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74 KULTUR Deutsch perfekt X / 2017

Ausstellung im Wohnzimmer
Dass es Bibliotheken gibt, weiß jeder. Aber nur wenige Menschen kennen wenigstens eine der
150 Artotheken in Deutschland. Das ist schade: Wer nämlich einmal in einer war, kommt sehr
wahrscheinlich immer wieder. LEICHT

D
ie Frau ist sich sicher: Einen Alix Stadtbäumer weiß es besser. Sie ist
das W¡rk, -e der B“ldhauer, - , Person:
Gerhard Richter im Original selbst Künstlerin und kümmert sich seit , hier: Produkt von einem Sie macht Skulpturen.
kann es in diesem Haus nicht 17 Jahren um die Artothek und ihre Besu- Künstler
ausleihen , hier: gegen
geben. Denn die Werke des cher. „Auch einen Gerhard Richter haben (der K•nstler, - , Person: Bezahlung leihen
bekannten deutschen Malers, Bildhauers wir“, erklärt sie der Dame. „Aber er ist ak- Sie macht Kunst.)
fœrdern , hier: helfen,
und Fotografen sind nicht billig. Sie sind tuell ausgeliehen.“ Es gibt hier auch Wer- (die K¢nst , ≈ ästhetische dass sie bekannter werden
die teuersten Werke eines Künstlers, der ke von Joseph Beuys. Oder Andy Warhol. Dinge, z. B. Bilder, Literatur,
Musik oder Skulpturen)
noch lebt. Der 85-Jährige ist ein Superstar. Trotzdem: Namen sind den meisten Be-
der Maler, - , Person: Sie
Für ein Richter-Bild hat ein anonymer suchern nicht wichtig. Sie gehen in den
macht Bilder, z. B. mit Öl-
Fan schon 41 Millionen Euro gezahlt. Lo- hellen Raum mit den Bildern, Fotografi- oder Wasserfarben.
Foto: Stadt München/Kulturreferat

gisch, dass die Besucherin in der Münche- en und Skulpturen – und nehmen das mit,
ner Artothek da keine Chance sieht. Denn was ihnen spontan gefällt.
in dieser Institution kann sich jeder für „Die meisten Werke sind von Künst-
nur drei Euro im Monat Kunst ausleihen. lern aus München, denn wir wollen die-
Schüler, Studenten und Senioren zahlen se fördern“, sagt Stadtbäumer. „Wir ma-
nur 1,50 Euro. Wie sollen diese Gebühren chen kein Leasing, sondern kaufen alle
ein Bild des Superstars finanzieren? Bilder. Außerdem bekommen sie so die
Deutsch perfekt 1 / 2018 KULTUR 75

e Sie zeigt
auch kleine
Ausstellungen: die
Artothek München.

