You are on page 1of 990

Lexikon

der Geschichte
Lexikon
der Geschichte

Voltmedia
ISBN 3-938478-32-2

© 2005 Voltmedia GmbH, Paderborn

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der
engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das
gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung
und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Gesamtherstellung: GGPMedia GmbH, Pößneck


Redaktionsleitung: Kay Szantyr
Einbandgestaltung: Oliver Wirth, Bonn
Satz und Layout: Wissen digital GmbH, München
Vorwort

„Der schönste, reichste, beste und wahrste Roman, den ich je gelesen, ist die Geschichte.“
(Jean Paul, 1763-1825)

Die Geschichte der Welt und der Völker in ihr ist tatsächlich ein unterhaltsamer
und farbiger Roman – doch wie jeder Roman besitzt auch die Weltgeschichte
zahlreiche Interpretationsvarianten, von denen keine als die einzig wahre erkannt
werden kann. Aus diesem Grund existieren sie weiterhin alle nebeneinander: die
historische Auslegung, die in jedem Ereignis einen nie wiederkehrenden Einzel-
fall sieht; die soziologische Deutung, die sich um die Erkenntnis von Mustern
und Strukturen in der Geschichte bemüht, auf deren Basis Prognosen möglich
werden; oder auch die anthropozentrische Interpretation, die großen geschicht-
lichen Wandel an der Existenz außergewöhnlicher Politiker, Heerführer oder De-
magogen festmacht.
Die Basis aller Deutungsvarianten aber sind unverrückbare Fakten und Daten,
die durch jahrhundertelange historische Forschung verifiziert werden konnten.
Ihre Quellen reichen von vorzeitlichen Versteinerungen und Spuren, die auf
Völkerwanderungen hindeuten, bis zu den akribischen, wenngleich nicht immer
historisch korrekten Geschichtsschreibungen der alten Griechen und Römer. Sy-
stematische Geschichtsschreibung wurde erst in jüngerer Zeit betrieben. Aber
auch in den letzten Jahrhunderten verzerrten oft ideologische Ziele und religiöse
Ansichten die Darstellungen. Nur mit Mühe konnte die historische Wissenschaft
Wahrheit und Legenden trennen und eine (weitgehend) objektive Geschichte der
Menschheit niederschreiben.
Aufgrund des enormen Wissens, das sich inzwischen erschlossen hat, wird aber
auch der Überblick zunehmend erschwert. Kein Mensch ist mehr in der Lage, die
Unmenge an Fakten zu kennen, die heute „Geschichte“ sind. Gleichzeitig aber ist
das Wissen um die Geschichte zentral, will man die Welt in ihrer heutigen Form
verstehen – denn das Heute ist lediglich das Ergebnis des Gestern.
Das vorliegende Lexikon gewährt in prägnanter Kürze einen Zugang zu den
einzelnen Personen und Ereignissen der Weltgeschichte und damit zu den Hin-
tergründen der Gegenwart. Denn, wie schon Gotthold Ephraim Lessing (1729-
1781) feststellte:

„Die Geschichte soll nicht das Gedächtnis beschweren, sondern den Verstand
erleuchten.“


Aufbau und Abkürzungen des Lexikons der Geschichte

Die einzelnen Artikel sind in alphabetischer Ordnung aufgeführt. Dabei


wurde jeweils die in Deutschland übliche Schreibweise berücksichtigt (d. h.
Cäsar statt des im Lateinischen ursprünglich geschriebenen Caesar); existie-
ren mehrere gängige Versionen, wurde die üblichste gewählt, während die
anderen Varianten mit einem Blankverweis gelistet werden (z. B. Kapetinger,
↑ Capetinger).
Die Geburts- und Sterbedaten von Herrschern werden ohne Klammern, die
Daten ihrer Herrschaft mit Klammern genannt.
Neben den im Deutschen üblichen Abkürzungen, darunter der Adjektiv­
endungen auf -isch (.) bzw. -lich (l.) wurden folgende verwendet:

Abk.= Abkürzung
ahdt. = althochdeutsch ital. = italienisch
allg. = allgemein jap. = japanisch
amerik. = amerikanisch Jh. = Jahrhundert
A. T. = Altes Testament Jt. = Jahrtausend
bes. = besonders kath. = katholisch
Bez. = Bezeichnung lat. = lateinisch
bez. = bezeichnet MA = Mittelalter
chin. = chinesisch mhdt. = mittelhochdeutsch
christl. = christlich Mio. = Millionen
d. Ä. = der Ältere Mrd. = Milliarden
Dep. = Departement N = Norden
d. Gr. = der Große nat.-soz. = nationalsozialistisch
d. J. = der Jüngere ndt. = neudeutsch
dt. = deutsch niederl. = niederländisch
eigtl. = eigentlich N. T. = Neues Testament
europ. = europäisch O = Osten
ev. = evangelisch österr. = österreichisch
frz. = französisch portug. = portugiesisch
geb. = geboren Prof. = Professor
gegr. = gegründet S = Süden
gen. = genannt sog. = so genannte
geogr. = geografisch urspr. = ursprünglich
gest. = gestorben vgl. = vergleiche
hebr. = hebräisch W = Westen
hl. = heilig wirtsch. = wirtschaftlich
hrsg. = herausgegeben wiss. = wissenschaftlich
insbes. = insbesondere zus. = zusammen
insges. = insgesamt zw. = zwischen
internat. = international z. Z. = zur Zeit


AZ
Aachen

Aachen (lat. Aquae grani, mit- Karls d. Gr., kostbarer Münsterschatz, be-

A tellat. Aquisgranum; Grannus


vermutlich keltischer Gott),
Stadt in Nordrhein-Westfalen,
im 1. Jh. n. Chr. von den Römern ­ wegen
rühmter Karlsschrein, in den 1215 die ur-
sprüngl. in antikem Sarkophag beigesetz-
ten Gebeine Karls umgebettet wurden.
Aargau, Kanton der Schweiz, in der Rö-
seiner Thermen (heiße Quellen, ­Heilbäder) merzeit bekannt durch das Legionslager
aufgesucht, seit Pippin (751–768) Königs- Vindonissa (bei Windfisch) und die Ther-
hof; seit 794 fast ständige Residenz Karls men Aquae Helveticae (Baden); im MA
d. Gr., der vor der Pfalz das aus Ravenna Stammland der Grafen von Habsburg,
herbeigeschaffte eherne Reiter­standbild 1415 bis 1418 von den Eidgenossen er­
Theoderichs d. Gr. aufstellen ließ; Mittel­ obert, von Kaiser Friedrich III. vorüberge­
punkt der ↑ Karolingischen Renaissance, hend zurückgewonnen, 1474 für Habs-
Hofakademie von Dichtern und Gelehr­ten; burg endgültig verloren. 1798 (Einfall der
812 Vertrag von A.: Ost­rom aner­kannte frz. Revolutionsarmee) Kanton der Helve-
die Kaiserwürde Karls d. Gr.; 813–1531 tischen Republik. 1803 vereinigt mit dem
Krönungsort für 37 dt. Könige: Stätte von Kanton Baden zum Kanton Aargau mit
17 Reichstagen und 11 Synoden; unter den Aarau als Hauptstadt.
Staufern Reichsstadt („Aache­ner Reich“); Abälard, Peter (Pierre Abelard, Petrus
1656 durch Brand teilweise zerstört, 1793 Abaelardus), Scholastiker, 1079–1142;
von den frz. Revolutionstruppen besetzt. spielte eine Mittlerrolle im Universali-
Durch den Frieden von ↑ Lune­ville gehörte enstreit. Von seiner tragischen Liebe zu He­
A. 1801–1813 zu Frankreich als Haupt- loise zeugt ein Briefwechsel, der vermut-
stadt des Departments Roer; 1815 an Preu- lich erst später von A. erdichtet wurde.
ßen, im 2. Weltkrieg 1944 heiß umkämpft, Abbasiden, islamische Kalifendynas­tie
zur Hälfte zerstört, am 21. 10. 1944 von 749–1258; von Abbas, dem Oheim Mo-
alliierten Truppen besetzt. 1802–1821 hammeds abstammend, stürzten im Bunde
(durch Napoleon) und ab 1930 Bischofs- mit der pers. Opposition die ↑ Omaija­
sitz. Jährliche Verleihung des A.er Karls- den: Abul Abbas, der „Blutvergießer“
preises für besondere Verdienste um die (750–754), besiegte 750 am Zab den Ka-
europ. Einigung. lifen ↑ Merwan II. und bestieg nach der
Aachener Friede, beendete 1668 den Ausrottung des Geschlechtes der Omaija-
↑ Devolutionskrieg Ludwigs XIV., der A. F. den (nur ↑ Abd Ar Rahman konnte nach
von 1748 den ↑ Österr. Erbfolgekrieg. Spanien entkommen) den Thron. Der
Aachener Kongress, 1818. Frankreich er- Sieg der A. bedeutete das Zurückdrängen,
reichte hier von den übrigen ­Großmächten nicht jedoch die Ausschaltung der Araber;
(Preußen, Österreich, Russland und Eng- durch Gleichberechtigung der sich zum
land) den Rückzug der ­Besatzungstruppen Islam bekennenden Perser mit den Ara-
von frz. Boden sowie eine Herabsetzung bern, überwiegend pers. Beamtenaris­to­
französischen Kriegsentschädigung von kratie und Anknüpfung an altpers. Hof-
700 auf 265 Mio. zeremoniell wurde die Entwicklung einer
Aachener Münster, Kern des Baus die übernationalen islam. Kultur angebahnt.
im byzantininischen Stil gehaltene Pfalz- Al Mansur (754–775) errichtete am West­
kapelle ↑ Karls d. Gr., 804 von Meister ufer des Tigris die prunkvolle Residenz
Odo von Metz (?) vollendet, von Papst Bagdad (763). Glanzzeit unter ↑ Harun
Leo III. 805 geweiht, gotischer Chor aus Ar Raschid (786–809), Blüte der Litera-
dem 14. Jh., später Anbau weiterer Kapel- tur. Unter Al Mamun (813–833) Über-
len. Marmorner Kaiserstuhl aus der Zeit nahme griech. Wissenschaft: Philosophie,


Abbe

Mathematik, Astronomie, Medizin. Seit Abd Ar Rahman, Gründer des omaijad. Ka-
Mitte des 10. Jh. Verfall des Kalifats: Ab- lifats in Cordoba, regierte 756–788.
hängigkeit der Kalifen von wechselnden Abd El Kader, arab. Emir, 1807–1883;
Machthabern, Sektenwesen; die Bujiden Führer der aufständischen Stämme Alge-
wurden die weltlichen Machthaber. 1037 riens gegen die Franzosen; 1847 zur Über-
befreite der Seldschuk Togrulbeg das Kali- gabe gezwungen.
fat von dieser Herrschaft, um sie auf seine Abd El Krim, Führer der Rifkabylen,
Familie zu übertragen. 1258 wurde Bag- 1882–1963; Vorkämpfer für die Freiheit
dad das Opfer des Mongoleneinmarsches Marokkos gegen Frankreich und Spanien
unter Hulagu, dem Neffen des Dschingis (1920–1926), in frz. Gefangenschaft, 1947
Khan. Damit ging das 500-jährige islam. nach Ägypten geflohen, führend in der Be-
Weltreich der A. zu Ende. freiungsaktion Nordafrikas tätig.
Abbe, Ernst, dt. Optiker, 1840–1905; seit Abdera, im 7. Jh. v. Chr. gegr. ionische
1866 in den Jenaer Zeisswerken, schuf Ackerbaukolonie an der thrakischen Küste,
wiss. Grundlagen für die Errechnung und ­vorübergehend an thrak. Stämme verloren
Herstellung von Mikroskopen; begrün- gegangen, um 550 von Kolonisten aus dem
dete Carl-Zeiss-Stiftung mit moderner Ar- ion. Theos besetzt, Mitglied des 2. Attischen
beiterfürsorge und Achtstundentag. Seebundes, um 350 makedon., in der Rö-
Abbevillien, Kulturstufe des ↑ Paläolithi- merzeit freie Stadt. Die Abderiten galten als
kums, benannt nach dem Ort Abbeville die „Schildbürger des Altertums“.
im frz. Dep. Somme von dem dort ­tätigen Abdul Rahman, malays. ­ Politiker, 1903–
Prähistoriker J. Boucher de Crevecœur de 1990; Vorkämpfer der Unabhängigkeitsbe­
Perthes, früheste Faustkeilkultur. Die hand- wegung, 1957 erster ­Premierminister und
tellergroßen Keile waren an beiden Seiten Außenminister des Malaiischen Bundes.
roh behauen, die abgeschlagenen Splitter 1963–1970 Premierminister des neugebil­
als Kratzer genutzt; das A. ist verbreitet in deten Staates ↑ Malaysia. 1970–1972 Ge­
W- und Mitteleuropa, Nahost, N-Afrika, neralsekretär der Islamischen Weltkon­fe­
Indien; um 500 000 v. Chr.: Zeit des Hei- renz.
delberger Menschen. Abendland oder Okzident, urspr. Bez. für
ABC-Staaten, Bez. für die Republiken Ar- ↑ Europa im Gegensatz zum (östl.) Mor-
gentinien, Brasilien und Chile, die 1899 genland oder Orient. In der röm. Kaiser-
nach einem Konflikt zw. Argentinien und zeit diente das Begriffspaar Okzident und
Chile einen Vertrag über die Beilegung von Orient zur geogr. Orientierung von Ita-
Streitigkeiten durch ein Schiedsgericht und lien aus. Erst seit der nach dem Tode Kai-
über gegenseitige Abrüstung schlossen. ser Theodosius’ (395 n. Chr.) vollzogenen
Abd Al Asis, Sultan der Osmanen, 1830– Teilung des röm. Weltreiches in ein westl.
1876; regierte seit 1861, versuchte ohne Reich mit Rom und ein östl. mit Byzanz
Erfolg, durch Reformen den Staat zu er- als Hauptstadt wurde der Gegensatz „Ok-
neuern, seine Misswirtschaft führte 1875 zident“ und „Orient“ allmählich zu einem
zum Staatsbankrott; wurde durch Volks- allgemein gültigen histor.-polit. Begriff.
aufstand gestürzt und ermordet. Mit der Ausbreitung des Islam im Mit-
Abd Al Hamid II., Sultan der Osmanen, telmeerraum und seit den kriegerischen
1842–1918; gen. der rote Sultan aufgrund Auseinandersetzungen mit den Arabern
seines blutigen Vorgehens gegenüber den entstand die Idee des christlichen Abend-
Armeniern; regierte seit 1876, proklamierte landes. Seit dem 11. Jh. trat der Gegensatz
eine Verfassung, regierte absolutistisch; auf zw. röm.-kath. und griech.-orthodoxer
Betreiben der Jungtürken 1909 abgesetzt. Kirche hervor, der später auch eine Rolle

10
Abrüstungskonferenzen

bei der Entstehung des Gegensatzes zwi- für verwirkte Bußen Ersatz in Form von
schen Europa und Russland spielte. Auch Wallfahrt, Kreuzfahrt usw. oder Geldabga-
dem Vordringen der Türken in Südost- ben zu leisten. A. wurde auch gewährt für
europa seit dem 15. Jh. stellte sich das A. Bau von Kirchen, Hospitälern, Brücken,
als politisch-kulturelle Einheit gegenüber. Straßen. Bonifatius VIII. führte 1300 den
Geogr. niemals eindeutig umrissen, wurde Jubiläums-A. ein. Im 15./16. Jh. entartete
der Begriff schließlich geistesgeschichtlich das A.-Wesen, sodass im Volk die Meinung
und im Sinne einer europ. Kultureinheit entstand, man könne Sünden durch Geld
gefasst, die auf der Verschmelzung von abgelten. Der Missbrauch des A. wurde zu
Antike und Christentum beruht. einem der Anlässe der ↑ Reformation.
Abendmahl (Tisch des Herrn, Eucharistie, Abolitionisten (abgeleit. von lat. ­abolitio,
Kommunion oder Sakrament des Altars), Abschaffung), Anhänger einer philan­
beim letzten Mahl mit seinen Jüngern von throp. (menschenfreundlichen) Vereini-
Jesus Christus gestiftet, gilt allen christ- gung in den USA, die sich die Abschaf-
lichen Bekenntnissen (außer Quäkern) fung der ↑ Sklaverei zum Ziel setzte; im
als Sakrament. Der Abendmahl-Streit zw. 19. Jh. bezeichnete A. auch Vereinigungen
den Reformatoren Luther, Zwingli und zur Bekämpfung der Prostitution.
Calvin und der kath. Kirche bewegte die Abraham, Abram, nach dem A.T. der
Menschen des 16. und 17. Jh.; auch zw. 175 Jahre alt gewordene älteste Erzvater
Luther und Zwingli zeigten sich beim des jüd. Volkes; wanderte um 1800 v. Chr.
↑ Marburger Religionsgespräch unüber- aus Ur im sumer. Mesopotamien nach Pa-
brückbare Differenzen. Die kath. Kirche lästina aus und galt als Kultstifter (Ein-
sanktionierte im 4. Laterankonzil (1215) gottglaube); Grab angeblich in Hebron.
und auf dem Tridentiner Konzil (1545– Abraham a Sancta Clara, Klostername
1563) die Lehre von der Transsubstan- für Hans Ulrich Megerle, 1644–1709; seit
tiation (der Verwandlung von Brot und 1677 Hofprediger in Wien, volkstüml.
Wein in Fleisch und Blut Christi); Luther Kanzelredner während der 2. Türken-
lehrte, dass die Stoffe Brot und Wein blei- belagerung. Verfasser satirisch-pädagog.
ben, dass aber Christus in, mit und unter Schriften: „Judas der Erzschelm“, „Merk’s
den Abendmahls-Elementen gegenwärtig Wien“ (Schilderung der Pest von 1680).
ist; nach Zwingli sind Wein und Brot nur Abrüstungskonferenzen zur Friedens­
Symbole, nach Calvin ist Christus geistig sicherung und Verringerung der Rüstungs-
im Abendmahl gegenwärtig. lasten, vor dem 1. Weltkrieg ↑ Haager
Abessinien, ehem. Name von ↑ Äthiopien Konferenz; danach Bemühungen des Völ-
Ablass (lat. indulgentia), nach der Lehre kerbunds: 1926 Einsetzung einer vorberei-
der kath. Kirche der Erlass von zeitlichen tenden Kommission, ergebnislos bis 1930,
Sündenstrafen (nach Tilgung der Schuld) ebenso die A. in Genf 1932/33. 1947 Ein-
auf Grund von Buß- und Sühnetaten; seit setzung einer Abrüstungskommission der
dem 9. Jh. wurde die german. Rechtsauf- UNO; 1954 neue Abrüstungsvorschläge,
fassung der geldlichen Bußleistung (↑ Wer- die am west-östlichen Gegensatz schei-
geld) ins Kirchenrecht aufgenommen. Im terten, ebenso wie die Londoner A. 1957;
13. Jh. fand die Lehre vom „Schatz der in der Folge Pläne zu einer Luftinspektion,
überschüssigen guten Werke der Heiligen“ „verdünnten Zone“, dem Auseinander­
Eingang. Die wahre Reue des Sünders rücken der „Blöcke“ (Eisenhower-, Eden-,
blieb nach der Kirchenlehre Voraussetzung Rapacki-Plan u. a.); 1958/59 Genfer
für die Wirksamkeit des A. In der Zeit der Atom-A. (Einstellung der Atombomben-
Kreuzzüge (1100–1250) wurde es üblich, versuche, Kontrolle u. a.); 1959 Chrusch­

11
Abs

tschow-Plan zur totalen Abrüstung; Ge- Gorbatschow (1985–91) Fortschritte auf


genpläne des Westens (zuverlässig kon- dem Gebiet der chemischen und konven-
trollierter Atomstopp als 1. Stufe einer all- tionellen Waffen; 1991 START-I-Vertrag
gemeinen Abrüstung). 1961 Abkommen (Strategic Arms Reduction Talks), sah eine
zw. den USA und der UdSSR über Prin- Verringerung der atomaren Gefechtsköpfe
zipien einer allgemeinen Abrüstung. 1963 auf jeweils 6 000 Stück bis 2001 vor, 1993
Atomteststoppabkommen (ohne Frank- Neufassung im START-II-Vertrag; außer-
reich und China). 1967 Abkommen über dem unterzeichneten rund 100 Staaten
friedliche Erforschung und Nutzung des eine „Internationale Konvention zum Ver-
Weltraums. 1968 ­Atomwaffensperrvertrag. bot und zur Zerstörung von Chemiewaf-
Schwergewichtsverlagerung auf Maßnah- fen“. 1995 unbefristete Verlängerung des
men der Rüstungskontrolle zwischen den Atomwaffensperrvertrages, Mai 2000 UN-
Weltmächten, seit 1970 SALT-(Strategie Konferenz über seine Umsetzung, die fünf
Arms Limitation Talks) Gespräche. 1972 Atommächte einigten sich auf eine völlige
SALT-I-Abkommen, sah die quantitative nukleare Abrüstung. Dez. 2001 einseitige
Begrenzung von Anti-Raketensystemen Aufkündigung des ABM-Vertrages durch
(ABM-Vertrag) und strategischen Angriffs­ die USA.
waffensystemen vor. Seit 1973 Verhand- Abs, Hermann Josef, dt. Finanzfachmann,
lungen in Wien über Reduzierung der 1901–1994; wurde 1938 Vorstandsmit-
Streitkräfte in Mitteleuro­pa (MBFR) zwi- glied der Dt. Bank, besaß bereits in der
schen NATO- und Warschauer-Pakt-Staa- nat.-soz. Zeit großen wirtsch. Einfluss
ten; zeitweise Stagnation v. a. nach dem (1942: Aufsichtsratsmandate in 42 Fir-
Einmarsch der Sowjetunion in Afgha­nistan men). Nach dem Krieg war er Finanzbera-
1979. Im Nov. 1981 Wiederaufnah­me, ter Adenauers, 1951–53 Leiter der dt. De-
Verhandlungen zwischen den USA und legation bei der Londoner Schuldenkon-
der Sowjetunion über die in Europa sta- ferenz, 1957–1967 Vorstandssprecher der
tionierten ­ Mittelstreckenwaffen. 1983 Dt. Bank, 1967–1976 deren Aufsichtsrats-
ohne Ergebnis von der UdSSR abgebro- vorsitzender.
chen, ebenso wie die seit 1982 paral­lel Absolutismus, Regierungsform, in der der
laufenden Verhandlungen über die Ver- Herrscher unbeschränkter Inhaber der ge-
minderung der Interkontinentalraketen setzgebenden und vollziehenden Gewalt
(START). 1984–86 Stockholmer Kon- ist (↑ Bodin: „Summa in cives ac subditos
ferenz über Vertrauensbildung und Ab- legibusque soluta potestas“ = höchste von
rüstung in Europa (KVAE). 1985 neue den Gesetzen entbundene Gewalt über
amerik.-sowjet. Gespräche in Genf über Bürger und Untertanen). Zu Beginn des
Nuklear- und Weltraumwaffen, beein- 17. Jh. in fast allen europ. Staaten begrün-
flusst vom amerik. SDI-Projekt (Abwehr- det, erreichte der A. in Frankreich unter
system gegen Raketenwaffen im Welt- Ludwig XIV. bis 1715 seinen Höhepunkt.
raum) und von dem sowjet. Vorschlag, Unter dem Einfluss der ↑ Aufklärung er-
bis zum Jahr 2000 alle Kernwaffen abzu- fuhr er eine Wandlung zum „aufgeklärten
bauen; ein erstes Abkommen über die Ver- A.“. Hervorragender Vertreter dieses A.
schrottung landgestützter Mittelstrecken- wurde Friedrich der Große, der als „ers­
waffen (Reichweite 150–5 500 km) wurde ter Diener des Staates“ den Grundsatz der
im Dez. 1987 geschlossen (INF-Abkom- Erhaltung und Steigerung der absoluten
men). 1989 Beginn einseitiger Truppenre- staatlichen Macht zu verknüpfen suchte
duzierungen der Sowjets in Mitteleuropa. mit der Sorge für das Glück der Unterta-
Im Zuge der Entspannungspolitik unter nen; er schützte u. a. die Bauern vor dem

12
Achämeniden

Bauernlegen. Zeugnis für seine Toleranz ker, Schaffung eines „African Common-
war die Errichtung der kath. Hedwigs- wealth“, Unterstützung der noch nicht
kirche in Berlin (1747). Joseph II., ­österr. entkolonisierten Völker in ihrem Befrei-
Vertreter des aufgeklärten A., machte ungskampf.
sich verdient durch die Bauernbefreiung Achäer, indogerman., zunächst in Thessa-
(1781–1785) und Reformen auf sozialem lien (Achaier), dann in der Nordwestecke
Gebiet. Nach der Frz. Revolution wurde des Peloponnes ansässige Volksgruppe,
der A. zunehmend abgelöst vom moder- Träger der myken. Kultur, Sammelname
nen Verfassungsstaat. der ersten Stämme der Griechen. Bei
Abt (syrisch Abba = Vater), seit dem 5. Jh. Homer auch als Gesamtbezeichnung der
Titel des Klostervorstehers bei nicht zen- Griechen verwendet. Von den A. gingen
tralisierten Orden; außerhalb der Amts- bedeutende Staatsgründungen und Kolo-
gewalt des regionalen Bischofs direkt dem nisationen in der ägäischen Inselwelt und
Papst unterstehend; trägt bischöfliche In- an der kleinasiat. Küste aus.
signien (Mitra, Stab, Ring). Wahl erfolgt Achala (Ägialos), Landschaft des Pelo-
durch Klosterkonvent. ponnes; benannt nach der Volksgruppe
Abu Bekr, Schwiegervater und Nachfol- der ↑ Achäer, urspr. von Ioniern, dann
ger Mohammeds, 573–634; seit 632 erster von Achäern besiedelt. In röm. Zeit Teil
Kalif (↑ Kalifat). der Provinz Makedonien; heute mit Elis
Abukir, Ort an der ägypt. Küste; vor A. griech. Verwaltungsbezirk.
schlug Nelson 1798 die frz. Flotte vernich- Achäischer Bund (griech. Kolonie), einer
tend. Landschlachten bei A. zwischen Eng- der Bünde, die sich in der hellenistischen
ländern und Franzosen 1799 und 1801. Zeit, der Zeit eines letzten Ringens um
Abul Abbas, erster Kalif aus der Dynastie die Erhaltung staatlicher Existenz in Grie-
der ↑ Abbasiden, gest. 754. chenland bildeten. Wie der ↑ Ätolische, so
Abu Simbel, Tempelanlage („Großer“ richtete sich auch der um 280 v. Chr. von
und „Kleiner“ Tempel) am westl. Nilufer Achaia ausgehende Bund gegen den make-
in Oberägypten, erbaut unter Ramses II. don. König ↑ Antigonos Gonatas, gleich-
(1290–1223 v. Chr.). Da ihr Untergang im zeitig auch in scharfer Rivalität zu Sparta.
Assuan-Stausee drohte, wurden die Tem- Seiner Verfassung nach war der Bund, dem
pel 1964–68 in Blöcke zerlegt und auf hö- u. a. Sikyon (seit 251 v. Chr.) und Korinth
herem Gelände wieder aufgebaut. (seit 243) angehörten, mehr ein Bundes-
Abydos, 1) bedeutende Ruinenstätte in staat als ein Staatenbund. Als ↑ Makedo-
Oberägypten, Hauptverehrungsstätte des nien von Rom bereits niedergeworfen und
Osiris, mit Tempeln Sethos’ I. (1303– als Provinz dem römischen Imperium an-
1290 v. Chr.) und Königsgräbern der bei- gegliedert war, wagte der Bund einen Krieg
den ersten Dynastien (2900–2650 v. Chr.). mit Sparta, der Rom zum Eingreifen ver-
2) antike Stadt an der engsten Stelle des anlasste: Konsul ↑ Mummius eroberte Ko-
Hellespont, Übergang nach Kleinasien; rinth, den Hauptort des Bundes, zerstörte
Schauplatz der Hero-und-Leander-Sage; ihn und löste den Bund auf (146 v. Chr.).
thrak. Gründung, um 700 v. Chr. von Mi- Achämeniden, altpers. Dynastie, herrschte
let aus besiedelt, im 14. Jh. durch die Os- seit etwa 700 v. Chr., schüttelte 559 v. Chr.
manen zerstört. die Oberherrschaft der Meder ab (↑ Ky-
Academie française, ↑ Akademie. ros II. d. Gr.) und erhob Persien zum
Accra, Konferenz von, 1959; 62 Organisa- Weltreich; gestürzt von Alexander d. Gr.
tionen aus 28 afrikan. Ländern forderten 330 v. Chr. (einzelne Herrscher ↑ Kamby-
sofortige Souveränität der afrikan. Völ- ses, Darius, Xerxes, Artaxerxes).

13
Acheuléen

Acheuléen, benannt nach der Faustkeil- innerhalb des Gerichtsbezirks, nach Jahr
Fundstätte Saint-Acheul bei Amiens, die und Tag der Aberacht, der vollen Friedlo-
dem ↑ Abbevillien folgende Kulturstufe sigkeit im ganzen Reich. Gegen Verbrecher
der Altsteinzeit (Paläolithikum), fällt in wider König und Reich (Landfriedens-
die 2. Eiszeit, in die 2. Zwischeneiszeit und bruch) verhängten der König oder sein Ge-
die 3. Eiszeit. Verbreitung: Vorderasien, richt die Reichsacht. Die Vollstreckung der
Afrika, S-, W-, Mitteleuropa. Sammler Reichsacht gegen einen Landesherrn oder
und Jäger, Hordenbildung, Grabbeigaben, eine Reichsstadt wurde einem benachbar-
Tieropfer, Schmuck. Universalwerkzeug: ten Landesherrn übertragen.
gegenüber dem Abbevillien technisch her- Acta, bei den Römern alle amtlichen Pro-
vorragend gearbeitete Faustkeile, die als tokolle und Veröffentlichungen. Die A. di-
Messer, Sägen, Schaber, Kratzer und Boh- urna oder A. publica, von Cäsar begrün-
rer zugleich benutzt werden konnten. det, waren die offiziellen Tagesberichte der
Achse (Achse Berlin-Rom, ­Achsenmächte), Kaiserzeit, enthielten urspr. nur die Sit-
Bez. für das enge außenpolit. Verhältnis zungsberichte des Senats, entwickelten sich
zw. Deutschland und Italien nach Hitlers durch Einbeziehen von Familiennachrich-
Unterstützung der ital. Annexion Äthio­ ten usw. zu einer Art Zeitung. – A. Apo-
piens. Die A. wurde ideologisch ausge- stolicae Sedis, das Amtsblatt des Päpstl.
baut durch den Beitritt Italiens zum Anti­ Stuhles. – A. Eruditorum, die erste dt. Ge-
kominternpakt (1937) und militär.-öko- lehrtenzeitschrift, in lat. Sprache, nach frz.
nom. durch den Abschluss des Stahlpakts Vorbild (Journal des Savants), gegr. 1682
(1939). Der Begriff fand später Anwen- von dem Leipziger Professor Otto Men-
dung auf die Partner des Dreimächtepakts cke, 1782 eingegangen. – A. Martyrum,
(1940), Deutschland, Italien und Japan, Protokolle und Berichte über die Prozesse
sodass sogar von einer A. Berlin–Rom–To- und Hinrichtungen der christl. Märtyrer.
kio gesprochen wird. Für die mit Deutsch- – A. Sanctorum, Verzeichnis der Heiligen
land im 2. Weltkrieg verbündeten Staaten mit Lebensbeschreibung, Ausgabe und Be-
bürgerte sich die Bez. Achsenmächte ein. arbeitung der Quellenschriften, hrsg. von
Die A. fand ihr Ende mit dem ital. Son- den ↑ Bollandisten (67 Bde., 1643–1940).
derwaffenstillstand im Sept. 1943. Action Française, rechtsradikale Bewe-
Acht (mhdt. = Verfolgung, Fried- und gung in Frankreich; gegr. 1898. Die A. F.
Rechtlosigkeit). Nach altgermanischem und ihr geistiger Führer Charles ↑ Maur-
Recht galt jede Missetat als Friedensbruch, ras bekämpften die Republik, forderten
der Friedensbrecher wurde zum Feind, Revanche für 1870/71 und planten die
den der Verletzte und dessen Sippe oder Errichtung einer Erbmonarchie auf stän-
das Volk töten durften. Gegen den nicht discher Grundlage („integraler Nationalis-
gefassten Missetäter wurde vom Thing mus“). Parlamentarisch nicht organisiert,
die Acht verhängt, der Friedlose wurde blieb die A. F. nach dem 1. Weltkrieg polit.
dadurch aus der Friedens- und Rechtsge- ohne Einfluss, wirkte aber auf die intellek-
nossenschaft ausgestoßen, als „vogelfrei“ tuelle Jugend der Zwischenkriegszeit. Ihre
konnte er getötet werden. Wer ihm Schutz Verherrlichung der Gewalt, die antisemit.
gewährte, verfiel unter Umständen selbst Kampfparolen und ihre Lehre vom absolu-
der Acht. In der fränk. Zeit Milderung der ten Primat der Politik brachten sie in Kon-
Acht, die durch ↑ Wergeld gesühnt werden frontation zur Kirche (1926 vom Papst
konnte. Im MA war die Acht prozessuales verurteilt) und machten sie zum Wegbe-
Zwangsmittel; der Verbrecher, der sich reiter des frz. ↑ Faschismus. Trotz unver-
dem Gericht nicht stellte, verfiel der Acht minderter Deutschfeindlichkeit wendeten

14
Adel

sich die Anhänger der A. F. 1939 vehe- Adams, 1) A., John, amerik. Staatsmann,
ment gegen einen Krieg mit Deutschland 1735–1826; Vorkämpfer der Unabhän-
und unterstützten nach der frz. Niederlage gigkeit Nordamerikas, Gefährte Washing-
1940 die Regierung ↑ Petain. Durch Kol- tons, war dessen Nachfolger in der Präsi-
laboration diskreditiert, verschwand die dentschaft 1797–1801. Von seinem Par-
A. F. nach 1944. Ihr Gedankengut tauchte teifreund Hamilton bekämpft, legte A.
gewandelt in den Programmen der Neuen 1799 den Konflikt mit Frankreich bei,
Rechten in Frankreich wieder auf (↑ Neo- stärkte durch seine ungeschickte Politik
faschismus). die Opposition gegen eine starke Bun-
Act of Settlement, engl. Staatsgesetz zur desgewalt. 2) A., John Quincy, Sohn von
Regelung der Thronfolge für Großbritan- 1), 1767–1848; erwarb als Staatssekre-
nien (1701). Bereits die ↑ Bill of Rights tär unter Monroe 1819 von Spanien für
(1689) hatte festgelegt, dass keine Person, 5 Mio. Dollar Florida und formulierte die
die einen Katholiken heiratete, in England ↑ Monroedoktrin, folgte Monroe als (6.)
regieren durfte. Der A. setzte die Kurfürs­ Präsident der USA (1825–1829). Vertre-
tin Sophie von Hannover und ihre Nach- ter der Zollschutz fordernden Industrie.
kommen als Thronerben ein (↑ Georg I.): 3) A., Samuel, radikaler Vorkämpfer der
1714 Personalunion Großbritannien- nordamerik. Unabhängigkeit, 1722–1803;
Hannover. trat für völlige Trennung von England ein,
Adalbert, 1) A. von Prag, hl., um 956– propagierte den offenen Widerstand der
997; Sohn des böhm. Hzgs. Slavnik, mit Kolonien, organisierte „Korrespondenz-
dem sächs. Kaiserhaus der Liudolfinger ausschüsse“ zwischen den einzelnen Ko-
verwandt, Freund Ottos III., Bischof von lonien, leitete als Vertreter von Massachu-
Prag, missionierte 994/95 erfolgreich im setts nach dem Bostoner Teesturm („Tea
ungar. Raum; Apostel der Preußen, als Party“, 1773) den Kongress von Philadel-
Märtyrer im Samland erschlagen. 2) A., phia (1774), der die Besteuerung durch
Erzbischof von Bremen, um 1000–1072; England verwarf.
aus dem Geschlecht der sächsischen Pfalz- Addison, Joseph, engl. Schriftsteller und
grafen, von König Heinrich III., dessen Politiker (Whig), 1672–1719; glänzender
Vertrauter er war, zum Erzbischof erho- Essayist, Begründer der moralischen Wo-
ben, entfaltete rege Missionstätigkeit bis chenschrift „The Spectator“.
Grönland, Island und Finnland, plante Er- Adel (von ahdt. adal = Geschlecht), der
hebung Bremens zum Patriarchat des Nor- in der ständischen Ordnung des MA mit
dens (an den Bedenken Roms gescheitert), polit. und sozialen Vorrechten (Privile-
1063–1066 Berater Heinrichs IV., auf Be- gien) ausgestattete und durch Erfüllung
treiben der Fürsten entlassen. 3) A., Erzbi- entsprechender Pflichten führende Stand.
schof von Mainz, gest. 1137; 1106 Kanzler Einen A. hat es fast überall und zu allen
Heinrichs V., als Erzbischof (1111–1137) Zeiten gegeben, mit der Herrschaft hat
seit 1112 Haupt der Fürstenopposition ge- sich jeweils auch ein Herrenstand entwi-
gen den Kaiser, betrieb nach dessen Tod ckelt (Geburts-, Besitz-, Priester-, Krieger-
1125 die Wahl Lothars von Sachsen. oder Berufsadel). In den ältesten oriental.
Adam von Bremen, Domherr und Ge- Hochkulturen, in Ägypten, bei den Assyr-
schichtsschreiber (gest. um 1081); verfasste ern usw. gab es führende Geschlechter, im
vier Bücher hamburgischer Geschichte, trojan. Sagenkreis Homers hervorragende
bedeutend durch geogr. Beschreibung des Sprosse berühmter Geschlechter myth.
Nordens, erwähnt die Amerikafahrten der Herkunft. In den ↑ Alkmäoniden erscheint
Wikinger um 1000. das alte Königsgeschlecht von Athen. Im

15
Adelheid

republikan. Rom waren die ↑ Patrizier (Ge- lit. und sozial seine alte Geltung und im
schlechtsadel) staatsführend. Bei den Ger- Zeitalter des Absolutismus auch einen Teil
manen der Völkerwanderungszeit galt zu- seiner Privilegien, den Rest erst durch die
nächst grundsätzlich nur der Unterschied Revolution des „Dritten Standes“ (1789;
zw. frei und unfrei; im Zusammenhang 1848/49) und (in Deutschland) durch die
mit krieger. Wanderzügen bildete sich ein ↑ Mediatisierungen von 1803, doch hatte
Volksadel, aus dem die Herzöge und Kö- der A. (z. B. in Preußen) prakt. bis 1918
nige gekürt wurden. Diese Adelssippen noch eine gewisse Vorzugsstellung (höhere
ragten auch durch reicheren Grundbesitz Beamtenschaft, Offizierskorps); die Wei-
(höheren Beuteanteil) aus der Masse der marer Verfassung erkannte A.-Titel nur
Freien hervor. Durch das ↑ Lehnswesen noch als Teil des Namens an. – In Frank­
wurde seit der fränk. Zeit dieser Adel ein- reich wurde der A. polit. vom Königtum
gebaut in die Lehnspyramide, seine Stel- entmachtet, blieb aber sozial privilegiert,
lung im Staat war damit rechtl. festgesetzt wurde 1789 abgeschafft, doch rief Na-
(fortan Hochadel der großen Vasallen, der poleon I. die adligen Emigranten zurück.
späteren Reichsfürsten). In der Staufer- – In England ging der alte Feudal-A. in
zeit Entwicklung eines sich aus kleineren den Rosenkriegen zugrunde, seine Reste,
Gefolgsleuten rekrutierenden Amtsadels die Nobility oder die Peers, beschicken das
der sog. ↑ Ministerialen („niederer Adel“), Oberhaus; der Titel vererbt sich nur auf
aus dem später die Reichsritterschaft her- den Erstgeborenen. Der niedere Adel, die
vorging (↑ Ritterstand). Aus den Unter- Gentry, bildete sich durch Inbesitznahme
lehnsleuten der großen Lehnsherren ent- herrenlosen Landes seit dem 15. Jh., hatte
wickelte sich der Land-A. der einzelnen keine Lehnspflichten, stellte die Friedens-
dt. Territorien. Ausübung des Waffen- richter der Grafschaften, machte das Par-
handwerks und Verwaltung des (Lehens)­ lament (Unterhaus) stark gegenüber der
Grundbesitzes wurden Grundlage der Krone und trat mit dem Bürgertum den
standesbewussten ritterl. Lebensweise und Ansätzen zum Absolutismus entgegen.
ständischen Abkapselung gegenüber dem – In Russland stellte sich der A. nach der
„gemeinen Mann“ (Prinzip der Ebenbür- Ausblutung des alten Bojaren-A. unter
tigkeit, d. h. der „gleichen Geburt“, im Iwan IV. in den Dienst des (zarist.) Cäsaro­
Rechtswesen, bei Heiraten usw.; Recht auf papismus und herrschte seinerseits gleich
Wappenführung; Satisfaktionsfähigkeit). despotisch auf seinen riesigen Gütern;
Das Nachrücken von Unfreien als Inhaber doch bildete sich im 19. Jh. der Typ der
königl. Ämter in den Ritter- oder A.-Stand „reuigen Adligen“ als eines revolutionären
hörte im späten MA auf, dafür gab es seit Gegners dieser Gesellschaftsordnung aus;
Kaiser Karl IV. den Brief-A.: Angehörige in der bolschewist. Revolution wurde der
der kaiserl. Kanzlei, vornehme Juristen, A. ausgerottet, soweit er nicht emigrierte.
die sich ein Landgut kaufen konnten, er- – In den USA konnte sich ein A. nicht
hielten den A.-Brief (Erhebung in den A.- ausbilden.
Stand bis 1806 nur durch den Kaiser, bis Adelheid, dt. Kaiserin, um 931–999;
1918 auch durch die Landesfürsten). Mit Tochter König Rudolfs II. von Burgund,
dem Absinken in die Anarchie des Feh- vermählt in 1. Ehe mit König Lothar
dewesens, der Ablösung des Lehnsstaates von Italien, in 2. Ehe seit 951 mit Kaiser
durch den modernen Staat mit Beamten- ­Otto I., führte 991–995 für ihren Enkel
tum und Söldnerheer und mit dem Auf- Otto III. die Regentschaft. Geistig hoch-
kommen eines wirtschaftl. und kulturell gebildet, unterstützte die cluniazens. Re-
überlegenen Bürgertums verlor der A. po- formideen (↑ Cluny).

16
Adolf

Adenauer, Konrad, 1876–1967, dt. Po- Heeres und der Kaiser (Augustus, Kon-
litiker; seit 1906 Mitglied der Zentrums- stantin). Durch den Übergang der röm.
partei; 1917–1933 war A. Oberbürger- Reichstradition auf die dt. Kaiser (seit Karl
meister seiner Heimatstadt Köln und ge- d. Gr.) schmückte er die dt. Reichsbanner
wann als Mitglied des Preuß. Staatsrates des MA; zusammen mit dem Kreuz war
(1920–1933 dessen Präsident) in der er Symbol des Reiches (schwarzer Adler
↑ Weimarer Republik großen polit. Ein- auf weißem Grund), wobei das Königs-
fluss, lehnte aber 1926 die Reichskanzler- wappen den einköpfigen und das Kaiser-
schaft ab. Als Katholik stand er dem Nati- wappen den zweiköpfigen A. zeigte; ab
onalsozialismus ablehnend gegenüber und Mitte 12. Jh. auch Wappenbild der großen
wurde 1933 im Zug der ↑ Gleichschaltung Reichsfürsten. Im 15. Jh. übernahmen ihn
seines Amts enthoben. 1934 vorüberge- die Reichsstädte als Zeichen ihrer Frei-
hend in Haft, zog sich A. ins Privatleben heit. Der Doppeladler in Fortsetzung der
zurück, wurde im Zusammenhang mit Tradition des 1. Reiches das Wappen der
dem Attentat vom 20. Juli 1944 erneut in- Habsburger Monarchie wie des zarist.
haftiert, doch bald wieder auf freien Fuß Russlands. Napoleon I. verlieh seit 1804
gesetzt. Nach dem Zusammenbruch baute (Beginn des imperialen Anspruchs) sei-
er – kurzfristig wieder Kölner Oberbür- nen Heeren goldene A.-Standarten; mit
germeister – die CDU mit auf und wurde weniger imperialem Bewusstsein machten
als Präsident des Parlamentar. Rates einer ihn auch die jungen USA zu ihrem Wap-
der Väter des Grundgesetzes. Als 1. Bun- pentier. 1848 Doppeladler Symbol des
deskanzler (1949–1963) stellte er sich dem Dt. Bundes; das 2. Kaiserreich von 1871
schweren Erbe der NS-Zeit: u. a. Abkom- übernahm den preuß. Einkopfadler, Über-
men über ↑ Wiedergutmachung mit Israel, gang 1919 auf die Weimarer Republik und
Verhandlungen in Moskau zur Freilassung 1950 auf die Bundesrepublik Deutschland
der Kriegsgefangenen, Aussöhnung mit (schwarzer Adler mit rotem Schnabel und
Frankreich. A. führte die Bundesrepublik roten Fängen in goldenem Schild).
ins westl. Bündnis; seine Ära begründete, Adler, 1) A., Viktor, österr. Sozialist,
nicht zuletzt dank wachsenden Wohl- 1852–1918; Führer der österr. Sozialde-
stands, eine stabile freiheitliche polit. Kul- mokratie, Mitbegründer der Österr. Repu-
tur im Westteil Deutschlands. Seine „Erin- blik. 2) A., Friedrich, Sohn von 1), österr.
nerungen“ erschienen 1965–1968. Sozialist, 1879–1960, erschoss 1916 den
Ädil, hoher Beamter im alten Rom, urspr. österr. Ministerpräsidenten Graf Stürgkh.
wohl Verwalter des Tempelschatzes, zu- Adolf, Name von Herrschern. Dt. König:
ständig für Markt- und Straßenaufsicht, 1) A. von Nassau, um 1255–1298; 1292
Wegebau, Überwachung der öffentlichen von den Kurfürsten, die einer starken
und privaten Bauten, Organisation von Reichsgewalt widerstrebten, als Nachfol-
Volksspielen und Feuerlöschwesen. ger Rudolfs von Habsburg gewählt, ver-
Adler, als König der Vögel Wappentier und letzte die Interessen des mächtigen Erzbi-
Symbol vieler Völker und Kulturkreise in schofs von Mainz, 1298 abgesetzt und im
alter und neuer Zeit (Japan, Indien, Grie- Kampf gegen den Gegenkönig Albrecht,
chenland); mit Vorliebe von Reichen mit Sohn Rudolfs, gefallen. – Holstein-Dä-
universalem Herrschaftsanspruch verwen- nemark: 2) A. II. von Schauenburg, Graf
det. So erscheint der einköpfige A. auf den von Holstein, gest. 1164; erwarb endgültig
Feldzeichen der Perser und der Makedo- Wagrien, Parteigänger seines Lehnsherrn
nier; den Römern war er das Symbol Ju- Heinrichs des Löwen, Kolonisator rechts
piters, des höchsten der Schutzgötter des der Elbe, Gründer ↑ Lübecks, gefallen im

17
Adoptivkaiser

Kampf gegen die Slawen. – Luxemburg: Aetius, Flavius, weströmischer Feldherr


3) A., Großherzog, 1817–1905; war 1839– und Politiker, um 390–454; der „letzte
1866 letzter Herzog von Nassau, das von große Römer“, verteidigte in der Völker-
Preußen annektiert wurde; 1890 bis 1905 wanderung Roms Oberherrschaft über
Großherzog von Luxemburg. – Mecklen- Gallien, vernichtete 436 mithilfe der
burg-Schwerin, Schweden: 4) A. Friedrich, Hunnen das Burgunderreich am Mittel­
1710–1771; aus dem Hause Hol­stein-Got- rhein und siedelte die Überlebenden als
torp, das mit ihm 1751 durch russ. Hilfe Grenzwacht gegen die Alemannen an
auf den schwed. Thron gelangte, beteiligte der oberen Rhone an (Kern des späteren
sich am 7-jährigen Krieg. Burgund), rettete 451 auf den Katalau-
Adoptivkaiser, in Rom (96–180); Zeit nischen Feldern mit german. Aufgeboten
der „guten Kaiser“, A. gelangten durch (u. a. Westgoten ­ unter Theoderich I., der
Adoption zur Herrschaft (die Annahme an in der Schlacht fiel) das Abendland vor
Kindes Statt, eine alte röm. Rechtseinrich- der Hunnen­gefahr, wurde 454 nach einer
tung, konnte auch auf Erwachsene ange- Palast­intrige ermordet.
wendet werden, um ihnen die Rechte leib- Afghanistan, im SW Zentralasiens, zwi-
licher Nachkommen zu verschaffen). Die schen dem Iran und Indien, durch seine
Abneigung des Senats und des Volkes ge- Gebirge und Wüsten Puffer zwischen den
gen kaiserliche Dynastien und die Furcht asiat. Großreichen, zugleich Bindeglied
vor einer Wiederholung der Despotie durch wichtige Passstraßen (Khaiberpass).
Domitians ließen den Senat 96 n. Chr. Im Altertum wiederholt von asiat. Reiter-
bestimmen, dass von nun an jeweils der völkern überflutet und unter wechseln-
Beste unter den führenden Bürgern Kai- der Herrschaft: Assyrer (erste Städtegrün-
ser werden solle, in seine Nachfolgerechte dung), Perser (Nord-A. = Satrapie Bak-
durch Adoption eingesetzt. Nerva, selbst trien), Alexander d. Gr. und Diadochen,
noch gewählt, adoptierte Trajan, es folgten Parther. Um 150 n. Chr. Kern des Indo­
Hadrian, Antoninus Pius, Mark Aurel und skythischen Reiches, 226 wieder beim Per-
Commorus. Seit 180 Soldatenkaiser). serreich (Sassaniden) mit iran.-buddhist.
Adrianopel, heute ↑ Edirne, das europ. Mischkultur, seit 7./8. Jh. von Arabern
Tor der Türkei am Grenzfluss Maritza in und Türken umkämpft, im 11./12. Jh.
Thrazien, benannt nach Kaiser Hadrian, Reich der Ghasnawiden, im 13./14. Jh.
der es um 125 n. Chr. ausbauen ließ; 378 von ↑ Dschingis Khan und ↑ Timur ver-
Ort der vernichtenden Niederlage Kai- heert. 1747 begründete Achmed Schah
ser Valens’ durch die Goten, 1366 bis nach Abschüttelung der pers. Oberherr-
zum Fall von Konstantinopel türk. Resi- schaft ein Reich A., das 1838–1842 seine
denz; im 19./20. Jh. mehrmals von Russen Unabhängigkeit gegen England nach blu-
und Balkanvölkern besetzt. 1829 Friede tigem Kampf behauptete, dank der brit.-
von A. (Unabhängigkeit Griechenlands, russ. Rivalität. Der zweite brit. Feldzug
Sonderstellung Serbiens und der Donau- (1878–1880) führte schließlich zur Festle-
fürstentümer). 1920 (Sévres) wurde A. gung einer brit.-russ. Interessengrenze. Im
an Griechenland abgetreten, 1923 (Lau­ 1. Weltkrieg blieb A. neutral. 1919 erhob
sanne) wieder türkisch. sich der Emir Amanullah gegen England
Aldua, Stadt in N-Äthiopien; 1896 endete und erhielt trotz Niederlage polit. Freiheit;
der ital. Angriff von Eritrea aus mit der Nichtangriffspakt mit der Sowjetunion.
schweren Niederlage von A. und führte Amanullah machte A. 1925 zum König-
1935 eben da zu einem Sieg der Italiener reich, seine Reformen nach dem Muster
über die ­abessin. Truppen (↑ Äthiopien). der Türkei stießen jedoch auf Widerstand

