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Konstruktiver
Ingenieurbau
und Hochbau
Herausgeber
Konrad Zilch Rolf Katzenbach
Lehrstuhl für Massivbau Institut und Versuchsanstalt für Geotechnik
Technische Universität München Technische Universität Darmstadt
München, Deutschland Darmstadt, Deutschland
Der Inhalt der vorliegenden Ausgabe ist Teil des Werkes „Handbuch für Bauingenieure“, 2. Auflage
Springer Vieweg
© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht aus-
drücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das
gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Ein-
speicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk be-
rechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der
Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann
benutzt werden dürften.
Teilausgaben großer Werke dienen der Lehre und Praxis. Studierende können für
ihre Vertiefungsrichtung die richtige Selektion wählen und erhalten ebenso wie
Praktiker die fachliche Bündelung der Themen, die in ihrer Fachrichtung relevant
sind.
Die nun vorliegende Ausgabe des „Handbuchs für Bauingenieure“, 2. AuÀage,
erscheint in 6 Teilausgaben mit durchlaufenden Seitennummern. Das Sachverzeich-
nis verweist entsprechend dieser Logik auch auf Begriffe aus anderen Teilbänden.
Damit wird der Zusammenhang des Werkes gewahrt.
Der Verlag bietet mit diesen Teilausgaben eine einzeln erhältliche Fassung aller
Kapitel des Standardwerkes für Bauingenieure an.
Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2305
Autorenverzeichnis
Arslan, Ulvi, Prof. Dr.-Ing., TU Darmstadt, Institut für Werkstoffe und Mechanik
im Bauwesen, Abschn. 4.1, arslan@iwmb.tu-darmstadt.de
Beckmann, Klaus J., Univ.-Prof. Dr.-Ing., Deutsches Institut für Urbanistik gGmbH,
Berlin, Abschn. 7.1 und 7.3.1, kj.beckmann@difu.de
Böttcher, Peter, Prof. Dr.-Ing., HTW des Saarlandes, Baubetrieb und Baumanagement
Saarbrücken, Abschn. 2.5.3, boettcher@htw-saarland.de
Dreßen, Tobias, Dipl.-Ing., RWTH Aachen, Lehrstuhl und Institut für Massivbau,
Abschn. 3.2.2, tdressen@imb.rwth-aachen.de
Franke, Horst, Prof. , HFK Rechtsanwälte LLP, Frankfurt am Main, Abschn. 2.4,
franke@hfk.de
Giere, Johannes, Dr.-Ing., Prof. Dr.-Ing. E. Vees und Partner Baugrundinstitut GmbH,
Leinfelden-Echterdingen, Abschn. 4.4
Hauer, Bruno, Dr. rer. nat., Verein Deutscher Zementwerke e.V., Düsseldorf,
Abschn. 3.2.2
Hegger, Josef, Univ.-Prof. Dr.-Ing., RWTH Aachen, Lehrstuhl und Institut für Massivbau,
Abschn. 3.2.2, heg@imb.rwth-aachen.de
Kahmen, Heribert, Univ.-Prof. (em.) Dr.-Ing., TU Wien, Insititut für Geodäsie und
Geophysik, Abschn. 1.2, heribert.kahmen@tuwien-ac-at
Köhl, Werner W., Prof. Dr.-Ing., ehem. Leiter des Instituts f. Städtebau und Landesplanung
der Universität Karlsruhe (TH), Freier Stadtplaner ARL, FGSV, RSAI/GfR, SRL,
Reutlingen, Abschn. 6.1 und 6.2, werner-koehl@t-online.de
Krätzig, Wilfried B., Prof. Dr.-Ing. habil. Dr.-Ing. E.h., Ruhr-Universität Bochum,
Lehrstuhl für Statik und Dynamik, Abschn. 1.5, wilfried.kraetzig@rub.de
Krautzberger, Michael, Prof. Dr., Deutsche Akademie für Städtebau und Landesplanung,
Präsident, Bonn/Berlin, Abschn. 6.3, michael.krautzberger@gmx.de
Maidl, Bernhard, Prof. Dr.-Ing., Maidl Tunnelconsultants GmbH & Co. KG, Duisburg,
Abschn. 4.6, office@maidl-tc.de
Maidl, Ulrich, Dr.-Ing., Maidl Tunnelconsultants GmbH & Co. KG, Duisburg,
Abschn. 4.6, u.maidl@maidl-tc.de
Meißner, Udo F., Prof. Dr.-Ing., habil., TU Darmstadt, Institut für Numerische Methoden
und Informatik im Bauwesen, Abschn. 1.1, sekretariat@iib.tu-darmstadt.de
Meng, Birgit, Prof. Dr. rer. nat., Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung,
Berlin, Abschn. 3.1, birgit.meng@bam.de
Meskouris, Konstantin, Prof. Dr.-Ing. habil., RWTH Aachen, Lehrstuhl für Baustatik und
Baudynamik, Abschn. 1.5, meskouris@lbb.rwth-aachen.de
Moormann, Christian, Prof. Dr.-Ing. habil., Universität Stuttgart, Institut für Geotechnik,
Abschn. 3.10, info@igs.uni-stuttgart.de
Petryna, Yuri, S., Prof. Dr.-Ing. habil., TU Berlin, Lehrstuhl für Statik und Dynamik,
Abschn. 1.5, yuriy.petryna@tu-berlin.de
Petzschmann, Eberhard, Prof. Dr.-Ing., BTU Cottbus, Lehrstuhl für Baubetrieb und Bau-
wirtschaft, Abschn. 2.6.1–2.6.3, 2.6.5, 2.6.6, petzschmann@yahoo.de
Plank, Johann, Prof. Dr. rer. nat., TU München, Lehrstuhl für Bauchemie, Garching,
Abschn. 1.4, johann.plank@bauchemie.ch.tum.de
Rank, Ernst, Prof. Dr. rer. nat., TU München, Lehrstuhl für Computation in Engineering,
Abschn. 1.1, rank@bv.tum.de
Rößler, Günther, Dipl.-Ing., RWTH Aachen, Institut für Bauforschung, Abschn. 3.1,
roessler@ibac.rwth-aachen.de
Schießl, Peter, Prof. Dr.-Ing. Dr.-Ing. E.h., Ingenieurbüro Schießl Gehlen Sodeikat GmbH
München, Abschn. 3.1, schiessl@ib-schiessl.de
Schneider, Ralf, Dr.-Ing., Prof. Feix Ingenieure GmbH, München, Abschn. 3.3,
ralf.schneider@feix-ing.de
Schröder, Petra, Dipl.-Ing., Deutsches Institut für Bautechnik, Berlin, Abschn. 3.1,
psh@dibt.de
Sedlacek, Gerhard, Prof. Dr.-Ing., RWTH Aachen, Lehrstuhl für Stahlbau und
Leichtmetallbau, Abschn, 3.4, sed@stb.rwth-aachen.de
Stein, Dietrich, Prof. Dr.-Ing., Prof. Dr.-Ing. Stein & Partner GmbH, Bochum,
Abschn. 2.6.7 und 7.6, dietrich.stein@stein.de
Strobl, Theodor, Prof. (em.) Dr.-Ing., TU München, Lehrstuhl für Wasserbau und
Wasserwirtschaft, Abschn. 5.3, t.strobl@bv.tum.de
Urban, Wilhelm, Prof. Dipl.-Ing. Dr. nat. techn., TU Darmstadt, Institut WAR, Fachgebiet
Wasserversorgung und Grundwasserschutz, Abschn. 5.4, w.urban@iwar.tu-darmstadt.de
Wiens, Udo, Dr.-Ing., Deutscher Ausschuss für Stahlbeton e.V., Berlin, Abschn. 3.2.2,
udo.wiens@dafstb.de
Zilch, Konrad, Prof. Dr.-Ing. Dr.-Ing. E.h., TU München, em. Ordinarius für Massivbau,
Abschn. 1.6, 3.3 und 3.10, konrad.zilch@tum.de
stehen zwischen Splint- und Kernholz keine Farb- lose aus Zuckereinheiten aufgebaut, wobei die
und Feuchteunterschiede; die Verkernungsmerkmale Ketten jedoch wesentlich kürzer und verzweigt
sind nur mikroskopisch erkennbar. sind. Sie sorgen für die Verbindung zwischen den
Die radial verlaufenden Holzstrahlen haben einen Polysacchariden und dem Lignin. Lignin ist mit
spindelförmigen Querschnitt (s. Abb. 3.1-2) und die- einem Anteil von 15 bis 35 M.-% der dritte we-
nen der Stoffleitung und -speicherung. Darüber hin- sentliche Bestandteil des Holzes. Lignin ist ein
aus leisten sie auch einen Beitrag zur Festigkeit quer Gemisch aromatischer Verbindungen, das nach ab-
zur Stammrichtung. Im Vergleich zu Laubholz sind geschlossenem Wachstum der Zellen das Gerüst
die Holzstrahlen bei Nadelholz sehr fein ausgebildet aus Zellulose und Polyosen vollständig umhüllt
und makroskopisch kaum erkennbar. Eiche und Rot- und durchdringt und dadurch die Verholzung be-
buche zeigen besonders breite und das Holzbild stark wirkt. Seine Aufgabe ist die Versteifung der Zell-
prägende Holzstrahlen. Während die meisten einhei- wand. Es sorgt v. a. für die Druckfestigkeit des
mischen Nadelhölzer (Fichte, Lärche, Kiefer) längs Holzes. Die Extraktstoffe sind holzartenspezifische
und quer (immer im Holzstrahl) verlaufende Harz- Gemische sowohl nieder- als auch hochmoleku-
kanäle haben, fehlen sie bei der Tanne völlig. larer organischer Verbindungen. Sie sind für Farbe,
Der Stoffaustausch zwischen den Zellen erfolgt Geruch, Oberflächenbeschaffenheit und Dauerhaf-
bei Nadelhölzern durch verschließbare Öffnungen, tigkeit bzw. Schädlingsresistenz ursächlich. Ihr
die „Tüpfel“ genannt werden. Bei der Kernholzbil- Anteil in europäischen Hölzern beträgt 1 bis 3 M.-
dung werden die Tüpfel verschlossen. Daher lässt %. Die mit Lösemitteln extrahierbaren Stoffe kön-
sich Kernholz i. d. R. schlechter imprägnieren als nen bei tropischen Hölzern einen wesentlich grö-
Splintholz. Auch bei der Trocknung saftfrischen ßeren Anteil (bis zu 15 M.-%) haben, worauf die
Splintholzes bis unter 30 M.-% Holzfeuchte werden erhöhte Schädlingsresistenz zurückzuführen ist.
die Tüpfel verschlossen. Bei Fichtenholz ist dieser Stärke, Pektine und Eiweiße kommen zwar nur in
Vorgang besonders stark ausgeprägt, woraus sich die geringen Mengen vor, können dafür aber einen
schlechte Imprägnierbarkeit getrockneten Fichten- entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung von
holzes ableitet. Bei den Laubhölzern fließt das Was- Schädlingen wie Insekten und Pilze haben.
ser in Axialrichtung ohne Tüpfel von einem Gefäß-
element zum anderen, nur in Querrichtung gibt es
3.1.1.2 Holzarten
ebenfalls Tüpfel, die im Gegensatz zum Nadelholz
jedoch kein Fließen, sondern nur Diffusion erlauben. Als Bauholz werden in Deutschland vorwiegend die
Holz ist aus den Elementen Kohlenstoff (rd. einheimischen Nadelhölzer Fichte, Tanne, Kiefer,
50 M.-%), Sauerstoff (rd. 43 M.-%), Wasserstoff Lärche und Douglasie, aber auch Southern Pine und
(rd. 6 M.-%) und Stickstoff (rd. 1 M.-%) aufge- Western Hemlock verwendet. Sie sind wegen ihrer
baut, wobei zwischen den Holzarten nur sehr ge- verhältnismäßig geringen Rohdichte gut zu bearbei-
ringfügige Unterschiede bestehen. Im Gegensatz ten und weisen eine gute Formstabilität auf. Die ein-
dazu gibt es große Unterschiede im Aufbau der heimischen Laubhölzer Buche und Eiche sind dage-
Zellwände, woraus sich die verschiedenen physi- gen wegen ihrer höheren Rohdichte schwerer zu be-
kalischen Eigenschaften der Hölzer ableiten. Die arbeiten und weniger formstabil. Für Außenbauteile,
Hauptbestandteile der Holzsubstanz sind Zellulo- an die hohe Anforderungen hinsichtlich Dauerhaf-
se, Polyosen (Hemizellulosen) und Lignin. Diese tigkeit, Tragfähigkeit oder Gebrauchstauglichkeit
makromolekularen Verbindungen stellen einen gestellt werden, können außer Eiche auch tropische
Anteil von 97 bis 99 M.-%. Der Rest besteht aus Hölzer wie Azobé, Greenheart, Afzelia, Merbau, An-
extrahierbaren und anorganischen Stoffen. gelique, Teak und Keruing verwendet werden.
Zellulose besteht aus einer großen Anzahl von
Glucose-Einheiten (Polysacchariden) und bildet
3.1.1.3 Holzqualitäten
die Gerüstsubstanz der Zellwand. Sie hat einen
Anteil von 40 bis 60 M.-% und beeinflusst beson- Vollholz ist gewachsenes Holz. Es wird als Bau-
ders die Zugfestigkeit. Die Polyosen haben einen rundholz und Schnittholz verwendet. Holzwerk-
Anteil von 15 bis 25 M.-% und sind wie die Zellu- stoffe werden in 3.1.1.5 beschrieben.
3.1 Baustoffe 969
Als „Baurundholz“ werden entrindete und ent- Zugfestigkeit parallel zur Faser = 5 + 0,8 u Zugfes-
ästete Stammabschnitte ohne weitere Bearbeitung tigkeit der Lamelle parallel zur Faser.
bezeichnet. Wegen des ungestörten Faserverlaufs Weit verbreitet ist Verfahren B, bei dem ein Holz-
ist die Tragfähigkeit, bezogen auf die Querschnitts- bauteil allein aufgrund optischer Merkmale einer
fläche, größer als bei einem gesägten Querschnitt. Festigkeitsklasse zugeordnet wird. Diese Merkmale
Ein weiterer Vorteil besteht in den geringeren wie Ästigkeit, Faserneigung, Jahrringbreite, Risse,
Kosten. Nachteilig wirken sich der über die Länge Krümmung, Baumkantenanteil sowie Anteil von
abnehmende Querschnitt und die gekrümmte Ober- Holzverfärbungen und Druckholz (am lebenden
fläche aus, die für dauerhafte und hochfeste An- Baum durch Druck überbeanspruchtes Holz) sind
schlüsse nicht geeignet sind. Verwendet wird Bau- hinsichtlich ihres zulässigen Umfangs in einer Sor-
rundholz z. B. für Pfosten und Lehrgerüste. tierklasse in DIN 4074-1:2003 beschrieben. Den Zu-
Im Allgemeinen wird Vollholz als Schnittholz sammenhang zwischen Sortierklasse und Festigkeits-
verwendet. Es wird im Sägewerk mittels Gatter-, klasse stellt die Tabelle F.6 in DIN 1052:2004 her.
Band- und Kreissägen meist aus dem entrindeten Verfahren C wird mit Sortiermaschinen durchge-
Stamm gewonnen. Unterschieden werden die führt. Hierbei können auch andere als optische Ei-
Schnittholzarten Latte, Brett, Bohle und Kantholz. genschaften zur Beurteilung herangezogen werden.
Praktiziert werden drei Verfahren, Holz in eine Die meisten der heute industriell eingesetzten Sortier-
Festigkeitsklasse einzuordnen: maschinen sind so genannte Biegemaschinen, in de-
nen über eine kurze Stützweite (0,5 bis 1,2 m) durch
A Bestimmung ausgewählter Werte,
Dreipunktbiegung ein mittlerer Elastizitätsmodul be-
B Sortierung nach optischen Merkmalen,
stimmt wird. Darüber hinaus wird derzeit versucht,
C Sortierung nach mechanischen Kennwerten und
den E-Modul ohne mechanische Beanspruchung,
optischen Merkmalen.
z. B. mittels Schwingungsmessung, Mikrowellen-
Unter A wird wie folgt vorgegangen: An repräsenta- oder Ultraschalltechnik zu bestimmen. Zweckmäßig
tiven Proben einer Holzgrundgesamtheit, die vor im Sinne einer noch besseren Korrelation zwischen
allem gekennzeichnet ist durch die Holzart, das Sortierung und Festigkeit ist es, den E-Modul mit an-
Wuchsgebiet und die Ausprägung der Sortiermerk- deren Sortiermerkmalen zu kombinieren, wobei in
male (Äste, ...) werden die charakteristischen Kenn- erster Linie die Ästigkeit in Frage kommt. Astdurch-
werte Biegefestigkeit, E-Modul parallel zur Faser messer und Ästigkeit können automatisch berechnet
und Rohdichte an Proben in Bauteilgröße nach werden, indem die gesamte Holzoberfläche kontinu-
EN 408:2004 bestimmt. Alle anderen charakteris- ierlich von Video-Kameras erfasst wird und die Bil-
tischen Kennwerte, die für die Berechnung von der mittels Bildanalyseverfahren ausgewertet wer-
Holzbauwerken benötigt werden (s. DIN 1052:2004, den. Die nächst wichtigere Eigenschaft ist die Roh-
Tabelle F.5 und F.7), werden anhand dieser ausge- dichte, die mit Hilfe von Mikrowellen oder weicher
wählten Kennwerte nach EN 384:1996 berechnet. Gammastrahlung bestimmt werden kann, wobei die
Beispiel: Zugfestigkeit parallel zur Faser = 0,6 u Holzfeuchte zu berücksichtigen ist. Auch Äste kön-
Biegefestigkeit. Eine Holzgrundgesamtheit kann ei- nen mit Durchstrahlungstechniken ermittelt werden,
ner Festigkeitsklasse, die nach der Biegefestigkeit weil ihre Rohdichte im Mittel 2,5-fach höher ist als
benannt ist, zugeordnet werden, wenn das 5-%- die des umgebenden Holzes.
Quantil von Biegefestigkeit und Rohdichte die ent- Die maschinelle Sortierung bietet den Vorteil,
sprechenden Werte dieser Klasse erreichen und der das Holz präziser den Festigkeitsklassen zuordnen
Mittelwert des E-Moduls parallel zur Faser 95% des zu können. Allerdings ist sie auch kostenintensiv
Wertes dieser Festigkeitsklasse übersteigt. und nur bei hoher Auslastung wirtschaftlich. So
Für Brettschichtholz (s. Abschn. 3.1.1.5) werden muss z. B. die Zuverlässigkeit einer Sortiermaschi-
die charakteristischen Werte entsprechend DIN EN ne durch zahlreiche Festigkeitsprüfungen an sor-
1194:1999 anhand folgender Kennwerte der Lamel- tierten Holzteilen nachgewiesen werden. Grund-
len berechnet: Zugfestigkeit in Faserrichtung (alle sätzliche Anforderungen an die maschinelle Sor-
Festigkeitskennwerte), E-Modul in Faserrichtung tierung von Vollholz nach Festigkeit sind in der
(alle Steifigkeitskennwerte), Rohdichte. Beispiel: Normenreihe DIN EN 14081:2006 formuliert.
970 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
Abb. 3.1-4 Abhängigkeit des Quellens von der Holzfeuchte [Kollmann 1951]
3.1 Baustoffe 971
mit auch von der Holzart und mit 3 bis 8·10-6 K-1
nur etwa halb so groß wie bei anorganischen Bau-
stoffen, so dass der Einfluss von Temperaturdeh-
nungen nach DIN 1052:2004 i. d. R. vernachlässigt
werden darf. Quer zur Faser ist er dagegen sehr
stark von der Rohdichte abhängig. Am größten ist
er in Tangentialrichtung (etwa 30 bis 60·10-6 K-1)
und etwas niedriger in Radialrichtung.
Die Wärmeleitfähigkeit wird v. a. durch die
Rohdichte und die Holzfeuchte bestimmt. Sie ist in
Abb. 3.1-5 Verformungserscheinungen Faserrichtung etwa doppelt so groß wie quer dazu.
Nach [Kollmann 1951] kann sie mit Hilfe der Roh-
dichte und unter Berücksichtigung der Holzfeuch-
Volumen- und Formstabilität bei wechselnden kli- te berechnet werden.
matischen Umgebungsbedingungen, das sog. „Steh- Die spezifische Wärmekapazität wird am stärksten
vermögen“, ist v. a. vom Unterschied zwischen radi- von der Holzfeuchte und kaum von der Rohdichte
aler und tangentialer hygrischer Längenänderung beeinflusst. Bei einer mittleren Holzfeuchte von
und von der Geschwindigkeit der Feuchtigkeitsauf- 12 M.-% ergibt sich für alle Hölzer eine im Ver-
nahme und -abgabe abhängig. Das Stehvermögen gleich zu anderen Baustoffen deutlich höhere spezi-
wird mit zunehmender hygrischer Längenänderung fische Wärmekapazität von 1,6 kJ/(kg·K).
und Anisotropie sowie zunehmender Geschwindig-
keit der Holzfeuchteänderung reduziert. Festigkeiten und elastisches Verhalten
Bedingt durch die Röhrenbündelstruktur ist Holz
Dichte, Rohdichte v. a. für die Aufnahme von Kräften in Faserrichtung
Die Dichte ist bei fast allen Hölzern praktisch gleich, geeignet. Bei fehlerfreiem Holz wird die höchste
da sie sich hinsichtlich ihres Grundstoffes kaum un- Festigkeit unter Zugbeanspruchung erreicht. Unter
terscheiden. Sie beträgt etwa 1500 kg/m3 für sehr Druckbeanspruchung in Faserrichtung versagt Holz
harzreiches Holz und 1600 kg/m3 für stark verkerntes durch Ausknicken der Faserbündel sowie ggf. durch
Holz. Unterschiede in der Rohdichte zwischen den Aufreißen des Verbunds zwischen den Gefäßen. Bei
Hölzern ergeben sich bei gleicher Holzfeuchte fast weiterer Belastung bildet sich eine Gleitebene
ausschließlich durch den Porenraum bzw. die Zell- schräg zu den Fasern (Abb. 3.1-6) aus. Von großer
wanddicke. Die Rohdichte ist die wichtigste Eigen- Bedeutung ist das im Vergleich zu anderen klas-
schaft des Holzes, weil alle anderen physikalischen sischen Werkstoffen wie Stahl und Beton wesent-
Eigenschaften von ihr abhängen. Die Holzart hat den lich günstigere Verhältnis von Festigkeit zu Eigen-
größten Einfluss auf die Rohdichte. Im darrtrockenen gewicht. Bei Zugbeanspruchung verhält sich Holz
Zustand liegen die Extremwerte bei 0,13 g/cm3 (Bal- bei mittlerer Holzfeuchte bis kurz vor dem Bruch
saholz) und 1,23 g/cm3 (Pockholz). Da auch das
Wachstum eine wesentliche Rolle spielt, ist die Roh-
dichte stark von der Lage im Stamm abhängig und
kann bei Bauholz um ±35% vom Mittelwert abwei-
chen. Auch Standort und Umweltbedingungen wirken
sich auf die Rohdichte aus. Mittelwerte der Rohdich-
ten gebräuchlicher Hölzer können DIN 68364:2003
(bei Raumklima) entnommen werden.
Thermische Eigenschaften
Der Wärmedehnungskoeffizient ist v. a. vom Win-
kel zur Faser abhängig. In Faserrichtung ist er Abb. 3.1-6 Probekörper nach der Druckfestigkeitsprüfung
praktisch unabhängig von der Rohdichte und da- [König 1972]
972 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
elastisch. Das elastische Verhalten des Holzes wird Dieser ist beispielhaft für Fichte mit 15 M.-%
meist mit dem E-Modul in Faserrichtung erfasst. Holzfeuchte in Abb. 3.1-7 dargestellt. Die Druck-
Aus Gründen der besseren Handhabbarkeit wird er festigkeit von fehlerfreiem Holz ist in Faserrich-
i. Allg. im Biegeversuch ermittelt. tung im Mittel etwa halb so groß wie die Zugfes-
Die Zugfestigkeit der trockenen, fehlerfreien tigkeit. Die Biegefestigkeit liegt etwa 10% bis 20%
Holzfaser liegt mit 300 bis 600 MPa, bezogen auf unter der Zugfestigkeit. Die Scherfestigkeit beträgt
die Fläche der Zellwand, im Bereich der Zugfes- etwa ein Zehntel der Zugfestigkeit.
tigkeit von Stahl. Die in der Praxis ansetzbaren Die Festigkeiten und die E-Moduln der Hölzer
Festigkeiten sind jedoch viel geringer, da die auf- sind in hohem Maße abhängig vom Winkel zwi-
nehmbare Kraft auf den Gesamtquerschnitt ein- schen Kraftangriff und Faser (Abb. 3.1-8). Schon
schließlich der Poren bezogen werden muss und bei geringer Abweichung der Last- von der Faser-
die beschriebenen Inhomogenitäten und Fehler zu richtung nimmt v. a. die Zugfestigkeit stark ab. Un-
berücksichtigen sind. ter einem Faser-Last-Winkel von 45° beträgt sie
Zwischen der Rohdichte und den Festigkeiten bereits weniger als 20% und unter 90° weniger als
der Hölzer besteht ein linearer Zusammenhang. 10%. Hierbei ist zu beachten, dass die Festigkeiten
Abb. 3.1-7 Abhängigkeit der Festigkeiten und des E-Moduls von Fichtenholz mit einer Feuchte von 15 M.-% von der
Rohdichte im darrtrockenen Zustand [Würgler/Strässler 1976]
Abb. 3.1-8 Abhängigkeit der Festigkeiten des Holzes vom Winkel zwischen Beanspruchungs- und Faserrichtung [Würg-
ler/Strässler 1976]
3.1 Baustoffe 973
Abb. 3.1-9 Abhängigkeit des E-Moduls vom Winkel zwischen Kraft- und Faserrichtung [Wesche 1988]
an fehlerfreien Proben ermittelt wurden. In der von 12 M.-% jeweils zu 100% gesetzt. Bei 0%
Praxis liegt die Zugfestigkeit quer zur Faser auf- Holzfeuchte sind Druck- und Biegezugfestigkeit
grund von Rissen und Ästen nahe Null. am größten. Mit steigender Holzfeuchte quellen
Eine deutlich geringere Abhängigkeit vom Fa- und erweichen die Holzfasern zunehmend, wo-
ser-Last-Winkel weist die Druckfestigkeit auf: Sie durch die Festigkeiten abnehmen. Am stärksten ist
beträgt bei 45° immerhin noch über 40%. Die hiervon die Druckfestigkeit betroffen, da die an-
Druckfestigkeit quer zur Faser ist dabei als Span- gelagerten Wassermoleküle v. a. den Verbund der
nung bei 1% Stauchung definiert. Die Kopplung Holzfasern untereinander mindern. Oberhalb der
an die Stauchung ist erforderlich, weil sich die Fasersättigung ändern sich die Festigkeiten prak-
Röhrenbündel soweit zusammendrücken lassen, tisch nicht mehr, da die Feuchtigkeit nur noch als
bis die Höchstspannung bei Porenfreiheit erreicht freies Wasser aufgenommen wird. Je besser die
wird. Holzqualität ist, desto größer ist die Abhängigkeit
Die Biegefestigkeit liegt wegen des kombi- von der Holzfeuchte. Der Einfluss der Holzfeuchte
nierten Beanspruchungszustands (teils Zug teils auf den E-Modul (ermittelt im Biegeversuch) ist
Druck) und einer geringeren Druck- als Zug- verhältnismäßig gering und entspricht oberhalb
festigkeit des Holzes zwischen der Zug- und der einer Holzfeuchte von 6 M.-% dem Einfluss auf
Druckfestigkeitskurve nahe bei letzterer. die Zugfestigkeit. Aus Abb. 3.1-11 ist der große
Für beliebige Faser-Last-Winkel kann die Einfluss der Holzfeuchte auf das Druckspannungs-
Druckfestigkeit z. B. nach DIN 1052:2004 berech- Dehnungsverhalten (hier in Faserrichtung) ersicht-
net werden. In [Hankinson 1921] wird sowohl für lich. Je geringer die Holzfeuchte ist, desto ausge-
die Festigkeiten als auch für den E-Modul die prägter ist der Hookesche Bereich. Darrtrockenes
Abhängigkeit vom Faser-Last-Winkel in Formeln Holz ist praktisch voll elastisch.
angegeben. Abbildung 3.1-9 basiert auf diesen Mit zunehmender Temperatur verringert sich
Formeln. Quer zur Faser ist die Verformung we- die Festigkeit von Holz. Bei fehlerfreiem europä-
sentlich größer als in Faserrichtung, wobei die ischen Nadelholz ist je 10 K mit einer Abnahme
Vorholzlänge (nicht beanspruchter Teil eines quer von 5% bei der Druck- und der Biegefestigkeit und
belasteten Bauteils) und der Jahrringverlauf einen 1% bei der Zugfestigkeit zu rechnen (Ausgangs-
wesentlichen Einfluss haben. punkt: 20°C; Holzfeuchte: 10 bis 15 M.-%). Von
Auch die Holzfeuchte hat einen bedeutenden Bedeutung ist der Temperatureinfluss z. B. bei
Einfluss auf die Festigkeiten (Abb. 3.1-10). Zur Dachkonstruktionen und im Brandfall außerhalb
besseren Vergleichbarkeit sind die Festigkeiten in des Brandbereichs. Die Temperatur beeinflusst den
Faserrichtung in diesem Bild bei einer Holzfeuchte E-Modul ähnlich wie die Festigkeiten.
974 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
Abb. 3.1-10 Abhängigkeit der Festigkeiten in Faserrichtung von der Holzfeuchte [Kollmann 1951]; Ausgleichskurven,
bezogen auf eine Holzfeuchte von 12 M.-%
Abb. 3.1-11 Spannungs-Dehnungs-Linien von Fichtenholz bei verschiedenen Holzfeuchten u [Wesche 1988]
Die Dauerstandfestigkeit von Vollholz ist mit mender Holzfeuchte kriecht Holz jedoch zuneh-
weniger als 60% der Kurzzeitfestigkeit relativ ge- mend. Bei häufigen Wechseln zwischen trockener
ring. Bei fehlerfreier trockener Fichte beträgt sie und feuchter Beanspruchung kann Holz noch we-
sogar nur 50%. sentlich stärker kriechen als bei gleich bleibender
Die Dauerschwingfestigkeit kann bei 106 Last- Feuchte. Ähnlich wie die Holzfeuchte wirkt sich
spielen abgeschätzt werden. Bezogen auf die Kurz- auch zunehmende Temperatur auf das Kriechen
zeitfestigkeit im statischen Versuch, beträgt die aus. Allgemein ist in Faserrichtung mit Kriech-
Wechselbiegefestigkeit 25% bis 40%. Mit Ausnahme zahlen zwischen 0,2 und 2,0 zu rechnen. Quer dazu
der Holzfeuchte, die einen doppelt so großen Ein- sind Werte bis 3,0 anzusetzen.
fluss auf die Dauerschwingfestigkeit ausübt, wird
sie von den anderen Einflussfaktoren in gleicher Härte
Weise beeinflusst wie die statische Festigkeit. Die Härte von Holz kann anhand des Verfahrens
Fehlerfreies, darrtrockenes Holz verhält sich nach Brinell (DIN EN ISO 6506-1:2006) charak-
unter Zugbeanspruchung rein elastisch. Mit zuneh- terisiert werden. Sie wird durch Eindrücken einer
3.1 Baustoffe 975
ßere Lage ist etwa 7 mm dick, die Dicke der inneren stand der Oberfläche klassifiziert, s. EN 313-1:1996.
Lagen variiert zwischen 7 und 27 mm. Es werden Hinsichtlich seiner Feuchtebeständigkeit unter-
Platten mit einer Breite bis 2 m und einer Länge bis scheidet die Normreihe EN 636:1997 hinsichtlich
20 m bei Dicken bis 40 mm hergestellt. Die mecha- der Verwendungen im Trocken-, Feucht- und Au-
nischen Eigenschaften sind mit denen von Baufur- ßenbereich.
niersperrholz und Furnierschichtholz vergleichbar. Furniersperrholz besteht aus drei bis sieben La-
Unter Systembauteilen versteht man z. B. Holz- gen 0,1 bis 6 mm dicker Furniere, die abwechselnd
blocktafeln, die aus kreuzweise verleimten Brettla- rechtwinklig zueinander verklebt sind. Hierdurch
gen zusammengesetzt sind und im genormten Ras- wird erreicht, dass Schwinden und Quellen sowie
termaß des Vielfachen von 12,5 cm zur Verfügung die Festigkeiten in den beiden Hauptrichtungen
stehen. Durch ihre große Holzmasse weisen sie (Faserrichtungen) nahezu gleich sind. Die hyg-
eine hohe Wärme- und Schalldämmung, Feuerwi- rischen Längenänderungen werden auf Werte par-
derstandsdauer und Festigkeit auf, weshalb sie für allel zur Faser reduziert. Sperrholz eignet sich da-
Wandscheiben im Wohnungsbau und für gewerb- her v. a. für flächige Elemente.
liche Objekte dienen können. Baufurniersperrholz wird für Decken-, Dach-
und Wandscheiben verwendet. Baufurniersperrholz
Lagenholz aus Buchenfurnier weist eine besonders hohe Druck-
Furnierschichtholz wird aus etwa 3 mm dicken Na- festigkeit senkrecht zur Plattenebene und Schubfes-
delholz-Schälfurnierblättern mit Phenolharz verleimt. tigkeit senkrecht zur und in Plattenebene auf.
Die Längsstöße der Furniere sind entweder geschäftet Betonschalungssperrholz zeichnet sich durch be-
oder überlappt. Die Furniere sind bei einigen Fabri- sonders hochwertige Oberflächen aus, um das Aus-
katen ausschließlich faserparallel angeordnet. Es gibt schalen und Reinigen sowie die Haltbarkeit bzw.
aber auch Ausführungen, bei denen ein kleiner Anteil Verschleißfestigkeit zu verbessern. Hierfür werden
von Furnierlagen quer zur Plattenrichtung liegt; sie z. B. mit Phenolharz getränkte Glasfasermatten und
bieten bei flächigen Anwendungen und insbesondere in Fertigteilwerken sogar Metalle verwendet.
Feuchtebeanspruchung wegen der geringeren hyg- Großflächenschalungsplatten gibt es mit 35 m2
rischen Längenänderung Vorteile. Aus Furnierschicht- Fläche bei 30 mm Dicke.
holz werden Platten bis 24 m Länge, 1,8 m Breite und Mittellagensperrholz besteht aus einer Mittella-
rd. 9 cm Dicke hergestellt. Anwendung findet Fur- ge 7 bis 30 mm breiter miteinander verleimter Voll-
nierschichtholz sowohl bei balkenförmigen als auch holzleisten und zwei einige Millimeter dicken Fur-
plattenförmigen Bauteilen. Balken werden als Strei- nierdecklagen. Für Bauzwecke ist es in DIN 68705-
fen aus den Rohplatten gesägt und wie Brettschicht- 4:1981 genormt. Bei Stäbchensperrholz werden für
holz verwendet. Zur Bildung größerer Querschnitts- die Mittellage 7 mm dicke Schälfurnierstreifen ver-
höhen kann es entweder lagenweise oder auch mit wendet. Die senkrecht zur Plattenebene stehenden
Vollholz z. B. zu S-Platten verleimt werden. Jahrringe führen zu einer sehr geringen hygrischen
Furnierstreifenholz, auch PSL (Parallel Strand Längenänderung in Plattenebene.
Lumber) genannt, wird aus rd. 2 m langen, 13 mm Für Kunstharzpressholz (KPH) werden 8 bis 36
breiten und 3 mm dicken Nadelholz-Furnierstreifen mit Phenolharz getränkte Buchenfurnierlagen unter
hergestellt. Die Streifen werden allseitig mit Phe- hohem Druck und hoher Temperatur zusammen-
nolharz beleimt und längenversetzt flächen- sowie gepresst. Die Rohdichte liegt zwischen 800 und
faserparallel zu endlosen Balken mit Querschnitten 1500 kg/m3. Die Furniere werden je nach den
bis etwa 30 cm u 50 cm verarbeitet. Die auf 20 m gewünschten Eigenschaften lagenweise entweder
abgelängten Stücke können anschließend zu belie- faserparallel, kreuzweise oder sternförmig ver-
bigen Querschnitten zerteilt werden. PSL zeichnet leimt. Weitestgehende Richtungsunabhängigkeit der
sich durch hohe Biege- und Schubfestigkeit aus. Eigenschaften in der Plattenebene kann durch Ver-
leimung mit 15°-Versatz erreicht werden (Stern-
Sperrholz holz). KPH zeichnet sich durch sehr hohe Festig-
Sperrholz wird nach dem Aufbau, der Form, der keiten, hohe Abrieb- und Verschleißfestigkeit, gute
Dauerhaftigkeit und dem Aussehen sowie dem Zu- Dauerhaftigkeit und Temperaturbeständigkeit aus,
3.1 Baustoffe 977
s. DIN 7707-2:1979. Anwendung findet es im Indus- Mittellage quer dazu. Die mit wenigen Prozent
triebodenbereich sowie im Kläranlagenbau. Phenolharz verleimten Platten sind 6 bis 25 mm
dick, bis 5,0 m lang und bis 2,5 m breit. Die zuläs-
Spanholz sigen Spannungen liegen zwischen Baufurnier-
Unter Spanplatten versteht man i. Allg. Platten aus Sperrholz und Flachpress-Spanplatten. Verwendet
kurzen Spänen von wenigen Zentimetern Länge. werden OSB-Platten als mittragende Beplankung
Als Bindemittel werden meist Kunstharz, seltener für Elemente in Holztafelbauweise, Dachscha-
Zement, Gips und Magnesit verwendet. Die Späne lungen sowie Fußboden- und Wandbeläge.
bestehen aus Holz, aus dem kein Bauholz mehr ge- Langspanholz, auch LSL (Laminated Strand
wonnen werden kann, d. h. Abfall- oder Altholz. Es Lumber) genannt, besteht aus bis zu 30 cm langen,
werden aber auch andere holzartige Faserstoffe ver- bis 4 cm breiten und 0,9 cm dicken Spänen des
wendet. In der Mittellage können bis zu 20% durch schnell wachsenden nordamerikanischen Aspen-
Altpapier ohne Festigkeitsverlust ersetzt werden. holzes (Pappelart). Die Späne werden allseitig be-
Über die Rohstoffwahl und das Herstellverfahren leimt und faser- sowie flächenparallel, aber län-
lassen sich die Eigenschaften der Spanplatten in genversetzt mit einem Polyurethan-Kleber unter
einem weiten Bereich variieren. Durch Gips als Druck verleimt. Die Herstellung umfasst sowohl
Bindemittel werden sehr geringe Schwindwerte er- balken- als auch plattenförmige Bauteile. Die Plat-
reicht. Allgemein wird der Feuerwiderstand durch tengrößen reichen bis 2,3 m u10,7 m bei einer Di-
mineralische Bindemittel deutlich erhöht. cke bis 14 cm. Kleinere Querschnitte werden als
Man unterscheidet Flachpressplatten (Markt- Streifen aus Platten gesägt. Anwendung finden die
anteil: rd. 95%) und Strangpressplatten. In Flach- großformatigen Platten im Dach- und Fassadenbe-
pressplatten sind die Späne parallel zur Platten- reich. Ebenso werden zusammengesetzte Quer-
ebene orientiert. In Plattenebene weisen sie in allen schnitte aus Voll- und Langspanholz (z. B. Platten-
Richtungen gleiche Eigenschaften auf. Die mecha- balken) produziert. Derzeit gibt es drei bauauf-
nischen Eigenschaften sind schlechter als die von sichtliche Zulassungen.
Vollholz in Faserrichtung. Mit abnehmender Ver- Holzwolle-Leichtbauplatten werden aus Holz-
bundlänge der Späne werden die Festigkeiten ge- wolle mit mindestens 80 mm Spanlänge und einem
ringer. Spanplatten sind sehr kostengünstig herzu- mineralischen Bindemittel (Zement, Gips oder
stellen und werden daher am meisten von allen Magnesit) hergestellt. Bei Magnesitbindung bleibt
Holzwerkstoffen produziert. Anwendung finden Holzwolle zäh, während sie bei Verwendung von
sie in allen Bereichen mit geringen Anforderungen Zement und Gips versprödet. Holzwolle-Leicht-
an die Festigkeit, z. B. im Holztafelbau als ausstei- bauplatten sind nach DIN 4102-4:1994 schwer ent-
fende Beplankung. Anforderungen an Spanplatten flammbar; sie finden als Wärmeschutz, Zwischen-
für tragende Bauteile sind in DIN EN 312:2003 wände und Bekleidungen Verwendung.
enthalten. Bei Strangpressplatten liegen die Späne,
bedingt durch den kontinuierlichen Pressvorgang in Faserholz
einem Formkanal, rechtwinklig zur Plattenebene. Zur Herstellung von Faserplatten wird Nadelholz
Angewendet wird das Verfahren vor allem für so minderwertiger Qualität einschließlich der Rinde
genannte Röhrenplatten, die wegen der geringen verwertet. Das Holz wird als Hackschnitzel ggf. un-
Biegefestigkeit nur mit Beplankung z. B. für Türen ter Zumischung anderer pflanzlicher Faserstoffe in
und Wandverkleidungen verwendet werden. Wasserdampf aufgeschlossen und durch profilierte
OSB-Platten (OSB Oriented Strand Board) sind Mahlscheiben zerfasert. Die Art des Bindemittels
in DIN EN 300:1997 definiert. Sie werden aus 60 und der Zusätze sowie der Grad der Verdichtung be-
bis 75 mm langen und 0,6 mm dicken rechteckigen stimmen die Eigenschaften. Entsprechend der Roh-
Flachspänen in drei Lagen hergestellt. Die Flach- dichte werden poröse, mitteldichte und dichte (har-
späne gewinnt man durch Brechen von Schälfur- te) Faserplatten unterschieden. Hergestellt werden
nieren (vorwiegend Kiefer). In den Deckschichten die Platten entweder im Nassverfahren ohne zusätz-
sind die Späne in der Hauptbeanspruchungsrich- liches Bindemittel oder im Trockenverfahren mit
tung (Plattenlängsrichtung) ausgerichtet, in der zusätzlichem Bindemittel. Poröse und dichte (harte)
978 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
Platten werden generell im Nassverfahren herge- verdichten. Schließlich entstehen die Fruchtkörper
stellt. Der Verbund der Fasern beruht dabei auf der mit dem sporenbildenden Gewebe. Die Hyphenspit-
eigenen Klebkraft der Fasern sowie deren Verfil- zen sondern Enzyme ab, die die Holzsubstanz ab-
zung. Mittelharte Faserplatten werden entweder im bauen. Pilze, die überwiegend Zellulose abbauen
Nassverfahren oder im Trockenverfahren herge- und das braune Lignin übrig lassen, werden
stellt. Durch die regellose Anordnung der Fasern „Braunfäulepilze“ genannt; sie treten vornehmlich
sind die mechanischen Eigenschaften der Holzfa- bei Nadelhölzern auf. Das befallene Holz reißt in-
serplatten in allen Richtungen etwa gleich. Im kons- folge des Austrocknens und starken Schwindens
truktiven Ingenieurbau finden Hartfaserplatten z. B. längs und quer in rechteckige Stücke auf, wodurch
Anwendung im Steg von I-Trägern. der typische Würfelbruch entsteht. Mit zuneh-
mendem Befall wird das Holz immer spröder. Im
Kombinationsbauteile Endstadium lässt es sich zwischen den Fingern
Träger werden immer häufiger aus verschiedenen zerreiben. „Weißfäule“ wird durch Pilze hervorge-
Werkstoffen zusammengesetzt. Angeboten werden I- rufen, die sowohl Zellulose als auch Lignin abbau-
Träger mit Gurten aus sehr druck- und zugfestem en. Sie ist bevorzugt bei Laubhölzern anzutreffen
Furnierschicht- oder Vollholz und Stegen aus sehr und hellt das Holz vielfach auf. Das Holz schrumpft
schubfesten OSB-Platten oder auch Holzfaserplatten. ohne Risse; es wird weich und faserig.
Darüber hinaus sind auch I- und Doppel-I-Träger mit Der häufigste, gefährlichste und am schwierigs-
Vollholzgurten und Stegen aus 0,5 mm dicken Ble- ten zu bekämpfende holzzerstörende Pilz ist der
chen bekannt. Die Stege sind durch Nuten in die Echte Hausschwamm (serpula lacrimans), der zu
Gurte eingebunden. Die Lieferlängen der Kombina- den Braunfäulepilzen gehört und auch Laubholz
tion Furnierschichtholz/OSB reichen bis 22 m. nicht verschont. Zu finden ist er im bodennahen
Bereich von Altbauten sowie nach unsachgemäßen
Umbauten und Instandsetzungen von Altbauten. In
3.1.1.6 Holzschädlinge, Holzschutz
Neubauten tritt er dagegen äußerst selten auf. Er
Unter bestimmten Randbedingungen kann Holz von benötigt zu seiner Entstehung nur feuchtes Holz,
pflanzlichen und tierischen Holzschädlingen befal- wobei er mit geringerer Holzfeuchte auskommt als
len werden. Die größten Schäden werden durch andere Gebäudepilze. Darüber hinaus passt er sich
Pilze verursacht. Ganz allgemein fördern Holz- den Umweltbedingungen weitgehend an und
feuchten über 20 M.-% und Temperaturen oberhalb wächst unter bestimmten Bedingungen auch auf
üblicher Raumtemperaturen den Befall. Pilze schä- trockenem Holz weiter. Wie alle Pilze überlebt er
digen Holz durch chemischen Abbau, tierische auch lange Trockenzeiten in der so genannten Tro-
Schädlinge durch Zernagen. Infolge des biolo- ckenstarre. Als einziger pflanzlicher Holzzerstörer
gischen Angriffs können die Festigkeiten bis auf muss er entsprechend den Bauordnungen einiger
Null abnehmen. Manche Pilze und Insekten be- Bundesländer unverzüglich bekämpft werden.
schränken sich auf Nadel- oder Laubholz oder sogar Beim Hausschwamm bildet sich ein weißer, wat-
nur auf bestimmte Holzarten, andere bevorzugen teartiger Myzelrasen, der sich später zu Häuten zu-
zwar bestimmte Hölzer, sind aber auch auf bzw. in sammenzieht, aus denen sich kräftige, bis bleistift-
anderen anzutreffen. In erster Linie wird das Splint- dicke Myzelstränge bilden, die bis zu 8 mm pro Tag
holz befallen; bestimmte Pilze können aber auch wachsen können. Der Fruchtkörper hat die Form
Kernholz abbauen. Einige Tropenhölzer enthalten eines Fladens mit einem Durchmesser bis zu einem
Kerninhaltsstoffe, die gegen Pilzbefall weitgehend Meter, ist innen rostbraun und hat einen weißen Zu-
schützen. Die eindeutige Identifizierung pflanz- wachsrand. Wegen seines hochentwickelten Ober-
licher und tierischer Holzschädlinge sollte grund- flächenmyzels bzw. Strangmyzels kann er sich me-
sätzlich Fachleuten vorbehalten bleiben. terweit über holzfreie Stoffe ausbreiten und sogar
Pilze entwickeln sich aus Sporen. Unter günstigen Mauerwerk durchwachsen. Er ist zwar, wie alle
Bedingungen keimen sie, und es bildet sich eine Pilze, auf einen äußeren Feuchtigkeitszutritt ange-
Keimhyphe, von der weitere Hyphen abgehen, die wiesen, kann die Feuchtigkeit aber über eine Entfer-
sich schließlich zu einem Pilzgeflecht, dem Myzel, nung von einigen Metern heranschaffen. Zu seiner
3.1 Baustoffe 979
Bekämpfung sind daher zuerst einmal sämtliche Holzschäden durch Tiere werden v. a. von In-
Feuchtigkeitsquellen auszuschalten. sekten – insbesondere Käfern – verursacht. Insek-
Weitere gefährliche und häufig auftretende Ge- ten durchlaufen vier Entwicklungsstadien: Ei –
bäudepilze sind der Braune Kellerschwamm (coni- Larve – Puppe – Vollinsekt (Imago). Geschädigt
ophora puteana), auch „Brauner Warzenschwamm“ wird das Holz ausschließlich durch die Larven, de-
genannt, und der Weiße Porenschwamm (poria vai- ren Stadium mehrere Jahre dauern kann. Der in
lantii). Diese beiden Pilze befallen ebenfalls vor- Mitteleuropa verbreiteteste und gefährlichste Kä-
wiegend Nadelholz – seltener Laubholz – und ver- fer ist der Hausbockkäfer (hylotrupes bajulus). Er
ursachen Braunfäule. Sie sind sowohl in Alt- als befällt ausschließlich Nadelholz, und zwar v. a. das
auch in Neubauten bis ins Dachgeschoss anzutreffen. eiweißreiche Splintholz. Dieser Käfer kommt am
Der Braune Kellerschwamm ist der am schnellsten häufigsten in Dachstühlen vor, da er Temperaturen
wachsende Bauholzpilz; er führt zu ebenso großen um 30°C braucht. Weil er auch Holzfeuchten um
Zerstörungen wie der Echte Hausschwamm. Der 30 M.-% benötigt, ist er in feuchten Gebieten
Weiße Porenschwamm hat eine ähnlich große Zer- (Flusstäler, Küstenbereiche) häufiger anzutreffen.
störungskraft. Während er eine Holzfeuchte von Der Befall ist lediglich an 5 bis 10 mm großen,
40 M.-% braucht, benötigt der Braune Keller- ovalen Löchern im Holz zu erkennen, durch die
schwamm eine Holzfeuchte von über 50 M.-%. die Käfer das Holz verlassen. Der weibliche Käfer
Zu den Pilzen, die das Holz lediglich verfärben, ist 10 bis 25 mm lang, die Larve bis zu 30 mm.
aber nicht abbauen, gehören Bläuepilze und Schim- Unter der papierdünnen Holzoberfläche ist das
melpilze. Beide Pilzgruppen benötigen Holzfeuch- Splintholz häufig weitgehend zerfressen. Die Be-
ten oberhalb der Fasersättigung. Bläuepilze befallen fallswahrscheinlichkeit ist bei zehn bis 30 Jahre
insbesondere Nadelholz, und zwar vornehmlich alten Gebäuden am größten und bei sehr altem
Kiefer, aber auch Laubholz (z. B. Buche) und ver- Holz (> 100 Jahre) wegen der Alterung und der
schiedene Tropenhölzer. Bei Kernhölzern wird aus- Umwandlung der Eiweißstoffe sehr gering. Als
schließlich das Splintholz befallen, da nur dort für einziger tierischer Holzzerstörer muss er entspre-
die Pilze verwertbare Zellinhaltsstoffe vorkommen. chend den Bauordnungen einiger Bundesländer
Bläuepilze bauen i. Allg. die Zellwände nicht ab und unverzüglich bekämpft werden.
verursachen deshalb auch keine Festigkeitsverlus- Ein weiterer, weit verbreiteter und sehr schäd-
te des Holzes. Die im Querschnitt gut sichtbare licher Holzzerstörer ist der Gewöhnliche Nage-
Verblauung wird von dunkel gefärbten Pilzhyphen käfer (anobium punktatum), volkstümlich auch
hervorgerufen, die sich bevorzugt in den nähr- „Holzwurm“ genannt. Er bevorzugt Raumtempe-
stoffreichen Holzstrahlen ausbreiten und durch das ratur und Holzfeuchten zwischen 20 und 25 M.-%.
Holz schimmern. Aufgrund der Lichtbrechung er- Er befällt vorwiegend die hellen Frühholzschichten
scheint das Holz blau bis grauschwarz. Man unter- einheimischer Hölzer.
scheidet Stammholzbläue (bereits am stehenden Der Braune Splintholzkäfer ist in den letzten
Baum), Schnittholzbläue und Anstrichbläue (Pilze Jahrzehnten für die Holzverarbeiter der mit Ab-
können Anstrichfilme durchwachsen), die jeweils stand gefährlichste Holzschädling geworden, da er
von bestimmten Pilzarten hervorgerufen werden. – aus den Tropen kommend – trockene (15 bis
Schimmelpilze verfärben ebenfalls das Holz, 16 M.-% Holzfeuchte) und warme (um 20°C) Be-
wachsen aber mit ihrem grünen bis blaugrünen oder dingungen bevorzugt. Er ist ein typischer Laub-
schwärzlichen Rasen nur auf der Oberfläche des holzschädling.
Holzes, ohne tiefer als 0,5 mm in das Innere einzu- In salzhaltigem Meerwasser verbautes Holz ist
dringen. Da sie nur von den Holzinhaltsstoffen ange- durch verschiedene Meerestiere gefährdet. Zu ih-
schnittener Zellen und eventuell vorhandenen Verun- nen gehören v. a. die Holzbohrmuschel und die
reinigungen leben, ohne die Zellwände anzugreifen, Bohrassel. Insbesondere erstere kann Holz in we-
verursachen sie ebenfalls keine Festigkeitsverluste nigen Jahren fast völlig zerstören.
des Holzes. Weil sehr feuchte, unbewegte Luft ihr Die für tragende Bauteile erforderlichen vorbeu-
Wachstum begünstigt, sind sie ein Indikator für die genden und bekämpfenden Holzschutzmaßnahmen
potentielle Gefährdung durch holzzerstörende Pilze. sind in DIN 68800-1:1974 aufgeführt. Vorbeugender
980 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
Holzschutz kann durch bauliche Maßnahmen nahmen gegen Pilz- und Insektenbefall sollten im-
(DIN 68800-2:1996 oder Behandlung mit che- mer von einer Fachfirma ausgeführt werden.
mischen Holzschutzmitteln (DIN 68800-3:1990 und
DIN 68800-5:1978) gewährleistet werden. Bauliche
Maßnahmen wie das Fernhalten von Niederschlag 3.1.2 Bindemittel
bzw. dessen schnelle Ableitung und das Abschirmen
3.1.2.1 Allgemeines
gegenüber Feuchtigkeit aus dem Boden oder aus an-
grenzenden Bauteilen können mit Ausführungsde- Bindemittel sind Stoffe, die gröbere oder feinere
tails z. B. [Natterer u. a. 1996] entnommen werden. Körper – „Gesteinskörnung“ genannt – fest unter-
In DIN 68800-3:1990 sind allen vorkommenden einander verkitten. Sie werden nur selten als reine
Anwendungsbereichen fünf Gefährdungsklassen Bindemittelleime ohne Gesteinskörnung verwen-
zugeordnet. In allen Klassen kann Holz ohne che- det, da sie i. Allg. zu teuer sind und in dieser rei-
mischen Holzschutz verwendet werden, wenn man nen Form z. T. ungünstige technologische Eigen-
es der erforderlichen Resistenzklasse entsprechend schaften haben können.
DIN EN 350-2:1994 zuordnen kann und zusätz- Als Bindemittel kommen sowohl organische als
liche Randbedingungen erfüllt werden. Die erfor- auch anorganische Stoffe in Betracht. Die wichtigs-
derliche Holzschutzmittel-Wirkungsgruppe (z. B. ten organischen Bindemittel sind Teer, Bitumen
Iv: Vorbeugend gegen Insekten) ist ebenfalls von und Kunstharze. Im Folgenden werden ausschließ-
der Gefährdungsklasse abhängig (s. DIN 68800- lich anorganische Bindemittel behandelt, insbeson-
3:1990). Für Holzwerkstoffe sind in DIN 68800- dere Gipse, Kalke und Zemente als wichtigste Ty-
2:1996 den Anwendungsbereichen die erforder- pen. Latent-hydraulische und puzzolanische Stoffe
lichen Holzwerkstoffklassen zugeordnet. sind weitere wichtige Bindemittelkomponenten.
Vorbeugende Holzschutzmittel für tragende Die wichtigsten Unterschiede in der chemischen
Bauteile müssen ein Prüfzeichen des Deutschen Zusammensetzung der genannten Stoffe sind in
Instituts für Bautechnik (DIBt) haben. Es stellt si- Abb. 3.1-12 dargestellt.
cher, dass die Wirksamkeit und die gesundheitliche Grundsätzlich unterscheidet man zwei Haupt-
Unbedenklichkeit nachgewiesen wurden. Im Prüf- gruppen von anorganischen Bindemitteln:
bescheid sind neben den Anwendungsbereichen
– Luftbindemittel, die nur an der Luft erhärten und
und ggf. Anwendungsbeschränkungen auch das er-
im erhärteten Zustand wasserlöslich sind, und
forderliche Einbringverfahren (z. B. Kesseldruck-
– hydraulische Bindemittel, die an der Luft und
tränkung) und die Einbringmenge genannt. Nach
unter Wasser erhärten und im erhärteten Zu-
DIBt-Verzeichnis können die Holzschutzmittel
stand wasserbeständig sind.
drei Gruppen zugeordnet werden: wasserlösliche
Mittel (z. B. Salze), ölige Mittel (z. B. Teeröl) und
sonstige Mittel (z. B. Pasten).
3.1.2.2 Gipse
Bekämpfende Holzschutzmittel können z. B.
dem RAL-Holzschutzmittel-Verzeichnis entnommen Definition und Herstellung
werden. Manchmal kommt es zu Unverträglich- Bindemittel auf Gipsbasis (Sulfatbindemittel) sind
keiten von Holzschutzmitteln mit anderen Bau- nicht hydraulisch, d. h., sie sind nicht wasserbe-
stoffen, z. B. Verfärbung bei Putz, Korrosion von ständig. Man unterscheidet Gipsbinder und An-
Metall und Glas sowie Auflösen von Kunststoffen. hydritbinder.
Insekten lassen sich auch mit Heißluft oder Gas er- Baugipse entstehen durch Temperaturbehand-
folgreich bekämpfen, wobei zu beachten ist, dass lung von Rohgips (CaSO4·2H2O, Dihydrat). Beim
diese Maßnahmen nicht vorbeugend wirken. Ob- Brennen wird das gebundene Kristallwasser ganz
wohl verschiedenen Literaturstellen zu entnehmen oder teilweise ausgetrieben. Mit steigender Brenn-
ist, dass auch der Echte Hausschwamm mittels temperatur entstehen aus CaSO4·2H2O zunächst
Heißluft abgetötet werden kann, ist dies derzeit Halbhydrat CaSO4·1/2H2O, danach verschiedene
nach DIN 68800-4:1992 nur in Ausnahmefällen Modifikationen von Anhydrit CaSO4. Als Rohstof-
zulässig. Die Bekämpfung bzw. vorbeugende Maß- fe dienen Naturgips, aber auch gipsreiche Neben-
3.1 Baustoffe 981
Verwendung
Baugipse werden vorwiegend als Bindemittel für
die Herstellung von Innenputzen, Gipsbauplatten
für den Innenausbau (Decken-, Wandbau- und Gips-
kartonplatten) sowie Stuckarbeiten (Stuckgips) ver-
wendet. Anhydritbinder dienen ebenfalls ausschließ-
lich für den Innenausbau, insbesondere für Putze,
Abb. 3.1-12 Einordnung der wichtigsten anorganischen Estriche und Bauteile (Steine, Fertigteile).
Bindemittel bzw. Bindemittelkomponeneten im Dreistoff-
system CaO-SiO2-Al2O3 [Wesche 1993]
Verarbeitung
Nach dem Anmachen der Baugipse bzw. Anhydrit-
produkte aus der chemischen Industrie (Chemie- binder mit Wasser entsteht als Erhärtungprodukt
gipse) oder der Kraftwerkindustrie (REA-Gips aus wieder kristallisiertes Dihydrat CaSO4·2H2O (Gips).
Rauchgasentschwefelungsanlagen). Dabei entscheidet die mineralogische Zusammen-
Durch den reversiblen Prozess der Bindung von setzung, aber auch die Art und Dosierung von
Wasser erlangt der zuvor gebrannte – d. h. dehy- eventuell zugegebenen Anregern oder Verzöger-
dratisierte – Gips unter Bildung eines kristallinen ern, über die Reaktionsgeschwindigkeit. Prinzipiell
Gefüges mehr oder weniger große Festigkeit. reagiert das Halbhydrat schneller als der bei hoher
Zur Erzielung bestimmter Eigenschaften des Temperatur entstandene Anhydrit.
Baugipses können werkseitig Zusätze von bis zu
maximal 50 M.-% zugegeben werden. Dabei han-
3.1.2.3 Kalke
delt es sich einerseits um Stellmittel – Stoffe, die
gezielt die Konsistenz, Haftung oder Versteifungs- Definition, Herstellung und Eigenschaften
zeit verändern – oder Füllstoffe (z. B. Sand) sog. Als „Baukalke“ dürfen ausschließlich Bindemittel
Gips-Trockenmörtel. Gipse und Gips-Trocken- bezeichnet werden, welche der DIN EN 459 Teil 1
mörtel sind in DIN EN 13279 Teil 1 geregelt. entsprechen. Baukalk wird vorwiegend als pulver-
Anhydritbinder werden aus Naturanhydrit oder förmiges Kalkhydrat geliefert. Kalkteig und Stück-
aus synthetischem Anhydrit, der als Nebenprodukt kalk haben nur noch untergeordnete Bedeutung.
in der chemischen Industrie anfällt, hergestellt. Die Weißkalke, vielfach auch „Luftkalke“ genannt,
Zugabe sog. „Anreger“ dient zur Beschleunigung zeichnen sich durch sehr große Feinheit, niedrige
des Reaktionsvorgangs. Als Anreger dienen ba- Schüttdichte, hohe Ergiebigkeit, große Wirtschaft-
sische Stoffe (z. B. Baukalk) oder salzartige Stoffe lichkeit und gute Verarbeitbarkeit (Geschmeidig-
(z. B. leicht lösliche Sulfate) oder eine Kombination keit und Wasserrückhaltevermögen) aus. Sie wer-
aus beiden (gemischte Anreger). den aus möglichst reinem Kalkstein (CaCO3) un-
terhalb der Sintergrenze bei rd. 1000°C gebrannt.
Sorten Diese Luftbindemittel sind im erhärteten Zustand
Die in Deutschland gängigsten Sorten von Baugip- nicht wasserbeständig.
sen können wie folgt unterschieden werden: Mit der Aufnahme von Kohlendioxid aus der
Luft (Karbonatisierung) erhärtet der Luftkalk. Die
– ohne werkseitig beigegebene Zusätze: Stuck- Karbonatisierung findet wegen der geringen CO2-
gips und Putzgips, Konzentration der Luft (0,03 Vol.-%) nur langsam
– mit werkseitig beigegebenen Zusätzen: Fertig- statt. Sie läuft umso schneller ab, je poriger der
putzgips, Haftputzgips, Maschinenputzgips, An- Mörtel ist und je mehr CO2 zur Verfügung steht.
setzgips, Fugengips, Spachtelgips. Luftkalkputze dürfen daher nicht gegen Luft abge-
982 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
sperrt werden (z. B. durch dichte Oberputze, Tape- und Dolomitkalke mit dem Kurzzeichen CL und DL
ten, Spachtelmassen). Unter günstigen Umständen sowie dem Mindestgehalt an (CaO+MgO) bezeich-
(dauernde Berührung mit Luft) ist eine vollständi- net. Weißkalke unterscheiden sich von Dolomitkal-
ge Karbonatisierung von Putzen mit 1 bis 2 cm Di- ken durch ihren geringeren Dolomitanteil, der im
cke in einigen Monaten möglich; bei Mauermörtel Fall der Weißkalke 5 M.-% sein muss.
kann dies wegen der geringen Fugendicke und re- Hydraulische Kalke (HL) werden nach ihrer
lativ großen Fugentiefe viele Jahre dauern. Mindestdruckfestigkeit (in N/mm2) im Alter von
Hydraulische Kalke haben wegen des begrenzten 28 Tagen klassifiziert. Die Mindestdruckfestigkeit
Gehalts an reaktionsfähigen kieselsauren Bestand- sollte für HL 2 zwischen 2 und 7 N/mm2, für
teilen ein begrenztes hydraulisches Erhärtungsver- HL 3,5 zwischen 3,5 und 10 N/mm2 sowie für HL
mögen. Es überwiegen jedoch die charakteristischen 5 zwischen 5 und 15 N/mm2 liegen.
Kalkeigenschaften. Diese hydraulischen Bindemit-
tel erhärten nach einer bestimmten Zeit der Luftla- Verwendung
gerung auch unter Wasser. Bei Luftlagerung reagiert Baukalke dienen als Bindemittel für Mauermörtel
der Anteil an Calciumhydroxid mit Luftkohlensäure für niedrige Beanspruchung und Putzmörtel ohne
zu CaCO3. Calciumsilikate, -aluminate und -ferrite längere Feuchtigkeitseinwirkung. Auch bei der
bilden mit dem Anmachwasser Hydrate, die die Herstellung von Kalksandsteinen und Porenbeton
weitere Verfestigung hervorrufen. Diese Calcium- werden Baukalke verwendet.
verbindungen sorgen dafür, dass die hydraulischen Hydraulische Kalke werden in Mauer- und
Kalke schneller erhärten und höhere Druckfestig- Putzmörtel verarbeitet, wenn höhere, aber be-
keiten als Luftkalke erreichen. Die Luftlagerung vor grenzte Festigkeit sowie Widerstandsfähigkeit ge-
der Wasserlagerung ist notwendig, damit der Erhär- gen Feuchtigkeitseinwirkung gefordert werden.
tungsanteil der Karbonatisierung genutzt und wirk- Hochhydraulische Kalke wählt man für Mauer-
sam werden kann und weil die Hydratation in einem bzw. Putzmörtel, wenn die Festigkeit der Luftkalke
Calcitgerüst wirkungsvoller ist als in einer wässe- und anderer hydraulisch erhärtender Kalke nicht
rigen Dispersion. ausreicht oder eine schnellere Erhärtung gefordert
Hochhydraulischer Kalk zeichnet sich wegen wird. Sie sind in gleicher Weise wie Kalkzement-
des höheren Gehalts an reaktionsfähigen kieselsau- mörtel zu verarbeiten. Sie dienen als Bindemittel für
ren Bestandteilen neben der Carbonaterhärtung Mauermörtel im Schornsteinbau und Außenputze
durch ein ausgeprägtes hydraulisches Erhärtungs- für ungünstige Witterungsverhältnisse. Trasskalk
vermögen aus. Er ist nach Luftlagerung bis zu drei wird u. a. für Mauer- und Fugenmörtel bei schlagre-
Tagen auch unter Wasser beständig. genbeanspruchtem Mauerwerk, in der Denkmal-
Die Verarbeitungseigenschaften von hoch- pflege, für Bodenverfestigungen und Fahrbahnun-
hydraulischen Kalken liegen zwischen denen der terbau verwendet.
Luftkalke und der Zemente. Trasskalk hat aufgrund
der Feinheit des Trasses und des LP-Zusatzes (LP
3.1.2.4 Zemente
Luftporenbildner) ein hohes Wasserrückhaltever-
mögen, ein großes Verformungsvermögen und da- Definition, Einteilung und Herstellung
mit eine geringe Rissempfindlichkeit sowie eine Zemente sind feingemahlene hydraulische Binde-
erhöhte Widerstandsfähigkeit gegen Auslaugung mittel, die sowohl an Luft als auch (ohne vorherige
von CaO und gegen Frost-Tau-Wechsel. Luftlagerung) unter Wasser erhärten können. An-
schließend sind sie auch unter Wasser beständig.
Sorten Sie bestehen im Wesentlichen aus Verbindungen
Weiß- und Dolomitkalke werden nach DIN EN 459 von CaO mit den sog. „Hydraulefaktoren“ SiO2,
Teil 1 nach ihrer chemischen Zusammensetzung Al2O3 und Fe2O3.
((CaO+MgO)-Anteil) klassifiziert. Je nach Klassifi- Portlandzement unterscheidet sich von hydrau-
zierung beträgt der (CaO+MgO)-Gehalt für Weiß- lisch erhärtenden Kalken v. a. durch den niedrigeren
kalke 70 M.-% und für Dolomitkalke 80 M.-%. Kalkgehalt, die gezielte chemische und vor allen
Entsprechend dieser Klassifizierung werden Weiß- Dingen auch mineralogische Zusammensetzung
3.1 Baustoffe 983
und die dadurch gleichmäßigeren Eigenschaften. tigkeit belanglos, stellt aber eine hohe Alkalität des
Die Rohstoffe werden bis zum Sintern gebrannt, Porenwassers im Zementstein sicher. Dieses alka-
wobei sich neue Mineralphasen bilden. Das Pro- lische Milieu schützt den Betonstahl vor Korrosion
dukt des Brennprozesses nennt man „Klinker“. (pH-Wert ist über 12,6).
Die Klinkermineralien haben hydraulische Eigen- Der Zement bindet, bezogen auf das Zement-
schaften: Sie reagieren mit Wasser unter Bildung gewicht, etwa 25 M.-% Wasser chemisch (d. h., es
von Hydraten und Calciumhydroxid Ca(OH)2. wird in das Kristallgitter der Minerale fest einge-
Die Zementindustrie siedelt sich aus wirtschaft- baut). Außer diesem chemisch gebundenen Wasser
lichen Gründen (Transportkosten) i. d. R. in unmit- bindet der Zement noch etwa 10 bis 15 M.-% Was-
telbarer Nähe von Rohstofflagerstätten an. Die ser durch Adsorption. Die Summe aus chemisch ge-
Rohstoffe werden gemahlen, gemischt und an- bundenem Wasser und Gelwasser, die dem Zement
schließend im Drehrohrofen bei 1400°C bis 1500°C zur vollständigen Hydratation zur Verfügung stehen
gebrannt. Mit der chemischen Zusammensetzung muss, beträgt etwa 35 bis 40 M.-% (das entspricht
des Rohmehles ist bei reinem Portlandzement nä- einem Wasserzementwert von 0,35 bis 0,40).
herungsweise auch die mineralogische Zusammen- Die Hydratation ist, wie alle chemischen Reak-
setzung definiert. Da der Art und dem Anteil der tionen, von der Temperatur abhängig. So verläuft
Mineralphasen ein entscheidender Einfluss auf die die Hydratation i. Allg. in der Wärme schneller und
Eigenschaften des Zements zukommt, ist eine ex- in der Kälte langsamer. Tiefe Temperaturen kön-
akte Abstimmung des Rohstoffgemisches von be- nen die Reaktion völlig unterbrechen. Wasserent-
sonderer Bedeutung. Sämtliches CaO muss in Cal- zug (Austrocknung) bringt die Hydratation eben-
ciumsilikaten, -aluminaten und -ferriten (Hydrau- falls zum Stillstand. Die Hydratation des Zements
lefaktoren) gebunden werden. Verbleibendes freies verläuft exotherm, d. h., beim Erstarren und Erhär-
CaO könnte im verfestigten Zementstein (bzw. ten wird entsprechend dem Reaktionsfortschritt
Mörtel oder Beton) Kalktreiben auslösen. Der ent- Wärme, die sog. „Hydratationswärme“, frei.
stehende Klinker wird in Kugelmühlen unter Zu- Je feiner ein Zement gemahlen ist, desto größer
gabe von Calciumsulfat (Gips, Anhydrit) als Er- ist seine Oberfläche und desto schneller ist seine
starrungsregler gemahlen und schließlich in Silos Reaktion mit dem Anmachwasser, was sich wie-
homogenisiert und gelagert. derum in der Festigkeitsentwicklung ausdrückt.
Wenn die Mahlfeinheit zu groß ist, hat der Zement
Hydratation einen größeren Bedarf an Anmachwasser, was die
Der Zement erstarrt und erhärtet infolge der che- Festigkeit mindert. Außerdem ist unter diesen Um-
mischen Reaktion zwischen Zementkorn und Was- ständen mit schnellerem und stärkerem Schwinden
ser. Diese Hydratation beginnt sofort nach dem zu rechnen.
Anmachen mit Wasser. Dabei entsteht Zementgel,
welches aus feinsten, submikroskopischen, kolloi- Erstarren und Erhärten
dalen Reaktionsprodukten besteht. Der anfangs plas- Die fortschreitende Verfestigung des Zements nach
tische Zementleim geht mit fortschreitender Zeit dem Anmachen mit Wasser geht über ein anfäng-
in den erhärteten Zementstein über. Nach einer liches Ansteifen und das Erstarren bis zum Erhärten.
Ruhephase von einer bis mehreren Stunden kris- Aus betontechnologischen Gründen ist es sehr wich-
tallisieren infolge der schnellen Hydratation von Tri- tig, den Verlauf der Verfestigung definiert erfassen
calciumsilikat (C3S) und der langsameren Reaktion zu können. Ein Zement muss ausreichend lange ver-
des Dicalciumsilikats (C2S) Calciumsilikathydrate arbeitbar sein, muss sich aber auch ausreichend
(CSH) in Form von Nadeln oder Leisten. Die sehr schnell verfestigen (Entschalen, Belastbarkeit).
feinen Kristalle verwachsen miteinander und bil- Wenn feingemahlener reiner Portlandzementklin-
den ein Netzwerk. Hierauf beruht die Festigkeits- ker mit Wasser gemischt wird, reagiert das Klin-
entwicklung des Zements. kermineral Tricalciumaluminat (C3A) unverzüg-
Das bei der Reaktion der Calciumsilikate darü- lich mit Wasser und bewirkt dabei ein uner-
ber hinaus in Form hexagonaler Kristalle entste- wünschtes zu frühes Erstarren des Zementleims
hende Calciumhydroxid Ca(OH)2 ist für die Fes- („Löffelbinder“). Aus diesem Grund wird bei der
984 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
Zementherstellung vor oder während dem Mahlen dass durch die Hydratation verschiedener Minerale
des Zementklinkers Gips oder Anhydrit als Abbin- unterschiedliche Reaktionsprodukte und damit
deregler zugesetzt. Wenn dem fertigen, mit der auch unterschiedliche Gefüge entstehen. Die Fol-
passenden Menge Abbinderegler versehenen, Port- gen sind gut zu erkennen, wenn die Festigkeits-
landzement Wasser zugegeben wird, reagieren die- entwicklung durch Hydratation der reinen Klin-
se Sulfatträger mit dem Tricalciumaluminat unter kerminerale verglichen wird (Abb. 3.1-13). Aus-
Bildung von Ettringit (Trisulfat). Mit dieser Reak- schließlich die Calciumsilikate liefern früh hohe
tion wird das zu frühe Erstarren des Zementleims Druckfestigkeiten. Der entscheidende Unterschied
verhindert. Später wandelt sich Ettringit ohne zwischen C3S und C2S liegt in der Geschwindig-
schädliche Nebenwirkungen in Monosulfat um. keit der Hydratation und der Gefügeentwicklung.
Bezogen auf die Gefügeentwicklung während
des Verfestigungsprozesses unterscheidet man drei Sorten und Verwendung
Hydratationsstufen. Nach dem Mischen mit Was- Normalzemente sind im Hinblick auf ihre Zusam-
ser steift der Zementleim mit der Bildung von Ett- mensetzung, Anforderungen und Konformitätskri-
ringit und CSH-Phasen langsam an. Eine erste terien in DIN EN 197 Teil 1 geregelt. Normalze-
merkliche Verfestigung wird „Erstarrungsbeginn“ mente nach DIN EN 197 Teil 1 werden auch nur
genannt. Mit „Erstarren“ wird der Übergang des als Zemente bezeichnet. DIN EN 197 Teil 1 unter-
Zementleims vom plastischen in den festen Zu- scheidet zwischen sechs Arten von Zementen:
stand bezeichnet. Die Erstarrungszeiten (Beginn
– CEM I Portlandzement
und Ende) werden nach DIN EN 196 Teil 3 mit
– CEM II Portlandkompositzement
dem Eindringversuch (Vicat-Nadel) bestimmt. Mit
– CEM III Hochofenzement
dem Erstarrungsbeginn endet die erste Hydratati-
– CEM IV Puzzolanzement
onsstufe. Während der weiteren Reaktion bilden
– CEM V Kompositzement.
sich die Calciumsilikathydrate zunächst langfase-
rig (2. Hydratationsstufe) und dann kurzfaserig (3. In Abhängigkeit von der 28-Tage-Druckfestigkeit
Hydratationsstufe) aus. wird unterschieden zwischen den Festigkeitsklas-
Die mineralogische Zusammensetzung be- sen 32,5; 42,5 und 52,5. Diese drei Klassen werden
stimmt die physikalischen und chemischen Eigen- nach ihrer Anfangsfestigkeit nochmals unterteilt in
schaften des Zements. Dazu gehören z. B. die Ge- üblich erhärtende (mit Kennbuchstabe N) und
schwindigkeit der Reaktion mit Wasser und die schnell erhärtende Zemente (mit Kennbuchstabe
Wärme, die dabei freigesetzt wird. Hinzu kommt, R). In Abb. 3.1-14 sind die Anforderungen an die
sitzement VLH V in der Festigkeitsklasse 22,5 – Portlandkalksteinzement (CEM II/A-LL) für alle
hergestellt. Expositionsklassen
Tonerdezement (Kurzzeichen CAC) nach – Portlandkalksteinzement (CEM II/B-LL) nur für
DIN EN 14647 besteht vorwiegend aus Monocal- die Expositionsklasse X0, XC1 und XC2
ciumaluminat (CaO · Al2O3). Diese Europäische – Portlandkalksteinzement (CEM II/A-L) für alle
Norm enthält Anforderungen an die mechanischen, Expositionsklassen mit Ausnahme von XF1 bis
physikalischen und chemischen Eigenschaften so- XF4
wie Festlegungen bezüglich der Konformitätskri- – Portlandkalksteinzement (CEM II/B-L) nur für
terien und die zugehörigen Regeln an Tonerdeze- die Expositionsklasse X0, XC1 und XC2
mente. Nach dieser Norm werden Tonerdezemente – Portlandkompositzement (CEM II/A-M) nur für
in der Festigkeitsklasse 16 (16 N/mm2 nach 6 h) die Expositionsklasse X0, XC1 und XC2
oder 40 (nach 24 h) hergestellt. In Deutschland ist – Portlandkompositzement (CEM II/B-M) nur für
für die Verwendung von Tonerdezement in tra- die Expositionsklasse X0 und XC2
genden Bauteilen bzw. bauaufsichtlich relevanten – Hochofenzement (CEM III/A) für alle Expositi-
Bereichen eine allgemeine bauaufsichtliche Zulas- onsklassen mit Ausnahme von XF4 bzw. nur bei
sung erforderlich. Verwendung der Festigkeitsklasse 42,5 oder
Die Anwendungsbereiche für Normalzemente Festigkeitsklasse 32,5 R mit einem Hüttensandan-
zur Herstellung von Beton sind den Tabellen F.3.1 teil 50 M.-%
bis F.3.4 der DIN 1045 Teil 2 festgelegt. Danach – Hochofenzement (CEM III/B) für alle Expositi-
können die aufgeführten Normalzemente wie folgt onsklassen mit Ausnahme von XF4 bzw. nur für
verwendet werden: bestimmte Anwendungsfälle freigegeben
– Hochofenzement (CEM III/C) nur für die Exposi-
– Portlandzement (CEM I) für alle Expositions- tionsklasse X0, XC2, XD1, XS2, XA1 bis XA3
klassen – Puzzolanzement (CEM IV/A;B) nur für die Expo-
– Portlandhüttenzement (CEM II/A; B-S) für alle sitionsklasse X0 und XC2
Expositionsklassen – Kompositzement (CEM V) nur für die Expositi-
– Portlandsilicastaubzement (CEM II/A-D) für alle onsklasse X0 und XC2
Expositionsklassen
– Portlandpuzzolanzement (CEM II/A; B-P und In den letzten Jahren wurde die Verwendung von
CEM II/A; B-Q) für alle Expositionsklasse mit Portlandkompositzement CEM II/B-M (S-LL)-AZ
Ausnahme von XF2 und XF4 mit Hüttensand und Kalkstein und CEM II/B-M (V-
– Portlandflugaschezement (CEM II/A; B-V) für LL)-AZ mit Flugasche und Kalkstein in so genann-
alle Expositionsklassen ten Anwendungszulassungen geregelt. In der Zulas-
– Portlandflugaschezement (CEM II/A-W) nur für sung ist neben den freigegeben Expositionsklassen
die Expositionsklasse X0, XC1 und XC2 auch die Zusammensetzung der Zemente angegeben.
– Portlandflugaschezement (CEM II/B-W) nur für Nachstehend ist eine typische Zementzusammenset-
die Expositionsklasse X0 und XC2 zung für einen Portlandkompositzement CEM II/B-
– Portlandschieferzement (CEM II/A; B-T) für alle M (S-LL)-AZ und CEM II/B-M (V-LL)-AZ aufge-
Expositionsklassen führt:
Für die Verwendung latent-hydraulischer und demittel und Gesteinskörnung mit einem Korn-
puzzolanischer Stoffe in großem Maßstab als Ze- durchmesser von bis zu 4 mm wird als „Mörtel“,
mentbestandteil sprechen verschiedene Gründe eine mit einem Korndurchmesser von mehr als
wirtschaftlicher, technologischer und ökologischer 4 mm als „Beton“ bezeichnet. Das weitaus wich-
Natur: tigste Bindemittel für Betone ist Zement. Beton
mit Zement als Bindemittel wird deshalb im all-
– Energieeinsparung (Zementproduktion erfor-
gemeinen Sprachgebrauch als „Beton“ (nicht als
dert hohe Brenntemperatur),
Zementbeton) bezeichnet.
– weniger Schadgasemission (da weniger Port-
Beton ist prinzipiell als 5-Stoffgemisch zu be-
landzementklinker produziert werden muss),
trachten. Er besteht entsprechend Abb. 3.1-15 aus
– Rohstoffeinsparung (viele dieser Zementbe-
Zement, Wasser, Gesteinskörnung, Zusatzstoffen
standteile sind industrielle Nebenprodukte),
und Zusatzmittel. Dabei sind die drei erstgenannten
– Deponieeinsparung (Verwertung industrieller
Stoffe immer enthalten, während die beiden letzt-
Nebenprodukte) und
genannten Stoffe optional sind: Sie dienen im We-
– gezielte Verbesserung bestimmter Zementeigen-
sentlichen der technologischen und wirtschaft-
schaften für bestimmte Anwendungsfälle.
lichen Optimierung der Betone. Die Unterschei-
Grundsätzlich können alle latent-hydraulischen dung zwischen Zusatzstoffen und Zusatzmitteln
und puzzolanischen Stoffe, die als Zementbestand- erfolgt über die Zugabemenge. An Zusatzmittel
teil verwendet werden, auch als Betonzusatzstoffe werden maximal 5 M.-%, bezogen auf den Ze-
dienen. mentgehalt, zugegeben. Diese werden beim Mi-
schungsentwurf und der Stoffraumrechnung men-
genmäßig nicht berücksichtigt, während Zusatz-
3.1.3 Beton stoffe (>5 M.-%) berücksichtigt werden müssen.
Normalbeton ist Beton mit geschlossenem Ge-
3.1.3.1 Allgemeines
füge und einer Festbetonrohdichte von mehr als
DIN 1045 Teil 2 regelt Festlegungen, Eigenschaften, 2000 kg/m3, höchstens 2600 kg/m3 (meist zwischen
Herstellung und die Konformität von Beton für 2200 und 2500 kg/m3). Wenn keine Verwechslung
Tragwerke aus Beton, Stahlbeton und Spannbeton. mit Leicht- (Rohdichte <2000 kg/m3) oder Schwer-
DIN 1045 Teil 2 ist das nationale Anwendungs- beton (Rohdichte >2600 kg/m3) möglich ist, wird
dokument zur europäischen Betonnorm DIN EN 206 er nur als „Beton“ bezeichnet. Beton kann jedoch
Teil 1. Grundsätzlich bietet Beton als Baustoff sehr nicht nur anhand seiner Rohdichte, sondern auch
günstige Eigenschaften aufgrund seiner nahezu un- unter anderen Gesichtspunkten eingeteilt werden,
begrenzten Gestaltungsmöglichkeiten, seiner sehr z. B. nach
flexibel einstellbaren technologischen Eigenschaften,
seiner hohen Dauerhaftigkeit und seiner Wirtschaft- – dem Erhärtungszustand: Frischbeton, Festbeton;
lichkeit. Die Nachteile des Baustoffs Beton sind im – der Druckfestigkeit: Druckfestigkeitsklasse C8/10
relativ hohen Gewicht zu sehen, im unvermeidlichen bis C100/115 für Normal- und Schwerbetone bzw.
Kriechen und Schwinden, in der relativ geringen LC8/9 bis LC80/88 für Leichtbetone;
Zugfestigkeit und der relativ aufwendigen Demon- – der verwendeten Zementart: Portlandzementbe-
tierbarkeit. Die folgenden Erläuterungen beziehen ton, Hochofenzementbeton;
sich im Wesentlichen auf Normalbeton; Sonderbe- – der verwendeten Gesteinskörnung: Kiessandbe-
tone werden in 3.1.3.9 behandelt. ton, (Naturstein-)Splittbeton, Grobbeton, Feinbe-
ton (Zementmörtel);
– der Konsistenz: steif, plastisch, weich, flüssig;
3.1.3.2 Zusammensetzung
– der Art des Transports, des Einbringens und des
und Klassifizierung
Verdichtens: Pump-, Spritz-, Schütt-, Prepakt-,
Mörtel und Beton sind Strukturbegriffe, die an den Colcrete-, Rüttelgrob-, Unterwasser-, Stampf-,
Korndurchmesser der Gesteinskörnung (früher: Rüttel-, Schock-, Schleuder-, Walz-, Vakuum-
Zuschlag) gebunden sind. Eine Mischung von Bin- beton und selbstverdichtender Beton;
3.1 Baustoffe 989
– dem Ort und der Art der Herstellung: Baustellen- – Normalbeton bis C50/60
beton, Transportbeton (werk- oder fahrzeugge- fck,EN = 0,92 fck,DIN
mischt), Ortbeton, Betonwaren und Betonwerk- – Hochfester Beton ab C55/67
stein (im Betonsteinwerk hergestellt), Betonfer- fck,EN = 0,95 fck,DIN
tigteile.
Leichtbetone können auch nach der Rohdichte
Betonklassen klassifiziert werden (Tabelle 3.1-3).
Generell wird Beton nach seiner Druckfestigkeit DIN EN 206 Teil 1 in Verbindung mit DIN 1045
klassifiziert. Die Festigkeitsklasse eines Betons ist Teil 2 unterscheidet zwischen drei Betongruppen:
zugleich einer der Ausgangswerte für den statischen Beton nach Eigenschaften, Beton nach Zusammen-
Nachweis einer Betonkonstruktion [Reinhardt 2007]. setzung und Standardbeton.
In Tabelle 3.1-1 sind die Druckfestigkeitsklassen Beton nach Eigenschaft bedeutet, dass der Bestel-
für Normal- und Schwerbeton und in Tabelle 3.1-2 ler die geforderten Eigenschaften und zusätzliche Ei-
die Druckfestigkeitsklassen für Leichtbeton nach genschaften des Betons dem Hersteller gegenüber
DIN EN 206 Teil 1 in Verbindung mit DIN 1045 festlegt und dass der Hersteller für die Lieferung des
Teil 2 angegeben. Für die Klassifizierung darf die Betons verantwortlich ist, der die Eigenschaften und
charakteristische Festigkeit von Zylindern mit Anforderungen erfüllt. Bei der Bestellung des Betons
150 mm Durchmesser und 300 mm Länge nach werden folgende Festlegungen getroffen:
28 Tagen (fck,cyl) oder die charakteristische Festig-
keit von Würfeln mit 150 mm Kantenlänge nach – Bezug auf DIN 1045 Teil 2;
28 Tagen (fck,cube) verwendet werden. – Druckfestigkeitsklasse;
Die charakteristischen Festigkeiten beziehen – Expositionsklasse des Bauteils oder Bauwerks;
sich auf die Prüfung im Alter von 28 Tagen nach – Nennwert des Größtkorns der Gesteinskörnung;
einer Lagerung im Feuchtraum oder unter Wasser. – Art der Verwendung des Betons (unbewehrter
In Deutschland ist es jedoch üblich die Probe- Beton, Stahlbeton oder Spannbeton) oder Klasse
körper nach dem nationalen Anhang NA der DIN des Chloridgehaltes;
EN 12390 Teil 2 zu lagern. Das bedeutet die Pro- – Rohdichteklasse oder Zielwert der Rohdichte
bekörper werden 7 Tage feucht (unter Wasser oder (gilt zusätzlich für Leichtbeton);
in einer Feuchtkammer mit (20 ± 2)°C und > 95% – Zielwerte der Rohdichte (gilt zusätzlich für
relative Luftfeuchtigkeit) und 21 Tage im Normal- Schwerbeton);
klima 20°C/65% relative Luftfeuchtigkeit gelagert. – Konsistenzklasse oder, in besonderen Fällen,
Dementsprechend sind die ermittelten Druckfestig- Zielwert der Konsistenz (gilt zusätzlich für
keiten wie folgt umzurechnen: Transportbeton oder Baustellenbeton).
990 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
Tabelle 3.1-1 Druckfestigkeitsklassen für Normal- und Tabelle 3.1-2 Druckfestigkeitsklassen für Leichtbeton
Schwerbeton
Druck- charakteristische charakteristische
Druck- charakteristische charakteristische festigkeits- Mindestdruckfestig- Mindestdruckfestig-
festigkeits- Mindestdruckfestig- Mindestdruckfestig- klasse keit von Zylinder keit von Würfelna)
klasse keit von Zylinder keit von Würfeln fck,cyl fck,cube
fck,cyl fck,cube N/mm² N/mm²
N/mm² N/mm² LC8/9 8 9
C8/10 8 10 C12/13 12 13
C12/15 12 15 C16/18 16 18
C16/20 16 20 C20/22 20 22
C20/25 20 25 C25/28 25 28
C25/30 25 30 C30/33 30 33
C30/37 30 37 C35/38 35 38
C35/45 35 45 C40/44 40 44
C40/50 40 50 C45/50 45 50
C45/55 45 55 C50/55 50 55
C50/60 50 60 C55/60 55 60
C55/67 55 67 C60/66 60 66
C60/75 60 75 C70/77 70 77
C70/85 70 85 C80/88 80 88
C80/95 80 95 a) Es dürfen andere Werte verwendet werden, wenn das
C90/105 90 105 Verhältnis zwischen diesen Werten und der Referenzfes-
C100/115 100 115 tigkeit von Zylindern mit genügender Genauigkeit festge-
legt und dokumentiert worden ist.
Darüber hinaus können zusätzliche Anforderungen – andere technische Anforderungen (z. B. bezüg-
festgelegt werden und entsprechende Prüfverfah- lich des Erzielens einer besonderen Oberflä-
ren vereinbart werden: chenbeschaffenheit oder bezüglich besonderer
Einbringverfahren).
– besondere Arten oder Klassen von Zement (z. B.
Zement mit niedriger Hydratationswärme); Beton nach Zusammensetzung bedeutet, dass der
– besondere Arten oder Klassen von Gesteinskör- Besteller die Zusammensetzung des Betons und
nungen; die zu verwendeten Ausgangsstoffe festlegt. Der
– erforderliche Eigenschaft für den Widerstand Hersteller ist für die Bereitstellung des Betons mit
gegen Frosteinwirkung (z. B. Luftgehalt); der festgelegten Zusammensetzung verantwort-
– Frischbetontemperatur; lich. Bei der Bestellung des Betons werden fol-
– Festigkeitsentwicklung; genden Anforderungen festgelegt:
– Ansteifverhalten;
– Wassereindringwiderstand; – Bezug auf DIN 1045 Teil 2;
– Abriebwiderstand; – Zementgehalt;
– Spaltzugfestigkeit; – Zementart und Festigkeitsklasse des Zements;
3.1 Baustoffe 991
Gesteinskörnung bildet mit 70 bis 80 Vol.-% men- leichte Gesteinskörnungen sind Schaumlava, Tuffe
genmäßig den Hauptbestandteil des Betons. Zur Her- und Holzfasern. Künstlich hergestellte leichte Ge-
stellung von Beton nach DIN EN 206 Teil 1 in Ver- steinskörnungen sind Blähton, Ziegelsplitt und
bindung mit DIN 1045 Teil 2 als geeignet gelten: Schaumkunststoffe.
Gesteinskörnungen nach DIN EN 12620 und
– Gesteinskörnungen nach DIN EN 12620;
leichte Gesteinskörnungen nach DIN EN 13055
– leichte Gesteinskörnungen nach DIN EN 13055
Teil 1 müssen je nach Verwendungszweck und Auf-
Teil 1;
gabe hinsichtlich Kornzusammensetzung, Reinheit,
– rezyklierte Gesteinskörnungen nach DIN 4226
Festigkeit, Kornform, Widerstand gegen Frost und
Teil 100.
Abnutzung nach DIN EN 206-1 in Verbindung mit
Gesteinkörnungen nach DIN EN 12620 haben eine DIN 1045 Teil 2 besonderen Anforderungen genü-
Kornrohdichte größer als 2000 kg/m3. Dabei wer- gen. Die Gesteinskörnungen dürfen nicht unter der
den Gesteinskörnungen mit einer Kornrohdichte Einwirkung von Wasser erweichen, sich nicht zer-
zwischen 2000 kg/m3 und 3000 kg/m3 (früher: setzen, mit den Zementbestandteilen keine schäd-
normale Gesteinskörnung) und Gesteinskörnungen lichen Verbindungen eingehen und den Korrosions-
mit einer Kornrohdichte von mindestens 3000 kg/ schutz der Bewehrung nicht beeinträchtigen.
m3 (früher: schwere Gesteinskörnung) berücksich- Rezyklierte Gesteinskörnungen nach DIN 4226
tigt. Teil 100 stammen aus der Aufbereitung bereits
Beispiele für natürlich gekörnte Gesteinskör- verwendeter Baustoffe. Die Anforderungen an re-
nungen mit einer Kornrohdichte zwischen 2000 kg/ zyklierte Gesteinskörnungen richten sich nach dem
m³ und 3000 kg/m³ sind Flusssand, Flusskies, Gru- Verwendungszweck. Hierbei gelten grundsätzlich
bensand und Grubenkies. Sie werden durch Baggern die gleichen Anforderungen wie in DIN EN 12620.
oder Saugen gewonnen, gewaschen und zu Korn- Darüber hinaus gibt es zusätzliche Anforderungen,
gruppen aufbereitet. Die mineralogische Zusam- die sich aus der Herkunft des Materials ergeben.
mensetzung wechselt stark, so dass Bezeichnungen Beispiele für rezyklierte Gesteinskörnungen mit
wie „Rheinkies“ oder „Mainkies“ kein Gütemerk- einer Kornrohdichte von mindestens 2000 kg/m3
mal sind. Beispiele für mechanisch zerkleinerte Ge- sind Betonsplitte und Betonbrechsande. Rezyklier-
steinskörnungen sind Brechsand, Splitt und Schotter. te Gesteinskörnungen mit einer Mindestkornroh-
Sie werden aus natürlichem Gestein oder aus künst- dichte von 1800 kg/m3 bzw. 1500 kg/m3 sind Mau-
lichem Gestein (Schlacken) gebrochen (z. T. mehr- erwerkssplitt und Mauerwerksbrechsande bzw.
fach), gewaschen und zu Korngruppen aufbereitet. Mischsplitt und Mischbrechsande.
Darüber hinaus können Gesteinskörnungen aus auf- Die Verwendung von rezyklierten Gesteinskör-
bereitetem Betonabbruch hergestellt werden (Beton- nungen für Beton und Mörtel ist in der DAfStb-
splitt). Gesteinskörnungen mit einer Kornrohdichte Richtlinie Beton mit rezyklierter Gesteinskörnung
von mindestens 3000 kg/m3 dienen zur Herstellung geregelt. Danach dürfen für Beton nach DIN EN 206
von Schwerbetonen z. B. als Strahlenschutzbeton Teil 1 in Verbindung mit DIN 1045 Teil 2 entspre-
(Reaktor- und Krankenhausbau). Beispiele für na- chend der Richtlinie nur rezyklierte Gesteinskör-
türliche schwere Gesteinkörnungen (i. d. R. mecha- nungen des Typs I und II verwendet werden. In Ta-
nisch zerkleinert) sind Schwerspat (Baryt, BaSO4), belle 3.1-4 ist die Zusammensetzung verschiedener
Magnetit und Hämatit. Beispiele für künstlich her- rezyklierter Gesteinskörnungen aufgelistet.
gestellte schwere Gesteinkörnungen sind Stahl- Eine betontechnologisch sehr wichtige Eigen-
schrot, Stahlspäne, Schwermetallschlacken. schaft der Gesteinskörnung ist ihre Kornzusam-
Leichte Gesteinskörnungen (Gesteinskörnungen mensetzung (Sieblinie). Eine günstige Sieblinie
mit porigem Gefüge) nach DIN EN 13055 Teil 1 gewährleistet gute Betonqualität durch die Erfül-
dienen zur Herstellung von Leichtbeton und weisen lung folgender Aufgaben:
eine Kornrohdichte von maximal 2000 kg/m3 auf.
Beispiele für natürlich gekörnte leichte Gesteinskör- – Der Kornaufbau soll ein dichtes Korngerüst er-
nungen sind Naturbims, Lavakies und Lavasand. geben, damit der Zementleimgehalt zum Aus-
Beispiele für mechanisch zerkleinerte natürliche füllen der Zwischenräume gering ist.
3.1 Baustoffe 993
– Die Oberfläche soll möglichst klein, die Ge- körnung). Ein Korngemisch mit unstetiger Sieb-
steinskörnung also möglichst grob sein, um die linie kann gegenüber einem Korngemisch mit ste-
zur Umhüllung benötigte Zementleimmenge tiger Sieblinie einen geringeren Wasseranspruch
gering halten zu können. haben. Darüber hinaus können Betone mit Aus-
fallkörnung von üblichen Betonen abweichende
Die günstigsten Bedingungen werden durch die Frisch- und Festbetoneigenschaften aufweisen.
Regelsieblinien z. B. der DIN 1045 Teil 2 gegeben.
Dort existieren Regelsieblinien für Maximalkorn- Betonzusatzstoffe
größen von 8, 16 und 32 mm (Abb. 3.1-16). Man Betonzusatzstoffe sind fein aufgeteilte minera-
unterscheidet zwischen den stetigen Sieblinien A, lische Stoffe, z. T. auch mit organischen Bestand-
B und C und der unstetigen Sieblinie U (Ausfall- teilen, die (im Gegensatz zur Verwendung als Ze-
994 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
mentbestandteil, s. 3.1.2.5) dem Beton im Beton- – die Verarbeitbarkeit bei gleichem Wassergehalt
mischer zugegeben werden. Ziel der Zugabe ist die verbessern und das Bluten vermindern,
Beeinflussung bestimmter Betoneigenschaften. – die Wasserdichtheit und die chemische Wider-
Beim Mischungsentwurf sind Zusatzstoffe prinzi- standsfähigkeit durch eine Verfeinerung der Po-
piell in die Stoffraumrechnung einzubeziehen. renstruktur erhöhen,
Zu den organischen Zusatzstoffen gehören z. B. – die Hydratationswärme, das Schwindmaß und
Kunststoffdispersionen. In DIN EN 206 Teil 1 in damit die Reißneigung verringern,
Verbindung mit DIN 1045 Teil 2 wird bei den anor- – die Entstehung von Ausblühungen durch
ganischen Zusatzstoffen zwischen nahezu inakti- Ca(OH)2-Bindung verhindern.
ven Zusatzstoffen (Typ I) und puzzolanischen oder
latent-hydraulischen Zusatzstoffen (Typ II) unter- Diese Wirkung von Puzzolanen in Betonen und Mör-
schieden. Während Typ I-Zusatzstoffe nicht mit teln beruht auf folgenden drei prinzipiellen Mecha-
Zement und Wasser reagieren, sind Typ II-Zusatz- nismen:
stoffe reaktionsfähig und liefern einen gewissen
– der rheologischen Wirkung im Frischbeton (vgl.
Beitrag zur Betonfestigkeit. Gesteinsmehle nach
3.1.3.6),
DIN EN 12620 und Pigmente nach DIN EN 12787
– dem im wesentlichen physikalischen Füllereffekt,
können als Typ I-Zusatzstoff für die Herstellung
– ihrer puzzolanischen Reaktionsfähigkeit.
von Beton verwendet werden. In Deutschland wer-
den als Typ II-Zusatzstoffe nur künstliche puzzola- Dabei treten die beiden erstgenannten Wirkungen
nische Zusatzstoffe wie Flugasche nach DIN EN ebenso bei inerten Zusatzstoffen auf. Der wesent-
450 Teil 1, Silikastaub nach DIN EN 13263 Teil 1 liche Unterschied mit entscheidenden Konsequenzen
oder Trass nach DIN 51034 eingesetzt. für die Dauerhaftigkeit und Festigkeit des Betons
Zusatzstoffe, die von den technischen Regeln basiert auf der puzzolanischen Reaktionsfähigkeit.
abweichen oder für die keine entsprechend einge- Die in Deutschland als Betonzusatzstoffe ge-
führten technischen Regeln existieren, benötigen bräuchlichsten Puzzolane sind natürlicher Trass
eine allgemeine bauaufsichtliche Zulassung. Die nach DIN 51043, Flugaschen (FA) nach DIN EN
Anforderungen an diesen Zusatzstoff werden im 450 Teil 1 und Silicastaub (SF) nach DIN EN 13263
Zulassungsbescheid festgelegt. Teil 1. Inwiefern Puzzolane die Festigkeit beein-
flussen, soll anhand der in Abb. 3.1-17 dargestell-
Puzzolane. Sie stellen die wichtigste Klasse der Zu- ten Festigkeitsentwicklung von drei verschiedenen
satzstoffe dar. Sie können Flugaschen kurz erläutert werden.
Durch den Austausch im Verhältnis 1:1 gegen weise verwendeten organischen Pigmente erfüllen
Zement ist die Festigkeit der zusatzstoffhaltigen diese Bedingungen meist nicht. Daher kommen vor-
Mischungen in jungem Alter im Vergleich zur Refe- wiegend anorganische Pigmente aus Metalloxiden,
renzmischung deutlich niedriger. Dieser „Verdün- Metallsalzen oder Kohlenstoffpigmente zur Anwen-
nungseffekt“ ist für FA und Quarzmehl etwa gleich, dung. In DIN EN 12878 sind die Anforderungen an
d. h., es liegt bis zum Alter von etwa sieben Tagen Pigmente geregelt. Für die Farben werden folgende
kein signifikanter Festigkeitsbeitrag durch eine Re- Oxide verwendet:
aktion der FA vor. Zwischen sieben und 14 Tagen
– rot, gelb, braun, schwarz: Eisenoxide;
bewirkt die FA im Vergleich zu Quarzmehl eine
– weiß: Titanoxid;
stärkere Festigkeitssteigerung, was auf den Beginn
– grün: Chromoxid;
der puzzolanischen Reaktion der FA zurückzufüh-
– blau: Cobaltblau.
ren ist. Durch die puzzolanische Reaktion kommt
es im höheren Alter (ein Jahr) zu einer weiteren Kunstoffzusätze. Sie können aus verschiedenen
Porenverdichtung, so dass die flugaschehaltigen Mi- Kunststoffen bestehen, dürfen aber durch die Alka-
schungen eine höhere Druckfestigkeit aufweisen als lien des Zements nicht verseifen. Sie können fol-
die entsprechenden Vergleichsmischungen. gende Betoneigenschaften vergrößern:
Die Wirkung von reaktiven Zusatzstoffen in
– Zugfestigkeit,
Beton nach DIN EN 206 Teil 1 in Verbindung mit
– Haftfestigkeit,
DIN 1045 Teil 2 wird pauschal durch einen so ge-
– Schlagfestigkeit,
nannten k-Wert berücksichtigt.
– Kriechen,
Aufgrund von vorliegenden Untersuchungser-
– chemische Widerstandsfähigkeit
gebnissen wurde der k-Wert von Flugasche nach
DIN EN 450 Teil 1 zu 0,4 und der von Silikastaub bzw. verringern:
zu 1,0 festgelegt. Das bedeutet, dass gemäß
– Druckfestigkeit,
DIN EN 206 Teil 1 in Verbindung mit DIN 1045
– Elastizitätsmodul,
Teil 2 statt des w/z-Wertes der äquivalente w/z-
– Rückprall bei Spritzbeton,
Wert
– Reißneigung.
. (3.1.1)
Betonzusatzmittel
Betonzusatzmittel gibt man flüssig oder pulverför-
beim Nachweis des maximal zulässigen w/z-Wer- mig dem Beton zu, um durch chemische und/oder
tes zugrunde gelegt werden kann. Die auf den physikalische Wirkung die natürlichen Eigenschaften
Wasserzementwert maximal anrechenbare Menge von Beton oder Mörtel besonderen Anforderungen
an Flugasche f ist in Abhängigkeit vom verwende- anzupassen bzw. günstig zu beeinflussen. Die Wir-
ten Zement begrenzt und kann bis zu f/z 0,33 (für kungsweise der Zusatzmittel ist vielseitig; sie beruht
CEM I) betragen. Die anrechenbare Höchstmenge u. a. auf elektrochemischen Vorgängen, wobei orga-
an Silikastaub ist auf s/z 0,11 begrenzt. nische Stoffe hydrophob (z. B. bei Luftporenbild-
nern) oder hydrophil (z. B. bei Betonverflüssigern)
Pigmente. Die Pigmente zum Einfärben von Beton wirken. In Abb. 3.1-18 ist eine Übersicht über ver-
sind, wie bereits erwähnt, inaktive Zusatzstoffe, die schiedene Betonzusatzmittel gegeben.
zur Herstellung von Beton nach DIN EN 206 Teil 1 Es ist zu berücksichtigen, dass gelegentlich eine
in Verbindung mit DIN 1045 Teil 2 verwendet wer- Eigenschaft auf Kosten einer anderen verbessert
den können. Sie müssen beständig und wasserun- wird. So können z. B. die Raumbeständigkeit, das
löslich sein, dürfen die betontechnologischen Eigen- Erstarren, der Frostwiderstand, die Wasseraufnahme
schaften nicht nachteilig beeinflussen, müssen licht- oder die Wasserdichtheit negativ beeinflusst werden.
und wetterstabil und ggf. bei größeren thermischen Die Anforderungen an Betonzusatzmittel für
Belastungen auch hitzestabil sein und höchste Kons- die Verwendung in Beton, Stahlbeton und Spann-
tanz in Farbton und Farbstärke aufweisen. Die teil- beton sind in der Normen der Serie DIN EN 934
996 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
998
kein Korrosions- Bewehrungskorrosion
oder Angriffsrisiko
durch Karbonatisierung verursachte durch Chloride verursachte Korrosion
Korrosion
Chloride außer Meerwasser Chloride aus Meerwasser
Nr. Expositionsklassen X0a XC1 XC2 XC3 XC4 XD1 XD2 XD3 XS1 XS2 XS3
1 Höchstzulässiger w/z – 0,75 0,65 0,60 0,55 0,50 0,45
2 Mindestdruckfestig-
C8/10 C16/20 C20/25 C25/30 C30/37d C35/45de C35/45
keitsklasseb
3 Mindestzementgehaltc – 240
260 280 300 320 320
in kg/m³ siehe XD1 siehe XD2 siehe XD3
4 Mindestzementgehaltc – 240
bei Anrechnung von 240 270 270 270 270
Zusatzstoffen in kg/m³
5 Mindestluftgehalt in % – – – – – – – –
6 Andere Anforderungen – –
a Nur für Beton ohne Bewehrung oder eingebettetes Metall.
b Gilt nicht für Leichtbeton.
c Bei einem Größtkorn der Gesteinskörnung von 63 mm darf der Zementgehalt um 30 kg/m³ reduziert werden.
d Bei Verwendung von Luftporenbeton, z. B. aufgrund gleichzeitiger Anforderung aus der Expositionsklasse XF, eine Festigkeitsklasse niedriger.
e Bei langsam und sehr langsam erhärtenden Betonen (r < 0,30) eine Festigkeitsklasse niedriger. Die Druckfestigkeit zur Einteilung in die geforderte Druckfestigkeits-
klasse ist auch in diesem Fall an Probekörpern im Alter von 28 Tagen zu bestimmen.
3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
Tabelle 3.1-7 Grenzwerte für die Zusammensetzung und Eigenschaft von Beton – Teil 2
Betonkorrosion
Frostangriff Aggressive chemische Um- Verschleißbeanspruchungh
3.1 Baustoffe
gebung
Nr. Expositionsklassen XF1 XF2 XF3 XF4 XA1 XA2 XA3 XM1 XM2 XM3
1 Höchstzulässiger w/z 0,60 0,55g 0,50 0,55 0,50 0,50g 0,60 0,50 0,45 0,55 0,55 0,45 0,45
2 Mindestdruckfestig- e
C25/30 C25/30 C35/45 C25/30 C35/45e C30/37 C25/30 C35/45de C35/45d C30/37d C30/37d C35/45d C35/45d
keitsklasseb
3 Mindestzementgehaltc
280 300 320 300 320 320 280 320 320 300i 300i 320i 320i
in kg/m³
4 Mindestzementgehalt c
bei Anrechnung von 270 270g 270g 270 270 270g 270 270 270 270 270 270 270
Zusatzstoffen in kg/m³
5 Mindestluftgehalt in % – f – f – f,j – – – – – – –
6 Andere Anforderungen Gesteinskörnungen für die Expositionsklasse XF1 bis XF4 Oberflä-
chenbe- Einstreuen
von Hartstof-
– – l – handlung –
F4 MS25 F2 MS18 des fen nach
Betonsk DIN 1100
Tabelle 3.1-8 Höchstzulässiger Mehlkorngehalt für Beton Transport, Einbau und Verdichtung
mit einem Größtkorn der Gesteinskörnung von 16 mm bis Heute wird – bis auf Ausnahmen (sehr große Bau-
63 mm stellen) – der gesamte Baustellenbeton als Trans-
Zementgehalt Höchstzulässiger portbeton geliefert und eingebaut, und zwar char-
Mehlkorngehalt genweise in Behältern oder kontinuierlich über
bis zur Betonfestigkeitsklasse C50/60 u. LC 50/55 bei den Förderbänder oder durch Rohrleitungen.
Expositionsklassen XF und XM Beim Einbringen des Frischbetons müssen Ent-
300 kg/m³ 400 kg/m³ mischungen vermieden werden, da sie und Nester-
350 kg/m³ 450 kg/m³ bildung die Festigkeit, die Wasserdichtheit, das
ab der Betonfestigkeitsklasse C55/76 und LC55/60 bei allen Aussehen (Sichtbeton) und den Korrosionsschutz
Expositionsklassen der Bewehrung beeinträchtigen.
400 kg/m³ 500 kg/m³ Da der Frischbeton nach dem Mischen einen
450 550 kg/m³ mehr oder weniger hohen Anteil an Luft enthält,
500 kg/m³ 600 kg/m³ der die Festbetoneigenschaften sehr nachteilig be-
einflussen würde, muss er möglichst vollkommen
verdichtet werden (Abb. 3.1-19). Dazu dienen
bei einer Mindestmischzeit von 30 s als gleichmä- verschiedene Verdichtungsverfahren, deren Wir-
ßig durchmischt. In Mischerfahrzeugen wird der kung sehr unterschiedlich ist, so dass ihre Anwen-
zweckmäßig gemischte Beton während der Fahrt dung auf die Verdichtbarkeit des Betons eingestellt
ständig bewegt oder mit stehender Trommel zur werden muss. Außer in Sonderfällen wird Beton
Verwendungsstelle gefahren. durch Rütteln mit Innenrütteln, Außenrütteln,
Oberflächenrütteln, Schalungsrüttlern oder Rüttel-
Maschinenmischung. Sie erfolgt chargenweise in tisch verdichtet.
Freifall- oder Zwangsmischern oder kontinuierlich Beim Rütteln werden die statischen Kräfte auf-
in Durchlaufmischern. Die Mischart muss auf das gehoben: Der Beton verhält sich ähnlich wie eine
Mischgut abgestimmt sein. Flüssigkeit, und die schweren Teile sinken nach
unten und nehmen eine dichtere Lagerung ein. Be-
Mischfahrzeug. Mischfahrzeuge dienen zum Trans- sonders bei weichen Betonen ist darauf zu achten,
portieren und Mischen von Beton weicher und dass durch das Rütteln wegen des großen Dichte-
plastischer Konsistenz in Freifallmischern, der im unterschieds von Zuschlagkorn und Zementleim
Transportbetonwerk entweder nur dosiert oder keine Entmischungen auftreten. Beim Rütteln soll
auch gemischt wurde. sich auf der Oberfläche eine geschlossene Schicht
zähen Mörtels bilden; wässriger Zementleim weist Nach dem Reifegradkonzept wird die Nachbe-
auf Entmischung hin. handlungsdauer in Abhängigkeit der Festigkeits-
entwicklung angegeben. Die Festigkeitsentwicklung
Nachbehandlung wird über das Festigkeitsverhältnis fcm,2/fcm,28 abge-
Eine ausreichende Nachbehandlung ist nicht nur schätzt. In Tabelle 3.1-9 sind Mindestnachbehand-
für den Schutz vor Wasserverlust im grünen und lungsdauern in Abhängigkeit von der Expositions-
jungen Beton (Frühschwinden, Rissbildung) von klasse aufgeführt. Der Verhältniswert r ist umso ge-
Bedeutung. Wegen der Abhängigkeit der Hydrata- ringer, je langsamer der Beton hydratisiert.
tion von Temperatur und Feuchtigkeit muss der Näherungsweise kann der Reifegrad aber auch
Beton auch während der ersten Zeit des Erhärtens über die zeitliche Entwicklung der Betondruckfestig-
gegen schädigende Einflüsse wie Hitze, Wind keit abgeschätzt werden. Entsprechend fordert die
(Austrocknen), Kälte, strömendes Wasser (Auswa- DIN 1045 Teil 3, dass der Beton so lange nachbe-
schen), chemische Angriffe und Erschütterungen handelt werden muss, bis die Druckfestigkeit in der
geschützt werden. Mit Rücksicht auf das Schwin- oberflächennahen Schicht einen bestimmten Pro-
den und insbesondere den Korrosionsschutz der zentsatz der charakteristischen Druckfestigkeit des
Bewehrung ist er möglichst sieben bis 15 Tage verwendeten Betons hat. Dieser Prozentsatz hängt
lang dauernd feucht zu halten. von der jeweiligen Expositionsklasse ab, der das
Tabelle 3.1-9 Mindestdauer der Nachbehandlung von Beton nach DIN 1045 Teil 3
25 > - 15 1 2 4 5
XM
15 > - 10 2 4 7 10
10 > - 5b 3 6 10 15
Frischbetontemperatur -fb in °C zum
Zeitpunkt des Betoneinbaus
-fb 15 1 2 4 –
XC4 und XF1
XC2, XC3,
10 -fb < 15 2 4 7 –
5 -fb < 10 4 8 14
Bauteil ausgesetzt ist. Für die Expositionsklasse Physikalisch eindeutige Kennwerte für die Verar-
X0, XC1 und XM (unbewehrter Beton oder Innen- beitbarkeit kann man nur in rheologischen Unter-
bauteile) beträgt er 50% und für die Expositions- suchungen erhalten. Sie liegen für Zementleim und
klasse XM (Verschleißbeanspruchung) 70%. Da- Zementmörtel in großem Umfang vor, sind jedoch
mit wird sichergestellt, dass der Beton ausreichend nicht ohne weiteres auf den Frischbeton zu über-
vor Witterungseinflüssen, insbesondere Austrock- tragen, da hier nicht nur das Fließvermögen der
nung, geschützt wird. Matrix, sondern in großem Maße die innere Rei-
Besonders wichtig ist eine sorgfältige Nachbe- bung durch die Gesteinskörnung maßgebend ist.
handlung Die Konsistenz quantifiziert die Verarbeitbarkeit
des Frischbetons. Beschreibend kann man folgende
– bei Betonen, die relativ langsam erhärten (z. B.
Konsistenzbereiche unterscheiden:
bei Zement mit hohem Hüttensandgehalt, bei
Flugasche als Zusatzstoff, bei niedrigen Außen- – sehr steif,
temperaturen), – steif,
– bei Betonen, die an der Oberfläche besonders – plastisch,
stark beansprucht werden (z. B. Beton, der ho- – weich,
hen Widerstand gegen Frost, chemischen An- – sehr weich,
griff und Verschleiß haben soll), – fließfähig,
– bei wasserundurchlässigem Beton, – sehr fließfähig.
