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Zu diesem Buch

Vil6m
Zrur'Ml n<;ch unvertjff'entlichte'ltxte aus zwei Jahrzehnten, in der
i\Ichrzahl jedoch in den letztenJahrcn cntstandcn, zcigcn den ..dir Flusser
gitelen Denker" \4l6rn I.-lusser von seiner:rnderen Se:ite: Iingagiert
geg;cn dcn Nationalismus, dcn cr in verschiedenen (lestaltcn ar.rs Von der
den Abgründen auftauchen sah, die sich beirn Zusarnmenbruch der
politischen Vernunft üffnen untl denen nur nrit !'ernunft nicht bei- Freiheit
zukornrlen ist.
I)ieses F)ngagernent kanr nicht von ungefähr; es griinclete in der arl
des Migranten
cigenen Leibe und im cigenen Dcnken gemachten Erfährung des
Vertriebenseins uncl der Ileinratlosig;keit, die Flusser mehr uncl Einsprüche gegen den
rnehr als (lhance begriff - als den Vcrrteil, keine Heirnat zu habcn. Nationalismus
..Die Migration ist eine keative Situation", doch will die rnit ihr
verbundene Iireiheit auch zrusgehalten sein, urd das hie{J fiir
Flusser, sie in Vcrantr.ortung urnzuformulieren.
Dazu bedarf es einer neuen l)enkart, zu der Flussers Texte und
Schriftcn anstiften wollen. Scine Kommunikations- und Medien-
philosophie, die nicht für [iinheit, sondcrn für \ielheit, nicht für
..lViederuereinigrrng'r, sonclern fiir vernetzte Streuung plädiert,
hat hier ihre Kcimzclle und ihr mit ebensoviel Nachdrücklichkeit
wie Witz uncl Scharf,sinnigkeit vorgetragenes Anliegen.
Ein Vorw'ort der brasilianischen Flusser-Schülerin A{aria Lilia
Lcao, ein Brief dcs Autors an Linda Reisch und Peter Glotz sou'ic
ein Ciespräch iiber Biographie, Nächstenlicbe uncl neuen Nationa-
lismus rnit dem Schu'eizerJournalisten Patrik T;chudin kompiet-
tieren den Band.

Der Autor

Vil6rn Flusser, geboren rgzo in Prag, r99r bei einem Verkehrsun-


fall nahe der tschechisch-ileutschen Grenz.e gestorben, floh r94o
vor den Nazis nach London und wanderte krrze Zeit darauf mit
seiner späteretr Iirau Edith nach Brasilien aus. Bis rgTz blieb er in
Säo Paulo, wo er zuletzt als Professor fiir Kommunikations-
philosophie lehrte. rgTz ging er nach Europa zurück und ließ sich
schließtich in der Provence niecler, verbrachte dort zuletzt aber nur
noch die Hälfte desJahres. Die andere Hälfte war der gefragte und
streitbare Redner unterwegs, um Einladungen zu Vorträgen und
Syrnposien zu folgen, die ihn in die ganze Welt, bevorzugt zrber in
clen deutschsprachigen Raurn fül-rrten.

l)ie 'lbxte des Bandes wurden zusammensestellt von Stefan


IJollmann. Bollmann
zugleich lateinisch und barbarisch bedeutet. Gegenwärtig
ist dies leider nicht mehr so einfach, weil die Barbaren drin-
Exil und Kreativität
nen sind und die Gesitteten draußen. Da hat es keinen Sinn,
Mauern bauen zu wollen, sondern alle Mauern fallen, die
Barbaren wiedervereinigen sich, wie es einst die Proletarier
aller Länder taten, und die Clesitteten emigrieren.
