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Erschienen in:

Musikmachen
im Web 2.0
Neue Möglichkeiten, gemeinsam
im Internet zu musizieren
Matthias Krebs

Längst bietet das Internet mehr als nur den Vertrieb von Musik-Dateien.
Im so genannten „Mitmach-Internet“ (Web 2.0) treffen sich immer
mehr (vor allem junge) Menschen auf Social-Media-Plattformen, um
miteinander in Kontakt zu treten. Auch musikalische Aktivitäten können
zunehmend in Echtzeit ausgeführt werden, wodurch eine neue Form der
musikalischen Praxis entsteht.

Haben Sie schon einmal versucht, über einen Aus unserem Verständnis des Computers als musikalisch auszudrücken, und das Bewusst-
Internet-Telefondienst wie Skype gemeinsam „Apparat der unbegrenzten Möglichkeiten“ sein für den Computer als musikalisches Aus-
Musik zu machen, z. B. ein kleines Duett zu heraus haben wir den Anspruch, dass beliebige drucksmittel zu schärfen. Je alltäglicher und
singen? Obwohl in einer Videokonferenz ohne Systeme und Anwendungen gestaltet werden selbstverständlicher kreative Gestaltung im
Weiteres fünf Teilnehmende miteinander dis- können - auch solche, die in jenem Lebensbe- Netz wird, desto mehr bilden sich Freiräume
kutieren können, endet das musikalische Ex- reich, der als natürliche Realität verstanden und Nischen, in denen sich Kunst, Kultur und
periment selbst ohne Bildübertragung schon wird, nicht existieren. Wie aber kann das Inter- Individualität entfalten können. Aber welche
im ersten Takt unweigerlich in einem Chaos. net, das beinahe alles mit jedem interaktiv zu Kenntnisse sind für eine aktive Teilnahme an
Eine Zeitverzögerung, die beim Sprechen verbinden scheint, für kreatives Gestalten von einer wie auch immer gearteten digitalen Mu-
kaum auffällt, macht das Musizieren unmög- Musik und gemeinsames Musizieren genutzt sikpraxis und der damit verbundenen Musik-
lich. Ähnlich unbefriedigend ist das Spielen werden? Hat Musikmachen neben den zahlrei- kultur notwendig?
auf einer virtuellen Klaviertastatur, auf die chen anderen Funktionen des Internets über- Konflikte entstehen immer dann, wenn ver-
man über eine Webseite zugreifen kann.1 Eine haupt Relevanz? sucht wird, erfolgreiche traditionelle Werk-
musikalische Artikulation lässt sich hier mit Ohne Zweifel ist Musik ein bedeutender Be- zeuge eins zu eins auf neue Entwicklungen zu
dem Mausklick kaum realisieren. Vielleicht ist standteil des Internets. Doch ist der Handel übertragen, aber dabei neue Möglichkeiten
es also kein Wunder, dass die Musikpraxis im mit Sound-Dateien dabei nur eine primitive und Eigenschaften ignoriert werden. Das
Internet bisher wenig Bedeutung hat, scheinen Form musikalischer Interaktion. Grundidee Keyboard im Proberaum beispielsweise hat
doch keine Bedingungen für das Musizieren ist, eine Technologie verfügbar zu machen, gegenüber einem Konzertflügel eine ganze
gegeben zu sein. die in der Lage ist, Menschen zu helfen, sich Reihe von Nachteilen, z. B. bezüglich seines
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Foto: Anja Schmidt

nachahmenden Piano-Klangs oder in der ge- Um zu ergründen, welches musikalische Poten- der Hand des Nutzers für die kommunikative
ringeren Differenzierungsmöglichkeit beim zial das Internet hat und wie es gemeinsames Nutzung des Internets interessant. Darüber
Tastenanschlag. Auf der anderen Seite hat Musizieren unterstützen kann, bedarf es also hinaus verfügt das Medium neben der Anwen-
es aber auch viele Vorteile: den Preis, seine einer Betrachtung der spezifischen Bedingun- dung zum gleichberechtigten Informations-
Mobilität, die Klangauswahl, eine integrierte gen und Möglichkeiten des Mediums. austausch aber auch über die Möglichkeit des
Aufnahmefunktion etc. Die Relevanz des Ins- Prozessierens von Informationen. Letzteres
truments entscheidet sich nach dem Kontext, NETZMUSIK beinhaltet das aktive Gestalten, das heißt die
in dem die Musik entsteht sowie vermittelt und Steuerung, Modifikation oder Herstellung
rezipiert wird. So ist der Konzertflügel für die Wird über Musik im Internet gesprochen, so musikalisch relevanter Daten, wobei das Inter-
Musik auf der klassischen Konzertbühne von beschränkt sich die Reflexion darüber häufig net selbst Instrument mit charakteristischen
Bedeutung, beim Live-Gig im Jazzclub kommt auf die Verfügbarkeit gespeicherter Musik. Klangeigenschaften sein kann.