– bei Sichtbeton und
Je nach Land werden folgende Konsistenzprüfver-
– bei dünnen Schichten (z. B. Estrichen).
fahren bevorzugt:
Für die Nachbehandlung kommen z. B. Feuchthal-
– Setzmaß,
ten durch Besprühen und/oder feuchte Tücher in
– Setzzeit (Vébé),
Betracht. Einen Schutz gegen Austrocknen bieten
– Verdichtungsmaß,
auch Schutzdächer und Abdeckungen mit Gewe-
– Ausbreitmaß.
bebahnen, Schilf- oder Strohmatten, Kunststoff-
folien und Nachbehandlungsfilme, die nach leich-
tem Abtrocknen des Betons aufgesprüht werden. Konsistenzbereiche
In der Praxis muss die angestrebte Konsistenz den
jeweiligen Verhältnissen vor Ort angepasst sein.
3.1.3.6 Frischbetoneigenschaften
Auf Baustellen bieten normalerweise weiche Be-
Die Verarbeitbarkeit ist eine komplexe, physikalisch tone oder sehr weiche Betone die günstigsten Vor-
nicht genau definierbare rheologische Eigenschaft, aussetzungen. In Tabelle 3.1-10 sind die Konsis-
die die Begriffe Mischbarkeit, Transportierbarkeit tenzbereiche des Frischbetons nach DIN 1045 Teil
(Widerstand gegen Entmischen beim Transport) 2 aufgeführt.
und Verdichtbarkeit umschließt. Sie ist v. a. eine
Funktion des Wasser-, Zement- und Mehlkornge- Prüfung der Konsistenz
halts, der Zementart, der Kornzusammensetzung Die im deutschsprachigen Raum gebräuchlichsten
und der Kornform der Gesteinskörnung. Der Beton Prüfverfahren zur Bestimmung der Konsistenz sind
wird bei Konstanthalten der jeweils anderen Ein- der Ausbreitversuch und der Verdichtungsversuch.
flüsse weicher mit Das Ausbreitmaß eignet sich nicht für steifen Beton,
während das Verdichtungsmaß für den Fließbeton
– größerem Wasser- bzw. Zementleimgehalt, ungeeignet ist. Darüber hinaus ist der Trichterver-
– kleinerem Zementgehalt, such (Setzmaß bzw. Slump-Test) von Bedeutung.
– größerem Wasser-Zement-Wert, Entformt man einen Beton unmittelbar nach
– gröberem Zement, dem Herstellen, so hat er bereits einen gewissen
– kleinerem Mehlkorngehalt, Widerstand gegen Belastung. Man nennt diesen
– sandärmerer Kornzusammensetzung und jungen Beton auch „grünen Beton“ und charakteri-
– rundlicherer Kornform. siert den Widerstand entsprechend über die sog.
3.1 Baustoffe 1003
„Grünstandfestigkeit“. Diese ist insbesondere für Frischbeton gefüllt (drei Schichten mit jeweiligem
die Erzeugung von Betonsteinprodukten von Be- Stampfen). 5 bis 10 s nach dem Abziehen der Blech-
deutung, bei denen die Schalung möglichst effizi- form wird die Höhe des Betonkegels gemessen. Das
ent genutzt werden soll. Setzmaß ergibt sich dann aus der Differenz zwi-
schen der Höhe des Betonkegels vor und nach dem
Ausbreitmaß. Die Bestimmung des Ausbreitmaßes Abziehen des Trichters. Darüber hinaus besteht die
erfolgt gemäß DIN EN 12350 Teil 5 und wird auf Möglichkeit das Setzmaß mittels Vébé-Prüfung ge-
einem feucht abgewischten Ausbreittisch durchge- mäß DIN EN 12350 Teil 3 zu bestimmen.
führt. Auf ihm wird ein kegelstumpfförmiger, oben
offener Trichter gesetzt, in den der Frischbeton in
3.1.3.7 Festbetoneigenschaften
zwei Schichten eingefüllt und durch leichte Stöße
mit einem Holzstab verdichtet wird. Die Oberfläche Junger Beton
des Frischbetons wird eben abgestrichen und der Etwa zwei bis vier Stunden nach Wasserzugabe be-
Trichter hochgezogen. Der zurückbleibende Frisch- ginnt der Beton zu erstarren, wenn dieser Zeitraum
betonkegel (oder -kuchen) wird durch 15 Schock- nicht durch die Zugabe eines Zusatzmittels oder
stöße (Heben und Fallenlassen des Ausbreittisches) Temperatureinflüsse verlängert bzw. verkürzt wird.
zum Ausbreiten gebracht. Als Bewertungskriterium Die Erstarrungsphase erstreckt sich über mehrere
dient der Durchmesser des Betonkuchens (in cm), Stunden und geht dann in die Erhärtung über. Letz-
der als Ausbreitmaß bezeichnet wird. tere verläuft in den ersten Stunden sehr langsam,
danach dann schneller. In Abb. 3.1-20 ist die Ent-
Verdichtungsmaß. Die Bestimmung des Verdich- wicklung der Zugfestigkeit und der Verformungsfä-
tungsmaßes erfolgt gemäß DIN EN 12350 Teil 4 higkeit (Betonbruchdehnung) dargestellt. Der Wen-
und wird mit Hilfe eines 400 mm hohen, oben of- depunkt und damit das Maximum der Erhärtungsge-
fenen Blechkastens durchgeführt. In ihn wird der schwindigkeit liegen etwa zwischen sechs und zwölf
Frischbeton lose eingefüllt und die Oberfläche eben Stunden.
abgestrichen. Danach folgt seine Verdichtung auf Abbildung 3.1-20 zeigt, dass der Wendepunkt
einem Rütteltisch oder mit einem Innenrüttler. Zur der Erhärtungskurve mit einem Minimum der
Bewertung wird das Verdichtungsmaß herangezo- spannungsabhängigen Verformung zusammenfällt
gen, das sich aus dem Quotienten der Einfüllhöhen [Bergström/Byfors 1980]. Bis zu diesem Zeitpunkt
vor (400 mm) und nach dem Verdichten berechnet. ist der Beton sehr verformbar, und Verformungsbe-
hinderungen werden nur geringfügig in Span-
Setzmaß. Die Bestimmung des Setzmaßes (Slump- nungen umgesetzt. Im Bereich des Wendepunkts,
Test) erfolgt nach DIN EN 12350 Teil 2. Ähnlich also beim Übergang vom plastischen in den visko-
wie im Ausbreitversuch wird ein Kegelstumpf mit elastischen Zustand, ist die Verformungsfähigkeit
1004 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
Abb. 3.1-20 Zeitliche Entwicklung der Zugfestigkeit und der Bruchdehnung [Weigler/Karl 1989]
matisch. Die Erwärmung löst erst dann Druckspan- Druck einachsig belastet. Im Inneren des Betons ent-
nungen aus, wenn der E-Modul des Betons so groß steht aufgrund der unterschiedlichen Verformungsei-
ist, dass der Beton entgegen der Wärmedehnung ei- genschaften von Zuschlag und Matrix ein ungleich-
nen messbaren Widerstand leistet (Temperatur T01). mäßiger, räumlicher Spannungszustand. Bei Normal-
Mit zunehmender Temperatur steigen auch die beton wird der verformungsfähigere Zementstein mit
Druckspannungen im Beton und erreichen wegen niedrigerem E-Modul stärker als die Gesteinskörner
der Relaxation vor dem Temperaturmaximum ihren verformt. Dabei konzentriert sich der Kraftfluss über
Höchstwert. Da der E-Modul des jungen Betons den Gesteinskörnern (Abb. 3.1-22).
klein und die Relaxation des jungen Betons sehr Die Kraftumlenkung erzeugt im Zementstein
hoch ist, erreichen die Druckspannungen im Beton Zugspannungen, und zwar vorwiegend in der Ver-
nur geringe Werte. Mit einsetzender Abkühlung ver- bundzone zwischen Zementstein und Gesteinskör-
kürzt sich der Beton, die Druckspannungen nehmen nung. Sie führen nach Bildung zahlreicher Einzel-
ab und werden bei einer bestimmten Temperatur T02 risse durch großflächiges Aufreißen des Zement-
zu Null. Wegen der Relaxation der Druckspannungen steins, ggf. auch der Gesteinskörner, schließlich zum
im vorangegangenen Zeitabschnitt ist T02>T01. Eine Bruch. Das Bruchverhalten von Leichtbeton unter-
weitere Abkühlung hat Zugspannungen zur Folge, scheidet sich von den für Normal- und Schwerbe-
die bei einer kritischen Temperatur TRiss die Zugfes- ton beschriebenen Vorgängen, da der E-Modul des
tigkeit des Betons überschreiten und einen Trennriss Zementsteins größer sein kann als derjenige der
verursachen [Breitenbücher 1989]. leichten Gesteinskörnern. Daher erfolgt der Kraft-
fluss im Leichtbeton bevorzugt innerhalb der Ze-
Festigkeit mentsteinschichten. Die zahlreichen Einzelrisse
Die bautechnisch gut messbaren Betonfestigkeiten verlaufen nicht mehr vorzugsweise durch den Ze-
sind die Druckfestigkeit sowie als Zugfestigkeit mentstein, sondern auch durch die leichte Ge-
die Biegezug- und die Spaltzugfestigkeit. steinskörnung [Walz 1964].
Druckfestigkeit. Zur Ermittlung der Druckfestigkeit an Zugfestigkeit. Die Betonzugfestigkeit kann durch
Betonprüfkörpern wird der Beton mit gleichmäßigem die Beziehung
1006 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
Tabelle 3.1-11 Richtwerte für die Festigkeitsentwicklung von Beton aus verschiedenen Zemente bei 20 °C-Lagerung
Festigkeitsentwicklung
Die Festigkeitsentwicklung eines Betons wird vor-
nehmlich durch die Eigenschaften des Zements,
die Zusammensetzung des Betons und die Um-
weltbedingungen, denen der Beton während der
Herstellung und Erhärtung ausgesetzt ist, beein-
flusst. Als grober Anhalt für die Festigkeitsent-
wicklung des Betons kann Tabelle 3.1-11 dienen.
Selbst bei Zementen gleicher Art und Festig-
keitsklasse können unter Normbedingungen starke
Schwankungen im Erhärtungsverlauf auftreten.
Ohne diesen genau zu kennen, kann man mit dem
Abb. 3.1-23 Beziehung zwischen der Betondruckfes-
oberen Grenzwert der Tabelle rechnen, wenn man
tigkeit ȕb 28, der Zementnormdruckfestigkeit ȕz 28 und
bereits in jungem Alter auf die Festigkeitsklasse dem w/z-Wert w für Betone ohne Luftporenbildner
schließen will. Der untere Grenzwert wird verwen- [Walz/Wischers 1976]
det, wenn im höheren Alter auf die Festigkeitsklas-
se zurückgerechnet oder die Nacherhärtung, d. h.
die Zunahme der Druckfestigkeit, über 28 Tage suchswert die mittlere Kurve benutzen, während
hinaus vorausgesagt werden soll. man beim Klassenwert mit dem angegebenen Streu-
Da die Betondruckfestigkeit annähernd linear bereich rechnen muss.
von der Zementnormdruckfestigkeit abhängt, kann Die zeitliche Entwicklung der Betondruckfes-
die Einflussgröße Zementnormdruckfestigkeit fCEM tigkeit kann gemäß CEB-FIB Model Code MC 90
aus dem Einflusskoeffizienten herausgezogen und auch analytisch bestimmt werden:
fcm/fCEM anstelle von fcm gesetzt werden. In Abb. 3.1-
23 ist dies für die Ordinate eines Festigkeits-Z-Dia- (3.1.6)
gramms geschehen. Setzt man in dieses Verhältnis
die im Versuch nach DIN EN 196 Teil 1 ermittelte mit
Zementdruckfestigkeit oder ohne diese Prüfung die
Zementfestigkeitsklasse ein, so erhält man die Be-
tondruckfestigkeit für Würfel mit 200 mm Kanten- (3.1.7)
länge. Die Druckfestigkeit muss dann entsprechend
auf einen Zylinder mit einem Durchmesser von 150
mm oder einem Würfel mit 150 mm Kantenlänge fcm(t) mittlere Druckfestigkeit nach einem Beton-
umgerechnet werden. Dabei kann man beim Ver- alter von t; fcm mittlere Zylinderdruckfestigkeit im
1008 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
Tabelle 3.1-12 Beiwert s der Zemente nach DIN EN 197 in Abhängigkeit vom Alter graphisch dargestellt.
Teil 1 Wie zu erkennen ist, ergeben sich Widersprüche zur
Festigkeitsklasse 32,5 N 32,5 R 42,5 R
Reifeformel, wenn während der Erhärtung stark
42,5 N 52,5 N veränderliche Temperaturen herrschen.
Beiwert s 0,38 0,25 0,20
Festigkeitsklassen
Wie bereits in Abschn. 3.1.3.2 beschrieben, wer-
den Betone (Normal- und Schwerbetone) in
Alter von 28 Tagen; t1 Bezugsalter = 1 Tag; s = Deutschland gemäß DIN EN 206 Teil 1 in Verbin-
Beiwert, der von der Zementart abhängt. Für die dung mit DIN 1045 Teil 2 in 16 Festigkeitsklassen
Zemente nach DIN EN 197 Teil 1 gelten die in Ta- gemäß Tabelle 3.1-1 aufgeteilt. Die charakteris-
belle 3.1-12 angegebenen Beiwerte. tischen Druckfestigkeit fck liegt bei 5% der Grund-
Wie andere chemische Vorgänge wird auch die gesamtheit aller möglichen Festigkeitsmesswerte.
Erhärtung des Betons durch niedrige Temperaturen Die Konformität kann dann bestätigt werden,
verzögert und durch höhere beschleunigt. Der wenn die Prüfergebnisse beide Kriterien nach Ta-
Temperatureinfluss lässt sich nach verschiedenen belle 3.1-13 entweder für Erstherstellung oder für
Reifeformeln abschätzen. Hier wird als Beispiel stetige Herstellung erfüllen.
die Reifeformel von Saul angegeben: Wenn die Übereinstimmung auf Grundlage ei-
ner Betonfamilie beurteilt wird, ist Kriterium 1 auf
(3.1.8) den Referenzbeton unter Berücksichtigung aller
transformierten Prüfergebnisse der Familie anzu-
mit
wenden; Kriterium 2 ist auf die ursprünglichen
R „Reife“, von der die Festigkeit abhängt, Prüfergebnisse anzuwenden.
'ti Intervalle der Erhärtungszeit bei gleicher Tem- Zum Nachweis, dass jeder einzelne Beton zur
peratur (in d oder h), Familie gehört, ist Kriterium 3 in Tabelle 3.1-14
Ti Betontemperatur im Intervall (in °C). nachzuweisen. Jeder Beton, der dieses Kriterium
nicht erfüllt, ist aus der Betonfamilie zu entfernen,
Der Formel ist zu entnehmen, dass bei –10°C die und seine Konformität ist gesondert nachzuweisen.
Reife Null ist; die Erhärtung hört auf. Die Reifefor- Zu Beginn ist die Standardabweichung aus min-
mel von Saul gilt nicht mehr für höheres Betonalter destens 35 aufeinander folgenden Prüfergebnissen
und nur beschränkt bei starker Temperaturbehand- zu berechnen, die in einem Zeitraum entnommen
lung. In Abb. 3.1-24 ist der Einfluss der Temperatur sind, der länger als drei Monate ist und der unmittel-
Abb. 3.1-24 Einfluss der Temperatur auf die Festigkeitsentwicklung von Beton [Walz 1964]
3.1 Baustoffe 1009
Tabelle 3.1-14 Bestätigungskriterium für einen Beton aus 0,63 · ı s15 1,37 · ı. (3.1.9)
einer Betonfamilie
Anzahl n der Kriterium 3 Falls der Wert s15 außerhalb dieser Grenzen liegt,
Prüfergebnisse für Mittelwert von n Ergebnisse
muss ein neuer Schätzwert V aus den letzten 35
die Druckfestigkeit (ƒcm) für einen einzelnen verfügbaren Prüfergebnissen ermittelt werden.
eines einzelnen Betons Beton der Betonfamilie – Verfahren 2: Der neue Wert für s darf nach
einem kontinuierlichen Verfahren geschätzt
– N/mm²
werden, und dieser Wert ist zu übernehmen. Die
2 ƒck – 1
Empfindlichkeit des Verfahrens muss mindes-
3 ƒck + 1
tens derjenigen des Verfahrens 1 entsprechen.
4 ƒck + 2 Der neue Schätzwert für V ist für die nächste
5 ƒck + 2,5 Nachweisperiode anzuwenden.
6 bis 14 ƒck + 3,0
15 ƒck + 1,48 ı Güteüberwachung
Nach DIN EN 206 Teil 1 muss der Hersteller eine
Produktionslenkung durchführen, die alle notwen-
bar vor dem Herstellungszeitraum liegt, innerhalb digen Maßnahmen umfasst, um die Qualität des
dessen die Konformität nachzuprüfen ist. Dieser Betons in Übereinstimmung mit den festgelegten
Wert ist als Schätzwert der Standardabweichung (V) Anforderungen zu sichern und zu steuern. Sie
der Gesamtheit anzunehmen. Die Gültigkeit des schließt Baustoffauswahl, Betonentwurf, Beton-
übernommenen Wertes ist während der folgenden herstellung, Überwachung und Prüfung von Aus-
Herstellung zu beurteilen. Zwei Verfahren sind für stattung, Rohstoffen, Herstellverfahren, Frischbe-
die Schätzung des Wertes für V zulässig, wobei die ton und Festbeton und ggf. Transport ein.
Wahl des Verfahrens im Voraus zu treffen ist: Die Produktionslenkung wird von einer aner-
kannten Überwachungsstelle oder dem Auftraggeber
– Verfahren 1: Der Anfangswert der Standardab- bewertet und überwacht. Hierzu stehen in Abhängig-
weichung darf für den folgenden Zeitraum an- keit von der beabsichtigten Verwendung des Betons
gewendet werden, innerhalb dessen die Konfor- vier Bewertungssysteme zur Verfügung, bei denen
mität zu überprüfen ist, vorausgesetzt, dass die die maßgebenden Eigenschaften des Betons vor Ort
Standardabweichung der letzten 15 Ergebnisse oder im Herstellungswerk überprüft werden.
(s15) nicht signifikant von der angenommenen
Standardabweichung abweicht. Dies wird unter Verformungseigenschaften
folgender Voraussetzung als gültig angesehen: Spannungs-Dehnungs-Beziehungen. Bei Einwirkung
einer äußeren Belastung setzen innere zwischen-
1010 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
molekulare Kräfte der Verformung des Betons Wi- konstanter Verformungsgeschwindigkeit wird die
derstand entgegen. Der Zusammenhang zwischen Steigung der Spannungs-Dehnungs-Linie zu Null.
Spannung und der von ihr in Beanspruchungsrich- Darüber hinaus ist die Energie, die bei der Rissbil-
tung ausgelösten Dehnung wird durch die Span- dung frei wird, größer als diejenige, die für die
nungs-Dehnungs-Linie beschrieben. Die inneren Rissbildung benötigt wird.
Bindungskräfte des Betons vermögen es nicht, nach Der Verlauf der Spannungs-Dehnungs-Linie ist
der äußeren Krafteinwirkung die ursprüngliche von zahlreichen Parametern abhängig (z. B. Beton-
Form wieder herzustellen, d. h., neben elastischen zusammensetzung, Druckfestigkeit, Alter, Hydra-
Vorgängen spielen bei der Belastung auch viskose tationsgrad, Belastungs- oder Verformungsge-
oder plastische Vorgänge eine Rolle. Der Beton wird schwindigkeit, Temperatur, Feuchtigkeit), so dass
daher als „viskoelastischer Stoff“ bezeichnet. es keine Linie gibt, die für alle Anwendungsfälle
Wird der Beton einachsig ohne Querdehnungs- gilt. Für die Bemessung von Stahlbeton geht man
behinderung belastet, folgt der Beton dem Hooke- deshalb von mittleren Werten aus. In DIN 1045 Teil
schen Gesetz näherungsweise bei kurzzeitig ein- 1 wird daher ein Parabel-Rechteck-Diagramm als
wirkender Druckbeanspruchung bis ca. 40% seiner idealisierte Spannungs-Dehnungs-Linie gewählt
Druckfestigkeit und bei kurzzeitig einwirkender mit einer maximalen Betondehnung max. Hc2u von
Zugbeanspruchung bis zu etwa 70% seiner Zugfes- 3,5‰ sowie einer Dehnung Hc2 von 2‰ und dem
tigkeit. Bei höheren Spannungen steigt die Deh- Grenzzustand der Tragfähigkeit fcd im Parabel-
nung überproportional, bei einer Entlastung ist nur scheitel, wobei sich fcd wie folgt berechnen lässt:
ein Teil der Verformung reversibel, d. h. elastisch.
Mit steigender Spannung nimmt der plastische Ver- (3.1.10)
formungsanteil zu. Nach dem Erreichen der auf-
mit
nehmbaren Höchstspannung, der Druck- bzw. der
Zugfestigkeit, nimmt die aufnehmbare Spannung Jc Teilsicherheitsbeiwert für Beton;
mit steigender Dehnung ab (Abb. 3.1-25). D Abminderungsbeiwert zur Berücksichtigung
Bei einer Spannung über ca. 70% bis 90% der von Langzeitwirkungen auf die Druckfestigkeit
Festigkeit, die etwa mit der Dauerstandfestigkeit sowie zur Umrechnung zwischen Zylinderdruck-
übereinstimmt, wird das Gefüge instabil: Die Risse festigkeit und einaxialer Druckfestigkeit des Be-
in der Verbundzone werden durch Risse im Ze- tons;
mentstein verbunden, das Volumen, das bisher fck charakteristische Druckfestigkeit am Zylinder
durch die Längsstauchung kleiner wurde, wächst nach 28 Tagen.
durch die größere Querdehnung wieder an, bei
E-Modul. Der E-Modul von Beton ist üblicherweise
als Sekantenmodul bei einer Spannung von etwa
30% der Festigkeit definiert. Der E-Modul sollte für
Konstruktionsbetone möglichst hoch sein, da eine
hohe Festigkeit bei kleinen Verformungen angestrebt
wird, während er bei Betonstraßen und Massenbe-
ton möglichst klein sein soll, um hohe Spannungen
bei Dehnungsbehinderung zu vermeiden. Aus die-
sem Grund ist es besonders wichtig, den E-Modul
gezielt zu beeinflussen. Ein kleiner Beton-E-Modul
kann bei relativ hoher Betonzugfestigkeit z. B. durch
Gesteinskörnungen mit niedrigem E-Modul oder bi-
tuminierte Zemente erreicht werden.
Bei gleicher Druckfestigkeit ist der E-Modul
Abb. 3.1-25 Spannungs-Dehnungs-Diagramme für von der Betonzusammensetzung, v. a. vom E-Mo-
druckbeanspruchte Betone verschiedener Festigkeits- dul der Matrix Em und der Gesteinskörnung Eg so-
klassen nach CEB-FIP MC 1990 [CEB 1991] wie vom Zementsteingehalt Vm abhängig. So liegt
3.1 Baustoffe 1011
der E-Modul des Zementsteins Em28 zwischen 6000 Zur Bestimmung der Kriechdehnung werden von
und 30000 N/mm2; er ist insbesondere vom w/z- der Gesamtdehnung das Schwinden und die elasti-
Wert, d. h. vom Zementsteinporenraum, abhängig. sche Dehnung abgezogen:
Darüber hinaus wird Em28 durch die Hydratations-
geschwindigkeit beeinflusst: Bei Zementen mit (3.1.12)
schneller Anfangserhärtung ist dieser E-Modul et-
was höher als bei solchen mit langsamer Anfangs- Die Größtwerte des Kriechens treten – besonders bei
erhärtung. Ebenfalls schwankt der E-Modul der dicken Bauteilen – erst nach mehrjähriger Belas-
Gesteinskörnung Eg für normale Gesteinskör- tung auf. Die Größe des Kriechens hängt im We-
nungen – aber auch für leichte Gesteinskörnungen sentlichen von der Belastungsdauer, den Umwelt-
– in weiten Grenzen. bedingungen, dem Zementsteinvolumen und dem
Erhärtungszustand (Reifegrad) bei der Belastung
Querdehnung. Zur Beschreibung mehraxialer Span- sowie von der Bauteildicke bzw. Prüfkörperab-
nungs- und Dehnungszustände ist es notwendig, das messung ab.
Hookesche Gesetz um die Querdehnungszahl , die Zur genaueren Erfassung des Kriechvorgangs
das elastische Materialverhalten neben dem E-Mo- ist es sinnvoll, die anteiligen Verformungsgrößen
dul beschreibt, zu erweitern. Die Querdehnungszahl anzugeben. Das Kriechen Hk setzt sich aus einem
ist der Quotient aus elastischer Querdehnung Hq und Fließanteil Hf und einem verzögert elastischen An-
elastischer Längsdehnung Hl, da im elastischen Be- teil Hvel zusammen.
reich das Verhältnis von Längs- und Querdehnung
konstant ist. Sie hängt im Wesentlichen von der Schwinden und Quellen. Beton verändert sein Volu-
Spannungshöhe sowie der Betonzusammensetzung, men bei einer Änderung des Feuchtegehalts. Trock-
vom Betonalter und vom Feuchtezustand des Be- net der Beton aus, so bezeichnet man diesen Vor-
tons ab. Im Bereich der Gebrauchsspannungen gang, der mit einer Volumenabnahme verbunden ist,
schwanken die Werte zwischen 0,15 und 0,25. auch als „Schwinden“. Bei einer Feuchtigkeitsauf-
nahme hingegen vergrößert der Beton sein Volumen;
Kriechen. Als „Kriechen“ werden i. Allg. zusam- dieser Vorgang wird auch als „Quellen“ bezeichnet.
menfassend die bleibenden und/oder zeitabhän- Nur bei dauernder Wasserlagerung tritt ein
gigen Formänderungen von Beton unter Dauerlast Quellen ohne vorherige Austrocknung auf. Erheb-
bezeichnet. Im Wesentlichen werden die Kriech- lich größer ist das Quellen nach vorausgehender
vorgänge auf die Bewegung und Umlagerung von Austrocknung; das Quellen beträgt etwa 40% bis
Wasser im Zementstein und damit verbundene 80% der vorhergehenden Schwindverformungen.
Gleitvorgänge zurückgeführt. Durch die äußere Für baupraktische Belange sind die Auswirkungen
Belastung werden die Wassermoleküle im Zement- des Quellens i. d. R. vernachlässigbar.
stein zum Platzwechsel gezwungen. Dazu kommen Schwinden ist bei wiederholtem Austrocknen
Gleit- und Verdichtungsvorgänge zwischen den deutlich geringer als bei erstmaligem Austrocknen,
Gelpartikeln. Diese Vorgänge können durch Ände- da nur ein kleiner Teil des Schwindens reversibel
rung des Feuchtegehalts (z. B. gleichzeitige Trock- ist. Da das Schwinden des Betons durch das
nung) beschleunigt werden. Schwinden des Zementsteins Hsm entsteht, hängt
Für die Kriechverformung Hk wird i. Allg. keine das Schwindmaß maßgeblich vom Zementsteinge-
absolute Größe angegeben und für die Verfor- halt Vm ab. Normale Gesteinskörnung schwindet
mungsberechnung verwendet. Zur Vereinfachung i. Allg. nicht. Nach [Pickett 1956] gilt
der rechnerischen Behandlung wird Hk häufig auf
die gleichzeitig auftretende Verformung Hel bezo- (3.1.13)
gen. Diesen zeitabhängigen Quotienten nennt man
Kriechzahl Der Exponent n ergibt sich aus der Behinderung
des Zementsteinschwindens durch den Zuschlag
(3.1.11) und wird daher in Abhängigkeit von den E-Moduln
und Querdehnungszahlen von Beton und Zuschlag
1012 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
angegeben. Er kann für normalen Kiessand mit 1,5 mit Kalkstein als Gesteinskörmnung bei wasserge-
angenommen werden. Das Schwinden ist also bei sättigtem Beton mit hohem Gesteinskörnungsge-
gleicher Matrix, gleichem Zuschlag und gleichem halt. Bei Schwerbeton mit Baryt als Gesteinskör-
Austrocknungsverlauf zunächst dem Matrixvolu- nung kann der Wärmedehnkoeffizient bis auf
men proportional, das Schwindmaß wird aber dar- 20·10-6 K steigen.
über hinaus durch den nicht schwindenden Zu- Eine der Voraussetzungen für die Anwendung
schlag behindert und dadurch verringert. des Verbundbaustoffs Stahlbeton ist die gleiche
Darüber hinaus wird das Schwinden von der Bau- Größe der Wärmedehnkoeffizienten von Beton
teildicke beeinflusst. Das Endschwindmaß wird bei und Stahl. Die Wärmeleitfähigkeit des Stahles ist
dünneren Bauteilen schon nach ein bis zwei Jahren, jedoch rd. 30 mal größer als die von Beton, d. h.,
bei dickeren Bauteilen erst nach einer wesentlich die Temperatur und die Dehnung des Stahls än-
längeren Zeit, erreicht. Es ergibt sich für die betrach- dern sich schneller als die des Betons, was bei
tete Richtung aus dem Verhältnis der unter den vor- schnell ablaufenden Temperaturänderungen (z. B.
handenen Umweltbedingungen größten Schwind- bei Bränden) zu hohen Zwängungsspannungen
verkürzung 'l zur ursprünglichen Länge l0. führen kann. Auch bei Verbindung von Stahl und
Beton außerhalb der Stahlbetonkonstruktion (z. B.
(3.1.14) bei Brückengeländern) kann dies zu Schäden füh-
ren, denen man durch Verschieblichkeit des Gelän-
ders und Aussparungen zwischen Geländerpfosten
Das Endschwindmaß ist folglich abhängig von der und Beton begegnen muss.
Betonzusammensetzung, den Umweltbedingungen
und der wirksamen Bauteildicke. Für ein 30 cm di- Umweltverträglichkeit
ckes Bauteil, das nach zwei Seiten austrocknet, be- Als Aspekte der Umweltverträglichkeit von mine-
trägt es für ein trockenes Innenbauteil ca. 45·10-5 ralischen Baustoffen kommen im Wesentlichen das
und für ein Außenbauteil etwa 30·10-5. Auswaschen von Salzen, Laugen und Schwerme-
tallen sowie die radioaktive Strahlung in Betracht.
Wärmedehnung. Die Wärmedehnzahl Dt ist das Ver-
hältnis der Wärmedehnung Ht zur Temperaturände- Schwermetalle. Schwermetalle, die in Spuren so-
rung 't. wohl im Zement als auch in Zumahl- bzw. Zusatz-
stoffen (Hüttensand, Flugasche) vorkommen, kön-
(3.1.15) nen bei dauerndem Kontakt von Beton mit Wasser
(z. B. Gründungen im Grundwasser) aus dem Fest-
Die Wärmedehnzahl Dt von Beton ist im Wesent- beton ausgewaschen werden. Allerdings sind die
lichen abhängig vom Schwermetalle z. T. fest in die Mineralphasen des
Zementsteins eingebunden und damit inmobili-
– Wärmedehnkoeffizienten des Zementsteins Dm,
siert. Die löslichen Anteile müssen durch den rela-
der zwischen 8·10-6 und 23·10-6 K-1 liegt und
tiv dichten Beton diffundieren und können nur
besonders vom Feuchtegehalt bestimmt wird,
über die Betonoberflächen an den Baugrund bzw.
– Wärmedehnkoeffizienten der Gesteinskörnung
das Grundwasser abgegeben werden. Zusammen-
Dg, der zwischen 4·10-6 und 12·10-6 K-1 je nach
fassend ist festzustellen, dass Betone üblicher Zu-
Art der Gesteinskörnung liegt,
sammensetzung bezüglich der Auslaugung von
– Zementstein- bzw. Gesteinskörnungsgehalt Vm
Schwermetallen unkritisch sind.
bzw. Vg.
Der Wärmedehnkoeffizient des Betons schwankt Chromatproblematik. Zemente enthalten Spuren von
dadurch zwischen 5·10-6 und 14·10-6 K-1, wobei Chromat (Chrom (VI)). Nach derzeitigem Erkennt-
Art der Gesteinskörnung und die Menge den größ- nisstand ist nicht auszuschließen, dass das Chro-
ten Einfluss haben. Den größten Wert erreicht man mat die Ursache von Hautsensibilisierungen beim
mit Quarzit bei lufttrockenem Beton mit einem häufigen Umgang mit Frischbeton und Mörtel ist
niedrigen Gesteinskörnungsgehalt, den kleinsten (Maurerekzem). Zur Vermeidung solcher Ekzeme,
3.1 Baustoffe 1013
die in Fällen extremer Empfindlichkeit bis zur Be- Verwertung. Häufig sind im Bauschutt neben Beton
rufsunfähigkeit führen können, ist bei berufsbe- und Mauersteinen Mauermörtel, Estriche, Putze und
dingt häufigem Umgang mit Frischmörtel und keramische Erzeugnisse wie Dachpfannen und Flie-
Frischbeton das Tragen von Schutzhandschuhen sen enthalten. Hinzu kommen Nebenbestandteile
empfehlenswert. Im Festbeton wird das Chromat wie Metalle, Asphalt, Holz, Kunststoffe, Glas, Gips
in die Zementsteinmatrix eingebunden und stellt und Dämmstoffe, die je nach Verwendungszweck als
i. d. R. kein Gesundheits- und Umweltrisiko dar. Verunreinigungen anzusehen sind. Von den herge-
Wegen diesem Risiko sind in Deutschland aus- stellten 50 Mio. t Recycling-Baustoffen wurden rd.
schließlich chromat-reduzierte Zemente im Markt. 33 Mio. t im Straßenbau und rd. 12 Mio. t im Erdbau
eingesetzt. Der Anteil der Recycling-Baustoffe für
Radioaktivität. Jedes Baumaterial natürlicher oder die Verwendung als Gesteinskörnung nach DIN
künstlicher Art hat eine natürliche Radioaktivität, die 4226 Teil 100 lag bei 2,4 Mio. t. Zukünftig ist mit
im Wesentlichen aus den Radionukliden der Uran/ einer weiteren Zunahme an Bauschutt zu rechnen.
Radium- und Thorium-Zerfallsreihen sowie aus Ka- Schätzungen zufolge wird bis zum Jahr 2020 allein
lium-40 resultiert. In beiden Zerfallsreihen entsteht die jährliche Betonabbruchmenge auf etwa 100 Mio.
auch das Edelgas Radon. Diese natürliche Radioakti- t steigen [Rahlwes 1991].
vität der Baumaterialien liefert einen Beitrag zur Um als Baustoff bzw. als Sekundärrohstoff zur
Strahlendosis beim Aufenthalt in Gebäuden. Herstellung von Baustoffen geeignet zu sein, muss
Der weitaus überwiegende Teil der Strahlenex- recyceltes Material drei grundsätzlichen Anforde-
position in Häusern wird durch die Inhalation der rungen genügen:
radioaktiven Edelgase Radon-222 und Radon-220
– Der Baustoff muss die für den jeweiligen Ver-
(auch Thoron genannt) bzw. ihrer Folgeprodukte
wendungszweck gültigen Anforderungen und
hervorgerufen. Bezüglich der Radonexhalation aus
Regeln erfüllen.
Baustoffen ist aber nachgewiesen, dass alle Außen-
– Der Baustoff muss umweltverträglich sein, d. h.,
wandstoffe (Beton, Mauerwerk) um Größenord-
von ihm darf keine Gefährdung für die Schutz-
nungen mehr Radon aus dem Boden abschirmen
güter Boden, Wasser oder Luft ausgehen (z. B.
als sie an die Innenräume abgeben. Wenn erhöhte
Auslaugung von Schwermetallen).
Radonkonzentrationen insbesondere in Kellerräu-
– Die Verwendung des Baustoffs muss wirtschaft-
men auftreten, sind die angrenzenden Böden die
lich sein (im Vergleich zu herkömmlichen (pri-
Quellen. Wirkungsvollste Maßnahme ist der Luft-
mären) Rohstoffen).
austausch durch Lüften.
Aus diesem Grund werden die versprödend wir- hat die Zugabe von Mangan. Ein Teil des SiO2
kenden Eisenbegleiter aus dem Eisen entfernt. wird mit der Schlacke entfernt. Wegen der fehlen-
Der Kohlenstoff wird dem Eisen durch Oxidati- den Badbewegung bleiben die Verunreinigungen
on entzogen. Der zugeführte Sauerstoff überführt und ein Großteil des verbleibenden SiO2 wesent-
den Kohlenstoff in CO oder CO2, die als Gas aus lich gleichmäßiger über den Stahlquerschnitt ver-
dem flüssigen Eisen entweichen. Die anderen Ei- teilt. Allerdings entsteht auch keine ausgeprägte
senbegleiter werden in Oxide umgewandelt, die verunreinigungsarme Randzone, so dass die Quali-
sich als Schlacke auf der Schmelze sammeln. In tät der Stahloberfläche nicht so gut ist wie bei un-
der Vergangenheit wurden bei der Stahlerzeugung beruhigt vergossenen Stählen. Da der Stahlguss
zur Kohlenstoffoxidation Frischverfahren wie das beim Abkühlen schrumpft (bis zu 3 Vol.-%), bildet
Thomas- und das Siemens-Martin-Verfahren durch- sich am Kopf des Blockes ein Hohlraum, der vor
geführt. Heute wird der Großteil des aus Roheisen dem Walzen abgetrennt werden muss, um Dopp-
erzeugten Stahls im Sauerstoffblasverfahren her- lungen (Werkstofftrennungen) zu vermeiden.
gestellt, bei dem der Sauerstoff mittels einer Lanze Bei der dritten Vergießungsart erhält man durch
von oben durch die Schlackeschicht in das flüssige zusätzliche Zugabe von Aluminium zu Silizium
Roheisen geblasen wird. und Mangan besonders beruhigten Stahl (RR). Das
Durch das Frischen kommt der Stahl mit erheb- Aluminium hat eine hohe Affinität zu Sauerstoff
lichen Mengen Sauerstoff in Berührung und kann und reagiert mit dem restlichen Sauerstoff zu Ton-
im flüssigen Zustand große Gasmengen aufneh- erde (Al2O3). Die feinverteilten Tonerdeeinschlüs-
men. Da hohe Sauerstoffgehalte den Stahl ab 0,03 se wirken bei der Erstarrung als Kristallisations-
M.-% jedoch alterungsempfindlich und ab 0,07 keime, so dass sich ein reiner, feinkörniger und
M.-% rotbrüchig machen, muss der Sauerstoff der zäher Stahl ausbildet, der sich gut verformen und
Stahlschmelze wieder entzogen werden; d. h., die schweißen lässt. Da das Aluminium auch Stick-
Stahlschmelze muss desoxidiert werden. stoff abbindet, erhöht sich die Alterungsbeständig-
Je nach Grad der Desoxidation unterscheidet keit des Stahls.
man bei den Vergießungsarten zwischen unberu- In den Industrienationen hat der Strangguss den
higtem (U), beruhigtem (R) und besonders beru- Blockguss inzwischen zu über 90% ersetzt. Wäh-
higtem (RR) Stahl. Die Vergießungsarten beschrei- rend beim Blockguss der flüssige Stahl in eine un-
ben das unterschiedliche Erstarrungsverhalten der ten geschlossene Kokille gefüllt wird, dort als
Stahlschmelze. Beim unberuhigten Vergießen wird Block erstarrt und in vielen weiteren Schritten um-
der Stahl zum Erstarren in Blöcke gegossen. Au- geformt werden muss, wird er beim Strangguss in
ßen entsteht zunächst relativ reiner Stahl, während eine oben und unten geöffnete Durchlaufform ge-
die im Kern befindliche Restschmelze mit Verun- gossen. Die Querschnittsform eines Stranges wird
reinigungen angereichert ist. Bei weiterer Abküh- durch das herzustellende Fertigerzeugnis und den
lung sinkt die Löslichkeit des Sauerstoffs; er schei- dazu notwendigen Verarbeitungsweg bestimmt.
det sich aus und reagiert mit dem vorhandenen Das Stranggussverfahren eignet sich nicht für un-
Restkohlenstoff der Stahlschmelze zu CO. Letzte- beruhigte Stähle, da im Strang ein Entweichen der
res steigt in Form von Blasen auf, bringt so die Gase nicht möglich ist.
Schmelze in Bewegung und reißt vorhandene Ver- Neben der klassischen Stahlherstellung im
unreinigungen zur Mitte und nach oben hin mit. Hochofen wird Stahl auch im Elektroverfahren
Dadurch kommt es im Kern und am Kopf des hergestellt. Hierbei wird als Rohstoff nicht oxi-
Stahlblocks zu unerwünschten Anhäufungen von disches Eisenerz, sondern Stahlschrott verwendet.
Kohlenstoff, Phosphor und Schwefel, die als „Sei- Wegen dieser Möglichkeit des Recyclings gewinnt
gerungen“ (Entmischungen) bezeichnet werden. das Verfahren immer mehr an Bedeutung. Beim
Beim beruhigten Vergießen (R) wird der Schrott muss unterschieden werden zwischen
Schmelze Silizium zugegeben, mit dem der Sauer- Eigenschrott, der in der Produktion oder der Wei-
stoff als SiO2 chemisch gebunden wird. Da die terverarbeitung anfällt, und Altschrott (z. B. von
CO-Bildung unterbleibt, erstarrt die Schmelze ru- Autos). Im Gegensatz zu Altschrott ist die Zusam-
hig. Gleichartige, wenn auch schwächere Wirkung mensetzung von Eigenschrott bekannt, entspre-
1018 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
chend kann er problemlos wieder eingesetzt rit“ bezeichnet. Die dunkleren Körner zeigen unter
werden. Altschrott ist durch Begleitelemente wie weiterer Vergrößerung ein streifiges Aussehen und
Kupfer und Zinn aus Überzügen verunreinigt. Der werden als „Perlit“ bezeichnet. Die dunklen Strei-
aufbereitete (zerkleinerte), vorgewärmte und ge- fen im Perlit bestehen aus Eisenkarbid (Fe3C),
trocknete Schrott wird im Elektroofen mittels elek- das härter ist und auch „Zementit“ genannt wird.
trischer Energie durch einen Lichtbogen zwischen Dieses ist in das weichere kohlenstofffreie Ferrit
Schrott und Graphitelektroden zum Schmelzen ge- (Fe) eingebettet (helle Streifen).
bracht. Verunreinigungen infolge von Brennstoff- Der Kohlenstoff ist also in den dunklen Streifen
gasen können nicht entstehen und der Lichtbogen des Perlits, im harten Zementit enthalten. Der Koh-
verringert den Sauerstoffgehalt im Stahl. lenstoffgehalt des Zementits beträgt 6,7%. Da der
Anteil des Zementits an den Perlitkörnern stets
gleich ist, ergibt sich für die Perlitkörner ein Koh-
3.1.4.3 Gefüge, Härten, Anlassen, Glühen
lenstoffgehalt von 0,8%, so dass sich der Kohlen-
Beim Abkühlen aus der Schmelze kristallisiert das stoffgehalt des Stahls aus dem Gefügebild abschät-
Eisen, d. h., die Atome ordnen sich in regelmäßiger zen lässt.
räumlicher Anordnung zu Kristallen. Bei weiterer Die Gefügebilder in Abb. 3.1-26 entstehen nur
langsamer Abkühlung wandeln sich diese Kristalle bei langsamer Abkühlung. Das bei hoher Tempera-
um. Die Umwandlungstemperaturen und die dabei tur entstehende J-Mischkristall wird als „Austenit“
auftretenden Kristallmodifikationen, die sog. „Pha- bezeichnet und kann viel Kohlenstoff aufnehmen.
sen“, sind maßgeblich von der chemischen Zusam- Bei tieferen Temperaturen ist das J-Mischkristall
mensetzung des Eisens abhängig (Abb. 3.1-26). nicht mehr beständig und bildet sich in das D-
Bei Stahl trifft dies in erster Linie für den Kohlen- Mischkristall (Ferrit) um, das jedoch nur wenig
stoffgehalt zu. Das Gefüge des Stahls setzt sich Kohlenstoff aufnehmen kann. Der freiwerdende
aus vielen Kristallen zusammen, die zur besseren Kohlenstoff führt dann zur Bildung von Zementit
Unterscheidung von den atomaren Kristallen als (Fe3C). Dieser Vorgang wird als „Perlitbildung“
„Körner“ bezeichnet werden und z. B. bei Zink auf bezeichnet. Da die notwendigen Kohlenstofftrans-
der Oberfläche sichtbar sind. portvorgänge im Wesentlichen auf Diffusion beru-
Das Gefüge ist von unterschiedlichen Faktoren hen und die Modifikation vom J- zum D-Misch-
abhängig: der chemischen Zusammensetzung des kristall bereits im erstarrten Gitter stattfindet,
Eisens, der Wärmebehandlung und der Art der Ver- braucht dieser Prozess Zeit, d. h. eine geringe Ab-
arbeitung, die der Stahl bis zu seiner endgültigen kühlungsgeschwindigkeit.
Gestaltung erhält. Die Größe der „Körner“ wird Die Umwandlungsvorgänge für eine unendlich
hauptsächlich durch die Abkühlungsgeschwindigkeit langsame Abkühlung sind im eisenreichen Ab-
bestimmt; so haben die Körner bei langsamer Abküh- schnitt des Eisen-Kohlenstoff-Diagramms in Abb.
lung Zeit zu wachsen, und es bildet sich Grobkorn. 3.1-26 dargestellt. Bei einem C-Gehalt von 0,8%
Bei schneller Abkühlung bilden sich sehr viele kleine wird Austenit bei 723°C vollständig in Perlit um-
„Körner“ aus, es kommt zur Feinkornbildung. gebaut, und der Stahl hat ein 100% perlitisches
Das Gefüge des Stahls lässt sich an geschlif- Gefüge. Wenn sich der C-Gehalt unter 0,8% befin-
fenen und geätzten Proben mit „einfacher“ Vergrö- det, so liegt bei hohen Temperaturen zunächst wie-
ßerung erkennen. Die Korngrößen liegen bei sehr derum nur Austenit vor. In Abhängigkeit vom
feinkörnigem Gefüge unterhalb von 0,01 mm und Kohlenstoffgehalt findet bei Abkühlung auf der
bei grobkörnigem bei maximal 0,5 mm; sie sind Linie G-S teilweise eine Umwandlung des Auste-
bei überhitztem Stahl sogar mit bloßem Auge zu nits in Ferrit statt. Bei 723°C vollzieht sich dann
erkennen. die Umwandlung des verbliebenen Austenit-Misch-
Bei der Betrachtung von langsam abgekühltem kristalls in Perlit, so dass in Abhängigkeit vom
Stahl unter dem Mikroskop erkennt man helle und Kohlenstoffgehalt ein Mischgefüge aus Perlitkör-
dunkle Körner (vgl. Abb. 3.1-26). Die hellen Kör- nern und Ferritkörnern vorliegt.
ner sind kohlenstofffrei und bestehen im Wesent- Erfolgt die Abkühlung jedoch plötzlich, haben
lichen aus reinem Eisen (Fe); sie werden als „Fer- die Kristalle nicht mehr genügend Zeit, sich zu mo-
3.1 Baustoffe 1019
difizieren. Wenn die Abkühlung stattfindet, bevor genügend Zeit, seinen Platz zu verlassen und nimmt
die Umwandlung des C-reichen J-Mischkristalls be- zwangsweise einen Zwischengitterplatz ein, in den
gonnen hat, wird dieser Zustand, der eigentlich nur es wegen seiner Größe nicht passt, wodurch das Git-
bei hohen Temperaturen bestehen möchte, bei Zim- ter verspannt wird. Diese Form des D-Mischkristalls
mertemperatur festgehalten. Es stellt sich dann nicht wird „Martensit“ genannt. Martensitischer Stahl er-
mehr Stahl mit fleckenweise verteiltem Kohlenstoff hält mit zunehmender Abkühlungsgeschwindigkeit
in Perlitkörnern ein, sondern ein Stahl, in dem der höhere Festigkeiten. Gleichzeitig nimmt die plasti-
Kohlenstoff gleichmäßig verteilt ist. Beim schnel- sche Verformbarkeit ab; sie ist geringer als die eines
len Abkühlen klappen die Eisenatome des flächen- Stahls gleicher chemischer Zusammensetzung, der
zentrierten J-Mischkristalls schlagartig in das raum- langsam abgekühlt worden ist.
zentrierte D-Mischkristall um. Das dort befindliche Man nennt den Vorgang des plötzlichen Abküh-
Kohlenstoffatom hat bei schneller Abkühlung nicht lens „Härten“ – der Stahl ist gehärtet. Je höher der
1020 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
Kohlenstoffgehalt ist, desto höher ist die Härtbar- Eigenschaften ausschlaggebend. Jedoch lässt sich
keit. Die Wirkung des Härtens ist an der Oberflä- der Einfluss nur qualitativ vorhersagen, da sich die
che wegen der höheren Abkühlungsgeschwindig- Legierungselemente in ihrer Wirkung nicht rein
keit am größten und nimmt zur Mitte hin ab. Bei additiv verhalten. Tabelle 3.1-15 gibt einen Über-
erneutem Erwärmen auf Temperaturen unter 700 blick über den Einfluss der Legierungselemente.
°C und sogar bereits ab 100°C werden die beim
Härten aufgebauten inneren Spannungen deutlich Festigkeits- und Verformungsverhalten
abgebaut. Da es beim gehärteten Stahl schwierig Die grundlegenden mechanischen Kennwerte eines
ist, die Bildung des Martensits exakt zu steuern, Stahls werden im einachsigen Zugversuch be-
erwärmt man den Stahl nach dem Härten auf Tem- stimmt. Da das Verhalten stark von der Probengeo-
peraturen zwischen 100°C und 300°C, wobei sich metrie abhängt, sind die Prüfkörperformen z. B. in
ein Teil des Kohlenstoffs aus der Zwangslage löst, DIN 50125 genormt. Während des Versuchs wird
die Eigenspannungen abnehmen und der Stahl die Belastung langsam quasistatisch gesteigert, bis
wieder zäher wird. Diese Erwärmung nach dem es zum Bruch kommt. In der Spannungs-Deh-
Härten heißt „Anlassen“. Den kombinierten Pro- nungs-Linie wird der Verlauf der Nennspannung V
zess aus Härten und Anlassen bezeichnet man als über die Dehnung H aufgezeichnet (Abb. 3.1-27).
„Vergüten“. Hierbei werden neben der Festigkeit auch Ver-
Beim Glühen wird der Stahl erneut auf Tempe- formungskennwerte bestimmt, die für die Beurtei-
raturen zwischen 500°C und 700°C erwärmt und lung des Werkstoffverhaltens notwendig sind. Bis
dann langsam abgekühlt. Hierdurch ergibt sich ein zu einer bestimmten Spannung zeigen Stähle ein
rekristallisiertes, spannungsarmes Gefüge mit ge- rein elastisches Verhalten, bei dem nur Verzer-
ringer Zugfestigkeit und höherer Zähigkeit. Auf rungen im Gitter entstehen, die sich bei Entlastung
diese Weise können beispielsweise geschweißte sofort und vollständig zurückbilden. Der elastische
Bauteile bei 650°C im Bereich der Schweißnaht Bereich ist durch einen linearen Anstieg der Deh-
wieder spannungsfrei geglüht werden. nung H mit der Spannung V gekennzeichnet und
wird durch einen Verhältnisfaktor ausgedrückt,
den Elastizitätsmodul E. Der lineare Zusammen-
3.1.4.4 Mechanische Eigenschaften
hang wird auch als „Hookesches Gesetz“ bezeich-
Einfluss der Legierungselemente net (gilt nur im elastischen Bereich):
Im Gegensatz zu den Eisenbegleitern, die während
der Stahlherstellung unbeabsichtigt aufgenommene (3.1.16)
Bestandteile sind, werden Legierungselemente dem
Stahl in genauen Mengen zugesetzt, um gewünsch- mit EStahl=210000 N/mm2.
te Eigenschaften zu erzeugen oder zu verbessern. Der elastische Bereich endet bei der Proportio-
Für bestimmte Legierungselemente gelten Stahl- nalitätsgrenze, also bei dem Punkt, bis zu dem
sorten bereits als legiert, wenn der Gehalt des Le- Spannung und Dehnung proportional sind. Daran
gierungselements 0,05M.-% übersteigt. Die Viel- schließt sich eine mehr oder weniger gekrümmte
falt der Legierungselemente erlaubt Eigenschafts- Linie an, die von einem zunehmenden Anteil plas-
änderungen des Stahls in großem Umfang. Die tischer Verformung geprägt ist. Da dieser Über-
Kenntnis darüber ist für die Erzielung bestimmter gangspunkt messtechnisch schwer zu erfassen ist,
(3.1.18)
Abb. 3.1-28 Festigkeit und Verformungsverhalten von Stahl in Abhängigkeit vom C-Gehalt
Bei sehr niedrigen Temperaturen (z. B. im Flüs- wiederholen. Durch unterschiedliche Beanspru-
siggas-Behälterbau) nehmen die Streckgrenze, die chungshöhen und -wechsel, die zusätzlich in ihrem
Zugfestigkeit und auch die Dauerfestigkeit zu. Die zeitlichen Verlauf variieren, stellt sich das Gebiet
Dehnungswerte nehmen dabei bis etwa –150°C ge- der Schwingungsfestigkeiten als ein sehr kom-
ringfügig ab [Rostasy u. a. 1982]. Werden die Tem- plexes dar. Nach vielen Spannungszyklen kommt
peraturen weiter gesenkt, fallen die Dehnungswerte es im Stahl an Gitterversetzungen zu Mikroriss-
jedoch sehr stark ab und der Stahl wird spröde. bildungen, die in einen verformungslosen Ermü-
dungsbruch übergehen können. Diese Ermüdungs-
Festigkeiten unter schwingender brüche können bei Spannungen deutlich unterhalb
Beanspruchung der Streckgrenze auftreten. Da diese aber üblicher-
Schwingende Beanspruchungen sind zeitlich ver- weise zur Bemessung herangezogen wird, muss
änderliche Beanspruchungen, die sich regelmäßig für dynamisch beanspruchte Bauteile unbedingt
3.1 Baustoffe 1023
3.1.4.5 Schweißen
Schweißen ist das Verbinden von metallischen Bau-
teilen unter Wärmeanwendung oder Druck durch
Aufschmelzung der Werkstoffe im Kontaktbereich
allein oder unter Hinzugabe eines Schmelzwerk-
Abb. 3.1-30 Darstellung der Schwingfestigkeit im
Wöhler-Diagramm stoffs, um eine unlösbare Verbindung zu schaffen.
Grundsätzlich gibt es zwei Gruppen von Schweiß-
verfahren, das Schmelzschweißen (E, M) und das
auch ein Nachweis für die Ermüdungsfestigkeit er- Pressschweißen (RP, RA). Beim Schmelzschweißen
bracht werden. wird die Lücke der zu verschweißenden Bauteile
Im Labor wird der Nachweis der Schwingfestig- durch örtliches Aufschmelzen oberhalb der Liqui-
keit von Stählen mittels einer sinusförmigen Bean- duslinie geschlossen. Beim Pressschweißen werden
spruchung simuliert. Diese ist gemäß Abb. 3.1-30 die Flächen der zu verschweißenden Bauteile bis
gekennzeichnet durch einen Mittelwert Vm und den zum Teigigwerden unterhalb der Soliduslinie er-
Spannungsausschlag oder die Amplitude Va mit wärmt und dann durch Druck verbunden.
der Periodendauer T. Bei der Prüfung der Schwing- Beim Punktschweißverfahren (RP) werden auf-
festigkeit werden verschiedene Proben mit glei- einanderliegende Bauteile unter Druck mit Schweiß-
cher Mittelspannung und variierenden Spannungs- punkten verbunden. Strom und Kraft werden durch
ausschlägen geprüft, dabei wird die Zahl der Elektroden aufgebracht. Das Verfahren wird z. B.
Schwingspiele bis zum Bruch festgehalten. Trägt bei Gitterschweißautomaten zur Fertigung von Be-
man für eine gewählte Mittelspannung den jewei- tonstahlmatten angewendet.
ligen Spannungsausschlag über die bis zum Bruch Im Abbrennstumpfschweiß-Verfahren (RA) wer-
erzielte Schwingspielzahl auf, so erhält man das in den gedrungene Bauteile unter Strom gesetzt und
Abb. 3.1-30 gezeigte Wöhler-Diagramm. die Stirnflächen unter leichtem Berühren erwärmt.
Bei kleinen Spannungsausschlägen kann die Le- Dabei kommt es unter Lichtbogenbildung zum ört-
bensdauer sehr lang werden. Unterhalb eines be- lichen Abbrennen sowie durch schlagartiges Stau-
stimmten Spannungsausschlages tritt kein Bruch chen zum Verschweißen der Teile.
mehr auf. Dies ist der Bereich der Dauerschwingfes- Beim Lichtbogenhandschweißen (E) brennt der
tigkeit. Für Stahl gilt die Spannungsamplitude von Lichtbogen sichtbar zwischen einer abschmel-
Prüfkörpern, die eine Anzahl von 2·106 Schwing- zenden umhüllten Stabelektrode, die gleichzeitig
spielen ohne Bruch ertragen, als Dauerschwingfes- Schweißzusatzstoff liefert, und dem Bauteil ab.
tigkeit bei der vorgegebenen Mittelspannung. Grö- Gegen die Atmosphäre wird das Schweißgut durch
ßere Spannungsamplituden führen zu kürzerer Le- Stoffe abgeschirmt, die von der Ummantelung der
bensdauer. Erheblichen Einfluss haben zudem der Stabelektrode gebildet werden. E-Schweißen ist
Spannungshorizont und das Verhältnis zwischen Mit- für Baustähle jeder Art und auch für schweißgeeig-
telspannung und Spannungsausschlag. Je nach Lage nete Betonstähle in der Werkstatt und auf der Bau-
des Spannungshorizonts unterscheidet man Zug- stelle üblich, da nur eine einfache apparative Aus-
oder Druckschwellbeanspruchung, bei der die Probe stattung nötig ist.
nur auf Zug oder Druck beansprucht wird, oder Beim Metallschutzgasschweißen (M) brennt der
Wechselbeanspruchung, bei der die Probe auf Zug Lichtbogen sichtbar zwischen der abschmelzenden
und Druck beansprucht wird. Die Dauerschwingfes- Drahtelektrode und dem Bauteil. Elektrode, Licht-
tigkeit hängt neben den Stahleigenschaften auch von bogen und Schweißbad werden gegen die Atmo-
1024 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
sphäre durch ein eigens zugeführtes inertes oder ak- Tabelle 3.1-16 Schweißeignung nach DIN 8528
tives Schutzgas abgeschirmt. Das Metallschutzgas-
schweißen wird nach der Art des Schutzgases in
Metall-Inertgasschweißen (MIG) und Metall-Aktiv-
gasschweißen (MAG) unterschieden. Im Unter-
schied zum E-Schweißen sind MIG und MAG Hoch-
leistungsschweißverfahren, die für hohe Schweiß-
geschwindigkeiten geeignet sind.
Die Schweißbarkeit eines Bauteils ist gegeben,
wenn die Verbindung durch Schweißen mit einem
geeigneten Schweißverfahren bei Beachtung eines
geeigneten Fertigungsablaufs erreicht werden kann.
Die geschweißte Konstruktion muss die für das
Bauteil geltenden Anforderungen erfüllen. Die we-
sentlichste Voraussetzung ist eine dauerhafte Ver-
bindung mit ausreichender Verformbarkeit nach Abb. 3.1-31 Wärmeeinflusszone beim Schweißen
dem Schweißen, um Trennbrüche zu vermeiden.
Unter dem Begriff „Schweißbarkeit“ werden die
Schweißeignung des Werkstoffs, die Schweißmög- bedenken, dass sich alle drei Einflussgrößen gegen-
lichkeit der Fertigung und die Schweißsicherheit seitig beeinflussen und dass jede einzelne Einfluss-
der Konstruktion zusammengefasst. größe die Schweißbarkeit minimierend beeinflusst.
Die Schweißeignung ist eine Stoffeigenschaft und Tabelle 3.1-16 gibt an, wie der Herstellungspro-
gegeben, wenn chemische, metallurgische und phy- zess die Schweißeignung von Baustählen beein-
sikalische Eigenschaften des Stahls eine Schwei- flusst. So spielen Seigerungen nur für unberuhigten
ßung entsprechend den Anforderungen grundsätzlich Stahl eine Rolle. Die Neigung zum unbeabsichtig-
ermöglichen. Im Allgemeinen bedeutet dies, dass ten Härten ist nur für hochfesten S 355 (früher
das nach dem Schweißen entstehende Gefüge noch St 52) zu beachten. Die Schweißeignung ist so viel-
ausreichend verformbar sein muss. Je mehr der Stahl fältig, da es an der Schweißstelle beim Schweißen
bei der Festlegung der Schweißverbindungsart und zu mehreren Beanspruchungen und Veränderungen
deren Ausführung beachtet werden muss, desto kommt. Der Werkstoff wird örtlich zum Schweißgut
schlechter ist die Schweißeignung des Stahls. aufgeschmolzen, welches aus Grundwerkstoff und
Die Schweißmöglichkeit gibt an, ob die jewei- ggf. Schweißzusatzstoff besteht. Dabei werden im
lige Verbindung mit den gewählten Fertigungsbe- Schweißgut hohe Temperaturen (bis 2000°C) mit
dingungen hergestellt werden kann. Sie betrifft extrem hohen Aufheiz- und Abkühlungsraten er-
Vorbereitung, Ausführung und Nachbehandlung reicht. Hierdurch gewinnt die Temperatur auch in
der Schweißarbeiten. benachbarten Bereichen Einfluss. Den Bereich, in
Die Schweißsicherheit lässt sich nicht allein aus dem es durch das Schweißen zu Gefügeänderungen
der Stoffeigenschaft Schweißeignung begründen, kommen kann, bezeichnet man als „Wärmeeinfluss-
sondern ist eine konstruktive Eigenschaft, die der zone“ (Abb. 3.1-31). Im Schweißgut oberhalb der
Stahlhersteller nicht beeinflussen kann. Sie ist Soliduslinie I liegen Verhältnisse vor, wie sie bereits
vielmehr durch den Verarbeiter beeinflussbar und vom Erstarren der Schmelze bekannt sind. Verunrei-
hängt von der konstruktiven Gestaltung wie Blech- nigungen können die Zähigkeit verringern.
dicke, Nahtanordnung und Nahtart ab. Auch der Aufgrund der hohen Gaslöslichkeit des flüssigen
Beanspruchungszustand des Bauteils beeinflusst Schweißgutes können die Gase nur unvollständig
die Schweißsicherheit. ausgeschieden werden. Sie verursachen Mikroseige-
Grundsätzlich sind fast alle Konstruktionen aus rungen, Poren und atomare Lösungen, die bei Was-
fast allen Stahlgüten schweißbar, wenn die metall- serstoff und Stickstoff gefährlich sind. Aus diesem
urgischen Zusammenhänge und Fragen der Schweiß- Grund werden atmosphärische Gase möglichst vom
möglichkeiten beachtet werden. Es ist wichtig zu Schweißgut ferngehalten (z. B. mit Hilfe von Schutz-
3.1 Baustoffe 1025
gasen). Aufgrund der hohen Temperaturen entsteht währte deutsche Werkstoffnummernsystem unver-
im schmelznahen Bereich II grobkörniges Gefüge ändert in den Teil 2 des europäischen Normen-
mit geringer Zähigkeit. Im Bereich III kommt es zur werks übernommen, bei dem für jede Stahlsorte
Perlitumwandlung. Da Perlit einen C-Gehalt von eine Nummer in Anlehnung an die chemische Zu-
0,8% aufweist, besteht bei rascher Abkühlung die sammensetzung vergeben wird. Die Werkstoff-
Gefahr der Versprödung auch für niedriggekohlte nummer setzt sich aus der Werkstoffhauptgruppe 1
Baustähle. Im Bereich IV wird der Stahl angelassen, für Stahl, der zweistelligen Stahlgruppennummer,
was zum Abbau von Eigenspannungen führt. Im welche die Stähle in Sorten einteilt, und der zwei-
Bereich V mit Temperaturen zwischen 200°C und stelligen Zählnummer, die nach der chemischen
400°C werden kaltverformte Stähle künstlich ge- Zusammensetzung gebildet wird, zusammen (z. B.
altert und können verspröden. Bei hohen Ab- 1.01 12: Stahl, Allg. Baustähle, S235JR). Das Be-
kühlungsgeschwindigkeiten können sich in der zeichnungssystem für Kurznamen hat sich jedoch
Schweißnaht Risse bilden. Im weiteren Bereich der geändert und ist in zwei Hauptgruppen gegliedert,
Wärmeeinflusszone kann es zu Formänderungen bei denen die erste Kurznamen mit Hinweisen auf
(Verzug) oder Eigenspannungen kommen. die Verwendung und die mechanischen Eigen-
Das zentrale Problem bei Stahlschweißungen ist schaften und die zweite Kurznamen mit Hinweisen
jedoch die Neigung zum Aufhärten in den schweiß- auf die chemische Zusammensetzung verwendet.
nahtnahen Bereichen. Je größer der Kohlenstoffgehalt Allgemeine Baustähle sind in DIN EN 10025
ist, desto spröder wird der entstehende Martensit. In genormt, die im Rahmen der europäischen Harmo-
schweißgeeigneten Stählen ist der Kohlenstoffgehalt nisierung DIN 17100 ersetzt hat. Die Norm um-
daher auf etwa 0,25% begrenzt. Jedoch beeinflussen fasst warmgewalzte Stähle, die z. B. im Hoch-,
auch andere Elemente wie Mn, Cr oder Ni die Auf- Tief- und Brückenbau verwendet werden. Die
härtungen und Gefügeänderungen in der Wärmeein- Kurznamen geben die Mindeststreckgrenze in N/
flusszone. Die gemeinsame Wirkung wird über das mm2 an, im Gegensatz zur zurückgezogenen DIN
Kohlenstoffäquivalent abgeschätzt, d. h., die ande- 17100, welche die Zugfestigkeit angab. Ein vor-
ren Elemente werden in ihrem Einfluss auf die Auf- angestelltes S bezeichnet Baustahl und ein E Ma-
härtungsneigung und Gefügeänderung mit Kohlen- schinenbaustahl. Zur Abschätzung der Sprödbruch-
stoff verglichen. Die Wichtung der einzelnen Ele- sicherheit und der Schweißeignung werden die
mente hängt von der zu spezifizierenden Eigenschaft Stähle in Gütegruppen von JR bis K2 mit zuneh-
ab. Für die Schweißeignung gilt mender Schweißeignung eingeteilt. Die Desoxida-
tionsart kann durch eine nachgestellte Kenn-
(3.1.19) zeichnung G1 bis G4 angegeben werden. Eine
Übersicht über vergleichbare Stahlbezeichnungen
gibt Tabelle 3.1-17.
Stähle mit Cä<0,45% sind erfahrungsgemäß her- Feinkornbaustähle sind schweißgeeignete Bau-
kömmlich schweißbar. Bei höheren Kohlenstoff- stähle mit höheren Streckgrenzen, sie sind auch in
aquivalenten sind besondere Maßnahmen zu tref- DIN EN 10025 genormt. Der Ansatz, die Festig-
fen (z. B. Vor- und Nachwärmen), wodurch die keit über die Kohlenstoffzugabe zu steigern, endet
Abkühlungsgeschwindigkeit und damit die Gefahr beim S 355 aufgrund des dazu notwendigen Koh-
der Martensitbildung sinken. Die Wärmezufuhr lenstoffgehalts von 0,22%, der an der Grenze der
darf allerdings bei behandelten und v. a. auch bei Schweißbarkeit liegt. Weitere Festigkeitssteige-
kaltverformten Stählen nicht zu groß sein, da es rungen werden durch ein feinkörniges Gefüge er-
sonst zu Entfestigungen kommt. zielt. Die Bezeichnung erfolgt mit einem vorange-
stellten S für Stahl und der Angabe der Streckgren-
ze in N/mm2. Die Gütegruppenbezeichnung N, M,
3.1.4.6 Genormte Baustähle
NL oder ML wird nachgestellt.
Im Rahmen der europäischen Harmonisierung Wetterfeste Stähle sind ebenfalls in DIN EN
wurde auch das Bezeichnungssystem der Stähle in 10025 in den Stahlsorten S 235 und S 355 genormt
DIN EN 10027 neu geregelt. Dabei wurde das be- und stimmen in den mechanischen Eigenschaften
1026 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
Tabelle 3.1-18 Einteilung nach Festigkeitsklassen und Widerstandsklassen gegen Korrosion nach [DIBT 1998]
3.1 Baustoffe 1027
nichtrostenden und allgemeinen Baustählen sind rosionsschutz versehen werden. Dieser muss auf die
möglich, wobei die allgemeinen Baustähle und zu erwartende Korrosionsbelastung und die geplante
die Schweißstelle jedoch unter korrosiven Be- Nutzungsdauer abgestimmt sein. Die Dauerhaftig-
dingungen vor Korrosion zu schützen sind. Die keit des Korrosionsschutzes ist im Wesentlichen
Bezeichnung erfolgt durch eine vorangestellte von der Art der Untergrundvorbehandlung und
Kennzeichnung X für „korrosionsbeständig“, die der Schichtdicke abhängig. Geeignete Korrosions-
Angabe des Kohlenstoffgehalts in hundertstel Pro- schutzsysteme bestehen aus ein bis vier organischen
zent, die Angabe der Legierungselemente und die Beschichtungen, Metallüberzügen (Verzinken) oder
Massenangabe der Legierungselemente in Prozent Metallüberzügen plus Beschichtungen (Duplex).
(z. B. X 5 Cr Ni 18 9 für nichtrostenden Stahl mit Betonstahl ist in Beton eingebettet und im ord-
0,05% Kohlenstoff, 18% Chrom und 9% Nickel) nungsgemäß hergestellten Beton ohne vorgenannte
oder durch Angabe der Werkstoffnummer. Korrosionsschutzsysteme vor Korrosion geschützt.
Auf Grund des hohen pH-Wertes des Betons von
i. d. R. über 13 bildet sich ein sehr dichter, festhaf-
3.1.4.8 Betonstähle
tender Oxidfilm analog zu den korrosionsbeständi-
Betonstähle sind in DIN 488 und DIN EN 10080 gen Stählen. Dieser Vorgang wird als „Passivierung“
genormt. Sie werden nach der Streckgrenze und bezeichnet. Zur Aufrechterhaltung des alkalischen
der Verarbeitungsform unterschieden und kom- Milieus an der Stahloberfläche muss die Betonde-
men in Form von Stabstählen, Matten und Beweh- ckung ausreichend dick und dicht sein. Die Min-
rungsdrähten zum Einsatz. Da Betonstähle als destbetondeckung nach Norm muss daher Vorgaben
Massenprodukt über den Handel vertrieben wer- in Abhängigkeit von den Umgebungsbedingungen
den, erfolgt die Kennung über Walzkennzeichen einhalten. Bei der Einwirkung von Chloriden (z. B.
in der Rippenanordnung, aus denen das Herstell- aus Tausalzen oder Meerwasser), die in den Beton
werk ermittelt werden kann. Stabstähle werden in eindringen, kann der Passivfilm jedoch auch bei
ø 6 bis 40 mm hergestellt und weisen zwei oder ausreichender Alkalität durchbrochen werden und
drei Rippenreihen auf. Betonstahlmatten sind Korrosion stattfinden. Das Eindringen von Chlori-
werkseitig vorgefertigte Bewehrungen aus einan- den muss deshalb vermieden werden, z. B. durch die
der kreuzenden, kaltverformten, gerippten Stählen Erhöhung der Betondeckung, die Verwendung hö-
mit drei Rippenreihen, die an den Kreuzungs- herer Betonqualitäten oder durch außenliegende,
punkten durch Schweißen scherfest miteinander dichte Schutzschichten.
verbunden sind. Betonstahlmatten werden über
den Stahlquerschnitt in mm2 je m bezeichnet (z. B.
Q 221 mit ø 6,5 alle 150 mm). Bewehrungsdrähte 3.1.5 Nichteisenmetalle (NE-Metalle)
werden als BSt 500 G, glatt und BSt 500 P, profi-
liert hergestellt mit den gleichen Eigenschaften Man unterscheidet
wie BSt 500 M.
– schwere NE-Metalle wie Blei, Kupfer, Nickel,
Zinn und Zink sowie
3.1.4.9 Korrosion und Korrosionsschutz – leichte NE-Metalle wie Aluminium und Magne-
sium.
In trockener Atmosphäre werden auch un- oder
niedriglegierte Baustähle nur von einer dünnen
Oxidschicht überzogen, die keinen Einfluss auf das
3.1.5.1 Blei
metallische Aussehen hat. Unter normalen atmo-
sphärischen Bedingungen stellt sich jedoch ein fort- Dichte 11,3 g/cm3, Schmelztemperatur 327°C,
laufender Korrosionsprozess ein, dessen Korrosi- Wärmedehnzahl 29,1·10-6 K-1. Blei absorbiert
onsgeschwindigkeit von der Feuchte und Reinheit Schallwellen, Röntgen- und radioaktive Strahlen.
der Luft abhängig ist. Stahlbauteile, die eines sta- Antimonzusatz (Sb) erhöht die Festigkeit; Rohr-
tischen Nachweises bzw. einer bauaufsichtlichen blei mit 0,2% bis 1,25% Sb, Hartblei mit 5% bis
Zulassung bedürfen, müssen daher mit einem Kor- 13% Sb. An der Luft überzieht sich Blei mit einer
1028 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
14 kWh je kg Al, das Schmelzen nur 5% dieser En- mm2 und Zugfestigkeiten von 190 bis 350N/mm2
ergie. Recycling ist daher sehr wirtschaftlich. für sechs Standardlegierungen. Bezeichnet werden
Aluminiumlegierungen: Durch Zugabe von Si, Al-Legierungen nach DIN EN 573-1 über ein nu-
Mg, Mn, Zn und Cu bis zu 6% entstehen Knetle- merisches Bezeichnungssystem mit einer vierstelli-
gierungen, die sich für spanlose Formgebung wie gen Nummer, deren Ziffern die Legierung beschrei-
Walzen, Strangpressen, Ziehen und Schmieden ben (z. B. ENAW-7050). Diese Kennzeichnung
eignen. Gusslegierungen enthalten 5% bis über kann ergänzt werden um die Angabe von bis zu vier
20% Legierungsbestandteile. Legierungselementen in fallender Reihenfolge des
Dichte, Schmelztemperatur, Wärmedehnzahl und Nenngehalts (z. B. ENAW-7050[AlZn6CuMgZr]).
E-Modul sind weitgehend unabhängig von der Le-
gierungszusammensetzung. Die Legierungsatome
bewirken in der Aluminiummatrix Gitterdeformati- 3.1.6 Bauglas
onen, die das Gleiten der Versetzungen behindern
3.1.6.1 Zusammensetzung, Beständigkeit,
und deshalb die Festigkeit erhöhen. Kaltverformung
Eigenschaften
bewirkt eine Erhöhung der Versetzungsdichte und
somit ebenfalls eine Festigkeitssteigerung. Wärme- Glas besteht aus ca. 72% SiO2, 15% Na2O, 8,5%
behandlung kann eine vorausgegangene Festigkeits- CaO, 3,5% MgO, 1,5% Al2O3 und Spuren anderer
steigerung rückgängig machen. Aushärtbare Legie- Oxide. In die unregelmäßige Netzstruktur aus Si
rungen lassen sich durch Lösungsglühen, Abschre- und O sind die anderen Elemente eingelagert. Bei
cken und Auslagern bei Raumtemperatur oder bei längerer Einwirkung insbesondere eines dünnen
erhöhter Temperatur erheblich in ihrer Festigkeit Kondenswasserfilmes auf die Glasoberfläche wer-
steigern. Die Dehnbarkeit nimmt dabei, im Unter- den Na, Ca und Mg aus dem Netzwerk gelöst und
schied zum Verhalten bei Festigkeitssteigerung die Glasoberfläche korrodiert.
durch Kaltverformung, kaum ab. Dichte 2500 kg/m3, Mohshärte 5 bis 6, E-Modul
Nichtaushärtbare Legierungen (AlMg, AlMgMn) 73·103 N/mm2, Druckfestigkeit 700 bis 900N/mm2,
sind leichter verformbar, haben geringere Festigkeit Biegefestigkeit 45N/mm2, Ausdehnungskoeffizient
und können durch Kaltverformen verfestigt werden. 9·10-6 K-1, Temperaturwechselbeständigkeit 30 bis
Aushärtbare Legierungen (Mg, Si, Zn, Cu) haben 40 K, Erweichungstemperatur ca. 600°C.
höheren Korrosionswiderstand und müssen nach ei-
ner Wärmebehandlung erneut ausgehärtet werden.
3.1.6.2 Glasarten
Bei höherer Temperatur sinken Zugfestigkeit,
Schwingfestigkeit, Dehngrenze und Härte der Al- – Floatglas, 2 bis 25 mm dick, auf Zinnbad her-
Legierungen früher und stärker als bei Stahl. Der gestellt, hat plane Oberflächen.
Anwendungsbereich ist deshalb in verschiedenen – Gussglas, auch Ornamentglas, hat durch Wal-
Bemessungsrichtlinien auf +60°C begrenzt. Bei tie- zen eine Oberflächenstruktur, die das Licht
fen Temperaturen tritt keine Versprödung auf, was streut und eine klare Durchsicht behindert.
im Behälterbau oft von entscheidender Bedeutung – Drahtglas ist Gussglas, in dem ein punktge-
ist. Den Korrosionswiderstand kann man durch Er- schweißtes Drahtnetz eingebettet ist.
zeugen einer künstlichen Oxidschicht (Eloxal) deut- – Borosilikatglas enthält 7% bis 15% Boroxid,
lich steigern. Im Meerwasser verhält sich Al günsti- hat einen niedrigeren Ausdehnungskoeffizien-
ger als Stahl, die Korrosionsrate nimmt mit der Zeit ten, deshalb bessere Temperaturwechselbestän-
ab. Die Zugfestigkeit reicht bis 420 N/mm2 für digkeit und ist gegen Säuren und Laugen be-
schweißbare und bis 700 N/mm2 für nichtschweiß- ständiger als übliches Kalk-Natron-Glas.
bare Legierungen. Das geringe Gewicht und der
gute Korrosionswiderstand bestimmen die Verwen- Sicherheitsgläser
dung der Aluminiumlegierungen. Einscheibensicherheitsglas (ESG), thermisch vor-
Kennwerte, insbesondere für Mindestwerte der gespannt, wird in seinen Endabmessungen auf über
Festigkeit, finden sich z. B. für Bleche und Bänder 650°C erhitzt und mit kalter Luft abgeschreckt. Die
in DIN 4113 mit Streckgrenzen von 80 bis 275 N/ Glasoberflächen haben dadurch eine Druckvorspan-
1030 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
nung, das Glas eine erhöhte Biegefestigkeit und Drahtglas oder VSG aus ESG mit Spezialfolie be-
bessere Verformbarkeit; Temperaturwechselbestän- stehen. Brandschutzverglasung (F) hemmt zusätz-
digkeit 200 K. Bei Zerstörung krümeliger Bruch. lich den Durchgang von Hitzestrahlung infolge
Teilvorgespanntes Glas (TVG) wird nach dem Er- Absorption und/oder Aufschäumen des Materials
hitzen weniger schnell abgekühlt und hat beim im Scheibenzwischenraum.
Bruch radiale Risse. Die Biegefestigkeit ist höher
als bei Floatglas, die Temperaturwechselbeständig-
3.1.6.3 Bauen mit Glas
keit 100 K. Bei chemisch vorgespanntem Glas wer-
den in einer Salzschmelze an der Glasoberfläche die Mit Druck senkrecht zur Kontaktfläche und Rei-
Na-Ionen durch größere Ionen ersetzt. Die Druck- bung in der Ebene der Kontaktfläche sowie Kle-
vorspannung erfasst nur eine sehr dünne Schicht der bung werden Kräfte übertragen. Verkanten und
Oberflächen, die Biegefestigkeit ist wesentlich ge- Kontakt des spröden Glases mit harten Auflagern
steigert. Die Scheibe kann geschnitten werden. Das müssen vermieden werden, Lastab- und -einlei-
Bruchbild entspricht dem von Floatglas. tungsbereiche ausreichend dimensioniert sein. Das
Verbundsicherheitsglas (VSG) besteht aus min- Tragvermögen von Klebeverbindungen ist tempe-
destens zwei Glasscheiben, die mit einer Folie oder raturabhängig. Spannungen und Tragvermögen der
Kunstharz fest miteinander verbunden sind. Beim dünnen Platten sind abhängig von Auflagerung
Bruch bleiben die Splitter am Kleber haften. Bei und Verformungen. Bei vierseitig gelagerten Plat-
Verwendung von TVG für die einzelnen Scheiben ten entsteht mit zunehmender Durchbiegung eine
erreicht man höhere Festigkeit als mit Floatglas. Membranwirkung mit erhöhter Tragfähigkeit. Glas-
Begehbare VSG-Platten müssen aus mindestens schwerter (lange, schmale Tafeln) werden wie
drei Glasplatten bestehen. Bei Zerstörung der obers- Scheiben in ihrer Ebene beansprucht und bestehen
ten rutschfesten Verschleißscheibe ist eine Resttrag- wegen der hohen Spannungen an den Kanten aus
fähigkeit nachzuweisen. Die Eigenschaften der Sicherheitsglas. Mit zusammengesetzten Glas-
einzelnen Glasplatten und der Zwischenschichten querschnitten, Kombinationen mit zugfesten Stof-
entscheiden im Verbund mit der Rahmen- und Hal- fen (z. B. Seilen) und durch Vorspannen werden
tekonstruktion, ob das VSG durchwurf-, durch- weit gespannte Tragkonstruktionen möglich, vgl.
bruch-, durchschuss- oder sprengwirkungshem- [Schittich u. a. 1998].
mend ist. Mit Drahteinlage in der Zwischenschicht
kann die VSG-Scheibe beheizt und/oder an eine
3.1.6.4 Schaumglas
Alarmanlage angeschlossen werden.
Mehrscheibenglas mit Luftzwischenraum besteht Mit Kohlenstoff aufgeschäumtes, weitgehend al-
aus zwei oder drei Floatglasscheiben, die durch kaliresistentes Glas; Platten und Formteile aus dem
hermetisch abgeschlossene und entfeuchtete Zwi- Block geschnitten. Wasser- und wasserdampfdicht,
schenräume voneinander getrennt sind. Zusammen- Rohdichte 105 bis 165 kg/m3, Wärmeleitfähigkeit
setzung, Einfärbung und Beschichtung der Scheiben OR = 0,040 – 0,055 W/(m·K); Ausdehnungskoeffi-
steuern Durchgang, Absorption und Reflexion der zient 8,5·10-6 K-1. Unkaschiert: unbrennbar Bau-
Strahlung bestimmter Wellenlänge. Schwere Gase stoffklasse A1, Verlegung in Bitumen; kaschiert:
im Scheibenzwischenraum mindern die Wärme- normalentflammbar Baustoffklasse B 2, Verlegung
leitfähigkeit. Bei 2 uFloatglas + 12 mm Luft ist trocken oder im Frischbetonbett. Schaumglas darf
der Wärmedurchgangskoeffizient kv der Verglasung bei entsprechendem Zulassungsbescheid als Wär-
3,0 W/(m2·K), bei Beschichtung + 15 mm Krypton medämmung berücksichtigt werden, auch wenn
ist kv = 1,1 W/(m2·K). sie außerhalb der Abdichtung angeordnet ist.
Bei Schallschutzglas ist die der Schallquelle zu-
gewandte Seite dicker (mindestens 6 mm), der
3.1.6.5 Glasfasern
Scheibenzwischenraum größer und die Verbindung
der beiden Scheiben schalltechnisch entkoppelt. Im Vergleich zu massivem Glas erhöhte Zugfestig-
Brandschutzverglasungen (G) sind undurchläs- keit. Eine Schlichte an der Faseroberfläche ver-
sig für Flammen und Gase und können z. B. aus bessert die Verarbeitbarkeit und den Verbund zur
3.1 Baustoffe 1031
Kunststoff- oder Zementmatrix. Glasfasern mit ho- Verarbeitungsformen des Bitumens sind Stra-
hem Zirkongehalt haben erhöhte Alkaliresistenz. ßenbaubitumen, polymermodifizierte Bitumen, Bi-
Cem-Fil AR Glasfasern: Dichte 2,7 g/cm3, Durch- tumenlösungen und -emulsionen. Bitumen und sei-
messer 12 bis 20 m, Zugfestigkeit 1,5 bis 2,5·103 ne Verarbeitungsformen werden zur Herstellung
N/mm2, Elastizitätsmodul 70 bis 80·103 N/mm2, von Asphalt und Estrichen, Dach- und Dichtungs-
Bruchdehnung 25‰. bahnen, Bautenschutzmitteln, Fugenvergussmassen
und Rohrschutzmassen verwendet. Weitere Anwen-
dungsbereiche finden sich in der Papierindustrie
3.1.7 Bitumen, Asphalt zum Imprägnieren, Kaschieren und Beschichten, in
der Gummiindustrie als Weichmacher sowie in der
Bitumen ist ein bei der Aufbereitung geeigneter Kabel-, Elektro- und Lackindustrie. Zu den Bitumen
Erdöle gewonnenes schwerflüchtiges dunkelfar- im weitesten Sinne sind auch die in geologischen
biges Gemisch verschiedener organischer Substan- Zeiträumen aus Erdölen gebildeten Bitumenanteile
zen, deren elasto-viskoses Verhalten sich mit der von Naturasphalt zu rechnen.
Temperatur ändert. Die für Bitumen typischen Ei- Asphalt ist ein natürlich vorkommendes oder
genschaften beruhen auf dem kolloidalen System, technisch hergestelltes Gemisch aus Bitumen oder
in dem eine disperse Phase (Asphaltene) in einer bitumenhaltigen Bindemitteln und Gesteinskör-
zusammenhängenden (kohärenten) Phase aus nungen sowie ggf. weiteren Zuschlägen und/oder
hochsiedenden Ölen (Maltene) in stabiler Vertei- Zusätzen.
lung vorliegt. Die Asphaltene sind keine einheit- Grundsätzlich lässt sich Asphalt in die Arten
liche Stoffgruppe; sie sind die höhermolekularen Walzasphalt und Gussasphalt unterteilen. Im Gussas-
Anteile im Bitumen und lassen sich durch geeig- phalt sind die Hohlräume im Gesteinskörnungsge-
nete Lösemittel ausfällen. misch mit Bitumen voll ausgefüllt. Gussasphalt
Bitumen darf nicht mit Steinkohlenteerpech bedarf keiner Verdichtung und wird verstrichen.
(bisher „Teer“ genannt) verwechselt werden. Zwi- Seine Standfestigkeit hängt im Wesentlichen von
schen Bitumen und Steinkohlenteerpech bestehen der Steifigkeit des Mörtels (Bitumen-Füller-Ge-
deutliche Unterschiede sowohl in stofflicher Hin- misch) ab. Beim Walzasphalt ist für die Standfes-
sicht als auch im Gebrauchsverhalten (Geruch, tigkeit das Korngerüst von wesentlicher Bedeu-
thermoviskoses Verhalten, Alterung, toxikologi- tung, der Mörtel hat lediglich verklebende Wir-
sches Verhalten u. a.). kung. Die Einbautemperatur liegt bei Gussasphalt
Bitumen weist je nach Sorte eine Dichte von 0,92 mit 200°C bis 230°C höher als bei Walzasphalt
bis 1,07 g/cm3, einen Wärmeausdehnungskoeffizi- (130°C bis 190°C).
enten von 0,0006 K-1 und eine Wärmeleitfähigkeit Neben der Standfestigkeit spielen die Verarbeit-
von 0,16 W/(m·K) auf. Die Viskosität des Bitumens barkeit und Verdichtbarkeit bei der Asphaltkon-
ist temperaturabhängig (thermoviskos), die Steifig- zeption eine wesentliche Rolle. Deckschichten im
keit hängt von der Belastungszeit ab (elasto-viskos). Asphaltstraßenbau weisen ein hohes Maß an Ver-
Bitumen ist in der Lage, aufgezwungene Span- schleißfestigkeit, Ebenheit und Griffigkeit auf. Bei
nungen durch viskose Verformungen abzubauen Hohlraumgehalten unter 3 Vol.-% ist Asphalt was-
(Relaxation). Die Haftfestigkeit gegenüber trocke- serundurchlässig.
nen und entstaubten Gesteinskörnungen ist gut. In Neben den vorgeschriebenen Dichtungsaufga-
Wasser zeigt sich Bitumen unlöslich. Zwangsläufig ben als Brückenbelag kommt dem Gussasphalt als
löst sich Bitumen in Kohlenwasserstoffen gleicher Estrich und als Bestandteil wasserdichter Beläge
Herkunft (Öl, Benzin, Diesel) sowie in bestimmten in Nassräumen, in Tiefgaragen, auf Parkdecks und
chemischen Lösemitteln. Die das Bitumen bilden- begrünten Dächern wesentliche Bedeutung zu.
den Kohlenwasserstoffe sind sehr reaktionsträge Walzasphalt wird im Straßenbau als Asphaltbeton,
gegenüber chemischen Substanzen. Durch die Ein- Asphaltbinder, Splittmastixasphalt, Offenporiger
flüsse von Luftsauerstoff, UV-Strahlung (Licht) und Asphalt, Asphalttrag- und Asphalttragdeckschicht
Wärme erfährt Bitumen eine destillative und oxida- verwendet. Weitere Anwendungsbereiche sind der
tive Verhärtung. Flugplatzbau, Wasserbau und Deponiebau.
1032 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
Abb. 3.1-32 Klassierung hochpolymerer Werkstoffe durch die Temperaturfunktion des Schubmoduls
3.1 Baustoffe 1033
onen). Von Art und Anteil des Polymers und der Sie bestehen aus einem Korrosionsschutzanstrich
Pigmente, Hilfsstoffe und Zusatzstoffe werden (zementgebunden oder Epoxidharz zur Beschich-
wichtige Beschichtungseigenschaften wie Alte- tung freigelegter Bewehrungsstähle), aus einer
rungsbeständigkeit, Diffusionseigenschaften, che- Haftbrücke (zementgebunden oder Epoxidharz) zur
mische Widerstandsfähigkeit und Rissüberbrü- Verbesserung des Verbunds zum vorhandenen Alt-
ckungsverhalten bestimmt. beton, aus dem eigentlichen kunststoffhaltigen Mör-
Bei den zweikomponentigen Beschichtungssys- tel und einem Feinspachtel (zur Homogenisierung
temen handelt es sich um reaktive Systeme, und der Mörteloberfläche). Das Angebot umfasst hän-
zwar entweder um disch verarbeitbare und spritzbare Systeme. Hin-
sichtlich der Zementgehalte und w/z-Werte werden
– Epoxidharz- bzw. Polyurethansysteme, in beiden
Mindest- und Maximalwerte vorgegeben. Zur Mo-
Fällen erfolgt nach dem Anmischen der Kompo-
difizierung der Zementmörtel dienen in Deutsch-
nenten eine Polyaddition, oder
land Acrylat, Styrol-Acrylat, Styrol-Butadien, Epo-
– um reaktive Acrylharze, hier kommt es auf der
xidharz und Vinylacetat-Ethylen. Der Kunststoffan-
Baustoffoberfläche zu einer radikalischen Poly-
teil im Mörtel liegt i. d. R. zwischen 5% und 10%,
merisation, für die als Starter meist Peroxidpulver
bezogen auf die Zementmasse. Grundsätzlich wird
verwendet wird.
von Instandsetzungsmörteln dauerhafte Wider-
Die Produkte aus diesen Gruppen lassen sich in ih- standsfähigkeit gegen Umwelteinflüsse und Abnut-
ren Eigenschaften in sehr weiten Bereichen gezielt zung durch Gebrauch gefordert, zudem dauerhaft
einstellen, so dass hieraus Versiegelungen, Beschich- ausreichende Haftung zum Altbeton und keine ne-
tungen mit hohen chemischen und/oder mecha- gative Beeinträchtigung des Korrosionsschutzes der
nischen Widerständen, gummielastische (rissüber- Bewehrung.
brückende) Beschichtungen und auch schnell rea-
gierende Spritzabdichtungen („Flüssigfolien“) her- Kunststoffe zum Füllen von Rissen (EP, PUR)
gestellt werden können. Risse in Massivbauteilen müssen mit geeigneten
Materialien kraftschlüssig oder abdichtend gefüllt
Kunststoffhaltige Mörtel und Betone werden, wenn die Dauerhaftigkeit der Standsicher-
(PC, PCC) heit oder Gebrauchstauglichkeit beeinträchtigt ist.
Kunstharzmörtel (auch Reaktionsharzmörtel, PC) Thermische und/oder hygrische Formänderungen
werden mit flüssigen polymeren Bindemitteln an- der Bauteile führen an Rissen immer zu – wenn
stelle von Zementleim als Bindemittel hergestellt. auch z. T. sehr kleinen – Rissbreitenänderungen,
Sie unterscheiden sich von den üblichen zementge- auch wenn die eigentliche Ursache für die Rissent-
bundenen Betonen v. a. durch ihre sehr hohe che- stehung entfallen ist (Überbelastung, Schwinden,
mische Beständigkeit, die wesentlich höhere Zug- Kriechen, Stützensenkung o. ä.). Falls geeignete
festigkeit, ihren kleinen Elastizitätsmodul, das Feh- Beschichtungssysteme zur Überbrückung der Risse
len eines Kapillarporensystems und ihre sehr rasche nicht tauglich sind, wird entweder kraftschlüssig
Festigkeitsentwicklung. Im Allgemeinen werden als verpresst oder abdichtend injiziert. In den letzten
Bindemittel reaktive Stoffe (Epoxidharze, ungesät- Jahren wurden auch Feinstzemente entwickelt, die
tigte Polyesterharze oder Methacrylatharze) ver- als Zementleim oder Zementsuspension zur kraft-
wendet. Das Hauptanwendungsgebiet von Kunst- schlüssigen Füllung in Risse injiziert werden kön-
harzmörteln liegt im Bereich Industrieböden, und nen. Inzwischen werden auch in verstärktem Um-
zwar befahrener und chemisch bzw. mechanisch fang sog. Acrylatgele zur abdichtenden Injektion
sehr stark belasteter Flächen. verwendet. Der nach Reaktion der Komponenten
Kunststoffhaltiger Zementmörtel und Zementbe- entstehende Gelkörper bindet Wasser physikalisch.
ton (kunststoffmodifizierter Mörtel oder Beton, Der Einsatz im Stahlbetonbau wird von einigen
PCC Polymer Cement Concrete) wird in großem Regelwerken noch nicht empfohlen, da der Ein-
Umfang zur Reparatur von geschädigtem Beton ein- fluss der austauschfähigen Salze auf eine mögliche
gesetzt. Da diese Stoffe selten allein verwendet wer- Korrosion der Bewehrung noch nicht hinreichend
den, spricht man auch von „Betonersatzsystemen“. geklärt ist.
3.1 Baustoffe 1035
DIN 4226 Teil 100: Gesteinskörnungen für Beton und DIN EN 206 Teil 1/A1: Beton; Festlegung, Eigenschaften,
Mörtel; Rezyklierte Gesteinskörnungen (02/2002) Herstellung und Konformität; (10/2004)
DIN 4232: Wände aus Leichtbeton mit haufwerksporigem DIN EN 206 Teil 1/A2: Beton; Festlegung, Eigenschaften,
Gefüge; Bemessung und Ausführung (09/1987) Herstellung und Konformität; (09/2005)
DIN 8528 Teil 2: Schweißbarkeit; Schweißeignung der all- DIN EN 300: Platten aus langen, schlanken, ausgerichteten
gemeinen Baustähle zum Schmelzschweißen (03/1975) Spänen (OSB) – Definitionen, Klassifizierung und An-
DIN 17100: Allgemeine Baustähle (01/1984) / zurückge- forderungen (06/1997)
zogen DIN EN 312 Teil 7: Spanplatten, Anforderungen; Anforde-
DIN 17440: Nichtrostende Stähle – Technische Lieferbe- rungen an hochbelastbare Platten für tragende Zwecke
dingungen für Blech, Warmband und gewalzte Stäbe für zur Verwendung im Feuchtbereich (06/1997)
Druckbehälter, gezogenen Draht und Schmiedestücke DIN EN 934 Teil 2: Zusatzmittel für Beton, Mörtel und
(09/1996) Einpressmörtel; Betonzusatzmittel – Definitionen und
DIN 18551: Spritzbeton – Anforderungen, Herstellung, Be- Anforderungen, Konformität, Kennzeichnung und Be-
messung und Konformität (01/2005) schriftung (02/2002)
DIN V 18998: Beurteilung des Korrosionsverhaltens von DIN EN 934 Teil 2/A1: Zusatzmittel für Beton, Mörtel und
Zusatzmitteln nach Normen der Reihe DIN EN 934 Einpressmörtel; Betonzusatzmittel – Definitionen, An-
(11/2002) forderungen, Konformität, Kennzeichnung und Be-
DIN V 18998/A1: Beurteilung des Korrosionsverhaltens schriftung (06/2005)
von Zusatzmitteln nach Normen der Reihe DIN EN 934 DIN EN 934 Teil 2/A2: Zusatzmittel für Beton, Mörtel und
(05/2003) Einpressmörtel; Betonzusatzmittel – Definitionen, An-
DIN 50125: Prüfung metallischer Werkstoffe; Zugproben forderungen, Konformität, Kennzeichnung und Be-
(01/1994) schriftung (03/2006)
DIN 51043: Traß; Anforderungen, Prüfungen (08/1979) DIN EN 934 Teil 4: Zusatzmittel für Beton, Mörtel und
DIN 52182: Prüfung von Holz; Bestimmung der Rohdichte Einpressmörtel; Zusatzmittel für Einpressmörtel für
(09/1976) Spannglieder; Definitionen, Anforderungen, Konformi-
DIN 68364: Kennwerte von Holzarten; Festigkeit, Elastizi- tät, Kennzeichnung und Beschriftung (02/2002)
tät, Resistenz (11/1979) DIN EN 934 Teil 4/A1: Zusatzmittel für Beton, Mörtel und
DIN 68705 Teil 2: Sperrholz; Sperrholz für allgemeine Einpressmörtel – Zusatzmittel für Einpressmörtel für
Zwecke (07/1981) Spannglieder; Definitionen, Anforderungen, Konformi-
DIN 68705 Teil 4: Sperrholz; Bau-Stabsperrholz, Bau- tät, Kennzeichnung und Beschriftung (06/2005)
Stäbchensperrholz (07/1981) DIN EN 934 Teil 6: Zusatzmittel für Beton, Mörtel und
DIN 68800 Teil 1: Holzschutz im Hochbau; Allgemeines Einpressmörtel; Probenahme, Konformitätskontrolle
(05/1974) und Bewertung der Konformität (03/2006)
DIN 68800 Teil 2: Holzschutz; Vorbeugende Maßnahmen DIN EN 450 Teil 1: Flugasche für Beton; Definition, An-
im Hochbau (05/1996) forderungen und Konformitätskriterien; (2005-05)
DIN 68800 Teil 3: Holzschutz; Vorbeugender chemischer DIN EN 459 Teil 1: Baukalk; Definitionen, Anforderungen
Holzschutz (04/1990) und Konformitätskriterien (02/2002)
DIN 68800 Teil 4: Holzschutz; Bekämpfungsmaßnahmen DIN V ENV 1995 Teil 1-1, Eurocode 5: Entwurf, Berech-
gegen holzzerstörende Pilze und Insekten (11/1992) nung und Bemessung von Holzbauwerken; Allgemeine
DIN 68800 Teil 5: Holzschutz im Hochbau; Vorbeugender Bemessungsregeln, Bemessungsregeln für den Hoch-
chemischer Schutz von Holzwerkstoffen (05/1978) bau (06/1994)
DIN EN-196 Teil 3: Prüfverfahren für Zement; Bestim- DIN EN 1008: Zugabewasser für Beton – Festlegung für
mung der Erstarrungszeiten und der Raumbeständigkeit die Probenahme, Prüfung und Beurteilung der Eignung
(05/2005) von Wasser, einschließlich bei der Betonherstellung
DIN EN 197 Teil 1: Zement; Zusammensetzung, Anforde- anfallendem Wasser, als Zugabewasser für Beton
rungen und Konformitätskriterien von Normalzement (10/2002)
(08/2004) DIN EN 10025: Warmgewalzte Erzeugnisse aus unlegierten
DIN EN 197 Teil 1 Ber. 1: Berichtigungen zu DIN EN Baustählen; Technische Lieferbedingungen (03/1994)
197-1:2004-04 (11/2004) DIN EN 10027 Teil 1: Bezeichnungssysteme für Stähle;
DIN EN 197 Teil 4: Zement; Zusammensetzung, Anforde- Kurznamen, Hauptsymbole (09/1992)
rungen und Konformitätskriterien von Hochofenzement DIN EN 10027 Teil 2: Bezeichnungssysteme für Stähle;
mit niedriger Anfangsfestigkeit (08/2004) Nummernsystem (09/1992)
DIN EN 206 Teil 1: Beton; Leistungsbeschreibung, Eigen- DIN V ENV 10080: Betonbewehrungsstahl – Schweißge-
schaften, Herstellung und Konformität (07/2001) eigneter gerippter Betonstahl B-500 – Technische Lie-
1038 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
ferbedingungen für Stäbe, Ringe und geschweißte Mat- 3.2 Grundlagen für Nachhaltiges
ten (08/1995)
DIN EN 10088: Nichtrostende Stähle. Teil 1: Verzeichnis
Bauen
der nichtrostenden Stähle (08/1995)
DIN EN 10113: Warmgewalzte Erzeugnisse aus schweiß- 3.2.1 Instrumente und Bewertungs-
geeigneten Feinkornbaustählen (04/ 1993) systeme in Deutschland
DIN EN 10155: Wetterfeste Baustähle; Technische Liefer-
bedingungen (08/1993) Hans-Dieter Hegner
DIN EN 12382: Entwurf: Prüfung von Beton; Bestimmung
der Konsistenz; Setzmaß (07/1996)
3.2.1.1 Einleitung
DIN EN 12620: Gesteinskörnungen für Beton (04/2003) Die Bewertung des Beitrages von Einzelbauwer-
DIN EN 12620 Ber. 1: Berichtigungen zu DIN EN ken zu einer nachhaltigen Entwicklung führt zur
12620:2003-04 (12/2004) Forderung nach einem Gesamtsystem zur Be-
DIN EN 12878: Pigmente zum Einfärben von zement- und schreibung und Beurteilung von Gebäuden ein-
kalkgebundenen Baustoffen; Anforderungen und Prü-
schließlich des Grundstücks. Ansätze für ein sol-
fung (05/2005)
DIN EN 12350 Teil 2: Prüfung von Frischbeton; Setzmaß ches System – selbst Normungsbemühungen – gibt
(03/2000) es, aber eine standardisierte Regel lässt auf sich
DIN EN 12350 Teil 3: Prüfung von Frischbeton; Vébé-Prü- warten. Ungeachtet dessen bieten sich im interna-
fung (03/2000) tionalen Bereich Zertifizierungssysteme an, um
DIN EN 12350 Teil 4: Prüfung von Frischbeton; Verdich- die Nachhaltigkeit von Gebäuden festzustellen.
tungsmaß (06/2000) Vielfach wird unter nachhaltigem Bauen insbe-
DIN EN 12350 Teil 5: Prüfung von Frischbeton; Ausbreit- sondere energieeffizientes Bauen verstanden. Dies
maß (06/2000) ist nicht generell falsch. Aber Energieeffizienz ist
DIN EN 12390 Teil 2: Prüfung von Festbeton; Herstellung
nur ein Teil der Nachhaltigkeit, der jedoch mittler-
und Lagerung von Probekörpern für Festigkeitsprü-
fungen (06/2001) weile gut geregelt ist. Mit der Umsetzung der EG-
DIN EN 12390 Teil 5: Prüfung von Festbeton; Biegezug- Richtlinie 2002/91/EG über die Gesamtenergieeffi-
festigkeit von Probekörpern (02/2001) zienz von Gebäuden in nationales Recht wurde in
DIN EN 12390 Teil 5 Ber. 1: Prüfung von Festbeton; Bie- Deutschland das Energieeinsparrecht (Energieein-
gezugfestigkeit von Probekörpern (05/2006) spargesetz, Energieeinsparverordnung) 2007 umfas-
DIN EN 13279 Teil 1: Gipsbinder und Gips-Trockenmör- send novelliert. Dabei wurde die Energieausweispra-
tel; Begriffe und Anforderungen (09/2005) xis in Deutschland gesetzlich eingeführt [Hegner
DIN EN 13263 Teil 1: Silikastaub für Beton; Definitionen, 2008b]. In Umsetzung der sog. „Meseberg-Be-
Anforderungen und Konformitätskriterien (10/2005)
schlüsse“ der Bundesregierung zum Klimaschutz
DIN EN 13055 Teil 1: Leichte Gesteinskörnungen; Leichte
Gesteinkörnungen für Beton, Mörtel und Einpressmör-
wurde die EnEV verschärft und ist in der aktuellen
tel (08/2002) Fassung seit 1. Oktober 2009 in Kraft.
DIN EN 13055 Teil 1 Ber. 1: Berichtigungen zu DIN EN Nachhaltigkeitsbetrachtungen zeichnen sich
13055-1:2002-08 (12/2004) durch eine Analyse über den gesamten Lebenszyk-
DIN EN 14216: Zement – Zusammensetzung, Anforde- lus und eine umfassende Einbeziehung von ökolo-
rungen und Konformitätskriterien von Sonderzement gischen, ökonomischen und sozio-kulturellen As-
mit sehr niedriger Hydratationswärme (08/2004) pekten aus. Neben den Energiebilanzen müssen
DIN EN 14647: Tonerdezement – Zusammensetzung, An- deshalb insbesondere auch die Stoffströme und fi-
forderungen und Konformitätskriterien (01/2006)
nanzielle Auswirkungen untersucht werden. Die
DIN EN 14889 Teil 1: Fasern für Beton; Stahlfasern – Be-
griffe, Festlegungen und Konformität (11/2006) Entwicklung, Erprobung und Anwendung von Sys-
DIN EN 14889 Teil 2: Fasern für Beton; Polymerfasern – temen zur Beschreibung, Bewertung und Zertifi-
Begriffe, Festlegungen und Konformität (11/2006) zierung der Nachhaltigkeit von Gebäuden ist dabei
DIN EN ISO-6506 Teil 1: Metallische Werkstoffe – Härte- an eine Reihe von Voraussetzungen gebunden. Ins-
prüfung nach Brinell; Prüfverfahren (10/1999) besondere der Übergang zu einem überwiegend
auf quantitativen Bewertungen basierenden Be-
wertungs- und Zertifizierungssystem stellt eine
große Herausforderung dar. Mit einem nicht uner-
3.2 Grundlagen für Nachhaltiges Bauen 1039
heblichen Aufwand sind methodische Grundlagen und Instandhaltung haustechnischer Anlagen for-
zu entwickeln, Daten für die ökologische und öko- muliert. Über durch die EU geförderte Forschungs-
nomische Bewertung zur Verfügung zu stellen und programme wurden und werden unter deutscher
Bewertungsmaßstäbe zu erarbeiten. Parallel hierzu Beteiligung verfügbare Methoden und Hilfsmittel
sind Investoren und Planer mit geeigneten Hilfs- für die Beurteilung der Umweltverträglichkeit und
mitteln zur Formulierung von Zielen, zur Untersu- Nachhaltigkeit von Bauwerken – siehe hierzu die
chung von Varianten sowie zum Informationsaus- verfügbaren Informationen zu PRESCO unter http://
tausch auszurüsten. Der Beitrag gibt eine Übersicht www.etn-presco.net – analysiert und verglichen so-
zu den geplanten Anforderungen und Instrumenten wie mit LEnSE Grundlagen für die Entwicklung
des Bundes beim nachhaltigen Bauen. eines EU-einheitlichen Labels für nachhaltige
Wohnbauten – siehe hierzu die verfügbaren Infor-
mationen unter http://www.lensebuildings.com – er-
3.2.1.2 Rahmenbedingungen und Trends
arbeitet und zur Diskussion gestellt.
in Europa
Ausgewählte Direktiven und Forschungs- Ausgewählte Strategien
vorhaben der EU und Normungsprojekte
Die Bundesrepublik Deutschland als Teil der Euro- Um der Bedeutung der Bau-, Wohnungs- und Im-
päischen Union gestaltet den Prozess der stärkeren mobilienwirtschaft Rechnung zu tragen, möchte
Ausrichtung der europäischen Bau-, Wohnungs- die EU den Bereich „sustainable construction“ in
und Immobilienwirtschaft an den Prinzipen einer den kommenden Jahren zu einem „lead market“
nachhaltigen Entwicklung aktiv mit. Deutschland [EU 2007] entwickeln. Die EU folgt damit der be-
setzt Regelungen der Europäischen Union und der reits im Jahr 2004 formulierten „Thematic Strate-
Europäisch en Kommission in nationales Recht gy on the Urban Environment“ [EU 2004]. Diese
um und ergänzt diese durch landeseigene Initiati- sieht neben einer stärkeren Betonung der nachhal-
ven und Programme. tigen Siedlungsentwicklung und des nachhaltigen
In Europa wurde die Rolle und Verantwortung Bauens u. a. vor, den Energieausweis in Richtung
der Baubranche für die sozial- und umweltverträg- eines Dokumentes zur Beschreibung und Bewer-
liche Gestaltung der gebauten Umwelt, die Erhal- tung der Nachhaltigkeit von Gebäuden weiterzu-
tung und die Schaffung von Arbeitsplätzen und die entwickeln. Hierzu sollen z. B. zusätzliche As-
Schonung von Ressourcen einerseits sowie die Be- pekte, wie Innenraumluftqualität, Komfort, Um-
deutung der Modernisierung der vorhandenen Ge- weltverträglichkeit von Bauprodukten, Risiken für
bäudebestände für Energieeinsparung, Ressourcen- die Umwelt, Lebenszykluskosten, in die Methoden
schonung und Umweltschutz andererseits erkannt. zur Bewertung der Nachhaltigkeit von Gebäuden
So wird z. B. bei der Weiterentwicklung der Europä- integriert werden.
ischen Bauproduktenrichtlinie [EU 1989], die u. a. Die Entwicklung harmonisierter methodischer
bereits Anforderungen an Hygiene, Gesundheit und Grundlagen für die Bewertung der Nachhaltigkeit
Umweltschutz bei der Herstellung und Anwendung erfolgt in Europa im Rahmen der Standardisie-
von Bauprodukten enthält, derzeit diskutiert, ob und rungsaktivitäten von CEN TC 350 unter Beachtung
inwieweit zusätzlich Anforderungen an den Klima- der Ergebnisse der internationalen Normung bei
schutz und die Nachhaltigkeit (hier insbesondere im ISO TC 59 SC17. Der innerhalb von CEN TC 350
Zusammenhang mit der nachhaltigen Nutzung von im Frühjahr 2008 erreichte Stand der Diskussion
Ressourcen) aufgenommen werden sollen. Mit der kann wie folgt charakterisiert werden:
im Jahr 2002 in Kraft getretenen „Energy Perfor-
mance of Buildings Directive“ der EU [EU 2002] – Die Beurteilung der Nachhaltigkeit von Gebäu-
werden Anforderungen an die Weiterentwicklung den soll auf Basis der Beschreibung und Bewer-
der Beschreibung und Bewertung der energetischen tung der ökonomischen, ökologischen und sozi-
Qualität von Gebäude, an die flächendeckende Ein- alen Aspekte bei gleichzeitiger Beachtung der
führung von Energieausweisen für Neu- und Be- technischen und funktionalen Qualität der Ge-
standsbauten sowie an die systematische Wartung bäude erfolgen.
1040 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
Neubauten sowohl im Wohngebäude- als auch im pflicht besteht, werden die Anforderungen an die
Nichtwohngebäudebereich werden mit der EnEV Dämmqualität erhöht. Für Klimaanlagen wird eine
2009 um jeweils rund 30% erhöht. Bei größeren generelle Pflicht zum Nachrüsten von selbsttätig
Änderungen im Gebäudebestand wird eine Ver- wirkenden Einrichtungen der Be- und Entfeuch-
schärfung der energetischen Anforderungen um tung vorgesehen. Nachtstromspeicherheizungen mit
durchschnittlich 30% vorgesehen. einem Alter von mindestens 30 Jahren sollen lang-
Neben der Senkung der Höchstwerte für den fristig und stufenweise unter Beachtung des Wirt-
Primärenergiebedarf von Neubauten wird nunmehr schaftlichkeitsgebots außer Betrieb genommen
auch die bereits bei den Nichtwohngebäuden be- werden. Die Umstellung auf andere Energieträger
kannte Systematik des Referenzgebäude-Verfah- ist ein wichtiges Mittel zur Steigerung der Ener-
rens auf die Wohngebäude übertragen. Die Refe- gieeffizienz. Aus diesen Gründen wurde die Pflicht
renzwerte bilden sozusagen ein virtuelles Gebäude zur Außerbetriebnahme elektrischer Speicherheiz-
in der gleichen Geometrie und Nutzung, um die systeme auch durch eine Regelung ergänzt, die
Höchstwerte des Primärenergiebedarfs für das Ein- über die Einführung einer Aufwandszahl für Heiz-
zelgebäude zu bestimmen. Das heißt, dass der systeme den Einbau ineffizienter Heizsysteme all-
einzuhaltende Grenzwert durch die Vorgabe von gemein untersagt. Es sind längere Übergangsfris-
U-Werten für Bauteile und von Anlagenkonfigura- ten bis zum Einsetzen der Pflicht zur Außerbetrieb-
tionen bestimmt wird. Wie das reale zu errichtende nahme vorgesehen.
Gebäude diesen Grenzwert einhält, ist Sache des Zur Stärkung der hoheitlichen Überwachung
Bauherrn und seines Planers. Damit besteht – wie werden die Bezirksschornsteinfegermeister gesetz-
auch bisher schon in der EnEV – Flexibilität bei lich mit der öffentlichen Aufgabe betraut, im Rah-
der Auswahl des Weges, mit dem die Anforde- men der Feuerstättenschau bestimmte Prüfungen
rungen erreicht werden. Die einzelnen Energie- vorzunehmen, Fristen zur Nacherfüllung zu setzen
sparmaßnahmen dürfen vom Referenzansatz ab- und im Falle der Nichterfüllung die zuständige Be-
weichen; es zählt ausschließlich die Einhaltung hörde zu unterrichten. Zur Stärkung des Vollzugs
der Primärenergieanforderungen. Die EnEV 2009 werden weiterhin private Nachweise in Form von
bleibt bei einem technologieoffenen Ansatz. Unternehmer- und Eigentümererklärungen insbe-
Da bei Maßnahmen im Bestand – wie bisher sondere bei der Durchführung bestimmter Arbei-
auch in der EnEV – ein Nachweis für das Gesamt- ten im Gebäudebestand eingeführt. Gekoppelt wird
gebäude erbracht werden kann und dieser sich auf dies mit einer behördlichen Stichprobenkontrolle
den Neubaugrenzwert abstützt (Primärenergiebe- zu solchen privaten Nachweisen. Auf diese Weise
darf darf um bis zu 40% überschritten werden), soll bundesweit ein effektiverer Vollzug der Ener-
spielt die Neubauforderung auch in den Bestand gieeinsparverordnung ermöglicht werden, ohne
hinein. Aber auch bei Ansatz der Bauteilmaßnah- gleichzeitig aufwändige bürokratische Verfahren
men (die insbesondere bei Einzelmaßnahmen an- einzuführen.
gewendet werden) wurde mit der EnEV 2009 eine
durchschnittliche Verschärfung der energetischen Runder Tisch und Leitfaden
Anforderungen an Außenbauteile um etwa 30% „Nachhaltiges Bauen“
erreicht. Im Jahre 2001 wurde im Ergebnis einer gemein-
Die Modernisierungsmaßnahmen sind i. d. R. samen Initiative von Bauwirtschaft und Bauminis-
freiwillig und stehen in Zusammenhang mit ohne- terium der Runde Tisch „Nachhaltiges Bauen“
hin geplanten Verbesserungen. Nachrüstungsver- beim Bundesministerium für Verkehr, Bau- und
pflichtungen dagegen schreiben eine Modernisie- Stadtentwicklung eingerichtet. Dieser Runde Tisch
rung vor und sind an Fristen gebunden. Die EnEV hat u. a. die Aufgaben der Beratung der Bundesre-
2009 weitet die Nachrüstverpflichtungen aus. Die gierung und des BMVBS zu allen Fragen des nach-
Pflicht zur Dämmung bisher ungedämmter obers- haltigen Bauens, der Bildung einer Diskussions-
ter Geschossdecken wird unter bestimmten Zumut- plattform für alle relevanten Akteursgruppen, der
barkeitsvoraussetzungen auf begehbare oberste Erarbeitung von Positionen zur internationalen
Geschossdecken ausgedehnt. Soweit eine Dämm- und europäischen Gesetzgebung und Normung,
1042 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
der Erarbeitung von Grundlagen für ein nationales um die im Zertifikat geforderten Ziele auch mit
Bewertungssystem sowie der Vorstellung und Dis- planerischen und baulichen Mitteln zu erreichen.
kussion aktueller Forschungsergebnisse. Diese sind Zusätzlich werden bei einem quantitativen Ansatz
u. a. zugänglich unter www.nachhaltigesbauen.de. für die Bewertung und Zertifizierung von Gebäu-
Derzeit konzentrieren sich die Arbeiten am Runden den Daten für die Ökobilanzierung von Baupro-
Tisch auf die Formulierung konkreter Kriterien und dukten, Bauprozessen und Bauwerken, für die Er-
Anforderungen für die Bewertung der Nachhaltig- mittlung der Lebenszykluskosten sowie für die
keit von Gebäuden. Diese sind – basierend auf einer Abschätzung der Nutzungs- bzw. Verweildauer
ersten Fassung aus dem Jahr 2001 [BMVBS 2001] von Bauteilen in Bauwerken benötigt.