Die kleinkrämerische Barbarei, wie sie sich zum Beispiel
in Buchstabenklümpchen r.vie AIDS, Nato, ET oder BRD
äußert, untergräbt die Gesittung wirkungsvoller als die Dieser Aufsatz hat nicht vor, auf die existentiellen und reli-
groiJmäulige, blutige und rasende der Dreißigerjahre, weil EJiösen Konnotationen des Begriffs ..ExiLr einzugehen. F)s
sie wie ein \4rus unbemerkt alle Sitten verpestet. Niemand soll jedoch in allem, clas hier zu sagen ist, jene Stimrnung
kann angesichts der Buchstabenklürnpchen gesittet reden, rnitschwingen, in welcher die Christen vom Vertriebensein
angesichts der Fleischklürnpchen gesittet essen, angesichts cles Menschen aus dem Paradies in die \Ärelt l.rinaus splc-
der Zahlenklürnpchen gesittet philosophieren. Die Allge- chen, in welcher die jüdische Mystik vom Exil des göttlichen
genwart der barbarischen Kleinkrärnerei hat bereits alle Sit- (leists in der Welt spricht und in welcher die Existential-
te in Unsitte verwandelt, so daß jeder, der die Gesitrung vor analyse im Menschen einen Frernclen in cler Welt sieht. Dies
der Barbarei retten will, dies im Bewußtsein tut, unsittlich zu soll in allem hier zu S:rgenclen mitschwingen, ohne zu Worte
handeln. Wer dieser Lybernetischen Barbarisierung ent- zu kornrnen. Denn die hier verfolgte Absicht ist, die Exil-
kommen will, rnuß sich zurückziehen. situation als I{erausforderung für schöpferische Handlung
Dieser Rückz.ug selbst ist ein Barbareneinfall. Es fällt da- zu sehen.
bei dem Ernigranten ein, daß er der Barbar aller anderen ist, Die zu unterbreitentle Hypothese ist diese: Der Vertrie-
eben weil er nicht mitspielt. Als die Clermanen und die Chri- bcne ist aus seiner gew()hnten Umgebung' herausgerissen
sten Rom zerstörten, waren fiir sie die Römer Barbaren. rvorclen (oder hat sich daraus herausgerisscn). Gewohnheit
Dann zogen sich einige Christen in Klöster zurück, urn dort ist eine Decke, welche den Sachverhalt zucleckt. In cler gc-
ein von unserem Standpunkt aus barbarisches Leben zu füh- wohnten LlmgebunpJ werclen nur VeränderunpJen, nicht
ren (zum Beispiel urn dort zu stinken). Sie taten es, um In- aber Pcrmanenzen wahrgenomrnen. Wer u'ohnt, für clen
seln der (iesittung irn Ozean der Barbarei zu bilden. So ein sind nur Veränderungen infrrrmativ, und alles Pcrmanente
Barbareneinfall ist gegenwärtig wiecler spruchreif. Ob ihn sind fiir ihr.r Reclundanzen. Ln Exil ist alles ungewöhnlich.
Ortega ..vertikal" genannt haben würde? Das trxil ist ein Ozean von chaotischen Infbrrnationen. Der
Mar.rgel an Reclundanzen clort erlaubt nicht, diesen Infor-
rnationsschwirll als sinnvolle Botschaftcn zu empfirr.rgen.
Das Exil ist, da ungewrihnlich, unbewohnbar. Man rnuß, un.r
tlort wohnen zu können, clie urnl-rerschwirrenden Informa-
tionen zu sinnvollcn Botschaften crst verarbeiten, man rnuß
diese Daten ..prozessierenn. Das ist einc Frage des Über-
Iebens: leistet man die Aufgabe der Dater.rverarbeitung
nicht, dann wird man von den Wellen des Exils verschlun-
gcn. I)aten verarbeiten ist svnonym rnit Schaffen. Der Ver-
triebene rnu{J kreativ sein. will e r nicht verkornrne n.
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'=.ffiilhlPl'lr'irri:i',
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l,rrill|rli jillllrllll]ltllrtlltlrl'tlrtllirtlu"

Bevor ich an die \/erteidigung dieser Hlpothese gehe, weil sie anästhetisiert, rvird sie als angenehm enrpfur-rden.
will ich darauf aufilerksarn rnachen, daß sie eine positive zUs eernütlich. Die (]eu<rhnheit macht alles hübsch mhie.
Bewerürng cles \'ertriebenseins vorschlägt. L-r einer Lage, in Jccle ger.r'ohnte Urlgebung ist hiibsch, und cliese
der man gewöhnt ist, Vertriebene zu ber-rritleiden, ist diese Hiibschheit ist eine der Cluellen der Vaterlandsliebe. (trVel-
positive Bewertunpq selbst ungewöhnlich und sollte, laut der che allerdings Hübschheir rnit Schönheit venvechselt.)
Fllpothese, daher selbst schon infonnativ sein. Denn es Wird die Wattedecke der Gewohnheit weggezoeen, dann
scheint ja, laut dieser Bewertung, daß jene Leute, welche entdeckt man. Nles u,ird dann ungewöhnlich, rnonströs, im
den Vertriebenen ..helfen" wollen, wiecler eewijhnlich zu wahren Sinne des Wortes..ent-setzlich". Es genügt, um dies
werden, sich irn (lrunde darum bernühen, sie in ihre eigene cinzusehen, sich einrnal die eigene rechte Hand urit ihren
Ordinarität zurückzuholen. Dies ist eine infirrmative Be- Iiir.r gerbewegungen vonr Stan dpunkt ein es M arsbervohners
hauptung, da sie zwinst, ()ewohntes zu ülterdenken. Die rrr-rzusehen: ein oktopusartiees Ungehcuer. Die Griechen
Behauprun g rechtfertigt kei n esfalls di e Vertreiber, sond ern nrlnntcn dieses Entclecken rles Zugedeckten n-ltlteia, eirt
sie zeigt im Gegenteil die Vulgarität cler Vertreibe r: Die Ver- \Vrrrt, das wir mit ..\.\/ahrhei to übersetzer.r.
triebenen wrren störende Faktoren und wurden entfernt, Nicht etwa, als ob ra'ir tatsächlich von unserer eigencn
urn die Ulngebung noch EJewiihnlicher als vorher zu rla- rechten IIand vertricben werden kr)nnten, auller selbstre-
chen. Hingegen stellt diese Behauptung anheirn, ob die dend, wir ließen sie :lnputieren. Daher ist die Entdeckung,
Vertreiber den Vertriebenen nicht gepJen clie Absicht beider ri,ic monströs unsere leibliche Bedingtheit ist, eher unserer
'leile einen Dienst geleistet haben? scltsarnen Fähigkcit zu verdanken, uns unseren l-eib ge-
Ich sage ..Vertriebene" und nicht oFlüchtlinge" oder danklich zr-r vcrtreiben. So ein radikales Exil ist nicl.rt lange
..Ernigrrrntentt, uur tlie Reichweite des hier angeschnittenen ,rufrcchtzuerhalten: E,s plckt ur.rs ein unwiderstehliches
Problems vor r\usen zu ftihren. Denr.r ich nreine nicht nur lleirnweh nach nnserem hübschen Leib, und wir le-inrrui-
Phänonrene rvie die Boat people, P:rlüstinenser oder jüdi- grieren. Uncl cloch ist dieses Beispiel eines extrernen Exils
sche Flrnigrltion aus Hitlers Europa, sonclern jenes Vertrie- rruf^schlu{Jreich: Es ist fiir den Vertriebenen beinahe so, als
bensein cler ältcren Generation aus cler \Velt ihrer Kinder oh er aus seinem eigenen Körper hinausgetrieben wäre. Ns
und Enkei oder jenes Vertriebensein der I'Iurnanisten aus ob er aus seiner Haut fahren rnüßte. Selbst das Gewohnte,
der Welt der Al)parate. \Ätr stehen in einer Periode der Ver- tlrrs er ins Exil rnitnirnmt, wird nicht ganz geheuer. Alles um
treibunpJ. Wenn man dies positivwertet, wird einen.r die Zu- ihn l-rerr,rm ur.rd in ihnr drinnen wird eckig r.rnd ger:,iuschvoll.
kunfi wenigcr dunkel erscheinen. lir lvird zur Entdeckunft, zur Wahrhcit getriebcn.
