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Was von einer steuerfinanzierten Rente zu halten ist

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Stefan Pietsch August 14, 2018

Die staatliche Altersvorsorge gehört zu den Themen in Deutschland, die am meisten


emotionalisieren. Kein Wunder, schließlich geht es für jeden um den eigenen Geldbeutel
und die Frage, ob mit der gezahlten Rente ein sorgenfreier Ruhestand möglich ist. Das ist
rein aus mathematischen Gründen selten der Fall, mit einer durchschnittlichen Rente von
knapp 1.200 Euro monatlich sind große Sprünge nicht möglich. Es verwundert daher nicht,
dass Sozialpolitiker, Lobbygruppen und politisch Interessierte sehr erfindungsreich nach
neuen Einnahmequellen für die staatliche Versorgung fahnden, um das Rentenniveau zu
heben, das nach heutiger Vorausschau bis zum Jahr 2030 auf 43% des durchschnittlichen
Einkommens sinken soll. Zusätzlich fühlen viele ihre Altersgelder durch die Veränderung
der Arbeitswelt bedroht, die Digitalisierung vieler Prozesse gefährdet viele alte
Arbeitsplätze. Ein Kommentator hat hierzu die Forderung aufgestellt, die Rente nicht allein
über den Faktor Arbeit zu finanzieren. Da die Antwort auf diese Frage möglicherweise viele
interessiert, antworte ich mit diesem Artikel.

Die Deutsche Rentenversicherung zahlt


derzeit 25,6 Millionen Renten an rund 21
Millionen Empfänger aus. Eine Reihe von
alten Menschen erhält eine doppelte
Versorgung, meist in Form einer
Witwenrente neben dem eigenen
Altersgeld. Die Ausgaben der
Rentenversicherung von 298 Milliarden
Euro werden dabei mit 215 Milliarden Euro
aus den Beiträgen der Versicherten
finanziert. Dazu gilt seit einigen Jahren die
gesetzliche Regelung, dass die
verbleibende Lücke aus Ausgaben und Einnahmen pauschal vom Bund gedeckt wird, für
2018 sind vom Bundesfinanzminister über 100 Milliarden Euro vorgesehen. Nicht enthalten
in dieser Aufstellung sind die 67 Milliarden Euro Pensionslasten, die Bund, Länder und
Kommunen 2017 schultern mussten. Dieser Ausgabenblock für beamtete Ruheständler
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stieg zuletzt von Jahr zu Jahr um über 5%.

Die Eckzahlen machen bereits deutlich: in Deutschland gilt schon längst eine
Mischfinanzierung im Rentenrecht zwischen Beiträgen der Versicherten und allgemeinen
Steuern. Die Gesamtausgaben von 365 Milliarden Euro für Renten und Pensionen werden
zu 29% von Unternehmen durch Beitragszahlungen und zu 41% vom Steuerzahler
getragen. Der Faktor Arbeit übernimmt heute tatsächlich nur 30% der gesamten Kosten für
die staatliche Altenversorgung. Eine Entkoppelung der notwendigen Einnahmen der
Rentenkassen von dem Erfordernis einer sozialpflichtigen Beschäftigung würde an der
Verteilungswirkung aus naheliegenden Gründen wenig ändern.

Die Idee, Renten stärker über den Staatshaushalt zu finanzieren, trägt dabei nicht weit. Die
meisten Vorschläge nehmen ohnehin nur die (wenigen) üblichen Verdächtigen ins Visier,
Unternehmen und „Reiche“. Die deutsche Wirtschaft ist dabei geteilt, was nicht nur an
diese Stelle wesentlich ist. Ein geringer Teil der Unternehmen ist in sogenannten
Kapitalgesellschaften organisiert, sie zahlen Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer
(zusätzlich noch den Soli). Wenn in politischen Diskussionen über Unternehmenssteuern
debattiert wird, so ist meist nur dieser Sektor gemeint. Auch die OECD hat sich die
Definition zu Eigen gemacht, da international unternehmerische Aktivitäten üblicherweise in
Form von beschränkt haftenden Gesellschaften organisiert sind. Für Deutschland gilt diese
nicht, über 90% der deutschen Unternehmer arbeiten in Personengesellschaften, sie haften
persönlich und sind identisch mit ihrem Unternehmen.