– Gegenstand eines aktualisierten und um die As- In Deutschland wurde ein System sich ergän-
pekte des Planens und Bauens im Bestand erweiterten zender Planungs- und Bewertungshilfsmittel ent-
Leitfadens „Nachhaltiges Bauen“ des BMVBS. wickelt und realisiert (s. Tabelle 3.2-1). Unter-
Zur Arbeit des Runden Tisches liegen in Deutsch- schiedliche Hilfsmittel zur Bauteil- und Bauwerks-
land positive Erfahrungen vor. Es wurde deutlich, optimierung sowie zur Zertifizierung greifen auf
dass ein Instrument zur Meinungsbildung und zum identische Datengrundlagen (qualitative Informa-
Meinungsaustausch dringend erforderlich war und tionen (z. B. Gesundheitsrisiken bei Verarbeitung
ist, um die unterschiedlichen Motive und Interes- und Nutzung) zu Bauprodukten, Ökobilanzdaten,
senlagen der Akteursgruppen kennen zu lernen und Lebensdauern, Kostenkennwerte) zu und können
einzubeziehen. Hier hat zwischenzeitlich eine er- über definierte Schnittstellen Informationen aus-
hebliche Erweiterung stattgefunden. Ursprünglich tauschen. So wird es möglich, entwurfsbegleitend
engagierten sich vorzugsweise die Baustoffindustrie produkt- und herstellerneutrale Daten aus der Pla-
und die Bauwirtschaft. Die Baustoffindustrie hatte nung allmählich durch produktkonkrete Informati-
ein Interesse, frühzeitig die Konsequenzen des onen aus der Angebotsphase zu ersetzen.
nachhaltigen Bauens für die Produktion und den Durch eine Integration wesentlicher Anforde-
Vertrieb von Bauprodukten zu erkennen und mit zu rungen der Zertifizierung in den Planungsprozess
gestalten; die Bauwirtschaft verfolgte – unterstützt soll sichergestellt werden, dass wesentliche Infor-
durch das Bauministerium – eine Strategie der Inte- mationen bereits in der Planung erzeugt und nicht
gration der Nachhaltigkeitsthematik in eine allge- – i. d. R. mit Mehrkosten verbunden – im Rahmen
meine Diskussion und Kampagne zur Verbesserung der eigentlichen Zertifizierung erarbeitet werden
der Bauqualität. Seit einiger Zeit bringen nun auch müssen.
Finanzierer, Versicherer, Rating-Agenturen und Einen Überblick zu den Instrumenten des nach-
namhafte Unternehmen aus dem Bereich Consul- haltigen Bauens, den Datenbanken und Informati-
ting ihre Standpunkte und Interessen ein. Diese sind onssystemen, zur Politik der Bundesregierung und
vorzugsweise auf die Entwicklung und Ausgestal- zu guten Beispielen ermöglicht das Internetportal
tung eines einheitlichen Systems zur Beschreibung, des Bundes: www.nachhaltigesbauen.de.
Bewertung und Zertifizierung der Nachhaltigkeit
von Gebäuden gerichtet.
3.2.1.4 Nationales System zur Bewertung und
Zertifizierung nachhaltiger Gebäude
System sich ergänzender Planungs-
„Deutsches Gütesiegel Nachhaltiges
und Bewertungshilfsmittel
Bauen“
Die Entwicklung, Erprobung und Einführung eines
Systems zur Zertifizierung der Nachhaltigkeit von Deutschland orientiert sich bei seinen momentanen
Gebäuden als alleinige Maßnahme reicht nicht aus. Arbeiten zur Entwicklung, Erprobung und Einfüh-
Zwar unterstützt ein glaubwürdiges Label Marke- rung eines nationalen Systems zur Beschreibung,
ting und Marktdurchdringung sowie die kompakte Bewertung und Zertifizierung nachhaltiger Gebäu-
Formulierung von Anforderungen an nachhaltige de am Stand der internationalen und europäischen
Gebäude seitens der öffentlichen Hand und der In- Normung von ISO TC 59 SC 14, ISO SC TC 59 SC
vestoren. Planer und Bauunternehmen benötigen 17 sowie CEN TC 350. Es wird das Ziel verfolgt,
darüber hinaus jedoch Grundlagen und Hilfsmittel, die Nachhaltigkeit von Gebäuden durch Einbezie-
3.2 Grundlagen für Nachhaltiges Bauen 1043
Tabelle 3.2-1 Überblick über das Gesamtsystem von Planungs- und Bewertungshilfsmitteln
hung ökologischer, ökonomischer und sozialer As- tungssystem Nachhaltiges Bauen (BNB) basiert
pekte in all ihren Dimensionen zu beurteilen. Die- auf einem im Auftrage des BMVBS an der Tech-
se Beurteilung soll sich auf quantitative Methoden nischen Universität Darmstadt und der Universität
der Ökobilanzierung und Lebenszykluskostenrech- Karlsruhe entwickelten Konzept [Graubner et al.
nung stützen und somit auf wissenschaftlich aner- 2007b] und wurde mit der Deutschen Gesellschaft
kannten Methoden basieren. Das aktuelle Bewer- für nachhaltiges Bauen (DGNB) intensiv abge-
1044 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
stimmt und mit den dort entwickelten Ansätzen vor der Außenentwicklung – zu berücksichtigen
kombiniert. bei der Beurteilung der Flächeninanspruchnah-
Die Vielzahl bereits verfügbarer Methoden und me infolge der Grundstücksart und -größe,
Hilfsmittel zur Bewertung und Zertifizierung der – die Verbesserung der energetischen Qualität
Umwelt- und Gesundheitsverträglichkeit bzw. der durch Verschärfung der Anforderungen an den
Nachhaltigkeit von Gebäuden wurde bereits mehr- zulässigen Primärenergiebedarf von Neubauten
fach beschrieben und analysiert [Cole 2006, FW- um 30% bis 2009 gegenüber 2007 sowie um wei-
PRDC 2005]. Dabei wird deutlich, dass sich diese tere 30% bis 2012 – zu berücksichtigen bei der
bisher mehrheitlich auf die Verwendung von Kri- Beurteilung der Inanspruchnahme nicht erneuer-
terien aus den Bereichen Standortqualität, Ener- barer Ressourcen,
gieeffizienz, Klimaschutz, Ressourcenschonung – die Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energie
und Gesundheit konzentrieren und damit zur Be- an der Wärmeversorgung von Gebäuden von ca.
schreibung der Umwelt- und Gesundheitsverträg- 6% im Jahr 2006 auf 14% im Jahr 2020 – zu be-
lichkeit von „green buildings“ beitragen. Eine rücksichtigen bei der Beurteilung der Nutzung
überwiegend qualitative Bewertung, die sich in erneuerbarer Ressourcen,
Punktesystemen ausdrückt, sich jedoch auch häu- – die stärkere Orientierung von Investitions- und
fig auf die Ergebnisse von vorausgegangenen Be- Vergabeentscheidungen an der Höhe der Lebens-
rechnungen zur energetischen Qualität stützt, ist zykluskosten mit dem Ziel, diese zu reduzieren
weit verbreitet. Systeme, die zusätzlich auch öko- – zu berücksichtigen bei der Beurteilung der
nomische Aspekte berücksichtigen und die Ergeb- ökonomischen Qualität,
nisse einer Ökobilanzierung und Lebenszykluskos- – die Verbesserung der Innenraumluftqualität – zu
tenrechnung einbeziehen sind dagegen noch sehr berücksichtigen bei der Beurteilung der Gesund-
selten. heitsverträglichkeit von Gebäuden im Rahmen
Das BNB-Bewertungssystem sieht vor, neben der sozio-kulturellen Qualität.
den ökologischen und sozio-kulturellen Qualitäten
des Gebäudes auch ökonomische Aspekte einzube- Ziel des BNB-Bewertungssystems ist die Vergabe
ziehen und so den Ansatz „green building“ in Rich- einer „Gebäudenote“ und die zusätzliche Beschrei-
tung „sustainable building“ zu erweitern. Es wird bung der Standortmerkmale. Die Gebäudenote
von einer gleichberechtigten Bedeutung ökolo- wird (wie bei der Stiftung Warentest auch) durch
gischer, ökonomischer und sozialer Aspekte aus- Teilnoten gebildet. Es gibt 5 Teilnoten für:
gegangen, die auch bei der Wichtung der drei Di-
–
mensionen der Nachhaltigkeitsbewertung berück- ökologische Qualität,
sichtigt werden. Es erfolgt eine zusätzlich zur – ökonomische Qualität,
Bewertung der Nachhaltigkeit des Gebäudes erfol- – soziokulturelle und funktionale Qualität,
gende Beschreibung der Qualität des Standortes – technische Qualität des Bauwerks,
und der Qualität der Prozesse der Planung, Errich- – Prozessqualität.
tung und Bewirtschaftung. In Tabelle 3.2-2 wird
ein Überblick zu den im System verwendeten Kri- Die Teilnoten werden durch die Auswertung ver-
terien gegeben (Stand Oktober 2009). schiedener Einzelkriterien beschrieben. Die Zahl
In die Festlegung von Kriterien sowie die Erar- dieser Einzelkriterien ist für Büro- und Verwal-
beitung von Messvorschriften und Bewertungs- tungsgebäude festgelegt. Allerdings wurde im Pro-
maßstäben fließen die nationalen, sich i. d. R. auch zess der Systemerstellung deutlich, dass nicht für
an Verpflichtungen auf europäischer bzw. inter- alle Kriterien hinreichend gute Nachweismethoden
nationaler Ebene orientierenden Zielstellungen zur Verfügung standen. Einige Kriterien bleiben
Deutschlands ein. Dies sind u. a.: vorerst „ausgeschaltet“ und müssen mit entspre-
chenden Forschungsaktivitäten erst „zum Leben er-
– die Reduzierung der täglichen Zunahme der weckt“ werden.
Verkehrs- und Siedlungsfläche auf 30 ha/d in Ziel war es u. a., alle bauordnungsrechtlichen An-
Deutschland u. a. durch einen Vorrang der Innen- forderungen und sonstigen öffentlich-rechtlichen
3.2 Grundlagen für Nachhaltiges Bauen 1045
Regelungen verpflichtend einzubeziehen. Im ökolo- In der Pilotphase wurden auch Ziele und Refe-
gischen Bereich wird zusätzlich zu den im Zuge der renzen getestet. Dabei geht es darum, das System
Planung ohnehin abzuliefernden Nachweisen eine so auszulegen, dass man mit einer Erfüllung bzw.
Ökobilanz verlangt. Bei den ökonomischen Quali- knappen Übererfüllung von deutschen Standards
täten sind nicht nur Investitionskosten, sondern die das untere Ende von „Bronze“ erreicht. Damit
Lebenszykluskosten zu ermitteln. Die zusätzlichen werden zwei Botschaften transportiert:
Anforderungen an Nachweispflichten sind gering,
wenn im normalen Planungsprozess bereits über- 1. deutsche Standards sind auch im internationalen
greifende Überlegungen und Dokumentationen zur Maßstab auf allen Gebieten relativ hoch und
Nachhaltigkeit realisiert wurden. Die Ausrichtung 2. der Wert einer Zertifizierungsplakette liegt in
der Planung auf Übererfüllung und die erhebliche der hohen Qualitätssicherung durch das Zertifi-
Qualitätskontrolle sind das eigentliche Merkmal der zierungssystem.
Zertifizierung.
Das BNB-Bewertungssystem ist zurzeit nur für Darüber hinaus wurde auch die Gewichtung der
Büro- und Verwaltungsgebäude ausgelegt und wur- Einzelkriterien zueinander (Spreizung max. 1:3),
de an derartigen Gebäuden erprobt. Ende August die Festlegung von Mindestanforderungen bei je-
2008 lag das System in einer ersten Version (sog. dem Kriterium (Nichteinhaltung bedeutet Nicht-
Betaversion) vor. Eine vorgezogene Ersterprobung zertifizierung) und die Festlegung von Mindest-
wurde in Vorbereitung der Weltkonferenz für Nach- anforderungen an einzelne Kriteriengruppen (bei
haltiges Bauen Ende September in Melbourne/Aus- Erreichung des Gold-Standards müssen die Teil-
tralien durchgeführt. Testobjekt war die neu errich- aspekte mindestens Silber-Standard aufweisen)
tete Kreisverwaltung der Stadt Eberswalde. Das untersucht. Das System „Neubau von Büro- und
Gebäude wurde im Rahmen eines Wettbewerbs ge- Verwaltungsgebäuden Version 2009“ steht markt-
plant und städtebaulich erfolgreich integriert. Der bereit zur Verfügung. BMVBS hat die entspre-
Bau des energieoptimierten Gebäudes verlief unter chende Datenbank mit den Steckbriefen Anfang
wissenschaftlicher Begleitung. Der erste Zertifizie- Dezember 2009 im Internet veröffentlicht (unter
rungsdurchgang ergab einen Erfüllungsgrad von www.nachhaltigesbauen.de). Ein „update“ erfolgte
89% (Goldstandard). Auf der Weltkonferenz in Mel- im Januar 2011.
bourne erhielt die Bundesrepublik Deutschland für Dieses Bewertungssystem kann als Planungshilfe
dieses und zwei weitere Projekte sowie für das aus- oder Leitfaden für das Planen und Ausführen, als Ar-
gestellte Zertifizierungssystem den „World Sustai- beitsmittel für die Qualitätssicherung oder als Quali-
nable Building Award 2008“. tätssicherungssysteme mit einer Zertifizierung ver-
Aufgrund einer Vereinbarung mit der DGNB bunden werden. BMVBS hat es bei der Novelle des
wurden danach private und öffentliche Gebäude Leitfadens „Nachhaltiges Bauen“ Anfang 2011 ver-
ausgewählt, an denen in zwei Testphasen Ende wendet. BMVBS hat den Leitfaden per Erlass ver-
2008 und Anfang 2009 die Zertifizierungsversion bindlich für den Bundesbau eingeführt. Praktisch
2008 getestet wurden. Die Teilnehmer aus der ers- werden so alle Bundesgebäude (intern) gelabelt. Den
ten Pilotphase haben auf der internationalen Bau- Ländern und Kommunen wird diese Methode ange-
fachmesse BAU 2009 in München die ersten Pla- boten. DGNB hat begonnen, für den gewerblichen
ketten erhalten (s. Tabelle 3.2-3). Einbezogen wur- Bereich ein Zertifizierungsverfahren anzubieten. Die
den hochrangige Leistungen in der Architektur- Anwendung von Bewertungssystemen für die Nach-
und Ingenieurbaukunst des Bundes, der Länder, haltigkeit von Gebäuden und baulichen Anlagen ist
der Kommunen und von privaten Bauherren. Mit prinzipiell weiter freiwillig. Auch das Anbieten der-
den Ergebnissen wurde die Version „Neubau von artiger Systeme erfolgt freiwillig nach Marktprin-
Büro- und Verwaltungsgebäuden Version 2008“ in zipien.
eine Version 2009 überführt. Sie steht nunmehr für BMVBS prüft auf Anfrage Bewertungssysteme
den operativen Betrieb zur Verfügung. Dabei soll und empfiehlt sie zur Anwendung nach erfolg-
das System als freiwilliges Marktsystem eingesetzt reicher Prüfung für die Planungs- und Baupraxis.
werden. Dabei müssen wichtige Anforderungen eingehal-
1048 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
ten werden. Es werden nur Systeme anerkannt, die wesentliche Voraussetzung für die Erarbeitung eines
eine Gesamtbeschreibung des Gebäudes vorneh- nationalen Konsens zu Fragen der Integration von
men. Das System muss gewährleisten, dass jede Nachhaltigkeitsaspekten in die Bau-, Wohnungs-
Kriteriengruppe mit konkreten Einzelkriterien be- und Immobilienwirtschaft ist. Es gelingt so einer-
schrieben wird. Diese Kriterien müssen auf nach- seits, über Forschungsprojekte entsprechende Vor-
vollziehbaren und eindeutigen Erhebungs- und Be- arbeiten zu initiieren und zu koordinieren und ande-
wertungsmethoden aufbauen und eindeutige Mess- rerseits gemeinsame Positionen bei der Entwicklung
vorschriften beinhalten. Die Kriterien werden nach eines nationalen Bewertungs- und Zertifizierungs-
Relevanz und Praktikabilität vom Systemersteller systems zu erarbeiten. Dieses System ist jedoch ein-
festgelegt. Bei jedem Kriterium ist eine Mindest- gebettet in ein Paket sich gegenseitig ergänzender
qualität vorzugeben, die zwingend eingehalten Informations-, Planungs- und Bewertungshilfsmit-
werden muss. Die Vorgabe der Mindestqualität tel, welches auf einer einheitlichen Datenbasis auf-
muss insbesondere bei Neubauvorhaben die Ein- baut und sich am Stand der internationalen und eu-
haltung aller gesetzlichen Anforderungen ein- ropäischen Normung orientiert.
schließen. Das neu entwickelte Bewertungssystem Nach-
Die Empfehlung des BMVBS („vom BMVBS haltiges Bauen des Bundes steht für die Begleitung
anerkanntes und für die Praxis empfohlenes Be- von Planungsaufgaben zur Verfügung. BMVBS hat
wertungssystem für nachhaltige Gebäude“) wird es für Bundesgebäude mit dem Leitfaden nachhal-
auf der Grundlage von Grundsätzen und Richtli- tiges Bauen verbindlich über die Bundesbauverwal-
nien ausgesprochen, die im Bundesanzeiger veröf- tung eingeführt und kann somit auch Vorbildwir-
fentlicht wurden. kung entfalten. Die DGNB als privater Systemabie-
Diese Anerkennungspraxis soll in der weiteren ter bietet entsprechende Bewertungssysteme am
operativen Tätigkeit auch bei anderen gewerblichen Markt an. Die Erweiterung auf weitere Gebäudeka-
Gebäudekategorien angewandt werden (z. B. Hotels, tegorien erfolgt durch BMVBS und entsprechende
Handelsbauten). Die DGNB hat auch hier bereits er- Systemanbieter. Diese können sich ihr System vom
ste Testversionen entwickelt. BMVBS schließt ein BMVBS anerkennen lassen. Bei Gebäuden und
derartiges Verfahren nur bei Gebäuden mit erheb- baulichen Anlagen, die von erheblichem öffent-
lichem öffentlichem Interesse aus. Bei Gebäuden lichem Interesse sind, werden Bewertungssysteme
und baulichen Anlagen, die ausschließlich von den in Arbeitsgruppen der Träger öffentlicher Belange
Trägern öffentlicher Belange betrieben werden, sol- beim BMVBS entwickelt und umgesetzt.
len diese auch selbst Bewertungssysteme entwi-
ckeln. Das betrifft den Wohnungsbau, Gebäude der 3.2.2 Nachhaltiges Bauen mit Beton
sozialen Infrastruktur (Schulen, Kitas), Infrastruk-
turbauten (Tunnel, Brücken) und Stadtquartiere. Udo Wiens, Bruno Hauer, Josef Hegger,
Zum Thema Wohnungsbau arbeitet bereits eine Ar- Tobias Dreßen
beitsgruppe beim BMVBS gemeinsam mit Vertre-
3.2.2.1 Nachhaltigkeit im Bauwesen –
tern und Spitzenverbänden der Wohnungswirtschaft.
Allgemeines
Mit den Ländern bestehen weitere Arbeitsgruppen
(z. B. zu Bildungsbauten). Nachhaltiges Bauen wird heute von vielen Akteuren
Insgesamt stehen damit in Deutschland nunmehr im Bauwesen eingefordert und weiterentwickelt.
umfangreiche Planungs- und Bewertungshilfsmittel Wie in Abschn. 3.2.1 ausgeführt, entwickelt das
zur Verfügung. Dem nachhaltigen Bauen und Planen Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtent-
ist damit besser als bisher der Weg bereitet! wicklung (BMVBS) ein Zertifizierungssystem zum
nachhaltigen Bauen, um die eigenen Bauten damit
3.2.1.5 Zusammenfassung und Ausblick bewerten zu können. Zu den Hauptkriterien der Be-
Vor dem Hintergrund der Erfahrungen in Deutsch- wertung der Nachhaltigkeit gehören die
land kann festgestellt werden, dass die Einrichtung
eines Runden Tisches „Nachhaltiges Bauen“ unter – ökologische,
Einbeziehung aller relevanten Akteursgruppen eine – ökonomische,
1050 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
– soziokulturelle und funktionale sowie die pekten bei der Planung, Ausführung, Nutzung und
– technische dem Rückbau von Betonbauwerken ausgearbeitet
werden. Hierzu müssen
Qualität eines Gebäudes, ergänzt um die Prozess-
– Nachhaltigkeitsaspekte in bestehende Planungs-
qualität und die Standortqualität, s. Abschn. 3.2.1.
und Ausführungsgrundsätze integriert werden,
Über die Bundesbauten und über Deutschland hin-
– bereits bestehende Bewertungsverfahren zum
aus will die Deutsche Gesellschaft für Nachhal-
nachhaltigen Bauen auf die Bedürfnisse und
tiges Bauen (DGNB) Bauwerke auf ihre Nachhal-
Randbedingungen des Betonbaus zugeschnitten
tigkeit bewerten, wie es durch ausländische Zertifi-
werden,
zierungssysteme schon praktiziert wird. Detaillierte
– den am Bau beteiligten Partnern Vorschläge für
Ausführungen über das Zertifizierungssystem des
technische Lösungen insbesondere unter Be-
Bundes und erste Ergebnisse von Pilotzertifizie-
rücksichtigung der Schnittstellen einzelner Le-
rungen finden sich in Abschn. 3.2.1. Internationale
benswegphasen zur Verfügung gestellt werden,
Normungsgremien auf ISO- und auf CEN-Ebene
– Planungswerkzeuge und neue Informations- und
arbeiten derzeit an der Ausgestaltung der Grundla-
Kommunikationstools akteursbezogen entwickelt
gen für das nachhaltige Bauen.
werden, die den Transfer relevanter Informationen
Letztlich wird das nachhaltige Bauen aber durch
entlang des Lebensweges sicherstellen.
die einzelnen Bauweisen konkret umgesetzt werden
müssen. Die Betonbauweise nimmt innerhalb des ge- Abgeleitet aus diesen Vorgaben arbeitet der Deut-
samten Bauwesens vor allem aufgrund der eingesetz- sche Ausschuss für Stahlbeton (DAfStb) im Rah-
ten Mengen an Material, der großen Breite der An- men eines durch das Bundesministerium für Bil-
wendungen und der in der Leistungsfähigkeit der dung und Forschung (BMBF) und von verschie-
Bauweise begründeten Entwicklungspotenziale eine denen Verbands- und Industriepartnern geförderten
herausragende technische und wirtschaftliche Stel- Verbundforschungsprogramms (Laufzeit bis Okto-
lung ein. So wurden im Jahr 2008 in Deutschland ber 2009) an der Erstellung einer DAfStb-Richtli-
rund 41 Mio m3 Transportbeton hergestellt, hinzu nie „Grundsätze des nachhaltigen Bauens mit Be-
kommen in gleicher Größenordnung Betonfertigteile ton“ (GrunaBau). In dieser zentralen Richtlinie
und Betonwaren. Anwendungsbeispiele lassen sich sollen die wesentlichen am Betonbau Beteiligten
in Wohn- und Bürobauten mit Fundamenten, Decken, eine Unterstützung für die Umsetzung nachhal-
Wänden, Stützen, Treppen und Balkonen ebenso fin- tigen Bauens in der täglichen Berufspraxis finden.
den wie im Industriebau (Industriefußböden, Schorn- Der Weg dazu führt von der Darstellung der grund-
steine), im landwirtschaftlichen Bauen (Ställe, Gül- legenden Nachhaltigkeitsaspekte über die Hinwei-
le- und Biogasbehälter) oder bei Infrastrukturmaß- se zum Informationsfluss zwischen den Beteiligten
nahmen (Straßenbeläge, Schwellen und feste Fahr- bis hin zu Empfehlungen zur technischen Umset-
bahn bei Eisenbahnstrecken, Schleusen und Dämme zung. Die GrunaBau erhält dadurch einen für den
im Wasserbau, Tunnel, Masten). Die Anwendungs- Betonbau bisher noch nicht erreichten Konkreti-
möglichkeiten werden zudem durch die Entwick- sierungsgrad mit beträchtlicher Breitenwirkung
lungen in der Betontechnik, z. B. hochfeste Betone, und liefert somit einen wichtigen Baustein zum
erweitert. Diese exemplarisch ausgewählten Zahlen nachhaltigen Bauen in Ergänzung zu dem System
und Beispiele verdeutlichen, dass eine nachhaltige der Planungs- und Bewertungshilfsmittel, die zur
Entwicklung insbesondere im Betonbau umgesetzt Zertifizierung der Nachhaltigkeit von Gebäuden
werden muss, wenn sie im Bauwesen allgemein auf im Rahmen des BMVBS-Systems herangezogen
breiter Ebene Wirkung entfalten soll. werden können, s. Abschn. 3.2.1.
Durch die Bündelung der gesamten Interessen
3.2.2.2 Nachhaltig Bauen mit Beton – der am Betonbau Beteiligten im DAfStb (Tragwerk-
Übersicht planer, Baustoffhersteller, Bauindustrie, Behörden,
Um das nachhaltige Bauen mit Beton zu fördern private und öffentliche Bauherren) wird die Umset-
und in der Praxis zu verankern, müssen Grundsät- zung der Leitlinien in die Normung und die Praxis
ze zur Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsas- sichergestellt. Im Rahmen von Vorstudien [Rein-
3.2 Grundlagen für Nachhaltiges Bauen 1051
Abb. 3.2-1 Darstellung der Forschungsschwerpunkte anhand des im Forschungsvorhaben entwickelten fiktiven Gebäu-
des „Der Stadtbaustein“
hardt et al. 2001] und Fachgesprächen innerhalb des bar macht: der „Stadtbaustein“. Ein möglicher kon-
DAfStb wurde das Forschungsprogramm struktu- kreter Gebäudetyp mit einer festgelegten Nutzung in
riert und auf insgesamt 5 spezifische Schwerpunkte einer bestimmten Lebensphase, der sich hinter dem
für den Betonbau fokussiert: Stadtbaustein verbirgt, ist z. B. das Bürogebäude mit
einer Tragstruktur aus Beton und einer integrierten
Projekt A: Nachhaltigkeitsbeurteilung baulicher
Tiefgarage (s. Abb. 3.2-1). Bereits bei der Baustoff-
Lösungen aus Beton
wahl besteht die Möglichkeit, den Ressourceneinsatz
Projekt B: Potenziale des Sekundärstoffeinsatzes
zu optimieren. Unter Verwendung von Silikastaub,
im Betonbau
Hüttensand oder Flugasche in der Zement- bzw. in
Projekt C: Ressourcen- und energieeffiziente, adap-
der Betonproduktion, die als Sekundärstoffe in ver-
tive Gebäudekonzepte im Geschossbau
schiedenen Prozessen anfallen, lassen sich z. B.
Projekt D: Lebensdauermanagementsystem
Hochleistungsbetone herstellen, wodurch Primär-
Projekt E: Effiziente Sicherstellung der Umwelt-
stoffressourcen eingespart werden können (Projekte
verträglichkeit
B und C). Diese innovativen Werkstoffe werden mit
Projekt F: Informationsplattform.
flexiblen, adaptiven Gebäudekonzepten gekoppelt
Zur Überprüfung der Forschungsansätze aus den (Arbeitspakete C1 und C2), die u. a. den Einsatz von
einzelnen Teilvorhaben wurde eine Projektionsflä- vorgespannten Fertigteilen mit für die Gebäudetech-
che entwickelt, die alle gemeinsamen Arbeitsrich- nik optimierten Querschnitten zum Ziel haben.
tungen und Zielsetzungen beschreibt und überprüf- Durch intelligente Weiterentwicklung bestehender
1052 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
Konstruktionsprinzipien und Anschlussdetails kann Wie in Abb. 3.2-1 schematisch angedeutet, wird
die Gebäudetechnik besser in die Gesamtkonstrukti- die Tiefgarage in das Grundwasser gebaut. Aus
on integriert und dadurch die Energieeffizienz des dem Beton können umweltrelevante Stoffe durch
Bürogebäudes gesteigert werden. Auslaugung an das Grundwasser abgegeben wer-
Gerade die Nutzungsphase übt einen oftmals den. Im Sinne der Reinhaltung des Grundwassers
dominierenden Einfluss auf die Kosten und Um- gemäß Wasserhaushaltsgesetz stellt die effiziente
weltwirkungen des gesamten Lebensweges aus. Sicherstellung der Umweltverträglichkeit der Be-
Energetische Aspekte sind hierbei von besonderer tonbauwerke im Rahmen der Nachhaltigkeitsbe-
Bedeutung. Im Optimierungsprozess mit der Trag- trachtung ein wesentliches in die Zukunft gerichte-
konstruktion können massive Innenbauteile aus tes Ziel dar (Projekt E). Hier gilt es insbesondere,
Beton das energetisch ungünstige Verhalten von die wesentlichen Freisetzungsmechanismen um-
transparenten Metall-Glas-Fassadenkonstruktionen weltrelevanter Stoffe zu ermitteln und deren Ver-
erheblich kompensieren und dazu beitragen, dass in teilung in situ, d. h. anhand von Pilotprojekten,
diesen Gebäuden auf die primärenergetisch ungüns- festzustellen und mit den bisher vorliegenden Er-
tige Kühltechnik ganz oder teilweise verzichtet wer- kenntnissen aus Laboruntersuchungen und Ver-
den kann (Arbeitspaket C3). gleichsrechnungen abzugleichen.
Die Instandhaltung stellt einen weiteren wesent- Kann die ursprüngliche Gebäudenutzung nicht
lichen Gesichtspunkt für das nachhaltige Bauen dar. mehr sinnvoll aufrechterhalten werden, ermögli-
Im Bereich der Tiefgarage werden durch einfahrende chen weit gespannte Deckensysteme eine mög-
PKW Tausalze eingeschleppt, die zur Bewehrungs- lichst große Flexibilität in der Umnutzung des Ge-
korrosion führen und große Schäden verursachen kön- bäudes (Projekte C1 und C2). Sollte am Ende des
nen. Für den Schutz des Betons vor dem Eindringen Lebensweges dann doch der Rückbau bzw. Abriss
der Tausalze müssen zusätzliche Maßnahmen ergrif- des Gebäudes erforderlich sein, können eine hoch-
fen werden (z. B. das Aufbringen einer Beschichtung wertige Nutzung des Altbetons einschließlich des
oder eines Asphaltbelages). Da die Lebensdauer von Betonbrechsandes noch einen möglichst hohen
Betonbauwerken größer ist als die der Beschichtungs- Nutzen im nächsten Lebenszyklus des Materials
maßnahmen, müssen Instandhaltungskonzepte ent- erbringen und dort Kosten und Umweltwirkungen
wickelt und optimiert werden, die eine Bewehrungs- mindern (Projekt B).
korrosion über die Lebensdauer des Betonbauwerkes Eine Klammer um alle Projektschwerpunkte
wirksam verhindern (Projekt D). Fester Bestandteil bilden die Projekte A und F. Mit ihrer Hilfe sollen
solcher Instandhaltungskonzepte ist die regelmäßige die einzelnen in den Projekten getroffenen Maß-
Zustandserfassung, die ggf. durch den Einsatz von nahmen hinsichtlich ihres Beitrages zur Nachhal-
Monitoring-Systemen unterstützt werden kann. Eine tigkeit beurteilt werden. Hierzu wurden zunächst
weitere Optimierungsmöglichkeit entsteht zwischen in einem wissenschaftlichen Diskurs die Kriterien
dem Nutzen der Instandhaltungsmaßnahme im Hin- für das Bewertungsverfahren in Projekt A festge-
blick auf eine Verlängerung der Lebensdauer und den legt. Die verschiedenen vorhandenen Werkzeuge
hierfür anfallenden Kosten. Zur Lebensdauerabschät- zur Beurteilung der Nachhaltigkeit wurden in der
zung sind probabilistische Verfahren weiterzuentwi- weiteren Projektbearbeitung auf den Betonbau ab-
ckeln, die sowohl bei der Planung hilfreich sind als gestimmt und ergänzt. Die Erarbeitung der Bewer-
auch zur Abschätzung der Restlebensdauer von beste- tungskriterien und -werkzeuge geschah dabei nicht
henden Bauwerken verwendet werden können. Eine losgelöst von der Arbeit der anderen Projekt-
Erhöhung der Dauerhaftigkeit des Betonbauwerkes schwerpunkte, sondern erfolgte vielmehr im Wech-
kann z. B. durch den bereits im Zusammenhang mit selspiel mit den Anforderungen und Erfahrungen
den Projekten B und C erwähnten Einsatz von dichten aus allen Projektschwerpunkten.
Hochleistungsbetonen unter Verwendung von Sekun- Das im Aufbau befindliche Online-Informa-
därstoffen erzielt werden. Die im Projekt D entwi- tionssystem (Projekt F) gibt den professionellen
ckelten Prinzipien lassen sich auch auf andere Beton- Nutzern gezielte Zugriffsmöglichkeiten auf Ein-
bauwerke, wie Brücken oder andere Infrastrukturbau- zelinformationen und Dokumente, die im Zuge
werke mit herausragender Bedeutung, übertragen. von Informations- und Entscheidungsprozessen im
3.2 Grundlagen für Nachhaltiges Bauen 1053
Druckfestigkeit dar. Die Betone sind wie der Ze- tion gemäßen Zusammensetzung der Zementhaupt-
ment so zusammengesetzt, dass sie eine mittlere Zu- bestandteile entsprechen, zeigt Abb. 3.2-2 eine mög-
sammensetzung solcher Betone widerspiegeln (s. liche Variation der Baustoffprofile für Beton, falls
Tabelle 3.2-4) [Zement-Taschenbuch 2008]. In den statt des deutschen Durchschnittszements ein Port-
in Tabelle 3.2-5 dargestellten Baustoffprofilen sind landzement CEM I oder ein Hochofenzement CEM
die mit der Baustoffherstellung verbundenen Auf- III/A verwendet wird. Dargestellt sind die relativen
wendungen bis zur Auslieferung des Bauprodukts Unterschiede zwischen den Betonvarianten mit den
am Werktor berücksichtigt. Weitere Baustoffprofile unterschiedlichen Zementarten im Hinblick auf die
wurden im Projekt für höherfeste Betone entwickelt, betrachteten Ökobilanzindikatoren. Diese relativen
weitere ergänzende Baustoffprofile werden vorbe- Unterschiede stellen sich für die Betondruckfestig-
reitet. Mit Hilfe dieser Daten können unterschied- keitsklassen C20/25 bis C50/60 sehr ähnlich dar und
liche Konstruktionsvarianten analysiert werden. wurden entsprechend für die Darstellung über diese
Mit zunehmender Druckfestigkeitsklasse des Be- Betondruckfestigkeitsklassen gemittelt.
tons nehmen die potenziellen ökologischen Wir- Bei allen Indikatoren weist der Beton mit Port-
kungen zu. Diese Tendenz hat ihre wesentliche Ursa- landzement (CEM I) den höchsten Wert auf und
che in den mit der Festigkeitsklasse zunehmenden derjenige mit Hochofenzement (CEM III/A) den
Zementgehalten. Die Abnahme des Gehalts an Ge- niedrigsten. Es zeigen sich ähnlich große Unter-
steinskörnungen hat demgegenüber eine untergeord- schiede in den Wirkungskategorien Treibhauspoten-
nete Bedeutung. Insgesamt haben die potenziellen zial (GWP), Versauerungspotenzial (AP), Eutro-
Umweltwirkungen der Betonherstellungim Laufe des phierungspotenzial (EP) und Ozonbildungspoten-
letzten Jahrzehnts von 1996 bis 2006 deutlich abge- zial (POCP). Die Unterschiede beim Bedarf an
nommen, was insbesondere auch auf den erhöhten nicht erneuerbarer Primärenergie (PE n. e.) sind
Einsatz von Zementen mit mehreren Hauptbestandtei- nicht sehr groß, beim Ozonabbaupotenzial (ODP)
len zurückzuführen ist. noch geringer, um schließlich beim Indikator „Pri-
Während Tabelle 3.2-4 von Betonen ausgeht, die märenergie erneuerbar (PE e.)“ fast ganz zu ver-
einem mittleren Zement einer der deutschen Produk- schwinden.
Tabelle 3.2-5 Baustoffprofil Transportbeton: Primärenergiebedarf und Wirkungsabschätzung der Herstellung von 1 m3
Transportbeton für drei Betondruckfestigkeitsklassen (Bezugsjahr 2006) [Zement-Taschenbuch 2008]
Abb. 3.2-2 Ökobilanzielle Indikatoren für die Herstellung eines Betons mit einem Portlandzement CEM I und mit einem
Hochofenzement CEM III/A im Vergleich zur Herstellung des Betons mit einem Zement – für die deutsche Zementpro-
duktion – mittleren Gehalts der verschiedenen Zementbestandteile
beitragen, dass diese Gebäude energetisch effizient schreiben. Die Nutzungsanforderungen bezüglich
gebaut und betrieben werden können. der Raumabmessungen, der Raumhöhe, der Lage
Zur methodischen Überprüfung der jeweiligen im Gebäude, der Erschließungsmöglichkeiten, der
Forschungsansätze wurde der bereits vorgestellte Belichtung, der Belüftung und der Temperierung
„Stadtbaustein“ gewählt (vgl. Abb. 3.2-3). Dieser sowie der bauphysikalischen Parameter wie dem
dient als Bezugsgröße einer exemplarischen Ge- Schallschutz bilden eine wichtige Grundlage. Mit
bäudeeinheit und ermöglicht eine klare Definition den definierten Annahmen ergibt sich ein theo-
der Problemstellungen. retisches Fallbeispiel, anhand dessen konkrete
Zur Sicherstellung der Flexibilität innerhalb des Anforderungen abgeleitet und die möglichen Lö-
Gebäudekonzeptes sind die möglichen Nutzungen sungsansätze für bauliche Strukturen entwickelt
und Nutzungskombinationen sowie ihre räumliche werden. Die sich hieraus ergebenden Randbedin-
und technische Ausformulierung gezielt zu be- gungen des Stadtbausteins nach Abb. 3.2-3 sind:
tragen. Die Demontierbarkeit erweitert die Flexi- Grundrissgestaltung, da keinerlei tragende Bauteile
bilität eines Tragsystems, da einzelne Elemente zwischen den Gebäudefassaden vorhanden sind.
ersetzt, entfernt oder hinzugefügt werden können. Die maximale Stützweite ist jedoch begrenzt, wenn
Neben der Funktionalität können dafür auch ästhe- die Geschosshöhe nicht zu groß werden soll. Des
tische Gründe ausschlaggebend sein. Im Geschoss- Weiteren sind spätere Änderungen im Tragwerk,
bau werden die Tragsysteme heute meist aus dem z. B. größere Öffnungen, nur begrenzt möglich.
Entwurf abgeleitet. Dementsprechend entwickelten Neue Konzepte im Bürobau verfolgen das Ziel
sich für Bürogebäude typische Tragsysteme. Im einer möglichst freien Raumaufteilung mit weni-
Wesentlichen lassen sich gemäß Abb. 3.2-4 drei gen vertikalen Traggliedern, um unterschiedliche
Systeme unterscheiden: die Unterzugdecke, die Bürotypen (Zellen-, Kombi-, Großraumbüro, Busi-
Flachdecke auf Stützen sowie die freitragende ness-Club) wahlweise zu ermöglichen. Meist wird
Platte über die gesamte Gebäudebreite. dabei in Gebäudelängsrichtung mittig ein Versor-
Durch die Anordnung von Unterzügen (Abb. gungskanal vorgesehen, von dem aus die jewei-
3.2-4a und b) kann i. Allg. die erforderliche De- ligen Nutzungseinheiten mit der erforderlichen
ckendicke und damit der Materialaufwand redu- Gebäudetechnik bedient werden [Hovestadt et al.
ziert werden. Weiterhin lassen sich Unterzugde- 1996, Lochner/Bauer 2004]. Dies erfolgt dabei
cken leicht mit Fertigteilen oder Teilfertigteilen entweder von oben über abgehängte Decken oder
herstellen. Nachteilig wirken sich die Unterzüge von unten über Hohl- oder Doppelböden.
vor allem auf die Grundrissgestaltung und die Lei- Während sich für Bürogebäude die vorgenann-
tungsführung aus. Meist ist bei dieser Konstrukti- ten typischen Tragsysteme durchgesetzt haben, sind
onsart eine Abhangdecke erforderlich, in der die die bisherigen Tragsysteme im Wohnungsbau kaum
Leitungen verlegt werden. Zur Realisierung gerin- kategorisierbar. Wohnungsgrößen und Raumauftei-
ger Geschosshöhen können Öffnungen in den Un- lung werden bei der Planung individuell entspre-
terzügen vorgesehen werden. Dies erfordert zum chend den jeweiligen Anforderungen festgeschrie-
einen eine genaue Planung der Leitungsführung zu ben, wobei eine Neuaufteilung von Räumen oder
einem frühen Zeitpunkt und schränkt zum anderen ganzen Wohnungen nur selten in Erwägung gezo-
die Flexibilität gegenüber sich ändernden Anforde- gen wird. In der Regel sind die Stützweiten im
rungen an die Techniksysteme, wie etwa Heizung Wohnungsbau begrenzt und der Anteil an tragenden
oder Lüftung, deutlich ein. Bei einem Nutzerwech- Innenwänden hoch. Dies resultiert nicht zuletzt aus
sel können zudem neue Anforderungen entstehen, den Anforderungen des Schallschutzes, die sich
die mit den vorgesehenen Öffnungen nicht zu rea- durch schwere Wände am leichtesten erfüllen las-
lisieren sind. sen. So ist z. B. zur Erfüllung der Schallschutz-
Eine größere Flexibilität sowohl bei der Grund- anforderungen an eine Wohnungstrennwand eine
rissaufteilung als auch bei der Leitungsführung 24 cm dicke Wand mit einer Rohdichte von
bietet die Flachdecke auf Stützen (Abb. 3.2-4c). U § 1.800 kg/m³ erforderlich [DIN 4109 1989].
Der Wegfall der Unterzüge führt jedoch i. d. R. zu
größeren erforderlichen Deckendicken bei glei- Deckensystem für flexible Nutzung
chem Stützenraster. Die Ausführung in Fertigteil- In jedem mehrgeschossigen Gebäude stellen die
bauweise ist bei diesem Tragsystem erschwert und Decken einen wesentlichen Teil der Bauleistungen
bei größeren Spannweiten wird häufig der Durch- dar. Die Decken erfüllen tragende und aussteifende
stanzwiderstand zum begrenzenden Faktor. Funktionen, bilden den oberen und unteren Raum-
Die freitragende Platte über die gesamte Gebäu- abschluss und müssen somit statischen, bauphysika-
debreite (Abb. 3.2-4d) erfordert die größte Decken- lischen, nutzungsbedingten und ästhetischen Anfor-
höhe. Solche Tragsysteme können meist nur durch derungen genügen. Die Decken können vorgespannt
eine Vorspannung und/oder hohe T-, U- oder TT- oder schlaff bewehrt, aus Normal-, Leicht- oder
Platten realisiert werden, die vorzugsweise als Fer- hochfestem Beton hergestellt und (wahlweise oder
tigteile auf die Baustelle geliefert und dort verlegt planmäßig) mit einer Ortbetonschicht versehen wer-
werden. Diese Art des Tragsystems ermöglicht an- den. Neue Entwicklungen von Deckentragsystemen
dererseits die größtmögliche Flexibilität in der zielen vor allem auf die Optimierung einzelner As-
1058 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
pekte. Dies sind z. B. der Einsatz von Hohlkörpern tungsführung innerhalb des Deckenquerschnitts
zur Reduzierung des Eigengewichts [Fastabend eine flexible Raumaufteilung zu ermöglichen [VBI-
2003], die Integration von Wärmedämmschichten, Firmenschrift 2005, Maack 2003].
das Aufbringen von Rippen auf Elementdecken für Ein erster Lösungsansatz für eine Deckenkons-
größere Montagestützweiten [Rojek/Keller 2003] truktion wurde im Rahmen des BMBF-Verbundfor-
oder der Einbau von Leitungen auf Trägermatten schungsvorhabens entwickelt. Abbildung 3.2-5 zeigt
zur Bauteilaktivierung [Furche et al. 2004]. Zusätz- schematisch den möglichen Aufbau einer „intelli-
lich existieren Bestrebungen, durch variable Lei- genten Decke“. Die umgedrehte Fertigteilstegplatte
3.2 Grundlagen für Nachhaltiges Bauen 1059
Abb. 3.2-5 Deckenkonstruktion mit integrierter Leitungsführung und Abmessungen der Deckenkonstruktion am Bei-
spiel des Stadtbausteins
mit einer Höhe von nur 47 cm hat eine glatte Decke- forderungen an die Gebäudetechnik zu reagieren.
nuntersicht und bietet zwischen den Stegen Platz für Zur horizontalen Flexibilität kommt auf diese Weise
die Integration von Gebäudetechnikleitungen. Um eine vertikale Installationsflexibilität hinzu. Es be-
eine flexible Leitungsführung zu ermöglichen, sind steht unter den einzelnen Etagen bezüglich der Ge-
Öffnungen in den Stegen vorgesehen. Trotz des ge- bäudetechnikleitungen keine Abhängigkeit.
ringen Eigengewichts ist das Deckensystem bei einer Die Tragstruktur ermöglicht zum einen die Ver-
Spannweite von 15,60 m zur Begrenzung der Verfor- änderung innerhalb von Gebäuden hinsichtlich einer
mung vorzuspannen. Um die großen Vorspannkräfte reinen Wohn- oder Büronutzung, des Weiteren die
einleiten zu können und die Tragfähigkeit der Beton- Veränderung innerhalb von Gebäuden hinsichtlich
druckzone sicherzustellen, muss eine hohe Betonfes- einer Mischnutzung Wohnen/Büro und zum dritten
tigkeitsklasse verwendet werden (t C50/60). Auf das Offenhalten der Planung/Erstellung hinsichtlich
diese Weise kann der Druckgurt auf eine Breite von einer kurzfristigen Nutzungsfestschreibung.
30 cm im Abstand von 60 cm reduziert werden, so
dass ausreichend Platz zwischen den Stegen vorhan-
3.2.2.5 Exemplarische Gebäudebewertung
den ist. Wegen der Öffnungen sowie der Schubüber-
tragung zur unteren Platte ist in den Stegen eine hohe Beschreibung der Nutzungsszenarien
Querkraftbewehrung anzuordnen. In diesem Bereich Innerhalb des Nutzungszeitraums wurden für den
ist auch der Einsatz von ultrahochfestem Beton und/ Stadtbaustein zum Vergleich von Tragstrukturen
oder Stahleinbauteilen denkbar. für flexible Nutzung mit Standardlösungen drei
Die Installation der Gebäudetechnik kann hier Nutzungsszenarien definiert (Abb. 3.2-7).
von oben erfolgen. Kleinere Änderungen und War- Bei Gebäuden mit Büronutzung ist ein Nutzer-
tungsarbeiten an der Gebäudetechnik erfolgen durch wechsel häufig mit einer Neuaufteilung der Räume
Revisionsöffnungen. Auf den Rippen der Stegplatte und daher mit Umbaumaßnahmen verbunden. Mo-
lassen sich z. B. Anhydritplatten verlegen, auf denen derne Bürogebäude bieten heute die Möglichkeit, auf
dann alle gängigen Bodenbeläge aufgebracht wer- solche Nutzerwechsel zu reagieren. Anders verhält es
den können. Zur Erfüllung der Schallschutzanforde- sich dagegen bei einem Wechsel von einem Büro- zu
rungen sind geeignete Schalldämmschichten zu ver- einem Wohngebäude. Hier ist bei einer Standardlö-
wenden. Eine abgehängte Decke ist bei einem sol- sung i. Allg. ein Abriss unvermeidbar. Eine flexible
chen Deckenaufbau nicht erforderlich. Gebäudestruktur bietet dagegen die Möglichkeit, auch
Die Räume können auf der Grundfläche variabel auf die Umnutzung von einer Büro- zur Wohnnutzung
angeordnet werden (Abb. 3.2-6). So ist es möglich, zu reagieren. Die hohe Lebensdauer von Betonkons-
bei Nutzungswechseln auf die sich ändernden An- truktionen kann so effektiv ausgenutzt werden.
1060 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
Für das „Vergleichsobjekt Standard“ wird als Tabelle 3.2-6 Ökologische Ziele und zugehörige Indika-
Tragstruktur für die Büronutzung eine Flachdecke toren
mit h = 26 cm auf zwei Außen- und zwei Innenstüt- Ökologische Ziele Indikatoren
zenreihen vorgesehen. Für die Wohnnutzung werden
die Wohnungstrennwände als massive, tragende un- Schutz des Klimas Treibhauspotenzial
bewehrte Wände ausgeführt, die Dicke der Decke Schutz der Ozonschicht Ozonabbaupotenzial
beträgt 24 cm. Das Deckensystem der „flexiblen Geringe Belastung von Versauerungspotenzial
Struktur“ spannt über die gesamte Gebäudetiefe von Erde, Wasser, Luft Überdüngungspotenzial
15,60 m. Die Treppenhauswände werden für sämt- Sommersmogpotential
liche Varianten in Stahlbeton ausgeführt. Die Fassa- (Ozonbildungspotenzial)
de sowie die leichten Trennwände bleiben bei der Schonung der energe- Primärenergie (erneuerbar/nicht
tischen Ressourcen erneuerbar)
Massenermittlung zunächst unberücksichtigt. Es
gelten die Abmessungen und Randbedingungen des
Stadtbausteins ab Oberkante Kellerdecke. hen Anteil tragender Wände führt zu einem hohen
Beton- und geringen Stahlverbrauch. Die Flexible
Bewertungsindikatoren Struktur mit einem Minimum an vertikalen Trag-
Im Projekt A des Verbundforschungsvorhabens wer- gliedern weist dagegen einen etwa doppelt so hohen
den die Instrumente der Nachhaltigkeitsbewertung Stahlverbrauch auf. Gleichzeitig wird etwa 40%
bereitgestellt [Graubner/Hock 2007a]. Zur Bewer- weniger, jedoch höherfester Beton benötigt.
tung der ökologischen und ökonomischen Dimensi- Die Abb. 3.2-9 und 3.2-10 zeigen die Ergebnisse
on der Nachhaltigkeit sind die Methoden der Ökobi- der ökologischen Bewertung der Tragstruktur. Ge-
lanz und der Lebenszykluskostenrechnung bereits genüber den heute üblichen Standardtragwerken für
allgemein anerkannt. Es werden hier zunächst nur den Büro- und Wohnungsbau ergeben sich für die
die Umweltauswirkungen betrachtet, da hierfür ei- flexible Struktur mit Ausnahme der erneuerbaren
ne geeignete Datenbasis vorliegt, die für den Beton Primärenergie um etwa 10–40% größere Umwelt-
im Forschungsvorhaben zusammengestellt wurde auswirkungen. Der Anteil erneuerbarer Primärener-
[Hauer 2008]. In Tabelle 3.2-6 sind die im Projekt A gie liegt nur bei etwa 5% der Gesamtprimärenergie.
für den Betonbau identifizierten Indikatoren den Die Umweltauswirkungen der drei untersuchten
ökologischen Zielen zugeordnet. Tragsysteme liegen im Bereich von r20%.
Im ersten Schritt beschränkt sich die Untersu- Es ist leicht vorstellbar, dass die höheren Umwelt-
chung auf die Ökobilanz der Tragstruktur. Der Aus- auswirkungen bei der Erstellung des Tragwerks durch
bau, die Fassade sowie die Gebäudetechnik bleiben Einsparungen bei Umbauten kompensiert werden. Es
unberücksichtigt. In der weiteren Betrachtung in- wird deutlich, dass die Decken bei allen Wirkungska-
nerhalb des Verbundforschungsvorhabens wird dann tegorien den größten Teil ausmachen (Abb. 3.2-10).
der gesamte Lebenszyklus der Gebäude analysiert Besonders deutlich wird dies bei den im Bürobau üb-
und um die Lebenszykluskostenrechnung ergänzt. lichen Skelett-Tragwerken. Dies zeigt, dass die De-
Die Methode der Ökobilanz, die im Folgenden bei- ckentragsysteme bezüglich der ökologischen Bewer-
spielhaft auf die Tragstruktur angewendet wird, ist tung wie auch bei der Planung von Tragstrukturen für
in [Graubner/Hock 2007a] ausführlich beschrieben. flexible Nutzung von besonderer Bedeutung sind.
Bei allen Tragwerkstypen dominiert der Anteil
Bewertung der Tragstruktur des Betons mit etwa 50–90% der Gesamtauswir-
Abbildung 3.2-8 zeigt die ermittelten Beton- und kungen je nach Indikator.
Stahlmengen. Um einen Vergleich der drei Tragsys-
teme zu erhalten, wurden die Mengen und Wir-
3.2.2.6 Grundsätze des Nachhaltigen Bauens
kungskategorien prozentual aufgetragen, wobei die
mit Beton – GrunaBau
Flachdecke auf Stützen (Standard Büro) zu 100%
gesetzt wurde. Mit abnehmendem Betonverbrauch Begleitend zu den zuvor beschriebenen For-
steigt die Menge an erforderlichem Stahl. Die Stan- schungsaktivitäten wird innerhalb des Deutschen
dardtragstruktur für den Wohnungsbau mit dem ho- Ausschusses für Stahlbeton an den Grundsätzen
1062 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
Abb. 3.2-8 Massen für die drei Tragstrukturen, getrennt für Stahl und Beton, sowie Verteilung der Betongüte
des nachhaltigen Bauens mit Beton gearbeitet. Das zum Lebenszyklusmodell und zu den Systemgren-
Leitpapier befindet sich noch in der Konzeptions- zen sowie die Auflistung der für den Betonbau rele-
phase. Die Gliederung der GrunaBau sieht derzeit vanten Kriterien der Nachhaltigkeitsbeurteilung. Zu
folgende sechs Abschnitte vor: den betrachteten Aspekten der Nachhaltigkeit gehö-
ren die Kriterien zur ökologischen Qualität, zur öko-
1 Anwendungsbereich
nomischen Qualität, zur soziokulturellen und zur
2 Bezugsdokumente – normative Verweisungen
funktionalen Qualität sowie Kriterien für die tech-
3 Begriffe
nische Qualität. Für den Aspekt der ökologischen
4 Grundlagen der Nachhaltigkeitsbeurteilung
Wirkung wurden z. B. die folgenden – für den Be-
5 Durchführung der Nachhaltigkeitsbeurteilung
tonbau wesentlichen – Indikatoren festgelegt:
– Lebenszyklusmanagement
6 Technische Empfehlungen. – Treibhauspotenzial (GWP),
– Ozonabbaupotenzial (ODP),
Die GrunaBau enthält Prinzipien für das nachhal-
– Versauerungspotenzial (AP),
tige Bauen mit Beton. Diese übertragen das Kon-
– Überdüngungspotenzial (EP),
zept der nachhaltigen Entwicklung auf einzelne
– Sommersmogpotenzial (PCOP),
Bauwerke oder Gruppen von Bauwerken des Hoch-
– Verbrauch an erneuerbarer/nicht erneuerbarer
und Ingenieurbaus, deren Tragstruktur oder bau-
Primärenergie (PE e./PE n. e.).
liche Elemente aus unbewehrtem Beton, Stahlbe-
ton und Spannbeton bestehen. Sie legt die Grund- Des Weiteren enthält die GrunaBau in diesem Ab-
lagen der Nachweisführung fest und gibt technische schnitt die verschiedenen Methoden und Instru-
Empfehlungen, mit Hilfe derer die Nachhaltigkeit mente, die für die unterschiedlichen Aspekte der
eines Bauwerkes, Bauwerkteils oder baulicher Ele- Nachhaltigkeit angewendet werden. So erfolgt z. B.
mente aus Beton quantifiziert werden kann. die Ökobilanz auf Basis der ISO 14040. Die Le-
Im vierten Abschnitt der GrunaBau sind die benszykluskosten werden in Anlehnung an die ISO
Grundlagen der Nachhaltigkeitsbeurteilung enthal- 15686-1 ermittelt. Besonders wichtig für die Repro-
ten. Bestandteil dieses Abschnittes sind Angaben duzierbarkeit der Ergebnisse der Nachhaltigkeitsbe-
3.2 Grundlagen für Nachhaltiges Bauen 1063
Abb. 3.2-9 Ökologische Indikatoren der drei Tragstrukturen, getrennt für Stahl und Beton
Abb. 3.2-10 Ökologische Indikatoren der drei Tragstrukturen, getrennt für die unterschiedlichen Bauteile
1064 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
wertung ist eine stabile Datenbasis, wie sie z. B. in In der weiteren Bearbeitung des Verbundvorha-
der Datenbank Ökobau.dat des BMVBS enthalten bens werden die Tragsysteme systematisch variiert
ist, s. Abschn. 3.2.1. Ebenso wichtig ist eine voll- und ergänzt. Es ist zu klären, wie der Anschluss der
ständige Dokumentation aller durchgeführten Schrit- Tragelemente untereinander erfolgt. Die ökologische
te innerhalb der Nachhaltigkeitsbewertung. Bewertung wird auf den Stadtbaustein mit Ausbau,
Der fünfte Abschnitt der GrunaBau widmet sich Gebäudetechnik sowie Fassaden etc. und die Be-
schließlich der Durchführung der Nachhaltigkeits- trachtung des gesamten Lebenszyklus mit Umnut-
beurteilung, deren Kernstück die Festlegung des sog. zungsszenarien, wie in Abb. 3.2-7 beschrieben, er-
Anforderungsprofils in der Konzeptionsphase ist. Im weitert. Zusätzlich erfolgt eine ökonomische Bewer-
Anforderungsprofil werden alle Anforderungen für tung anhand der Lebenszykluskostenrechnung in
die Bewertung festgelegt. Hierzu gehören z. B. die Zusammenarbeit mit dem Teilprojekt A. Einen wei-
verschiedenen Kriterien, die betrachtet werden sol- teren wichtigen Aspekt stellt die Demontierbarkeit
len, sowie die verwendeten Nachweisverfahren. In und Erweiterungsfähigkeit der Tragstruktur dar.
den weiteren Schritten der Planung, Nutzung und Grundvoraussetzung dafür sind der weitgehende
Beseitigung des Gebäudes wird dieses Anforde- Verzicht auf Ortbetonverguss und der Einsatz von
rungsprofil fortgeschrieben und dem Bauablauf ent- stahlbaumäßigen Verbindungen [Walraven 1988],
sprechend verfeinert. In jedem Schritt der Nachhal- wodurch der Bauablauf beschleunigt wird.
tigkeitsbewertung sind Anpassungen bzw. Ände- Mit dem DAfStb/BMBF-Verbundforschungsvor-
rungen des Anforderungsprofils zu dokumentieren. haben werden die Forschungsergebnisse in Grund-
Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch, dass das sätze des nachhaltigen Bauens mit Beton überführt
Anforderungsprofil über die verschiedenen Schnitt- und anwendergerecht aufbereitet. Dabei werden alle
stellen der am Bau Beteiligten fortgeschrieben wird. Lebensphasen von der Baustoffherstellung, der Pla-
Der sechste Abschnitt der GrunaBau sieht schließ- nung und der Erstellung von Bauwerken aus Beton
lich vereinfachte technische Empfehlungen für die über die Nutzungsphase bis zum Rückbau betrach-
Umsetzung des nachhaltigen Bauens mit Beton für tet. Diese „Grundsätze zum nachhaltigen Bauen mit
die folgenden Phasen des Lebenszyklus vor: Beton“ (GrunaBau) sollen helfen, die immer deut-
licher artikulierten Forderungen nachhaltigen Bau-
– Herstellung von Baustoffen,
ens in der Betonbauweise zu erfüllen.
– Planung von Betonbauwerken,
– Ausführung von Betonbauwerken, Die Schlussberichte des Verbundforschungsvorhabens
– Nutzung von Betonbauwerken einschließlich wurden in der Schriftenreihe des DAfStb veröffentlicht:
Instandhaltung und Umnutzung, Bleyer T et al.: Der Stadtbaustein im DafStb/BMBF-Ver-
– Beseitigung von Betonbauwerken. bundforschungsvorhaben „Nachhaltig Bauen mit Be-
ton“ – Dossier zu Nachhaltigkeitsuntersuchungen –
Somit liefert die GrunaBau die Methoden und Ins- Schlussbericht zum TP A im Verbundforschungsvorha-
trumente sowie die technischen Empfehlungen für ben „Nachhaltig Bauen mit Beton“. Berlin: Beuth – In:
das nachhaltige Bauen mit Beton über den gesam- Schriftenreihe des Deutschen Ausschusses für Stahlbe-
ten Lebenszyklus. ton, Nr. 588
Hauer B et al.: Potenziale des Sekundärstoffeinsatzes im
Betonbau – Schlussbericht zum TB B im Verbundfor-
3.2.2.7 Fazit schungsvorhaben „Nachhaltig Bauen mit Beton“. Ber-
Im Rahmen dieses Abschnitts wurde die Ökobilanz lin: Beuth – In: Schriftenreihe des Deutschen Aus-
schusses für Stahlbeton, Nr. 584 (Beitrag 1)
unterschiedlicher Tragstrukturen des Stadtbausteins
Brameshuber W et al.: Effiziente Sicherstellung der Um-
exemplarisch ermittelt. Die Ressourcen- und Abfall- weltverträglichkeit – Schlussbericht zum TP E im Ver-
einsparungen flexibler Tragsysteme gegenüber den bundforschungsvorhaben „Nachhaltig Bauen mit Be-
heutigen Standardtragsystemen im Geschossbau ton“. Berlin: Beuth – In: Schriftenreihe des Deutschen
können im Falle von Umnutzungen die höheren Um- Ausschusses für Stahlbeton, Nr. 584 (Beitrag 2)
weltauswirkungen bei der Erstellung ausgleichen Hegger J et al.: Ressourcen- und energieeffiziente, adaptive
und bei Betrachtung des gesamten Lebenszyklus in Gebäudekonzepte im Geschossbau – Schlussbericht
der Summe zu geringeren Auswirkungen führen. zum TP C im Verbundforschungsvorhaben „Nachhaltig
3.2 Grundlagen für Nachhaltiges Bauen 1065
Bauen mit Beton“. Berlin: Beuth – In: Schriftenreihe tems zur Beurteilung der Nachhaltigkeit von Gebäuden.
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Bauen mit Beton“. Berlin: Beuth – In: Schriftenreihe tig Bauen mit Beton“, Berlin 2008
des Deutschen Ausschusses für Stahlbeton, Nr. 586 Hegger J, Will N, Dreßen T, Schneider HN, Brunk MF, Zilch
Reinhardt H-W et al.: Online-Informationssystem „NBB- K (2007) Ressourcen- und energieeffiziente, adaptive
Info“ – Schlussbericht zum TP F im Verbundforschungs- Gebäudekonzepte im Geschossbau. Teilprojekt C1: Ge-
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1066 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
Einfluss der Betondeckung auf den Korrosionsfort- Gemeinsames Kennzeichen aller Betone ist ihr
schritt weit größer als der Einfluss der Rissbreite. Aufbau aus einem Gerüst von Zuschlägen, das
Die Sicherstellung der Dauerhaftigkeit erfolgt durch eine Matrix aus Zementstein verbunden
heute i. d. R. nicht durch rechnerische Nachweise, wird. Das Zusammenwirken von Matrix und Zu-
sondern durch die Einhaltung mehr oder weniger schlag zeigt jedoch bei den verschiedenen Betonen
empirischer Konstruktionsregeln. Diese ergeben charakteristische Unterschiede, die bei der Bemes-
sich aus den wesentlichen Einflussparametern sung berücksichtigt werden müssen.
Rissbreite, Betondeckung und Diffusionsdichtig- Zur Beschreibung des Betons haben sich in der
keit. Letztere ist in erster Linie eine Funktion des Literatur drei Betrachtungsebenen entwickelt
Wasser/Zement-Wertes und somit wegen der star- [Wittmann 1983]: Während sich die Mikromodelle
ken Korrelation zwischen w/z-Wert und Beton- vor allem mit Struktur und Eigenschaften des Ze-
druckfestigkeit indirekt von der Festigkeitsklasse mentsteins befassen, beschreiben Mesomodelle das
abhängig. Für eine gegebene Umweltklasse wird Zusammenwirken von Zuschlag und Matrix unter
daher die Einhaltung einer Mindestbetondeckung, Berücksichtigung von Poren und mikroskopischen
einer maximalen Rissbreite und einer Mindestbe- Rissen. In der Ingenieurpraxis beschränkt man sich
tonfestigkeitsklasse gefordert. auf die Betrachtung von Makromodellen, in denen
Die unter Baustellenbedingungen erreichbare der inhomogene Baustoff durch die integrale Be-
Betondeckung weist erhebliche Streuungen auf, trachtung eines größeren Volumens zum Kontinu-
weshalb die Mindestbetondeckung als 5%- bzw. um homogenisiert wird.
10%-Fraktilwert definiert wird. Den anzustrebenden
Mittelwert, das sog. „Nennmaß der Betondeckung“,
erhält man durch Addition eines Vorhaltemaßes ¨c, 3.3.2.1 Mechanische Eigenschaften
das aus der Standardabweichung der Betondeckung der Mesostruktur
folgt und aus Baustellenmessungen zu ca. 10 bis 15 Das Verhalten des Betons wird auf der Mesoebene
mm ermittelt wurde [Dillmann 1996] (s. hierzu die von den deutlich unterschiedlichen mechanischen
DBV-Merkblätter „Betondeckung und Bewehrung“ Eigenschaften der beiden Komponenten Matrix und
und „Abstandhalter“). Neben dem Korrosionsschutz Zuschlag bestimmt. Eine Modellvorstellung ist in
können auch der Brandschutz (s. 3.3.13) und das Abb. 3.3-1 gegeben; Näheres hierzu s. Abschn. 3.1.
Verbundverhalten (s. 3.3.5.1) maßgebend für die Bei Steigerung der Belastung entstehen Mikrorisse
Wahl der Betondeckung werden. in der Kontaktzone zwischen Zuschlag und Matrix.
Während die Mikrorisse zunächst im Körper noch
gleichmäßig verteilt und nicht einheitlich gerichtet
3.3.2 Beton sind, kommt es bei Steigerung der Last in einem
räumlich begrenzten Bereich, der sog. „Riss-
Die Eigenschaften des Betons werden hier nur inso- prozesszone“, zu einer fortschreitenden Vereinigung
weit behandelt, als sie für die Bemessung der Bau-
teile von Bedeutung sind. Zu Fragen der Herstellung
wird auf 3.1 und zu baubetriebliche Aspekten auf
2.6 verwiesen. Ausführlichere Darstellungen siehe
z. B. [Hilsdorf/Reinhardt 2000]; eine an Vollstän-
digkeit kaum zu übertreffende Sammlung von Ma-
terial- und Bemessungsmodellen bietet der Model
Code 1990 des CEB-FIP (CEB 1993a), im Fol-
genden kurz MC 90 genannt, sowie das zugehörige
Textbuch des fib [fib 1999; fib 2010].
Man klassifiziert erhärteten Beton heute nach
seiner Dichte in Leicht- (J2100 kg/m3), Normal-
und Schwerbeton (J2800 kg/m3) oder nach seiner
Abb. 3.3-1 Modellvorstellung für den Spannungsverlauf
Festigkeit in normalfesten und hochfesten Beton. im Korngerüst
3.3 Massivbau 1069
der Mikrorisse, bis dort schließlich ein durchge- beton zeigt wegen der geringen Festigkeit der Zu-
hender, mit bloßem Auge sichtbarer Makroriss ent- schläge ein ähnlich sprödes Versagen.
steht, der zum Bruch des Körpers und einem Abfall Zur Erhöhung der Duktilität können kurze Fasern
der Spannungen bei Steigerung der Dehnung führt. (l = 30…50 mm) aus Stahl oder Kunststoff zugege-
Man bezeichnet diesen Vorgang als Lokalisierung, ben werden, die die Rissufer verbinden und die
da die Dehnungen im Körper nun nicht mehr gleich- Übertragung von Zugspannungen ermöglichen. Bei
mäßig verteilt sind, sondern lokal stark zunehmen, hochfesten Betonen bilden Kunststofffasern darüber
während die übrigen Bereiche nach dem Überschrei- hinaus ähnlich wie die Kontaktfläche Matrix/Zu-
ten der Festigkeit entlastet werden (Abb. 3.3-2). Der schlag bei normalfesten Betonen Schwachstellen im
Übergang von Mikro- zu Makrorissen erfolgt bei Gefüge, die eine Mikrorissbildung initiieren und so-
normalfestem Beton kontinuierlich. Bis zur vollstän- mit einen ähnlichen Versagensmechanismus hervor-
digen Trennung der Rissufer werden diese durch den rufen können [König/Kützing 1998].
Riss überbrückende Zuschläge verbügelt, was die
Übertragung geringer Zugspannungen auch nach Rissverzahnung
Beginn der Makrorissbildung erlaubt [Duda 1991]. Die im Beton entstehenden Makrorisse sind i. Allg.
Ein abweichendes Verhalten zeigen hochfeste rau, wobei zwischen der lokalen Mikrorauigkeit, die
Betone [König/Grimm 2000]. Bei steigender Fe- durch den Verlauf der Makrorisse um die Zuschläge
stigkeit des Zementsteines und der Kontaktzone entsteht, sowie der globalen Makrorauigkeit aus
(z. B. durch Zugabe von Mikrosilika und Reduzie- dem unebenen Verlauf der Risse zu unterscheiden
rung des w/z-Wertes) wird die Mikrorissbildung zu- ist. Dies ermöglicht eine Verzahnung der Rissufer
nehmend unterbunden; der Beton bleibt auch unter und somit die Übertragung von Schubspannungen
höheren Spannungen nahezu elastisch. Erreicht die über den Riss, solange die Rissöffnung verglichen
Festigkeit des Zementsteines die der Zuschläge, so mit der Größe der Zuschläge klein bleibt. Im Modell
erfolgt das Versagen, ausgehend von kleineren Fehl- kann die Verzahnung als Eindringen der als starr an-
stellen, sehr spröde, u. U. sogar explosionsartig. Die genommenen Zuschläge in die starr-plastische Ze-
Risse laufen nicht mehr in der Kontaktfläche um die mentsteinmatrix beschrieben werden [Walraven
Zuschläge, sondern durch die Zuschläge hindurch, 1980]. So entsteht im Riss abhängig von der Riss-
so dass eine Zugkraftübertragung im Riss und das öffnung w und Rissuferverschiebung s eine Vielzahl
damit verbundene langsame, duktile Versagen nicht von Kontaktflächen, in denen jeweils Normalspan-
eintritt. Ein solches Verhalten stellt sich je nach nungen und Reibung wirken, deren Integral die ma-
Qualität der verwendeten Zuschläge bei Beton- kroskopischen Spannungen Wcr,Vcr ergibt. Die Ab-
druckfestigkeiten ab ca. 60 bis 80 MPa ein; Leicht- hängigkeit von w, s ist stark nichtlinear (Abb. 3.3-
3). Eine Übertragung von Schubspannungen Wcr im
Riss führt immer auch zu einer Normalspannung
Vcr<0, d. h., eine Rissuferverzahnung ist nur mög-
lich, wenn die Öffnung des Risses durch äußere
Normalkräfte oder Bewehrung behindert ist.
Da mit steigender Festigkeit des Betons die
Risse zunehmend durch die Zuschläge verlaufen,
nimmt die Mikrorauigkeit bei hochfestem Beton
stark ab [Walraven/Stroband 1993]. Der Anteil der
Makrorauigkeit an der Verzahnung nimmt zu.
Mehraxiale Beanspruchungen
(3.3.3) Für zweiaxiale Beanspruchungen (V1z0, V2z0,
V3=0) wurde an Betonscheiben (20cmu20cmu5cm)
die in Abb. 3.3-7 dargestellte Versagenskurve ermit-
telt, die alle Spannungskombinationen beschreibt,
Dabei ist Ec0 der tangentiale E-Modul im Nullpunkt, die zum Versagen führten, während die innerhalb
Ec1 der Sekantenmodul und Hc1=–fc/Ec1 die Dehnung der Kurve gelegenen Kombinationen ertragen wer-
im Spannungsmaximum; fc ist definitionsgemäß po- den konnten [Kupfer 1973]. Unter Druckbeanspru-
sitiv, Vc,Hc bei Druck negativ. Es sind also zur Be- chung in zwei Richtungen ergibt sich eine signifi-
schreibung mindestens fc , Ec0 ,Hc1 erforderlich. Die kante Erhöhung der Festigkeit auf maximal 1,25 fc
Dehnung Hc1 ist im Bereich der üblichen Festigkeiten für V1=0,5 V2 und etwa 1,15 fc für V1=V2. Im Zug-
relativ konstant und liegt bei etwa Hc1=–2,2‰. Druck-Bereich dagegen fällt die aufnehmbare
Wie bereits erwähnt, ist der Kurvenverlauf im Druckspannung bei vorhandenem Querzug erheb-
Nachbruchbereich das Resultat einer Schadensloka- lich ab. Dies entspricht dem nach Abb. 3.3-1 zu er-
lisierung, so dass keine objektive (d. h. von der Pro- wartenden Verhalten, da die in Querrichtung vor-
bekörpergröße unabhängige) V-H-Beziehung mehr handenen Spannungen die zum Versagen führenden
3.3 Massivbau 1073
Bemessungskennwerte
Die Beschreibung der mechanischen Eigenschaften
des Betons erfordert eine Vielzahl von Parametern,
die dem Ingenieur zum Zeitpunkt der Planung i. d. R.
nicht bekannt sind. Es ist daher sinnvoll, für die Be-
messungspraxis einfache Kenngrößen zu definieren,
die das Verhalten zwar nicht exakt, aber für die Be-
messung hinreichend genau beschreiben. Hierfür
nutzt man die in Versuchen beobachteten Korrelati-
onen zwischen den Eigenschaften, um das Material
durch einen Parameter zu beschreiben und alle an-
Abb. 3.3-7 Versagenskurve unter zweiaxialer Beanspru-
deren näherungsweise daraus abzuleiten.
chung
Man klassifiziert Beton nach DIN 1045 Teil 1
durch die charakteristische Zylinderdruckfestigkeit
Querzugspannungen entweder kompensieren oder fc (z. B. C 35/45: fc=35MPa). Alle anderen Eigen-
verstärken. Der Würfeldruckversuch liegt aufgrund schaften werden i. Allg. unter Verwendung empi-
der Querdehnungsbehinderung im Druck-Druck- risch ermittelter Beziehungen aus fc abgeleitet. Die-
Bereich, was die gegenüber dem Zylinderdruckver- se gelten nur innerhalb des ihnen zugrunde liegen-
such erhöhte Festigkeit erklärt. den Erfahrungsbereichs und erlauben keine Extra-
In der praktischen Anwendung kommt häufig polation. So überschätzt die in MC 90 angegebene,
das Mohr-Coulombsche Bruchkriterium (bzw. das an normalfesten Betonen ermittelte Beziehung
daraus abgeleitete Druck-Prager-Kriterium) zum
Einsatz, das Gleiten und somit einen Bruch postu-
liert, sobald in einer beliebig gerichteten Schnitt- (3.3.5)
ebene die dort wirkenden Spannungen die Grenzbe-
dingung
mit fc*=10 MPa, fct*=1,4 MPa, ¨fc=8 MPa die Zug-
W c – V· tan I (3.3.4) festigkeit hochfester Betone [Remmel 1994]. Für
diese gilt nach DIN 1045 Teil 1:
erfüllen. Für einen zweiaxialen Spannungszustand
lässt sich Gl. (3.3.4) anschaulich in der V-W-Ebene fctm = 2,12 · ln(1+fcm/fc*). (3.3.6)
darstellen (Abb. 3.3-8). Da der Mohrsche Span-
nungskreis die Spannungen in allen möglichen Der Elastizitätsmodul (Tangentenmodul) darf wie
Schnittebenen enthält, ist ein Spannungszustand folgt abgeschätzt werden:
möglich, wenn der zugehörige Mohrsche Kreis
vollständig innerhalb der Grenzgeraden liegt; Glei- Ec0m = 9500 · fcm1/3. (3.3.7)
ten tritt ein, wenn der Spannungskreis die Grenz-
bedingung tangiert. Die Orientierung der Gleitebe- Da Ec0m stark durch die verwendeten Zuschläge
ne kann aus dem Mohrschen Spannungskreis abge- beeinflusst wird, sollte Gl. (3.3.7) nur als Anhalts-
lesen werden. wert verstanden und bei anspruchsvollen Bauwer-
Im Zug-Zug-Bereich ergibt Gl. (3.3.4) unrealis- ken in jedem Fall durch Versuche überprüft wer-
tisch hohe Festigkeiten; daher wird das Überschrei- den.
ten der einaxialen Zugfestigkeit durch die größte Zur Vereinfachung wird weiterhin eine ideali-
Hauptspannung als zusätzliche Grenzbedingung sierte V-H-Beziehung eingeführt, das Parabel-
eingeführt (Modifiziertes Mohr-Coulomb-Kriteri- Rechteck-Diagramm (Abb. 3.3-9):
1074 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
Kriechen
Kriechen bezeichnet die (um das Schwinden berei-
nigte) Zunahme der Dehnungen mit fortschreiten-
der Belastungsdauer unter konstanter Spannung.
Da jede reale Belastung eine gewisse Lasteinwir-
kungsdauer hat, beruht die Trennung in Kurz- und
Langzeitverformung auf einer reinen Konvention,
wobei der Term kurzzeitig im Verhältnis zur Dauer
der Versuchsdurchführung (etwa 1 bis 2 Minuten
nach DIN EN 12390) zu sehen ist.
Die zugrunde liegenden Mechanismen sind kom-
plex und vom Spannungsniveau abhängig. Bei gerin-
gen Spannungen kommt es lediglich zu einer Umla-
gerung des nach der Hydratation im Beton verblei- Abb. 3.3-10 Einfluss hoher Dauerspannungen
benden Wassers sowie zu Teilchenumlagerungen
innerhalb der Zementsteinmatrix. Die Kriechverfor-
mungen sind proportional zur angreifenden Span- bald die Festigkeit unter die einwirkende Span-
nung (lineares Kriechen) und nach einer Entlastung nung fällt. Somit definiert das Minimum der Kurve
teilweise reversibel (Rückkriechen). Formal kann die die Dauerstandfestigkeit des Betons, die (theore-
Kriechdehnung in Grund- und Trocknungskriechen tisch) unendlich lang ertragen werden kann [Rüsch
aufgespalten werden; ersteres bezeichnet die Kriech- 1960]. Sie unterliegt im Versuch starken Schwan-
verformungen eines versiegelten Probekörpers ohne kungen zwischen 0,65 und 0,85 der Kurzzeitfestig-
Feuchteaustausch mit der Umgebung, letzteres den keit [Rüsch u. a. 1968]. Die Zeitdauer bis zum Er-
durch das Austrocknen hervorgerufenen Anteil (s. reichen des Minimums (kritische Standzeit) hängt
auch [Hilsdorf/Reinhardt 2000; Bazant 1988]). von der Geschwindigkeit des Hydratationsfort-
Ab ca. 0,4 fc nimmt das Kriechen unter Druckbe- schritts und damit vom Betonalter t0 bei Bela-
anspruchung durch die Mikrorissbildung stark zu stungsbeginn ab. Für t0=7 Tage liegt sie etwa bei
(nichtlineares Kriechen). Da dieser Effekt eine fort- einem Tag, für t0=28 Tage bei ca. 3 Tagen [Hils-
schreitende Zerstörung des Betongefüges bedeutet, dorf/Reinhardt 2000].
kann auch bei Spannungen unterhalb der Kurzzeit- Unter Zugbeanspruchung lässt sich ein ähn-
festigkeit ein Bruch eintreten. Die Festigkeit des licher Abfall der Festigkeit mit der Belastungsdau-
Betons ist daher eine von der Belastungsdauer ab- er beobachten; die Dauerstandfestigkeit liegt hier
hängige Größe [Rüsch u. a. 1968] (Abb. 3.3-10). bei etwa 0,6…0,7 der Kurzzeitzugfestigkeit [Rein-
Bei Betonkörpern unter hoher Dauerlast wirken hardt/Cornelissen 1985].
zwei gegenläufige Effekte: Während die Mikro- Die Kriechdehnung Hcc(t) wird i. d. R. über die
rissbildung zu einer zunehmenden Schädigung des Kriechzahl I als Vielfaches der elastischen Kurz-
Betongefüges führt, verfestigt sich der Beton durch zeitdehnung Hel berechnet. Dabei liegt es wegen
die fortschreitende Hydratation weiter. Zusammen- der teilweisen Reversibilität nahe, die Kriechdeh-
genommen führt dies zunächst zu einem Abfall der nung in einen verzögert elastischen, d. h. rever-
Festigkeit bis zu einem Minimum und schließlich siblen, und einen irreversiblen Fließanteil aufzu-
wieder zu einem Anstieg. Der Körper versagt, so- spalten (Summationsansatz):
1076 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
such, steigt die Kriechzahl deutlich an [Stöckl Dabei ist ts der Zeitpunkt des Beginns des Trock-
1981]. Näherungsweise kann man bei Belastungen nungsschwindens durch eine Änderung der Um-
unterhalb der Dauerstandfestigkeit die Endkriech- weltbedingungen (Ende der Feuchtlagerung). Die
zahl mit dem Faktor Einflüsse auf die Schwindverformungen sind im
Wesentlichen dieselben wie beim Kriechen: Luft-
e1,5 Â (|Vc|fc – 0,4) (3.3.13)
feuchtigkeit, Dichtigkeit und Bauteilgröße. Ty-
erhöhen. Das Superpositionsprinzip ist jedoch pische Werte des Endschwindmaßes liegen im Be-
nicht mehr anwendbar [Shen 1992]. reich von –0,2‰ bis –0,6‰.
Für numerische Untersuchungen kann es vorteil- Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass die
haft sein, das Kriechverhalten durch einfache rheo- Trennung in Schwinden und Kriechen nur eine re-
logische Modelle – d. h. Kombinationen von Feder- chentechnische Vereinfachung darstellt, da man in
und Dämpferelementen – zu approximieren. Solche Versuchen eine deutliche Interaktion zwischen den
Modelle können zur Berücksichtigung nichtlinearer Phänomenen beobachtet. Auch berücksichtigen die
Effekte um Reibelemente, viskoplastische Elemente vereinfachten Ansätze die sehr komplexen Dif-
usw. ergänzt werden (siehe z. B. [Bazant 1988]). fusionsvorgänge nur summarisch über die Probe-
körpergröße. Die aus dem Vergleich der Kriech-
Schwinden und Schwindvorhersagen nach DIN 1045 Teil 1
Die an spannungslosen Probekörpern beobachtete mit Versuchsergebnissen ermittelten Variations-
Volumenverringerung wird als Schwinden bezeich- koeffizienten V betragen etwa 25% für das Krie-
net. Sie beruht auf einer Austrocknung des Betons, chen und 30% für das Schwinden. In vielen Fällen
also der Verdunstung des nichtgebundenen Was- ist es daher sinnvoll, obere und untere Fraktilwerte
sers (Trocknungsschwinden), und auf volumenre- der Verformungen zu ermitteln.
duzierenden chemischen Prozessen bei der Hydrata-
tion (autogenes Schwinden). Beide Prozesse laufen
zeitlich versetzt ab, da das Trocknungsschwinden 3.3.3 Betonstahl
von der Diffusion des Wassers zur Bauteilober-
fläche und damit von der Probekörpergröße, seiner Zur Herstellung sowie zu den chemischen und me-
Dichtigkeit und den Lagerungsbedingungen ab- chanischen Eigenschaften der Betonstähle wird
hängt. Die Verformungen aus dem Trocknungs- auf 3.1 sowie auf [fib 1999; fib 2010] verwiesen.
schwinden sind über den Querschnitt ungleich-
förmig verteilt und können beträchtliche Eigen-
3.3.3.1 Bemessungskennwerte
spannungen bis hin zur Rissbildung an der Kör-
peroberfläche verursachen. Bei einer Erhöhung Bei der Untersuchung von Tragwerken wird das
des Feuchtegehalts in einer Probe (z. B. Wasser- Verformungsverhalten des Stahls meist mit verein-
lagerung) lässt sich eine Volumenvergrößerung fachten, ideal elastisch-ideal plastischen bzw. ver-
(Quellen) beobachten, die allerdings deutlich ge- festigenden Modellen beschrieben; letztere be-
ringer ist als die Schwindverformung. rücksichtigen einen Anstieg der Spannung im
Die Beschreibung des Schwindens bzw. Quel- Fließbereich bis zur Zugfestigkeit ft (Abb. 3.3-12).
lens erfolgt analog zum Kriechen durch einen End- Als Bemessungskennwerte des Stahls sind dem-
wert Hs und eine Funktion des zeitlichen Verlaufes nach Es, fy, ft, Hsu erforderlich. Die charakteristi-
Es(t–ts). Im Modell der DIN 1045 Teil1 werden für schen Werte von Fließgrenze und Festigkeit wer-
die Anteile Trocknungsschwinden (Index d) und den als 5%-Fraktilen definiert, die Bruchdehnung
autogenes Schwinden (Index a) getrennte Ansätze als 10%-Fraktile. Der E-Modul streut nur gering-
gemacht; dies ist insbesondere bei hochfesten Beto- fügig und kann mit Es=200000 MPa angenom-
nen erforderlich, da diese aufgrund des geringeren men werden. Heute kommen fast ausschließlich
Wassergehaltes und der hohen Diffusionsdichtigkeit Stähle mit charakteristischen Fließspannungen von
ein geringes Trocknungsschwinden aufweisen: fyk=500 MPa und einer charakteristischen Zugfes-
tigkeit von ftk=550 MPa zum Einsatz. Rechnerisch
Hcs(t,ts) = Hcas Eas(t) + HcdsEds(t – ts) (3.3.14) darf nach DIN 1045 Teil 1 jedoch nur eine Zugfes-
1078 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
Oberflächenprofilierung
Zur Verbesserung des Verbunds zwischen Stahl und
Beton kommen heute nahezu ausschließlich geripp-
te Betonstähle zur Anwendung (Abb. 3.3-13). Der
Grad der Profilierung wird durch die bezogene Rip-
Abb. 3.3-12 Idealisierung des Verformungsverhaltens von penfläche fR charakterisiert. Mindestwerte für fR
Betonstahl
liegen je nach Stabdurchmesser zwischen 3,9 und
5,6% (DIN 488). Da die Ausbildung der Rippen
tigkeit von ftk*=525 MPa bei einer Dehnung von (Höhe, Breite, Abstand, Ausrundungen) durch die
Hsu=25‰ ausgenutzt werden. Kerbwirkung am Übergang zum Stabkern einen we-
Neben der Festigkeit kommt durch den zuneh- sentlichen Einfluss auf die Dauerschwingfestigkeit
menden Einsatz plastischer Berechnungsverfahren des Bewehrungsstabes hat sind entsprechende An-
der Duktilität, d. h. der Fähigkeit, nach Erreichen der forderungen nach DIN 488 Teil 2 einzuhalten.
Fließgrenze die Dehnung ohne Abfall der Spannung Um die bei kaltverformten Stäben mit geringem
zu vergrößern, wachsende Bedeutung zu. Die hierfür Durchmesser herstellungsbedingt reduzierte Dukti-
wesentlichen Parameter sind Hsu sowie das Verhält- lität auszugleichen, wurden in den letzten Jahren Be-
nis ft/fy, vgl. 3.3.5.2. DIN 1045 Teil 1 unterscheidet wehrungsstähle mit Tiefrippung entwickelt (s. Abb.
daher zwischen normalduktilen und hochduktilen 3.3-13b). Die Verbesserung der Duktilität beruht auf
Betonstählen (Kategorien A und B). Ein als hoch- dem weicheren Verbundverhalten (s. 3.3.5), aber
duktil eingestufter Stahl muss mindestens Hsuk=50‰ auch auf der Verminderung der erforderlichen Kalt-
sowie eine Verfestigung von (ft/fy)k=1,08 besitzen, verformung beim Einprägen der Tiefrippen und
ein normalduktiler Hsuk=25‰ und (ft/fy)k= 1,05. Da-
bei ist zu beachten, dass (ft/fy)k der charakteristische
Wert des Verhältnisses von ft und fy ist, nicht das
Verhältnis der charakteristischen Werte. Für Son-
deranwendungen mit sehr hohen Duktilitätsanforde-
rungen (z. B. für Bauten in Erdbebengebieten) defi-
niert DIN EN 10080 zusätzlich einen Stahl mit
Hsuk=80‰ und (ft/fy)k=1,15 (Kategorie C).
Die für Betonstähle der Klassen A und B gefor-
derte Duktilität lässt sich auch durch andere Kom-
binationen von Hsuk und (ft/fy)k erreichen, da z. B.
eine Unterschreitung der Mindestwerte für (ft/fy)k
durch eine Übererfüllung der Anforderungen an
Hsuk erfüllt werden kann (s. [CEB 1998]).
Die stochastischen Streuungen der Material-
eigenschaften des Stahls sind wegen der hoch ent-
wickelten und unter kontrollierten Bedingungen
ablaufenden Produktionsverfahren erheblich ge-
ringer als die des Betons. Der Variationskoeffizient
der Festigkeiten liegt unter Annahme einer loga-
rithmischen Normalverteilung nur bei ca. 5%. Abb. 3.3-13 Oberflächenprofilierung
3.3 Massivbau 1079
der daraus resultierenden geringeren Aufhärtung ersetzt. Die beim Vorspannen gegen den erhärteten
[Schwarzkopf/Schaefer 1997]. Beton erforderlichen Verankerungskomponenten
sind wegen ihrer auf dem Markt befindlichen Viel-
Stabstähle falt als Spannverfahren in allgemeinen bauauf-
Die Durchmesser der Stäbe liegen zwischen 6 und sichtlichen Zulassungen, z. T. bereits in europä-
40 mm nach DIN 488 Teil 2 (Regellänge: 12 bis 15 ischen technischen Zulassungen mit zugehörigen
m). Daneben existieren Betonstähle, deren Anwen- nationalen Anwendungszulassungen, geregelt.
dung durch allgemeine bauaufsichtliche Zulassungen
geregelt ist, u. a. GEWI-Stähle mit Gewinderippen
und Durchmessern 12 bis 50 mm oder verzinkte und 3.3.4.2 Mechanische Eigenschaften
nichtrostende Bewehrungsstähle (s. [Bertram 2002]). Das mechanische Verhalten der Spannstähle unter-
Da in den normativ geregelten Bemessungsmodel- scheidet sich nicht grundsätzlich von dem der Be-
len zahlreiche Materialeigenschaften implizit vo- tonstähle. Allerdings ist das Vorspannen nur sinn-
rausgesetzt werden, müssen auch Stähle mit bauauf- voll, wenn dabei Stahlspannungen erreicht werden,
sichtlicher Zulassung die in der jeweiligen Norm die erheblich über den im Betonstahl möglichen lie-
zugrunde liegenden Mindestanforderungen erfüllen. gen (vgl. 3.3.11). Ihre Klassifizierung erfolgt durch
die charakteristischen Werte der 0,2%-Dehngrenze
Betonstahlmatten fp0,2k und der Festigkeit fpk. Der heute häufig ver-
Betonstahlmatten bestehen nach DIN 488 Teil 4 wendete Spannstahl St 1570/1770 besitzt demnach
aus kaltverformten, gerippten Stäben mit Durch- eine charakteristische Festigkeit von fpk=1770 MPa
messern von 4 bis 14 mm, die kreuzweise ver- und fp0,02k = 1570 MPa. Das entspricht etwa dem
schweißt werden. Zu unterscheiden ist grund- dreifachen Wert der Betonstähle.
sätzlich zwischen Lagermatten und Listenmatten. Das Verformungsverhalten entspricht qualitativ
Lagermatten weisen feste Stabdurchmesser und dem des Betonstahles, allerdings liegt der rechne-
-abstände nach einem nicht genormten, aber allge- rische E-Modul von Litzen etwas niedriger bei
mein verbreiteten Programm auf. Bei Listenmatten 190000 bis 200000 MPa. Für die Bemessung wer-
dagegen werden Stabdurchmesser und -abstände den ebenfalls bilineare Näherungen mit der 0,1%-
vom Konstrukteur objektbezogen festgelegt; sie Dehngrenze fp0,1k als technischer Fließgrenze ver-
erlauben eine optimale Anpassung an die individu- wendet (für St 1570/1770 ist fp0,1k§ 1500 MPa).
ellen Erfordernisse eines Bauwerks, erfordern je- Spannstähle zeigen unter hohen Dauerlasten
doch auch einen erhöhten Planungsaufwand. ähnlich wie Beton zeitabhängige Verformungen.
Die Kaltverformung führt zu einer Aufhärtung Diese werden jedoch nicht als Kriechen, sondern als
und somit zu einem Verlust an Duktilität, weshalb Relaxation bezeichnet, da für Spannglieder in vor-
Matten i. d. R. als normalduktil einzustufen sind, gespannten Bauteilen im wesentlichen Hp=konst gilt.
sofern nicht durch allgemeine bauaufsichtliche Zu- Es handelt sich hierbei um ein hochgradig nichtline-
lassungen eine andere Einstufung erfolgt. ares Phänomen, d. h., die Relaxationsverluste stei-
gen mit zunehmender Spannung überproportional
an. Der Anteil Ut der Verluste an der ursprünglichen
3.3.4 Spannstahl Spannung ist vom Spannstahl, der Art des Spann-
glieds, der Temperatur, dem Spannungsniveau und
3.3.4.1 Arten und Formen
der Einwirkungsdauer der Spannungen abhängig.
Spannstähle werden als glatte oder profilierte Stä- Zahlenwerte sind der Zulassung zu entnehmen.
be, Gewindestäbe und Litzen hergestellt, wobei
letztere die größten Marktanteile besitzen. Spann-
stähle sind bisher in Deutschland durch allgemeine 3.3.5 Verbundbaustoff Stahlbeton
bauaufsichtliche Zulassungen erfasst, die alle be-
3.3.5.1 Verbundverhalten des Stahls
messungsrelevanten Angaben enthalten müssen.
Im Rahmen der europäischen Normung werden die Das mechanische Zusammenspiel von Stahl und
Spannstahlzulassungen in Zukunft durch EN 10138 Beton wird durch den Verbund bestimmt, also durch
1080 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
Abb. 3.3-16 Rechnerische Verbund-Schlupf-Beziehung Abb. 3.3-17 Störung des Verbundes durch Bildung eines
nach MC 90 Ausbruchkegels
weit genug entfernt sind. Tritt der Stab aus dem standteile (überschüssiges Wasser, Luft) dagegen
Beton aus, so ist die Ausbildung des in Abb. 3.3-14 wandern nach oben und sammeln sich unter hori-
dargestellten Spannungsverlaufes wegen der feh- zontal liegenden Bewehrungsstäben. Unter diesen
lenden Abstützung der Druckstreben am Rissufer Stäben weist der Beton demnach eine hohe Porosi-
nicht mehr möglich. Die Einleitung der Verbund- tät auf, die zu einer Abminderung der übertragbaren
spannungen in den Beton muss dort über Zugspan- Verbundspannungen um bis zu 50% führt. Dieser
nungen erfolgen, die bei höheren Verbundspan- Effekt ist desto ausgeprägter, je weiter ein Stab von
nungen durch Überschreitung der Zugfestigkeit der Unterkante des Frischbetons entfernt liegt. Bei
die Bildung eines Ausbruchkegels und somit einen vertikal in der Schalung stehenden Stäben ist die
Abfall der dort übertragbaren Verbundspannungen Abminderung zusätzlich von der Beanspruchungs-
verursachen (Abb. 3.3-17). richtung abhängig. Wird der Stab nach unten, d. h.
Daher muss in der Wb-s-Beziehung auch noch der in Betonierrichtung gezogen, so ist wegen der Poro-
Abstand x zum nächsten Riss berücksichtigt wer- sität des vor den Rippen liegenden Betons eine ähn-
den. Dies kann z. B. nach MC 90 durch eine lineare liche Abminderung wie bei horizontalen Stäben zu
Abminderung in rissnahen Bereichen geschehen: beobachten. Vereinfacht unterscheidet man hier
zwischen Stäben im guten und mäßigen Verbund.
(3.3.16)
3.3.5.2 Rissbildung in Stahlbetonbauteilen
Wegen der sehr hohen Druckspannungen im Beton
zeigt der Verbund ausgeprägte Kriechverfor- Bei ungerissenen, ungeschädigten Stahlbetonbau-
mungen [Rohling 1987]. Im Allgemeinen unter- teilen liegen Beton und Stahl wegen der in diesem
stellt man hier lineares Kriechen, das bei konstant Zustand geringen Verbundspannungen und der ho-
gehaltener Verbundspannung den Schlupf um den hen Verbundsteifigkeit im ideellen, ungestörten Ver-
Faktor Ib auf s(t)=s0(1+Ib) vergrößert bzw. bei bund, d. h., die Dehnung des Stahls ist überall
konstant gehaltenem Schlupf die Verbundspan- gleich der Dehnung des ihn umgebenden Betons.
nung entsprechend verkleinert. Bei Steigerung der Last geht das Bauteil in den
Neben offensichtlichen Faktoren wie der Beton- Zustand der Einzelrissbildung über. An der Stelle, an
druckfestigkeit, der bezogenen Rippenfläche und der die Spannung die Zugfestigkeit des Betons zu-
den Betonspannungen senkrecht zur Stabachse erst überschreitet, entsteht ein Riss, an dessen Ufern
wirkt sich auch die Lage des Stabes beim Betonie- die Spannung und damit auch die Dehnung des Be-
ren auf das Verbundverhalten aus. Während des Ver- tons auf Null abfällt. Im einfachen Fall des zentrisch
dichtens des Frischbetons kommt es zu einem Ab- gezogenen Stabes müssen aus Gleichgewichtsgrün-
setzen der schweren Bestandteile; die leichten Be- den die freiwerdenden Betonzugspannungen we-
1082 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
Einzelrissbildung
ten direkt im Riss auf, weshalb im Rahmen der Be- Setzt man für die Wb-s-Beziehung (3.3.15) ein und
messung der Zustand im Riss betrachtet werden wählt die Randbedingungen am Beginn der Ver-
muss. Bei der Ermittlung von Verformungen wer- bundstörung (x=0) entsprechend dem Zustand bei
den dagegen Dehnungen über die Bauteillänge in- Einzelrissbildung, also s(0)=0; ds/dx(0)= Hs(0)–
tegriert; sie gehen daher nur mit ihrem über die Hc(0)=0, so ist die Differentialgleichung analytisch
Rissabstände gemittelten Wert Hsm ein. Die Abmin- lösbar. Mit dem Ansatz s(x)=C·xn erhält man
derungen gegenüber der Dehnung des nackten
Stahls wird als „Mitwirkung des Betons zwischen
den Rissen“ bezeichnet (engl.: tension stiffening).
(3.3.20)
Differentialgleichung des Verbunds
Zur Ermittlung der Spannungen zwischen den Ris-
sen wird ein differentielles Element eines Zugstabes
betrachtet (Abb. 3.3-20). Es wird vereinfacht davon Daraus lässt sich wiederum die Eintragungslänge
ausgegangen, dass die Betonspannungen überall ermitteln als die Strecke, nach der die Zugspannung
gleichförmig über den Querschnitt verteilt sind, im Beton zu Null wird:
d. h., der Betonquerschnitt bleibt eben.
Aus dem Gleichgewicht am Element ergibt sich (3.3.21)
Wb Us dx = dVs As = –dVc Ac . (3.3.17)
Man erhält
Dabei sind As und Us Fläche und Umfang eines
Stabes. Der Schlupf ergibt sich an jeder Stelle aus
der Differenz der Verschiebung von Stahl und Be-
ton s=us–uc. Unter Annahme eines linear-elas- (3.3.22)
tischen Stoffgesetzes für Stahl und Beton erhält
man damit die Beziehung
(3.3.18) Die Breite des Risses lässt sich aus dem Schlupf
mit w=2s(lt) bestimmen. Aus dem Ergebnis folgt
auch der Verlauf der Stahlspannung, Verbundspan-
Leitet man diese Beziehung nach x ab und setzt nung usw.
(3.3.17) ein, so ergibt sich
Abgeschlossenes Rissbild
(3.3.19) Für das abgeschlossene Rissbild ist die analytische
Lösung der Differentialgleichung wegen der dann
1084 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
vorliegenden Randbedingungen ds(0)/dx >0 schwie- Da eine konstante Verbundspannung aber nicht re-
rig. Man behilft sich hier meist mit Näherungsver- alistisch ist, liegt die Völligkeit Et etwas höher.
fahren und einigen ingenieurmäßigen Annahmen. Rao leitete aus Versuchsbeobachtungen einen mit
Zunächst wird die Verbund-Schlupf-Beziehung der Stahlspannung im Riss Vs2 hyperbolisch ab-
durch ein starr-plastisches Modell idealisiert. Die nehmenden Verlauf
plastische (d. h. konstante) Verbundspannung wird
dabei mit dem zwischen zwei Rissen zu erwar- (3.3.25)
tenden Mittelwert abgeschätzt. Unter Annahme
eines ungefähr linearen Verlaufes für den Schlupf
s(x)=w/2·x/lt erhält man ab [Rao 1966], der auch in den klassischen Riss-
theorien verwendet wird [Martin u. a. 1979]. In
(3.3.23) DIN 1045 Teil 1 wurde konstant Et=0,6 gesetzt,
das entspricht etwa einem parabolischen Verlauf
der Betonzugspannungen zwischen den Rissen
Dies ist ein oberer Grenzwert für die mittlere Ver- [König/Fehling 1988].
bundspannung, da ein linearer Ansatz für s einer Die mittlere Stahlspannung ergibt sich dann aus
zwischen den Rissen konstanten Stahlspannung der Überlegung, dass F=VcAc+VsAs in jedem Schnitt
entspricht, also sehr hohen Lastniveaus, bei denen und somit auch für die Mittelwerte gelten muss, zu
die verbundinduzierten Betonzugspannungen ver-
nachlässigbar sind.
Mit WØ b kann die Eintragungslänge ermittelt wer- (3.3.26)
den, wenn man berücksichtigt, dass definitionsge-
mäß am Ende der Eintragungslänge die Zugfestig-
keit im Beton erreicht wird: Die maximale Betonzugspannung zwischen den
Rissen Vc,max ist vom Rissabstand abhängig. Ist
sr=2lt (oberer Grenzwert), so wird fct definitions-
(3.3.24) gemäß gerade erreicht, für sr=lt (unterer Grenz-
wert) nur ca. 0,5 fct. Der für das mittlere Verfor-
mungsverhalten entscheidende mittlere Rissab-
Entscheidend für die Eintragungslänge ist nicht der stand liegt etwa bei srm=2/3 sr,max. Damit ist bei
Absolutwert der Verbundspannung, sondern deren mittlerem Rissabstand und Bezug auf fct anstelle
Verhältnis zur Zugfestigkeit. Obwohl WØ b u. a. von von Vc,max die Völligkeit Et § 2/3 0,6=0,4. Die mitt-
der Rissbreite w abhängt, wird hierfür in MC 90 und lere Stahlspannung ist dann
DIN 1045 Teil 1 ein konstanter Wert WØ bk/fctm=1,8
(charakteristischer Wert) angesetzt. Dies ist als ver- (3.3.27)
tretbare Näherung zu sehen, da wegen D<<1 die Ab-
hängigkeit von w deutlich unterproportional ist.
Für sehr hohe Bewehrungsgrade U=As/Ac geht Bei bekannten mittleren Spannungen bzw. Deh-
die Eintragungslänge und damit der Rissabstand nungen Hsm,Hcm und bekanntem Rissabstand sr er-
nach Gl. (3.3.24) gegen Null, was aufgrund der gibt sich die Rissbreite zu
Lastausbreitung vom Stahl in den Beton nicht
w = sr · (Hsm – Hcm). (3.3.28)
möglich ist. In [Martin u. a. 1979] wird dies durch
einen konstanten additiven Term, der etwa der Be- Unter Dauerlast wird Vcm durch das Kriechen des
tondeckung entspricht, berücksichtigt. Betons und des Verbunds abgebaut [Rohling 1987],
Für die idealisierte Wb-s-Beziehung ergibt sich wobei als Näherungswert ein Verhältnis von Vmax,/
ein zwischen den Rissen linearer Verlauf der Be- Vmax,0§2/3 angenommen werden kann. Zur Ermitt-
tonzugspannungen. Die mittlere Betonzugspan- lung der mittleren Stahlspannung unter Dauerlast
nung ergibt sich dann, bezogen auf die maximale muss daher der Völligkeitsbeiwert auf Et=2/3 · 0,4
Spannung zwischen zwei Rissen, zu Vcm= 1/2Vc,max. § 0,25 reduziert werden.
3.3 Massivbau 1085
Grundsätzlich sind diese Zusammenhänge auch Bei Biegebalken und hohen Bauteilen sind die
für den Zustand der Bildung von Einzelrissen gül- Zugspannungen – anders als bisher angenommen –
tig. Allerdings ist entsprechend den dann herr- nicht mehr gleichförmig über den Querschnitt ver-
schenden Randbedingungen als Einflussbereich für teilt. Zur Veranschaulichung des Problems wird
die Rissbreite die Länge des gestörten Bereichs, wieder ein zentrisch gezogenes Bauteil betrachtet,
also die doppelte Eintragungslänge, und Et=0,6 zu
setzen.
Erreicht oder übersteigt die Stahlspannung Vs2
die Fließgrenze, so sind die abgeleiteten Bezie-
hungen, die ein elastisches Verhalten des Stahls vor-
aussetzen, nicht mehr gültig. Man beobachtet hier
wegen der im Riss stark zunehmenden Stahldeh-
nungen eine allmähliche Auflösung des Verbunds
und eine Abnahme der mittleren Betonzugspan-
nungen. Da oberhalb der Fließgrenze die V-H-Linie
des Stahls jedoch flacher verläuft als im elasti-
schen Zustand, führt eine geringe Abminderung
der Stahlspannung zwischen den Rissen zu einer
deutlichen Reduktion der mittleren Stahldehnung.
Die plastischen Dehnungen lokalisieren sich in
einem kurzen Bereich am Riss. Das Verhältnis
zwischen Hsm und Hs2 kann daher je nach Verfesti-
gung des Stahls im plastischen Bereich weit gerin-
ger ausfallen als vor Beginn des Fließens (Abb.
3.3-21), was auf die Verformungsfähigkeit plasti-
scher Gelenke (vgl. 3.3.7.1) einen erheblichen Ein-
fluss hat [Alvarez 1998; Eligehausen u. a. 1998]. Abb. 3.3-22 Mitwirkende Zugzone
1086 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
dessen Bewehrung nun allerdings am Rand kon- für heff erhält man aus der Überlegung, dass die riss-
zentriert ist (Abb. 3.3-22). erzeugende Kraft Fcr=Act,eff fct maximal die im un-
Hier treten zwei Typen von Rissen auf, die man gerissenen Zustand im Beton vorhandene Kraft
als Primär- und Sekundärrisse bezeichnet. Sind die erreichen kann.
Spannungen vor der Bildung des Risses über den Abschließend sei noch darauf hingewiesen, dass
Querschnitt gleichmäßig verteilt, so entsteht ein Pri- die abgeleiteten Beziehungen die Rissbildung nur in
märriss, der über die gesamte Höhe durchläuft. Bei der unmittelbaren Umgebung der Bewehrung er-
Bildung der Sekundärrisse ist die Spannungsvertei- fassen können. Bei dem in Abb. 3.3-22 dargestell-
lung im Querschnitt durch die zuvor entstandenen ten Zugstab lässt sich dies leicht erkennen, wenn
Primärrisse bereits gestört, und die über den Ver- man bedenkt, dass die Verträglichkeit der Verfor-
bund auf der Höhe der Bewehrung eingeleiteten mungen eine im Mittel gleiche Verlängerung des
Zugspannungen breiten sich in der in Abb. 3.3-22b Stabes in jeder Höhe erfordert. Dies bedeutet, dass
skizzierten Weise aus. Da weite Teile des Quer- – unter Vernachlässigung der elastischen Beton-
schnitts nahezu spannungsfrei bleiben, verlaufen verformungen – die Breite eines Primärrisses in
die nun entstehenden Risse nur über einen begrenz- der Bauteilmitte der Summe der Breite aller zwi-
ten Bereich auf der Höhe der Bewehrung. schen den Primärrissen gelegenen Sekundärrisse
Zur Vereinfachung wird die glockenförmige am Bauteilrand entsprechen muss.
Spannungsverteilung analog zur Erfassung der
mittragenden Breite bei Plattenbalken durch ein
flächengleiches Rechteck mit gleichem Spitzen- 3.3.6 Statisch bestimmte Balken
wert ersetzt, dessen Höhe als mitwirkende Höhe
3.3.6.1 Beobachtungen im Versuch
heff bezeichnet wird; die zugehörige Fläche ist
dann Act,eff. Die für den Zugstab abgeleiteten Be- Das Verhalten auf Querschnittsebene sowie statisch
ziehungen sind innerhalb der mitwirkenden Fläche bestimmter Konstruktionen wird anhand eines Ein-
näherungsweise wieder gültig. In der Breitenrich- feldträgers erläutert (Abb. 3.3-23). Die Bewehrung
tung des Bauteils erfolgt die Spannungsausbrei- besteht aus einer Biegezugbewehrung mit dem
tung in ähnlicher Weise. Ist die Bewehrung über Querschnitt As1 sowie umlaufenden, geschlossenen
die Breite gleichmäßig verteilt, so kann angenom- und im Abstand s verlegten Bügeln der Querschnitts-
men werden, dass die volle Breite des Querschnitts fläche Asw (Summe aus beiden Schenkeln). Sie ent-
mitwirkt. Bei Plattenbalken mit gezogenem Gurt spricht damit der heute üblichen Konstruktionspra-
und einer im Bereich des Steges konzentrierten xis. Die Belastung wird durch zwei Einzellasten in
Bewehrung ist dagegen die Spannungsausbreitung den Drittelspunkten aufgebracht, es entsteht ein
entsprechend zu berücksichtigen. querkraftfreier Bereich mit konstantem Moment im
Die Ermittlung der mitwirkenden Höhe bzw. mittleren Drittel sowie zwei Bereiche mit konstanter
Breite kann unter Annahme eines Ausbreitungs- Querkraft und linear veränderlichem Moment.
winkels von ca. 45° in Abhängigkeit vom Rissab- Wird eine Belastung aufgebracht und gesteigert,
stand erfolgen [Fischer 1992]: so bleibt das Bauteil zunächst ungerissen. Die ers-
ten Risse entstehen i. d. R. im Bereich des maxima-
(3.3.29) len Moments. Die Verformungen nehmen nun bei
steigender Belastung überproportional zu (Abb.
Meist verzichtet man aber auf eine „genaue“ Er- 3.3-24). Bei Steigerung der Belastung schreitet die
mittlung und setzt unabhängig von sr einen kons- Rissbildung in Richtung der Auflager fort. Ist das
tanten Wert für heff fest, i. Allg. ein Vielfaches des Bauteil auf ganzer Länge gerissen, so ändert sich
Abstands des Bewehrungsschwerpunktes von der das Rissbild nur noch geringfügig.
Bauteiloberfläche d1: Das Rissbild zeigt starke Unregelmäßigkeit, da
es von zufälligen lokalen Schwankungen der Be-
heff = (2…5) · d1. (3.3.30)
tonzugfestigkeit abhängt. Eine Vorhersage des
Genauere Angaben enthält DIN 1045-1; i. Allg. Rissverlaufs ist daher nicht möglich. Jedoch lassen
kann heff = 2,5 d1 gesetzt werden. Eine Obergrenze sich einige Gesetzmäßigkeiten beobachten:
3.3 Massivbau 1087
Rissspitze wandert in Richtung der Druckzone, resultierende Schnittgrößen, der Index R (von engl.
bis schließlich mit dem Erreichen der maximalen resistance) den Widerstand des Bauteiles; zsi, Asi , Vsi
Stahldehnung der Bruch der Bewehrung eintritt. bezeichnen Lage, Querschnittsfläche und Spannung
Ein solcher Versagensmechanismus lässt sich nur der einzelnen Stäbe der Biegezugbewehrung, evtl. zu
bei Bauteilen mit relativ geringen Mengen an Bewehrungslagen zusammengefasst. Da Gl. (3.3.31)
Biegezugbewehrung beobachten. lediglich das Gleichgewicht enthält, gilt sie unabhän-
– Bei einer starken Biegezugbewehrung wird der gig von kinematischen Annahmen und dem Verhal-
Beton in der Druckzone zerstört, indem auf einer ten der Baustoffe. Zur analytischen Betrachtung des
begrenzten Länge ein etwa dreiecksförmiger Problems müssen hierfür jedoch Annahmen getrof-
Körper herausgesprengt wird. fen werden. So wird in ausreichender Entfernung
– Tritt das Versagen im Bereich zwischen den von den Lasteinleitungsstellen entsprechend den üb-
Lasteinleitungsstellen und den Auflagern auf, so lichen Annahmen der Balkentheorie zunächst ein
kommt es i. d. R. zu einem Fließen der Bügel- Ebenbleiben der Querschnitte sowie starrer Verbund
bewehrung mit sich anschließender starker Auf- zwischen Stahl und Beton unterstellt, d. h. die Deh-
weitung der geneigten Risse und schließlich zum nung der Bewehrung ist gleich der des umgebenden
Bruch der Bügel. Betons. Die Dehnung H kann dann durch die beiden
– Bei Balken mit sehr starker Bügelbewehrung Parameter Krümmung N und Längsdehnung der
kann der Beton im Bereich des Steges zerstört Schwerachse H0 vollständig beschrieben werden:
werden. Dies ist allerdings eher bei profilierten
Bauteilen (z. B. Plattenbalken mit dünnen Stegen) H(z) = H0 + N z. (3.3.32)
als bei Rechteckquerschnitten zu erwarten.
