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ERBFREUNDSCHAFT

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EU/A-47180249

Ein Vertrag für den


Zusammenhalt der EU
Zum Wohl Europas wollen Bundeskanzlerin Merkel und Präsident
Macron die Freundschaft ihrer Länder ausbauen - und Populisten in
ihre Schranken verweisen. Die EU applaudiert. Aus Aachen Bernd
Riegert.

Draußen vor dem historischen Rathaus von Aachen standen sich bei eisiger Kälte
zwei kleine Gruppen von Demonstranten gegenüber, durch Polizei und
Absperrgitter säuberlich auseinander gehalten. Auf der einen Seite die
europafreundlichen Anhänger von "Pulse of Europe" mit ihren blauen
Luftballons, auf der anderen Seite überwiegend Franzosen in gelben Westen, die
gegen Staatspräsident Macron und - ihrer Meinung nach - zuviel Europa
demonstrieren. Mit Trillerpfeifen und lauten Sprechchören versuchten sich die
Demonstranten Gehör zu verschaffen. Im Kreuzgewölbesaal des Rathauses,
hinter schweren Mauern und Butzenglasscheiben, bekamen die Festredner von
den kleinen Gruppen auf dem Vorplatz nichts mit.
Im Saal waren sich alle einig, dass der neue Freundschaftsvertrag zwischen
Frankreich und Deutschland nicht nur die beiden Länder enger
zusammenschmieden wird, sondern auch der "wankenden" Europäischen Union
helfen werde, so Frankreichs Staatspräsident Macron. Man lebe in "besonderen
Zeiten", sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel. Es bedürfe "klarer, entschlossener
und zukunftsorientierter Antworten". Der zunehmende Nationalismus und
Populismus, auch der Brexit, setzten Europa unter Druck. In der Welt sei der
Multilateralismus in Gefahr, sagte die Kanzlerin mit Blick auf die USA.
"Selbstverständliches wird in Frage gestellt."

Deutschland und Frankreich bleiben Motor


"Deutschland und Frankreich müssen zu ihrer Verantwortung stehen", mahnte
der französische Präsident Emmanuel Macron. Es müsse ein wirklich souveränes
Europa geschaffen werden. Die deutsch-französische Freundschaft sei dafür das
Fundament. Auf die sich zusammenbrauende Wut müsse eine Antwort gefunden
werden. Die Gefahr komme aus dem Inneren der Gesellschaft, sagte Macron -
wohl auch mit Blick auf die Gelbwesten, die seit Wochen in Frankreich gegen
seine Politik auf die Straße gehen.
"Deutschland und Frankreich müssen Taktgeber sein", forderte Bundeskanzlerin
Angela Merkel. Es gehe um den sozialen Zusammenhalt in der EU. Deutschland
und Frankreich strebten mit dem neuen Vertrag von Aachen, der den 56 Jahre
alten Elysee-Vertrag ergänzen soll, eine wirtschaftliche Konvergenz, einen
gemeinsamen Wirtschaftsraum an. Wo immer möglich, wollen Frankreich und
Deutschland in der EU mit einheitlichen Positionen auftreten. Das bedeute viel
Arbeit, so die Kanzlerin, aber sie verpflichte sich mit "voller Kraft und ganzem
Herzen" dazu, den Vertrag mit Leben zu füllen.
Enge militärische Zusammenarbeit
Sowohl der französische Präsident als auch die deutsche Kanzlerin würdigten die
im Vertrag vereinbarte militärische Beistandsklausel als ganz besonderes Zeichen
der Freundschaft. "Noch vor wenigen Jahren wäre das nicht denkbar gewesen",
so Macron. Die beiden Völker hätten einen "atemberaubenden Weg"
zurückgelegt, sagte Angela Merkel und erinnerte daran, dass man erst vor
wenigen Wochen des Endes des Ersten Weltkrieges vor 100 Jahren gedacht habe.
Jetzt verpflichte man sich, gemeinsame Außenpolitik zu machen. Das sei wirklich
atemberaubend, so Merkel.

Die EU mit im Boot


Eingeladen zur feierlichen Unterzeichnung des neuen Freundschaftsvertrages
waren auch die Spitzenvertreter der Europäischen Union. Donald Tusk, der Chef
des Europäisches Rates, der EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker
und der rumänische Präsident Klaus Iohannis als derzeitiger
Ratspräsident lobten den Vertrag und gehen davon aus, dass Deutschland und
Frankreich auch künftig die Integration innerhalb der EU fördern und kein Land
ausschließen. "Die EU braucht ein klares Signal aus Paris und Berlin", sagte
Donald Tusk. "Die Zusammenarbeit zwischen zwei Ländern ist keine Alternative
zur großen Zusammenarbeit zwischen allen." Auch in seiner Heimat Polen, in den
baltischen Staaten und vielen östlichen Mitgliedsstaaten gebe es Millionen von
Menschen, die Europa wollten.
"Deutschland und Frankreich lassen andere an ihrer Freundschaft teilhaben", gab
sich der Luxemburger Jean-Claude Juncker gewiss. Diese Freundschaft sei der
Garant für Frieden und Freiheit in Europa, meinte Juncker. Er könne das als
jemand, der aus einem kleinen Land zwischen Frankreich, Belgien und
Deutschland stamme, beurteilen.
Kritik am Aachener Abkommen
Kritik an dem erneuerten deutsch-französischen Vertragswerk kommt aus Italien
und Polen. Die dortigen populistischen Regierungen wollen eine Art
Gegengewicht zum deutsch-französischen Tandem bilden. Das vereinbarten der
italienische Innenminister Matteo Salvini und sein polnischer Amtskollege,
Joachim Brudzinski, vor wenigen Tagen. Der rechtsradikale Lega-Chef Salvini
warf Deutschland und Frankreich vor, sie hätten ein "Europa der Bürokraten"
geschaffen. Er unterstützt die Proteste der Gelbwesten gegen den französischen
Präsidenten. Im Rathaussaal wandte sich Emmanuel Macron unter großen
Applaus gegen alle, die Lügen verbreiteten und versuchten, die deutsch-
französische Aussöhnung zu unterwandern. Er reagierte offenbar auf Äußerungen
von rechtspopulistischen Politikern in Frankreich, die behauptet hatten, der neue
Vertrag von Aachen führe zu einer Unterwerfung Frankreichs unter deutsches
Recht.

"Das ist natürlich Unsinn", sagte der Ministerpräsident des Saarlandes, Tobias
Hans, der Deutschen Welle. Die Kritik der Rechten sei nur der Versuch, die EU zu
diskreditieren. "Der Vertrag ist eine Riesenchance, die Freundschaft
auszubauen." Sein Bundesland, das an Frankreich grenzt, solle das erste wirklich
zweisprachige Bundesland werden, sagte der saarländische Regierungschef. Der
Vertrag müsse jetzt gelebt und in viele konkrete Projekte umgesetzt werden, zum
Beispiel im öffentlichen Nahverkehr, in gemeinsamen Kindertagesstätten oder
einheitlichen Verwaltungsvorschriften beiderseits der Grenzen.
Besser als Schule
2083 Städtepartnerschaften zwischen deutschen und französischen Gemeinden
gibt es inzwischen, 56 Jahre nach dem ersten Freundschaftsvertrag. Acht
Millionen Menschen haben an Austauschprogrammen des deutsch-französischen
Jugendwerkes teilgenommen. "Der Prozess ist unumkehrbar", sagte die
Bundeskanzlerin. "Aus Erbfeindschaft ist eine ewige Freundschaft geworden",
lobte EU-Komissionspräsident Juncker. Als Beispiel für konkrete
Zusammenarbeit waren neben den Ehrengästen Schulklassen des Sankt
Leonhard Gymnasiums in den Rathaussaal eingeladen worden. Die Schülerinnen
und Schüler der bilingualen Schule folgten den Reden auf Deutsch und
Französisch völlig selbstverständlich. "Es ist spannend, die Politiker mal live zu
sehen", meinte eine Schülerin der 11. Jahrgangsstufe. "Und immer noch besser
als Unterricht", fügte sie grinsend hinzu.

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