Die Unternehmenssteuern befinden sich in Deutschland mit etwas über 30% im


internationalen Mittelfeld, der OECD-Standard liegt bei 25%. Der langjährige Trend ist
jedoch abnehmend, gerade haben die USA, bisher Spitzenreiter mit 38%, eine neue Runde
zur Senkung der Corporate Taxes eingeleitet. Großbritannien wird nach dem BREXIT in
das neu eröffnete Rennen einsteigen. Der Spielraum zur Erhöhung der Körperschaftsteuer
ist damit denkbar gering und andere Länder haben nicht Deutschlands große
Demographieprobleme. Würde Berlin einseitig die Steuerschraube anziehen, gäbe es
einen Run in begünstigte Staaten. Corporate Taxes werden am Sitz einer
Kapitalgesellschaft erhoben, verlagert Daimler einen Teil seiner Gesellschaften in die USA
oder auch nur in die Niederlande, geht der Berliner Kassenwart leer aus. Die
Betriebsstättenbesteuerung, die Gewinne in einem Betrieb abfangen soll, ist nur eine völlig
unzureichende Kompensation.
Bei den Personengesellschaften ist die Situation völlig anders. Wegen der Identität von
Unternehmen und Eigentümer wird der Gewinn nach den persönlichen Verhältnissen
besteuert, in der Spitze also mit 45% (plus Solidaritätszuschlag). Eine Sonderabgabe für
die Rentenkasse dürfte schon an verfassungsrechtlichen Problemen scheitern, da eine
Ungleichbehandlung der Gewinnbesteuerung mit anderen Einkunftsarten des
Einkommensteuergesetzes nicht erlaubt ist.

Die Besteuerung von Vermögen ist in Deutschland zwar nach internationalen Maßstäben
niedrig, die Einnahmemöglichkeiten jedoch auch nicht exorbitant hoch. So erbringt die
Erbschaftsteuer 6,1 Milliarden Euro, doch selbst eine Verdoppelung des Aufkommens wäre
lediglich ein Tropfen in ein Fass ohne Boden. Die Vermögensteuer generierte im letzten
Jahr ihrer Erhebung umgerechnet 4,6 Milliarden Euro Steuereinnahmen. Soweit wir die

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Steigerung des Volksvermögens seitdem mit dem Steueraufkommen extrapolieren, lägen
die potentiellen Einnahmen bei 8,2 Milliarden Euro bei unveränderter Rechtslage. In Abzug
gebracht werden müssten jedoch die gewaltigen Verwaltungs- und Erhebungskosten.
Verschiedene Wirtschaftsforschungsinstitute kalkulierten diese mit einem Drittel des
Steueraufkommens. Kurz: das Potential für zusätzliche Steuern aus Vermögensteuern liegt
im einstelligen Milliardenbereich. Und selbst wenn die Finanzverwaltung trotz erheblicher
Rekrutierungsprobleme von geeignetem Nachwuchs eine verfassungskonforme Erhebung
hinbekäme, bliebe ein nicht umgehbares Verfassungshindernis: Die Einnahmen aus
Vermögensteuern stehen den Bundesländern zu, während eine steuerfinanzierte Rente
aus dem Bundeshaushalt bezahlt werden müsste. Es ist politisch schlicht nicht vorstellbar,
dass eine Mehrheit der Ministerpräsidenten einer Grundgesetzänderung zustimmen würde,
welche die eigenen Einnahmen reduziert.

Überhaupt kommt einem bei der Suche nach neuen Einnahmequellen für die
Rentenversicherung stets das Grundgesetz in die Quere. Die Altersbezüge sind eine
Versicherungsleistung, die Ansprüche wurden durch frühere Beitragszahlungen erworben.
Damit haben sie Eigentumscharakter und sind durch Artikel 14 geschützt. Die Pensions-
und Rentenanwartschaften werden in der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung mit
unvorstellbaren 8,8 Billionen Euro angegeben, Mitte der Neunzigerjahre lag dieser Wert
noch bei etwas über 4 Billionen Euro. Um ein Gefühl für die Größenordnung zu bekommen,
muss man sich vergegenwärtigen, dass das gesamte Volksvermögen laut Bundesbank
(Bauten, Grund und Boden, Forderungen) mit 15,5 Billionen Euro weniger als das Doppelte
ausmacht. Wer eine Systemumstellung anstrebt, muss den Gegenwert der Anwartschaften
sichern.