Dieser Aufsltz u'ircl von einen.r rnehrfach uncl in verschie- Die Transzendenz, in der sich der Vertriebene befindet
denen Sinnen \tertrietrenen geschrieben. \'trtt cineln also, (soureit das Wrrrt ..befintler', fiir ihn zutrifft, denn tatsäch-
der cl,rs Leiclen kennt, das iedes Exil kennzeichnet. Uncl auch lich ist er jr verloren), [äßt ihn alles unr ihn herunr ur-rd ir-r ihnr
den Schltten, den dieses Leiclen wirft und fiir den die deut- ,llinnen als provisorisch, als vergänglich erscheinen. In der
sche Sprache das \Ärort ..I{eimweht gemünzt hat. Er wird ( icrvohnheit u'erclen nur Veränderungen wahrqenomrnen,
trotzdem, odcr gerade cleshalb, das Vertriebensein loben. irn lrxil wird alles als in Veränderung begriffen u,ahrgenom-
Die Clewr hnheit ist eir.re \A/attedecke. Sie rundet alle trk- rrcn, ist für den Vertriebenen überhaupt alles eine Fleraus-
ken ab, und sie dämpft alle Geräusche. Sie ist ur.rästhetisch {irrtlcrung, verändert zu werden. Im Exil, worin die Decke
(v<tn aisthesthti = u'ahrnehmen), weil sie verhütet, daß Infor- ,lcr (lewohnheit abgczogcr-r ist, wird nlan zum Revolutionär,
mationen wie Ecker-r oder Gerüusche wahrgenomlnen wer- rrrrtl sei es nur, unr dort rvohnen zu kijnnen. Drher ist das
den. Weil die (]ervol-rnheit Wahrnehmtrngen lbschirmt, \lilJtrauen, clas denr Vertriebenen im Neuen Land entge-
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{.engebracht wird, vollauf berechtist. Sein Einzug ins Neue einwohner in zrvei Typen aufgeteilt r.r,erden. Der eine T1p
Land durchbricht tatsächlich clas Gewohnte und bedroht (etwa cler Dialog zwischen einem \/ertriebenen und einem
seine I Iübschheit. New Yorker) wird infbnnativ erneuern, der andere Typ
Das Neue Land ist ja nur flir
den Vertriel>enen Neuland. (etwa zwischen einern Vertriebenen und einernJerusalemer)
Wohin immer er vertrieben wird, clort wird er Amerika ent- wird informativ desakralisieren. Diese Klassifikation ist ftir
deckerr. Für die Bervohneq die ihn aufnehmen sollen, ist es ein !'erstänclnis der Gegerrwart (etwa des Phiir-romens der
ein Altland. Nur der Einwanderer in Amerika ist tatsächlich sogenannten ..Clastarbeitern ocler cles Phänornens der Kri-
Arnerikaner, und er ist Amerikaner, selbst \4/enn er in urtlte tik an Apparaten, wie sie in Deutschland von den ..Clrünen"
Länder (zurn Beispiel etwa nach -lemsalern) auswandern heFiirwortet wird) wichrig.
sollte. [)urch seinen Einzug ins Exil verbreitet er um sich
herum eine arnerikanische Stinrrnung. E,r u'ird zum Epizen- \.rertriebene sind Entwrrrzelte, die alles um sich herum zu
trum eines Erdbebens, das von den Ureinu.'ohnern als ein entwurzeln versuchen, um Wurzeln schlagen zu k<innen.
lJrnsrurz cles (]ewohnten erlebt rvird. \,'on seinem eigerren Und zwar tun sie dies spor.rtan, einfacl.r weil sie vertrieben
Standpunkt aus allerclines geht es eher urn das Cegenteil: Er u.urden. Es geht dabei um einen gleichsam vegetalliiischen
ist bernüht, das Ungewohnte (närnlich überhaupt alles) be- \rorgang. Den man vielleicht beobachten kann, wenn rnan
wohnbar zu machen. Aus diesem gegenseitigen Mißver- versucht, Bäurne umzupflanzen. Es kann jedoch geschehen,
ständnis liann ein scl-röpferischer Dialog zu'ischen Vertrie- daiJ sich der !'ertriebene clieses vegetabilischen, vesetativen
benem und Ureinrvohner entstehen. i\spekts seines Exils bewu{Jt wird. Da{J er enttleckt, daß der
Es ist jecloch nicht gleichgültig, wohin män vertrieben Ntensch kein Baurn ist. LInd daß vielleicht die nrenschliche
wurde. Zwar ist fiir den Vertriebenen selbst überhaupt alles Würde eben darin besteht. keine Wurzeln zu haben. Daß
Exil Neulancl. Aber für die Ureinrvohner hat jedes l,and rler Mensch erst eigentlich Mensch wird, wenn er die ihn
einen,rnderen Chrrrakter, nämlich andere Ciewohnheiten, bindenden vegettrbilischen Wurzeln lbhackt. Irn Deutschen
welche die Wahrheit verdecken. Es gibt Länder, die sich aus eibt es das gehässige Wort..Luftmenschr'. Der \rertriebcne
Gewohnheit für neu halten (ztrrn Beispiel eben Anerika klnn entdecken, daß ..Luft' uncl ..(]eistn nah r.erwanclte
oder clas Lancl unserer Enkel odcr clas Land tler'.rutomati- llesriffe sind und daß daher ..Luf-tmensch" Mensch
schen Apparate). Lrnd Länder, die sich ar-rs (iewohnheit fur schlechthin bedeutet.