die Möglichkeit, -en zufällig , ≈ so, ohne


Möglichkeit, einem großen Publikum sind möglich. Spätestens nach einem Jahr , hier: Sache: Man kann spezielles Motiv
ihre Kunst zu zeigen.“ Deshalb zeigt die muss alles wieder zurück. „Das war ziem- sie machen; Option
vorbeikommen
Artothek auch immer wieder Werke in lich schwer für mich“, erzählt der Arzt. gegr•ndet , ≈ gestartet , hier: hineingehen
einer Ausstellung. Aktuell ist es die Licht- Stadtbäumer kennt den Trennungs- dazukommen , hier: neu h„tte … s“ch verliebt
installation 68 von Benjamin Bergmann. schmerz gut. „Natürlich verliebt man sich ins Angebot kommen , Plusquamperfekt von:
Artotheken gibt es in 150 deutschen in ein Bild, mit dem man lange zusam- sich verlieben = beginnen,
liegen bei , hier: nicht
zu lieben
Städten. Die 1986 gegründete Instituti- menwohnt“, sagt sie. „Wenn man es dann mehr sein als
zwar … Aber … , hier: es
on im Zentrum von München ist eine der wieder abgeben muss, ist Liebeskummer … “st ¡s wieder so weit.
ist so, dass … Aber …
ältesten des Landes. Aktuell hat sie circa garantiert.“ Deshalb möchten viele Per- , … ist der Moment wieder
da. die Verlængerung, -en
1800 Objekte in ihrer Sammlung. Jedes sonen die ausgeliehene Kunst kaufen. , von: verlängern = hier:
entscheiden , hier: unter
Jahr kommt etwas Neues dazu. Das Bud- Das ist aber nicht erlaubt. „Wir wollen eine Frist länger dauern
verschiedenen Werken
get liegt bei 15 000 Euro. Im Februar ist und dürfen keine kommerzielle Galerie lassen
wählen
es wieder so weit. Dann entscheidet eine sein“, erklärt Stadtbäumer. „Aber ich stelle seinen Weg f“nden “n
spätestens , ≈ mindes-
tens
Jury, welches Werk seinen Weg in die Ar- gern den Kontakt zu den Künstlern her.“ , hier: gekauft werden für
tothek findet. Für viele Menschen ist es dann ein tolles der Liebeskummer
blættern d¢rch
, Traurigsein wegen
Ein neuer Besucher ist durch die Tür Erlebnis, selbst im Atelier des Menschen , hier: ≈ kurz auf ein Bild
unglücklicher Liebe
nach dem anderen sehen
gekommen. Vorsichtig blättert er durch zu stehen, dessen Kunst sie so mögen.
das Erlebnis, -se , hier:
die Bilder. Die stehen auf Regalen, immer Aber: Auch die Abwechslung ist schön. das Regal, -e , Konstruk-
≈ schöne Erfahrung
tion aus Holz oder Metall:
mehrere zusammen. Um eins zu sehen, Und nach Liebeskummer kann man sich Dort kann man Dinge die [bwechslung
muss man das andere etwas nach vorn natürlich wieder neu verlieben. lagern. , von: abwechseln = hier:
kippen. Deshalb ist das „Klack-Klack“ So vielfältig wie die Sammlung sind immer wieder neue Bilder
k“ppen , hier: aus einer
haben
der Bilderrahmen wahrscheinlich das die Menschen, die die Kunst ausleihen. vertikalen Position in eine
horizontale tun vielfältig , mit einem gro-
typischste Geräusch in der Es kommen junge Leute,
ßen Angebot verschiedener
Artothek. Stadtbäumer kann Viele wollen die die das erste Mal ihre eige- der B“lderrahmen, -
Dinge
, ≈ schmale Stücke außen
dem Mann zu jedem Bild, Bilder kaufen, ne Wohnung einrichten. Sie an allen Seiten von einem aufein„ndertreffen
jeder Fotografie und jeder haben Lust am Experiment, Bild , hier: ≈ einen Kontrast
wenn sie sie zeigen
Skulptur etwas erzählen. Sie aber nicht viel Geld. Auch (schmal , nicht breit)
weiß aber auch: Damit Kunst
zurückgeben kommen Eltern mit ihren begrüßen , Hallo sagen
das Geräusch, -e
wirken kann, braucht der Be- müssen. Kindern. „Das ist dann oft , Ein Geräusch kann man
zu

trachter Ruhe. Deshalb lässt ein langer demokratischer hören. der Bes“tz , von: besitzen
= haben
sie ihn zuerst alleine schauen. Erst dann Prozess, bis nach vielen Diskussionen klar w“rken , einen Effekt
fragt sie, ob sie helfen kann. ist: Dieses Bild kommt mit nach Hause – haben auf bel„sten , hier: ≈ Proble-
me machen
„Ich bin schon einmal hier gewesen“, und das andere nicht“, erklärt Stadtbäu- der Betr„chter, - , Per-
son: Sie sieht genau auf einfach , hier: ≈ ohne
erklärt der Mann. Er stellt sich als Patrick mer und lacht. Denn bei Familien treffen etwas. Probleme
Merker vor. Merker ist Arzt und arbeitet sehr unterschiedliche Meinungen aufei-
teilen , hier: mit anderen
in München. „Ich bin zufällig hier vorbei- nander. Oft begrüßt Stadtbäumer auch zusammen benutzen
gekommen – und habe schon beim ersten Firmenkunden in den hellen Räumen,
st„tt , hier: lieber … als …
Besuch Kunst mitgenommen“, erzählt er. die nach Kunst für Büros suchen. Und:
In ein Bild mit geometrischen Formen Viele ältere Menschen mögen die Idee
der Künstlerin Felicitas Gerstner hatte er der Artothek. Die haben oft ihr ganzes
sich spontan verliebt. „Die Formen waren Leben lang Dinge gesammelt. „Zu viel Be-
nicht nur auf dem Papier, sondern auch sitz kann belasten“, erklärt Stadtbäumer.
vorn auf dem Plexiglas“, erinnert er sich. „Deshalb finden es viele unserer älteren
Aber das war nicht alles: Auch eine massi- Klienten schön, dass man Kunst einfach
ve Skulptur aus Marmor musste mit. „Ich wieder zurückgeben kann.“
habe dann ein Taxi genommen“, sagt Mer- Das passt zum aktuellen Trend: Teilen
ker. „Denn mit Bus und Bahn wollte ich statt besitzen ist das Motto von immer
die beiden Kunstwerke nicht transportie- mehr Menschen. Carsharing oder Se-
ren. Die Skulptur war wirklich schwer.“ cond-Hand-Mode wird immer populärer.
Ein Jahr hatte Merker die Kunstwer- Das Schöne am Teilen von Kunst: Jeder
ke in seiner Wohnung. Man kann jedes kann für wenig Geld sein Wohnzimmer
Objekt zwar nur für einen, zwei oder vier zu einer Galerie machen. Und das mit
Monate ausleihen. Aber Verlängerungen immer neuen Ausstellungen. Claudia May

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