das Keyboard zum Einsatz. Für das Anspielen Charakteristisch für diese Form der Mediennut- Traditionellerweise liegt die Stärke von Kunst-
einer kurzen Melodie hat die oben vorgestellte zung ist, dass das Netz auf etwa dieselbe Weise schaffenden im Entdecken neuer Mittel und
virtuelle Klaviertastatur im Internet den Vor- wie die Massenmedien Radio und Fernsehen Wege, Medien und Materialien zu verwenden.
teil, von überall erreichbar zu sein. Doch zum verwendet wird: Es wird ein Programmange- Durch das Auffinden neuer oder sogar wider-
gemeinsamen Musizieren bleiben bei diesem bot „angeschaltet“. Dabei bleiben wesentliche sprüchlich erscheinender Interpretationen
Konzept entscheidende Möglichkeiten des Aspekte dieses Mediums jedoch unberücksich- für bestehende Systeme und Organisationen
Internets als Kommunikations- und Hand- tigt. Auf das Musikmachen bezogen ist der ver- sowie im Aufweichen traditioneller Strukturen
lungsraum ungenutzt. netzte Computer zunächst als Sendekanal in helfen Künstlerinnen und Künstler, einen
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Unter www.noteflight.com hat


man Zugriff auf ein vollwertiges
Notensatzprogramm, mit dem
Noten für Soloinstrumente
sowie Band-Arrangements
und kleine Orchestersätze mit
Dynamikzeichen und Liedtexten
gesetzt werden können.

neuen Sinn für diese zu finden. Als erster mu- Seit etwa 2005 ist eine Schwerpunktverlage- von einer Vielzahl von Individuen, die sich mit
sikwissenschaftlicher Ansatz zur Beschreibung rung in der Musikpraxis im Internet festzu- Hilfe so genannter Social Media untereinander
musikalischer Phänomene der Netzkunst, die stellen. Die Entwicklung bewegt sich von der vernetzen.5 Aus Webseiten werden nun Inter-
unter Einbeziehung der spezifischen Möglich- Experimentierphase der avantgardistischen netplattformen, die es den Nutzerinnen und
keiten und Bedingungen in elektronischen Netzmusik, in der die Eigenschaften des Inter- Nutzern ermöglichen, ohne besondere tech-
Netzen entsteht, gilt die Arbeit von Golo nets im Mittelpunkt stehen, hin zu Konzepten nische Fähigkeiten Inhalte in qualitativ und
Föllmer. Er definiert Netzmusik als Musik, des Musikmachens, die das Netz zu Produk- quantitativ entscheidendem Maß selbst zu er-
„die spezifische Eigenschaften des Internets tions- und Distributionszwecken von Musik in stellen, zu bearbeiten und zu publizieren.
strukturell reflektiert“.2 Die Strukturen des In- den Vordergrund stellen und dabei stärker den
ternets dienen dabei nicht nur der Verbreitung kommunikativen Aspekt des Internets nutzen. [Inhalte werden nicht mehr
oder Darstellung von Musik, sondern finden in Diese aktuellen musikalischen Projekte stehen nur zentral von großen
ihr selbst Ausdruck. im Kontext des so genannten Web 2.0 und sind Medienunternehmen erstellt
Dabei können die musikalischen Netzprojekte mit dessen Eigenschaften ausgestattet.4 und über das Internet verbreitet,
als konsequente Fortsetzung der Ideen der sondern inzwischen auch von
Avantgarde des 20. Jahrhunderts verstanden WEB 2.0 einer Vielzahl von Individuen.]
werden. Grundmotivation für die kreative
Dynamik in der Frühzeit des Internets Anfang Vielen macht die rasante Entwicklung des Social Media sind asymmetrisch und demo-
der 90er Jahre war insbesondere die kollektive Internets, die durch den zunehmenden Ver- kratisch: Jeder kann, niemand muss daran
Erforschung des „Cyberspace“. Angestrebt netzungsgrad noch beschleunigt wird, Angst: teilnehmen. Dies gilt beispielsweise dann,
wurde eine Medienästhetik elektronischer Sie fürchten die Orientierung und den An- wenn man eigene Musikproduktionen auf
Netze, die ein neues Musikverständnis und schluss zu verlieren. Bezeichnenderweise Myspace veröffentlicht, einen Artikel zu einem
einen neuen ästhetischen Kanal herausbildet. bezieht sich jedoch der Begriff Web 2.0, der Musikbegriff bei Wikipedia bearbeitet oder
Der öffentliche Raum des Internets bot sich signalisiert, dass es sich dabei um eine zwei- ein Konzertvideo bei Youtube kommentiert.
dafür an, wurde er doch kaum mit den altbe- te Version des Internets handelt, weder auf Dabei basieren die einzelnen Social-Media-
kannten Ritualen des Konzertsaals in Verbin- spezifische Technologien oder Innovationen Angebote meist auf einer spezifischen, selb-
dung gebracht. Er entwickelte sich damit zum noch auf eine bestimmte Software-Version. storganisierten Web-2.0-Sozialkultur, den so
Experimentierfeld für die Neudefinition der Web 2.0 beschreibt vor allem eine veränderte genannten Social Communities bzw. sozialen
Beziehung zwischen Musiker und Zuhörer. Nutzung und Wahrnehmung des Internets und Netzgemeinschaften. Die Teilnahme daran
Leitmotiv ist dabei die Idee einer kollektiven steht für eine Reihe interaktiver und kollabo- wird über ein persönliches Nutzerprofil gere-
Kreativität, die sich von der Idee des Künstlers rativer Elemente. Daher wird in diesem Zu- gelt, wodurch auch der Aufbau von Kontakten
als Einzelschöpfer abwendet, indem die Rezi- sammenhang auch häufig von einem Wandel auf Grundlage gemeinsamer Interessen und
pienten selbst zum Performer bzw. Co-Autor zum „Mitmach-Internet“ gesprochen. Inhalte Projekte sowie veröffentlichter Inhalte ermög-
werden. Netzmusik ist daher nicht Produkt, werden nicht mehr nur zentral von großen licht wird. Die vielen Internetplattformen un-
sondern musikalische Aktivität. Wahrnehmen Medienunternehmen erstellt und über das terscheiden sich dabei thematisch: Die bedeu-
wird zum Teilnehmen.3 Internet verbreitet, sondern inzwischen auch tendsten sind Kommunikationsplattformen
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wie Facebook, daneben gibt es aber auch Auch bei Noteflight wird die Bedienung stän- im Fachbereich Musikpädagogik9 wurden ins-
Foto- und Videoplattformen sowie Musik- dig optimiert und kommen neue Funktionen gesamt über 30 Musikplattformen entdeckt.
plattformen. hinzu: So können inzwischen z. B. Gitarrentabs In Gruppenprojekten wurden davon einige
Die Internetseite Noteflight ist ein charakteris- eingefügt oder Noten farblich markiert Plattformen näher auf ihre gestalterischen
tisches Beispiel für eine Web-2.0-Musikplatt- werden. Bei der Weiterentwicklung wird ins- Möglichkeiten untersucht sowie Ideen für den
form. Es handelt sich um eine kostenlose6 besondere die Nutzung im Musikunterricht Musikunterricht entworfen und erprobt.
Notationsanwendung, bei der man Noten on- berücksichtigt, da auch Musikpädagogen im
line im Internet-Browser schreiben, anhören, Noteflight-Team mitwirken. [Viele Musikplattformen
ausdrucken und sich mit anderen Nutzern • Wiederverwendbare Komponenten: Die In- kennzeichnet, dass die
über Kompositionen austauschen kann. Im halte der einzelnen Internet-Plattformen sind Beziehungen innerhalb
Folgenden sollen die charakteristischen Merk- nicht auf diese Seiten beschränkt. Sie können von Nutzergruppen höchste
male7 des Web 2.0 am Beispiel von Noteflight als Modul auch auf anderen Seiten angezeigt Priorität haben.]
vorgestellt werden. Diese Merkmale sollen werden, wobei die eigentlichen Daten auf der
einerseits dabei helfen, sich in der aktuellen ursprünglichen Seite bleiben. In Bezug auf das gemeinsame Musikmachen
Entwicklung des Internets zu orientieren.8 Auf Noteflight erlaubt es beispielsweise, eine Kom- bestand die Herausforderung insbesondere
der anderen Seite sollen sie einen Überblick position mittels eines Codeschnipsels z. B. auf darin, einen Rahmen zu formulieren, in
über die Bedingungen und Möglichkeiten dem eigenen Blog anzuzeigen, wo sie auch dem andere - nach vorher festgelegten
verschaffen, die die kreative Gestaltung von abgespielt werden kann. Regeln - musikalisch aktiv werden können.
Musik beeinflussen. • Nutzergemeinschaften: Charakteristisch für Rahmen und Regeln müssen vom Initiator
• Netz als Programmplattform: Noch vor Kur- Social Media ist, dass die Internetseiten Funk- sorgfältig aufeinander abgestimmt sein, soll
zem waren Programme, die im Internetbrowser tionen zur Kommunikation in Gemeinschaften die ästhetisch-kommunikative Erfahrung
laufen und mit ähnlicher Funktionalität und anbieten. gelingen. Bei der Konversation auf Musikplatt-
Performanz fest installierte Programme auf Bei Noteflight können Nutzer über die Kom- formen ist auch sorgfältiges Zuhören Voraus-
dem eigenen Rechner überflüssig machen, mentarfunktion der Notensätze mit anderen setzung für das Gelingen der Interaktion. Bei
eine Innovation. Dadurch sind sie unabhängig Nutzern in Kontakt treten. Es ist auch mög- der musikpädagogischen Betrachtung wurden
davon, welches Betriebssystem man nutzt und lich, dass das Mitwirken an Kompositionen für eine ganze Reihe von Chancen, aber auch eini-
ob man im Büro, in der Schule oder zu Hause bestimmte Kontakte zugelassen wird, sodass ge Schwierigkeiten für den Unterricht deutlich.
am Computer arbeitet. gemeinsame Kompositionen entstehen kön- So ist z. B. die Ablenkung für die Lernenden im
Unter www.noteflight.com hat man Zugriff nen. Internet groß und es müssen datenschutzrecht-
auf ein vollwertiges Notensatzprogramm, in Die Bandbreite musikbezogener Internet- liche Vorgaben beachtet werden. Außerdem
dem Noten für Soloinstrumente sowie Band- plattformen deckt die gesamte Musikkultur gibt es die meisten Musikplattformen nur auf
Arrangements und kleine Orchestersätze ab. Es gibt z. B. Veranstaltungsplattformen, Englisch. Jedoch ist die Bedienung von Musik-
mit Dynamikzeichen und Liedtexten gesetzt Kommunikationsplattformen wie Myspace, plattformen charakteristischerweise nicht sehr
werden können. Radio-Plattformen, Expertenblogs zu The- komplex, sodass sich meist auf einfache Weise
• „Mitmach-Internet“: Zur Partizipation sind men klassischer Musik, Plattformen für bewusst gestaltete und gute Klangergebnisse
keine Programmierfähigkeiten nötig. Die Musikspiele sowie Plattformen, die direkt mit erzielen lassen. Als Ergebnis der Untersuchung
Möglichkeit, Internetseiten dynamisch in Ab- einem Downloadshop verknüpft sind. Dabei wurden umfangreiche Skripte erstellt und unter
hängigkeit von den Nutzern zu generieren, ist der Spielraum der musikalisch-kreativen www.musiklernen.tumblr.com veröffentlicht.
macht eine einfache Interaktion zwischen Aktivität groß. Er reicht von Plattformen, die Im Folgenden soll ein kleiner Überblick über
Nutzer und Webseite möglich. im engeren Sinne Möglichkeiten bieten, Musik die verschiedenen Formen des Musikmachens
Noten können in Noteflight direkt per Maus kreativ zu gestalten oder gemeinsam zu musi- im Internet gegeben werden.
oder Tastatur eingegeben werden, ebenso zieren, über Plattformen, die ohne besondere • Auf Thounds (www.thounds.com) können
werden Veränderungen im Layout vorgenom- musikalische Kenntnisse zum Experimentieren Nutzer musikalische Gedanken (Melodien,
men. Natürlich können die Notensätze auch einladen, bis hin zu Plattformen, die nur das Riffs etc.) mit einem Mikrofon direkt ins Inter-
jederzeit angehört werden. Abrufen von einzelnen Titeln zum Musikkon- net aufnehmen und speichern. Werden diese
• Einzigartige Datenbasis: Den Nutzern wird sum anbieten. Aufnahmen veröffentlicht, so können Musiker
die Möglichkeit geboten, ihre Inhalte anderen aus aller Welt weitere Tonspuren (Gesang, Per-
Nutzern zur Verfügung zu stellen. Bei großen MUSIKPLATTFORMEN cussion etc.) einspielen, sodass ein internatio-
Nutzer-Gemeinschaften steigt die Anzahl von nales Musikstück entsteht.
Inhalten in kurzer Zeit enorm an. Typische Erst seit etwa zwei Jahren werden Musikplatt- • Unter www.inudge.net findet man das sehr
Beispiele dafür sind Youtube und Wikipedia. formen online gestellt, die dem Bereich der reduzierte Musikprogramm iNudge, mit dem
Noteflight bietet aktuell fast 50 000 Kreationen Social Media im Sinne des Web 2.0 zuzuord- auch Nutzer ohne musikalische Vorkenntnisse
im öffentlichen Teil der Notenbibliothek. nen sind und eine kreative Musikgestaltung experimentieren können. Die entstehenden
• Ständige Weiterentwicklung: Die Software im engeren Sinne zulassen - also einen deut- mehrstimmigen Kompositionen können an
von Web-2.0-Anwendungen wird aufgrund lichen Bezug zu einer aktiven Musikpraxis Freunde verschickt werden, die ihrerseits
des Nutzer-Feedbacks permanent verbessert. haben. Im Rahmen zweier Hochschulseminare musikalisch antworten können.
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• Eine besondere Möglichkeit, selbst aufge- KOLLEKTIVE KREATIVITÄT 1 z. B. unter www.virtualpiano.net


2 Golo Föllmer: Netzmusik. Elektronische, ästhetische
nommene Musikstücke in einer Gemeinschaft
und soziale Strukturen einer partizipativen Musik,
zu besprechen, bietet die Musikplattform Der inzwischen verstorbene Netzkünstler Max Hofheim 2005, S. 1.
Soundcloud unter www.soundcloud.com. Der Neuhaus formulierte als Vision einer neuen 3 Unter der Adresse www.netzmusik.wordpress.
Musikplayer ermöglicht das genaue Zuordnen Musikform: „Musik zählt nicht als Ergebnis, com wurde eine Sammlung von Internet-Links von
Projekten der Netzmusik mit einer Beschreibung der
von Kommentaren im zeitlichen Ablauf der sondern als Aktivität, nicht als rationaler, son-
Angebote zusammengestellt.
Musik. dern als intuitiver, emotionaler und sinnlicher 4 Auch wenn die Bezeichnung Web 2.0 im Jahr 2004
• Ein mehrspuriges Musikstudio bietet die Prozess; Musik ist nicht statisch, sondern ein zunächst als eine Geschäftsrevolution im Internet
Musikplattform Myna (www.aviary.com/tools/ sich entwickelnder, sich selbst ständig neu infolge des Crash der New Economy deklariert
wurde und es einige Schwierigkeiten bereitet,
audio-editor). Nutzer können hier einzelne Se- definierender Prozess.“10 Dabei zielen seine
einen derart kommerziell belegten und unscharfen
quenzen aufnehmen, bearbeiten und mit Ef- Arbeiten auf eine Musik, die nicht als Ergebnis Begriff zu verwenden, so dient dieses ideenleitenden
fekten belegen. Außerdem steht eine umfang- hochentwickelter Fertigkeiten, „sondern viel- Schlagwort doch zur Beschreibung der vielschichtigen
reiche Soundbibliothek zur Verfügung, sodass mehr als Resultat eines Einverständnisses in- Veränderungen im Internet.
5 Social Media (auch Soziale Medien) umfassen
man sofort mit der Musikproduktion beginnen nerhalb der Gruppe entsteht“.
webbasierte Anwendungen, die den Menschen beim
kann. Es sind vor allem musikalische Projekte, die Informationsaustausch, Beziehungsaufbau und bei
• Die Musikplattform ejAMMING AUDiiO versuchen, den Prozess einer gemeinsamen der Kommunikation in sozialen Kontexten unterstützt.
(www.ejamming.com) bietet einen virtuellen Kommunikationsform im Internet zu ästhe- Die Bezeichnungen Web 2.0 und Social Media
werden häufig synonym benutzt. Dabei wird Web
Proberaum für Jamsessions an. Hier kann man tisieren und damit auf eine andere kreative
2.0 in wesentlich umfassenderen Zusammenhängen
mit sehr geringer Verzögerung mit Musikern Ebene zielen: das Entstehen neuer Formen verwendet. Der Begriff kann technische, ökonomische
auf der ganzen Welt live musizieren. kollektiver Kreativität, bei der sich Wissen- und rechtliche sowie soziale Aspekte beinhalten.
schaft und Kunst von einer individualisierten 6 Wie für Social Media üblich, wird neben der
[Musikplattjormen bieten die Kultur zu einer kooperativen, interdisziplinären kostenlosen Anwendung auch eine Premium-Lösung
angeboten, die ein erweitertes Funktionsspektrum
Möglichkeit, mit Menschen aus Kommunikationsstruktur entwickeln. Die Ver- bietet.
anderen Kulturen in Verbindung änderung der Möglichkeiten zur kreativen Ge- 7 Diese Merkmale orientieren sich an einem
zu treten oder sich weltweit zu staltung von Musik führt dazu, dass man nicht grundlegenden Artikel des Verlegers Tim O‘Reilly aus
dem Jahr 2005, der das Web 2_0 als eine Entwicklung
präsentieren.] mehr allein vor dem Computer sitzt, sondern
hin zum Internet als Plattform beschreibt (vgl. Tim
an einem sozialen Ereignis teilnimmt, bei dem O‘Reilly, http://oreilly_com/web2/archive/what-is-
Diese Musikplattformen kennzeichnet, dass man mit anderen interagiert. Selbststeuerung web-20.html, Stand: 18.08.2010).
die Beziehungen innerhalb von Nutzergrup- und aktives Gestalten stehen im Vordergrund. 8 Sicher haben Sie bereits selbst Erfahrungen mit
typischen Web-2.o-Anwendungen außerhalb von
pen höchste Priorität haben. Der Aufbau Noch nie wurde so viel Musik verbreitet wie
musikbezogenen Nutzungsbereichen gemacht.
realer Beziehungen zwischen Menschen und heute. Dabei geht es weniger um Kunst – im Wichtige Vertreter sind neben Youtube und Wikipedia
die verschiedenen neuen Möglichkeiten, mit- Sinne von Kunstwerken –, sondern um musika- z. B. die Fotoplattform flickr, aber auch Weblogs.
einander Musik zu machen, führen zu neuen lische Praxis. Es ist eine Musizierform, die nicht 9 „Musiklernen im Web 2.0“ im Wintersemester
2009/10 an der Universität Potsdam und „Musik im
gestalterischen Erfahrungen, die die Vorlieben das endgültige Werk zum Ziel hat, sondern die
Internet“ im Sommersemester 2010 an der Universität
der Musizierenden und die ihrer Freunde im vor allem als Aktivität in Gemeinschaft dient. der Künste Berlin.
Netzwerk einbeziehen. Intention ist es hierbei, Da immer mehr musikalische Aktivitäten in 10 Max Neuhaus: „Audium: Projekt für eine Welt als
aus der Orts- und Zeitunabhängigkeit sowie Echtzeit durchgeführt werden können, erge- Hör-Raum“, in: Edith Decker/Peter Weibel (Hg.): Vom
Verschwinden der Ferne. Telekommunikation und Kunst,
durch Vernetzung individuelle Projekte zu schaf- ben sich hier immer neue Möglichkeiten der
Köln 1990, S. 122.
fen. Dabei setzen die Nutzer von Musikplattfor- Interaktion zwischen den aktiven Teilnehmern
men traditionelle Kriterien an die entstehende bzw. Musikern auf den Plattformen.
Musik im elektronischen Raum an und nutzen Damit schließt sich der Kreis meiner Betrach-
das Netz eher pragmatisch. Handlungsweisen tung, die versuchte, neue Möglichkeiten des
und Interaktionsprinzipien wie Proben oder Musikmachens aufzuzeigen. Es existiert eine
Jamming, Mischpulte oder Kompositionspro- kollaborative Musikpraxis im Internet. Musik
gramme werden hierbei auf das neue Medium kann direkt im Internet-Browser oder (schon
übertragen. Im Gegensatz zu den Phänome- in naher Zukunft) auf mobilen Endgeräten
nen der Netzmusik wirkt das Medium Internet gestaltet werden. Dabei entsteht diese Musik Matthias Krebs
nicht entscheidend in den gestalterischen Pro- in einem offenen Prozess. Musikplattformen ist Studienrat (Musik/Physik), Diplommusik-
duktionsprozess von Musik ein, sondern dient bieten die Möglichkeit, mit Menschen aus und Medienpädagoge und hat als Tenor vor
als Kommunikationsmedium, um innerhalb anderen Kulturen in Verbindung zu treten oder Kurzem das Studium zum Opernsänger ab-
von Interessengruppen Informationen auszu- sich individuell weltweit zu präsentieren. solviert. Er betreut als wissenschaftlicher
tauschen. Dabei bieten die Musikplattformen Mitarbeiter am Zentralinstitut für Weiterbil-
durch die verschiedenen Gestaltungs-, Kom- dung an der UdK Berlin den Zertifikatskurs
munikations- und Distributionsmöglichkeiten „DigiMediaL – Strategisches Musikmarketing
Chancen für eine individuelle Perspektive der im Internet“ und ist Dozent für Musikpädagogik
kreativen Arbeit. an der Universität Potsdam.

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