18
Afrika

der konservativ-mohammedan. Kreise und durch die Loya Jirga (Große Ratsversamm-
führten zu seinem Sturz 1928. Weiteres lung), Herbst 2004 erste freie Wahlen, Be-
Lavieren als Pufferstaat zwischen West stätigung Karzais als Präsident.
und Ost. 1937 Pakt mit Türkei, Irak und Afrika, Urmenschenfunde bei Oran (Alge-
Iran; 1950 Freundschaftsvertrag mit der rien), Casablanca und Rabat (Marokko),
Ind. Union; 1961 Aufflackern alter Grenz- Broken Hill (Simbabwe), Soldanha (Süd-
streitigkeiten mit ↑ Pakistan. 1973 Sturz afrika), Oldoway (Kenia), z. T. mit dem
der Monarchie, Ausrufung der Republik, Java­menschen verwandt; Kulturreste lie-
Staatsoberhaupt Mohammed Daud Khan. gen aus der frühen bis späten Altsteinzeit
1978 kam dieser bei einem Militärputsch vor. Im Allg. die gleichen Stufen von der
ums Leben; Beistandspakt der neuen Re- Faustkeil- zur Klingen-Kultur wie in Eu-
gierung mit der Sowjetunion, eine in ropa; der früheste bekannt gewordene
Angriff genommene Landreform führte Mensch mit negriden Merkmalen stammt
zum Bürgerkrieg, im Dezember 1979 vom Niger; er gehört der Mittelsteinzeit
Einmarsch der Sowjets, schwere weltpo- an; im Osten war der Mensch Zeuge der
lit. Krise zw. Ost und West und Abkehr Vulkanbildung. In N-A., Tunesien, Alge-
zahlreicher Staaten der Dritten Welt von rien, Marokko mit Ausläufern zum Niger
der Sowjetunion. 1988/89 Abzug der sow­ und Nil im Übergang zur Jungsteinzeit
jet. Truppen, dennoch Fortgang des Bür- ausgepr. die Capsienkultur; der Mensch
gerkriegs der Mudschaheddin gegen das dieser Zeit gleicht dem europäischen ­Cro-
Regime von Staats- und Parteichef (seit Magnon-Menschen, Wechselbeziehungen
1986) Nadschibullah. April 1992 Sturz der Kulturwelt der Pyrenäenhalbinsel und
der kommunist. Regierung durch die Mu- Siziliens sind sicher; der Capsien-Mensch
dschaheddin; ab 1994 großer Einfluss der kannte keine Beile, er fertigte Gefäße aus
radikal-muslimischen Taliban-Milizen, die Straußeneiern mit Ritzornamenten an; er
begannen, einen streng islamischen Staat bewohnte auch die damals noch vegeta-
gemäß der Scharia, dem islamischen Sit- tions- und tierreiche Sahara (Elefanten,
tengesetz, in den von ihnen kontrollierten Nashörner, Flusspferde, Warzenschweine,
Regionen (1996 2/3 des Landes) zu errich- Giraffen, Hirsche, Rinder, die er auf Fel-
ten, ab Okt. 1997 Islamisches Emirat A. sen zeichnete oder farbig ausmalte); seit
Ab 1999 Sanktionen der USA (aufgrund dem 5. Jt. v. Chr. allmähliche Verbreitung
der Beteiligung des in A. lebenden Osama des Ackerbaus. Die Zeitfolge der Verbrei-
Bin Laden am Bombenanschlag auf die tung und die Wanderbewegungen der heu-
US-Botschaft in Nairobi) und wenig spä- tigen Rassen sind unsicher; als Altrassen
ter der UN gegen A. Nach den Attentaten gelten in der Regenwaldzone die hell- bis
vom 11. 9. 2001 (World Trade Center) gelbhäutigen, ­ kleinwüchsigen Pygmä­en,
Aufforderung der USA zur Auslieferung die viel weiter verbreitet waren und heute
des als Drahtzieher verdächtigen Osama noch steinzeitl. ­ leben; den Altrassen ge-
Bin Laden, blieb wirkungslos, daraufhin hören ebenfalls an die mittelwüchsigen
im Okt. 2001 Angriff der USA und ihrer Buschmänner im Süden, deren Felszeich-
NATO-Verbündeten auf A., Vertreibung nungen Beziehungen zur Spanien- und
der Taliban aus Kabul und Kandahar, im Sahara-Felskunst aufzuweisen scheinen,
Dez. 2001 Vereidigung einer Übergangs- und die hochwüchsigen Hottentottenvöl-
regierung unter Hamid Karzai, außerdem ker im S und SW. Auf Madagaskar wur-
Stationierung einer internationalen Frie- den schon früh die negriden Altstämme
denstruppe. Jan. 2004 Verabschiedung ei- von indones. Einwanderern überlagert.
ner neuen Verfassung (Präsidialsystem) Spät verbreiteten sich, wahrscheinlich aus

19
Afrika

ihrem Kerngebiet um die großen ostafri- Bantu. Anfang des 2. Jh. soll der Römer
kan. Seen, die braun- bis sehr dunkelhäu- Julius Maternus den Tschadsee erreicht
tigen Negridenvölker über den Kontinent, haben. Im 7. Jh. stießen die Araber bis zur
vermischten sich mit früheren Völkern, W-Küste N-Afrikas vor und besiedelten
nahmen neue Lebensformen an und wur- im 10. Jh. die Ostküste, wohin schon früh
den wieder sesshaft; der N war Wohnge- chinesische Handelsfahrten führten (Por-
biet mittel­meerischer, äthiop. (osthamit.), zellanfunde in Tansania). Im MA blühten
berberischer Völker; erst der Sklavenhan- zahlreiche Königreiche und Kulturen, bes.
del der Araber brachte Schwarze vermehrt im Sudangürtel und im Nigergebiet. Das
an die N-Küste; die Europäisierung setzte Christentum behauptete sich nur in Äthio­
schon in der frühen Antike ein. pien und im kopt. Ägypten. Seit dem
A. wurde im Altertum zunächst als Teil 16. Jh. geriet N-Afrika unter türk. Herr-
Asiens angesehen (zu dem auch ↑ Ägyp- schaft oder Oberhoheit. Entdeckungsge-
ten gerechnet wurde); in der Niloase schichte seit dem MA: Um die Mitte des
ers­te Reichsgründung um 3 000 v. Chr. 14. Jh. berührten Italiener Madeira und
(noch steinzeitliche Kultur); seit etwa Azoren, die aber erst im 15. Jh., dem Zeit-
1200 v. Chr. phönik.-semit. Handelskolo- alter der Entdeckungen, wirklich bekannt
nien entlang der Nordküste, bes. im heu- wurden. 1402 erreichte der Normanne
tigen Tunesien (↑ Karthago, ­ Phöniker), Bethencourt die Kanarischen Inseln. Die
Ausbildung libyscher und berber. Le- Erschließung der Westküste war das Werk
bensformen; um 800 v. Chr. Gründung der Portugiesen (1446 Cap Verde umfah-
des Reiches Kusch im mittleren Sudan; ren, 1456 Goldküste, 1471 Guineaküs­te
um 700 v. Chr. im äthiop. Hochland An- entdeckt, 1486 Kongomündung erreicht);
fänge des späteren Reiches von Aksum; 1487 umschiffte Bartolomeu Diaz das Kap
um 600 v. Chr. vermutlich erste Umseg- der Guten Hoffnung, 1497/98 fand Vasco
lung A.s durch die Phöniker vom Roten da Gama von dort den Seeweg nach Ost-
Meer aus, Rückkehr durch die Straße indien. Mit der Erforschung Inner-A.s
von Gibraltar; im 6. Jh. v. Chr. Fahrten begannen 1788 die Engländer, sie wurde
des Hanno, vielleicht bis zum Kamerun- gefördert durch „Afrika-Gesellschaften“
berg, des Kolonialgriechen Euthymenes (1788 London, 1873 Berlin, 1876 Brüs-
wahrscheinlich bis zur Senegalmündung. sel) und vorangetrieben durch die Kolo-
146 v. Chr. wurde das Gebiet um das (zer- nialpolitik der europ. Mächte, in großen
störte) Karthago als „Africa“ röm. Provinz. Zügen erst 1900 abgeschlossen. – Der Er-
30 v. Chr. kam Ägypten hinzu, 42 n. Chr. forschung folgte die Aufteilung A.s, die
Mauretanien. Um 20 v. Chr. drang Cor- Ende des 19. Jh. in ein Wettrennen nach
nelius Balbus in Libyen vor (bis Fezzan?), Kolonien ausartete und A. zum Haupt-
um 25 v. Chr. C. Petronius bis Nubien, schauplatz der imperialist. Konflikte
41/42 n. Chr. Suetonius Claudius ins At- machte. Bis dahin hatten die seefahrenden
lasgebirge, bald danach röm. Zenturionen Nationen nur befestigte Stützpunkte zur
bis zu den Nilsümpfen. Um die Zeitwende Sicherung des Seeweges nach Ostindien
scheint eine neue große Völkerbewegung (Portugiesen: Moçambique, Angola) oder
von Zentralafrika ausgegangen zu sein, für den Sklavenhandel angelegt. Eine Aus-
deren Stämme bereits Eisen fördern und nahme war Kapland, das 1652 den Spani-
schmelzen konnten und im Besitz bes­serer ern von den Holländern entrissen und zur
Waffen waren; sie breiteten sich v. a. in Siedlungskolonie ausgebaut wurde. Den
bisherigen Leerräumen aus; unter ihnen Auftakt zur Kolonialpolitik neuen Stils
vermutl. auch die Stammesgruppen der bildete die Eroberung ↑ Algeriens durch

20
Agesilaos

Frankreich; 1880 stellte der frz. Minister- blem wurde der Besitz der neuen Rohstoff-
präsident Ferry ein großes koloniales Ak- gebiete der Sahara, der Hinterländer Ma-
tionsprogramm auf und verwirklichte es rokkos und Tunesiens; Gegensätze beste-
mit Hilfe des Generals Faidherbes: 1881– hen nicht nur zw. Afrikanern und Indern,
1883 wurde durch Verträge das Protekto- Mohammedanern und den Gläubigen ein-
rat über Tunis errichtet, durch Expansion heimischer Kulte, zw. Christen und Nicht-
in Westafrika wurde Algier mit Senegam- christen und Schwarzen und Weißen, son-
bien und Gabun verschmolzen zu einem dern auch zw. der panafrikan. und panarab.
riesigen, mit dem Mutterland unmittel- Bewegung, den Vertretern der panafrikan.
bar verbundenen Kolonialreich. In Ägyp- und der nationalstaat­lichen Ideen, des Fö-
ten war England zuvorgekommen (1882), deralismus und Zentralismus, der demo-
nachdem bereits 1806 die Kapkolonie er- krat. und autokrat. Regierungsformen,
obert worden war; seit den 80er Jahren den Fortschrittlern und Traditionalisten,
propagierte Cecil Rhodes den Zusammen- den unterentwickelten und agrarstarken
schluss aller brit. A.-Besitzungen durch die oder industrialisierten Gebieten, den oft
Verbindung „Von Kapstadt nach Kairo“. nur kleinen Intelligenzschichten und den
1898 Zusammenstoß mit Frankreich im zum größten Teil noch analphabet. Mas-
Sudan (Faschoda-Krise), frz. W-O-Vor- sen; schwerste Belastung ist die Einbezie-
stoß gegen den oberen Nil abgebrochen. hung in den Machtkampf zwischen der
England blieb Herr des Sudans und un- östl. und der westl. Welt.
terwarf 1900–1902 die Burenrepubliken Ägäis, Raum des Ägäischen Meeres
Oranje und Transvaal (1910 mit Kapland (griech. Aigaios Pontos) mit Griechen-
und Natal zum Dominion Südafrikan. land, Kleinasien, den Kykladen-Inseln
Union zusammengeschlossen). Belgien und Kreta; hier die Mittelpunkte der hel-
erwarb den Kongostaat durch Initiative ladischen, vor- und frühgriech. Kulturen
König Leopolds II. (1885). Im Norden der griech. Halbinsel (↑ Griechenland),
Interessenkonflikte Frankreichs mit Ita- der minoischen ↑ Kreta-Kultur, der z. T.
lien um Tunis (1881), mit Deutschland selbständigen Kultur der Kykladen und
um Marokko (1905/06 und 1911; ↑ Ma- der des kleinasiat. Küstengebietes.
rokko). Deutschland verlor durch den Ägaten (Ziegeninseln), Inselgruppe an der
1. Weltkrieg seine Besitzungen (Erwer- Westspitze Siziliens; 241 v. Chr. entschied
bungen: 1884 Dt.-Südw.-A., Togo, Kame- der Seesieg der Römer über die Karthager
run; 1885 Dt.-Ost-A., führender Kolonial­ bei den Ä. den 1. Punischen Krieg.
pionier: Peters); Italien seine Kolonien (er- Agathokles, Tyrann von Syrakus, 360–
worben: 1889 Eritrea, Somaliland; 1912 289 v. Chr.; Gegenspieler der Karthager
Tripolis und Cyrenaika = Libyen; 1936 im Kampf um Sizilien, bemächtigte sich
Abessinien) durch den 2. Weltkrieg. Die 317 der Herrschaft, die er organisatorisch
Auflösung der brit., frz., span. und portug. festigte und erweiterte, brachte einen ost-
Kolonialreiche nach dem 2. Weltkrieg ließ sizilianischen Bund unter syrakus. Hege-
zahlr. selbst. Staaten entstehen. Als letzte monie zustande, kämpfte mit Erfolg bis
erhielten Simbabwe (das ehemalige Rho- 307 in Afrika, nahm den Königstitel an.
desien) 1980 und Namibia (ehemals Süd- Als sein Erbe kam Pyrrhus von Epirus,
westafrika) 1989 ihre Unabhängigkeit. sein Schwiegersohn, nach Italien, seine
Seit der Bildung national unabhängiger entlassenen Söldner entfachten den 1. Pu-
Staaten wird verstärkt die archäolog. und nischen Krieg.
histor. Erforschung der voreuropäischen Agesilaos, König von Sparta, 444–
Geschichte Afrikas fortgesetzt. Zum Pro- 361 v. Chr.; regierte seit 401, führte 399–

21
Agilolfinger

394 Krieg gegen Persien für die Autonomie nach dessen Tod 1056 Regentin für ihren
der kleinasiat. Griechenstädte. In dem von unmündigen Sohn ↑ Heinrich IV., ging
den Persern angezettelten ↑ Korinthischen nach dessen Entführung durch ↑ Anno
Krieg (395–387) wenig glücklich, ließ A. von Köln (Staatsstreich von ↑ Kaiserswerth
den Unterhändler Antalkidas mit den Per- 1062) ins Kloster.
sern Verhandlungen aufnehmen und gab Agora, in der Antike der Volksversamm-
387/86 im „Königsfrieden“ die kleinasiat. lungs- und Marktplatz griech. Städte; die
Griechen den Persern preis; unterlag 371 von Säulengängen umrahmte A. war der
bei ↑ Leuktra den Thebanern; trotz per- tägliche Treffpunkt für Politiker, Philo-
sönlicher Tapferkeit außerstande, den Zu- sophen usw. (lat. Bezeichnung: Forum).
sammenbruch Spartas als führende griech. Agrargesetze (römische), ↑ Gracchus.
Großmacht und die Selbstzerfleischung Agricola, 1) A., Rudolf (eigentl. R. Huys-
der griech. Staaten zu verhindern. mann), Mitbegründer des dt. Humanis-
Agilolfinger, ältestes bekanntes Herzogs- mus, 1443–1485. 2) A., Georg (eigentl.
geschlecht in Bayern, benannt nach dem G. Bauer), Mineraloge und Arzt, 1494–
Stammvater Agilolf, herrschten bis 788, 1555; Begründer der systemat. Minera-
als Bayern dem Frankenreich einverleibt logie und Metallurgie in Deutschland.
und der letzte A. ↑ Tassilo III. ins Kloster 3) A., Johann (J. Schnitter), Humanist
verbannt wurde. aus Eisleben („Magister Islebius“), 1494–
Ägina, Insel im Saronischen (oder Athe- 1566; Schüler Luthers, Schöpfer der
nischen) Golf, von Epidauros aus durch ersten ev. Schulordnung, 1540 Hofpredi-
Dorer besiedelt (etwa 1200 v. Chr.), be- ger Jo­achims II. zu Berlin. Bekannt durch
freite sich um 550 v. Chr. von der Ober- Sprichwörtersammlung. 4) A., Michael,
herrschaft der Mutterstadt; Handels- und Reformator Finnlands, um 1508–1557;
Seemacht, Sitz einer berühmten (do- Schüler Luthers, Begründer der finn.
rischen) Kunstschule; 456 von Athen be- Schriftsprache (Bibelübersetzung).
siegt, das 431 die Bewohner vertrieb und Agrigentum (lat., griech. Akragas Agri­
die Insel besiedelte. Dorischer Tempel zu gento), an der S-Küste Siziliens; in der
Ehren der aus Kreta stammenden Göttin Antike blühende Handelsstadt, gegr.
Aphaia, mit den berühmten, aus dem An- 580 v. Chr. als dorische Kolonie von Gela
fang des 5. Jh. stammenden Giebelgrup- aus, anfangs demokratisch, später unter
pen der „Ägineten“. Tyrannen, 405 von den Karthagern zer-
Agnaten (lat. „agnatus“), urspr. der nach stört, 341 neu besiedelt, 262 von den Rö-
dem Tod des Vaters geborene Sohn, im mern nach siebenmonatiger Belagerung
weiteren Sinn der Blutsverwandte väter- erobert, seit 210 v. Chr. ständig römisch.
licherseits; bei den Römern die unter vä- Agrippa, Marcus Vipsanius, röm. Feld-
terlicher Gewalt Stehenden (auch durch herr, 62–12 v. Chr.; Schwiegersohn des
einen Rechtsvorgang, z. B. durch Adop- Augustus, siegte über Pompejus zur See
tion), im Gegensatz zu den „Kognaten“ bei Mylae 36 v. Chr. und über Antonius
(„cognatus“ = der Blutsverwandte väter- und Kleopatra bei Aktium 31 v. Chr., er-
licher- und mütterlicherseits) oder Bluts- richtete in seinem 3. Konsulat 27 v. Chr.
verwandten im weiteren Sinne. Im dt. das römische Pantheon und ließ nach
Recht die männlichen Blutsverwandten, ­einer Reichsvermessung die erste römische
die in männlicher Linie vom gemeinsamen Landkarte anfertigen.
Stammvater abstammen. Agrippa von Nettesheim (bei Köln),
Agnes von Poitou, 1015(?)–1077; zweite Schriftsteller, Arzt und Philosoph, 1486–
Gemahlin Kaiser Heinrichs III. seit 1043, 1535; abenteuerliches Wanderleben; der

22
Ägypten

Magie ergeben, doch einer der ersten Vor- Delta umfassend. Sagenhafter Reichsgrün-
kämpfer gegen den Hexenwahn. der Menes, Hauptstadt Memphis (beim
Agrippina, 1) A. die Ältere, Tochter des heutigen Kairo), erste Gaueinteilung. Aus-
Vipsanius ↑ Agrippa, Gemahlin des ↑ Ger- bildung der ägypt. Bilderschrift (↑ Hie­
manicus, Mutter des Caligula, starb – von roglyphen), Erfindung des ↑ Papyrus.
Tiberius verbannt – auf der Insel Panda- Einführung des Kalenders (↑ Zeitrech-
teria 33 n. Chr. den Hungertod. 2) A. die nung). Göttlichkeit des Herrscheramtes
Jüngere, Tochter von 1), 15–59 n. Chr.; (der König = falkenartiger Gott Horus).
Gemahlin des Claudius, den sie vergiftete, Königliches Beamtentum, Ausprägung
um ihren Sohn Nero, auf den Thron zu des „ägypt. Kunststils“. – Altes Reich um
bringen; auf Neros Veranlassung ermor- 2650–2190 v. Chr. (3.–6. Dynastie): Resi-
det; Gründerin und Namensgeberin ihres denz Memphis, der erste König Djoser er-
Geburtsortes Köln (Colonia Agrippina). baute die erste Stufenpyramide (Werk des
Ägypten, Vorzeit vor dem 5. Jt.: älteste Baumeisters ↑ Imhotep); in der Glanzzeit
erhaltene Menschenspuren aus dem Ende der 4. Dynastie (um 2595–2450) entstan-
der Regenzeit (die der Eiszeit in Europa den durch Fronarbeit die gewaltigen Py-
entspricht), als die Sahara austrocknete ramiden (u. a. Cheops, Chefren, Mykeri-
und sich das Niltal bildete. Altsteinzeit- nos). Unter der 5. Dynastie Ausbildung
liche Kultur im Rahmen der westeurop. des Sonnenkults (Sonnengott Re), Son-
bzw. mittelmeer. Kulturkreise. In Horden nenheiligtum; die Könige nannten sich
ziehende Jäger und Sammler und nomadi- nun „Sohn des Re“, die Größenmaße der
sierende Hirten. – Jungsteinzeit vom 5. Jt. Pyramiden wurden kleiner; später Auf-
an: eigenständige Niltalkultur: Zelte be- kommen des Osiriskults. – 1. Zwischen-
wohnende Hirtenstämme, Rind und Schaf zeit um 2190–2050 v. Chr. (7.–10. Dy-
als Zuchttiere, Stammesverbände, Zauber- nastie): Zerfall der Reichseinheit, fast un-
glaube, Erdbestattung; im Delta sesshafte abhängige Gaufürsten, deren Familien an
Bauern mit Rind, Schaf, Ziege, Schwein. Ansehen zunahmen, in den Gauhauptstäd-
Anbau von Emmer und Gerste; Lehmsi- ten selbstbewusstes Bürgertum, zwei riva-
los, Reihenhütten, Töpferei ohne Töpfer- lisierende Dynastien: die Herakleopiten in
scheibe; Fruchtbarkeitskult; Totenbestat- Memphis und die Gaufürsten von Theben;
tung im Haus oder in hausähnl. Gräbern. Blüte der Lyrik und Lehrdichtung. – Mitt-
– Kupfersteinzeit im 4. Jt.: neben Stein- leres Reich um 2050–1710 v. Chr. (11–
auch Kupfergeräte, bilderreich verzierte 14. Dynastie): durch den Sieg des Königs
Keramik, Steinbohrer. Lehmziegelbau, Mentuhotep von Theben über den He-
Gräber mit Ziegelmauerwerk, Fernhandel rakleopiten in Memphis wurde die polit.
(Kupfer vom Sinai, Elfenbein aus Nubien, Einheit des Reiches wiederhergestellt; im
Perlen aus Abessinien, Bauholz vom Liba- Innern straffere Verwaltung und Zurück-
non, Obsidian aus der Ägäis, Olivenöl aus drängung der Gaufürsten; Übergreifen auf
Libyen und Palästina). Verwaltungszen- Nubien, Bauten in Karnak, Besiedlung der
tren und Marktflecken mit Handwerkern. Oase Fajum, Handelsfahrten nach Punt.
Handelskarawanen und Schiffsverkehr. – 2. Zwischenzeit um 1710–1570 v. Chr.
Tiere als Ortsgötter; Sonne, Sterne, Him- (15.–17. Dynastie): Epoche der Fremd-
mel, Erde, Gewässer als überlokale Gott- herrschaft der asiat. ↑ Hyksos („Fürsten
heiten. – Frühzeit um 2900–2650 v. Chr.: der Fremdländer“), Hauptstadt Auaris
1. und 2. Dynastie (Thinitenzeit, Dynastie (Tanis) im O-Delta. Die Fremden führten
aus der Gauhauptstadt This). Zeit der Pferd (als Bespannung) und Streitwagen in
Reichsbildung, von Oberägypten aus das Ägypten ein und revolutionierten dadurch

23
Ägypten

das Kriegswesen. Verbesserte Bronzetech- Edfu, Philae). In der Plastik Rückgreifen


nik. – Neues Reich um 1570–715 v. Chr. auf alte Vorbilder. Individualisierende Bil-
(17.–24. Dynastie): Das durch die theban. derkunst. Reliefbilder aus dem täglichen
Fürsten von den Hyksos befreite Ägypten Leben. – Römische Zeit um 30 v. Chr. bis
wurde Weltmacht, dehnte sich über Pa- 395 n. Chr. (bis zur Teilung des röm. Rei-
lästina und Syrien bis zum Euphrat und ches): Christianisierung, Begründung des
im S fast bis zum 4. Katarakt aus (Sudan). Mönchtums. Patriarchat von Alexandrien
Beziehungen zu Babylonien, Mitanni, (kopt. Sprache). – Byzantinische Zeit seit
Assyrien, Hethiterreich. Theben wurde 395 n. Chr.: Ä. war Teil des Ostreiches.
Weltstadt. Ungeheure Reichtümer (bes. – Arabische Zeit seit 639: Provinz des Ka-
nubisches Gold), überfeinerte Lebenshal- lifenreiches, allmähliche Mohammedani-
tung. Marktwirtschaft, gewaltige Bauten sierung. Entwicklung zur Selbständigkeit
im ganzen Nilland bes. um Theben, des- seit etwa 850. 868 Trennung vom Kalifat
sen Priesterschaft einen Staat im Staate Bagdad. Ä. wurde mit der neugegründe-
bildete (riesige Pfründen). Das Königtum ten Hauptstadt Kairo unter den Fatimiden
stützte sich auf Beamtenschaft und Heer; (969–1171) und Aijubiden (1171–1250)
Königfelsgräber im „Tal der Könige“ mit führend in der islam. Welt. Unter den
riesigen Totentempeln vor dem Gebirge. ↑ Mamelucken-Sultanen (1250–1517)
Bedeutende Pharaonen: Thutmosis III., Blüte der Moscheenbaukunst. 1517 Er-
Amenophis III., Amenophis IV. („Ketzer- oberung durch die Türken, allgemeiner
könig“ Echnaton, vorübergehende Verle- Niedergang. Erwachendes Selbstbewusst-
gung der Hauptstadt nach Al-Amarna in sein seit dem ägypt. Feldzug Napoleons
Mittelägypten, Aton einziger Staatsgott), (1798–1801), Kontakt zu Europa, Beginn
Ramses II. (monströse Bauten, Abgren- der neuzeitlichen ägypt. Geschichte. Mo-
zung der Interessensphäre gegenüber He- derne Staatsbildung durch Mehemed Ali
thitern; Angriffe der Libyer und der „See- (seit 1804). Unabhängigkeitskampf seit
völker“). Unter den Nachfolgern (3. Zwi- 1831. Europäisierung unter dem Khedi-
schenzeit) Niedergang: Grenzkriege, Ver- ven Ismail, 1863 bis 1879 (Armee, Schu-
schuldung durch Staatsbauten, Unter- len, Eisenbahnen, Suezkanal; aber Zerrüt-
wanderung im Delta durch die Libyer tung der Finanzen); 1869 Eröffnung des
(seit 950). – Spätzeit um 715–332 v. Chr. ↑ Suezkanals; 1882 Eroberung durch die
(25.–31. Dynastie): Ä. durch die Äthio- Engländer, nationale Gegenbewegung.
pier des Sudans (seit 750) überfremdet. 1914–1922 brit. Protektorat (Hoher
Rückzug der Äthiopier vor den Assyrern, Kommissar). 1922 beschränkte Unabhän-
die 670 Memphis und 663 Theben besetz- gigkeit, Festigung des Staatswesens. 1936
ten. Unter der 26. Dynastie (Psammetich, Selbständigkeit. 1942 dt. Vormarsch auf
Necho, Apries, Amasis) durch kluge As- Ä. durch brit. Truppen bei El Alamein zu-
syrerpolitik neue Blüte; Ausbildung von rückgeschlagen. 1948 Ende fast aller Re-
Beamtendynastien, Krieger- und Berufs- servatrechte Englands. 1952 Staatsstreich
kasten. Der Jenseitsglaube schwand, Ma- des Generals Nagib gegen König Fa-
gie und Tierverehrung (Stiere, Krokodile) ruk (seit 1936). 1953 Ä. Republik. 1954
traten an seine Stelle. In der Kunst „Alter- Staatsstreich ↑ Nassers. 1956 Räumung
tümelei“. Seit 525 (Schlacht bei Pelusium) der Suezkanalzone durch England, Nati-
Fremdherrschaft der Perser (mit Unter- onalisierung des Suezkanals; „Suezkrise“
brechungen). – Hellenistische Zeit um und „Suezabenteuer“ (Israel, England,
332–30 v. Chr. (Alexander und die Ptole- Frankreich), Rückzug der Interventions-
mäer): gewaltige Bautätigkeit (Dendera, truppen unter dem Druck der USA, der

24
Akademie

UdSSR und der UN. 1958 bundesstaatl. Ainu, vermutl. aus Nordasien auf die ja-
Zusammenschluss mit Syrien zur Ver- pan. Inseln eingewanderte hellhäutige
einigten Arab. Republik, lose Angliede- Rasse, Frühbewohner Japans, verbreiteten
rung des Jemen. 1961 nach Militärrevolte sich über alle Inseln, benannten viele Berge
Austritt Syriens aus der VAR; 1961 Ende und Flüsse; letzte Reste zurückgedrängt auf
des Assoziationsvertrages mit dem Jemen. Hokkaido, Sachalin, den Kurilen-Inseln.
Nasser proklamierte arab. Sozialismus und Aischa, zweite Gemahlin ↑ Mohammeds,
festigte seine Stellung durch Ausschaltung um 614–678; bekämpfte nach Moham-
der Parteien; Bau des Assuan­staudamms meds Tod den Kalifen ↑ Ali; 656 in der
mit sowjet. Hilfe. Verluste für Ä. im 3. Is- Kamelschlacht von Basra gefangen, nach
rael.-Arab. Krieg 1967. Seit 1971 ↑ Sa- Medina entführt, wo sie 678 starb (Name
dat Staatsoberhaupt, erzielte im 4. Israel.- der Schlacht nach dem Kamel, auf dem A.
Arab. Krieg Prestigeerfolg für die Araber. gesessen hat; als das Kamel stürzte, kam
Im Zuge der „Entnasserisierung“ stärkere der Kampf zum Stehen, und Ali ging als
polit. Annäherung an die USA, 1975 Wie- Sieger hervor).
dereröffnung des Suezkanals. 1979 Frie- Aistulf, König der Langobarden (749–
densvertrag mit Israel, dadurch Isolation 756); vereinigte das Herzogtum Spoleto
in der arab. Welt, 1981 Ermordung Sadats, mit der Krone und eroberte Ravenna. Um
sein Nachfolger Mubarak erreichte 1982 ihn an der Unterwerfung des röm. Herr-
die Rückgabe des ges.Sinaigebietes an Ä.; schaftsbesitzes zu hindern, reiste 754 Papst
1989 wurde Ä. wieder als Vollmitglied in ↑ Stephan II., von Byzanz im Stich gelas-
die ↑ Arabische Liga aufgenommen. sen, hilfesuchend zu König ↑ Pippin III., es
Ahnentafel, Verzeichnis der Ahnen einer kam zw. beiden zu einer Einigung (päpst-
Person in gesetzmäßigem Aufbau, vom lich-fränk. Bund). 756 zwang Pippin den
Ahnenträger aus über Eltern, Großeltern, Langobardenkönig, seine Eroberungen in
Urgroßeltern usw. (oft mit Lebensdaten Italien (auch das Exarchat Ravenna) zu-
und Wappen); v. a. üblich für die Ahnen- rückzugeben, und wies diese Gebiete dem
probe zur Zulassung für Turniere, Ämter, Papst als Oberhaupt der Kirche zu (Entste-
Orden oder ähnliches; Hauptverbreitung hung des Kirchenstaates).
jedoch im 16. und 17. Jh., auch auf Bild- Ajatollah (Ayatollah), Ehrentitel für geist-
teppichen, Gewändern, Grabmälern. liche Würdenträger im schiit. Islam, be-
Aihun, chin. Ort in der Mandschurei am deutet etwa „Zeichen (Wunder, Spiegel-
Amur; im Vertrag von A. 1858, der durch bild) Gottes“.
den Vertrag von Peking (1860) erweitert Akademie (der Wissenschaften), urspr.
und bestätigt wurde, musste China das die Philosophenschule Platons, der seine
gesamte Gebiet nördl. des Amur und den Schüler in einem dem Heros Akademos
Landstreifen zw. Amur-Ussuri und der geweihten Hain bei Athen zu versam-
Küste an Russland abgeben. Diese Grenz- meln pflegte. Die Akademie Platons (gest.
ziehung belastet das chin.-sowjet. Verhält- 347 v. Chr.) lebte nach seinem Tod fort,
nis bis heute (Kämpfe am Ussuri v. a. im wurde erst 529 n. Chr. von Kaiser Justi-
März 1969). nian aufgelöst: Die Bezeichnung wurde
Aijubiden, von Salah Ad Din Jusuf Ibn vom Humanismus für die Vereinigungen
Aijub (↑ Saladin) 1171 begr. Dynastie, löste zur Pflege der Dichtkunst (Florenz, Pa-
die Herrschaft der ↑ Fatimiden in Ägypten lermo, Toulouse) und später der Philoso-
ab. Die A. dehnten ihren Machtbereich auf phie wieder aufgegriffen: um 1445 Grün-
Syrien und N-Mesopotamien aus und re- dung der Accademia Platonica in Florenz;
gierten 1183–1232 auch im Jemen. 1582 entstand die Accademia della Crusca

25
Akadien

in Florenz als Vorbild für alle späteren verbot die Exzesse (Witwenverbrennung),
Sprachgesellschaften, deren berühmteste verfolgte als toleranter Gottgläubiger den
die Pariser Academie française wurde, als Fanatismus der Mohammedaner und
höchste Autorität in Fragen der frz. Spra- gründete einen monotheist. „Gottesglau-
che und Literatur, hervorgegangen aus ei- ben“ mit hohen sittlichen Anforderungen.
ner von Richelieu angeregten Privatgesell- Sein absolutist. Regime schuf kein Reich
schaft (1635), gebildet von den 40 „Un- von Dauer, aber seine kulturelle Leistung
sterblichen“. Ihr folgte die engl. ­ Royal erhob ihn im Geschichtsbewusstsein der
Society (Königliche Gesellschaft) in Lon- Inder zu myth. Größe und wirkte über
don (1660). Die bereits 1603 gegr. päpst- Jahrhunderte hinweg.
liche Accademia dei Lincei erlangte in- Akiba, Ben Joseph, jüd. Schriftgelehrter,
ternationales Ansehen durch naturwiss. um 50 bis 135 n. Chr.; vermutlich Begrün-
Forschungen. Auf Anregung von Leibniz der der Riten-, Vorschriften- und Geset-
wurde 1700 die Preuß. A. der Wissen- zessammlung „Mischna“, als Teilnehmer
schaften in Berlin gegründet. (Nachfolge- am Aufstand Bar Kochbars hingerichtet.
rin: Dt. A. d. W. seit 1946), desgl. die Pe- Akkad (Babylonien), erstes Großreich
tersburger A. 1724; Bayern hat seit 1759 der Geschichte (um 2350–2150 v. Chr.).
eine A. d. W., Österreich seit 1847, seit- Schon seit 2800 v. Chr. beunruhigten se-
her alle großen Kulturnationen. Diese A. mit. Hirtenstämme, aus der arab. Wüste
vereinigen die jeweils fähigsten Gelehrten kommend, die Randgebiete des Reiches
des Landes (geistes- und naturwiss. Zweig) ↑ Sumer; sie drangen allmählich ins In-
und dienen im Gegensatz zu den Univer- nere, kulturelle Verschmelzung mit den
sitäten wie zu den Akademien der Künste Sumerern. Um 2350 wurde Lugalsagesi,
nur der Forschung, nicht der Lehre. der den energischen Versuch gemacht
Akadien, ehemaliger frz. Besitz südl. des hatte, das sumer. Reich zu retten, von dem
St.-Lorenz-Stromes in Kanada, seit 1604 Semiten ↑ Sargon I. von Akkad besiegt.
von den Franzosen besiedelt, 1713 im Sargons Reich erstreckte sich vom SW-
Frieden von Utrecht an England abgetre- Iran bis nach Syrien, zum Libanon und
ten. Zahlreiche Franzosen wanderten frei- nach Kleinasien; führende Stadt wurde
willig oder unter Zwang in die Provinzen ↑ Nippur, 150 km südöstl. von Bagdad.
Neuenglands aus (A. = die heutigen ka- Entwicklung einer reichen Kultur mit
nad. Provinzen Neu-Schottland und Neu- Tempelburgen (Zikkurats) und Palaststät-
Braunschweig). ten; Sargons Nachfolger Naramsin trieb
Akbar (arab. „Der Große“), Großmogul Handel bis Indien, das semit. Akkadisch
von Indien, 1542–1605; war tatar. Her- wurde Staatssprache. Um 2150 berei-
kunft, islam. Glaubens; regierte seit 1556, tete der Einfall der Gutäer aus Nordosten
genial als Feldherr wie als Staatsmann, („Drachen des Gebirges“) dem Reich Ak-
einte in schweren Kämpfen fast ganz In- kad ein rasches Ende; in der nachakkad.
dien und machte es durch umfassende Zeit Wiederaufrichtung der sumer. Stadt-
Reformen zu einem Rechtsstaat mit ge- staaten; Akkad und Sumer bis 1955 v. Chr.
ordneter Verwaltung. Freund der Künste unter den Königen von Ur.
und Wissenschaften, größter Sittenlehrer Akkon (im Zeitalter des Hellenismus: Pto-
auf einem Thron seit Mark Aurel, tolerant lemais), Hafenstadt in Palästina, während
und aufgeschlossen für alle Religionen, der Kreuzzüge umkämpft, daher „Kirch-
gewährte A. nicht nur den Hindus (der hof der Christenheit“ genannt. Die Kreuz-
Masse seiner Untertanen), sondern auch fahrer nahmen A. 1104, verloren es 1187,
Christen und Parsen Religionsfreiheit, eroberten es 1191 nach zweijähriger Bela-

26
Alandinseln

gerung zurück (Richard Löwenherz) und die Ausgabe von Klein- oder Volksaktien
verloren es 1291 endgültig an die Mame- mit breitester Streuung und Vermeidung
lucken. – 1799 von den Türken mit engl. jeder Bindung an den Staat oder seine
Waffenhilfe gegen Bonaparte verteidigt. Organe (rein privatrechtliche Unterneh-
Akragas, ↑ Agrigentum. mungen). Berühmte Beispiele von Aktien-
AKP-Staaten, Bez. für die Entwicklungs- schwindel: John ↑ Law in Frankreich und
länder in Afrika, in der Karibik und im die ↑ „Gründerjahre“ in Deutschland.
Pazifik, die durch das Abkommen von Aksum, hl. Stadt in der Nähe von Adua,
↑ Lomé (1975) der EU (damals EWG) as- im Land Tigre, im 1.–7. Jh. n. Chr. zugleich
soziiert sind; 1975 in Georgetown auch als Name für das altabess. Reich (↑ Äthio­
formelle Organisation konstituiert, 1979 piens); erhalten sind zahlreiche Denkmä-
Unterzeichnung des 2. Lomé-Abkom- ler (Stelen von A.), Palast- und Grabrui-
mens, 2000 Abkommen von Cotonou. nen; hier wurden die ­ „Bundeslade“ der
Akropolis (griech. Oberstadt), in der An- kopt. Kirche und die „Gesetzestafeln“ des
tike der befestigte hochgelegene Teil der Moses aufbewahrt.
griech. Städte, Tempel- und Burgberg; die Aktium, Vorgebirge an der Westküste des
klassische A. von Athen, deren Ruinen er- Epirus an der Einfahrt zum Golf von Arta.
halten sind, wurde anstelle älterer Anlagen Hier errang 31 v. Chr. Oktavian, der spä-
zur Zeit des Perikles gebaut: Neben dem tere Kaiser Augustus, den entscheidenden
alten Athene-Tempel (6. Jh.) und dem al- Seesieg über Antonius und Kleopatra, der
ten Königspalast wurden 447 bis 432 der die Vorherrschaft des röm. Westen über
Parthenon, 437 bis 433 v. Chr. die Propy- den hellenist. Osten sicherte.
läen, nach 420 der Nike- und der Diony- Akzise (mittellat. accisia, Herkunft um-
sostempel, 421 bis 413 das Erechtheion stritten), seit dem MA, von den Niederlan-
vollendet. In Römertagen kamen 27 v. Chr. den ausgehend, in England und Deutsch-
der Tempel der Roma und des Augustus land Bez. für Steuern versch. Art, beson-
und das Monument des Agrippa hinzu. ders in Preußen, ursprünglich städtisch,
Nach der Christianisierung Griechenlands dann verstaatlichte, 1766–1786 zentral
wurde der Parthenon christliche Kirche, verwaltete Umsatz- und Verbrauchssteuer;
1458 nach Einnahme Athens durch die im 19. Jh. weitgehend abgebaut, im 20. Jh.
Türken Moschee. Bei der Belagerung des in vielfältigen Formen wiederbelebt.
türk. Athen durch die Venezianer (1687) Alandinseln, Inselgruppe von 6 550 In-
wurde der mittlere Teil des Parthenon in seln im Bottn. Meerbusen mit schwed. Be-
die Luft gesprengt. 1801 Bergung der be- völkerung, von strateg. Bedeutung. 1809
deutendsten Schrift- und Bilddenkmäler zusammen mit Finnland von Schweden
durch den Schotten Lord Elgin; seit 1926 an Russland abgetreten. Nach den Bestim-
Wiederherstellungsarbeiten. mungen des Pariser Friedens 1856 ent-
Aktiengesellschaft, eine der Haupt- militarisiert. 1916 mit stillschweigender
formen der kapitalist. Unternehmung, Duldung der Alliierten befestigt; Bewoh-
entwickelte sich aus den (See-)Handels- ner wünschten nach dem 1. Weltkrieg An-
gesellschaften des Frühkapitalismus (13.– schluss an Schweden, doch wurden die
16. Jh., vor allem in Italien) und den staatl. Inseln vom Völkerbund 1921 Finnland
konzessionierten Handelskompanien im zugesprochen unter den Bedingungen der
Zeitalter des Kolonialismus. In der neues­ Autonomie und Entmilitarisierung. 1939
ten Zeit hatte die A. an dem rapiden Auf- finn.-schwed. Vorstoß in der Befestigungs-
schwung des modernen Kapitalismus ent- frage, nach dem russ.-finn. Krieg hinfällig;
scheidenden Anteil, nicht zuletzt durch Entmilitarisierung 1947 erneut bestätigt.

27
Alanen

Alanen, iranisches Nomadenvolk. Urspr. Bedeutung; 1958 Erhebung A.s zum


in Südrussland und im nördl. Kaukasus 49. Bundesstaat der USA. Ende der 60er
ansässig, zogen die A., durch die Hunnen Jahre Entdeckung und Beginn der Förde-
verdrängt, um 350 nach W, fielen im Ge- rung riesiger Erdölvorräte. Seit 1977 führt
folge der Sueben und Vandalen in Gallien eine 1300 km lange Pipeline zum eisfreien
ein und teilten mit den beiden german. Hafen Valdez.
Völkern Spanien unter sich auf; nach der Alba, Fernando Alvarez de Toledo, Her-
Eroberung Spaniens durch die Westgoten zog von, span. Feldherr und Staatsmann,
an der Loire angesiedelt. Die in Südruss- 1508–1582; entschied als Oberbefehlsha-
land zurückgebliebenen Reste noch heute ber der Truppen Karls V. den Schmalkald.
als Osseten im Kaukasus erhalten. Krieg durch den Sieg von Mühlberg 1547,
Alarich, Könige der Westgoten aus dem unterwarf als kaiserlicher Statthalter die
Geschlecht der Balten: 1) A. I., um 370– aufständ. Habsburgischen Niederlande
410; führte 395 sein Volk aus Mösien nach mit militär. Gewalt; führte ein starres
dem Peloponnes und dem Epirus, schließ- Blutregiment (Hinrichtung ↑ Hoorns und
lich nach Italien, eroberte 410 Rom, starb ↑ Egmonts), Verbitterung des Bürgertums
in Unteritalien auf dem Weg nach N- durch neue, hohe Steuern. Der Kampf zw.
Afrika, begraben im Busento bei Cosenza. A. und den Rebellen (↑ Geusen) führte
(Die mehrfache Suche nach dem großen zum Abfall der Nordprovinzen. A. wurde
Goldschatz, den die Goten ihrem König 1573 abberufen, 1579 sogar verbannt,
mit ins Grab gegeben haben, blieb erfolg- führte jedoch 1580 wieder ein Heer, das
los, 1961 aber mit Mitteln der Stiftung Le- Portugal für die span. Krone eroberte.
rici wieder aufgenommen.) 2) A. II., Sohn Albanien, das „Tor zur Adria“, in der An-
und Nachfolger ↑ Eurichs, seit 484 ver- tike Teil der röm. Provinz Dalmatien, im
mählt mit Theodegotho, Tochter ↑ Theo- MA in buntem Wechsel unter bulgar.,
derichs d. Gr.; schuf 506 die „Lex Romana byzant. oder serb. Oberhoheit, teilweise
Visigothorum“, unterlag 507 Chlodwig von Venedig oder Sizilien (Normannen)
bei Vouglé (bei Poitiers) und fiel (Ende des beherrscht, unter eigenen oder fremden
Tolosanischen Reiches der Westgoten). Dynastien. 1443–1448 Freiheitskampf
Alaska, Halbinsel im N des amerik. Kon- unter dem Nationalhelden Skanderbeg.
tinents, durch die ↑ Beringstraße vom asia- 1476 dem türk. Reich einverleibt und
tischen Festland geschieden; Einfallstor für zum größten Teil zum Islam bekehrt.
die ersten Einwanderer aus Sibirien in den 1913 (2. Balkankrieg) im Frieden von Bu-
menschenleeren amerik. Kontinent. Im karest für unabhängig erklärt (um Serbien
18. Jh. von meist russ. Seefah­rern an den am Zugang zur Adria zu hindern), 1914
Küsten erforscht (Deschnew) und von Wahl des Prinzen Wilhelm von Wied zum
Russland in Besitz genommen. 1867 für „Mbret“ (Fürst) der Skipetaren, der aber
7,2 Mio. Dollar an die USA verkauft, brachte noch im gleichen Jahr das Land verließ.
es den USA die Kaufsumme durch Gold- 1914–1918 Kriegsschauplatz, nach dem
funde und Pelzreichtum binnen kurzem Krieg als selbständige Republik wieder-
wieder ein; zum Territorium der USA er- hergestellt, gefährdet durch die Ansprüche
klärt und 1942–1945 durch die 4600 km Italiens, Jugoslawiens und Griechenlands.
lange A.-Straße längs der Westküste Ka- Nach langen Wirren Regime Achmed Zo-
nadas (Baukosten 115 Mio. Dollar) un- gus (1925 Präsident, 1928 König), polit.
mittelbar mit den USA verbunden, als von Italien abhängig; 1939 von Mussolini
Flotten- und Luftstützpunkt wie als Roh- annektiert (Personalunion), Operations-
stoffreservoir von wachsender strategischer basis für das gescheiterte ital. Unterneh-

28
Albertus Magnus

men gegen Griechenland, 1943 unter dt. 1819–1861; vermählt mit Königin Vikto-
Besatzung von der ital. Krone gelöst, 1945 ria von England, seit 1857 mit dem Titel
sowjetfreundl. Regierung Enver Hox- Prinzgemahl, förderte das Verständnis der
has, Volksdemokratie und Glied des Ost- Königin für den Gedanken der dt. Ein-
blocks; 1960/61 Abkehr von Sowjetruss- heit; polit. liberal, weitsichtig; veranlasste
land (das in A. eine starke Position an der Schulreformen; Initiator der 1. Weltaus-
Adria gewinnen wollte) und Bindung an stellung in London 1851.
das kommunist. China. 1961 Abbruch der Albert von Appeldern, Bischof von Liv-
diplomat. Beziehungen zur Sowjetunion, land, um 1170–1229; Domherr aus Bre-
1968 Austritt aus dem Warschauer Pakt. men, führte ein Kreuzheer nach Livland,
1967 Schließung der Moscheen und Pro- gründete 1201 zusammen mit Kaufleuten
klamation A.s zum ersten atheist. Staat. aus Gotland Riga, stiftete den Schwertbrü-
1977/78 Streit mit China über Mao Tse- derorden, um außer den Kreuzfahrern, die
tungs „Dreiweltentheorie“, China stellte jeweils erst im Frühjahr aus den Reichs-
seine Militär- und Wirtschaftshilfe ein. In gebieten kamen, das ganze Jahr hindurch
den 80er Jahren vorsichtige Öffnung des eine schlagfertige Truppe zur Verfügung
lange Zeit internat. fast völlig isolierten zu haben, und nahm 1207 Livland von
A. gegenüber dem Ausland, zu Beginn der König Philipp von Schwaben zu Lehen,
90er demokratische Reformen. Aufgrund teilte aber die tatsächliche Herrscherge-
der wirtschaftl. Lage massenhafte Auswan- walt mit der Stadt Riga und dem Orden
derung, Auseinandersetzungen mit dem der Schwertbrüder.
Nachbarland Serbien wegen des Kosovo, Albertiner, jüngere Linie des Hauses
Unterstützung durch Stationierung von ↑ Wettin (erbliche Kurfürstenwürde), be-
NATO-Truppen. nannt nach Herzog Albrecht dem Be-
Alberoni, Giulio, span. Kardinal und herzten; 1485 Erbteilung des Hauses Wet-
Staatsmann, 1664–1752; Emporkömm- tin (Hauptsitz Sachsen-Wittenberg) in die
ling ital. Abstammung, trieb als leitender ältere Ernestiner- und die jüngere A.-Linie.
Minister seit 1717 ohne Rücksicht auf die Die Ernestiner erhielten Kursachsen, fast
Erschöpfung des Landes durch den Span. ganz Thüringen, das Vogtland, die Alber-
Erbfolgekrieg ehrgeizige, abenteuerliche tiner die Markgrafschaft Meißen und das
Großmachtpolitik mit Spitze gegen Eng- nördl. Restthüringen. 1547 gewannen die
land und den Kaiser, scheiterte beim Ver- A. die Kurwürde zurück. 1806 wurden sie
such, Sardinien und Sizilien zurückzuge- (durch Napoleon) Könige von Sachsen.
winnen, an der ↑ Quadrupelallianz und Albertus Magnus (Albert d. Große), Graf
der Vernichtung der span. Flotte bei Pas- von Bollstädt (Lauingen, Schwaben), hl.,
saro (1718) durch die Engländer, entlas- Kirchenlehrer, genannt „Doctor universa-
sen, später päpstlicher Legat. lis“, um 1193–1280; bedeutendster Ver-
Albert, Name von Herrschern.– ­Belgien: treter der Scholastik neben seinem Schüler
1) A. I., 1875–1934; König der Belgier Thomas von Aquin. Der Dominikaner er-
seit 1909, schiffte sich 1914 mit dem warb an der Pariser Sorbonne den Doktor-
Rest seiner Armee nach England ein; bei grad, 1260–1262 war er Bischof von Re-
einer Felsbesteigung tödlich abgestürzt. gensburg, lehrte vor allem in Köln, wid-
– ­Sachsen: 2) A., 1828–1902; als Kron- mete sich der Auslegung der Philosophie
prinz 1866 Heerführer gegen Preußen, des Aristoteles in christl. Sicht und führte
1870 Sieger von Gravelotte, König seit sie in die Scholastik ein, pflegte die Na-
1873. – Sachsen-Coburg-Gotha: 3) A., turwissenschaft (Tierbeobachtungen, che-
Herzog von Sachsen-Coburg-Gotha, mische Experimente), wurde von Fürsten