alt, das heißt .heilie' halten (zum Beispiel ebenJerusalern So eine Entdeckung ist ein dialektischer Umschlag im
oder das Land der linearen'Iäxte oder das Land der bürser- Vcrhältnis zwischen Vertriebenem und Vertreiber. Vor der
lichen \Vclte). Zieht nun cler Vertriebene in ein sich für neu llntrleckung ist tlarin cler \,'ertreiber der aktive Pol, der Ver-
haltendes Land ein, dann zwinq't dies die LIrein'r,r.ohner, ihre tliebene der passive. Nach der Entdeckung wird der
durch Gewohnheit verkrustete Senilität zu entclecken. LInd Vcrtreiber der Leidtragende, der Vertriebene cler Täter. Es
zieht er in ein sich fiir hellig haltendes Land ein, dann zu,ingt ist die Entdeckung, daß die Geschichte nicht vorr Vertrei-
clies dic Ureinu'ohner, ihre Heiligkeit als (leu.ohnheit zu lrcrrr, sondern von Vertriebenen genracht wird. Nicht die
entdecken. E,r z,wingt einerseits die Amerikrner, die Enkel .lrrrlen sind ein Teil der Geschichte cler Nazis, sonclern die
und die Apparatfunktionäre, sich selbst als ein irnmer schon N:rzis sind ein Teil der jüdischen (]cschichte. Nicht die
( iroßeltern sind ein 'lleil unserer Biouraphie, sondern die
Dageu'esenes zu entdecken. Und andererseits die Jerusa-
lerneq dic Schriftstellcr uncl clie Verteitliger eu'iger \4/erte, l,.nkel. Nicht r.r,ir sind ein Teil tler Cleschichte der irutomatr-
sich selbst als träge Clewohnl.reitstiere zu entdecken. Daher tt hcn Apparate, s()ndern die Apparrrte sind ein -leil unserer
( icschichte. Und je radikaler wirvon den Nazis, den Enkeln,
kann der kreative Dialog z.wischen Vertriebenem und lJr-
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den Apparaten ins Exil getrieben werrlen, desto mehr ma- gern. A4an kann daher beirn Schaffen von einenr dialogi-
chen wir Geschichte: Wir transzendieren urn so besser. Aber schen ProzefJ sprechen, wobei es entweder urn einen ..inne-
das ist nicht das Entscheidende an der Entdeckung, daß wir ren" oder..äußeren" Dialog geht. Die Ankunft des \,'ertrie-
keine Bäume sind: daß Wurzellose Geschichte machen. benen im Exil ruft..äußere" Dialoge hervoq und es entsteht,
Sondern das Entscheidende daran ist, zu entdecken, wie spontan, um den Vertriebenen herurn ein geradeztr ernsiges
mühsam es ist, keine neuen Wurzeln zu schlagen. Die Ge- Schaffen. Er ist Katalysator fiir Synthesen neuer Infbrma-
wohnheit ist nämlich nicht nur eine Wattedecke, welche a[- tioner.r. \\lrd er sich jedoch seiner Wurzeliosigkeit als seiner
les zudeckt. Sondern sie ist auch ein Schlarnrnbad, in dem es V!'ürde bewußt, dann entsteht in ihm ein .<innerer,, I)ialog,
hübsch ist ztr wählen. Heimweh ist nostulgie de la boue, und nämlich ein Austausch zwiscl.ren seinen mitgebrachten In-
man kann es sich überall, auch im Exil, gernütlich machen. formationen und dern Ozean der Infonnationswellen, die
Ubi bene, ibi patria. Die Entdeckung, daß wir keine Bäume ihn im Exil urnspülen. Es geht dann um schöpferische Sinn-
sind, verlangt vom Vertriebenen, den Lockungen des gebung sou'ohl dern Mitgebrachten u'ie dem ihn jerzt umge-
Schlamrns immerwiecler zuwiderstehen. Vertrieben zu blei- benden Chaos gegenäber. Wenn rlerartige ..äußere" und
ben, uncl das heißt: sich immer erneut vertreiben zu lassen. <.inns1s" Dilloge aufeinancler';rbgestinrrnt werden, u'ird
Dies stellt selbstredend die Frage nach der Freiheit. Die nicht nur die Welt, sondern rverden die Ureinwohner und
Iintdeckung der r.nenschlichen Würde als Wurzellosigkeit der Vertriebene selbst schöpferisch veränclert. Das rr.reinte
scheint die Freiheit auf das Recht zu gehen und zu kommen ich, als ich sagte, Freiheit sei fiir den Vertriebenen, claß er
zu reduzieren. Auf das Wehen des Geistes. Tätsächlich aber fremd bleibe, anders als die anderen. Es ist die Freiheit, sich
stellt sich die Frage nach der Freiheit jetzt als die Frage, ob selbst und die anderen zu ändern.
es rnöglich ist, sich vertreiben lassen zu wollen. Ob zwischen Der Vertriebene ist der andere cler anderen. Das heilit, er
..hssenn und ..wollen, nicht ein Widerspruch ist, ob es tun- ist für die irnderen anders, und die ancleren sinrl anders hir
iich ist, das Schicksal zu wollen. Eine bekannte Frage. Aber ihn. El selbst ist nichts als tler andere cler anderen, und nur
sie stellt sich für den Vertriebenen nicht theoretisch, etwa als so kann er sich..identifiziereno. Und seine Ankunft irn Exil
Dialektik zwischen Determination und Freiheit, sondern sie lüßt die Llreinwohner entdecken, daß auch sie sich nur in
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stellt sich praktisch. Die erste Vertreibung wurde erlitten. llezug auf ihn ..identilizieren" krjnnen. Es entsteht, bei sei-
Sie hat sich als produktiv erwiesen. Und dann beginnt das rrer Ankunft irn Exil, ein Auftnecken des ..Selbsr" und ein
Exil zur Gewohnheit zu werden. Soll man sich, gleich Offnen hin zum anderen. Ein A,{itsein. Diese clialogische
Mtinchhausen, aus dieser Gewohnheit an dcn eigenen I laa- Stimmung, die das Exil kennzeichnet, ist nicht notwendi-
.t ren herauszuziehen versuchen oder soll man eine neue Ver- geru'eise ein Elegenseitiges Anerkennen, sonrlen'r sie ist
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4 treibung provozieren? So stellt sich die Frage nach der Frei- rneist polemisch (um nicht zu sagen mörderisch). Denn der
I

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heit nicht als Frage, zu gehen und zu kommen, sondern Vcrtriebene bedroht die ..Eigenart" des Ureinwohners, er
.d fremd zu bleiben. Anclers als die anderen. stellt sie durch seine Frerndheit in Frage. Aber selltst so ein
{ polemischer Dialog ist schöpferisch, denn auch er fiihrt zur
-t$ Ich sagte eingangs, Schaffen sei synonym mit Datenprozes- S1'nthese neuer Informationen. Drrs Exil, wie immer es auch

i sierung. Ich meinte dan-rit, daß das Erzeugen neuer Informa- r1c:rrtet se in möee , ist die Brutstätte für schöpf'erischc Tären,
tionen (das Schaff-en) auf Synthese vorangesangener Infor- lrir rlas Neue.
I
mationen beruhe. Eine solche Synthese besteht aus einem
Austausch von Informationen, so wie diese in einem einzel-
nen Gedächtnis oder in verschiedenen Gedächtnissen la-

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