Umgekehrt kann die Krümmung aus der Dehnung
Die einzelnen Mechanismen können auch kombi- in zwei Punkten, z. B. am gedrückten Querschnitts-
niert auftreten, beispielsweise als Versagen der rand und in der Zugbewehrung, bestimmt werden:
Druckzone nach dem Fließbeginn der Biegezugbe-
wehrung. Das Bauteilversagen ist jedoch immer ein (3.3.33)
lokales Phänomen, findet also in räumlich begrenz-
ten Bereichen statt, während der Rest des Bauteils
weitgehend intakt bleibt. Neben den geschilderten Zustand I
können noch sekundäre Versagensmechanismen Bis zum Beginn der Rissbildung lässt sich das Ver-
(Verankerungsversagen usw.) auftreten. halten des Betons i. Allg. durch ein linearisiertes
Stoffgesetz der Form Vc=Hc Ec approximieren. Es
gelten dann in guter Näherung die aus der linearen
3.3.6.2 Biegebeanspruchung
Elastizitätstheorie bekannten Zusammenhänge:
Grundlagen
Das mittlere Drittel des in Abb. 3.3-23 dargestellten (3.3.34)
Balkens wird nur durch ein Biegemoment MS=Pl/3
beansprucht (NS=VS=0). Das Gleichgewicht in einem
Schnitt senkrecht zur Stabachse erfordert Span- Einzige Besonderheit ist das Zusammenwirken der
nungen in Balkenlängsrichtung, die die folgenden Baustoffe Stahl und Beton mit unterschiedlichen
allgemeinen Gleichgewichtsbedingungen erfüllen: Steifigkeiten im Querschnitt. Da in der Bewehrung
bei gleicher Dehnung höhere Spannungen entstehen,
verhalten sich bewehrte Bauteile auch im ungeris-
(3.3.31) senen Zustand etwas steifer als unbewehrte. Dies
kann durch ideelle Querschnittswerte (Index i) erfasst
werden. Bei der Ermittlung von Ai, Ii, Wi werden die
Bewehrungsflächen im Verhältnis der E-Moduln D=
Der Index S (von engl. Stress; in DIN 1045-1 Index Es/Ec gewichtet (Abb. 3.3-25). Der Schwerpunkt des
E für Einwirkung) bezeichnet aus den Einwirkungen ideellen Querschnittes Mi fällt bei unsymmetrischer
3.3 Massivbau 1089
(3.3.35)
Reiner Zustand II
Mit dem Überschreiten der Zugfestigkeit fallen die
Betonzugspannungen in den gerissenen Bereichen
Abb. 3.3-25 Ideelle Querschnittswerte eines Rechteckquer- auf Null ab. Zur Erfüllung der Gleichgewichtsbedin-
schnittes gung stehen nun im wesentlichen Betondruckspan-
nungen und Stahlzugspannungen zur Verfügung; der
Bewehrung nicht mit dem des Betonquerschnitts M an der Lastabtragung beteiligte Querschnitt reduziert
zusammen. Gleichung (3.3.34) gilt daher streng ge- sich auf Druckzone und Bewehrung (Abb. 3.3-26).
nommen nur, wenn als Bezugsachse für die Wirkung Die Spannungen in der Bewehrung und im Beton am
der Normalkraft Mi gewählt wird. gedrückten Querschnittsrand nehmen stark zu. Die
Allerdings ist der Unterschied zwischen den Aktivierung der Bewehrung erfolgt also erst mit der
ideellen Werten und denen des reinen Betonquer- Rissbildung, die damit ein fundamentaler Bestand-
schnitts und damit die Wirkung der Bewehrung im teil der Stahlbetonbauweise ist.
Zustand I i. Allg. vernachlässigbar. Dies ist offen- Der zu einer Beanspruchung gehörende Deh-
sichtlich, da die Dehnung des Stahls hier die Zug- nungszustand muss i. Allg. iterativ ermittelt werden.
bruchdehnung des Betons von ca. 0,1‰ nicht Dies kann in der Handrechnung durch eine Variati-
übersteigen kann und sich somit Stahlspannungen on der Dehnungen Hs1, Hc2 geschehen. Hierfür wer-
von maximal Vs=Es/Ec·fct§ 20MPa ergeben, also den die Betondruck- und Zugspannungen zu Resul-
nur ein Bruchteil der Fließspannung. tierenden Fc, Fs1 zusammengefasst. Die Gleichge-
Die Grenze des ungerissenen Bereichs ergibt wichtsbedingung vereinfacht sich dann zu
sich durch das Erreichen der Zugfestigkeit am
Querschnittsrand. Allerdings dürfen hierbei nicht MS = –Fc(zso–a)+Fs1(zsu–d1), (3.3.36)
nur die aus den Schnittgrößen resultierenden Span- NS = Fc + Fs1.
nungen betrachtet werden, da diese immer von
Eigenspannungszuständen infolge ungleichmäßigen Wählt man als Bezugspunkt für das Momenten-
Schwindens usw. überlagert werden. Die Größe der gleichgewicht die Achse der Zugbewehrung, so er-
entstehenden Eigenspannungen ist von den Abmes- gibt sich stattdessen mit dem inneren Hebelarm z
sungen des Bauteils, den Erhärtungsbedingungen
usw. abhängig und kaum quantifizierbar; sie wer- MS – NS zs1 = –Fc z, NS = Fc + Fs1 (3.3.37)
den daher meist durch eine Minderung der Zugfes-
tigkeit (Materialeigenschaft) zur nutzbaren Zugfes- oder
tigkeit im Bauwerk (Bauteileigenschaft) berück- (3.3.38)
sichtigt:
der Stahlzugkraft das Gleichgewicht zu halten schrieben. Ein solches im Rahmen der Bemessung
(Druckversagen). zu lösen, übersteigt den vertretbaren Aufwand je-
Die in Abb. 3.3-27 dargestellten Beziehungen doch erheblich. Daher ist es sinnvoll, die Gültigkeit
gelten für die Erstbelastung. Da bei einer Entlas- der bisher getroffenen Annahmen in ggf. modifi-
tung die Risse nicht vollständig geschlossen wer- zierter Form für die Berechnung zu prüfen.
den und irreversible Dehnungsanteile in Beton und
Bewehrung verbleiben, geht die Krümmung auch Kinematik. Den prinzipiellen Verlauf der Span-
bei vollständiger Entlastung nicht auf Null zurück. nungen zwischen den Rissen eines Biegebauteils
Bei Wiederbelastung folgt die Kurve der Entlas- zeigt Abb. 3.3-28. Es ist offensichtlich, dass ebene
tungslinie bis zur Einmündung in die Erstbelas- Dehnungsverteilungen die Wirklichkeit an einzel-
tungskurve. Die aus einer Beanspruchung resultie- nen Stellen kaum wiedergeben können. Betrachtet
rende Verformung ist daher nicht eindeutig, son- man allerdings einen längeren Abschnitt eines Bie-
dern pfadabhängig, d. h. abhängig von den vorher gebauteils mit (näherungsweise) konstanter Mo-
durchlaufenen Beanspruchungen. mentenbeanspruchung, so erzwingt die Kompati-
bilität im Mittel über die Risse hinweg trotzdem
Mittleres Verhalten im Zustand II ein Ebenbleiben der Querschnitte.
Beim Vergleich mit den Versuchsergebnissen (Abb. Bei der Betrachtung mittlerer Verzerrungszu-
3.3-27) zeigt sich, dass die auf diese Weise rechne- stände erscheint die Anwendung der Bernoul-
risch ermittelten Riss-, Fließ- und Bruchmomente lischen Hypothese daher vertretbar. Sie beschreibt
das beobachtete Verhalten im Rahmen der Streu- das Verhalten des gerissenen Betons umso besser,
ungen der Materialeigenschaften zwar gut wieder- je kleiner die Rissabstände im Bauteil sind. Für
geben, die zugehörigen Krümmungen die Steifigkeit den theoretischen Fall verschwindender Rissab-
des Bauteils jedoch z. T. erheblich unterschätzen. stände gilt sie streng, für Stahlbetonbauteile mit im
Die Gründe hierfür sind offensichtlich: Bisher wur-
den gleichförmige Spannungen entlang der Balken-
achse vorausgesetzt; das beobachtete Rissbild zeigt
dagegen erwartungsgemäß Risse in endlichen Ab-
ständen. Während in den Rissen die Betonzugspan-
nungen gegen Null gehen, werden in den Bereichen
zwischen den Rissen durch den Verbund der Be-
wehrung und die Ausstrahlung der in der Druckzone
wirksamen Spannungen Zugspannungen in den Be-
ton eingeleitet. Das Verhalten eines gerissenen
Stahlbetonbalkens unter Biegung wird also durch Abb. 3.3-28 Verlauf der Betonspannungen zwischen zwei
ein komplexes, nichtlineares Scheibenproblem be- Rissen (qualitativ)
1092 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
Verbund liegender Bewehrung in hinreichend guter Stahls, bei der die Linie des „nackten“ Stahls durch
Näherung, solange sichergestellt ist, dass die Riss- die eines im Beton eingebetteten Zugstabs ersetzt
abstände ausreichend klein bleiben. Hierfür ist wird. Man verwendet also anstelle der realen Stahl-
eine Mindestbewehrung erforderlich, die in der dehnung die über die Risse hinweg gemittelte Hsm,
Lage sein muss, die Rissschnittgrößen des Quer- wobei der Einfachheit halber häufig auch die Be-
schnitts aufzunehmen. Dies wird in den normati- tonzugspannungen des Zustands I der Bewehrung
ven Mindestanforderungen an die bauliche Durch- zugeschlagen werden. Die modifizierte Arbeitsli-
bildung geregelt. nie ist keine Materialkonstante mehr, sondern vom
Bewehrungsgrad des Bauteils abhängig.
Stoffgesetze. Bei Verwendung einer Kinematik mit Die verschmierte Betrachtung liefert einen mitt-
in der Balkenlängsrichtung „verschmierten“ Rissen leren Dehnungszustand. Da jedoch im Riss die
liegt es nahe, die Wirkung des Verbunds durch mo- Höhe der Betondruckzone kleiner ist als im Mittel,
difizierte, über die Risse gemittelte Stoffgesetze werden der innere Hebelarm im Riss und die Bean-
(Abb. 3.3-29) zu berücksichtigen, etwa durch An- spruchungen in der Druckzone unterschätzt. Bei
satz einer mittleren Betonzugspannung im Bereich der Ermittlung des Bruchmoments wird daher
der mitwirkenden Zugzone. Dies erfordert aller- i. d. R. der reine Zustand II unter Vernachlässigung
dings die Formulierung unterschiedlicher Stoffge- der Mitwirkung des Betons auf Zug und unter An-
setze für den Beton innerhalb und außerhalb von nahme einer ebenen Verteilung der Dehnungen im
heff. Auch ist zu beachten, dass bei Ansatz einer Rissquerschnitt betrachtet. Wenngleich die letzte
konstanten Betonzugspannung Vcm die Fließgrenze Annahme mechanisch streng genommen nicht ge-
der Bewehrung künstlich erhöht wird, da die Zug- rechtfertigt ist, liefert dieses Vorgehen eine sehr
tragfähigkeit des Betons zwar im Mittel, nicht je- gute Abschätzung der wirklichen Verhältnisse.
doch im Riss selbst vorhanden ist. Daher werden die Der Dehnungszustand unter einem gegebenen
Betonzugspannungen bei Erreichen der Fließspan- Moment ist bei gerissenen Bauteilen stark von der
nung in der Bewehrung i. Allg. zu Null gesetzt [Kol- vorhandenen Bewehrung und gleichzeitig wirken-
legger 1988]. Zur Berücksichtigung der verminder- den Normalkräften abhängig.
ten Dehnfähigkeit der eingebetteten Bewehrung
sollte dann die Bruchdehnung der Bewehrung zu- Einfluss des Bewehrungsgrades. Abbildung 3.3-30a
sätzlich reduziert werden (vgl. Abb. 3.3-21). zeigt Momenten-Krümmungs-Beziehungen unter
Die andere Möglichkeit besteht in der Modifi- reiner Biegung für verschiedene Bewehrungsgrade
kation der Spannungs-Dehnungs-Beziehung des U=As/bd. Die Bewehrung ist hier nur auf der Zug-
seite angeordnet.
Im ungerissenen Zustand ist der Einfluss ge-
ring. Im gerissenen Zustand steigt die Steifigkeit
dagegen mit dem Bewehrungsgrad erheblich an,
ebenso Fließ- und Bruchmoment. Der Unterschied
zwischen dem mittleren Verhalten und dem reinen
Zustand II nimmt mit steigendem Bewehrungsgrad
ab, da der Rissabstand kleiner wird und die mittle-
ren Betonzugspannungen für das Gleichgewicht
zunehmend an Bedeutung verlieren.
Besonders ausgeprägt ist der Einfluss auf die
Krümmung im Bruchzustand. Bei kleinen Beweh-
rungsgraden ist sie relativ gering. Zwar erreicht
hier die Bewehrung im Riss ihre Bruchdehnung,
wegen des bei geringen Bewehrungsgraden sehr
stark ausgeprägten Tension-stiffening-Effekts wird
Abb. 3.3-29 Möglichkeiten zur Berücksichtigung der Mit- die mittlere Stahldehnung und damit die mittlere
wirkung des Betons zwischen den Rissen Krümmung im Vergleich zum Rissquerschnitt je-
3.3 Massivbau 1093
doch stark reduziert. Mit zunehmendem Beweh- ringert (N>0), vgl. Gl. (3.3.35). Der Abfall der Stei-
rungsgrad nimmt das Verhältnis Hsm/Hs2 zu, bis Nm figkeit bei Rissbildung nimmt mit zunehmender
bei U § 0,4%…0,6% sein Maximum erreicht. Die- Drucknormalkraft ab, da die im Zustand I unter Zug-
ser Punkt markiert den Übergang vom Zugversa- spannungen stehende Fläche und somit die Quer-
gen zum Druckversagen. schnittsverminderung bei Rissbildung kleiner wird.
Bei hohen Bewehrungsgraden tritt Versagen in Für den Fall des Zugversagens führt eine Ver-
der Druckzone auf, bevor die Bewehrung im Riss größerung der Drucknormalkraft zu einer Zunah-
ihre Bruchdehnung erreicht. Die Bruchkrümmung me der Fließ- und Bruchmomente und damit der
nimmt entsprechend der im Vergleich zur Beweh- Querschnittstragfähigkeit. Die Krümmung im
rung geringen Duktilität des Betons mit steigendem Bruchzustand wird durch eine Vergrößerung der
Bewehrungsgrad ab. Bei sehr hohen Bewehrungs- Drucknormalkraft ähnlich beeinflusst wie durch
graden kommt es bereits vor dem Fließbeginn in der eine Erhöhung des Bewehrungsgrades.
Bewehrung zum Versagen der Druckzone. Diese
Bewehrungsgrade sind als kritisch zu beurteilen, Tragfähigkeit im GZT
da ihre plastische Verformungsfähigkeit gleich Bei der Bemessung im Grenzzustand der Tragfä-
Null ist (nahezu sprödes Versagen). Für Druckver- higkeit ist nachzuweisen, dass der Querschnitt un-
sagen lässt sich Nu im Wesentlichen auf die Höhe ter Ansatz der Bemessungswerte der Festigkeiten
der Druckzone x und die Bruchdehnung des Be-
tons zurückführen: (3.3.43)
(3.3.42)
die Bemessungswerte der einwirkenden Schnitt-
Bei sehr gering bewerten (unterbewehrten) Quer- größen NSd, MSd aufnehmen kann. Die Verteilung
schnitten kann die Bewehrung im gerissenen Zu- der Betondruckspannungen wird nach dem Para-
stand das bei Rissbildung vorhandene Moment bel-Rechteck-Diagramm (PRD) angenommen.
nicht aufnehmen, so dass es beim Aufreißen zum Eine Mitwirkung des Betons auf Zug darf im GZT
schlagartigen Versagen kommt. nicht in Ansatz gebracht werden, da sie wegen
möglicher Eigenspannungszustände oder Vorschä-
Einfluss einer Normalkraft. Abbildung 3.3-30b zeigt digungen nicht mit ausreichender Sicherheit vor-
Momenten-Krümmungs-Beziehungen für verschie- ausgesetzt werden kann.
dene Normalkräfte und U1=U2=1%. Durch Normal- Der Grenzzustand ist dabei durch das Erreichen
kräfte wird das Rissmoment erhöht (N<0) bzw. ver- einer Grenzdehnung in der Bewehrung oder im Be-
1094 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
ton definiert. Weder die Grenzdehnungen noch das In der Regel sind im Grenzzustand der Tragfä-
PRD geben das wirkliche Materialverhalten wieder, higkeit nicht die bei gegebener Bewehrung auf-
sondern stellen starke Idealisierungen dar, was zu- nehmbaren Schnittgrößen gesucht, sondern die zur
sätzliche Einschränkungen erforderlich macht. Im Aufnahme gegebener Schnittgrößen erforderliche
Fall eines zentrisch gedrückten Querschnitts wird Bewehrung. Im Unterschied zum Vorgehen im
nach dem PRD die Bruchstauchung und die Völlig- Stahl- und Holzbau liegen die äußeren Quer-
keit der Spannungsverteilung im Beton überschätzt. schnittsabmessungen i. Allg. bereits fest. Die An-
Daher ist in solchen Fällen eine zusätzliche Deh- passung an die wirkende Beanspruchung erfolgt
nungsbeschränkung auf Hc > Hc2 erforderlich. allein durch die Wahl der Bewehrung. Dabei liegt
Alle bei gegebener Querschnittsgeometrie (Form es aus wirtschaftlichen Gründen nahe, die Tragfä-
und Bewehrungsgrad) möglichen Bruchzustände higkeit des Querschnitts voll auszuschöpfen und
erhält man, indem entweder die Beton- oder die As so zu bestimmen, dass (MSd, NSd)=(MRd, NRd)
Stahldehnung gleich dem Grenzwert gesetzt und die erfüllt ist. Unter dieser Bedingung ist die Bemes-
jeweils andere Dehnung innerhalb der zulässigen sungsaufgabe zwar eindeutig lösbar, erfordert je-
Grenzen variiert wird. Die Querschnittsintegration doch meist ein iteratives Vorgehen.
liefert die Grenzkurve aller aufnehmbaren Schnitt- Hierfür ist es sinnvoll, bei der Gleichgewichts-
größenkombinationen NSd, MSd, die sich in Form findung den Bezugspunkt für M in die Achse der
eines Interaktionsdiagramms darstellen lässt (Abb. Zugbewehrung zu verlegen. Das wirkende Mo-
3.3-31). Der unbewehrte Querschnitt kann demnach ment ist dann
nur Biegemomente aufnehmen, wenn gleichzeitig
Drucknormalkräfte wirken, d. h. die um die Exzent- MSds = MSd – NSd zs1 (3.3.44)
rizität e=MSd/NSd verschobene Normalkraft inner-
halb des Querschnitts angreift. Für den einseitig Für den nur auf der Biegezugseite bewehrten Quer-
bewehrten Querschnitt ist die Kurve unsymmet- schnitt folgt dann die resultierende Betondruckkraft
risch. Eine begrenzte Aufnahme von Zugnormal- Fcd=–MSds/z. Ihre Größe und Lage kann bei recht-
kräften ist nur bei gleichzeitiger Wirkung von Bie- eckigen Druckzonen mit den von der Randstauchung
gemomenten möglich. abhängigen Hilfswerten DR, ka ermittelt werden:
Für symmetrische Bewehrung ist die Kurve
symmetrisch zur Achse MSd=0. Das maximale Mo- Fcd =–DR x b fcd, a = ka x . (3.3.45)
ment ergibt sich bei einer Normalkraft von NSd§–
0,4fcd Ac. Für größere Druckkräfte wird die Fließ- Die Höhe der Druckzone folgt dabei aus der ebe-
grenze der Bewehrung nicht mehr erreicht. nen Dehnungsverteilung:
(3.3.46)
(3.3.47)
bestimmt werden. Die Bewehrungsmenge ergibt Für den Fall des Betonversagens kann es sinn-
sich dann zu voll sein, die Druckzone mit einer Druckbeweh-
rung As2 zu verstärken. Dies gilt insbesondere
dann, wenn für den aus Gl. (3.3.47) resultierenden
(3.3.48) Dehnungszustand die Fließgrenze der Bewehrung
nicht erreicht wird, da in diesem Fall
– die im Vergleich zum Beton teure Bewehrung
nicht optimal ausgenutzt wird (die Summe aus
mit
Druckbewehrung und Zugbewehrung ist kleiner
als die erforderliche Zugbewehrung bei Ver-
(3.3.49)
zicht auf die Druckbewehrung) und
– das Versagen ohne vorheriges Fließen der Be-
wehrung, d. h. ohne Ankündigung des Versa-
Die Bewehrung erreicht dabei i. Allg. die Fließ-
gens durch Bildung breiter Risse, erfolgt.
grenze (Vs1fyd).
Wegen der dimensionslosen Darstellung gilt die Für diesen Fall erweitert sich Gl. (3.3.47) um den
für eine bezogene Beanspruchung Sds gewonnene Momentenanteil der Druckbewehrung Fs2d(d–d2)
Lösung für Rechteckquerschnitte mit beliebigen und ist mit den zwei Unbekannten Hs1 und As2 ohne
Abmessungen und Betonfestigkeiten, sofern die Einführung einer Zusatzbedingung nicht mehr ein-
Funktionen DR, ka sich nicht ändern. Dies ist bei deutig lösbar. Fordert man lediglich das Erreichen
normalfesten Betonen der Fall, weshalb hier die Lö- der Fließgrenze in der Zugbewehrung, so liegt mit
sung der Bemessungsaufgabe in Diagrammform Hs1=fyd/Es der Dehnungszustand vollständig fest;
einzig für den Eingangsparameter Sds dargestellt aus diesem folgt der Traganteil des Betons Fcd z
werden kann (Abb. 3.3-32). Bei hochfesten Betonen und somit
ist eine Darstellung unabhängig von der Betonfes-
tigkeit wegen der sich ändernden Form des PRD (3.3.50)
nicht mehr möglich; hier sind für jede Festigkeits-
klasse eigene Bemessungshilfsmittel erforderlich
[Zilch/Rogge 2000; Zilch/Zehetmaier 2010]. Bei statisch unbestimmten Systemen können wei-
tere Begrenzungen für den Dehnungszustand nötig
werden.
In einem weiten Bereich von Sds erreicht die
Randstauchung des Betons den Grenzwert von
Hc2u. Für diese Fälle ist es möglich, die Spannungs-
verteilung nach dem Parabel-Rechteck-Diagramm
durch einen Spannungsblock mit einer konstanten
Spannung Vc=fcd zu ersetzen. Begrenzt man den
Wirkungsbereich auf 0,8x, so stimmt seine Resul-
tierende bei rechteckigen Druckzonen nach Lage
und Größe mit der des PRD überein. Die Bestim-
mungsgleichung für die Nulllinienlage vereinfacht
sich dann zu einer quadratischen Gleichung
Obwohl sie streng genommen nur für den Bereich Für den allgemeinen Fall erhält man durch ein-
des Betonversagens gilt, ist sie auch für Beanspru- faches Umformen eine kubische Bestimmungs-
chungen mit Stahlversagen eine sehr gute Näherung, gleichung für [, die analytisch oder numerisch ge-
da in diesem Fall die bezogene Druckzonenhöhe [ löst werden kann. Für die praktische Anwendung
klein ist und sich ein Fehler bei der Völligkeit der findet sich eine Darstellung der Lösung in Dia-
Druckspannungen nur geringfügig auf den inneren grammform z. B. in [Grasser u. a. 1996].
Hebelarm z auswirkt. Wesentliche Vorteile ergeben Für den häufigen Fall der reinen Biegung ohne
sich aus der Anwendung des Spannungsblocks aber Normalkraft vereinfacht sich Gl. (3.3.56) zu einer
erst bei komplizierteren Querschnittsformen, z. B. quadratischen Gleichung mit der Lösung
bei Biegung um zwei Achsen. Hier kann die Druck-
zone auch bei Rechteckquerschnitten komplexe For-
men annehmen, was die Ermittlung der Resultie- (3.3.57)
renden Fcd bei Anwendung des PRD erschwert.
Die effektive Biegesteifigkeit (reiner Zustand II)
Nachweise im GZG ergibt sich zu
Wegen der Begrenzung der Spannungen im Beton
auf Werte weit unterhalb der Festigkeit kann (3.3.58)
Vc=Ec·Hc gesetzt werden. Hierfür können geschlos-
sene Lösungen für die Spannungsverteilung im
Zustand II abgeleitet werden. Für ein lineares Häufig wird der innere Hebelarm im GZG aus der
Stoffgesetz und eine ebene Dehnungsverteilung ist Bemessung im GZT übernommen oder pauschal
die Spannungsverteilung dreiecksförmig und z=d– mit z § (0,8…0,9) d abgeschätzt. Dies ist bei Stahl-
x/3. Die Randspannung infolge des auf die Stahl- betonbauteilen mit üblichen Bewehrungsgraden
achse bezogenen Moments Ms ergibt sich für Quer- zur Ermittlung der Stahlspannungen gerechtfertigt,
schnitte ohne Druckbewehrung zu erlaubt jedoch keine Ermittlung der Betonspan-
nungen, da x nicht bekannt ist.
(3.3.53)
Begrenzung der Stahlspannungen. Die Betonstahl-
spannungen sind im GZG so zu begrenzen, dass kei-
Die Stahldehnung ist dann ne plastischen Verformungen entstehen. Da die
Plastifizierung irreversibel ist (die plastische Deh-
(3.3.54) nung bleibt auch nach einer Entlastung), ist dies
eine Grundvoraussetzung für eine Beschränkung
der Rissbreite. Nach DIN 1045 Teil 1 ist daher nach-
Das Gleichgewicht der Normalkräfte N=Fc+Fs lie- zuweisen, dass unter der seltenen Einwirkungskom-
fert schließlich die Bestimmungsgleichung für die bination Vs<0,8 fyk ist. Bei statisch bestimmten Bau-
Druckzonenhöhe: teilen wird dies i. Allg. nicht maßgebend.
DIN 1045 Teil 1 fordert daher in Fällen, in denen kann, sollte sie nicht als Ersatz für eine Begren-
die Gebrauchstauglichkeit oder Tragfähigkeit durch zung der Rissbreite angesehen werden.
Kriechverformungen beeinträchtigt wird, eine gene-
relle Beschränkung der quasi-ständigen Beton- Begrenzung der Rissbreite. Die Rissbildung in nicht
druckspannungen auf 0,45 fck. Diese Forderung ist vorgespannten Stahlbetonbauteilen ist Bestandteil
mitunter sehr restriktiv, da die Auswirkung der der Bauweise und i. Allg. kaum zu vermeiden. Die
nichtlinearen Kriechverformungen auf das Bauteil- Breite der Risse muss jedoch aus verschiedenen
verhalten von der Art der Beanspruchung und der Gründen begrenzt werden (vgl. DBV-Merkblatt
Querschnittsgeometrie abhängen. Unter reiner Bie- „Begrenzung der Rissbildung“):
gung führt das erhöhte Kriechen bei gedrungenen Zur Sicherstellung des Korrosionsschutzes der
Querschnitten zu einer Umlagerung der Druckspan- Bewehrung und damit der Dauerhaftigkeit sind die
nungen von den stärker beanspruchten Randberei- Rissbreiten bei Stahlbetonbauteilen auf 0,3 mm
chen in das Bauteilinnere und somit zu einer Abnah- (0,4 mm bei Innenbauteilen) zu beschränken (vgl.
me der Randspannungen (vgl. 3.3.10.2). Die Aus- 3.3.1.1). Da dies dem langfristigen Erhalt der Trag-
wirkungen auf die Querschnittssteifigkeit bleiben fähigkeit dient, sind diese Grenzwerte verbindlich.
dann gering [Zilch/Fritsche 1999], weshalb die Be- Die Karbonatisierung der Rissufer ist ein langfristi-
schränkung bei solchen Bauteilen weniger streng ger Prozess, eine kurzzeitige Überschreitung der
gehandhabt werden kann. Bei im wesentlichen zen- zulässigen Rissbreiten erscheint daher unbedenk-
trisch gedrückten Bauteilen oder Bauteilen mit aus- lich, sofern sich die Risse bei Rückgang der Belas-
geprägten Druckgurten ist diese Umlagerung dage- tung weitgehend wieder schließen. Die Nachweise
gen nicht möglich. der Rissbreitenbegrenzung können daher unter der
Bei Spannungen über 0,6 fck ist mit der Bildung quasi-ständigen Lastkombination mit dem zeit-
von Makrorissen parallel zur Hauptdruckspan- lichen Mittelwert der Rissbreite geführt werden,
nungsrichtung zu rechnen, die zu einer Reduktion wenn gleichzeitig eine Begrenzung der Stahlspan-
des Korrosionsschutzes der in den betroffenen Be- nung unter der seltenen Kombination sichergestellt
reichen liegenden Bewehrung führt. Für Bauteile wird.
unter aggressiven Umweltbedingungen ist daher Werden z. B. besondere Anforderungen an die
nach DIN 1045 Teil 1 eine Begrenzung der sel- Wasserdichtigkeit des Bauwerks gestellt (z. B. wei-
tenen Betonspannungen auf 0,6 fck erforderlich, ße Wannen), so ist eine relativ strenge Beschrän-
sofern der verminderte Korrosionsschutz nicht kung der Rissbreite erforderlich. Dabei ist zu unter-
durch eine erhöhte Betondeckung ausgeglichen scheiden zwischen durchlaufenden Trennrissen
wird. Alternativ zur Spannungsbegrenzung kann (wk0,1…0,2 mm) und Biegerissen, bei denen die
die Öffnung der Längsrisse durch eine (senkrecht Dichtigkeit durch die ungerissene Druckzone si-
zum Riss verlaufende) Umschnürungsbewehrung chergestellt werden kann. Hinweise enthält die WU-
verhindert werden. Wegen der ab ca. 0,4 fck abneh- Richtlinie des DAfStb. Da es sich hierbei i. d. R. um
menden Steifigkeit des Betons liegt eine Span- reine Gebrauchsnachweise handelt, enthalten die
nungsermittlung unter Annahme linearen Verhal- Richtlinien nur Empfehlungen. Die zulässige Riss-
tens für die Betonspannungen auf der sicheren Sei- breite muss im Einzelfall aufgrund der spezifischen
te. Wirklichkeitsnahe Vc-Hc-Beziehungen liefern Umstände zwischen dem Tragwerkplaner und dem
günstigere Ergebnisse. Bauherrn auch aus haftungsrechtlichen Gründen
Eine Begrenzung der Betonzugspannungen ist vereinbart werden.
für Stahlbetonbauteile in DIN 1045 Teil 1 norma- Gleiches gilt für die Beschränkung der Riss-
tiv nicht geregelt; sie kann bei Bauteilen mit stren- breite aus ästhetischen Gründen. Da Risse trotz
gen Anforderungen an die Verformungen zur Be- ihrer Unvermeidlichkeit subjektiv als Mangel
grenzung der Rissbildung jedoch sinnvoll sein. empfunden werden, sollte zur Wahrung eines an-
Grenzwerte sollten unter Berücksichtigung der sprechenden Erscheinungsbildes nach DIN1045
Dauerzugfestigkeit fallspezifisch festgelegt wer- Teil 1 eine Breite wk 0,4 mm angestrebt werden.
den. Da eine Rissbildung aufgrund von Eigenspan- Auch wenn solche Risse mit dem bloßen Auge
nungen aber kaum sicher ausgeschlossen werden i. Allg. kaum wahrnehmbar sind, kommt es durch
1098 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
Die Hauptspannungen verlaufen geneigt gegen kräften größer. Hierbei ist auch die Reihenfolge der
die Trägerrichtung, wobei der Neigungswinkel Belastung zu beachten. Wird das Bauteil z. B. vor
vom Verhältnis der Schnittgrößen MS, NS, VS ab- dem Aufbringen der äußeren Last durch Zwang in-
hängig ist. Allgemein verlaufen die Druckspan- folge Schwinden beansprucht, so entstehen die
nungstrajektorien bei Drucknormalkräften eher in Risse wegen der beim Aufreißen fehlenden Quer-
Richtung der Balkenachse, bei Zugnormalkräften kraft senkrecht zur Bauteilachse. Über diese ersten
eher senkrecht dazu. Risse hinweg können sich unter Belastung weitere
Bei Überschreitung der Zugfestigkeit kommt es geneigte Risse bilden. Zwischen den Rissen verblei-
zur Rissbildung. Der Ort der maximalen Hauptzug- ben intakte „Betonzähne“, die eine kammartige
spannung und damit der Rissentstehung ist vom Struktur bilden.
Verhältnis der wirkenden Schnittgrößen und von der Eine Aufnahme der freiwerdenden Betonzug-
Querschnittsgeometrie abhängig. Im Allgemeinen spannungen durch die Bewehrung ist zunächst
entstehen Risse auch bei gleichzeitiger Wirkung nicht möglich, da diese i. Allg. nicht in Richtung
von Querkraft und Moment als Biegerisse am Quer- der Hauptspannungstrajektorien verläuft. Eine
schnittsrand und nur bei Bauteilen mit breiten Zug- freie Öffnung der Risse wird jedoch durch die un-
und Druckgurten sowie schmalen Stegen evtl. im gerissene Druckzone behindert. Nimmt man an,
Bereich des Steges. Im Gegensatz zu rein biegebe- dass sich die zwischen den Rissen gelegenen Be-
anspruchten Bereichen verlaufen die Risse nicht tonzähne als Starrkörper verschieben, so erhält
senkrecht zur Balkenachse, sondern wie die Haupt- man die in Abb. 3.3-34a skizzierte Kinematik. Da-
spannungen im Zustand I geneigt. Sie folgen den bei lässt sich folgendes feststellen:
Hauptspannungstrajektorien jedoch nicht exakt, da
es bereits bei Beginn der Rissbildung zu Umlage- – Infolge der Rotation der Zähne bei Rissöffnung
rungen der Spannungen kommt. Für Bauteile ohne ändert sich die Höhe des Balkens. Die Bügel
Normalkräfte ist der Neigungswinkel der Risse etwa werden gedehnt, und es entsteht eine Bügel-
E§40°…45°, mit Druckkräften kleiner und mit Zug- spannung Vsw.
– Die Biegezugbewehrung und die Bügel erhalten neigten Bügelbewehrung ergibt sich der Traganteil
im Riss zwischen zwei Zähnen einen Knick, der der Bewehrung durch eine analoge Betrachtung
aufgrund der endlichen Biegesteifigkeit der Be- bei unverändertem Vc zu
wehrung in Wirklichkeit nicht auftreten kann.
Aus der Verdübelung entsteht somit ein Wider- . (3.3.63)
stand gegen die Rissöffnung.
– Bei Öffnung der Risse entsteht gleichzeitig eine Die Ermittlung der Spannungen in den Bügeln und
gegenseitige Parallelverschiebung der Rissufer. aus der Rissverzahnung erfordert zusätzlich die Be-
Diese wird jedoch durch die Verzahnung der rücksichtigung von Kompatibilitätsbedingungen und
Rissufer behindert; es entstehen Schub- und Stoffgesetzen für Beton, Stahl, Verbund und Rissver-
(Druck-) Normalspannungen im Riss. zahnung [Kupfer u. a. 1983]. Eine empirische Ab-
– Die freie Verdrehung der Zähne gegen die schätzung ist auch aufgrund der in Versuchen gemes-
Druckzone kann sich nicht einstellen, da beide senen Bügelspannungen möglich [Leonhardt/Walter
biegesteif verbunden sind. 1962]. Der Traganteil der Rissreibung zusammen mit
den übrigen, oben vernachlässigten Traganteilen ist
Somit stehen auch im gerissenen Beton Mechanis- demnach für verschiedene Lastniveaus nahezu kons-
men zur Querkraftübertragung zur Verfügung (Abb. tant. Die Bügelspannungen bleiben bei kleinem VS
3.3-34b). Die Vertikalanteile der Tragmechanismen zunächst gering, erst wenn VS den Widerstand der
Rissverzahnung, Dübelwirkung, Schubübertragung Rissverzahnung übersteigt, nimmt der Traganteil der
in der Druckzone und der Bügelkraft müssen der an- Bewehrung nennenswert zu.
greifenden Querkraft das Gleichgewicht halten. Aus Die Modellierung des Tragverhaltens unter
dem Momentengleichgewicht an einem von der Querkraft kann auch durch Betrachtung eines (fik-
Druckzone abgetrennten Betonzahn folgt (bei Ver- tiven) Stabwerks erfolgen, in dem die Druckspan-
nachlässigung der Einspannung in die Druckzone): nungen des Betons und die Zugspannungen der
Bewehrung zu diskreten Streben zusammengefasst
werden (Abb. 3.3-35a). Für den allgemeinen Fall
(3.3.60) erhält man die Strebenkräfte
(3.3.61)
(3.3.62)
Die maximale Querkraft erhält man durch Einset- Die genannten Voraussetzungen – unbegrenzte
zen in Gl. (3.3.68), wenn man Vc gleich der Rissverzahnung und Duktilität – gelten für Stahl-
Druckstrebenfestigkeit Dc fcd (s.u.) setzt. Nach ei- betonbauteile jedoch nicht. Daher muss für T eine
nigen Umformungen erhält man für die maximal pauschale Begrenzung eingeführt werden, z. B.
aufnehmbare Querkraft bei gegebenem Beweh- 1<cotT <2,5 nach den in EC 2 empfohlenen Grenz-
rungsgrad eine Kreisgleichung (Plastizitätskreis) werten. Hierdurch wird der Plastizitätskreis unten
und oben abgeschnitten.
ȣud2 = Ȧw – Ȧw2 (3.3.73) Das Modell in DIN 1045 Teil1, das auch im deut-
schen nationalen Anhang zum EC 2 eingeführt wird,
mit den bezogenen Größen kombiniert Stabwerkmodell und Rissverzahnung,
indem es aus der aktivierbaren Rissverzahnung nach
Gl. (3.3.69) einen unteren Grenzwert Tgrenz des
(3.3.74) Druckstrebenwinkels ermittelt. Innerhalb des Be-
reichs cot Tgrenz>cot T>1 kann der Druckstreben-
winkel für die Nachweise am Stabwerkmodell im
Abbildung 3.3-36 zeigt den Plastizitätskreis im Sinne der Plastizitätstheorie frei gewählt werden.
Xud-Zw-Diagramm. Ein fester Winkel T entspricht Rissverzahnung und Rissneigung werden dabei
einer Ursprungsgeraden mit der Neigung tan T, die mit halbempirischen Ansätzen berechnet:
Winkelhalbierende (T =45°) stellt den klassischen
Bemessungsansatz mit rissparallelen Druckstreben (3.3.75)
nach Mörsch dar, der für ein Bauteil ohne Rissver-
zahnung anzunehmen wäre.
Das Maximum von Xud tritt hier (D=90°) bei (3.3.76)
T=45° auf; für diesen Winkel wird die Druckstreben-
tragfähgigkeit maximal, bei kleineren und größeren
Winkeln nimmt sie ab. Im Rahmen der Bemessung Für Leichtbetone ist VRd,c wegen der eingeschränkten
sind Winkel T>45° daher i. Allg. nicht sinnvoll, da Rissverzahnung zu mindern. Dabei wird der Effekt
hier die Bügelbewehrung größer ist als für T<45°. der bei Wirkung einer Drucknormalkraft flacher
Lediglich die Beanspruchung in der Biegezugbeweh- werdenden Risswinkel sowie der verbesserten Riss-
rung wird hierdurch verringert, vgl. Gl. (3.3.99). verzahnung qualitativ berücksichtigt. Das Ergebnis
für T=Tgrenz zeigt Abb. 3.3-36; eine begrenzte Riss-
verzahnung erlaubt keine Ausnutzung der vollplasti-
schen Tragfähigkeit. Die Ausnutzung der Rissver-
zahnung impliziert eine Begrenzung der Schubriss-
breite, was große plastische Stahldehnungen und
somit die Ausnutzung der Verfestigung ausschließt;
daher ist bei der Bemessung der Schubbewehrung
Vs=fyd zu setzen.
Für kleine X liegt die Gerade nach DIN 1045 Teil
1 außerhalb des Plastizitätskreises; hier wäre dem-
nach die Tragfähigkeit der Druckstrebe überschrit-
ten, was für entsprechend kleine Bewehrungsgrade
jedoch den im Versuch beobachteten Versagensme-
chanismen widerspricht. In diesem Bereich können
die vereinfachten Ansätze das Bauteilverhalten nicht
widergeben, was für die praktische Anwendung aber
ohne große Bedeutung ist, da dieser Bereich durch
Abb. 3.3-36 Zusammenhang zwischen bezogener Querkraft die konstruktive Mindestbügelbewehrung abge-
und Bewehrungsgrad: Plastizitätskreis; DIN 1045 Teil 1 deckt wird.
3.3 Massivbau 1103
Interaktion Querkraft – Biegung. Nach Gl. (3.3.71) tre- V0d =VSd – sin(Ic)|Fc| – sin(Is) Fs . (3.3.79)
ten infolge Querkraft auch Beanspruchungen in
der Biegedruckzone und der Biegezugbewehrung Nachweise im GZG
auf. Die Auswirkungen auf die Betondruckzone Die Stahlspannungen bleiben nach Bildung der
können auf der sicheren Seite liegend vernachläs- Schubrisse zunächst klein. Auf einen Nachweis der
sigt werden. Die Erhöhung der Stahlzugkraft lässt Rissbreitenbeschränkung kann daher i. Allg. ver-
sich mit Hilfe des Versatzmaßes al=z/2(cot T–cot D) zichtet werden, sofern eine konstruktive Mindest-
beschreiben. Setzt man VSd= dMSds/dx in Gl. (3.3.71) bewehrung vorhanden ist.
ein, so erhält man
3.3.6.4 Torsion
Ein Torsionsmoment TS verursacht im Querschnitt
Schubspannungen, die die Gleichgewichtsbe-
dingung
(3.3.84)
muss die Längsbewehrung gesondert ermittelt und gen Wanddicken der Einfluss der Biegebeanspru-
zur Biegebewehrung addiert werden. chung gering bleibt und durch die meist auf beiden
Wie bei der Querkraft wirkt sich eine wendel- Seiten der Wand vorhandenen Bügel eine Um-
förmige Neigung der Bügel D<90° günstig auf die schnürung der Eckbereiche erreicht wird.
Beanspruchungen der Streben aus. Wegen des ein-
facheren Einbaus und der Verwechslungsgefahr auf Profilierte Querschnitte. Diese können durch eine
der Baustelle ist ein orthogonales Bewehrungsnetz Zerlegung in Rechteckquerschnitte erfasst werden,
aus Bügeln und Längsstäben jedoch vorteilhaft. auf die das angreifende Torsionsmoment zur Be-
Hinsichtlich der Neigung der Druckstrebe T rücksichtigung der Verträglichkeit entsprechend
gelten grundsätzlich die bei der Querkraft gemach- der Steifigkeit des jeweiligen Teilquerschnitts ver-
ten Aussagen. Eine explizite Berücksichtigung der teilt wird (Abb. 3.3-40b). Meist ist eine Abschät-
Rissverzahnung ist allerdings schwieriger, weshalb zung mit der Steifigkeit nach Zustand I ausreichend
T nach DIN 1045 Teil 1 i. Allg. auf der sicheren genau, man erhält also mit IT,i=Kxi3 yi für den Teil-
Seite liegend zu 45° gesetzt wird. Hierfür ergibt querschnitt i näherungsweise die Beanspruchung
sich bei D=90° auch das Minimum der Gesamtbe-
wehrung aus Asw und Asl.
(3.3.88)
Die ideelle Wanddicke t ist bei kompakten Quer-
schnitten unter Annahme ideal plastischen Verhal-
tens frei wählbar. Wegen der größeren Kernfläche
Ak nimmt As mit t ab; ein unterer Grenzwert für t wobei xi,yi die Seitenlängen der Teilquerschnitte
ergibt sich aus der Beanspruchung der Druckstrebe sind (xi yi).
Vc. Zusätzlich ist jedoch die Umlenkung der
Druckstrebenkräfte in den Eckpunkten des Quer- Interaktion Torsion–Querkraft. Unter kombinierter
schnitts zu berücksichtigen, die nur für die inner- Beanspruchung aus Querkraft und Torsion ist der
halb der Bügel gelegenen Teile der Strebe durch die Schubfluss je Steg des gedachten Hohlkastens
Abstützung auf Bügeln und Längsbewehrung (die ,woraus sich die erforderliche Bügelbe-
daher zumindest teilweise in den Ecken anzuordnen
ist) erfolgen kann, für die außerhalb gelegenen da- wehrung ergibt. Prinzipiell kann die Bewehrung
gegen durch Betonzugspannungen. Dies begrenzt t für Torsion und Querkraft auch getrennt ermittelt
zusätzlich nach unten. Nach DIN 1045 Teil1 wird und nachträglich addiert werden, was allerdings
die Wanddicke t daher so festgelegt, dass die Längs- voraussetzt, dass in beiden Fällen die Neigung der
bewehrung in der Schwerlinie der Wand liegt. Druckstrebe gleich angesetzt wird. Bei der Additi-
on der Bügelmengen ist zu berücksichtigen, dass
Druckstrebenfestigkeit. Wegen der aus der Verfor- die Bewehrungsmenge für Querkraft für den Ge-
mung der Oberflächen zum hyperbolischen Para- samtquerschnitt ermittelt wird, die für Torsion je-
boloid resultierenden Biegebeanspruchung wird doch für eine Hohlkastenwand. Daher wirken für
die im Modell des ideellen, dünnwandigen Hohl- die Abtragung der Querkraft beide Bügelschenkel,
kastens angenommene, über die Wanddicke kons- für die der Torsion jedoch nur einer, so dass gilt
tante Spannungsverteilung in den Druckstreben bei
begrenzter Duktilität i. Allg. nicht erreicht (Abb. (3.3.89)
3.3-40a,b). Bei Beibehaltung des Modells ist daher
ein zusätzlicher Wirksamkeitsfaktor einzuführen,
der auch die ungünstigen Einflüsse der Umlenkung Für den Nachweis der Druckstreben ist bei Voll-
in den Querschnittsecken berücksichtigen muss. querschnitten die Betrachtung nur der Hohlkasten-
Nach DIN 1045 Teil 1 wird die Druckstreben- wände sehr konservativ, da die im Inneren des fik-
festigkeit zur Berücksichtigung der genannten Ef- tiven Hohlkastens gelegenen Bereiche an der Ab-
fekte mit einem abgeminderten Faktor Dc,red=0,7 tragung der Querkraft beteiligt sind. Daher ist es
Dc reduziert. Ausgenommen hiervon sind echte prinzipiell zulässig, die Betondruckspannungen in-
Hohlkästen, da bei den in diesem Fall i. d. R. gerin- nerhalb des Querschnitts entsprechend Abb. 3.3-41
3.3 Massivbau 1107
(3.3.90)
Interaktion Torsion–Biegung. Unter gleichzeitiger Wir- Abb. 3.3-42 Interaktionsdiagramm für Torsion und Bie-
kung von Biegung und Torsion werden die Hohlkas- gung
tenwände neben dem Schubfluss aus Torsion durch
Biegedruck- und -zugkräfte beansprucht. Für einen
stark idealisierten Querschnitt mit in den Ecken kon- und die Gesamtkraft in den Bewehrungslagen
zentrierter Längsbewehrung ist die Interaktion der
aufnehmbaren Biege- und Torsionsmomente in Abb. (3.3.93)
3.3-42 dargestellt. Das Versagen des Betons auf
Druck wird zunächst nicht betrachtet.
Aus einer vollplastischen Betrachtung folgt bei Das Erreichen des Grenzzustands folgt aus dem
Fließen der Bügel der Druckstrebenwinkel unter Fließbeginn der oberen oder unteren Bewehrung,
einem Torsionsmoment TSd zu d. h. No=fydAso oder Nu=fydAsu. Damit lässt sich
die Grenzbedingung dimensionslos schreiben:
(3.3.91)
(3.3.97)
Am Auflager eines durch Gleichlast bean- Man erhält das gleiche Ergebnis mit der Versatz-
spruchten Balkens wandert daher ein Teil der Last maßregel.
direkt in das Auflager, ohne eine Beanspruchung in An den Zwischenauflagern von Durchlaufträ-
der Schubbewehrung zu erzeugen. Bildet man an gern bewirkt die steilere Druckstrebenneigung eine
einem parallel zur Druckstrebe abgeschnittenen Abnahme des Versatzmaßes al, so dass die Zug-
Trägerende das Gleichgewicht, so erhält man für kraft in der Bewehrung weniger stark ansteigt als
die mit Bügeln zu übertragende Querkraft das Moment. In der Auflagermitte liefert das Mo-
mentengleichgewicht
(3.3.98)
(3.3.100)
also die in einem Schnitt im Abstand x=z cot T ne-
ben dem Auflagerrand wirkende. Die Bemessung
der Bügel muss somit nicht für den Maximalwert Bei Auflagern mit endlicher Breite bewirkt der
der Querkraft direkt über dem Auflager erfolgen. rückdrehende Anteil der Auflagerpressung also
Dies gilt jedoch nicht für den Nachweis der eine Ausrundung des Verlaufes von Fs.
Druckstrebenbeanspruchung. Eine monolithische Verbindung des Balkens mit
Die am Auflager zu verankernde Zugkraft in dem unterstützenden Bauteil ermöglicht zusätzlich
der Längsbewehrung ergibt sich aus dem Momen- eine Vergrößerung des inneren Hebelarms z durch
tengleichgewicht um die Auflagermitte bei kurzen Ausstrahlung der Betondruckkraft in die Unterstüt-
Auflagern (bsup § 0) und einer senkrecht zur Bal- zung. Der Maximalwert der Kraft Fs ergibt sich
kenachse stehenden Schubbewehrung zu dann am Auflagerrand, so dass die Bemessung für
das dort wirkende Moment erfolgen kann.
Bei konzentrierten Einzellasten in der Nähe der
(3.3.99)
Auflager überlagern sich die Fächer von Last und
1110 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
3.3.6.7 Verformungen
Die Querschnittsverzerrungen sind (im Rahmen
einer geometrisch linearen Theorie) über –ws=N–Jc
und uc=H0 an die Durchbiegung w und die Längs-
verschiebung u gekoppelt. Die Berechnung der
Verformungen erfolgt durch Integration über die
Bauteillänge, z. B. mit dem Prinzip der virtuellen
Kräfte:
(3.3.103)
(3.3.104)
Begrenzung im GZG
Zu unterscheiden sind Durchbiegung (Verformung,
bezogen auf die unverformte, spannungslose Lage
des Bauteils) und Durchhang (Stich der Biegeli- Abb. 3.3-50 Verformung
nie, bezogen auf die ideale Systemlinie, z. B. die
Verbindungslinie der Auflager). Durchhang und
Durchbiegung unterscheiden sich um das Maß der Maschinen, die Entwässerung von flachen Dächern
Überhöhung beim Betonieren. etc. zu berücksichtigen. Wegen der Vielfalt der
Die Gebrauchstauglichkeit von Bauwerken möglichen Schäden ist die Festlegung allgemein
kann durch Verformungen erheblich eingeschränkt gültiger Grenzwerte nicht möglich. In DIN 1045
werden (Abb. 3.3-50). Die Forderung nach einer Teil 1 werden in Anlehnung an ISO 4356 folgende
Begrenzung der Durchbiegung folgt i. Allg. aus der Grenzen angegeben:
Begrenzung der durch die Verformung verursach-
ten Schäden an der tragenden und nichttragenden – Zur Vermeidung von Schäden in Trennwänden
Konstruktion. Daneben sind aber auch die Auswir- darf die Durchbiegung 1/500 der Spannweite
kungen auf das subjektive Wohlbefinden von Per- nicht überschreiten. Entscheidend ist hier aber
sonen, das einwandfreie Funktionieren installierter auch die konstruktive Ausbildung und der Zeit-
1114 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
punkt des Einbaus, da nur der Teil der Durchbie- neben einer ausreichenden Dämpfung v. a. einen
gung, der nach dem Einbau der Wand noch auf- ausreichenden Abstand zwischen Eigen- (Z) und
tritt, wirksam wird. Dieser ist um den Anteil des Erregerfrequenz (:), (vgl. 1.5 und [CEB 1991a]).
Bauteileigengewichts und die bereits eingetre- Da i. Allg. :<Z angestrebt wird, entspricht dies ei-
tenen Kriechverformungen geringer. ner Mindestanforderung an die Steifigkeit und ist
– Andere Schäden können i. Allg. durch eine Be- demnach an die Beschränkung der Durchbiegung
grenzung des Durchhangs auf 1/250 der Spann- unter ruhender Last gekoppelt.
weite vermieden werden. Die Verformungen
können in diesem Fall durch eine Überhöhung
z. T. ausgeglichen werden. Die Überhöhung 3.3.7 Statisch unbestimmte Balken
sollte jedoch so vorsichtig gewählt werden, dass
3.3.7.1 Bauteilverhalten
sie von der Verformung mit Sicherheit über-
schritten wird, da ein sonst entstehender nega- Im Gegensatz zu statisch bestimmten Balken kön-
tiver Durchhang i. d. R. schädlicher ist als ein nen Schnittgrößen aus Gleichgewichtsbedingungen
positiver. nicht eindeutig bestimmt werden. Daher ist zusätz-
lich die Beachtung von Verträglichkeitsbedin-
Unter periodischen Einwirkungen (z. B. durch in- gungen erforderlich. Diese fordern für den in Abb.
stallierte Maschinen, Menschen, Fahrzeuge) erfor- 3.3-51 dargestellten Träger ein Verschwinden der
dert die Begrenzung der Schwingungsamplituden Verdrehung an den Einspannstellen:
im Feld. In diesem Fall werden die Schnittgrößen durch das Erreichen der Fließgrenze in der Beweh-
zunächst vom Feld zur Stütze umgelagert. Ebenso rung im Schnitt 1 und des Bruchmoments im Schnitt
kann bei As,St>>As,F das erste Fließgelenk im Feld 2 bestimmt. Sie hängt damit v. a. vom Verhältnis zwi-
entstehen. Dieser Fall ist bei Balken mit Gleichlast schen dem Fließ- und Bruchmoment des Querschnitts
und üblicher Bewehrungsanordnung von geringer sowie der Querkraft ab, also der Steigung der Mo-
praktischer Bedeutung und wird daher nicht weiter mentenlinie im Bereich des Gelenkes, wobei die
behandelt. Es sei aber darauf hingewiesen, dass die Ausrundung der Zugkraftlinie über direkten Aufla-
folgenden Erläuterungen hierfür nicht unmittelbar gern (Abb. 3.3-43) zu beachten ist. Die üblicherwei-
anwendbar sind, da in einem solchen Gelenk V=0 ist se angegebenen Rotationsfähigkeiten sind daher auf
und somit die Rotationsfähigkeit kleiner ausfällt. indirekte Auflager nicht ohne weiteres übertragbar.
Die maximale plastische Krümmung wird von
Einfluss der Schubverzerrung der Duktilität der Bewehrung und des Betons, dem
Bei Zweifeldträgern und den Randfeldern von Verbundverhalten und dem Bewehrungsgrad beein-
Durchlaufträgern wird v. a. bei gedrungenen Bal- flusst (Abb. 3.3-30). Für Stahlversagen ergibt sie
ken das Stützmoment und damit die Durchlaufwir- sich über die Risse gemittelt zu Num= Hsu,m/(d–x), für
kung reduziert. Bei profilierten Querschnitten mit Betonversagen zu Num=|Hcu,m|/x. Somit ist die bezo-
dünnen Stegen ist der Einfluss der Schubverzer- gene Druckzonenhöhe ein geeigneter Summenpara-
rung bereits bei größeren Schlankheiten erkennbar, meter für die Duktilität (Abb. 3.3-54). Für sehr klei-
ebenso bei gerissenen Stahlbetonbauteilen wegen
der i. Allg. relativ geringen Schubsteifigkeit.
In der Praxis wird dieser Effekt meist vernachläs-
sigt, was im Rahmen des statischen Grenzwertsatzes
der Plastizitätstheorie gerechtfertigt ist. Bei hoch-
ausgenutzten Tragwerken kann eine Berücksichti-
gung der Abnahme der Stützmomente bzw. der Ro-
tation in den plastischen Gelenken sinnvoll sein.
Elastische Schnittgrößenermittlung schrieben wird, werden diese i. Allg. für die Schnitt-
Da die nichtlineare Berechnung von Stahlbeton- größenermittlung angesetzt. Die Querschnittsbe-
tragwerken i. Allg. für die praktische Anwendung messung lässt sich aber von der Traglastermittlung
zu aufwändig und fehleranfällig ist, werden nicht trennen, so dass die ermittelte Systemtraglast
Schnittgrößen in der Praxis heute meist auf Basis mit einem globalen Sicherheitsbeiwerte JR abge-
der linearen Elastizitätstheorie ermittelt. Dies ent- mindert werden muss [Eibl/Schmidt-Hurtienne
spricht einer Approximation durch die Tangenten- 1995]. Um für Beton- und Stahlversagen gleiche JR
steifigkeit im Ursprung und ist somit v. a. auf nied- zu erhalten, wird nach DIN 1045 Teil 1 die System-
rigen Laststufen, insbesondere solange der Beton traglast mit Rechenwerten der Materialeigen-
ungerissen bleibt, zutreffend oder zumindest eine schaften ermittelt, die so festgelegt sind, dass sich
gute Annäherung an die Realität. für reines Beton- oder Stahlversagen mit JR=1,3 die
Für höhere Lasten weicht die Näherung zuneh- gleichen Traglasten ergeben wie unter Verwendung
mend von der Wirklichkeit ab, ist für die praktische der Bemessungswerte, d. h. für die Betondruckfestig-
Arbeit i. d. R. jedoch hinreichend genau, wenn die keit fcR/JR § fcd und die Fließgrenze der Bewehrung
Schnittgrößen nicht von der Gesamtsteifigkeit, fyR/JR § fyd [König et al. 1997].
sondern nur von der örtlichen Verteilung der Stei- Die globale Abminderung der Tragfähigkeit im-
figkeiten im System abhängen. Unter Zwangbean- pliziert jedoch auf Querschnittsebene eine Abmin-
spruchung und bei einer Berechnung nach Theorie derung der Schnittgrößen bei festgehaltener Ver-
II. Ordnung liefert sie jedoch keine sinnvollen Er- zerrung und damit auch der E-Moduln. Für stark
gebnisse. verformungsbeeinflusste Grenzzustände nach The-
orie II. Ordnung liegt die Methode daher evtl. weit
auf der sicheren Seite [König/Quast 2000]. Für sol-
3.3.7.3 Nachweiskonzepte
che Fälle bietet es sich an, von vornherein mit den
Nachweis im GZT Bemessungswerten der Materialeigenschaften zu
Nichtlineare Berechnung. Der konsequenteste Nach- rechnen oder für die mit den Mittelwerten berech-
weis im GZT ist die Ermittlung der Systemtraglast neten in den kritischen Schnitten eine Bemessung
durch eine nichtlineare Systemberechnung; der unter Verwendung von Bemessungswerten durch-
Nachweis ist erbracht, sofern sichergestellt wird, zuführen. Die zweite Möglichkeit ist nicht konsis-
dass für den Bemessungswert der Einwirkungen in tent, da bei Schnittgrößenermittlung und Quer-
jeder denkbaren Anordnung ein Gleichgewichtszu- schnittsbemessung unterschiedliche Dehnungszu-
stand gefunden werden kann. Lediglich Schnitt- stände vorausgesetzt werden; sie liefert aber i. Allg.
größen, denen im Rahmen der gewählten Modell- sinnvolle Ergebnisse.
bildung keine Verformungen zugewiesen werden
(z. B. Querkraft bei schubstarren Elementen), müs- Elastische Schnittgrößenermittlung. Die Querschnitts-
sen für die im Traglastzustand vorliegenden Schnitt- bemessung wird für die elastisch berechneten
größen gesondert nachgewiesen werden. Schnittgrößen nach 3.3.6 durchgeführt, die Betrach-
Da die Verteilung der Schnittgrößen jedoch we- tung von System (Schnittgrößenermittlung) und
sentlich von der vorhandenen Bewehrung abhängt, Querschnitt (Bemessung) also entkoppelt. Dies be-
die zu bestimmen der eigentliche Zweck der Be- deutet, dass das Verhalten des Querschnitts die Ver-
messung ist, kann diese nur noch iterativ erfolgen. teilung der Schnittgrößen nicht beeinflusst und
Die Iteration lässt sich evtl. umgehen, wenn die Be- mögliche Umlagerungen durch Fließgelenkbildung
wehrung zunächst im GZG für die Schnittgrößen nicht erfasst werden können. Die globale Tragfähig-
nach der Elastizitätstheorie bestimmt und damit keit des Systems ist somit definiert durch die lokale
schließlich die Tragfähigkeit mit einer nichtline- Tragfähigkeit des schwächsten Querschnitts.
aren Berechnung nachgewiesen wird. Wegen des starken Näherungscharakters der Elas-
Die Berücksichtigung der Unsicherheiten der tizitätstheorie erlaubt sie nur im Rahmen des sta-
Materialseite ist im Rahmen des Teilsicherheits- tischen Grenzwertsatzes der Plastizitätstheorie eine
konzeptes schwierig. Da das globale Verhalten des sichere Bemessung, da sie einen möglichen Gleich-
Tragwerks am besten durch die Mittelwerte be- gewichtszustand liefert. Zum Erreichen der vollen
3.3 Massivbau 1119
Tragfähigkeit ist eine (relativ geringe) Mindestdukti- zipiell nachzuweisen. In Abb. 3.3-57 gilt bei Ver-
lität erforderlich; nach DIN 1045 Teil 1 ist daher die nachlässigung der Schubverzerrungen:
Druckzonenhöhe in den Bemessungsschnitten auf x/
d0,45(x/d 0,35 ab C 55/67) zu begrenzen. (3.3.110)
Plastische Nachweisverfahren. Die Ausnutzung der Die erforderliche Rotation T ist mit der möglichen
Umlagerung durch Fließgelenkbildung bei der Be- Tpl, d nach Abb. 3.3-54 zu vergleichen. Die Krüm-
messung im GZT bietet mung darf bei Ermittlung der erforderlichen Rota-
tion mit den Mittelwerten der Baustoffeigen-
– konstruktive Vorteile durch Entlastung hochbe-
schaften berechnet werden; im plastischen Gelenk
anspruchter Bereiche (Vermeidung von Beweh-
sind dagegen Bemessungswerte anzusetzen.
rungskonzentrationen) sowie
Vor allem bei hohen Bewehrungsgraden und
– wirtschaftliche Vorteile aus einer günstigeren
schmalen Druckzonen, z. B. bei durchlaufenden
Momentengrenzlinie (Abb. 3.3-55).
Plattenbalken mit schmaler Druckzone über einer
Plastische Nachweisverfahren gehen daher direkt Innenstütze, bleiben so die möglichen Schnittgrö-
von der zum Versagen führenden Fließgelenkkette ßenumlagerungen begrenzt. Zu beachten ist auch,
im Grenzzustand der Tragfähigkeit aus. Das Auffin- dass bei einer Umlagerung der Momente aus Gleich-
den des maßgebenden Mechanismus bereitet bei
Stabtragwerken i. Allg. keine Probleme, wenn die
ersten Fließgelenke über den Stützen eingeführt und
die Schnittgrößen im Feld aus den Gleichgewichts-
bedingungen bestimmt werden (z. B. Einhängen ei-
ner Parabel mit dem Stich ql2/8, Abb. 3.3-56). Man
erhält so unmittelbar den Zusammenhang zwischen
der Tragfähigkeit der Stützbereiche MRd, St und
Feldbereiche MRd,F und der Traglast.
Das Verhältnis MRd, St /MRd, F ist bei ideal-plasti-
schen Baustoffen beliebig, bei Stahlbetontragwer-
ken mit eingeschränkter Duktilität aber durch die
Rotationsfähigkeit begrenzt. Diese ist daher prin- Abb. 3.3-56 Plastische Traglastermittlung bzw. Bemessung
1120 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
(3.3.112)
(3.3.114)
Beginnt der Stahl im Riss zu fließen, so fällt die Damit ist kc=0,4. Die aufzunehmende Kraft ist also
Zugkraft auf fy As ab, so dass die elastischen Deh- kleiner als die Biegezugkraft des ungerissenen
nungen des Betons in den ungerissenen Bereichen Querschnitts 1/2 Act fct,eff, was auf die Zunahme des
ebenfalls abnehmen und im Bauteil kein weiterer inneren Hebelarms von 2/3 h bei linearer Span-
Riss entstehen kann, da die Zugfestigkeit des Betons nungsverteilung auf 0,8 h zurückzuführen ist. Für
nicht mehr erreicht wird. Daher wird fast der ge- kombinierte Beanspruchungen aus Zug und Bie-
samte Zwang ¨s in einem einzigen, sehr breiten Riss gung liegt der Wert bei 0,4<kc<1,0 und für Biegung
abgebaut. mit Längsdruck bei 0<kc<0,4; s. auch Gl. (3.3.201).
Kann die Bewehrung die Zugkraft dagegen auf- Bei gleichzeitiger Wirkung von Eigenspan-
nehmen ohne zu plastifizieren, so steigt bei einer nungen (infolge ungleichmäßigen Schwindens, un-
weiteren Steigerung von ¨s die Zugkraft wieder gleichmäßiger Temperaturspannungen aus Abflie-
an, bis der nächste Riss entsteht. Dabei kann sie ßen der Hydratationswärme) ergibt sich die Gesamt-
die Rissschnittgröße nicht bzw. nur im Rahmen der spannung aus der Summe von Eigenspannung und
Schwankung der Betonzugfestigkeit innerhalb des äußerem Zwang und muss am Rand fct ergeben
Bauteils überschreiten, solange das Bauteil im Zu- (Abb. 3.3-59). Demnach verbleibt für den äußeren
stand der Einzelrissbildung bleibt. Bei gleich- Zwang nur eine abgeminderte Zugfestigkeit k fct.
zeitiger Wirkung von Last- und Zwangsbean- Da aus den Eigenspannungen definitionsgemäß kei-
spruchungen gelten diese Aussagen sinngemäß. ne Schnittgröße resultiert, reduzieren sich die Riss-
Die Zwangsschnittgröße kann dann maximal die schnittgrößen Ncr, Mcr entsprechend. Die Größe der
Differenz zwischen Last- und Rissschnittgröße be- Eigenspannungen ist von der Bauteildicke abhän-
tragen.
Die explizite Berücksichtigung von Zwän-
gungen ist daher bei Nachweisen im GZG für
Tragwerke des üblichen Hochbaus i. d. R. nicht er-
forderlich, sofern die vorhandene Bewehrung zur
Aufnahme der Rissschnittgrößen ausreicht. Diese
ergeben sich aus
(3.3.113)
Die erforderliche Mindestbewehrung lässt sich in Abb. 3.3-59 Eigenspannung, Spannung aus äußerem
der folgenden Form schreiben: Zwang und resultierende Spannung
1122 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
gig; i. Allg. ist 0,5<k<1,0. Eigenspannungen werden toniert werden: As,min für Zwang aus abfließender
jedoch mit der Zeit durch Kriechen abgebaut. Die Hydratationswärme. Die Einleitung/Weiterleitung
Abminderung sollte daher nur ausgenutzt werden, in den Kernen sollte ebenfalls betrachtet werden.
wenn die gleichzeitige Wirkung von Zwang und Ei- – Gleiches gilt für Bodenplatten mit Verformungs-
genspannung vorausgesetzt werden kann, d. h. wenn behinderung durch den Baugrund. Dabei kann es
beide die gleiche Ursache haben (z. B. behindertes aber sinnvoll sein, zu untersuchen, ob die Riss-
Schwinden). kraft durch die Reibung zwischen Bodenplatte
Treten die ersten Risse, etwa bei Zwang infolge und Baugrund im Bauzustand überhaupt erzeugt
abfließender Hydratationswärme, schon vor dem werden kann. Falls nicht: Rissbreitennachweis
Erreichen der endgültigen Festigkeit auf, so kann für die durch Reibung eingeleitete Zwangskraft.
die Zugfestigkeit entsprechend reduziert werden. – Bauteile mit Verformungsbehinderung und großen
Allgemein sollte jedoch bedacht werden, dass die Änderungen der mittleren Bauteiltemperatur im
in der üblichen Bemessung angesetzten Festigkei- Jahresverlauf (z. B. in nicht beheizten Gebäuden)
ten untere Grenzwerte darstellen, die in den realen oder nutzungsbedingt (Industriebau): As,min für
Bauwerken z. T. erheblich überschritten werden zentrischen Zwang mit voller Zugfestigkeit und
und bei der Ermittlung der Mindestbewehrung auf k = 1.
der unsicheren Seite liegen. Daher schreibt DIN – Durchlaufende/eingespannte Balken oder Platten
1045 Teil 1 einen Mindestwert von 3 MPa vor. mit hohen Temperaturgradienten (z. B. Bauteile
Die Stahlspannung Vs folgt i. d. R. aus der Be- in der Gebäudehülle) oder mit erheblicher Stüt-
schränkung der Rissbreite; unter reiner Zwangsbe- zensenkung (z. B. weicher Baugrund): As,min für
anspruchung sollte der Ermittlung der Rissbreite der Biegezwang mit voller Zugfestigkeit und k = 1.
Zustand der Einzelrissbildung zugrunde gelegt wer- – Platten/Balken mit rechnerisch nicht berücksich-
den. Bei massigen Bauteilen mit Zwang aus abflie- tigten Tragwirkungen/Lagerungen, z. B. durch
ßender Hydratationswärme und Schwinden führt monolithische und damit biegesteife Verbindung
dies jedoch zu unwirtschaftlichen Ergebnissen. Hier mit Stützen oder Wänden am Endauflager: in DIN
macht man sich die Bildung von Sekundärrissen 1045-1 durch konstruktive Regeln berücksichtigt.
(Abb. 3.3-22) zunutze, indem die Begrenzung der
Rissbreite nur für die Randzonen mit der zur Sekun- Der planende Ingenieur hat einen erheblichen Er-
därrissbildung erforderlichen Kraft fct,eff Ac,eff nach- messensspielraum, indem er aufgrund von Erfah-
gewiesen wird. Dabei ist k = 1 zu setzen, da nach rungen und ingenieurmäßigen Betrachtungen ent-
Abb. 3.3-59 die Abminderung der Rissschnittgröße scheiden muss. Da die Mindestbewehrung v. a. für
durch Eigenspannungen zwar für den Gesamtquer- flächige Bauteile häufig maßgebend ist, wird viel-
schnitt, nicht aber für die Randzonen gilt. Um eine fach versucht, Zwangsbeanspruchungen wegzudis-
Sekundärrissbildung sicherzustellen, muss ein Flie- kutieren. Man sollte jedoch bedenken, dass ein
ßen der Bewehrung bei Primärrissbildung vermie- großer Teil der in der Praxis auftretenden Schäden
den werden, d. h. die Mindestbewehrung muss zu- auf die Fehleinschätzung von Zwängungen zurück-
sätzlich Gl. (3.3.114) mit Vs = fyk erfüllen. zuführen ist. Fallweise kann eine Vermeidung von
Die Frage, ob eine Mindestbewehrung zur Be- Zwängungen durch die Wahl des Tragsystems
grenzung der Rissbreite überhaupt erforderlich ist, (Ausbildung von Gelenken oder Fugen) sinnvoll
und für welche Beanspruchung diese zu bemessen sein; hier sollten Kosten und Nutzen aber kritisch
ist, kann in der Norm nicht allgemeingültig beant- abgewogen werden.
wortet werden. Für einige typische Fälle werden In Sonderfällen kann der Verformungszuwachs
die folgenden Ansätze empfohlen, diese sind evtl. bei Einzelrissbildung nicht ausreichen. Dann ist
auch zu überlagern: eine explizite Berechnung (nichtlinear oder mit ab-
geminderter elastischer Steifigkeit) der Zwangs-
– Platten im Hochbau mit behinderter Horizontal- schnittgröße oder eine ingenieurmäßige Abschät-
verformung, z. B. durch statisch unbestimmte An- zung erforderlich. Dies gilt z. B. auch für örtlich
bindung an mehrere Kerne, sowie Wände, die auf (z. B. durch Öffnungen) geschwächte Bereiche in
bereits erhärtete Bauteile (z. B. Fundamente) be- zwangsbeanspruchten Bauteilen, die durch die Riss-
3.3 Massivbau 1123
fsy = (3.3.119)
3.3.8 Scheiben
fc = (3.3.120)
3.3.8.1 Differentielles Scheibenelement
Am Element wirken die Schnittgrößen nx, ny, nxy, Dabei ist h die Scheibendicke, asx, asy die Beweh-
die sich in die Hauptrichtungen [ K mit n[K=0 rung je Länge in beiden Richtungen. Hinsichtlich
transformieren lassen. Diese fallen i. Allg. nicht des Druckfeldwinkels T gelten die Aussagen aus
mit der Richtung der Bewehrung x, y zusammen. 3.3.6.3 sinngemäß.
Zur Bestimmung des zugehörigen Verzerrungszu-
stands Hx, Hy, Hxy siehe [Vecchio/Collins 1986,
3.3.8.2 Tragfähigkeit im GZT
Kaufmann 1998].
Vereinfacht kann angenommen werden, dass im Unter Annahme ideal-plastischen Materialverhal-
gerissenen Zustand im Beton ein einachsialer Druck- tens kann T für die Bemessung frei gewählt wer-
(3.3.121)
Dabei ist fbd der Bemessungswert der Verbundfes- Der Traganteil der Bewehrung ist dabei im Zustand
tigkeit, d. h. der über die Verankerungslänge ge- I praktisch immer vernachlässigbar.
mittelten Verbundspannungen. Bei nicht voll aus- Aus mx, my, mxy lassen sich Hauptmomente mI,
genutzten Stäben oder Haken bzw. Querstäben am mII analog zu den Hauptspannungen am Scheiben-
Stabende kann lb abgemindert werden. Bei Knoten element ableiten. Sie gehorchen dabei den gleichen
b beginnt die vorhandene Verankerungslänge am Transformationsbedingungen (beide sind Tensoren
Schnittpunkt von Bewehrung und Druckstrebe, II. Stufe) und können am Mohrschen Kreis gra-
also etwa an der Auflagervorderkante. Da die Auf- phisch dargestellt werden. Es gilt:
lagerpressungen einen Querdruck auf die Beweh-
rung erzeugen, reduziert sich lb wegen der Verbes-
serung des Verbunds nach DIN 1045 Teil 1 um 1/3. (3.3.129)
(3.3.136)
Die so ermittelten Momente können zur Bestim-
mung der Bewehrungsmengen oder zur Ermittlung (andere Richtungen analog). Die Bemessung er-
der Stahlspannungen verwendet werden. Hinsicht- folgt direkt für die Scheiben mit den Dicken ho, hu
lich der Druckstrebenneigung gelten die in 3.3.8.1 an Ober- und Unterseite. Der Hebelarm z wird vor-
gemachten Aussagen sinngemäß. Durch geeignete ab geschätzt (z=h–1/2(ho+hu) § 0,75 h) und iterativ
Wahl von To, Tu können einzelne Bewehrungskräf- so verbessert, dass die Betondruckfestigkeit gera-
te bei hinreichend kleinen Drillmomenten zu Null de ausgenutzt ist. Die Scheibendicken ho, hu kön-
gesetzt werden, und auf die entsprechende Beweh- nen jedoch i. d. R. nicht kleiner werden als der dop-
rung kann verzichtet werden. pelte Abstand der Bewehrung von der Betonober-
fläche.
Tragfähigkeit im GZT
Die Bemessung für die Bewehrung an Ober- und
3.3.9.2 Querkraft
Unterseite erfolgt unter Verwendung der transfor-
mierten Schnittgrößen nach den Gl. (3.3.132) und Platten werden wegen der Schwierigkeiten beim
(3.3.133) wie bei Stabtragwerken. Eine Berück- Einbau aus wirtschaftlichen Gründen meist nicht mit
sichtigung zweiachsialer Spannungszustände in einer Schubbewehrung zur Aufnahme der Querkraft
der Druckzone von Platten erfolgt wegen der meist versehen. Im gerissenen Zustand stehen zur Übertra-
geringen Ausnutzung der Druckzone i. Allg. nicht, gung der Querkraft die Tragmechanismen Rissver-
obwohl eine Abminderung von fcd auf Dc fcd bei zahnung, Dübelwirkung und Schubübertragung in
Druckzonen, die in Querrichtung gerissen sind, der Druckzone zur Verfügung [Reineck 1991].
sinnvoll wäre. Der Anteil der Druckzone vD ist von der Ein-
Aus den Bemessungsmomenten lässt sich fol- spannung des Zahnes in die Druckzone abhängig,
gende Fließbedingung für die Bewehrung an Plat- die jedoch i. Allg. bereits vor Erreichen der Bruch-
tenunter- und -oberseite ableiten: last versagt (horizontale Verlängerung des Risses
unterhalb der Druckzone). Eine Vergrößerung der
(3.3.134) Druckzone – etwa durch eine äußere Drucknor-
malkraft – führt zu einem Anstieg von vD. Der
(3.3.135) Hauptanteil wird jedoch durch die Rissverzahnung
vcr übertragen, die wegen der fehlenden Schubbe-
mRdx bzw. mcRdx sind die Fließmomente bei Be- wehrung nicht mit der nach Gl. (3.3.75) gleichge-
anspruchung durch positive bzw. negative Mo- setzt werden kann. vcr ist von der Rissöffnung ab-
mente mx. hängig. Da diese bei gleicher Krümmung mit der
1130 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
(3.3.139)
(3.3.137)
Als Maximalwert erhält man somit für dvSd/dT= 0
wurde ausgehend von der Beziehung in MC 90 in
[Hegger u. a. 1999] abgeleitet. Darin erfasst N=1+ die Bemessungsquerkraft Da
deren Wirkungsrichtung i. Allg. nicht mit der Rich-
2 (d in m) den Maßstabeffekt. Für kleine
tung der Bewehrung übereinstimmt, muss in Gl.
Bewehrungsgrade wird ein unterer Grenzwert der
(3.3.137) ein effektiver Bewehrungsgrad in der be-
Schubtragfähigkeit definiert:
trachteten Richtung eingesetzt werden, der sich
nach MC 90 ergibt zu:
.
U=Ux cos4T +Uy sin4 T (3.3.140)
3.3 Massivbau 1131
Abweichend hiervon dürfen die Nachweise nach sene Zugzone zutreffenden Wert Q§0 angenommen
DIN 1045-1 in den beiden Richtungen getrennt ge- werden. Im GZG sollte wegen der i. Allg. geringen
führt werden. Eine ggf. erforderliche Schubbeweh- Rissbildung Q§0,2 gesetzt werden.
rung ist ebenfalls getrennt zu ermitteln und zu ad-
dieren. Plastische Nachweisverfahren
Statische Verfahren. Durch Vernachlässigung der
Drillmomente und der Querdehnung erhält man
3.3.9.3 Schnittgrößenermittlung
aus Gl. (3.3.141) die Differentialgleichung der
Wirklichkeitsnahe, nichtlineare Berechnungen sind elastischen, drillweichen Platte:
mit der FE-Methode nach den in 3.3.7.2 ge-
schilderten Prinzipien unter Verwendung zweiach- (3.3.143)
siger Stoffgesetze für Beton prinzipiell möglich,
für die praktische Anwendung z. Z. jedoch noch
nicht geeignet. Daher kommen geeignete Idealisie- Die beiden verbleibenden Terme können als Trag-
rungen zur Anwendung. anteile zweier in x- und y-Richtung gespannter tor-
Grundlage hierfür ist die elementare Gleichge- sionsweicher Balkenscharen interpretiert werden
wichtsbedingung der Platte: (Abb. 3.3-68a). Fordert man eine gleiche Durchbie-
gung im Kreuzungspunkt zweier Balken, so erhält
(3.3.141) man die klassische Streifenmethode nach Markus.
Bei der Hillerborgschen Streifenmethode er-
folgt dagegen eine willkürliche Aufteilung der
Elastische Schnittgrößenermittlung Einwirkungen auf die beide Tragrichtungen ohne
Durch Einsetzen von Gl. (3.3.128) in Gl. (3.3.141) Berücksichtigung der Kompatibilität. Dies erlaubt
erhält man die elastische Plattengleichung die Behandlung komplizierter Plattengeometrie in
einer Handrechnung (Abb. 3.3-68b). Die völlige
(3.3.142) Vernachlässigung der Drillmomente und der Ver-
träglichkeit kann das Verhalten im GZG wesent-
lich beeinträchtigen. Da Platten im ungerissenen
Zur Lösung stehen für Standardfälle zahlreiche Ta- Zustand immer drillsteif sind, ist zur Ausbildung
felwerke zur Verfügung [Czerny 1999]; für allge- der angenommenen Tragwirkung eine erhebliche
meine Fälle ist die (elastische) FE-Methode Stand Schnittgrößenumlagerung durch Rissbildung er-
der Technik (s. 1.5). forderlich. Zur Begrenzung der Rissbreite ist eine
Die Querdehnzahl kann im Rahmen des Grenz- konstruktive Drillbewehrung anzuordnen.
wertsatzes der Plastizitätstheorie im GZT zwischen Da in drillweichen Platten keine abhebenden
dem elastischen Wert Q§0,2 und dem für die geris- Eckkräfte entstehen, liefert eine Berechnung nach
Gl. (3.3.143) eine zwar nicht realistische, aber auf tischen Grenzwertsatz der Plastizitätstheorie ein ki-
der sicheren Seite liegende Lösung für Platten, bei nematisch zulässiger Mechanismus lediglich eine
denen ein Abheben der Ecken nicht behindert wird. obere Schranke für die wirkliche Traglast liefert und
Wegen mxy =0 liegt die Streifenlösung i. Allg. auf ein beliebiger Gelenkmechanismus die Einhaltung
der sicheren Seite. Verfeinerte Methoden verwen- der Fließbedingung in den dazwischen liegenden
den statisch zulässige Ansätze für die Momente mx, Plattensegmenten nicht unbedingt sicherstellt. Das
my, mxy, die in allen Punkten der Platte die Gleich- Ergebnis liegt somit für alle anderen als den maßge-
gewichtsbedingung (3.3.141) und die Randbedin- benden Mechanismus auf der unsicheren Seite.
gungen erfüllen müssen und die Fließbedingungen Für eine Quadratplatte liegt aus Symmetriegrün-
nicht verletzen [Nielsen 1984; Marti 1981]. den ein Mechanismus nach Abb. 3.3-69a nahe. Nach
Für den einfachen Fall einer Quadratplatte un- dem Prinzip der virtuellen Verschiebungen erhält
ter Gleichlast mit mRdx=mRdy=mR und mcRdx= man mit Gw in Plattenmitte die äußere Arbeit
mcRdy=mcR liefern die Ansätze
(3.3.146)
–
(3.3.144) sowie mit der Gelenkverdrehung GI = 2 ¥2 Gw/l
die geleistete innere Arbeit durch Integration ent-
lang der Fließgelenklinie:
in Gl. (3.3.141) die Traglast q=24 mR/l2. Durch
Einsetzen in die Fließbedingung verifiziert man (3.3.147)
außerdem, dass mit mR=mcRGl. (3.3.134) überall
erfüllt, Gl. (3.3.135) in den Ecken gerade erfüllt Aus Wi=–Wa folgt q=24mR/l2. Dies entspricht für
und nirgends verletzt ist. Die Auflagerkräfte erge- mR=mcR dem Ergebnis nach der statischen Metho-
ben sich zu de; die gewählte Bruchlinienfigur ist somit die
maßgebende.
(3.3.145)
Bei fehlender oberer Bewehrung ergibt sich für genden ungerissenen Abschnitte deren Verlänge-
den untersuchten Fließgelenkmechanismus die rung behindern und als Zugring wirken [Park/
gleiche Traglast, da die oben liegende Bewehrung Gamble 1979]. Hinsichtlich der Ausnutzung bei
keinen Beitrag zur Energiedissipation liefert. In der Bemessung gelten die Aussagen aus 3.3.7.4.
den Plattenecken ist jedoch die Fließbedingung
verletzt. Der in Abb. 3.3-69b dargestellte Mecha-
3.3.9.4 Punktförmig gestützte Platten
nismus liefert eine kleinere Traglast.
Für allgemeine Plattengeometrien kann die Su- Platten, die ohne Unterzüge unmittelbar auf Stüt-
che des maßgebenden Mechanismus als mathema- zen aufgelagert werden (Flachdecken), erfordern
tisches Optimierungsproblem q=min prinzipiell einen geringeren Schalungsaufwand und eine ge-
gelöst werden, erweist sich jedoch als schwierig. ringere Bauhöhe als konventionelle Decken mit
Eine Zusammenstellung von Lösungen enthält [Jo- Unterzügen. Zudem ist die glatte Deckenuntersicht
hansen 1972]. für die Führung von haustechnischen Installationen
vorteilhaft. Der Stahlbedarf ist i. Allg. höher als bei
Rotationsfähigkeit. Der Nachweis der Rotationsfä- konventionellen Platten. Dies wird jedoch durch
higkeit ist für zweiachsig gespannte Platten kaum geringere Lohnkosten kompensiert. Die Ermitt-
zu führen, da die Rotation in den Fließgelenken lung der Schnittgrößen kann mit FEM oder in ein-
ohne aufwendige nichtlineare Rechnung nicht er- fachen Fällen anhand der Streifenmethode [Gras-
mittelt werden kann. Daher wird bei der plastischen ser/Thielen 1991] erfolgen.
Berechnung ohne expliziten Nachweis nach DIN
1045 Teil 1 die Rotationsfähgikeit durch eine kon- Durchstanzen
servative Begrenzung der Druckzonenhöhe in den Im Bereich der punktförmigen Auflager (oder ana-
Fließgelenken auf x/d0,25 und die ausschließliche log unter konzentrierten Einzellasten) lässt sich
Verwendung hochduktiler Stähle sichergestellt. Die bei Überschreiten der Tragfähigkeit ein Durchstan-
Anwendung wird damit stark eingeschränkt, da die zen, d. h. das Herausbrechen eines kegelförmigen,
bei Platten im Hochbau übliche Mattenbewehrung um die Last annähernd rotationssymmetrischen
als normalduktil einzustufen ist. Bruchkörpers, beobachten (Abb. 3.3-70). Die Nei-
gung der Kegelfläche gegen die Platte liegt i. Allg.
Membraneffekte bei ca. 25° bis 30°. Außerhalb der Kegelfläche
Die unter 3.3.7.4 geschilderten Membraneffekte bricht die Platte in sektorenförmige Elemente. Es
treten hier auch als innere Membranspannungszu- handelt sich um ein komplexes, kombiniertes Bie-
stände auf, da die um die gerissenen Bereiche lie- ge-/Schubversagen.
und mit den Gln. (3.3.53) und (3.3.155) sowie Im Allgemeinen führen die zeitabhängigen Ver-
N=Fc+Fs für den Querschnitt mit nur einer Beweh- formungen bei gerissenen Querschnitten zu einer
rungslage die Bestimmungsgleichung für die deutlichen Zunahme der Druckzonenhöhe x. Aus
Druckzonenhöhe z§d–x/3 folgt damit eine (meist geringe) Zunahme
der Biegezug- und -druckkraft, die zu einem An-
(3.3.157) stieg der Stahlspannungen führt. Die Betondruck-
spannungen nehmen wegen der Vergrößerung von
mit x dagegen deutlich ab. Die Verformungzunahme
fällt bei gerissenen Querschnitten geringer aus als
(3.3.158) bei ungerissenen, da bei gerissenen das Kriechen
nur auf der Biegedruckseite stattfindet, bei unge-
rissenen dagegen auf Zug- und Druckseite.
Die Verkrümmung folgt aus N=(Hs–Hc2)/d.
Die durch die Bewehrung behinderte Schwind- Ergänzte Querschnitte
dehnung des Betons wirkt wie eine zusätzliche Bei Fertigteilen, die zum Zeitpunkt t1 durch Ortbe-
Normalkraft Ncs auf Höhe der Bewehrung. Mit ton ergänzt werden, entstehen durch unterschied-
dieser Erkenntnis lässt sich auch der ungerissene liches Schwinden der Betone ebenfalls Eigenspan-
Zustand I erfassen. Mit Ncs=As Es Hcs ergibt sich nungen und Verkrümmungen. Die Berechnung
das Moment Mcs=As Es Hcs zs und daraus eine Ver- zum Zeitpunkt t>t1 erfolgt wie vorherstehend mit
krümmung infolge Schwinden: der Schwindnormalkraft Ncs = ¨Hcs Ao Ec,eff,o, wo-
bei ¨Hcs die Differenz zwischen dem Schwinden
(3.3.159) des Ortbetons und der Zunahme des Schwindens
im Fertigteil im Zeitraum [t1,t] ist (Abb. 3.3-73).
Spannungen, die vor dem Aufbringen und Erhär-
Für den gerissenen Querschnitt ist eine additive ten des Ortbetons im Fertigteil wirken (z. B. aus Ei-
Aufteilung in Lastverkrümmung und Schwindver- gengewicht Fertigteil und Ortbeton) werden durch
krümmung infolge der Verschiebung der Nullli- das Kriechen z.T. in den Ortbeton umgelagert. Bei
nienlage durch das Schwinden streng genommen ungerissenen Querschnitten kann die Berechnung
nicht möglich. Näherungsweise gilt Gl. (3.3.159) analog zum Schwinden erfolgen. Der Verzerrungs-
mit der Steifigkeit III im Zustand II anstelle von Ii zustand des Querschnitts wird nach dem Ergänzen
jedoch auch hier, wenn [ infolge der äußeren Last zunächst gedanklich festgehalten; dabei reduzieren
berechnet und zs auf die Nulllinie bezogen wird. sich die Schnittgrößen im Fertigteil (NF, MF) um
3.3.10.3 Systemumlagerung
Für I(t,t0)=2 und F=0,8 beträgt die Zwangskraft
Ein Überblick über baupraktische Verfahren zur nur noch X1(t)=0,23 X1(t0).
Berechnung der Schnittgrößenumlagerung in Sys- Bei horizontaler Festhaltung der beiden Rand-
temen findet sich in [Rüsch/Jungwirth 1976]. Bei- auflager entsteht infolge der Schwindverkürzung
spielhaft wird der in Abb. 3.3-74 dargestellte Zwei- eine zentrische Normalkraft im Bauteil, für die
feldträger durch Freischneiden der Innenstütze mit eine Mindestbewehrung nach Gl. (3.3.114) vorge-
dem Kraftgrößenverfahren unter Voraussetzung sehen werden sollte. Zu berücksichtigen ist die
eines ungerissenen Querschnitts untersucht. Zum Zwangsschnittgröße auch bei der Bemessung der
Zeitpunkt t=t0 gilt aufgrund der Kompatibilität Lager oder der unterstützenden Bauteile. Da sie
G1q+X1 G11=0. Für t=t0+¨ t vergrößert sich die nicht schlagartig auftritt und so durch das Kriechen
Durchbiegung infolge q auf G1q (1+Iq), infolge der bereits während ihrer Entstehung wieder abgebaut
anfänglichen Stützkraft auf X1G11(1+I1). Zusätz- wird, bleibt sie weit unter dem Wert, der sich bei
lich tritt eine Verformung G1cs infolge der Schwind- elastischem Materialverhalten einstellen würde:
verkrümmung auf. Aus der Kompatibilität
(3.3.164)
G1q(1 + Iq) + G1cs + X1 G11(1 + I1)
+¨X1 G11 (1 + F I1) = 0 (3.3.161)
3.3.11 Spannbeton
(3.3.165)
Die Ankerkräfte und -momente ergeben sich ana-
log zu Gl. (3.3.167). Verlaufen die Spannglieder
affin zum Moment, so stehen die Umlenkkräfte mit
Dabei ist G10/G11 das Stützmoment eines monoli- einem Teil der Last im Gleichgewicht und erzeu-
thisch hergestellten Tragwerks. gen im Bauteil keine Schnittgrößen außer einer
Gleichung (3.3.165) lässt sich so verallgemei- Normalkraft.
nern, dass der tatsächliche Spannungszustand zwi- Die Höhe der Vorspannung wird i. d. R. durch
schen dem des Bauzustands MB (ohne Kriechen) die Nachweise im GZG bestimmt. Eine Bestim-
und dem eines (fiktiven) monolithisch hergestellten mung der Vorspannung aus dem GZT ist meist
Tragwerks ME interpoliert wird; näherungsweise nicht sinnvoll, da eine vorgespannte Bewehrung
gilt (t1§t0): hier keinen wesentlichen Vorteil bietet und eine
Bemessung mit Betonstahl wirtschaftlicher ist. Zu
(3.3.166) Technologie und Anwendung des Spannbetons s.
[Kupfer/Hochreiter 1993].
wendig ist. Werden in Abb. 3.3-77 die für die Mo- – innerhalb des Betonquerschnitts in Hüllrohren
mente in Feldmitte bemessenen Spannglieder voll- aus Blech oder Kunststoff (interne Spannglieder
ständig bis zum Auflager durchgeführt, so entsteht mit oder ohne Verbund) oder
dort bei stark exzentrischer Anordnung ein großes – außerhalb des Betonquerschnitts, aber innerhalb
negatives Moment aus Vorspannung, dem keine der Querschnittsumhüllenden, z. B. im Inneren
Momente aus äußeren Einwirkungen entgegenwir- von Hohlkastenquerschnitten (externe Spann-
ken. Dies kann für die Druckspannungen an der Un- glieder), verlaufen.
terseite und die Zugspannungen an der Oberseite
bemessungsrelevant werden. Um dies zu vermei- Interne Spannglieder stehen auf ganzer Länge mit
den, kann ein Teil der Spannglieder an den Aufla- dem Betonquerschnitt in Kontakt und können da-
gern durch Überschieben eines Hüllrohrs verbund- her fast beliebigen Raumkurven folgen, was eine
los gemacht (abisoliert) werden, so dass die Vor- sehr gute Anpassung an den Momentenverlauf und
spannkraft erst in einer definierten Entfernung vom somit eine optimale Tragwirkung ermöglicht. Üb-
Trägerende in das Bauteil eingeleitet wird. lich sind Parabeln 2. Ordnung, ggf. mit dazwi-
schenliegenden geraden Abschnitten. Zur Be-
schreibung genügen dann die Lage der Endpunkte
3.3.11.3 Vorspannen gegen den
und der Parabelstich f (Abb. 3.3-76):
erhärteten Beton
Spanngliedführung (3.3.171)
Bei Ortbetonbauwerken werden die Spannglieder
aus baupraktischen Gründen erst nach dem Erhär-
ten des Betons vorgespannt. Dabei können die Wegen zpƎ=konst ergibt sich eine konstante Um-
Spannglieder (Abb. 3.3-78) lenkkraft.
Externe Spannglieder dagegen verlaufen ab- Aus diesen drei Größen ergibt sich der Spannweg,
schnittsweise geradlinig und erfordern an den Eck- d. h. die Verschiebung zwischen Spannglied und
punkten des Polygonzugs aufwendige Umlenk- bzw. Beton an der Presse
Verankerungskonstruktionen. Sie erlauben jedoch
eine Reduktion der Abmessungen des Betonquer- a = P1 (Gp,11 + Gc,11) +Gc,1g . (3.3.175)
schnittes, der keine Spannglieder aufnehmen muss,
und bieten die im Hinblick auf die Korrosionsemp- Die Auswertung der Integrale kann i. Allg. mit den
findlichkeit des Spannstahls wichtige Möglichkeit, Gik-Tafeln erfolgen (vgl. 1.5). Bei der Ermittlung
Spannglieder auf Schäden zu inspizieren und ggf. der Querschnittswerte ist die Fläche der nicht ver-
auszutauschen. pressten Hüllrohre abzuziehen (Nettoquerschnitt).
Der Unterschied zum Bruttoquerschnitt, d. h. dem
Vorspannen statisch bestimmter Tragwerke Querschnitt inklusive Hüllrohrfläche ist jedoch
Das Anspannen erfolgt mit hydraulischen Pressen, meist vernachlässigbar.
die sich gegen den Betonkörper abstützen. Der Für eine nach dem Anspannen aufgebrachte äu-
Zeitpunkt für das Aufbringen der Vorspannung auf ßere Last q ergibt sich die Änderung der Spannstahl-
den Beton folgt aus technischen und wirtschaft- spannung aus der Bedingung, dass an den Veranke-
lichen Überlegungen. Zum einen muss die Festig- rungsstellen keine Verschiebung auftreten kann:
keit des Betons bereits hoch genug sein, um die
Kräfte v.a. im Verankerungsbereich aufnehmen zu ¨P (Gp,11 + Gc,11) +Gc,1q = 0 . (3.3.176)
können. Andererseits verbietet der Bauablauf meist
lange Erhärtungszeiten. Häufig wird ein Teil der Das Anspannen mehrerer Spannglieder in einem
Vorspannkraft bereits sehr früh, i. Allg. nach zwei Bauteil erfolgt i. d. R. nacheinander, was einen
bis drei Tagen, aufgebracht, um durch das Erzeu- Abbau der Spannung in den vorher gespannten
gen kleiner Druckspannungen die Rissbildung in- Spanngliedern verursacht. Die Verkürzung des
folge der Eigenspannungen aus Schwinden und Spannglieds 1 beim Anspannen von 2 auf die Kraft
Abfließen der Hydratationswärme zu unterdrü- P2=1 ist
cken.
Beim Spannen des ersten Spannglieds auf die (3.3.177)
Kraft P1=1 entsteht auf Höhe des Spannglieds eine
Betondehnung Hcp. Aus ihrem Integral folgt (unter
der Voraussetzung cosTp§1) die Verkürzung des Die Kraft im ersten Spannglied reduziert sich um
Betons in der Spanngliedachse [Kupfer 1994]:
(3.3.178)
(3.3.172)
(3.3.174) (3.3.179)
1142 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
Dabei ist P0 die durch die Presse aufgebrachte Vorspannung vor und nach dem Verankern gleich
Kraft, x der Abstand vom Spannende (Abb. 3.3- ist, ihre Richtung (vgl. Abb. 3.3-79b). Die Summe
79a). Das Integral der Krümmung entspricht dem der dort auftretenden Dehnungsänderungen muss
Umlenkwinkel zwischen zwei Punkten. Daneben dem Keilschlupf ¨lsl entsprechen.
ist noch ein durch die ungewollte Abweichung des Wird die Exponentialfunktion in Gl. (3.3.179)
Hüllrohres aus seiner idealen Lage verursachter linearisiert (ex§1+x), so entspricht die zu integrie-
Anteil k zu berücksichtigen: rende Fläche einem Dreieck:
(3.3.180) (3.3.181)
Werte für , k sind der Zulassung des Spannver- Für eine konstante Spanngliedkrümmung erhält
fahrens zu entnehmen. Die unter Vernachlässigung man dann den Schnittpunkt des Spannkraftverlaufs
der Reibung abgeleiteten Beziehungen (3.3.172) vor und nach dem Verankern
bis (3.3.178) gelten näherungsweise, wenn für Pi
der Mittelwert der Kraft über die Spanngliedlänge
gesetzt wird. Der Vergleich zwischen Pressenkraft
und Spannweg erlaubt Aussagen darüber, ob die in und damit
der Berechnung angesetzte Vorspannung planmä-
ßig erreicht wurde.
Die Verankerung von Litzenspanngliedern er- (3.3.182)
folgt nach dem Spannen i. Allg. mit Keilen (Abb.
3.3-80). Zum Herstellen eines kraftschlüssigen
Kontakts ist ein Keilschlupf ¨lsl im Millimeterbe-
reich erforderlich. Durch die Verkürzung des Nachträglicher Verbund
Spannglieds wird die aufgebrachte Vorspannung Der Korrosionsschutz der Spannglieder in den
vermindert. Im Bereich der Verankerung wechselt Hüllrohren kann durch Verpressen mit Zement-
die Reibung auf einer Länge lsl, an deren Ende die mörtel hergestellt werden. Dabei entsteht ein kraft-
schlüssiger Verbund zwischen Spannglied und Be-
ton (Vorspannung mit nachträglichem Verbund).
Alle nach Herstellen des Verbunds aufgebrachten
Beanspruchungen wirken auf den Verbundquer-
schnitt. Die Berechnung erfolgt hierfür zweckmä-
ßig mit ideellen Querschnittswerten, soweit der
Querschnitt im Zustand I verbleibt.
Das Verpressen erfolgt auf der Baustelle. Zur
Vermeidung von Korrosionsschäden vor dem Ver-
pressen muss die Verweildauer der Spannglieder
im unverpressten Hüllrohr gering gehalten, das
Verbundlose Vorspannung
Beim Verpressen mit Fett oder ähnlichen Materi-
alien bleibt das Spannglied verbundlos (Vorspan-
nung ohne Verbund). Das Verpressen erfolgt im Abb. 3.3-81 Modellierung bei verbundloser Vorspannung
Herstellwerk. Zur Anwendung s. [Eibl u. a. 1995].
Das Zusammenwirken von Stahl und Beton
3.3.11.4 Statisch unbestimmte Wirkung
muss auch im Endzustand durch Systembetrach-
tungen analog zu den Gl. (3.3.172) bis (3.3.178) Der durch die Vorspannung induzierte Eigenspan-
untersucht werden; für die elektronische Berech- nungszustand erzeugt i. Allg. eine Verformung des
nung kann das System wie in Abb. 3.3-81 abgebil- Bauteils, die bei statisch unbestimmt gelagerten
det werden. Die Integration der Betondehnungen Systemen zu zusätzlichen Schnittgrößen führt. Die-
über die Bauteillänge entspricht einer Mittelwert- se werden als statisch unbestimmte Wirkung (Index
bildung. Die Spannungsänderung bei Änderung ind) der Vorspannung bezeichnet. Im Gegensatz
der äußeren Einwirkung fällt somit weit geringer zur bisher betrachteten statisch bestimmten Wir-
aus als die eines bei gleichem Verlauf im Verbund kung (Index dir) des Eigenspannungszustands am
liegenden Spannglieds an den höchstbeanspruch- Querschnitt erzeugt sie auch am Gesamtquerschnitt
ten Stellen. Verbundlose Spannglieder sind dem- Schnittgrößen. Diese lassen sich über die Spann-
nach bei der Querschnittsbemessung weniger gliedführung nahezu beliebig verändern. Man kann
effektiv, aber auch weniger ermüdungsgefährdet, sie daher gezielt zur Umlagerung von Vorspann-
v. a. beim Übergang in den Zustand II. Der höhere momenten im Tragwerk nutzen, im Beispiel des
Betonstahlbedarf wird durch den Wegfall des auf- Zweifeldträgers typischerweise vom Feld in die
wendigen Verpressvorgangs und die verbesserte Stütze. Die Bestimmung kann auf zwei Arten er-
Dauerhaftigkeit z. T. kompensiert. folgen (Abb. 3.3-82).
Bei der Ermittlung des Spannungszuwachses im Bei der Berücksichtigung als Vorverformung
GZT ist die Berücksichtigung der Rissbildung aus werden die Krümmungen und Dehnungen
Gründen der Wirtschaftlichkeit sinnvoll. Dabei ist
jedoch zu beachten, dass der Zuwachs mit zuneh- (3.3.183)
mender Verformung steigt. Die Berücksichtigung
der Mitwirkung des Betons zwischen den Rissen
sowie eines oberen Grenzwertes der Betonzugfe- infolge des statisch bestimmten Anteils der Vor-
stigkeit (d. h. einer möglichst geringen Rissbildung) spannung als spannungslose Verformungen auf das
ist daher meist erforderlich. Nach DIN1045Teil 1 System aufgebracht. Die resultierenden Schnitt-
ist für die Erhöhung ¨Vp ein Sicherheitsbeiwert größen (statisch unbestimmte Wirkung) können
Jpz1 zu berücksichtigen. In den Umlenkpunkten ist mit den üblichen Verfahren der Baustatik berech-
die Verschiebung zwischen Spannglied und Beton net werden.
durch die Reibung behindert; eine volle Festhal- Alternativ können die Verankerungs- und Um-
tung kann im GZT i. Allg. jedoch nicht angenom- lenkkräfte der Spannglieder als äußere Lasten auf das
men werden. In der Praxis verzichtet man häufig statisch unbestimmte System aufgebracht werden,
auf die Berücksichtigung des Spannungszuwachses. woraus sich die gesamten Schnittgrößen aus Vor-
Anker- und Umlenkkräfte können dann als äußere spannung ohne die Trennung in den statisch bestimm-
Lasten auf das Tragwerk angesetzt werden. Dies ten und unbestimmten Anteil ergeben, die dann nach-
entspricht der Betrachtung als Stahlbetonbauteil träglich vorgenommen werden muss. Nachteilig ist
mit Längskraft. hier die bei nicht durch mathematische Funktionen
1144 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
doch zu beachten, dass durch veränderliche Lasten luste rinf=0,95 bzw. rsup=1,05 bei Spanngliedern
und gleichzeitige Wirkung von Zwang auch dort mit sofortigem bzw. ohne Verbund.
Momente auftreten können. Daher ist eine ange- Bei den Nachweisen werden die statisch unbe-
messene Betonstahlbewehrung vorzusehen. Die stimmten Schnittgrößen auf der Seite der Einwir-
Mindestbewehrung nach 3.3.11.8 ist hierfür i. d. R. kungen berücksichtigt, die statisch bestimmten dage-
ausreichend. gen i. Allg. als Widerstand. Im GZT kann die statisch
unbestimmte Wirkung durch Fließgelenkbildung ab-
gebaut werden. Hiervon wird wegen der infolge der
3.3.11.7 Nachweise
großen Normalkräfte i. d. R. geringen Rotationsfä-
Vorgespannte Bauteile werden durch eine äußere higkeit rechnerisch kein Gebrauch gemacht.
Einwirkung und eine Vorspannung, die Schnitt-
größen etwa gleicher Größenordnung, aber entge- Nachweise im GZG
gengesetzten Vorzeichens erzeugen, beansprucht Da das Vorspannen der Bewehrung auch wesent-
(Abb. 3.3-76). Daher kann neben der maximalen lich der Verbesserung der Gebrauchstauglichkeit
äußeren Einwirkung auch die minimale, v. a. in dient, besitzen diese Nachweise eine größere Be-
Bauzuständen, maßgebend werden. deutung als bei Stahlbetonbauteilen. Hinzu kommen
Für die Höhe der Vorspannung und die Exzent- die erhöhten Anforderungen an die Dauerhaftig-
rizität der Spannglieder ergeben sich hierdurch keit wegen der größeren Korrosionsempfindlich-
Grenzen, v. a. beim Vorspannen im Spannbett, da keit der Spannstähle. Ständig oder häufig offene
der Vorspannung zunächst nur das i. Allg. geringe Risse müssen v. a. in chloridhaltiger Umgebung
Eigengewicht der Fertigteile entgegenwirkt. Beim und bei wechselnder Durchfeuchtung vermieden
Vorspannen gegen den erhärteten Beton kann es werden. Ausgenommen sind hiervon Spannglieder
erforderlich werden, die Vorspannung schrittweise ohne Verbund, da deren Korrosionsschutz unab-
mit dem Baufortschritt (d. h. der Zunahme der äu- hängig vom umgebenden Beton sichergestellt wird.
ßeren Einwirkungen) bzw. dem Ablassen des Lehr- Für diese gelten die Anforderungen an Stahlbeton-
gerüstes aufzubringen. Die durch das Vorspannen bauteile. Nach DIN 1045 Teil 1 sind i. Allg. fol-
hervorgerufenen Krümmungen können zu erheb- gende Nachweise zu führen:
lichen Umlagerungen der Kräfte im Lehrgerüst
führen; diese sind rechnerisch nachzuweisen. Dekompression. Unter einer in Abhängigkeit von
Daneben führt die Differenz etwa gleich großer den Umgebungsbedingungen zu wählenden Einwir-
Zahlen zu einer starken numerischen Empfindlich- kungskombination (quasi-ständige, häufige oder
keit der resultierenden Gesamtschnittgrößen aus seltene) ist nachzuweisen, dass die Spannglieder im
Vorspannung und äußerer Einwirkung, d. h., eine überdrückten Beton liegen, d. h. nicht vom Riss ge-
geringe Änderung des Vorspannmoments kann ei- kreuzt werden (Dekompression). Zur Vermeidung
nen Vorzeichenwechsel der Spannung am Quer- von Unklarheiten hinsichtlich des Ansatzes für den
schnittsrand erzeugen. Dies erfordert bei der gezogenen Beton (gerissen oder ungerissen) ist nach
Schnittgrößenberechnung v. a. im GZG eine hö- DIN 1045 Teil 1 im Endzustand eine volle Über-
here Genauigkeit als bei Stahlbetontragwerken. Da drückung des Querschnitts gefordert, obwohl dies
hiermit wegen der in der Baupraxis unvermeid- für den Korrosionsschutz nicht erforderlich ist.
lichen Unsicherheiten nur ein Teil des Problems Unter Annahme einer linearen V-H-Beziehung für
erfasst wird, sind die Schnittgrößen aus der Vor- den gedrückten Beton kann aus
spannung als obere oder untere charakteristische
Werte Pk=rPm anzusetzen. Der Variationskoeffizi- (3.3.191)
ent ist wegen der streuenden Kriech- und Schwind-
verformungen sowie der unsicheren Reibungsbei-
werte von den Spannkraftverlusten abhängig. Da- die erforderliche Vorspannung ermittelt werden.
her ist nach DIN 1045 Teil 1 rinf=0,9 bzw. rsup=1,1 Bei Beanspruchung durch Zwang ist zu beach-
bei Vorspannung im nachträglichen Verbund und ten, dass der durch die Rissbildung verursachte
wegen der fehlenden bzw. geringen Reibungsver- Steifigkeitsabfall hier nicht eintritt. Eingeprägte
3.3 Massivbau 1147
Verformungen müssen daher in jedem Fall bei der 3.3-84). Am Ende der Verbundstörlänge befinden
Schnittgrößenermittlung berücksichtigt werden. sich Beton- und Spannstahl im nahezu starren Ver-
bund. Dazwischen müssen sie die gleiche Verlänge-
Begrenzung der Rissbreite. Da eine gelegentliche rung erfahren. Vereinfacht wird ein affiner Verlauf
Überschreitung der Dekompressionslast durch die der Spannungen Vs, ¨Vp entlang von lts bzw. ltp vor-
Wahl der Einwirkungskombination zugelassen wird, ausgesetzt:
ist zusätzlich eine Beschränkung der Rissbreite auf
wk=0,2 mm nachzuweisen, sofern unter der hierfür (3.3.192)
maßgebenden Einwirkungskombination Zugspan-
nungen entstehen. Für die Ermittlung des Deh-
nungszustands kann die Druckzonenhöhe nach Gl. Das entspricht Gleichheit der unterlegten Flächen
(3.3.56) bestimmt werden, wenn die aus der Vor- in Abb. 3.3-84. Mit dem Gleichgewicht entlang der
spannung resultierenden Schnittgrößen P0, Mp0 als Verbundstörlänge
äußere Einwirkungen und die Spannglieder wie eine
schlaffe Bewehrung berücksichtigt werden.
Im Allgemeinen liegt im Bauteil neben den (3.3.193)
Spanngliedern eine Bewehrung aus Betonstahl.
Wegen der geringeren Profilierung der Oberfläche
und der v. a. bei Litzenbündeln weit größeren
Durchmesser ist der Verbund des Spannstahls er- und Gl. (3.3.192) folgt
heblich weicher als der des Betonstahls. Die An-
nahme eines starren Verbunds liefert keine realisti-
sche Abschätzung der Stahlspannungen. Für die
Nachweise der Rissbreitenbegrenzung ist eine ge- (3.3.194)
nauere Betrachtung erforderlich.
Im Zustand der Einzelrissbildung ergeben sich Vereinfacht wird angenommen Ep§ Es und
unterschiedliche Verbundstörlängen lts, ltp (Abb. Vs1=¨Vp1§0:
(3.3.201)
Mit
gesetzt werden. Das entspricht einer linearen Inter-
polation zwischen kc = 0 für den vorstehend ge-
(3.3.198) nannten Fall mit einer zusätzlichen Sicherheit 1,5
und kc=0,4 für Vc=0. Die Mindestbewehrung darf
ganz entfallen, wenn unter der seltenen Einwir-
und dem Gleichgewicht im Riss kungskombination am Querschnittsrand Druck-
spannungen von mindestens –1 MPa verbleiben.
F – P0 = Vs2 As + ¨Vp2 Ap , (3.3.199)
Nachweise im GZT
wobei P0 die (fiktive) Spannbettkraft ist, die sich Der Nachweis am Querschnitt erfolgt analog zum
bei spannungslosem Betonquerschnitt ergibt, folgt Stahlbeton mit der Vordehnung Hp0 in den Spann-
gliedern, die unter Berücksichtigung der zum je-
weiligen Zeitpunkt eingetretenen Verluste als cha-
rakteristischer Wert anzusetzen ist.
(3.3.200) Die Anwendung der üblichen Hilfsmittel bei
der Biegebemessung ist möglich, wenn die statisch
Mit der Betonstahlspannung, Gl. (3.3.200), und bestimmte Wirkung mit einer zunächst zu schät-
dem Rissabstand, Gl. (3.3.197), können die Nach- zenden Spannstahlspannung (i. Allg. der Fließ-
3.3 Massivbau 1149
Bei der Bestimmung der erforderlichen Beweh- zung zur Erkennung von Spanngliedausfällen, diese
rung wurde vorausgesetzt, dass die Abnahme von wird erst durch eine Kontrolle in angemessenen In-
Ap kontinuierlich erfolgt. Da Ap mit Ausfall eines tervallen mit ausreichend genauen Methoden si-
kompletten Spannglieds sprunghaft abnimmt, gel- chergestellt. Da mit einer Korrosion der Spann-
ten die vorgenannten Zusammenhänge nur, wenn glieder aber frühestens einige Jahrzehnte nach der
durch eine Mindestanzahl von Spanngliedern im Fertigstellung des Bauwerks gerechnet werden
Querschnitt die Abnahme von Ap hinreichend ge- muss, sind hierfür langfristige Inspektionspläne er-
glättet ist. Liegt im Grenzfall nur ein einziges forderlich.
Spannglied vor, so muss nach dessen Ausfall an-
stelle des Rissmoments die gesamte Beanspru-
chung vom verbleibenden Betonstahl aufgenom- 3.3.12 Stabilität und Theorie
men werden. II. Ordnung
Bei statisch unbestimmten Systemen kann ein
Bei druckbeanspruchten Bauteilen sowie schlanken
Teil des freiwerdenden Rissmoments in andere
Biegeträgern entstehen durch die Verformung zu-
Tragwerkbereiche umgelagert werden. Je nach Lage
sätzliche Beanspruchungen, die durch eine Gleich-
des betrachteten Querschnitts im System ergibt sich
gewichtsbetrachtung am verformten System (Theo-
hieraus eine Abminderung der erforderlichen Min-
rie II. Ordnung) erfasst werden müssen. Dies ist bei
destbewehrung, sofern die Rotationsfähigkeit nach-
Erweiterung von Gl. (3.3.109) um die entspre-
gewiesen werden kann. Dieses Vorgehen ist jedoch
chenden Terme durch nichtlineare Berechnung
aufwendig; auf der sicheren Seite liegend kann da-
möglich. Für viele praktische Fälle können jedoch
her eine Mindestbewehrung analog zu statisch be-
vereinfachte, ausreichend genaue Verfahren abge-
stimmten Systemen angeordnet werden.
leitet werden.
Neben der Schadensbegrenzung gewinnt zuneh-
mend die Schadensvermeidung an Bedeutung.
3.3.12.1 Einzelstützen
Grundgedanke ist der Versuch, die die Standsicher-
heit der Konstruktion gefährdende Korrosion von An dem gelenkig gelagerten Stab in Abb. 3.3-86
Spanngliedern rechtzeitig zu erkennen und vor dem ergibt sich nach Theorie I. Ordnung ein parabelför-
Eintreten irreversibler Schäden Sanierungsmaß- miges Moment mit dem Maximalwert M0. Das zu-
nahmen zu ergreifen. Dies setzt voraus, dass bereits sätzliche Moment nach Theorie II. Ordnung ergibt
bei der Planung Möglichkeiten zur Kontrolle und sich am verformten System zu ¨M=e |N|. Gesucht
ggf. zum Austausch geschädigter Spannglieder vor- ist der Zustand des Gleichgewichts zwischen dem
gesehen werden, was bei verbundlosen Spannglie- angreifenden Moment MS=M0+¨M und dem Bau-
dern prinzipiell möglich ist. Allerdings ist die Kont- teilwiderstand MR. Dabei wird nur der bauprak-
rollierbarkeit allein keine hinreichende Vorausset- tisch relevante Fall N<0 betrachtet.
