategorie. Dass eine Billardkugel losrollt, weil sie von
einer anderen angestoßen wurde ist nichts, was man allein aus der sinnlichen
Wahrnehmung herleiten kann. Das „weil“ ist nicht sichtbar und erst unser
Verstand fügt die beiden Ereignisse (erste Kugel rollt zum Stoß, zweite Kugel
rollt) zu einer kausalen Verknüpfung zusammen.

Die letzte Gruppe der Kategorien, die Gruppe der Modalität, bezieht sich unter
anderem auf die Art und Weise von Aussagen. Sie können möglich/unmöglich,
notwendig/zufällig oder wahr/falsch sein.

Man kann sich die Kategorien wie Prägestempel vorstellen, die dem rohen Stoff
der sinnlichen Anschauung eine geordnete Form, eine verstehbare Struktur
aufzwingen. Als reine Verstandesformen sind sie abermals vor jeder Erfahrung.
Weder die reinen Anschauungsformen von Raum und Zeit noch die reinen
Verstandesformen können wahrgenommen werden, müssen aber nach Kant als
Bedingungen für die Möglichkeit jeder Verstandestätigkeit (Spontaneität der
Begriffe) gedacht und angenommen werden.

Ist erst einmal geklärt, wie wir vermittels der in uns angelegten Erkenntniskräfte
zu Erkenntnissen über die Welt gelangen, kann Kant auch die weitere Frage
angehen, die von großer Bedeutung für die Philosophiegeschichte ist. Nämlich,
ob Metaphysik eine Wissenschaft genannt werden kann.

So wie der Verstand die sinnlichen Wahrnehmungen zu Begriffen und Urteilen


ordnet, ordnet die Vernunft diese zu allgemeineren Prinzipien. Die Vernunft sucht
in ihrer Eigenart stets nach Erkenntnis und geht in ihrem Vorgehen immer weiter
vom Einzelnen zum Allgemeinen, bis sie irgendwann zum Allgemeinsten, dem
Unbedingten, gekommen zu sein glaubt. Fragen nach der Existenz von Gott, der
Willensfreiheit und der Unsterblichkeit der Seele sind klassische Themen der
Metaphysik, welche sie allein durch Begriffe und die Logik zu lösen versucht.

Weil sich die Metaphysik aber nicht auf sinnliche Wahrnehmung stützt und sich
auch nicht überprüfbar in der Welt beweisen kann, so wie es andere
Wissenschaften tun, ist Kant der Ansicht, dass Metaphysik keine reine
Wissenschaft ist. Sie ist keine sichere Quelle des Wissens, zu unsicher ist ihr
Vorgehen.

Die Ideen, die die reine Vernunft (Gott, Freiheit, Seele) gezwungenermaßen
hervorbringt, sind deshalb jedoch noch keine reinen Hirngespinste. Im gleichen
Zuge nämlich kann deren Nicht-Existenz auch nicht bewiesen werden. Gott ist so
immerhin noch möglich und es ist im strengen Sinn auch nicht unvernünftig, an
ihn zu glauben. Kant nennt diese Vorstellungen regulative Ideen. Sie seien
wichtig für das praktische Handeln, obgleich wir nicht wissen, ob sie wahr sind.

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Wie eingangs erwähnt, stellt die „Kritik der reinen Vernunft“ eine Verbindung von
rationalistischem und empiristischem Gedankengut dar. Sie stellt die Grundlage
für Kants spätere Werke, der „Kritik der praktischen Vernunft“ (1788) und der
„Kritik der Urteilskraft“ (1790) dar. Gerade erstere nutzt den Begriff der regulativen
Ideen als Ausgangsbasis für die Ethik. Kants Denken hat die europäische
Philosophie der Neuzeit und den entsprechenden Zeitgeist maßgeblich
beeinflusst (deutscher Idealismus: Fichte, Hegel). Die ungewohnte Vorstellung
einer an sich unerkennbaren Welt, in der wir die wichtigsten Fragen unserer
Existenz, Fragen nach Gott und der Freiheit, unentscheidbar vorfinden, hatte
grundlegende Auswirkungen auf Kunst und Kultur (siehe Kleists „Kant-Krise“).

Fragen:
1. Teilen Sie Kants Kritik am reinem Empirismus und Rationalismus? Sind Begriffe nur als
Verbindung von Wahrnehmung und Denken möglich?
2. Kant ist der Ansicht, dass das „Ding an sich“ die Grundlage jeder Wahrnehmung ist, selbst
jedoch nicht wahrgenommen werden kann. Im gleichen Zuge kritisiert er die Metaphysik, weil sie
sinnlich nicht überprüfbar ist. Ist es sinnvoll, etwas, das nicht wahrgenommen werden kann, für ein
Theoriegebäude anzunehmen?

3. An anderer Stelle schreibt Kant, er musste in der Metaphysik „das Wissen aufheben, um zum
Glauben Platz zu haben“. Was meint er damit?

