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POLITIK 14.

Oktober 2010 DIE ZEIT No 42 13

»Da muss man doch dabei sein«


Trotz aller Affären: Die Rechtspopulisten haben in Österreich selbst Jörg Haider überlebt – und triumphieren in Wien VON JOACHIM RIEDL

W Pioniers Haider. Doch in Ton und Inhalt, schrill burgen der Sozialdemokraten. Die haben zwar

Foto: Dieter Nagl/AFP/Getty Images


ie Luft ist stickig im Festzelt und hetzerisch, übertrifft Strache sein Vorbild ihre absolute Mehrheit eingebüßt, werden aber

D neben dem Wiener Rathaus.


Zigarettenqualm, Bierdunst,
verschwitzte Gesichter. Dis-
comusik wummert aus den
Lautsprechern. Längst darf niemand mehr in
das überfüllte Zelt. Mit Konfettikanonen im
Anschlag wartet eine Gruppe von Wahlhelfern
beträchtlich. Wortgewaltig kämpft er gegen die
Errichtung von Minaretten, in denen er »Sie-
geszeichen des Islam über das Christentum« er-
kennen will – selbst wenn sich nirgendwo auch
nur ein Gebetstürmchen in Planung befindet.
Er beschwört den Kollaps aller sozialen Errun-
genschaften, die von fremdländischen Schma-
auch in den nächsten fünf Jahren die Stadt re-
gieren. In den vergangenen Wahlkampfmonaten
hatte die Partei von Bürgermeister Michael Häupl
sich große Mühe gegeben, die Ängste der Bevöl-
kerung zu zerstreuen, indem sie ständig städtische
Ordner in ihrem angestammten Revier auf Pa-
trouille schickte. Der Erfolg blieb aus. Wie schon
auf den Triumphator, der jede Minute zu der rotzern ausgeplündert würden. Er beklagt das zu den Hochzeiten von Jörg Haider wechselten
Siegesfeier stoßen soll. vollkommene Scheitern aller Integrationsbemü- diese sozialdemokratischen Wähler in Scharen zu
Gleich vorn bei der Bühne sitzt ein älterer hungen und rief den Belagerungszustand in ei- den freiheitlichen Herausforderern.
Arbeiter in grüner Strickjacke an einem der ner Stadt aus, die keine Ghettoisierung kennt Ihre wiedererstarkte Position nutzt der FPÖ
Biertische. »Da muss man doch dabei sein«, und die wenig, verglichen mit anderen europäi- allerdings vorläufig wenig. Noch will niemand
sagt er strahlend in schwerer alpenländischer schen Großstädten, unter der Ausbreitung von mit den Schmuddelkindern der österrei-
Mundart und erzählt, dass er 200 Kilometer Parallelgesellschaften leidet. Allein er und seine chischen Politik ein Bündnis eingehen. Sie
aus der Steiermark angereist sei, um diesen »soziale Heimatpartei« könnten »unser schönes bleiben weiterhin auf ihre Rolle als Fundamen-
Augenblick nicht zu verpassen. Vor ihm liegt Wien« noch vor dem Verfall bewahren, predigte talopposition beschränkt. Eine Koalition, wie
ein Stapel Ansichtskarten der Walzerstadt. Auf er in seinem Dauerwahlkampf. sie vor zehn Jahren der konservative Parteichef
jede schreibt er die immer gleiche Freudenbot- Mit diesem apokalyptischen Mantra, das be- Wolfgang Schüssel von der Österreichischen
schaft an die Kameraden daheim in der Pro- vorzugt in Reimen unters Volk gebracht wird Volkspartei mit Jörg Haider gewagt hatte,
vinz: »Wien, 10. 10. 2010. Wir haben riesig (»Mehr Mut / für unser Wiener Blut«), punktete scheint derzeit noch in weiter Ferne.
gesiegt! Gleich kommt der HC.« der gelernte Zahntechniker vor allem in den Vor allem auch deshalb, weil sich die Partei
Unvermittelt dröhnt der aufpeitschende großen Stadtrandbezirken, in denen der Anteil an unter Strache heute wieder als das Auffangbecken
Schlusschor aus der Kantate Carmina Burana von Bewohnern mit Migrationshintergrund deutlich ehemaliger Nationalsozialisten aufführt. Zwi-
Carl Orff. Er ist die neue Erkennungsmelodie des unter dem Wiener Durchschnitt liegt. Aktuell schenzeitlich abgelegt, dominieren besonders bei
freiheitlichen Parteiführers Heinz-Christian Stra- gehören 35,8 Prozent der Wiener zu der ersten den Wiener Freiheitlichen völkische Ideologen,
che, den Freund und Feind nur mit den Initialen oder zweiten Generation von Zuwanderern. die großteils schlagenden Burschenschaften ent-
seines Vornamens rufen. Jubel brandet auf, Wol- Gerade dort allerdings, wo nur vergleichs- stammen. Strache ist der Anführer dieses stramm
ken blauer Papierschnitzel regnen auf die Menge, weise wenige Ausländer leben, in den großflä- rechten Gesinnungstrosses. Zwar wird ihm mit
mühsam bahnt sich der 41-jährige Anzugträger chigen Wohnbezirken nordöstlich der Donau einem effekthascherischen Führerkult gehuldigt,
einen Weg durch seine Anhänger im Partyzelt. etwa, kam die Angstbotschaft an. Offensicht- doch gleichzeitig belächeln die tonangebenden
Wien hat gewählt, und Strache ist es an lich, so die Analyse der Meinungsforscher, be- Parteifunktionäre den Nichtakademiker.
diesem Abend gelungen, seine Partei, die fürchte ein wachsender Teil der Bevölkerung, Bei der freiheitlichen Siegesfeier in der Wiener
rechtspopulistische FPÖ, wieder zu alter Größe aus seinem kleinbürgerlichen Idyll vertrieben Innenstadt beobachteten die zernarbten Banner-
zu führen: in jene Höhen der Wählergunst, die zu werden, in dem bislang alle Dinge des All- träger der Partei zufrieden, wie ihnen neue An-
sie bereits einmal vor zehn Jahren erklommen tags von einer omnipräsenten Stadtverwaltung hänger aus einem Milieu zuströmten, das tradi-
hatte, bevor sein verstorbener Vorgänger Jörg geregelt wurden. Nun fühlen sich Bürger be- tionell nicht zu ihrer Männerbündelei gehört.
Haider die eigene Partei auseinandersprengte. reits durch kleine integrative Bemühungen ge- Kommentatoren in Wien befürchten indes bereits,
27 Prozent der Wiener, doppelt so viele wie »HC« im Partyzelt: stört, mit denen sich die Stadt an die Normali- bei der nächsten Wahl könnte der neue starke
noch vor fünf Jahren, stimmten am vergange- Heinz-Christian tät einer multikulturellen Gesellschaft anzunä- Mann in Österreich Heinz-Christian Strache
nen Sonntag bei der Wahl in der Hauptstadt Strache, der Parteichef hern versucht. Wenn beispielsweise hier und da heißen, wenn nicht einmal ein versierter Wahl-
für einen Barrikadenredner, der eigentlich nur der FPÖ, feiert eine ausländische Familie eine Wohnung erhält, kampfprofi wie der Wiener Bürgermeister Häupl
ein Thema kennt: die Angst vor Überfrem- mit Anhängern nach wo sonst fast nur Österreicher wohnen. ihn stoppen kann. Den Anspruch auf den Bür-
dung, vornehmlich jener durch Muslime. der Wahl Diese Viertel mit einem hohen Anteil an öf- germeisterposten hatte Strache schon vor Jahren
Ausländeralarm lautete einst auch das Er- fentlichen Wohnsiedlungen, den in Wien sprich- erhoben. Damals klang das größenwahnsinnig.
folgsrezept für die Siegesserie des Populismus- wörtlichen Gemeindebauten, gelten als die Hoch- Nach dem Triumph vom Sonntag nicht mehr.

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