(3.3.208)
(3.3.209)
(3.3.213)
(3.3.214)
scherweise besitzen diese einen T- oder I-förmigen Seite, da bei einem Lastangriff an der Balkenober-
Querschnitt, deren Druckgurt- und Stegbreite zur seite auch aus der Verdrehung T um M ein Torsi-
Gewichtsersparnis beim Transport möglichst ge- onsmoment resultiert.
ring gehalten sind. Für die überschlägige Berech- Die Verformungen des Systems ergeben sich für
nung solcher Bauteile wurden Näherungsverfahren parallelgurtige Träger aus Schnittgrößen und Im-
entwickelt. perfektionen zu
Am gabelgelagerten Biegeträger mit einer seit-
lichen Verformung v und einer Verdrehung T entste-
hen zusätzlich Querbiegemomente Mz und Torsi-
onsmomente T (Abb. 3.3-91). Mit sinus- bzw. cosi-
nusförmigen Verschiebungsansätzen für T, v erhält (3.3.223)
man aus dem Gleichgewicht am halbierten System
folgende Maximalwerte der Schnittgrößen:
(3.3.224)
ermöglichen. Anforderungen sind in den Landes- Entspannung des Überdrucks zusätzliche Maßnah-
bauordnungen geregelt, s. hierzu [Kordina/Meyer- men erforderlich [König/Grimm 2000]. Durch Zu-
Ottens 1999]. gabe von Kunststoffasern, die im Brandfall ver-
Tragende Bauteile werden heute noch nach DIN dampfen und ein künstliches Porensystem schaffen,
4102 mit dem Buchstaben F, der nachgestellten Feu- kann das Problem entschärft werden. Eine flächen-
erwiderstandsdauer in Minuten und den Buchstaben hafte Schutzbewehrung kann das Abfallen der ab-
A, B für die Brennbarkeit der Baustoffe gekenn- gesprengten Schichten verhindern.
zeichnet. Die Feuerwiderstandsklassen reichen je
nach Art und Nutzung des Gebäudes für die einzel- Querschnittsverhalten
nen Bauteile von feuerhemmend (F30–B) bis feuer- Unter Brandeinwirkung erwärmt sich der Quer-
beständig aus nichtbrennbaren Baustoffen (F90–A). schnitt ausgehend von beflammten Oberflächen.
Es stellt sich ein instationärer Zustand ein, d. h.,
die Temperaturverteilung im Bauteil ist eine Funk-
3.3.13.2 Verhalten und Bemessung
tion der Zeit. Die Erwärmung verläuft umso
im Brandfall
schneller, je kleiner der Querschnitt und je größer
Materialverhalten die beflammte Oberfläche ist; man unterscheidet
Die in 3.3.2 bis 3.3.4 angegebenen, von der Tem- einseitig (z. B. Deckenplatten, Wände) und mehr-
peratur weitgehend unabhängigen Materialeigen- seitig (z. B. Innenstützen) beflammte Querschnitte.
schaften gelten nur innerhalb des üblichen Tempe- Wegen ihrer großen Masse und thermischen Träg-
raturbereichs. Unter den wesentlich erhöhten Tem- heit erwärmen sich Stahlbetonquerschnitte i. Allg.
peraturen im Brandfall (bis über 1000°C) nehmen relativ langsam.
Festigkeit und Steifigkeit ab ca. 200°C bis 300°C Die Tragfähigkeit kann durch Brandversuche
signifikant ab (Abb. 3.3-92). Zusätzlich treten er- oder Rechnung ermittelt werden. Der rechnerische
hebliche thermische Dehnungen auf. Angaben Nachweis erfordert eine Kopplung von thermischer
hierzu, zur spezifischen Wärme und zur ther- und mechanischer Analyse, d. h., als Ausgangspunkt
mischen Leitfähigkeit des Betons enthält EC 2-1-2 für die Bemessung ist zunächst die Temperaturver-
sowie [Kordina/Meyer-Ottens 1999]. teilung im Bauteil zu bestimmen. Die Brandeinwir-
Durch das Verdampfen des Porenwassers ent- kung wird i. d. R. durch eine genormte Einheitstem-
stehen Spannungen in den Porenräumen, die zu peratur-Zeit-Kurve beschrieben. Diagramme für die
explosiven Abplatzungen ganzer Betonschichten Temperaturverteilung in üblichen Bauteilen enthält
führen können. Sie können jedoch durch die Ein- [CEB 1991b, Kordina/Meyer-Ottens 1999].
haltung von Mindestabmessungen verhindert wer- Bei bekannter Temperaturverteilung können die
den. Bei hochfesten Betonen sind wegen des i. Allg. zu einem Verzerrungszustand gehörenden Schnitt-
sehr dichten Gefüges und der fehlenden Kanäle zur größen bestimmt werden, indem von den Gesamt-
Abb. 3.3-92 Spannungs-Dehnungs-Beziehungen bei verschiedenen Temperaturen, normiert auf die Festigkeit bei 20 °C
3.3 Massivbau 1159
(3.3.227)
Spannstahl
Das Verhalten entspricht qualitativ dem des Be-
tonstahls. Von größerer Bedeutung ist hier jedoch
der Einfluss von Korrosionsnarben sowie der Rei-
bung zwischen einzelnen Drähten bzw. Litzen und
zwischen Spannglied und Hüllrohr (Reibermü-
dung). Kunststoffhüllrohre bewirken deutlich hö-
here Ermüdungsfestigkeiten als Stahlhüllrohre. In
Spanngliedkopplungen und -verankerungen ist die
Festigkeit im Vergleich zur freien Länge erheblich
reduziert.
Abb. 3.3-97 Betonstahl
3.3.14.2 Bauteilverhalten
Das Biegetragverhalten kann mit den Modellen me der Rissverzahnung unter Wechsellasten zu
nach 3.3.6.2 beschrieben werden. Zugspannungen berücksichtigen; vereinfacht kann
dürfen wegen möglicher Vorschädigungen nach
DIN 1045 Teil 1 nicht berücksichtigt werden. Da (3.3.230)
die Spannungen i. Allg. deutlich unter der Festig-
keit bleiben, kann eine lineare Vc-Hc-Beziehung gesetzt werden. Für Bauteile ohne Schubbewehrung
verwendet werden. Für den Nachweis der Druck- kann der Nachweis über rechnerische Schubspan-
zone liegt dies auf der sicheren Seite, da unter nungen analog zu Gl. (3.3.229) geführt werden.
Biegung Spannungsumlagerungen innerhalb der Die Schnittgrößen können in statisch unbe-
Druckzone möglich sind. stimmten System i. d. R. nach der Elastizitätstheo-
Der Nachweis der Querkraftbeanspruchung rie, ggf. mit den abgeminderten Steifigkeiten im
schubbewehrter Bauteile kann mit Stabwerkmo- Zustand II, ermittelt werden, da sich das endgül-
dellen nach Gl. 3.3.6.3 erfolgen. Bei der Festle- tige Rissbild bereits nach wenigen Lastwechseln
gung des Druckstrebenwinkels Tfat ist die Abnah- einstellt [Frey/Thürlimann 1983] und für die fol-
1162 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
selzahl noch die Verteilung der Spannungsamplitu- CEB (Hrsg) (1991a) Vibration Problems in Structures. Co-
den berücksichtigt wird, ist der Nachweis i. Allg. mité Euro-International du Béton, Lausanne (Bulletin
sehr konservativ. Bei fehlender echter Dauerfestig- d’information No. 209)
keit wird als technischer Wert derjenige angesetzt, CEB (Hrsg) (1991b) Fire Design of Concrete Structures in
accordance with CEB-FIP Model Code 90. Comité
der zu einer Lastwechselzahl gehört, die über der
Euro-International du Béton, Lausanne (Bulletin
insgesamt am Bauwerk zu erwartenden liegt. d’information No. 208)
Nach DIN 1045 Teil 1 gilt hier für ungeschweißten CEB (Hrsg) (1993a) CEB-FIP Model Code 1990. Thomas
Betonstahl ¨Vs 70 MPa; für Beton unter Druckbe- Telford, London
anspruchungen gilt Gl. (3.3.229). Die auftretenden CEB (Hrsg) (1993b) Structural Effects of time-dependent
Beanspruchungen sind unter der häufigen Einwir- behaviour of concrete. Comité Euro-International du
kungskombination, jeweils in der maßgebenden Béton, Lausanne (Bulletin d’information No. 215)
Stellung für Ober- und Unterspannungen, zu ermit- CEB (Hrsg) (1996) RC Elements under Cyclic Loading.
teln. Sie sind streng genommen keine Obergrenzen, Comité Euro-International du Béton, Lausanne (Bulle-
tin d’information No. 230)
da eine Überschreitung möglich ist. Diese stellen je-
CEB (Hrsg) (1998) Ductility of Reinforced Concrete Struc-
doch meist nur einen geringen Anteil der auftre- tures. Comité Euro-International du Béton, Lausanne
tenden Lastwechsel dar. (Bulletin d’information No. 242)
Clormann UH, Seeger T (1986) Rainflow HCM: Ein Zähl-
Abkürzungen zu 3.3
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GZG Grenzzustand der Gebrauchstauglichkeit Czerny F (1999) Tafeln für Rechteckplatten. In: Betonka-
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Schritt zur Qualität. Beton- und Stahlbetonbau 91
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3.3 Massivbau 1165
wenn sie das deutsche Ü-Zeichen oder das europäi- re über Lastannahmen, die Berechnung, Bemes-
sche CE-Zeichen tragen. Voraussetzung dafür ist sung und Ausführung von Bauprodukten und
der Nachweis der Konformität mit den dem Bau- baulichen Anlagen.
produkt zugrundeliegenden Regeln nach unter-
schiedlich strengen Verfahren (sechs Verfahren Bei Bekanntmachung durch die oberste Baurechts-
nach Systemen 1+ bis 4), die alle die werkseigene behörde als Technische Baubestimmungen erhal-
Produktionskontrolle des Herstellers (Eigenüber- ten Technische Regeln den Charakter von Rechts-
wachung) und darüber hinaus je nach Produktbe- normen.
deutung strengere Kontrollen durch externe Prüf-, Von den in der Bauregelliste A bekannt gemach-
Überwachungs- oder Zertifizierungsstellen (PÜZ- ten Technischen Regeln für geregelte Bauarten
Stellen) enthalten. Für alle Stahlbauprodukte gilt (z. B. Bemessungsregeln) kann abgewichen wer-
System 2+ [Bossenmayer 1999]. den, da sie ihrem Charakter entsprechend nur eine
Bauprodukte nach geltenden deutschen Vor- Möglichkeit zeigen, die Anforderungen der Bau-
schriften sind in der Bauregelliste A des Deutschen ordnung im Hinblick auf die Abwehr von Gefahren
Instituts für Bautechnik (DIBt) bekannt gemacht; zu erfüllen. Auch andere Wege sind erlaubt. Dabei
für den Metallbau gilt Kapitel 4 der Bauregelliste A ist nachzuweisen, dass die Ausführung insgesamt
Teil 1. Sie gilt für Bauprodukte nach bekannt ge- trotz der Abweichung den baurechtlichen Anforde-
machten technischen Regeln, nach allgemeinen rungen gerecht wird.
bauaufsichtlichen Zulassungen des DIBt oder nach Bei wesentlichen Abweichungen sind Anwend-
allgemeinen bauaufsichtlichen Prüfzeugnissen einer barkeitsnachweise in Form einer allgemeinen bau-
anerkannten Prüfstelle. Für Bauprodukte nach euro- aufsichtlichen Zulassung oder einer Zustimmung
päischen Vorschriften gilt die Bauregelliste B. im Einzelfall für die Bauart erforderlich. Durch
Neben den Bauprodukten gibt es den Begriff diese Öffnung für Abweichungen wird der inno-
„Bauarten“, im Sinne der Landesbauordnungen ent- vativen Dynamik des Bauwesens Rechnung ge-
standen durch Zusammenfügen von Bauprodukten tragen.
zu baulichen Anlagen oder Teilen davon, (z. B. eine Die Liste der Technischen Baubestimmungen
konventionell errichtete Halle). Bauarten, die den hat folgende Gliederung:
technischen Baubestimmungen entsprechen, bedür-
1. Technische Regeln zu Lastannahmen,
fen keines besonderen Anwendbarkeitsnachweises.
2. Technische Regeln zur Bemessung und Ausfüh-
Bauarten, die von technischen Baubestimmungen
rung,
wesentlich abweichen oder für die es allgemein an-
3. Technische Regeln zum Brandschutz,
erkannte Regeln der Technik nicht gibt (nicht gere-
4. Technische Regeln zum Wärme- und zum Schall-
gelte Bauarten) dürfen nur verwendet werden, wenn
schutz,
für sie eine bauaufsichtliche Zulassung des DIBt
5. Technische Regeln zum Bautenschutz,
oder eine Zustimmung im Einzelfall der zuständi-
6. Technische Regeln zum Gesundheitsschutz,
gen obersten Bauaufsichtsbehörde erteilt ist.
7. Technische Regeln als Planungsgrundlagen, An-
Bauarten bedürfen keiner Kennzeichnung mit dem
lagen zu den Technischen Regeln.
Ü-Zeichen oder CE-Zeichen; es genügt die schrift-
liche Bestätigung der Übereinstimmung mit den zu-
grundeliegenden technischen Regeln, Zulassungen,
3.4.1.3 Europäische Normen zur
Prüfzeugnissen oder Zustimmungen im Einzelfall.
Bemessung und Ausführung
im Stahlbau
3.4.1.2 Technische Baubestimmungen
Die europäischen vereinheitlichten Normen zur
Technische Baubestimmungen sind Bemessung und Ausführung im Stahlbau sind für
– in der Bauregelliste A bekannt gemachte tech- die Bemessung als EN 1993 und für die Ausfüh-
nische Regeln für Bauprodukte, rung als EN 1090 veröffentlicht worden. Die EN
– in der Liste der Technischen Baubestimmungen 1993-Reihe für den Stahlbau umfasst die Grund-
aufgenommene technische Regeln, insbesonde- norm EN 1993-1 mit den Teilen
3.4 Stahlbau 1169
bildeten die Grundlage der Massenbaustähle. Zur heute durch UHP-Lichtbogen in Ministahlwerken
Unterscheidung von Altstahlproben nach dem Her- und großen Anlagen für Massenstähle eingesetzt.
stellungsverfahren s. [Langenberg 1995]. Angesichts der Einsparung der aufwendigen Erz-
Heute ist das Thomas-Verfahren vollständig und Kohlevorbereitung sowie der metallurgischen
und das Siemens-Martin-Verfahren zum größten Reduktionsarbeit ist sie ein kostengünstiger und
Teil durch das Sauerstoff-Konverterverfahren er- umweltfreundlicher Produktionsweg, mit dem
setzt, bei dem technisch reiner Sauerstoff auf (LD- bereits mehr als 30% des Stahls weltweit herge-
Verfahren) oder/und durch das Schmelzbad gebla- stellt wird.
sen wird. Dabei wird etwa 20 % Schrott zugegeben. Nach dem Frischen wird der flüssige Stahl mit
Mit diesen modernen Verfahren werden besonders Aluminium beruhigt (desoxydiert) und in Kokillen
hochwertige Stahlgüten erzielt mit niedrigen Ge- zu Blöcken oder heute meist im Stranggießver-
halten an Spuren- und Begleitelementen. fahren endproduktnah in Brammen oder Rohpro-
Auf der Schrott-Lichtbogen-Route wird der file vergossen, um so bei der Warmumformung
Rohstoff Schrott zur Stahlerzeugung genutzt. Frü- die Zahl der Walzstiche für das Endprodukt zu
her wurde diese Route vornehmlich für Edelstahl, senken.
3.4 Stahlbau 1171
Verbesserung der Festigkeits- mung und Abkühlung erhält (Abb. 3.4-3). Kenn-
und Zähigkeitseigenschaften zeichnend ist für die Walzung der TM-Stähle die
Die Streckgrenzenbereiche schweißgeeigneter Bau- Herabsetzung der Endwalztemperatur soweit, dass
stähle gehen aus Abb. 3.4-2 hervor [Zimnik/Freier/ keine Rekristallisation des Austenits mehr erfolgt
Seifert 1991]. Verbesserte Festigkeits- und Zähig- oder sogar der bereits umgewandelte Ferrit durch
keitseigenschaften können durch Kornverfeinerung Umformung direkt verfestigt wird. Dabei werden
und Vergleichmäßigung des Gefüges erzeugt wer- Wärmebehandlungsprozesse, die sonst hinterein-
den, die durch ander erfolgen, in einen Vorgang integriert [Dahl/
Hesse/ Krabiell 1991].
a) Legierungsbestandteile,
Ein niedriger Kohlenstoffgehalt von 0,08 % bis
b) geeignete thermische Behandlung, (z. B. Nor-
0,12 % C führt bei den Feinkornbaustählen zu einer
malisieren, Vergüten) oder durch thermomecha-
verbesserten Zähigkeit in der Wärmeeinflusszone
nische Behandlung (TM)
WEZ und ermöglicht Schweißen von größeren
bewirkt werden. Blechdicken auf der Baustelle ohne Vorwärmen.
Der klassische S355N normalgeglüht nach EN
10025-2 erhält z. B. seine Festigkeit durch C-Ge- Quer- und Dickeneigenschaften
halte bis 0,22 % und zusätzliche 1,6 % Mn und Bedingt durch den Umformvorgang besitzen
0,55% Si, während der Feinkornstahl S 355 M nach Bleche in Walzrichtung ein günstigeres Dehnungs-
EN 10025-3 seine Festigkeit und Zähigkeit durch vermögen als in Quer- und Dickenrichtung, da die
eine Abstimmung der eng definierten Legierungs- Auswalzung nichtmetallischer Begleiter, v.a. von
zusammensetzung (speziell der kornfeinernden Ele- Mangansulfiden, zu zeilenförmigen Einschlüssen
mente V, Ti, Nb) mit tiefen Kohlenstoff-Äquiva- führen kann. Bei Zwängungen in Dickenrichtung
lenten mit einer temperaturgesteuerten Warmumfor- können sog. Terrassenbrüche auftreten.
Die Terrassenbruchgefahr kann durch besonde- Die Abweichungen dieser Eigenschaften von den
re Entschwefelungsverfahren, die zu Z-Güten der Sollwerten werden als geometrische und struktu-
Stähle nach DIN EN 10164 führen, beseitigt wer- relle Imperfektionen bezeichnet. Soweit sie sich
den. Wann solche Z-Güten erforderlich sind, kann auf die Tragfähigkeit auswirken, werden sie in den
mit Verfahren in EN 1993-1-10 ermittelt werden. Berechnungsverfahren berücksichtigt.
Lieferformen Bezeichnungen
Warmgewalzte Erzeugnisse für die Weiterverar- Baustähle werden nach der Streckgrenze und nach
beitung sind Walzprofile, Stabstähle, Breitflach- ihrer Zähigkeit, ausgedrückt in Kerbschlagarbeit bei
stähle, Bänder und Bleche. Bleche werden auch als einer bestimmten Temperatur, in Stahlsorten unter-
Halbzeug mit oder ohne Oberflächenbeschich- teilt. Die Stahlbezeichnungen gehen auf Stahlsor-
tungen und metallischen Überzügen in Kaltwalz- ten, Sonderbehandlung und Nachbehandlung ein.
werken zu Profilblechen und Kaltprofilen weiter Abbildung 3.4-4 gibt einen Überblick über Stahlbe-
verarbeitet. Hohlprofile werden nahtlos warmge- zeichnungen.
walzt oder aus gewalzten Flachstählen geschweißt.
Einen Überblick über lieferbare Profile enthält
3.4.2.2 Festigkeits- und Zähigkeitseigen-
z. B. [Schneider 1998].
schaften als Funktion der Temperatur
Alle Lieferungen unterliegen Streuungen der
Festigkeitseigenschaften
1. Geometrie wie Querschnittsabmessungen, Recht-
Die Festigkeitseigenschaften der Werkstoffe werden
winkligkeit und Ebenheit, Stegzentrierung und
an standardisierten Rundzugproben oder Flachpro-
Geradheit, die durch Liefertoleranzen einge-
ben nach DIN EN 10002 ermittelt, die die tech-
schränkt sind;
nische Spannungs-Dehnungslinie der Probe oder
2. Werkstoffeigenschaften wie Festigkeitswerte,
die wahre Spannungs-Dehnungslinie des Stahls
Zähigkeitskennwerte der Proben, die durch Min-
liefern (Abb. 3.4-5). In den Werkstoffnormen sind
destwerte begrenzt sind;
Mindestwerte für die Streckgrenze fy und die Zug-
3. Eigenspannungen und ungleichmäßigen Streck-
festigkeiten fu spezifiziert.
grenzenverteilungen, die durch ungleichmäßige
Für die üblichen Baustähle mit ferritisch-perli-
Abkühlungsvorgänge oder Kaltverformungen
tischem Gefüge unterschiedlicher Festigkeit sind
eingeprägt sind.
die wahren Spannungs-Dehnungslinien parallel
verschoben; sie führen über das Stabilitätskriteri-
3.4 Stahlbau 1173
Abb. 3.4-5 Wahre Spannungs-Dehnungslinien und Technische Spannungs-Dehnungslinien, ermittelt für Rundzugproben
B 8 × 80, Prüftemperatur RT [Dahl/Hesse/Krabiell 1983]
Der Einfluss der Kaltverformung und Alterung Temperaturen TAV = T27J angegeben, bei denen die
kann in ähnlicher Weise durch eine Verschiebung Mindestwerte der Kerbschlagarbeit (z. B. AV = 27 J)
'Te abgeschätzt werden. Dazu existieren Untersu- erreicht werden müssen.
chungen für bestimmte Stähle. Moderne Stähle wer-
den aluminiumberuhigt vergossen, und die Stick- Warmfestigkeit und Kriechen
stoffgehalte werden auf unter 0,01% eingestellt; sie Normale Baustähle sind nur bis zu Temperaturen
gelten als alterungsbeständig. von 300 bis 350°C verwendbar. Oberhalb dieser
Anstelle der bruchmechanischen Werkstoffkenn- Temperaturen (z. B. im Kraftwerksbau) können
werte werden i. d. R. für die Stahlsortenbezeich- Gefügeänderungen (Gefügeänderungen mit Kriech-
nungen Werkstoffkennwerte des Kerbschlagbiege- erscheinungen) auftreten, die die Wahl warmfester
versuchs verwendet, bei dem für standardisierte ge- Stähle (z. B. 15 Mo 3) erforderlich machen [Verein
kerbte Probekörper die Schlagenergie AV (in Joule) Deutscher Eisenhüttenleute 1992].
abhängig von der Temperatur TAV ermittelt wird. Für die Sicherheitsnachweise unter höheren
Die AV-T-Kurve (Abb. 3.4-9) hat einen ähnlichen Temperaturen werden unter konstanten Spannungen
Verlauf wie die Temperaturkurve der bruchmecha- Kriechkurven ermittelt (Abb. 3.4-10), die die Be-
nischen Zähigkeit, lässt aber keinen direkten quanti- stimmung der Bruchspannung VBt oder Spannung
tativen Sicherheitsnachweis zu. Daher wird über die mit festgelegter Kriechverformung (z. B. V0,2t) in
Sanz-Korrelation ein Temperaturzusammenhang Abhängigkeit von der Standzeit aus einer Festig-
zwischen der AV-T-Kurve und der Kc-T-Kurve her- keitskurve im doppeltlogarithmischen Zeit-Festig-
gestellt (s. 3.4.3.2). In den Werkstoffnormen werden keitsdiagramm (V-t-Diagramm) ermöglichen.
3.4 Stahlbau 1177
Abb. 3.4-9 Verläufe der Av-T-Kurve und der J-T-Kurve [Liessem 1996]
gerechnet werden.
Die mechanischen Werkstoffkenngrößen werden
in der Weise bestimmt, dass das Kriechen des Stahls
in die Beschreibung einer Spannungs-Dehnungsli-
nie einbezogen wird. Dazu werden an standardisier-
ten Prüfkörpern Aufheizversuche durchgeführt. Die Abb. 3.4-11 Elastizitätsmodul und Fließgrenze eines Bau-
Probe wird mit einer konstanten Last unter Raum- stahls in Abhängigkeit von der Temperatur [Hirt/Bez 1998]
temperatur belastet, dann wird die Probentempera-
tur erhöht, bis Versagen eintritt. Die Erwärmungs-
geschwindigkeit beträgt z. B. 10 K/min. Gemessen Ermüdungsfestigkeiten
werden die Temperatur Ĭ und die Dehnung. Die Für die Anwendungen des Stahlbaus werden Er-
Versuche werden mit unterschiedlichen Lastniveaus müdungsfestigkeiten nach Möglichkeit mit bau-
wiederholt. Aus den bei einer bestimmten Tempera- teilähnlichen Prüfkörpern bestimmt, in denen die
tur für die einzelnen Lastniveaus erreichten Deh- Maßstabeffekte, die metallurgischen und geometri-
nungen können die Spannungs-Dehnungslinien und schen Bedingungen der Herstellung (z. B. bei
die temperaturabhängigen Daten für den E-Modul Schweißnähten) und die Eigenspannungen mög-
und die Festigkeitswerte abgelesen werden [Heine- lichst wirklichkeitsnah enthalten sind (s. 3.4.5).
meyer 2000]. Für Zwecke der Ermüdungsbemessung werden
Die mechanischen Daten unter erhöhter Tempe- Prüfkörper mit standardisierten Details schwin-
ratur, wie sie für die Brandbemessung angegeben genden Belastungen mit konstantem Spannungs-
werden, sind aufgrund der darin enthaltenen Kriech- spiel 'VR unterzogen und die Bruchlastspielzahlen
verformungen nur für die Brandbemessung oder NR registriert. Im doppeltlogarithmischen Maßstab
ähnliche kurzzeitige Temperatureinwirkungen ver- 'V-N ergeben Linien gleicher Bruchwahrschein-
wendbar. lichkeit für jedes Detail eine Gerade (Wöhler-
Für vereinfachte Brandschutznachweise darf Linie) mit der Neigung m, die unter normalen Kor-
ein bilinearer Spannungs-Dehnungsverlauf mit den rosionsbedingungen (nicht Seewasser) eine Dauer-
Werten E4= kE4 E, fy4= ky4 fy mit Bezug auf die festigkeit 'VD kennt (Abb. 3.4-12).
Werte E und fy bei Raumtemperatur angenommen Die bruchmechanische Berechnung der Ermü-
werden (Abb. 3.4-11). dung geht vom Vorhandensein von Anfangsrissen
a0 und einem Risswachstum wa/wN aufgrund der
Werkstoffeigenschaften für das Feuerverzinken schwingenden Belastung bis zu einer kritischen
Beim Feuerverzinken vorgefertigter Stahlbauteile Rissgröße acrit aus, bei der Bruch stattfindet. Das
können – abhängig von den Eigenschaften des Risswachstumsgesetz folgt der Paris-Gleichung
Werkstoffs Stahl, der konstruktiven Durchbildung
der Bauteile, der Zinkbadzusammensetzung und (3.4.3)
der Durchführung des Verzinkungsprozesses im
Zinkbad – Risse (Flüssigmetallinduzierte Rissbil-
dung) auftreten, die die Tragfähigkeit der ver- mit Konstanten C und m, die experimentell ermit-
zinkten Bauteile beeinträchtigen können. telt werden. Bei geschweißten Konstruktionen, bei
Zur Vermeidung solcher Risse ist die DASt- denen die Ermüdungsfestigkeit ausschließlich aus
Richtlinie 022 – Feuerverzinken im Stahlbau – zu dem bruchmechanischen Risswachstum erklärt
beachten, die zusätzlich zu den Normen für den werden kann, sind die Neigungswerte m, Dauer-
Verzinkungsprozess, z. B. EN 1461, heranzuziehen festigkeiten und Schwellenwerte nach Abb. 3.4-13
ist. miteinander verknüpft [Kunz 1992].
3.4 Stahlbau 1179
Abb. 3.4-13 Vergleich der Ermüdungsfestigkeitskurve mit der Risswachstumskurve [Kunz 1992]
wobei die Werte Ek und Ed Belastungsniveaus ei- nach EN 1993-1-10), der ein pauschaler Zähig-
ner statistischen Verteilung darstellen, die im Hin- keitsnachweis zugrunde liegt.
blick auf die geforderte Zuverlässigkeit durch Für die meisten Grenzzustände der Tragfähig-
bestimmte extrem hohe Fraktilen oder Wiederkehr- keit, wie Versagen von Zugstäben, Biegeträgern,
perioden charakterisiert sind. Ebenso ist der Be- Knicken von Stützen, Beulen von Flächentragwer-
messungswert der Tragfähigkeit Rd als definierte ken oder Schalen, treten bei den Versuchen Last-
untere Fraktile einer statistischen Verteilung von R verformungsverläufe mit ausgeprägten Maxima
zu verstehen. auf, deren Form in der Weckung plastischer Reser-
ven und Wiederverfestigungen im stabilen Bereich
Werkstoffdaten und Grenzzustände sowie der Wirkung von Einschnürungen und Beu-
Während für die Gebrauchstauglichkeitsnach- len im abfallenden Ast begründet ist.
weise, die durch Verformungs- oder durch Schwin- Die Streckgrenze fy in Verbindung mit der plasti-
gungskriterien bestimmt sind, der Elastizitätsmo- schen Verformbarkeit, ausgedrückt durch die Gleich-
dul E oder die thermische Ausdehnungszahl Dt von maßdehnung, ist daher ein wesentlicher Werkstoff-
Bedeutung ist, spielt bei Grenzzuständen der Trag- parameter für die Höhe der plastischen Beanspruch-
fähigkeit eine ganze Reihe von in den Werkstoff- barkeiten beim Knicken, Platten- und Schalenbeulen.
normen spezifizierten Werkstoffeigenschaften eine Die Gleichmaßdehnung ist stark von der Streck-
Rolle (Tabelle 3.4-1). grenze abhängig und liegt zwischen ca. 22 % bei
Normale Stahlbauten wie Hochbauten, Brücken niedrigfesten und ca. 2 % bei ultrahochfesten Bau-
und Maste werden für normale Temperaturen be- stählen. Demgemäß muß die konstruktive Gestal-
messen, und die Tragfähigkeiten R sind aufgrund tung von Bauteilen aus hochfesten Baustählen mehr
von Versuchen ermittelt worden, die im Labor bei auf das begrenzte plastische Dehnvermögen einge-
Raumtemperatur unter Voraussetzung von Hochla- hen als bei niedrigfesten Baustählen.
geverhalten durchgeführt wurden. In der Regel wird bei der Bemessung nicht über
Um diese Voraussetzung auch bei niedrigen die plastische Beanspruchbarkeit fy mit Rücksicht
Temperaturen sicherzustellen, ist ein zusätzlicher auf die Begrenzung der Bauteilverformungen hin-
Sicherheitsnachweis gegen Sprödbruch erforder- ausgegangen, außer in einzelnen beschränkten Be-
lich. Dieser erfolgt selten explizit anhand der spe- reichen, z. B. im Bereich von Nettoquerschnitten
zifizierten Werkstoffzähigkeiten (s. 3.4.3.2), son- geschraubter Anschlüsse, wenn das lokale Fließen
dern i. d. R. durch geeignete Stahlgütewahl (z. B. in diesen Anschlüssen keine große Wirkung auf die
3.4 Stahlbau 1181
Abb. 3.4-17 Elemente des bruchmechanischen Tragsicherheitsnachweises unter Berücksichtigung des Dehnratenein-
flusses (DASt-Richtlinie 009)
gung über eine Strecke von etwa einem Viertel der Nachweisspannungen vernachlässigt und ein loka-
gesamten Lebensdauer des Bauwerks bis zum Er- ler plastischer Spannungsausgleich oberhalb der
kennen bei den Bauwerksinspektionen wachsen Fließdehnungen mit der Folge der Vergleichmäßi-
kann, Tabellen für zuverlässige Blechdicken abhän- gung der Spannungen unterstellt.
gig von Stahlgüte, Temperatur TEd und Beanspru- Die Nachweise berücksichtigen auch keine Eigen-
chungshöhe in EN 1993-1-10 entwickelt worden. spannungen. Wie schon bei den Nennspannungen
Bei einer Stahlgütewahl nach dieser Tabelle ist wird unterstellt, dass diese bei Überschreitung der
Sprödbruchsicherheit und ausreichende Schadens- Streckgrenze herausplastizieren. Die Eigenspannun-
toleranz des Bauteils bei Auftreten von rissähn- gen sind nur mittelbar in den Festigkeitsfunktionen
lichen Fehlern erreicht. für druckbeanspruchte Bauteile berücksichtigt, wo
sie bei ungünstigem Vorzeichen eine Reduktion
der Tragfähigkeit bewirken können. Ihr Einfluss ist
3.4.3.3 Tragsicherheit bei Normaltemperatur
auch in der Größe der geometrischen Ersatzimper-
Die Tragsicherheitsnachweise bei Normaltempera- fektion, die anstelle genauerer struktureller und ge-
tur werden als Festigkeitsnachweise im Hochla- ometrischer Imperfektionsansätze bei der Berech-
genbereich der Zähigkeit geführt. Die Modelle für nung der Tragfähigkeit druckbeanspruchter Bauteile
die Nachweise zielen darauf ab, die Maxima der angesetzt werden, enthalten.
Lastverformungskurven möglichst realitätsnah zu Die Nachweise arbeiten auch mit vereinfachten
erfassen, um infolge kleinerer Streuungen wirt- statischen Modellen für das wirkliche Tragwerk,
schaftlichere Ergebnisse zu bringen. Daher enthal- z. B. Fachwerke mit angenommenen Gelenken in
ten die Modelle die Wirkungen von Werkstoff- den Knoten statt wirklicher kontinuierlicher Knoten-
nichtlinearitäten und geometrischen Nichtlineari- ausbildung, da sekundäre Zwängungsmomente an
täten [Petersen 1994; Roik 1978; Hirt/Bez 1998]. den Knoten infolge der Fachwerkverformung wegen
Die Nachweise werden hauptsächlich mit „Nenn- plastischen Ausgleichs vernachlässigt werden.
spannungen“ geführt. Damit werden die Wirkungen Diese vereinfachten Berechnungsansätze mit
von Dehnungsspitzen, die aus Löchern, Ausschnit- plastischem Spannungsausgleich gelten nur für die
ten, ungleichen Lastverteilungen in Schrauben oder Tragsicherheitsnachweise; für Ermüdungsnachweise
Schweißnähten u. ä. herrühren können, auf die müssen dagegen die Spannungsschwingbreiten unter
3.4 Stahlbau 1185
Abb. 3.4-18 Nachweismöglichkeiten bei höherer Temperatur [Verein Deutscher Eisenhüttenleute 1992]
(3.4.15)
indem die relativen Zeitanteile als Schädigungen ad-
diert werden (Abb. 3.4-19). Bei höheren Frequenzen
der Spannungsänderungen, für die Ermüdungsschä- Angaben zum Grenzwert L sind in den Vorschriften
digungen nach der Miner-Regel auftreten können, zu finden.
verhalten des Gebäudes in dieser Brandsituation Ta,t maßgebende Bauteiltemperatur; das ist die
zu prüfen [Schleich 1998]. Bauteiltemperatur, die bei ISO-Brand nach
Im Jahr 2010 schien der Nationale Anhang zu EN der in den Brandschutzanforderungen festge-
1991-1-2, in dem auf der Grundlage eines neuen Si- legten Zeit, (z. B. 30 min für F30) oder bei
cherheitskonzeptes die Raumtemperaturentwicklung Naturbrand nach Ablauf der äquivalenten
im Brandfall berechnet werden kann. Branddauer erreicht wird.
Der Brandfall gilt als außergewöhnlicher Last- Tcrita kritische Temperatur, die direkt aus dem Aus-
fall mit den mechanischen Einwirkungen EdT aus nutzungsgrad des betrachteten Bauteils be-
ständigen Lasten, Nutzlasten und Verformungen, stimmt wird.
denen der Bauwerkswiderstand RdT entgegenzuset-
zen ist, der durch die thermische Einwirkung, die Bei den etwas eingehenderen „Tragfähigkeitsver-
Temperatur T, vermindert ist. fahren“ wird das betrachtete Bauteil für die maß-
Abbildung 3.4-20 gibt einen Überblick über die gebende Bauteiltemperatur festigkeitsmäßig unter-
in den Eurocodes angebotenen drei Berechnungs- sucht, indem
verfahren, die ein unterschiedliches Eingehen auf
die bauliche Situation erfordern. (3.4.17)
Das einfachste „Tcrit-Verfahren“ verlangt
gefordert wird. Hierbei sind Efi,d die Schnittgrößen
(3.4.16) aus dem außergewöhnlichen Lastfall und Rfi,d,t die
Bauteilwiderstände zum Zeitpunkt t des Brandes,
mit die in weitgehender Analogie zur „kalten Bemes-
sung“ bei der „warmen Bemessung“ mit infolge lineare Rotationskurve angesetzt wird, bei der die
der Temperatur zum Zeitpunkt t abgeminderten Beanspruchbarkeit des Gelenks als vom Rotations-
Steifigkeiten und Streckgrenzen ermittelt werden. winkel unabhängige konstante Größe angesehen
Die weitestgehende Methode ist das „Erweiterte wird. Das Rotationsplateau ist allerdings durch die
Berechnungsverfahren“, bei dem das Erwärmungs- Rotationskapazität Mrot begrenzt, die meist als be-
verhalten des gesamten Gebäudes bei Brand an ei- zogene Größe RR = Mrot/Mel – 1 ausgedrückt wird.
ner bestimmten Stelle in einem Zeitschrittverfah- Bei Anwendung des speziellen Fließgelenk-
ren simuliert wird. Ebenso wird zu jedem Zeitpunkt nachweises für die Tragfähigkeitsbestimmung ist
für die gerade erreichte Temperatur die Tragfähig- deshalb ein zusätzlicher Rotationsnachweis für die
keit des Gebäudes an jeder Stelle überprüft. Die aktiven Gelenke RE dRR unumgänglich, da der Ro-
Berechnung wird beendet, wenn das Ende der tationsnachweis nicht wie beim allgemeinen Fließ-
Brandkurve erreicht wird oder wenn das Tragwerk gelenkverfahren im Verfahren selbst enthalten ist.
versagt. Bei Tragwerksversagen interessiert, ob Um einen solchen zusätzlichen Rotationsnach-
die erforderliche Feuerwiderstandsdauer erreicht weis einzusparen, sind vorneweg für verschiedene
wurde. Tragwerke Rotationsuntersuchungen durchgeführt
worden, die zu einer Klassifizierung von Quer-
schnitten und Verfahren geführt haben. Für die
3.4.4 Tragfähigkeitsnachweise Begrenzung der Rotationsfähigkeit von Bauteilen
oder Anschlüssen sind nämlich im Hochlagen-
3.4.4.1 Tragfähigkeit von Tragwerken bereich der Zähigkeit des Werkstoffs und bei
Kapazitätsbemessung der Schweißverbindungen
Die Tragfähigkeitsnachweise für die gewöhnlichen die Beulbedingungen der mit Druck beanspruchten
Belastungssituationen sind i. d. R. Nachweise für Querschnittsteile und Komponenten verant-
statische Belastungen, d. h., Eigengewicht, Nutz- wortlich, die am besten durch die b/t-Verhältnisse
lasten, Schnee und Wind werden so aufgefasst, als der Beulfelder ausgedrückt werden können (Abb.
würden sie ständig wirken. Ein für solche Lasten 3.4-23).
möglichst wirklichkeitsnah geführter Nachweis Abbildung 3.4-24 zeigt den Verlauf der plasti-
orientiert sich wieder an dem Versuch (s. 3.4.2.3), schen Anteile der Momenten-Rotationskurven
den man mit dem Tragwerk unter den Bemessungs- abhängig von den Querschnittsklassen, die nach
werten der Lasten und der Beanspruchbarkeiten Abb. 3.4-25 von den b/t-Verhältnissen abhängig
durchführen könnte. sind.
Das in den Versuchen beobachtete Verhalten der Abbildung 3.4-25 zeigt auch die unterschied-
Bauteile des Tragwerks geht in das Gesamtverhal- lichen Tragfähigkeiten, die für die verschiedenen
ten des Tragwerks ein, z. B. das Momenten-Rotati- Querschnittsklassen gelten. Tabelle 3.4-2 gibt eini-
onsverhalten von Biegeträgern. Abbildung 3.4-21 ge Zahlenwerte für b/t-Verhältnisse für die verschie-
zeigt beispielsweise, wie aus den Momenten-Rota- denen Querschnittsausnutzbarkeiten und Rechen-
tionskurven der Elementarträger eines Durchlauf- verfahren an. Auf die Eigenschaften von Anschlüs-
trägers die Momenten-Rotationskurve des Durch- sen hinsichtlich der Verformungen und Rotation
laufträgers zusammengesetzt und so die Trag- wird in 3.4.4.5 eingegangen.
fähigkeit bestimmt werden kann [Hoffmeister Von der praktischen Seite her wird immer das
1998]. elastische Berechnungsverfahren mit Annahme
Die einfachste Bestimmung der Tragfähigkeit elastischer oder plastischer Querschnittswiderstän-
erfolgt mit dem allgemeinen Fließgelenkverfahren, de (also Klasse 2 oder Klasse 3) der erste Ansatz
bei dem nur die „plastischen“ Anteile der Mo- bei der Vorbemessung sein, da die Fließgelenkver-
menten-Rotationskurven verwendet und als Eigen- fahren für Klasse-1-Querschnitte und die Verfah-
schaften von Fließgelenken gedeutet werden (Abb. ren für die Berechnung der Beanspruchbarkeiten
3.4-22). Daraus hat sich das spezielle Fließgelenk- für Klasse-4-Querschnitte bereits nähere Vorstel-
verfahren entwickelt, bei dem anstelle der wirk- lungen von den Abmessungen der Querschnitte
lichen „plastischen“ Rotationskurve eine ideelle voraussetzen.
1188 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
Abb. 3.4-21 Zusammensetzung der J-M-Kurve eines Tragwerks aus den J-M-Kurven der Elementarträger [Hoffmeister 1998]
Abb. 3.4-22 Gesamtrotationskurven und Rotationskurven für die plastischen Anteile Mplast
(3.4.18)
(3.4.19)
Abb. 3.4-23 Verhältnisse b/t und h/t druckbeanspruchter
Querschnittsteile als Maßzahlen für Beulanfälligkeit und
Rotationsverhalten ausgedrückt werden, wobei
Abb. 3.4-24 Beispiele für die plastischen Anteile von Momenten-Rotationskurven und Zuordnung zu den Querschnitts-
klassen
1190 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
Tabelle 3.4-2 Grenzverhältnisse b/t für Druckflansche für verschiedene Berechnungsverfahren und Querschnittsausnut-
zungen
Abb. 3.4-26 Last-Verschiebungsfigur des Tragwerks unter der Last Jp bis zur Bildung der Fließgelenkkette mit den
plastischen Momenten Mpl. Ju ist der Quotient der virtuellen Arbeiten Am der Fließgelenke und Ap der äußeren Lasten
. (3.4.22)
Abb. 3.4-28 Ermittlung des Verhältnisses 'MEdI/MEdI aus Momenten MEdI und Verformungen <iI nach Theorie 1. Ord-
nung über fiktive Horizontalkräfte Hfikt = NEd<iI
Abb. 3.4-29 Last-Verformungsfigur des Tragwerks unter der Last Jp bis zum Erreichen des Maximums ({ Ju), hier iden-
tisch mit der Bildung der Fließgelenkkette mit den plastischen Momenten Mpl
Abb. 3.4-30 Geometrische Ersatzimperfektionen für Einzelstäbe oder Stockwerksrahmen in der Haupttragebene nach
EN 1993-1-1
3.4.4.4 Nachweise für Bauteile Versuchsdefinitionen ergeben. Für Seile gilt ge-
und Verbindungen genüber der Seilbruchkraft JMSeil = 2,40.
Zugstab – Querschnittsnachweise
Zentrisch belastete Druckstäbe –
Für Zugstäbe gilt ein Doppelnachweis für die Quer- Bauteilnachweise
schnitte: Aus Druckstabversuchen sind mit dem Modell des
imperfekten Stabes die Europäischen Knickkurven
1. Sicherheit gegen die Fließlasten des Gesamtsta-
hergeleitet worden (EN 1993-1-1), die im Bereich
bes, –
ON 0,2 die plastische Quetschlast ermöglichen und
2. Sicherheit gegen lokalen Bruch. –
für ON > 0,2 den Imperfektionseinfluss beschreiben:
Die Fließlast wird mit der Streckgrenze ermittelt:
(3.4.28)
(3.4.26)
mit
Auswertungen von Werten Npli, die aus der Mes-
sung von Ai für Walzprofile, Stabprofile und Bleche
und den gleichzeitig vorhandenen Streckgrenzen
fyi herrühren, zeigen, dass bei Bezug auf die Nenn-
werte für Npl , JM0=1,00 angesetzt werden darf.
Für den Bruchlastnachweis gilt
(3.4.27)
Für die Nachweise ist
(3.4.31) (3.4.32)
Biegeträger – Querschnittsnachweise
Biegeträger sind durch Biegemomente MId und
Querkräfte VId belastet. Bei den Tragsicherheits-
nachweisen kann nach
mit
(3.4.36)
(3.4.38)
mit
(3.4.34)
(3.4.39)
(3.4.35)
mit
verwendet werden, bei denen die über die Quer-
schnittsteile AV konstant angenommene Spannungs-
verteilung aus dem Ansatz konstanter Schubver-
formungen herrührt (z. B. über den Steg). Dieser
Ansatz ist dadurch gerechtfertigt, dass die maxima- in den betroffenen Teilen AV berücksichtigt werden.
len Spannungen VEd und WEd nicht an gleicher Stel- Dabei berücksichtigt der ȡ-Wert, der erst bei VEd/
le auftreten und eine lokale Überschreitung der Vpl,Rd > 0,5 anspringt, dass die Inanspruchnahme der
Streckgrenze keinen wesentlichen Einfluss auf die Wiederverfestigung nach lokalem Durchschreiten
Bauteilverformungen hat. des Fließplateaus lokal möglich ist.
Für die Interaktion von Schub und Biegung Zu beachten ist, dass die plastische Interaktion
gilt nur angewendet werden darf, wenn Theorie-2.-
1196 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
Ordnung-Effekte aus Torsion konstruktiv vermie- Hierbei ist Șcrit,Fl der Verlauf der Eigenform des
den sind. gedrückten Flansches, die aus der Eigenform
des gesamten Trägers (Șcrit, ijcrit) beim Biege-
Biegeträger – Bauteilnachweise drillknicken resultiert.
Biegeträger-Bauteilnachweise decken folgende Mit dem Ansatz dieser Vorimperfektion
Effekte ab: kann bei Anwendung von FE-Methoden mit
einem Querschnittsnachweis des Flansches an
1. Vergrößerung von Biegemomenten zwischen
der ungünstigsten Stelle sowohl der Biegedrill-
den Stabenden, die durch Stabimperfektionen
knickfall als auch der Fall von Biegedrillkni-
und Theorie 2. Ordnung bedingt sind. Dieser
cken mit zusätzlicher Belastung quer zur Haupt-
Fall tritt besonders bei Biegeträgern mit Druck-
tragebene (Querbiegung und Torsion) behandelt
kraft auf, wenn durch die Querschnittsausbil-
werden.
dung (torsionssteife Hohlprofile) oder kons-
truktive Maßnahmen (Stützung) Torsionsver-
2. Der Nachweis mit FE-Methoden kann sich aber
drehungen verhindert sind.
auch auf die Ermittlung des Lasterhöhungsfak-
2. Biegedrillknicken in Richtung der schwachen
tors Įcrit, der an der äußeren Belastung in der
Achse des Biegeträgers, wenn der Biegeträger
Haupttragebene anzubringen ist, um den Ver-
planmäßig nur in der Hauptachsenrichtung be-
zweigungspunkt Biegedrillknicken zu errei-
ansprucht wird.
chen, beschränken.
Für die Berücksichtigung dieser Effekte gibt es Der Querschnittsnachweis kann dann mit
mehrere Verfahren: Biegedrillkurven durchgeführt werden, die aus
den Biegeknickkurven abgeleitet werden.
1. Wird der Schnittgrößenverlauf in der Haupttra- Die für den Querschnittsnachweis erforder-
gebene des Biegeträgers von vornherein mit liche Tragfähigkeit lautet:
Theorie 2. Ordnung gerechnet, so dass nur das
stabilitätsbedingte Ausweichen quer zur Haupt- für (3.4.41)
tragebene interessiert, so kann für dieses Aus-
weichen eine geometrische Ersatzimperfektion
angesetzt werden, die der Eigenform (Șcrit, ijcrit) für
des Biegedrillknickfalles entspricht. Die maxi-
male Amplitude der Krümmung beträgt an der mit
Stelle des gedrückten Flansches
ȕw Beiwert für den effektiven Querschnitts-
. (3.4.40) wert, z. B. für I-Träger, ȕw = 1,14 für
Querschnittsklasse 1 und 2, ȕw = 1,0 für
3.4 Stahlbau 1197
Querschnittsklasse 3 und ȕw < 1,0 für gebenden Stelle xd bietet EN 1993-1-1 auch
Querschnittsklasse 4, eine Näherung mit einem Nachweis an der Stel-
ȖM0, ȖM1 Teilsicherheitsbeiwerte, deren Betrag le x mit der höchsten Beanspruchung in der
im Nationalen Anhang festgelegt ist, Haupttragebene an, z. B. an der Stelle x = 0 bei
z. B. ȖM0 = 1,00, ȖM1 = 1,10, ungleichen Randmomenten. Dazu wird der Kur-
ȤM Abminderungsbeiwert entsprechend der venverlauf wie folgt modifiziert:
Biegedrillknickkurve.
(3.4.42)
Hierbei gelten:
–
ȜM, 0 = 0,4
mit ȕ = 0,75
f =
.
mit kc nach Tabelle 6.6 in EN 1993-1-1.
(3.4.43)
4. Für Biegeträger mit gleichzeitiger Wirkung von
Hierbei ist Biegemoment und Druckkraft kann das Biege-
knicken und Biegedrillknicken aus der Haupt-
ĮM = der Imperfektionsfaktor für den Flansch,
tragebene heraus einfach dadurch erfasst wer-
gemäß EN 1993-1-1 Tabelle 6.2 für Knicken
den, dass die Werte Įult, k und Įcrit für die gleich-
rechtwinklig zur z-z-Achse
zeitige Wirkung Ed von Biegemoment und
Druckkraft ermittelt werden,
–
so dass ein ein-
ziger Schlankheitswert ȜLT herauskommt. Die
Nähe der Biegedrillknickkurve zur Biegedrill-
knickkurve wird einfach durch das Verhältnis
Įult, k Lasterhöhungsfaktor, um das Moment ȕw
Wel, y fy zu erreichen, gesteuert. Der Nachweis lautet dann mit
Įcrit Lasterhöhungsfaktor, um das kritische Mo-
dem ȤLT -Wert
ment Mcrit zu erreichen,
Į*crit Lasterhöhungsfaktor, um das kritische Mo-
. (3.4.45)
ment M *crit bei Vernachlässigung der
St. Venant’schen Torsionssteifigkeit zu er-
reichen.
Eine zusätzliche Belastung quer zur Haupttrag-
Der Quotient , der den Imperfektionsfak- ebene in Form von Biegung und Torsion kann
durch Erweiterung von Gl. (3.4.45) z. B. mit
tor ĮM abmindert, gibt an, wie weit sich die Bie- folgender Näherung erfasst werden [Naumes
gedrillknickkurve ȤM von der Biegeknickkurve 2010]:
ȤN entfernt.
3. Anstelle des Nachweises mit dem durch -
modifizierten Imperfektionsbeiwert Į an der maß- (3.4.46)
1198 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
5. In EN 1993-1-1 wird zusätzlich zu dem Nach- 2. die Wirkung wirksamer Breiten aus der Beulen-
weis (3.4.45) eine alternative Nachweismetho- bildung in gedrückten Gurtteilen,
de mit einer Interaktion zwischen Biegeknicken 3. die Bildung effektiver Breiten aus der Interaktion
und Biegedrillknicken angeboten: von mittragenden Breiten und wirksamen Breiten.
1. die Wirkung der mittragenden Breite aus der angewendet, die zur Berücksichtigung des Ein-
Schubverzerrung breiter Gurte, flusses des Spannungsgradienten \ in [Maquoi/ de
3.4 Stahlbau 1199
Abb. 3.4-33 Interaktion von mittragender Breite aus Schubverzerrung und wirksamer Breite infolge Beulens nach
DIN EN 1993-1-5 [Johansson/Maquoi u. a. 1999]
1200 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
Abb. 3.4-34 Flussdiagramm zur Bemessung von Blechfeldern nach DIN EN 1993-1-5 [Johansson/Maquoi u. a. 1999]
3.4 Stahlbau 1201
Abb. 3.4-35 Ermittlung effektiver Querschnittswerte für Klasse-4-Querschnitte [ECCS 1991] (Druck positiv)
Ville de Goyet 1999] entsprechend Abb. 3.4-36 Für die Querschnittsinteraktion gilt die Formel
verbessert wurde. Bei nicht voller Ausnutzung der für elastische Spannungsverteilung, also wie bei
Streckgrenze fy darf die Plattenschlankheit um Klasse-3-Querschnitten, jedoch mit den abgemin-
derten Tragfähigkeiten
(3.4.50)
Abb. 3.4-36 Formel für die wirksame Breite nichtausgesteifter Bleche [Maquoi/de Ville de Goyet 1999]
wobei der Bestimmung der Abminderungsbeiwerte 2. Ermittlung des Lasterhöhungsfaktors Dcrit, der zu
EA, Ewy und Ewz die jeweils zutreffende Verteilung Beulversagen des Beulfeldes bei hyperelasti-
der wirksamen Breiten zugrunde liegt. schem Verhalten des Beulfeldes führt,
Tritt bei der Ermittlung der effektiven Fläche 3. Ermittlung der Gesamtschlankheit
EA · A eine Achsenverschiebung eyN oder ezN auf, so
und des Abminderungsfaktors-
sind diese als Exzentrizitäten für NEd bei der Er-
mittlung der Biegemomente MyEd und MzEd zu be- F aus der zugehörigen Beulkurve (EN 1993-1-5),
rücksichtigen. 4. Ermittlung der Sicherheit Ju = FDult,k JM1
Bei der Ermittlung der Schubbeulsicherheit hängt
die Plattenschlankheit davon ab, ob die Bleche längs Dieses Verfahren ist besonders vorteilhaft bei
und quer, nur quer oder gar nicht ausgesteift sind. Stegblechen, die nicht den Voraussetzungen des
Die Plattenbeulformel für Schub unterscheidet, ob dreisträngigen Berechnungsmodells entsprechen,
sich im Steg eine Zugkraft bilden kann, die in biege- z. B. mit regelmäßigen und unregelmäßigen Aus-
steifen Endpfosten verankert werden kann (steife schnitten.
Endpfosten) oder nicht (verformbare Endpfosten).
Auch die Vergrößerung der Schubtragfähigkeit durch
3.4.4.5 Verbindungsmittel und Anschlüsse
steife Flansche kann berücksichtigt werden.
Beulen infolge eingeleiteter Querlasten wird für Allgemeines
drei verschiedene Einleitungsmuster behandelt und Tabelle 3.4-4 gibt eine Übersicht über verschie-
erfordert eine dritte Plattenbeulkurve. dene Verbindungstechniken. Davon sind die häu-
Anstelle des Nachweises mit den vorerwähnten figst verbreiteten Techniken das Schweißen und
drei verschiedenen Nachweissträngen, die jeweils das Schrauben. Die Überlegungen zum Einsparen
–
eigene Schlankheitswerte Op und eigene Beulkurven von Montageaufwand führen aber zunehmend zu
definieren, kann auch mit dem Spannungsfeld bei Techniken, bei denen die Montageschritte
gleichzeitiger Wirkung von VxEd, WEd und VyEd ohne
– Ausrichten,
Aufteilung in die Nachweisstränge gerechnet wer-
– Absetzen und Sichern,
den, wenn mit Finiten Elementen nach folgendem
– Verschlossern
Schema vorgegangen wird:
durch geeignete konstruktive Ausbildungen be-
1. Ermittlung des Lasterhöhungsfaktors Dult,k, der schleunigt werden. Das führt zu Schnellverbin-
zu plastischem Versagen des Beulfeldes ohne Be- dungen mit geringen Kranhaltezeiten und Ver-
rücksichtigung von Beulverformungen führt, schlosserungsaufwand wie in Abb. 3.4-37 (weitere
3.4 Stahlbau 1203
Die aus den Versuchsauswertungen ermittelten Schrauben, die im Hinblick auf Abscher- oder
Bemessungsfunktionen in Tabelle 3.4-8 stehen in Lochleibungsversagen bemessen werden, bilden
Zusammenhang mit den Randabständen e und den Scherlochleibungs (SL)-Verbindungen. Diese wir-
Lochabständen p, die mit folgenden Mindest- und ken i. d. R. mit Spiel 1 bis 3 mm, können aber auch,
Höchstwerten für die Konstruktion spezifiziert z. B. bei Belastungen mit Richtungsumkehr, als
sind: Passschrauben mit sehr kleinem Spiel (Toleranzen
H11/h11 entsprechen einem Spiel von 0,2 mm)
eingesetzt werden.
Hochfeste SL-Schrauben werden auch vorge-
spannt, um einen festen Sitz der Muttern zu erzie-
len. Vorsicht ist bei kleinen Klemmlängen und
(3.4.52) Vorspannung über Beschichtungen und Überzügen
angebracht, bei denen Vorspannverluste durch
In Tabelle 3.4-9 sind für empfohlene Abstände, die Kriechen der Beschichtungen und Überzüge auf-
zu hoher, mittlerer oder niedriger Tragfähigkeit treten können [Katzung/Pfeiffer/Schneider 1996].
führen, die charakteristischen Festigkeiten für 10- Die Vorspannung der hochfesten Schrauben ist
mm-Bleche angegeben. u. a. bei Zug-(Z)-Verbindungen sinnvoll, da die
1206 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
Vorspannung eine Kompression der vorgespannten auf die vorgespannte Fuge. Das Kleinhalten der
Fuge erzeugt, die in ihrer gesamten Fläche die an- Schraubenbelastung aus Ft,Ed ist besonders wich-
gelegte Zugbelastung bis zur Dekompression über- tig, wenn Ft,Ed zu ermüdungswirksamen Lastspie-
nimmt und dadurch die Schraubenbelastung aus len ¨Ft führt, da die Ermüdungsfestigkeit im
äußerer Zugbelastung klein hält [Katzung et al. Schraubengewinde klein ist (s. Abb. 3.4-43).
1996]. Abbildung 3.4-39 zeigt ein typisches Kom- Sind die Kontaktflächen für Gleitfestigkeit vor-
pressionsdiagramm infolge der Vorspannkraft Fp,cd bereitet (s. Tabelle 3.4-10), dann kann die vorge-
und die Aufteilung der außen angelegten Zugbelas- spannte Verbindung als Gleitfeste-Vorgespannte
tung Ft,Ed in die Zuganteile auf die Schrauben und (GV)-Verbindung eingesetzt werden, die die Ab-
3.4 Stahlbau 1207
Abb. 3.4-39 Vorspannungsdiagramm und Wirkung von Zugkräften Ft,Ed auf den Gleitwiderstand FS,Rd
scherkräfte in den Fugen nicht über die Abscher- Tabelle 3.4-11 Kategorien für geschraubte Anschlüsse
festigkeit im Schraubenschaft, sondern durch Rei-
bung in der Kontaktfläche überträgt. Dabei wird
danach unterschieden, ob die Gleitfestigkeit nur
als Gebrauchstauglichkeitsforderung besteht und
nach dem Rutschen oberhalb der Gebrauchsgren-
zen die SL-Verbindung für die Tragfähigkeit an-
springen kann oder ob GV-Eigenschaften auch für
den Tragsicherheitsnachweis gefordert werden. Im
letzten Fall darf im Grenzzustand der Tragfähig-
keit kein Fließen im Nettoquerschnitt des Grund-
werkstoffs auftreten, da infolge der mit dem Flie- Tabelle 3.4-11 gibt einen Überblick über die
ßen verbundenen Querkontraktion die Vorspan- möglichen Schraubenkategorien je nach Behand-
nung abfallen würde. Abbildung 3.4-39 zeigt auch, lung von Schrauben, Kontaktfuge und Einsatz-
wie die Gleitfestigkeit der Verbindung FS,Rd bei ei- zweck.
ner angelegten Zugbelastung Ft,Ed abfällt. Das ausgeprägte plastische Last-Verformungs-
Methoden zur Aufbringung der Vorspannung, vermögen von SL-beanspruchten Schrauben macht
deren Mindestwert Fp,cd = 0,7 · fub · AS erreicht wer- es möglich, bei der Tragsicherheitsbemessung von
den muss, sind das Drehmomentenverfahren mit de- Schraubengruppen von einfachen elastischen oder
finiertem Drehmoment, das Drehwinkelverfahren plastischen Lastverteilungsmodellen auszugehen.
mit definiertem Drehwinkel nach festem Anziehen Abbildung 3.4-40 zeigt solche Modelle für die Be-
und das kombinierte Verfahren, siehe EN 1090-2. anspruchung von Schraubengruppen durch Mo-
1208 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
mente, Zug, Druck oder Querkräfte oder durch eine erhebliche Hebeleffekte auf, die die Schrauben-
Kombination von Querkräften und Momenten. kräfte vergrößern. Daher ist besonders bei Ermü-
Grenzen für die Anwendung solcher vereinfachten dungsbelastung ¨Ft darauf zu achten, dass der Fall
Modelle treten nur dann auf, wenn Grenzen der Ver- A realisiert wird.
formungsfähigkeit erreicht werden (Abb. 3.4-41).
Die vorgenannten elastischen und plastischen Träger-Stützen-Verbindungen
Modelle gelten auch im Grenzzustand der Trag- Die früheren Methoden zur Dimensionierung von
sicherheit für GV-Verbindungen des Typs C, da die Schraubenverbindungen wurden von Nietkonstruk-
plastischen Ausgleichsmöglichkeiten durch Rut- tionen abgeleitet. Dabei war das schrittweise Vor-
schungen einzelner Schrauben erreicht werden. gehen:
Bei Z-Verbindungen mit nicht vorgespannten
– Berechnung der Schnittgrößen an der Stoßstelle,
Kopfplatten ist gemäß Abb. 3.4-42 besonders darauf
– Aufteilung der Kräfte aus den Schnittgrößen auf
zu achten, daß – bedingt durch die Verbiegemög-
einzelne zu stoßende Bauteile,
lichkeit der Kopfplatte – Hebelkräfte Q auftreten
– Stoß dieser Bauteile derart, dass Festigkeits- und
können, die die Schrauben über die angelegten Zug-
Steifigkeitskontinuität besteht.
kraft FtEd hinaus belasten können. Nur eine steife
Kopfplatte, die zu vollständiger Klaffung der Fuge Wendet man dieses Vorgehen auf eine Rahmenecke
führt, kann die Hebelkräfte vermeiden. an, so erhält man zwangsläufig Aussteifungen und
Sind die Kopfplatten vorgespannt (Abb. 3.4-43), Detailverstärkungen (Abb. 3.4-44).
so hängt die Frage, ob dies zu einer Entlastung der Von Offshore-Konstruktionen ist für das Kons-
Schrauben führt, im Wesentlichen davon ab, wo truieren mit Hohlprofilen eine andere Vorgehens-
sich die komprimierten Flächen befinden: Liegen weise übernommen worden. Man gibt nicht die
diese auf der direkten Linie des Lastdurchgangs, Kräfte vor und konstruiert danach, sondern gibt
dann sind die Schrauben entlastet (Fall A). Liegen wirtschaftliche steifenlose Konstruktionen vor und
diese dagegen am Plattenrand (Fall B), so treten fragt nach deren Festigkeit (Abb. 3.4-45). Abbildung
3.4 Stahlbau 1209
Abb. 3.4-41 Begrenzung der Tragfähigkeit von langen Schraubenverbindungen oder bei Exzentrizitäten
Abb. 3.4-42 Kräfteverteilung bei zugbeanspruchten Kopf- Abb. 3.4-43 Einfluss der Gestaltung von Kopfplattenver-
plattenverbindungen bindungen auf die Zugbeanspruchung der Schrauben
1210 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
3.4-46 zeigt ähnlich ausgebildete steifenlose Walz- die sogenannte Momenten-Rotationskurve aufge-
trägerverbindungen. nommen wird (Abb. 3.4-48). Man erhält typische
Während sich bei Fachwerken die Steifenlosig- Kurven für bestimmte Verbindungstypen, die ne-
keit in Knoten im Wesentlichen in geringerer Festig- ben der Tragfähigkeit MRd auch Aufschluss über
keit niederschlägt und die lokalen elastischen und Anfangssteifigkeit und Rotationsverhalten geben.
plastischen Verformungen bei ausreichender Be- Durch Vergleich mit der Tragfähigkeit Mpl des an-
messung der Schweißnähte genügen, um die der Be- geschlossenen Trägers erhält man zunächst eine
rechnung zugrunde gelegten Bedingungen für Ge- erste Klassifizierungsmöglichkeit nach der Tragfä-
lenkfachwerke herzustellen, entstehen bei Rahmen- higkeit, nämlich in gelenkige Verbindungen, voll-
knoten neben dem lokalen Festigkeitsabfall auch tragfähige Verbindungen und die dazwischen lie-
lokale Winkelverformungen in den Verbindungen, gende Teiltragfähigkeit.
die einen erheblichen Beitrag zur Gesamtverfor- Die zweite Klassifizierungsmöglichkeit betrifft
mung liefern können und damit die Verteilung der die Steifigkeit, wobei sich die elastische Ini-
Schnittgrößen beeinflussen können (Abb. 3.4-47). tialsteifigkeit als zweckmäßig für die Klassenbil-
Die Beschreibung des Verbindungsverhaltens dung herausstellt (Abb. 3.4-49); für eine bilineare
erfolgt anhand von Bauteilversuchen, bei denen Approximation der Momenten-Rotationskurven
die Beziehung zwischen Moment und Verdrehung, wird natürlich eine geringere Sekantensteifigkeit
3.4 Stahlbau 1211
Abb. 3.4-48 Klassifizierung von Anschlüssen nach Tragfähigkeit gemäß der Momenten-Rotationskurve
verwendet. Die Steifigkeitsklassifizierung geht aus formbar“, also einer Steifigkeit so groß wie nö-
Abb. 3.4-50 hervor, wobei nach seitlich unver- tig, eine Gestaltungsoptimierung im Hinblick auf
schieblichen und seitlich verschieblichen Rahmen- ausreichende Festigkeit vorgenommen.
elementen unterschieden wird. Die Bewertung der – Es wird mit Steifigkeits- und Festigkeitsvariati-
Initialsteifigkeit der Verbindung erfolgt durch Be- onen optimiert und dazu die Verformung der Ver-
zug auf die Steifigkeit der angeschlossenen Träger. bindungen in das statische Modell für das Gesamt-
Die Grenzkurven für „starr“, „verformbar“ und tragwerk einbezogen. Das kann zu einem Opti-
„gelenkig“ erlauben eine rasche Einteilung. mum einer verformbaren Verbindung an der Gren-
Die Kostenoptimierung für steifenlose Verbin- ze zwischen „verformbar“ und „gelenkig“ führen.
dungen kann also folgende Wege gehen [Weynand – Es wird planmäßig mit dem Auftreten plastischer
1997; Dt. Stahlbau-Verband 2000; EN 1993-1-8]: Gelenke an den Verbindungen gerechnet.
– Es wird wie bisher die Anforderung nach „star- Für die einfache Bestimmung der Festigkeits- und
rer“ Verbindung beibehalten und mit einer Stei- Steifigkeitseigenschaften von Verbindungen exis-
figkeit an der Grenze zwischen „starr“ und „ver- tieren einfache Berechnungsmodelle in EN 1993-
1212 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
Tabelle 3.4-12 Beispiele aus dem Katalog von Verbin- turen der Nahtvorbereitung ergibt (Abb. 3.4-54).
dungstypen in prEN 1993-1-8 Bei durch Schweißverfahrensprüfung belegtem
größeren Einbrand darf die Nahtdicke auch einen
Teil der Einbrandtiefe mit berücksichtigen. Die
Nahtfestigkeit bezieht sich auf den durch die Naht-
dicke a und die Nahtlänge " aufgespannten Naht-
querschnitt (Abb. 3.4-55).
Für die Ermittlung der Beanspruchung gibt es
zwei Verfahren (EN 1993-1-1):
1. Ein Verfahren, das unabhängig von der Ausrich-
tung des Nahtquerschnitts zur Kraft ist, bei dem
also der Nahtquerschnitt in eine der beiden
Nahtschenkelflächen geklappt werden darf.
Dann lautet der Nachweis (Abb. 3.4-56):
(3.4.53)
(3.4.54)
Abb. 3.4-53 Beispiele durchgeschweißter Nähte und ihre symbolische Darstellung [Hirt/Bez 1998]
Kraftrichtung einnimmt, sodass die Festigkeiten ringer als bei durchgeschweißten Nähten. Auch die
von Nahtabschnitten unabhängig von der Richtung Spannungsspiele ¨Vw und ¨Ww werden beim Ermü-
addiert werden können. dungsnachweis von Schweißnähten anders gehand-
Bei langen überlappten Anschlüssen mit Kehl- habt als beim Grundmaterial (s. 3.4.5).
nahtlängen " > 150a, bei denen ungleichmäßige
Spannungsverteilungen zu Überlastungen führen Geschweißte Anschlusskonstruktionen
können, ist die Nahtfestigkeit mit Für geschweißte Träger-Stützen-Verbindungen
oder die geschweißten Kopfplattenanschlüsse von
(3.4.55) geschraubten Träger-Stützen-Verbindungen müssen
die Schweißnähte so bemessen werden, dass sie
zusätzlich abzumindern. Näheres siehe EN 1993-1-8. die Kräfte und Verformungen, die den Komponen-
Die Ermüdungsfestigkeit nicht durchgeschweiß- ten abverlangt werden, ohne Bruch überstehen.
ter Nähte ist wegen der Kraftumlenkungen und Die Bemessung erfolgt also nach der Kapazi-
größeren Kerbwirkungen an den Nahtwurzeln ge- tätsbemessungsmethode für die plastischen Schnitt-
3.4 Stahlbau 1215
Abb. 3.4-56 Definition der Spannungskomponenten VA, Abb. 3.4-57 Definition der Spannungskomponenten VA,
WA und W__ nach Klappen des Nahtquerschnitts al in eine der WA und W__ am nicht geklappten Nahtquerschnitt
Nahtschenkelflächen
1216 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
Tabelle 3.4-14 Beispiel für die Gestaltfestigkeit von geschweißten Anschlüssen aus Hohlprofilstreben und einem I- oder
H-Profil-Gurtstab nach DIN V ENV 1993-1-1
3.4 Stahlbau 1217
Abb. 3.4-58 Wöhler-Linie im doppeltlogarithmischen Maß- Abb. 3.4-59 Zulässige Beanspruchbarkeit bei schwingen-
stab der Beanspruchung über Unterspannung
1. Für geschweißte Konstruktionen ist die Ermü- von ND wird der Einhängepunkt in Anlehnung an
dungsfestigkeit ¨VR aber abhängig von der Span- die Vorgehensweise von Wöhler bei 2 ·106 Last-
nungsspielen ¨V und unabhängig von den Span- wechseln gewählt.
nungsniveaus Vo und Vu, also z. B. unabhängig 5. Die Ermüdungsfestigkeiten sind weitgehend un-
davon, ob sie im Zugbereich oder Druckbereich abhängig von der Stahlsorte und Stahlgüte. Sie
ermittelt wurde, da die Eigenspannungen die Mit- gelten also z. B. in gleicher Weise für S 235 und
telspannung aus der Last überlagern. S690.
2. Die statistische Auswertung der Versuche führt
Damit ist eine Wöhler-Festigkeitsfunktion für ein
zu Geraden für Mittelwerte (m) und Mittelwerte
bestimmtes Konstruktionsdetail durch die Funk-
minus 2 u Standardabweichung (m – 2V), die für
tion (Abb. 3.4-61)
geschweißte Details etwa die Neigung 1/m=1/3
haben. (3.4.56)
3. Die Dauerfestigkeit liegt eher bei ND = 5 ·106
Lastwechseln. beschrieben, und die Dauerfestigkeit beträgt
4. Die charakteristische Ermüdungsfestigkeit wird
durch die (m – 2V) | Pü = 95 %-Gerade bestimmt,
(3.4.57)
und im Hinblick auf die Unsicherheit zur Größe
1218 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
(3.4.59)
(3.4.58) (3.4.62)
Abb. 3.4-64 Auswertung von Spannungszeitverläufen mit Zählmethode Rainflow oder Reservoir und Ordnung der 'Vi,
ni-Werte in Histogrammen oder Dichteverteilungen
1220 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
oder
(3.4.63)
Abb. 3.4-66 Nachweisfälle bei verschiedener Position der Dichteverteilung von 'Vi zur Dauerfestigkeit 'VD
Tabelle 3.4-15 Unterschiede bei der Spezifizierung der Er- Damit kann
müdungsbelastung
(3.4.72)
berechnet werden.
Für Brücken werden ermüdungswirksame Fahr-
zeuge als Bezugsfahrzeuge für die Belastung angege-
ben, mit denen eine Bezugsspannung 'Vref bestimmt
werden kann, um dann mit mehreren O-Werten die
schadensäquivalente Beanspruchung 'Ve ermitteln
zu können. Für Eisenbahnbrücken lautet z. B.
(3.4.73)
mit
)2 dynamischer Vergrößerungsbeiwert,
O1 Spannweitenbeiwert,
O2 jährliches Verkehrsaufkommen,
O3 Lebendauer,
O4 Begegnungshäufigkeit,
se Phase kann mit bruchmechanischen Verfahren
'Vuic = 'Vref für UIC-Belastung.
beschrieben werden.
Für andere ermüdungswirksame Belastungen (z. B.
Die Rissinitiierungsphase liefert den überwiegen-
Maschinen oder für Schwingungen aus Winderre-
den Anteil der Nutzungsdauer NR bei kleinen Bau-
gung), gibt es Berechnungsverfahren für 'Ve und
teilen, (z. B. Schrauben oder Maschinenbauteilen)
n, die in den Normen (z. B. EN 1991-1-4 für Wind
oder bei dünnen Blechkonstruktionen.
oder EN 1991-5 für Maschinen) zu finden sind.
Die Rissfortschrittsphase liefert den überwie-
genden Anteil der Nutzungsdauer bei üblichen ge-
schweißten Stahlbauteilen größerer Abmessungen 3.4.5.7 Sicherheitskonzept für
und wird deshalb in diesen Bereichen vorwiegend Ermüdungsnachweise
eingesetzt. Die Anfangsgröße wird so gewählt, dass
Für den Ermüdungsnachweis gelten Teilsicher-
sie ¨K-Werte liefert, die gerade oberhalb des Thresh-
heitsfaktoren auf der Beanspruchungs- und Bean-
hold-Wertes ¨Kth liegen, es sei denn, es müssen grö-
spruchbarkeitsseite:
ßere Anfangsrisse a priori angenommen werden.
3.4.5.6 Ermüdungsbelastung (3.4.74)
Ermüdungsbelastungen liegen entweder als ge-
messene oder gerechnete Spannungszeitverläufe V-t
Grundsätzlich wird bei allen Konstruktionen, die
vor, sind in Form von Dichteverteilungen oder
wesentliche Ermüdungsbelastungen erfahren, so-
Spannungsspektren der Spannungsschwingbreiten
dass sie auf Ermüdungssicherheit hin zu dimensio-
schon aufbereitet, oder werden in Normen oder
nieren sind, vorausgesetzt, dass sie in bestimmten
Spezifikationen bereits als schadensäquivalente
Zeiträumen (den sog. Prüfintervallen) geprüft wer-
Größen angegeben (Tabelle 3.4-15).
den, um mögliche Schäden zu erkennen.
Typisch für solche Angaben sind die ermü-
Wenn die Konstruktion und die Werkstoffe im-
dungswirksamen Kranlasten auf Kranbahnträgern,
mer so gewählt sind, dass ein Ermüdungsschaden
für die drei Parameter vorgegeben werden:
bei den Prüfungen rechtzeitig erkennbar wird, be-
– Lastmodell zur Bestimmung der Bezugsgröße vor er für die Tragsicherheit gefährlich wird,
'Vmax, spricht man von Konstruktionen, die hinsichtlich
– Lastwechselzahl 6n, der Ermüdung schadenstolerant sind. Dieser Fall
– Standardisiertes Spektrum. trifft für die meisten Konstruktionen zu.
1224 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
Der Nachweis der Schadenstoleranz erfolgt mit Tabelle 3.4-16 Sicherheitsbeiwerte in prEN 1993-1-9
dem Betriebszeitintervall-Nachweis. Dieser for-
dert, daß ein rißähnlicher Schaden, der infolge
Ermüdung zu einer bei der Prüfung erkennbaren
Größe angewachsen ist, aber bei einer solchen
Prüfung übersehen wird, über mindestens ein
weiteres Betriebszeitintervall bis zur nächsten Prü-
fung ohne Gefährdung der Tragsicherheit wachsen
kann. Dieser Nachweis wird bruchmechanisch
geführt.
Bei modernen Konstruktionen, bei denen die
Stahlgütewahl nach dem in 3.4.3 angegebenen Ver- 3.4.5.8 Ermüdungssicherheit bei plastischen
fahren getroffen wurde, ist bei funktionierenden Verformungen
Inspektionen die Schadenstoleranz gegeben. Auch
bei Mehrfachanordnung von Bauteilen besteht Treten bei hohen Lasten, für die mit plastischen
Schadenstoleranz, wenn Brüche erkennbar sind. Bauwerksreaktionen gerechnet wird, Beanspru-
Häufig besteht Schadenstoleranz auch, wenn die chungswechsel auf (z. B. bei Erdbebenbelastung
Ermüdungsbelastung nicht lastinduziert, sondern oder bei extremer Starkwindbelastung), dann inte-
zwängungsinduziert ist, d. h. mit der Rissbildung ressiert die Sicherheit gegen alternierende Plasti-
sofort abfällt, sodass der Riss stehen bleibt. zierung.
Im Fall der Schadenstoleranz und für die Prü- Für das Spannungs-Dehnungsverhalten im nie-
fung gut zugänglicher Konstruktionen dürfen die drigzyklischen Bereich gilt eine zyklische Span-
Sicherheitsfaktoren JFf und JMf mit dem Wert 1,0 nungs-Dehnungslinie und eine Wöhler-Linie, die
angesetzt werden (s. Tabelle 3.4-16), und alte Kons- aus einer Wöhler-Linie für die wahren Spannungs-
truktionen dürfen auch dann, meist mit zusätzlichen wechsel 'V und einer Wöhler-Linie für die wahren
Maßnahmen, sicher weiterbetrieben werden, wenn plastischen Dehnungswechsel 'Hpl zusammenge-
die rechnerische Grenzschädigung des Ermüdungs- setzt ist (Abb. 3.4-68).
nachweises schon erreicht ist, ohne dass Ermü- In der Regel können für Stahlprofile mit alter-
dungsschäden aufgetreten sind. Denn die Prüfungen nierender Plastizierung in plastischen Gelenken
liefern ja rechtzeitige Vorwarnungen. die lokalen wahren Spannungen und plastischen
Bei nicht schadenstoleranten Konstruktionen Dehnungen wegen Beulenbildung in diesen Be-
wäre es dagegen möglich, dass Ermüdungsrisse reichen nicht angegeben werden. Deshalb verzich-
auftreten, die ohne Vorwarnung zum Bruch führen tet man auf eine Mikrobehandlung und führt den
können. Daher bestehen erhöhte Sicherheitsanfor- Nachweis im Makrobereich gegen Wöhler-Linien
derungen für den Ermüdungsnachweis, und die für die plastischen Rotationswinkel 'Mpl durch, die
Konstruktion muss nach Ablauf der rechnerischen experimentell aus Bauteilversuchen bestimmt wer-
Grenzschädigung sofort aus dem Betrieb genom- den (Abb. 3.4-69) [Sedlacek et al. 1994].
men werden. Die Sicherheitsfaktoren werden in Die Auswertung erfolgt mit der Wöhler-Linie
diesem Fall nach zwei Kriterien abgestuft: der plastischen Rotationswinkel unter Anwendung
der Reservoirmethode und der Miner-Regel analog
– Wird die Ermüdungsbelastung während des Be- zum Vorgehen im elastischen Bereich [Sedlacek/
triebs hinreichend genau kontrolliert, sodass die Kuck/Feldmann 1994]. In den plastischen Nach-
Bedingungen des rechnerischen Ermüdungs- weisregeln für Windbelastungen nach EN 1993
nachweises nicht überschritten werden. und Erdbebenbelastungen nach EN 1998 sind die
– Sind solche Überprüfungen der Ermüdungsbe- Sicherheiten gegen alternierende Plastizierung von
lastungen nur mit Abschätzungen, z. B. bedingt Stahlbauten bereits enthalten.
durch schlechte Zugänglichkeit zum Detail-
punkt, möglich.
3.4 Stahlbau 1225
Abb. 3.4-68 Zyklische Spannungs-Dehnungslinie und Wöhler-Linie für wahre Dehnungsschwingbreite 'H
Abb. 3.4-69 Sicherheitsnachweis für das Spektrum 'Mpl,n gegen die Wöhler-Linie der plastischen Rotationswinkel [Sedlacek/
Kuck/Feldmann 1994]
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3.5 Verbundbau 1229
DIN EN 1993-2: Eurocode 3: Bemessung und Konstruk- gestellte Auswahl umreißt die Vielfalt der Konstruk-
tion von Stahlbauten. Teil 2: Stahlbrücken (02/2007) tionsformen, die dem planenden Ingenieur zur Ver-
EN 1090-2: Ausführung von Stahltragwerken und Alumi- fügung stehen. Die Hauptanwendungsgebiete des
niumtragwerken. Teil 2: Technische Regeln für die Aus-
Verbundbaus liegen heute neben dem Brückenbau
führung von Stahltragwerken (07/2008)
EN 10025 – Teil 1 bis 6: Warmgewalzte Erzeugnisse aus
[Nather 1990, 1997; Haensel 1992; Seifried/Stetter
Baustählen 1995; Schwarz/Haensel 1995; Hagedorn 1997] ins-
EN 10210 – Teil 1 und 2: Warmgefertigte Hohlprofile für besondere im Geschoss-, Hochhaus- und Industrie-
den Stahlbau aus unlegierten Baustählen und aus Fein- bau sowie im Hallen- und Parkhausbau [Muess 1982,
kornbaustählen 1996; Muess/Schaub 1985; Braschel/Schmid 1989;
EN 10219 – Teil 1 und 2: Kaltgefertigte geschweißte Hohl- Mascioni u. a. 1990; Spang/Hass 1986; Joest/Hans-
profile für den Stahlbau aus unlegierten Baustählen und wille u. a. 1992; Kobarg 1992; Ladberg 1996; Tschem-
aus Feinkornbaustählen mernegg 1996; Eichhorn/Kühn/Muess 1996; Baum-
gärtner/Krampe u. a. 1997; Hanswille 1997; Lange/
Ewald 1998; Wolperding 2002; Muess u. a. 2004].
3.5 Verbundbau Bei konsequenter Nutzung der technischen Möglich-
Gerhard Hanswille keiten ergeben sich für den Bauherrn, den Planer und
die ausführenden Firmen eine Reihe von Vorteilen.
3.5.1 Einleitung, Regelwerke Die industrielle Vorfertigung von Verbundbauteilen
ermöglicht hohe Maßgenauigkeit sowie weitgehen-
Verbundkonstruktionen aus Stahl und Beton eröff- de Witterungsunabhängigkeit, die erhebliche Bau-
nen neben den traditionellen Bauweisen des reinen zeitverkürzungen zur Folge hat. Durch die hohen
Stahl- und Massivbaus eine Vielzahl von neuen Tragfähigkeiten von Verbundbauteilen ergeben sich
Möglichkeiten, da bei Verbundbauteilen durch eine kleine Querschnittsabmessungen, die zu größeren
optimale Querschnittsgestaltung die hohe Zugfes- Nutzungsflächen und der damit verbundenen Flexi-
tigkeit des Baustahls und die große Druckfestigkeit bilität führen. Die Ausbaufreundlichkeit von Ver-
des Betons gleichzeitig ideal ausgenutzt werden kön- bundtragwerken zeigt sich in einer großen Installati-
nen. Durch die schubfeste Verbindung von biege- onsfreiheit, da bei Verbunddecken großflächige Ab-
steifen Stahlprofilen mit Betonteilen werden beide hängesysteme zum Einsatz kommen und bei Trägern
Materialien zur gemeinsamen Tragwirkung herange- und Stützen zusätzliche Befestigungsmöglichkeiten
zogen. Auf diese Weise entstehen Konstruktionsele- an den sichtbaren Stahlflanschen bestehen. Die
mente wie Verbunddecken, Flachdecken, Träger, frühere Nutzung infolge kürzerer Montagezeit führt
Stützen und Rahmenkonstruktionen, die sich durch zu finanziellen Vorteilen für den Investor. Die im
hohe Tragfähigkeit und Dauerhaftigkeit sowie durch Geschoss- und Industriebau gestellten Anforde-
große Steifigkeit auszeichnen. Die in Abb. 3.5-1 dar- rungen an den Brandschutz können mit unterschied-
Abb. 3.5.2 Übersicht über den derzeitigen Stand der Regelwerke für Verbundkonstruktionen (Stand 2009)
lichen Methoden erfüllt werden. Neben den her- Regelwerke für Verbundkonstruktionen mit den zu-
kömmlichen Plattenbekleidungen und Putzbeschich- gehörigen Referenznormen und die zukünftigen Eu-
tungen werden heute i. d. R. Stahlprofile mit Kam- ropäischen Regelwerke zeigt Abb. 3.5-2.
merbeton verwendet, der mit Kopfbolzendübeln und
Steckhaken aus Bewehrungsstahl verankert wird.
Die Regelwerke für Verbundkonstruktionen aus
3.5.2 Grundlagen der Bemessung
Stahl und Beton zeichnen sich in den letzten Jahren
3.5.2.1 Allgemeines, Sicherheitskonzept
durch eine innovative Weiterentwicklung aus. Die
Bemessung und Ausführung von Verbundkonstruk- Zur Sicherstellung eines ausreichenden Zuverlässig-
tionen kann derzeit auf der Grundlage nationaler keitsniveaus bezüglich der Tragfähigkeit und Dauer-
und europäischer Regelwerke (Eurocodes) erfolgen. haftigkeit sowie einer ausreichenden Gebrauchstaug-
Im Jahr 2006 wurde die Deutsche Fassung des Eu- lichkeit wird bei Verbundtragwerken zwischen Nach-
rocode 4 (DIN EN 1994-1-1) und im Dezember weisen in den Grenzzuständen der Tragsicherheit
2010 der zugehörige Nationale Anhang veröffent- und der Gebrauchstauglichkeit unterschieden. Die
licht. Parallel zu der Erarbeitung der Eurocodes er- Dauerhaftigkeit ist dabei eine entscheidende Voraus-
folgte die Bearbeitung von DIN 18800-5, die im setzung für die im folgenden erläuterten rechne-
Jahr 2007 veröffentlicht und bauaufsichtlich einge- rischen Nachweise in den Grenzzuständen der Trag-
führt wurde. Da DIN 18800-5 und Eurocode 4 be- fähigkeit und der Gebrauchstauglichkeit. Eine ausrei-
züglich der Regelungsinhalte und Nachweisformate chende Dauerhaftigkeit wird durch konstruktive Re-
praktisch identisch sind, wurde mit der Veröffentli- geln und durch rechnerische Nachweise, die i. Allg.
chung von DIN 18800-5 für den Bereich des Ver- für das Gebrauchslastniveau geführt werden, sicher-
bundbaus bereits eine vollständige Anpassung an gestellt. Bei den Einwirkungen F wird zwischen
die zukünftigen Europäischen Regelwerke vollzo- direkten und indirekten Einwirkungen und nach
gen. Die bauaufsichtliche Einführung der Eurocodes ihrer zeitlichen Veränderlichkeit zwischen ständigen
ist derzeit für den Zeitraum 2011–2012 geplant. Einwirkungen G, veränderlichen Einwirkungen Q,
Eine Übersicht über die derzeit gültigen Nationalen außergewöhnlichen Einwirkungen FA und Einwir-
3.5 Verbundbau 1231
den Bemessungswerten der Festigkeiten fi,d=fi,k/ festgelegten Bedingungen Cd für die Funktion und
JM,i der Werkstoffe bzw. den Bemessungswerten die äußere Erscheinung (z. B. Rissbreite oder Ver-
PRd der Verbundmittel berechnet. Sie ergeben sich formung) nicht mehr erfüllt sind. Es muss die Be-
aus den charakteristischen Werten der Festigkeiten dingung
fi,k und den jeweiligen Teilsicherheitsbeiwerten JM
(3.5.3)
nach Tabelle 3.5-2 zu
nachgewiesen werden (s. Abb. 3.5-3). Hierbei ist Ed
der jeweilige Bemessungswert der Lastauswir-
(3.5.2)
kungen, der bei mehreren Einwirkungen mit den in
DIN EN 1990 bzw. DIN 1055-100 angegebenen
Die charakteristischen Werte der Festigkeiten für Einwirkungskombinationen zu ermitteln ist. Grenz-
Beton (fck) und Beton- und Spannstahl (fsk bzw. fpk) zustände der Gebrauchstauglichkeit betreffen bei
sowie für Baustahl (fyk) und für die Schubtragfä- Verbundtragwerken die Rissbreitenbeschränkung,
higkeit von Verbundmitteln (PRk) werden in 3.5.2.4 Spannungsbeschränkungen, Verformungen, Steg-
behandelt. Der Teilsicherheitsbeiwert für Baustahl blechatmen sowie das Schwingungsverhalten.
Ja = 1,1 gilt nur für Verbundbauteile mit lokaler
und globaler Stabilitätsgefahr (lokales Beulen,
3.5.2.4 Werkstoffe
Biegedrillknicken, Stabknicken). In allen anderen
Fällen darf im Grenzzustand der Tragfähigkeit Ja = Nachfolgend sind die wichtigsten Grundlagen für
1,0 zugrunde gelegt werden. die Bemessung zusammengestellt. Bezüglich wei-
tergehender Angaben wird auf 3.1, 3.3 und 3.4 ver-
wiesen.
3.5.2.3 Grenzzustand der
Gebrauchstauglichkeit
Baustahl, Profilbleche
Die Grenzzustände der Gebrauchstauglichkeit sind Für die charakteristischen Werte der Festigkeit der
diejenigen Zustände, bei deren Überschreitung die Baustähle sind die Werte nach DIN EN 10025 und
3.5 Verbundbau 1233
Tabelle 3.5-3 Nennwerte (charakteristische Werte) der Streckgrenze fya und der Zugfestigkeit fua nach DIN 18800-5
DIN EN 10113 anzunehmen. Die Regelungen im tone sind derzeit in den nationalen und europäischen
Eurocode 4-1-1 und in DIN 18800-5 gelten für die Regelwerken für Verbundkonstruktionen nicht ge-
Stahlsorten S235, S275, S355 und S460 nach DIN regelt, da die Bemessungsverfahren im Grenzzu-
EN 10025 (Tabelle 3.5-3). Bei Verwendung der stand der Tragfähigkeit plastische Tragreserven aus-
höherfesten Feinkornbaustähle S420 und S460 nutzen, die eine ausreichende Duktilität erfordern.
sind bei Anwendung plastischer Bemessungsver- Als Spannungs-Dehnungsbeziehung für die Ermitt-
fahren teilweise Einschränkungen erforderlich, die lung der Beanspruchbarkeit darf für Beton das Para-
nachfolgend noch erläutert werden. Der Bemes- bel-Rechteck-Diagramm und vereinfacht eine bili-
sung wird die in Abb. 3.5-4 dargestellte bilineare neare Spannungs-Dehnungsbeziehung zugrunde
Spannungs-Dehnungslinie zugrunde gelegt. Die gelegt werden (Abb. 3.5-4). Die Langzeitfestigkeit
mechanischen Kennwerte für Profilbleche sind in des Betons ist geringer als die im Kurzzeitversuch
Eurocode 4-1-1 sowie in bauaufsichtlichen Zulas- ermittelte Festigkeit. Diese Tatsache sowie weitere
sungen geregelt. Für die Bemessung wird wie beim ungünstige Auswirkungen aus der Art der Lastein-
Baustahl eine bilineare Spannungs-Dehnungsbe- tragung werden in DIN 18800-5 beim Bemessungs-
ziehung nach Abb. 3.5-4 verwendet. wert der Druckfestigkeit fcd=Dc fck/Jc durch einen
zusätzlichen Abminderungsfaktor Dc erfasst. Dieser
Beton hängt von der Form der Druckzone und der Art des
Für die Bemessung wird der charakteristische Wert Betons (Normal- oder Leichtbeton) ab. Für Normal-
der Zylinderdruckfestigkeit, fck, zugrunde gelegt. betone darf bei Verbundbauteilen mit Dc=0,85 ge-
Nach Eurocode 4-1-1 und DIN 18800-5 dürfen für rechnet werden. In Eurocode 4 wird abweichend ein
Verbundtragwerke mit Normal- und Leichtbeton Abminderungsbeiwert Dc=1,0 zugrunde gelegt. Die
Betonfestigkeitsklassen kleiner als C 20/25 bzw. LC Berücksichtigung der zuvor genannten Einflüsse er-
20/22 nicht verwendet werden. Nach Eurocode 4-1-1 folgt nur bei Anwendung plastischer Berechnungs-
sind Betonfestigkeitsklassen bis C 50/60 und nach verfahren durch einen Anpassungsfaktor von 0,85
DIN 18800-5 für Verbundträger und Verbunddecken (Abminderung des charakteristischen Wertes der
Betonfestigkeitsklassen bis C 60/75 sowie für Ver- Betondruckfestigkeit) für den plastischen Span-
bundstützen bis C 50/60 zugelassen. Höherfeste Be- nungsblock des Betonquerschnitts.
1234 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
Der Elastizitätsmodul Ecm ist als Sekantenmo- auf den charakteristischen Wert der Stahldehnung
dul zwischen den Spannungen Vc=0 und Vc= 0,4·fck unter Höchstlast, Hukt0,025, zu begrenzen. Wenn
definiert. Die Querdehnzahl für die elastische Deh- eine vollplastische Bemessung ohne Dehnungsbe-
nung darf mit Q=0,2 und, wenn Rissbildung zu er- schränkung durchgeführt wird, sind bei Verbund-
warten ist, näherungsweise zu null angenommen bauteilen zusätzliche Anforderungen an den Beweh-
werden. Für Normalbeton darf der Temperaturaus- rungsgrad und die Duktilität des Betonstahls zu
dehnungskoeffizient vereinfachend wie für Bau- stellen. In diesen Fällen dürfen nur hochduktile Be-
stahl und für Leichtbeton mit DT=7·10-6 K–1 ange- tonstähle verwendet werden (s. 3.3).
nommen werden. Die Festigkeits- und Formände-
rungsbeiwerte für Leichtbeton können in Abhän- Verbundmittel
gigkeit von der Rohdichte aus den entsprechenden Die charakteristischen Werte der Tragfähigkeit,
Werten für Normalbeton umgerechnet werden (s. PRk, sowie die der Werkstofffestigkeit von Ver-
3.3). Zeitabhängige Betonverformungen aus dem bundmitteln sind als 5%-Fraktilwerte definiert.
Kriechen und Schwinden werden bei Verbundtrag- Die in Eurocode 4-1-1, DIN 18800-5 und in bau-
werken i. Allg. durch einen reduzierten Elastizi- aufsichtlichen Zulassungen angegebenen Werte
tätsmodul des Betons und daraus resultierende Re- basieren auf Versuchen.
duktionszahlen für die Querschnittskenngrößen
der Betonquerschnittsteile erfasst. Bezüglich der Be-
stimmung der Kriechzahl M(t,t0) und des Schwind- 3.5.3 Verbundträger
maßes Hcs(t,ts) wird auf 3.3 verwiesen.
3.5.3.1 Allgemeines
Betonstahl, Spannstahl Verbundträger bestehen aus einem biegesteifen
Für gerippte Betonstähle als Stabstahl oder Matte Stahlprofil oder aus Fachwerkträgern, die mit einem
gelten die Regelungen nach Eurocode 2-1-1 bzw. E oder zwei Betongurten (Doppelverbund) sowie im
DIN 1045-1. Die mechanischen Werte von Spann- Hoch- und Industriebau zusätzlich mit dem zwi-
stählen sind bauaufsichtlichen Zulassungsbeschei- schen den Flanschen angeordneten Kammerbeton
den zu entnehmen. Als charakteristischer Wert der schubfest verbunden sind. Die Betongurte und der
Streckgrenze von Betonstahl ist bei Erzeugnissen Kammerbeton sind i. d. R. schlaff bewehrt. Auch im
ohne ausgeprägte Streckgrenze die 0,2%-Dehngren- Brückenbau werden in Trägerbereichen mit Zugbe-
ze zu verwenden. Für die Querschnittsbemessung anspruchungen im Betongurt heute nur noch sehr
sind die rechnerischen Spannungs-Dehnungsbezie- selten Spannglieder angeordnet. Typische Quer-
hungen nach Abb. 3.5-4 zu verwenden; vereinfa- schnitte von Trägern des Hoch- und Industriebaus
chend darf für Betonstahl (wie für Baustahl) auch sind in Abb. 3.5-5 dargestellt. Querschnitte ohne
ein horizontaler oberer Ast angenommen werden (s. Betongurt, jedoch mit Kammerbeton, werden als
Abb. 3.5-4). Die Dehnung Hs ist bei der Bemessung Profilverbundquerschnitte bezeichnet. Die Gurte
von Verbundträgern dienen im Hoch- und Industrie- derliche Rotationskapazität der Querschnitte wer-
bau gleichzeitig als aussteifende Bauteile und in den im Eurocode 4-1-1 und in DIN 18800-5 vier
erster Linie zur Abtragung der örtlichen Deckenlas- Querschnittsklassen unterschieden. Mit Hilfe der
ten. Als Gurte werden alle aus dem Massivbau be- Querschnittsklassen werden die Methode der
kannten Deckensysteme verwendet. Neben Ortbe- Schnittgrößenermittlung und die Berechnungsan-
tondecken kommen heute vielfach Teilfertigteil- und nahmen für die Querschnittstragfähigkeit festgelegt.
Fertigteildecken zum Einsatz. Eine weitere oft aus- Querschnitte der Klasse 1 (plastische Querschnitte)
geführte Variante sind Verbunddecken. Sie bestehen können die vollplastische Querschnittstragfähigkeit
aus einem profilierten Stahlblech, das mit dem Auf- und gleichzeitig plastische Gelenke mit einer so gro-
beton einen Verbundquerschnitt bildet. ßen Rotationskapazität entwickeln, dass eine voll-
Das Tragverhalten von Verbundträgern wird ent- ständige Schnittgrößenumlagerung ermöglicht wird,
scheidend durch die Ausbildung der Verdübelung d. h. es ist eine Berechnung nach der Fließgelenk-
zwischen Stahlprofil und Beton bestimmt (s. Abb. theorie zulässig. Kompakte Querschnitte der Klasse
3.5-31). In Deutschland werden überwiegend Kopf- 2 können ebenfalls die vollplastische Querschnitts-
bolzendübel mit Durchmessern von 19, 22 und tragfähigkeit entwickeln. Durch lokales Beulen
25 mm verwendet, die im Bolzenschweißverfahren und/oder Zerstören des Betons ist die Rotation in
mit Hubzündung halbautomatisch aufgeschweißt Fließgelenken jedoch eingeschränkt. Bei der
werden. Bei Parkhäusern und bei Konstruktionen, Schnittgrößenermittlung darf die Momentenumla-
bei denen die Forderung nach Demontierbarkeit be- gerung infolge Rissbildung sowie Teilplastizierung
steht, kommt auch der sog. Reibungsverbund zum vor Entstehen des ersten Fließgelenks berücksich-
Einsatz [Beck/Hennisch 1972; Roik/Bürkner 1978; tigt werden. Die Querschnitte der Klasse 3 werden
Roik/Hanswille 1984a]. Vereinzelt wurden bei ver- als halb-kompakte Querschnitte bezeichnet. Bei ih-
schiedenen Bauvorhaben auch Dübelleisten einge- nen ist im Druckflansch des Stahlträgers nur eine
setzt [Andrä 1985]. Neben den genannten Verbund- (elastische) Ausnutzung des Querschnitts bis zur
mitteln werden im europäischen Ausland noch Streckgrenze möglich. Eine Momentenumlagerung
Schenkel- und Winkeldübel verwendet. Die zu Be- im System wird im Wesentlichen nur durch Rissbil-
ginn des Verbundbaus oft verwendeten Blockdübel dung im Betongurt und durch lokales Fließen in
und Schlaufenanker werden heute aus wirtschaft- zugbeanspruchten Stahlteilen und in der Bewehrung
lichen Gründen nicht mehr verwendet. Diese Dü- ermöglicht. Schlanke Querschnitte der Klasse 4 sind
belformen besitzen nur eine geringe Duktiltät und bei elastischer Druckbeanspruchung wegen des lo-
sind bei Trägern, bei denen nach modernen Bemes- kalen Beulens im Baustahlquerschnitt nicht bis zur
sungsverfahren plastische Querschnitts- und Sys- Streckgrenze ausnutzbar. Momentenumlagerungen
temreserven ausgenutzt werden, ungeeignet. im System werden nur durch Rissbildung im Be-
tongurt hervorgerufen. Der Zusammenhang zwi-
3.5.3.2 Tragverhalten von Verbundträgern – schen Querschnittsklassifizierung, Querschnitts-
Grundlagen tragfähigkeit und Schnittgrößenermittlung ist in
Allgemeines Abb. 3.5-6 dargestellt. Weiteres kann [Bode/Fichter
Das Trag- und Verformungsverhalten von Ver- 1986; Bode/Minas/Sauerborn 1996; Johnson/Chen
bundträgern wird entscheidend durch die Rotations- 1991; He 1991; Sedlacek/Hiffmeister 1997] ent-
kapazität der Querschnitte, die Belastungsge- nommen werden.
schichte, die Rissbildung im Beton, die Einflüsse Die Zuordnung eines Querschnittes zu einer der
aus dem Kriechen und Schwinden des Betons so- vier Querschnittsklassen erfolgt über die b/t-Werte
wie das Verformungsverhalten der Verbundmittel der Gurte bzw. Stege, die Lage der plastischen
und den Verdübelungsgrad beeinflusst. Nulllinie und den Bewehrungsgrad des Betongurts.
Mit der Beschränkung der b/t-Werte wird das ört-
Rotationskapazität sowie plastische liche Beulen der Stahlquerschnittsteile erfasst. Die
Querschnitts- und Systemreserven Regelwerke für Verbundkonstruktionen beziehen
Im Hinblick auf die Ausnutzung plastischer Quer- sich dabei auf die Normen für Stahlbauten. Für die
schnitts- und Systemreserven sowie die dazu erfor- Stege ist bei den Querschnittsklassen 1 und 2 die
1236 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
Wie Abb. 3.5-7 verdeutlicht, beeinflusst das Her- Träger erreichen dann die vollplastische Momenten-
stellungsverfahren die Verformungen unter Ge- tragfähigkeit Mpl,Rd des Verbundquerschnitts. Beim
brauchslast sowie den Beginn des Fließens im Un- Träger A wird im Untergurt des Stahlträgers sehr
tergurt des Stahlträgers (Biegemoment Mel). Auf die früh die Fließgrenze erreicht, da infolge der auf den
Grenztragfähigkeit des Trägers hat das Herstel- Stahlträger wirkenden Eigengewichtslasten bereits
lungsverfahren keinen Einfluss, wenn der Quer- relativ hohe Untergurtspannungen entstanden sind.
schnitt so ausgebildet wird, dass ein lokales Beulen Nach Überschreiten der Fließgrenze im Untergurt
der Stahlbauteile ausgeschlossen werden kann. Alle des Stahlträgers plastiziert der Stahlquerschnitt und
1238 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
die Beanspruchungen des Stahlträgers infolge des nungen ein ideeller Gesamtquerschnitt zugrunde
Eigengewichtsmomentes lagern sich auf den Ver- gelegt. Dabei wird das Ebenbleiben des Gesamt-
bundquerschnitt um. Im Träger B wird die Streck- querschnitts sowie die Gültigkeit des Hookeschen
grenze im Untergurt des Stahlträgers erst unter Gesetzes für Beton und Baustahl angenommen.
einem höheren Lastniveau erreicht, da alle Lasten Die ideellen Querschnittskenngrößen werden auf
auf den Verbundquerschnitt wirken. Im Grenzzu- den Elastizitätsmodul des Baustahls bezogen und
stand der Tragfähigkeit stellt sich auch hier eine können mit einem fiktiven Stahlquerschnitt be-
vollplastische Spannungsverteilung im Querschnitt rechnet werden, bei dem die Querschnittsfläche Ac
ein. Der Träger C besitzt einen Eigenspannungszu- des Betongurts und das Trägheitsmoment Ic des
stand aus dem Anheben der Hilfsstützen, der im Un- Betongurts mit der Reduktionszahl n0=Ea/Ecm re-
tergurt des Stahlträgers „entlastende“ Druckspan- duziert werden. Bei Beanspruchungen aus ständi-
nungen erzeugt. Die Streckgrenze wird daher erst gen Einwirkungen führt das Kriechen des Betons
bei einem deutlich höheren Lastniveau überschrit- bei Verbundquerschnitten zu querschnittsinternen
ten. Mit Erreichen der plastischen Grenzlast ist je- Umlagerungen der Teilschnittgrößen.
doch der Eigenspannungszustand aus dem Anheben Die in Abb. 3.5-8 dargestellten Teilschnittgrö-
der Hilfsstützen herausplastiziert, und es stellt sich ßen Nc0 und Mc0 des Betongurts bei Belastungsbe-
wie bei den Trägern A und B eine vollplastische ginn werden durch Kriechen umgelagert, d. h. die
Spannungsverteilung ein. Teilschnittgrößen des Betongurts werden durch die
Das in Abb. 3.5-7 dargestellte Verhalten kann aus dem Kriechen resultierenden Umlagerungs-
nur dann beobachtet werden, wenn vor Erreichen größen Ncr und Mcr verringert und die Beanspru-
der Traglast keine Instabilitäten (lokales Beulen chungen im Stahlträger entsprechend vergrößert.
oder Biegedrillknicken) auftreten. Dies ist bei den Die Umlagerungsgrößen Mcr und Ncr aus dem Krie-
zuvor beschriebenen Querschnitten der Klassen 1 chen bilden mit den zugehörigen Teilschnittgrößen
und 2 der Fall. Bei der Berechnung der Schnittgrö- im Stahlquerschnitt einen Eigenspannungszustand,
ßen für den Grenzzustand der Tragfähigkeit darf der in den Regelwerken als primärer Beanspru-
daher die Belastungsgeschichte des Trägers ver- chungszustand aus dem Kriechen bezeichnet wird.
nachlässigt werden. Querschnitte der Klassen 3 Die aus dem primären Beanspruchungszustand
und 4 dürfen nur bis zur Streckgrenze bzw. bis zur (Umlagerungsgrößen) resultierenden Krümmungen
Tragspannung infolge Beulens ausgenutzt werden. und Längsdehnungen erzeugen in statisch unbe-
Da das erste Erreichen der Streckgrenze stark von stimmten Systemen aufgrund der Verträglichkeitsbe-
der Belastungsgeschichte abhängt, ist für diese dingungen Zwangsschnittgrößen, die als sekundäre
Querschnittsklassen beim Nachweis des Grenzzu- Beanspruchungen bezeichnet werden. Abbildung
stands der Tragfähigkeit die Belastungsgeschichte 3.5-8 zeigt ein typisches Beispiel eines Zweifeld-
stets zu berücksichtigen. Grenzzustände der Ge- trägers. Die aus den primären Beanspruchungen im
brauchstauglichkeit, wie der Nachweis von Verfor- Feld A resultierenden Krümmungen rufen aus Grün-
mungen oder die Beschränkung der Rissbreite im den der Verträglichkeit ein sich mit der Zeit auf-
Betongurt, sind für alle Klassen ebenfalls immer bauendes Zwangsmoment MPT (sekundäre Beanspru-
unter Berücksichtigung der Belastungsgeschichte chung) hervor. Das Schwinden des Betons führt bei
zu untersuchen, da das Herstellungsverfahren die Verbundquerschnitten infolge der Behinderung der
Verformungen sowie die Schnittgrößen unter Ge- Schwindverformungen durch den sich elastisch ver-
brauchslast nennenswert beeinflusst. haltenden Stahlquerschnitt ebenfalls zu einem primä-
ren Beanspruchungszustand, der in statisch unbe-
Elastische Berechnung und zeitabhängige stimmten Systemen wiederum sekundäre Beanspru-
Betonverformungen aus Kriechen chungen zur Folge hat.
und Schwinden Zur praktischen Berechnung der Beanspru-
Für kurzzeitig wirkende Beanspruchungen aus chungen aus dem Kriechen und Schwinden werden
Verkehr, Wind und Temperatur sowie für die Bean- heute zwei Berechnungsmethoden verwendet. Bei
spruchungen aus ständigen Einwirkungen bei Be- der ersten werden die aus dem Kriechen resultie-
lastungsbeginn wird für die Berechnung der Span- renden Umlagerungsgrößen im Beton und Stahl-
3.5 Verbundbau 1239
querschnitt direkt berechnet. Die Beanspruchungen [Haensel 1975] wird gezeigt, dass beide Verfahren
der Teilquerschnitte zu einem Zeitpunkt t ergeben zu identischen Ergebnissen führen, da die lastfall-
sich dann aus den Teilschnittgrößen bei Belastungs- abhängigen Reduktionszahlen aus den Lösungen
beginn t0 und den aus dem Kriechen resultierenden nach dem Verfahren der Teilschnittgrößen herge-
Umlagerungsgrößen. Dieses Verfahren wird als Teil- leitet werden können. Die Kriechbeiwerte \A,L und
schnittgrößenverfahren bezeichnet [Sattler 1959]. \I,L sind von der Beanspruchungsart abhängig. Bei
Für die praktische Berechnung ist das sog. Ge- der Berechnung muss zwischen zeitlich konstanten
samtquerschnittsverfahren [Haensel 1975, Hans- Beanspruchungen (L=P), Beanspruchungen aus
wille 1999] von größerer Bedeutung. Bei diesem dem Schwinden des Betons (L=S), Beanspru-
Verfahren wird der Einfluss des Kriechens analog chungen aus sich zeitlich affin zum Kriechen auf-
zur Berechnung bei kurzzeitigen Beanspruchungen bauenden Schnittgrößen (L=PT) und Beanspruchun-
durch lastfallabhängige Reduktionszahlen nA,L für gen infolge eingeprägter Deformationen (L=D) un-
die Betonfläche und nI,L für das Betonträgheitsmo- terschieden werden.
ment erfasst, die von der Kriechzahl Mt und den In den Tabellen 3.5-4 bis 3.5-6 sind die Bezie-
Kriechbeiwerten \A,L und \I,L abhängen: hungen zur Berechnung der ideellen Querschnitts-
kenngrößen, der Reduktionszahlen, der Teilschnitt-
(3.5.4) größen (Abb. 3.5-9), der Längsschubkräfte in der
Verbundfuge und der Spannungen zusammengestellt.
(3.5.5) Die Querschnittskenngrößen Ast und Ist beziehen
sich auf den aus Bewehrung und Baustahl bestehen-
Die Spannungen können dann direkt an einem den Gesamtstahlquerschnitt. Die Querschnittskenn-
ideellen Gesamtquerschnitt berechnet werden. In größen des reinen Baustahlquerschnittes werden mit
1240 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
Aa und Ia bezeichnet. Wie aus Tabelle 3.5-6 ersicht- Kriechbeiwerten für Momentenbeanspruchung ge-
lich ist, ergeben sich bei strenger Betrachtungsweise rechnet werden. Nach DIN 18800-5 und Eurocode 4
bei ständigen Beanspruchungen unterschiedliche sind bei der Ermittlung der Reduktionszahlen wei-
Kriechbeiwerte bei Momente und Normalkraftbean- tere Vereinfachungen zulässig. Danach dürfen die
spruchung. Reduktionszahlen zur Berücksichtigung des Krie-
Für die praktische Berechnung kann vereinfa- chens auch mit konstanten Zahlenwerten für die
chend auch bei Normalkraftbeanspruchung mit den Kriechbeiwerte \A,L und \I,L ermittelt werden. Für
3.5 Verbundbau 1241
Tabelle 3.5-6 Teilschnittgrößen und Spannungen bei Momentenbeanspruchung sowie Längsschubkraft in der Verbundfuge
Betonquerschnitt Stahlquerschnitt
Teilschnittgrößen bei Momentenbeanspruchung ML
ständige Einwirkungen darf vereinfachend \P=1,1, liche Reduktionszahl nL=nA,L=nI,L für die Betonflä-
für Schwinden und zeitlich veränderliche Einwir- che und das Betonträgheitsmoment verwendet:
kungen \S=\PT=0,55 und für planmäßig einge-
prägte Deformationen \D=1,5 angenommen wer- (3.5.6)
den. Bei der vereinfachten Berechnung wird wie bei
der Berechnung für kurzzeitige Beanspruchungen Diese Näherung [Hanswille 1999] ist für übliche
nicht mehr zwischen den unterschiedlichen Reduk- Tragwerke des Hochbaus sowie für Brückentrag-
tionszahlen für die Betonfläche und das Betonträg- werke ohne Spanngliedvorspannung ausreichend
heitsmoment unterschieden sondern eine einheit- genau, da bei einer Bewertung der Berechnungs-
1242 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
verfahren insbesondere berücksichtigt werden mungsvermögen verwendet werden und eine plasti-
muss, dass die Kriechzahl und der Elastizitätsmo- sche Umlagerung der konzentrierten Endschubkräf-
dul des Betons erheblich von den normativ vorge- te im Bereich der Einleitungslänge möglich ist. In
gebenen Werten abweichen können. den Grenzzuständen der Gebrauchstauglichkeit stel-
An Betonierabschnittsgrenzen und bei konzent- len sich wegen des elastischen Verhaltens der Ver-
rierter Einleitung von Normalkräften FSd ergeben bundmittel deutlich kleinere Einleitungslängen Lv
sich nach Abb. 3.5-10 konzentrierte Schubkräfte in ein. Für Nachweise in den Grenzzuständen der Ge-
der Verbundfuge, die aus der Differenz der Teil- brauchstauglichkeit sollte anstelle der vollen mittra-
schnittgrößen zwischen den kritischen Schnitten vor genden Gurtbreite beff die mittragende Teilgurtbreite
und hinter der Querschnittsänderung bzw. der bei des Gurtes mit der größeren geometrischen Brei-
Lasteinleitung der Längskraft ermittelt werden kön- te bi zugrunde gelegt werden (s. Abb.3.5-22).
nen. Die resultierende Längsschubkraft VL,Sd darf Wie bereits zuvor erläutert, resultieren in sta-
entsprechend Abb. 3.5-10 über die Einleitungslänge tisch unbestimmten Systemen aus dem Kriechen
Lv verteilt werden. Dabei ist beff die mittragende sekundäre Beanspruchungen (Zwangsschnittgrö-
Gurtbreite und bei Lasteinleitung in den Stahlträger ßen), die sich zeitlich affin zum Kriechen aufbauen.
e=ev der vertikale Abstand der Kraft FSd von der Bei Anwendung des Gesamtquerschnittsverfahrens
Verbundfuge. Wird die Normalkraft im Abstand können diese Zwangsschnittgrößen vorteilhaft mit
e=eh in den Betongurt eingeleitet, so ist für e der dem Kraftgrößenverfahren oder bei Verwendung
Abstand eh bis zur Stegachse zu berücksichtigen. von Stabwerkprogrammen mit Hilfe eines äquiva-
Die Beziehungen zur Berechnung der resultierenden lenten Temperaturlastfalles einfach berechnet wer-
Längsschubkraft VLN bei Einleitung einer Längs- den. Die Zusammenhänge lassen sich an dem in
kraft FSd sind in Tabelle 3.5-6 angegeben. An Beto- Abb. 3.5-11 dargestellten System besonders gut
nierabschnittsgrenzen ergeben sich bei Momenten- veranschaulichen.
beanspruchung die resultierenden Längsschubkräfte Die Momentenverteilung MP0 aus der ständigen
VLE aus den Teilschnittgrößen des Baustahlquer- Einwirkung ergibt sich zum Zeitpunkt t0 mit den
schnitts. In diesem Fall wird von einer dreieckför- zugehörigen Biegesteifigkeiten EaIi,0 unter Ver-
migen Verteilung der Längsschubkraft über die wendung der Reduktionszahl n0. Wird das Moment
Länge Lv nach Abb. 3.5-10 ausgegangen. Sowohl an der Innenstütze B als statisch unbestimmte
DIN 18800-5 als auch Eurocode 4 erlauben, dass Größe eingeführt, so sind die Verformungen an der
die Verteilung der konzentrierten Längsschubkräfte Mittelstütze mit zunehmendem Belastungsalter
über die Lv = beff erfolgen kann, wobei beff die ge- nicht mehr verträglich, da die Biegesteifigkeit des
samte mittragende Gurtbreite entsprechend Abb. Verbundquerschnitts von EaIi,o auf den Wert EaIi,P
3.5-22 ist. Diese Annahme für Lv ist nur für den abfällt. Die Verträglichkeitsbedingung an der Mit-
Grenzzustand der Tragfähigkeit zulässig, wenn duk- telstütze erfordert somit eine sich zeitlich aufbau-
tile Verbundmittel mit einem ausreichenden Verfor- ende Zwangsschnittgröße MPT. Da die Momenten-
3.5 Verbundbau 1243
Abb. 3.5-10 Längsschubkraft bei örtlicher Lasteinleitung von Normalkräften und an Betonierabschnittsgrenzen
verteilung M0=MP0 zeitlich konstant ist, sind die schnittskenngrößen und die zeitlich veränderlichen
zugehörigen Verformungen GPi0 zum Zeitpunkt ti Momentenanteile MPT mit den mit nA,PT und nI,PT
unter Verwendung der mit nA,P und nI,P berechne- berechneten Querschnittskenngrößen zu bestim-
ten Biegesteifigkeit EaIi,P zu bestimmen. Für das men. Wenn gleichzeitig Normalkräfte auftreten
statisch unbestimmte, zeitlich veränderliche Zwangs- (z. B. bei Vorspannung mit Spanngliedern), ist zu-
moment (statisch Unbestimmte XiPT) sind die zu- sätzlich der aus der Änderung der Schwerachse re-
gehörigen Verformungsgrößen GPTi,k mit der Bie- sultierende Momentenanteil infolge der Normal-
gesteifigkeit EaIi,PT unter Verwendung der Reduk- kraft zu berücksichtigen.
tionszahlen nA,PT und nI,PT zu ermitteln. Bei Ermittlung der Schnittgrößen mit konventi-
Die resultierenden Teilschnittgrößen und Span- onellen Stabwerkprogrammen können die zeitlich
nungen sind dann für die ständigen Momentenan- veränderlichen Zwangsschnittgrößen einfach mit
teile MP0 mit den mit nA,P und nI,P ermittelten Quer- Hilfe eines äquivalenten Temperaturlastfalls ermit-
1244 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
telt werden. Dabei wird die Krümmungsänderung Aus dem Schwinden resultieren in statisch be-
'Ncr infolge Kriechens durch einen äquivalenten stimmten Systemen primäre Beanspruchungen. Sie
Temperaturunterschied 'tcr erfasst: können mit Hilfe des in Abb. 3.5-12 dargestellten
Modells ermittelt werden. Dabei wird die Beton-
platte im ersten Schritt in Gedanken vom Stahlträ-
ger gelöst und die aus der freien Schwinddehnung
(3.5.7) resultierende Unverträglichkeit durch Einführung
der Schwindnormalkraft NSh (Sh: shrinkage) rück-
gängig gemacht:
Abb. 3.5-12 Modell zur Berechnung der primären Beanspruchungen aus dem Schwinden, Endschubkräfte an Trägerenden
3.5 Verbundbau 1245
Tabelle 3.5-7 Teilschnittgrößen und Spannungen aus den primären Beanspruchungen infolge des Schwindens
Betonquerschnitt Stahlquerschnitt
Teilschnittgrößen aus primären Beanspruchungen
(3.5.9)
Durchlaufträgern, beeinflusst werden, wobei der
Abbau dieser Beanspruchungen durch das Krie-
Der Beanspruchungszustand kann bei Verbund- chen des %etons berücksichtigt werden muss. Bei
tragwerken durch planmäßiges Einprägen von De- der Berechnung der zeitabhängigen Einflüsse aus
formationen, z. B. Absenken von Lagern bei dem Kriechen können zwei Berechnungsmethoden
1246 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
Abb. 3.5-15 Zusammenhang zwischen Biegemoment MSd, Teilschnittgröße Ns des Betongurtes und der Krümmung ț des
Gesamtquerschnitts
Beanspruchungen aus dem Schwinden und dem Teilschnittgrößen aus dem äußeren Moment MEd zu-
Rissmoment MR in der Randfaser des Betongurtes sammen. Der Abbau der primären Beanspruchungen
die mittlere Betonzugfestigkeit fctm erreicht wird: NsH und MsH kann näherungsweise durch die in Abb.