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2.5. Der radikale Konstruktivismus – Jedem seine Welt

Die Vorstellung, dass Wirklichkeit nicht vom


Menschen getrennt gedacht werden kann,
haben wir bereits in Kants Erkenntnistheorie
aus der „Kritik der reinen Vernunft“ kennen
gelernt. Aufbauend auf den Arbeiten des
Schweizer Psychologen Jean Piaget (1896 –
1980) entwickelte im 20. Jahrhundert der
österreichisch-amerikanische Philosoph Ernst
von Glasersfeld (geb. 1917) ein Denksystem,
das Kants Position an Kompromisslosigkeit
sogar noch überbieten sollte.
Der radikale Konstruktivismus (von lat. radix,
Wurzel und constructio, Bau) betrachtet Wissen
aus einer vollkommen neuen Perspektive.
Traditionelle Erkenntnistheorien hatten Wissen
stets geradewegs oder mittelbar als begründete
Übereinstimmung von dem, was wir über die
Die Innenperspektive in einer Illustration von
Gegenstände der Welt denken, und deren Ernst Mach
wirklichem Sein betrachtet. Die Wahrheit lag für
viele Philosophen im wohlstrukturierten Universum und man musste sie nur
möglichst geschickt, vermittelt durch beispielsweise die Methoden der modernen
Naturwissenschaft oder der Vernunft, hinausziehen, um echtes Wissen und
ehrliche Erkenntnis zu erlangen.

Wenn man allerdings eine Quelle unserer Erkenntnis betrachtet, die sinnliche
Wahrnehmung, so werden wir stets mit ausschnitthaften Eindrücken konfrontiert.
Ein Zimmer etwa betrachten wir immer aus verschiedenen Perspektiven, aus
denen die Winkel der aneinander angrenzenden Wände je nach Blickwinkel
anders erscheinen, mal stumpf, mal spitz, mal rechtwinklig. Trotz dieser großen
Unterschiede in der Betrachtung kommen wir im Alltag aber darüber überein,
dass es, sich egal von welcher Position aus besehen, um denselben Raum
handelt. Die Frage, die sich aber stellen lässt ist, ob dieser Raum bereits für sich
existiert oder wir ihn durch die Zuordnung unserer Erfahrungsepisoden zum
Begriff „Raum“ erst zu einem solchen Raum machen.

Der radikale Konstruktivismus stellt es frei, dass es Dinge an sich (also objektive
Erkenntnis ohne unsere Wahrnehmung) gibt, wir können lediglich nicht beweisen,
dass es sie gibt und es steht uns auch im Weiteren keine zufriedenstellende
Methode zum Nachweis zur Verfügung. Wenn man aber davon ausgeht, dass wir
die Dinge der Welt erst durch Erfahrung konstruieren und zurechtlegen, dann
verliert Wahrheit ihre ursprüngliche Bedeutung. Es gibt keinen Maßstab in der
Welt mehr, an dem wir eine Übereinstimmung von Urteil und Welt messen
können. Was letztendlich für uns bleibt, ist laut Glasersfeld die Frage nach der
Anwendbarkeit von Weltkonstruktionen.

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Man könnte sagen, dass sich ein bestimmtes Wissen durchgesetzt hat, weil es
uns in unserem praktischen Leben erlaubt, die unterschiedlichsten Dinge zu tun.
Hätten wir keine Verwendung für dieses Wissen, so gäbe es die entsprechende
Lehre vermutlich nicht. Eine jede Weltkonstruktion ist nach dem radikalen
Konstruktivismus so gut wie jede andere, nur in ihrer praktischen Relevanz
unterscheiden sie sich. Als Menschen erwarten wir zu verschiedenen Zeiten ganz
verschiedenes von unserem Wissen und wenn es dies leistet, ist es brauchbar
und nützlich, überprüfbar wahr ist es jedoch niemals.

Der radikale Konstruktivismus ist entschieden gegen unser alltägliches


Weltverständnis gerichtet. Wir gehen intuitiv davon aus, dass wir uns alle
gemeinsam in derselben Welt befinden und in ihr in derselben Weise Handeln
und interagieren. Für einen Konstruktivisten hingegen schafft sich jeder seine
eigene Welt aufgrund der Wahrnehmung, die er, woher auch immer, beständig
erhält und verändert diese Weltsicht auch mit zunehmender Erfahrung. Im
übertragenen Sinne könnte man sagen, dass wir uns stets erkenntnistheoretisch
gesprochen auf schwankendem Boden befinden und solange wir nicht ins
Straucheln geraten und hinfallen, ist unser Wissen momentan vollkommen
ausreichend.

Fragen:
1. Betrachten Sie Ihren Arbeitstisch. Beschreiben Sie seine Form aus Ihrer Perspektive. Sehen
Sie rechte Winkel? Hat ein Schreibtisch nicht normalerweise welche? Wechseln Sie die
Perspektive. Wie stellt sich Ihr Schreibtisch Ihnen nun dar?
2. Vergleichen Sie Kants Erkenntnistheorie mit der konstruktivistischen. Wo bestehen
Übereinstimmungen, worin unterscheiden sie sich?

3. Wie lässt sich menschliches Zusammenleben erklären, wenn jeder seine eigene Welt hat?
Haben diese verschiedenen Welten Berührungspunkte? Welche könnten das sein? Woher
kommen sie?

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