29
Albigenser

und Städten um Rat und Schiedsspruch auf den Thron; wurde auch zum König
angegangen. In der Legende lebt er fort als von Ungarn und Böhmen gekrönt; starb
christlicher Magier mit Zauberkräften. am Sumpffieber. – Bayern: 3) A. III.,
Albigenser, die nach ihrem Hauptsitz Albi 1401–1460; 1432 heimlich mit Agnes
(bei Toulouse) benannten, von der Kirche ↑ Bernauer vermählt (die sein Vater, Her-
als Ketzer verfolgten Anhänger einer reli- zog Ernst, 1435 ertränken ließ), seit 1438
giösen Reformbewegung des 12./13. Jh. in Herzog von Bayern-München. 4) A. IV.,
Südfrankreich und Oberitalien (gehen zu- 1447–1508; Herzog seit 1463, setzte die
rück auf die ↑ Katharer); sie verwarfen die Unteilbarkeit seiner Erblande fest und be-
Lehre der Kirche, predigten Armut und erbte die 1500 erloschene Linie Bayern-
Askese, gaben sich eigene Bischöfe und Landshut. 5) A. V., 1528–1579; Herzog
hatten Freunde selbst unter den Fürsten; seit 1550, förderte vor allem die Künste,
wegen der dauernden Verfolgungen Got- errichtete 1558 die herzogliche Biblio-
tesdienste in verborgenen Höhlen und thek, infolge einer Adelsverschwörung
Wäldern; von der Inquisition und durch entschied er sich für die Gegenreforma-
Kreuzzüge fast ausgerottet. tion. – Brandenburg: 6) A. I. der Bär, um
Alboin, König der Langobarden (um 560– 1100–1170; aus dem Hause der Askanier,
572), vernichtete 567 das Reich der Ge- Graf von Ballenstedt, 1134 mit der Nord-
piden an der mittleren Donau und führte mark belehnt, sicherte sich die Erbfolge im
568 sein Volk, verstärkt durch Sachsen, aus Havelland (1150), begründete im Kampf
dem nordthüring. Raum nach Italien; ver- gegen die Wenden die Mark Branden-
mählt mit Rosamunde, der Tochter des ge- burg. 7) A. III. Achilles, 1414–1486; Ho-
töteten letzten Gepidenkönigs Kunimund; henzoller, Kurfürst seit 1470, setzte 1473
auf deren Veranlassung 572 ermordet. durch Hausgesetz (Dispositio Achillea) die
Albornoz, Aegidius Alvarez Carillo, span. Unteilbarkeit der Mark fest. 8) A. Alcibi-
Kirchenfürst, um 1305–1367; Erzbischof ades, 1522–1557; Markgraf von Kulm-
von Toledo, machte als Kardinallegat für bach-Bayreuth seit 1541; zahlreiche,
Italien in Abwesenheit der Päpste (Avi- mit brutaler Härte durchgeführte Feh-
gnon) dem Chaos in Rom (Adelskämpfe, den gegen die fränk. Bistümer Bamberg
Auftreten Cola di Rienzos) ein Ende; ord- und Würzburg und die Stadt Nürnberg
nete die Verhältnisse des Kirchenstaates. („Markgräfler Krieg“). Von seinen Geg-
Albrecht, Name von Herrschern. Dt. Kö- nern geschlagen und vom Kaiser geächtet,
nige: 1) A. I., von Österreich, 1255–1308; ging A. A. 1554 außer Landes. 9) A., Bru-
ältester Sohn Rudolfs von Habsburg, erst der des Kurfürsten Joachim von Branden-
1298 zum König gewählt, besiegte seinen burg, Kurfürst von Mainz, 1490–1545;
Vorgänger (Gegenkönig) Adolf von Nas- mit 23 Jahren Erzbischof von Magdeburg,
sau; tatkräftiger Hausmachtpolitiker, be- 1514 auch von Mainz, 1518 zum Kardinal
kämpfte erfolgreich die egoist. Politik der erhoben, benötigte zur Bezahlung der ho-
Kurfürsten, verzichtete auf die das Reich hen Palliengelder usw. große Geldmengen
schwächende Italienpolitik, bemüht um und ließ die Summe durch einen Ablass
Ausgleich mit dem Papst. 1308 von sei- aufbringen, für den Tetzel, der Zeitsitte
nem Neffen Johann Parricida (= Vatermör- entsprechend, warb; der Missbrauch des
der), dem er, um die geschlossene Haus- Ablasses forderte Luthers Thesenanschlag
macht nicht zu zersplittern, sein Erbe vor- heraus. – Österreich: 10) A., Erzherzog,
enthalten hatte, ermordet. 2) A. II., Her- 1817–1895; bedeutender Heerführer,
zog von Österreich, 1397–1439; folgte 1866 Sieger von Custoza gegen die überle-
1438 seinem Schwiegervater Sigismund genen ital. Streitkräfte. – Preußen: 11) A.,

30
Alemannen

Sohn des Markgrafen Friedrich von Bran- glaubten noch bis ins 17. Jh. hinein an den
denburg-Ansbach, 1490–1568; seit 1511 Stein der Weisen und das Walten überird.
(letzter) Hochmeister des Deutschen Or- Kräfte in den chem. Vorgängen; erst all-
dens; nahm 1525 das Ordensland als welt- mählich wurde der Unterschied zwischen
liches (protestant.) Herzogtum Preußen berufsmäßigen Goldmachern und Schar-
von Polen zu Lehen, Stifter der Universi- latanen und den echten Forschern be-
tät Königsberg. – Sachsen: 12) A. III., der griffen: Seit Boyle um 1750 die moderne
Beherzte, 1443–1500; führte Kaiser Maxi- Chemie begründet hatte, erhielt das Wort
milians I. Kriege in Flandern, 1485 Her- A. jene geringschätzige Bedeutung, die es
zog der geteilten sächs. Erblande, Stifter heute hat. Solange diese Unterscheidung
der Albertin. Linie des Hauses der Wet- nicht bestand, besaßen gerade die phan-
tiner. – Württemberg: 13) A., Herzog, tasievollsten Alchemisten hohes Ansehen,
1865–1939; Thronfolger (bis 1918), im oft unterstützt von goldhungrigen Fürs-
1. Weltkrieg Führer einer Heeresgruppe ten; der alchemist. Pseudowissenschaft ist
im Westen. u. a. die (zufällige) Erfindung des Porzel-
Albuquerque, Alfonso d’, portug. Seefah- lans und die Phosphorherstellung zu ver-
rer, 1462–1515; als Statthalter Ostin­diens danken (↑ Chemie).
seit 1510 (Nachfolger ↑ Almeidas) fes­tigte Aleandro, Girolamo, ital. Humanist und
und erweiterte er die portug. Macht am Kardinal, 1480–1542; führte an der Pariser
Indischen Ozean (Goa, Ormus, Ceylon). Universität das Studium des Griechischen
Alchemie oder Alchimie, als wiss. „Che- ein und wurde ihr Rektor; trat in diplo-
mie“ in der Antike begr. von den Ägyp- matische Dienste der Kurie (päpstlicher
tern (die ihr Land „Kemi“ = „Schwarze Biblio­thekar), wurde zusammen mit ↑ Eck
Erde“ nannten; ihre Beiz- und Färbetech- als Nuntius nach Deutschland gesandt,
nik wurde im Baumwolle verarbeitenden um dem gegen Luther verhängten Kirchen­
Indien als „Kunst des Schwarzen Landes“ bann Nachdruck zu verleihen; betrieb auf
bekannt). Die Griechen beschäftigten sich dem Reichstag zu Worms 1521 die Verhän­
mit der Chemie mehr philosophisch-spe- gung der (weltl.) Reichsacht über Luther
kulativ als naturwiss.-experimentell. Erst und berichtete über Erasmus, Hutten und
die Araber griffen die Wissenschaft wieder Sickingen als Gegner der Kirche nach
auf, bauten sie aus und übermittelten ihre Rom; verdient um die Geschichtsschrei-
Kenntnisse als „al Kemia“ (= die Chemie) bung und Quellenforschung durch Ord-
dem Abendland, doch blieben sie weit nen des päpstl. Archivs sowie sorgfältig re-
entfernt von einer zutreffenden Einsicht digierte Gesandtschaftsberichte.
in das Wesen chem. Vorgänge. Ihre Über- Alemannen, Alamannen, german. Völ-
zeugung, dass Metalle ineinander umge- kerschaften, wanderten zu Beginn des
setzt werden können, übernahmen die 3. Jh. n. Chr. aus ihren alten Siedlungsge-
abendländischen Alchemisten (daher A. = bieten im norddt. Raum in das Maingebiet
Metallscheidekunst); trotz dieses Irrtums ab. Erstes histor. Auftreten gemeinsam mit
blieb die A. in ihren Grundlagen wiss., dem Stamm der Semnonen 213 n. Chr.,
bis sie bei Ausgang des MA mystisch-theo­ Vorstöße über den römischen ↑ Limes bis
sophische Züge annahm und sich in eine nach Mittel- und Oberitalien und nach
Geheimwissenschaft verwandelte; Ziel: ↑ Gallien. Die A. beherrschten im 5. Jh.
den „Stein der Weisen“ zu finden, mit des- das Gebiet zwischen Rhein, Bodensee,
sen Hilfe unedle Metalle sich vermeint- Lech, Fränk. Alb und Main. Bei Zusam-
lich in Gold verwandeln und Krankheiten menstößen mit den Franken (Chlodwig)
heilen ließen. Selbst bedeutende Gelehrte unterlagen sie, mussten einen Teil ihrer

31
Alembert

Siedlungsgebiete abtreten und die anderen sammlung zum Fürsten gewählt, machte
der fränk. Oberhoheit unterstellen. Chris- sich frei von russ. Bevormundung, ver-
tianisierung seit dem 6. Jh., im 7. und einigte Ostrumelien mit Bulgarien, was
8. Jh. Aufzeichnung der alemann. Volks- Russland veranlasste, ihn zur Abdankung
rechte; 746 von den Karolingern endgül- zu zwingen (1886); der Plan seiner Hei-
tig unterworfen. Diese Hoheitsgebiete rat mit einer preuß. Prinzessin wurde von
bildeten später das Herzogtum Aleman- Bismarck im Interesse eines guten Ver-
nia, aus dem das Herzogtum Schwaben hältnisses zu Russland verhindert („Bat-
(abgeleitet von dem alemann. Stamm der tenberg-Affäre“). – Makedonien: 2) A.
Sweben) wurde. Den Namen „Alemannia“ der Große, 356–323 v. Chr.; Sohn König
übertrugen die roman. Völker (ausgehend Philipps von Makedonien und der Köni-
von Frankreich) auf das gesamte Deutsch- gin Olympias, die ihn schon als Knaben
land: „Allemagne“. von seiner göttlichen Abkunft überzeugte.
Alembert, Jean le Rond d’, frz. Mathema- A. wurde von seinem Lehrer Aristoteles
tiker, Aufklärungsphilosoph und Freigeist, mit der griech. Hochbildung vertraut ge-
1717–1783; gab zus. mit Diderot die 28- macht, entschied 338 als Führer der ma-
bändige ↑ Enzyklopädie heraus, radikaler kedon. Adels­reiterei die Schlacht bei Chai-
Kritiker der christlichen Dogmatik. ronea, wurde 336 König von Makedonien
Aleppo, Stadt in NW-Syrien; im und Hegemon des Korinth. Bundes, der
2. Jt. v. Chr. in einer hethit. Urkunde als bei seiner Gründung (337) den Rache-
Zentrum eines Königreichs genannt; kam krieg gegen Persien proklamierte; sicherte
738 unter assyr. Herrschaft, danach in den in Blitzfeldzügen seine Herrschaft auf dem
Besitz der Meder (um 612), der Achäme- Balkan und in Griechenland; 335 Ein-
niden (539), Alexander d. Gr. (333), der nahme und Zerstörung Thebens; über-
Römer (65), Perser (540 n. Chr.) und Ara- schritt 334 den Hellespont mit insgesamt
ber (637–944); nach 969 zeitweilig by- 42 000 Mann zum Rachefeldzug (für die
zantinisch; 1260 Provinzhauptstadt der Perserzüge nach Griechenland), doch vor
Mamelucken; 1516 osmanisch; nach dem allem zum Er­oberungszug gegen die Welt-
1. Weltkrieg Teil des Völkerbundsman- macht Persien, schlug die pers. Massen-
dates Syrien, ab 1946 syrisch. aufgebote 334 am Granikos, 333 bei Issos
Alesia, keltische Stadt (nordwestl. des heu- und nach der Einnahme von Tyros und
tigen Dijon), 53 v. Chr. letzter Zufluchts- der kampflosen Unterwerfung Ägyptens
ort der aufständ. Gallier unter ↑ Vercinge- (Besuch A.s im Amonheiligtum) – 331
torix, 52 v. Chr. von Cäsar er­obert. Ausgra- bei Gaugamela; übernahm die Würde des
bungen der Lager und Befestigungen. geflüchteten und ermordeten Großkönigs
Alëuten, Inselgruppe am Südrand der Be- Darius III. (330), stieß nach Turkestan
ringsee zwischen Kamtschatka (Sibiren) vor, vermählte sich mit der baktr. Fürs-
und Alaska, um 1740 von Bering ent- tentochter Roxane, drang bis zum östl. In-
deckt, 1867 zus. mit Alaska von Russland dusarm (326) vor, siegte in seiner letzten
an die USA verkauft, im 2. Weltkrieg teil- (genialen) Schlacht am Hydaspes (326)
weise von Japan besetzt, später Flotten- über König Poros. Bald darauf aber wurde
und Luftstützpunkt der USA. er durch eine Meuterei seines Heeres zum
Alexander, Name von Herrschern. Bul- Rückzug gezwungen und erlag vor der
garien: 1) A. von Battenberg, 1857–1893; geplanten Umschiffung Ara­biens 323 in
aus dem Hause Hessen-Darmstadt (aus Babylon der Malaria. A.s Politik der Ver-
morganat. Ehe), Neffe des Zaren Alexan- schmelzung von Makedoniern und Per-
der, 1879 von der bulgar. Nationalver- sern, also des Abendlandes mit dem Mor-

32
Alexander von Roes

genland (Massenhochzeit von Susa), die neigte zu Frankreich, nachdem er vorher


den Bestand seines Reiches ­sichern sollte, Deutschland durch Geheimverträge un-
befand sich z. Z. seines Todes noch im terstützt hatte (↑ Rückversicherungsver-
Anfangsstadium; so zerfiel sein Weltreich trag 1887); 1892 Militärkonvention Russ-
(neben dem keine zweite Großmacht land-Frankreich. – Serbien: 7) A. I., 1888–
exis­tierte) unmittelbar nach seinem Tode 1934; Regent seit 1918, König 1922,
(↑ Diadochenreiche); die weitreichendste suchte 1929 die gefährdete Staatseinheit
Folge seiner Reichsgründung war die Ver- (kroat. Unabhängigkeitsstreben) durch
breitung hellen. Kultur in der Welt der Militärdiktatur zu retten (Umbenennung
Antike und die Öffnung des Ostens für Serbiens in Jugoslawien); in Marseille (mit
Weltverkehr und Welthandel. – Russland: Barthou) ermordet.
3) A. Newski, um 1220–1263; Fürst von Alexander, Päpste: 1) A. III., zuvor Kardi-
Nowgorod, besiegte 1240 die Schweden nal Roland, 1159–1181 Papst; setzte sich
an der Newa (daher sein Name) und 1242 gegen Kaiser Friedrich I. und dessen Ge-
den Dt. Orden auf dem gefrorenen Pei- genpäpste durch, einer der großen Wahrer
pussee. 4) A. I., 1777–1825; Enkel Katha- der päpstlichen Macht. 2) A. VI., aus dem
rinas II., Sohn Zar Pauls I., im Geiste der Hause Borgia, skrupelloser, sittenloser
Aufklärung erzogen, an der Ermordung und Pracht liebender Renaissancepapst
seines Vaters wohl nicht unbeteiligt, 1801 (1492–1503); Vater von Cesare und Lu-
Zar; begann mit Reformen, um die Adels- crezia Borgia; Förderer der Künste; legte
herrschaft zu brechen; blieb Sieger im durch den Vertrag von ↑ Tordesillas, der
Kampf gegen Napoleon 1812–1815, er- von beiden Parteien anerkannt wurde, die
warb Finnland und Bessarabien, erzwang Demarkationslinie für die von Spaniern
auf dem Wiener Kongress die Anerken- und Portugiesen neuentdeckten Länder
nung eines mit Russland eng verbundenen der westl. Halbkugel fest; soll an einem
Königreichs Polen, gründete die ↑ Hei- Gifttrank gestorben sein, den er für seine
lige Allianz, seine repressive Innenpolitik Gegner hatte bereiten lassen. 3) A. VII.,
führte 1825 zum ↑ Dekabristenaufstand, 1655–1667 Papst; betrieb die Jesuitenmis-
er regierte schließlich als Vorkämpfer der sion in China, beauftragte Bernini mit der
Reaktion und flüchtete in die Mystik. Die Gestaltung des Petersplatzes.
Berichte, dass A. seinen Tod vorgetäuscht Alexander Severus (Severus Alexander),
habe und als Einsiedler nach Sibirien ge- römischer Kaiser (222–235); beim Regie-
gangen sei, sind Legenden. 5) A. II., „der rungsantritt noch nicht 14 Jahre alt, wurde
Befreier“, 1818–1881; Zar seit 1855; hob er geleitet von seiner Mutter Julia Mam-
die Leibeigenschaft auf (1861), moderni- mäa und dem Rechtsgelehrten ↑ Ulpianus;
sierte das Heeres-, Justiz-, Finanz-, Ver- gebildet, tolerant, aber schwach und ohne
waltungs- und Schulwesen, lehnte jedoch festes polit. Ziel; kämpfte ohne Erfolg ge-
Einschränkung der Zaren-Selbstherrschaft gen die Neuperser (unter Ardasir, dem
durch Mitbestimmung des Volkes ab; ersten Sassandiden) und Germanen, 235
wurde mit den nationalen und sozialen bei Mainz von seinen Truppen mit seiner
Problemen Russlands nicht fertig (1863 Mutter ermordet.
Polenaufstand; Anarchismus und Nihilis- Alexander von Roes, Kölner Kleriker der
mus), durch Bombenattentat einer Anar- 2. Hälfte des 13. Jh.; streitbarer Verfech-
chistengruppe getötet. 6) A. III., 1845– ter der Reichsidee, bekämpfte in seinem
1894; regierte seit 1881, Reaktionär, för- Memoriale (1281) die frz. Ansprüche auf
derte den Panslawismus, betrieb Russifi- Kaisertum und Papsttum, in seiner Para-
zierungspolitik (Ostprovinzen, Finnland), bel vom Vogelkonzil („Pavo“), in dem der

33
Alexandria

Papst als Pfau, der frz. König als Hahn und Katechetenschule in Alexandria. Ende der
der dt. Kaiser als Adler erscheinen, spricht A. S. durch den Arabereinfall (640 n. Chr.).
er von den drei Weltämtern: Imperium = (In neuerer Zeit versteht man unter Alexan­
Deutschland, Sacerdotium = Papsttum; Stu- drinismus kulturelle Dekadenz, unschöp-
dium (der Wissenschaften) = Frankreich. ferische Übergelehrsamkeit, übersteiger-
Alexandria, gegr. 331 v. Chr. von Alexan- ten wiss. Sammeleifer.)
der d. Gr., erbaut nach Plänen des make- Alexei Michailowitsch, russ. Zar (seit
don. Architekten Deinokrates, Residenz 1645), 1629–1676; Vater Peters d. Gr.,
des Ptolemäerreiches (↑ Ptolemäer), füh- vergrößerte das Moskauer Reich um die
rende Hafen- und Handelsstadt der Antike Ukraine links des Dnjepr, die Provinz
mit etwa 1 Mio. Einwohner. Zentrum der Smolensk und Sibirien bis zur nördl. des
hellenist. Weltkultur; das ↑ Museion, gegr. Amur gelegenen Wasserscheide; führte
280 v. Chr., gewährte vielen Gelehrten und 1666 eine Kirchenreform durch, leitete
Künstlern Lebensunterhalt und bot ihnen die Europäisierung Russlands ein.
reiche wiss. Hilfsmittel: Institute für alle Alexeji Petrowitsch, russ. Thronfolger,
Forschungszweige und die berühmteste 1690–1718; Sohn Peters d. Gr., die Hoff-
Bibliothek des Altertums (beim Brand nung der reformfeindlichen altruss. Partei,
der Bibliothek anlässlich der Eroberung verzichtete auf seine Rechte als Thronfol-
Alexandrias durch Cäsar 48 v. Chr. wurde ger, verstümmelte sich selbst und flüchtete
die Zahl der vorhandenen Papyrusrollen nach Italien, von seinem erbitterten Vater
auf 70 000 geschätzt). 30 v. Chr. endgül- zurückbefohlen und wegen Hochverrats
tig römisch, wurde A. in der Frühzeit des zum Tode verurteilt, im Gefängnis an den
Christentums Sitz eines bedeutenden Pa- Folgen der Tortur gestorben.
triarchats (Athanasius, Kyrillos) und einer Alexios, Kaiser von Byanz: 1) A. I. Kom-
berühmten Katechetenschule; im MA seit nenos, 1048–1118; Begründer der Dynas­
der Eroberung durch die Araber 640 ver- tie der Komnenen, hervorragender Feld-
fallen (wiederaufgebaute Bibliothek ver- herr und Diplomat, setzte sich im Bürger-
nichtet, Residenz nach Kairo verlegt); seit krieg durch und bestieg 1081 den Thron,
1517 unter türk. Herrschaft; 1798 von kämpfte zunächst wenig glücklich gegen
Napoleon erstürmt. Wiederaufstieg unter die Normannen (Niederlage von Dynha-
dem Regime Mehemed Alis (Bau des Suez- chium, 1081), erst der Tod des Norman-
Kanals), 1882 von den Engländern bom- nen ↑ Robert Guiscard (1085) bannte die
bardiert und besetzt, wichtigster brit. Flot- Gefahr; in der Abwehr gegen Türken (Sel-
tenstützpunkt im östl. Mittelmeer, brit. dschuken) und Petschenegen behauptete
Garnison bis 1947, Hauptplatz des ägypt. A. das Reich, rief nach Versöhnung mit
Baumwollhandels. – Die anderen mehr als dem Papst (Urban II.) das christl. Abend-
zwei Dutzend hellenist. Städte mit dem land zu Hilfe und schaltete sich in die
Namen A. gingen fast ausnahmslos unter, Kreuzzugsbewegung ein. Den über Byzanz
sie wurden von Alexander d. Gr. und sei- anrückenden Teilnehmern am 1. Kreuzzug
nen Generälen nach überwiegend militär. (1096) nahm er den Lehnseid für die zu
Gesichtspunkten gegründet. erobernden Gebiete ab. Mit dem Norman-
Alexandrinische Schule, Hochblüte der nen Bohemund, der in Antiochia ein neues
hellenist. Gelehrsamkeit unter den ↑ Pto- Fürstentum errichtet hatte, kam A. wiede-
lemäern in Alexandria, bes. in der Philo- rum in Konflikt. Dem Kampf Alexios’ mit
sophie (Verschmelzung griech. Geistes den Normannen hatte Venedig den Auf-
mit oriental. Mystik); entsprechend auch stieg zur Kolonialmacht und zur Vorherr-
in der frühen christlichen Theologie der schaft im östlichen Mittelmeer zu verdan-

34
Algerien

ken; A. gewährte großzügig seinem Bun- über die Mauren) als erster König von Por-
desgenossen Venedig für Flottenhilfe Ab- tugal (1179 vom Papst als Königreich an-
gabenfreiheit im Handel (1082). 2) A. IV. erkannt), machte das 1147 eroberte Lissa-
Angelus, 1203 von den Kreuzfahrern ein- bon zur Hauptstadt. 7) A. V. der Afrika-
gesetzt unter Bedingungen (Vereinigung ner, König 1438–1481; eroberte Tanger,
der griech. mit der röm. Kirche), die zu erhob Anspruch auf Kastilien und wurde
Volksaufständen führten, denen er 1204 von Isabella und Ferdinand von Kastilien
zum Opfer fiel. besiegt; unter ihm Entdeckungsfahrten
Alfons, Name von Herrschern. Aragón: portug. Seefahrer nach Westafrika.
1) A. I. der Kämpfer (el Batallaor), König Alfonsín, Raúl, argentin. Politiker, geb.
1104–1134; machte das den Mauren ent- 1927; trat 1945 in die Radikale Bürger­
rissene Saragossa zur Hauptstadt Aragóns union (UCR) ein und war 1963–1966 Par-
(Vorverlegung der Grenze über den Ebro). lamentsabgeordneter. 1981 Vorsitzender
2) A. V. der Weise, König von Aragón, seiner Partei. Bei den ersten freien Wahlen
Neapel und Sizilien (1416–1458); verei- nach der Militärdiktatur (1976–1983)
nigte 1442 Sizilien wieder mit Neapel, ging A. als Sieger hervor. Als Staatspräsi-
das er vom Papst zum Lehen nahm, und dent 1983–1989 konnte er mehrfach Re-
herrschte dort als A. I. – Kastilien-León: bellionen der Armee vereiteln, jedoch ge-
3) A. VI., König 1065–1109; herrschte lang es ihm nicht, die schwere Wirtschafts-
nach Bruderkrieg seit 1072 allein über das krise seines Landes 1988/89 und die damit
Gesamtreich einschließlich León, machte verbundenen sozialen Konflikte entschei-
das 1085 eroberte Toledo zur Hauptstadt, dend zu mindern. Dies führte zu seinem
konnte sich gegen die maurische Dynas- vorzeitigen Rücktritt am 1. 7. 1989.
tie der Almoraviden nur durch die Siege Alfred der Große, König von Wessex und
des span. Nationalhelden ↑ Cid, eines von Oberherr über die anderen angelsächs.
ihm verbannten Vasallen, behaupten. Das Teilreiche in England (871–899); drängte
von Cid eroberte Valencia verlor er nach in schweren Kämpfen die dän. Wikinger
dessen Tod an die Almoraviden. 4) A. VII. zurück, verbesserte Kirchen- und Staats-
(1126–1157); setzte als letzter Herrscher verwaltung und förderte die altengl. Lite-
des ungeteilten Kastilien-León den An- ratur; erbaute die erste engl. Flotte.
spruch auf kaiserliche Würde in Spanien Algeciras, span. Hafenstadt gegenüber
durch; Lehensträger waren die Könige von Gibraltar; seit 711 Ausgangspunkt für
Navarra und Portugal, die Fürsten von die islam. Eroberung der iber. Halbinsel;
Barcelona und Toulouse. 5) A. X. (1252– 845 und 859 von den ↑ Normannen ge-
1282); Freund der Wissenschaften („Der plündert und zerstört. 1906 Konferenzort
Astronom“) und Förderer der kastil. Lite- (↑ Marokko).
ratur, entriss den Mauren Cadiz und Car- Algerien, Teile des heutigen A. gehörten
tagena, wurde 1257 mit Unterstützung zum phönik. und karthag. Machtbereich
Frankreichs und der Kurie zum dt. Kö- und bildeten in der Antike die röm. Pro-
nig gewählt, konnte aber seine auf Italien vinzen Numidien und Mauretanien (Mau-
zielenden Pläne wegen innerer Schwierig- retania Cäsariensis), eine der „Kornkam-
keiten nicht verwirklichen; er betrat nie mern“ Roms mit ausgedehnten Planta-
deutschen Boden. – Portugal: 6) A. I. der genwirtschaften und blühenden Städten
Eroberer, 1112–1185; Sohn des mit der (Hippo Regius), 429 bis 534 unter der
Grafschaft am Tajo belehnten Heinrich Herrschaft der Vandalen, dann zum Ost­
von Burgund (der sich von Kastilien unab- röm. Reich, um 700 von den Arabern er-
hängig machte), herrschte seit 1139 (Sieg obert, im 11.–13. Jh. unter den Almoravi-

35
Alhambra

den und Almohaden, seither unter eigenen orientierte Islamische Heilsfront (FIS)
Sultanen; Schlupfwinkel gefürchteter mau- bei den ersten freien Wahlen 1991 über-
rischer und türk. Seeräuber; ­ Chaireddin raschend siegte Übernahme der Macht
Barbarossa unterstellte 1519 A. der türk. durch das Militär, seit 1997 wieder regu-
Oberhoheit unter Zusicherung von Waf- läres Parlament, aber weiterhin bürger-
fenhilfe gegen die angreifenden Spanier; kriegsähnliche Zustände.
1535–1541 Abwehr der Landeunterneh- Alhambra, ↑ Granada.
mungen Kaiser Karls V. Anfang des 18. Jh. Ali (Ben Abu Taleb), aus Mekka, einer der
machte sich A. von der türk. Oberherr- ersten Anhänger des Propheten Moham-
schaft frei; im 17./18. Jh. mehrmals von med, dessen Vetter, Adoptiv- und Schwie-
europ. Flotten bombardiert. 1830 von gersohn (Gatte der Fatima), nach der sieg-
Frankreich besetzt und erst nach schweren reichen Kamelschlacht (656; ↑ ­Aischa)
Kämpfen gegen den Emir Abd El Kader vierter und letzter orthodoxer Kalif (656–
befriedet, als Protektorat kolonisiert; Ein- 661), von Verschwörern ermordet; Zen-
geborenenaufstände bes. während des Dt.- tralgestalt aller ↑ schiitischen Sekten, die
Frz. Krieges, Rückeroberung in den 70er ihn allein als rechtmäßigen Nachfolger des
Jahren; 1882 Annexion, bis 1902 Erwei- Propheten anerkennen.
terung durch Südterritorien, Verwaltung Aliso, 11 v. Chr. von Drusus angelegtes
durch Generalgouverneur. Im 2. Welt- Kastell; wahrscheinlich bei dem heutigen
krieg Zentrum der frz. Widerstandsbewe- Wetzlar gelegen (neue Ausgrabungen:
gung unter de Gaulle, doch bereits starke 4 Kastelle, 5 Marschlager), wichtiger
Unabhängigkeitsbestrebungen. Durch die Stützpunkt der Römer zur Sicherung ih-
Verfassung der Frz. Union Teil des Mut- rer Herrschaft über Germanien (zw. Lippe
terlandes; seit 1954 Aufstand der ­Fellaghas und Rhein) zur Zeit des Augustus.
(organisiert in der FLN = Front de la libé- Alkibiades, athenischer Staatsmann und
ration nationale); 1958 A. in die Verfas- Feldherr, um 450–404 v. Chr.; Neffe des
sung der 5. Republik einbezogen, doch Perikles, Vertreter eines athen. Imperialis-
Weiterführung des „schmutzigen Krieges“. mus, trotz Bekanntschaft mit Sokrates An-
Nach Zusammenbruch eines Militär- hänger der Sophisten, plante und leitete
putsches (April 1961) im Mai 1961 in ein Unternehmen gegen Sizilien, das nach
Evian und Lugrin ergebnislose Ausgleichs- seiner vorzeitigen Abberufung (415) mit
verhandlungen de ↑ Gaulles mit den Füh- einer Katastrophe endete; floh, zum Tode
rern der Aufstandsbewegung; 1962 ge- verurteilt, nach Sparta, intrigierte dort ge-
währte Frankreich A. im Abkommen von gen Athen; vom athen. Volk zurückgeru-
Evian-les-Bains die volle Unabhängigkeit. fen, sicherte er durch Seesiege über Sparta
Ben Bella wurde Staatspräsi­dent der Re- die Getreidezufuhr aus dem Schwarzen
publik A. Durch den Sturz Ben Bellas ge- Meer, strebte nach der Diktatur, abermals
langte 1965 Oberst ↑ Boume­dienne an die verbannt; in pers. Emigration auf Betrei-
Spitze eines Revolutionsrates. 1973 Kon- ben Spartas ermordet.
ferenz der blockfreien Staaten in Algier. Alkuin, angelsächs. Gelehrter, um 735–
1976 Annahme einer neuen Verfassung 804; bedeutendster Ratgeber und Mitar-
und Wahl Boumediennes zum Staatsprä- beiter Karls d. Gr. in geistlichen Angele-
sidenten, nach dessen Tod 1978 Oberst genheiten und allen Fragen der Bildung;
Bin Dschadid Schadli als Staatsoberhaupt von adeliger Herkunft, seit 782 am Hof
gewählt, im Juli 1989 Ablösung des bis- Karls d. Gr., Mittelpunkt des Aachener
herigen Einparteiensystems durch ein plu- Gelehrtenkreises, Leiter der Hofschule,
ralist. System; als die fundamentalistisch Seele der ↑ Karolingischen Renaissance

36
Almagio

(Erneuerung der Wissenschaften der An- verbundene Staaten, die gemeinsame po-
tike); 796 Abt von St. Martin zu Tours; er- lit. oder militär. Ziele haben. – Heilige
halten ist der Briefwechsel mit Karl d. Gr. Allianz zw. Russland, Preußen und Öster-
Alldeutsche, Anhänger einer Bewegung, reich, dazu bestimmt, die auf dem Wiener
die den dt. Nationalismus fördern wollte, Kongress festgelegte staatliche und dynast.
imperialistisch, aber keine Forderung Ordnung zu sichern. Von Metternich in
nach Weltherrschaft Deutschlands, bes. den 1820/30er Jahren dirigiert, erwies sich
vor dem 1. Weltkrieg, zusammengefasst die H. A. als ein wirksames Machtinstru-
im A.n Verband. Die A. forderten die Er- ment gegen die revolutionären national-
weckung eines polit. Zusammengehörig- staatl. Bewegungen. – Im 1. und 2. Welt-
keitsgefühls aller Deutschen über die be- krieg nannten sich die gegen Deutsch-
stehenden Grenzen hinweg und eine ent- land verbündeten Großmächte alliierte
schiedene Machtpolitik, wo immer es um und assoziierte Mächte (Assoziierte meint
das Ansehen und die Interessen Deutsch- hier nicht vertraglich gebundene Staaten,
lands ging, vor allem eine kraftvolle Flot- wie z. B. die USA, im Gegensatz zu den
ten- und Kolonialpolitik. Wegen der Ver- A., den vertraglich gebundenen Mächten
stiegenheit ihrer Forderungen gewannen Frankreich, England, Italien u. a.).
die A. keinen Einfluss auf die offizielle dt. Allmende, das Gemein(de)land („allge-
Politik, schadeten ihr aber durch geräusch- meines“ im Gegensatz zum „privaten“),
volle Agitation. Die im 1. Weltkrieg gegr. die „gemeine Mark“, die zum Unterschied
„Vaterlandspartei“ griff Forderungen der von der in Hufen, Zeigen o. ä. aufgeteil-
A. auf (Annexionsprogramm). Nach dem ten Dorfgemeindeflur von den Gemein-
Frieden von Versailles (1919) gewannen degenossen ungeteilt genutzt oder deren
die A. einigen Einfluss auf die rechtsradi- Ertrag geteilt wurde (Weide, Wald, Ge-
kalen „völk.“ Parteien. wässer, Brunnen, Steinbrüche usw.). Von
Allenby, Edmund Henry Hynman, brit. bes. Bedeutung war das Recht jedes Dorf-
Feldmarschall, 1861–1936; eroberte genossen, im A.-Wald Neuland zu roden
1917/18 Palästina; 1919–1925 Hoher („Neubruch“), das dann zum Eigenbesitz
Kommissar in Ägypten. wurde. Die aus der german. Agrarverfas-
Allende Gossens, Salvador, chilen. Politi- sung überkommene A. erhielt sich bis zu
ker, 1908–1973; 1933 Mitbegründer der den Agrarreformen des 19. Jh., besteht
chilen. sozialistischen Partei, 1937 Abge- heute noch teilweise in Süddeutschland
ordneter, seit 1945 Senator; 1970 Sieg A.s und in der Schweiz.
bei den Präsidentschaftswahlen. A. trat Allod, das freie Eigentum im Gegensatz
für das sozialist. Wirtschaftsprogamm ein, zum Lehns- und Nutzungsgut, besonders
Verstaatlichungen. 1973 Putsch der Mili- in erbrechtlicher Beziehung; später Bez.
tärs unter General Pinochet. A. weigerte für vererbbare Lehensgüter, vom Besitzer
sich zu kapitulieren und wurde bei der Be- selbst bewirtschaftete (nicht verpachtete)
schießung des Regierungssitzes getötet. Außenwerke eines Gutshofes und für Gü-
Allgemeiner deutscher Arbeiterverein, ter, über die der Besitzer frei verfügen kann
↑ Sozialdemokratie. (im Gegensatz zum ↑ Fideikommissgut).
Allid, kleiner Nebenfluss des Tiber; an Almagio, Diego de, span. Konquistador,
der A. erlitten die Römer 387 v. Chr. eine 1475–1538; eroberte zus. mit Pizarro das
schwere Niederlage durch die Gallier, die Inkareich von Peru, stieß auf Veranlassung
anschließend Rom besetzten. der span. Krone weiter nach Süden vor
Alliierte, durch eine Allianz (mit for- und entdeckte Bolivien und Chile. Geriet
mellem Vertrag geschlossenes Bündnis) mit ↑ Pizarro wegen des Besitzes der Inka-

37
Al Mamun

stadt Cuzco in Streit, unterlag und wurde mering, St. Gotthard, Lukmanier; in der
im Gefängnis erwürgt. Neuzeit: Colle di Tenda, Grimsel, Furka,
Al Mamun, abbasidischer Kalif von Bag- Sustenpass, Klausen­pass, Majola, Flüela,
dad (813–833); grausamer Despot, aber Bernina, Ofenpass, Stilfser Joch, Jaufen,
sehr verdient als Förderer der Wissen- Großglockner, Karawanken, Loibl.
schaften (Übernahme griech. Wissen- Altamerikanische Kulturen, ↑ Amerika.
schaft, Bibliotheksgründung, Sternwarte). Altchristliche Kunst, im Morgen- und
Al Massur, der 2. Kalif aus dem Hause der Abendland Kunst der ersten 6 Jh. des
Abbasiden (754–775); setzte deren Herr- Christentums, zunächst noch mit den
schaft in Bagdad endgültig durch, leitete Motiven der Antike, doch schon in vor-
das Aufblühen der arab.-islam. Kultur und konstantin. Zeit (vor 300) Gestalten und
Wissenschaften ein. Symbole nur christl. Charakters (der Gute
Almeida, Francisco de, portugies. Erobe- Hirte, das Kreuz [erstmals in Hercula-
rer, um 1450–1510; erwarb für die Krone neum um 70 n. Chr.], Öllämpchen mit
Portugals den ostind.Kolonialbesitz; erster Chris­tusmonogramm, Taube, Palme, Öl-
Vizekönig von Ostindien (1505), erzwang zweig, Hirtenstab, Lamm; erste Kirchen-
gegen Araber und Ägypter 1509 das Mo- säle); nach dem Sieg des Christentums
nopol im Gewürzhandel, von Eingebore- christl. Basiliken mit Vorhof, Langhaus,
nen Südafrikas getötet. Priesterraum (Alte Peterskirche, St. Paul
Almohaden, aus einer islam. Sekte hervor- vor den Mauern, Santa Maria Maggiore in
gegangene berberische Dynastie in Nord­ Rom, Doppeldom in Trier u. a.) und Zen-
afrika und Spanien, in Nachfolge der von tralkirchen (San Stefano Rotondo in Rom,
ihnen 1147 gestürzten ↑ Almoraviden; im San Laurenzo in Mailand, San Vitale in
13. Jh. von den Spaniern zurückgedrängt; Ravenna); seit 400 christl. Mosaike und
1269 durch den nordmarokkan. Berber- Wandmalereien, Sarkophage, Elfenbein-
stamm der Meriniden vernichtet. reliefs, Steinplastiken, Portal-Holzschnitz-
Almoraviden, maurische Sekte und Dy- werke mit Motiven aus dem A.T. und N.T.
nastie; herrschte um 1050 in Nordafrika und der Legende; eigene Entwicklung in
und seit 1086–1147 auch in Spanien, von den Kirchen des Ostens (Byzanz, Syrien,
den christlichen Königreichen bedrängt Paläs­tina, Mesopotamien, Ägypten).
und 1147 von den ↑ Almohaden gestürzt. Altertum, in der Geschichtsbetrachtung
Alpenstraßen, Alpenpässe, in frühester (Periodisierung) geschichtliche Periode,
Zeit Saumpfade an den Hängen entlang; deren Grenzen in neuerer Zeit nach vor-
frühgeschichtl. Übergänge u. a.: Brenner wärts und rückwärts ausgeweitet wurden.
(Etrusker, Kelten), Rottenmanner Tau- Sie umspannt in moderner Sicht im Allg.
ern (Eisenzeit), Kleiner St. Bernhard (Kel- das Zeitalter geschichtlichen Lebens vom
ten, vielleicht Hannibal), Prebichl (früh- 4. Jh. v. Chr. (Ägypten, Mesopotamien) bis
zeitl.), Mont Genèvre (Gallier 388; frü- zur Ausbreitung des Islam im 7. Jh. n. Chr.
heste Römerstraße). – Hauptstraßen der In der älteren Sicht reichte das „Alter-
Römerzeit: Brenner, Mont Genèvre, Klei- tum“ von der griech.-röm. Antike (Ho-
ner St. Bernhard, Großer St. Bernhard, merische Zeit) bis zur Völkerwanderung
Simplon, Neumarkter Sattel, Splügen, oder bis zum Ende des Weström. Reiches
Julier, Reschenscheidegg, Fernpass, See- 476 n. Chr. Heute oft verwendete Einzel-
felder Pass, Plöcken, Poptafel, Birnbaumer datierungen für das Ende dieser Periode:
Wald, Radstädter Tauern, Pyhrn. – Im für Deutschland 375 (Beginn der Völker-
MA kamen hinzu: Predil, Krimmler Tau- wanderung), für Hellas 529 (Schließung
ern, Arlberg, Septimer, Mont Cenis, Sem- der 800-jährigen Athener Akademie durch

38
Amarna

den christl. Kaiser Justinian), für die Rei- 585 unentschiedene Schlacht am Halys,
che des Islam 622 (↑ Hedschra; vgl. auch der zum Grenzfluss wurde.
↑ Mittelalter). Amadeus, Grafen und Herzöge von Savo-
Altes Testament, ↑ Bibel. yen: 1) A. V. d. Gr., Stammvater des Hauses
Althusius (Johannes Althaus), dt. Rechts- Savoyen (und damit des späteren ital. Kö-
gelehrter, 1557–1638; verfasste eine sys­ nigshauses), 1249–1323. – 2) A. VIII. der
temat. Staatsrechtslehre und vertrat den Friedfertige, 1383–1451; 1416 zum dt.
naturrechtlichen Gedanken der Volkssou- Herzog erhoben, wurde 1440 vom Basler
veränität, der die Entwicklung der west­ Konzil zum Gegenpapst (Felix V.) gewählt,
europ. Demokratie beeinflusste. verzichtete 1449 auf die Papstwürde.
Altkatholiken, spalteten sich 1571 von Amalarich, letzter König der Westgoten
der kath. Kirche ab, da sie die Beschlüsse aus dem Geschlecht der Balten, 502–531;
des Vatikan. Konzils von 1870 über die Enkel Theoderichs d. Gr., unterlag den
Unfehlbarkeit des Papstes nicht aner- Franken 531 bei Narbonne und wurde auf
kannten. Die Bewegung ging von Univer- der Flucht ermordet.
sitätskreisen Münchens, Breslaus, Bonns Amalaswintha, Tochter Theoderichs d. Gr.
und Prags aus (dt. Messe, gegen Ablass, und nach seinem Tode 526 Regentin für
Abendmahl in beiderlei Gestalt, gegen un- ihren Sohn Athalarich. Nach dessen frü-
befleckte Empfängnis Marias, für Priester- hem Tod (534) Königin der Ostgoten.
ehe); polit. bedeutsam im ↑ Kulturkampf. Von der römerfeindlichen Partei der Go-
Neuerdings Annäherung (Abendmahlsge- ten 535 festgesetzt und von ihrem Vetter
meinschaft) an Anglikan. und Orthodoxe Theodahad im Bad ertränkt.
Kirche. Seit dem 2. Vatikanischen Konzil Amalekiter, arab. Stamm (im heutigen
besserte sich das lange Zeit negative Ver- Jordanien), Feinde der Israeliten, von den
hältnis zur röm.-kath. Kirche. Königen Saul und David vernichtet.
Altlutheraner, strenggläubige Anhänger Amaler, die Amelungen der Heldensage,
der Lehre Luthers (Augsburger Konfes- Königsgeschlecht der Ostgoten, dem auch
sion), sonderten sich bei der Verschmel- Theoderich d. Gr. angehörte; erlosch 536.
zung der luth. und reformierten Kirche in Amalfi, Stadt bei Salerno in Italien, im
Preußen zur Unionskirche im 19. Jh. ab. 5./6. Jh. n. Chr. gegr. (Seerecht von Amalfi
Altmark, Teile der ehemaligen sächsischen galt im westl. Mittelmeer), 1077 geriet A.
Nordmark (linkselbischer Teil), Stamm- unter normann. Herrschaft; Niedergang
land der ehemaligen Mark Brandenburg durch Kämpfe gegen Pisa 1135–1137.
mit den Hauptorten Stendal, Tanger- Amarna, moderne Bezeichnung für Ache-
münde und Salzwedel. Kaiser Lothar be- taton, Ruinenstätte am östlichen ­ Nilufer
lehnte den Askanier Albrecht der Bär, Graf nördlich von Assiut; der Ketzerkönig Ame­
von Ballenstedt (1134–1170), mit der A. nophis IV. (um 1353–1336 v. Chr.) ließ
Altranstädt, Dorf und Schloss bei Mer- hier in Ablehnung des Amunkultes von
seburg. Friede von A. zw. Karl XII. von Theben die neue Hauptstadt Ägyptens zu
Schweden und August I. dem Starken Ehren des reinen Sonnen(Aton)kultes er-
1706, Verzicht Augusts auf den poln. bauen. – 1886 berühmter Tontafelfund
Thron. (Amarnatafeln): Briefwechsel der Könige
Altsteinzeit, ↑ Paläolithikum. von Mittani, Assur und Babyton mit den
Alyattes, König der Lyder, (um 605– Pha­raonen Amenophis III. und Ameno-
560 v. Chr.); unter ihm größte Blüte des phis IV., überwiegend in babylonischer
Lyderreiches; 575 Eroberung und Zerstö- Sprache. Fundort der Nofretete-Büste
rung Smyrnas; Kampf mit den Medern, (1912).