3.5-15 dargestellte lineare Interpolation zwischen
(3.5.10) dem Rissmoment MR bei Erstrissbildung und dem
Biegemoment MRn bei abgeschlossener Rissbildung
erfasst werden [Hanswille 1994]. Das Biegemoment
Die Randspannung Vc,H=Vc,S aus den primären Bean- bei abgeschlossener Rissbildung ergibt sich zu
spruchungen infolge Schwindens kann dabei nach
Tabelle 3.5-7 berechnet werden. Wie Abb. 3.5-15
zeigt, setzen sich die Beanspruchungen Ns und Ms
(3.5.11)
des Stahlbetongurtes im Bereich der Erstrissbildung
aus den primären Beanspruchungen infolge des
Schwindens (Teilschnittgrößen NsH und MsH) und den
1248 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
(3.5.12)
Abb. 3.5-17 Starrer und nachgiebiger Verbund, Einfluss von Plastizierungen im Stahlträger
Abb. 3.5-23 Methoden I und II bei der elastischen Tragwerkberechnung, zulässige Momentenumlagerungen
Querschnittsklasse und unter Beachtung der Gleich- Trägern mit Querschnitten der Klasse 1 oder 2
gewichtsbedingungen nach Abb. 3.5-23 von der werden die so ermittelten Biegemomente im
Stütze zum Feld umgelagert werden. Die in Abb. Grenzzustand der Tragfähigkeit durch örtliches
3.5-23 angegebenen Umlagerungsprozentsätze er- Plastizieren weiter umgelagert. Dieser Einfluss
fassen bei dieser Methode Einflüsse aus der Rissbil- wird in den Regelwerken durch eine zusätzliche
dung und aus dem nichtlinearen Materialverhalten Momentenumlagerung nach Abb. 3.5-23 erfasst.
des Beton- und des Baustahls. Die primären und sekundären Beanspruchun-
Bei der Methode II wird der Einfluss der Riss- gen aus Kriechen und Schwinden werden bei Trä-
bildung im Betongurt auf die Momentenverteilung gern mit Querschnitten der Klasse 1 oder 2 im
näherungsweise durch Ansatz der Biegesteifigkeit Grenzzustand der Tragfähigkeit durch Plastizieren
(EaI2) nach Abb. 3.5-23 berücksichtigt. Näherungs- des Baustahlquerschnitts und der Bewehrung
weise darf dabei bei Trägern, bei denen das Ver- sowie durch Rissbildung im Beton nahezu voll-
hältnis benachbarter Stützweiten die Bedingung ständig abgebaut. Sie dürfen daher wie die Ein-
Lmin/Lmax0,6 erfüllt, die als gerissen angenom- flüsse aus der Belastungsgeschichte vernachlässigt
mene Trägerlänge Lcr mit 15% der Stützweite der werden, wenn gleichzeitig ein Versagen durch
angrenzenden Felder angenommen werden. Bei Biegedrillknicken ausgeschlossen werden kann.
3.5 Verbundbau 1255
Abb. 3.5-25 Anforderungen an die Querschnitte und Systeme bei Anwendung der Fließgelenktheorie
tionskapazität hängt bei Durchlaufträgern von der immer ein direkter Nachweis der erforderlichen
Art der Belastung (Gleichstreckenlast, Einzellast), und vorhandenen Rotationskapazität erforderlich.
dem Stützweitenverhältnis und dem Verhältnis der Die zuvor genannten Bedingungen für die An-
plastischen Momententragfähigkeiten der Quer- wendung der Fließgelenktheorie können als erfüllt
schnitte an den Innenstützen und im Feld ab. angesehen werden, wenn im Bereich von Fließge-
Da bei Verbundträgern die plastischen Mo- lenken Querschnitte der Klasse 1 und in den rest-
mententragfähigkeiten bei negativer Momentenbe- lichen Bereichen Querschnitte der Klasse 2 vor-
anspruchung i. Allg. erheblich kleiner sind als bei handen sind. In den Bereichen von Fließgelenken
positiver, ergeben sich an den Innenstützen von müssen ferner in Bezug auf die Stegachse symme-
Durchlaufträgern nennenswert größere erforder- trische Baustahlquerschnitte vorhanden sein. Der
liche Rotationen als bei reinen Stahltragwerken. Druckgurt des Stahlträgers muss im Bereich von
Eine ausreichende vorhandene Rotationskapazität Fließgelenken seitlich gehalten sein, und die Ab-
wird in den Regelwerken bei Verwendung der messungen des Stahlträgers und weiterer stabili-
Baustähle S235 und S355 durch Anforderungen an sierender Bauteile müssen so gewählt werden, dass
die Querschnittsausbildung sichergestellt. Systeme ein Biegedrillknickversagen ausgeschlossen ist.
mit hohen Rotationsanforderungen, z. B. Träger Bei Durchlaufträgern mit Gleichstreckenbelastung
mit stark unterschiedlichen Stützweiten, werden bilden sich die ersten Fließgelenke mit Rotations-
durch Beschränkung der Stützweitenverhältnisse anforderungen i. d. R. an den Innenstützen, d. h.,
ausgeschlossen (Abb. 3.5-25) und [Bode/Fichter der Untergurt und der Steg des Baustahlquer-
1986; Bode/Uth 1987; Kemp 1991]. Bei Verwen- schnitts werden gedrückt, und der Betongurt liegt
dung der hochfesten Baustähle S420 und S460 ist in der Zugzone des Querschnitts. Die Rotationsfä-
3.5 Verbundbau 1257
Tabelle 3.5-8 Vollplastische Biegemomente für Querschnitte ohne Kammerbeton bei vollständiger Verdübelung
A
Nulllinie im Betongurt
B
Nulllinie im Stahlträgerobergurt
C
Nulllinie im Steg
B
plastische Nulllinie im Steg
den Kammern sind dabei entweder an den Steg an- Tragfähigkeit darf der Einfluss aus der Mitwirkung
geschweißte Bügel oder in jeder Kammer geschlos- des Betons zwischen den Rissen bei der Ermittlung
sene Bügel anzuordnen. der Spannungen im Betonstahl vernachlässigt wer-
Bei größeren Querkraftbeanspruchungen muss den. Bei den Querschnitten der Klasse 4 muss zu-
der Einfluss der Querkraft auf die Momententrag- sätzlich das örtliche Beulen der Stege und Gurte
fähigkeit berücksichtigt werden (Interaktion Bie- berücksichtigt werden. Dies kann mit zwei verschie-
gung und Querkraft). Auf eine Abminderung der denen Nachweismodellen erfolgen (Abb. 3.5-29).
Momententragfähigkeit darf verzichtet werden, Bei dem Modell 1 wird ein Beulnachweis nach DIN
wenn der Bemessungswert VEd den 0,5-fachen 18800-3 oder Eurocode 3-1-5, Abschnitt 10 unter
Wert der Querkrafttragfähigkeit VRd nicht über- Zugrundelegung des geometrischen Querschnitts
schreitet. Wenn diese Bedingung nicht eingehalten geführt, d. h., für den Steg bzw. für den Gurt darf die
werden kann, muss der Anteil des Steges an der Spannung VSd die jeweilige Grenzbeulspannung
Momententragfähigkeit mit dem Faktor U nach Gl. Vx,P,Rd nach DIN 18800-3 bzw. Eurocode 3-1-5 nicht
(3.5.20) abgemindert werden. Bei der praktischen überschreiten. Bei gleichzeitiger Wirkung von Nor-
Berechnung wird zweckmäßig entsprechend Abb. mal- und Schubspannungen sind die Interaktionsbe-
3.5-28 im Steg eine reduzierte Streckgrenze Ufyd dingungen nach DIN 18800-3 bzw. Eurocode 3-1-5
angesetzt oder alternativ eine reduzierte Stegdicke einzuhalten. Alternativ kann der Nachweis mit
Utw des Stahlprofils bei der Ermittlung der Mo- einem effektiven (wirksamen) Querschnitt nach
mententragfähigkeit berücksichtigt. DIN 18800-2, Abschn. 7 bzw. Eurocode 3-1-5 ge-
führt werden (Modell 2). Dabei wird der wirksame
Querschnitt in Abhängigkeit von der bezogenen
(3.5.20)
Plattenschlankheit der Stege bzw. Gurte ermittelt.
Die am wirksamen Querschnitt elastisch ermittelten
Elastische Querschnittstragfähigkeit. Bei Querschnit- Spannungen dürfen die Bemessungswerte der Fes-
ten der Klasse 3 sind die Spannungen auf die jewei- tigkeiten nicht überschreiten.
ligen Bemessungswerte der Festigkeiten zu be-
schränken. Dabei sind der Einfluss aus der Belas- Biegedrillknicken
tungsgeschichte, die Rissbildung und die Einflüsse Bei Durchlaufträgern ist im Bereich der Innenstüt-
aus dem Kriechen und Schwinden zu berücksichti- zen eine ausreichende Sicherheit gegen Biegedrill-
gen. Bei Nachweisen in den Grenzzuständen der knicken, d. h. gegen das seitliche Ausweichen des
Abb. 3.5-28 Interaktion zwischen Querkraft und Biege- Abb. 3.5-29 Elastische Momententragfähigkeit
moment
1262 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
bezogene Schlankheit
gedrückten Untergurtes, nachzuweisen. Wie Abb. DIN 18800-2 angegeben. Bei einer Berechnung
3.5-30 verdeutlicht, ist das Biegedrillknicken bei nach Eurocode 4 ist der Abminderungsfaktor ana-
Verbundträgern im Vergleich zu Stahlträgern we- log nach Eurocode 3-1-1 zu ermitteln. Für die Be-
sentlich günstiger zu beurteilen, da der Stahlquer- rechnung der bezogenen Schlankheit und des Ab-
schnitt durch die Betonplatte seitlich gehalten und minderungsfaktors NM muss das ideale Biegedrill-
zusätzlich drehelastisch gehalten wird. Das Versa- knickmoment MKi bzw. in der Schwerachse des
gen wird ferner durch das Verformungsverhalten gedrückten Gurtes die Spannung VKi infolge des
des Steges beeinflusst (Profilverformung). idealen Biegedrillknickmoments bekannt sein. Zur
Eine ausreichende Tragfähigkeit gegen Biege- Berechnung von MKi werden die in Abb. 3.5-30
drillknicken ist gegeben, wenn bei einer Berech- dargestellten Lagerungsbedingungen angenom-
nung nach DIN 18800-5 die in Tabelle 3.5-11 an- men. Der Betongurt bewirkt eine seitliche Halte-
gegebenen Bedingungen eingehalten sind. In Ta- rung am Obergurt sowie eine kontinuierliche dreh-
belle 3.5-11 ist der Abminderungsfaktor NM nach elastische Bettung. Der Einfluss der Profilverfor-
3.5 Verbundbau 1263
Tabelle 3.5-12 Grenzprofilhöhen h (mm) für Querschnitte Träger mit Querschnitten der Klasse 1 und 2 und duk-
ohne Kammerbeton tilen Verbundmitteln. Zwischen kritischen Schnitten
Profil Stahlsorte ergeben sich bei Trägern mit Querschnitten der
S235 S355 S460 Klassen 1 und 2 die Längsschubkräfte bei vollstän-
diger Verdübelung (K=1) aus der Differenz der
IPE 600 400 270
Normalkräfte des Betongurtes bzw. der Beton-
HEA 800 650 500
stahlbewehrung infolge der vollplastischen Grenz-
HEB 900 700 600
schnittgrößen (Abb. 3.5-32). Die zwischen den
1264 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
Tabelle 3.5-13 Mindestverdübelungsgrade bei Trägern mit Querschnitten der Klasse 1und 2 und teilweiser Verdübelung nach
Eurocode 4-1-1
(3.5.22)
(3.5-26)
Anzahl der Dübel Blechdicke t des durchgeschweißte Dübel vorgelochte Profilbleche und Dübel
pro Rippe Profilbleches in mm d1 < 20 mm d1=19 mm und
d1=22 mm
Ermüdung
(3.5.28) Für Verbundträger unter nicht vorwiegend ru-
hender Beanspruchung ist für die Verbundmittel
ein Nachweis der Ermüdung erforderlich. Die
Spannungen infolge der Ermüdungsbelastung sind
stets durch eine elastische Tragwerksberechnung
(3.5.29) zu bestimmen. Dabei kann i. d. R. von einer starren
Verdübelung ausgegangen werden, da mit dieser
Hierbei ist fcd der Bemessungswert der Zylinder- Annahme die Längsschubkräfte in der Verbundfu-
druckfestigkeit des Betons in N/mm2, T die Druck- ge auf der sicheren Seite liegend ermittelt werden.
strebenneigung, Dc ein Abminderungsbeiwert für Bezüglich des Nachweises der Ermüdung für den
die Druckstrebenneigung, Acv die im jeweils be- Baustahlquerschnitt, den Beton und die Beweh-
trachteten Schnitt maßgebende Querschnittsfläche rung wird auf 3.3 und 3.4 verwiesen. Nachfolgend
des Betons pro Längeneinheit und Asv die anre- werden nur die Besonderheiten beim Nachweis der
chenbare Querbewehrung pro Längeneinheit. Bei Verdübelung erläutert. Bei wiederholter Beanspru-
Druckgurten kann in der Regel cot T=1,2 und bei chung wird bei Kopfbolzendübeln in Vollbeton-
Zuggurten cot T=1,0 zugrunde gelegt werden. Bei platten der Beton im Bereich des Schweißwulstes
der Ermittlung des Traganteils der Bewehrung mit zunehmender Lastspielzahl geschädigt. Diese
nach Gl. (3.5.29) darf der Traganteil Vpd = Ap fypd Schädigung ist neben der Schubkraftdoppelampli-
von senkrecht zur Trägerachse verlaufenden Pro- tude auch von der Oberlast abhängig. Die Schädi-
filblechen mit der Fläche Ap dem Bemessungswert gung führt zu einer verstärkten Biegebeanspru-
der Streckgrenze fypd angerechnet werden, wenn chung des Bolzenschaftes und schließlich zu den
die Profilbleche über dem Träger durchlaufen oder in Abb. 3.5-37 dargestellten Ermüdungsbrüchen
kraftschlüssig angeschlossen werden. [Roik/Hanswille 1987, 1989, Hanswille/Porsch/
Bei Verwendung von senkrecht zur Trägerachse Üstündag 2006, 2007 Hanswille/Porsch 2009].
verlaufenden Profilblechen, die über dem Träger In Betondruckgurten werden die Brüche vom
nicht gestoßen sind, ist es nicht erforderlich, Schnit- Typ A oder B nach Abb. 3.5-37 beobachtet, d. h.
te vom Typ b-b zu untersuchen, wenn die Tragfähig-
keit der Kopfbolzendübel unter Berücksichtigung
des Abminderungsbeiwerts kt nach Gl. (3.5.26) er-
mittelt wird. Bei der Ermittlung der anrechenbaren
Flächen Acv von Trägern mit senkrecht zur Träger-
achse verlaufenden Profilblechen darf der Beton in
den Rippen nicht in Rechnung gestellt werden.
Bei den Schnitten in der Dübelumrissfläche vom
Typ b, c und e darf in Gl. (3.5.29) nur die Beweh-
rung angerechnet werden, die die jeweils betrachte-
te Schnittebene kreuzt. Bei kombinierter Beanspru-
chung durch den aus der Trägerwirkung resultie-
renden Längsschub und örtliche Querbiegung ist
nach DIN 1045-1 oder Eurocode 2 der größere er-
forderliche Stahlquerschnitt anzuordnen, der sich
aus der Trägerwirkung oder aus der örtlichen Quer-
biegebeanspruchung ergibt. Für die Mindestbeweh-
rung im Plattenanschnitt und in der Dübelumrissflä-
che gelten die Regelungen für Stahlbeton-Platten-
balken. Der Mindestbewehrungsgrad ist bei Trägern
mit Profilblechen auf die maßgebende Betonfläche Abb. 3.5-37 Ermüdungsbrüche und Rissfortschritt bei
oberhalb des Profilbleches zu beziehen. Kopfbolzendübeln in Vollbetonplatten
1270 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
Rissbeginn am Schweißwulst und Rissfortschritt schwingbreite im Bolzenschaft mit der in Abb. 3.5-
durch den Schaft, den Schweißwulst oder durch die 38 dargestellten Ermüdungsfestigkeitskurve beur-
Wärmeeinflusszone im Flansch. In Gurten mit Zug- teilt werden [Roik/Hanswille 1987, 1989, Hanswil-
beanspruchung kann der Typ C beobachtet werden, le/Porsch 2009].
d. h., der Riss beginnt wie bei den Typen A und B am In Trägerbereichen, in denen der Betongurt in
Schweißwulst und wandert dann durch den Flansch der Druckzone liegt, kann der Ermüdungsnachweis
des Trägers. Aus der Betonschädigung resultiert mit mit Hilfe der rechnerischen Spannungsschwing-
zunehmender Lastspielzahl eine Zunahme des breite 'W im Bolzenschaft geführt werden. Bezieht
Schlupfes, die kurz vor dem Ermüdungsbruch be- man die schadensäquivalente Spannungsamplitude
sonders ausgeprägt ist. Die maßgebenden Größen auf die Lastspielzahl n=2·106, so ergibt sich:
zur Beurteilung der Ermüdungsfestigkeit sind die
Schubspannungsschwingbreite im Bolzenschaft und (3.5.30)
die Oberlast. Neuere Untersuchungen zeigen ferner,
dass insbesondere bei hohen Oberlasten durch die
Schädigung eine deutliche Reduzierung der sta- Für Vollbetonplatten aus Normalbeton ergibt sich
tischen Resttragfähigkeit hervorgerufen wird [Hans- nach Abb. 3.5-38 die Ermüdungsfestigkeit 'WR für
wille/Porsch/Üstündag 2006, 2007]. Aus diesem die Bezugslastspielzahl n=2·106 zu 'WC=95 N/mm2.
Grunde wird in den Regelwerken zusätzlich zum Bei Betongurten mit unterbrochener Verbundfuge
Nachweis der Doppelschubkraftamplitude eine Be- (Profilblechdecken) ist das Ermüdungsverhalten der
grenzung der Oberlast unter der charakteristischen Dübel ungünstiger zu beurteilen. Für spezielle Pro-
Kombination auf den 0,6-fachen Bemessungswert filblechgeometrien können die Ermüdungsfestig-
der Dübeltragfähigkeit PRd nach den Gln. (3.5.23) keitskurven der Literatur entnommen werden
und (3.5.24) gefordert. Die Ermüdungsfestigkeit [Bode/Becker 1993; Becker 1997]. Für Brücken
kann dann allein mit Hilfe der Schubspannungs- sind die ermüdungswirksamen Verkehrslasten zur
Ermittlung von 'WD,E im Eurocode 4-2 angegeben. bundträgern durch übermäßige Rissbildung im Be-
Für übliche Hochbauten kann 'WD,E vereinfacht mit tongurt, durch übermäßige Verformungen sowie
der häufigen Lastkombination ermittelt werden. durch das Schwingungsverhalten eingeschränkt
Die Teilsicherheitsbeiwerte dürfen nach Eurocode sein. In den Regelwerken wird ferner beim Nach-
4-1-1 mit JMf=1,0 und JFf =1,0 angenommen wer- weis der Gebrauchstauglichkeit in Sonderfällen
den. In Trägerbereichen mit negativer Momenten- die Einhaltung von Grenzspannungen gefordert.
beanspruchung (Betongurt in der Zugzone und Dabei ist zu bedenken, dass die Begrenzung von
Rissbildung im Betongurt) ergeben sich im Ober- Spannungen unter Gebrauchslastniveau sowie bei
gurt des Stahlträgers nennenswerte Spannungsam- aggressiven Umweltbedingungen die Rissbrei-
plituden. Das Ermüdungsverhalten wird dann zu- tenbeschränkung strenggenommen keine reinen
sätzlich durch die Spannungsamplituden 'V im Gebrauchstauglichkeitsnachweise darstellen, weil
Obergurt des Stahlträgers bestimmt (s. Abb. 3.5-37), mit diesen Nachweisen eine ausreichende Dauer-
Versagenstyp C. Der Ermüdungsnachweis ist dann haftigkeit nachgewiesen wird und somit diese
mit der Interaktionsbedingung (3.5-31) zu führen, Nachweise eine Voraussetzung für die in 3.5.3.3
vgl. Abb. 3.5-38. Dabei ist 'VE die schadensäqui- beschriebenen Nachweise im Grenzzustand der
valente Spannungsschwingbreite im Stahlträgero- Tragfähigkeit bilden.
bergurt für nE=2·106. Beim Nachweis der Interak-
tionsbedingung (3.5.31) ist insbesondere eine rea- Berechnung der Schnittgrößen, Spannungen
listische Berücksichtigung des Einflusses aus der und Verformungen
Rissbildung im Betongurt sowie des Einflusses aus Die Schnittgrößen und Verformungen sind bei den
der Mitwirkung des Betons zwischen den Rissen Nachweisen in den Grenzzuständen der Gebrauchs-
von Bedeutung, da sowohl die Spannung im Stahl- tauglichkeit auf der Grundlage der Elastizitätsthe-
trägerobergurt als auch die Schubbeanspruchung orie unter Berücksichtigung der Rissbildung, von
des Kopfbolzendübels hierdurch signifikant beein- Kriechen und Schwinden sowie der Belastungsge-
flusst werden. Wenn keine genaueren Berech- schichte zu berechnen. Der Einfluss der Schub-
nungen durchgeführt werden, sind stets auf der si- weichheit des Betongurtes darf durch eine mittra-
cheren Seite liegend zwei Grenzfälle zu untersu- gende Gurtbreite nach Abb. 3.5-22 berücksichtigt
chen, bei denen die Spannungsschwingbreite im werden. Bei der Ermittlung der Verformungen ist
Stahlträgerobergurt und die zugehörige Schubspan- die Nachgiebigkeit der Verbundmittel nur in Son-
nungsschwingbreite im Bolzenschaft sowohl mit derfällen zu berücksichtigen.
den Querschnittskenngrößen des als ungerissen an- In Trägerbereichen mit gerissenen Betongurten
genommenen Betongurtes als auch mit den Quer- sind die Spannungen im Betonstahl bzw. Spann-
schnittskenngrößen des als gerissen angenommenen stahl unter Berücksichtigung der Mitwirkung des
Betongurtes zu ermitteln sind. Betons zwischen den Rissen zu ermitteln. Da die
Mitwirkung des Betons zwischen den Rissen nur
beim Beton- bzw. Spannstahl zu einer Erhöhung
(3.5.31) der Beanspruchungen führt, können die Spannungen
für den Baustahlquerschnitt auf der sicheren Seite
liegend auch ohne Berücksichtigung der Mitwir-
kung des Betons zwischen den Rissen bestimmt
werden. Bei Trägern ohne Eigengewichtsverbund
mit Querschnitten der Klassen 1 und 2, die im
3.5.3.4 Grenzzustand der
Grenzzustand der Tragfähigkeit nach der Fließge-
Gebrauchstauglichkeit
lenktheorie oder unter Berücksichtigung der Mo-
Allgemeines mentenumlagerungen nach Abb. 3.5-23 bemessen
In den Grenzzuständen der Gebrauchstauglichkeit werden, kann im Grenzzustand der Gebrauchstaug-
ist nachzuweisen, dass bestimmte Anforderungen lichkeit örtliches Plastizieren auftreten. Die daraus
an Bauwerks- oder Bauteileigenschaften erfüllt resultierenden Verformungen können vereinfacht
werden. Die Gebrauchstauglichkeit kann bei Ver- mit Hilfe der Fließgelenktheorie bestimmt werden.
1272 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
Andernfalls ist nachzuweisen, dass für die jeweils und den primären Beanspruchungen aus dem
betrachtete Kombination kein inelastisches Verhal- Schwinden bei Erstrissbildung. Der Beiwert kE=0,8
ten auftritt. erfasst den Einfluss von nichtlinear verteilten Ei-
genspannungen aus dem Schwinden und der Bei-
Rissbreitenbeschränkung wert kR=0,9 den Einfluss aus der Umlagerung der
Die Anforderungen an die Beschränkung der Riss- Gurtnormalkraft in den Stahlträger infolge Erst-
breite werden im Wesentlichen durch die Umwelt- rissbildung und Schlupfes in der Verbundfuge.
bedingungen bestimmt. Grundlage ist die Forde- Mit der Betonstahlspannung Vs=Nc+s,r/As erhält
rung einer Mindestbewehrung zur Beschränkung man für den erforderlichen Mindestbewehrungs-
von möglichen Einzelrissen in Trägerbereichen grad
mit wahrscheinlicher Rissbildung. Als Bereiche
wahrscheinlicher Rissbildung sind diejenigen Trä- (3.5.35)
gerbereiche anzusehen, in denen sich aus der sel-
tenen Lastkombination rechnerisch Zugbeanspru-
chungen im Beton ergeben. Dabei ist zu bedenken, Wenn keine Anforderungen an die Rissbreite ge-
dass die Beanspruchungen aus dem Schwinden nur stellt werden, darf in Gl. (3.5.35) für die Beton-
mit relativ großer Ungenauigkeit rechnerisch er- stahlspannung Vs maximal der charakteristische
mittelt werden können und in Verbundträgern zu- Wert der Streckgrenze fsk eingesetzt werden. Bei
sätzlich aus der Entwicklung der Hydratationswär- Anforderungen an die Rissbreite ist Vs in Abhän-
me primäre und sekundäre Beanspruchungen re- gigkeit vom verwendeten Stabdurchmesser und
sultieren, die im Allgemeinen rechnerisch nicht dem Bemessungswert der geforderten Rissbreite
berücksichtigt werden [Pamp 1992]. In den Regel- einzusetzen. Der Bemessungswert der geforderten
werken wird die erforderliche Mindestbewehrung Rissbreite ist von den Umweltbedingungen abhän-
in Anlehnung an die Regelungen für den Massiv- gig und wird in Übereinstimmung mit den Rege-
bau aus der bei Erstrissbildung resultierenden Be- lungen für Massivbauten festgelegt (s. 3.3).
tonstahlspannung und aus dem für die einzuhalten- In Trägerbereichen, in denen der für den Grenz-
de Rissbreite w maßgebenden Stabdurchmesser zustand der Tragfähigkeit erforderliche Bewehrungs-
bestimmt. Für die resultierende Normalkraft Nc+s,r querschnitt den Mindestbewehrungsquerschnitt
des Betongurtes und der Bewehrung unter dem nach Gl. (3.5.35) überschreitet, ist die Betonstahl-
Rissmoment MR und den primären Beanspru- spannung entweder in Abhängigkeit vom Stab-
chungen aus dem Schwinden folgt mit Gl. (3.5.10) durchmesser oder in Abhängigkeit vom Stababstand
und den Näherungen zcoªhc/2 sowie zicªzic,s zu beschränken. Die Spannungen sind bei diesem
Nachweis für die quasi-ständige Kombination und
unter Berücksichtigung der Mitwirkung des Betons
zwischen den Rissen nach Gl. (3.5.13) zu ermit-
(3.5.32) teln.
Betonierschicht erforderlich. Nach dem Betonie- gen Durchstanzen (s. 3.3). Nachfolgend werden
ren der ersten Lage ist ferner auf eine sorgfältige daher nur die für Verbunddecken typischen Nach-
Nachbehandlung des Betons zu achten. weise für die Schnitte I und II näher erläutert. Da-
bei ist insbesondere die Frage der Längsschubtrag-
fähigkeit und der Duktilität des Verbunds zwischen
3.5.4.2 Grenzzustand der Tragfähigkeit
Profilblech und Beton von Bedeutung.
Allgemeines, erforderliche Nachweise Verbunddecken werden nach Eurocode 4-1-1
Verbunddecken sind stets für den Bauzustand und und DIN 18800-5 als duktil bezeichnet, wenn bei
den Endzustand nachzuweisen. Im Bauzustand Versuchen nach deutlichem Endschlupf zwischen
wirkt das Blech als Schalung. Die erforderlichen Blech und Beton die Prüflast um mehr als 10% ge-
Tragsicherheitsnachweise sind im Eurocode 3 bzw. steigert werden kann und bei weggeregelten Versu-
in DIN 18807 geregelt. Die Schnittgrößen sind da- chen kein plötzlicher Lastabfall stattfindet. Da die
bei nach der Elastizitätstheorie unter Berücksichti- Längsschubtragfähigkeit von Blechen nur mit Hil-
gung von Montage- und Ersatzlasten aus Arbeits- fe von Versuchen ermittelt werden kann, sind die
betrieb zu ermitteln. Wenn die maximale Durch- Bemessungswerte der Längsschubtragfähigkeit in
biegung des Bleches unter seinem Eigengewicht bauaufsichtlichen Zulassungen geregelt. Dies gilt
und dem Gewicht des Frischbetons im Grenzzu- auch für die Tragfähigkeit von Endverankerungen.
stand der Gebrauchstauglichkeit geringer als 1/10 Der Nachweis der Längsschubtragfähigkeit kann
der Deckendicke ist, darf das Mehrgewicht des Be- nach den Regelwerken mit der sog. „m+k-Metho-
tons infolge der Durchbiegung des Bleches bei der de“ und bei Decken mit duktilem Verbundverhalten
Bemessung vernachlässigt werden. nach der Teilverbundtheorie geführt werden [Bode/
Im Grenzzustand der Tragfähigkeit sind für Sauerborn 1992; Bode/Minas/Sauerborn 1996;
Verbunddecken die in Abb. 3.5-41 dargestellten Minas 1997]. Bei der „m+k-Methode“ handelt es
kritischen Schnitte zu untersuchen. Die Längs- sich um ein in den USA entwickeltes, halbempiri-
schubtragfähigkeit in der Verbundfuge zwischen sches Bemessungsverfahren, das für Decken ohne
Blech und Beton (Schnitt II-II) bestimmt dabei ausreichende Duktilität entwickelt wurde.
meistens die maximale Momententragfähigkeit,
d. h., es liegt i. d. R. eine teilweise Verdübelung vor. Schnittgrößenermittlung
Biegeversagen im Schnitt I-I wird nur bei vollstän- Die Schnittgrößen für Verbunddecken können in
diger Verdübelung maßgebend. Der Nachweis der Übereinstimmung mit den Regelungen für Stahl-
Querkrafttragfähigkeit im Schnitt III-III sowie der betonplatten ermittelt werden, d. h., es dürfen line-
Nachweis der Momententragfähigkeit im nega- ar-elastische Verfahren mit und ohne Momenten-
tiven Momentenbereich (Schnitt IV-IV) erfolgen umlagerung oder Verfahren auf der Grundlage der
in Übereinstimmung mit den Regelungen für Stahl- Plastizitätstheorie mit Kontrolle der Rotationsfä-
betonplatten. Dies gilt auch für den Nachweis ge- higkeit verwendet werden. Eine Berechnung nach
der Fließgelenktheorie ohne direkte Kontrolle der
Rotationsfähigkeit ist nur zulässig, wenn an den
Innenstützen die in DIN1045-1 angegebenen Be-
dingungen bezüglich der Druckzonenhöhe und
der Duktilität des Betonstahls eingehalten werden,
Profilbleche mit hinterschnittener Profilblechgeo-
metrie und mechanischem Verbund verwendet wer-
den und die Stützweite 6,0 m nicht überschreitet
[Sauerborn 1995].
Querschnittstragfähigkeit
Verbunddecken gelten als vollständig verdübelt,
Abb. 3.5-41 Maßgebende kritische Schnitte beim Nach- wenn die für das vollplastische Grenzmoment er-
weis des Grenzzustands der Tragfähigkeit forderlichen Längsschubkräfte zwischen Profil-
3.5 Verbundbau 1277
blech und Beton übertragen werden können, an- Das vollplastische Biegemoment Mpl,r des Profil-
dernfalls liegt eine teilweise Verdübelung vor. Bei bleches bei gleichzeitiger Wirkung der Normalkraft
vollständiger Verdübelung darf bei positiver Mo- Np=K Ap fypd kann dabei vereinfacht mit der Normal-
mentenbeanspruchung (Profilblech in der Zugzo- kraft-Momenten-Interaktion für Stahlquerschnitte
ne) das Grenzmoment Mpl,Rd wie bei Verbundträ- berechnet werden und ergibt sich mit dem vollplas-
gern nach Abb. 3.5-42 a vollplastisch berechnet tischen Biegemoment Mpl,a,Rd des Profilblechs zu
werden, wenn die plastische Nulllinie nicht im Mpl,r=1,1 Mpl,a,Rd (1–K). Bei Anordnung von Zula-
Profilblech liegt. gebewehrung muss ferner die Bedingung (As fsd)/(Ap
fypd)t0,7 erfüllt sein. Der Verdübelungsgrad K ergibt
(3.5.37) sich dabei aus der zwischen den kritischen Schnit-
ten übertragbaren Längsschubkraft. Sie wird mit
dem Bemessungswert der Verbundfestigkeit Wu,Rd
ermittelt, der die Längsschubtragfähigkeit bezogen
auf die Deckengrundfläche angibt. Betrachtet man
(3.5.38) im Teilverbundiagramm nach Abb. 3.5-43 den Quer-
schnitt im Abstand Lx vom Endauflager, so ergibt
Bei Decken mit duktilem Verbundverhalten kann sich die bis zum Schnitt übertragbare Längsschub-
das Grenzmoment MRd in Übereinstimmung mit kraft zu VL,Rd=Wu,Rd b Lx. Den zugehörigen Verdübe-
der Vorgehensweise bei Verbundträgern nach der lungsgrad K erhält man dann zu
Teilverbundtheorie berechnet werden. Für das
Grenzmoment erhält man mit Abb. 3.5-42 b in Ab- (3.5.41)
hängigkeit vom Verdübelungsgrad K
Abb. 3.5-42 Plastische Spannungsverteilungen zur Ermittlung des vollplastischen Moments Mpl, Rd und des Grenzmo-
ments MRd bei teilweiser Verdübelung
1278 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
Das Tragverhalten von Verbunddecken ent- Schublänge sowie m und k in Versuchen ermittelte
spricht bei negativer Momentenbeanspruchung Werte, die bauaufsichtlichen Zulassungen entnom-
dem Verhalten von Stahlbetondecken. Bei der Be- men werden können. Der Teilsicherheitsbeiwert
messung muss jedoch die durch die Profilgeome- Jvs für das verwendete Blech ist ebenfalls in den
trie des Bleches hervorgerufene Schwächung der jeweiligen allgemeinen bauaufsichtlichen Zulas-
Betondruckzone berücksichtigt werden. Nach DIN sungen angegeben. Für den Nachweis nach Gl.
18800-5 darf die Ermittlung der negativen Mo- (3.5.42) ist bei Einfeldträgern als Schublänge Ls
mententragfähigkeit auch unter Anrechnung des für gleichmäßig verteilte Belastung über die ge-
Profilblechs erfolgen, wenn das Blech an Innen- samte Stützweite der Wert L/4 zugrunde zu legen.
stützen durchlaufend ist und das örtliche Beulen Wenn die Decken als durchlaufende Verbund-
des Bleches berücksichtigt wird. decken ausgeführt werden, muss die Bemessung
der Längsschubtragfähigkeit für äquivalente Ein-
Längsschubtragfähigkeit feldträger mit der Stützweite Leff erfolgen. Die ef-
Bei Anwendung der m+k-Methode gilt nach Abb. fektive Stützweite ergibt sich dabei aus dem Ab-
3.5-44 der Nachweis der Längsschubtragfähigkeit stand der Momentennullpunkte bei Annahme einer
als erbracht, wenn die größte Bemessungsquerkraft konstanten Beanspruchung in allen Feldern.
VSd die Grenzquerkraft Bei Anwendung des Teilverbundverfahrens gilt
der Nachweis der Längsschubtragfähigkeit als er-
(3.5.42) bracht, wenn nachgewiesen wird, dass das Bemes-
sungsmoment MEd das Grenzmoment MRd nach Gl.
(3.5.40) an keiner Stelle überschreitet. Abbildung
nicht überschreitet. 3.5-45 zeigt diesen Nachweis exemplarisch für
Dabei sind b die Breite des Querschnitts, dp die eine einfeldrige Decke.
statische Nutzhöhe nach Abb. 3.5-42, Ap die wirk- Wenn Kopfbolzendübel als Endverankerungen
same Querschnittsfläche des Profilblechs, Ls die berücksichtigt werden, vergrößert sich die Beton-
3.5 Verbundbau 1279
Abb. 3.5-44 Nachweis der Längsschubtragfähigkeit nach Abb. 3.5-45 Nachweis der Längsschubtragfähigkeit nach
der m+k-Methode der Teilverbundtheorie
druckkraft Nc um die Grenzscherkraft Ved der End- der Nachweis der Verformungen nicht indirekt
verankerung. Dies kann beim Nachweis nach Abb. durch Begrenzung der Schlankheit erfolgt, sollte
3.5-45 durch eine Verschiebung des Teilverbund- als effektive Biegesteifigkeit der Mittelwert der
kurve für MRd in der Lx-Richtung um den Betrag Biegesteifigkeiten des gerissenen und des ungeris-
Ved /(b Wu,Rd) erfasst werden. Die aus den Auflager- senen Querschnitts verwendet werden. Der Ein-
kräften REd der Decke resultierende Endverankerung fluss des Kriechens kann vereinfacht durch eine
Ved=P REd infolge Reibung darf bei der Bemessung reduzierte Biegesteifigkeit mit den Reduktions-
nur dann angerechnet werden, wenn dieser Einfluss zahlen nach Tabelle 3.5-4 berücksichtigt werden.
nicht bereits bei der experimentellen Ermittlung der
Verbundfestigkeit Wu,Rd berücksichtigt wurde. Der
Reibungsbeiwert P hängt von der Oberflächenbe- 3.5.5 Verbundstützen und
schaffenheit der Profilbleche ab und wird in den je- Rahmentragwerke
weiligen bauaufsichtlichen Zulassungen angegeben.
3.5.5.1 Einleitung, Nachweisverfahren
3.5.4.3 Grenzzustand der
Verbundstützen werden bevorzugt aus voll oder
Gebrauchstauglichkeit
teilweise einbetonierten Stahlprofilen oder aus be-
Die Nachweise der Rissbreitenbeschränkung in tongefüllten Hohlprofilen hergestellt. Typische
negativen Momentenbereichen sind in Überein- Querschnitte zeigt Abb. 3.5-46. Sie zeichnen sich
stimmung mit den Regelungen für Stahlbetonde- gegenüber reinen Stahl- und Stahlbetonstützen
cken zu führen. Dies gilt auch für die Begrenzung durch hohe Tragfähigkeiten bei kleinen Quer-
von Verformungen. Bei einfeldrigen Verbundde- schnittsabmessungen und gegenüber Stahlbeton-
cken und in den Endfeldern von Durchlaufdecken stützen durch eine größere Duktilität aus. Bei der
kann der Schlupf zwischen Profilblech und Beton Wahl des Querschnitts sind neben architekto-
zu einer Vergrößerung der Verformungen führen. nischen und herstellungstechnischen Gesichts-
Dieser Einfluss darf vernachlässigt werden, wenn punkten insbesondere die Brandschutzanforde-
in den jeweiligen Zulassungen für das Profilblech rungen und die Konsequenzen für die konstruktive
keine abweichenden Angaben enthalten sind. Wenn Ausbildung der Anschlüsse von Bedeutung.
1280 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
da der Querschnitt des eingestellten Profils von vor. Dieses Verfahren erlaubt auch die Bemessung
Geschoß zu Geschoß optimal abgestuft werden von Verbundstützen mit ausbetonierten Hohlprofi-
kann. len und massiven inneren Stahlkernen. Diese Profile
sind derzeit durch DIN 18800-5 und Eurocode 4-1-
In den nationalen und europäischen Regelwerken 1 nicht abgedeckt (Hanswille 2003).
werden zwei Methoden für die Bemessung von
Verbundstützen angegeben: ein allgemeines Be-
3.5.5.2 Vereinfachtes Bemessungsverfahren
messungsverfahren, mit dem die Tragfähigkeit von
Stützen mit beliebigen und über die Stützenlänge Allgemeines, Anwendungsgrenzen
veränderlichen Querschnitten beurteilt werden Der vereinfachte Tragsicherheitsnachweis gilt für
kann, und ein vereinfachtes Bemessungsverfahren Stützen mit doppeltsymmetrischen und über die
für Stützen mit doppeltsymmetrischem und über Stützenlänge konstanten Verbundquerschnitten mit
die Stützenlänge konstantem Querschnitt. gewalzten, kaltprofilierten oder geschweißten
Bei Anwendung des allgemeinen Bemessungsver- Stahlprofilen. Im Rahmen der Bemessung sind fol-
fahrens sind beim Nachweis der Gesamtstabilität die gende Nachweise zu führen:
Auswirkungen der Theorie II. Ordnung unter Be-
– Tragfähigkeit der Stütze für Druck, Biegung und
rücksichtigung von geometrischen und struktu-
Querkraft,
rellen Imperfektionen sowie örtlichen Instabilitä-
– örtliches Beulen von Stahlteilen,
ten zu beachten. Ferner sind die Einflüsse aus der
– Schubtragfähigkeit der Verbundfuge,
Rissbildung, dem nichtlinearen Materialverhalten
– Krafteinleitung an den Stützenenden bzw. an den
sowie dem Kriechen und Schwinden des Betons zu
Einleitungsstellen von großen Querlasten und
berücksichtigen. Bei der Berechnung kann i. Allg.
Momenten sowie an Stellen mit Querschnittsän-
vollständiger Verbund zwischen Stahlprofil und
derungen.
Beton angenommen werden. Detaillierte Angaben
zu diesem Verfahren enthält [Bergmann 1981, Hans- Das vereinfachte Bemessungsverfahren wurde
wille/Lippes 2008]. Bei Anwendung des Allgemei- durch Vergleich mit Versuchsergebnissen und
nen Bemessungsverfahrens ist ein Nachweis auf durch Vergleichsrechnungen mit genaueren Be-
der Grundlage des probabilistischen Sicherheits- rechnungsverfahren hergeleitet [Bergmann 1981;
konzeptes mit Teilsicherheitsbeiwerten auf der Wi- Roik/Bergmann 1989, Bergmann 1996, Lindner
derstandsseite nicht mehr möglich, da bei Anwen- 1998, Hanswille 2003]. Bei der Anwendung sind
dung nicht-linearer Verfahren auf den Mittelwerten daher neben den genannten Voraussetzungen wei-
der Werkstoffkennwerte basierende Spannungs- tere Anwendungsgrenzen zu beachten. Der Quer-
dehnungslinien verwendet werden müssen [Hans- schnittsparameter G, der das Verhältnis der Bemes-
wille 2003]. Weitere Details können DIN 18800-5 sungswerte der Normalkrafttragfähigkeit des Bau-
entnommen werden. stahlquerschnitts und des Verbundquerschnitts an-
Das vereinfachte Bemessungsverfahren nach gibt, muss folgende Bedingung erfüllen:
Eurocode 4-1-1 und DIN 18800-5 basiert für zen-
trisch beanspruchte Stützen auf dem Ersatzstabver-
(3.5.43)
fahren unter Verwendung der Europäischen Knick-
spannungskurven. Für Druck mit Biegung wird in
–
Eurocode 4-1-1 und in DIN 18800-5 ein verein- Ferner darf der bezogene Schlankheitsgrad O den
fachtes Nachweisverfahren auf der Grundlage der Wert 2,0 nicht überschreiten. Bei vollständig einbe-
Elastizitätstheorie II. Ordnung angegeben. Die in tonierten Profilen nach Abb. 3.5-46a dürfen rechne-
den Regelwerken enthaltenen Nachweisverfahren risch maximal die Betondeckungen max cz=0,3hc
für Verbundstützen gelten für Baustahlgüten S235 bzw. max cy=0,4bc berücksichtigt werden, und das
bis S460 sowie für die Betonfestigkeitsklassen Verhältnis von Querschnittshöhe h zu Querschnitts-
C20/25 bis C50/60. Für die Bemessung von Stützen breite b muss zwischen 0,2 und 5 liegen. Eine vor-
mit hochfesten Betonen liegt ein vereinfachtes handene Längsbewehrung darf rechnerisch maximal
Nachweisverfahren von Hanswille/Lippes (2008) mit 6% der Betonfläche berücksichtigt werden. Der
1282 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
Querschnitt Grenzwerte
(3.5.45)
(3.5.46)
Dabei sind Wpl,a, Wpl,c und Wpl,s die plastischen
Widerstandsmomente des Baustahl-, Beton- und
– In Punkt D stimmt die Lage der plastischen
Betonstahlquerschnitts. Sie sind für einige Pro-
Nulllinie mit der Querschnittsmittellinie überein.
file in Tabelle 3.5-16 zusammengestellt.
Aus der zugehörigen plastischen Spannungs-
– Punkt B beschreibt den Zustand bei reiner Mo-
verteilung ist ersichtlich, dass sich bei dieser Ver-
mentenbeanspruchung (NB,Rd=0). Die Mo-
teilung die maximale Momententragfähigkeit
mententragfähigkeit MB,Rd kann aus der plasti-
MD,Rd = Mmax,Rd ergibt. Die zugehörige Normal-
schen Spannungsverteilung in Punkt D herge-
kraft ND,Rd erhält man aus der Resultierenden
leitet werden. Da die Normalkrafttragfähigkeit
des plastischen Spannungsblocks des Betonquer-
in Punkt B gleich null ist, muss die in Punkt D
schnitts, da sich die Anteile in der Bewehrung
vorhandene innere Normalkrafttragfähigkeit
und im Baustahlquerschnitt aufheben:
nur aus den zusätzlich überdrückten Quer-
(3.5.47) schnittsbereichen resultieren. Mit ND,Rd nach
Gl. (3.5.47) kann der Wert hn und somit die
Lage der plastischen Nulllinie in Punkt B direkt
berechnet werden. Bezeichnet man das aus den
(3.5.48)
Spannungsblöcken im Bereich 2 · hn resultie-
1284 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
rende Biegemoment mit Mn,Rd, so folgt für die dabei für den ungerissenen Betonquerschnitt zu
Momententragfähigkeit in Punkt B berechnen. Der Faktor Ke wurde aus Versuchen
und genaueren Traglastberechnungen errechnet
und berücksichtigt den Einfluss der Rissbildung
(3.5.49) auf die Biegesteifigkeit. Er darf zu Ke=0,6 ange-
nommen werden. Bei Stützen ergibt sich infolge
des Einflusses aus den Verformungen auf die
(3.5.50) Schnittgrößen eine Reduzierung der Tragfähigkeit
aus Kriechen und Schwinden [Roik/Bode/Berg-
In Tabelle 3.5-16 sind die Beziehungen zur Be-
mann 1982; Roik/Mangerig 1987; Roik/Bergmann
rechnung von hn und der zugehörigen plastischen
1990]. Bei der Berechnung der effektiven Biege-
Widerstandsmomente Wpl,an, Wpl,cn und Wpl,sn zu-
steifigkeit wird zur Berücksichtigung des Lang-
sammengestellt.
zeitverhaltens des Betons daher ein effektiver
– Punkt C der Interaktionskurve ist dadurch ge-
Elastizitätsmodul Ec,eff nach Gl. (3.5.55) angesetzt.
kennzeichnet, dass das Moment MC,Rd genau so
Der Sekantenmodul Ecm des Betons wird dabei in
groß ist wie das plastische Moment Mpl,Rd in
Abhängigkeit vom Bemessungswert der Normal-
Punkt B. Der Abstand zwischen der plastischen
kraft NEd, dem ständig wirkenden Anteil NG,Ed so-
Nulllinie und der Querschnittsmittellinie muss
wie der Kriechzahl M(t,t0) abgemindert:
dann hn sein, weil sich diejenigen Momentenan-
teile aufheben, die aus den Spannungsblöcken
(3.5.55)
im Bereich 2·hn resultieren. Die Normalkraft-
tragfähigkeit NC,Rd ist dann doppelt so groß wie
im Punkt D:
Berechnung der Schnittgrößen, geometrische
(3.5.51) Ersatzimperfektionen
Für Einzelstützen und Stützen in Rahmentragwerken
Bezogener Schlankheitsgrad und mit unverschieblichen und verschieblichen Knoten
charakteristischer Wert der wirksamen sind die Biegemomente nach Elastizitätstheorie II.
Biegesteifigkeit Ordnung zu berechnen, wenn die Bedingung
Der bezogene Schlankheitsgrad für die betrachtete
Biegeachse ergibt sich zu: (3.5.56)
Tabelle 3.5-16 Ermittlung von Mpl,Rd für vollständig und teilweise einbetonierte Profile
Nulllinie außerhalb des Profils: h/2 d hn hc/2 Nulllinie außerhalb des Profils: b/2 d hn bc/2
(b − 2 t ) (d − 2 t ) 2 2 3 d
W , = − r − r 2 (4 − π ) ( − r ) − W ,
4 3 2
bd2 2 3 d
W pl,a = − ra − ra2 (4 − π ) ( − ra ) − Wpl,c − Wpl, s
4 3 2
n
W pl,s = Σ As i e zi
i=1
1
N pm ,Rd = Ac fcd M max, Rd = W pl,a fyd + W pl,c fcd + W pl,s fsd
2
N pm ,Rd − A sn (2 f sd − fcd )
hn =
2bf cd + 4 t (2 f yd − f cd )
W pl,an = 2 t hn2
Anmerkungen: Anmerkung:
a) Die Berechnung für Biegung um die z-Achse erfolgt Die getroffene Annahme von ,geraden‘ Außenwandungen
durch Ersetzen von ,b‘ durch ,d‘ sowie ,z‘ durch ,y‘ im Bereich von ,2hn‘ führt zu einem geringen Fehler
und umgekehrt in allen Gleichungen
b) Das Vernachlässigen der Terme mit ,ra‘ und ,ri‘ führt
nur zu geringen Ungenauigkeiten
1
Mn ,Rd = W pl,an fyd + W pl,cn fcd + W pl,sn fsd
2
1288 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
Tabelle 3.5-17 Zuordnung der Verbundquerschnitte zu den Knickspannungslinien und geometrische Ersatzimperfekti-
onen für die Vorkrümmung
z-z c L/150
z-z c L/150
(3.5.60)
derlich. Diese aufwändige Vorgehensweise kann ver-
mieden werden, wenn eine mit dem Faktor
eingehalten ist.
Der Abminderungsfaktor N (=Ny bzw. Nz) ergibt
sich in Abhängigkeit von der bezogenen Schlank-
–
(3.5.59) heit O K nach Gl. (3.5.52) und der zugehörigen
Knickspannungskurve nach Tabelle 3.5-17. Für
– –
O K0,2 gilt N=1, und für 0,2<OK2,0 ergibt sich
der Abminderungsfaktor zu
vergrößerte Vorverdrehung bei der Berechnung der
Schnittgrößen mit den Steifigkeiten des Endzu-
stands berücksichtigt wird.
Bei der Ermittlung des Erhöhungsfaktors D sind (3.5.61)
NB,Ed und NE,Ed jeweils die Summe aller im Bauzu-
stand bzw. im Endzustand in dem betrachteten Ge-
schoss und in der betrachteten Rahmenebene zu Der Parameter D in Gl. (3.5.61) erfasst die für die
übertragenden Vertikallasten und KKi,B und KKi,E Querschnittstypen unterschiedlichen Einflüsse von
die zugehörigen Verzweigungslastfaktoren im strukturellen und geometrischen Imperfektionen
Bau- und Endzustand. Bei unverschieblichen Rah- auf die Tragfähigkeit und kann Tabelle 3.5-18 ent-
mentragwerken dürfen die Biegemomente in Rie- nommen werden.
geln mit Verbundquerschnitten der Klasse 1 oder 2
im Grenzzustand der Tragfähigkeit in Überein- Tragfähigkeitsnachweis für ein- und
stimmung mit 3.5.3.3 unter Beachtung der Gleich- zweiachsige Biegung mit Normalkraft
gewichtsbedingungen umgelagert werden. Eine Der Tragsicherheitsnachweis ist für das Auswei-
Berechnung nach der Fließgelenktheorie ist bei chen in der betrachteten Momentenebene unter
unverschieblichen Rahmentragwerken nur dann Verwendung der Interaktionskurve und der Schnitt-
zulässig, wenn die Querschnitte der Riegel in die größen nach Elastizitätstheorie II. Ordnung unter
Klasse 1 eingestuft werden können und Verbund- Einschluss von Imperfektionen nachfolgender Be-
stützen mit ausbetonierten Hohlprofilen verwendet dingung zu führen:
werden. Andere Stützenquerschnitte besitzen kei-
ne ausreichende Rotationskapazität. Es ist daher
nachzuweisen, dass in den Stützen keine Fließge- Tabelle 3.5-18 Parameter Į zur Berechnung des Abminde-
rungsfaktors
lenke mit Rotationsanforderungen entstehen. Bei
der Bemessung darf bei Anwendung der Fließge- Knickspannungskurve a b c
lenktheorie keine elastische Einspannung der Stüt-
Į 0,21 0,34 0,49
zen in die Riegel angenommen werden.
1290 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
restlichen Bereichen ist daher so auszubilden, dass rücksichtigung der Interaktion aus den jeweiligen
kein nennenswerter Schlupf in der Verbundfuge plastischen Spannungsblöcken ermittelt werden.
zwischen Stahlprofil und Betonquerschnitt entste- Die Vorgehensweise ist in Abb. 3.5-53 exempla-
hen kann. Bei zentrisch beanspruchten Stützen ist risch dargestellt. Aus dem Vektor der auf die voll-
ein Nachweis nur für die Krafteinleitungsbereiche plastischen Tragfähigkeiten Npl,Rd und Mpl,Rd bezo-
erforderlich. Für Stützen mit Querkräften aus genen Schnittgrößen NEd und MEd erhält man den
Querlasten oder Randmomenten ist die Verbundsi- maßgebenden Beanspruchungszustand aus der In-
cherung für die Krafteinleitungsbereiche und für teraktionskurve (Punkt Rd in Abb. 3.5-53).
den Querkraftschub in maßgebenden kritischen Für die Schnittgrößenkombination NRd und MRd
Schnitten nachzuweisen. werden dann die vollplastischen Spannungsver-
teilungen des Verbundquerschnittes ermittelt und
Krafteinleitungsbereiche daraus die Teilschnittgrößen des Baustahls und des
Die Schubkräfte VL,Ed in den Krafteinleitungsbe- bewehrten Stahlbetonquerschnitts berechnet. Für die
reichen können im Grenzzustand der Tragfähigkeit Teilschnittgrößen infolge NEd und MEd folgen dann
aus den Teilschnittgrößen im vollplastischen Zu-
stand ermittelt werden. Bei Einleitung der Kräfte
über das Baustahlprofil ergibt sich die zu übertra-
gende Längsschubkraft im Krafteinleitungsbereich (3.5.66)
aus den Teilschnittgrößen des Beton- und Beton-
stahlquerschnitts (Abb. 3.5-52). Für reine Normal-
kraftbeanspruchung ergibt sich mit Abb. 3.5-52 (3.5.67)
(3.5.68)
(3.5.65)
Abb. 3.5-52 Ermittlung der Teilschnittgrößen bei Einlei- Abb. 3.5-53 Ermittlung der Teilschnittgrößen bei Einlei-
tung von Normalkräften tung von Normalkräften und Biegemomenten
1292 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
Querschnitt IJRd
N/mm2
Dabei sind fcd und fck der Bemessungswert und der
vollständig einbetonierte Profile 0,30
charakteristische Wert der Betondruckfestigkeit
Ausbetonierte Rohre 0,55
und fyk und fyd der charakteristische Wert bzw. der
betongefüllte rechteckige Hohlprofile 0,40
Bemessungswert der Streckgrenze des Hohlpro- Flansche von teilweise einbetonierten Profilen 0,20
fils, Ac ist die Betonquerschnittsfläche der Stütze Stege von teilweise einbetonierten Profilen 0,00
und A1 die Lasteinleitungsfläche nach Abb. 3.5-
55 a unterhalb der Kopfplatte bzw. unterhalb des
Knotenblechs, t ist die Wanddicke des Hohlprofils
und a der Durchmesser bei kreisförmigen Hohl- bundmittel dürfen näherungsweise nach dem Quer-
profilen oder die Seitenlänge bei quadratischen kraftverlauf verteilt werden. Wenn die in Tabelle
Hohlprofilen. Der Beiwert KcL berücksichtigt den 3.5-19 angegebenen Grenzwerte WRd nicht über-
Einfluss der Umschnürungswirkung durch das schritten werden, darf auf die Anordnung von Ver-
Hohlprofil und ergibt sich für Rohre KcL=4,9 und bundmitteln verzichtet werden.
für quadratische Hohlprofile KcL=3,5. Das Verhält-
nis Ac/A1 darf rechnerisch maximal mit 20 berück-
sichtigt werden.
3.5.6 Brandschutztechnische
Bemessung von Verbundbauteilen
Nachweis der Verbundsicherung außerhalb
3.5.6.1 Allgemeines, Nachweisverfahren
der Krafteinleitungsbereiche
Bei Stützen mit planmäßiger Querkraftbeanspru- Wenn bei Verbundkonstruktionen eine Feuerwi-
chung ist die Verbundsicherung auch außerhalb derstandsdauer im Brandfall gefordert wird, müs-
der Krafteinleitungsbereiche nachzuweisen. Die sen die Bemessung und die Ausführung sicherstel-
Schubkräfte können, wie erläutert, zwischen kri- len, dass das Tragwerk während der maßgebenden
tischen Schnitten aus der Differenz der Normal- Brandbeanspruchung über eine vorgegebene Brand-
kräfte des Stahlprofils ermittelt werden. Die Ver- dauer seine Tragfähigkeit nicht verliert. Dieses
1294 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
Kriterium wird im Eurocode 4-1-2 entsprechend heitsbeiwert für ständige Einwirkungen ist dabei
der Feuerwiderstandsdauer unter Normbrandbe- mit JGA=1,0 anzusetzen. Für die Nachweisverfah-
dingungen durch die Klassen R30, R60, R90, R120 ren der Stufen 1 und 2 kann der Bemessungswert
und R180 ausgedrückt. Normbrandbedingungen Efi,d,t näherungsweise aus den Bemessungswerten
werden dabei durch den zeitlichen Verlauf der Rd bei Normaltemperatur ermittelt werden. Für
Brandraumtemperaturen entsprechend der Ein- normale Gebäude in Verbundbauweise darf mit
heitstemperaturzeitkurve definiert. Kfi=0,6 und für Konstruktionen der Kategorie
Der Nachweis einer ausreichenden Feuerwider- D nach Eurocode 4-1-2 mit Kfi=0,7 gerechnet
standsdauer kann nach Eurocode 4-1-2 durch Klas- werden.
sifizierung der Bauteile mit Hilfe von Tabellen
(Nachweisverfahren der Stufe 1) oder durch eine
vereinfachte brandschutztechnische Bemessung (3.5.71)
(Nachweisverfahren der Stufe 2) erfolgen. Die An-
wendung der Nachweisverfahren der Stufen 1 und
2 ist auf Einzelbauteile mit direkter Brandbean-
spruchung über die volle Bauteillänge beschränkt.
3.5.6.2 Nachweisverfahren der Stufe 1
Ferner wird unterstellt, dass die Brandbeanspru-
chung den Normbrandbedingungen entspricht, und Bei den Nachweisverfahren der Stufe 1 erfolgt der
eine einheitliche Querschnittstemperaturverteilung Nachweis mit Hilfe von klassifizierten Bemes-
über die Bauteillänge vorhanden ist. sungswerten in Tabellenform für bestimmte Bau-
Ein Nachweis mit Hilfe von „exakten Berech- teile (Träger, Stützen), denen die Normbrandbe-
nungsverfahren“ zur Simulation des Verhaltens dingungen zugrunde liegen. Der Bemessungswert
von Gesamttragwerken wird als Nachweisverfah- der Beanspruchbarkeit zum Zeitpunkt t ergibt sich
ren der Stufe 3 bezeichnet. Diese Methode basiert in Abhängigkeit vom Bemessungswert bei Nor-
auf der vollständigen thermischen und mecha- maltemperatur Rd zu
nischen Analyse des Tragwerks und kann allge-
mein für Bauteile und gesamte Tragwerke verwen- (3.5.72)
det werden. Für die Bemessungspraxis sind insbe-
sondere die Nachweisverfahren der Stufen 1 und 2 Dabei ist Rd nach Gl. (3.5.2) für den Kaltzustand
von Bedeutung, weil die Anwendung der Nach- zu ermitteln.
weisstufe 3 i. Allg. mit einem sehr hohen nume- In Abhängigkeit von Kfi,t und der geforderten
rischen Aufwand verbunden ist [Schleich 1988, Feuerwiderstandsklasse müssen entsprechende An-
1993]. forderungen an die Abmessungen und die kon-
Das Tragfähigkeitskriterium im Brandfall ergibt struktive Ausbildung der Querschnitte eingehalten
sich aus werden. Tabelle 3.5-20 zeigt ein typisches Beispiel
für die Einstufung von kammerbetonierten Ver-
(3.5.70) bundträgern nach Eurocode 4-1-2.
In Abhängigkeit vom Ausnutzungsfaktor und
Der Bemessungswert der Beanspruchbarkeit im dem Verhältnis von Profilhöhe zu Profilbreite sind
Brandfall, Rfi,d,t, ist dabei auf das Niveau des Be- die angegebenen Anforderungen an die Profilbrei-
messungswertes der Lastauswirkungen, Efi,d,t, ab- te und die Bewehrung zu erfüllen. Dabei gibt Kf die
gefallen. Der Bemessungswert Efi,d,t ergibt sich mit auf die Untergurtfläche des Stahlquerschnitts be-
der außergewöhnlichen Kombination unter Be- zogene erforderliche Längsbewehrung im Kam-
rücksichtigung indirekter Brandeinwirkungen so- merbeton an. Bei Anwendung von Tabelle 3.5-20
wie mit den Kombinationsbeiwerten nach Tabelle ist zu beachten, dass der Kammerbeton und die
3.5-1. Die Indizes fi (fire) und t (time) deuten dar- Längsbewehrung bei der Bemessung für Normal-
auf hin, dass die Einwirkungen und die Bean- temperaturen nicht in Ansatz gebracht werden dür-
spruchbarkeit von der maßgebenden Dauer der fen. Anderenfalls ist die Bemessung mit dem
Brandbeanspruchung abhängen. Der Teilsicher- Nachweisverfahren der Stufe 2 durchzuführen. Für
3.5 Verbundbau 1295
Tabelle 3.5-20 Mindestquerschnittsabmessungen min b und erforderlicher Bewehrungsgrad min Șf der Zulagebeweh-
rung für Verbundträger mit ausbetonierten Kammern
beff d 5,0 m
hc t 120 mm
tf d 2 tw tw d b/15
fsk = 500 N/mm²
Feuerwiderstandsklasse
Ausnutzungsfaktor R30 R60 R90 R120
Șfi,t d 0,3 min b min Șf min b min Șf min b min Șf min b min Șf
h t 0,9 x min b 70 0,0 100 0,0 170 0,0 200 0,0
h t 1,5 x min b 60 0,0 100 0,0 150 0,0 180 0,0
h t 2,0 x min b 60 0,0 100 0,0 150 0,0 180 0,0
Șfi,t d 0,5
h t 0,9 x min b 80 0,0 170 0,0 250 0,4 270 0,5
h t 1,5 x min b 80 0,0 150 0,0 200 0,2 240 0,3
h t 2,0 x min b 70 0,0 120 0,0 180 0,2 220 0,3
h t 3,0 x min b 60 0,0 100 0,0 170 0,2 200 0,3
Șfi,t d 0,7
h t 0,9 x min b 80 0,0 270 0,4 300 0,6 – –
h t 1,5 x min b 80 0,0 240 0,3 270 0,4 300 0,6
h t 2,0 x min b 70 0,0 190 0,3 210 0,4 270 0,5
h t 3,0 x min b 70 0,0 170 0,2 190 0,4 270 0,5
Mindestachsabstände
b (mm) Abstände u1 und u2 (mm)
Verbundstützen sind weitere Klassifizierungsta- 56 zeigt ein typisches Beispiel zur Ermittlung der
bellen in Eurocode 4-1-2 angegeben. Momententragfähigkeit für einen Verbundquer-
schnitt bei positiver Momentenbeanspruchung.
Weitere Hintergrundinformationen zu den in Euro-
3.5.6.3 Nachweisverfahren der Stufe 2
code 4-1-2 enthaltenen Nachweisverfahren bieten
Die Nachweisverfahren der Stufe 2 basieren auf [Hass 1986; Hass/Mayer-Ottens/Quast 1989; Dorn/
vereinfachten Annahmen für die Temperaturvertei- Hosser u. a. 1990; Dorn/Hosser/El-Nesr 1994; Hos-
lung im Querschnitt. Der Temperatureinfluss wird ser/Dorn/El-Nesr 1994]. Bezüglich der Veranke-
bei der Ermittlung der Beanspruchbarkeit Rfi,d,t rung des Kammerbetons sind weitere Konstrukti-
entweder durch Reduzierung der Materialfestig- onsregeln zu beachten, die dem Eurocode 4-1-2
keiten oder durch Reduzierung der nominellen entnommen werden können.
Querschnittsabmessungen anom erfasst. Der Trag- Wenn der Verformungseinfluss bei der Ermitt-
sicherheitsnachweis im Brandfall ist erbracht, lung der Beanspruchungen berücksichtigt werden
wenn die Bedingung (3.5.71) eingehalten ist. Für muss (z. B. bei Verbundstützen), ist zusätzlich der
den Bemessungswert der Beanspruchbarkeit gilt Einfluss der Temperatur auf die Steifigkeiten sowie
der Einfluss von thermischen Zwängungsspan-
nungen zu berücksichtigen. Siehe hierzu [Würker/
Klingsch/Bode 1984; Klingsch/Muess/Wittbecker
(3.5.73)
1988; Hass 1986] und Eurocode 4-1-2. Informati-
onen zur Beurteilung der Feuerwiderstandsdauer
von Anschlüssen finden sich in [Dorn/Hass/Quast
Dabei sind fck, fyk und fsk die charakteristischen 1988; Dorn 1991]. In Eurocode 4-1-2 werden für
Werte der Festigkeiten von Beton, Bau- und Be- typische Stützen Traglastdiagramme und verein-
tonstahl; PRk ist der charakteristische Wert der fachte Nachweisverfahren angegeben.
Tragfähigkeit der Verbundmittel bei Normaltem-
peratur (20°C). Abkürzungen zu 3.5
Die zugehörigen Abminderungsfaktoren kc, ka,
ks und kT berücksichtigen den Einfluss der Tempe- ASCE American Society of Civil Engineers, New
ratur auf die Beanspruchbarkeit. Der Beiwert ka York
erfasst die Reduzierung der nominellen Quer- DASt Deutscher Ausschuss für Stahlbau, Köln
schnittsabmessungen. Die Abminderungsfaktoren DIBt Deutsches Institut für Bautechnik, Berlin
können nach Eurocode 4-1-2 in Abhängigkeit von DSTV Deutscher Stahlbauverband
der Feuerwiderstandsklasse und der Querschnitts- DVS Deutscher Verband für Schweißtechnik,
ausbildung ermittelt werden. Die Teilsicherheits- Hannover
beiwerte dürfen dabei mit Jfi,c=Jfi,a=Jfi,s=1,0 und
Jfi,v=Jv=1,25 angenommen werden. Abbildung 3.5- Literaturverzeichnis Kap. 3.5
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3.5 Verbundbau 1297
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3.6 Mauerwerk 1301
mind. 28 werden als Klinker bezeichnet. Die Her- Vormauerziegel mit ausreichend hohem Frostwi-
stellung von Mauerziegeln ist schematisch in Abb. derstand erhalten als Vorsatz zum Kurzzeichen den
3.6-3 dargestellt. Das aufbereitete Mischgut wird Buchstaben V (VMz, VHLz). Bei Leichthochloch-
einer Presse zugeführt, an deren Ende sich auswech- ziegeln mit besonders guten Wärmedämmeigen-
selbare Mundstücke befinden. Unter Druck wird der schaften sind am Markt häufig nicht die DIN-Be-
Tonstrang durch das Mundstück getrieben und mit- zeichnungen, sondern die Handelsnamen üblich.
füllt. Dort kommt es zu einer Reaktion des Treib- Für Porenbetonsteine gelten folgende Kurzbe-
mittels Aluminium mit dem Calciumhydroxid, zeichnungen:
wodurch Wasserstoffgas entsteht. Dieses erzeugt PB Porenbeton-Blocksteine
Poren und quellt die Rohmasse auf. Das Wasser- PP Porenbeton-Plansteine
stoffgas diffundiert schon während des Herstel-
lungsvorganges rückstandslos aus dem aufgetrie- Leichtbeton- und Betonsteine
benen Porenbeton, so dass sich danach nur noch Leichtbeton- und Betonsteine werden überwiegend
Luft in den Poren befindet. Nach dem Treib- und mit haufwerkporigem Gefüge hergestellt. Die Her-
Abbindevorgang erreicht der junge Porenbeton stellung von Leichtbeton- und Betonsteinen unter-
eine ausreichende Schneidefestigkeit und wird mit scheidet sich prinzipiell nicht maßgeblich voneinan-
Hilfe einer Schneideanlage sowohl vertikal als der. Die Ausgangsstoffe Bindemittel, Zuschläge und
auch horizontal in die jeweiligen Steinformate ge- Wasser werden gemischt und über Füllkästen in Vi-
schnitten. Anschließend erfolgt die Dampfhärtung brations-Steinformmaschinen eingebracht. Die Mi-
im Autoklaven analog zum Härtungsprozess bei schung wird unter Auflast und durch Vibration ver-
Kalksandsteinen. Es bildet sich hochdruckfester dichtet und somit in ihre endgültige Form gebracht.
Porenbeton aus Calciumsilikathydrat, das dem in Nach dem „Entformen“ erfahren die frisch geform-
der Natur vorkommenden Mineral Tobermorit ent- ten Steine („Grünlinge“) eine Nachbehandlung, bei
spricht. Sobald die Porenbetonsteine abgekühlt der die Steinoberfläche durch Bürsten von lockeren
sind, besitzen sie ihre endgültige Festigkeit. Teilchen und Graten befreit wird. Zur Vorhärtung
3.6 Mauerwerk 1305
werden die Steine dann eingelagert, bevor sie auf – Druckfestigkeit (ĺ Tragfähigkeit),
Paletten zu Steinpaketen gestapelt und bis zum Er- – Frostwiderstand (ĺ Vormauer-, Verblendstei-
reichen der erforderlichen Festigkeit im Freien gela- ne; Dauerhaftigkeit).
gert werden. Je nach Vorbehandlung (Lufthärtung,
Wärmebehandlung) erreichen die Mauersteine spä- In Klammern sind die betreffenden Mauerwerkei-
testens im Alter von 28 Tagen, zum Teil auch früher, genschaften angegeben. Die Tabellen 3.6-1 und
ihre Solldruckfestigkeit. 3.6-2 enthalten die möglichen, Tabelle 3.6-3 ent-
Es gelten folgende Kurzbezeichnungen, die je hält die üblichen Druckfestigkeits- und Rohdichte-
nach Anzahl der Lochungen bei den Hohlblöcken klassen für Mauersteine.
der Bezeichnung vorausgestellt werden:
Hbl Hohlblöcke aus Leichtbeton (zusätzlich Kam- Anwendung
merzahl, z. B.: 3 K Hbl) Aus Tabelle 3.6-3 ist zu entnehmen, dass sich für
V Vollsteine aus Leichtbeton Mauerwerk mit guten Wärmedämmeigenschaften
Vbl Vollblöcke aus Leichtbeton. Leichthochlochziegel, Porenbeton- und Leichtbe-
tonsteine eignen. Dieses Leichtmauerwerk besitzt
Mauersteineigenschaften eine niedrige bis mittlere Druckfestigkeit. Für
und- anforderungen Mauerwerk mit mittlerer bis hoher Druckfestigkeit
Die wichtigsten Eigenschaftskenngrößen mit Anfor- und guten bis sehr guten Schalldämmeigenschaften
derungen in den DIN-Normen für Mauersteine sind: (bezogen auf die Bauteilmasse) bieten sich Kalk-
sandsteine, Betonsteine und auch Voll- und Hoch-
– Maße, Maßtoleranzen, lochziegel an. Dünnbettmauerwerk erfordert we-
– Rohdichte (ĺ Lastannahmen, Wärmedäm- gen der geringen Mörtelfugendicke von 1 bis 3
mung, Schalldämmung), mm Mauersteine mit entsprechend geringen Maß-
1306 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
toleranzen – sog. Plansteine. Für Sichtmauerwerk keit der Druckfestigkeit genügen. Mauersteine für
müssen die Mauersteine ein dauerhaft gutes Aus- bewehrtes Mauerwerk nach DIN 1053-3 dürfen bis
sehen der Sichtfläche gewährleisten (keine Gefü- höchstens 35% Lochanteil aufweisen und müssen
gezerstörungen, keine dauerhaften Ausblühungen, bestimmte Anforderungen an die Steganordnung
keine Kantenabplatzungen u. ä.). Für der Witterung erfüllen. Sie sind mit BM (bewehrtes Mauerwerk)
ausgesetztes Sichtmauerwerk ist ein dauerhaft aus- zu kennzeichnen.
reichend hoher Widerstand gegen Witterungsein-
flüsse (i. w. Frostwiderstand) der Mauersteine
3.6.1.2 Mauermörtel
(Vormauersteine, Verblender) erforderlich. Groß-
formatige, schwere Mauersteine dürfen nur mit Allgemeines
mechanischen Verlegehilfen versetzt werden. Mauermörtel ist ein Gemisch aus Sand, Bindemit-
Grundsätzliche Anwendungsbeschränkungen ge- tel und Wasser, ggf. auch Zusatzstoff und Zusatz-
normter Mauersteine für Mauerwerk nach DIN mittel. Das Größtkorn des Sandes beträgt maximal
1053-1 bestehen nicht. Mauersteine für Mauer- 4 mm. Die Bestandteile müssen den bauaufsicht-
werk nach Eignungsprüfung (DIN 1053-2) müssen lichen Vorschriften für den Anwendungszweck ge-
bestimmten Anforderungen an die Gleichmäßig- nügen (Norm, Brauchbarkeitsnachweis).
Mörtelarten, Zusammensetzung Ud = 1,5 kg/dm³ ist und werden nach dem Rechen-
Mauermörtel sind im Anhang A der in DIN 1053-1 wert der Wärmeleitfähigkeit OR unterschieden in
bzw. DIN 18 580 in Verbindung mit DIN EN 998-2 LM 21 (OR = 0,21 W/m · K) und LM 36 (OR = 0,36
genormt. Grundsätzlich wird zwischen den Mör- W/m · K). Bei Dünnbettmörtel ist das Größtkorn
telarten Normalmörtel, Leichtmörtel und Dünn- aufgrund der Fugendicke (1–3 mm) auf 1 mm be-
bettmörtel unterschieden; s. Abb. 3.6-6. Normal- grenzt. Bei der Verwendung von Dünnbettmörtel
mörtel hat eine Trockenrohdichte von mindestens werden erhöhte Anforderungen an die Maßgenau-
Ud = 1,5 kg/dm³ und wird in die Mörtelgruppen igkeit der Mauersteine (z. B. Plansteine) gestellt.
MG I bis MG IIIa eingeteilt, die sich durch ver- Die Druckfestigkeit von Dünnbettmörtel entspricht
schiedene Anforderungen an die Druck- und Haft- der Mörtelgruppe MG III von Normalmörtel.
scherfestigkeit des Mörtels unterscheiden. Nor-
malmörtel können sowohl nach Rezepten, die in Lieferformen
DIN 1053-1 festgelegt sind (s. Abb. 3.3-6) als auch Normalmörtel können als Baustellen- und Werk-
nach Eignungsnachweis hergestellt werden. Bei mörtel hergestellt werden. Leicht- und Dünnbett-
Normalmörtel als Rezeptmörtel ohne weitere Zu- mörtel sind ausschließlich als Werkmörtel herzu-
sätze (Zusatzstoffe und Zusatzmittel) kann auf- stellen. Der Anteil an Werkmörteln liegt derzeit bei
grund der langjährigen Erfahrungen davon ausge- etwa 90%. Durch die werkmäßige Herstellung sind
gangen werden, dass die in der DIN 1053-1 ge- eine hohe Gleichmäßigkeit der Eigenschaftswerte
stellten Anforderungen erfüllt werden. Der heute erreichbar und eine gezielte Optimierung von Ei-
am meisten verwendete Normalmörtel ist Mörtel genschaftswerten für den jeweiligen Anwendungs-
der Gruppe IIa. Dieser Mörtel ist sehr gut verarbeit- fall möglich.
bar, ergibt i. d. R. ausreichend hohe Festigkeiten Bei Werkmörteln sind zu unterscheiden (s. a.
und ist zudem wegen seines nicht zu hohen E-Mo- Abb. 3.3-6):
duls noch genügend verformungsfähig, um Span-
nungen im Mauerwerk (z. B. durch das Schwin- Werk-Trockenmörtel (WTM):
den der Steine) vermindern zu können. Leichtmör- Ein fertiges Gemisch der Ausgangsstoffe, dem bei
tel haben eine Trockenrohdichte, die kleiner als der Aufbereitung auf der Baustelle nur noch Was-
1308 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
ser zugemischt wird, um eine verarbeitbare Kon- Normalmörtel – außer Rezeptmörtel –, Leichtmör-
sistenz zu erreichen. tel und Dünnbettmörtel. Durch diese Verbundprü-
fung zwischen Mörtel und einem Referenz-Kalk-
Werk-Vormörtel (WVM): sandstein soll eine nach Mörtel bzw. Mörtelgruppen
Ein Gemisch aus Zuschlägen und Kalk sowie ggf. abgestufte Mindestverbundfestigkeit gewährleis-
weiteren Zusätzen. Auf der Baustelle werden Ze- tet werden. Diese wird für die Bemessung von
ment (nach Herstellerangabe) und Wasser zugege- Mauerwerk auf Zug bzw. Biegezug und Schub
ben. Werk-Vormörtel ist vor allem in Norddeutsch- angesetzt. Beide Prüfungen, die Druckfestigkeit
land verbreitet. des Mörtels in der Fuge und die Haftscherfestig-
keit, sind bei Mörteln mit verlängerter Verarbei-
Werk-Frischmörtel (WFM): tungszeit jeweils zu Beginn und am Ende der an-
Gebrauchsfertiger Mörtel in verarbeitbarer Kon- gegebenen Verarbeitungszeit durchzuführen. Da
sistenz. besonders bei Leichtmörteln die Druckfestigkeit
des Mauerwerks durch die i. Allg. relativ große
Mehrkammer-Silomörtel: Querverformbarkeit des Mörtels in der Fuge ver-
In einem Silo sind in getrennten Kammern die ringert werden kann, wird bei diesen Mörteln der
Mörtelausgangsstoffe enthalten. Sie werden unter Querdehnungsmodul Eq als dafür charakteristi-
Wasserzugabe automatisch dosiert und gemischt, scher Eigenschaftswert ermittelt. Er ist der Sekan-
so dass am Mischerauslauf auf der Baustelle tenmodul aus der Spannung bei 1/3 der Höchst-
verarbeitungsfähiger Mörtel entnommen werden spannung und der zugehörigen Querdehnung, er-
kann. mittelt an einem größeren Mörtelprisma. Je kleiner
Eq ist, desto größer ist die Querverformbarkeit des
Mörteleigenschaften und -anforderungen Mörtels und desto geringer ist die Mauerwerk-
Wichtige Eigenschaften von Mauermörteln sind druckfestigkeit, vor allem bei höherfesten Mauer-
eine ausreichend gute Verarbeitbarkeit, ein auf steinen. Zur Abgrenzung von Normal- und Leicht-
die Steineigenschaften abgestimmtes Wasserrück- mörteln und deren Gruppenunterscheidung (LM
haltevermögen (Behinderung des Wasserabsau- 21, LM 36) ist die Trockenrohdichte zu bestim-
gens durch den Mauerstein), die Trockenrohdichte men. Bei den Dünnbettmörteln kann sich die
bzw. Wärmeleitfähigkeit bei Leichtmörteln, die Druckfestigkeit durch Feuchtlagerung wegen der
Druckfestigkeit und die Verbundfestigkeit zum vorhandenen organischen Bestandteile verringern.
Mauerstein (Haftscher-, Haftzugfestigkeit). Eine Durch eine entsprechende Prüfung muss nachge-
weitere wichtige Eigenschaft ist das Querver- wiesen werden, dass der Festigkeitsabfall nicht
formungsverhalten bei Leichmörteln, da dieses unakzeptabel hoch ist. Wichtig ist außerdem, dass
maßgeblich die Drucktragfähigkeit des Mauer- der angemischte Dünnbettmörtel ausreichend lan-
werks beeinflusst. Die Anforderungen an Normal-, ge verarbeitbar (Verarbeitbarkeitszeit) und nach
Leicht- und Dünnbettmörtel sind in Tabelle 3.6-4 Auftrag auf den Stein der aufzusetzende Stein
zusammengestellt. noch kurzfristig in seiner Lage im Dünnbettmörtel
Die Tabelle 3.6-5 gibt Hinweise auf die Bedeu- korrigiert werden kann (Korrigierbarkeitszeit).
tung der zu prüfenden Mörteleigenschaftswerte
für das Mauerwerk. Bei Normalmörtel – ausge- Anwendungen
nommen Rezeptmörtel – und Leichtmörtel ist au- Nicht zulässige Anwendungen von Normal-,
ßer der Druckfestigkeit nach Norm bei der Eig- Leicht- und Dünnbettmörteln sind in der Tabelle
nungsprüfung auch die Druckfestigkeit des Mör- 3.6-6 zusammengestellt. Die Anwendungsbe-
tels in der Lagerfuge nachzuweisen. Durch diese schränkungen für Normalmörtel der Gruppe I be-
Prüfung soll der Einfluss des Mörtel-Stein-Kon- ziehen sich auf statisches und durch Feuchte stär-
taktes (im Wesentlichen Absaugen von Mörtel- ker beanspruchtes Mauerwerk. Dies ist berechtigt
wasser durch den Stein) auf die Mörteldruckfes- und notwendig, da für Mörtel der Gruppe I keiner-
tigkeit im Mauerwerk berücksichtigt werden. Die lei Festigkeitsanforderungen bestehen und dieser
Anforderung an die Haftscherfestigkeit betrifft Mörtel überwiegend karbonatisch (durch Reaktion
3.6 Mauerwerk 1309
Tabelle 3.6-4 Anforderungen an Mauermörtel (außer Rezeptmörtel d)) nach DIN 1053-1 (Prüfalter: 28 d)
Längsdehnungsmodul El EP
DIN 18 555-4 N/mm² – >2000 >3000 –
GP – –
Wärmeleitfähigkeit Ȝ10,tr EP – d0,18 d0,27 –
DIN 52 612-1 W/(mK) h) h)
Verarbeitbarkeitszeit tV EP – – – t4
DIN 18 55-8 h
Korrigierbarkeitszeit tk EP – – – t7
DIN 18 55-8 min
d) Für diese gelten die Anforderungen als erfüllt. g) Trockenrohdichte als Ersatzprüfung.
e) Richtwert für Werkmörtel. h) Gilt als erfüllt bei Einhalten der Grenzwerte für ȡd in GP.
f) obere Zeile: Anforderungen für Würfeldruckverfahren;
untere Zeile: Anforderungen für Plattendruckverfahren
mit Luftkohlensäure) erhärtet, was bei ständig ho- trägliche Verfugen und in Bereichen von Verblend-
her Feuchtigkeit nicht möglich ist. Besonders bei schalen, die als bewehrtes Mauerwerk nach DIN
Verblendschalen soll der Mörtel gut und hohlraum- 1053-3 ausgeführt werden. Die Anwendungsbe-
frei verarbeitbar und sehr verformbar (kleiner schränkungen bei Leichtmörteln betreffen zum ei-
Elastizitätsmodul) sein, um eine möglichst große nen Gewölbe, wo wegen des Schwindens und der
Dichtigkeit gegen Regen und eine hohe Risssicher- größeren Querverformbarkeit des Leichtmörtels
heit der Verblendschale zu erreichen. Dies ist mit eine wesentliche Beeinträchtigung des Tragverhal-
Mörteln der Gruppen III und IIIa nicht oder nur tens zu erwarten ist, und zum anderen außenlie-
sehr eingeschränkt möglich. Deshalb sind diese gendes Sichtmauerwerk, wo höhere langzeitige
Mörtel für das Vermauern von Verblendschalen Durchfeuchtungen des Mörtels (Leichtzuschlag)
nicht zugelassen. Mörtel der Gruppe III sind ab- und Frostgefährdung eintreten können. Dünnbett-
weichend davon allerdings zulässig für das nach- mörtel kommen dann nicht in Frage, wenn durch
1310 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
den Mörtel größere Maßtoleranzen auszugleichen Mauerwerk gestellten und bei der Auswahl der
sind (Gewölbe, Mauersteine mit normalen Maßto- Baustoffe berücksichtigten Anforderungen erfüllt
leranzen). Anwendungsempfehlungen gibt Tabelle werden. Hinweise zur Ausführung von Fugen im
3.6-7. Die heute am meisten verwendeten Normal- Mauerwerk sind im Folgenden zusammengestellt.
mörtel sind Mörtel der Gruppe IIa. Diese Mörtel
sind sehr gut verarbeitbar, ergeben genügend ho- Ausführung von Fugen
he Druckfestigkeits- und Haftscherfestigkeitswerte Lagerfugen
und sind zudem wegen ihres nicht zu hohen E-Mo- – Sicherstellung Kraftübertragung o vollflächig
duls noch ausreichend verformungsfähig, um Span- vermörteln
nungen im Mauerwerk (z. B. durch das Schwinden – Solldicke: 12 mm (Normalbettfuge)
der Steine) vermindern zu können. 1 bis 3 mm (Dünnbettfuge)
Stoßfugen
3.6.1.3 Ausführung von Mauerwerk Kraftübertragung bei Biegezug- und Schubbean-
Fugenarten, Verbandsregeln spruchung
und Ausführungsregeln
o vollvermörtelt: Solldicke 10 mm oder 1 bis 3 mm
Mauerwerk wird nach wie vor zu mehr als 90%
o teilvermörtelt: Mörteltasche, Steine knirsch
bauseits hergestellt. Es kann auch im Werk in
verlegt
Form von Einzelbauteilen weitestgehend vorgefer-
o unvermörtelt: Steine knirsch verlegt, Fugendicke
tigt werden (DIN 1053-4). In jedem Falle muss die
< 5 mm
Herstellung des Mauerwerks mit Verband der Mau-
ersteine erfolgen. Grundsätzlich kann bei den Fu- Längsfugen
gen im Mauerwerk zwischen Lager-, Stoß- und Kraftübertragung o vollflächig vermörteln
Längsfugen unterschieden werden (s. Abb. 3.6-7).
Beim Mauerwerk nach Abb. 3.6-7 handelt es sich Längs- und Lagerfugen sind zur Vermeidung von
um sog. Verbandsmauerwerk, d. h. Mauerwerk mit Spannungsspitzen durch teilflächige Belastung
Längsfuge bzw. mehr als einem Mauerstein in und zur Vermeidung von frostbedingten Schäden
Wanddicke. Entspricht die Wanddicke der Stein- vollflächig zu vermörteln. Stoßfugen im Mauer-
breite, wird das Mauerwerk als Einsteinmauerwerk werk können auf verschiedene Weisen ausgeführt
bezeichnet; das Mauerwerk besteht nur aus einem werden (s. Abb. 3.6-8). Grundsätzlich sind die in
Mauerstein in Wanddicke. Abb. 3.6-7 aufgeführten Ausführungsarten in der
Bei der Ausführung der Lager-, Stoß- und DIN 1053-1 festgelegt. Werden die Mauersteine in
Längsfugen ist zu gewährleisten, dass die an das der Stoßfuge planmäßig knirsch verlegt (Stein-
3.6 Mauerwerk 1311
Tabelle 3.6-6 Unzulässige Anwendungen (N) von Mauermörtel (nach DIN 1053-1 bis DIN 1053-3)
stoßfläche an Steinstoßfläche mit geringst mög- Stoßfugen eine „Sollbruchstelle“ für den Wand-
lichem Zwischenraum – bis es „knirscht“), darf die putz entsteht.
Breite der offenen Stoßfuge nicht größer als 5 mm Mauerwerkbauteile müssen im Verband herge-
sein. Ansonsten ist die Stoßfuge beidseitig zu stellt werden, um innerhalb des Bauteils eine aus-
verschließen. Dadurch soll u. a.. vermieden wer- reichende Übertragung von Spannungen bzw. Kräf-
den, dass durch eine zu große Breite von offenen ten und eine Flächentragwirkung – vor allem bei
1312 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
Schicht verursachen eine unterschiedliche Anzahl schicht zum Höhenausgleich zulässig, wenn die da-
von Mörtelfugen. Da mit zunehmender Anzahl der für verwendeten Mauersteine und der Mauermörtel
Mörtelfugen bei Normal- und Leichtmörtel die mindestens die gleiche Festigkeitsklasse haben wie
Steifigkeit des Mauerwerks verringert wird, ergibt diejenigen im übrigen Mauerwerk und die Auf-
sich daraus eine ungleiche Spannungsverteilung, standsfläche der Mauersteine mindestens 115 mm
die vermieden werden soll. Nach DIN 1053-1 ist lang ist (s. Abb. 3.6-10). Ebenso dürfen innerhalb
deshalb nur dann an Wandenden und unter Stürzen eines Mauerwerkbauteils keine unterschiedlichen
maximal eine zusätzliche Lagerfuge je Mauer- Arten von Mauersteinen (Mischmauerwerk) wie
1314 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
daher ein Verbundbaustoff. Trockenmauerwerk be- Verkehrslasten oder auch horizontale Lasten infol-
steht nur aus besonders maßhaltigen Mauersteinen ge Wind und Erdbeben auf aussteifende Wände
(Plansteinen) ohne Mauermörtel und bedarf einer sein. Bei einer horizontalen Belastung infolge
allgemeinen bauaufsichtlichen Zulassung. Mauer- Wind und Erddruck rechtwinklig zur Mauerwerk-
werk ist ein Baustoff für den Hochbau. Wegen der wand liegt eine Plattenbeanspruchung vor, d. h.
vergleichbaren großen Flexibilität und vor allem Mauerwerk kann auf Druck, (Biege-)Zug und/oder
wegen der guten bauphysikalischen Eigenschaften Schub beansprucht werden. Wie Beton ist auch
wird Mauerwerk überwiegend im Wohnungsbau Mauerwerk ein Baustoff, der in erster Linie für
eingesetzt. Mehr als 85% der Wohnungsbauten eine Druckbeanspruchung geeignet ist. Die Bean-
werden in Mauerwerk ausgeführt. Aber auch im spruchbarkeit auf Zug, Biegezug und Schub ist
Industrie- und Verwaltungsbau wird Mauerwerk wesentlich geringer als die auf Druck. Mauerwerk
verwendet. Mauerwerk ist in DIN 1053-1 bis -4 wird daher in erster Linie zum Lastabtrag vertika-
und 100 genormt. Die DIN 1053-1 behandelt un- ler Lasten herangezogen. In den folgenden Ab-
bewehrtes Mauerwerk; Berechnung und Ausfüh- schnitten sind die für die unterschiedlichen Belas-
rung und zwar Rezeptmauerwerk (RM) und Mau- tungen maßgebenden Festigkeitseigenschaften des
erwerk nach Eignungsprüfung (EM). Die Bemes- Mauerwerks, d. h. Druckfestigkeit, Zug-/Biegezug-
sung (Berechnung) kann nach einem vereinfachten festigkeit und Schubfestigkeit, und das Tragver-
Nachweisverfahren unter Bezug auf zulässige halten des Mauerwerks unter den entsprechenden
Spannungen oder nach einem genaueren Verfahren Beanspruchungen näher beschrieben.
(Rechenfestigkeiten ȕR’ Traglastverfahren) erfol-
gen. Die Norm enthält neben detaillierten Ausfüh- Druckfestigkeit
rungshinweisen auch Regeln für die Konstruktion Wird eine Mauerwerkwand analog Abb. 3.6-12
und Ausführung von Mauerwerkbauten und die durch eine zentrische, vertikale Drucklast bean-
notwendige Beschreibung der verwendbaren Mau- sprucht entstehen in vertikaler Richtung gleichmä-
ermörtel mit den entsprechenden Anforderungen. ßige Druckspannungen in der gesamten Wand. In
DIN 1053 – 100 wurde eingeführt zur Umstellung der Regel weist der Mörtel eine größere Querver-
der Bemessung vom globalen (Teil 1) auf das Teil- formbarkeit auf als der Mauerstein, sodass dieser
sicherheitskonzept (Teil 100). In DIN 1053-2 bei einer freien Verformung, d. h. ohne Verbund
(Mauerwerkfestigkeitsklassen aufgrund von Eig- zum Mauerstein, eine größere Querverformung er-
nungsprüfungen) sind die Verfahrensweise für die fährt. Durch den Verbund von Mauerstein und
Eignungsprüfung und die Zuordnung von Rechen- Mauermörtel wird diese Verformung jedoch behin-
festigkeiten und Grundwerten der zulässigen dert, wodurch in horizontaler Richtung Druck-
Druckspannung geregelt. DIN 1053-3 behandelt spannungen im Mauermörtel und Zugspannungen
bewehrtes Mauerwerk, s. dazu Abschn. 3.6.1.5. im Mauerstein entstehen. Durch die Querzugspan-
Die DIN 1053-4 befasst sich mit Mauerwerk aus nungen im Mauerstein verringert sich die vertikale
Fertigbauteilen. Sie behandelt Fertigbauteile aus Druckfestigkeit der Mauersteine und damit auch
Mauerwerk – das sind Mauertafeln, Vergusstafeln die Mauerwerkdruckfestigkeit. Bei zunehmender
und Verbundtafeln. Kurz vor der Einführung steht vertikaler Belastung wird die Querzugfestigkeit
die neue Reihe der DIN 1053 mit ihren Teilen 11 der Mauersteine überschritten, und es entstehen
(vereinfachtes Nachweisverfahren für unbewehrtes vertikale Risse in den Mauersteinen. Der sich in-
Mauerwerk), 12 (Konstruktion und Ausführung folge einer vertikalen Druckbelastung VD1 einstel-
von unbewehrtem Mauerwerk), 13 (genaueres lende dreiaxiale Spannungszustand ist in Abb. 3.6-
Nachweisverfahren für unbewehrtes Mauerwerk) 12 dargestellt (Querzugspannungen im Mauerstein
und 14 (Bemessung und Ausführung von Mauer- VZ2 und VZ3, Querdruckspannungen im Mauermör-
werk aus Natursteinen). Mauerwerkwände werden tel VD2 und VD3).
je nach Ihrer Funktion durch unterschiedliche Las- Wesentliche Einflüsse auf die Druckfestigkeit
ten beansprucht. Lasten, die bei einer Scheibenbe- von Mauerwerk sind (wobei zwischen material-
anspruchung in der Mauerwerkebene wirken, kön- und ausführungsbedingten Einflussgrößen unter-
nen vertikale Lasten infolge Eigengewicht oder schieden wird):
1316 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
– die Druckfestigkeit der Mauersteine (genauer Die größte Mauerwerkdruckfestigkeit mit Mauer-
die Querzugfestigkeit), ziegeln wird erreicht, wenn trockene Steine ver-
– die Druckfestigkeit des Mauermörtels (genauer mauert werden; bei Kalksandsteinen dagegen mit
das Querverformungsverhalten unter Druckbe- feuchten Steinen. Hinsichtlich der Ausführungs-
anspruchung), qualität ist der Vermörtelungsgrad der Lagerfugen
– der Feuchtezustand der Mauersteine beim Ver- von großem Einfluss. Nach [Kirtschig/Meyer
mauern, 1989] verändert sich die Mauerwerkdruckfestig-
– die Dicke der Lagerfugen, keit proportional mit der Größe der auf die Ge-
– die Art des Mauerwerkverbandes, samtfläche der Lagerfuge (Sollfläche) bezogenen
– die Ausführungsqualität, insbesondere Vollfu- sachgerecht vermörtelten Fläche (Ist-Fläche). Die
gigkeit der Vermörtelung. Mauerwerkdruckfestigkeit kann experimentell nach
DIN 18 554-1 oder rechnerisch auf empirischer
Der Einfluss des Mauermörtels wird im Wesent- Basis aus der Steindruckfestigkeit und der Mörtel-
lichen durch die Querverformbarkeit des Mörtels druckfestigkeit wie folgt ermittelt werden [Mann
unter der Druckbeanspruchung sowie die Lagerfu- 1983]:
gendicke bestimmt. Steifere Mörtel und dünnere
Lagerfugen ergeben eine höhere Mauerwerkdruck- fmw = K · f αst · fȕmö für NM, LM
festigkeit. Eine deutlich geringere Mauerwerk- fmw = K · f αst für DM
druckfestigkeit entsteht, wenn sehr verformungs- (fst Mauersteindruckfestigkeit, fmö Mörteldruck-
fähige Leichtmörtel – aus wärmetechnischen festigkeit).
Gründen – verwendet werden. Plansteine und
Dünnbettmörtel führen zu den vergleichsweise Es handelt sich um eine reine Regressionsglei-
höchsten Druckfestigkeiten des Mauerwerks. Der chung, wobei die Exponenten und Konstanten mit-
Feuchtegehalt der Mauersteine beim Vermauern tels Auswertung von Literaturergebnissen er-
kann die Mauerwerkdruckfestigkeit erheblich, je folgten. Eine am ibac vorhandene Datenbank
nach Steinart unterschiedlich stark, beeinflussen. diente dabei als Basis für die DIN 1053-13 ent-
Bei Mauerziegeln ist der Einfluss des Feuchtege- nommenen Tabellen (Änderungen in den Faktoren
haltes nicht so groß wie bei anderen Mauersteinen. sind noch möglich):
3.6 Mauerwerk 1317
Tabelle 3.6-8 Parameter zur Ermittlung der Druckfestig- Tabelle 3.6-11 Parameter zur Ermittlung der Druckfestig-
keit von Mauerwerk aus Mauerziegeln sowie Kalksand- keit von Mauerwerk aus Mauerziegeln und Kalksandstei-
Loch- und Hohlblocksteinen mit Normalmauermörtel nen mit Leichtmörtel
Tabelle 3.6-10 Parameter zur Ermittlung der Druckfestigkeit von Mauerwerk aus Kalksand-Plansteinen und Kalksand-
Planelementen mit Dünnbettmörtel
Tabelle 3.6-12 Parameter zur Ermittlung der Druckfestigkeit von Mauerwerk aus Leichtbeton- und Betonsteinen
Tabelle 3.6-13 Parameter zur Ermittlung der Druckfestig- blendschalen, aber auch freistehende Wände. Bei
keit von Mauerwerk aus Porenbetonsteinen der Zug- und Biegezugfestigkeit kann grundsätz-
Steinart Steinsorte Mörtelart Parameter lich jeweils zwischen einer Beanspruchung senk-
recht und parallel zu den Lagerfugen und jeweils
K Į ȕ
den zwei Versagensfällen Steinversagen und Fu-
Poren Vollsteine DM 0,84 0,83 – genversagen unterschieden werden. Die Zugfestig-
betonsteine keit kann versuchsmäßig nach [Backes 1983], die
Biegezugfestigkeit nach EN 1052-2 bestimmt
werden. Überschreiten die im Mauerwerk ent-
zentrische, einachsige Zugfestigkeit ist daher eine stehenden Zugspannungen die Zugfestigkeit des
wesentliche Kenngröße zur Beurteilung der Riss- Mauerwerks parallel zu den Lagerfugen, entstehen
sicherheit bei Bauteilen ohne wesentliche Auf- vertikale Risse im Mauerwerk. Es können zwei
last, wie Verblendschalen, Ausfachungsmauerwerk, unterschiedliche Versagensbilder auftreten (s. dazu
nichttragende innere Trennwände, aber auch bei auch Abb. 3.6-13):
Außen- und Innenwänden, die beispielsweise un-
– Versagen der Steine (gerader Rissverlauf),
terschiedlichen Formänderungen unterliegen. Bie-
– Versagen des Verbandes (getreppter Rissver-
gezugbeanspruchungen entstehen in erster Linie
lauf).
durch horizontale, äußere Lasten, wie Erddruck
oder Wind. Dabei handelt es sich z. B. um durch Die Mauerwerkzugfestigkeit EZ,mw ist für den ho-
Erddruck beanspruchte Kellerwände, oder durch mogenen Querschnitt definiert. Wie aus Abb. 3.6-
Wind beanspruchte Ausfachungswände oder Ver- 13 hervorgeht, kann die Zugfestigkeit parallel zu
3.6 Mauerwerk 1319
den Lagerfugen rechnerisch ermittelt werden. Bei mörtel ist der Ansatz der Haftzugfestigkeit in den
der Herleitung der Berechnungsansätze wurde da- Stoßfugen denkbar. Die Mauerwerkzugfestigkeit
von ausgegangen, dass in den vertikalen Stoßfu- ist erreicht, wenn die in der Lagerfuge auftretenden
gen, auch wenn sie vermörtelt sind, keine Zug- Schubspannungen W die Scherfestigkeit überschrei-
spannungen übertragen werden können. Der Grund ten. Wesentliche Einflussgrößen auf die Mauer-
hierfür ist, dass die Stoßfugen nicht überdrückt werkzugfestigkeit bei Fugenversagen sind daher
sind, der Mörtel i. d. R. schwindet und die Ausfüh- das auf die Mauersteinhöhe bezogene Überbinde-
rung häufig mangelhaft ist. Für den Fall Steinver- maß ü / hst und die Scherfestigkeit, die sich aus der
sagen bedeutet dies, dass die im Bereich einer Haftscherfestigkeit EHS und dem auflastabhän-
Steinlage und Mörtelfuge (Bereich zwischen ge- gigen Reibungsanteil · VD zusammensetzt. Die
strichelten Linien in Abb. 3.6-13 hst + hmö) auftre- Haftscherfestigkeit ist dabei abhängig von der
tenden Zugspannungen nur durch einen halben Steinart, Lochung, Porenstruktur und dem Feuch-
Mauerstein und die Mörtelfuge übertragen werden tegehalt der Mauersteine und der Zusammenset-
können. Da die Dicke der Mörtelfuge i. d. R. deut- zung des Mörtels, s. Abschn. 3.6.1.3. Der Rei-
lich geringer ist als die Mauersteinhöhe, ist die bungsbeiwert wird im Wesentlichen durch Ober-
Mauerwerkzugfestigkeit näherungsweise halb so flächenstruktur und Lochanteil/-struktur, d. h. die
groß wie die Mauersteinzugfestigkeit. Wesentliche Verzahnung zwischen Mauerstein und Mauermör-
Einflussgröße für die Mauerwerkzugfestigkeit bei tel, beeinflusst.
Steinversagen ist daher die Mauersteinzugfestig-
keit EZ,st. Diese ist abhängig von Steinart, Lochan- Schubfestigkeit
teil und Lochbild. Bei Fugenversagen müssen die Durch horizontale Lasten wie Erdruck, Wind oder
im Bereich einer Steinlage und Mörtelfuge auftre- auch Erdbeben können Mauerwerkwände sowohl
tenden Zugspannungen über Schubspannungen W in Wandebene auf Scheibenschub als auch senk-
in der Lagerfuge auf der Überbindelänge ü in die recht zur Wandebene auf Plattenschub beansprucht
jeweilige nächste Steinlage übertragen werden. werden. Die Scheibenschubbeanspruchung ist ins-
Die übertragbare Zugkraft in den Stoßfugen kann besondere bei aussteifenden Wänden von Bedeu-
vernachlässigt werden (s. o.), da die Haftzugfestig- tung. Häufig werden diese Bauteile gleichzeitig
keit EHZ i. d. R. gering ist. Lediglich bei Dünnbett- durch vertikale Kräfte infolge Eigengewicht und
1320 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
Lasten aus oberen Geschossen beansprucht. Hier- den Stoßfugen muss zur Erzielung des Kräfte-
durch entstehen in der Mauerwerkwand Schub- gleichgewichtes gegen Verdrehen des Mauersteins
spannungen W und Druckspannungen Vx. Die eine ungleichmäßige Normalspannungsverteilung
gleichzeitig wirkenden Druckspannungen haben in den Lagerfugen entstehen. Diese wurde verein-
einen wesentlichen Einfluss auf die Schubfestig- fachend als getreppter Verlauf angenommen (V1,
keit der Mauerwerkwand. Um die Schubbean- V2). Die theoretischen Überlegungen wurden durch
spruchbarkeit von Mauerwerk zu ermitteln, wur- Versuche belegt.
den in den 70er-Jahren theoretische Überlegungen Es ergeben sich folgende Versagensfälle:
zum Spannungszustand in einer schubbeanspruch-
ten Mauerwerkwand bei Scheibenschub durchge- (1) Fugenversagen
führt, s. Abb. 3.6-14 [Mann/Müller 1985]. Dabei Die Schubspannungen in der Lagerfuge über-
wird aus einer durch Horizontal- und Vertikalkräf- schreiten die übertragbare Scherfestigkeit (im
te beanspruchten Mauerwerkwand ein Element be- Bereich der geringer belasteten Steinhälfte ı2 in
trachtet, bei dem davon ausgegangen wird, dass an Abb. 3.6-14), die sich aus der Haftscherfestig-
diesem ein gleichmäßiger Schubspannungszustand keit ȕHS und dem auflastabhängigen Reibungs-
mit konstanter Druckspannung vorliegt. Aus die- anteil · ıD zusammensetzt. Dieser Versagens-
sem Element wird wiederum ein Einzelstein he- fall tritt bei Mauersteinen mit hoher Zugfestig-
rausgeschnitten. An diesem Mauerstein wurden keit auf und führt zu einem getreppten, in den
Gleichgewichtsbetrachtungen durchgeführt. Es Fugen verlaufenden Riss.
wird davon ausgegangen, dass in den Stoßfugen (2) Steinzugversagen
keine Schubkräfte aufgrund von Schwindverkür- Durch die gleichzeitige Schub- und Druckbelas-
zungen des Mörtels oder mangelhafter Ausführung tung der Mauersteine entstehen schiefe Haupt-
übertragen werden können. Bei unvermörtelten zugspannungen in den Mauersteinen, die bei
Stoßfugen gilt dies analog. Durch die vorausset- Mauersteinen geringerer Festigkeit zum Über-
zungsgemäße fehlende Schubkraftübertragung in schreiten der Mauersteinzugfestigkeit ȕZ,st füh-
3.6 Mauerwerk 1321
ren. Dieser Versagensfall tritt i. d. R. bei größerer Dies betrifft den Feuchteschutz bei Außenbauteilen
vertikaler Auflast auf oder bei Dünnbettmörtel, sowie möglicherweise auch den Schallschutz. Durch
wenn höhere Scherkräfte in den Lagerfugen eine stärkere Durchfeuchtung können die Wärme-
übertragen werden können. Die Risse verlaufen dämmung vermindert werden und bei Frostbean-
durch die Mauersteine und teilweise durch die spruchung lokale Schäden entstehen. Derartige
(unvermörtelten) Stoßfugen. Rissschäden sind nur durch ausreichende Kenntnis
(3) Mauerwerkdruckversagen der Verformungseigenschaften von Mauerwerk und
Bei sehr hoher vertikaler Auflast wird die entsprechende Maßnahmen zu vermeiden. Dies
Druckfestigkeit des Mauerwerks ȕD,mw infolge muss bereits im Planungsstadium beachtet werden.
schiefer Hauptdruckspannungen (aus gleichzei-
tiger Schub- und Druckbeanspruchung) über- Formänderungsarten, Zahlenwerte
schritten. Abbildung 3.6-15 gibt einen Überblick über die
beim Mauerwerk auftretenden Formänderungs-
Die Versagenskriterien und Berechnungsglei- arten. Es sind bis auf das irreversible Quellen, das
chungen wurden für Mauerwerk aus kleinforma- bei Mauerziegeln auftreten kann, die gleichen Form-
tigen Mauersteinen und Normalmörtel hergeleitet. änderungsarten wie bei Beton. In der Tabelle der
Ziel vergangener Forschungsvorhaben [Caballero DIN 1053-13 sind Zahlenwerte für die Formände-
Gonzalez/Meyer 2008] war es, Bemessungsglei- rungen angegeben und zwar sowohl als Rechen-
chungen herzuleiten, die auch größere Formate be- wert (i. Allg. zutreffender Wert) und als Wertebe-
rücksichtigen und die Schubtragfähigkeiten reali- reich (unterer und oberer Grenzwert). Die Angaben
tätsnäher ableiten. Hierzu finden sich Erläute- in der DIN sind keine Anforderungen. Deutlich
rungen in Abschn. 3.6.2. sind die großen Unterschiede im Wertebereich für
die einzelnen Mauerwerkarten (Steinarten) sowie
Formänderungen und Risssicherheit vor allem die Unterschiede zwischen den verschie-
Allgemeines, Bedeutung denen Mauerwerkarten. Die Mörtelart kann zwar
Durch behinderte Formänderungen können auch bei auch die Formänderungswerte beeinflussen, der
Mauerwerk Spannungen mit der Folge von Riss- Einfluss ist jedoch gegenüber den Formänderungen
schäden entstehen. Diese beeinträchtigen i. d. R. der Mauersteine in den meisten Fällen vernachläs-
nicht die Standsicherheit von Bauteilen oder Gebäu- sigbar, vor allem bei großem Steinanteil in Mauer-
den, allerdings manchmal die Gebrauchsfähigkeit. werk (großformatige Steine).
HT = 'T . DT.
irreversiblen Quellens in Abhängigkeit von der kein oder nur noch ein geringes Nachquellen der
Zeit. Es ist zu erkennen, dass die Verformungen Mauerziegel im Mauerwerk zu erwarten. Kritisch
sehr schnell, aber auch sehr langsam über einen und rissfördernd kann das irreversible Quellen
Zeitraum von mehreren Jahren auftreten können. nach Kurventyp 2 werden, wenn es über den Zeit-
Die Kurven 1 und 3 sind i. d. R. ohne Relevanz raum der Wandherstellung hinaus anhält, da die
für die Baupraxis, weil in diesen Fällen das irre- Verformungen durch den Verbund mit anderen
versible Quellen sehr schnell auftritt und nach ei- Bauteilen behindert werden und rissgefährliche
ner kurzen Dauer abgeschlossen ist. Es ist dann Spannungen bei der Verbindung mit sich gleich-
3.6 Mauerwerk 1325
zeitig verkürzenden Bauteilen noch vergrößert der Faktoren kE sind in Tabelle 3.6-16 angegeben.
werden. Es ist deshalb – wie auch beim Schwinden DIN 1053-13 enthält entsprechend auf die charak-
– außerordentlich wichtig, die Feuchtedehnungs- teristischen Fertigkeiten bezogene Werte. Eine
eigenschaften der Mauersteine produktbezogen Übersicht über die E-Moduln der verschiedenen
möglichst genau zu kennen. Mauerwerkarten in Abhängigkeit von der Steinart-
und festigkeitsklasse sowie Mörtelart und -gruppe
Lastenabhängige Verformung ist in Tabelle 3.6-17 dargestellt [Schubert 1998].
Elastizitätsmodul, kurzzeitige Lasteinwirkung
In DIN 1053-1 wird der E-Modul unter Bezug auf Kriechen, langzeitige Lasteinwirkung
die Grundwerte der zulässigen Druckspannung V0 Die durch langzeitige Lasteinwirkung entstehende
angegeben. Die Rechenwerte und Wertebereiche Dehnung (Verkürzung in Lastrichtung) wird als
Das Kriechen wird wie bei Beton aus der im Ver- schlechtert werden. Dies betrifft den Feuchteschutz
such ermittelten Gesamtdehnung des belasteten bei Außenbauteilen sowie in manchen Fällen auch
Prüfkörpers abzüglich der elastischen Dehnung und den Schallschutz. Durch eine stärkere Durchfeuch-
der Feuchtedehnung ermittelt (s. Tabelle 3.6-18): tung können die Wärmedämmung vermindert wer-
den und bei Frostbeanspruchung örtlich begrenzte
[mm/m bzw. 10-3]. Schäden entstehen. Derartige Rissschäden sind nur
durch ausreichende Kenntnis der Verformungs-
Die Rechenwerte für die Endkriechzahl von Mau- eigenschaften von Mauerwerk und entsprechende
erwerk Mf unterscheiden sich in Abhängigkeit von Maßnahmen zu vermeiden. Dies muss bereits im
der jeweiligen Steinart teilweise erheblich, s. Ta- Planungsstadium beachtet werden. Eine nachträg-
belle 3.6-18. Ein deutlicher Einfluss der Mörtelart liche Instandsetzung von Bauteilen mit Rissschäden
konnte aus den derzeit zur Verfügung stehenden ist i. Allg. sehr kostenintensiv. Wie aus Abb. 3.6-19
Untersuchungen nicht abgeleitet werden. ersichtlich, wird die Risssicherheit von Mauerwerk
durch eine Vielzahl von Einflüssen bestimmt, die
Risssicherheit von Mauerwerk z. T. nicht quantifizierbar sind. Ausführungsbedin-
Allgemeines, Definition, wesentliche Einflüsse gungen können i. Allg. nicht berücksichtigt werden,
Die Risssicherheit von Mauerwerk kann unter Be- da sie nicht bzw. nur unzureichend genau vorher-
zug auf die Bruchdehnung und die vorhandene sehbar sind. Wegen der weitgehend unbekannten
Dehnung sowie unter Bezug auf die maßgebende bauseitigen Einflüsse und der stark streuenden
Festigkeit und die vorhandene Spannung definiert Baustoffeigenschaftswerte ist die Beurteilung der
werden (s. Abb. 3.6-19). Risssicherheit von Mauerwerk nur in sehr grober
Rissgefährliche Spannungen entstehen dann, Näherung und nur in einigen Fällen möglich. Dies
wenn Formänderungen (z. B. durch Temperaturän- ist jedoch wesentlich besser als eine subjektive, ge-
derung, Austrocknung) behindert werden. Dies ist fühlsmäßige Beurteilung nach dem sog. „gesunden
i. d. R. der Fall, wenn Bauteile unterschiedlichen Ingenieurverstand“. Für kritische, d. h. rissgefähr-
Verformungsverhaltens und unterschiedlicher Stei- liche Fälle ist deshalb eine Beurteilung der Risssi-
figkeit miteinander verbunden sind. Es kommt zu cherheit im Planungsstadium durch Anwendung
Zwängungen infolge von Schwinden, Kriechen und der im Folgenden angegebenen Verfahren dringend
Temperaturänderungen, die Rissschäden im Mau- zu empfehlen. Dabei kann grundsätzlich davon
erwerk verursachen können. Diese Risse beein- ausgegangen werden, dass ein Verformungsunter-
trächtigen i. d. R. nicht die Standsicherheit von schied zwischen zwei – gedanklich voneinander
Bauteilen oder Gebäuden, es kann jedoch die getrennten – Bauteilen 'H d 0,2 mm/m rissunge-
Gebrauchsfähigkeit im Einzelfall wesentlich ver- fährlich ist. In der Regel genügt es, als Formände-
1328 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
Rissursachen, Einflussgrößen gar nicht schwindet und kriecht, ggf. sogar noch ir-
reversibel quillt. Entscheidend für die Rissbildung
– Verformungsfall V1
sind die Feuchtedehnungen (Schwinden Hs und irre-
Die Formänderungsunterschiede zwischen Innen- versibles Quellen Hcq). Da die Verformungen der
wand (IW) und Außenwand (AW) in vertikaler Rich- beiden Wände nicht unbehindert verlaufen können,
tung sind zu groß; die Innenwand verkürzt sich ge- entstehen schräggerichtete Zugspannungen in der
genüber der Außenwand infolge Schwinden und Innenwand und bei Überschreiten der Festigkeit die
Kriechen, während die Außenwand weniger oder in Abb. 3.6-20 dargestellten Schrägrisse. Die Riss-
1330 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
land bislang – im Gegensatz zu vielen anderen Dadurch ist die Diffusion des Kohlendioxids nur
Ländern – keine große Bedeutung erlangt. Dies ist wenig behindert, und die Karbonatisierung des
sicherlich zum einen darauf zurückzuführen, dass Mörtels verläuft sehr schnell. Die Bewehrung in
es eine entsprechende Norm erst seit 1990 gibt, Mörtel muss deshalb stets zusätzlich geschützt
zum anderen aber auch darauf, dass geeignete werden, wenn nicht ein dauernd trockenes Klima
Formsteine für die Bewehrung in vertikaler Rich- gewährleistet ist (Umweltbedingungen nach DIN
tung noch nicht ausreichend zur Verfügung stehen 1045-1. In Außenwänden ist i. d. R. geschützte Be-
und die zulässigen Anwendungsbereiche des be- wehrung zu verwenden (s. a. Tabelle 3.6-21). Un-
wehrten Mauerwerks nach DIN 1053-3 wegen des geschützte Bewehrung darf nur in betonverfüllten
damaligen Kenntnisstandes noch sehr begrenzt Aussparungen unter bestimmten Anforderungen
sind. Zwischenzeitlich liegt eine Reihe von Unter- verwendet werden. Maßnahmen für ausreichenden
suchungen vor, die über den Weg der allgemeinen Korrosionsschutz der Bewehrung sind:
bauaufsichtlichen Zulassung eine erweiterte An-
– Verwendung von Edelstahl,
wendung von bewehrtem Mauerwerk ermögli-
– Kunststoffbeschichtung,
chen.
– Feuerverzinkung, wenn Gehalt an zinkaggres-
siven Bestandteilen (vor allem Sulfate, Chloride)
Baustoffe für bewehrtes Mauerwerk
im Mörtel und in Mauersteinen begrenzt ist (DIN
Tabelle 3.6-20 gibt eine Übersicht über die verwend-
1053-3) und keine äußere Einwirkung von ag-
baren Baustoffe bzw. die Anwendungsbedingungen.
gressiven Medien (z. B. Sulfate, Chloride) auftritt.
Die beiden letztgenannten Maßnahmen bedürfen
Korrosionsschutz der Bewehrung
einer allgemeinen bauaufsichtlichen Zulassung.
Im Gegensatz zu Beton kann Mauerwerk keinen
dauerhaften alkalischen Schutz der Bewehrung ge-
währleisten. Dies ist durch die i. d. R. hohe Porosi- Ausführung
tät des Mauermörtels (hoher Wasserbindemittel- Tabelle 3.6-22 gibt eine Übersicht über die Be-
wert für die Verarbeitung) und der Steine bedingt. stimmungen der DIN 1053-3 zur Ausführung von
1336 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
Mauersteine
Anwendbar sind alle genormten Mauersteine und Formsteine, wenn:
– der Lochanteil nicht mehr als 35% beträgt a),
– bei nicht kreisförmigen Löchern die Stege in Wandlängsrichtung durchgehen (kein Stegversatz)
– die Kennzeichnung der Mauersteine zusätzlich „BM“ (bewehrtes Mauerwerk) enthält.
Mauermörtel
– für unbewehrte Mauerwerksbereiche: Mauermörtel nach DIN 1053-1 (Normalmörtel, außer MG I; Leichtmörtel; Dünn-
bettmörtel),
– für bewehrte Mauerwerksbereiche (Lagerfugen, Aussparungen): nur Normalmörtel der Mörtelgruppen III und IIIa, Zu-
schlag mit dichtem Gefüge nach DIN 4226-1
Beton
Für bewehrte Bereiche in Formsteinen, großen und ummauerten Aussparungen:
Beton mind. Festigkeitsklasse B15 nach DIN 1045, Zuschlag Größtkorn 8 mm, ggf. höhere Festigkeitsklasse erforderlich
wegen Korrosionsschutz
Betonstahl
Gerippter Betonstahl nach DIN 488-1 b)
a) Hochlochziegel nach Zulassung Nr. Z-17.1-480 des Deutschen Instituts für Bautechnik dürfen unter bestimmten Bedin-
gungen mit Lochanteilen bis zu 50% für bewehrtes Mauerwerk verwendet werden.
b) Für andere Bewehrung (kleinere Durchmesser als 6 mm, Bewehrungselemente – auch mit glatten Stählen) ist eine bau-
aufsichtliche Zulassung erforderlich. Derzeit sind zugelassen:
MURFOR-Bewehrungselemente mit Duplex-Beschichtungen für bewehrtes Mauerwerk (Z-17.1-469)
MURFOR-Bewehrungselemente aus nichtrostendem Stahl für bewehrtes Mauerwerk (Z-17.1-541)
Tabelle 3.6-21 Vorschläge zur Einordnung von Wandbauteilen hinsichtlich des Korrosionsschutzes
Bauteil Korrosionsschutz
Innenwände dauerhaft trocken nicht erforderlich
Trennwände zwischen erforderlich
Bädern und Küchen u. ä.
Einschalige Außenwände Innenseite u. U. erforderlich, wenn Wasserzutritt nicht sicher ausgeschlossen
(auch Kellerwände) werden kann. Korrosionsschutz ist jedoch grundsätzlich sinnvoll,
da Verwendung geschützter und ungeschützter Bewehrung (Gefahr
einer Makroelementbildung) im gleichen Bauteil nicht sinnvoll
und baupraktisch kaum durchführbar ist.
Außenseite erforderlich
Zweischalige Außenwände Innenschale nicht erforderlich
Außenschale erforderlich
bewehrtem Mauerwerk. Die Lagerfugen sind stets Bewehrungsführung vollvermörtelt werden. An-
vollfugig auszuführen, Fugen mit Bewehrung dür- sonsten gilt DIN 1053-1. Die Möglichkeiten der
fen bis zu 20 mm dick sein – Richtmaß für Fugen- Bewehrungsführung sind in Abb. 3.6-31 darge-
dicke: 2-facher Stabdurchmesser. Die Stoßfugen stellt.
müssen nur bei horizontaler Spannrichtung und
3.6 Mauerwerk 1337
hat die Aufgabe, das dahinter liegende Mauerwerk Verträglichkeit von Putz und Putzgrund zu gewähr-
vor Witterungseinflüssen zu schützen (s. Abb. 3.6- leisten.
32). Deshalb muss Außenputz einen dauerhaften Die Anforderungen an den Putzgrund sind:
Verbund zum Putzgrund aufweisen. Der Außen-
– ausreichende Festigkeit/Steifigkeit
putz muss das Durchfeuchten des Mauerwerks
– keine unvermörtelten breiten Fugen und Risse,
durch eine geringe Wasseraufnahme – das Ein-
– möglichst eben,
dringen von Niederschlagwasser wird weitgehend
– gleichmäßige Rauhigkeit und Saugfähigkeit,
vermieden – und durch einen geringen Dampf-
– chemische Verträglichkeit (Sulfate!),
diffusionswiderstand – die Bildung von Tauwas-
– Formänderungen möglichst abgeklungen,
ser zwischen Mauerwerk und Außenputz wird
– ausreichender Haftverbund.
auf ein unschädliches Maß verringert – ver-
meiden. Die zuvor genannte Schutzfunktion gegen
eindringenden Niederschlag ist jedoch nur ge- Aufbau von Putzen, Auftrag
währleistet, wenn Risse mit Rissbreiten größer als Der Aufbau eines Putzsystems ist abhängig von
i. Allg. rb | 0,2 mm vermieden werden. An den den Anforderungen an das Putzsystem und von der
Putzgrund sind die nachfolgend aufgeführten An- Beschaffenheit des Putzgrundes. In Abb. 3.6-32 ist
forderungen zu stellen, um u. a. eine dauerhafte der Aufbau eines zweilagigen Außenputzsystems
3.6 Mauerwerk 1339
bestehend aus Unterputz und Oberputz darge- Wärmedämmung) führen. Risse können putz- und
stellt. Die Dicke diese Putzsystems beträgt nach putzgrundbedingt bzw. konstruktiv bedingt sein.
DIN V 18550 20 mm (Mindestdicke 15 mm, be- Konstruktiv bedingte Risse resultieren aus einer
schränkt auf einzelne Stellen). Die Haftung des falschen konstruktiven Durchbildung von Bautei-
Putzes auf dem Putzgrund kann mit einem Spritz- len. Ein Beispiel für einen auf eine konstruktive Ur-
bewurf oder einer Haftbrücke verbessert werden. sache zurückzuführenden Riss ist in Abb. 3.6-33
Bei stark saugenden Putzgründen ist i. d. R. zur dargestellt. Die Deckenverdrehung am Auflager
Verringerung des Saugvermögens ein volldecken- führt zu einer klaffenden Fuge zwischen Mauerwerk
der Spritzbewurf bzw. ein Haftmörtel erforderlich. und Stahlbetondecke und dadurch zu einem Riss im
Der Putzregel zufolge sollte die Festigkeit des Put- Außenputz. Konstruktiv bedingte Risse können
zes vom Putzgrund zur Putzoberfläche am besten durch die Wahl des Putzes nicht beeinflusst werden,
abnehmen bzw. zumindest nicht zunehmen. Nur sondern müssen durch geeignete konstruktive Maß-
dadurch können putzbedingte, breite und damit nahmen vermieden werden. Im Allgemeinen führen
schädliche Risse vermieden werden. Ausgenom- statisch-konstruktive Ursachen zu breiten und damit
men sind dabei Wärmedämmputze, weil bei diesen schädlichen Rissen.
Putzen die Verformungen des Oberputzes und des Putz- bzw. putzgrundbedingte Risse können
Putzgrundes entkoppelt sind und der Oberputz sich sich aus unterschiedlichen Verformungen von Putz
dadurch weitgehend frei verformen kann. und Putzgrund ergeben. Putz schwindet wie auch
andere Baustoffe durch Wasserabgabe (Austrock-
Rissursachen und Rissbeurteilung nung). Dieses Schwinden wird nach ausreichender
Feine Haarrisse in der Putzoberfläche sind i. d. R. Anfangsfestigkeit des Putzes durch den i. d. R.
nicht zu beanstanden, da sie mit vertretbarem Auf- nicht bzw. nicht in gleicher Weise schwindenden
wand nicht sicher vermeidbar sind und auch die Putzgrund behindert. Die dadurch entstehenden
Funktionsfähigkeit des Putzes nicht beeinträchtigen. Zugspannungen im Putz führen zu Rissen, wenn
Erst bei größeren Rissen, i. Allg. bei Rissen mit ei- die vergleichsweise geringe Zugfestigkeit des Put-
ner Rissbreite größer als etwa 0,2 mm kann Feuch- zes (etwa 10–20% der Druckfestigkeit) überschrit-
tigkeit – vor allem bei Schlagregenbeanspruchung ten wird. Dehnt sich der Putzgrund, z. B. durch
– in den Putz und von da aus ggf. in den Putzgrund das irreversible Quellen von Mauerziegeln, gleich-
eindringen und zu Schäden (Abplatzungen, Ablö- zeitig aus, so vergrößert sich die Rissgefahr ent-
sungen durch Frosteinwirkung, Verminderung der sprechend. Risse infolge Schwinden des Putzes
1340 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
Abb. 3.6-34 Risse im Außenputz – Putzgrund deutlich stei- Abb. 3.6-35 Risse im Außenputz – Putz deutlich steifer
fer als Putz als Putzgrund
können durch die Wahl eines in seinen mecha- der Lage, die bei der Rissbildung frei werdenden
nischen Eigenschaften an den Putzgrund angepass- Zugkräfte aufzunehmen, reichen die Risse nicht
ten Putz wesentlich beeinflusst werden. Dies ist in bis in den Putzgrund hinein. Die Risse werden fein
Tabelle 3.6-23 dargestellt. Ist der Putzgrund aus- verteilt und sind damit unschädlich schmal (Haar-
reichend steif und fest, d. h. ist der Putzgrund in risse). Der Rissabstand beträgt dann i. d. R. etwa
3.6 Mauerwerk 1341
das 2- bis 4-fache der Putzdicke. Ist der Putzgrund mechanische Eigenschaften besitzen. Kritisch in
dazu nicht in der Lage, d. h. ist der Putzgrund nicht Bezug auf die Bildung von schwindbedingten Ris-
ausreichend steif bzw. fest, werden die Risse nicht sen im Außenputz ist insbesondere auch die Ver-
mehr fein verteilt und dadurch schädlich. In diesem wendung von Mischmauerwerk, da diese eine ab-
Fall reichen die Risse bis in den Putzgrund hinein. schnittsweise unterschiedliche Steifigkeit besitzt,
Als Kriterium für das Auftreten breiter, schädlicher aus denen unterschiedliche Formänderungen resul-
Risse kann entsprechend das Verhältnis von Zug- tieren. Des Weiteren wird dem Putz durch das un-
kraft im Putz und durch den Außenscherben auf- terschiedliche Saugvermögen verschiedener Mau-
nehmbare Zugkraft herangezogen werden. Ist die ersteinarten unterschiedlich viel Wasser entzogen.
Zugkraft im Putz kleiner als die durch den Außen- Der Putz schwindet dadurch unterschiedlich, die
scherben aufnehmbare Zugkraft, werden die Risse, mechanischen Eigenschaften der Putzes können
wie o. a. fein verteilt. Die Gültigkeit dieses Kriteri- sich teilweise deutlich unterscheiden. Die Folge
um ist jedoch auf den Steinbereich beschränkt. sind Risse an den Übergangsstellen. Zur Vermei-
Darüber hinaus ist dieses Kriterium nicht auf Voll- dung von schädlichen, putz- bzw. putzgrundbe-
steine übertragbar. Eine entsprechende Abstim- dingten Rissen anzustrebende Eigenschaftswerte
mung von Putz und Putzgrund ist unerlässlich. In des Putzes sind in Tabelle 3.6-23 angegeben, wobei
der DIN V 18 550 ist dies vereinfacht durch die diese immer in Abhängigkeit vom Putzgrund und
sog. Putzregel ausgedrückt, nach der die Steifigkeit von den Anforderungen durch die Nutzung ausge-
des Putzes kleiner oder maximal genauso groß sein wählt werden müssen. Beispielsweise ist auf einem
soll wie die des Putzgrundes. Insbesondere bei dem weniger steifen bzw. festen Putzgrund ein weniger
heute aus wärmeschutztechnischen Gründen für steifer bzw. fester Putz zu wählen.
Außenwände häufig verwendeten Leichtmauer-
werk mit geringer Druck- und Zugfestigkeit und Hinweise zur Ausführung
zum Teil sehr dünnen Steinaußenschalen ist eine Grundsätzlich muss bei der Ausführung von Putz-
sorgfältige Abstimmung der Putzeigenschaften auf arbeiten sichergestellt sein, dass die Luft- und
den Putzgrund erforderlich. Deshalb empfiehlt sich Bauteiltemperatur nicht kleiner als +5°C ist und
auf solchem Mauerwerk der Einsatz von Leichtput- bis zum ausreichenden Erhärten des Putzes nicht
zen, die i. Allg. auf Leichtmauerwerk angepasste darunter absinkt. Konstruktiv bedingte Verfor-
mungen und das Schwinden des Putzgrunds sollten Tabelle 3.6-24 Putzmörtelgruppen
vor Putzauftrag weitgehend abgeschlossen sein.
Deshalb sollte eine ausreichende Bauteilstandzeit
vor dem Verputzen vorgesehen werden. Ebenso ist
ein hoher Feuchtegehalt des Putzgrunds zu ver-
meiden. Da ein zu schneller Wasserentzug aus dem
frischen Putz die Putzfestigkeit und den Verbund
zum Putzgrund beeinträchtigen und zur Rissbil-
dung führen kann, sollte trockener und stark sau-
gender Putzgrund vorgenässt werden. Eine weitere
Möglichkeit zur Verminderung des Wasserabsau-
gens ist das Aufbringen eines vollflächigen Spritz-
bewurfs. Ebenso muss bei starkem Sonnenschein
(hohe Oberflächentemperaturen) und/oder Wind
durch eine Nachbehandlung (Folienabdeckung,
Feuchthalten) ein zu schneller Wasserentzug ver-
mieden werden. Tabelle 3.6-25 Druckfestigkeit Mörtelgruppen
Normung
Die Ausführung von Putzen und auf den jeweiligen
Anwendungszweck abgestimmte Anforderungen
an die Eigenschaften von Putzen sind in der
DIN V 18 550 geregelt. Produktnorm zu Innen-
und Außenputzen mit anorganischen Bindemitteln
ist die DIN EN 998-1. Dort sind Angaben zur
Kennzeichnung der Putzmörtel und zu prüfende
bzw. nachzuweisende Eigenschaften der Putze
festgelegt. In DIN V 18 550 werden die Putzmörtel sowie die Beständigkeit von Baustoffen gegenüber
in Abhängigkeit von der Art der Bindemittel ver- Einwirkungen aus der Umwelt (Dauerhaftigkeit).
schiedenen Putzmörtelgruppen zugeordnet (s. Ta- Darüber hinaus ist die Frage der Wiederverwend-
belle 3.6-24), um auf verschiedene Verwendungs- barkeit der verbauten Baustoffe von großer Bedeu-
zwecke abgestimmte, bewährte Putzsysteme vor- tung. Die Bilanzierung der verschiedenen Gesichts-
schlagen zu können. Die Einteilung der Putze in punkte der Umweltrelevanz von Baustoffen in Form
verschiedene Festigkeitsklassen erfolgt in DIN EN sog. Ökobilanzen ist schwierig und derzeit noch
998-1 (s. Tabelle 3.6-25). kaum in einer objektivierten, einheitlichen und un-
eingeschränkt vergleichbaren Form möglich. In Be-
zug auf Ökobilanzen der Baustoffe wird deshalb nur
3.6.1.7 Ökologische Eigenschaften
auf die entsprechende Literatur verwiesen, wie
Allgemeines [Schneider 1996, Schubert 1996, Wagner et al. 1998,
Die Ökologie befasst sich mit den Wechselbezie- Eden et al. 1995, Eyerer 2000]. Im Folgenden wer-
hungen zwischen den Lebewesen und ihrer Umwelt. den die Umweltverträglichkeit, die Radioaktivität
Bezogen auf den Baustoff interessieren vor allen und die Wiederverwendbarkeit von Mauerwerkbau-
Dingen die direkten Wechselwirkungen zur Um- stoffen behandelt.
welt. Dies betrifft die Umweltverträglichkeit, d. h.
sowohl die Auswirkung der Baustoffe während der Umweltverträglichkeit
Produktion, der Nutzung im Bauwerk und nach der Unter Umweltverträglichkeit wird die Beeinflus-
Nutzung auf die Schutzgüter Mensch, Wasser, Bo- sung der Umwelt durch die Baustoffe verstanden.
den und Luft als auch die Funktion von Bauwerken Wesentliche Gesichtspunkte der Umweltverträg-
zum Schutz der Umwelt vor gefährlichen Stoffen lichkeit bei Mauerwerkbaustoffen sind das Auswa-
3.6 Mauerwerk 1343
Tabelle 3.6-26 Konzentrationen der natürlichen Radioaktivität (Radium-Ra, Thorium-Th und Kalium-K) und Radion-
Exhalationsrate verschiedener Baustoffe
Entsprechend den Einsatzgebieten und den An- Bauwerkslebensdauer, welche üblicherweise mit
forderungen aus der Nutzung eines Bauwerks 50 Jahren angenommen wird – beeinflusst werden.
sind die erforderlichen Eigenschaften mit ausrei- Hierzu zählen beispielsweise Umwelteinflüsse
chender Zuverlässigkeit sicherzustellen. (Frost, Temperatur, Feuchtigkeit) und die Nutzungs-
Im Mauerwerksbau werden Gebrauchstauglich- intensität (nachträgliche Schlitze, Aussparungen
keitsnachweise i. d. R. nicht explizit geführt, da und Ein- und Ausbau von Befestigungsmitteln).
davon ausgegangen werden kann, dass bei Einhal- Da die Konsequenzen eines Versagens bezüglich
tung der konstruktiven Vorgaben und dem Nach- der Tragfähigkeit einerseits und der Gebrauchstaug-
weis der Tragfähigkeit diese gleichzeitig mit abge- lichkeit andererseits sich deutlich unterscheiden,
deckt werden. Sonderfälle stellen dabei lediglich werden auch unterschiedliche Versagenswahrschein-
die Begrenzung der planmäßigen Exzentrizität und lichkeiten akzeptiert. Diese werden durch unter-
der Randdehnungsnachweis dar. schiedliche Zuverlässigkeitsindizes ȕ beschrieben.
Die Überschreitung der Gebrauchstauglichkeits- Bezogen auf die Dauerhaftigkeit ist grundsätz-
anforderungen kann beispielhaft das Auftreten von lich eine analoge Abgrenzung erforderlich.
breiten Rissen in nichttragenden inneren Mauer- Eine Unterscheidung nach den Versagensfol-
werkstrennwänden infolge zu hoher Deckendurch- gen, wie in DIN EN 1990 über die Zuordnung von
biegung darstellen, welche u. a.. die optischen An- Schadensfolgeklassen CC1 bis CC3 zu den Zuver-
forderungen verletzen. In diesem Fall ist die Ur- lässigkeitsklassen RC1 bis RC3 mit den entspre-
sache und Notwendigkeit der Nachweisführung chenden Zuverlässigkeitsindizes vorgesehen, er-
nicht bei den Mauerwerksbauten sondern bei den folgt in der nationalen Vorschrift für Mauerwerks-
Betondecken zu suchen (s. a. [Schubert 1988]). bauten nicht.
– Dauerhaftigkeit, d. h. bei üblicher Wartung- und
Instandhaltung sind über die vorgesehene Bau- Tragfähigkeit
werkslebensdauer keine relevanten Einschrän- Die rechnerischen Nachweise von Mauerwerks-
kungen der geforderten Eigenschaften der Kons- bauteilen erfassen grundsätzlich nur den Grenzzu-
truktion (bezüglich der Tragfähigkeit und der stand der Tragfähigkeit.
Gebrauchstauglichkeit) zu erwarten. Die Bemessung nach dem Teilsicherheitskonzept
Im Laufe der Lebensdauer eines Gebäudes ist si- erfolgt auf Bemessungsniveau unter Variation der
cherzustellen, dass die Konstruktion gegen äuße- Einwirkungskombinationen nach DIN 1055-100:
rere physikalische und chemische Einwirkungen
einen ausreichenden Widerstand bietet und we-
der die Tragsicherheit noch die Gebrauchstaug-
lichkeit dadurch unzulässig reduziert werden. (3.6.1)
Bei Einhaltung der konstruktiven Vorgaben ein-
schließlich der Einhaltung der Stoffnormen so- bzw. bei Vereinfachung mit dem Maximalwert der
wie den Nachweisen der Tragfähigkeit bzw. der einzelnen Kombinationsfaktoren \0,iԜ2:
Gebrauchstauglichkeit ist die Dauerhaftigkeit
ebenfalls als abgedeckt anzunehmen.
Beispiele, in denen das Kriterium der Dauerhaf-
tigkeit betroffen ist, sind beispielsweise das Vor- (3.6.2)
handensein von schädlichen Salzen in entspre-
chend hoher Konzentration, treibende Bestand- Dabei wird nach den drei Bemessungssituationen
teile in den Baustoffen oder auch breite Risse in „ständig und vorübergehend“, „außergewöhnlich“
direkt bewitterten Bauteilen, bei denen der Ein- sowie „Erdbeben“ unterschieden, von denen im
tritt von Wasser und anschließender Frost direkte Folgenden die zweite als Bemessungssituation
Schäden an der Konstruktion ergeben kann. nicht weiter behandelt wird.
Für die ständigen oder vorübergehenden Be-
Diese maßgeblichen Eigenschaften können durch messungssituationen können die Werte auf Basis
den Faktor Bauwerksalter – d. h., anzusetzende von Tabelle 3.6-27 bestimmt werden.
1346 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
Tabelle 3.6-27 Bemessungswerte der Einwirkungen für den Grenzzustand der Tragfähigkeit in der ständigen oder vo-
rübergehenden Bemessungssituation DIN 1055-100
Bei mehreren veränderlichen Einwirkungen Qi maximal bis zum Schwerpunkt zugelassen. Ein-
kann der Aufwand für die Ermittlung der maßge- flüsse nach Theorie II. Ordnung können dabei
benden Lastkombination sehr stark ansteigen und vernachlässig werden. Dieses entspricht der in
mit Handrechnungen nicht mehr sinnvoll gehand- der alten Norm DIN 1053-1 bekannten Forde-
habt werden. rung, dass Querschnitte im Gebrauchszustand
Üblicherweise wird daher auf eine Abminde- maximal bis zum Schwerpunkt klaffen (vgl.
rung veränderlichen Einwirkungen Qi mit i>1 mit Abs. 6.9.1, DIN 1053-1).
dem Lastkombinationsfaktor ȥ0 verzichtet und Gl. Die Lastkombination bestimmt sich zu:
(3.6.3) vereinfacht sich bei druckbeanspruchten
Wänden zu:
(3.6.5)
(3.6.3)
– Nachweis der Randdehnung nach Abs. 11 (2),
E DIN 1053-13
Eine weitere Vereinfachung ist bei üblichen Hoch-
Hier ist die Lastkombination als seltene (cha-
bauten mit Stahlbetongeschossdecken und charak-
rakteristische) Situation (Abk. engl.: selten =
teristischen Nutzlasten von maximal 3kN/m² mög-
rare) nach Abs. 10.4 (2) a), DIN 1055-100 an-
lich, was für überschlägige Handrechnungen äu-
zuwenden:
ßerst hilfreich ist:
(3.6.4) (3.6.6)
Gebrauchstauglichkeit (3.6.7)
Wie erwähnt, wird im Mauerwerksbau üblicher-
weise allein der Grenzzustand der Tragfähigkeit
In Folge dieser Nachweisführung darf jedoch bei
explizit rechnerisch nachgewiesen. Folgende Be-
Schubnachweisen der Traganteil aus der Haft-
reiche stellen hier eine Ausnahme dar:
scherfestigkeit nicht in Rechnung gestellt werden.
– Nachweis der Beschränkung der Exzentrizität
nach Abs. 11 (3), E DIN 1053-13: Eigenschaftswerte
Hier ist unter charakteristischen, planmäßigen Für die rechnerischen Nachweisführungen werden
Lasten ein Klaffen des Gesamtquerschnittes die charakteristischen Werte der Einwirkungen und
3.6 Mauerwerk 1347
des Widerstandes mit entsprechenden Teilsicher- durch eine Anpassung des Teilsicherheitsbeiwert
heitsbeiwerten belegt (s. Abschn. 3.6.1 und [Schu- mittels Multiplikation mit k0=1,25 erfasst.
bert 2009]). Diese erfassen im Wesentlichen die Bei Verbandsmauerwerk ist durch die Inhomo-
Möglichkeit ungünstiger Abweichungen von den genität in Wanddickenrichtung bei der Ermittlung
charakteristischen Werten, die Möglichkeit unge- der charakteristischen Mauerwerksdruckfestigkeit
nauerer Modellannahmen (Modellunsicherheit im anhand der Steindruckfestigkeit und der Mörtel-
Einwirkungsmodell und dem gewählten Tragwi- gruppe eine anschließende Abminderung von 0,85
derstandsmodell) und Ungenauigkeiten in den geo- durchzuführen.
metrischen Eigenschaften (im Mauerwerksbau im Im Rahmen der europäischen Norm wird der
Wesentlichen Lageungenauigkeiten – d. h. Position Teilsicherheitsfaktor für das Material in Abhängig-
und Bauteilachse/Schiefstellung – und weniger keit der Art (Steinkategorie des Mauerwerks, Veran-
Querschnittsdickenabweichungen). Als ein Beispiel kerungselement, Stürze, …) und der Überwachungs-
für die Modellunsicherheiten auf der Einwirkungs- klasse zwischen 1,5 und 3,0 vorgeschlagen.
seite kann die Ermittlung der Knotenmomente mit-
tels 5-%-Regel genannt werden.
3.6.2.2 Schnittgrößenermittlung
Die charakteristische Querschnittstragfähigkeit
Rk wird auf Basis der Baustoffeigenschaften mit Die Schnittgrößenermittlung bei Mauerwerks-
den charakteristischen 5-%-Quantilwerten der bauten erfolgt üblicherweise nach der Elastizitäts-
Kurzzeitbaustofffestigkeiten und dem betreffenden theorie. In Sonderfällen bei denen das nicht-lineare
Bemessungsmodell bestimmt. Verhalten von Mauerwerksbauteilen einen größe-
Für die Nachweisführung auf Bemessungsni- ren Einfluss auf die Größe und Verteilung der
veau sind diese Werte mit dem Teilsicherheitsfak- Schnittgrößen haben kann, ist auch der Einsatz von
tor auf der Widerstandsseite ȖM zu reduzieren so- nicht-linearen Verfahren möglich [Jäger u. a. 2008].
wie bei druckbeanspruchten Wänden zusätzlich Insbesondere bei dem Nachweis unter dem Last-
noch mit dem sog. Dauerstandsfaktor Ș=0,85 für fall Erdbeben sind solche Verfahren, wie beispiels-
die Erfassung von Langzeitwirkungen und sonsti- weise die Push-Over-Methode, sinnvoll. Hierbei
ger Effekte zu belegen. Bei der Druckfestigkeit ist wird das nicht-lineare Kraft-Verschiebungsverhal-
der Einfluss der Schlankheit des Probekörpers he- ten der Aussteifungswände über die Verträglich-
rausgerechnet, d. h. dieser Festigkeitswert gilt für keitsbedingung der horizontalen Verschiebungs-
die Referenzschlankheit Null. größen auf Ebene der steifen Geschossdecken ge-
koppelt, und die Verteilung der Horizontalkräfte in
(3.6.8) Abhängigkeit der gesamten Geschossauslenkung
bestimmt. Einschränkungen dieser Methode erge-
ben sich aus den begrenzten plastischen Kraft-Ver-
Für bestimmte kurze Wände bzw. Pfeiler (s. Tabel- schiebungs-Kapazitäten von Mauerwerkswänden,
le 3.6.28) wird das erhöhte Versagensrisiko – ins- dem Effekt, dass Wände bei dominierenden Kipp-
besondere bei möglichen lokalen Fehlstellen – bewegungen durch einen vertikalen Verformungs-
Tabelle 3.6-28 Teilsicherheitsbeiwerte auf der Widerstandsseite nach E DIN 1053-11 (2009-03)
anteil üblicherweise höhere Normalkräfte erhalten verschiedenen Vereinfachungen, die sich nach
(mit entsprechender Änderung von Steifigkeit, Güte und Rechenaufwand deutlich unterscheiden.
Verformungsfähigkeit und Tragfähigkeit) und der Eine möglichst realitätsnahe Bestimmung kann
Zyklenstabilität. Ebenfalls ist der Effekt hoher über eine Rahmenrechnung erfolgen, bei der das
Auslenkungen auf die Querwände zu prüfen – ins- nicht-lineare Verhalten – sowohl der Wände und
besondere unter der Tatsache, dass durch Umlage- Decken als auch deren Verbindung in Form der
rung der Vertikalkräfte (Aufsteigen der Schubwand Wand-Decken-Knoten – entsprechend beschrieben
und Anheben der Geschossdecken) sich die Auf- wird [Baier 2007]. Für den Nachweis der Tragfä-
last in diesen Querwänden reduziert. higkeit müssten solche Modelle auch in den Grenz-
zuständen geeignete Ergebnisse abbilden, da sich
Vertikallasten mit zunehmendem Beanspruchungsniveau die
Die Berechnung der Auflagerkräfte der horizonta- Steifigkeiten (absolut und relativ) signifikant än-
len Bauteile (Decken, Balken) auf die Wände kann dern können. Für Praxisanwendungen ist dieser
entsprechend des Bauteilverhaltens mit Stabmo- Weg i. d. R. zu aufwändig.
dellen oder Plattenmodellen erfolgen. Bei der Mo- Wichtig ist bei allen rechnerischen Verfahren,
dellierung von Plattenbauteilen mit Hilfe der Me- dass durch die konstruktive Ausbildung von Wand-
thode der Finiten Elemente kann die Verteilung Decken-Knoten die Schnittgrößenverteilung teil-
der vertikalen Lasten relativ genau modelliert wer- weise stark beeinflusst werden kann (Abb. 3.6-38).
den und die Beanspruchung der Wände durch die So ist bei einer teilweise aufgelagerten Decke auf
Auflagerung der Decken erfasst werden. Jedoch einer Außenwand die Lage der Normalkraft aus
können sich rechnerische lokale Lastspitzen bei den oberen Geschossen, d. h. die mögliche Ausmit-
ein- bzw. ausspringenden Ecken ergeben, die zu te von der Lage (Vorzeichen) und dem Betrag ein-
Problemen bei den lokalen Nachweisen der Wän- gegrenzt. Dieses muss bei der Bemessung in Form
de führen. der Querschnittstragfähigkeit (NRd und MRd) be-
Hier ist anzumerken, dass bei Stahlbetondecken rücksichtigt werden. Zudem sind durch solche
im Bereich hoher M-V-Beanspruchungen die Riss- Randbedingungen auch Umlagerungsmöglichkei-
bildung zu Umlagerungen führt und die Lasten da- ten, z. B. die Umlagerung von Feldmomenten zu
mit gleichmäßiger verteilt werden. Bei der nume- Stützmomenten (Wind) u. U. eingeschränkt.
rischen Beschreibung kann auch der Ansatz von Eine vereinfachte Rahmenberechnung an einem
nachgiebigen Auflagersteifigkeiten (Druckfedern Ersatzsystem mit anschließender pauschaler Ab-
mit der Steifigkeit EA/l) zur Reduktion solcher minderung der berechneten Knotenmomente kann
Lastspitzen führen. gemäß Eurocode 6 (Anhang C) (2006) angewendet
Bei der Berechnung einachsig gespannter Bau- werden (Abb. 3.6-39).
teile, die über mehrere Felder durchlaufen braucht Die Knotenmomente werden in einem ersten
die Durchlaufwirkung i. d. R. nur beim Endaufla- Schritt bestimmt zu:
ger und dem ersten Zwischenauflager betrachtet
werden, außer wenn das Verhältnis der weiteren
Stützweiten 1:0,7 überschritten wird.
Für die Handrechnung oder die Überprüfung
der Ergebnisse von FE-Berechnungen an mehr-
achsig gespannten Plattenbauteilen bieten sich die
Anwendung von Lasteinzugsflächen an. Hierbei (3.6.9)
wird die Grundrissfläche in Trapeze eingeteilt, de-
ren Winkelverhältnisse von den Randbedingungen
an den Auflagerstellen abhängen (Abb. 3.6-37). Die Abminderung für nicht-lineare Effekte kann
unter der Voraussetzung, dass die mittleren Druck-
Deckeneinspannung und Momentenverlauf spannungen im Stiel mindestens 0,25 N/mm² betra-
Für die Bestimmung der Einspannmomente von gen, mit Multiplikation mit dem Faktor 1 t (1 - k / 4)
Geschossdecken in Mauerwerkswände existieren t 0,5 erfolgen.
3.6 Mauerwerk 1349
Abb. 3.6-37 Grundriss einer 2-achsig gespannten Decke mit Ermittlung der Lastweiterleitung auf die vertikal tragenden
Bauteile mit Hilfe von Lasteinzugsflächen [Zilch/Zehetmaier 2010]
Abb. 3.6-39 Vereinfachtes Rahmensystem bei der Bestim- Abb. 3.6-40 Spannungsblock und Ausmittigkeit beim
mung der Momente des Wand-Decken-Knotens nach Euro- Nachweis nach Eurocode 6, Anhang C bei Dachdecken mit
code 6, Anhang C e 0,4 Â t
den. Eine gewisse Umlagerung vom Feld zu den gel gegeben (Abb. 3.6-41). Hierbei wird angenom-
Stützmomentbereichen ist bei Nachweis der Auf- men, dass die Auflagerkraft A einer Geschossdecke
nahme des Stützmomentes erlaubt. im Wand-Decken-Knotenpunkt nicht zentrisch an-
Eine weitere Rechenvereinfachung ist mit der greift, sondern mit einem Versatz (= Hebelarm),
Knotenmomentermittlung nach der sog. 5-%-Re- der 5% der angrenzenden Deckenstützweite (bei
3.6 Mauerwerk 1351
Abb. 3.6-41 Ersatzsysteme für die Ermittlung der Knotenmomenten nach der sog. 5-%-Regel (DIN 1053-1)
bei Erdbebenbeanspruchung – sind auch nicht-line- ment aufgebracht, welches sich als Produkt der
are Ansätze (push-over-Methode) möglich. Horizontalkraft und der halben Wandhöhe be-
Entscheidend für die Tragfähigkeit von Schub- stimmt. Die Prüfung kann dabei entweder mit sta-
wänden unter kombinierte N-M-Q-Beanspruchung tisch monoton zunehmender Horizontalbeanspru-
ist neben dem Betrag der Horizontallast auch die chung (i. d. R. weggeregelt) oder statisch-zyklisch
Vertikaldruckkraft und die Momentenbeanspru- (für die Ermittlung des Verhaltens unter Erdbeben-
chung am Wandkopf und -fuß. Umfangreiche Un- lasten) erfolgen (s. Abb. 3.6-44). Entscheidend da-
tersuchungen [Zilch/Schermer 2005a] zeigen, dass bei ist, dass die Auflast in Form der aufgebrachten
sich in den Grenzzuständen der Tragfähigkeit – ins- Normalkraft absolut konstant bleibt.
besondere im Lastfall Erdbeben mit den hier zu er- Der rechnerische Nachweis der Aussteifungssi-
wartenden hohen horizontalen Verschiebungen – cherheit wird in der Praxis selten explizit geführt.
höhere Einspanngrade in die Geschossdecken erga- Die Gründe hierfür sind, dass bei üblichen Hochbau-
ben als bei linear-elastischer Berechnung bestimmt. ten im Mauerwerksbau zum einen die horizontalen
Für experimentelle Ermittlung der Schubtragfä- Einwirkungen vom Betrag her gering sind (Hori-
higkeit von Mauerwerkswänden wurde aufbauend zontallasten überwiegend aus Windlasten und un-
auf diese Ergebnisse und die Auswertung bereits planmäßiger Schiefstellung, Gebäudehöhe be-
bekannter Prüfverfahren ein neues, realitätsnahes schränkt) und dass konstruktiv gut ausgebildete
Schubprüfverfahren vorgeschlagen. Hierbei wird Strukturen einen ausreichenden Widerstand und
die Wand am Kopf mit einer Normalkraft und einer Tragfähigkeit diesbezüglich bieten. Eine entspre-
horizontalen Schubkraft bzw. Horizontalverschie- chende Formulierung in E DIN 1053-11 lautet „Auf
bung beansprucht (s. Abb. 3.6-43). Für die Be- einen rechnerischen Nachweis der Aussteifung des
schreibung des Grenzfalles einer vollen Einspan- Gebäudes darf verzichtet werden, wenn (…) in
nung am Wandkopf wird ein gegendrehendes Mo- Längs- und Querrichtung des Gebäudes eine offen-
Abb. 3.6-43 Versuchsstand für die Untersuchung von kombiniert beanspruchten Mauerwerkswänden [Zilch/Schermer 2005b]
1354 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
Abb. 3.6-44 Hysteresen und zugehörige Rissbilder von drei Schubversuchen unter Variation der Wandlänge und des
Überbindemaßes an geschosshohen KS-Planelementwänden (CS04, 05 und 06) [Zilch u. a. 2008]
sichtlich ausreichende Anzahl von genügend langen – größere planmäßige Horizontallasten aus einsei-
Aussteifungswänden vorhanden ist (…)“. tigem Erddruck,
In der Konsequenz bedeutet das, dass bei offen- – Horizontallasten aus Erdbebeneinwirkung/Ex-
sichtlich ausreichend ausgesteiften Gebäuden auf plosion/Anprall,
einen rechnerischen Nachweis verzichtet werden – torsionsempfindliche Struktur,
kann. Die Beurteilung ob ein Gebäude ausreichend – Unregelmäßigkeiten im Grund- und Aufriss,
ausgesteift ist oder nicht, kann aufgrund der Kom- – hohe Gebäude bzw. hohe Windlasten (Küsten-
plexität des Themas nur schwer anhand einfacher nähe),
Kriterien gefasst werden, sondern benötigt einen ge- – Abfangungen von Aussteifungswänden.
übten Blick und ausreichenden Erfahrungsschatz.
Bei folgenden Fällen ist eine vertiefte Betrach- Beim Entwurf ist darauf zu achten, dass die Vertei-
tung bzw. ein rechnerischer Nachweis erforderlich: lung der Horizontallasten auf die Aussteifungsbau-
teile durch horizontale Aussteifungsbauteile sicher-
3.6 Mauerwerk 1355
Abb. 3.6-45 Frei stehende Kragwand mit äußerer Normalkraft am Wandkopf und Streckenlast über die Wandhöhe
gestellt wird. Hier werden üblicherweise Stahlbe- Knicklänge, welche geometrisch den Abstand der
tondecken oder sonstige Decken mit Scheibenwir- Wendepunkte der Knickfigur beschreibt.
kung verwendet (z. B. Porenbetondeckenplatten Die frei stehende Wand beschreibt (s. Abb. 3.6-
oder Ziegeldecken). Kann die Scheibenwirkung der 45) unter konstanter Normalkraft der Euler-Fall 1
Decken nicht sicher angenommen werden, z. B. und weist eine Knicklänge von der 2-fachen Kraglän-
weil Holzbalkendecken verwendet werden oder ge auf. Für den Fall, dass durch das Eigengewicht der
weil große Öffnungen in den Decken vorhanden Wand der Normalkraftverlauf über die Höhe signifi-
sind, so sind ausrechend steife und tragfähige Ring- kant beeinflusst wird, kann die Anpassung der Knick-
balken anzuordnen, die durch ihre horizontale länge entsprechend Gl. (3.6.14) erfolgen:
Tragwirkung auf Biegung und Zug die Lasten ent-
sprechend verteilen.
(3.6.14)
3.6.2.3 Knicken
Standardmäßig werden Wände am Kopf und Fuß
Die Tragfähigkeit von schlanken und auf Druck horizontal unverschieblich gehalten und sind da-
hoch belasteten Wänden ist durch das Knicken be- mit als 2-seitig gehalten anzusehen – die Knick-
schränkt. Entscheidend für dieses Verhalten ist die länge entspricht somit dem 1-fachen der lichten
1356 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
Abb. 3.6-46 2-seitig gehaltene Mauerwerkswand ohne und mit elastischer Einspannung in die Geschossdecken zur
Reduktion der Knicklänge
Wandhöhe hs (Euler Fall 2). Für den Fall, dass am fähigkeit des aussteifenden Bauteils gekoppelt
Kopf und Fuß durch die Aussteifungsbauteile (quer (s. Abb. 3.6-47). Entscheidend für die Wirksamkeit
spannende Decken) eine Teileinspannung und da- von quer stehenden knickaussteifenden Wänden
mit teilweise Verdrehungsbehinderung gegeben ist neben der Wandlänge und -dicke auch eine aus-
ist, führt dieser Effekt zu einer weiteren Reduktion reichende Normalkraft in diesen Bauteilen, die für
der 1-achsigen Knicklänge (s. Abb. 3.6-46). eine ausreichende Steifigkeit und Tragfähigkeit er-
In den aktuellen Normen ist die Größe dieses forderlich ist; d. h., auf Druck unbelastete Quer-
Effektes für übliche flächig aufgelagerte Stahlbe- wände sind hier i. d. R. nicht wirksam.
tondecken an eine Mindestauflagertiefe, die plan- Die horizontale Biegesteifigkeit, die für die 3- oder
mäßige Ausmitte der eingeleiteten Normalkraft 4-seitige Knickhalterung erforderlich ist, hängt u. a.
und die Wanddicke gekoppelt (Steifigkeitsverhält- vom Überbindemaß ü/h ab. Eine Unterschreitung des
nis von Wandstiel und Deckenriegel). Regelwertes von 40% der Steinhöhe führt zu einer
Sind die Wände in Querrichtung des Weiteren Reduktion dieser Größen [Glock 2004]. In der aktu-
durch Querwände oder sonstige wirksame knick- ellen Vorschrift ist dieser Effekt in Abhängigkeit der
aussteifende Bauteile (z. B. ausreichend steife Steingeometrie (Steinhöhe/Steinlänge) entsprechend
Stahlbetonlisenen) gehalten, so kann eine 3- bzw. beschrieben (E DIN 1053-13, Tabelle 11).
4-seitige Halterung angenommen werden. Für die
maximalen Abstände dieser Festhaltungen und die 3.6.2.4 Nachweis der Tragfähigkeit
resultierenden Knicklängen sind entsprechende
Randbedingungen und Vorgaben zu finden. Die Die Bemessung mit dem maßgeblichen Nachweis
3- oder 4-seitige Knick- bzw. Beulfigur ist an eine der Tragfähigkeit erfolgt entsprechend der Bean-
ausreichende horizontale Biegesteifigkeit und -trag- spruchungsart für
3.6 Mauerwerk 1357
– Druck mit bzw. ohne Ausmitte, gegenüber Mauerwerk aus künstlichen Steinen be-
– Biegung (horizontal, d. h. parallel zu den Lager- schränkt.
fugen oder vertikal, d. h. senkrecht zu den La-
gerfugen), Druckbeanspruchung
– Schub (Plattenschub bzw. Scheibenschub). Druckbeanspruchte Wände werden unterteilt nach
der Größe der Ausmitte der Normalkraft. Ent-
Für die Aufnahme von Zugspannungen ist unbe- sprechend ist entweder von einer dominierenden
wehrtes Mauerwerk grundsätzlich nicht gut geeig- Druckbeanspruchung oder einer dominierenden
net. Lediglich bei horizontaler Biegung ist durch Biegebeanspruchung auszugehen. Da Druckkräfte
den Verband und die Verbundfestigkeit eine gewisse senkrecht zu den Lagerfugen i. d. R. günstig bezüg-
(Biege-)Zugfestigkeit nachweisbar. In vertikaler lich der Biegetragfähigkeit wirken, steht die maß-
Richtung dominiert die Haftzugfestigkeit zwischen gebliche bemessungsrelevante Kombination nicht
Stein und Mörtel das entsprechende Versagensbild. von vornherein fest.
Aufgrund des geringen Betrages und der hohen Druckbeanspruchtes Mauerwerk verhält sich in
Streuung wird diese Zugfestigkeit für tragende den üblichen Lastbereichen annähernd linear-elas-
Wände nicht in Rechnung gestellt. tisch. Die Spannungs-Dehnungs-Linie eines 2,5 m
Für Natursteinmauerwerk sind die Besonder- hohen Prüfkörpers von Planhochlochziegelmauer-
heiten hinsichtlich des Einflusses der Ausführungs- werk ist in Abb. 3.6-48 exemplarisch dargestellt.
güte und der verwendeten Materialien in E DIN Die einzelnen Linien geben unterschiedliche Mess-
1053-14 geregelt. Des Weiteren ist die Schlankheit strecken auf dem Prüfkörper wieder.
1358 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
Es ist erkennbar, dass der Nachbruchbereich gesehen wird. Weitere Hintergründe des aus dem
nur gering ausgeprägt ist. Etwas stärker ist der Ef- Betonbau entliehenen Ansatzes sind in [Zilch/Rog-
fekt bei Kalksandsteinmauerwerk, bei dem die ge 2004] zu finden.
Bruchstauchungen bis 4‰ liegen (s. Abb. 3.6-49). Beim Ansatz des Spannungsblocks (Abb. 3.6-51)
Im Zugbereich ist davon auszugehen, dass im wird für die Bemessung dagegen angenommen, dass
Bemessungszustand für den Nachweis der Tragfä- in diesem Bereich die Druckspannungen konstant
higkeit die vorhandene Haftzugfestigkeit senkrecht den Betrag fd aufweisen und Gleichgewicht zwischen
zu den Lagerfugen nicht wirksam ist und bei auftre- Einwirkung und Widerstand herrscht (ȈN, ȈM).
tenden Dehnungen diese Bereiche keine Span- Im Vergleich zu dem Ansatz eines linear-ela-
nungen (d. h. keine Schub- oder Zugspannungen) stischen Verhaltens in DIN 1053-1 stellt dieses
übertragen können. Der Querschnitt wird für die üb- eine signifikante Vereinfachung dar. Die Frage, ob
liche Bemessung klaffend angesetzt – Sonderfälle ein vergleichbares Sicherheitsniveau bzw. Tragfä-
sind hier biegebeanspruchte Ausfachungsflächen. higkeitsniveau mit dem neuen Ansatz erreicht
Im Druckbereich erfolgt für den Nachweis der wird, kann nicht pauschal beantwortet werden, da
Drucktragfähigkeit eine Idealisierung in Form sich die Nachweise durch die Grenzzustandsbe-
eines sog. Spannungsblocks (E DIN 1053-13) bzw. trachtung (Bemessungsniveau mit Kombinations-
eines allgemeinen Parabel-Rechteck-Diagramms faktoren auf der Einwirkungsseite) im Vorgehen
(Eurocode 6, s. Abb. 3.6-50), welches jedoch für grundsätzlich unterscheiden.
unbewehrtes Mauerwerk mit den in Deutschland Die Biegebeanspruchung in Scheibenebene ist
üblichen Mauerwerksbaustoffen als zu günstig an- durch die Betrachtung des Bauteils unter entspre-
3.6 Mauerwerk 1359
chender Ausmitte der Druckkraft in Wandlängs- Steinhöhe bezogene Last abgetragen werden. Ein
richtung lösbar. Versagen des Steins ist durch seine Längszugfe-
stigkeit bestimmt. Daneben werden in den Lager-
Biegebeanspruchung fugen Torsionsschubspannungen übertragen, deren
Reine horizontale Biegung in Plattenebene (Abb. Verlauf vom Steinformat und der Verbandsausfüh-
3.6-52) erzeugt in den Steinen Biegezug- und Bie- rung – d. h. bei einem regelmäßigen Läuferverband
gedruckspannungen. vom Verhältnis von Überbindemaß zu Steinhöhe –
Durch die Tatsache, dass in den Stoßfugen kei- abhängt. Ein Versagen ist durch die Überschrei-
ne Zugspannungen und üblicherweise auch nur ge- tung des Verbundes bestimmt, der sich aus einer
ringe Druckspannungen übertragen werden kön- Torsionshaftscherfestigkeit und einem von der ver-
nen, muss in jeder Steinreihe die doppelte auf die tikalen Auflast abhängigen Reibanteil zusammen-
1360 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
Abb. 3.6-52 Horizontale Biegebeanspruchung einer Mau- Abb. 3.6-53 Vertikale Biegebeanspruchung einer Mauer-
erwerkswand (schematische Darstellung aus EN 1996-1-1, werkswand (schematische Darstellung aus EN 1996-1-1,
Bild 3.1) mit zugehöriger Festigkeit fx2 Bild 3.1) mit zugehöriger Festigkeit fx1
setzt [Schmidt u. a. 2008]. Bei zusätzlicher Bean- ist eine nennenswerte Tragfähigkeit lediglich bei
spruchung mit vertikaler Biegung und entspre- ausreichender vertikaler, die Biegebeanspruchung
chendem Schub führt die Interaktion zu einer überdrückende Druckkraft vorhanden.
Überlagerung der Schubspannungen und ggf. zu Lediglich bei Bauteilen, deren Versagen nicht
veränderten überdrückten Querschnittsflächen. zum Einsturz oder zum Stabilitätsversagen des
In den Festigkeitsvorgaben in E DIN 1053-13 ganzen Tragwerkes führt, ist für kurzzeitig wir-
ist die Tatsache, dass jede Steinreihe die doppelte kende Lasten der Ansatz dieser Festigkeit für Mau-
ihrer geometrisch zugeordneten Biegezugbean- erwerk im Dünnbettmörtelverfahren explizit mög-
spruchung aufnehmen muss, über den Faktor 0,5·fbz lich (Wind auf Ausfachungswände). Eine eventuell
berücksichtigt. Die Steinzugfestigkeit fbz bestimmt zusätzlich vorhandene günstig wirkende Druck-
sich dabei aus dem Produkt įi·fbk, was die unter- spannung wird mit einbezogen. Dieses Vorgehen
schiedlichen Verhältniswerte von Steinzug- zu ist jedoch nur dann sinnvoll und wirtschaftlich,
normierter Druckfestigkeit widergibt. Insbesonde- wenn das Biegeversagen durch den Verbund von
re für Porenbeton ist der hohe įi-Wert durch die Stein und Mörtel dominiert wird. Ist eine ausrei-
Materialbeschaffenheit erklärbar. chend hohe Vertikaldruckkraft in der Wand vorhan-
Bezüglich des Torsionshaftscherfestigkeits-Trag- den, so ergibt der Nachweis für exzentrische Druck-
anteils ist eine Abstufung für vermörtelte und un- beanspruchung mit Hilfe des Spannungsblocks
vermörtelte Stoßfugen vorgesehen, womit Versuchs- deutlich höhere Traglasten.
ergebnisse besser beschrieben werden können. Des Weiteren ist festzustellen, dass in den Vor-
Bei vertikaler Biegebeanspruchung (Abb. 3.6- gaben zu den Ausfachungsflächen für Mauerwerk
53) treten Biegezugspannungen senkrecht zur Lager- mit Normalmörtel in E DIN 1053-11 eine gewisse
fuge auf. Grundsätzlich stellt sich die Problematik, Haftzugfestigkeit bereits mit eingerechnet ist, ohne
dass diese Materialfestigkeit stark streut und signifi- dass dieses explizit angegeben wird.
kant durch die Ausführungsgüte und die sonstigen Für den Fall, dass diese Ausfachungswände auch
Bedingungen (Klima, Baustoffvorbereitung) bei der als knickaussteifende Bauteile erweitere Tragfunk-
Ausführung beeinflusst wird. Ein sicheres Vorhan- tionen aufnehmen, müssen die Folgen eines solchen
densein dieser Festigkeitsgröße kann somit in aus- möglichen Versagens genauer verfolgt werden.
reichender Größenordnung nicht angenommen wer-
den. Daher wird dieser Traganteil bei tragenden Schubbeanspruchung
Wänden, die für die Standsicherheit von Gebäuden Schub in Scheibenebene (vereinfachtes Kragsystem
erforderlich sind, nicht in Rechnung gestellt. Hier unter kombinierter Beanspruchung in Abb. 3.6-54
3.6 Mauerwerk 1361
– Biegedruckversagen (Eckbereiche)
Die Wand versagt in der Biegedruckzone auf-
grund des Erreichens der Mauerwerksdruckfes-
tigkeit.
Abb. 3.6-54 Kragscheibe unter kombinierter Beanspru- – Horizontales Gleiten in den Lagerfugen
chung. N Normalkraft, M Biegung, V Schub Bei geringer Haftscherfestigkeit in der untersten
Fuge gleitet das gesamte Bauteil mit ungestör-
dargestellt) erzeugt durch die orthotrophen Eigen- tem Verband in der horizontalen Fuge.
schaften von Steinen und die Verbandsgliederung – Rotation und Kippen der Einzelsteine (treppen-
ungleichmäßige Spannungsverläufe im Mauerwerk förmiges Rissbild in Stoß- und Lagerfugen) –
(Abb. 3.6-55). Stoßfugen nehmen bei der heute üb- auch als Klaffen der Lagerfugen bezeichnet.
lichen unvermörtelten Ausführung keine nennens- Bei geringer Vertikalkraft in der Wand führt ein
werten Spannungen auf. Aus Gleichgewichtsgrün- großes Verhältnis von Steinhöhe zu Steinlänge
den ist bei Schnittführung in den Lagerfugen somit zu einer Steinrotation mit Klaffen der Lagerfu-
eine unterschiedliche Normalspannungsverteilung gen (gegenüberliegende Quadranten).
in den vier Teilabschnitten erforderlich [Mann/Mül- – Steinzugversagen (bei symmetrischen Systemen
ler 1985; Kranzler 2008]. Die Verteilung der Schub- i. d. R. in Wandmitte)
spannungen kann auf verschiedene Art beschrieben Bei hoher Auflast führt die schiefe Haupt-
werden – üblicherweise wird vor Erreichen von zugspannung zu einem Zugversagen des diesbe-
Gleitverschiebungen in der Fuge ein parabelför- züglich i. d. R. in Wandmitte maximal bean-
miger Verlauf angenommen. Ab dem Auftreten ei- spruchten Steins.
Abb. 3.6-55 Spannungszustand an einem aus einer kombiniert beanspruchten Mauerwerksscheibe herausgeschnittenen
Einzelstein (Darstellung mit im Vergleich zum regelmäßigen Läuferverband reduziertem Überbindemaß)
1362 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
Bei teilweise aufliegenden Deckenplatten: Für den Nachweis wird die Querschnittstragfä-
higkeit NRd als Produkt von Bruttoquerschnittsfläche
. A, Bemessungswert der Mauerwerksdruckfestigkeit
fd und dem Abminderungsfaktor ĭ beschrieben:
(3.6.16)
(3.6.17)
Die Biegebeanspruchung ist im vereinfachten Ver- Bei einseitiger Lastausmitte e = M/N ergibt sich
fahren rechnerisch nicht explizit nachzuweisen, da für einen Rechteckquerschnitt der Breite t der Ab-
dominierend biegebeanspruchte Wände entweder bei minderungsfaktor ĭ zu
Ausfachungsflächen durch Einhaltung der Größen-
(3.6.18)
beschränkungen oder bei Kelleraußenwände durch
einen besonderen Nachweis bemessen werden. Für den rechnerischen Nachweis bei Scheibenbe-
Nachweise auf Schub werden im vereinfachten anspruchung wird der Ausdruck als Nachweis am
Verfahren grundsätzlich als nicht erforderlich an- Wandkopf bzw. -fuß (Index i) umgeformt zu:
gesehen, da die Anforderungen (konstruktive An-
forderungen, Beschränkung des Anwendungsbe-
(3.6.19)
reiches) und die entsprechend geringen Lasten
dieses nicht notwendig machen. Kann auf einen
Nachweis der Schubtragfähigkeit bei der Kon- Über den Ausdruck der Schubschlankheit ȜV als Ver-
struktion (Aussteifung) oder einzelner Bauteile hältnis von Wandhöhe zu Wandlänge wird
nicht verzichtet werden, so ist das genaue Verfah- die Schubwand auf ein entsprechendes Ersatzsystem
ren anzuwenden. zurückgeführt. Bei der Nachweisgleichung geht die
Bei Mauerwerkswänden, die neben der Bean- planmäßige Lastausmitte am Wandkopf e0 und eine
spruchung in Plattenebene (Deckeneinspannung, ggf. angreifende Schublast in Scheibenebene VEd ein
Knickeinfluss) noch gewisse Scheibenbeanspru- (kombinierte N-M-V-Beanspruchung).
chung aufweisen, z. B. infolge in Wandlängsrich- Im Bereich der halben Geschosshöhe (Index
tung ungleichmäßiger Vertikallasten am Wand- m), bei der neben der planmäßigen und unplanmä-
kopf, können diese Effekte dadurch abgedeckt ßigen Lastausmitte auch noch Effekte der Knick-
werden, dass der Nachweis im Bereich der höch- gefahr Einfluss haben, bestimmt sich der Abmin-
sten Normalkraftbeanspruchung durchgeführt derungsfaktor
wird. Weitere Nachweise hinsichtlich der Schei-
benbeanspruchung sind dann i. d. R. entbehrlich.
(3.6.20)
3.6.2.6 Genaueres Nachweisverfahren
Schlankheiten sind nun bis 27 erlaubt. Die anzuset-
Mit dem genaueren Nachweisverfahren in E DIN 1053-
zende Ausmitte em setzt sich dabei zusammen aus
13 wird durch detailliertere Beschreibungen (Modelle
– planmäßiger Anteil, MEd,m/NEd,m
auf Einwirkungs- und Widerstandsseite) eine bessere
– ungewollte Ausmitte, ea=hk/450
Ausnutzung des Materials ermöglicht. Durch dieses
– Kriechausmitte (nur bei hk/t > 10 anzusetzen):
Referenzverfahren werden auch Bauwerke und Bau-
teile nachweisbar, die aus dem Anwendungsbereich des
vereinfachten Verfahrens herausfallen.
(3.6.21)
Zentrische und exzentrische
Querschnittstragfähigkeit
Bei einer zentrischen oder exzentrischen Druckbe- Kombinierte Beanspruchung
anspruchung senkrecht zu den Lagerfugen wird für Wird ein Bauteil durch verschiedene Schnittgrö-
die Bemessung ein blockförmiger Spannungsver- ßen in Scheiben- und Plattenebene beansprucht, so
lauf mit dem Betrag fd angesetzt (s. Abb. 3.6-51). kann eine Berücksichtigung der Interaktion im
1364 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
wehrungsgehalt als im Stahlbetonbau möglich. leisten. Beim Einbetten in Beton gelten die Anfor-
Grundsätzlich ist die Orientierung interner Beweh- derungen gemäß den Betonbauvorgaben.
rung entsprechend der orthogonalen Struktur des
Mauerwerks vertikal bzw. horizontal vorgegeben. Einsatzgebiete
Lediglich in Sonderfällen – z. B. bei der Sanierung Bewehrung im Mauerwerk kann zum einen sta-
vorgeschädigten Mauerwerks – ist auch die Anord- tisch in Rechnung gestellt werden, zum anderen
nung von an der Oberfläche aufgeklebter Beweh- aber auch nur konstruktiv – z. B. zur Rissesiche-
rung sinnvoll. rung oder Erhöhung des Dämpfungsvermögens so-
Der Einbau einer horizontalen Bewehrung er- wie der Nachbruchtragfähigkeit bei Erdbebenbe-
folgt üblicherweise in den Lagerfugen oder in hori- anspruchung – angeordnet werden.
zontal angeordneten speziellen Formsteinen und Statisch in Rechnung gestellte Bewehrung wird
kann somit sukzessive dem Herstellfortschritt ein- für die Aufnahme von Zug- oder Biegezugbean-
gebracht werden. Die vertikale Bewehrung dagegen spruchungen eingesetzt. Eine wesentliche Erhö-
ist entweder in angepassten Steinen mit vertikalen hung der Schubtragfähigkeit oder der Drucktragfä-
größeren Löchern anzuordnen oder zu ummauern. higkeit wird in den aktuellen Vorschriften nicht
Die einzelnen Bewehrungsteile sind daher entweder berücksichtigt.
über die Höhe zu stoßen (überlappend oder mecha- Ein entscheidender Punkt ist jedoch, dass bei
nisch verbunden) oder es erfolgt ein Einfädeln der kraftschlüssigem Anschluss der Bewehrung an die
Steine über die Bewehrung der gesamten Wandhö- Nachbarbauteile auch der Dehnungs- und Span-
he. Bei ummauerten Aussparungen entfällt dieses nungszustand der Bauteile insgesamt günstig beein-
entsprechend. Nichtsdestotrotz ist durch die mecha- flusst wird. So kann bei Schubwänden ein Klaffen
nische Beanspruchung im Bauzustand eine Störung der Lagerfugen durch vertikale Bewehrung deutlich
des Verbundes zwischen Bewehrung und Mörtel reduziert und durch die größere überdrückte Länge
bzw. Betonverguss unvermeidlich. ein günstigeres Verhalten erreicht werden.
In Sonderfällen ist auch ein Einführen der Be- Einen Sonderfall des bewehrten Mauerwerks
wehrung nach dem Aufmauern der geschosshohen stellen sog. Flachstürze dar. Hier wird für die
Wand möglich, jedoch ergeben sich dann Schwierig- Überbrückung von Öffnungen die Druck- und
keiten, die Verankerung der Bewehrung im dem un- Schubtragfähigkeit durch Zusammenwirken eines
ter der Wand befindlichen Bauteil – i. d. R. eine vorgefertigten Zuggurtes mit der zugehörigen
Stahlbetondecke oder -fundament – sicherzustellen. Übermauerung sichergestellt. Bezüglich der Bie-
Für die Übertragung der Verbundkräfte zwi- getragfähigkeit ist das System als Druckbogen-
schen Bewehrung und Mauerwerk wird erstere in Zugband-Modell zu idealisieren. Die Schubtragfä-
Mörtel oder Beton eingebettet. Die Festigkeit des higkeit wird durch die Schubschlankheit Ȝ=Mmax/
Mörtels und des Betons bzw. seine Verdichtung (Vmax ·d) beeinflusst, welche ein Indiz für die bei-
sind dabei entscheidend für einen guten Verbund. den möglichen Versagenskriterien Steinzugversagen
Neben Rippungen ist auch der Einsatz von ange- und Fugenversagen darstellt. Die versuchsmäßige
schweißten Querstäben für die Verankerungsfunk- Auswertung geht davon aus, dass bis zu Ȝ=0,6 ein
tion üblich. Steinzugsversagen (steile Druckstrebe im Aufla-
Bezüglich des Korrosionsschutzes sind bei gerbereich und damit Steinzugversagen infolge
dauernd trockenem Raumklima grundsätzlich kei- Vertikaldruck) und bei höheren Schubschlank-
ne besonderen Maßnahmen erforderlich. In allen heiten infolge der flach geneigten Druckstreben
anderen Fällen ist beim Einbau in Mörtel ein ein Verbundversagen zwischen Stein und Mörtel
Schutz mittels Feuerverzinken oder der Einsatz stattfindet (Gleiten in den Lager-/Stoßfugen) (s.
von nichtrostendem Stahl notwendig. Der Zement- Abb. 3.6-59).
mörtel allein ist aufgrund seiner nicht ausrei- Der Zuggurt ist i. d. R. ein Formstein, in den Be-
chenden Gefügedichtigkeit (hoher w/b-Wert) und wehrungsstäbe in Beton eingebettet sind (Ausnah-
des raschen Karbonatisierungsfortschrittes nicht me: Porenbetonstürze). Der Korrosionsschutz er-
geeignet, einen dauerhaften Schutz des Stahls bei folgt dabei durch die Betondeckung. Wegen der
nicht dauernd trockenem Raumklima zu gewähr- Verschärfung der diesbezüglichen Anforderungen
3.6 Mauerwerk 1367
Abb. 3.6-59 Aufnehmbare Schubkraft von Flachsturzsystemen in Abhängigkeit der Schubschlankheit (qualitative Dar-
stellung)
Abb. 3.6-62 Stützlinie eines Gewölbequerschnittes unter angreifenden Einzellasten aus ständigen und veränderlichen
Einwirkungen
sog. Belastungsdreieckes angreifen, sich darauf Fath F; Hums D; Lang-Beddoe T; Lippe K F; Lutter J
ablasten und der Rest durch Gewölbewirkung ab- (1994) Ökologie heute – Bauen im Einklang mit der
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1372 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
Meist wird anstelle der Polarkoordinaten in der Elastizitätsmoduln und Rohdichten an. Bei den Sor-
Ebene senkrecht zur Faserrichtung l (=x) am Ele- tierklassen bedeutet S visuelle und MS maschinelle
ment mit den kartesischen Koordinaten r (=y) und Sortierung. Die Sortierklassen werden Festigkeits-
t (=z) gearbeitet. Abbildung 3.7-4 zeigt durch die klassen C zugeordnet. Die Festigkeiten werden den
Pfeile der Spannungen am Element und durch die Koordinaten und der Art der Beanspruchung durch
Buchstaben der Achsen die Zuordnung. Bei den die tiefgestellten Buchstaben zugeordnet: m: Bie-
Längsspannungen V gibt der eine Buchstabe die gung, t: Zug, c: Druck, v: Schub, 0: Faserrichtung l,
Schnittfläche (senkrecht zur angegebenen Achse) 90: senkrecht zur Faserrichtung, das ist die Rich-
und die Richtung an, bei den Schubspannungen W tung t oder r. Bei der Schubfestigkeit ist flt oder flr
der erste Buchstabe die Schnittfläche, der zweite gemeint, aber nicht der Rollschub frt! Die Roll-
die Richtung an: schubfestigkeit liegt bei etwa 1,0 N/mm2.
Vl Spannung am Schnitt l in Richtung l, Längs- Die visuelle Holzsortierung erfolgte und erfolgt
spannung in Faserrichtung nach optischen Gesichtspunkten: Jahrringbreite,
Wtr Schubspannung am Schnitt t in Richtung r, Ästigkeit, Wuchs. Die maschinelle Sortierung ist
Rollschub zuverlässiger. Hölzer mit hohen Festigkeitswerten
können sicher aus dem Angebot heraussortiert
Zu den einzelnen Spannungen gibt Tabelle 3.7-1, werden. Die maschinelle Sortierung nutzt den gu-
aus DIN 1052:2008 charakteristische Festigkeiten f, ten Zusammenhang zwischen Festigkeit und Elas-
1374 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13
1 Festigkeitsklasse C14 C16 C18 C20 C22 C24 C27 C30 C35 C40 C45 C50
Festigkeitskennwerte in N/mm2
2 Biegung fm,ka 14 16 18 20 22 24 27 30 35 40 45 50
3 Zug parallel ft,0,ka 8 10 11 12 13 14 16 18 21 24 27 30
4 Zug rechtwinklig ft,90,k 0,4
5 Druck, parallel fc,0,ka 16 17 18 19 20 21 22 23 25 26 27 29
6 Druck rechtwinklig fc,90,k 2,0 2,2 2,2 2,3 2,4 2,5 2,6 2,7 2,8 2,9 3,1 3,2
7 Schub und Torsion fv,kc 2,0
Steifigkeitskennwerte in N/mm2
Elastizitätsmodul
8 parallel E0,meana,b 7 000 8 000 9 000 9 500 10000 11000 11500 12000 13000 14000 15000 16000
9 rechtwinklig E90,meanb 230 270 300 320 330 370 380 400 430 470 500 530
10 Schubmodul Gmeanb,c 440 500 560 590 630 690 720 750 810 880 940 1000
Rohdichtekennwerte in kg/m3
11 Rohdichte pk 290 310 320 330 340 350 370 380 400 420 440 460
a Bei nur von Rinde und Bast befreitem Nadelrundholz dürfen in den Bereichen ohne Schwächung der Randzone um 20%
erhöhte Werte in Rechnung gestellt werden.
b Für die charakteristischen Steifigkeitskennwerte E0,05, E90,05 und G05 gelten die Rechenwerte:
E0,05 = 2/3 · E0, mean E90,05 = 2/3 · E90,mean G05 = 2/3 · Gmean.
c Die charakteristische Rollschubfestigkeit fR,k darf für alle Festigkeitsklassen zu 1,0 N/mm2 in Rechnung gestellt werden.
Der zur Rollschubbeanspruchung gehörende Schubmodul darf mit GR,mean = 0,10 Gmean angenommen werden.
ANMERKUNG Die Rechenwerte für die charakteristische Zugfestigkeit rechtwinklig zur Faserrichtung ft,90,k und für die
charakteristische Schub- und Torsionsfestigkeit fv,k weichen von den Rechenwerten nach DIN EN 338:2003-09 ab und dür-
fen nur mit den hier angegebenen Werten in Rechnung gestellt werden.
tizitätsmodul bzw. Dichte. Die Dichte bzw. Masse kaum vor. Bei aus Schichten zusammengefügten
m (kg/m3) kann direkt gemessen werden, der Elas- Flächen (Brettsperrholz) ist infolge Querkraft aus
tizitätsmodul über die Verformung w oder die Fre- Plattentragwirkung immer auch ein Rollschub vor-
quenz f und die Schallwellengeschwindigkeit v. handen. Die Größenordnung der Rollschubfestig-
keit liegt in der Größenordnung der Querzugfestig-
(3.7.1) keit! Aus den Festigkeiten werden für die Bemes-
sung in den Bestimmungen zulässige Spannungen
bzw. charakteristische Festigkeiten angegeben.
Die maschinelle Sortierung bezieht sich dabei auf Für das orthogonale Koordinatensystem l, r, t wird
Eigenschaften in Faserrichtung. Zwischen den Ei- der Zusammenhang Dehnung und Spannung, bzw.
genschaften in Faserrichtung und den beiden Rich- Spannung und Dehnung in Tabelle 3.7-2 angegeben.
tungen senkrecht dazu liegen große Unterschiede. Um einen Eindruck von den Größenordnungen zu
Besonders die Zugfestigkeit senkrecht zur Faser- erhalten, sind beispielhaft Zahlen für kleine Holzpro-
richtung und die Schubfestigkeit in der Ebene ben nach [Keylwerth 1951] angegeben. Die Koordi-
senkrecht zur Faserrichtung sind gering und er- naten l, r und t werden durch x, y und z ersetzt. In der
fordern konstruktive Aufmerksamkeit: Querzug Literatur der Festigkeitslehre ist dies üblich.
bei gekrümmten Trägern, Auflagerausklinkungen, Zum Vergleich der Festigkeiten verschiedener
Lasteinleitung, sowie Rollschub (englisch: rolling Materialien gibt die Reißlänge l an, wie lange ein
shear) bei Holzflächen. Dieser Wert ist z. B. in Ta- aufgehängter Stab mit konstantem Querschnitt
belle 3.7-1 nicht enthalten, diese Beanspruchung werden kann, bis er infolge seines Eigengewichts
kommt bei stabförmigen Bauteilen aus Vollholz reißt (Abb. 3.7-5):
3.7 Holzbau 1375
Ein anderer Wert, , bestimmt das Gewicht Zahlen für die Reißlänge und den Wert sind
einer Stütze: welches Gewicht G hat eine Stütze in Tabelle 3.7-3 [Gordon 1987] angegeben.
Tabelle 3.7-2 Beziehungen zwischen Spannungen und Deh- 3.7.2.2 Verhalten bei Feuchteänderungen
nungen
Holz enthält Wasser. Bei feuchter Umgebung
nimmt Holz Wasser auf, bei trockener gibt es Was-
ser ab. Bei einem stationären Zustand wird von
Ausgleichsfeuchte gesprochen. Die Feuchte f des
Holzes wird in Gewichtsprozenten des enthaltenen
Wassers angegeben.
(3.7.4)
mit
Gt Gewicht des trockenen Holzes bei 103 +/– 2
Grad
Gf Gewicht des feuchten Holzes
. (3.7.5)
(3.7.7)
(3.7.8)
Über die Beiwerte a und b werden die Wöhler- es ein Nationales Anwendungsdokument NAD.
linien für die verschiedenen Beanspruchungen und Die Nachweise nach EC 5 entsprechen im Aufbau
auch für Verbindungsmittel angegeben. Versuche denen nach DIN.
für solche Werte sind sehr aufwändig. Um den Ein- Es soll nicht Sinn des Beitrages sein, die Vor-
fluss der Streuungen der Holzeigenschaften zu schriften zu erläutern, sondern es sollen die Grund-
verringern sind viele Versuche notwendig [Kreu- lagen und das Verständnis für notwendige Regeln
zinger/Mohr 1994]. dargestellt werden. Deshalb ist dieser Abschnitt
Abbildung 3.7-9 zeigt Wöhlerlinien für Schub- auch sehr kurz und es wird auf die Literatur [Step
beanspruchung von Vollholz bzw. Brettschichtholz 1-3 1995, Blaß u. a. 2006] verwiesen.
für verschiedene Spannungsverhältnisse R.
3.7.3.2 Nachweis nach DIN 1052 (04/88)
3.7.3 Normen, Zulassungen Kräfte bzw. Spannungen aus Einwirkungen werden
und Vorschriften zulässigen Kräften bzw. Spannungen gegenüberge-
stellt. Die Nachweisform für Spannungen lautet:
3.7.3.1 Allgemeines
Einheitliche Qualität und Sicherheit im Bauwesen V < zul V (3.7.10)
erfordern Spielregeln, an die sich die Tragwerks-
planer halten müssen. Diese Spielregeln sind in zul V = f/J (3.7.11)
bindenden Normen, Zulassungen und Vorschriften
festgelegt. Die für den Holzbau wesentlichen Nor- Die zulässige Größe wird aus der durch einen globa-
men für Entwurf, Berechnung und Bemessung von len Sicherheitsbeiwert J geteilten Festigkeitsgröße f
Holztragwerken sind auf nationaler Ebene DIN erhalten. Alle Nebenbedingungen, wie Feuchte und
1052 (2008) und DIN 1074 (2006) sowie auf Lasteinwirkungsdauer, werden durch Änderung der
internationaler Ebene EC 5-1 (10/93) und EC 5-2 zulässigen Größe berücksichtigt. Dieses Nachweis-
(08/99). Sowohl DIN wie EC können derzeit ange- verfahren hat lange für alle Bauingenieuraufgaben
wendet werden, selbstverständlich jeweils allein, gegolten. Ein gleichmäßigeres Sicherheitsniveau
nicht gemischt! Für die Anwendung des EC 5 gibt wird mit Teilsicherheitsbeiwerten erhalten. Die DIN
3.7 Holzbau 1379
1052:2008 berücksichtigt dies und ist entsprechend Dabei sind für alle Lastfälle Q die Lastfälle p, s
dem EC 5 aufgebaut. und w zu verwenden. Die Reihung erfolgt nach der
Größe des zugehörigen kmod-Wertes: Für den Nach-
weis darf der größte kmod-Wert der beteiligten
3.7.3.3 Nachweis nach DIN 1052 (2008)
Lastfälle verwendet werden. In DIN 1052 (2008)
Mit Teilsicherheitsbeiwerten JE multiplizierte Kräfte sind Tabellen für Lasteinwirkungsdauer und kmod-
bzw. Spannungen aus Einwirkungen werden durch Werte angegeben. Die Zuordnung der Lasten nach
Teilsicherheitsbeiwerte JM geteilten Festigkeitsgrö- DIN 1055 zur Lasteinwirkungsdauer erfolgt eben-
ßen gegenübergestellt. Die Nebenbedingungen (Last- falls in DIN 1052 (2008). Dies ist ebenso wie die
einwirkungsdauer und Nutzungsklasse) im Holzbau Kombinationsbeiwerte in Tabelle 3.7-6 für Voll-
werden durch einen Faktor kmod berücksichtigt. Dies holz und Brettschichtholz dargestellt. Für die Last-
ist eine Besonderheit des Holzbaues. fälle Verkehr, Schnee und Wind muss bei der Über-
lagerung immer ein <-Wert gleich eins sein. So
V·JE < f/JM· kmod (3.7.12) wird die „führende veränderliche Einwirkung“ ge-
kennzeichnet.
Die Einwirkungs- und Festigkeitswerte sich charak- Wesentlich für den kmod-Wert ist auch die Nut-
teristische Werte, sie sind in DIN 1055 bzw. EC 1 zungsklasse in der das Holz verwendet wird. Die
gegeben. Bei mehreren Einwirkungen gelten Über- Nutzungsklassen richten sich nach der zu erwar-
lagerungsregeln mit verschiedenen Teilsicherheits- tenden Feuchtigkeit der Holzteile und werden im
beiwerten JE und Kombinationsfaktoren \. Folgenden beschrieben.
Formal betrachtet könnte durch Teilen der Un-
gleichung durch den Teilsicherheitsbeiwert JE die Nutzungsklasse 1
Nachweisform nach DIN entstehen. Dies würde Sie ist gekennzeichnet durch eine Holzfeuchte die
aber den Vorteil der unterschiedlichen Teilsicher- einer Temperatur von 20°C und einer relativen
heitsbeiwerte für einzelne Lasten und Materialien Luftfeuchte der umgebenden Luft entspricht, die
wieder zunichte machen! nur für einige Wochen pro Jahr einen Wert von
Der von der Nutzungsklasse und der Einwir- 65% übersteigt, z. B. in allseitig geschlossenen und
kungsdauer abhängige Faktor kmod macht vor allem beheizten Bauwerken.
bei mehreren möglichen Lastfällen den Nachweis
unübersichtlich, da nicht sofort abzusehen ist, wel- Nutzungsklasse 2
che Lastfallkombination die maßgebende ist. Sie ist gekennzeichnet durch eine Holzfeuchte, die
einer Temperatur von 20°C und einer relativen Luft-
feuchte der umgebenden Luft entspricht, die nur für
3.7.3.4 Beispiel für die Überlagerung
einige Wochen pro Jahr einen Wert von 85% über-
Für Spannungen aus Eigengewicht Vg, Verkehr Vp, steigt, z. B. bei überdachten offenen Bauwerken.
Schnee Vs und Wind Vw sind für den Grenzzustand
der Tragfähigkeit Überlagerungen nach Gl. (3.7.13) Nutzungsklasse 3
durchzuführen: Sie erfasst Klimabedingungen, die zu höheren Holz-
feuchten führen als in Nutzungsklasse 2 angegeben,
. (3.7.13) z. B. wenn sie der Witterung ausgesetzt sind.
Über den Ermüdungsnachweis wurde am Ende von 3.7.4.2 Vermeidung von Holzschädigung
Abschn. 3.7.2 berichtet. Der beste Holzschutz besteht darin, die Umge-
bungsbedingungen für die Schädlinge ungünstig
zu gestalten. Die Konstruktion muss trocken und
3.7.4 Holzschutz, Dauerhaftigkeit belüftet sein, und die Holzart muss richtig gewählt
werden. Erst wenn diese Bedingungen nicht einge-
3.7.4.1 Ursachen von Holzschäden
halten werden können, sollte chemischer Holz-
Ursachen von Holzschädigung sind Pilz- und In- schutz angewendet werden. In DIN EN 350-2
sektenbefall, deshalb muss Holz in Baukonstrukti- (10/94) ist die natürliche Dauerhaftigkeit verschie-
onen davor geschützt werden. dener Holzarten bewertet: Dauerhaftigkeitsklasse
1: sehr dauerhaft, Dauerhaftigkeitsklasse 5: nicht
Pilzbefall dauerhaft. Tabelle 3.7-10 zeigt einige Holzarten
Pilze sind Pflanzen, die Feuchtigkeit und Sauer- und die zugehörige Dauerhaftigkeitsklasse.
stoff zum Wachsen brauchen. Holz mit einer Die Vorschrift DIN 68800 behandelt den Holz-
Feuchtigkeit von über 20% kann befallen werden. schutz. Im Teil 3 dieser Norm ist geregelt, wann che-
Die Tragfähigkeit wird dadurch stark vermindert. mische Holzschutzmaßnahmen nicht erforderlich
sind. Dies ist z. B. der Fall bei Holz in Innenräumen,
Insektenbefall wenn es ständig trocken ist, es durch eine allseitig
Insekten zerstören das Holz mechanisch. Für die geschlossene Bekleidung gegen Insektenbefall ge-
Baukonstruktionen sind Insekten problematisch, schützt ist oder es so angeordnet ist, dass es sichtbar
die auch das trockene Holz befallen können. Die und damit kontrollierbar ist. Damit kann in Innenbe-
Larven fressen in das Holz Bohrgänge; oft ist aus- reichen von Gebäuden auf chemischen Holzschutz
tretendes Holzmehl sichtbar. Es ist offensichtlich, verzichtet werden! Dies ist im Hinblick auf die ge-
dass dadurch die Tragfähigkeit von Holzkonstruk- sundheitliche Gefährdung und die Entsorgung von
tionen verloren gehen kann. Hölzern mit Holzschutzmitteln sehr wichtig.
Wärme fördert das Wachstum von Pilzen und
Insekten. Dies ist andererseits auch ein Grund, Chemischer Holzschutz
warum in arktischen, antarktischen Gebieten und Chemischer Holzschutz sollte so viel wie nötig,
im Hochgebirge unbehandelte Hölzer sehr langle- aber so wenig wie möglich verwendet werden.
big sind. Holzschutzmittel sind Gifte für Pflanzen und Tiere,
sonst würden sie nicht gegen Pilze und Insekten
1382 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
wirken. Der Bauingenieur und Tragwerksplaner Holzbaues zeigt dies. Viele Systeme sind im Holz-
sollte sich beim chemischen Holzschutz eines Spe- bauatlas zusammengetragen [Natterer u. a. 1996].
zialisten bedienen!
3.7.5.2 Stabförmige Bauteile
Konstruktiver Holzschutz
Zum konstruktiven Holzschutz zählen die Verwen- Aus stabförmigen Bauteilen entstehen Dachtrag-
dung der geeigneten Holzarten sowie alle Maßnah- werke und Hallen sowie Brücken. Die Abb. 3.7-11
men, die verhindern, dass das Konstruktionsholz bis 3.7-13 zeigen Beispiele von Stabwerken. Die
feucht wird und die bewirken, dass es auch wieder Berechnung der Schnittgrößen nach Theorie I.
trocknen kann, wenn es einmal feucht geworden ist. Ordnung und Theorie II. Ordnung erfolgt mit Re-
Konstruktionsholz ist vor Regen und auch Schlag- chenprogrammen.
regen durch ein Dach mit genügendem Überstand, Die konstruktiv aufwändige Aufgabe ist die Ver-
vor Spritzwasser durch genügenden Abstand vom bindung der einzelnen Stäbe und die Aussteifung.
Boden, vor Kondenswasser durch bauphysikalisch Die Lösung dieser Aufgaben entscheidet auch über
richtige Ausbildung zu schützen. Alte Holzbrücken, den Gesamteindruck der Konstruktion. Abbildung
Holzhäuser und Scheunen zeigen eindrucksvoll den 3.7-14 zeigt die notwendigen Aussteifungselemente
konstruktiven Holzschutz. einer Halle. Die Kräfte zur Dimensionierung dieser
In DIN 1074 (2006) sind für den konstruktiven Aussteifungsteile folgen aus der Horizontalbelas-
Holzschutz viele Hinweise angegeben. Es wird streng tung durch Wind und aus den Umlenkkräften, die
in vor Witterung und Nässe geschützte und unge- bei Druckbeanspruchung und ungenauen Systemen
schützte Bauteile unterschieden. Geschützte Bauteile entstehen. Die Wirkung des ungenauen, d. h., imper-
dürfen der Nutzungsklasse 2 zugeordnet werden. fekten Systems wird am geometrisch perfekten Sys-
tem durch Ersatzlasten erfasst.
3.7.5 Systeme aus Holz-
bzw. Holzwerkstoffen 3.7.5.3 Flächenförmige Bauteile
Einfachste Flächen werden durch Nebeneinander-
3.7.5.1 Allgemeines legen von Stäben gebildet. Jeder Stab trägt noch
Nach dem Zersägen eines Stammes im Sägewerk bie- für sich; es findet keine Lastverteilung, keine Plat-
ten sich zunächst stabförmige Bauteile für Holzkons- ten- oder Scheibentragwirkung statt. Erst durch
truktionen an. Die geschichtliche Entwicklung des eine kraftübertragende Verbindung der Stäbe ent-
Die Erfahrung zeigt, dass Bauwerke, nach den Re- Nachweis auch der Stabilitätsnachweis von Stab-
geln der Mechanik berechnet und nach den ent- systemen und Platten enthalten. Hinweis: das oft
sprechenden Normen dimensioniert, sicher und bösartige Nachbeulverhalten von Schalen muss
brauchbar sind. gesondert berücksichtigt werden.
Die notwendigen Vorverformungen sind Ver-
krümmungen der Stäbe bei unverschieblichen Sys-
3.7.6.2 Tragsicherheitsnachweis
temen und Schrägstellungen der Stäbe bei ver-
Berechnung der Schnittgrößen schieblichen Systemen. Die Wirkung der Vorver-
Die Schnittgrößenermittlung erfolgt am statischen formung kann durch Einwirkungen erfasst werden.
System mit den rechnerischen Einwirkungen. Eine Schiefstellung \ eines Stabes mit der Druck-
Meist genügt die Theorie I. Ordnung, bei der die kraft P ruft an den Knickstellen eine Einwirkung
Auswirkung der Verformungen des Systems auf senkrecht zur Stabachse der Größe P\ hervor,
das Gleichgewicht vernachlässigt wird. Bei An- eine Verkrümmung durch eine Vorverformung w
wendung der Theorie II. Ordnung – besonders bei eine linienförmige Einwirkung der Größe Pw.
Druckbeanspruchung notwendig – sowie bei sta- Wird die Vorverformung sinusförmig angesetzt, so
tisch unbestimmten Systemen und zur Berechnung ist auch die Ersatzlast sinusförmig mit der Ampli-
von Verformungen sind Steifigkeiten notwendig. tude PS²e/l2. Bei parabelförmiger Vorverformung
Die Berechnung nach Theorie II. Ordnung bedeu- ist die Ersatzlast konstant und die Größe Pe8/l2.
tet dank der Anwendung von Programmen keine Die Abb. 3.7-24 und 25 zeigen Vorverformungen
Erschwernis und sollte deshalb dem Ersatzstabver- und Ersatzlasten.
fahren vorgezogen werden. Aus einer angenommenen Auslenkung des
Die Systemberechnung erfolgt mit den in Ta- Druckgurtes von entstehen die Formeln in DIN
belle 3.7-11 zusammengefassten Annahmen. Mit 1052 und EC5-1 für die Lasten für Aussteifungs-
den aus der Systemberechnung folgenden Schnitt- verbände:
größen werden Spannungen berechnet, die folgen-
de Bedingung einhalten müssen: (3.7.17)
Druckkraftverteilung im System muss bekannt Biegesteifigkeit EI kann dann die kritische Druck-
sein. Das Stabilitätsversagen ist dann ein Eigen- spannung berechnet werden. Aus dem Vergleich
wertproblem: der Eigenwert liefert den Faktor mit folgt die Länge des Ersatzstabes.
dem die Druckkraftverteilung beaufschlagt werden Querschnitt: E, A, I
muss, damit das System knickt, die Eigenform ist Druckkraft bei Stabilitätsversagen: Fki
die zugehörige Knickfigur. An jeder Stelle des Kritische Druckspannung: Vki = Fki/A
Stabsystems mit der Querschnittsfläche A und der Länge des Ersatzstabes: sk
3.7 Holzbau 1389
(3.7.18)
(3.7.19)
(3.7.22)
Verdrehung (Biegedrillknicken, Kippen) berück- figkeit. Mit den Faktoren D, E, J und G können die
sichtigt werden, ist nicht so verbreitet wie die Theo- Wirkung einer Drehfeder CG am Auflager, einer
rie II. Ordnung von Stäben, bei denen nur die Ver- Druckkraft P, der Wölbsteifigkeit C sowie der elas-
schiebung berücksichtigt wird (Knicken). Deshalb tischen Bettung Cy und C- erfasst werden:
hat bei diesen Problemen, hohe schlanke Träger aus
– Drehfeder CG am Auflager:
Brettschichtholz mit Rechteckquerschnitt, das Er-
satzstabverfahren noch mehr Bedeutung und Be-
D=
rechtigung. Ausgehend von der kritischen Bieg-
druckspannung Vm,crit wird die relative Schlankheit
– Druckkraft P:
(3.7.28)
E= mit Pki =
berechnet und ebenso wie beim Knicknachweis die
Festigkeit mit einen Beiwert kb abgemindert. Abbil-
dung 3.7-29 zeigt wieder den bekannten Verlauf. – Wölbsteifigkeit C:
von kb (Orel). Die Herleitung kann wie beim Knicken
am Sonderfall des gabelgelagerten Einfeldträgers J=
mit konstantem Grundbiegemoment analytisch er-
folgen. Sie ist wegen der zwei Verformungen um-
– elastische Bettung Cy und C-:
fangreicher. In Tabelle 3.7-13 sind für einige Syste-
me und Belastungen Beiwerte a1 und a2 angegeben,
mit denen kritische Kippmomente und daraus die
kritische Biegespannung sowie die bezogene Kipp-
schlankheit berechnet werden können:
M0y, crit =
VD = Vx cos2D
WD = Vx cosD sinD (3.7.30)
Stiftförmige Verbindungsmittel
In den Vorschriften wird dies, sowie das elastisch Ein Traglastmodell für stiftförmige Verbindungs-
plastische Verhalten und vor allem die gegensei- mittel, das einfach handhabbar ist, entsteht bei fol-
3.7 Holzbau 1397
3.7.8.1 Allgemeines
Zwei Träger mit Dehn- und Biegesteifigkeit – die
Schubsteifigkeit kann unendlich gesetzt werden –
werden übereinander gelegt und in der Fuge nachgie-
big miteinander verbunden. In der Fuge können
Schubkräfte t (Kraft/Länge) übertragen werden (Abb.
3.7-42 und 3.7-43). Eine senkrecht zu den Stabachsen
Abb. 3.7-40 Traglast in Abhängigkeit der Holzabmessung wirkende Kraft erzwingt die gemeinsame Biegelinie
beider Teile; dies kann auch durch geeignete Lastauf-
teilung auf die beiden Einzelträger erreicht werden.
Nagelplatten, Stahlformteile. Die Anwendung ist Zur Berechnung derartiger Träger wird für beide
meist in Zulassungen geregelt. Träger die technische Biegetheorie angesetzt und der
Ein weites Anwendungsfeld bieten auf Zug be- Schub t über eine elastische Feder c bzw. k (Kraft/
anspruchbare Schrauben oder eingeklebte Stahl- Länge2) übertragen. Die Differentialgleichungen für
stangen. Die Fachwerktheorie hilft, Tragmodelle die Durchbiegung w beider Träger und die Längsver-
zu finden. Abbildung 3.7-41 zeigt die Kraftüber- schiebungen u1 und u2 für die beiden Stabachsen sind
tragung durch eine schräg eingedrehte auf Zug be- für den Einfeldträger unter sinusförmiger Belastung
anspruchte Schraube. analytisch lösbar. Diese Lösung liegt den Angaben in
DIN 1052 und im EC 5-1 zugrunde. Für andere Las- delt. In [Schelling 1982] ist auch die Lösung für
ten und andere Systeme bedeutet die Anwendung der mehrteilige Querschnitte angegeben.
Formeln eine mehr oder wenig gute Näherung. Abbildung 3.7-44 zeigt den Querschnitt, das
System und als Ergebnis die Längsspannungen.
Der Querschnitt aus zwei Teilen und der elasti-
3.7.8.2 Analytische Lösung für den
schen Verbindung wird nach links durch einen
Einfeldträger mit konstanten
Querschnitt mit der um J1 verminderten Quer-
Querschnittswerten und sinusförmig
schnittsdehnsteifigkeit J1EA1 oder nach rechts mit
verteilter Belastung [STEP 1-3 1995]
der um J2 verminderten Querschnittsdehnsteifig-
In DIN 1052 und EC 5 sind für diesen Fall die Lö- keit J2EA2 ersetzt. Einmal wird der Querschnitt
sungen angegeben. Dabei werden zwei- und drei- entsprechend den Rechenregeln von unten und
teilig miteinander verbundene Querschnitte behan- einmal von oben betrachtet. Einmal wird der Span-
3.7 Holzbau 1401
Längsspannung:
(3.7.35) (3.7.38)
Schubfluss:
Geometrie: bzw.
(3.7.39)
di Dicke,
Gi Schubmodul der Schicht i
3.7.9 Beanspruchung rechtwinklig (Rollschub) nicht weit auseinander liegen! Die Fes-
zur Faser tigkeiten fr (Zug) und frt (Rollschub) betragen nur
einen Bruchteil der Festigkeit fl (Zug in Faserrich-
tung).
3.7.9.1 Einleitung
Eine vorsichtige lineare Spannungsinteraktion
Die ausgeprägte Anisotropie von Holz erfordert für den Tragsicherheitsnachweis liefert:
die besondere Berücksichtigung der Richtungen
und Beanspruchungen mit geringeren Festigkeiten. (3.7.41)
Die Zugfestigkeit senkrecht zur Faser und damit
auch die Schubfestigkeit in der Ebene senkrecht
zur Faser sind gering und auch unzuverlässig. Ab- Wird für die rt-Ebene eine Vergleichspannung nach
bildung 3.7-55 zeigt die r-t-Ebene mit den zugehö- der Gestaltänderungshypothese berechnet, einmal
rigen Spannungen. Die Schubspannung Wrt wird für Zug und einmal für Schub, und wird von den
auch als „Rollschub“ (rolling shear) bezeichnet. Spannungen auf die Festigkeit geschlossen, so
Am Spannungskreis, Abb. 3.7-56, ist ersicht- folgt:
lich, dass für den Fall reiner Schubbeanspruchung
Wrt durch Drehen des Koordinatensystems um 45 (3.7.42)
Grad ein Zug-Druckspannungszustand entsteht.
Deshalb können die Festigkeiten fr (Zug) und frt (3.7.43)
(3.7.44)
(3.7.45)
(3.7.50)
Ausgeklinkte Auflager
Beim ausgeklinkten Auflager tritt in der einsprin-
genden Ecke Zug auf. Nach Abb. 3.7-61 muss
der Schubfluss unterhalb der Ausklinkung hoch-
gehängt werden. Die Zugkraft entspricht der schraf-
fierten Fläche des Schubflusses:
Abb. 3.7-61 Ausgeklinktes Auflager
(3.7.51)
Durchbrüche
Bei Durchbrüchen in Trägern tritt ebenfalls in jeweils
Aufgrund der Exzentrizität wird diese Zugkraft Z gegenüberliegenden Ecken Zug bzw. Druck auf. Die
zur Dimensionierung noch mit einem Faktor (1,3 Zugkraft (bzw. Druckkraft) entspricht der Differenz
nach DIN 1052) multipliziert. der schraffierten Schubflussfläche in Abb. 3.7-62.
1410 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
(3.7.53)
Für die Spannungskombination Vx, Vz und W ist der
Nachweis zu führen. Ist ıx z. B. die Biegespannung
Abb. 3.7-62 Durchbruch in Faserrichtung, so lautet der Nachweis:
(3.7.54)
die Besonderheiten der Holzkonstruktionen be- Schichten für die Berechnung durch die Platte A und
rücksichtigt werden: die Platte B ersetzt. Dabei erhält die Platte A die
Summe der Steifigkeiten der lose (c=k=0) aufeinan-
– Anisotropie: verschiedene Steifigkeiten in ver-
der gelegten Schichten. Die Platte B erhält die Bie-
schiedenen Richtungen,
ge- und Torsionssteifigkeit aus den Steineranteilen
– Berücksichtigung der Schubverformung,
und eine Schubsteifigkeit, welche die Nachgiebig-
– Berücksichtigung der nachgiebigen Schubver-
keit c bzw. k erfasst. Die Schubsteifigkeit wird nach
bindung zwischen den Schichten.
Gl. (3.7.40) für beide Richtungen berechnet. Beide
Es darf mit linear elastischem Materialverhalten Platten A und B müssen so gekoppelt werden, dass
und den Mittelwerten der Steifigkeiten gerechnet sie eine gemeinsame Biegfläche w(x,y) erhalten.
werden. Die Berücksichtigung der nachgiebigen Das kann durch Koppelstäbe zwischen den überein-
Schubverbindung zwischen den Schichten durch andergelegten Platten erreicht werden (vgl. Abb.
eine Ersatzschubsteifigkeit des Gesamtquerschnitts 3.7-45 Träger A und Träger B).
stellt eine Näherung dar. Die Dehnungen der Schicht- Die Berechnung der verbundenen Flächen liefert
schwerpunkte liegen auf einer Geraden durch die Schnittgrößen der Fläche A und der Fläche B. Die
Schwerlinie (vgl. Abschn. 3.7.8.3 und 3.7.8.5). Steifigkeiten und die aus den Schnittgrößen fol-
Grundlage ist die Technische Biegetheorie mit Be- genden Spannungen werden wie folgt berechnet:
rücksichtigung der Schubverformung. Die Steifig-
keiten werden auf eine Breite 1 bezogen. Fläche A
Biegung um die y-Achse (Biegemoment mAx),
Biegesteifigkeit BAx und Biegerandspannung der
3.7.10.2 Platten aus nachgiebig miteinander
Schicht i in x-Richtung:
verbundenen Schichten
Abbildung 3.7-64 zeigt ein Element dx mal dy aus n (3.7.55)
Schichten der Dicke di. Die Orientierung der Faser
der Schicht i zeigt in x- oder y-Richtung. Wie in
Abschn. 3.7.8.3 für den Träger gezeigt, wird die (3.7.56)
Platte aus nachgiebig miteinander verbundenen
Biegung um die x-Achse (Biegemoment mAy), Bie- Querkraft qBxz, Schubspannung IJxz in der Fuge i/
gesteifigkeit BAy und Biegerandspannung der Schicht i+1:
i in y-Richtung In den Gln. (3.7.55) und (3.7.56) ist
lediglich der Index x durch y zu ersetzen. (3.7.65)
Verwindung der xy-Ebene (Drillmoment mAxy=
mAyx), Drillsteifigkeit BAxy und Schubrandspan-
nung der Schicht i, IJxy,i=IJyx,i: (3.7.66)
(3.7.57)
Querkraft qByz, Schubspannung IJyz in der Fuge i/
i+1: In den Gln. (3.7.65) und (3.7.66) ist lediglich
der Index x durch y zu ersetzen.
(3.7.58)
Die mittlere Schubspannung über die Quer-
schnittshöhe a kann berechnet werden zu:
Schubspannung Wxz,i, parabelförmig über die Höhe
di verteilt, infolge qAxz: (3.7.67)
(3.7.59) (3.7.68)
Fläche B
3.7.10.3 Platten aus schubstarr miteinander
Biegung um die y-Achse (Biegemoment mBx), Bie-
verbundenen Schichten
gesteifigkeit BBx und Normalspannung aus Bie-
gung in der Schicht i in x-Richtung: Bei Verklebung der Schichten tritt keine Verschie-
bung in der Fuge auf. Rechnerisch wird dies erreicht,
(3.7.61) wenn c bzw. k unendlich gesetzt wird. Platte A und B
werden wieder zu einer zusammengefügt. Die einzel-
(3.7.62) nen Steifigkeiten werden addiert. Die Spannungen
berechnen sich aus den Schnittgrößen und den für
jede Schicht unterschiedlichen Moduln.
Biegung um die x-Achse (Biegemoment mBy), Bie- Biegung um die y-Achse (Biegemoment mx), Bie-
gesteifigkeit BBy und Normalspannung aus Bie- gesteifgkeit Bx und Biegespannung in x-Richtung:
gung in der Schicht i in y-Richtung: In den Gln.
(3.7.61) und (3.7.62) ist lediglich der Index x durch
y zu ersetzen.
Verwindung der xy-Ebene (Drillmoment mBxy= (3.7.69)
mByx), Drillsteifigkeit BBxy und Schubspannung in
der Schicht i, Wxy,i=Wyx,i: (3.7.70)
Verwindung der xy-Ebene (Drillmoment mxy = Gordon JE (1987) Strukturen unter Stress. Spektrum der Wis-
myx), Drillsteifigkeit Bxy und Schubspannung Wxy = senschaft, Heidelberg
Wyx: Holzbau Handbuch (1995) Reihe 1 – Entwurf und Konstrukti-
on, Teil 9 – Brücken, Folge 4 – QS-Holzplattenbrücken.
Informationsdienst Holz, München
Keylwerth R (1951) Die anisotrope Elastizität des Holzes und
(3.7.71) der Lagenhölzer. VDI-Forschungsheft 430, VDI-Verlag,
Düsseldorf
Kreuzinger H (1995) Träger und Stützen aus nachgiebig ver-
(3.7.72)
bundenen Querschnittsteilen. In: Arbeitsgemeinschaft Holz
e.V. (Hrsg): Step 1: Holzbauwerke nach Eurocode 5 – Be-
Schubspannung IJxz: messung und Baustoffe. Fachverlag Holz Düsseldorf, S.
B11/1–B11/9
(3.7.73) Kreuzinger H, Mohr B (1994) Holz und Holzverbindungen
unter nicht vorwiegend ruhenden Einwirkungen. For-
schungsbericht. Entwicklungsgemeinschaft Holz
Kreuzinger H (1999) Holz-Beton-Verbundbauweise. Fachta-
gung Holzbau 99, Informationsdienst Holz
(3.7.74) Natterer J, Herzog T, Volz M (1996) Holzbau Atlas. 2. Aufl. R.
Müller, Köln
Schubspannung IJyz: In den Gln. (3.7.73) und (3.7.74) Schelling W (1982) Zur Berechnung nachgiebig zusammenge-
ist lediglich der Index x durch y zu ersetzen. setzter Biegeträger aus beliebig vielen Einzelquerschnitten.
In: Ingenieurholzbau in Forschung und Praxis. Bruderver-
lag, Karlsruhe
3.7.10.4 Hinweis Step 1 (1995) Bemessung und Baustoffe. Hrsg.: Arbeitsge-
meinschaft Holz e.V. Düsseldorf
Für vorwiegend einachsig gespannte Platten des
Step 2 (1995) Bauteile Konstruktionen Details. Hrsg.: Arbeits-
Wohnungsbaues ist die Schnittgrößenberechnung gemeinschaft Holz e.V. Düsseldorf
nach der Plattentheorie meist nicht notwendig. Die Step 3 (1995) Grundlagen Entwicklungen Ergänzungen. Hrsg.:
Balkentheorie genügt. Bei Fahrbahnplatten für Arbeitsgemeinschaft Holz e.V. Düsseldorf
Straßenbrücken ist dagegen eine Plattenberech- Winter S, Kreuzinger H, Mestek P (2008) Flächen aus Brettsta-
nung notwendig. Die Aufnahme von Radlasten peln, Brettsperrholz und Verbundkonstruktionen. Ab-
kann nur so beurteilt werden. Anstelle der Platten- schlussbericht des TP 15, HTO Gesamtprojekt „Holzbau
berechnung eignet sich oft besser eine Trägerrost- der Zukunft“. Lehrstuhl für Holzbau und Baukonstruktion,
TU München 2008
berechnung. Die Anisotropie ist damit meist ein-
facher zu berücksichtigen. Berechnungsbeispiele
finden sich in [Winter u. a. 2008]. Normen und Richtlinien
DIN 1052 (2008) Entwurf, Berechnung und Bemessung von
Holzbauwerken – Allgemeine Bemessungsregeln für den
Literaturverzeichnis Kap. 3.7
Hochbau
Bejtka J (2005) Verstärkung von Stabdübelverbindungen – DIN 1074 (2005) Holzbrücken
Nachweise für Tragwerksplaner. In: Ingenieurholzbau DIN EN 350-2 (Oktober 1994) Natürliche Dauerhaftigkeit von
Karlsruher Tage 2005; Bruderverlag, Karlsruhe Vollholz
Blaß HJ, Ehlbeck J, Kreuzinger H, Steck G (2006) Erläute- DIN 68800-2 (Mai 1996) Holzschutz; Vorbeugende bauliche
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Bemessung von Holzbauwerken. Hrsg.: DGfH, Bruderver- DIN 68800-3 (April 1990) Holzschutz; Vorbeugender che-
lag Albert Bruder, Karlsruhe mischer Holzschutz
Ehlbeck J, Görlacher R, Werner H (1991) Empfehlungen zum EC 5-1, DIN V ENV 1995-1 (Juni 1994) Entwurf, Berechnung
einheitlichen Querzugnachweis für Anschlüsse mit mecha- und Bemessung von Holzbauwerken, Teil 1: Allgemeine
nischen Verbindungsmitteln. Bauen mit Holz (1991) S. Bemessungsregeln, Bemessungsregeln für den Hochbau
825–828 EC 5-2, ENV 1995-2 (August 1999) Bemessung und Kons-
Fritzen K, Jacob S, Fitz P (1998) Man nehme Balken, Platten ... truktion von Holzbauten, Teil 2: Brücken
Holzbalken-Stahlbetonplatten-Verbunddecke mit neuartigen NAD (Februar 1995) Richtlinie zur Anwendung von DIN V
Schubverbindungen. Bauen mit Holz (1998) S. 31–33 ENV 1995-1-1
1414 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
Abb. 3.8-2 Zugfestigkeit von Glas in Abhängigkeit von der wirksamen Risslänge nach [Petzold 1990]
Spiegel werden aus hochwertigem Floatglas mit oder organischen Angriff und die geringe Trocken-
einer chemisch aufgebrachten Silberschicht fabri- rohdichte (0,1 bis 0,17 g/cm3). Die geringe Druck-
ziert, die durch mehrere Deckschichten geschützt festigkeit (0,5 bis 1,2 N/mm2) begrenzt allerdings
wird. Sonnenschutzgläser stellt man her, indem op- die Anwendungsmöglichkeiten.
tisch aktive dünne Schichten im Tauch-, Sprüh- oder
Hochvakuumverfahren aufgebracht werden. Man Glasfasern
unterscheidet harte und weiche Beschichtungen. Glasfasern gibt es als Kurz- und Langfasern. Sie
finden Verwendung in Tapeten, zur Bewehrung
Gussglas, Drahtglas, Profilglas von Putzen, in Fassadenplatten, in glasfaserver-
Im Unterschied zu Floatglas wird Gussglas nach stärkten Kunststoffen (GFK) oder zur Verstärkung
dem Prinzip der überlaufenden Wanne hergestellt, von Beton. Beim Einsatz in Beton ist Glas aller-
direkt von Walzen abgezogen, gekühlt und ge- dings wegen der geringen Alkali-Beständigkeit des
schnitten. Gussglas wird häufig mit einer ausge- Kalk-Natron-Glases (A-Glasfaser) und der E-Glas-
prägten Ornamentierung (Dicke 4, 6, 8 mm) oder faser (Alumno-Borosilicatglas mit einem Alkalige-
Drahtnetzeinlage (Drahtglas, 7 oder 9 mm) produ- halt <1%) problematisch. Daher wird heute häufig
ziert. Gussglas ist mit Ausnahme des Drahtspiegel- das AR-Glas (alkali-resistent) verwendet, wobei
glases (poliertes Drahtglas) meist nahezu undurch- die Fasern über 10% Zirkonoxid (ZrO2) enthalten
sichtig, jedoch lichtdurchlässig. Ein Vorteil des (Tabelle 3.8-1).
Drahtglases ist, dass die Bruchstücke nach dem
Bruch zusammengehalten werden. Drahtglas kann Glaskeramik
so feuerhemmend wirken, da es zwar nicht den Glaskeramik ist ein Glasprodukt, das beim Abküh-
Durchtritt der Wärmestrahlung, aber den Flam- len durch eine vorgegebene präzise Temperatur-
men- und Brandgasdurchtritt verhindert. führung in verschiedene Phasen auskristallisiert.
Eine spezielle Form des Gussglases ist das Pro- Durch die gesteuerte Kristallisation können er-
filglas, das z. B. in Form von U-Profilen gegossen wünschte Eigenschaften wie hohe Bruch- und Ver-
wird und häufig im Industriebau, aber auch zur schleißfestigkeit sowie gute Temperaturwechsel-
Fassadenkonstruktion eingesetzt wird. beständigkeit gezielt eingestellt werden. Die Farb-
gebung und das Aussehen der Oberfläche lassen
Schaumglas sich ebenfalls in weiten Grenzen wie gewünscht
Schaumglas (engl.: foamglas) ist ein in einem ther- erzielen. Glaskeramiken sind dabei meist undurch-
mischen Prozess aufgeschäumter Stoff mit vielen sichtig und werden beispielsweise als Fassaden-
kleinen geschlossenen Zellen. Es wird zur Wärme- platten eingesetzt (structuran).
dämmung eingesetzt, z. B. beim Bau von Flachdä-
chern oder zur Isolierung von Bodenplatten. Vor- Glassteine
teile des Schaumglases sind der besonders geringe Glassteine nach DIN 18175 sind Hohlkörper, die in
Wärmedurchgang bei hoher Wasserdampfdiffusi- einem Pressverfahren in verschiedenen Größen
onsdichte, die Beständigkeit gegen chemischen (meist zwischen 19 und 30 cm Kantenabmessung)
Tabelle 3.8-1 Mechanische Eigenschaften von Glasfasern im Vergleich mit anderen Fasern
1418 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
hergestellt werden. Sie können glatt und durchsich- weicheren Oberfläche (Mohs-Härte 2 bis 3), dem
tig, ornamentiert oder in der Masse eingefärbt sein. geringen, temperaturabhängigen E-Modul und den
Glassteinwände müssen nach DIN 4242 bemessen ausgeprägten Kriecheigenschaften.
werden, Betonglaskonstruktionen nach DIN 1045.