Sobald nämlich Renten vornehmlich aus Steuern finanziert werden, verlieren sie ihren
Beitragscharakter. Das bedeutet, jeder Bürger hat den gleichen Anspruch aus
Transferzahlung. Eine steuerfinanzierte Rente tritt neben die aus Beiträgen finanzierte
Rente. Zwei Beispiele sollen dies verdeutlichen. Die aus Steuern finanzierte Grundrente
beträgt dabei 1.300 Euro:

a. Ein 59jähriger Besserverdiener hat kurz vor seinem Ruhestand einen Anspruch gegen
die gesetzliche Rentenversicherung von hochgerechnet 2.300 Euro erworben. Bei
Renteneintritt werden seine Anwartschaften gegen den steuerfinanzierten Rentenanspruch
gegengerechnet. Neben der Grundrente muss der Bundesfinanzminister weitere 1.000
Euro Rente monatlich stemmen.

b. Eine 72jährige ehemalige Sekretärin erhält derzeit eine Rente von 800 Euro aus eigenen
Ansprüchen und nach dem Tod ihres Mannes weitere 1.200 Euro Witwenrente. Auch hier
müssen die Anwartschaften von 2.000 Euro gegen die Grundrente gerechnet werden.
Eventuell hätte die alte Dame sogar einen kalkulatorischen Anspruch von 2.500 Euro, der
aus Steuermitteln zu begleichen wäre.

Diese Beispiele verdeutlichen, dass eine Systemumstellung kurz vor dem Ausbruch der
demographischen Krise extrem teuer wäre. Eine schwindende Zahl von Erwerbstätigen und
mutmaßlich auch unternehmerisch tätigen Bürgern müsste nicht nur die ohnehin hohen
Lasten einer rasant alternden Gesellschaft stemmen, sie müsste darüber hinaus noch
weitere Ansprüche eigentlich gut situierter Bürger befriedigen. Anfang der Neunzigerjahre
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wäre ein solcher Kraftakt noch möglich gewesen, doch zwischenzeitlich sind weitere 4,5
Billionen Ansprüche hinzugekommen. Dieser Zuwachs hätte in den letzten 25 Jahren für
eine Systemumstellung genutzt werden können.

Dass dies unterblieb, ist den damaligen Sozialpolitikern von Blüm (CDU) über Seehofer
(CSU) bis Rudolf Dressler (SPD) anzurechnen. 1997 hatte der frühere Ministerpräsident
von Sachsen Kurt Biedenkopf (CDU) auf einem Parteitag für die vom Sozialwissenschaftler
Meinhard Miegel entwickelte Grundrente geworben, welche die beitragsfinanzierte Rente
ablösen sollte. Biedenkopf unterlag, zumal die Grundrente von allen maßgeblichen Kräften,
von Union über die SPD bis zu Grünen und PDS, in großer Mehrheit abgelehnt wurde.

Es ist ein wirtschaftspolitischer, noch mehr ein finanzwirtschaftlicher Irrwitz, eine


Systemumstellung in der Rentenversicherung justament in dem Moment anzustreben, wo
die Rechnung dafür am höchsten wäre. Dieses Zeitfenster ist längst geschlossen und
öffnet sich erst wieder, wenn der demographische Sturm irgendwann um 2050 vorüber ist
und eine Normalisierung der Relation der Zahl der Erwerbsfähigen zu Anzahl der Alten
eintreten wird. Politik und Gesellschaft haben es versäumt, ausreichend Vorkehrungen für
schlechte Zeiten zu treffen. Gerade im Rentenrecht wirken Entscheidungen sehr langfristig.
Fehlentscheidungen können nur zu unverhältnismäßigen Kosten korrigiert werden. Leider
wird das Denken auch in Bezug auf die Altersvorsorge meist von kurzfristigen
Überlegungen und Vorteilsbestrebungen bestimmt. Die Jahre der großen Koalition sind
dafür ein besonders schlimmes Beispiel, wo die Kabinette Merkels jeden Spielraum und
sämtliche Reserven des Systems für kurzfristige politische Vorteile verbrannten.

Die letzte verbliebene Reserve und damit die einzige Möglichkeit, die Alterseinkünfte zu
stabilisieren, ist damit eine deutliche Verlängerung der Lebensarbeitszeit. Da die Mehrheit
inzwischen zu alt ist um noch nennenswerte Vermögenswerte aufzubauen, die dem
sinkenden Rentenniveau entgegenwirken könnte, werden viele ein Erwerbseinkommen
auch im höheren Alter benötigen, um über die Runden zu kommen. Die Verkürzung der
Lebensarbeitszeit wie bei der Rente mit 63 ist da ein absoluter Tort gewesen. Nur Leute,
welche die Grundrechenarten verlernt haben, können das mit „vernünftiger Politik“
überschreiben.

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