39
Amasis

Amasis (Amosis), Pharaonen von Ägyp- Amerika, Doppelkontinent Nord- und


ten: 1) A. 1., 1580–1555 v. Chr.; befreite Südamerika, benannt nach dem Florenti-
das Land von den Hyksos, Begründer ner Seefahrer Amerigo ↑ Vespucci. – Vor-
des Neuen Reichs. 2) A. II., 26. Dynastie kolumbische Geschichte: A. ist vermutl.
(568–525 v. Chr.); Griechenfreund, von urspr. „menschenleerer“ Kontinent; erste
den Persern, die nach seinem Tod Ägypten nachweisbare Einwanderung (Jäger und
eroberten, geschlagen. Sammler) aus dem asiat. Sibirien über die
Amaterasu, Sonnengöttin Japans, „be­ damals noch festländische oder vereiste
trat“ am 11. Feb. 660 v. Chr. bei Osaka Beringstraße seit etwa 15 000 v. Chr. (viel-
jap. Boden (seit 1873 als Beginn der jap. leicht schon früher); Einwanderung auch
Zeitrechnung festgelegt). über den Stillen Ozean, von Südasien her,
Ambronen, vermutl. auf den Nordfrie- über die pazifische Inselwelt. Kulturstufe
sischen Inseln und in Dithmarschen ansäs- der Mittelsteinzeit vermutlich seit 10 000–
siger german. Stamm, nahm am Zuge der 2500; früheste bekannte Menschenfunde:
Kimbern und Teutonen teil, der zu ihrem Fischgrätenhöhle bei Reno (Nevada) um
Untergang bei Aquae Sextiae 102 v. Chr. 9500 v. Chr. und Santa-Rosa-Insel (kali-
durch die Römer führte. forn. Küste) um 8000 v. Chr.; allmählicher
Ambrosius, Aurelius, hl., Kirchenlehrer, Übergang zu sesshafter Lebensweise (stein-
um 339–397; 374 Bischof von Mailand, zeitliche Talkulturen, Anfänge der Kera-
zuvor dort Statthalter; bekämpfte das rö- mik), Besiedlung des ganzen Doppelkon-
mische Heidentum, den Arianismus und tinents bis Südpatagonien. Weitere Ein-
Übergriffe der Kaiser. Durch seine Hym- wanderungswellen aus Südostasien über
nen bedeutender Förderer und Erneuerer den Stillen Ozean, beginnend wahrschein-
des Kirchengesanges (Ambrosianischer lich gegen Ende des 3. Jh. v. Chr. Auch
Kirchengesang). Bekehrte durch seine Pre- weiterhin Einsickern nomadisierender Jä-
digt den hl. Augustinus. gervölker aus Sibirien, die aber meist im
Amenemhet III., altägypt. König des Mitt- Norden des Kontinents blieben. Jäger,
leren Reiches (1842–1797 v. Chr.), Er- Sammler und Pflanzer entwickelten Hoch-
bauer des „Labyrinths“ (Totentempel bei kulturen, bes. in Mittelamerika und im
Hawara); nach griech. Überlieferung legte Hochland von Peru. Aufnahme des Land-
er den Mörissee (Fajum) an. baus, später vor allem Maiskultur. Kultur-
Amenophis (Amenhotep), altägypt. Kö- zentrum war ↑ Mexiko mit der Teotihua-
nige des Neuen Reiches (18. Dynastie): can-Kultur, davon stark beeinflusst das
1) A. I., (um 1525–1505 v. Chr.); unter- Reich der aus Nordamerika in Mexiko ein-
warf Nubien bis zum 4. Katarakt, legte brechenden Tolteken (5./6. Jh. n. Chr.)
die Totenstadt von ↑ Theben an. 2) A. III. und die ↑ Mayastaaten in Guatemala, San
(um 1391–1353); einer der tatkräftigsten Salvador und auf der Halbinsel Yucatán.
Pharaonen, Erbauer des Tempels in Luxor; Im 13./15. Jh. n. Chr. bildete sich auf dem
u. a. in den „Memnonskolossen“ (Sitzsta­ mexikan. Hochland das Reich der kriege-
tuen eines Totentempels) dargestellt. rischen Azteken, der Nachfolger der Tolte-
3) A. IV., später Echnaton genannt (um ken. In Peru seit 1200 das Inkareich, Hö-
1353–1336); versuchte den Sonnenmono­ hepunkt im 15. Jh. n. Chr. – Entdeckungs-
theismus (Verehrung des Gottes Aton = geschichte vor Kolumbus: Um 1000 n. Chr.
Sonnenscheibe) einzuführen, verlegte die landeten zum ersten Male Europäer an der
Residenz von Theben in seine neugegrün­ Atlantikküste Amerikas: 981 Entdeckung
dete Hauptstadt Achetaton (↑ Amarna); Grönlands durch den Wikinger Erik den
seine Gemahlin war ↑ Nofretete. Roten; 985 sichtete der Isländer Bjarni,

40
Amerika

durch Stürme vom Kurs nach dem von (Straße nach ihm benannt) und durch-
Erik dem Roten besiedelten Grönland ab- querte den Stillen Ozean. Den Entde-
getrieben, die Küste von Nordamerika; ckungen folgten Eroberungen, Zeit der
Leif, der Sohn Eriks, und dessen Bruder ↑ Konquistadoren: Nach der Erkundung
landeten in „Helluland“ (wahrscheinlich der mexikan. Küste (1518) wurde 1519
Labrador), „Markland“ (wahrscheinlich bis 1521 Mexiko von Cortes erobert, die
Neuschottland oder Neufundland) und Kulturen der ↑ Azteken wurden vernich-
„Vinland hit goda“ = das gute Weinland, tet. Nicaragua wurde von Gil Gonzales de
d. h. wahrscheinlich südl. des St.-Lorenz- Avila entdeckt (1522). Die Welser er-
Golfs. Daueransiedlung aber durch India- schlossen Venezuela, das ihnen Kaiser
nerüberfälle unmöglich, immerhin noch Karl V. 1527 verpfändete. Pizarro eroberte
Schiffsverbindung bis zum 14. Jh.; später 1531–1536 das Inkareich (Peru), Almagro,
Kenntnisse von A. in Europa bis Kolum- dessen Rivale, Chile, Paraguay und Boli-
bus fast ganz verloren gegangen. – Kolum- vien (1535 bis 1537). Gleichzeitig mit
bus und nachkolumbische Geschichte: dem span. Kolonialreich entwickelte sich
Nach Sperrung der alten West-Ost-Han- ein portug. Kolonialbesitz. Grundlage für
delswege von Europa nach Indien durch die Abgrenzung der beiden rivalisierenden
die Türken Suche nach neuen Seewegen zu Kolonialmächte war die Demarkations­
den Reichtümern Ostasiens, vor allem linie, von Papst Alexander VI. auf Wunsch
durch Portugal und Spanien; die Erkennt- des span. Königs Ferdinand 1493 festge-
nis von der Kugelgestalt der Erde führte zu legt und durch den span.-portug. Vertrag
Versuchen, Indien auf dem Westwege über von Tordesillas 1494 bestätigt (21 Grad als
den Atlantik zu erreichen. Als erster lan- Grenzlinie, die aber fehlerhaft festgelegt
dete der Genuese Christoph ↑ Kolumbus wurde, sodass Brasilien portug., Argenti-
(in spanischen Diensten) 1492 auf Gua- nien, Mexiko usw. span. wurden). Brasi-
nahani, einer der Bahama-Inseln, in der lien von Cabral als Erstem betreten, wurde
Annahme, Indien von Westen her erreicht seit 1530 von Portugiesen kolonisiert; die
zu haben („Westindien“), entdeckte Kuba, erste Einfuhr von Negersklaven 1574 (in
Haiti („Hispaniola“); Entdeckungen 1493 Mittelamerika bereits 1502). – Weitere
bis 1496: die Kleinen Antillen, Jamaika, Erfolge der Entdeckungsfahrten: Um eine
Puerto Rico; Entdeckungen 1498: die Nordwestpassage zu erschließen, fuhr
Nordküste Südamerikas; Entdeckungen ↑ Frobisher 1576–1578 entlang der Küste
1502 bis 1504: Küste Mittelamerikas. Labradors bis zur Hudsonbai, fand John
1497/98 erreichte der Venezianer ↑ Ca- ↑ Davis 1585–1587 die nach ihm be-
boto Neufundland, die Cap-Breton-Insel, nannte Davisstraße (zwischen Grönland
den St.-Lorenz-Golf bis zur Hudsonmün- und Baffinsland); 1607 gelang ↑ Hudson
dung, Entdeckung Kolumbiens (1499) die nordöstl. Einfahrt in das Polarmeer
und der La-Plata-Länder (1508); 1513 ge- zwischen Spitzbergen und Grönland;
langte ↑ Balboa über den Isthmus von Da- 1725–1728 segelte Vitus ↑ Bering östl.
rien (Panama) und sichtete die Südsee, durch die nach ihm benannte polare
den Stillen Ozean; im selben Jahr landete Meeres­straße, die Amerika von Asien
Juan Ponce de Leon in Florida. Dias de So- trennt. – Erst im 16./17. Jh. traten Eng-
lis erkundete 1515/16 die Ostküste Süd­ land und Frankreich in der Neuen Welt als
amerikas; 1517 durchforschte Hernandez Kolonisatoren auf, Frankreich in Kanada
de Cordoba Yucatán (Maya-Kultur). Ent- und im Mississippi-Gebiet; England an
scheidender Fortschritt: ↑ Magellan umse- der Atlantikküste, wo die „Neuengland-
gelte 1519/20 als erster Südamerika staaten“ entstanden; erste engl. Kolonie

41
Amiens

Virginia (1607), Landung der ↑ Mayflower amerikas (siehe Artikel zu den einzelnen
in Plymouth (1620); Neuenglandkolo­ Staaten). Die europ. Kolonialpolitik auf
nien: Massachusetts (1630), Providence dem amerik. Kontinent war damit weitest-
und Rhode Island, Connecticut, New gehend beendet. Die machtpolit. Überle-
Maren, New Hampshire, Maine, New Jer- genheit der Vereinigten Staaten von Nord-
sey, Pennsylvania, Maryland, Carolina und amerika (USA) beherrschte von jetzt ab
Georgia. Frankreich machte zwar schon (wirtsch. und in zweiter Linie erst polit.)
im 16. Jh. Versuche mit kolonialen Nie- den Doppelkontinent: bis 1927 in der
derlassungen, die sich indes nicht hielten: Form des Imperialismus, dann durch eine
1541 Cartiers Kolonie bei Quebec, Co- Politik des „guten Nachbarn“, weiter auf
lignys Hugenottensiedlung in Florida. Im dem Weg einer staatl. ↑ „Dollardiploma-
Zuge der Kolonialpolitik Richelieus meh- tie“. Im 2. Weltkrieg traten fast alle latein-
rere Gründungen: Port Royal in ↑ Akadien amerik. Staaten an der Seite der Vereinig­
(1604), Quebec, Three Rivers und Mon- ten Staaten in den Krieg. 1948 entstand in
treal in Kanada (in der 1. Hälfte des Bogotá unter der Führung der USA die
17. Jh.); 1682 das große Gebiet beiderseits ↑ Organisation Amerikanischer Staaten
des Mississippi: Louisiana; ferner Han- (OAS). Kennzeichnend für das Verhältnis
delsplätze auf Martinique, Guadeloupe der USA zu den Staaten Lateinamerikas
und Barthelemy. Die Niederlande gründe- war das gegenseitige wirtsch. Interesse und
ten 1626 auf der Insel Manhattan Neu- das Bemühen, die Ausbreitung des Kom-
Amsterdam (später ↑ New York). Die Ri- munismus in den von sozialen und polit.
valität zwischen England und Frankreich Unruhen geprägten Ländern Lateinameri-
verursachte dauernde Kämpfe auch im ko- kas zu verhindern.
lonialen Amerika: 1629 Kanada vorüber- Amiens, Hauptstadt der Picardie mit 1220
gehend in engl. Besitz, im ↑ Utrechter begonnener Kathedrale, einem Prachtwerk
Frieden 1713 verlor Frankreich Akadien, der Gotik. – 1802 Friede von A. zur Been-
Neufundland und die Hudsonbai an Eng- digung des 2. Koalitionskrieges zwischen
land. Entscheidung fiel im Kolonialkrieg, England einerseits, Frankreich, Spanien
gleichzeitig mit dem 7-jähr. Krieg, aus und Holland andererseits geschlossen:
dem England siegreich als größte Kolonial­ Ceylon (bisher holländ.) und Trinidad
macht hervorging: Die frz. Truppen, an (bisher span.) fielen endgültig an Eng-
sich sehr kriegstüchtig, aber vom Mutter- land, Frankreich gab seine Eroberungen in
land nicht genügend unterstützt, unterla- Ägypten und Italien auf. Friede von kurzer
gen den englischen; 1759 Eroberung Que- Dauer, 1803 Wiederausbruch des Krieges.
becs nach einem nächtlichen Überra- Amin Dada, Idi, ugand. Politiker, 1925–
schungsangriff des englischen Heeres. Der 2003; im 2. Weltkrieg brit. Kolonialsoldat,
Friede von Paris (1763) sprach Kanada seit 1953 auch gegen die „Mau-Mau“-
den Engländern zu, Louisiana wurde spa- Aufständischen in Kenia eingesetzt, mit
nisch. 12 Jahre später Aufstand der 13 der Unabhängigkeit Ugandas zum Haupt-
engl. Kolonien 1775, der zum Krieg mit mann befördert. A. beteiligte sich 1966 am
dem Mutterland (↑ Unabhängigkeitskrieg) Staatsstreich des Premierministers Obote,
und zur Gründung der ↑ Vereinigten Staa- entzweite sich aber bald mit ihm und
ten von Nordamerika führte. Nur ↑ Ka- putschte seinerseits; 1971–1979 Staats-
nada blieb brit. Kolonie. In der 1. Hälfte präsident und Verteidigungsminister von
des 19. Jh. machte sich auch das span. und Uganda, seit 1974 auch Außenminister,
portug. Südamerika unabhängig: Entste- 1975 Selbsternennung zum Marschall; be-
hung der selbständigen Staaten Latein­ trieb rücksichtslos die Ausweisung des ind.

42
Amurprovinz

Bevölkerungsteils, verfolgte brutal seine 400 Tote und 1 000 Verwundete) ange-


polit. Gegner („amnesty international“ be- richtet, gab dem ind. Nationalismus unge-
schuldigte ihn der Ermordung von min- heuren Auftrieb.
destens 100 000 Menschen). Auseinander- Amselfeld, serbische Hochfläche, auf der
setzungen mit Tansania führten 1979 zum 1389 die südslaw. Völker von den Türken
Zusammenbruch seines Regimes, seitdem entscheidend geschlagen wurden (Dezi-
lebte A. im Exil in Libyen. mierung des serb. Adels); Serbien unter
Ammianus Marcellinus aus Antiochia, türk. Herrschaft; 1448 türk. Sieg über die
um 330 bis um 395 n. Chr.; seine nicht Ungarn; die Türken wandten sich anschlie-
vollständig erhaltene röm. Geschichte be- ßend gegen Konstantinopel, das 1453 fiel.
handelt (im Anschluss an ↑ Tacitus) die Amsterdam, Hafen- und Handelsstadt
Zeit von 96 bis 378 n. Chr. an der Amstelmündung; um 1300 Stadt-
Amon (Ammon, Amun), „Der Verbor- rechte, schnelle Entwicklung (Hanse-
gene“, Hauptgott, Reichsgott der alten stadt), Blüte durch die Unabhängigkeit
Ägypter, Weltschöpfer, Pneuma, „König der nördl. Niederlande Ende des 16. Jh.,
der Götter“, mit dem Sonnengott Re ver- trat das Erbe Antwerpens an; durch Ko-
eint zu Amon-Re; ursprüngl. als Frucht- lonialhandel reich geworden (Ost- und
barkeitsgott in Hermopolis, später in The- Westindische Kompanie); im 17. Jh. be-
ben verehrt (Mittelpunkt des Kultes der reits über 100 000 Einwohner; 1787 von
Karnak-Tempel in Theben); von Ameno- Preußen, 1795 von den Franzosen einge-
phis IV. (Echnaton) zeitweise als Reichs- nommen. 1808 Hauptstadt des napoleon.
gott abgesetzt. Sein berühmtes Orakel im Königreiches Holland, von 1814 an der
Ammonium der Oase Siwa (A. war gleich- Niederlande.
zeitig der Herr und Gott der Oasen der Amt (ahdt. ambaht, aus lat. ambactus,
Libyschen Wüste) 331 v. Chr. von Alexan- Dienstmann), 1) bes. im Territorialstaat
der d. Gr. aufgesucht, der sich als Sohn des des späten MA und der frühen Neuzeit
Zeus-Ammon ausgab; die Römer setzten Verwaltungs- und Gerichtsbezirk; die Äm-
ihn dem Jupiter gleich. terverfassung war die häufigste Form der
Amoriter, ostkanaanäisches Volk, das um Verwaltungsgliederung; an der Spitze des
2100 v. Chr. aus Innerarabien nach Paläs- A.es stand der A.-mann; mit der Trennung
tina, Syrien und Mesopotamien vordrang von Verwaltung und Gericht seit Ende des
(Amoritische Wanderung); später ein Alten Reiches war das A. nur noch Ver-
Nachbarvolk der Israeliten in Kanaan, das waltungseinheit. 2) allg. in der modernen
von Josua vernichtet wurde Staat- und Gemeindeverwaltung Bez. für
Amphiktyonie, bei den alten Griechen Behörde; 3) Bez. für ↑ Zunft.
der Zusammenschluss mehrerer Stadt- Amundsen, Roald, norweg. Polarforscher,
staaten zu einem Kultbund um ein ge- 1872–1928; bezwang 1903–1906 auf der
meinsam verehrtes Heiligtum, wobei auch Suche nach der genauen Lage des magnet.
die gegenseitigen polit. Beziehungen völ- Nordpols die NW-Passage, erreichte als ers­
kerrechtlich geregelt wurden; Schiedsge- ter 1911 den Südpol; bei der Suche nach
richt zur Verhinderung von Kriegen zwi- dem Italiener Nobile 1928 im Polargebiet
schen Mitgliedsstaaten. verschollen.
Amritsar, ind. Stadt; in einem See liegt Amurprovinz, russ. Territorium in Ostsi-
der Goldene Tempel (Sikh-Heiligtum). birien am Amurfluss. Seit dem 17. Jh. Ex-
– „Blutbad von A.“, 13. 4. 1919 von brit. pansionsziel Russlands in Fernost; 1639
Truppen des Generals Dyer unter un- Amur-Vertrag zwischen China und Russ-
bewaffneter indischer Volksmenge (rd. land, 1849–1854 Erforschung der Amur-

43
Anabasis

küstenländer unter Murawiew; 1858 Ver- setz, Gericht, Polizei etc.) und die polit.
trag von Tientsin über A.-Prov., erweitert Bewegung, die dieses Programm durchzu-
1860 zugunsten Russlands. A.-Gebiet Ba- setzen sucht. Der A. ist die radikalste Aus-
sis für russ. Verstoß nach der ↑ Mandschu- prägung des Liberalismus, er geht von der
rei (Amur Grenzfluss). 1969 kam es wegen optimistischen Voraussetzung aus, dass der
der seit 1964 von der Volksrepublik China Mensch von Natur gut sei, und folgert da-
gegenüber der UdSSR erhobenen Forde- raus, dass der in jeder Hinsicht freie Zu-
rung einer Vertragsänderung zu einem mi- sammenschluss sittlicher Individuen zur
litärischen Grenzkonflikt am Ussuri. Harmonie führen müsse. Der A. erstrebt
Anabasis (griech. „Hinaufmarsch“, d. h. die herrschaftsfreie Gesellschaft und nicht
nach Persien), Titel verschiedener anti- die Auflösung jeder gesellschaftlichen Bin-
ker Feldzugsberichte; berühmt die A. des dung und Ordnung, er fordert die frei-
griech. Geschichtsschreibers ↑ Xenophon, willige Unterordnung unter gemeinsam
Kriegstagebuch, in dem der Zug von festgesetzte Grundsätze. Der konsequent
10 000 griech. Söldnern im Dienste Ky- individualist. A. erlangte nur literarisch-
ros d. J. nach der Schlacht von ↑ Kunaxa theoret. Bedeutung (Stirner: „Die Ge-
durch Innerpersien zum Schwarzen Meer sellschaft ist eine Vereinigung von Ego-
geschildert wird, mit der Tendenz, den isten“); anders die sozialist. und kommu-
Nimbus von der Unangreifbarkeit Persiens nist. Formen des A., als dessen führende
zu zerstören. Theoretiker und Organisatoren ↑ Baku-
Anachoreten (griech., die Zurückgezo- nin und Fürst ↑ Kropotkin hervortraten,
genen), Eremiten und frühchristl. Einsied- in scharfem Gegensatz zum Marxismus
ler, die sich in der Einöde von Wüsten und (schwarze gegen rote Fahne, anarchist. In-
Gebirgen, „in größerer Gottnähe“, from- ternationale gegen sozialistische). Ein Teil
men Betrachtungen hingaben und in Hüt- der Anarchisten wollte durch eine Propa-
ten und Höhlen oder nomadisierend ein ganda der Güte und Vernunft zum Ziele
asket. Leben führten. Erstmals im 2./3. Jh. kommen (der belgische Geograf J. E. Re-
in Ägypten und Syrien; A. schlossen sich clus, Freund Kropotkins), die aktiveren
seit dem 4. Jh. unter dem Einfluss des Ein- revolutionären Elemente durch eine „Pro-
siedlerschülers Pachomius aus Oberägyp- paganda der Tat“ (Attentate auf führende
ten und des Kirchenlehrers und Bischofs Persönlichkeiten, Ende des 19. Jh.). In den
Basilius des Großen aus Cäsarea im öst- USA wurde der A. 1886 verboten. Stärker
lichen Kleinasien auch in kleinen klösterl. in Erscheinung trat er in Russland und in
Gemeinschaften zusammen. Hauptgebiet den romanischen Ländern, vor allem in
der A. im 4.–6. Jh. die Thebaische Wüste. Spanien, wo er als Anarcho-Syndikalis-
Anagni, ehemalige Papstresidenz südöstl. mus noch im Bürgerkrieg 1936–1939 eine
Roms, wo 1303 Papst Bonifaz VIII. von Rolle spielte. In Deutschland hat der A.
Wilhelm von ↑ Nogaret überfallen wurde. nicht Fuß fassen können. Einen aus dem
Anaklet II. (Petro Pierleoni), 1130–1138 christl. Glauben abgeleiteten A. vertrat der
Gegenpapst zu Innozenz II., Gegner des russ. Dichter Tolstoi. Anarchisten-Kon-
Kaisers, angegriffen von ↑ Bernhard von gresse 1877 in Brüssel und 1907 in Den
Clairvaux. Erhob 1130 das normann. Un- Haag. Elemente des A. sind in der Studen-
teritalien und Sizilien als päpstliches Le- tenbewegung der westl. Welt in der zwei-
hen zum Königreich. ten Hälfte der 1960er Jahre sichtbar.
Anarchismus, polit. Theorie über die Be- Anathema (griech.), ursprüngl. Weihe-
freiung der Gesellschaft vom Staat und geschenk, das der Gottheit überantwortet
jeder Form von Regierung (auch von Ge- wird; in der kath. Kirche seit dem 4. Jh.

44
Andrássy

Kirchenbann gegen Ketzer und Irrlehrer überwundenen teils feudalen, teils absolu-
mit feierl. Exkommunikation. Bannfor- tist. Staats- und Gesellschaftsordnung der
mel: „Anathema sit“ (= er sei verflucht). Bourbonenzeit, heute auch für die europ.
Anatolien (türk. Anadolu, Morgenland), Staats- und Gesellschaftsordnung von der
türk. Bezeichnung für Kleinasien, Kernge- Mitte des 17. bis zum Ende des 18. Jh. ver-
biet des türk. Reiches, Schauplatz der natio­ wendet.
nalen Regeneration der Türken (= Anato- Andalusien, Landschaft in Südspanien;
lier) nach dem 1. Weltkrieg (↑ Ankara und phönik. Kolonisation (Gründung von Ca-
Kemal Atatürk). diz um 1000 v. Chr.; karthag. Besetzung
Anatomie (griech., Zergliederung durch seit 500 v. Chr., danach röm. Provinz Bae-
Aufschneiden), die Grundlage der medi- tica; 411–429 im Besitz der Vandalen, an-
zinischen Forschung. A. wurde von den schließend von den Westgoten besiedelt,
alten Griechen nur an Tierkörpern ge- 711 arabisch, 1212–1265 vom christl. Kö-
übt; selbst die bedeutendsten Ärzte der nigreich Kastilien erobert.
Antike (Alkmaion, Hippokrates) wuss- Andechs, Benediktinerkloster in Ober-
ten über den Bau des menschlichen Kör- bayern und Wallfahrtsort seit dem 12. Jh.;
pers nur das, was sie bei der A. von Tie- 1458–1803 Benediktinerabtei, 1846 wie-
ren (besonders Hunden und Affen) oder derhergestellt; seit etwa 1130 war die Burg
bei zufälliger Bloßlegung von inneren auf dem Berg A. Stammsitz der Grafen von
Körperorganen bei Verletzungen beobach- A., der Markgrafen in Istrien und Herzöge
tet hatten. Seit dem 3. Jh. n. Chr. sezierte von Meran, die um 1245 ausstarben.
man in der berühmten ↑ Alexandrinischen Andengemeinschaft, (früher Anden-
Schule die Leichen Verstorbener (seltener pakt), 1968 geschlossene Vereinbarung
die Körper zum Tode verurteilter Verbre- über wirtsch. Zusammenarbeit zw. den
cher). Die Schule besaß zu Lehrzwecken südamerik. Staaten Chile, Kolumbien,
hergestellte anatom. Präparate; ↑ Galen, Peru, Ecuador und Bolivien als subregio-
im ganzen MA als Autorität betrachtet, nale Zollunion. 1973 trat Venezuela dem
fasste als Schüler des Museions von Ale- A. bei, dagegen schied Chile 1976 wie-
xandrien die Ergebnisse der alten Schulen der aus. 1993 trat die Freihandelszone
zusammen und kam zu neuen Ergebnissen (zunächst ohne Peru) in Kraft, 1995 der
der A. des menschlichen Körpers. Im MA gemeinsame Außenzoll. Im August 1997
wurde die A. als Frevel am menschlichen wurde der Andenpakt in Andengemein-
Körper betrachtet und war deshalb sowohl schaft umbenannt; die Staaten konnten
bei den Arabern (Glaube an die leibliche sich auf eine fortschreitende Integration
Auferstehung) wie im christl. Abendland im Bereich der Außenpolitik und den ge-
verboten (1163 Verbot durch das Konzil meinsamen Kampf gegen die Inflation ei-
von Tours; 1300 Bann durch Papst Bo- nigen. 1999 wurde die Schaffung eines ge-
nifaz VIII.). Die wiss. Sezierung zweier meinsamen Marktes bis spätestens 2005
menschlicher Leichname in den Jahren beschlossen.
1306 und 1315 an der berühmten Hoch- Andrássy, Gyula, Grafen, ungar. Staats-
schule von Bologna durch Prof. Mondini männer: 1) A. Gyula d Ä., 1823–1890;
bleibt eine Ausnahme. Erst die wiss. For- leitete 1848 den Aufstand der Ungarn,
schungen und Streitschriften des Andreas zum Tode verurteilt und 1857 begnadigt,
Vesalius und anderer brachten im 16. Jh. 1867–1871 ungar. Ministerpräsident,
die Wende (vgl. auch ↑ Chirurgie). 1871–1879 österr.-ungar. Minister des
Ancien regime (frz.), Schlagwort der Frz. Auswärtigen, schloss 1879 den Zweibund
Revolution zur Kennzeichnung der 1789 mit Deutschland; bedeutendster Vertreter

45
Andreä

der dt.-österr. Zusammenarbeit im 19. Jh. sicherheit (KGB), seit 1973 Mitglied des
2) A. Gyula d. J., Sohn von 1), 1860– Politbüros, 1982 erneut Sekretär des ZK.
1929; letzter Außenminister Österreich- Nach dem Tod von ↑ Breschnew wurde
Ungarns im Okt. 1918, übermittelte den A. 1982 zum neuen Generalsekretär der
Alliierten das Sonderfriedensangebot. KPdSU und 1983 zum Staatsoberhaupt
Andreä, Johann Valentin, württemberg. der Sowjetunion gewählt, bekannte sich
luther. Theologe, 1586–1654, typischer zur Kontinuität des Breschnew-Kurses in
Denker der geistig und polit. bewegten der Innen- und Außenpolitik (wirtsch.-
Notzeit des 30-jähr. Krieges, befreundet techn. Modernisierung bei gleichzeitiger
mit seinem schwäb. Landsmann Kepler, Restauration Sicherung der Weltmacht-
vertraut mit den Gedankengängen des Pa- stellung der UdSSR).
racelsus, des Franz von Sales, Calvins u. a.; Angeln, westgerman. Volksstamm in Hol-
suchte die Verwirklichung christlicher stein. Teile der A. zogen mit ihren Schiffen
Ideale auf dem Wege eines prakt. Chris­ zus. mit Sachsen und Jüten seit der Mitte
tentums. (Eine seiner sehr zahlreichen des 5. Jh. erobernd in den südl., von Kel-
Schriften: „Christianopolis“ 1619, dt. toromanen bewohnten Teil Britanniens,
„Christenburg“ 1626, die erste deutsche von ihnen der Name „England“ (Angel-
christliche Staatsutopie, ein christlicher land) abgeleitet. Der größte Teil blieb je-
Sonnenstaat wie bei ↑ Campanella). doch in der alten Heimat (noch heute
Andreas, Könige von Ungarn aus dem Landschaftsname Angeln in Schleswig-
Hause der Arpaden (Andreas-Krone): Holstein); weitere auswandernde Siedler
1) A. I., 1013–1060, König seit 1046; er- bildeten zus. mit anderen Völkerschaften
reichte 1058 den Verzicht auf die Ober- den neuen Stamm der Thüringer.
hoheit des Reiches über Ungarn. 2) A. II. Angelsachsen, die seit dem 5. Jh. im SO
(1205–1235); Kreuzzugteilnehmer, erließ und O von Britannien ansässigen german.
die „Goldene Bulle“ von 1222 (Privilegie- Stämme der Angeln, Sachsen und Jüten;
rung des Adels [Ministerialen] gegenüber Christianisierung seit 596 durch iroschot-
den Magnaten); begründete die Vorrechte tische Mönche; im 7. und 8. Jh. angel-
der Siebenbürger Sachsen. Vater der hl. sächs. Missionare (Willibrord, Bonifatius
↑ Elisabeth. 3) A. III., genannt „der Vene- u. a.) auf dem Festland. 1066 von den
zianer“ (1290–1301); letzter Arpade auf Normannen Wilhelms des Eroberers un-
dem ungar. Thron. terworfen, verschmolzen mit diesen und
Andreotti, Giulio, ital. Politiker, geb. der kelt. Urbevölkerung zur engl. Nation.
1919. Seit 1968 Vorsitzender der Frak- A. heute Bezeichnung für die Engl. spre-
tion der ↑ Democrazia Cristiana in der chenden Bewohner Großbritanniens, des
italien. Kammer, 1973/74, 1976–79 und Commonwealth und der USA.
1989–1992 Ministerpräsident. Im Herbst Angevinisches Reich (Angevin), bri-
1995 wegen mutmaßlicher Zugehörigkeit tisch-festländisches Reich am Westrand
zur Mafia angeklagt, im Herbst 2002 von des Abendlandes; von Heinrich von An-
einem Berufungsgericht der Anstiftung jou-Plantagenet – als engl. König Hein-
zum Mord (an dem Journalisten Carmine rich II. (1154–1189) – begründet; Zu-
Pecorelli) schuldig gesprochen, 2003 von rückdrängung der frz. Könige auf ihre
beiden Anklagen freigesprochen. Kernlande um Paris und wenige Kronlän-
Andropow, Juri Wladimowitsch, sowjet. der. 1214, nach der Schlacht von Bouvines
Politiker, 1914–1984; ab 1961 im ZK der in Flandern, fielen alle engl. Festlandsbe­
KPdSU, dessen Sekretär 1962–1967, da- sitzungen an die frz. Krone zurück; Eng-
nach Vorsitzender des Komitees für Staats- land suchte den Festlandsbesitz im 100-

46
Anhalt

jährigen Krieg (1339 bis 1453) vergeblich Kunene; 1485–1488 Entdeckung der Küs-
auf die Dauer wiederzugewinnen. tengebiete durch Portugiesen, seit 1574
Angkor („Erhabene Stadt“), Ruinenstadt ständige portug. Niederlassung; 1640–
in Kambodscha; im 10. Jh. von den Herr- 1648 holländisch. Von den Portugie-
schern des Königreichs ↑ Khmer gegrün- sen bes. seit 1885 erschlossen. A.-Vertrag
dete Hauptstadt im hinterind. Kambod- von 1898 zw. Deutschland und England
scha mit Tempelkloster Angkor Wat als (dt. wirtsch. Übergewicht in A., engl. in
Stadtteil; Blüte im 13. Jh., in den Bauwer- Moçambik). 1961 bewaffneter Aufstand
ken Verschmelzung hinduist. und ­buddhist. gegen Portugal, wurde 1964 niedergewor-
Elemente zu klass. und später barockem fen, seitdem ständige Guerillaaktivitäten.
Stil. Tempel zu Ehren Vischnus und Bud- Die Macht­übernahme durch General Spi-
dhas; Klosterarkadenfronten von je 400 m nola in Lissabon brachte für A. die Aus-
Länge, Prunk- und Festungstürme; in der sicht auf baldige Unabhängigkeit. Spinola
Stadt, die im 15. Jh. verlassen wurde, eine anerkannte 1974 das Recht der Überseege-
Zirkusarena, Aufmarschstraßen, Trinkwas- biete auf Selbstbestimmung. Uneinigkeit
serbassins; Freilegung seit 1907. der Befreiungsbewegung führte zum Bür-
Anglikanische Kirche (Church of Eng- gerkrieg, Waffenlieferung aus dem Aus-
land), die protestant. Staatskirche Englands, land. Sieg der von der Sowjetunion und
auch Episkopal-(Bischofs-)K. genannt; ent- Kuba unterstützten MPLA. Staatsober-
stand 1534, als sich Heinrich VIII. wegen haupt 1975–79 Neto (Führer der MPLA),
seines Ehescheidungs­skandals vom Papst- nach dessen Tod dos Santos, 1980 ers­te
tum lossagte, sich selbst zum Oberhaupt Parlamentswahlen. 1989 Waffenstillstand
der Landeskirche machte und ihr mit Zu- in dem seit 1975 andauernden Bürger-
stimmung des Parlaments eine neue Ver- krieg, Beginn des Abzugs der kubanischen
fassung gab (↑ Suprematsakte). Alle Klö- Truppen, 1991 Friedensvertrag zwischen
ster und Abteien wurden aufgehoben, ihr MPLA und der Widerstandsbewegung
Besitz fiel an die Krone; 1549 durch das UNITA, erneut Bürgerkrieg, 1994 Statio­
„Book of Common Prayer“ (Gebetbuch) nierung einer UN-Friedenstruppe, 1997
der Kultus neu geregelt. Nach vorüberge- Bildung einer „Regierung der Nationalen
hender Wiederherstellung der kath. Kir- Einheit und Versöhnung“, ab 1998 erneut
che durch Königin Maria die Katholische Bürgerkrieg, 2002 Waffenstillstand.
wurde 1559 unter Königin Elisabeth I. die Angoulême, Louis Antoine de Bourbon,
A. neu errichtet und das Glaubensbekennt- Herzog von, 1775–1844; kämpfte 1792–
nis in den 39 anglikanischen Artikeln fest- 1814 in der Emigration für die Thronan-
gesetzt. Die A. bewahrt in Verfassung und sprüche der Bourbonen, rief 1814 seinen
Kult wesentliche kath. Züge, doch darf sie Onkel Ludwig XVIII. zum König aus,
in ihrer Gesamtheit nicht der anglo-kath. ging 1830 mit seinem Vater Karl X. ins
↑ Hochkirche gleichgesetzt werden; ihre Exil; 1836 (nach dem Tode Karls X.) von
staatlich reglementierte Gründung führte den Anhängern der Bourbonen als König
dazu, dass die ↑ Puritaner die religiöse Re- Ludwig XIX. anerkannt.
formation in England seit dem Ende des Anhalt, urspr. Fürstentum der Askanier,
16. Jh. nachholten. 1643 beseitigte Oliver das sich im 12. Jh. aus dem unter Heinrich
↑ Cromwell die A. und führte die Presby- d. Löwen zerschlagenen Herzogtum Sach-
terialverfassung ein; Wiederherstellung der sen entwickelte, seit 1212 selbständig; Tei-
A. 1662 durch König Karl II. Stuart. lung in zahlreiche Linien (A.-Dessau, A.-
Angola, Volksrepublik an der SW-Küste Köthen, A.-Zerbst u. a.); 1807 Annahme
Afrikas zwischen Kongomündung und des Herzogstitels durch die anhaltin. Fürs-

47
Anjou

ten, 1863 nach Aussterben aller Linien bis manen, die damit am weiteren Vordringen
auf A.-Dessau einheitl. Herzogtum A. bis nach O gehindert wurden). – 1923 wurde
1918; nach 1945 vereinigt mit der ehem. A. zur Hauptstadt der neuen Türkei er-
preuß. Provinz Sachsen („Land Sachsen- klärt und großzügig ausgebaut.
Anhalt“), 1952 in Bezirke aufgeteilt; 1990 Anna, Name von Herrscherinnen. Byzanz:
Eingliederung in die Bundesrepublik und 1) A. Komnena, 1083 bis um 1150; Toch-
1994 Kreisreform zur Neuordnung der ter des Kaisers Alexios I., vermählt mit dem
Landkreise. Feldherrn und Geschichtsschreiber Nike-
Anjou (zur Römerzeit Wohnsitz der An- phoros, schrieb die Reichsgeschichte der
degaven in NW-Frankreich), ehem. Graf- Jahre 1069–1118. – England: 2) A. Bo-
schaft und Herzogtum, Stammland bedeu- leyn, 1507–1536, zweite Gemahlin Hein-
tender, weitverzweigter Dynastien. – Aus richs VIII., Mutter der Königin Elisabeth,
der Ehe Gottfrieds von A., der als Helm- wegen angeblichen Ehebruchs hingerich-
zier einen Ginsterzweig (lat. planta ge- tet; ihretwegen hatte Heinrich VIII. sich
nista) trug, mit der engl. Thronerbin 1127 von seiner ersten Gemahlin Katharina von
ging das Haus A.-Plantagenet hervor, das Aragon getrennt und mit der kath. Kirche,
1154 mit Heinrich II. den engl. Thron be- die nicht in die Scheidung einwilligte, ge-
stieg (↑ Angevinisches Reich); die Graf- brochen. 3) A. von Cleve, 1515–1557;
schaft A. wurde bereits 1204 von der frz. vierte Gemahlin Heinrichs VIII., 1540 ge-
Krone erobert und fiel an eine Nebenlinie schieden. 4) A. Stuart, 1665–1714; Köni-
der Kapetinger. Karl I. von A. (↑ Karl, Ne- gin seit 1702, Tochter Jakobs II., Schwä-
apel), Bruder König Ludwigs IX., gewann gerin und Nachfolgerin Wilhelms III. von
1246 die Grafschaft Provence dazu, 1266 Oranien, vereinigte 1707 England mit
entriss er den Hohenstaufern das König- Schottland zu Großbritannien, letzte Stu-
reich (Neapel-)Sizilien; seine Nachfolger art auf dem Thron. – Frankreich: 5) A.
herrschten im Königreich Neapel (Sizi- von Bretagne, 1477–1514, Königin, ver-
lien 1282 verloren) bis 1435 (im Mannes- mählt mit Karl VIII., dann mit König
stamm 1414 erloschen). Die Grafschaft A. Ludwig XII., brachte die Bretagne an die
kam 1290 an Karl von Valois, 1297 zum frz. Krone. 6) A. von Österr., 1601–1666;
Herzogtum erhoben, 1356 mit Maine an Königin (Regentin) von Frankreich, Toch-
Ludwig, Sohn König Johanns des Guten; ter Philipps III. von Spanien, vermählt mit
1431/35 bis 1473 gehörten zum Haus A. Ludwig XIII. von Frankreich, 1643–1651
auch noch das Herzogtum Bar und Her- Regentin für Ludwig XIV. Nach dem Tode
zogtum Lothringen. Die Herzöge von A. ihres Günstlings (Geliebten?) Mazarin
waren „Prinzen von Geblüt“ und gehörten (1661) ging sie ins Kloster. – Russland:
zu den mächtigsten frz. Kronvasallen. Fer- 7) A. Iwanowna, 1693–1740; Zarin seit
ner stellte das Haus A. die Könige von Un- 1730, Nichte Peters d. Gr., Nichte Fried-
garn 1308–1382 und Polen 1370–1382; richs d. Gr., herrschte durch ihren Günst-
mit dem Erlöschen der frz. Linie 1480 ling Biron.
wurde der Herzogtitel von A. Titel der Anna Amalia, Herzogin von Sachsen-Wei-
dritten Söhne des frz. Königs; mit ihren mar, Gemahlin Herzog Ernst August Kon-
Besitztümern übernahm die frz. Krone stantins von S.-W., 1739–1807; nach des-
auch die Ansprüche auf Neapel. sen Tode vom Adel 1758 auf den Thron
Ankara (vor 1930 Angora), das antike An- erhoben und bis 1775 Regentin für ihren
kyra; im 13. Jh. von den Seldschuken er- Sohn Karl August, Mittelpunkt des geis­
obert, im 14. Jh. zum Osmanenreich; 1402 tigen Lebens in Weimar nach der Beru-
Schlacht bei A. (Sieg Timurs über die Os- fung Wielands als Erzieher ihrer Söhne.

48
Ansgar

Annalen (lat.), Jahrbücher mit Darstellung Klostergründer und Kirchenerbauer, hei-


der Zeitgeschichte; schon in Altägypten, liggesprochen; ihn besingt das um 1100
Assyrien, Israel, Altchina, Altrom (Anna- verfasste Annolied.
les Maximi oder Annales Pontificum); bei Annunzio, Gabriele d’, ital. Dichter,
den Römern später Bez. für Zeitgeschichte 1863–1938; Nationalist, eroberte 1918
gegenüber den Historiae, der Vergangen- mit einer Freischar Fiume für Italien, ital.
heitsgeschichte; im MA erste Blüte in der Nationalheld.
Zeit der Karolinger (beginnend unter Karl Ansbach, Stadt und Markgrafschaft in
Martell); Aufzeichnungen in Klöstern und Franken; seit dem 11. Jh. im Besitz der
von Mitgliedern der königl. Hofkanzlei; Grafen von Andechs, kam 1331 an die zol-
offiziöse Reichsannalen; an ihnen hat z. Z. lernschen Burggrafen von Nürnberg; wei-
Karls d. Gr. ↑ Einhard wesentlichen An- terer Landzuwachs im 14. Jh. (Bayreuth,
teil; sie gelten mit Einschränkungen als zu- Gebiete um Kulmbach, Erlangen, Feucht-
verlässigste Quelle für die Geschichte des wangen u. a.); 1415 erhielt der Zoller
Frankenreichs von 741 bis 829, später von Friedrich die Kurmark Brandenburg; ab
Fulda, dem angesehensten dt. Kloster, bis 1486 Trennung der kurfürstlichen Linie
901 fortgesetzt (Annales Fuldenses). Eine von der fränk. Linie (↑ Albrecht Achilles);
wichtige Quelle aus der Zeit der Ottonen von da ab A. und Bayreuth zeitweise ge-
sind die A. Quedlinburgenses. Zweite Blü- trennt und vereinigt; der letzte, kinder-
tezeit im 11. und 12. Jh.: A. Altahenses lose Markgraf Carl Alexander, der seit
(Niederaltaich), A. Patherbrunnenses (Pa- 1769 auch Bayreuth innehatte, trat 1791
derborn), A. Magdeburgenses, A. Pali- auf Betreiben seiner (von Berlin besto-
denses (Pöhlde a. Harz), A. Nienburgenses chenen?) Mätresse Lady Craven das Fürs-
(Nienburg a. d. Weser). Noch das ganze tentum A.-Bayreuth vor dem Erbfall an
MA hindurch finden sich vereinzelt A. Preußen ab (unter der Verwaltung ↑ Har-
Annam, ehemaliges indochin. Kaiserreich denbergs). 1805/06 kam A. durch Schön-
(seit 968), 1428 endgültig von China brunner Vertrag an Bayern, Bayreuth zu-
unterworfen, seit 1884 frz. Protektorat; nächst unter frz. Verwaltung, 1810 eben-
seit 1932–1945 unter Kaiser Bao Dai, falls an Bayern.
seit 1946 Kernland von Vietnam, ↑ Indo­ Anselm von Canterbury, hl., Kirchen-
china. lehrer, Philosoph, 1033–1109; seit 1093
Antraten (lat., Jahrgelder), Abgaben an Erzbischof von Canterbury, verteidigte im
den Papst für die Verleihung von kirch- Sinne Gregors VII. die Rechte der Kirche
lichen Ämtern, seit dem Konstanzer Kon- gegen das englische Königtum; „Doctor
zil nur noch von Bischöfen und Äbten zu ecclesiae“ und „Vater der Scholastik“ ge-
entrichten, im MA eine der wichtigsten nannt, mit ihm begann die scholastische
Quellen für die Verwaltungsausgaben des Spekulation (Grundgedanke: Credo ut in-
Päpstlichen Stuhles, in der Reformations- telligam, vom Glauben zu wiss. Einsicht;
zeit Gegenstand heftiger Kritik. Verfechter des ontolog. Gottesbeweises:
Anno, Erzbischof von Köln (1056–1075); Der Begriff Gott zwingt zum Gottglau-
bemächtigte sich des unmündigen Königs ben).
Heinrich IV. 1062, um ihn dem Einfluss Ansgar, Erzbischof, Apostel des Nor-
seiner Mutter Agnes von Poitou zu ent- dens, 801–865; Mönch im Kloster Corvey
ziehen (Staatsstreich von Kaiserswerth), an der Weser, betrieb als päpstlicher Le-
von Adalbert von Bremen 1063 verdrängt; gat Missionstätigkeit bei den Dänen und
1074 aus Köln nach Siegen vertrieben: Schweden, 831 Erzbischof von Hamburg,
Zwischenstellung zw. Kaiser und Papst; 845 von Hamburg-Bremen.

49
Antalkidas

Antalkidas, spartanischer Feldherr und sich die polit. Ordnung der ↑ Sowjet. Be-
Staatsmann, schloss 387 v. Chr. den A.- satzungszone bis zur Gründung der DDR
oder Königsfrieden mit Persien, der die (Okt. 1949) Antifaschist.-demokrat. Ord-
kleinasiat. Griechenstädte an Persien aus- nung und der Zusammenschluss aller „de-
lieferte und die spartan. Hegemonie über mokrat.“ Parteien unter Führung der SED
Griechenland sichern sollte. (Autonomie Antifaschist.-demokrat. Block.
für alle anderen, von Sparta überwacht). Antigonos, Name von Herrschern. Judäa:
Antarktis, als Land erahnt von James 1) A. II., letzter König der Juden aus der
↑ Cook 1773 auf seiner Fahrt in die ant- Familie der Makkabäer (40–37 v. Chr.);
arkt. Zone; geogr. Erschließung durch von Hemdes besiegt und von den Rö-
d’Urville, Wilkes, Roß, Hanson, Drygal- mern enthauptet. – Makedonien: 2) A. I.,
ski, Amundsen, Scott, Shackleton, Byrd, Feldherr Alexanders d. Gr., um 384–
Dusek u. a., vor allem durch die Teilneh- 301 v. Chr.; gründete nach dessen Tod als
mer an den Expeditionen des Geophysikal. Diadoche (Nachfolger) ein syr.-kleinasiat.
Jahres 1957/58 und der folgenden Jahre; Reich und suchte von hier die Einheit des
Besitzansprüche auf Teilgebiete der A., die Gesamtreiches wieder herzustellen, nahm
sich regional teilweise überdecken, stel- 306 den Königstitel an, fiel bei Ipsos ge-
len Argentinien, Australien, Chile, Frank- gen die anderen Diadochen. 3) A. II. Go-
reich, Großbritannien, Neuseeland, Nor- natas, König von Makedonien, um 320–
wegen; 1959 zur Wahrung des Friedens 239 v. Chr.; Enkel von 2), stellte das make-
in der A.-Konferenz von Washington ein don. Königtum wieder her.
auf 30 Jahre geltender A.-Vertrag geschlos- Antike (lat.), Kultureinheit des griech.-
sen (freier Zugang für wiss. Expeditionen, röm. ↑ Altertums; griech. Bildung und Le-
kein militär. Operationsgebiet). bensform (Ideale: freier Geist, edles Men-
Anti-Corn-Law-League, die engl. „Anti- schentum, freie Demokratie) beeinflussten
Kornzoll-Liga“ unter Führung ↑ Cobdens, (z. Z. Alexanders d. Gr. und des ↑ Hellenis-
gegr. 1838 in Manchester (↑ Manchester- mus) die ganze damals bekannte Welt rund
tum), Avantgarde des radikalen Freihan- um das Mittelmeer; Ausstrahlung bis nach
dels, agitierte im Interesse der industriel- Indien und China. Nachhaltigste Wir-
len Unternehmer für die Aufhebung der kung auf Rom, das sich als Erbe der grie-
1815 zugunsten der Großgrundbesitzer chischen A. berufen fühlte (Ausprägung
eingeführten Kornzölle, bis sie 1846 vom des Begriffes Humanität); Herausbildung
Parlament beseitigt wurden. der griech.-röm. Kultur mit höchster Blüte
Antifaschismus, allg. Gegnerschaft gegen in der Kaiserzeit (griech. Kunst, Literatur
jede Form des ↑ Faschismus, ob weltan- und Philosophie und röm. Recht, Organi-
schaulich, politisch oder organisatorisch; sation und Staatsbewusstsein, Versuch ei-
im engeren Sinn durch kommunist. Dok- ner Weltherrschaft ohne despot. Zwang).
trinbildung geprägtes Schlagwort, das sich Nach dem Niedergang Roms Übernahme
von der Bez. für die Frontstellung gegen antiker Kulturgüter durch die christliche
faschist. Parteien und Regime der Vergan- Kirche des Westens (lat. Kirchensprache,
genheit zum Etikett für den kommunist.- weltliche Organisation, Philosophie) und
revolutionären Kampf überhaupt wan- den christlichen Staat (↑ Karolingische
delte: So übernahmen antifaschist. Aus- Renaissance). Bewahrung antiken Wis-
schüsse („Antifas“) aus Mitgliedern von sens in den Klöstern. Im O griech.-christ-
SPD und KPD, z. T. auch des Zentrums, liche Staats- und Lebensform während des
am Ende des 2. Weltkrieges die Verwal- ganzen Mittelalters in Konstantinopel-By-
tung in den dt. Gemeinden, so nannte zanz. Herausbildung der süd- und west-

50
Antonius Pius

europ. Sprachen auf der Grundlage des cken und 1516 von den Türken erobert;
(Vulgär-)Lateins. Antike und Christentum antike Baureste erhalten.
beeinflussten auch die Welt des Islam Antiochos, Könige von Syrien aus der Dy-
(6./7. Jh.), der seinerseits dem Abendland nastie der Seleukiden: 1) A. I. Soter (281–
durch maurisch-arabische Vermittlung 261 v. Chr.), beseitigte in langwierigen
die inzwischen verschollenen Werke der Kämpfen die Galatergefahr (Zurückdrän-
griech. Philosophie von neuem zugäng- gung der ↑ Galater nach Galanen), daher
lich machte. In Renaissance und Huma- Soter = Retter. 2) A. III. d. Große (223–
nismus neue abendländ. Blüte der A., von 187 v. Chr.), warf aufständische Satrapen
dieser Zeit an treibendes Element europ. am Tigris nieder, unterlag in der großen
Kultur. Höhepunkt des Bewusstseins der Schlacht bei Rapheia (217) gegen Ptole-
Bildungswerte der A. (Geistesfreiheit und mäus IV., zog siegreich nach dem Osten
Humanität, Menschlichkeit): Aufklärung, gegen Meder und Parther, nahm Han-
Neuhumanismus (Schaffung des Gymna- nibal als Flüchtling auf, geriet mit Rom
siums durch W. von Humboldt), die dt. in Konflikt und unterlag den Römern in
Klassik (Winckelmann, Goethe, Schiller). der Schlacht bei Magnesia 190; (Verlust
Mit der wachsenden Bedeutung von Na- Kleinasiens). 3) A. IV. Ephiphanes (175–
turwissenschaft und Technik verlor das 163 v. Chr.), eroberte Ägypten; seine Tem-
klass. Bildungsideal des 19. Jh. an Bedeu- pelschändung bei einem Strafgericht über
tung. Trotzdem ist auch heute noch die A. Jerusalem und das Verbot des jüd. Kultes
eine der Grundlagen abendländ. sowie eu- führten zum Aufstand der ↑ Makkabäer.
rop.-amerik. Kultur. Antipater, makedonischer Feldherr unter
Antikominternpakt, ↑ Internationale (3). Philipp II. und Alexander d. Gr., während
Antiochia, Stadt in der Türkei am Orontes dessen Perserzug Statthalter in Makedo-
(heute Antakya), 300 v. Chr. von ↑ Seleu- nien und Griechenland, warf 322 v. Chr.
kos Nikator gegründet, Hauptstadt des den Aufstand der Griechen nieder.
Seleukidenreiches, im Altertum die be- Antisemitismus, ↑ Judentum.
deutendste, größte und prunkvollste Stadt Antisklaverei-Akte, in Genf 1926 unter-
des Ostens nach Alexandria. Hauptstadt zeichnetes Abkommen über die Abschaf-
der Provinz Syrien. Blüte unter den röm. fung der Sklaverei und die Unterdrückung
Kaisern (zehnmal so groß wie das heu- des Sklavenhandels.
tige A.), durchzogen von einer über 6 km Antonescu, Ion, rumän. General und
langen, säulenumstandenen Hauptstraße, Staatsmann, 1882–1946; machte sich
Durchmesser rd. 20 km. In A. bildete sich beim Zusammenbruch Großrumäniens
die erste große Christengemeinde außer- 1940 zum Staatsführer mit diktator. Voll-
halb Palästinas, von A. aus begann der machten (Rücktritt des Königs), führte
Apos­tel ↑ Paulus sein Missionswerk in Rumänien an der Seite Deutschlands in
Klein­asien und Osteuropa; in A. kam zu- den Krieg gegen die Sowjetunion; 1944
erst der Name „Christen“ (christianosi = verhaftet, hingerichtet.
zu Christus Gehörige) auf; Ort zahlreicher Antoninus Pius, römischer Kaiser (138–
Konzilien; im 7. Jh. von den Arabern, im 161 n. Chr.); Adoptivsohn Hadrians, ver-
11. Jh. von den Seldschuken erobert; seit suchte eine Wiederherstellung altröm.
1098 (1. Kreuzzug) christl. Fürstentum A. Glaubens, wegen seiner Friedenspolitik
als Vasallenstaat des Königreichs Jerusa- von den Zeitgenossen gepriesen („glück-
lem; 1190 wurden in A. Körperteile mit lichste Regierung der Kaiserzeit“), sicherte
den Eingeweiden Kaiser Friedrich Barba- Britannien durch den A.-Limes zwischen
rossas beigesetzt; 1268 von den Mamelu- Clyde und Forth gegen die Scoten.

