Gedächtnis- und autobiographietheoretische Grundlagen
zur Erschließung des kommunistischen Begehrens
Der Arbeitstitel meines Dissertationsprojekts ist „Post-Politik und der Verlust kommunistischen Begehrens“. Um den Zusammenhang zwischen postpolitischer Gegenwart und dem Verlust kommunistischen Begehrens herzustellen, will ich an die kultur- und sozialwissenschaftliche Konzepte des kollektiven (Maurice Halbwachs) bzw. kulturellen Gedächtnisses (Aleida und Jan Assmann) andocken. „Verlust“ im Sinne eines kollektiven Vergessens kann in diesem Zusammenhang verstanden werden als Teil soziokultureller Erinnerungspraktiken. Meine Betonung liegt nun darauf: Auch wenn dem Vergessen die Eigenschaft zukommt, notwendiger Bestandteil von kultureller Erinnerung zu sein, ist ihm nicht ein Moment von Gewalt und Willkür genommen. Vergessen ist nie neutral und bestimmtes Vergessen kann eine zentrale Bedeutung für die Konstellation gegenwärtiger Subjektidentitäten besitzen. Darauf aufbauend ist die These meines Dissertationsprojekts, dass kommunistisches Begehren einem kollektiven Vergessensprozess unterliegt: Die spezifische Form der Repräsentation der Geschichte der Arbeiterbewegung in der gegenwärtigen Erinnerungskultur trägt Spuren dieses nicht unschuldigen, funktionalen Vergessens.
Um dieses verlorene, vergessene Begehren offenzulegen, will ich
autobiographische Schriften von deutschen Kommunist_innen untersuchen, deren zeitlicher Klimax in den Jahren 1917 ff. liegt. Im Mittelpunkt meiner Untersuchung soll es dabei um Autobiographien gehen, die in diesem Zeitraum durch die Erfahrung eines lebensgeschichtlichen Bruchs gekennzeichnet sind, die die Tätigkeit oder tiefe Sympathie für die Kommunistische Partei Deutschlands in Zweifel gezogen haben. Meine Erwartung besteht darin, sowohl die jeweils historisch spezifischen Gründe für das kommunistische Begehren als auch die Momente des Zweifels rekonstruieren zu können. In anderen Worten verspreche ich mir von der Interpretation der autobiographischen Schriften eine Erschließung der affektiven Innenseite dieses Zeitraums kommunistischer Geschichte. Es geht um die Ergänzung der Kommunismusforschung, die sich auf Darstellung und Analyse des Wechselspiels bewegungsinterner Entscheidungen und Transformationen einerseits und bewegungsexterner Einflussfaktoren andererseits beschränkt und damit auf die affektive Dimension der Geschichte des Kommunismus nur oberflächlich eingehen kann. Damit verbunden ist das Anliegen, die spezifische Situation von Kommunist_innen sichtbar zu machen, denen die Mittel dafür verloren gegangen sind, ihre Utopie Wirklichkeit werden zu lassen; die also sowohl von dem Begehren als auch dem Zerwürfnis mit dem Parteikommunismus Zeugnis ablegen.
Im Rahmen des Doktorand_innenseminars will ich mehrere kritische Punkte
meines Projekts diskutieren. Zum einen soll es um die Plausibilität und Kohärenz der theoretischen Grundannahmen und Bezugspunkte gehen. Desweiten will ich diskutieren, ob die Auswahlkriterien des Quellmaterials einer kritischen Prüfung standhalten. Außerdem stellt sich die Frage, ob die Leitfragen, mit denen ich den Autobiographien begegnen will, ein ausreichendes Hilfsmittel bilden, um über die dissertationskonstituierende Problemstellung vorzudringen. Die Untersuchung der autobiographischen Schriften beinhaltet zudem immense methodische Probleme die Legitimität verallgemeinernder Schlussfolgerungen betreffend.