3.8.2.2 Veredelungsprodukte
Glasrohre
Glasrohre werden insbesondere in der chemischen Vorgespanntes Glas
Industrie für den Transport von Flüssigkeiten ver- Einscheiben-Sicherheitsglas (ESG). ESG, oft fälsch-
wendet. Zur Herstellung wird meist ein Borosili- licherweise als „gehärtetes Glas“ bezeichnet, ist ein
catglas verwendet, das aufgrund seiner geringen Glas, das durch erneutes Erhitzen bis zum Transfor-
Wärmedehnung eine besonders hohe Temperatur- mationspunkt und anschließendes schnelles Abküh-
wechselbeständigkeit aufweist (>100 K). Glas- len (Anblasen mit Luft) in einen Eigenspannungszu-
rohre stellen für den konstruktiven Glasbau eine stand versetzt wird, bei dem der Kern einer Scheibe
interessante Ausgangsform dar, da große Biege- unter Zugbeanspruchung und die Oberfläche unter
momente übertragen werden können, ohne dass Druckbeanspruchung steht. Dadurch kann der festig-
Verbindungsmittel erforderlich sind (Abb. 3.8-4). keitsmindernde Einfluss der Oberflächenfehler dras-
tisch vermindert werden, denn diese können erst
Acrylglas wirksam werden, wenn aus Last oder Zwang Zug-
Acrylglas ist ein Hochpolymer-Kunststoff (Polym- spannungen an der Oberfläche erzeugt werden. Auch
ethylmethacrylat, PMMA, Plexiglas®) und somit die Temperaturwechselbeständigkeit des voll vorge-
kein Glas gemäß vorstehender Definition. Vorteile spannten Glases nimmt erheblich zu (ca. 200 K). Der
des Acrylglases bestehen in seiner Flexibilität, Spannungsverlauf (Abb. 3.8-5) entspricht in guter
mechanischen Bearbeitbarkeit, kleineren Dichte Näherung einer einfachen Parabel mit
(1180 kg/m3) und geringeren Sprödigkeit gegen-
über Glas (KIc = 1,62 N/mm2m1/2), Nachteile in der V = V0 [1–3(z/h)2]; (3.8.1)
3.8 Glasbau 1419
Abb. 3.8-5 Spannungsverlauf bei thermisch vorgespanntem Glas. a Eingeprägte Vorspannung; b Äußere Belastung;
c Überlagerung
Abb. 3.8-7 Bruchbilder von teilvorgespanntem Glas (TVG) a im Bruchversuch nach prEN 1863, b an einer punktgela-
gerten Scheibe (x = Anschlagstellen)
Abb. 3.8-9 Aufbau von Verbundglas (VG) Abb. 3.8-10 Aufbau eines Isolierglases
klebt wird. Der so dampfdicht abgeschlossene SZR krümmtes Glas im Fassadenbau, für Überkopfver-
ist entweder luft- oder gasgefüllt. Isoliergläser glasungen oder im Innenausbau als Gestaltungsele-
werden zur Wärme- und Schalldämmung einge- ment verwendet. Neben Floatglasscheiben können
setzt. Isolierglas wird Wärmeschutzglas genannt, auch thermisch vorgespannte Gläser, Verbund- und
wenn mindestens eine der Scheiben zum SZR be- Isoliergläser gekrümmt hergestellt werden. Die Fer-
schichtet ist und der SZR mit einem Edelgas (z. B. tigung von gekrümmten Verbundgläsern mit Bohrun-
Argon oder Xenon) gefüllt ist (Abb. 3.8-10). gen ist aufgrund der Maßtoleranzen sehr aufwändig.
Man unterscheidet das Schwerkraftbiegeverfahren
Brandschutzglas und maschinelle Verfahren. Da eine Beschichtung
Bei einseitiger Hitzeeinwirkung „springen“ Float- der Gläser nach dem Biegen i. d. R. mit den üblichen
und Gussgläser in kurzer Zeit, und es droht durch Beschichtungsmechanismen nicht möglich ist, kön-
das Herausfallen von Bruchstücken ein Feuerüber- nen nur Gläser mit harter Beschichtung gebogen
schlag. Brandschutzverglasungen können den Feu- werden [VEGLA 1997].
erwiderstandsklassen G oder F zugeordnet werden.
Wenn sie den Flammen- und Brandgasdurchtritt
3.8.2.3 Mechanische Eigenschaften
einen bestimmten Zeitraum verhindern, werden sie
von Gläsern
als Brandschutzglas eingestuft (G30 bis G120), so
z. B. Drahtglas, Glasbausteine und bestimmte vor- Die wichtigsten mechanischen Eigenschaften der be-
gespannte Gläser (ESG aus Borosilicatglas). Hoch- schriebenen Gläser sind in Tabelle 3.8-2 aufgeführt.
wertige Brandschutzgläser, die den Durchtritt von
Hitzestrahlung verhindern und sich auf der dem
Feuer abgekehrten Seite im Mittel nicht mehr als 3.8.3 Bemessungskonzepte für Glas
um 140 K erwärmen, gehören den Klassen F30 bis
3.8.3.1 Bemessungskonzept mit globalen
120 (DIN 4102 Teil 2) an. Isoliergläser, bei denen
Sicherheitsbeiwerten
im Scheibenzwischenraum ein anorganisches auf-
schäumbares Material, eine spezielle wasserhaltige Bisher wurden Verglasungskonstruktionen in
Gelschicht oder eine Bor-Aluminiumphosphat- Deutschland nach den Technischen Regeln für die
Schicht enthalten ist, erfüllen diese Klassen. Verwendung von linienförmig gelagerten Vergla-
sungen [TRLV 2006] und den Technischen Regeln
Gekrümmtes Glas für die Verwendung von absturzsichernden Vergla-
Im Fahrzeugbau setzt man heute fast ausschließlich sungen [TRAV 2003] sowie den Technischen Re-
gekrümmte Gläser ein. Im Bauwesen wird ge- geln für die Bemessung und Ausführung punktge-
1422 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
stützter Verglasungen [TRPV 2006] bemessen und sige Spannungen (Sicherheit auf der Widerstands-
ausgeführt. Darin wird der Nachweis durch Ver- seite) zugrunde gelegt werden (Tabelle 3.8-3).
gleich der vorhandenen Zugspannung mit einer zu-
lässigen Spannung geführt:
3.8.3.2 Bemessungskonzept mit
Teilsicherheitsbeiwerten
(3.8.2)
Inzwischen liegt fast allen Bemessungsregeln im
Bauwesen das Teilsicherheitskonzept mit der Be-
wobei Vzul die zulässige Spannung, J den globalen rechnung der Einwirkungen und des Widerstands
Sicherheitsbeiwert und VR die Glasfestigkeit be- mit Hilfe von Teilsicherheitsfaktoren und charak-
zeichnen. Der Begriff „globaler Sicherheitsbei- teristischen Werten zu Grunde. Daher soll auch im
wert“ bedeutet, dass der Faktor J gleichzeitig alle, Glasbau auf das Teilsicherheitskonzept umgestellt
d. h. mit den Einwirkungen, den Widerständen des werden, in dem geplant ist, die oben genannten
Glases und dem Berechnungsmodell behaftete Un- Ausführungsregeln (TRLV, TRAV, TRPV) durch
sicherheiten und Einflüsse abdecken soll. Ein glo- DIN 18008-Glas im Bauwesen zu ersetzen. Gleich-
baler Sicherheitsbeiwert J kann aber die Einflüsse zeitig soll der aktuelle Stand der Technik in die
der Glasscheibenfläche und der Belastungsdauer Neuregelungen einfließen und eine Grundlage ge-
nicht ohne weiteres hinreichend berücksichtigen. schaffen werden, die es erlaubt, Neuentwicklungen
Vom Nachweiskonzept her ist es für eine norma- im Glasbau zukünftig einfacher durch Ergänzun-
le Biegebemessung unerheblich, ob der globale gen zu erfassen. Dies würde eine erhebliche Er-
Sicherheitsfaktor auf der Einwirkungs- oder Wi- leichterung bedeuten, da eine Vielzahl üblicher
derstandsseite angesetzt wird. Insbesondere bei Verglasungskonstruktionen von oben genannten
Verlassen des linearen Zusammenhangs zwischen Regelwerken (TRLV, TRAV, TRPV) abweichen
Belastung und Beanspruchung (z. B. Effekte aus und somit für diese momentan noch Zustimmun-
der Theorie II. Ordnung) sind Betrachtungen der gen im Einzelfall oder allgemeine bauaufsichtliche
Streuungen auf der Einwirkungs- und der Wider- Zulassungen notwendig sind, was mit sehr hohem
standsseite und daraus folgend die Anwendung Aufwand verbunden ist.
von Teilsicherheitsbeiwerten sinnvoll. DIN 18008 hat zum Ziel, die wesentlichen und
Mit dem Konzept der globalen Sicherheitsbei- besonderen Parameter des Werkstoffs Glas (z. B.
werte können folgende Bemessungswerte als zuläs- die Zeitabhängigkeit der Festigkeit von Floatglas,
3.8 Glasbau 1423
Tabelle 3.8-5 Durchbiegungsbegrenzungen für Überkopfverglasungen und Vertikalverglasungen nach den Technischen
Regeln für die Verwendung von linienförmig gelagerten Verglasungen (TRLV 2006)
3.8.4.7 Resttragfähigkeit
Unter Resttragfähigkeit versteht man ganz allge-
Abb. 3.8-12 Schubverbund bei Verbundgläsern
mein den Widerstand gegen vollständiges Versa-
gen eines teilweise zerstörten Systems. Im Glasbau
tum ist lastunabhängig und wird durch Wärmeein- wird dieser Begriff im Zusammenhang mit dem
wirkung beschleunigt. Tragverhalten von VSG/VG-Scheiben verwendet,
Die Wahrscheinlichkeit dieses sog. „Spontan- bei denen durch eine Lasteinwirkung (oder Spon-
bruches“ wurde auf der Grundlage statistischer tanbruch) bereits eine oder mehrere Scheiben zer-
Daten zu 1,3·10-4 pro Jahr berechnet. Durch ent- stört wurden. Ein Nachweis der Resttragfähigkeit
sprechende thermische Beaufschlagung (o Heiß- muss immer auf das jeweilige Bauteil und die
lagerungstest) kann das Wachstum der Nickel- dort gewünschten Sicherheitsanforderungen abge-
Sulfid-Einschlüsse so beschleunigt werden, dass stimmt werden. So ist z. B. der Nachweis der Rest-
alle Einschlüsse zu über 99% umgewandelt tragfähigkeit bei begehbarem Glas mit anderen
werden. Unter Berücksichtigung, dass der ther- Randbedingungen zu führen als bei Überkopf-
mische Ausdehnungskoeffizient der Nickel-Sul- verglasungen. Im Allgemeinen werden jedoch zum
fid-Einschlüsse größer ist als der des Glases, ist Nachweis der Resttragfähigkeit eine oder mehrere
die Gefahr eines Spontanbruchs infolge NiS wäh- Scheiben einer Verbundglaseinheit bei geminder-
rend der Gebrauchsdauer theoretisch vollständig ter Bemessungslast zerstört, und die Zeit bis zum
gebannt. Unter Berücksichtigung verschiedener vollständigen Versagen des Systems wird gemes-
Einflüsse (thermischer und menschlicher Natur) sen [Shen 1997, Landesgewerbeamt Baden-Würt-
kann ein Heißlagerungstest (heat-soak test) nach temberg 1998, Hessisches Ministerium für Wirt-
DIN 18516 Teil 4 die Gefahr des Spontanbruchs schaft, Verkehr und Landesentwicklung: Glass-Er-
1428 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
lass]. In DIN 18008 wurde versucht, die Resttrag- wendigerer Berechnungen. Die Beschaffenheit der
fähigkeit im Teil 1 allgemein zu definieren, damit Kanten und Oberflächen im Bereich der Bohrung
in den Teilen 2 ff. je nach Konstruktionsart unter- hat dabei wesentlichen Einfluss auf die Tragfähig-
schiedliche Anforderungen an die Resttragfähig- keit. Deswegen sollte man für punktgelagerte
keit in Abhängigkeit der Einbausituation (z. B. Ho- Scheiben nur vorgespannte Gläser verwenden.
rizontalverglasungen, begehbare Verglasungen), Der Einfluss von Zwängungsbeanspruchungen
der Konstruktion (z. B. zwei- oder vierseitige La- lässt sich minimieren und somit die Tragfähigkeit
gerung), der Versagensszenarien (z. B. Bruch einer der Scheiben besser ausnutzen, wenn man punkt-
oder mehrerer Scheiben eines VSG-Verbundes) gelagerte Scheiben statisch bestimmt lagert. Eine
und der zu berücksichtigenden Einwirkungen ge- Lagerung senkrecht zur Scheibenebene mit gerin-
stellt werden können. Die Resttragfähigkeit von ger Zwängung kann man durch Punkthalter ge-
VSG aus ESG ist – besonders bei Punktlagerung währleisten, die mit einem Gelenk versehen sind.
– sehr gering gegenüber der von VSG aus Float- Am wirkungsvollsten ist ein Kugelgelenk, das ge-
glas und VSG aus TVG (Abb. 3.8-14). nau in der Scheibenmittellinie liegt (Abb. 3.8-15 u.
Abb. 3.8-16).
In der Scheibenebene ist die statisch bestimmte
3.8.4.8 Punktförmig gelagerte Scheiben
Lagerung punktgehaltener Scheiben durch die An-
Liniengelagerte Fassaden- und Überkopfvergla- ordnung von Fest- und Loslagern erreichbar. Dazu
sungen lassen sich aufgrund des klar bestimmbaren benötigt man drei Auflagerreaktionen, deren Wir-
Spannungsverlaufes in Platten auch mit einfachen kungslinien sich nicht in einem Punkt schneiden
Hilfsmitteln (z. B. mit Tabellenwerten oder der (Abb. 3.8-17). Die Loslager lassen sich z. B. kons-
Bachschen Plattenformel) sicher berechnen und truktiv durch Langlöcher in der Unterkonstruktion
bemessen. Dabei tragen sie ihr Eigengewicht i. d. R. realisieren. Kann man eine statisch bestimmte La-
über die Verklotzung ab. Das Tragverhalten punkt- gerung nicht gewährleisten, z. B. durch eine starre
förmig gelagerter Glasscheiben bedarf dagegen auf- Lagerung der Scheiben, müssen sämtliche Zwän-
3.8 Glasbau 1429
Entscheidend ist, den Kontakt Glas-Metall auch fettfrei sein. Über die Schichtdicke und den E-Modul
im Bereich der Anschlusspunkte zu vermeiden und des Klebstoffs ist es möglich, den Kraftfluss und das
trotzdem eine Kraftübertragung zu ermöglichen. Verformungsverhalten der Klebeverbindung zu steu-
ern und Spannungsspitzen zu minimieren. Besondere
Beachtung verdient die Ausführung von Klebever-
3.8.5.2 Klebeverbindungen
bindungen, da sie nur unter kontrollierten Bedin-
Klebeverbindungen ermöglichen eine sehr gleichmä- gungen, d. h. unter Umständen in klimatisierten Räu-
ßige Lasteinleitung. Die Oberflächenvorbereitung men, durchführbar sind. Zudem können Temperatur-
der Kontaktflächen ist – im Gegensatz zu anderen schwankungen zu erheblichen Spannungen im Glas
Werkstoffen – bei Glas sehr einfach, denn die zu ver- führen, weil Kleber und Glas sehr unterschiedliche
klebenden Flächen müssen lediglich trocken und Wärmeausdehnungskoeffizienten haben.
3.8 Glasbau 1431
Abb. 3.8-16 Lagerung von punktgelagerten Glasscheiben Abb. 3.8-17 Statisch bestimmte Lagerung von punktgela-
senkrecht zur Scheibenebene (einfach statisch unbestimmt) gerten Glasscheiben in der Scheibenebene (dargestellt sind
die jeweiligen Freiheitsgrade)
Abb. 3.8-18 Elementnetz eines im Bohrungsbereich verfeinerten Finite-Element-Modells zur realistischen Erfassung
von Spannungen
1432 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
Abb. 3.8-23 Transparente Fassadenkonstruktion mit Stahlseilen zur Aussteifung (BHF-Bank, Offenbach)
3.8 Glasbau 1435
Tabelle 3.8-6 Zulässige Glasarten bei linienförmig gelagerten Überkopfverglasungen gemäß TRLV 2006
Abb. 3.8-24 Zentrale Glashalle der Neuen Messe Leipzig mit VSG aus ESG als Dachverglasung
den sind insbesondere für die Überwachung von Charlier H (1997) Bauaufsichtliche Anforderungen an Glas-
TVG hilfreich, bei dem die Oberflächendruckspan- konstruktionen. Der Prüfingenieur 11 (1997) S 44–54
nung in einem Bereich zwischen 40 N/mm2 und Exner G (1986) Abschätzung der erlaubten Biegespannung
in vorgespannten Glasbauteilen. Glastechnische Be-
55 N/mm2 liegen sollte (großflächiges Bruchbild).
richte 59/9, S 299–312
Die Anwendung von Glas als Konstruktions- Feldmeier F (1984) Belastungen von Isoliergläsern durch
werkstoff ist bisher nur in wenigen Regelwerken Klimaschwankungen. Fenster und Fassade 2, S 41–52
erfasst. Für alle Konstruktionsarten, die nicht von Feldmeier F (1996) Zur Berücksichtigung der Klimabelas-
den jeweiligen gültigen Regelwerken betroffen sind, tung bei der Bemessung von Isolierglas bei Überkopf-
bedarf es einer Zustimmung im Einzelfall durch die verglasung. Stahlbau 65 (1996) 8, S 285–293
jeweilige oberste Landesbaubehörde. Neben der Feldmeier F (1997) Die Statik von Isolierglas. In: Otti
Anwendung von Regelwerken und der Zustimmung Technologie-Kolleg (Hrsg) Glas im Bauwesen. Eigen-
im Einzelfall besteht für Hersteller von Glaskons- verlag, Regensburg, S 1–15
Flachglas AG (1997) Das Glas-Handbuch. Eigenverlag,
truktionen die Möglichkeit, eine allgemeine bauauf-
Gelsenkirchen
sichtliche Zulassung für ihre Konstruktion beim
Freunde des Instituts für Massivbau der TH Darmstadt
Deutschen Institut für Bautechnik (DIBt Berlin) zu (1993) Konstruieren mit Glas. Darmstädter Massivbau-
beantragen. Abb. 3.8-27 gibt das Vorgehen zur Fest- Seminar Bd 9, Technische Hochschule Darmstadt
stellung der Genehmigungspflicht wieder. Gläser H-J et al. (1995) Mehrscheiben-Isolierglas. Bd 357
Expert-Verlag, Ehingen
Griffith A A (1920) The phenomena of rupture and flow in
Literaturverzeichnis Kap. 3.8
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1438 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
die auftretenden Lasten und ihre Weiterleitung im schiedlich weites Hineinziehen des Konus in die
Bauteil ist jedoch in jedem Fall erforderlich. Spreizhülse ausgeglichen werden.
Für die Montage von Dübeln wird ein Bohrloch Das aufgebrachte Drehmoment dient als Setz-
erstellt, das Befestigungsmittel hineingesteckt und kontrolle. Es ist vom Hersteller vorgeschrieben und
verankert. Das Tragverhalten der meisten Dübelsys- bei der Montage unbedingt einzuhalten. Dübel kön-
teme wird durch die Bohrlochgeometrie beeinflusst. nen nur dann als ordnungsgemäß gesetzt betrachtet
Deshalb sollen die Bohrlöcher mit Bohrern erstellt werden, wenn beim Setzen das vorgeschriebene
werden, die die in [IfBt 1977] geforderten Toleranz- Drehmoment aufgebracht, der Dübel verspreizt und
grenzen einhalten. Solche Bohrer sind durch eine damit eine definierte Vorspannkraft im Dübel er-
entsprechende Prüfmarke gekennzeichnet. zeugt werden konnte. Daher muss das Anziehen
Im konstruktiven Ingenieurbau werden zur stets mit einem kalibrierten Drehmomentenschlüs-
Übertragung mittlerer und hoher Lasten Metall- sel erfolgen. Andernfalls gilt der Dübel als falsch
spreiz-, Hinterschnitt- und Verbunddübel angewen- gesetzt und darf nicht belastet werden.
det. Für gering beanspruchte Befestigungen stehen Drehmomentkontrolliert spreizende Dübel lei-
Kunststoff- und Injektionsdübel sowie Deckenab- ten äußere Zugkräfte vorwiegend über Reibung
hänger zur Verfügung. zwischen der Hülsenaußenseite und der Bohrloch-
wandung in den Ankergrund ein. Übersteigt die
Metallspreizdübel äußere Last die vorhandene Vorspannkraft, wird
Metallspreizdübel sind zumeist in den Größen M 6 der Konus weiter in die Spreizhülse gezogen, und
bis M 24 in galvanisch verzinktem (Schichtdicke so die Haltekraft des Dübels aufrechterhalten. Die-
t 5P) oder nichtrostendem Stahl erhältlich und ser Vorgang wird als Nachspreizen bezeichnet.
dürfen nur in Beton als Ankergrund eingesetzt Wegkontrolliert spreizende Dübel sind Innenge-
werden. Sie werden in drehmomentkontrolliert windedübel. Sie werden entweder durch Einschlagen
und wegkontrolliert spreizende Dübel unterteilt des Konus in die Hülse (Einschlagdübel, Abb. 3.9-
(Abb. 3.9-3). 3b1) oder durch Schlagen der Hülse auf den Konus
Drehmomentkontrolliert spreizende Dübel (Abb. 3.9-3b2) über einen definierten Weg verspreizt.
(Abb. 3.9-3a) werden durch definiertes Anziehen Dübel nach Abb. 3.9-3b1 leiten äußere Zuglasten
der Schraube oder Mutter verankert. Dabei wird in vorwiegend durch Reibung, Dübel nach Abb. 3.9-
der Schraube oder im Bolzen eine Vorspannkraft 3b2 zusätzlich durch eine geringe mechanische Ver-
erzeugt und der Konus in die Spreizhülse bzw. zahnung in den Untergrund ein. Wegkontrolliert
Spreizsegmente gezogen. Hierdurch werden diese spreizende Dübel können nicht nachspreizen.
gegen die Bohrlochwand gepresst. Bohrlochtole- Die bei der Montage entstehende Spreiz- oder
ranzen können in gewissem Umfang durch unter- Spaltkraft ist bei wegkontrolliert spreizenden Dü-
3.9 Befestigungstechnik 1443
beln insbesondere bei denen nach Abb. 3.9-3b1 angestrebt. Hierfür gibt es unterschiedliche Ansätze.
erheblich größer als bei drehmomentkontrolliert Allen gemeinsam ist, dass im ersten Arbeitsschritt
spreizenden Dübeln. Daher sind auch die erforder- ein zylindrisches Bohrloch erstellt werden muss.
lichen Mindestachs- und -randabstände größer. In einem zweiten Arbeitsschritt wird das Bohrloch
Dübel nach Abb. 3.9-3b1 sind zudem empfind- entweder mit Hilfe eines speziellen Hinterschnitt-
lich gegenüber Bohrlochtoleranzen und einer un- werkzeuges an einer definierten Stelle um ein defi-
vollständigen Verspreizung. Daher ist bei der Mon- niertes Hinterschneidmaß aufgeweitet (Abb. 3.9-
tage dieser Einschlagdübel die Verwendung von 4a-c), oder der Hinterschnitt wird bei der Montage
Bohrern, die die nach [IfBt 1977] vorgeschriebenen über das drehschlagende Setzen mit einer Bohrma-
Fertigungstoleranzen einhalten, besonders wichtig. schine erzeugt (Abb. 3.9-4d, e).
Der Dübel ist dann richtig montiert, wenn der Bei dem Hinterschnittdübel nach Abb. 3.9-4a
Bund des auf die jeweilige Dübelgröße abgestimm- ist der Hinterschnitt zur Betonoberfläche gerichtet.
ten Setzwerkzeuges auf der Dübelhülse aufsitzt. Eine Die Spreizschalen klappen an der Stelle des Hin-
ordnungsgemäße Montage ist nur mit Hilfe dieses terschnitts aus und werden beim Anspannen des
speziellen Setzwerkzeuges möglich. Hierzu ist eine Bolzens gegen die Stützfläche gepresst.
große Anzahl von Hammerschlägen erforderlich. Bei allen anderen Hinterschnittdübelsystemen
Baustellenuntersuchungen [Eligehausen/Meszaros ist der Hinterschnitt schwalbenschwanzartig zur
1992] haben gezeigt, dass die meisten Einschlagdü- Bohrlochtiefe hin ausgeformt.
bel in der Praxis nur unvollständig verspreizt sind. Der Hinterschnitt wird bei Hinterschnittdübeln
Deshalb sind Setzkontrollen durchzuführen. gemäß Abb. 3.9-4b unter Verwendung eines spezi-
Wegkontrolliert spreizende Dübel werden mit ellen kombinierten Bohr- und Hinterschneidwerk-
Innengewinden der Größen M 6 bis M 20 aus gal- zeuges hergestellt. Der Hinterschnitt wird durch
vanisch verzinktem und nichtrostendem Stahl her- kreisförmiges Schwenken des Bohrers erzielt. An-
gestellt. schließend wird die Spreizhülse mit einem Setz-
werkzeug über den Konus in den hinterschnittenen
Hinterschnittdübel Beton getrieben.
Bei Hinterschnittdübeln wird wie bei Einlegeteilen Bei Dübeln nach Abb. 3.9-4c wird der Hinter-
eine Verzahnung des Dübels mit dem Ankergrund schnitt in einem zweiten Arbeitsgang mit einem
Häufig werden auch Betonschrauben als De- se und der Bohrlochwand, da der Kunststoff auf
ckenabhänger verwendet. Die vorstehenden Aus- Grund seiner Weichheit nicht dazu in der Lage ist,
sagen gelten hierfür sinngemäß. das Material des Ankergrundes zu verdrängen. In
Loch- und Hohlsteinen tragen die Dübel ebenfalls
Kunststoffdübel aufgrund von Reibung. Durch die zusätzliche Ver-
Kunststoffdübel lassen sich hinsichtlich ihres An- zahnung der Hülse mit den angebohrten Stegen der
wendungsbereiches in Systeme für Befestigungen in Steine wird ein weiterer, allerdings geringer Beitrag
Beton und Mauerwerk aus Voll-, Loch- und Hohlstei- zur Haltekraft geliefert. Um bei diesen Steinen das
nen sowie für Porenbeton (Gasbeton) unterteilen. Anpressen des Dübels an die Stege zu gewährleis-
Sie bestehen aus einer Dübelhülse mit Spreiz- ten, ist die Lage des Spreizbereiches auf die unter-
teil und einer Stahlschraube (Abb. 3.9-6a) oder schiedlichen Lochbilder abzustimmen. In der Regel
im Falle eines Schlagspreizdübels (Abb. 3.9-6b) sind Dübel mit verlängerter Spreizhülse zu verwen-
einem Schraubnagel. Das Spreizteil der Dübel ist den und Versuche am Bauwerk durchzuführen.
geschlitzt und besitzt Sperrzungen zur Sicherung In Leichthochlochziegeln dürfen die Bohrlöcher
gegen Mitdrehen beim Ein- und Ausdrehen der nur im Drehgang, d. h. ohne Hammer- oder Schlag-
Schraube bzw. des Schraubnagels. Als Hülsen- wirkung, hergestellt werden, da sonst die Stege
werkstoff für bauaufsichtlich zugelassene Kunst- durch die hohe Schlagenergie zerstört würden. Dann
stoffdübel kommt bisher nahezu ausschließlich wäre keine sichere Verankerung mehr möglich.
Polyamid PA6 und PA66 zum Einsatz. Falsch gesetzte und ausgebaute Kunststoffdübel
Die Dübelhülse wird durch Eindrehen der dürfen nicht wieder verwendet werden.
Schraube oder Einschlagen des Schraubnagels ge- Bei den zur Befestigung von Fassadenbeklei-
spreizt. Die Schraube bzw. der Schraubnagel ist dungen und vergleichbaren statischen Systemen
bis zum Rand der Dübelhülse einzudrehen bzw. bauaufsichtlich zugelassenen Kunststoffdübeln
einzuschlagen, sodass die Spitze der Schraube oder dürfen Dübel und zugehörige Spezialschraube nur
des Nagels das Ende der Dübelhülse durchdringt. als zusammengehörig gelieferte Befestigungsein-
Dabei prägt und schneidet sich die Schraube ein Ge- heit eingesetzt werden. Länge, Durchmesser und
winde in den Kunststoff und presst gleichzeitig die Gewinde der mitgelieferten Schraube sind zur Er-
Hülse gegen die Bohrlochwand. zielung eines optimalen Tragverhaltens auf die
In Vollmaterial (Normalbeton und Vollsteine) Dübelhülse abgestimmt. Weiterhin verhindert ein
wirken die Dübel durch Reibung zwischen der Hül- Kragen am Hülsenende ein Tieferrutschen der Hül-
se ins Bohrloch. Zusätzlich ist die erforderliche
Verankerungstiefe auf der Hülse markiert. Durch
diese Maßnahmen sollen Montagefehler ausge-
schlossen werden.
Für Befestigungen in Porenbeton sind normale
Kunststoffdübel nicht geeignet. Für diesen Anwen-
dungsfall wurden spezielle Dübel entwickelt und
zugelassen. Sie sind in [Eligehausen/Mallée 2000]
ausführlich beschrieben.
Verbunddübel, Injektionssysteme
Injektionssysteme sind i. d. R. als Zweikomponen-
tensysteme aufgebaut. Dabei enthalten Kunststoff-
behälter (Kartuschen oder Folienschläuche) vorkon-
fektionierte Mengen von Harz und Härter (Abb. 3.9-
9). Diese werden beim Einbringen in das Bohrloch
mit Hilfe eines auf die Kartuschen oder Folienverpa-
ckung angepassten Auspressgerätes durch einen spe-
Abb. 3.9-8 Verbunddübel ziellen Mischer ausgepresst. Die zum Injektionssys-
tem gehörige Gewindestange oder Innengewinde-
hülse wird anschließend ins Bohrloch gedrückt und
Dabei werden die Patrone zerstört, Harz, Zuschlag- dabei leicht gedreht, um den Kontakt zwischen An-
stoffe und zerstörte Patrone gut durchmischt und ker und Verbundmasse zu verbessern. Beim Einbrin-
verdichtet sowie der Ringspalt zwischen Gewinde- gen dürfen sich in der Verbundmasse keine Luftbla-
stange und Bohrlochwand satt ausgefüllt (Abb. 3.9- sen bilden. Injektionssysteme sind bisher für den
8). Die Mörtelmenge ist so konfektioniert, dass beim Einsatz im gerissenen und ungerissenen Beton so-
Erreichen der erforderlichen Setztiefe am Bohrloch- wie in Voll- und Hohlmauerwerk verfügbar und bau-
mund Überschussmörtel austritt. Dies ist das Kriteri- aufsichtlich zugelassen.
um für eine vollständige Vermörtelung der Gewin- Bei gleicher Verankerungstiefe ist die Tragfä-
destange und dient als Setzkontrolle. higkeit von Injektionsdübeln im gerissenen Beton
Diese Verbundankersysteme sind für den Ein- wesentlich niedriger als die von risstauglichen
satz im ungerissenen Beton bestimmt und in den Verbunddübeln.
Injektionsdübelsysteme für die Anwendung in Zugkraft in die Ankerstange eingeleitet, löst sich
Beton sind üblicherweise in den Größen M 8 bis der Verbund zwischen Ankerstange und Verbund-
M 30 erhältlich. Die Verankerungstiefe kann den mörtel, und es zieht die Konen in den Verbundmör-
erforderlichen Anwendungsbedingungen angepasst tel, der als Spreizhülse wirkt. Dadurch entstehen
werden und das 4- bis 20-fache des Ankerstangen- Spreizkräfte und damit Reibungskräfte zwischen
durchmessers betragen. Die Mindestverankerungs- Mörtelhülse und Bohrlochwandung. Diese sind
tiefe beträgt 60 mm. ausreichend hoch, um die Zugkraft in den Unter-
grund einzuleiten, ohne dass die Klebewirkung des
Risstaugliche Verbunddübel Mörtels in Anspruch genommen wird. Der Veran-
Risstaugliche Verbunddübel wie Verbundhinter- kerungsmechanismus ist damit ähnlich wie bei
schnitt- und -spreizdübel sind im Gegensatz zu kraftkontrolliert spreizenden Metalldübeln. Die
normalen Verbunddübeln zur Übertragung von Spreizkräfte sind jedoch geringer.
Lasten mit überwiegendem Zuganteil in geris- Im ungerissenen Beton weisen risstaugliche
senem Beton geeignet. Verbunddübel und normale Verbunddübel ein ver-
Verbundhinterschnittdübel (Abb. 3.9-10) spielen gleichbares Verhalten auf.
auf dem Markt eine untergeordnete Rolle. Ihre Mon- Risstaugliche Verbunddübel werden aus galva-
tage gestaltet sich so wie bei Verbunddübeln. Ledig- nisch verzinktem und nichtrostendem Stahl herge-
lich bei der Erstellung des Bohrloches ist ein zwei- stellt und sind in den Größen M 10 bis M 24 ver-
ter Arbeitsgang zur Erstellung des Hinterschnitts fügbar. Ihre Verankerungstiefe beträgt etwa das
mit einem Spezialwerkzeug erforderlich. Die einge- 8- bis 10-fache des Ankerstangendurchmessers.
leitete Zugkraft wird durch Verbund im Bereich des
Hinterschnitts in die Kunstharzmasse und durch Injektionsdübel für Mauerwerk
mechanische Verzahnung in den Beton eingeleitet. Der Tragmechanismus von Injektionsdübeln, die
Verbundspreizdübel (Abb. 3.9-11) besitzen für den Einsatz in Poren- und Leichtbeton sowie in
durch Konen modifizierte Gewindestangen und Loch- und Hohlsteinen entwickelt wurden, beruht
werden in einem zylindrischen Bohrloch veran- maßgeblich auf einem Formschluss mit dem An-
kert. Das Setzen der Ankerstange erfolgt wie bei kergrund.
üblichen Verbund- oder Injektionsdübeln schla- Das System in Abb. 3.9-12 besteht aus einer
gend/drehend bzw. drückend/drehend. Wird eine profilierten Dübelhülse mit Innengewinde, einem
3.9 Befestigungstechnik 1449
Bauteiles (Abb. 3.9-14d) oder kegelförmigem Be- werte für Rand- und Achsabstände sowie für die
tonausbruch (Abb. 3.9-14c) auf. Bei Veranke- Bauteildicke verhindert.
rungen sehr nahe am Rand mit großen Veranke- Bei der Versagensart Betonausbruch erzeugt die
rungstiefen, z. B. Kopfbolzen, tritt Versagen durch Verankerung einen kegelförmigen Betonausbruch-
seitlichen Betonausbruch auf (Abb. 3.9-14e). körper (Abb. 3.9-14c1) mit einer Neigung der
Kegelmantelfläche von im Mittel ca. 35°. Dabei
Der Widerstand gegen Stahlversagen wird nach wird die Zugfestigkeit des Betons ausgenutzt. Bei
den im Stahlbau üblichen Regeln berechnet. Bei einer Gruppenbefestigung mit geringen Achsab-
Ankerschienen und Kopfbolzen kann die Versa- ständen zwischen den Befestigungselementen kommt
gensart Herausziehen durch die Begrenzung der es zu einem gemeinsamen Betonausbruchkörper
Unterkopfpressung verhindert werden [Furche (Abb. 3.9-14c2). Ist die Befestigung am Rand ange-
1994]. Bei Dübeln hängt die Herausziehlast von ordnet, erfolgt Kantenbruch (Abb. 3.9-14c3).
der Konstruktion ab. Sie kann näherungsweise Bei Verankerungen, die in gerissenen Betonbau-
nach [Lehmann 1994] berechnet werden, wird je- teilen angeordnet sind, werden die gleichen Versa-
doch aufgrund des Einsatzes von innovativen Her- gensarten wie in ungerissenem Beton beobachtet.
stell- und Oberflächenbeschichtungstechniken, die Risse im Ankergrund beeinflussen jedoch das
das Reibverhalten der Dübel entscheidend beein- Tragverhalten. Die Betonausbruchlast beträgt bei
flussen und rechnerisch kaum zu berücksichtigen Einlegeteilen und risstauglichen Dübelsystemen
sind, im Rahmen von Zulassungsverfahren stets in im Mittel ca. 70% des Wertes im ungerissenen Be-
Versuchen ermittelt. ton [Eligehausen/Balogh 1995, Eligehausen u. a.
Zur Bestimmung des Widerstands gegen die 1989]. In Abb. 3.9-15 sind die Ausbruchlasten von
Versagensart Spalten des Bauteils (Abb. 3.9-14d) in Rissen verankerten risstauglichen drehmoment-
liegen bisher nur wenige Rechenansätze vor, z. B. kontrolliert spreizenden Dübeln bezogen auf die
[Asmus 1998]. Daher wird diese Versagensart bis- im ungerissenen Beton zu erwartenden Werte in
lang ebenfalls über Versuche abgeprüft und durch Abhängigkeit von der Rissbreite aufgetragen. Die
anwendungstechnische Maßnahmen wie Mindest- Versuchsergebnisse wurden in Dehnkörpern mit
1452 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
Abb. 3.9-15 Einfluss von Rissen auf die Betonausbruchlast bei zugbeanspruchten, risstauglichen, drehmomentkontrol-
liert spreizenden Dübeln (nach [Eligehausen/Balogh 1995])
Linienrissen ermittelt. Die Befestigungen ver- senen Beton ab. Die Versagensart im gerissenen
sagten durch Betonausbruch. Beton ist zumeist Herausziehen.
Drehmomentkontrolliert spreizende Dübel, die Die Versagensarten von Verankerungen unter
nicht für die Anwendung im gerissenen Beton kons- Querlasten sind in Abb. 3.9-18 dargestellt. Grund-
truiert wurden, spreizen nicht oder nur unkontrol- sätzlich kann das gleiche Verhalten wie unter Zug-
liert nach oder sie versagen durch Herausziehen belastung beobachtet werden:
(Abb. 3.9-16). Dieses Verhalten ist nicht definiert,
nicht eindeutig reproduzierbar und nicht vorherseh- – Heraus- oder Durchziehen tritt nur in Ausnahme-
bar. Solche Systeme erhalten vom Deutschen Insti- fällen auf, wenn die Haltekraft bei Zugbeanspru-
tut für Bautechnik keine Zulassung für Anwen- chung sehr gering ist.
dungen im gerissenen Beton. Auch Einschlagdübel – Stahlversagen wird häufig bei randfernen Befes-
sind – außer als Deckenabhänger in redundanten tigungen (Abb. 3.9-18a) beobachtet. Das Trag-
Systemen – bisher nicht für Anwendungen im geris- verhalten wird dann von der Duktilität des Stahls
senen Beton zugelassen, weil sie nicht nachspreizen des Verankerungsmittels bestimmt.
können. Abb. 3.9-17 zeigt Last-Verschiebungs-Kur- – Bei randfernen Verankerungen kann rückwär-
ven von vollständig verspreizten Einschlagdübeln tiger Betonausbruch (Abb. 3.9-18c) auftreten.
im ungerissenen und im gerissenen Beton. Die Last- Diese Bruchart ist häufig bei Verankerungen mit
Verschiebungs-Kurven im gerissenen Beton verlau- kleiner Verankerungstiefe zu beobachten, die mit
fen flacher und streuen deutlich stärker als im unge- engen Achsabständen angeordnet werden.
rissenen Beton. Die Tragfähigkeit im Riss bei einer – Randnah angeordnete Verankerungen versagen
Rissweite w = 0,3 mm beträgt bei großen Streu- durch Betonausbruch (Abb. 3.9-18b). Bei Einzel-
ungen im Mittel ca. 50% des Wertes im ungeris- verankerungen (Abb. 3.9-18b1) bildet sich nähe-
senen Beton. Werden die Dübel – wie häufig in der rungsweise eine Kegelhälfte aus. Der Winkel
Praxis [Eligehausen/Meszaros 1992] – nicht voll- zwischen der Mantellinie der Kegeloberfläche
ständig verspreizt, verlaufen die Last-Verschie- und einer Parallelen zur Bauteilkante beträgt ca.
bungs-Kurven noch flacher, streuen stärker, und die 35°. Bei Gruppen kann sich ein gemeinsamer
im gerissenen Beton erreichbaren Höchstlasten fal- Ausbruchkegel bilden (Abb. 3.9-18b2). Sind Ver-
len im Mittel auf ca. 25% des Wertes im ungeris- ankerungen in der Bauteilecke (Abb. 3.9-18b3)
3.9 Befestigungstechnik 1453
Abb. 3.9-16 Last-Verschiebungskurven von nicht risstauglichen, drehmomentkontrolliert spreizenden Dübeln im unge-
rissenen und gerissenen Beton (nach [Eligehausen/Balogh 1995])
Betonschrauben
Das Tragverhalten von Betonschrauben hängt we-
sentlich von Bohrlochtoleranzen ab. Für sicher-
heitsrelevante Anwendungen im gerissenen und
ungerissenen Beton dürfen die Bohrlöcher nur mit
Abb. 3.9-17 Last-Verschiebungslinien von Einschlagdü- dem vorgeschriebenen Bohrer erstellt werden. Be-
beln im ungerissenen und gerissenen Beton (qualitativ) tonschrauben versagen dann unter Zugbeanspru-
(nach [Eligehausen u. a. 1997]) chung durch Stahlbruch oder durch definiertes
Herausziehen (vgl. Abb. 3.9-14a, b). Die Tragfä-
higkeit ist in Versuchen zu ermitteln. Unter Quer-
in einem schmalen (Abb. 3.9-18b4) oder dünnen lasten können die in Abb. 3.9-18 beschriebenen
Bauteil (Abb. 3.9-18b5) verankert, können sich Versagensarten auftreten.
die beschriebenen Ausbruchkörper nicht voll-
ständig ausbilden. Deckenabhänger
Deckenabhänger versagen i. d. R. durch Herauszie-
Die Ermittlung des Widerstands von zug- und quer- hen aus dem Untergrund. Aufgrund ihrer geringen
beanspruchten Verankerungen gegen die Versagens- Spreizwege reagieren sie sehr empfindlich auf
1454 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
Bohrlochtoleranzen und die Breite von Rissen im Die Dauertemperatur des Ankergrundes darf des-
Beton. Werden die Anwendungsbedingungen der halb höchstens 40°C, kurzfristig bis zu 80°C, be-
Zulassungsbescheide nicht eingehalten, werden tragen.
die Gebrauchstauglichkeit und die Tragfähigkeit Die Haltekraft von heute gebräuchlichen Kunst-
ungünstig beeinflusst. stoffdübeln in gerissenem Untergrund ist sehr ge-
ring. Deshalb sind sie bis auf eine Ausnahme für
Kunststoffdübel dieses Einsatzgebiet nicht zugelassen. Dieser riss-
Das Tragverhalten von Kunststoffdübeln in Beton taugliche Kunststoffdübel hat eine Spezialschrau-
und Vollsteinen ist nahezu unabhängig von der be, die das Nachspreizen erlaubt, und damit die
Festigkeit des Untergrundes. Die Spreizkräfte sind zuverlässige Lasteintragung in den gerissenen Un-
nicht so hoch, dass ein Ausbruchkörper erzeugt tergrund ermöglicht.
wird. Versagen tritt daher durch Herausziehen aus Die Tragfähigkeit von Kunststoffdübeln ist in
dem Bohrloch ein. allen Fällen durch Versuche zu ermitteln.
In Loch- und Hohlsteinen wird das Tragverhal-
ten des Dübels durch die Ausbildung der Steinstege
3.9.3.2 Chemische Befestigungsmittel
und die Geometrie der Löcher beeinflusst. Weiter-
hin ist entscheidend, wie der Dübel zum Lochbild Verbund- und Injektionsdübel
und den Stegen positioniert ist. Bei Befestigungen Bei Verbund- und Injektionsdübeln wird die Last
in Mauerwerk ist zudem von Einfluss, ob sich der kontinuierlich über die gesamte Länge des ein-
Dübel in einer Mörtelfuge oder in einer unvermör- gemörtelten Stahlteiles in den Verankerungsgrund
telten Stoßfuge befindet. eingetragen.
Die Kriechneigung des Kunststoffes führt auf Unter Zugbeanspruchung versagen diese durch
die Dauer zu einer Abnahme der Spreizkraft. Den- Stahlbruch, durch Herausziehen mit einem ober-
noch können mit zugelassenen Kunststoffdübeln flächennahen Betonausbruch oder durch Beton-
auch Zuglasten sicher und dauerhaft in den Unter- ausbruch.
grund eingetragen werden, da gleichzeitig die Rei- Bei der Versagensart Herausziehen mit Beton-
bung zwischen Bohrlochwandung und Dübelhülse ausbruch entspricht die Tiefe etwa dem 2- bis 3-
zunimmt. Dies ist auf ein zeitabhängiges Anpassen fachen des Ankerstangendurchmessers. Deshalb
der Dübelhülse an die Bohrlochwandung zurück- ist die Höchstlast bei gleicher Setztiefe geringer
zuführen, das zu Mikrohinterschnitten führt. als bei Verbund- und Injektionsdübeln sowie Ein-
Feuchtigkeit und vor allem Temperatur beein- legeteilen und Metalldübeln, die durch reinen Be-
flussen die Werkstoffeigenschaften des Kunststoffes. tonausbruch versagen.
3.9 Befestigungstechnik 1455
Abb. 3.9-20 Abhängigkeit der Verbundfestigkeit von der Temperatur (nach [Kunz u. a. 1998])
Bei Injektionsdübeln im Loch- und Hohlmauer- nach denselben Konzepten erfolgen. Vorausset-
werk kommt es infolge der Tragwirkung über zung ist jedoch, dass ein geeigneter Injektionsmör-
Formschluss zu einem Versagen durch Ausbruch tel verwendet und das Bohrloch mit entsprechenden
des Ankergrundes, dessen Festigkeit die Höchst- Systemkomponenten vorschriftsmäßig erstellt und
last bestimmt. In Vollstegen oder vermörtelten Fu- gereinigt sowie ordnungsgemäß injiziert wird. Un-
gen wird die Last wie in Beton und Vollsteinen terschiede ergeben sich beim Verhalten in Längs-
über Verbund abgetragen. Die Tragfähigkeit von rissen sowie bei sehr tiefen und erhöhten Tempera-
Injektionsdübeln wird durch Versuche ermittelt. turen. Daher sind die Anwendungsbedingungen
der Injektionssysteme unbedingt einzuhalten.
Verbundspreiz- und -hinterschnittdübel
Bei risstauglichen Verbunddübeln werden im un-
3.9.3.3 Setzbolzen
gerissenen Beton im Prinzip dieselben Versagens-
arten wie bei normalen Verbund- und Injektions- Setzbolzen versagen in ungerissenem Beton bei
dübeln beobachtet. Bei Verankerungen im geris- Zugbeanspruchung durch Betonausbruch. Die
senen Beton tritt bei Zugbeanspruchung in der Höchstlasten bei Befestigungen mit Setzbolzen
Regel Herausziehen oder Betonausbruch auf. Bei streuen sehr stark, da sie in der Betondeckung ver-
Querbeanspruchung werden die Versagensarten ankert werden, und es können Setzausfälle auftre-
nach Abb. 3.9-18 beobachtet. ten [Patzak 1979; Bereiter 1986]. Setzausfälle
Die Tragfähigkeit von Befestigungen mit riss- werden jedoch sicher vermieden und die Streu-
tauglichen Verbunddübeln kann nach dem CC-Ver- ungen deutlich verringert, wenn die Bolzen in ca.
fahren berechnet werden [Eligehausen u. a. 2006; 20 mm tiefe Bohrungen gesetzt werden. Gleichzei-
CEN/TS 2009; fib 2011]. tig ergibt sich eine Steigerung der mittleren Aus-
bruchlast.
Bewehrungsanschlüsse mit nachträglich Werden Setzbolzen von Rissen getroffen, so
eingemörtelten Bewehrungsstäben wird der beim Setzen entstehende Druckspan-
Umfangreiche Untersuchungen ergaben, dass sich nungszustand abgebaut und dadurch die Höchstlast
das das Verbundverhalten von eingemörtelten und deutlich abgemindert [Eligehausen u. a. 1997]. Sie
einbetonierten Bewehrungsstäben nicht wesentlich können deshalb auch nur als Deckenabhänger in
unterscheidet. Daher kann die Bemessung auch redundanten Systemen eingesetzt werden.
3.9 Befestigungstechnik 1457
3.9.4 Definition von Anwendungen in cherzustellen, dass im Fall von großem Schlupf
statisch bestimmten und statisch oder Versagen eines Befestigungsmittels die Last
infolge der Steifigkeit des Anbauteils auf die be-
unbestimmten Systemen
nachbarten Befestigungsmittel übertragen und von
Bei der Bemessung einer Befestigung ist das sta- diesen auch übernommen werden kann, ohne dass
tische System zu berücksichtigen: statisch be- die Anforderungen an die Gebrauchstauglichkeit
stimmt oder statisch unbestimmt (redundant), der oder Tragfähigkeit des Gesamtsystems wesentlich
Zustand des Betons: gerissen oder ungerissen und beeinträchtigt werden.
die Funktion des Anbauteils: tragend oder nicht In diesen Anwendungsfällen dürfen nicht nur
tragend. Befestigungsmittel, die die hohen Anforderungen
Ein System ist statisch bestimmt, wenn seine von z. B. [EOTA 1997] erfüllen und durch die si-
interne Lastverteilung über Gleichgewichtsbe- chergestellt ist, dass eine ausreichende Sicherheit
trachtungen bestimmt werden kann, ohne dass Ver- gegen Versagen eines einzelnen Dübels vorhanden
formungs- oder Steifigkeitskriterien herangezogen ist, sondern auch Befestigungsmittel geringeren
werden müssen. In diesem Fall kann das Versagen Leistungsvermögens, die den Anforderungen nach
eines Befestigungsmittels das Versagen der kom- [EOTA 2004] genügen, eingesetzt werden. Dies
pletten Tragkonstruktion verursachen (Abb. 3.9- sind sog. Metalldübel für die Verwendung als
21a). Bei diesen Anwendungen sind Befestigungs- Mehrfachbefestigung von nichttragenden Syste-
mittel nach [EOTA 1997] zu verwenden. men, z. B. Deckenabhänger. Dem Anstieg der Bie-
Bei statisch unbestimmten Systemen, d. h. red- gemomentenbeanspruchung und der Verformung
undanten Systemen, in denen das Anbauteil mit des Anbauteils im Falle des Versagens eines Befes-
mehreren Befestigungsmitteln im Beton verankert tigungsmittels wird dadurch Rechnung getragen,
ist, z. B. abgehängten Decken, Rohrleitungen und dass der charakteristische Widerstand dieser Be-
Geländern (Abb. 3.9-21b), kann ein Teil der Befes- festigungsmittel begrenzt wird. Details hierzu
tigungsmittel im gerissenen Beton und der Rest im können [Rößle/Eligehausen 2002] entnommen
ungerissenen Beton verankert sein. Dann ist si- werden.
aufsichtliche Zulassung. Aufgrund der Material- Bemessungsverfahrens führen können. Solange kei-
vielfalt und vieler Neuentwicklungen ist es offen- ne allgemein gesicherten Erkenntnisse zum Trag-
sichtlich, dass bei Verbund- und Injektionsdübeln verhalten von Verbunddübeln unter Dauerlasten
hinsichtlich des Verhaltens unter Langzeitbean- vorliegen, empfehlen die Verfasser daher bei hohem
spruchung keine durch Dauerstandversuche weit- Anteil der quasi-ständig wirkenden Zuglast an der
gehend abgesicherten Erkenntnisse wie bei Kunst- Gesamtzuglast, die in den bauaufsichtlichen Zulas-
stoffdübeln vorliegen können. sungsbescheiden angegebenen charakteristischen
Die Forschung in Bezug auf das Kurzzeittragver- Werte der Kurzzeitfestigkeit des Verbundmörtels
halten von Verbund- und Injektionsdübeln hat mit bzw. die charakteristischen Herausziehlasten für die
der Geschwindigkeit der Produktinnovation Schritt Bemessung nicht vollständig in Anspruch zu neh-
gehalten. Dies gilt jedoch nicht für Untersuchungen men, sondern um ca. 25% bis 35% zu reduzieren.
zum Langzeitverhalten. Hier wird davon ausgegan-
gen, dass sich die innovativen Harze wie ihre Vor-
gänger verhalten. Die Prüfung und Bewertung der 3.9.7 Dauerhaftigkeit
innovativen Harze hinsichtlich des Langzeitverhal-
tens erfolgt daher auch nach [EOTA 2002]. Die Be- Befestigungsmittel müssen für die ihnen zugewie-
messung erfolgt anders als bei Bauteilen aus Ver- sene Verwendung geeignet bleiben. Von Befesti-
bundmaterialien mit Kunststoffen, z. B. Holzleim- gungselementen wird daher zumindest eine Lebens-
bindern, ohne einen Nachweis gegen die Verbund- dauer erwartet, die der Nutzungsdauer der Bauwerke
festigkeit unter Langzeitbeanspruchung. entspricht.
Dies bedeutet, dass die Verbund- und Injekti- Durch Korrosion wird der Stahlquerschnitt ge-
onsdübel hinsichtlich der Kurzzeitfestigkeit heute schwächt und die Funktionsfähigkeit beeinträchtigt.
wirklichkeitsnah bemessen werden. Versteckte Si- Besonders gefährlich ist ein weitgehend unange-
cherheiten aus den alten konservativen Bemes- kündigtes Versagen infolge Spannungsrisskorro-
sungsmethoden, die früher zur Abdeckung von sion. Dies kann unter extremen Bedingungen, z. B.
Unsicherheiten bezüglich des Langzeitverhaltens bei Einwirkung von Chloriden, auch bei nichtros-
herangezogen werden konnten, liegen jetzt u. U. tenden Stählen auftreten, wenn sie nicht ausrei-
nicht mehr vor: chend beständig sind.
Im Rahmen des Zulassungsverfahrens für Ver- Eine galvanische Verzinkung stellt bei Befesti-
bund- und Injektionsdübel werden Kriechversuche gungen im Freien lediglich einen temporären Kor-
durchgeführt. In den Kriechversuchen der Zulas- rosionsschutz dar. Die Zinkschicht wird zu schnell
sungsprüfungen werden auf die Verbund- und Injek- abgetragen. Sie ist für Anwendungen in trockenen
tionsdübel Dauerlasten in Höhe von 55% der mittle- Innenräumen jedoch ausreichend.
ren Kurzzeitfestigkeit aufgebracht. Besteht das Pro- Für Anwendungen im Freien sind i. Allg. Befesti-
dukt diese Versuche, erfolgt die Bemessung nach gungselemente aus nichtrostendem Stahl (A4) erfor-
der Kurzzeitfestigkeit. Da die Akzeptanzkriterien für derlich. Nur bei Kunststoffdübeln dürfen galvanisch
Kriechversuche konservativ sind, beträgt die bei Be- verzinkte Schrauben verwendet werden, wenn die
stehen der Kriechversuche nachgewiesene Langzeit- Schraube außerhalb der Dübelhülse z. B. durch Auf-
festigkeit des Verbundes ca. 65% bis 75% der Kurz- setzen einer Kunststoffkappe oder geeignete Anstri-
zeitverbundfestigkeit. Da nach den geltenden Zu- che so geschützt wird, dass das Eindringen von
lassungsbescheiden die Bemessung jedoch mit der Feuchtigkeit in den Dübelschaft nicht möglich ist.
Kurzzeitverbundfestigkeit erfolgt, kann dieser An- Besonders ungünstige Bedingungen im Hinblick
satz u. U. bei einem hohen Anteil der quasi-ständig auf Korrosion liegen z. B. in Schwimmbädern mit
wirkenden Zuglast an der Gesamtlast liberal sein. gechlortem Wasser, in Meerwasser einschließlich
Zur Lösung dieser Problematik haben die füh- Brackwasser, bei Schornsteinen und in Straßentun-
renden Hersteller von Befestigungsmitteln zusam- neln vor. Hier reicht der durch A4-Stahl gegebene
men mit mehreren Universitäten Forschungsvorha- Korrosionsschutz nicht aus. Für diese Anwendungen
ben begonnen, die kurz- und mittelfristig zu Ände- stehen drehmomentkontrollierte Dübel, Hinter-
rungen der Prüf- und Auswertemethoden sowie des schnitt-, Verbund- und Verbundspreizdübel aus be-
1460 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
sonderen hochlegierten und ausreichend korrosi- gangsweise nach der CEN/TS 1992-4 „Bemessung
onsbeständigen Stählen zur Verfügung. der Verankerung von Befestigungen in Beton“
[CEN/TS 2009]. Die künftige Verknüpfung zwi-
schen Prüf- und Bemessungsregeln in Europa ist in
3.9.8 Baurechtliche Vorschriften Abb. 3.9-23 dargestellt.
Für die Befestigungsmittel und die Anwen-
und Anwendungsbedingungen dungsbereiche, in denen Europäische Regelungen
bestehen, dürfen Nationale Zulassungsbescheide
3.9.8.1 Allgemeines
wie z. B. die „Allgemeinen Bauaufsichtlichen Zu-
Die Befestigungstechnik ist eine vergleichsweise lassungen“ des Deutschen Instituts für Bautechnik
junge Disziplin. In den letzten Jahren wurden im- (DIBt) nur noch über eine definierte Übergangs-
mer mehr leistungsfähige nachträglich montierbare zeit bestehen. Neuerteilungen von Nationalen Zu-
Befestigungsmittel und Einlegeteile für Anwen- lassungen sollen in den europäisch geregelten Be-
dungen in Beton und Mauerwerk auf den Markt ge- reichen nicht erfolgen.
bracht. Die Verwendung dieser Befestigungsmittel Für die Befestigungsmittel und Anwendungsbe-
bedingt von den Planern und den Handwerkern eine reiche, die nicht über die EOTA geregelt sind, er-
hohe Sachkenntnis, da nur optimal ausgewählte, be- folgt der Nachweis der Verwendung nach den
messene und fehlerfrei montierte Befestigungsmit- „Allgemeinen Bauaufsichtlichen Zulassungen“
tel sicher tragen und die Anforderungen an die Ge- des DIBt und den entsprechenden Bemessungsver-
brauchstauglichkeit erfüllen. Im Sinne der Bauord- fahren oder im speziellen Einzelfall durch Zustim-
nung liegt für Befestigungsmittel zur Verwendung mung der obersten Bauaufsichtsbehörden.
in Beton und Mauerwerk noch kein gesicherter Im Rahmen eines Zulassungsverfahrens – unab-
Stand der Technik vor, der in Normen dokumentiert hängig davon, ob nach DIBt-Richtlinien oder EOTA
ist und nach denen der Nachweis über die Verwend- – werden stets die Eignung und die Funktionsfä-
barkeit geführt werden könnte. higkeit des Befestigungsmittels unter idealen und
Daher werden tragende Konstruktionen im bau- praxisnahen Bedingungen i. d. R. für vorwiegend
rechtlichen Sinne, deren Versagen „die öffentliche ruhende Belastungen nachgewiesen. In gezielten
Sicherheit oder Ordnung, insbesondere Leben und Versuchen wird unter anderem der Einfluss unver-
Gesundheit“ gefährdet, z. B. Befestigungen von meidbarer Montageungenauigkeiten und möglicher
Fassaden, untergehängten Decken, Geländern und Imperfektionen auf der Baustelle (z. B. Bohrlochto-
Befestigungen, die für die Standsicherheit und leranzen, ungenügende Bohrlochreinigung, ungenü-
Dauerhaftigkeit des Bauteils erforderlich sind, gende Verspreizung, Anordnung bei Bewehrungs-
über bauaufsichtliche Zulassungen geregelt. kontakt) sowie ggf. von Rissen auf die Tragfähigkeit
Die Anwendung von Befestigungsmitteln soll des Befestigungselementes untersucht und bewer-
aufgrund der europäischen Harmonisierungsbestre- tet. Die maßgeblichen Eckdaten wie der Aufbau, der
bungen möglichst über Europäische Technische Zu- Werkstoff, die Funktionsweise, die Setzdaten, das
lassungen (ETAs) auf Grundlage von Zulassungs- Montagewerkzeug und der Anwendungsbereich der
leitlinien (ETAG) oder ein sog. CUAP-Verfahren jeweiligen Befestigungsmittel sind in den Zulas-
der EOTA erfolgen. Eine Liste der bisher erschienen sungsbescheiden detailliert festgelegt.
Europäischen Zulassungsleitlinien für Befesti- Die stürmische Entwicklung der Befestigungs-
gungsmittel der EOTA enthält Abb. 3.9-22. Die Zu- technik in den letzten Jahren spiegelt sich in der
lassungsleitlinien sowie zugehörige Informationen Anzahl der für Ankerschienen, Kopfbolzen und
können von www.eota.be abgerufen werden. Kopf- Dübel erteilten Zulassungsbescheide wieder. Sie
bolzen und Betonschrauben erhalten ETAs auf Ba- ermöglichen dem Anwender aus der Vielzahl der
sis eines CUAP-Verfahrens. Dasselbe gilt für die in angebotenen Befestigungssysteme die Auswahl
Kürze erscheinenden ETAs für Ankerschienen. und die Bemessung eines sicheren und dauerhaften
Die Bemessung der Befestigungsmittel mit ei- Produktes für einen bestimmten Anwendungsfall.
ner ETA erfolgt nach ETAG 001, Annex C [EOTA Nachdem über 20 Jahre hinweg vom DIBt natio-
1997] und nach dem Erscheinen in 2009 über- nale „Allgemeine Bauaufsichtliche Zulassungen“
3.9 Befestigungstechnik 1461
erteilt wurden, wurde im Jahre 1998 die erste Eu- die Anwendung von Kunststoffdübeln sowie In-
ropäische Technische Zulassung veröffentlicht, die jektionsdübeln in Mauerwerk sowie dem Inkraft-
eine europaweit harmonisierte Verwendung der treten neuer europäischer Zulassungsleitlinien,
Befestigungsmittel erlaubt. Damit hat im Vor- z. B. für Befestigungselemente unter vorwiegend
schriftenwesen der Befestigungstechnik eine neue nicht ruhender Beanspruchung und in Erdbebenge-
Zeitrechnung eingesetzt. Folgerichtig hat im Zeit- bieten, die Anzahl der Zulassungsbescheide des
raum zwischen 1998 und 2008 die Anzahl der nati- DIBt weiter abnehmen und gleichzeitig die Anzahl
onalen Zulassungen stagniert, da ein Großteil die- der Europäischen Technischen Zulassungen über-
ser Zulassungen durch Europäische Technische proportional ansteigen wird.
Zulassungen ersetzt wurde. In Abb. 3.9-24 ist die- Die Verwender von Befestigungsmitteln in
ser Prozess veranschaulicht. Es ist davon auszuge- Deutschland sahen sich innerhalb der letzten zehn
hen, dass mit Auslaufen der Übergangsfristen für Jahre mit einer Verdreifachung der Anzahl der Zu-
1462 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
lassungsbescheide bei gleichzeitiger Änderung der festigungen, die eine fachgerechte Montage der Be-
Inhalte für neuartige Produkte konfrontiert. Diese festigungsmittel voraussetzt. Hierfür sind prüfbare
Entwicklung wird mittelfristig noch weiter Be- Berechnungen und Konstruktionszeichnungen an-
stand haben und stellt daher auch in der nächsten zufertigen. Die unmittelbare örtliche Krafteinlei-
Zukunft für Hersteller, Verwender und Ausbilder tung in den Untergrund wird durch das Zulassungs-
eine große zu bewältigende Herausforderung dar. verfahren nachgewiesen. Für die Weiterleitung der
Alle bauaufsichtlichen Zulassungen fordern eine über die Befestigungsmittel eingetragenen Kräfte
ingenieurmäßige Planung und Bemessung der Be- im Bauwerk ist jedoch ein statischer Nachweis zu
3.9 Befestigungstechnik 1463
führen. Auf die notwendigen Schulungen der in der gerissenen Beton abgeleitet wurden. Bei Einsatz
Planung und Ausführung Beteiligten wird in Ab- der Schienen im gerissenen Untergrund müssen
schn. 3.9.9 hingewiesen. die auftretenden örtlichen Querzugkräfte gemäß
Im Folgenden werden kurze Informationen über DIN1045 Abschn.-18 durch zusätzliche Beweh-
die Regelungen der Zulassungsbescheide für die rung aufgenommen werden, wenn nicht konstruk-
verschiedenen Befestigungsmittel gegeben. Ein- tive Maßnahmen ein Aufspalten des Betons ver-
zelheiten sind den Zulassungsbescheiden der ein- hindern. Weiterhin enthalten die Zulassungsbe-
zelnen Systeme zu entnehmen. Dies gilt insbeson- scheide Regelungen für spezielle Anwendungsfäl-
dere für die Montage- und Kontrollbedingungen. le, z. B. für einige Schienengrößen zulässige Lasten
für nicht ruhende Beanspruchungen.
Für Ankerschienen wurden in 2011 die ersten
3.9.8.2 Mechanische Befestigungen
Europäischen Technischen Zulassungsbescheide
Kopfbolzen erteilt. Die Bemessung erfolgt nach den in [CEN/
Kopfbolzen dürfen gemäß Europäischer Tech- TS 2009] angegebenen Regeln.
nischer Zulassung als Einzelbefestigung sowie als
Bolzengruppen von zwei bis zu höchstens neun Metallspreiz- und-hinterschnittdübel,
Bolzen (bis zu drei Bolzen je Reihe) im ungeris- Betonschrauben
senen und im gerissenen Beton (mindestens Einschlagdübel, Betonschrauben mit geringer Ge-
C20/25) verwendet werden. Bei der Bemessung windetiefe sowie nicht optimierte drehmoment-
wird grundsätzlich von gerissenem Beton ausge- kontrolliert spreizende Dübel des Bolzen- und
gangen. Das Bemessungsverfahren ist im Zulas- Hülsentyps sind nur für Anwendungen im ungeris-
sungsbescheid enthalten. senen Beton der Güten C20/25 bis C50/60 zugelas-
Die Bemessung von Befestigungen mit Kopf- sen. Dabei liegen für viele Einschlagdübel und Be-
bolzen beruht auf dem modernen Sicherheitskon- tonschrauben neben der Europäischen Technischen
zept mit Teilsicherheitsbeiwerten und charakteris- Zulassung für ungerissenen Beton auch Europä-
tischen Widerständen für die verschiedenen Belas- ische Technische Zulassungen für die Verwendung
tungsrichtungen und Versagensarten [EOTA 1997; als Mehrfachbefestigung von nichttragenden Sys-
CEN/TS 2009; fib 2011]. Die Regelungen wurden temen in gerissenem Beton vor [EOTA 2004]. Bei
aus den Ergebnissen der Untersuchungen [Bode/ Anwendungen im ungerissenen Beton ist in jedem
Hanenkamp 1985; Eligehausen u. a. 1992; Ramm/ Fall entsprechend 3.9.5 nachzuweisen, dass der
Greiner 1991] abgeleitet. Dübel über die gesamte Verankerungstiefe im
Die Zulassungsbescheide sind für Befestigun- ungerissenen Beton liegt. Die einzuhaltenden
gen mit auf die Ankerplatte angeschweißten Kopf- Achs- und Randabstände sind bei Einschlagdübeln
bolzen gültig und berücksichtigen den Einfluss ei- verhältnismäßig groß. Da außerdem in nur sehr
ner Rückhängebewehrung auf die Tragfähigkeit. wenigen Fällen ungerissener Beton als Ankergrund
Befestigungen mit Kopfbolzen sind prinzipiell vorliegt, ist der zulässige Anwendungsbereich die-
für die Übertragung vorwiegend nicht ruhender La- ser Dübel sehr beschränkt. Die Europäischen Tech-
sten geeignet und waren für diesen Anwendungsfall nischen Zulassungen enthalten die charakteristi-
durch das DIBt zugelassen. Dieser Anwendungsbe- schen Widerstände und Empfehlungen für Teilsi-
reich wurde jedoch bisher noch nicht in die Europäi- cherheitsbeiwerte, die zu einer Bemessung nach
sche Technische Zulassung übertragen. [EOTA 1997] bzw. [CEN/TS 2009] erforderlich
sind. Dort werden drei Bemessungsverfahren un-
terschieden.
Ankerschienen Bei Verfahren-A sind die charakteristischen Wi-
Die derzeit gültigen bauaufsichtlichen Zulassungen derstände abhängig von der Belastungsrichtung und
des DIBt für Ankerschienen erlauben die Anwen- der Versagensart. Es ermöglicht die wirtschaftlichs-
dung im gerissenen und ungerissenen Beton. Für te Ausführung von Befestigungen. Beim Bemes-
beide Anwendungsfälle werden dieselben zuläs- sungsverfahren-B wird eine charakteristische Last
sigen Lasten angegeben, die aus Versuchen im un- unabhängig von der Lastrichtung und der Versa-
1464 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
gensart angenommen. Es entspricht im Prinzip Nach europäischer Definition werden die De-
dem Kappa-Verfahren für risstaugliche Systeme ckenabhänger unter dem Begriff „Metalldübel für
auf der Basis zulässiger Lasten nach DIBt-Zulas- die Verwendung als Mehrfachbefestigung von
sungen. Das Verfahren C gilt für Metalldübel in nichttragenden Systemen“ geführt [EOTA 2004].
ungerissenem Beton und ist mit der bisherigen Be- Um die Wirkung als Mehrfachbefestigung bei
messung nach DIBt-Zulassungen für diese Dübel- gleichzeitiger einfacher Bemessung sicherzustel-
systeme vergleichbar. Im Zulassungsbescheid ist len, wird der Widerstand (n3) je Befestigungspunkt
ausgewiesen, welches Verfahren für die Bemes- in Abhängigkeit von der Anzahl der Befestigungs-
sung verwendet werden muss. punkte (n1) und der Anzahl der Dübel je Befesti-
Der Normalfall ist die Verankerung im gerisse- gungspunkt (n2) definiert. Ein Beispiel für die
nen Beton. Für diese Anwendung wurden Hinter- Definition von n1 und n2 enthält Abb. 3.9-25. Die
schnittdübel, Betonschrauben und drehmoment- Definition einer Mehrfachbefestigung unterschei-
spreizende Metalldübel konstruiert. Sie haben det sich in den Europäischen Mitgliedsstaaten. In
Europäische Technische Zulassungen für Anwen- Abb. 3.9-26 sind die Definitionen für einzelne
dungen im gerissenen und ungerissenen Beton Länder auszugsweise zusammengestellt. Däne-
(mindestens C20/25, höchstens C50/60) in stabför- mark, Deutschland und Portugal haben die von der
migen und flächigen Stahlbetonbauteilen. Es kön- EOTA empfohlenen Definitionen übernommen. In
nen wie bei Kopfbolzen Befestigungen mit bis zu 9 den Staaten, für die in Abb. 3.9-26 keine Werte an-
Dübeln in einer Ankerplatte ausgeführt werden. gegeben sind, sollten ebenfalls die Werte von
Die Achs- und Randabstände sind praxisnah und Dänemark, Deutschland und Portugal verwendet
dürfen bis auf festgelegte Mindestwerte verringert werden. Einige Mitgliedsstaaten haben weniger
werden. strenge Anforderungen an die Steifigkeit der An-
Die Zulassungsbescheide enthalten charakteris- bauteile zur Weiterleitung der Kräfte an benach-
tische Widerstände und Empfehlungen für Teilsi- barte Dübel sowie an den Schlupf der Befesti-
cherheitsbeiwerte, die zu einer Bemessung nach gungsmittel. Dies führt zu höheren Beanspruch-
den Verfahren in [EOTA 1997] bzw. [CEN/TS barkeiten und gilt insbesondere für Großbritannien,
2009] erforderlich sind. das im Falle eines Befestigungspunkts mit vier
Dübeln eine Entwurfsbeanspruchung von NEd =
Deckenabhänger 40 kN gestattet. Nach [Rößle/Eligehausen 2002]
Die Anwendung von Deckenabhängern ist in Zu- ist diese Beanspruchung bei weitem zu hoch, um
lassungen des DIBt sowie in Europäischen Tech- ein zufriedenstellendes Verhalten des befestigten
nischen Zulassungen auf der Basis von [EOTA Bauteils zu gewährleisten.
2004] geregelt. Neben den klassischen Deckenabhängern dürfen
Die Zulassungen des DIBt für Deckenabhän- auch Einschlagdübel, Betonschrauben und Setz-
ger regeln die Befestigungen leichter Unterdecken bolzen mit Vorbohrung als Deckenabhänger oder
sowie statisch vergleichbarer Konstruktionen mit für die Verwendung als Mehrfachbefestigung von
einem Flächengewicht von bis zu 1 kN/m2 in nichttragenden Systemen verwendet werden. Ein-
gerissenem und ungerissenem Beton mit einer zelheiten sind den jeweiligen Zulassungsbeschei-
Mindestfestigkeit C20/25. Die zu befestigende den zu entnehmen.
Konstruktion muss mit mehreren Dübeln ange-
schlossen werden (Mehrfachbefestigung). Beim Kunststoffdübel
Ausfall eines Deckenabhängers ist hiermit eine Für Kunststoffdübel existieren bauaufsichtliche
Lastumlagerung über die Unterkonstruktion auf Zulassungen des DIBt und Europäische Technische
benachbarte Verankerungspunkte möglich (Redun- Zulassungen auf Basis von [EOTA 2006].
danz). Das Versagen der Gesamtkonstruktion wird Die Zulassungsbescheide des DIBt regeln bis
verhindert. Die zulässigen Lasten hängen von der auf eine Ausnahme die Anwendung als Mehrfach-
Verankerungstiefe ab und betragen unabhängig befestigung zur Befestigung von Fassadenbeklei-
von der Beanspruchungsrichtung 0,3 bis 0,8 kN je dungen in überwiegend druckbeanspruchten Wän-
Dübel. den und Stützen. Diese Zulassungen erstrecken
3.9 Befestigungstechnik 1465
DIBt-Zulassungen. Allerdings enthalten die Euro- Die Bemessung erfolgt nach DIN 1045 bzw. DIN
päischen Technischen Zulassungsbescheide cha- EN 1992.
rakteristische Widerstände und Empfehlungen für Für die Verwendung von Injektionsdübeln in
Teilsicherheitsbeiwerte, die eine Bemessung nach Mauerwerk liegen Zulassungsbescheide des DIBt
dem in [EOTA 2006] festgelegten Verfahren erfor- vor, die je nach Produkt die Anwendung in Hoch-
dern. Die Auswertung der Bauwerksversuche un- lochziegeln, Vollziegeln, Kalksandloch- und -voll-
terscheidet sich ebenfalls. steinen, Hohlblocksteinen sowie Leicht-, Gas- und
Schaumbetonsteinen zulassen. Die angegebenen
zulässigen Lasten gelten für genormte Steine und
3.9.8.3 Chemische Befestigungen
richten sich nach dem Ankergrund und der Dübel-
Normale Verbunddübel mit Glas- oder Folienpat- größe. Die angegebenen Achs- und Randabstände
rone für Befestigungen in Beton sind nahezu aus- sowie Mindestbauteildicken dürfen nicht unter-
schließlich durch Europäische Technische Zulas- schritten werden. Aufgrund der Energieeinspa-
sungen nach [EOTA 1997] geregelt. Sie sind bisher rungsverordnungen werden jedoch immer neue
nur für Befestigungen im ungerissenen Beton zu- Steine entwickelt, deren Verwendung durch bau-
gelassen. Der Nachweis des ungerissenen Unter- aufsichtliche Zulassungen geregelt ist. Dies be-
grundes ist in jedem Einzelfall nach 3.9.5 zu er- dingt, dass für Mauerwerksbauten heute überwie-
bringen. gend Steine nach bauaufsichtlicher Zulassung des
Die Zulassungsbescheide regeln Einzelbefesti- DIBt verwendet werden. Für diese Steine geben
gungen und häufig noch Dübelgruppen mit zwei die Zulassungsbescheide keine zulässigen Lasten
und vier Dübeln. Nach dem Bemessungskonzept an. Diese müssen daher nach dem im Zulassungs-
in [EOTA 2007/1] sind Befestigungen mit bis zu bescheid angegebenen Verfahren über Versuche
neun Dübeln möglich. Die Achs- und Randabstän- am Bauwerk bestimmt werden. Für 2011 werden
de dürfen bis auf Mindestwerte verringert werden, die ersten Europäischen Technischen Zulassungen
wenn gleichzeitig der charakteristische Wert des nach [EOTA 2008] für Injektionsdübel in Mauer-
Widerstands im Fall der Versagensarten Heraus- werk erwartet. In diesen Zulassungsbescheiden
ziehen mit Betonausbruch sowie Betonausbruch werden vergleichsweise wenige charakteristische
nach dem im Zulassungsbescheid geforderten Be- Widerstände für Mauerwerk aus bestimmten Stei-
messungsverfahren abgemindert wird. Nach einer nen angegeben sein. Aufgrund der großen Vielfalt
Übergangszeit wird das Bemessungsverfahren von Mauerwerkssteinen in Europa enthalten diese
nach dem Konzept in [CEN/TS 2009], das im We- Zulassungen im Wesentlichen Angaben darüber, in
sentlichen [EOTA 2007/1] entspricht, in den Euro- welchen Steinarten sowie bei Lochsteinen mit wel-
päischen Technischen Zulassungen als Bemes- chem Lochbild das Injektionssystem geeignet ist,
sungskonzept gefordert werden. Lasten zuverlässig zu verankern. Charakteristische
Die Europäischen Technischen Zulassungsbe- Widerstände sind nur für wenige Steinarten ange-
scheide von Verbundspreiz- und Verbundhinter- geben. Daher sind die charakteristischen Wider-
schnittdübeln zur Verwendung im ungerissenen stände i. d. R. über das im Zulassungsbescheid an-
und gerissenen Beton basieren hinsichtlich der An- gegebene Verfahren durch Versuche am Bauwerk
wendungsbedingungen und der Bemessung auf zu bestimmen.
demselben Konzept wie risstaugliche drehmo-
mentkontrolliert spreizende Dübel und Hinter-
3.9.8.4 Setzbolzen
schnittdübel.
Die Anwendung von Injektionsmörteln zur Ver- Setzbolzen mit Vorbohrung sind als Deckenabhän-
wendung als Verankerung von Bewehrungsstäben ger zur Befestigung leichter Unterdecken sowie
in Betonbauteilen sowie die zur Bemessung und statisch vergleichbarer Konstruktionen mit einem
Montage erforderliche Qualifikation des Fachper- Flächengewicht bis 1,0 kN/m2 bauaufsichtlich
sonals bzw. Fachbetriebs ist durch bauaufsichtlich zugelassen. Die zulässige Last je Befestigungs-
Zulassungen des DIBt sowie Europäische Tech- punkt beträgt je nach Verankerungstiefe 0,3 bzw.
nische Zulassungen nach [EOTA 2007/2] geregelt. 0,5 kN.
3.9 Befestigungstechnik 1467
sern, wurden Seminare mit unterschiedlicher Ziel- Schulung von Monteuren von
richtung entwickelt. Befestigungsmitteln
Die richtige Montage von Befestigungsmitteln ist
Schulung von Ingenieuren und Planern die Grundvoraussetzung für sichere Befestigungen.
Die Schulung von Ingenieuren und Planern begin- Aus diesem Grund sehen die Zulassungsbescheide
nt bei der Ausbildung. Die gestrafften Studienplä- für nachträglich eingemörtelte Bewehrungsstäbe
ne lassen umfangreichere Vorlesungen zum Thema bereits heute eine eintägige Schulung inklusive ei-
Befestigungstechnik jedoch lediglich an den Uni- ner Prüfung des Baustellenfachpersonals durch
versitäten in Stuttgart und Karlsruhe zu. Vorle- eine vom Deutschen Institut für Bautechnik in
sungen zur Vermittlung eines Überblicks über die Berlin anerkannte unabhängige Prüfstelle vor.
Befestigungstechnik haben inzwischen vereinzelt Bisher gibt es allerdings noch keine gesetz-
auch weitere Hochschulen eingeführt. lichen Verordnungen hinsichtlich der Berechtigung
Für Ingenieure und Planer, die mitten im Be- zur Durchführung von Befestigungsarbeiten mit
rufsleben stehen, werden durch Weiterbildungs- Einlegeteilen oder mit Dübeln. Unbestritten ist je-
akademien in regelmäßigen Abständen Befesti- doch, dass qualifizierte „Befestigungstechniker“
gungstechnikseminare durchgeführt. Des Weiteren für die sichere und wirtschaftliche Ausführung von
bieten Befestigungstechnikfirmen Seminare für Befestigungen sorgen sollen.
Ingenieure an, in denen aktuelle Vorschriften und Alle führenden Hersteller von Befestigungsmit-
Befestigungsmittel präsentiert sowie Broschüren teln führen Schulungen für die Monteure, d. h. die
und Software zu deren Auswahl und Bemessung reinen Anwender auf der Baustelle, in Berufsschu-
erklärt werden. Teilweise behandeln diese Schu- len, Handwerkskammern und auch in eigenen
lungen auch ganz gezielt Anwendungsgebiete, in Schulungszentren und Akademien durch. Sie bie-
denen Aktualisierungsbedarf gegeben ist. ten nach nicht einheitlich festgelegten Lehrplänen
Die Befestigungstechnikindustrie ist eine der produkt- und anwendungsbezogene Schulungen
innovativsten Branchen. Bemessungsverfahren von zumeist nur einem Tag an, die i. d. R. mit einer
und Zulassungsbescheide werden ständig – und Teilnahmebestätigung durch den jeweiligen Her-
zwar nicht nur für neue, sondern auch für beste- steller abgeschlossen werden.
hende Produkte – weiterentwickelt. Deshalb soll- Eine über das übliche Maß hinausgehende Mon-
ten sich Ingenieure und Planer regelmäßig über teurschulung stellt die 2003 begonnene Qualifizie-
Änderungen und Verbesserungen informieren bzw. rung zum „Zertifizierten Befestigungstechniker“
durch die Befestigungstechnikfirmen informiert dar. Hier haben sich die Universität Stuttgart und
werden. Aktuelle Informationen sind i. d. R. auf ein namhafter Hersteller von Befestigungsmitteln
den Homepages der Firmen zu finden. gemeinsam in Inhalt, Ablauf und Anforderungen
3.9 Befestigungstechnik 1469
des Schulungskonzepts eng an der Verwirklichung Ausbildung zur Montage von nachträglichen
der Grundidee einer nachgewiesenen Ausbildung Bewehrungsanschlüssen
mit Prüfung von neutraler Stelle, wie sie bereits Anwendungsfälle, wie das nachträgliche Befesti-
bei den nachträglichen Bewehrungsanschlüssen gen vergessener Bewehrungsstäbe im Bauteil oder
umgesetzt wurde, orientiert. das nachträgliche Einbringen von Zusatz- und
Der Lehrplan für die 2½-tägigen Schulungen Anschlussbewehrungen bei Um- und Anbauten,
wurde von der Universität Stuttgart ausgearbeitet waren über viele Jahre hinweg ein nicht geregeltes
und beinhaltet je etwa zur Hälfte Schulungsanteile Gebiet. Die Konsequenzen, die aus einer fehler-
von Theorie und Praxis. Neben Grundlagenwissen haften Anwendung entstehen, können sehr schwer-
der Befestigungstechnik werden Zulassungen und wiegend sein. Daher haben die Zulassungsleitlinien
Vorschriften zu den bauaufsichtlich relevanten Be- in diesem Fall nicht nur die prinzipielle Eignung
festigungssystemen dieses einen Herstellers für des Verankerungsmittels, sondern zum ersten Mal
eine Vielzahl von Anwendungen in Beton und auch der Ausführenden festgelegt.
Mauerwerk erläutert. Weiterhin müssen die Semi- Die Zulassungen für Produkte zur Erstellung
narteilnehmer zur Übung des sicheren Umgangs von bauaufsichtlich relevanten nachträglichen Be-
mit Befestigungssystemen und Bohrwerkzeugen wehrungsanschlüssen setzen voraus, dass nach-
fachgerechte Dübelmontagen in gerissenem und träglich eingemörtelte Bewehrungen nur von Be-
ungerissenem Beton sowie Mauerwerk durchfüh- trieben mit gültigem Eignungsnachweis durch
ren. Mit fehlerhaft und richtig gesetzten Dübeln Baustellenfachpersonal mit Bestätigung ausgeführt
werden Versuche durchgeführt, so dass die Konse- werden dürfen.
quenzen fehlerhafter Ausführung den Teilnehmern Die Eignung des Betriebs wird durch eine vom
sofort vor Augen geführt werden. DIBt anerkannte unabhängige Stelle überprüft und
Zum Abschluss des Lehrgangs prüft die Univer- vom DIBt widerruflich für drei Jahre erteilt. Der
sität Stuttgart als neutrale Stelle die erarbeiteten Betrieb muss nachweisen, dass er qualifiziert ge-
Inhalte bei den Teilnehmern. Bei erfolgreichem führt wird und über Mitarbeiter mit ausreichenden
Abschluss erhalten die Teilnehmer den Titel „Zer- Kenntnissen im Stahlbetonbau sowie Bauleiter und
tifizierter Befestigungstechniker“, was mit einem Baustellenfachpersonal mit Bestätigung der er-
Zertifikat bestätigt wird. Dieses Zertifikat doku- folgreichen Teilnahme an einer Schulung zur Mon-
mentiert, dass die Absolventen des Lehrgangs tage nachträglicher Bewehrungsanschlüsse sowie
fachlich dazu in der Lage sind, Befestigungsmittel die zur Montage erforderliche Ausrüstung verfügt.
des Herstellers qualifiziert auszuwählen, korrekt In eintägigen Schulungen mit einheitlich fest-
anzuwenden und zu montieren. Die Gültigkeit be- gelegtem Lehrplan, die von den Herstellern der
trägt drei Jahre. Aufgrund des schnellen Wandels Befestigungssysteme angeboten werden, wird der
und des hohen Innovationspotenzials in der Befes- sichere Umgang mit den aufeinander abgestimm-
tigungstechnik ist nach Ablauf dieser Zeit ein Auf- ten Montage- und Injektionswerkzeugen sowie den
frischungslehrgang mit erneuter Prüfung zu absol- Auspressgeräten durch Referate und praktische
vieren. Anwendungen vermittelt. Weiterhin werden häufig
Es wäre wünschenswert, wenn im Sinne der in der Praxis auftretende Fehler und deren Konse-
weiteren Verbesserung der Sicherheit in der Befes- quenzen aufgezeigt. Die Schulung wird durch eine
tigungstechnik das Ausbildungskonzept für „Zerti- theoretische und praktische Qualifizierungsprü-
fizierte Befestigungstechniker“ auch von anderen fung des Baustellenfachpersonals vor einer vom
Herstellern von Befestigungsmitteln übernommen DIBt anerkannten unabhängigen Stelle abgeschlos-
werden würde. Damit wäre dann von Herstellersei- sen.
te aus ein Qualitätssiegel im Hinblick auf die Be- Damit sind für Architekten und Tragwerkspla-
rechtigung zur Durchführung von Befestigungsar- ner nur noch Betriebe mit Eignungsnachweis An-
beiten geschaffen. sprechpartner für die Ausführung bauaufsichtlich
relevanter nachträglicher Bewehrungsanschlüsse.
1470 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
Abb. 3.10-4 Mögliche Verteilungen der Sohlspannungen Abb. 3.10-5 Qualitativer Verlauf von Verformungen und
unter einem Einzelfundament Beanspruchungen in einem Einzelfundament bei sukzessi-
ver Laststeigerung
1476 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
Die Tragwirkung einer KPP wird durch den Pfahl- ein qualitatives Beispiel für den Zusammenhang
platten-Koeffizienten DKPP beschrieben, der an- zwischen dem Pfahlplatten-Koeffizienten DKPP und
gibt, welchen Anteil die Pfähle an dem Gesamtwi- dem Verhältnis der Setzung einer KPP sKPP zur Set-
derstand Rtot,k der KPP haben: zung einer Flächengründung sFl mit gleicher Grün-
dungsfläche unter der gleichen Einwirkung. Zu den
maßgebenden, die Baugrund-Tragwerk-Interaktion
(3.10.6) einer KPP bestimmenden Interaktionseinflüssen zäh-
len die in Abb. 3.10-8 schematisch dargestellten
Wechselwirkungen zwischen
Der Pfahlplatten-Koeffizient kann zwischen den
a den Pfählen und dem Baugrund (Pfahl-Bau-
beiden Grenzwerten DKPP=0 (Flächengründung nach
grund-Interaktion),
EC 7-1, Abs. 6) und DKPP=1 (Pfahlgründung nach
b den Pfählen in einer Pfahlgruppe (Pfahl-Pfahl-
EC 7-1, Abs. 7) variieren. Abbildung 3.10-7 zeigt
Interaktion),
c der Fundamentplatte und dem Baugrund (Plat-
te-Baugrund-Interaktion) und
d der Fundamentplatte und den Gründungspfäh-
len (Pfahl-Platten-Interaktion).
Bei einer Pfahlgründung, bei der keine Sohlspannung
unter der die Pfähle verbindenden Pfahlkopfplatte
mobilisiert wird, entfallen zwar die Platte-Bau-
grund-Interaktion und die Pfahl-Platten-Interaktion,
doch ist die gegenseitige Beeinflussung der Pfähle
in Form der Pfahl-Pfahl-Interaktion ein maßge-
bender, das Trag- und Verformungsverhalten einer
Pfahlgründung beeinflussender Faktor, der u. a. da-
zu führt, dass das von einem Einzelpfahl bekannte
Widerstandssetzungsverhalten eines Pfahles nicht
unmittelbar übertragen werden kann auf die Abbil-
dung der Tragwirkung eines Pfahles als Bestand-
Abb. 3.10-7 Qualitatives Beispiel für die mögliche Set- teil einer Pfahlgründung oder einer KPP.
zungsreduktion einer KPP in Funktion des Pfahlplatten- Die zutreffende rechnerische Erfassung der
Koeffizienten ĮKPP Wechselwirkungen zwischen den Gründungsele-
menten und dem Baugrund unter gleichzeitiger Fundamentplatte insbesondere im oberen Bereich
Berücksichtigung der Steifigkeit des aufgehenden der Pfähle zu einer Verringerung der Relativver-
Tragwerks ist die entscheidende Voraussetzung für schiebungen am Pfahlmantel führt, wodurch in
eine sichere und wirtschaftliche Bemessung von diesem Bereich im Vergleich zu einem entspre-
Kombinierten Pfahl-Plattengründungen. chenden Einzelpfahl oder einem Pfahl der Pfahl-
gründung deutlich geringere Mantelreibungswerte
Auswirkungen der Pfahl-Platten-Interaktion mobilisiert werden können. Dies ist ursächlich da-
Das Tragverhalten der Gründungspfähle einer KPP für, dass die Pfähle einer KPP sich weicher verhal-
wird neben der Pfahl-Pfahl-Interaktion zusätzlich ten als ein Einzelpfahl. Gleichzeitig verursachen
durch die Pfahl-Platten-Interaktion beeinflusst. bei einer KPP die über die Fundamentplatte einge-
Der Einfluss dieser Pfahl-Platten-Interaktion äu- leiteten Sohlspannungen eine deutliche Erhöhung
ßert sich im Vergleich zu einer Pfahlgründung im der wirksamen Spannungen im Baugrund zwischen
Wesentlichen in den folgenden Aspekten: den Pfählen (Abb. 3.10-9).
Da die Tragwirkung der Pfähle und hier insbe-
(1) Bei den Gründungspfählen einer KPP tritt der
sondere die mobilisierbare Mantelreibung maßge-
vom Einzelpfahl her bekannte und auch bei den
bend durch den im Boden herrschenden Span-
Pfählen einer Pfahlgründung zu beobachtende
nungszustand bestimmt wird, führt die Erhöhung
Schervorgang am Mantel, also das Erreichen der
des Spannungszustands im Boden durch die über
Grenzmantelreibung, nicht oder nur abgemin-
die Fundamentplatte eingeleiteten Lastanteile
dert auf. In Abhängigkeit vom Pfahlachsabstand
dazu, dass bei einer KPP im Vergleich zu einer
und der Pfahlposition nimmt statt dessen der
Pfahlgründung oder einem Einzelpfahl insbeson-
Pfahlmantelwiderstand Rs mit zunehmenden
dere im unteren Bereich der Pfahltragstrecke, in
Setzungen weiter zu, weil die anwachsende
dem eine ausreichende Relativverschiebung zwi-
Sohlspannung die mobilisierbare Pfahlmantel-
schen Pfahl und Boden stattfinden kann, deutlich
reibung vergrößert. Dieser Effekt verstärkt sich
größere Mantelreibungswerte mobilisiert werden
bei abnehmendem Pfahlachsabstand.
können. Da i. d. R. mit wachsender Einwirkung Stot
(2) Zugleich führt bei einer KPP die Fundament-
auch der über die Fundamentplatte abgetragene
platte zu einer Verringerung der Pfahlfederstei-
Lastanteil weiter wächst, erhöht sich auch der
figkeiten. Insbesondere bei kleineren Setzungen
Spannungszustand im Boden und damit die mobili-
zeigen die Pfähle einer KPP ein deutlich wei-
sierbare Mantelreibung sukzessive mit der Einwir-
cheres Tragverhalten, als dies bei einer Pfahl-
kung. Dies führt zu der beschriebenen Beobach-
gründung oder gar einem Einzelpfahl zu beob-
tung, dass die Pfähle einer KPP i. d. R. keine – oder
achten ist.
nur in einer abgeminderten Form – Grenztragfä-
(3) Das Vorhandensein einer Fundamentplatte und
higkeit besitzen.
die hierüber mobilisierten Sohlspannungen füh-
ren bei einer KPP generell zu einer Vergleich-
Schlussfolgerungen und Hinweise
mäßigung des positionsabhängigen Widerstands-
zur Bemessung
setzungsverhaltens der Pfähle. Bei einem Pfahl-
Die Pfähle von Pfahlgründungen und Kombi-
achsabstand e/D=3 sind die von der Pfahlposition
nierten Pfahl-Plattengründungen zeigen insbeson-
abhängigen Unterschiede im Pfahltragverhalten
dere bei kleinen Pfahlachsabständen ein völlig an-
der Pfähle bei einer KPP geringer als bei einer
deres Tragverhalten als dies von einem Einzelpfahl
Pfahlgründung.
bekannt ist. Dieser Umstand ist bei der Bemessung
Die bodenmechanischen Hintergründe für diese einer Pfahlgründung oder einer KPP rechnerisch
Interaktionseinflüsse verdeutlicht Abb. 3.10-9. Sie zu berücksichtigen, siehe [EA Pfähle 2011].
zeigt die Setzungen für zwei Setzungszustände in Die in der Praxis bei der Bemessung der Funda-
einem Gründungskörper (e/D=6) sowie die Ände- mentplatte einer KPP mit Hilfe eines auf dem Bet-
rung der vertikalen und horizontalen effektiven tungsmodulverfahren basierenden Ansatzes zuwei-
Spannungen im Baugrund in verschiedenen Tie- len übliche Annahme gleicher Federsteifigkeiten
fen. Deutlich erkennbar ist, dass bei der KPP die für alle Pfähle unabhängig von ihrer Pfahlposition
3.10 Baugrund-Tragwerk-Interaktion 1479
Abb. 3.10-9 Änderung der Setzungen sowie der vertikalen und horizontalen Spannungen unter einer KPP und einer
Pfahlgründung mit e/D = 6 bei einer Setzung von s = 0,03 · D und s = 0,01 · D
2. Schritt: Berechnung der zugehörigen Baugrund- Zur Ermittlung dieser Setzungen s. 4.3 sowie
verformung infolge der mit Gl. (3.10.11) berech- [DGEG 1993].
neten Auflagerreaktionen als schlaffe Lasten. Die Kopplung auf den Nebendiagonalgliedern
klingt mit zunehmender Entfernung zwischen den
(3.10.12) Auflagern ab und kann i. d. R. vernachlässigt wer-
den, wenn der Abstand der Fundamente die zwei-
3. Schritt: Berechnung der Schnittgrößen im Trag- fache Dicke der kompressiblen Bodenschicht über-
werk aufgrund der Baugrundverformung aus steigt. Daher ist es i. Allg. möglich, den Baugrund
Gl. (3.10.12) und Bestimmung der zugehörigen durch eine Federlagerung mit unabhängigen Fe-
Auflagerreaktionen. dern nach dem Bettungsmodulverfahren zu ideali-
sieren, Gl. (3.10.15) (zum Steife- bzw. Bettungs-
modulverfahren s. 4.3). Es entsteht ein Setzungs-
(3.10.13) graben.
4. Schritt: Iterative Wiederholung von Schritt 2 und
Schritt 3, bis eine ausreichende Genauigkeit er-
reicht ist.
(3.10.15)
(3.10.14)
3.10.4.3 Sicherheitstheoretische Aspekte
Die Untersuchung des gekoppelten Systems aus
Baugrund und Tragwerk kann, wie gezeigt, am Ge-
Dabei ist wij=wji die Setzung im Punkt i infolge ei- samtsystem oder an Teilsystemen erfolgen. Die
ner im Punkt j angreifenden Last vom Betrag eins. Streuung der Baugrundeigenschaften wird in die-
3.10 Baugrund-Tragwerk-Interaktion 1483
Stufe 1
In Stufe 1 werden zunächst – analog zum Vorgehen
in Stufe 0 – die Schnittgrößen des Überbaus, d. h.
des Tragwerks bei unverschieblicher Gründung,
ermittelt. Für die sich dabei ergebenden Reakti-
onen wird das Teilsystem Baugrund berechnet, und
die sich dabei ergebenden Setzungen werden nach
Gl. (3.10.12) bestimmt. Bei der Ermittlung der
Setzungen wird die Rückwirkung der Überbaustei-
figkeit nicht berücksichtigt. Es erfolgt nun der
Nachweis, dass die sich dabei ergebenden Set-
zungen bzw. Setzungsdifferenzen für das Tragwerk
unschädlich sind.
Stufe 2
Anders als bei Stufe 1 werden bei einer zur Stufe 2
zu zählenden Verfahrensweise die ermittelten Ver-
formungen der Gründungssohle in Form der be-
rechneten Setzungsdifferenzen dem Überbau als
Lastfall aufgezwungen und die Schnittgrößen im
Tragwerk erneut nach Gl. (3.10.13) bestimmt. Da-
Abb. 3.10-14 Modelle zur Berechnungsvereinfachung mit wird in der Modellierungsstufe 2 die Rückwir-
[NABau 1992] kung des Überbaus auf die Gründungsverformungen
berücksichtigt. Der aus diesen Zwangseinwir-
kungen resultierende Beanspruchungszustand ist
– dass entweder das Tragwerk setzungsunemp- in der Bemessung sowohl beim Nachweis der Ge-
findlich ist oder brauchstauglichkeit als auch beim Nachweis der
– dass der Baugrund sehr steif ist und die Set- Tragfähigkeit zu berücksichtigen. Die Modellie-
zungen absolut sehr klein bleiben und damit rungsstufe 2 stellt gegenüber der Stufe 3 eine sinn-
auch Setzungsdifferenzen vernachlässigt wer- volle Vereinfachung dar, wenn die Nichtberück-
den können. sichtigung der Gründungsentlastung durch das
Tragwerk und die zu hohen im Tragwerk einge-
Beim Nachweis der Tragfähigkeit muss das Trag- rechneten Setzungen nicht zu spürbarer Unwirt-
werk eine ausreichende plastische Verformungsfä- schaftlichkeit führen.
higkeit besitzen, d. h. im maßgebenden Versagens-
mechanismus setzungsunempfindlich sein. Stufe 3
Der Einsatz rechnerischer Modelle der Model- Die Modellierungsstufe 3 beinhaltet die vollstän-
lierungsstufe 0 ist im Hochbau bei vergleichsweise dige rechnerische Abbildung der Baugrund-Trag-
einfachen Tragsystemen üblich. Im Grenzzustand werk-Interaktion. Hierzu wird entweder ein Ge-
der Gebrauchstauglichkeit sollte sich die Anwen- samtmodell geschlossen berechnet und nachge-
dung auf Systeme mit geringer Steifigkeit be- wiesen, oder es erfolgt eine iterative Lösung unter
schränken, im Grenzfall auf statisch bestimmte. Anwendung zweier Teilmodelle für Baugrund und
Bei hochgradig statisch unbestimmten steifen Sys- Tragwerk (im Prinzip iteratives Anwenden eines
temen oder Tragwerken mit ungleichmäßiger Stei- Modells der Stufe 2).
3.10 Baugrund-Tragwerk-Interaktion 1485
Eine Orientierungshilfe für die Wahl einer ge- 3.10.4.5 Verformungsgrenzen des Tragwerks
eigneten Modellierungsstufe für ein gegebenes
Bauwerk ergibt sich aus der Systemsteifigkeit k. Unabhängig von der gewählten Modellierungsstu-
Für flach gegründete Systeme mit rechteckiger fe erfordert der Nachweis der Gebrauchstauglich-
Sohlfläche lässt sich dieser Kennwert als Verhält- keit die Kenntnis der vom Tragwerk aufnehmbaren
nis der Steifigkeit des Tragwerks und der Steifig- zulässigen Setzungen bzw. Setzungsdifferenzen.
keit des Baugrunds darstellen: Hier werden Hinweise zur Festlegung der Verfor-
mungsgrenzen eines Tragwerks gegeben.
(3.10.16) Zunächst ist der Begriff „Setzung“ zu definieren
(Abb. 3.10-15). Die Setzungen eines Tragwerks mit
den Einzelsetzungen si lassen sich aufteilen in die
mit Starrkörperverschiebung ssk, die Starrkörperverdre-
ET, IT Steifigkeit des Tragwerks hung )sk und eine Verkrümmung, die sich durch
l, b Länge und Breite des Tragwerks eine spannungserzeugende Setzungsdifferenz 's be-
ES Steifemodul des Baugrunds schreiben lässt. Zur Bestimmung von Setzungsdiffe-
K Korrekturfaktor zur Berücksichtigung des renzen 's sind mindestens drei Auflagerpunkte er-
Verhältnisses b/l und der Dicke der kompres- forderlich. Da sich 's aus der Differenz der stark
siblen Bodenschicht(en) nach DIN 4018. streuenden absoluten Setzungen si ergibt, ist die Un-
sicherheit bei der Bestimmung der Setzungsdifferenz
Die effektive Steifigkeit des Tragwerks ergibt sich erheblich größer als bei der Ermittlung der absoluten
als Summe der Steifigkeiten von Gründung und Setzungen. Vielfach wird die Setzungsdifferenz da-
Überbau, im einfachsten Fall aus der Summe der her in Abhängigkeit von der maximal aufnehmbaren
Biegesteifigkeiten der Fundamentplatte und der Setzung angegeben, was jedoch nur Sinn macht,
Deckenplatten bzw. der Riegel des Überbaus, wenn die planmäßigen Setzungen (d. h. die stocha-
wobei der erste Anteil bei Einzelfundamenten stischen Mittelwerte) in den Unterstützungen annä-
verschwindet. Eine Abschätzung unter Berück- hernd gleich sind. Dies ist z. B. bei der Kombination
sichtigung der Rahmenwirkung erhält man mit der von Streifen- mit Einzelfundamenten zu überprüfen.
Gleichung von Meyerhof [Schultze 1955]. Die von einem Biegeträger (Abb. 3.10-16) auf-
Nach [NABau 1992] kann für k0,1…0,5 von nehmbaren Setzungen können allgemein nach dem
einem starren Tragwerk und einer Sohlspannungs- Prinzip der virtuellen Kräfte bestimmt werden
verteilung nach Boussinesque ausgegangen wer- (l ist auf die halbe Trägerlänge bezogen):
den. Rechnerisch ergeben sich hierbei unendlich
Spannungsspitzen an den Fundamenträndern, die (3.10.17)
umgelagert werden müssen. Für k0,001…0,003
kann von einem schlaffen Tragwerk ausgegangen mit
werden. Für Zwischenwerte ist eine Berücksichti- N = M/(E I) Krümmung
gung der Interaktion zweckmäßig. J = Q/(G AQ) Schubverzerrung.
(3.10.19)
Abb. 3.10-17 Elastische Grenzkurven der aufnehmbaren Setzungen für verschiedene Querschnitte
3.10 Baugrund-Tragwerk-Interaktion 1487
Mauerwerk
Das Tragverhalten von Mauerwerkswänden lässt
sich wegen der anisotropen Struktur wesentlich
schwieriger bestimmen. Aufnehmbare Zugspan-
nungen bzw. Dehnungen sind in hohem Maße von
der vertikalen Auflast abhängig. Daher sind insbe-
sondere gering belastete oder nichttragende Wän-
de sehr empfindlich gegenüber Setzungen.
Die aus elastischen Berechnungen resultierenden
Grenzwerte lassen sich in der Praxis kaum einhal-
ten. Allerdings beobachtet man vielfach auch bei
ihrer Überschreitung keine nennenswerte Schädi-
gung. Dies ist auf einige in den vorstehenden Ablei-
tungen nicht berücksichtigte Tragwirkungen zu-
rückzuführen. In der Regel ist die Längsdehnung an
der Unterkante der Wand durch ein Zugband behin-
dert (Deckenplatte oder Streifenfundament). Bei
gedrungenen Wänden führt dies bei einer Mulden-
lagerung ab einer bestimmten Verformung zu ei- Abb. 3.10-19 Rissformen in Wänden
nem Abheben der Wand von der Unterstützung in
Feldmitte und der Ausbildung eines Gewölbes
(Abb. 3.10-19) [Mayer/Rüsch 1967]. Aus diesem
Mechanismus lässt sich die deutlich größere Emp- gen Differenzierung sind diese Grenzen bei einer
findlichkeit einer Sattellage gegenüber einer Mul- Anwendung jedoch genau zu hinterfragen.
denlage erklären. Es muss beachtet werden, dass Grenzwerte für
Aufgrund der komplexen Zusammenhänge aufnehmbare Setzungsdifferenzen nur für Trag-
greift man oft auf pauschale Grenzwerte für die werke mit gleichmäßiger Steifigkeitsverteilung
zulässigen Verformungen zurück. Diese sind aus angegeben werden können. Bei Systemen mit stark
vereinfachten Berechnungen oder aus der Beo- unterschiedlicher Steifigkeit konzentrieren sich
bachtung und statistischen Auswertung realer die auftretenden Setzungen in den weicheren Be-
Schadensfälle gewonnen. Sie weisen eine große reichen des Tragwerks, dabei können z. B. im Be-
Bandbreite auf (Tabelle 3.10-1). Wegen der gerin- reich von Türöffnungen Probleme entstehen.
1488 3 Konstruktiver Ingenieurbau und Hochbau
Tabelle 3.10-1 Empfohlene Grenzsetzungen l/¨s für lot- teraktion verkleinert sich die Belastung der äußeren
recht belastetes Mauerwerk Stützenreihen, die der inneren Stützenreihen ver-
größert sich um etwa 10%. In Abb. 3.10-20 ist zu
erkennen, dass sich bei den Einzelfundamenten be-
achtliche Differenzsetzungen zwischen Stufe 0 und
Stufe 3 einstellen, die eine zusätzliche Zwangsbean-
spruchung für das Tragwerk bedeuten. Dieses ist
bereits durch die Kombination unterschiedlicher
Gründungsarten – gering belastete Streifenfunda-
mente und hoch belastete Einzelfundamente – gro-
ßen Differenzsetzungen ausgesetzt.
3.10.5 Beispiele
In den Grenzzuständen der Tragfähigkeit können
3.10.5.1 Vergleichsrechnung einer Tiefgarage sich die Momente unter Ausnutzung plastischen
mit und ohne Berücksichtigung der Tragverhaltens aufgrund der Rotationsfähigkeit des
Baugrund-Tragwerk-Interaktion Tragsystems wieder in den bei der Bemessung an-
gesetzten Zustand umlagern. In den Grenzzuständen
Die in [Zilch 1993b] untersuchte Tiefgarage mit der Gebrauchstauglichkeit sind Schnittkraftumlage-
quadratischem Grundriss ist auf Streifenfundamen- rungen kaum möglich; es können somit große Span-
ten (Umfassungswände) und Einzelfundamenten nungsspitzen im Tragwerk entstehen. Der Einfluss
(Innenstützen) mit gleichmäßigem Stützenraster auf der Baugrund-Tragwerk-Interaktion sollte daher im
einem Sandboden gegründet (Abb. 3.10-20). Der Grenzzustand der Gebrauchstauglichkeit berück-
Überbau besteht aus einer Ortbetondecke. sichtigt werden.
Die gesamte Last aus dem Tragwerk wird in kur-
zer Zeit auf das Gebäude aufgebracht, so dass zeit-
3.10.5.2 Schadensfall einer Tiefgarage
abhängige Effekte in der Berechnung vernachlässigt
eines Bürogebäudes
werden können. Die Berechnung wird ohne Berück-
sichtigung einer Interaktion für g+p auf der Stufe 0 Der von [Fritsche 1997] untersuchte Schadensfall ei-
und mit einer vollständigen Iteration (Stufe 3) ner Tiefgarage zeigt, dass die Berücksichtigung der
durchgeführt. Durch die Berücksichtigung der In- Interaktion zwischen Tragwerk und Baugrund im
Abb. 3.10-20 Statisches System und Setzungsfigur der Tiefgarage [Zilch 1993b]
3.10 Baugrund-Tragwerk-Interaktion 1489
Moormann Ch, Ahner C (1999) Beispiele für den Entwurf Zilch K (1993b) Verfahren für die Berechnung der Inter-
und die Berechnung von Kombinierten Pfahl-Platten- aktion von Baugrund und Bauwerk. Der Prüfingenieur
gründungen (KPP). In: Mitt. Inst. u. Versuchsanstalt für (1993) H 3
Geotechnik, TU Darmstadt, H 47 Zilch K, Schneider R (1997) Verfahren für die Beschrei-
NABau, Koordinierungsausschuß Sicherheit (1992) Bau- bung der Interaktion von Baugrund und Tragwerk. In:
grund-Tragwerk-Interaktion Flachgründungen. Bericht Mitt. Inst. u. Versuchsanstalt für Geotechnik, TU Darm-
der Ad-hoc-Gruppe „Baugrund-Tragwerk-Interaktion“ stadt, H 38
Pfefferkorn W (1994) Rißschäden an Mauerwerk. In: Reihe
„Schadenfreies Bauen“, Bd 7. IRB-Verlag, Stuttgart Normen
Reitmeier W (1989) Quantifizierung von Setzungsdifferen- DIN 1054: Baugrund – Zulässige Belastung des Bau-
zen mit Hilfe einer stochastischen Betrachtungsweise. grundes (11/1976)
In: Floss R (Hrsg) Schriftenreihe des Lehrstuhls und DIN 4018: Baugrund – Berechnung der Sohldruckvertei-
Prüfamtes für Grundbau, Bodenmechanik und Felsme- lung unter Flächengründungen (09/1974)
chanik, TU München, H 13 DIN 4020: Geotechnische Untersuchungen für bautech-
Schultze E (1955) Neuere Forschungen über Gründungen nische Zwecke (10/1990)
und ihre Anwendung auf den Entwurf. Der Bauingenieur ISO 4356: Grundlagen für die Beschreibung von Tragwer-
30 (1955) S 260–263 ken; Formänderungen von Gebäuden (durch äußere
von Soos P (1996) Die Rolle des Baugrunds bei Anwen- Einflüsse) in bezug auf die zulässige Grenze hinsicht-
dung der neuen Sicherheitstheorie im Grundbau. Geo- lich der Benutzbarkeit (11/1977)
technik 13 (1996) S 82–91
Zilch K (1993a) Soil-structure interaction. In: Comité Euro-
International du Béton (Hrsg) Safety and performance
concepts Lausanne. Bulletin d’Information No 219
Stichwortverzeichnis
Rissbildung 1081, 1086, 1246 Sachenrecht 768 Scheiben 218, 219, 1124
– Betongurt 1271 Sachwertverfahren 749 – -dehnsteifigkeit 287
Rissbreite(n) 1097, 1147 Sackung 1667 – -schnittgrößen 286
– -beschränkung 1272 Sale-and-lease-back-Verfahren 557 – -tragwerke 285
Rissmoment MR 1090, 1272 Sammelrohre 1796 – -zwischenraum 109, 1426
Rissschnittgrößen 1089 Sand 1493, 1494, 1510 Scheinselbstständigkeit 738
Risssicherheit 1322 Sandfang 1947 Scherdehnungsamplitude 1555, 1557
Rissverzahnung 1069, 1100 – Bemessungsdaten 1949 Scherfestigkeit 1533, 1535
Rittersches Schnittverfahren 242 Sandrauheit 1792 – drainierte 1533
Rohbaumaß 2071 Sanierung(s) 1644 – effektive 1533
Rohdichtekennwert 1374 – biologische 1662 – maßgebende 1544
Roheisen 1016 – -gebiet 2056 – undrainierte 1533
Rohnetzeinspeisung 1924 – -maßnahmen 2056 – wirksame 1533
Rohr – -recht 2056 Scherfestigkeitsparameter
– Beton- 1934 – -träger 2049 – effektiver 1533
– Guss- 1933 – -überwachung 1665 – undrainierter 1533
– Kunststoff- 1933, 1934 – -untersuchung 1645 Scherfuge 1533
– Stahl- 1933 – -ziel 1645 Scherverformung 1554
Rohrhydraulik 1749, 1788, 1978 Satelliten 2126 Scherwelle(n) 1555, 1557, 1558,
Rohrleitungsnetz 2297 – -positionierung 81 1560, 1562
– Ringnetz 2297 Sättigungsmenge 131 – -geschwindigkeit 1557, 1563, 1566
– Verästelungsnetz 2297 Sättigungszahl 1497, 1498, 1503, Scherwiderstand 1532
– vermaschtes Netz 2297 1504 Schichten
Rohrnennweite 1936 Satzungsverbundverfahren 2062 – nachgiebig miteinander verbundene
Rohrnetz 1923, 1933, 1934 Sauerstoffblasverfahren 1017 1411
– -abgabe 1924 Säurekapazität 1963 – schubstarr miteinander verbundene
– -werkstoff 1933, 1936, 1939 Schachtbrunnen 1905 1412
Rohrvortrieb 958 Schadensermittlung 518 Schienen 2131
Rohrwerkstoff 1898 Schadenserwartungswert 1845 – -bahnen 2114
Rohwasserqualität 1906, 1907 Schadensklasse 1996 – -befestigungsmittel 2131
Rohwasservorkommen 1898 Schadstoffe 1645 – -fahrzeuge 2108
Rollschub 1407 Schalhaut 904 Schienenpersonennahverkehr (SPNV)
Rollwiderstand 2148 Schall 142 2111
Rotationsfähigkeit 1115, 1119, 1133, – -absorptionsfläche 148 Schifffahrtskanal 2246
1276 – -brücken 156 – Gefahrenraum 2248
Rotationskapazität 1187, 1235, 1255 – -dämmung 1421 – Kanalkreuzung 2251
Rotationsmasse 2148 – -druck 143, 145 – Kurve 2248
Rotationstauchkörper 1954 – -geschwindigkeit 144 – Längsschnitt 2248
Rücklaufschlamm 1950 – -pegeldifferenz 148 – Lichtraumhöhe 2248
Rückstellkraft 323, 442 – -schnelle 143 – Schwall- und Sunkwelle 2247
Rückströmung 1767 – -transmissionsgrad 147 – Seekanal 2254
Ruhedruck 1539 – -übertragung 147 – Sicherheitstor 2253
Rundschnitt 1134 Schalldämm-Maß 149 – Sperrtor 2253
Rüstungsaltlast 1644 – bewertetes 150 – Standsicherheit 2251
Rutschsicherheit 1434 – Labor- 149 – Trapez- und Rechteckprofil 2246
Rütteldruckverdichtung 1584 – Rechenwert 154 – Uferböschung 2248
Rütteln 1000 Schallschutz 142 – Wasserbedarf 2253
Rüttelstopfverdichtung 1585 – aktiver 2141 Schiffshebewerk 2254, 2256
– -glas 1030 – Schräghebewerk 2255
– vorbeugender baulicher 2072 – Senkrechthebewerk 2254
S Schallwellengeschwindigkeit 1374 Schiffsschleuse 2254
Schalungsarten 906 – Bootsschleuse 2254
S-Bahn 2124 Scharfenbergkupplung 2118 – Doppelschleuse 2254
S-Welle 1555, 1557, 1559, 1561, Schaum 1716, 1717 – Kammerschleuse 2254
1563 Schaumbeton 190, 1014 – Schachtschleuse 2254
Sabine’sche Formel 149 Schaumglas 1030 – Sparschleuse 2254
Stichwortverzeichnis 2321