51
Antonius

Antonius, 1) A., Marcus, röm. Feldherr Volksgruppen; um 700 v. Chr. lagen die


und Staatsmann, 82–30 v. Chr.; Verwand- Hauptsitze der Ä. an der kleinasiat. West-
ter Cäsars, zugleich mit diesem Konsul, küste bis Smyrna und auf einigen Inseln
nach dessen Ermordung sein Rächer, im des Ägäischen Meeres.
(2.) Triumvirat mit Oktavian und Lepidus Apartheid, (Afrikaans, Trennung, eigtl.
43 v. Chr., siegte bei Philippi über die Cä- „Gesondertheit“); Bezeichnung für die Po-
sarmörder Cassius und Brutus (42 v. Chr.), litik der Rassentrennung zwischen weißer
machte sich zum Herrn des Ostens und und farbiger (Bantu, Mischlinge, Asiaten)
verfiel der Kleopatra, 36/35 unglück- Bevölkerung in der Republik Südafrika.
licher Krieg gegen die Parther; 31 v. Chr. Seit 1948 war die A. in Südafrika durch
von seinem Schwager Oktavian bei Ak- Gesetz offizielle Regierungspolitik. Ihr Ziel
tium besiegt, nahm er sich das Leben. war die Festigung weißer Herrschaft und
2) A. d. Große, hl., Begründer des christ- Privilegien über die farbige Bevölkerung.
lichen Mönchtums, um 250–356 n. Chr.; Die A. bedeutete: Verbot gemischtrassiger
führte in Ägypten die klösterlichen Ge- Ehen; Rassentrennung in öffentlichen Ein-
meinschaften von Eremiten ein („Patri- richtungen (Schulen, Krankenhäuser, Ba-
arch des Mönchtums“). 3) A. von Padua, deanstalten); Ausschluss der Farbigen von
Kirchenlehrer, 1195–1231, hl.; Franziska- polit., sozialen und kulturellen Entschei-
nermönch, Theologe in Bologna, Prediger dungen in Parlament und Verwaltungen
gegen die Albigenser. und vom aktiven Wahlrecht. Seit 1950
Antwerpen, belg. Hafenstadt an der die Rassenzugehörigkeit und der Wohnort
Schelde, seit dem 9. Jh. als Niederlassung durch Gesetz geregelt; seit 1954 wurden
bekannt, bald Sitz einer reichen Tuch- die Schwarzen in sog. Homelands (engl.,
macherindustrie, 1315 Aufnahme in die „Heimatländer“) zwangsumgesiedelt. Das
Hanse. Im 16. Jh. eine der reichsten Städte bedeutete für die in den Städten arbeiten-
Europas (Mitte des 16. Jh. 125 000 Ein- den Schwarzen den Status eines Fremdar-
wohner); Hauptsitz der niederländ. Ma- beiters, der jederzeit wieder in sein Home-
lerei; im Freiheitskampf der Niederlande land ausgewiesen werden konnte. (Home-
1585 von den Spaniern zurückerobert lands: Transkei, Bophuthatswana, Venda,
(Ende der Weltgeltung); weiterer Nieder- Ciskei.) Die Zwangsumsiedlungen wur-
gang seit 1648 durch die niederländ. Blo- den am 1. März 1989 durch ein neues
ckade der Scheldemündung, 1714 zu den Wohngesetz, das gemischtrassige Wohnge-
österr. Niederlanden, 1794 von Frankreich biete begrenzt zulässt, leicht abgemildert.
besetzt, 1814 zum Königreich Vereinigte In Opposition zur A. standen in Südafrika
Niederlande, 1830 zu Belgien; Wiederauf- u. a. die Kirchen, die Gewerkschaften, der
stieg als Seeumschlagsplatz der nordwest- ANC („African National Congress“), die
europ. Industrie. UDF („United Democratic Front“), die
ANZUS-Pakt (Australia, New Zealand, „Progressive Party“. Nach weltweiter Ver-
United States), Pazifik-Pakt, Verteidi- urteilung u. a. durch UNO und EU wurde
gungspakt der Staaten seit 1951 mit stän- die A. im Jan. 1990 durch Parlamentsbe-
digem Rat der Außenminister; ergänzt schluss aufgehoben.
durch Beistandspakte USA-Philippinen, Apologet, Verteidiger des Christentums
USA-Japan. Neuseeland war 1986–1994 in Schrift und Lehre; in frühchristl. Zeit
wegen seiner Kernwaffen ablehnenden Po- (2. Jh. n. Chr.) bes. gegen die Anklagen
litik ausgeschlossen. wegen Staatsfeindlichkeit, Unmoral u. a.
Äoler, Sammelname für die nicht zu Io- Apostelgeschichte, Schrift des Neuen
niern oder Dorern gehörenden altgriech. Testaments, wahrscheinlich vom Evan-

52
Aquae Sextiae

gelisten Lukas um 63 n. Chr. verfasst, Übersetzer von Sprüchen aus dem Grie-
schildert die Arbeit der Apostel, das Leben chischen; als Zensor 312 Erbauer der Via
in den Urgemeinden und die Ausbreitung Appia und der ersten Wasserleitung Roms
der christlichen Lehre bis zur Übersied- (Aqua Appia).
lung des Paulus nach Rom. Après nous le déluge (franz., nach uns
Apostelkonzil, nach der kath. Überlie- die Sintflut), Ausspruch, den die Gräfin
ferung Zusammentreffen der Apostel Pe- von ↑ Pompadour nach der Niederlage
trus, Johannes, Jakobus mit Paulus und von Roßbach (1757) getan haben und der
Barnabas um 50 n. Chr. in Jerusalem; Ab- die leichtfertige Haltung des frz. Hofes
lehnung der Forderung, dass zum Chris- und des Adels vor der Revolution charak-
tentum übertretende Heiden dem mosa- terisieren soll.
ischen Religionsritus zu unterwerfen seien Apulien, südöstl. Teil der ital. Halbinsel;
(Grundlage für die Entwicklung zur Welt- 317 v. Chr. von Rom annektiert; seit etwa
kirche). 570 gehörte der N A.s zu dem langobard.,
Apostolisch, im weiteren Sinne alles, was der S zum byzantin. Reich; um die Mitte
auf die Apostel zurückgeht; im engeren des 11. Jh. eroberten die ↑ Normannen das
Sinne = päpstlich, z. B. A.er Stuhl, nach Land, machten es zum Herzogtum und
der kath. Überlieferung vom Apostel Pe- nahmen es vom Papst zu Lehen; 1128 ge-
trus begründet, gleichbedeutend mit waltsame Vereinigung mit Kalabrien und
Papsttum, A.es Glaubensbekenntnis, Apos­ ↑ Sizilien durch König Roger II. zum Kö-
tolicum, ältestes christliches Glaubens- nigreich Sizilien; größte Bedeutung unter
bekenntnis, aus dem 2. Jh. n. Chr., allen stauf. Herrschaft, u. a. unter Friedrich II.
christlichen Kirchen (mit Ausnahme der Aquädukt, Wasserleitung römischer
Ostkirchen) gemeinsam. Städte, z. T. als hohe, gemauerte Bogen,
Apotheose, die mit besonderer Zeremo- die das Wasser in Röhren oder offenen
nie verbundene Erhebung eines Menschen Kanälen in natürlichem Gefälle von nahe
unter die Götter, schon früh bei den Ägyp- oder entfernter gelegenen Gebirgen in die
tern, Persern und anderen orientalischen Stadt führten; Rom wurde in der Kaiser-
Völkern, von den Griechen an ihren He- zeit von rd. 12 großen A.en (rd. 430 km
roen, auch Gesetzgebern, Feldherren, von Länge) versorgt und hatte deshalb trotz
den Römern durch die Konsekration oder riesigen Bedarfes (außer den Wohnhäu-
Senatsbeschluss an Staatsgründern (Ro- sern 11 mächtige Thermen, fast 1 000
mulus) und Kaisern (seit Cäsar) geübt, seit kleinere Bäder und rd. 1800 Brunnen) nie
Caligula auch zu Lebzeiten. unter Wassermangel zu leiden; überall in
Appian(os), griech. Geschichtsschreiber den Römerprovinzen eindrucksvolle Rui-
des 2. Jh. aus Alexandria; bedeutend we- nen zerstörter A.e (die Rom versorgenden
gen der vollständig erhaltenen Darstellung A.e wurden sämtlich durch die Goten bei
der röm. Bürgerkriege. der Belagerung von 537 n. Chr. zerstört);
Appius Claudius Caecus (der Blinde), die bedeutendsten A.-Ruinen sind die der
röm. Staatsmann, Feldherr, Gesetzgeber römischen Campagna, der Pont du Gard
und Schriftsteller, 307 und 296 v. Chr. (Südfrankreich) und die A.e von Segovia
Konsul, 292–285 Diktator, warnte 280 und Tarragona (Spanien).
(im Krieg gegen Pyrrhus von Epirus) den Aquae Sextiae (frz. Aix-en-Provence),
Senat, zu verhandeln, solange feindliche Stadt im narbonensischen Gallien nord-
Heere auf ital. Boden stünden (= machtpo- östlich der Rhonemündung; 102 v. Chr.
lit. Programm Roms für das folgende Jh.); Schlacht gegen die ↑ Teutonen, die von
Freund griech. Literatur, Herausgeber und ↑ Marius vernichtet wurden.

53
Äquatorialguinea

Äquatorialguinea, Republik in Afrika den werden: Arabisch, Irakisch, Mesopota-


am und im Golf von Guinea; ehemals misch, Syrisch, Palästinensisch, Ägyptisch,
span. Kolonie „Territorios Espanoles del Libysch, Maghrebinisch (in anderen Län-
Golfo de Guinea“, gebildet aus der Pro- dern mit islam. Bevölkerung ist Arabisch
vinz Mbini und mehreren Inseln, darun- nur theolog. und wiss. Schriftsprache). Im
ter Fernando Póo; 1959 in eine Übersee- engeren Sinne bezeichnet der Name Araber
provinz umgewandelt, 1963 Gewährung die Bewohner der Arab. Halbinsel, die als
innerer Autonomie, 1968 Ausrufung der Urheimat der Semiten gilt. Seit dem 3. Jh.
unabh. Republik Ä. 1969; Unruhen als suchten die Semiten der Arab. Halbinsel
Folge wirtsch. Schwierigkeiten und Staats- immer wieder aus ihrem harten und kärg-
streich Präsident Macías Nguemas. Dessen lichen Nomadendasein auszubrechen und
Terrorregime sollen Tausende zum Opfer überfluteten die fruchtbareren Nachbar-
gefallen sein. 1979 wurde Macías Nguema gebiete. Die Araber sind der Hauptzweig
durch einen Putsch gestürzt und hinge- der semit. Völkergruppe, waren von jeher
richtet; seitdem Militärregierung unter überwiegend Nomaden, aufgesplittert in
Nguema Mbasogo. 1982 wurde eine Prä- zahlreiche kriegerische Stämme mit stän-
sidialverfassung angenommen. digen wechselseitigen Fehden und (seit
Aquileja, Stadt an der Isonzomündung; etwa 500 n. Chr.) im Kampf um den Be-
181 v. Chr. röm. Kolonie, bis zum 5. Jh. sitz des gemeinsamen Vielgötter-Heilig-
volkreiche Großstadt, beim Hunneneinfall tums, der Kaaba in Mekka. Nach der reli-
452 zerstört, seit dem 6. Jh. Sitz eines Pa- giösen und polit. Einigung durch den Ein-
triarchats. 1421 kam A. zu Venedig, des- gottglauben des Islam um 630 n. Chr. wur-
sen Konkurrenz den Handel A.s vernich- den sie zur Welteroberung aufgerufen und
tete; 1809 geriet A. in österr. Besitz. gründeten ein Reich, das sich vom Kau-
Aquino, Corazon Cojuanco, philippin. kasus über Kleinasien und Nordafrika bis
Politikerin, geb. 1933; Witwe des 1983 nach Spanien erstreckte. Weltgeschicht-
ermordeten philippin. Oppositionspoliti- lich bedeutsam war außer der aggressiven
kers Benigno A.; führte eine Volksbewe- Reichsbildung die durch sie erfolgende
gung gegen den Diktator Ferdinand Mar- Blockade des westl. Mittelmeeres, die im
cos an, nach dessen Sturz 1986 bis 1992 Abendland zum Zusammenbruch der an-
Staatspräsidentin; in ihrer Amtszeit zahl- tiken Geldwirtschaft und damit zur Feu-
reiche Putschversuche, 1992 keine erneute dalisierung führte; nicht weniger bedeut-
Kandidatur. sam wurden sie durch ihre glänzenden
Aquitanien (Guyenne), im SW Frank- Kulturleistungen, die um die Wende zum
reichs zwischen Loire und Garonne, alte 8. Jh. einsetzten; unter Förderung durch
gallische Provinz, seit 418 westgotisch, 507 Mäzene und Übersetzungsakademien er-
fränkisch, um 670–769 eigene Herzöge, folgten Übertragungen aus dem Syrischen,
768 karoling. Teilreich, um 950 Herzog- Griechischen, Persischen und Indischen:
tum der Grafen von Poitou, 1154 englisch Werke der Medizin (Hippokrates, Galen),
(↑ Anjou), 1453 wieder zu Frankreich. der Philosophie (Plato, Aristoteles, Plo-
Ära ↑ Chronologie, Zeitrechnung. tin), der verschiedensten naturwiss. Diszi-
Araber, im weiteren Sinne die arabisch plinen, der Mathematik und Astronomie;
sprechenden Bevölkerungsteile in Arabien, außerdem reiche eigenständige wiss., phi-
Mesopotamien, Syrien, Palästina, Ägypten, losophische und literarische Produktion;
Nordafrika, im Sudan und in Ostafrika; Verschmelzung der hellen. mit der iran.,
heute in zahlreiche Dialektgruppen aufge- zum Teil auch ind. Kultur. Im O wich-
gliedert, unter denen vor allem unterschie- tigstes Kulturzentrum Bagdad als Resi-

54
Arabien

denz der abbasid. Kalifen (Bibliotheken, Landbrücke mit Ägypten und Äthio-
Gelehrtenakademien, Sternwarte; fort- pien verbunden; Gebirgswüste, Step-
wirkend auch nach dem Verfall der Kali- pen mit einzelnen Oasen, Durchgangs-
fenmacht); im S war es Sizilien (Palermo, land Eu­ropa-Vorderer Orient-Indien mit
Syrakus), auch nach der Eroberung durch sich kreuzenden Karawanenwegen. Nur
die Normannen; im Westen, im Reich der im SW dank der Monsunregen Möglich-
omaijad. Kalifen, Cordoba, bes. seit Abd keiten für Ackerbau, Sesshaftwerdung und
Ar Rahman und Hakem II. (Universität stetige Kulturentwicklung. Hier bereits
Cordoba, die zeitweise auch abendländ. im 2. Jt. v. Chr. Städtekultur: Kulturzen-
Christen als Lehrstätte offen stand; Archi- tren im Jemen und in Hadramaut. Lange
tektenschulen, Gelehrten-, Dichter- und Kämpfe zw. den Reichen von Main, Saba,
Philosophenkreise); später waren Nach- Kataban und Hadramaut. Im Norden griff
folgefürsten Förderer des Kulturlebens. seit etwa 300 v. Chr. das Nabatäerreich z. T.
Gegen Ausgang des MA Vermittlung der auf die Halbinsel über; es war von großer
„arabischen“ (in Wirklichkeit indischen) Handelsbedeutung; zeitweise Ausdehnung
Ziffern, die erst das moderne praktische bis Syrien (Damaskus); Hauptstädte: He-
und theoretische Rechnen ermöglichten. gra und Petra, dessen Ruinen zum großen
Mit dem Eintritt der Türken in die isla- Teil erhalten sind. Röm. Expeditionen ins-
mische Welt Zurückdrängen des Araber- gesamt erfolglos; erst 105 n. Chr. wurden
tums. Ablösung der arab. durch die os- Teile Arabiens von den Römern erobert
man. Weltmacht. Bedingt durch den Nie- (Petra wurde verwüstet) und zur mehr-
dergang des Osman. Reiches wurden die teiligen Provinz Arabia zusammengefasst:
arab. Länder zu Objekten europ. Groß- Arabia Petraea (felsiges A.) umfasste die
machtpolitik, Frankreich eroberte Alge- Sinaihalbinsel, S-Palästina und einen Teil
rien (1830), Tunesien (1881) und Ma- des eigentlichen Arabiens, das zum Na-
rokko (1912), Großbritannien Ägypten batäerreich gehörte; A. Felix (glückliches
(1882) und Italien Libyen (1912). – An A.) das Weihrauchland im S mit der Oase
der Kulturentwicklung außerhalb Arabi- Hadramaut und dem Jemen; A. Deserta
ens nahmen die A. der Halbinsel kaum (ödes A.) die Wüsten gegen Mesopota-
Anteil, sie verharrten in den alten Lebens- mien hin. Nach 500 n. Chr. Unterwerfung
gewohnheiten des Nomadentums. In der von Teilen A.s unter Abessinien, um 575
Gegenwart starke Fremdeinflüsse durch im Machtbereich der pers. Dynastie der
Erdölwirtschaft, Verkehrserschließung, Sassaniden. Im 7. Jh. Heimat des ↑ Islam
Rundfunk, bessere Ernährung, arab. Be- und Ausgangsposition der arab. Erobe-
wegung, Reformen im Islam; in Ägypten, rung in drei Erdteilen, mit dem Hauptort
Palästina und im Libanon auch christliche Medina; später übernahmen Damaskus,
Araber (↑ Islam). Der Zusammenschluss dann Bagdad die Rolle der Zentralstadt
der nach 1945 unabhängigen arab. Staa- des arab. Weltreiches; Mekka blieb reli-
ten in der ↑ Arabischen Liga erwies sich als giöser Mittelpunkt. Nach der Auflösung
zu schwach für eine Basis der polit. Eini- des arab. Gesamtreiches in Teildynastien
gung. Die Entwicklung der Nachkriegs- (10. bis 12. Jh.) bildeten sich in Arabien
geschichte wurde wesentlich beeinflusst und im Jemen verschiedene Fürstentümer;
durch die Gegnerschaft der A. zu Israel; im Norden Eindringen der Türken, von
diese zerbrach jedoch 1979 mit dem is- Ägypten aus Herrschaft der Mamelucken,
rael.-ägypt. Separatfrieden. die 1517 von den Türken (Selim I.) abge-
Arabien, Halbinsel zw. Afrika und Asien, löst wurden; im 18. Jh. Erneuerungsbewe-
in ältester Zeit vielleicht durch breitere gung der ↑ Wahhabiten, doch keine blei-

55
Arabische Föderation

bende polit. Einigung; seit 1805 unter der internat. Anerkennung. 1989 in Tunis
erblichen Statthalterschaft Mehemed Alis vom palästinens. Exilparlament zum Prä-
allmählich Befreiung vom türk. Einfluss. sidenten des Staates ↑ Palästina gewählt.
Im 19. Jh. südl. Randgebiete Aden, Ha- 1994 gemeinsam mit Y. Rabin u. S. Peres
dramaut, Oman, Kuwait britisch; 1916 Friedensnobelpreis für Osloer Abkom-
Gründung des von der Türkei unabhän- men, 1996 Vorsitzender der Palästinen-
gigen Königreichs Hedschas, 1924/1925 sischen Autonomiebehörde (PNA), Sta-
Gründung des Königreiches Ibn Sauds, das gnation des Friedensprozesses führte zu
auch Hedschas einschloss. 1932 Zusam- zunehmender Kritik an A. aus den eigenen
menfassung zu Saudi-Arabien. Der ↑ Je- Reihen wie aus Israel.
men entwickelte eine eigene Geschichte, Aragonien, span. Aragón, nordspan.
assoziierte sich 1958–61 dem Staatenbund Landschaft; um 200 v. Chr. in röm. Besitz;
der Vereinigten Arabischen Republik. Von im 5. Jh. von den Westgoten besiedelt,
weltwirtschaftl. Bedeutung die Ölfelder 713 arabisch; die aus der Spanischen Mark
von Saudi-Arabien, Kuwait, den Bahrain­ Karls d. Gr. hervorgegangene Grafschaft
inseln (↑ Araber, Saudi-Arabien, Jemen, A. (im äußersten N) an der Reconquista
Islam, Mohammed u. a.). (Rückeroberung des maur. Spaniens) maß-
Arabische Föderation, kurzzeitiger Staa- geblich beteiligt, 1000–1035 mit Navarra
tenbund der Königreiche Irak und Jorda- vereinigt; Ramiro I. (1035 bis 1063) erster
nien; 1958 durch Aufstand im Irak und König von A.; 1137 Anschluss an Kata-
Ausrufung der Republik aufgelöst. lonien, 1238 Angliederung von Valencia,
Arabische Emirate ↑ Vereinigte Arabische 1282 Verbindung mit Sizilien, 1443 mit
Emirate. Neapel, 1479 Vereinigung A.s mit Kasti-
Arabische Liga, durch Verträge von 1945 lien zum spanischen Gesamtstaat.
und 1950 gegründeter Verband der arab. Aramäer, semitische Beduinen, ließen sich
Staaten (Ägypten, Saudi-Arabien, Irak, Jor- um 3000 v. Chr., aus der arab. Wüste kom-
danien, Jemen, Syrien, Libanon). Beitritte: mend, am mittleren Tigrisufer nieder; stie-
Libyen (1953), Sudan (1956), Marokko ßen seit 1300 v. Chr. in immer neuen Wel-
und Tunesien (1958), Kuwait (1961), Al- len nach Mesopotamien und Syrien vor,
gerien (1962), Südjemen (1967), Katar, verwickelten Assyrien in langwierige Ab-
Bahrain und die Vereinigten Arab. Emi- wehrkämpfe, gründeten um 1000 v. Chr.
rate (1971), Mauretanien (1973), Somalia das Reich von Damaskus und unterlagen
(1974), PLO (1976), Dschibuti (1977). den Assyrern nach hartnäckigem Wider-
Sitz des Generalsekretariats in Kairo, seit stand im 8. Jh. v. Chr. Ihre Sprache, noch
1979 in Tunis. Politische Differenzen un- zu Mohammeds Zeiten in Vorderasien
ter den arab. Staaten schränkten die Wirk- und Palästina Hauptverkehrssprache, lebt
samkeit der A. L. stark ein. Das 1979 sus- im Syrischen fort.
pendierte Ägypten wurde 1989 wieder als Aratos von Sikyon, 271–213 v. Chr., Stra-
Vollmitglied aufgenommen. tege (Feldherr) des ↑ Achäischen Bundes,
Arafat, Jasir, palästinens. Politiker, 1929– Verfasser von „Denkwürdigkeiten“.
2004; hatte seit Mitte der 60er Jahre ent- Arausio, Schlacht von, ↑ Kimbern.
scheidenden Anteil am Aufbau der Gue- Arbeiterbewegung, der seit der Indus-
rilla-Gruppe Al-Fatah, seit 1967 deren trialisierung im Zeichen des Schlagwortes
Führer; seit 1969 Vorsitzender des Exeku- der „sozialen Frage“ entwickelte Zusam-
tivkomitees der Palästinens. Befreiungs- menschluss der Handarbeiter (insbes.
front PLO. A. errang durch einen gemä- in der Industrie) zur Verbesserung ihrer
ßigten Kurs vor allem in den 80er Jahren wirtsch., soz. und polit. Lage oder zur Än-

56
Archiv

derung der Wirtschaftsstruktur in West- auf Delos; amerik. Grabungen in Athen,


und Mitteleuropa in der 2. Hälfte des Korinth und Dura. Seit Mitte des 19. Jh.
19. Jh.; die A. umfasst 1) die Bildung von planmäßige Durchforschung Mesopota-
polit. Parteien der Arbeiterschaft, insbes. miens: Lagasch, Babylon, Uruk, Nippur
die sozialistische, 2) die Gewerkschaftsbe- (Harper, Hilprecht, Peters; seit 1889 die
wegung und 3) das Genossenschaftswesen ersten Amerikaner unter den Ausgräbern),
(Konsumvereine usw.). Aus dem Kampf Ur (Glanzleistung Woolleys). In Ägypten
gegen die besitzenden Klassen ging die A. seit 1880 Grabungen des Engländers Flin-
vor allem infolge des allg. Wahlrechtes als ders Petri (1853–1942); erfolgreiche Gra-
mächtiger polit. Faktor hervor (↑ Sozia- bungen Carters (1873–1939) in Tall Al
lismus, Sozialdemokratie, Gewerkschaft, ↑ Amarna, in Theben: Grab des ↑ Tutench­
Genossenschaften, Anarchismus u. a.). amun. – Archäolog. Forschungen und
Arbeiter- und Soldatenräte, ↑ Rätesys­ Grabungen heute im Bereich aller eins­
tem. tigen Kulturländer.
Arc, Jeanne d’, ↑ Jeanne d’Arc. Archelaos I., König von Makedonien
Archäologie (griech., wörtl. „Erzählung (413–399 v. Chr.), das er der griech. Kul-
der alten Geschichten“), Altertumskunde; tur erschloss; an seinem Hof lebten be-
untersucht die materialen Hinterlassen- kannte griech. Philosophen und Künstler;
schaften der Vergangenheit mit dem Ziel, Sokrates lehnte es ab, einer Einladung des
das Wissen um das Leben (Gesetze, Sitten A. zu folgen.
usw.) des Altertums, der Vor- und Frühzeit Archimedes von Syrakus, größter griech.
(soweit sie aus Baudenkmälern, Ausgra- Mathematiker und Physiker der Antike,
bungen und Bodenfunden zu erschließen 287–212 v. Chr.; entdeckte die Gesetze
ist) zu erweitern, daher auch als „Wissen- des Hebels, des Auftriebs, des spezifischen
schaft des Spatens“ bezeichnet. Anfänge der Gewichts u. a., untersuchte die Optik von
Archäologie bereits in der Renaissance auf Hohlspiegeln, verbesserte den Flaschen-
dem Boden des antiken Italien; seit 1750 zug, A. wurde bei der Erstürmung seiner
Ausgrabungen in Pompeji; bahnbrechend Heimatstadt Syrakus von einem röm. Sol-
Winckelmann durch seine „Geschichte daten getötet.
der Kunst des Altertums“ (1764). Seit- Archiv, systematisch geordnete Samm-
dem Bestrebungen, die klass. Kunst dem lung von Schriftstücken (Urkunden, Ak-
Volk näher zu bringen: 1793 Gründung ten, Briefe, Nachlässe u. a.), neuerdings
des Nationalmuseums im Louvre in Paris; auch von Filmen, Fotos und Tonträgern
1816 Elgin Marbles (mit den Skulpturen und deren Aufbewahrungsraum. Unter-
des Parthenon) im Brit. Museum in Lon- schieden in Reichs-, Staats-, Stadt-, Diö-
don; 1830 Glyptothek König Ludwigs I. zesan-, Kloster-, Wirtschafts-, Familien-
in München. Gleichzeitig planmäßige oder Privatarchive. Königliche oder Staats-
archäolog. Erschließung Griechenlands, A. schon in Altägypten und in Babylon,
Kleinasiens usw. Deutsche Ausgrabungen: später in Griechenland und Rom. Im MA
Troja (1868, 1870–1890 durch Schlie- legte zwar schon Karl d. Gr. ein A. an, ge-
mann, dann Dörpfeld); Mykene (1876– regelte A.führung jedoch erst seit dem
77 durch Schliemann); Olympia (1874– 14. Jh. (Heinrich VII.); Reichsarchiv bis
1881); Pergamon (1878–1886 Humann); 1806 (Reichsauflösung); der größte Teil
Milet (1899–1906); Tiryns (1912); Priene der Bestände kam in das Wiener Haus‑,
(„Pompeji Kleinasiens“) u. a. Um 1906 Hof und Staatsarchiv, das zus. mit dem
Grabungen des Engländers Evans in Knos- Reichsarchiv Potsdam (Reichsakten seit
sos auf Kreta; frz. Grabungen in Delphi, 1867) von bes. Bedeutung für die dt. Ge-

57
Archonten

schichtsforschung wurde; im zweiten Teil Künstlern wie Tizian befreundet, in seiner


des 19. Jh. Öffnung der großen A.e für die Wirkung auf die öffentliche Meinung von
Forschung (1865 Wiener Haus-, Hof- und z. T. unheilvollem Einfluss auf seine Zeit.
Staatsarchiv, 1875 Preuß. Staatsarchiv, Argens, Jean Baptiste de Boyer d’, Mar-
1881 Vatikan. Archiv). quis, frz. Schriftsteller der Aufklärung,
Archonten (griech., Herrscher, Anfüh- 1704–1771; Freund Friedrichs d. Gr., seit
rer), die obersten Staatsbeamten im alten 1744 in Potsdam.
Athen; es wurden 9 A. auf ein Jahr gewählt Argentinien (lat. argentum = Silber; „Sil-
(oberster Priester, Richter, Feldherr und 6 berland“), neben Brasilien der bedeu-
„Gesetzgeber“); seit der demokrat. Verfas- tendste Staat Südamerikas, ging aus den
sungsreform 487 v. Chr. sank die Bedeu- ehem. Rio de la Plata-Provinzen hervor;
tung des Amtes. 1508 (1516) La Plata-Fluss von ­ Spaniern
Ardaschir (Artachschassa), erster Sassani- entdeckt, seitdem span. Kolonisation;
denherrscher in Persien (226–242 n. Chr.); 1536 Buenos Aires gegr.; 1806 und 1807
stürzte die parth. Arsakiden-Dynastie, Abwehr britischer Landungsversuche bei
zentralisierte die Staatsverwaltung, erhob Buenos Aires; 1810–1816 Unabhängig-
die Lehre Zarathustras zur Staatsreligion. keitskampf, 1816 Nationalversammlung;
Arelat (Arelatisches Reich), Niederbur- in der Folge machten sich Bolivien, Para-
gund südl. des Jura mit der Hauptstadt guay und Uruguay selbständig, seit 1845
↑ Arles, 879 zum Königreich erhoben Kriege gegen diese Staaten, innere Kämpfe
(Boso von Vienne), 933 mit Hochbur- zwischen Unitariern und Föderalisten, die
gund vereinigt; seitdem auch Bez. für das erst 1860 endeten; 1863 erkannte Spanien
burgund. Gesamtreich (↑ Burgund). offiziell die Unabhängigkeit A.s an; in den
Arendt, Hannah, amerik. Politikwissen- 1880er Jahren Bildung des argentinischen
schaftlerin und Soziologin dt. Herkunft, Einheitsstaates. Im 1. Weltkrieg neutral,
1906–1975; bed. ihre Werke zum Totali- im 2. Weltkrieg 1945 Kriegserklärung an
tarismusproblem und zu jüd. Problemen. Deutschland. Betont nationale Politik: la-
Areopag (griech., Areshügel), in der Nähe teinamerik. Tradition gegen panamerik.
der Akropolis von Athen gelegener Hügel Programm der USA; Rivalität gegen Bra-
(gegenüber den Propyläen), wo die Ältes­ silien; 1948 Rückkauf der Eisenbahnen
ten, die Häupter des Adels, als Rat und von England; Anspruch auf Falklandin-
Gerichtshof unter freiem Himmel tagten; seln und antarkt. Gebiete; seit 1946 Dik-
Mitglieder waren seit 683 die ausgeschie- tatur des ehem. Obersten Perón (Sozialre-
denen ↑ Archonten; seit Solon (594 v. Chr.) formen, Industrialisierung, Ausschaltung
auf die polit. Gerichtsbarkeit beschränkt der Opposition), 1955 durch einen Auf-
(400 Mitglieder). Im 5. Jh. wurde mit stand des Heeres und der Marine gestürzt,
der weiteren Ausbildung der Demokratie abgelöst durch Militärjunta, im gleichen
der A. als polit. Kontrollinstanz entmach- Jahr Wiederherstellung der Verfassung
tet (nur noch Blutgerichtsbarkeit) ↑ Bule. von 1853; 1957 wieder freie Wahlen, Ver-
Im 1. Jh. n. Chr. wurde der Hügel als Ver- such einer Neuordnung der zerrütteten
sammlungsort der Christen (Predigten des Wirtschaft; 1962 Macht­übernahme durch
Paulus) genutzt. das Militär; seit 1969 wachsende Aktivi-
Aretino, Pietro, Schriftsteller der ital. Re- täten links- und rechtsgerichteter Stadt-
naissance, 1492–1556; gefürchteter Pam- guerillas führten 1971 zu schweren Un-
phletist, geistreich und skrupellos; ver- ruhen und zum Sturz der 3. Militärregie-
kaufte seine Feder an den Meistbietenden, rung seit 1962. 1973 Rückkehr Peróns aus
von Karl V. und Franz I. bewundert, mit dem spanischen Exil und Wahl zum Prä-

58
Ariovist

sidenten, er konnte jedoch seine frühere Streitfrage berief Konstantin d. Gr. das
Machtstellung nicht wiedererlangen, Aus- Konzil von ↑ Nizäa (324/25) ein; es ent-
einanderfallen der ­ perónist. Bewegung schied für die Wesensgleichheit mit dem
zeichnete sich ab. Nach dem Tode Peróns Vater; Weiterwirken der Arius-Lehre in ra-
übernahm seine Frau Maria Eva („Evita“) dikaler (wesensungleich) und vermitteln-
Perón verfassungsgemäß die Präsident- der Form (ähnlich oder wesensähnlich);
schaft. M. Perón wurde 1976 durch Ge- der A. wurde zur Konfession u. a. der Go-
neral Videla gestürzt. Die folgende Mili- ten (↑ Wulfila), Vandalen und Langobar-
tärdiktatur drängte die linken Guerillas den (Arianer); weltgeschichtlich entschei-
zwar in die Defensive, doch nahmen die dend war das Bekenntnis der Franken zur
(z. T. von der Regierung geduldeten) ter- kath. Lehrauffassung (Chlodwigs Über-
rorist. Aktivitäten der Rechten stark zu. tritt zum kath. Glauben 496); seit dem
Im Konflikt um die ↑ Falklandinseln erlitt 6. Jh. folgten ihnen fast alle Germanenvöl-
das Regime 1982 eine folgenschwere au- ker, am längsten blieben die Langobarden
ßenpolit. Niederlage. 1983 wurde die De- arianisch.
mokratie wiederhergestellt, als Staatsprä- Aribert, Erzbischof von Mailand, gest.
sident ↑ Alfonsín (1983–1989) gewählt. 1045; krönte Konrad II. 1026 zum Kö-
1989 Staatspräsident Carlos Menem, nig von Italien, kämpfte mit Unterstüt-
Amnestie für Verbrechen unter dem Mi- zung der Bürger von Mailand gegen seine
litär-Regime, 1994 neue Verfassung, 1999 Untervasallen, deren Leben er einziehen
Staatspräsident Fernando de la Rúa, trat wollte; empörte sich 1037 gegen Kon-
nach Protesten gegen seinen Sparkurs rad II.; als dieser den Vasallen Recht gab,
2001 zurück, durch den ­ Perónisten Edu- abgesetzt, doch nicht unterworfen.
ardo Duhalde ersetzt. 2003 nach Wahlen Arier (Sanskrit, Arya = Herr oder Edler),
von Néstor Kirchner abgelöst, Aufhebung ostindogerman. Völkergruppe, Heimat
der Amnestie und zahlreiche Prozesse ge- vermutlich nördl. des Hindukusch, dran-
gen ehemalige Soldaten und Offiziere der gen im 2. Jt. in Nordindien ein, wo sie
Militärjunta. auf die Urbevölkerung der Dravidas stie-
Arginusen, Inselgruppe südöstl. von Les- ßen, und in das Hochland Aryana (Iran);
bos, 406 v. Chr. Seesieg der Athener im als Vorfahren der heutigen Inder siedelten
Peloponnesischen Krieg über die spartan. sie im Pandschab, dann in ganz Nordin-
Flotte; weil die Flottenführer wegen eines dien, und als Vorfahren der Perser im Iran.
Sturmes die Schiffbrüchigen nicht retten Ursprüngl. nur ein Begriff der Sprachwis-
konnten, wurden sie vom athenischen senschaft, wurde die Bez. A. im erwei-
Volk zum Tode verurteilt. terten Sinne und nicht korrekt auf die
Argos, Hauptstadt der Landschaft Argo- ↑ Indogermanen insgesamt angewendet;
lis im NO des Peloponnes; Heiligtum der die rassenkundliche Verwendung des Be-
Hera; Argolis urspr. von ↑ Ioniern besie- griffs A., d. h. die Hypothese von einem
delt mit kret.-myken. Mischkultur (Aus- arischen Urvolk als einer allein kultur-
grabungen von ↑ Mykene und Tiryns). schöpferischen und allen anderen überle-
Arianismus, im 4. Jh. aufkommende theo­ genen Herrenrasse ist unwissenschaftlich,
log. Lehre über das Wesen Christi; der war aber wesentlicher Teil der nat.-soz.
aus Alexandria stammende Priester Arius Ideologie.
bezeichnete Christus als aus dem Nichts Ariovist, Heerführer eines german. Sue-
entstandenes Geschöpf Gottvaters, das benstammes, drang über den Rhein nach
erst zum Sohnesrang aufgestiegen sei; zur Gallien vor, wurde trotz Verstärkung
Klärung der die Christenheit bewegenden durch andere german. Stämme von Cäsar

59
Aristagoras

58 v. Chr. im Elsass besiegt; Cäsar gelang er war insbes. der Begründer der forma-
es, ganz Gallien unter röm. Herrschaft zu len Logik und der empir. Wissenschaft,
bringen. ihr erster Organisator und Systematiker;
Aristagoras, Tyrann v. Milet; um 500 v. Chr. in seiner „Politik“ der Fürsprecher eines
Leiter des gescheiterten ioni­schen Auf- gemäßigt demokrat., auf einem starken
standes gegen die Perser; A. flüchtete nach Mittelstand beruhenden Rechts- und Ver-
Thrakien, wo er 496 v. Chr. fiel. fassungsstaates.
Aristarchos, 1) A. von Samos, griech. As- Arius, Priester aus Alexandria, gest.
tronom, um 320–250 v. Chr.; lehrte (in 336 n. Chr., Begründer der Lehre von der
Alexandria) als erster vor Kopernikus, dass nur gottähnlichen, nicht gottgleichen Na-
die Sonne im Mittelpunkt des Planetensys­ tur Christi (Leugnung der Dreifaltigkeit);
tems stehe. 2) A. von Samothrake, griech. ↑ Arianismus.
Grammatiker, 217–145 v. Chr.; Bibliothe- Arkadien, altgriech. Landschaft im mitt-
kar in Alexandria, Erklärer des Homer. leren Peloponnes, abgeschieden, friedlich,
Aristides (griech. Aristeides), athen. arm, von Hirten bewohnt, als Hort länd-
Staatsmann und Feldherr (Marathon, Sa- licher Schlichtheit und alter, guter Sitte
lamis), gest. um 467 v. Chr.; Führer der ge- von den Dichtern der griech. Schäferpoes­ie
mäßigten Konservativen, Rivale des The- (Bukoliker und Theokrit) und in der Schä-
mistokles, brachte 477 den 1. Attischen ferdichtung des 17. Jh. gerühmt.
Seebund zustande; erhielt den Beinamen Arkadius, griech. Arkadios, oström. Kai-
„der Gerechte“. ser, 377–408 n. Chr.; Sohn Theodosius’
Aristokratie (griech., Herrschaft der Bes­ d. Gr., Bruder des ↑ Honorius; erhielt 395
ten), im Gegensatz zur Demokratie, der bei der Erbteilung das oström. Reich, Ho-
Volksherrschaft, und zur Tyrannis, der norius das weströmische.
Herrschaft eines Einzelnen; Staatsord- Arkebuse, seit dem 15. Jh. die Haken-
nung, bei der eine durch Herkunft, Be- büchse (Feuerrohr) mit Luntenschloss und
sitz, Ämter bevorrechtete (und ideal: mit einem den Rückstoß auffangenden Haken
entsprechenden Vorzügen ausgestattete (Stange), auf den sie beim Feuern gestützt
und sich ihrer bes. Pflichten bewusste) wurde; im 16. Jh. durch die Muskete ver-
Oberschicht die öffentliche Gewalt inne- drängt. Arkebusiere waren die mit einer A.
hat (Oligarchie); in neuerer Zeit wird auch bewaffneten Landsknechte; später leichte
dieser Stand selbst als A. (= Adel) bezeich- Reiter.
net (↑ Adel). Arktis, die um den Nordpol liegenden
Aristoteles, aus Stagira in Makedonien Land- und Meeresgebiete; erste Kennt-
(daher „Stagirite“ genannt), griech. Phi- nisse gesammelt von irischen Mönchen
losoph, 384–322 v. Chr.; bedeutendster und den Normannen im 8. und 9. Jh.;
Schüler Platons in Athen seit 366, 342– im 16. und 17. Jh. erkundeten Engländer
339 Erzieher Alexanders d. Gr., seit 335 und Niederländer auf der Suche nach der
Leiter des von ihm gegr. Lykeions zu „Nordwestpassage“ und „Nordostpassage“
Athen, aus dem sich die philosoph. Schule die W-Küste Grönlands und die O-Küsten
der Peripatetiker entwickelte. Nach dem des nördl. Nordamerika sowie des Kanad.-
Tode Alexanders flüchtete A. vor der ma- Arkt. Archipels, Bäreninsel und Nowaja
kedonierfeindlichen Reaktion nach Euböa Semlja wurden erreicht. Entdeckung Alas-
(Anklage wegen Gottlosigkeit). A. war der kas, der Beringstraße und des Beringmeers
universalste Denker und Naturforscher durch russ. Forscher, um 1750 erste Kar-
des Altertums, von weitreichender Nach- tierung der N-Küste Sibiriens. Nachdem
wirkung bes. auf die Philosophie des MA, Ende des 18. Jh. in Nordamerika die arkt.

60
Arminianer

Küste erreicht war, setzte im 19. Jh. eine Armenien, ursp. das Land zw. dem
intensive Erforschung ein: Bezwingung Schwar­zem und Kasp. Meer südl. des
der NW-Passage durch McClure 1850– Kaukasus, als Durchgangsland zw. Klein-
54, der NO-Passage durch Nordenskiöld asien und Persien seit alters umkämpft; al-
1878–1880, Nachweis, dass der Nordpol lyrisch, medisch, persisch, makedonisch,
von Meer umgeben ist, durch F. Nansen seleukidisch, vorübergehend unabhängig
1893–96, Erreichung des Pols durch F. A. (Großarmeni­sches Reich), römisch, sassa­
Cook 1908 (bezweifelt) und R. E. Peary nidisch, arabisch (636), seldschukisch
1909. Erster Flug zum Pol (Byrd) 1926. (Klein-A. vorüber­gehend byzantinisch und
Arkwright, Sir Richard, engl. Mechaniker in Nachfolge der Kreuzfahrerherrschaft
und Textilfabrikant, 1732–1792; Erfinder bis 1375 selbständig), mongo­lisch (1240),
der Spinnmaschine (1769), die einen Wan- ­osmanisch (1522). Im 19. Jh. trat ­Russland
del der Textilfabrikation herbeiführte. als Schutzmacht der unterdrückten Arme-
Arles, Stadt nahe der Rhonemündung ge- nier auf und erwarb Teile Nord-A., aus
legen, alte gallische Siedlung, seit Ende denen die transkaukasische Sowjetrepu-
des 2. Jh. v. Chr. röm., 45 v. Chr. Vetera- blik A. hervorging. Nach dem Zusammen-
nensiedlung (Kolonie) Cäsars, zeitweise bruch der Sowjetunion im Jahr 1991 prä-
Kaiserresidenz (Maximilian, Konstantin sidiale Republik.
d. Gr.), um 400 gallischer Regierungssitz Armenier, altes Kulturvolk des ­ Vorderen
anstelle des grenznahen, bedrohten Trier, Orients, Indogermanen; wanderten um
536 fränkisch, seit 879 Hauptstadt des 1000 v. Chr. aus Thrakien v. a. nach ↑ Arme­
Königreichs ↑ Arelat. nien ein und gründeten ein Reich mit
Armada (span., bewaffnete Macht), um wechselvollem Schicksal, errichteten um
1600 üblicher Ausdruck für Streitkräfte 300 n. Chr. die erste christliche National­
(zu Wasser wie zu Lande), im 30-jährigen kirche (mit einem Katholikos an der
Krieg durch das frz. Wort Armee ver- Spitze), übernahmen die (im Westen unter­
drängt; die Große A. Philipps II. von Spa- drückte) monophysitische Lehre, wurden
nien unter Admiral Medina Sidonia (130 im Osmanischen Reich ihres Glaubens we-
Schiffe mit rd. 30 000 Mann an Bord) fuhr gen in blutigen Massakern fast ausge­rottet
1588 zur Niederwerfung Englands aus (1894–97,1909), v. a. im Ersten ­Weltkrieg,
und wurde durch die beweglichere Tak- als bei dem Völkermord 1,5 Mio. A. ermor­
tik der engl. Flotte (↑ Drake) und durch det wurden, daneben etwa 250 000 nach
schwere Stürme vernichtet; Beginn des Syrien deportiert, 250 000 flohen nach
Aufstiegs Englands zur seebeherrschenden Transkaukasien).
Weltmacht. Armer Konrad, geheimer Bauernbund,
Armagnacs, Armagnaken, auch „Armege- der sich um 1505 im Remstal in Württem-
cken“ genannt, zügellose frz. Soldtruppen berg bildete; seine Erhebung 1514 gegen
eines Grafen von Armagnac (Südfrank- Herzog Ulrich misslang.
reich), später im Dienste König Karls VII., Arminianer, niederländ. Partei der refor­
der sie 1444 gegen die Schweizer Eid- mierten Kirche; benannt nach ihrem
genossen schickte, um sie loszuwerden; Gründer Jakob Arminius (1560–1609); sie
plünderten sie das Elsass, bis sie 1445 ver- traten gegen die Calvinisten für die Wil-
trieben und aufgelöst wurden. lensfreiheit ein und erhoben 1610 Remon-
Armbrust (lat. arcubalista, Bogen, Wurf- stranz (feierl. Protest) gegen staatl. Ver-
maschine), trag- oder fahrbare Fernschuss- folgung (daher auch „Remonstranten“);
waffe der Antike und des MA, für Pfeile auf der Synode von Dordrecht 1619 ver-
und Bolzen, später Bleikugeln und Steine. dammt, 1798 offiziell anerkannt.

61
Arminius

Arminius (fälschlich Hermann), Che- Arnold, 1) A. von Brescia, kath. Pries­
ruskerfürst, 17 v. Chr. bis 21 n. Chr.; er- ter, Reformer und Empörer, Schüler
lernte in röm. Diensten die Kriegskunst; ↑ Abälards, trat gegen die Verweltlichung
brachte ein Bündnis der german. Stämme der Kirche auf, errichtete in Rom eine Re-
zwischen Rhein und Aller zustande, ver- publik mit Senat; 1155 in Rom als Re-
nichtete gemeinsam mit Segimer 9 n. Chr. bell auf Befehl Barbarossas hingerichtet.
die Legionen des Varus im Teutoburger 2) A. von Lübeck, Geschichtsschreiber;
Wald und verhinderte die Besetzung Ger- gest. 1212; seit 1177 Abt zu St. Johann
maniens bis zur Elbe, Germanien blieb in Lübeck, setzte Helmolds Slawenchro-
der röm. Kultur entzogen; wehrte 14– nik fort, schrieb Reichsgeschichte und die
16 n. Chr. die Rachefeldzüge des Germa- Geschichte Heinrichs des Löwen. 3) A.,
nicus ab; die Gemahlin des A., Thusnelda, Gottfried, pietist. Liederdichter und Kir-
wurde röm. Gefangene; 18–21 n. Chr. im chenhistoriker, 1666–1714; ergriff in sei-
Kampf mit den Markomannen unter Mar- ner „Unparteiischen Kirchen- und Ket-
bod; A. wurde wegen angeblichen Stre- zerhistorie“ Partei für die von der Kirche
bens nach der Krone von Verwandten er- Verfolgten.
mordet. Arnulf, Name von Herrschern. Röm.-dt.
Arndt, Ernst Moritz, volkstümlicher po- Kaiser: 1) A. von Kärnten (896–899); geb.
lit. Schriftsteller und Dichter, 1769–1860; um 850 als unehelicher Sohn Karlmanns,
literar. Vorkämpfer der Befreiung von der 876 Herzog von Kärnten, 887 dt. König,
Herrschaft Napoleons und des dt. libe- besiegte 891 die Normannen, 896 zum
ralen Nationalgedankens; seit 1818 Prof. Kaiser gekrönt. – Austrasien: 2) A. der
der Geschichte an der Universität Bonn, Heilige (A. von Metz), Stammvater der
1820–1840 von der Reaktion seines Amtes Karolinger, um 582–641; 611 Bischof von
enthoben, forderte einen dt. Nationalstaat Metz, 622–627 mit Pippin Regent im ost-
mit Erbkaisertum unter preuß. Führung fränk. Reich (Austrasien), endete als Ere-
(„Katechismus für teutsche Soldaten“, mit. – Bayern: 3) A., Herzog (907–937),
„Der Rhein Teutschlands Strom, aber wehrte die Ungarn ab, 919 erster dt. Ge-
nicht Teutschlands Grenze“, „Der Gott, genkönig (gegen Heinrich I.), unterwarf
der Eisen wachsen ließ“); 1848 Mitglied sich 921; von der Kirche „der Böse“ ge-
der Frankfurter Nationalversammlung. nannt, da er Kirchengüter einzog.
Arnim, 1) A., Hans Georg (auch Arn- Arpad, erster Großfürst der vereinigten
heim), General im 30-jährigen Krieg, magyar. Stämme (um 890–907); begrün-
1581–1641; zuerst in schwed., seit 1626 in dete die Dynastie der Arpaden, die bis
kaiserlichen, seit 1631 in sächs. Diensten, 1301 in Ungarn herrschte, seit 1001 als
der bedeutendste protestant. Gegenspieler Könige.
Wallensteins auf kaiserlicher Seite. 2) A., Arras, Hauptstadt des Artois, einst Haupt­
Harry von, dt. Diplomat, 1824–1881; ort des keltischen Stammes der Atrebaten,
trieb als Botschafter in Paris (1872–1874) 451 an den Hunnen, 800 von Norman-
selbständig Politik zur Wiederherstellung nen zerstört; kam später zusammen mit
der frz. Monarchie, wurde daher von Bis- der Freigrafschaft Artois zu Burgund und
marck nach Konstantinopel versetzt, als- wurde Residenz der Herzöge; 1435 Frie-
bald im Ruhestand; wegen bismarckfeind- densschluss von A. zwischen Karl VII.
licher Publizistik (unter Verwertung amt- von Frankreich und Philipp dem Guten
licher Aktenstücke der Pariser Botschaft) von Burgund; 1493 fiel A. an das (öster-
auf Veranlassung Bismarcks strafrechtlich reichische) Haus Habsburg; der Vertrag
verfolgt; starb in Nizza. von A. 1579 leitete die endgültige Teilung

62
ASEAN

der Niederlande ein; 1659 von Franzosen Artus (kelt. Arthur), sagenhafter Heerfüh-
eingenommen, unter Ludwig XIV. von rer der Briten, Herrscherideal im MA, ver-
Vauban zur Festung ausgebaut; in beiden herrlicht in der A.-Sage; im Kampf gegen
Weltkriegen hart umkämpft. die Sachsen um 500 n. Chr., Mittelpunkt
Arrianus, Nikodemus (röm. Name Fla- eines Kreises heldenhafter Ritter (A.-Tafel-
vius), aus Bithymen, um 100–180 n. Chr., runde); das MA glaubte an seine siegreiche
griech, Geograf und Historiker; röm. Prä- Wiederkehr.
fekt von Kappadokien, Schüler des Stoi- Arya, ↑ Arier.
kers Epiktet; schrieb die Geschichte des Asarhaddon, König von Assyrien (681–
Perserzugs Alexanders d. Gr. („Anabasis“). 669 v. Chr.); Sohn des Sanherib, baute Ba-
Arsakiden, Herrschergeschlecht der Par- bylon wieder auf; Assyrien erreichte größte
ther, 247 v. Chr. bis 226 n. Chr., von Ar- Ausdehnung. A. eroberte 671 Ägypten bis
sakes abstammend, der die Seleukiden- Theben. Kämpfe gegen die einbrechenden
herrschaft abgeschüttelt hatte; von den ↑ Kimmerier.
Sassaniden gestürzt. Aschanti-Reich, afrikan. Reich unter
Artaxerxes (Artachschatra), pers. Groß- Gottkönigen im heutigen Ghana; die A.
könige: 1) A. I. Makrocheir (464– wohl von N eingewandert; gründeten um
424 v. Chr.); kämpfte gegen Aufstände in 1650 Staatenbund; um 1700 militär.-des-
Baktrien und Ägypten; Friede mit Athen pot. „Reich des Goldenen Stuhles“, be-
449 v. Chr. 2) A. II. Mnemon (404– herrschte westafrikan. Goldhandel (Gold-
358 v. Chr.); siegte 401 bei Kunaxa über minen von Oluasi); berühmte Goldar-
seinen von den Griechen unterstützten beiten; im 19. Jh. von den Engländern in
Bruder Kyros, 374 vergeblicher Vorstoß wechselvollen, blutigen Feldzügen unter-
gegen Ägypten; 387 „Königsfriede“ mit worfen; 1874 Eroberung ihrer Hauptstadt
Sparta (Rückgewinnung Kleinasiens). Kumasi.
3) A. III. Ochos (358–338 v. Chr.); unter- Aschkenasim, im A. T. Mitglieder einer
warf 343 die aufständ. Ägypter; vergiftet. Völkerschaft im N Palästinas; der Begriff
Artefakt (aus lat. ars = Kunst und facere = wurde übertragen auf die mittel- und ost-
machen), in der Vorgeschichtsforschung europ. Juden, die Jiddisch als Umgangs-
ein Gegenstand, der seine Form durch sprache haben (Gegensatz ↑ Sephardim,
menschliche Hand erfuhr. die Juden der iber. Halbinsel).
Artevelde, 1) A., Jakob van, Tuchhändler Aschoka, König des ind. Maurya-Reiches
aus Gent, 1338 Führer der rebell. flandr. (Nachfolgestaat aus dem Erbe Alexanders
Städte gegen die frz. Krone und die Gra- d. Gr.), größter ind. Herrscher (272 bis
fen von Flandern, 1345 ermordet. 2) A., 231 v. Chr.); erweiterte in blutigen Feldzü-
Philipp van, Sohn von 1), seit 1381 an der gen das Reich fast über ganz Indien und
Spitze der Genter Bürgerschaft, fiel 1382 Afghanistan; nach seiner Bekehrung zum
in der Schlacht von Roosebeke gegen ein Buddhismus Förderer der buddhist. bzw.
frz. Ritterheer. ethischen Mission in Ceylon, Griechen-
Artillerie, ↑ Geschütz. land, Ägypten („Apostelkönig“); errich-
Artois, Landschaft in Nordfrankreich, tete Hospitäler für Menschen und Tiere,
das südl. Flandern, ehemals Land der forderte Nächstenliebe und Toleranz (eth.
Atrebaten, im 5. Jh. von den Franken er- Leitsätze auf Felswände und Säulen gemei-
obert; 1180 zur frz. Krone, 1297 Herzog- ßelt); nach außen Friedenspolitik (↑ In-
tum, 1384 zu Burgund, 1493–1659 beim dien).
Hause Habsburg, dann wieder an Frank- ASEAN, Abk. für engl. Association of
reich abgetreten. South-East Asian Nations, 1967 gegrün-

63
Asien

dete regionale Organisation zur Förderung del Roms reichte bis Indien und China,
der wirtschaftlichen und politischen Zu- doch blieb Inner-A. selbst dem röm. Vor-
sammenarbeit. Gründerstaaten sind In- dringen durch die pers. Großmacht ver-
donesien, Malaysia, die Philippinen, Thai- schlossen; noch Ptolemäus war Zentral-A.
land und Singapur. Folgende Länder tra- unbekannt. Im MA erschlossen sich die
ten in die Organisation ein: 1984 Brunei, Araber in S- und O-A. zahlreiche ­Märkte.
1995 Vietnam, 1997 Myanmar und Laos, Im 13. Jh. verhandelten westl. Gesandt-
1999 Kambodscha. Die Bedeutung von schaften in der Mongolenresidenz im In-
ASEAN liegt in der gemeinsamen Abstim- nern der Mongolei. 1271–1295 reis­te der
mung von Handels-, Außen- und Sicher- Venezianer ↑ Marco Polo im Auftrag des
heitspolitik sowie in gemeinsamen Maß- Papstes und aus Handelsinteresse durch
nahmen zum regionalen Konfliktmanage- die Mongolei, China und Bengalen.
ment. Der 1994 gegründeten Asiatischen 1325–1349 kam der Araber ↑ Ibn Batuta
Freihandelszone (Asean Free Trade Area, nach China und Indien. 1498 umsegelte
AFTA) gehören alle zehn Mitgliedsstaaten der Portugiese ↑ Vasco da Gama Afrika
der ASEAN an. 2002 trat das Freihandels- und entdeckte den Seeweg nach Ostin-
abkommen der ASEAN in Kraft. dien; damit begann eine neue Epoche der
Asien, der gewaltige Festlandblock vom geogr. Erschließung Asiens, bes. durch die
Fernen Osten bis zum Stillen Ozean, im Portugiesen. 1521 fuhr ↑ Magellan auf
Westen auslaufend in die große Halbinsel dem Weg um die Welt zu den Philippi-
Europa (aus der Einheit Asien-Europa ab- nen; Gracia Henriques nahm 1525 Cele-
geleitet der Begriff „Eurasien“); historisch bes, Vasco Laurez 1526 Borneo. Um 1542
werden indes Asien und Europa auseinan- Eindringen der Europäer in Japan. 1571
der gehalten. Die Griechen der Frühzeit besiedelten die Spanier die Philippinen.
bezeichneten mit A. alle barbar. Länder, Seit 1580 begann das russ. Vordringen der
die nicht zu Europa zählen, einschließlich Kosaken ↑ Jermaks nach Sibirien, die Lena
Libyens (Afrika); A. zunächst der Name wurde 1628, der Amur und das Ochots-
für die von Ioniern gegründeten Kolonien kische Meer 1640 erreicht. 1600 schickte
der Westküste Kleinasiens. Hauptquellen die engl. Königin Elisabeth eine Expedi-
für die geschichtliche Frühzeit Hekataios tion nach Indien. Bis 1660 setzten sich
von Milet um 500 v. Chr. und Herodot die Holländer im Inselarchipel von Java,
um 450 v. Chr. Um 400 v. Chr. berichtete Celebes, Borneo usw. fest. 1601 begannen
Krepias, Arzt aus Knidos, der am pers. auch die Franzosen mit Ostindienfahrten.
Hof lebte, über Indien. Mit den Zügen Auf Befehl Peters d. Gr. gingen 1710–
Alexanders d. Gr. wird der Name auf alle 1716 mehrere russ. Expeditionen im Nor-
östl. gelegenen Länder übertragen. Um die den vor; ↑ Bering suchte 1725–1728 die
geogr. Erschließung Asiens verdient Ne- Küste des nördl. Sibirien und das Meer
archos durch seine Fahrt von der Indus- von Kamtschatka auf; mit der Erdumseg-
mündung zum Euphrat 325 v. Chr.; etwas lung James ↑ Cooks (1772–1775) wurden
später befuhren Seleukos Nikator und sein auch die nordöstl. Küsten Asiens erforscht.
Sohn Antiochos den Indischen Ozean und Seither hellt sich das geografische Bild des
das Kaspische Meer. In der Nach-Alexan- Erdteils rasch auf. – Asiens Menschheit ist
der-Zeit Handelsbeziehungen zw. Ägyp- bis weit in die Altsteinzeit zurückzuverfol-
ten und Indien. Die röm. Provinz Asia gen. Von China über die Mandschurei, die
umfasste das 133 v. Chr. geerbte Attaliden- Wüste Gobi, das Baikal-Gebiet, Indien,
Reich von ↑ Pergamon; dazu kamen später Iran, Zweistromland, Syrien, Palästina
Lydien, Phrygien und Rhodos. Der Han- sind zahlreiche früheiszeitliche Fundstät-

64
Assuan

ten nachgewiesen. Soweit der Kontinent Askari (arab. und türk., Soldat), die far-
nicht von der Vergletscherung betroffen bigen Soldaten in der dt. Schutztruppe in
wurde, erlebte er die Klimawechsel als Ostafrika, bewährten sich unter ↑ Lettow-
langdauernde Regen- oder Trockenzeiten. Vorbeck.
Frühe Kulturen erblühten bereits um Asklepiades, Arzt aus Prusa in Bithymen,
5 000 v. Chr. im Irak, mit Dorfsiedlungen 1. Jh. v. Chr.; brachte die griech. Medizin
und Dorfwirtschaft von Tierzüchterbau- in Rom zu großem Ansehen.
ern; um 4500 erhob sich in Palästina (Jeri- Asow, Stadt und Festung an der Mündung
cho) ein erstes Heiligtum. Hier, in Syrien, des Don ins A.sche Meer, ehemals genues.
Mesopotamien, im Irak, in Turkmenistan Besitz (ital. Name: Tana); Fernhandelszen-
ist in der Folge der Ackerbau nachweis- trum nach Indien und China. 1471–1696
bar. Um 3 000 wurden in China, Indien, und 1711–1736 türkisch, 1696–1711 und
im Zweistromland Hochkulturen sichtbar, endgültig 1739 russisch.
mit Stadtanlagen, und in Mesopotamien Aspasia, zweite Gemahlin des Perikles,
mit erstem monumentalen Tempelbau; hochgeistige Ionierin aus Milet, geb. um
erste Staaten- und Reichsbildungen. – A. 468; Ehe mit Perikles um 445, nach att.
war in der Folge Tummelplatz erobernder Recht nicht gültig (eheliche Verbindung
Steppenvölker (↑ Hunnen, Tataren, Mon- mit Ausländerin nicht anerkannt), doch
golen, Türken usw.). In A. entstanden fast zu Unrecht als Hetäre bezeichnet; im So-
alle bedeutenden Menschheitsreligionen. krateskreis hoch geachtet.
Dem europ. Imperialismus hatte A. lange Aspern und Eßling, Dörfer in der Do-
politisch. nichts entgegenzusetzen, erst nauebene nahe Wien; 1809 Sieg Erzherzog
im 20. Jh. ging eine Welle des Nationalis- Karls über Napoleon, der hier seine erste
mus auch durch alle asiat. Nationen, der Niederlage als Feldherr erlitt.
japan. Imperialismus machte sich die Pa- Asquith, Herbert Henry, brit. Staats-
role „Asien den Asiaten“ zu eigen; seit dem mann, 1852–1928; Führer der Liberalen
2. Weltkrieg erkämpften sich die größten neben Lloyd George, der ihn 1916 als Pre-
asiat. Nationen ihre Unabhängigkeit von mierminister (seit 1908) ablöste.
europ. oder amerik. Einflüssen (↑ Indien, Assassinen, polit.-religiöse Sekte der Mo-
China, Ceylon, Pakistan, Indonesien). hammedaner, während der Kreuzzugszeit
Asinius Pollio, Gajus, röm. Politiker und von Hassan (einem Perser aus Chorasan)
Schriftsteller. 76 v. Chr. bis 5 n. Chr.; unter um 1090 gegründet; bejahten den Meu-
Cäsar Offizier, dann auf Seiten des Anto- chelmord als Kampfmittel.
nius, unter Augustus Literat und Histori- Assignaten, Anweisungen auf die wäh-
ker (17 Bücher „Historiae“); gründete die rend der Frz. Revolution eingezogenen
erste öffentliche Bibliothek in Rom. geistlichen, königlichen und Emigranten-
Askalon, alte Hafenstadt Südpalästi- güter; 1790 dekretiert, urspr. verzinsliche
nas; eine der fünf Hauptstädte der Phili- Staatsobligationen, später ungedecktes
ster, 638 von den Arabern erobert, 1157 Papiergeld mit Zwangskurs, im Zuge der
von einem Kreuzfahrerheer besetzt, 1191 Geldentwertung 1797 außer Kraft gesetzt
von den Sarazenen zurückerobert und ge- (im Umlauf bis 1793: 4 Mrd. Francs, dann
schleift, 1270 zerstört. 8,3 Mrd., 1795/96 Emission von 37 Mrd.,
Askanien, alte dt. Grafschaft, benannt Wert schließlich kaum 0,5 % des Nenn-
nach einer Sachsenburg bei Aschersieben, wertes).
Stammburg der Askanier, die seit dem Assuan, Stadt in Oberägypten am Nil;
12. Jh. bis 1319 in der Mark Brandenburg Fürstengräber des Alten und Mittleren
und bis 1918 in Anhalt regierten. Reiches am W-Ufer des Nils, in der Nähe

65
Assur

Ruine des Simeonsklosters, gegr. im 7. Gründung eines assyrischen Großreiches


oder 8. Jh., im 13. Jh. verlassen. – Südl. des Tiglat Pilesar I. (1116–1077), Ausdeh-
von A. der 1902 fertiggestellte Nilstau- nung bis Syrien, Zypern und Kleinasien,
damm (1912 und 1933 ausgebaut), davor im 9. Jh. unter ↑ Assurnasirpal II. und
der neue A.hochdamm (errichtet 1960– ↑ Salmanassar III. eine 2. Blüte, auf die
70), der die Nilwasser auf einer Länge von abermals Verfall folgte. Von ↑ Tiglat Pile-
550 km staut. sar III. (746–727) bis zu Sanherib (705–
Assur, Stammesgott der Assyrer, Herr der 681) 3. Großzeit Assyriens mit der neuen
Stadt A. am oberen Tigris, die dem Lande Hauptstadt Ninive; unter ↑ Assurbanipal
den Namen gab (vorher Subarta) und zum (669–630) wurde 648 Babylon von as-
Ausgangspunkt der assyr. Reichsgründung syr. Truppen erobert; doch schwankte der
wurde; 612 von den Babyloniern zerstört auf brutaler Gewalt errichtete Reichsbau;
(↑ Assyrien). 1903–14 dt. Grabungen, ein Bündnis Babyloniens mit den Medern
u. a. Bibliothek ↑ Tiglat Pilesars I. brachte das Reich zum Einsturz, das nach
Assurbanipal, assyrischer König (669– der Zerstörung Ninives (612) 606 v. Chr.
630 v. Chr.), jüngerer Sohn Asarhaddons, zw. den Siegern geteilt wurde. Die kultu-
verlor um 655 Ägypten, vernichtete 639 relle Leistung der Assyrer beruhte nicht
das Reich von Elam; gründete die Biblio- auf eigenen Schöpfungen, sondern auf An-
thek in Ninive (Tontafeln). eignung und Sammlung; bedeutend durch
Assurnasirpal II., König von Assyrien Großbauten, von denen wenig erhalten
(884–859 v. Chr.); drang bis Phönikien ist (Assur, Kar-Tukulti-Ninurta, Ninive,
vor, verlegte die Hauptstadt in das neu- Kalach-Nimrud), und in der Reliefkunst,
gegründeten Kalach (gewaltiger Palast); bes. im Tierbild und in der Darstellung
Zwangsaussiedlungen. der Herrschertaten; die Assyrer waren das
Assyrien, hügeliges Land am mittleren Ti- grausamste Herrenvolk des Altertums (pri-
gris (Tigris ist sumer. Wort); im 4. Jt. zwei mitive Rechtsordnung), das die Zwangs-
nicht näher fassbare Kulturen: die ↑ Tall- umsiedlung ganzer Bevölkerungsgruppen
Halaf-Kultur (Symboltier Stier) und die aus polit.-militär. Gründen zuerst anwen-
Samarra-Kultur (Symboltier Widder); die dete.
Träger dieser Kulturen verschmolzen mit Astor, Johann Jakob, amerik. Großkauf-
einwandernden Semiten (wie in ↑ Akkad); mann dt. Herkunft, 1763–1848; wanderte
Mittelpunkt des neuen Völkertums war 1783 nach Amerika aus, organisierte den
↑ Assur, nach dem das Reich Assyrien ge- Pelzhandel von den Großen Seen zum Pa-
nannt wurde. Die Assyrer waren ein krie- zifik, unterhielt Handelsbeziehungen mit
ger. Volk, kulturell aber von Babylon im China und Japan, erwarb großes Vermö-
Süden abhängig (Übernahme der babylon. gen u. a. in New York mit Bodenspekula-
↑ Keilschrift). Um 2300–2150 v. Chr. ge- tion.
hörte A. zum Reich Akkad; um 2000 un- Astrologie (griech.), Sternkunde (ur-
ter der Oberherrschaft der 3. Dynastie von sprünglich Astronomie und Astrologie
Ur (assyr. König Uspia); dann (seit etwa nicht unterschieden), vor allem die angeb-
1815) vorübergehend selbständig (auch liche Fähigkeit, aus der Stellung der Ge-
über Babylon gebietend); zur Zeit des ba- stirne zukünftige Ereignisse vorauszusa-
bylon. Königs Hammurabi (um 1770) gen; bei den Babyloniern und Ägyptern in
Provinz Babyloniens; im 15. Jh. (bis um hoher Blüte, verbreitete sie sich nach Grie-
1330) in Abhängigkeit vom Reich der Mi- chenland und Rom, im 7.–13. Jh. von den
tanni. Seit der Mitte des 12. Jh. wachsende Arabern mit Eifer betrieben, im abend-
Übermacht Assyriens, um 1116 v. Chr. länd. MA auch von großen Gelehrten wie

66
Athen

Paracelsus, Cardanus, Tycho Brahe, Kepler vermählte sich mit ↑ Galla Placidia und er-
usw. geübt; erst im 17. Jh. entwickelte sich oberte Barcelona, wo er ermordet wurde.
(losgetrennt von der Astrologie) die Astro- Athen (griech. Athenai), neben Sparta der
nomie als eine empir. Wissenschaft. bedeutendste Stadtstaat (Polis) der klass.
Astronomie ↑ Astrologie. griech. Antike und ihr geistiger Mittel-
Asturien, Landschaft in Nordspanien, be- punkt. Im 2. Jt. v. Chr. Unterwerfung der
nannt nach den kelt. Asturen; in der Rö- (vorindogerman.) pelasg. Urbevölkerung
merzeit Militärgebiet, von den Westgoten durch eingewanderte Ionier, die sich auf
als Restbesitz gegen die Mauren gehal- der und um die ↑ Akropolis niederließen;
ten. Ausgangspunkt der Rückeroberung in der myken. Zeit war der die Ebene bis
Spaniens („Reconquista“) für das christl. zum Meer beherrschende Burgberg (Akro-
Abendland; 722 Königreich, seit dem polis) Herrschersitz (Reste der myken.
10. Jh. ↑ León genannt, 1037 unter Fer- Mauer und des Königspalastes). Seit dem
dinand d. Gr. mit Kastilien vereinigt. 9. (oder 8.) Jh. kam es zum polit. Zusam-
Astyages, letzter König der Meder (585– menschluss der Orte auf der Halbinsel At-
550 v. Chr.), Sohn des ↑ Kyaxares; unterlag tika unter der Führung Athens (die Ge-
dem Perserkönig Kyros II. schichte der Einigung klingt nach in der
Asyl (griech.) unverletzliche Freistätte; im Sage vom „Synoikismus“ [= Vereinigung]
Altertum galten gewisse den Gottheiten des Theseus); Athen (Stadtgöttin: die
geweihte Plätze, Haine und Tempel als vielleicht aus dem kretischen Kulturkreis
Freistätten für Verfolgte, auch für Rechts- übernommene Pallas Athene) und Attika
brecher und im Krieg für die Zivilbevölke- seitdem ein polit. und kultureller Begriff.
rung; seit Konstantin d. Gr. auf Kirchen, Im 8. Jh. Übergang vom Königtum zum
Klöster, christl. Hospitäler übertragen; in Adelsstaat (Archontat mit jährlich gewähl-
moderner Zeit für polit. und religiös Ver- ten ↑ Archonten), die Archontenliste be-
folgte in fremden Staaten. ginnt 683. Um 624 wurde das geltende
Atahualpa, letzter König der Inkas, von Recht von ↑ Drakon aufgezeichnet. Um
den Spaniern unter Pizarro 1533 trotz 594/93 Reformen ↑ Solons zugunsten des
Zahlung von Lösegeld ermordet. Volkes (Seisachtheia = Lastenabschütte-
Ataman, russ. Bez. für den frei gewählten, lung). 561 Beginn der Alleinherrschaft der
mit militär. und ziviler Befehlsgewalt aus- ↑ Peisistratiden; 510 Sturz der Tyrannis,
gestatteten Führer der Kosaken, entspre- Übergang zur Demokratie, 508/07 demo-
chend dem ukrain.-poln. ↑ Hetman. kratische Reformen (↑ Kleisthenes); polit.,
Atatürk, ↑ Kemal Atatürk. wirtschaftliche und kulturelle Blüte: A. als
Athanasius, Kirchenvater, um 295– Seemacht, Stadt des Handels, der Künste
373 n. Chr.; seit 328 Bischof von Ale- und Wissenschaften, mit demokrat. Ver-
xandria, Hauptgegner des ↑ Arianismus, fassung – Gegenpol zur konservativen, auf
trat statt für die (nur) gottähnliche für Königtum und Kriegeradel beruhenden
die gottgleiche Natur Christi ein; in die- Landmacht Sparta. Im Entscheidungs-
ser Auseinandersetzung fünfmal verbannt, kampf gegen Persien 500–479 v. Chr. trug
seine Auffassung wurde zur herrschenden Athen die Hauptlast des Kampfes (493
Lehrmeinung; A. deshalb „Vater der Or- Verteidigungsprogramm des ↑ Themisto-
thodoxie“ genannt, Vertreter des mönch. kles: Flottenbau, Befestigung von Piräus),
Ideals („Leben des Antonius“). Rivale ↑ Miltiades; Sieg des Miltiades bei
Athaulf, König der Westgoten (410– Marathon über die Perser (490); Höhe-
415 n. Chr.); Schwager und Nachfolger und Wendepunkt des Perserkrieges (480):
Alarichs, führte sein Volk nach Südgallien, Einbruch der Perser in Attika. Verwüstung

67
Äthiopien

des Landes und Zerstörung A.s und der Äthiopien, demokrat. Rep. in NO-Afrika,
Akropolis; Seesieg des Themistokles bei amtlich Mongasta Itiopia, arabisch Habe-
Salamis über die pers. Flotte; 476 griech. scha, im NO des afrikanischen Erdteils.
Sieg (Pausanias) bei Platää, die Perserge- Urbevölkerung Hauriten und Negride,
fahr dadurch beseitigt. Seit Gründung des um 650 v. Chr. an den Küsten griech. Ko-
1. Attischen Seebundes (477–404) wach- lonisten, um Christi Geburt gründeten S-
sende Feindschaft der schwächeren Staa- Araber im Innern das Reich von Aksum,
ten gegen das erstarkende Athen, Erfolge das den Indienhandel aufnahm und Obe-
↑ Kimons gegen die Perser; 449 v. Chr. lisken und andere Großbauten hinterließ;
Seesieg der Athener beim zypr. ↑ Salamis: nach 330 n. Chr. Christianisierung von
Niederlage Athens gegen die Böotier bei Alexandria aus, Blüte der Kultur, zeitweise
↑ Koroneia (447). Seit 445 klass. Epoche Herrschaft über Südarabien (5.–7. Jh.).
des Perikleischen Zeitalters (Ausbau der Vom 10. Jh. bis 1268 starke jüdische Ein-
langen Mauern und der Akropolis, ↑ Pe- wanderung, dann wieder Übergewicht der
rikles); totale Niederlage Athens im ↑ Pe- monophysitischen (kopt.) Christen. Um
loponnes. Krieg (431–404 v. Chr.); die von 1290 wurde unter dem Druck der Ara-
Sparta eingesetzte „Herrschaft der Drei- ber die alte Hauptstadt Aksum (früherer
ßig“ 403 v. Chr. von den Demokraten ge- Name des Königreichs: Abessinien) auf-
stürzt; der nochmalige Kampf um außen- gegeben und die Residenz nach Gon-
polit. Vormacht erfolglos (355 v. Chr. Auf- dar verlegt. Aksum blieb Krönungsstadt.
lösung des 2. Attischen Seebundes). Kultu- Nur vereinzelte Berührung mit der Welt:
relle Bedeutung unter makedonischer und 1496 wurde der portug. Reisende Pedro
(seit 86 v. Chr.) römischer Herrschaft noch de Covilhão in Gondar von den Amha-
bewahrt (Rhetoren- und Philosophen- ras zum Bleiben gezwungen, grundsätz-
schulen); 87 v. Chr. Verwüstung durch lich ließ man Fremde aus ängstlicher Vor-
Sulla; neue Blüte unter Kaiser Hadrian sicht nicht mehr abreisen. Auch die 1541
(Tempelbau, Akademie); Eroberung durch dem Kaiser Lebna Dengel gegen den Islam
die Goten (267 und 395); Christianisie- zu Hilfe gekommenen Portugiesen unter
rung ließ die heidn. Bildungsstätten ver- Führung von Christoph da Gama, dem
öden (529 n. Chr. Schließung der Akade- Bruder des Vasco d. G., mussten schließ-
mie durch den byzantin. Kaiser Justinian). lich im Lande bleiben. Neben den Ara-
Im MA bedeutungslos; 1205 errichteten bern machten die heidnischen Galla dem
Kreuzfahrer das Herzogtum Athen (Attika Reich zu schaffen. Danach wachsende
und Böotien umfassend), das bis zur Er­ Übermacht der Stammesfürsten (Ras) ge-
oberung durch die Türken (1456) bestand; genüber dem zum Schattendasein herab-
A. erhielt in türk. Zeit den Namen Setine sinkenden Kaisertum. 1850 stellte Ras
(2 000 Einwohner); 1687 von den Venezia­ Kasa von Gondar als Kaiser (Negus Nege-
nern belagert (Zerstörung des Parthenon sti) Theodorus II. die Kaisermacht wieder
durch Explosion); 1788 wieder türkisch, her, unterlag aber 1868 gegen brit. Trup-
neuer Befestigungsring; Anfang 19. Jh. pen und beging Selbstmord. Erfolgreiche
hatte Athen 10 000 Einwohner; erneute Kämpfe gegen Ägypten (1875–1879) und
Zerstörung der Stadt im griechischen Be- die Italiener, die 1896 vom Negus Mene-
freiungskampf (1826/27), 1834 Haupt- lik II. (1889–1913) bei Adua geschlagen
stadt des neugegründeten griechischen Kö- wurden. Im Frieden von Addis Abeba ver-
nigreichs und bauliche Erneuerung durch lor Italien die Schutzherrschaft über Ä., es
den Wittelsbacher Otto I., Sohn König behielt nur den Hafen Massaua; Haupt-
Ludwigs I. von Bayern (↑ Griechenland). stadt seit 1893 Addis Abeba. 1923 trat Ä.

68
Ätolischer Bund

in den Völkerbund ein. Haile Selassie I. 1926 Anerkennung der Selbstverwaltung


(seit 1930 Negus Negesti, Kaiser) führte durch die griech. Regierung, 1927 Be-
Reformen durch und erließ eine Verfas- stätigung der alten Verfassung: Rat aus
sung (1931). 1935 begann Mussolini mit vier gewählten Mönchen und 20-köpfige
der Eroberung des Landes. Der König von Mönchsvertretung. Reich an byzantin.
Italien nahm 1936 den Titel „Kaiser von Kulturgut.
Äthiopien“ an; der Negus floh nach Eng- Atlantik-Charta, zw. Churchill und Roose-
land. Im 2. Weltkrieg wurden die Italie- velt am 11. 8. 1941 auf einem Schlacht-
ner durch die Engländer vertrieben. Kai- schiff im Atlantik vereinbart und am 14. 8.
ser Haile Selassie kehrte 1941 zurück, verkündet; sie proklamierte: keine territo-
seitdem Ä. wieder selbständig durch Be- riale Vergrößerung; freie Entscheidung
schluss der UNO (1950); Angliederung der Bevölkerung bei Gebietsveränderung;
↑ Eritreas als föderativer Staat (1952); freie Wahl der Regierungsform; freier Zu-
1955 neue Verfassung, Beseitigung der gang zu den Rohstoffen für alle Völker;
Adelsvorrechte, Einrichtung eines Kron- soziale Hebung der Massen; Friede in Si-
rats, Kabinetts und Parlaments (Senat cherheit, frei von Not und Furcht; freier
mit berufenen Mitgliedern und gewähltes Zugang zu den Meeren. Ziel: Verzicht auf
Abgeordnetenhaus); äthiop.-eritreischer Anwendung von Gewalt. Auf der Grund-
Reichsrat. 1974 Putsch der äthiop. Streit- lage der A. wurden die Vereinten Natio-
kräfte mit dem Ziel der Abschaffung der nen (UN) gegründet; der Erklärung traten
feudalist. Struktur; Absetzung des Kaisers. nachträglich die UdSSR und 24 andere
1975 offizielle Abschaffung der Monar- Staaten bei.
chie, seitdem Machtausübung durch sozi- Atlantis, sagenhafter Kontinent, der in
alist. Militärregierung, Verstaatlichungen vorgeschichtlicher Zeit Teile des heutigen
und Landreform. Unruhen in ↑ Eritrea Atlantiks eingenommen haben soll; in ver-
führten zum Bürgerkrieg. Das Staatsober- lorengegangenen Schriften der ägypt. Pries­
haupt (seit 1977) Mengistu Haile Mariam terschaft und Solons erwähnt, von Platon
wurde 1987 erstmals durch Wahl bestä- in den Dialogen „Kritias“ und „Timaios“
tigt. Ein Militärputsch gegen sein Regime überliefert, aber bereits von Strabon und
1989 scheiterte, 1991 wurde er schließlich Plinius d. Ä. bezweifelt; seither viele The-
gestürzt. Übergangsregierung unter Meles orien über A.; man vermutet, die A.-Sage
Zenawi, Ende des Bürgerkrieges, interna- gründe sich auf Erinnerung an eine vorge-
tionale Hilfe zum Wiederaufbau. 1993 schichtliche Flutkatastrophe, eine unterge-
erklärte ↑ Eritrea seine Unabhängigkeit. gangene Stadtkultur an den südspan. oder
1994 neue Verfassung (Demokratische afrikan. Küsten oder auch vulkan. Ereig-
Bundesrepublik Ä.), 1995 Negasso Gi- nisse am geogr. Ort der Kanarischen In-
dada neuer Staatspräsident, Meles Zenawi seln oder auf Erzählungen ägypt. und phö-
Ministerpräsident, 1998–2000 bewaffnete nik. Seefahrer, die durch Stürme an ame-
Auseinandersetzung mit Eritrea wegen rik. Küsten verschlagen worden seien.
Grenzverlauf, 2001 Girma Golde Giorgis Atlantische Wirtschaftsgemeinschaft,
neuer Präsident. ↑ Organisation für wirtschaftliche Zusam-
Athos (Hagion Oros = Heiliger Berg), Vor- menarbeit (OECD).
gebirge der Halbinsel Chalkidike; seit dem Ätolischer Bund, Bund der Stämme Äto-
8. Jh. n. Chr. ist der A. von griech.-ortho- liens (↑ Achäischer Bund), der seit etwa
doxen Mönchen besiedelt, eine Mönchs- 320 v. Chr. große Teile Mittel- und Nord-
republik von 20 Klöstern, der auch die griechenlands umfasste; 189 v. Chr. von
Türken (seit 1430) ihre Freiheit beließen; den Römern aufgelöst.

69
Atomzeitalter

Atomzeitalter, Selbstbez. unserer Zeit: ei- Fermi und zur ungezähmten zerstörer.
nerseits unter dem Eindruck der Freiset- Kettenreaktion in der Atombombe; erste
zung der im Atomkern schlummernden Explosion am 16. Juli 1945 in Neu-Me-
gewaltigen, friedlich verwendbaren Ener­ xiko, erster Kriegseinsatz am 6. August
gien („Das zweite große Abenteuer des 1945 über Hiroschima und am 9. August
Menschen seit dem Raub des Feuers durch 1945 über Nagasaki. Seitdem trat die um-
Prometheus“), andererseits unter dem stürzende Bedeutung der Atomkraft in das
Eindruck der machtpolitisch entschei- Bewusstsein der Menschheit; planmäßiges
dend gewordenen, Geschichte machenden Bemühen um friedliche Verwertung der
Atombombenherstellung (Atommächte: neuen Energie (Atomreaktoren, Atomkraft­
USA, UdSSR, England, Frankreich, In- werke, Atommotoren, Teilchenbeschleuni-
dien, China). Der Begriff Atom (nicht ger, Ausnutzung der seit 1917 bzw. 1910
mehr teilbares Teilchen) stammt von dem bekannten und in Atomreaktoren gewinn-
griech. Philosophen Leukippos von Milet baren Isotopen); andererseits Weiterent-
(5. Jh. v. Chr.), dem Lehrer des Demokrit wicklung der Atomwaffen (1953 erste
(461–371 v. Chr.), des Schöpfers der ers­ Atomenergie durch Kernverschmelzung
ten philosoph. Atomlehre: Das Seiende in der durch eine Spaltungsbombe gezün-
ist nicht ein stetiges Ganzes, sondern es deten Wasserstoffbombe, Ausbau von Trä-
besteht aus Verknotungen, Einheiten, die gerwaffen: Flugzeuge, Raketen, Kanonen,
unveränderlich und atomar, d. h. nicht U-Boote); fortgesetzte Bemühungen zur
weiter teilbar sind und deren verschiedene Beendigung des Wettrüstens und zur Ver-
Gestalt, Lage und Anordnung im Raum hütung einer globalen Katastrophe durch
die Verschiedenheit der Dinge in der Welt wirksame Kontrolle der Verwendung der
erklärt. Diese Theorie blieb in der Antike Atomenergie in allen Ländern. 1968 un-
eine unter vielen zur Erklärung des Sei- terzeichneten die drei Atommächte USA,
enden, wurde später vergessen und erst in Großbritannien und die UdSSR einen
der Renaissance wieder bekannt; Erneue- „Vertrag über die Nichtverbreitung von
rer der Atomlehre Demokrits war Pierre Kernwaffen“ (Atomwaffensperrvertrag).
Gassendi (1592–1635). – Die neuzeitliche 40 weitere Staaten schlossen sich dem Ver-
Atomphysik geht jedoch nicht von philo- trag an, die Atommächte Frankreich, In-
soph. Erörterungen aus, sondern erwächst dien und China unterzeichneten nicht.
zunächst aus der chem. Forschung (↑ Che- Ende 1987 INF-Abkommen zw. den USA
mie), die die moderne Atomvorstellung all- und der Sowjetunion über Verschrottung
mählich entwickelte, ohne dass das Wesen sämtlicher landgestützter atomarer Mittel-
des Atoms bis heute erfasst werden kann. streckenraketen (ca. 2 700 Sprengköpfe =
– 1938 gelang O. Hahn und F. Straß- rd. 5 % des weltweiten Atomwaffenpoten-
mann durch Neutronenstrahlenbeschuss tials), (vgl. ↑ Abrüstungskonferenzen).
die Spaltung und der Zerfall von Urana- Aton, altägypt. Bez. der Sonnenscheibe,
tomkernen; die Möglichkeit der Ketten- von ↑ Echnaton religiös interpretiert und
reaktion durch Neutronenbeschuss des als alleiniger, von ihm monotheistisch ver-
Uran­isotops 235 erkannten 1939 F. Joliot, ehrter Gott verkündigt.
L. Kowarski und H. von Halban; im selben Attalos, Könige von Pergamon: 1) A. I.
Jahr errechnete O. Frisch die riesigen bei Soter (241–197 v. Chr.); nahm als erster
solchen Kettenreaktionen freiwerdenden Attalide den Königstitel an, eroberte im
Kernenergien. Die weitere Entwicklung Kampf mit den Seleukiden das westliche
führte 1942 zur Zähmung der Kettenreak­ Kleinasien, gründete die Bibliothek von
tion im ersten Uran-Atomreaktor durch Pergamon in Konkurrenz mit Alexandria.

70
Aufklärung

2) A. II. Philadelphos (159–138 v. Chr.); Auer von Welsbach, Karl Ritter von, ös-
Sohn von 1), trug zum Ausbau der Akro- terr. Chemiker und Techniker, 1858–1929;
polis von Athen bei (Zeusaltar). 3) A. III. erfand das Gasglühlicht (A.-Licht) und die
Philometor (138–133 v. Chr.); setzte die Osmiumglühlampe (Metallfaden).
Römer als Erben seines Reiches ein; Ende Auersperg, Anton Alexander Graf von,
des Reiches von ↑ Pergamon. österr. Dichter (Pseudonym: Anastasius
Atticus, Titus Pomponius, gelehrter Rö- Grün), 1806–1876; polit. Tendenzlyrik
mer, 109–32 v. Chr.; Freund des Cicero gegen das System Metternich.
und Verfasser histor. Schriften, betätigte Auerstedt, Dorf in Thüringen; Niederlage
sich auch verlegerisch. der Preußen gegen die Franzosen 1806
Attika, Landschaft und Halbinsel an der (Doppelschlacht von Jena und A.).
mittleren Ostküste Griechenlands mit Auerswald, 1) A., Hans Jakob von,
Athen als Hauptort, von Ioniern besiedelt; Oberpräsident von Ost- und Westpreu-
um 1000 v. Chr. Einheitsstaat; Städte au- ßen, wohlwollend gegenüber den Stein-
ßer Athen: Piräus, Eleusis, Thorikos, Brau- Hardenbergschen Reformen, 1757–1833;
tun, Rhamnus (↑ Athen, Griechenland). berief 1813 auf Drängen von Steins ohne
Attila (Etzel oder Godegisel), König der königliche Genehmigung den Ostpreu-
Hunnen um 433–453 n. Chr.; Reichs- ßischen Landtag ein, der die dt. Erhebung
bildung zwischen Kaukasus und Rhein gegen Napoleon einleitete. 2) A., Hans
mit Ungarn als Mittelpunkt; 450 Einfall Adolf, Sohn von 1), preuß. General 1792–
in Gallien; 451 auf den Katalaunischen 1848; als Mitglied (der Rechten) in der
Fel­dern von ↑ Aetius besiegt, drang Frankfurter Nationalversammlung, beim
452 n. Chr. in Italien ein; sein Großreich September-Volksaufstand zusammen mit
zerfiel nach seinem Tode. Grabstätte ver- Felix ↑ Lichnowsky ermordet.
mutlich im Flussbett der Theiß. Aufklärung, eine von Westeuropa ausge-
Attischer Seebund, 1. A. S.: 477 v. Chr. hende, mit ihren Wurzeln in die Renais-
von Athen gegen die Perser gegründeter sance und den Humanismus zurückrei-
und von ihm beherrschter Seebund mit chende, sich insbesondere aus dem neuen
den Ionischen Inseln und den Kolonien naturwiss.-mathemat. Weltbild des 17. Jh.
Kleinasiens; löste sich gegen Ende des Pe- (Descartes, Newton) entwickelnde geistige
loponnesischen Krieges (404 v. Chr.) auf; Bewegung zur Durchsetzung allgemeiner
der 378 v. Chr. gegen Sparta gegründete Grundsätze der Vernunft (Rationalismus)
2. A. S. zerfiel um 355 infolge der Erobe- innerhalb der menschlichen Gesellschaft
rungen Philipps II. von Makedonien. (↑ Naturrecht); nach Kant der „Ausgang
Attlee, Clement (seit 1951 Earl A.), brit. des Menschen aus selbstverschuldeter Un-
Staatsmann, 1883–1967; seit 1935 Füh- mündigkeit“; seit der Mitte des 17. Jh. bis
rer der Labour-Partei, löste 1945 Chur- ins 19. Jh. hinein von großem Einfluss auf
chill als Premierminister ab (bis 1951); das polit. Denken und die Literatur. Die
versuchte die Durchführung eines Sozia- A. verfocht besonders den Gedanken re-
lisierungsprogramms; 1951–1955 wieder ligiöser Toleranz sowie der Freiheit des
Führer der Opposition. Geistes; Revolution der unabhängigen,
Aubigné, Theodore Agrippa Chevalier d’, selbstgewissen Vernunft gegen die histo-
frz. Politiker, Soldat und Dichter, 1552– risch überkommenen Autoritäten (weltan-
1630; Hugenotte, Freund Heinrichs IV., schaulich die Kirche, politisch das ↑ An-
Verfasser einer allgemeinen Geschichte cien régime), ihre Grundsätze wollte sie
seiner Zeit; wichtig als Geschichtsquelle nicht an die nationalen Grenzen gebun-
auch seine Memoiren. den sehen, Wegbereiterin der Frz. Revo-

71
Augereau

lution und der Demokratie in Europa. Augsburger Interim, Bez. für das Reichs-
Vorher Einfluss auf Staats- und Gesell- gesetz von 1548; vorläufige Lösung der
schaftsordnung durch die Umwandlung Religionsfrage im Dt. Reich nach dem
des uneingeschränkten Absolutismus „von Schmalkald. Krieg auf dem sog. „gehar-
Gottes Gnaden“ in den „Aufgeklärten Ab- nischten“ Reichstag zu Augsburg, mit ei-
solutismus“, der nach den Prinzipien der nigen Zugeständnissen an die protestant.
Vernunft und der Toleranz zum Wohle der Stände (Laienkelch, Priesterehe); konnte
Untertanen regierte („Nichts durch das nur z. T. durchgeführt werden.
Volk, alles für das Volk“); Hauptvertre- Augsburger Religionsfriede, Reichstags-
ter: Friedrich d. Gr., Joseph II. Als philo- abschied von 1555, besiegelte die Glau-
soph. Richtung ist die A. gekennzeichnet bensspaltung in Deutschland: Anerken-
durch die Begriffe Empirismus und Ratio­ nung der Luther. ↑ Augsburgischen Kon-
nalismus; ihre bed. Vertreter: Descartes, fession als gleichberechtigt neben der
Spinoza, Hobbes, Locke, Bayle, Hume, kath.; Religionsfreiheit für die Reichs-
die frz. Enzyklopädisten Diderot und stände (fürstliche und städt. Obrigkeiten)
d’Alembert, Voltaire, in Deutschland Tho- nach dem Prinzip „Cuius regio, eius reli-
masius, Wolff, Mendelssohn und Lessing. gio“ (wer herrscht, bestimmt die Konfes-
Augereau, Pierre Francois Charles, frz. sion der Untertanen) mit dem Recht des
Heerführer, 1757–1816; von Napoleon freien Abzugs für Andersgläubige; geist-
zum Marschall von Frankreich und Her- liche Fürsten sollten beim Übertritt zum
zog von Castiglione erhoben. Protestantismus Amt und Territorium
Augsburg, 15–9 v. Chr. Legionslager, un- (Gebiet) verlieren (die reichsrechtliche
ter Claudius 45 n. Chr. Stadt (Augusta Anerkennung der Gleichberechtigung der
Vindelicorum), Hauptstadt Rätiens; 6. Jh. reformierten (calvinist.) Stände folgte erst
Bistum, infolge günstiger Verkehrslage 1648 im Westfälischen Frieden).
(Zugang zur Alpenstraße) rasches Wachs- Augsburgische Konfession (­Confessio
tum, zur Zeit der Ungarngefahr (↑ Lech- Augustana), die entscheidende Bekennt­
feld, ↑ Ulrich, Bischof von A.) befestigter nisschrift der Lutheraner, von Melanch­
Platz. Kämpfe zwischen Stadt und Bischof; thon für den Reichstag von Augsburg
1276 Freie Reichsstadt. Nach Aufblühen ausgearbeitet, von Luther gebilligt, mehr-
der Weberei (Einfuhr ägypt. Baumwolle fach überarbeitet; 1530 Kaiser Karl V. als
über Venedig) und der großen Handels- Grundlage für eine Verständigung unter
häuser (Fugger, Welser, Hoechstetter, Gos- den Konfessionen übergeben, erläutert
senbrot) wurde A. bes. im 15. und 16. Jh. und ergänzt durch die von Melanchthon
zu einem der reichsten Märkte Deutsch- verfasste Apologie der A.
lands mit weltweiten Handelsbeziehungen Auguren, altröm. Priester, denen bei
und europ. Geldmarkt; Stadt des Huma- Staatshandlungen, in Notlagen die Erkun-
nismus, der Renaissance und des Frühba- dung des Willens der Götter oblag; zur
rocks (↑ Peutinger, Fugger, Welser). In der Deutung dienten Eingeweideschau, Vogel-
Reformationszeit Ort mehrerer Reichstage; schau, Blitzbeobachtung u. a.; politisch oft
seit 1537 lutherisch (durch die Zünfte, ge- missbraucht und später nicht mehr ernst
gen den patriz. Rat); Mitglied des Schmal- genommen.
kaldischen Bundes, von Karl V. 1546 un- August, Kurfürsten von Sachsen: 1) A. I.,
terworfen (Strafgericht über die Zünfte). 1526–1586, ab 1553 Kurfürst; sorgte für
Im 17. Jh. wirtschaftlicher und polit. Nie- Verbesserung von Kultur und Wirtschaft
dergang, 1806 zu Bayern. Wiederaufstieg und für das Wohl seiner Untertanen, da-
im Industriezeitalter. rum „Vater A.“ genannt; zur Bekämp-

72
Augustus

fung des Kryptokalvinismus regte er die 430 n. Chr.; stammte aus Tagaste (Han-
Abfassung der ↑ Konkordienformel an. delsstadt in Nordafrika), urspr. Heide
2) A. II. der Starke, 1670–1733; als Kur- (sein Vater Heide, Mutter Monika Chris­
fürst Friedrich A. I. 1697 zum König von tin), Lehrer der Beredsamkeit in Karthago
Polen gewählt, trat zur kath. Kirche über, und Mailand, hier 387 von ↑ Ambrosius
seine Großmachtpläne durchkreuzt durch bekehrt (klass. Schilderung dieser Wand-
Karl XII. (↑ Nordischer Krieg), 1706 Ver- lung in seinen „Bekenntnissen“), 395 Bi-
zicht auf Polen (im Frieden von ↑ Altran- schof von Hippo, unbestrittene oberste
städt) zugunsten ↑ Leszezynskis; seit 1709 Autorität des abendländ. Geisteslebens
(Niederlage Karls XII. von Schweden bei bis ins hohe MA hinein; sein Werk über
Poltawa) kämpfte und verhandelte A. wie- den Gottesstaat (De Civitate Dei), der am
der mit Polen, 1724 ↑ Thorner Blutbad; Ende der Zeiten über das Reich des Teufels
ließ seine Residenzen Dresden und War- triumphieren wird, diente dem Papsttum
schau nach Versailler Vorbild ausbauen, als Waffe im Kampf mit dem Kaisertum;
entfaltete 1729 als König von Polen höf. auch seine sozialethischen Gedanken von
Pracht und förderte großzügig die Kunst weitreichender Wirkung (bedingte Aner-
des Barock (Zwinger, Frauenkirche in kennung des Privateigentums, Rechtferti-
Dresden). 3) A. III., 1696–1763; im Pol- gung des Reichtums allein bei Unterstüt-
nischen Erbfolgekrieg Kandidat Russ- zung der Armen, Verkauf von Waren nur
lands; überließ die Staatsgeschäfte dem zu einem „gerechten Preis“, Zins ist Wu-
Grafen ↑ Brühl. cher). – Der theolog.-philosoph. Augusti-
Augusta, Titel röm. Kaiserinnen; seit Au- nismus, bis in die Neuzeit von Einfluss,
gustus auch Beiname von Städten, die von verneinte die Selbständigkeit der Philo-
Kaisern oder zu ihren Ehren gegründet sophie (Gegensatz zum Aristotelismus des
wurden. Thomas von Aquin) und räumte dem Ver-
Augusta, dt. Kaiserin, Königin von Preu- stand nur eine untergeordnete Rolle ein
ßen, 1811–1890; Tochter des Großher- (↑ Geschichtsphilosophie). 2) A., Apostel
zogs Karl Friedrich von Sachsen-Weimar, der Angelsachsen, Benediktiner aus Rom,
Gemahlin Wilhelms I. seit 1829; wegen 601 Bischof in Canterbury, gest. 604.
englandfreundlicher und russlandfeind- Augustulus, ↑ Romulus 2).
licher Einstellung Gegnerin Bismarcks. Augustus (lat. der Erhabene), Ehrenti-
Auguste Viktoria, letzte dt. Kaiserin, tel, den der röm. Senat dem Oktavian
1858–1921; Tochter des Herzogs Fried- 27 v. Chr. verlieh; den Titel übernahmen
rich von Schleswig-Holstein-Sonderburg- die röm. Kaiser; seit Diokletian 2 Augusti
Augustenburg, Gemahlin Wilhelms II. ab (Oberkaiser), die über 2 Cäsaren geboten.
1881. Augustus, urspr. Gajus Octavius, ers­ter
Augustenburg, eine nach Schloss A. röm. Kaiser, 63 v. Chr.–14 n. Chr.; aus
(Nordschleswig) benannte Linie des ol- dem ehemals plebej. Geschlecht der Ok-
denburg.-dän. Herrscherhauses, erhob tavier, sein Vater zuletzt Prokonsul in
1848 und 1864 Erbansprüche auf den Makedonien; nach dem Tode des Vaters
dän. Thron; von der Volksstimmung in (58 v. Chr.) von Cäsar, seinem Großonkel,
Deutschland unterstützt, durch Bismarck erzogen, später adoptiert (künftiger Name:
ausgeschaltet. Gaius Julius Caesar Octavianus) und als
Augustiner, ↑ Orden. Erbe eingesetzt; nach Cäsars Ermordung
Augustinus, 1) A., Aurelius, hl., Kir- Kampf des 19-Jährigen um das Erbe gegen
chenlehrer, größter philosoph.-theolog. Konsul Marcus ↑ Antonius, der sich das
Denker des christlichen Altertums, 354– Erbe anmaßte, mit Hilfe des Senats und

73
Aurangzeb

der Cäsarveteranen; 43 v. Chr. Sieg über im Teutoburger Wald, ↑ Varus) zwang zur
Antonius, Rückkehr mit dem Heer nach Zurückverlegung der Nordgrenze bis zum
Rom, erzwang Konsulat und versöhnte Rhein: Germanien blieb unromanisiert;
sich mit Antonius. Dreimännerherrschaft Reichsgrenzen künftig etwa Rhein, Do-
(Triumvirat) mit unbeschränkten Voll- nau, Atlantik, Sahara, Euphrat. – A. war
machten: Oktavian, Antonius, Lepidus; dreimal verheiratet: mit Claudia, Scribo-
Vernichtung der innenpolit. Gegner und nia, Livia; am 19. Aug. 14 n. Chr. starb A.
Krieg gegen Cäsarmörder (Sieg bei Phi- nach 44-jähriger Regierung mit 75 Jahren
lippi, 42 v. Chr.); Aufteilung der Reichs- in Nola; Erhebung zum Divus durch den
verwaltung in Ost (Antonius), West Senat. – Augusteisches Zeitalter war klas-
(Oktavian), Afrika (Lepidus); 36 v. Chr. sische Zeit der lat. Literatur (Virgil, Ho-
Ausschaltung des Lepidus, der im Osten raz, Tibull, Propertius, Ovid, Livius, Ne-
gegen die Parther siegreiche Antonius er- pos); unter A., der Roms Machtstellung
strebte Alleinregierung und löste Verbin- sittlich untermauern wollte (Vorbild die
dung zu Oktavian, der den Gegner bei Römertugend), wurden Gesetze gegen
Aktium (31 v. Chr.) niederwarf; Antonius Luxus und zur Familienförderung erlas-
gab sich den Tod (30 v. Chr.): Ende des sen und die z. T. verfallenen Tempel wie-
Bürgerkrieges. Oktavian, Alleinherrscher, derhergestellt oder neue errichtet (Tempel
häufte, den Schein der republikan. Tradi- des Cäsar, des Apoll, Mars Ultor, das Pan-
tion mit der tatsächlichen Amtsgewalt der theon des Agrippa); Ausbau der Stadt (aus
Monarchen verbindend, die wichtigsten dem hölzernen Rom wurde das Marmor-
Ämter auf sich (u. a. Tribun mit Vetorecht Rom): Bebauung des Marsfeldes, des Jani-
gegen alle Gesetze, Zensor mit Oberauf- culushügels, Bau des Forum Augusti, der
sicht über Senat, Pontifex Maximus mit Domus Augustana (Kaiserpalast auf dem
Unverletzlichkeit seiner Person); erhielt Palatin), des Theaters des Marcellus, der
Ehrentitel Augustus und ↑ Princeps; durch Thermen des Agrippa, des Palastes der Li-
neue Reichseinteilung sicherte A. die via auf dem Palatin, des Mausoleums des
Zentralgewalt und sich als Prokonsul die A. auf dem Marsfeld; mehrere Volkszäh-
Macht in und die Einkünfte aus 27 von lungen (28 und 8 v. Chr., 13 n. Chr.) erga-
39 Provinzen, die er durch Legaten ver- ben etwa 22 Mio. Gesamtbevölkerung; das
walten und durch Legionen sichern ließ; Reich wurde vermessen, das Straßensys­
Wahrung des Friedens (Schließung des tem ausgebaut, das Postwesen organisiert
Janustempels, Errichtung der Ara Pacis) (↑ Rom, Römisches Reich).
durch ordnende Maßnahmen in Gallien, Aurangzeb, Großmogul von Indien,
Spanien, Asia; z. T. mit Waffengewalt (bes. 1618–1707; regierte seit 1658, eroberte
gegen die Parther), Vorstoß zur Donau den Dekkan und Kabul; unterdrückte
(Provinzen Raetia u. Noricum, 15 v. Chr.); als fanatischer Moslem rücksichtslos den
um 13 v. Chr. Verlegung gallischer Legio­ Hinduismus.
nen an den Rhein (↑ Neuß); vier Feld- Aurelianus, Lucius Domitius, röm. Kai-
züge gegen Innergermanien bis zur Elbe ser (270–275 n. Chr.); gewarnt durch den
(12–9 v. Chr.; Sieg der Stiefsöhne Drusus Einfall der Alemannen, die er am Ticinus
und Tiberius); 4 n. Chr. (nach dem Tod schlug, begann er den Bau der nach ihm
seiner Enkel) Adoption des Tiberius mit benannten röm. Stadtmauern gegen die
dem Recht der Nachfolge; 6–9 n. Chr. illy- Barbareneinfälle; eroberte die verloren ge-
rischer Aufstand, niedergeschlagen durch gangenen Grenzprovinzen in O und W
Tiberius (Provinz Pannonien); der Rück- zurück (Unterwerfung des Reiches von
schlag in Germanien (9 n. Chr. Schlacht ↑ Palmyra 272/73); als neue Reichsreli-

74
Australien

gion führte er den Sonnenkult ein; in By- Außerparlamentarische Opposition, Abk.


zanz ermordet. APO, in der Bundesrepublik Deutschland
Aurignacien, vorgeschichtl. ­Kulturperiode nach 1966 Bez. für die Protestbewegung
des Jung-↑ Paläolithikums (späte Altstein- insbes. der jüngeren Generation gegen das
zeit, Zeit des Cro-Magnon-Menschen), parlamentar. Regierungssystem und die in
benannt nach dem Fundort, der Höhle ihm wirtsch., gesellschaftlich und polit.
Aurignac im frz. Dep. Haute-Garonne, herrschende soziale Gruppe. Mit neuar-
umfasste innerhalb der vierten und letzten tigen, von der student. Protestbewegung
(Würm-)Eiszeit den Zeitraum von etwa der USA übernommenen Aktionsformen
40 000 an; Werkzeuge: statt der Faustkeile („teach-in“, „go-in“ und dergl.) und be-
schmale, scharfe Klingen; ferner Kno- wussten Verstößen gegen die gesetzliche
chenwerkzeuge; Beginn der Kunst (kleine Ordnung bis hin zur Anwendung von
Rundfiguren, Felszeichnungen). Gewalt bekämpfte die APO v. a. das mili-
Auschwitz, poln. Oswiecim, größtes nat.- tär. Engagement der USA in Vietnam, die
soz. KZ und Vernichtungslager bei Kra- Manipulation der öffentlichen Meinung
kau; eingerichtet im Mai/Juli 1940 (A. I = durch die Massenmedien, bes. den Sprin-
Stammlager), erweitert schließlich im Jahr ger-Konzern, und die Verabschiedung der
1941 (A. III = Monowitz/„Lager Buna“) Notstandsgesetze. Ihre Bedeutung und
und Ende 1941/Anfang 1942 (A. II = Bir- Wirksamkeit schwand mit dem Ende der
kenau, das eigentliche Vernichtungslager). Großen Koalition 1969, ihre Mitglieder
A. hatte eine Doppelfunktion, es diente zogen sich teils aus der Politik zurück, teils
mit seinen rd. 40 Außenstellen einerseits wandten sie sich der nun zur Regierung
als Arbeitslager, zum anderen der Tötung gelangten SPD oder in den 1980er Jahren
von kranken Häftlingen, Kriegsgefange- der Partei der Grünen zu, teils linksradi-
nen, Sinti und Roma, v. a. aber von Ju- kalen Gruppen und Organisationen, ei-
den im Rahmen der sogenannten End- nige wenige auch dem Terrorismus.
lösung der Judenfrage (↑ Juden). In A., Austerity, Schlagwort für die Sparpolitik
dessen Gaskammern von Mitte 1941 bis des brit. Schatzkanzlers Cripps seit 1948.
Ende Okt. 1944 in Betrieb waren, sind Austerlitt, Stadt in der Tschechoslowakei:
über 1 Mio. Menschen getötet worden, 1805 „Dreikaiserschlacht“: Sieg Napo-
weitere 500 000 Häftlinge erlagen Folter, leons über Kaiser Franz II. von Öster-
Menschenversuchen und den Haftbedin- reich und Zar Alexander I. von Russland;
gungen (Gesamtschätzungen reichen bis Waffenstillstand führte zum Frieden von
3 Mio. Ermordete). Im Jan. 1945 erreich- ↑ Preßburg.
ten Einheiten der Roten Armee das evaku- Australien, „Südland“, schon im 13. Jh.
ierte A., wo sie noch 7 600 Überlebende auf Weltkarten als A. vermutet, doch erst
vorfanden. nach 1600 von Entdeckern gesichtet, be-
Ausgleich, österreichisch-ungarischer, rührt, vor allem von Holländern (Tasman
die 1867 durchgeführte Neuordnung der 1642–1644), deshalb Neuholland ge-
staatsrechtlichen Verhältnisses zwischen nannt; Ostküste und Gesamtumriss wur-
dem österr. und dem ungar. Teil der Habs- den erst durch James ↑ Cook 1770 be-
burger Monarchie; Ungarn erhielt eigenen kannt; 1793 erste engl. Ansiedler; 1802
Reichstag und eigenes Kabinett; gemein- Umsegelung Australiens durch ↑ Flin-
same kaiserlich-königliche (k. k.) Mini- ders. Ab 1788 Neu-Südwales brit. Sträf-
sterien des Äußeren, des Krieges und der lingskolonie als Ersatz für die verlorenen
Finanzen; Zoll- und Handelsbündnis zwi- Strafkolonien Nordamerikas (Gründung
schen beiden Reichsteilen. Sydneys); seit 1829 auch freie Kolonisie-

75
Austrasien

rung; 1840 Gründung der brit. Kronko- in Italien gegen Byzanz und das Franken-
lonie ↑ Neuseeland; 1850 Parlamente in reich; war mit der Bayerin ↑ Theodolinde
den Kolonien; Goldfunde lockten mehr vermählt.
Siedler an; Ende der Strafkolonien 1868; Autokratie (griech., Selbstherrlichkeit,
1900 Zusammenschluss der 5 selbstver- Selbstherrschaft), die unumschränkte
walteten Einzelkolonien zum Bundesstaat Herrschaft eines Monarchen, Diktators,
(Australischer Bund, Commonwealth eines Einzelnen; der Kaiser von Byzanz
of Australia) als Dominion im Rahmen und der russ. Zar führten zeitweise den Ti-
des brit. Empire; Hauptstadt Melbourne tel „Autokrat“.
(später Canberra); das Landesinnere mit Automobil (griech.-latein., „sich selbst
schwacher Urbevölkerung (auf der Stufe Bewegendes“, Selbstbeweger), erste Ver-
der Jungsteinzeit, Jäger und Sammler) suche erfolgten mit Dampfantrieb: 1771
noch wenig erschlossen; Abriegelung ge- Geschütztransportwagen des frz. Artil-
gen Gefahr asiat. Unterwanderung und lerie-Offiziers Cugnot; 1801 erste Passa-
gegen billige Arbeitskräfte aus Europa, die gierfahrt mit Dampfwagen von Trevithick;
das hohe Lohnniveau senken könnten. Ab 1821 ↑ Dampflastwagen Griffiths; 1831
1941 A. selbständiger Gliedstaat im brit. erster gewerblicher Dampfomnibus in
Commonwealth; ab 1942 Krieg gegen Ja- London (Hancock); 1864 baute der Ös-
pan; 1951 ↑ ANZUS-Pakt zw. Australien, terreicher Marcus ein A. mit Benzinmo-
Neuseeland und USA. Seit 1921 Mandat tor (bisheriges Abfallprodukt Benzin fand
über NO-Neuguinea, das 1975 zusammen Verwendung; 1874 verwendete Maybach
mit Papua als Papua-Neuguinea unabhän- Benzin im Ottogasmotor); 1875 zweites
gig wurde. Marcus-Auto; 1877 Siemens-Otto entwi-
Austrasien oder Austrien (Ostreich), der ckelten elektr. Zündung, Viertaktmotor;
östliche Teil des Frankenreiches unter den 1883 Dampfomnibus und Dampfdreirä-
Merowingern, Hauptorte Metz und Reims der in England, 1883 Benzin-Motorwa-
(Gegensatz: ↑ Neustrien). gen von Benz und Benzin-Motordreirad
Autarkie (griech., Selbstgenügsamkeit), von Daimler, ab 1888 Kraftwagenbau in
als allgemeiner ethischer Begriff erstmals vielen Ländern, meist mit Daimler- oder
bei Aristoteles; heute nur wirtschaftspoli- Benz-Lizenzen; 1890 Luftreifen beim
tisch verwendet: wirtschliche Selbstversor- Auto; 1894 erster Dieselmotor und seit-
gung eines Staates, d. h. Unabhängigkeit dem Entwicklung zum Diesel-Fahrzeug.
von jeder Einfuhr durch Produktionsstei- Ausbau der A.- und Motorrad-, der Zu-
gerung (z. B. durch Subventionen, Schutz- behör-, Elektro-, Reifen- und Treibstoff-
zölle, Einfuhrverbote usw.) oder Bedarfs- industrie.
senkung. A. bedeutet wirtsch. Nationa- Autonome Sowjetrepublik, ehem. Ver-
lismus; als Ideal stellte sie in Deutschland waltungseinheit in der UdSSR unter Be-
Fichte auf („Der geschlossene Handels- rücksichtigung des Nationalitätenmerk-
staat“), doch wurde diese theoretische For- mals mit begrenzter kultureller Autono-
derung in der Praxis nie uneingeschränkt mie und eigensprachlicher Verwaltung,
verwirklicht, wie ihr Gegenprinzip, der Schule und Presse.
Freihandel; Ansätze zum A.-Streben z. B. Autonomie (griech., Selbstgesetzgebung),
im nat.-soz. Deutschland, in der Sowjet- im polit. Bereich das Recht der Selbstver-
union, im brit. Staatenverband (Ottawa- waltung eines untergeordneten Gebietes
Verträge). (z. B. Provinz) oder Verbandes gegenüber
Authari, König der Langobarden (584– der größeren Einheit (Bund, Reich); der
590); behauptete langobardischen Besitz Streit um die A. ist so alt wie das Bestre-

76
Avignon

ben, polit. Gemeinschaften zu schaffen; Stadt am Tiber, gegenüber dem Palatinhü-


ihre klass. Verwirklichung in den antiken gel, ab Mitte des 6. Jh. v. Chr. Siedlungsge-
griech. Stadtstaaten (↑ Polis); die Groß- biet der Plebejer.
reiche der Antike dagegen waren Einheits- Aventinus, Johannes (Turmayr aus Abens-
staaten mit zentralist. Verwaltung; der berg); bayer. Humanist und Historiker,
Lebensstaat des MA war praktisch auto- 1477–1634; sein Hauptwerk „Annales
nom gegenüber dem König oder Kaiser Bojorum“, eine Darstellung der bayer. Ge-
als oberster Autorität und gewährte diese schichte, ist das erste große Geschichts-
Autonomie auch nach unten (z. B. an die werk in dt. Sprache; A. schuf auch die erste
landeigenen Städte). Diese A. wich in der bayer. Karte.
Neuzeit dem weiterreichenden, schärfer Averroës (Ibn Raschid), arab. Philosoph,
formulierten Begriff der ↑ Souveränität, Jurist und Arzt, 1126–1198 n. Chr.; lebte
völkerrechtlich wie innerstaatlich; von da in Cordoba; Kommentator des Aristoteles,
an bewegten sich die A.-Bestrebungen im der erst durch ihn im 13. Jh. dem Abend-
Rahmen des souveränen Staates; A. wurde land vermittelt wurde; Pantheist, von
das Ziel von Landes- oder Reichsteilen, nachhaltigem Einfluss auf das abendländ.
die auf Grund kultureller, sprachlicher Denken; seine Lehre von der „doppelten
oder historisch bedingter Eigenheiten eine Wahrheit“ (ratio et fides: Vernunft und
Sonderstellung im größeren Verband ver- Glaube), als Averroismus bezeichnet und
langten. Als Staatsprinzip setzte sich die A. weit verbreitet, wurde von der kath. Kir-
z. B. in der Schweizer Eidgenossenschaft che verworfen; sein medizin. Hauptwerk
durch (Kantone); heftig umstritten war wurde über das MA hinaus von abend-
sie bei Aufkommen des nationalen Ge- länd. Ärzten zu Rate gezogen.
dankens in den Vielvölkerreichen des Os- Avesta, in altiran. Sprache aufgezeich-
tens: Österreich-Ungarn, Russland und nete Schrift des Parsimus, entstanden zur
Türkei; der A.-Gedanke wirkte in diesen Zeit der Sassaniden (226–661); enthält hl.
Reichen als Sprengmittel, weil die meisten Schriften, die z. T. auf Verkündigungen des
nationalen Minderheiten mehr als z. B. Propheten Zarathustra zurückgehen. Erste
bloße Kultur-A. (eigene Schulen usw.) an- europ. Übersetzung 1771 durch den frz.
strebten und die A. als Vorstufe zur natio- Orientalisten A. H. Anquetil-Duperron.
nalen Unabhängigkeit betrachteten. Ähn- Avicenna (Ibn Sina), arab. Philosoph und
lich wirkten der nationale A.-Gedanke in Arzt aus Buchara, 980–1037; Schöpfer ei-
den Nachfolgestaaten Österreich-Ungarns ner philosoph.-theolog. Enzyklopädie, in
(Tschechoslowakei, Jugoslawien usw.) und der er den Islam mit der griech. Philoso-
die A.-Bestrebungen der farbigen Völker phie bekannt machte und auch auf christl.
in den europ. Kolonialreichen; anderer- Denker einwirkte; „Fürst der Ärzte“ ge-
seits gibt es Beispiele für eine A., die den nannt, dessen das gesamte medizin. Wissen
Zusammenhalt des Ganzen stärkt. der Antike zusammenfassender „Kanon der
Auvergne, Landschaft im SO Frank- Medizin“ an europ. Universitäten bis ins
reichs, benannt nach den kelt. Avernern, 17. Jh. hinein als Standardwerk galt.
seit Cäsar Teil der Provinz Aquitanien, 475 Avignon, frz. Stadt an der Rhone; phönik.
westgotisch, 507 fränkisch, im MA Graf- Siedlung, griech. Kolonie, zur Römer-
schaft, 1210 größtenteils zur frz. Krone, zeit Avennio, 730–737 durch wiederholte
1416–1623 Herzogtum beim Haus Bour- Araberangriffe zerstört, gehörte zum Bur-
bon, dann mit der Krone vereinigt. gund. Reich, kam dann zur Herrschaft der
Aventin (Mons Aventinus), einer der sie- Grafen von Provence, 1290 an Karl von
ben Haupthügel Roms, im Süden der Anjou-Neapel; 1309–1376 Exilsitz der

77
Awaren

Päpste, die A. 1348 von der Anjou-Köni- ten und den des Verteidigungsministers
gin Johanna von Neapel erwarben; danach ein; nach bürgerkriegsähnlichen Unruhen
zum Kirchenstaat, 1303–1791 päpstliche seit Ende 1968 Rücktritt als Staatspräsi-
Universität; 1797 Frankreich einverleibt. dent 1969.
Awaren, tatar. Reitervolk, das z. Z. Justi- Azincourt, nordwestl. von Arras; im 100-
nians um 668 n. Chr. seine Wohnsitze am jährigen Krieg 1416 entscheidender Sieg
Asowschen Meer verließ und in Panno- Heinrichs V. von England über die zahlen-
nien (Ungarn) siedelte; 666 im Bund mit mäßig weit überlegenen Franzosen.
den Langobarden Vernichtung der Gepi- Azoren (portug., Habichtsinseln), Insel-
den; Raubzüge 671 und 696 gegen die gruppe des Atlantiks, schon den Kartha-
Franken, seit 681 gegen die Byzantiner gern und den Arabern bekannt, 1432 von
(626 Belagerung von Byzanz); im 7. und Portugiesen entdeckt; die Insel Feyal 1466
8. Jh. Einfälle in westslaw. Gebiete. 791 bis 1472 burgundisch; 1680–1640 ge-
schlug Karl d. Gr. die A. an der Raab, 796 hörten die A. zu Spanien (Stützpunkt für
eroberte sein Sohn Pippin ihr Hauptlager die span. Amerikaflotten), dann wieder zu
an der Theiß, ihre Reste gingen in den Un- Portugal, heute portug. Provinz.
garn und Slawen auf. Azteken, indian. Eroberer aus der Stam-
Axt, als Waffe (Streitaxt) und Werkzeug mesgruppe der Chichimeken, die Mitte
seit Urzeiten in Gebrauch; im ↑ Mesoli- des 13. Jh. n. Chr. ins Hochtal von Me-
thikum, der Zeit der Bewaldung, Werk- xiko eindrangen, bald schon zur Reichs-
zeug zum Baumfällen und für den Hütten- bildung kamen und eine Kultur eigener
bau; im Neolithikum und in der Bronze- Prägung entfalteten; 1370 siedelten sie
zeit auch als Prunkaxt, Symbol männlicher auf einer Insel im Mexiko-See und grün-
Kraft; polierte, schön geformte Steinäxte deten hier die Stadt Tenochtitlan-Mexiko;
hatten oft kultische Bedeutung (z. B. in Ir- unter erfolgreichen Herrschern Expansion
land); später auch Eisenäxte mit bes. gehär- bis an den Golf von Mexiko, mit Einrich-
teter Schneide, zum Unterschied vom Beil tung von Garnisonsstützpunkten; sie zo-
mit schmalerer Schneide und mit längerem gen reiche Tribute ein zur Verschönerung
Stiel (Verwendung als Hieb- und Wurf- ihrer Hauptstadt (Tempelpyramiden, Pa-
waffe); die steinerne Streitaxt bes. schöner läste, monumentale Bildwerke, bemalte
Form hat der Kultur der mitteleurop. neo- Statuen); Menschenopfer; sie hofften auf
lith. Streitaxtleute den Namen gegeben. die Rückkehr ↑ Quetzalcoatls, des Gottes
Ayub Khan, pakistan. Feldmarschall und der Federschlange; letzter König ↑ Mon-
Politiker, 1907–1974; 1958 Ministerpräsi- tezuma, der dem Spanier Cortés und den
dent, stürzte den Staatspräsidenten Iskan- ihn unterstützenden aufständ. Stämmen
der Mirza und nahm zusätzlich dessen Pos-­ seines Reiches 1619 erlag (↑ Mexiko).

78
Baalbek

Baalbek („Höhe des Tals“), benstufige Tempelturm (Etemenanki, der

B uralte Stadt im Libanon, in


der hellenist. Zeit Heliopolis
genannt, von Augustus zur
röm. Kolonie erhoben; unter Caracalla
Marduk-Hochtempel, ↑ Babylon. Turm),
der Ischtartempel, Stadtburg und Pa-
last Nebukadnezars; mehrmalige Zerstö-
rung, mehrmalige Eroberung; im Perser-
(211–217 n. Chr.) Vollendung des großen reich eine der drei Hauptstädte; 331 von
Tempels des Baal-Helios (= Jupiter); ausge- Alexander d. Gr. erobert und Hauptstadt
dehnte Ruinen erhalten. seines Weltreiches; während der Seleuki-
Babenberger, fränk. Grafengeschlecht, denherrschaft Provinzstadt (Hauptstadt
das seinen Namen von seiner Burg in Bam- wurde Seleukia am Tigris; später Antiochia
berg ableitet; 976 Markgrafen der Ost- in Syrien); 141 Eroberung durch den Par-
mark (Österreich), 1156 Herzöge, 1246 therkönig Mithridates I.; dann langsamer
erloschen; ausgezeichnet durch große Leis- Verfall.
tungen für die südöstl. Kolonisation. Babylonien, griech. Bezeichnung für das
Babenberger Fehde, um die Vormacht- Land in Mittel- und Süd ↑ Mesopotamien
stellung in Franken zw. den Geschlech- zwischen armen. Tauros, syr. und arab.
tern der Babenberger und der rheinfränk. Steppe und Wüste und Pers. Golf, durch-
Konradiner, 902–906; die B. unterlagen, flossen von Euphrat und Tigris, waldloses
Graf Adalbert, ihr Anführer, wurde hinge- Steppenland; Vermittler des Handels zwi-
richtet. schen Indien und Mittelmeer, Mittelpunkt
Babeuf, François Noël, frz. ­Revolutionär, des Levantehandels; dort und von dort
1760–1797; Anhänger des Jakobiner­ter­ ausgehend zahlreiche Staaten- und Reichs-
rors, den er als „Gracchus“ B. in eine kom- gründungen, die zeitweise bis Indien, zum
munist. Revolution (Aufteilung des Bo- Schwarzen Meer, Mittelmeer und zum Nil
dens) überleiten wollte; die von ihm or- übergriffen; im Altertum fruchtbar durch
ganisierte „Verschwörung der Gleichen“ jährliche Schlammablagerungen, Damm-
wurde vorzeitig verraten, B. guillotiniert. und Kanalbauten (schon vor 3500 v. Chr.);
Babur (Baber), Nachkomme ↑ Timurs Einfallsland für zahlreiche Nachbarvölker,
und Dschingis Khans, 1483–1530; be- bes. aus den Wüsten; benannt nach ↑ Ba-
gründete 1526 das Reich der (mohamme- bylon (Babilu, Babel), dem Kultur- und
dan.) ↑ Großmogule in ↑ Indien (Haupt- Kultzentrum Vorderasiens am Euphrat
stadt Agra), verfasste eine wertvolle Auto- (die Babylonier nannten ihr Land Sumer
biografie. und Akkad). In B. bereits im 7. Jt. v. Chr.
Babylon (Babilu, im A. T. Babel), Ruinen­ bäuerliche Kulturen mit Getreideanbau,
stadt an beiden Ufern des mittleren Euph­ Haustieren, Rechteckhäusern (Fundstätte
rat, „Gottespforten; seit 1770 v. Chr. von Qualat Jarmo); seit dem 5. Jt. bemalte Ke-
Bedeutung (↑ Hammurabi), Hauptstadt ramik (Tell Hassuna), um Heilig­tümer ge-
und kultureller Mittelpunkt der Landschaft scharte Siedlungen dörflichen oder stadt-
und des Reiches ↑ Babylonien, vorher seit ähnlichen Charakters; seit etwa 3600
dem 3. Jt. Stadtstaat; unter Hammurabi vorsumerische steinzeitliche Kultur von
wurde der Stadtgott ↑ Marduk Reichsgott; Obeid (nach dem Hügel el-Obed bei Ur):
Umfang der Hammurabistadt noch nicht Aufkommen des Metallgusses und der
ermittelt; durch Ausgrabungen bekannt Töpferscheibe; erste Rechtecktempel aus
die 2600 mal 1500 m große Viereckstadt Ziegeln und Siegelstempel: abgelöst durch
Nebukadnezars II. mit Außen- und Innen- die Uruk-Kultur, deren Träger bereits eine
mauer und 8 Toren: im Viereck der Innen- bedeutende zivilisator. Macht darstellten;
mauer die große Prozessionsstraße, der sie- die Menschen dieser Kultur waren ent-

79
Babylonien

weder die ↑ Sumerer oder sie waren aus 2000 Einbruch semitischer Kanaanäer (in
dem Iran eingewandert, verschmolzen Kleinstaaten Jsin, Larsa, Mari, Eschrunna
mit semit. Nomaden aus den Wüsten und u. a.); das sumer. Volkstum verschwand
schafften gemeinsam die erste Stadtkultur um 1800, seine Kultur wirkte in die Zu-
im südl. Mesopotamien; dieses frühbaby- kunft; Sumerisch blieb als Kultsprache er-
lon. Reich zerfiel, wurde um 3100 v. Chr. halten, Schrift wurde von Nachfolgevöl-
von den Sumerern neu errichtet, die die kern übernommen und wirkte auch auf
zivilisatorischen Errungenschaften der ägypt. ↑ Hieroglyphenschrift ein; Mythen
Uruk-Periode neu belebten und in schöp- wurden weiterentwickelt, Nachwirkung
ferischer Kraft die eigentliche sumerische des Tier- und Dämonenglaubens noch im
Hochkultur begründeten; seit etwa 3000 MA nachweisbar, sexagesimales Zahlensy-
theokrat. Stadtstaaten der Sumerer in Süd- stem noch heute in Stunden- und Krei-
B.; um 3000 Erfindung der ↑ Keilschrift seinteilung lebendig; astrolog. und astro-
mit Silben und Wortzeichen zunächst als nom. Vorstellungen befruchteten babylon.
Handelsschrift. nach 2600 auch in Königs­ Kultastronomie.
inschriften und nach 2000 schon in literar. Um 1890 v. Chr. Begründung der Dynastie
Texten (Hymnen, Klagelieder, Beschwö- von Babylon, ↑ Hammurabi wurde um
rungen); Kultstatuen und Bildreliefs; su- 1770 Herr Babylons und des babylon. Rei-
mer. Tempelbau schon um 3000 (Hoch- ches; Babylon wurde Mittelpunkt; Ham-
tempel auf künstlichen Terrassen, Tem- murabi erhob Stadtgott ↑ Marduk zum
pelmosaike); um 2600 erste Urkunde (In- Reichsgott, der König ist Mittler zwischen
schrift auf einen sumer. ­ Priesterfürsten); ihm und den Menschen; Rechtskodifizie-
um diese Zeit Eindringen semit.-akkad. rung anknüpfend an sumer. Recht (Staats‑,
Nomaden aus der arab. Wüste in den Nor- Wirtschafts-, Familienrecht), gegliederte
den des Landes, das Akkad genannt wurde; Gesellschaft (Freie, Halbfreie, Sklaven),
Städte in Sumer: Eridu, Ur, Larsa, Lagasch, Richter wurden Berufsbeamte, Recht der
Umma, Uruk, Schuruppak, Isis, Nippur, Berufung an den König; Keilschrift wurde
z. T. unter Oberkönigen zu Stadtgemein- offizielle Staatsschrift, das Akkadische
schaften verbunden; in Akkad: Barsig, Ba- Verwaltungssprache; Tempel- und Palast-
bylos, Kisch, Sippar, Kuscha, Opis; Aus- bauten (↑ Babylon. Turm). – Nach Ham-
bildung einer sumer.-akkad. Mischreligion murabi Abfall Süd-B.s und Assurs, Zer-
durch Zusammenfassung der Lokal­götter; bröckelung des Reiches, das von Hethitern
um 2700 sagenhafter König ↑ Gilgamesch vernichtet wurde (um 1595); Eindringen
von Uruk; um 2500 Könige von Ur na- der Kassiten (Kossäer), die durch Pferd
mentlich nachweisbar (1. Dynas­tie mit und Streitwagen überlegen waren und erst
Königsgräbern und ­ Königsinschriften); um 1160 verdrängt wurden; Einbruch der
sumer.-akkad. Reichsgründung zwischen Aramäer, die sich einen Großteil Babylons
Pers. Golf und Mittelmeer durch semit. unterwarfen; seit 850 Einwirken Assyriens
Könige Sargon (um 2370) und Naram- auf B., das aber gewisse Selbständigkeit be-
sin (um 2310) von Akkad, die auch Su- hauptete. Unter ↑ Tiglat Pilesar III. (745–
mer, Elam, Assur und Teile Kleinasiens 727), dem Begründer des neuassyr. Welt-
unterwarfen; um 2200–2100 Fremdherr- reiches, Anschluss Babylons an ↑ Assy-
schaft der Gutäer aus Nord-B.; Wiederer- rien; unter seinen Nachfolgern Aufstände
richtung eines sumer. Reiches (um 2100 der Babylonier; 689 Zerstörung Babylons
durch König von Uruk); Hochblüte der durch Sanherib von Assyrien. Wiederauf-
Kultur unter Gudea (um 2100), Schulgi bau durch Asarhaddon; unter Assurbani-
(um 2070) und ihren Nachfolgern; um pal (669–630) wurde B. assyrische Pro-

80
Bad

vinz. – 626 riss Nabopolassar, Herrscher Babylonisches Reich, ↑ Babylonien.


des seit etwa 850 v. Chr. in Südbabylonien Bachofen, Johann Jakob, Schweizer Rechts-
entstandenen semit.-aramäischen Chal- und Kulturhistoriker, 1815–1887; er er-
däerstaates, die Herrschaft über Babylon forschte Mythen und Symbole der Antike,
an sich, im Bunde mit den Medern ge- Bahnbrecher der vergleichenden Rechts-
lang es dem Kronprinzen ↑ Nebukadnezar, wissenschaft; seine Theorie des ↑ Mutter-
ganz B. und das übrige Assyrerreich unter rechts ist umstritten.
chaldäische Herrschaft zu bringen; unter Bacon, l) B., Roger, engl. Mönch und Ge-
Nebukadnezar II. (604–562) umfasste das lehrter der Scholastik, 1214–1294; „Doc-
„Neubabylon. Reich“ Babylonien, Assy- tor mirabilis“ genannt, führte als einer
rien, Syrien, Palästina (Zerstörung Jeru- der ersten (chem.) Experimente durch,
salems 587 und Deportation der Juden prägte den Begriff des Naturgesetzes, for-
[↑ Babylon. Gefangenschaft]); Nebukad- derte, dass theoretisch deduzierte Ergeb-
nezars Vorbild war Hammurabi, Blüte der nisse experimentell nachgewiesen werden
chaldäischen Sternkunde und Astralreli- müssen; wegen seiner Zweifel an der Au-
gion; Bau des neuen Palastes, des neuen torität des Aristoteles zehnjährige Gefan-
Marduktempels, des Ischtartores. Unter genschaft in Paris. 2) B., Francis (Baco
seinen Nachfolgern Kampf der Herrscher von Verulam), engl. Philosoph und Staats-
mit der Marduk-Priesterschaft und gegen mann, 1561–1626; 1618 Lordkanzler, be-
die vordringenden Perser, die seit 550 im gründete im Kampf gegen die Scholastik
Osten eine Großmacht errichtet hatten; die engl. Aufklärungsphilosophie und die
539 eroberte der Perserkönig ↑ Kyros II. empir. naturwiss. Betrachtung; lehrte als
Babylon; B. war bis in die Alexanderzeit Zweck der Wissenschaft die Beherrschung
Provinz des Reiches der ↑ Perser. und Dienstbarmachung der Natur („Wis-
Babylonische Gefangenschaft: 1) der Ju- sen ist Macht“).
den: Wegführung nach Babylonien durch Bad, schon früh vor allem bei orienta-
Nebukadnezar II. nach den Zerstörungen lischen Völkern (Ägypten, Induskultur,
Jerusalems (598 Eroberung Jerusalems, Kreta), vielfach durch Religionsgesetze
Wegführung des Königs Jojachin nach Ba- geregelt (bes. bei Juden und Mohamme-
bylonien; nach der Erhebung des Königs danern); die Pythagoräer schrieben kalte
Zedekia 2. Eroberung und Zerstörung Je- Bäder zu allen Jahrezeiten vor, die Hel-
rusalems durch Nebukadnezar 587); Be- lenen badeten warm in den Gymnasien,
freiung durch Kyros II. 536 v. Chr. und die Römer brachten das Badewesen bes.
Rückwanderung; Propheten in der Zeit durch den Bau von ↑ Thermen zur Blüte,
des Exils: Ezechiel (Hesekiel) und der sie kannten großzügige Seebäder (z. B.
zweite Jesaja. 2) der Kirche: Zeit des von Bajä); Gallier und Germanen hatten ge-
Frankreich erzwungenen päpstlichen Exils heiligte Quellen für Keilbäder; Karl d. Gr.
in Avignon 1309–1376. förderte das Baden (Aachen); Klöster und
Babylonischer Turm, nach dem Vorbild Städte errichteten öffentliche Bäder (Holz-
der sumer. Zikkurats (Tempeltürme) er- wannen und Bottiche), nach den Kreuz-
richteter Hochtempel in Babylon, mehr- zügen riss im Badewesen Sittenverderb-
mals erneuert, um 600 v. Chr. durch Ne- nis ein, Badestuben wurden vielfach von
bukadnezar II. in der Größe 90 mal 90 mal Gauklern, Spielern und Scharlatanen be-
90 m in sieben Stufen erneuert; in der völkert und gaben Anlass zu Ansteckung
Höhe das „Gemach der Vermählung“ und Kurpfuscherei; an den Fürstenhöfen
Marduks mit der Oberpriesterin; der Turm des Barock und des Rokoko waren Voll-
von Alexander d. Gr. niedergelegt. bäder unbekannt (daher der große Ver-

81
Badari-Periode

brauch von Parfüm und Puder), erst die deshauptstadt Stuttgart; Landesfarben
Aufklärung und hygienische Bestrebungen Schwarz-Gold. 1970 wurde in einer Volks-
im 19. Jh. brachten das Baden wieder zu abstimmung im Landesteil Baden der Be-
Ehren; Freibaden erst seit dem Beginn des stand des Landes B.-W. bestätigt.
20. Jh. in der heutigen Form. Badoglio, Pietro, ital. Marschall und Po-
Badari-Periode, vorgeschichtliche Kultur- litiker, 1871–1956; 1935 Eroberer Abessi­
periode in Oberägypten, 4. Jt. v. Chr., be- niens, seit 1919 mehrmals Generalstabs-
nannt nach dem Fundort Badari; Kupfer- chef, 1940 abgesetzt; stürzte 1943 ↑ Mus-
Stein-Zeit, Viehzucht, Ackerbau. solini, schloss den Waffenstillstand mit den
Baden, aus verschiedenen Lehen des ehe- Alliierten ab, bis 1944 ­Ministerpräsident.
maligen Herzogtums Schwaben entstan- Baeck, Leo, jüd. Theologe, 1873–1956;
dene Markgrafschaft (1112) der Zährin- seit 1912 Rabbiner in Berlin und Dozent
ger, nach der Burg B. benannt; 1535 in an der Hochschule für die Wissenschaft
B.-Baden (seit 1689 Residenz Rastatt) und des Judentums; seit 1933 Präsident der
B.-Durlach geteilt (seit 1715 Hauptstadt Reichsvertretung der dt. Juden; nach viel-
Karlsruhe); 1771 durch Markgraf Karl fältigen Schikanen und Gestapo-Verhören
Friedrich wieder vereinigt, 1803 und 1810 1943 nach Theresienstadt deportiert. B.
erheblich erweitert, Karl Friedrich 1803– erlebte die Befreiung 1945 und versuchte
1806 Kurfürst, 1806 Großherzog; libe- nach dem Krieg von London aus die geris-
rale Landesverfassung 1818; 1835 im Dt. senen Fäden des dt.-jüd. Dialogs neu zu
Zollverein; unter Großherzog Friedrich I. knüpfen (B.-Institut 1954 gegr.).
(1852–1907) Eingliederung ins Dt. Reich; Baeyer, Adolf Ritter von, dt. Chemiker
1918 verzichtete Großherzog Friedrich II. 1835–1917; ermittelte 1883 die Struktur-
auf den Thron; 1919 wurde B. Freistaat formel des Indigos (Voraussetzung für die
mit Verfassung; 1945 nördl. Teil zur ame- künstliche Farbenherstellung); synthet.
rikan. (zum Land Württemberg-B.), südl. Indigo seit 1897 im Handel.
Teil zur frz. Besatzungszone (Land B.); Baffin, William, engl. Seefahrer, 1584–
beide Teile kamen 1952 zum Bundesland 1622; entdeckte auf der Suche nach der
↑ B.-Württemberg. Nordwestpassage das arktische Amerika;
Badeni, Kasimir Graf, österr. Staatsmann, nach ihm B.-Bai und B.-Land in der Ark-
1846–1909; aus galizischem Adel, ent- tis benannt.
fesselte als Ministerpräsident 1895–1897 Bagauden, gallische Bauern, empörten
durch seine Sprachverordnung für Böh- sich unter Diokletian 283 n. Chr. gegen
men und Mähren einen erbitterten Spra- die Großgrundbesitzer, riefen ihre Anfüh-
chenkampf, bes. in Böhmen. rer zu Kaisern aus; 285/86 unterworfen.
Baden-Powell, Sir Robert, engl. Gene- Bagdad, Stadt am Tigris, 762 n. Chr. von
ral, 1857–1941; verteidigte im Burenkrieg den ↑ Abbasiden als Reichshauptstadt ge-
Mafeking; gründete 1907 die Boy Scouts. gründet mit Hochschule des Islam, glanz-
Baden-Württemberg, dt. Bundesstaat, volle Residenz der Kalifen bis zur Erobe-
1952 aufgrund einer nach dem Neuglie- rung durch die Mongolen 1258; dann per-
derungsgesetz des Bundes angeordneten sisch oder türkisch; 1638–1917 türkisch;
Volksabstimmung (nur Süd-B. stimmte seit 1920 Hauptstadt des ↑ Irak.
für eigenes Land B.) aus den Ländern Bagdadbahn, im Anschluss an die Ana-
Württem­berg-B., Baden, Württemberg- tol. Bahn von Konia über Bagdad nach
Hohenzollern gebildet; 1952 Verfassung- Basra, stellt die Verbindung zw. dem Bos­
gebende Landesversammlung (zugleich porus und dem Persischen Meerbusen
Landtag) und Regierungsbildung; Lan- her; 2 430 km lang, 1903 begonnen, 1940

82
Bakunin

vollendet; die führende Beteiligung dt. Bajä, am Golf von Neapel, Luxusbad der
Kapitals (1899 türk. Konzession für Dt. Römer; Caligula baute über den Golf von
Bank) im Rahmen der dt. Wirtschaftsex- B. eine vielbewunderte Schiffsbrücke.
pansion und Balkanpolitik erweckte das Bajasid, türkische Sultane: 1) B. I. (1389
Misstrauen Russlands und Englands und bis 1403); erweiterte das Osmanischen
verschärfte die internat. Lage vor dem Reich um Bulgarien, Walachei und Dobru-
1. Weltkrieg. dscha; siegte 1396 bei Nikopolis über das
Bagdadpakt, bis 1959 (Austritt des Irak) Kreuzheer der Ungarn, unterlag 1402 Ti-
Name für den Nahost-Pakt; 1955 geschlos- mur bei Angora und starb in Gefangen-
sener Beistandspakt zwischen Türkei, Irak, schaft. 2) B. II. (1481–1512); kämpfte
Großbritannien, Iran, Pakistan, unter Rü- gegen Ungarn, Polen, Venedig, Ägypten,
ckendeckung durch die USA; dagegen musste zugunsten seines Sohnes Selim I.
richtete sich das Bündnissystem der Ver- abdanken.
einigten Arab. Republik (seit 1961 ohne Bajonett, Stichwaffe (Seitengewehr), die
Syrien) und Saudi-Arabiens; seit 1959 auf das Gewehr aufgesteckt wird und die
neuer Name ↑ Central Treaty Organiza- Pike ersetzt; nach der frz. Stadt Bayonne
tion (CENTO-Pakt). benannt, unter Ludwig XIV. in der frz. Ar-
Bahamas, in Westindien nördlich der mee eingeführt; zur besseren Verteidigung
Großen Antillen, von Kolumbus entdeckte der Infanterie gegen Kavallerie­attacken,
Inselgruppe (1492); ehemals englisch, auch bei Sturmangriffen verwendet.
dann von ↑ Flibustiern besetzt (1673); Bajuwaren, ↑ Bayern.
1717 wieder englisch, 1940 errichteten Baktrien, Landschaft nördl. des Hindu-
die USA militär. Stützpunkt. 1964 erließ kusch, unter Kyros II. 550 v. Chr. Satrapie
die brit. Regierung eine Verfassung mit er- des Perserreiches mit der Hauptstadt Bak-
weiterter Autonomie, seit 1973 volle Un- tra (Balch, eine der ältesten Städte Asiens);
abhängigkeit. nach kurzer Zugehörigkeit zum Alexander­
Bahrain, Emirat im Pers. Golf, gegr. 1783. reich (329–323 v. Chr.) selbständiges hel-
Durch Entdeckung der Erdöllagerstät- len.-baktr. Reich 250–150 v. Chr.; im
ten 1932 wurde B. zum wichtigsten brit. 2. Jh. v. Chr. Eindringen der Saken aus Tu-
Stützpunkt im Pers. Golf. Seit 1971 ist B. ran, um 140 v. Chr. Unterwerfung durch
unabhängig und Mitglied der Föderation die Yüe-tschi aus Ost-China; im 7. Jh. ara-
↑ Vereinigte Arabische Emirate. bisch, seit dem 10. Jh. wechselnd unter
Baibars, ägypt. Sultan der Mamelucken mongol. und türk. Dynastien, seit 1841
(1260–1277); ermordete seinen Vorgän- zu Afghanistan.
ger, schlug 1259 die Mongolen zurück, Baku, Hafenstadt am Kasp. Meer in Kau-
eroberte 1268 Antiochia und 1270 Jeru- kasien, im Altertum bekannt durch die
salem; eine der kraftvollsten Herrscherge- brennenden Erdgasquellen („Heilige Feuer
stalten des Islam (Moschee in Kairo). von B.“); 1723 russisch, 1735 persisch,
Bailly, Jean Silvain, frz. Politiker und As- seit 1806 wieder russisch; Hauptstadt von
tronom, 1736–1793; einer der Führer der Aserbeidschan.
↑ Feuillants, guillotiniert. Bakunin, Michail Alexandrowitsch, russ.
Bainville, Jacques, frz. Historiker und Po- Revolutionär, bedeutendster Vertreter des
litiker, 1879–1936; extremer Nationalist, ↑ Anarchismus, 1814–1876; Sohn eines
führendes Mitglied der Action Française, Adligen, urspr. Offizier, ging nach Westeu-
erklärte die Zerstückelung Deutschlands ropa, beteiligte sich 1849 am Aufstand in
nach dem Vorbild des Westfäl. Friedens Dresden, gründete 1864 die Inter­nationale
zum Ideal der frz. Politik. Sozialdemokrat. Allianz, schloss sich 1868

83
Balance of Power

der I. Internationale an. B. verband Pan- Baldwin, Stanley, brit. Staatsmann, 1867–
slawismus und Internationalismus, Sozi- 1947; Führer der Konservativen, 1923/24,
alismus und Anarchismus, revolutionäre 1924–1929 und 1935–1937 Premiermini-
Mystik und rationalistische Philosophie, ster, führte England 1936/1937 mit Ge-
er forderte die Revolution in Permanenz; schick durch die Thronkrise (Abdankung
die anarchosyndikalistische Bewegung in Eduards VIII.).
den roman. Ländern sah in ihm, nicht in Balearen, Inselgruppe im westl. Mittel-
Marx, den führenden Denker des ↑ Sozi- meer; in der Antike waren ihre Bewohner
alismus. als vorzügliche Steinschleuderer begehrte
Balance of Power (engl., Gleichgewicht Söldner; vor 300 v. Chr. Sitz karthag. Fak-
der Macht), ↑ Gleichgewicht. toreien, 122 v. Chr. römisch, 425 n. Chr.
Balbo, Italo, ital. Luftmarschall, 1896– vandalisch, 534 byzantinisch, später frän-
1940; beim faschist. Marsch auf Rom ei- kisch, 798 arabisch; 1229 von Aragon er-
ner der führenden „Vier Männer“, 1929 obert, 1276–1348 eigenes Königreich
Minister der Luftfahrt, 1933 Statthalter Mallorca, seitdem zu Spanien (Menorca
von Libyen, Erbauer der Via Balbia; über 1708–1782 britisch).
Tobruk abgeschossen. Balfour, Arthur James, Earl, brit. Staats-
Balboa, Vasco Núñez de, span. Konquis­ mann, 1848–1930; konservativer Minister­
tador, 1475–1519; entdeckte 1513 nach präsident 1902–1907, Außenminister
Durchquerung des Isthmus von Panama 1916–1919; gestand dem jüdischen Volk
den Stillen Ozean von Osten her („Süd- Staatsgründung in Palästina zu (↑ B.-De-
see“). klaration); bemühte sich um die Formu-
Balduin, Name von Herrschern. König lierung der staatsrechtlichen Stellung der
von Jerusalem: 1) B. 1. (1100–1118); Bru- Dominien im brit. Reichsverband (Reichs-
der Gottfrieds von Bouillon, nahm als des- konferenz 1926).
sen Nachfolger den Königstitel an. – Lat. Balfour-Deklaration, die vom brit. Außen-
Kaiser von Byzanz: 2) B. I., Graf von minister B. 1917 abgegebene Erklärung,
Flandern, begründete als einer der Füh- dass England die zionist. Bestrebungen
rer des 4. Kreuzzuges 1204 das lat. Kaiser- zur Errichtung eines Nationalheims für
tum von Byzanz, von den Bulgaren gefan- das jüd. Volk in Palästina fördern werde;
gen genommen, starb 1205. 3) B. II., Graf die B. D. in Form eines Briefes Balfours
von Courtenay, letzter lat. Kaiser (1228– an Lord Rothschild, den Vorsitzenden der
1261). engl. Zionisten, sollte die Juden der Welt
Balduin von Luxemburg, Erzbischof von für die Alliierten gewinnen; sie wurde in
Trier (1307–1354), Bruder Kaiser Hein- den Vertrag von Sèvres und in das brit.
richs VII., von bedeutendem Einfluss auf Mandat für Palästina aufgenommen.
die Reichspolitik („Königsmacher“); auf Balk, Hermann, erster Landmeister des
dem Kurverein zu Rhense (1338); auf den Dt. Ordens (seit 1230) in Preußen, gest.
Reichstagen zu Frankfurt 1338 und 1339 1239; eroberte im Auftrag des Hoch-
und auf dem Reichstag zu Koblenz Ver- meis­ters Hermann von Salza Kulmerland
fechter der Rechtswirkung der Königswahl und Ermland, gründete Thorn, Kulm, El-
durch die Kurfürsten, Verteidigung der bing, Marienwerder.
Reichsrechte gegen die Kurie, doch zwi- Balkan, Balkanhalbinsel, polit.-histor.
schen Kurie und Kaiser vermittelnd; B. Bez. seit dem 19. Jh.; im ↑ Neolithikum
ließ den Römerzug Heinrichs VII. in einer wirkten sich im Raum des Balkans vor
noch erhaltenen Pracht-Bilderchronik ver- allem die ↑ Lausitzer und die ↑ Urnenfel-
herrlichen („Balduineum“). derkultur aus, deren Ausstrahlungen bis in

84
Ballai

die Ägäis reichten; die indogerman. Kultur größere Teil des B. in die Machtsphäre der
prägte die Kultur des frühen ↑ Griechen- Sowjetunion, der sich jedoch später das
lands; über den B. führte im 3. Jh. der Weg kommunistische ↑ Jugoslawien, Albanien
der ↑ Kelten; der B. war infolge seiner ge- und Griechenland entzogen; der griech.
birgigen Struktur seit je für eine polit. Zu- Bürgerkrieg gab den Anstoß zur ↑ Tru-
sammenfassung wenig geeignet; erster Ver- mandoktrin (1947).
such einer polit. Gestaltung durch Alexan- Balkanbund, 1912 errichtetes System von
der d. Gr. und durch die Römer, durch sie vier zweiseitigen Kriegsbündnisverträgen
Einteilung in Provinzen: Illyrien, unterteilt zw. Bulgarien und Serbien bzw. Griechen-
in Dalmatien, Pannonien (etwa Ungarn) land, Montenegro und Bulgarien bzw.
und Mösien (Nordbulgarien); Thrakien, Serbien zur Beseitigung der osman. Herr-
Dakien (etwa Rumänien); Makedonien, schaft auf dem Balkan.
Epirus (etwa Albanien) und Achaia (Grie- Balkankriege, 1912 von den verbündeten
chenland); im MA kämpften Byzanz, Ser- Balkanstaaten mit dem Ziel begonnen, die
ben und Bulgaren und von der Küste aus europ. Türkei unter sich aufzuteilen, be-
Venedig um die Vormacht; im 14./15. Jh. günstigt von Russland, das die Herrschaft
machten sich die Türken zu Herren des über den Bosporus anstrebte. – Erster B.
ganzen Balkans, seit ihrer Niederlage vor 1912/13: Der Balkanbund (Serbien, Bul-
Wien mussten sie im NW vor Öster- garien, Griechenland und Montenegro)
reich zurückweichen; von NO drang seit warf die Türken bis auf die Tschataldscha-
1768 Russland vor; im l9. Jh. wurde der linie (östl. Adrianopel) zurück und erhielt
B. durch den inneren und äußeren Verfall die eroberten Gebiete im Londoner Frie-
des Osman. Reiches, die nationalen Un- den zugesprochen. Zweiter B. 1913: Im
abhängigkeitsbewegungen der B.-Völker, Streit um die Beute griff Bulgarien Serbien
die Interessenkonflikte der Großmächte an und wurde von diesem im Bunde mit
und auch durch die religiösen Gegensätze Griechenland und Rumänien geschlagen;
(röm.-kath. Kirche und griech.-orthodoxe die Türken eroberten Adrianopel zurück;
Kirche; Christen und Mohammedaner) im Frieden von Bukarest kam Mazedonien
zum polit. Wetterwinkel („Pulverfass“) Eu- zu Serbien, die Dobrudscha zu Rumänien,
ropas; nach dem russ.-türk. Krieg auf dem Saloniki und Kreta zu Griechenland.
↑ Berliner Kongress (1878) Neuordnung Balkanpakt, Vertrag von Ankara, Freund-
der Verhältnisse; am verderblichsten wirk- schaftsvertrag der Länder Türkei, Grie-
ten sich die österr.-russ. Rivalität, die Geg- chenland, Jugoslawien (seit 1953), von
nerschaft zwischen Österreich und Serbien den USA und Großbritannien gefördert
und der Streit um Mazedonien aus; die (militär., wirtsch. und kulturelle Zusam-
Türkei wurde bis 1913 trotz des Wider- menarbeit); 1954 durch Vertrag von Bled
standes und dir Reformen der Jungtürken zum Abwehrbündnis (auf 20 Jahre) erwei-
fast völlig vom B. verdrängt. 1914 ent- tert, verlor seit 1955 an Bedeutung, bereits
zündete sich der 1. Weltkrieg auf dem B. 1958 von Jugoslawien als nichtig bezeich-
(Attentat von ↑ Sarajevo), er brachte keine net. Er besteht infolge des griechisch-tür-
Lösung der B.-Probleme (seit 1919 Revisi- kischen Dauerkonflikts um die Vorherr-
onsansprüche Bulgariens). Im 2. Weltkrieg schaft in der Ägäis (Zypern) und der Auf-
versuchte Churchill, die „Zweite Front“ lösung Jugoslawiens und der UdSSR nur
auf dem B. zu errichten, um von da aus noch auf dem Papier.
Verbindung mit Sowjetrussland zu fin- Ballei, Verwaltungsprovinz in den Ritter-
den und die deutsche Ostfront aufzurol- orden der Templer, Deutschherren und
len, drang aber nicht durch; so kam der Johanniter, geleitet von einem Bailli (Ba-

85
Ballenstedt

livus), bei den Johannitern in Priorate, bei net (Auswanderungsbewegung); 1939/40


den übrigen Ritterorden in Kommenden und seit dem 2. Weltkrieg Aus- und Um-
oder Komtureien unterteilt. siedlungsaktionen.
Ballenstedt, Schlossburg und Siedlung in Balthen (got., die Kühnen), westgot. Herr-
Anhalt (7. Jh.), ältester Besitz der Aska- schergeschlecht, das mit ↑ Alarich I. um 400
nier; seit 1512 Stadt. begann und mit Amalarich 531 endete.
Ballhausplatz in Wien, nach dem dort Baltikum, Sammelbez. für die ehemals
gelegenen österr. Außenministerium. Bez. russ. Ostseeprovinzen Livland, Estland
auch für das Außenministerium selbst (wie und Kurland; nach dem 1. Weltkrieg selb-
Wilhelmstraße für das dt., Quai d’Orsay ständige Republiken Estland, Lettland
für das frz. und Downing Street für das und Litauen, 1940 infolge des Hitler-Sta-
brit. Außenministerium). lin-Paktes der Sowjetunion als Sowjetre-
Ballhausschwur, geleistet 1789 von den publiken eingegliedert, 1991 nach dem
Abgeordneten des 3. Standes der frz. Na- Zusammenbruch der UdSSR unabhän-
tionalversammlung im Ballhaus von Ver- gige Staaten. B.-Truppen: die dt. Freiwil-
sailles; Vereinbarung, nicht eher ausei- ligenverbände, die nach dem 1. Weltkrieg
nander zu gehen, bevor die Versammlung bes. in Lettland gegen die Bolschewisten
Frankreich eine konstitutionelle Verfas- kämpften und auf Befehl der Alliierten zu-
sung gegeben habe. rückgezogen werden mussten.
Ballen, Albert, Generaldirektor der Ham- Baltische Staaten, ↑ Estland, Lettland,
burg-Amerika-Linie (Hapag), 1857–1918; Litauen.
einflussreicher Wirtschaftspolitiker der Ära Bamberg: Stadt B., erbaut im Anschluss
Wilhelms II., mit dem Kaiser befreundet; an Burg Babenberg der Babenberger Gra-
um den dt.-brit. Ausgleich bemüht, entwi- fen, als Ort 902 erstmals genannt; nach
ckelte die Hapag in 15 Jahren zur größten dem Untergang der Babenberger in der
Reederei der Welt. ↑ Babenberger Fehde 902 Reichsbesitz,
Balliste, armbrustartiges, in der Antike später durch Schenkung an die Bayern-
und im MA zu Belagerungszwecken ver- herzöge; König Heinrich II. gründete den
wendetes Wurfgeschütz. Dom (1012 geweiht, zweimal abgebrannt,
Balten, den Slawen verwandte indoger- heutiger Bau 1237 geweiht); berühmte
man. Völkergruppe (Letten, Litauer, Li- Plastiken, Gräber Papst Clemens’ II.,
ven, Altpreußen und Kuren; die Esten Heinrich II. und seiner Gemahlin Kuni-
und Liven gehören zu den finn.-ugrischen gunde; auf dem Domhügel Alte und Neue
Völkern) in den Randgebieten der Ostsee Hofhaltung, Neue Residenz und Dom-
südl. des Finn. Meerbusens; im MA vom herrenbezirk, auf dem Michaelsberg das
Dt. Orden christianisiert, dann wirtsch. von Heinrich II. gegr. Benediktinerkloster;
von der Hanse beeinflusst; gleichzeitig dt. Hoftage in B. 1035, 1050 und 1122; Ver-
Einwanderung. – Später Bezeichnung für fassungsstreit zw. Bischof und Bürgerschaft
die dt. Einwohner der genannten Gebiete, im 15./16. Jh., Zerstörungen im 30-jäh-
die zur polit. und kulturell führenden rigen und 7-jährigen Krieg; zahlreiche ba-
Oberschicht geworden waren; die Dt.- rocke Neubauten; B. kam 1802 zu Bayern,
B. spielten in Staat und Heer des zarist. 1919 Sitz der vor dem Räte­terror aus
Russlands eine bedeutende Rolle, muss- München geflüchteten bayer. Regierung.
ten sich aber schon vor dem 1. Weltkrieg Verkündung der „Bamberger Verfassung“
der Russifizierungspolitik erwehren; nach (bis 1933 in Kraft). – Bistum B., von
dem 1. Weltkrieg wurden sie von den jun- Heinrich II. aus Teilen der Bistümer Eich-
gen balt. Republiken größtenteils enteig- stätt und Würzburg zur Missionierung der

86
Bandungskonferenz

Slawen gestiftet, mit reichem Grundbe- schen (Banater Schwaben) neu besiedelt;
sitz (bes. in Kärnten); der zweite Bischof der nördl. Teil 1779 mit Ungarn verei-
Suidger wurde 1046 Papst Clemens II.; nigt, der südl. seit 1872 (Magyarisierung);
der achte Bischof, Otto von Bamberg (hl.), 1920 im Vertrag von Trianon zw. Rumä-
christianisierte auf zwei Missionsreisen nien, Jugoslawien und Ungarn aufgeteilt;
Pommern („Apostel der Pommern“); seit die B.er Schwaben Jugoslawiens flüchteten
der Mitte des 13. Jh. Fürstbischöfe; bedeu- z. T. 1944 mit den abziehenden dt. Trup-
tend Bischof Georg III. (1505–1522), Rat- pen, der verbleibende Teil wurde von den
geber Maximilians I., Wortführer auf dem Tito-Partisanen in Vernichtungslager ge-
Reichstag zu Augsburg 1518; 1648 Grün- bracht, die meisten Überlebenden kamen
dung der Akademie, seit 1773 Universi- seit 1949 nach Österreich und in die Bun-
tät (bis 1804); Fürstbischof Lothar Franz desrepublik; ein ähnl. Schicksal (mit ge-
von Schönborn (1693–1729) erbaute die ringeren Opfern) traf die B.er Schwaben
Neue Residenz und die Schlösser Pom- Rumäniens.
mersfelden und Gaibach; 1802 Säkulari- Bancroft, George, nordamerik. Diplomat
sierung des Hochstifts und Vereinigung und Historiker, 1800–1891; schloss als
mit Bayern; 1817 wieder Erzbistum mit Gesandter in Berlin 1867–1874 die B.-
verändertem und erweitertem Sprengel. Verträge über die dt. Auswanderung nach
Bamberger, Ludwig, dt. Politiker, 1823– den USA (wechselseitige Anerkennung der
1899; als Teilnehmer an der 1848er Re- Staatsangehörigkeit).
volution 1849–1866 im Exil, Bankier, Banderanaike, Sirimavo, ceylones. Politi-
führender Nationalliberaler, Autorität in kerin, 1916–2000; übernahm anstelle ihres
Wirtschaftsfragen, verteidigte die Gold- 1959 ermordeten Mannes Solomon B.
währung und die Gewerbefreiheit; 1880 (Premierminister 1956–59) die Führung
spaltete er die Nationalliberalen (Sezes- der sozialist. „Sri Lanka Freedom Party“,
sion) und gründete 1884 mit der Dt. 1960–65 Premierministerin, führte ein
Fortschrittspartei die Dt. Freisinnige P.; umfangreiches Verstaatlichungsprogramm
zunächst finanzpolit. Berater Bismarcks, durch; 1970–77 und 1994–2000 erneut
wandte sich später gegen dessen Schutz- Premierministerin.
zoll-, Kolonial-, und Sozialpolitik; Ver- Bandkeramik, vorgeschichtl. Kulturkreis
trauter Friedrichs III. der Jungsteinzeit; um 4000/3 000 v. Chr.
Bambergische Halsgerichtsordnung, im Donaugebiet (bäuerliche ↑ Donaukul-
Strafgerichtsordnung vom Jahre 1507; tur), erst auf Süddeutschland, Böhmen,
verfasst von Joh. von Schwarzenberg für Mähren, Ostpolen, später auch nach Wes-
das Fürstbistum Bamberg, Vorbild für die ten hin übergreifend (Ackerbau, Vieh-
Peinliche Gerichtsordnung Karls V. von zucht und Jagd treibende Gruppen); be-
1532 (↑ Carolina). nannt nach den bandähnlichen Mustern
Banat, urspr. alle militär., durch einen Ban (runde und eckige Spirallinien), mit denen
(Grenzbefehlshaber) verwalteten Grenz- die Gefäße geschmückt sind (zum Unter-
provinzen Ungarns, später nur die Land- schied von der ↑ Schnurkeramik).
schaft zwischen Marosch, Theiß, Donau Bandmänner (Ribbon Society), Geheim-
und Karpaten (Temesburger B.), wurde bund irischer Pächter gegen engl. Groß-
zus. mit Ungarn im 15. und 16. Jh. tür- grundbesitz, um 1817 gegründet; Abzei-
kisch, 1718 durch den Frieden von Passa- chen: bunte Bänder.
rowitz wieder österreichisch; unter Maria Bandungkonferenz, 1955, Treffen der
Theresia und Joseph II. mit Magyaren, Ser- Regierungschefs bzw. Außenminister von
ben, Rumänen, vor allem aber mit Deut- 24 asiat. und afrikan. Staaten in der indo-

87
Banér

nesische Stadt Bandung (nicht anwesend ler (meist Juden, weil Zinsnehmen den
Israel und Südafrikan. Union); Kampf ge- Christen im MA verboten); Ägypter, Grie-
gen Atomaufrüstung, Rassendiskriminie- chen und Römer kannten bereits bank­
rung, Kolonialimperialismus, Ausrichtung ähnliche Funktionen; das Bankwesen im
auf gemeinsames Handeln unter Bejahung heutigen Sinne mit Geldaufbewahrung,
der Grundsätze der UN (asiat.-afrikan. bargeldloser Überweisung, Kreditvermitt-
Bewegung). lung und Finanzierung begann mit dem
Banér, Johan, schwed. Feldherr im 30- Wiederaufkommen der Geldwirtschaft
jährigen Krieg, 1596–1641; nach Gustav im 13./14. Jh. (risiko- und gewinnreicher
Adolfs Tod (↑ Lützen 1632) Oberbefehls- Fernhandel, belebt durch die Kreuzzüge;
haber des schwed. Heeres in Deutschland, schließlich steigender Geldbedarf der
Sieger von Wittstock 1636 über die Kai- Fürsten; internationales Finanzwesen der
serlichen. Kurie), v. a in Italien (Heimat des Früh-
Bangladesch, Volksrepublik in Südasien, kapitalismus). „Lombarden“ = ­ Bankiers
bis 1971 östl. Landesteil von ↑ Pakistan. der reichen oberital. Handelsstädte; da-
Die Absicht Mujibur ↑ Rahmans, nach her vielfach noch heute ital. Fachausdrü-
dem Wahlsieg der Awami-Liga die volle cke im Bankwesen; Groß-Bankiers in der
Kontrolle über Ostpakistan zu überneh- frühen Neuzeit die Fugger und Welser in
men, und die Intervention westpakistan. Augsburg; die wichtigsten Kreditinstitute
Truppen führten zum Ausbruch des Se- firmierten wegen des kanon. Zinsverbotes
zessionskrieges und zur Unabhängigkeits- zunächst als Wohlfahrtseinrichtungen,
erklärung von B. 1971. Ministerpräsident Pfandanstalten („Montes pietatis“ – Berge
M. Rahman fiel 1975 einem Putsch zum der Frömmigkeit); seit Ende des 16. Jh.
Opfer. Unter Ziaur Rahman Militärre- übernahmen die großen Handelsstädte die
gierung bis 1978, Aufhebung des Kriegs- Regulierung des Geldumlaufs und orga-
rechts 1979. Ziuur Rahman, inzwischen nisierten die Kreditwirtschaft; Gründung
Präsident, wurde 1981 ermordet. Seit öffentl. Banken: 1407 St.-Georgs-Bank
1982 wieder Militärregierung unter H. M. in Genua, 1619 Venedig, 1609 Amster-
Ershad, 1986 wurde die Verfassung wieder dam, 1619 Hamburg, 1621 Nürnberg;
eingesetzt, 1988 der Islam zur Staatsreli- erste Großbank: B. von England 1694;
gion erklärt. Seit der Verfassungsreform in Deutschland erst 2. Hälfte des 19. Jh.
1991 hat Bangladesch wieder eine funk- (Darmstädter, Dt. B.); erste Notenbank
tionierende parlamentarische Demokratie 1716 in Frankreich gegr. von ↑ Law.
(nach der Verfassung von 1972 herrschte Batiks, Sir Joseph, brit. Naturforscher
eine präsidiale Republik), 1996 –2001 und Geograf, 1743–1820; 1769–1771
Premierministerin Hasina Wajed, seither mit Cook auf Weltreise, Erforscher Is-
Khaleda Zia. – Bangladesch war und ist lands, 1788 Begründer der „Afrikan. Ge-
trotz umfangreicher ausländischer Ent- sellschaft“.
wicklungshilfe nach wie vor eines der Bann, im MA das Recht des Königs, dann
ärmsten Länder der Welt; Korruption, auch der vom König beauftragten Grafen,
eine desolate Wirtschaftslage, die sich in einem Bezirk bei Strafe etwas zu gebie-
ständig wiederholenden Umweltkatastro- ten oder zu verbieten; auch das Verbot
phen und das starke Bevölkerungswachs- oder Gebot oder die Strafe selbst; schließ-
tum verhindern, dass sich die Lage für die lich das Gebiet, das unter der Gewalt des
Bevölkerung wesentlich verbessert. B.-Herrn stand (Blut-, Burg-, Wild-, Kö-
Banken, benannt nach den Banken (ita- nigs-, Heerbann usw.). – Beim Kirchen-
lien. banca = Tisch) der Münzwechs- bann, in bes. schweren Fällen durch päpst-

88
Barclay de Tolly

liche Bulle verhängt, wird unterschieden Bar (Le Barrois), Landschaft und ehemals
der „Kleine“ und „Große B.“ (lat. Excom- Grafschaft, seit 1355 Herzogtum, in Frank­
municatio minor und major oder Ana- reich beiderseits der oberen Maas, kam
thema); der Kleine B. schloss von den Sa- 1431 zu Lothringen, mit diesem 1766 an
kramenten und kirchlichen Ämtern aus, Frankreich.
der Große B. stieß aus jeder christlichen Barbados, Antilleninsel nordöstlich von
Gemeinschaft, dem bürgerlichen Verkehr Trinidad; 1519 von Spaniern entdeckt,
und Recht aus. seit 1625 englisch, im 17. und 18. Jh. Mit-
Banner, im MA rechteckige Fahne der telpunkt des Sklavenhandels. Seit 1966
Bannerherren (des Landes- oder höheren ist B. Commonwealth-Mitglied, weiter-
Lehnsherrn) mit dem Wappenbild; Städte hin auf wirtschaftliche Unterstützung des
führten ihr B. oft auf einem B.-Wagen; B. Mutterlandes angewiesen.
zum Unterschied von der einfachen Fahne Barbaren, Bezeichnung der Griechen für
an einem Querbalken befestigt. alle nicht Griechisch Sprechenden, seit
Bannforst (Bannwald) und Banngewässer, den Perserkriegen mit einem Beiklang der
vom König kraft seines Wildbannrechtes Geringschätzung (Mangel an Bildung); für
abgegrenztes Gebiet, dessen Nutzung er die Römer alle Fremden und (vom röm.
sich zu Jagd oder Fischfang vorbehielt Standpunkt) Unzivilisierten, besonders
oder als Privileg vergab; seit Heinrich IV. die Germanen.
wurde (wenn es sich nicht um königlichen Barbarossa, 1) Emir von Algier, ↑ Chaired-
Grundbesitz handelte) dem betroffenen din. 2) Bezeichnung für ↑ Friedrich I.
privaten Grundbesitzer ein Mitnutzungs- Barberini, röm. Adelsgeschlecht mit Ba-
recht zugestanden. rockpalast und Bibliothek in Rom (heute
Bannmeile, im MA der Bannbezirk ei- in der Vaticana); aus ihm ging Papst Ur-
ner Stadt oder eines Herrensitzes (Kloster, ban VIII. hervor; von diesem gefürstet,
Schloss, Burg), meist der Umkreis einer 1738 erloschen.
Meile, innerhalb dessen kein Fremder Ge- Barcelona, Hauptstadt der span. Provinz
werbe oder Handel treiben durfte bzw. für Katalonien; angeblich phönik. Gründung,
den das ↑ Bannrecht bestand. seit Mitte des 3. Jh. n. Chr. Hauptstadt der
Bannrecht, Recht der Grundherren, das röm. Provinz Hispania Citerior (Barcino);
die Bewohner des Bannbezirkes verpflich- 415 von den Westgoten unter ↑ Athaulf,
tete, bestimmten Bedarf nur an den vom 713 von den Arabern und 801 von den
Grundherrn bestimmten Stellen zu befrie- Franken erobert (Hauptstadt der Span.
digen, z. B. Mahlzwang, Bierzwang, Kel- Mark); im 10. Jh. von christlichen Mark-
terzwang usw.; im l9. Jh. in ganz Europa grafen regiert, 985 von den Arabern wie-
durch die Gewerbeordnung aufgehoben. dererobert, kam 1137 an Aragonien; im
Bantu, ↑ Afrika. 17. Jh. zeitweise bei Frankreich; wirtsch.
Bao-Dai, Kaiser, ↑ Annam, Vietnam. Zentrum des Königreiches Aragonien,
Baptisten (Täufer), christliche Freikirche im 19. Jh. Aufstieg zur führenden Indus-
mit selbständigen Gemeinden, verwar- triestadt Spaniens; Hort des Anarchismus,
fen die Kindertaufe, Gegner der Staats- Mittelpunkt des katalan. Separatismus; im
kirchen; hielten sich streng an die Bibel; span. Bürgerkrieg (1936–1939) Sitz einer
1633 in England entstanden, 1639 durch autonomen (katalan.) Regierung.
Roger Williams nach Nordamerika ver- Barclay de Tolly, Michael, Fürst, russ.
pflanzt; 1834 auch in Deutschland B.-Ge- Feldherr, 1761–1818; aus schott. Fami-
meinden; seit 1905 im Baptist. Weltbund lie, Oberbefehlshaber der russ. Westarmee
zusammengeschlossen. 1812 (bis zur Schlacht bei Smolensk im

89
Bardowiek

Aug.) und 1813/14 (Schlachten bei Dres- Barmer Theologische Erklärung, von
den, Leipzig, vor Paris). der Barmer Bekenntnissynode 1934 ange-
Bardowiek, Ort nördl. Lüneburgs, ver- nommene Erklärung, die die Grundlagen
mutl. langobard. Siedlung, unter Karl d. Gr. des ev. Bekenntnisses formulierte und den
wichtiger Handelsplatz, 965 Münzstätte; Totalitätsanspruch des nat.-soz. Staates
1189 von Heinrich dem Löwen, dem die ebenso ablehnte wie staatliche Funktionen
Stadt die Aufnahme verweigerte, aus Rache für die Kirche; Grundgesetz der ↑ Beken-
zerstört mit Ausnahme des Domes; eine In- nenden Kirche.
schrift auf einer erhaltenen Tierfigur: „Ve- Barock, Epoche der europ. Kunst- und
stigium leonis“ (Spur des Löwen) hält die Kulturgeschichte, löste Ende des 16. Jh.
Erinnerung an den Welfen wach. die Spätgotik bzw. die Renaissance ab,
Barebone-Parlament, 1653 von Crom- setzte sich wie diese von Italien aus im
well berufen, nur 155 Mitglieder; Spott- übrigen Europa durch und herrschte als
name nach seinem Sprecher B. (= Toten- der dem Zeitalter der Gegenreformation
knochen); bald aufgelöst. und des Absolutismus gemäße künstler.
Barents, Willem, holländ. Seefahrer, um Ausdruck bis Mitte des 18. Jh. vor, in der
1550–1597; entdeckte auf der Suche nach Architektur, Bildhauerei, Malerei, Lite-
der Nordost-Durchfahrt 1596 Spitzber- ratur und Musik; der B. führte die klas-
gen, die Bäreninsel und Nowaja Semlja, sische Strenge, Erhabenheit und Ruhe der
auf der Rückreise gestorben (nach ihm be- Renaissance in festliche Repräsentation,
nannt B.-See und B.-Insel). Kraft, Bewegtheit und geschwungene Li-
Barere de Vieuzac, Bertrand, frz. Revolu- nienführung über, löste den Raum auf,
tionspolitiker, 1755–1841; 1793 Präsident schwelgte in Formen- und Farbenreich-
des Nationalkonvents im Prozess gegen tum, am Ende übersteigert zu hohler
Ludwig XVI., Mitglied des Wohlfahrtsaus- Pracht und Überladenheit; seit dem Klas-
schusses, half die Girondisten und Danton sizismus und der Aufklärung als schwüls­
stürzen; da er die Bluturteile blumenreich tig missachtet, durch Gurlitt und Wölfflin
umschrieb, „Anakreon der Guillotine“ ge- „wiederentdeckt“.
nannt. Baron, in Frankreich und England im
Bari, Hauptstadt Apuliens; nach Zerfall MA der unmittelbare Kronvasall, in Eng-
des weström. Reiches bei Ostrom, im 9. Jh. land heute die unterste Stufe (Baronet)
von Sarazenen, Byzantinern, Langobarden des Hochadels; in Deutschland seit dem
u. a. umkämpft, 1071 vom Normannen 16. Jh. der Freiherr. In Russland durch Pe-
Robert Guiscard erobert, im 15. Jh. im ter d. Gr. als Adelstitel eingeführt.
Besitz der Sforza, 1558 beim span. König- Baronius, Cäsar, Kardinal, ital. Kirchen-
reich Neapel. historiker, 1538–1607; Verfasser einer l2-
Bar-Kochba (hebr. Schimon Bar Kosiba = bändigen Kirchengeschichte von Christi
Sohn des Sterns), jüd. Fürst, Führer des Geburt bis 1198, fortgesetzt von Reynal-
Judenaufstands 132–135 n. Chr. gegen die dus u. a.
röm. Besatzungsmacht (Kaiser Hadrian); Barras, Paul Vicomte de, einer der Füh-
eroberte große Teile Judäas, erlag aber dem rer der Frz. Revolution, 1755–1829; aus
röm. Feldherrn Julius Severus (die Juden altem Adel, Offizier, als Mitglied der Berg-
verloren etwa 500 000 Mann). Jerusalem partei im Konvent an der Errichtung der
erhielt den Namen Aelia capitolina und Republik führend beteiligt, stürzte 1794
wurde zur heidn. Stadt (Kriegsbefehle, Robespierre, dann Präsident des Konvents,
Briefe, Geräte B.-K.s 1960 in den Höhlen 1795 Mitglied des Direktoriums, von Na-
am Toten Meer aufgefunden). poleon 1799 verbannt.

90
Basilios

Barriere-Traktat, Grenzschutzvertrag von der Schweiz); seit 1501 zur Eidgenossen-


1715, abgeschlossen zw. Österreich und schaft; Heimatstadt Merians, Sitz der Hu-
den Vereinigten Niederlanden, die das manisten und Reformatoren Calvin, Reu-
Recht erhielten, zum Schutz gegen Frank- chlin, Murner, Erasmus. – Das ehema-
reich in mehreren Festungen der österr. lige reichsunmittelbare Bistum B., gegr.
Niederlande Besatzungen zu unterhal- im 4. Jh., verlor im 14. Jh. die Herrschaft
ten; Quelle vieler Reibereien; 1781 von über die Stadt; bei Einführung der Refor-
Joseph II. einseitig gekündigt. mation in B. 1529 verlegten die Bischöfe
Barth, 1) B., Heinrich, dt. Forschungs- ihren Sitz nach Pruntrut; ihre reichsun-
reisender, 1821–1865; erforschte auf 6- mittelbaren Besitzungen kamen 1793 an
jähriger Reise Nord- und Zentralafrika Frankreich – B., auch zwei Halbkantone
(bes. den Sudan). 2) B., Karl, reformierter der Schweiz (B. Stadt und B. Land).
Theologe, 1886–1968; Begründer der dia­ Baseler Frieden, 1795 Separatfrieden zwi-
lektischen Theologie; Gegner des National­ schen Frankreich und Preußen, das den
sozialismus („Vater der Bekennenden Kir- Kampf gegen die frz. Republik einstellte,
che“), des westl. Kapitalismus und des das linke Rheinufer preisgab und dafür
östl. Kommunismus; 1935 aus Deutsch- rechtsrheinisch entschädigt werden sollte.
land vertrieben, lehrte seitdem in Basel Baseler Konzil, 1431–1449, letzter großer
(bed. Werk: „Kirchliche Dogmatik“). Versuch des MA einer Reform der Kirche
Bartholomäusnacht (Pariser Bluthoch- an Haupt und Gliedern, schloss mit den
zeit), Niedermetzelung von mehreren tau- gemäßigten Hussiten einen Kompromiss,
send Hugenotten (u. a. Admiral Coligny, schränkte die Vorrechte des Papstes vor
Führer der frz. Hugenotten) während der allem in finanzieller Hinsicht ein, geriet
Hochzeit Heinrichs von Navarra (spä- aber in der Frage: „Steht das Konzil über
ter Heinrich IV.) und Margaretes von Va- dem Papst?“ in Streit mit Eugen IV., ge-
lois in der Nacht zum Bartholomäustag, gen den sich das Konzil nicht durchsetzen
24. Aug. 1572; Ende der Protestantisie- konnte; der Papst machte die Reformbe-
rung Frankreichs. schlüsse durch den Abschluss von Konkor-
Barthou, Jean Louis, frz. Politiker, 1862– daten zunichte; das Konzil löste sich selbst
1934; Anhänger Poincarés, 1913 Minis- auf (Nachwirkung der konziliaren Idee
terpräsident, 1922 Vorsitzender der Repa- [↑ Konzil] auf den ↑ Gallikanismus).
rationskommission, 1934 Außenminister Basileus (Herr, König), Titel des altgriech.
(Verträge mit den osteurop. Staaten und Archon für die religiösen Opfer und Feste;
der Sowjetunion); zus. mit König Alexan- im MA Titel oström. Kaiser.
der von Jugoslawien in Marseille ermor- Basilios, 1) B. I., der Makedonier, Kai-
det. ser von Byzanz (867–886); Begründer der
Basedow, Johann Bernhard, dt. Päda- makedon. Dynastie, kämpfte erfolgreich
goge, 1723–1790; regte Reformen des Er- gegen die Araber, reorganisierte Verwal-
ziehungswesens im Geist der Aufklärung tung und Gesetzgebung. 2) B. II., Kaiser
an, gründete 1774 das Philanthropinum von Byzanz (976–1025); zerstörte das bul-
(Lehrerseminar und Musterschule) in Des- gar. Reich endgültig 1018, daher Beiname
sau (↑ Philanthropinismus). „Bulgaroktonos“ = Bulgarentöter; festigte
Basel, römische Gründung (Lager „Basi- und erweiterte die byzantin. Macht von
lia“ und Kolonie „Augusta ­Rauracorum“), der Adria bis zum Euphrat, hatte ent-
seit Ende des 5. Jh. fränkisch, 912 an scheidenden Anteil an der Christianisie-
Burgund, 1032 beim Dt. Reich, spä- rung Russlands; Blüte der byzantin. Kunst
ter Reichsstadt; 1460 Universität (älteste („Makedonische Renaissance“).

91
Basilius der Große

Basilius der Große, hl., Kirchenlehrer, Bastarner, ostgerman. Volksstamm zwi-


331–379; Erzbischof von Cäsarea (Kap- schen Karpaten und Weichsel; stießen
padokien), im Sinne der Beschlüsse von Ende des 2. Jh. v. Chr. zum Balkan vor, 168
↑ Nicäa Gegner des ↑ Arianismus, Begrün- Bundesgenossen des Königs Perseus gegen
der des Mönchswesens der Ostkirche (Ba- die Römer, dann in Thrakien; gingen im
silianer), für die seine 451 zusammenge- 2. Jh. n. Chr. in den Goten auf.
fasste Mönchsregel noch heute gilt; Stifter Bastiat, Frédéric, frz. Nationalökonom,
eines großen Hospitals zur Aufnahme von 1801–1850; Freihändler, propagierte den
Armen, Kranken und Pilgern (die erste Wirtschaftsoptimismus Careys, kämpfte
bekannte Anstalt christlicher Liebestätig- gegen den Sozialismus.
keit). Bastille, urspr. in Frankreich üblicher
Basken, Volksstamm beiderseits der west- Name für alle mit Bastionen und Türmen
lichen Pyrenäen, zum größeren Teil bei versehenen Schlösser; Name der Zwing-
Spanien (mit Hauptstadt Bilbao), mit der burg, die Karl V. und Karl VI. 1369–1382
einzigen noch lebenden nicht-indogerman. zu Paris bauen ließen; seit dem 15. Jh.
Sprache Westeuropas, vermutlich Rest der Staatsgefängnis, kam die B. bald in Verruf,
iber. Urbewohner Spaniens; kämpften im sie wurde am 14. Juli 1789 als Zeichen der
Span. Bürgerkrieg 1936–1939 (obwohl Tyrannei vom Volk erstürmt und 1792 ab-
streng kath.) auf Seiten der Republik für getragen; der 14. Juli wurde frz. National­
Autonomie und Sprachenrechte. Wäh- feiertag.
rend der Regierungszeit ↑ Francos sepa- Bataver, german. Volksstamm an der
ratist. Bestrebungen und zahlreiche Ter- Rheinmündung; unter Cäsar röm. Unter-
roraktionen der Separatistenorganisation tanen, erhoben sich 69 n. Chr. unter Ci-
ETA. Seit 1979 Autonomiestatut: eigenes vilis, einem im röm. Heer ausgebildeten
Regionalparlament, eigene Regionalregie- Häuptling, an der Spitze aller Rheinger-
rung. Dennoch weiterhin Terroranschläge manen gegen die röm. Herrschaft, 71 wie-
der ETA (unterbrochen von einem Waf- der unterworfen; 288 von den salischen
fenstillstand 1994–1999), die nach der Franken überwältigt.
Gründung eines selbständigen baskischen Batavia, Hauptstadt der Insel Java und
Staates strebt. Niederländ.-Indiens, seit 1619 Verwal-
Bassermann, dt. Politiker: 1) B., Fried- tungssitz der Niederländ.-Ostind. Kom-
rich, 1811–1855; stellte im Badischen panie (Umbenennung aus Djakarta in Ba-
Landtag den Antrag auf dt. Nationalver- tavia); heute wieder Djakarta, Sitz der in-
tretung, Mitglied der Frankfurter National­ dones. Regierung.
versammlung auf Seiten der preuß.-erb- Batavische Republik, 1795 Name der
kaiserlichen Partei, gemäßigt liberal; die Vereinigten Niederlande nach der Vertrei-
„B.schen Gestalten“ („Gestalten“ als Be- bung der Oranier durch das revolutionäre
zeichnung für zwielichtige Personen in B.s Frankreich; 1806 von Napoleon zum Kö-
Bericht über eine Reise nach dem revolu- nigreich Holland (unter Napoleons Bru-
tionären Berlin) wurden sprichwörtlich. der Louis) erklärt; 1815 Holland und das
2) B., Ernst, 1854–1917; Führer der Na- österr. Belgien zum Königreich der Nie-
tionalliberalen Partei seit 1904. derlande vereinigt (bis 1830).
Bastard, das Kind einer außerehelichen Bathory, altes ungar. Adelsgeschlecht.
oder unebenbürtigen Verbindung, im MA – B., Stephan IV., König von Polen
herald. durch den sog. Bastardfaden ge- (1575–1586); zuvor Fürst von Siebenbür-
kennzeichnet, der schräg durch das Wap- gen, setzte sich nach seiner Wahl in Polen
pen verläuft. gegen den Gegenkandidaten Kaiser Maxi-

92
Bauernbefreiung

milian II. durch, kämpfte erfolgreich um Austromarxismus in Österreich, 1918/19


Livland gegen Moskau. Staatssekretär des Äußeren; für Anschluss
Bath-Partei, arab. polit. Partei, die den an Deutschland, 1920 maßgeblich an der
föderativen Zusammenschluss der arab. Ausarbeitung der österr. Verfassung betei-
Staaten auf der Grundlage einer sozialist. ligt; emigrierte nach dem Sozialistenauf-
Gesellschaft anstrebt; in Syrien und bis stand 1934. 4) B., Wilhelm, Pionier des
2003 im Irak an der Macht. U-Bootes, 1822–1876; bayer. Unterof-
Batschka, Landschaft zwischen ­ unterer fizier; der von ihm konstruierte „Brand-
Theiß und Donau mit dem Hauptort taucher“ sank 1851 auf Probefahrt in der
Neusatz. Anfang des 18. Jh. von Öster- Kieler Bucht.
reich den Türken entrissen und mit Deut- Bauernbefreiung, allg.: revolutionäre oder
schen besiedelt; 1920 größtenteils an Ju- reformgesetzliche Beseitigung der persön-
goslawien (heute Teil der Wojwodina), der lichen oder dinglichen Dauerabhängigkeit
Rest an Ungarn. des Bauern von ↑ Grund- oder ↑ Gutsherr-
Batthyany, altes ungar. Adelsgeschlecht: schaft; die Bindungen gingen z. T. auf die
1) B., Karl Joseph, Fürst von, österr. Feld- Siedlungszeit zurück, verstärkten sich nach
marschall und Staatsmann, 1698–1772; Ausbau der Gerichtsherrschaft und Polizei-
Waffengefährte Prinz Eugens am Rhein gewalt und sonstiger Vorrechte der Grund-
und gegen die Türken; siegte 1745 bei oder Gutsherren, bes. seit dem Ende des
Pfaffenhofen über Franz von Bayern. MA; die Abhängigkeit ging bis zur Schol-
2) B., Eleonore, Freundin des Prinzen Eu- lenpflichtigkeit (Verbot der Freizügigkeit),
gen, um 1698–1745. 3) B., Ludwig, Graf dinglichen Hörigkeit (auch bei Heirat und
von, 1809–1849; erster ungar. Minister- Erbfall) und Erbuntertänigkeit, der per-
präsident, um den österr.-ungar. Interes- sönlichen und vererbten ↑ Leibeigenschaft
sensausgleich bemüht; wegen Hochverrats mit Frondienst und Abgaben (bes. schroff
erschossen. in den Gutsherrschaften Ostdeutschlands,
Batu Khan, Mongolenfürst, Enkel Dschin- nach dem 30-jährigen Krieg); in England
gis Khans, unterwarf seit 1237 Russland, erhielten die Bauern schon im Spät-MA
nach der Eroberung Kiews verwüstete er persönliche Freiheit, in Österreich unter
Polen und Schlesien, 1241 siegte er bei Maria Theresia und Joseph II.; in Preu-
↑ Liegnitz über ein dt.-poln. Ritterheer, ßen teilweise unter Friedrich Wilhelm I.
zog sich dennoch (wegen des Todes des und Friedrich II.; Hauptanstoß war die
Großkhans) zurück; seit 1251 Herrscher Frz. Revolution, die 1789 die völlige B.
über ein westmongol. Reich (Hauptstadt in Frankreich durchführte; für Deutsch-
Sarai an der Wolga), starb 1255 (↑ Gol- land von größter Bedeutung die Aufhe-
dene Horde). bung der bäuerlichen Erbuntertänigkeit
Bauer, 1) B., Gustav, dt. Politiker, im Jahr 1807 für Preußen (Steinsche Re-
1870–1944; Sozialdemokrat, 1919–1920 formen), ergänzt durch Hardenbergsches
Reichskanzler bis zum Kapp-Putsch; wäh- Regulierungsedikt zur Entschädigung
rend seiner Regierung Versailler Vertrag der Grundherren, vor allem durch Land-
und Weimarer Verfassung. 2) B., Max, abgaben von Seiten der befreiten Bau-
preuß. Oberst, Mitarbeiter Ludendorffs ern (1811 und 1816); ähnliche Gesetze
im 1. Weltkrieg, 1869–1929; setzte sich folgten in den übrigen dt. Ländern; die B.
ein für Vervollkommnung der techn. wurde in Deutschland erst durch die Re-
Waffen und für Lenkung der Kriegswirt- volution von 1848 abgeschlossen; in Russ-
schaft. 3) B., Otto, österr. Publizist und land folgte eine begrenzte B. 1861, durch
Politiker, 1882–1938; Wortführer des die 23 Mio. leibeigene Bauern persönlich

93
Bauernkriege

frei wurden, die Ablösung der Lasten er- Florian Geyer, Wendel Hippler („Bau-
folgte erst seit 1906. Die B. wirkte anfangs ernkanzler“) und Peter Gaismair (Tirol);
nicht nur segensreich: der befreite Bauer im übrigen unfähige Führung Hauptur-
blieb vielerorts lange Zeit außerhalb ei- sache der Niederlage neben dem Mangel
ner schützenden Gemeinschaft, durch die an Disziplin, Unterordnung und militä-
Landabtretung vermehrte sich in manchen rischer Schulung; blutige Niederlage der
Gegenden der Großgrundbesitz (↑ Jun- Bauernhaufen bei Leipheim (Wurzach),
ker), oft Absinken in landloses Landar- Frankenhausen (Thüringen), Königshofen
beiter- oder Häuslertum; insgesamt aber (a. d. Tauber) und Zabern (Elsass); fürch-
kraftvoller Aufstieg eines selbstbewussten terliches Strafgericht der Fürsten (Bau-
Bauerntums, Bildung neuer Bauernstellen ernmetzeleien des Feldhauptmanns des
und Steigerung der Agrarproduktion. Schwäbischen Bundes, des Georg Truch-
Bauernkriege, Erhebungen der Bauern in seß von Waldburg); drückendere Abhän-
W- und Mitteleuropa mit dem Ziel, das gigkeit der Bauern als zuvor; Versinken in
„alte Recht“ wiederherzustellen, d. h. die politische Lethargie; zum Teil Abkehr von
Ansprüche der feudalen Mächte (König- der Reformation.
tum, Kirche, Adel) auf Obereigentum an Bauernlegen, in der Zeit der ↑ Grund-
allem Boden zurückzuweisen und das po- herrschaft das gewaltsame Einziehen,
lit. und soziale Ansehen des Bauernstandes aber auch der Aufkauf bäuerlicher Stel-
wieder zu heben; z. T. mit wirtschaftlichen len durch die Grund- oder Gutsherren;
Forderungen verbunden (Minderung der in England, wo die Bauern der herrschaft-
Abgaben); z. T. im Gefolge reformator. lichen Schafweide und dem Park weichen
Strömungen (Wiclif; Luther); Kampf um mussten, führte das B. zum Ruin des Bau-
„göttliches Recht“: Verwirklichung der ernstandes; in Deutschland griffen z. T.
(sozial aufgefassten) „Gerechtigkeit Gottes Landesherren zugunsten der Bauern ein,
auf Erden“. – Bereits im 3. Jh. n. Chr. und z. B. in Preußen (Ostelbien), wo nach dem
später Bauernunruhen im röm. Gallien, 30-jährigen Krieg ein umfassendes B. ein-
wiederholte Aufstände der ↑ Bagauden; setzte, die Armee aber auf das bäuerliche
1322–1328 in Flandern, 1356 in Nord- Rekrutenreservoir angewiesen war und das
frankreich (↑ Jacquerie), 1381 in England B. verboten wurde.
(↑ Wat Tyler), 1513–1515 in der Schweiz; Bauhütten, seit dem späteren MA Werk-
1431 in Worms, 1461 im Allgäu, 1476 der stattverband aller an Sakral­bauten tätigen
Pfeifer von Niklashausen; 1502 „Bund- Handwerker; mit streng ­hierarch. Aufbau
schuh“ am Rhein, 1514 „Armer Konrad“ (Bauknechte, Lehrlinge, Gesellen, Poliere,
in Württemberg. – 1524–1525 der Große Hüttenmeister), ­ eigener Gerichtsbarkeit,
B., breitete sich in wenigen Wochen vom Freizügigkeit, ­Ausbildungs- und Lohnord-
Allgäu nach Tirol, Württemberg, Schwa- nungen (Hüttenordnungen), Steinmetz-
ben, Lothringen, Franken bis nach Thü- zeichen; ihre Mitglieder zur Geheimhal-
ringen aus; gemäßigtes Programm der tung der Kunstregeln verpflichtet; Haup-
↑ „Zwölf Artikel“; Anschluss von Städten torte der Bauhütten: Straßburg, Wien,
an die Bewegung freiwillig, Anschluss von Köln und Bern (Zürich); 1459 gaben sich
Adligen und Fürsten meist erzwungen; die B. zu Regensburg ein gemeinsames
vergebliche Hoffnung auf Zustimmung Statut, das Kaiser Maximilian I. 1498 be-
des Kaisers (Reichsreformprogramm) stätigte; Oberhaupt aller dt. B. war die B.
und Luthers (anfangs auf Seiten der Bau- von Straßburg; im 17. und 18. Jh. Ver-
ern, dann Schrift „Wider die räuber. und schmelzung mit Steinmetzzünften; im
mörder. Bauern“); Führer von Format nur 19. Jh. aller Sonderrechte entkleidet.

94
Bayern

Bäumer, Gertrud, eine der bedeutendsten Provinz Noricum; reiche röm. Provinzial­
Vertreterinnen der dt. Frauenbewe- kultur (Bodenfunde, Reste der Straßen-
gung, 1873–1954; wirkte 1919–1933 im züge: Castra Regina [Regensburg] bedeu-
Reichsinnenministerium und im Reichs- tender militär. Mittelpunkt).
tag; namhafte historische und politische Um 500 n. Chr. Einwanderung und erste
Schriftstellerin. Landnahme der Bajuwaren (Bayern, wohl
Baumwolle, kam in ältesten Zeiten von aus Böhmen kommend, aus kelt., geman.,
Indien-China nach Ägypten, durch Phö- röm. Volksteilen zusammengesetzt); um
niker und Karthager nach Griechenland, 570 Vorstoß bis Südtirol, um 670 bis zum
Sizilien und Spanien; auch die Inka kann- Wiener Wald. Seit etwa 740 Christiani-
ten B.; B.-Manufakturen (meist Anferti- sierung (iroschott. Mission) und Organi-
gung von Leinen-Baumwolle-Mischge- sation der Kirche, Herzogtum der ↑ Agi-
weben) in Spanien seit dem 8. Jh. durch lolfinger (seit dem 6. Jh., verwandt mit
die Araber; in Italien seit dem 14. Jh. Langobard. Königsgeschlecht) endete 788
(Venedig), von hier gelangte die B. nach mit der Absetzung ↑ Tassilos III. B. wurde
Deutschland (B.-Markt Augsburg); seit fränk. Provinz. Seit 10. Jh. Entwicklung
der Erfindung der Spinnmaschine Ende der Stammesherzogtümer, zunächst unter
des 18. Jh. Verspinnung der reinen Baum- den Luitpoldingern, seit 947 den sächs.
wollfasern vor allem in England, Sachsen ↑ Liudolfingern; unter Herzog Heinrich I.
und Lyon; im 19. Jh. war Baumwolle das größte Ausdehnung (955): Bayern, Fran-
wichtigste Welthandelsgut, doch auch die ken, Nordgau (Oberpfalz), Schwaben,
Quelle schwerwiegender sozialer Probleme Kärnten, Friaul, ital. Marken. 1070–1180
(afrikan. Sklaven auf den Plantagen der mit Unterbrechungen unter Welfenherzö-
nordamerik. Südstaaten; ungesunde Ab- gen, u. a. Heinrich X. der Stolze, ↑ Hein-
hängigkeit der Baumwollländer vom kri- rich XI. der Löwe. Nach dessen Sturz
sengestörten Weltmarkt; drückende sozi- 1180–1918 unter den ↑ Wittelsbachern
ale Lage der Textilarbeiter, darunter viele (1180 bis 1183 ↑ Otto I.); 1214 kam die
Frauen und Kinder). Pfalzgrafschaft bei Rhein („Rheinpfalz“,
Bayard, Pierre du Terrail, Seigneur de, frz. „Unterpfalz“, Pfalz am Rhein, Ober- und
Feldherr, Ritter, 1475–1524; wegen seiner Mittelrheingebiete) zu Bayern, bedeu-
Tapferkeit unter Karl VIII., Ludwig XII. tender Machtzuwachs (seitdem der Löwe
und Franz I. von Frankreich „Ritter ohne im bayer. Wappen); doch 1255 erste Lan-
Furcht und Tadel“ genannt. desteilung: 1) Oberbayern und Rhein-
Bayern (bis Ludwig I. „Baiern“ geschrie- pfalz (mit Kurwürde), 2) Niederbayern;
ben), setzt sich zusammen aus Altbayern ↑ Ludwig IV. der Bayer (1302 Herzog,
(südl. der Donau zwischen Lech und 1314 dt. Kaiser) schloss mit seinen Nef-
Salzach), der Oberpfalz und den neubayer. fen, den Söhnen des Pfalzgrafen Rudolf,
Gebieten Franken (beide nördl. der Do- den Hausvertrag von Pavia (1329): Die
nau) und Schwaben (zwischen Lech und Rudolfinger erhielten die Rheinpfalz und
Iller). Alt-B. urspr. besiedelt von ↑ Kelten die Oberpfalz, Ludwig behielt Ober- und
und ↑ Illyrern, beteiligt an den Kulturen Niederbayern; nach dem Tod Ludwigs des
der ↑ Hallstatt- und der ↑ Latène-­Periode; B. (1347) 1349 2. Landesteilung, 1392
seit Ende des 2. Jh. v. Chr. Rückzug der 3. Teilung (Linien: Straubing, Ingolstadt,
Kelten; dann Römerherrschaft; Teil der Landshut, Oberbayern mit München).
Provinz Rätien (einschließlich Vindelicien) Nach dem Aussterben der Landshuter Li-
mit Hauptstadt Augusta ­ Vindelicorum nie erhob Pfälzer Linie gegen München An-
(Augsburg) und, östl. des Inns, Teil der spruch auf Landshuter Land, daher grau-

95
Bayern

samer Erbfolgekrieg; durch Schiedsspruch wurden; Maximilian IV. Joseph (↑ Max. I.


Kaiser Maximilians I. unter Albrecht V. Josef, 1756–1825) wurde mithilfe seines
dem Weisen (1467–1508) Wiederverei- absolutist. (1817 entlassenen) Ministers
nigung Bayerns, aber gleichzeitig für die Montgelas zum Schöpfer des modernen
Söhne des Pfälzers Errichtung eines neuen Bayer. Staates (u. a. Aufhebung der Leib-
Fürstentums Neuburg-Sulzbach („Jüngere eigenschaft; 1818 Verfassung); im Bunde
Pfalz“); zur Vermeidung neuer Landestei- mit Napoleon (↑ Rheinbund) beträcht-
lungen erließ Albrecht IV. das Primoge- liche territoriale Gewinne, bes. Südtirol,
niturgesetz (1506): Vererbung nach dem dessen Aufstandsbewegung niedergeschla-
Recht der Erstgeburt. