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Plötzlich unerwünscht

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Siegmar Faust (links) in einer ehemaligen Arrestzelle in Cottbus mit dem Liedermacher Wolf Biermann (rechts) und
Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen, Roland Jahn Foto: picture alliance/dpa

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Wohl kaum einer kennt die ehemaligen Stasi-Gefängnisse so gut wie Siegmar Faust.
Mehrere Jahre war der DDR-Dissident in den Siebzigern aus politischen Gründen in
verschiedenen Haftanstalten der Stasi eingesperrt, darunter auch mehr als 400 Tage in
Einzelhaft im Zuchthaus Cottbus. Das einstige Gefängnis ist heute eine Gedenkstätte, in
der ehemalige Häftlinge über ihre Leidenszeit sowie die Stasi-Methoden berichten.

Doch Faust soll dort vorerst keine Führungen mehr geben. Darauf verständigte sich der
Vorstand des Cottbuser Menschenrechtszentrums. Vereinschef Dieter Dombrowski, CDU-
Landtagsabgeordneter in Brandenburg und früher selbst Häftling in Cottbus, bestätigte der
Lausitzer Rundschau, daß man in der kommenden Woche über Fausts Zukunft
entscheiden wolle. Vergangene Woche hatte bereits die Stasi-Gedenkstätte
Hohenschönhausen in Berlin bekanntgegeben, daß Faust, der in den neunziger Jahren
auch Landesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen in Sachsen war, dort bis auf weiteres
keine Führungen mehr abhalten darf.

Faust bestreitet Äußerung

Anlaß ist ein Artikel der Berliner Zeitung. Darin war Faust vorgeworfen worden, AfD-
Positionen zu vertreten und den Holocaust relativiert zu haben. Vor allem Letzteres
bestreitet Faust und verlangt eine Gegendarstellung in der Zeitung. Er habe sich mit dem
Verfasser des Artikels über den wegen Holocaust-Leugnung inhaftierten früheren RAF-
Terroristen und späteren NPD-Anwalt Horst Mahler unterhalten.
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Er finde es empörend, daß jemand für ein Meinungsdelikt zwölf Jahre ins Gefängnis
müsse, erläuterte Faust gegenüber der JUNGEN FREIHEIT. Schließlich saß Faust selbst
wegen so genannter Meinungsverbrechen hinter Gitter. Nur eben nicht in einem
Rechtsstaat, sondern in der DDR. Deshalb „beunruhige“ ihn der Fall Mahler. „Aber das
heißt doch nicht, daß ich die abstrusen Ansichten von Mahler teile“, betonte Faust.

„Es geht mir hierbei nicht um Mahler, sondern allein darum, daß jemand, und zwar egal wer
auch immer, für ein Meinungsdelikt so lange ins Gefängnis muß, während ein Mörder wie
Erich Mielke nach sechs Jahren wieder freigelassen wird und sogar noch
Haftentschädigung bekommt.“ Für ihn sei dies eine Schieflage, unabhängig von der Person
Mahlers. „So etwas muß man doch wenigstens ansprechen und diskutieren dürfen. Wir
leben doch nicht mehr in der DDR.“

Lengsfeld schreibt an Hohenschönhausen-Chef

Doch das sieht man in den Gedenkstätten Hohenschönhausen und Cottbus offenbar
anders. Nachdem der Artikel medial einige Wellen schlug, sind die Verantwortlichen der
Einrichtung auf Distanz zu Faust gegangen. Auch wenn dieser beteuert, er habe weder den
Holocaust noch andere Verbrechen der Nationalsozialisten relativiert.

Unterstützung erhält Faust hingegen von der früheren DDR-Bürgerrechtlerin Vera


Lengsfeld. In einem offenen Brief an den Leiter der Gedenkstätte Hohenschönhausen,
Hubertus Knabe, warf sie diesem vor, den Eindruck erweckt zu haben, Sympathien für eine
im Bundestag vertretene Partei seien nicht mit der Arbeit in Hohenschönhausen vereinbar.
Dies müsse er klarstellen, forderte Lengsfeld. „Der medial erzeugte, verheerende Eindruck,
die Gedenkstättenleitung würde Druck auf Referenten ausüben, deren politische Ansichten
sie nicht teilt, muß aus der Welt geschaffen werden.“

Und weiter: „Wenn sich bestätigt, wovon ich fest überzeugt bin, daß Siegmar Faust sich
nicht gegen die Aufarbeitung der NS-Diktatur ausgesprochen hat, dann gehe ich davon
aus, daß er auch wieder als Referent in der Gedenkstätte tätig sein kann.“

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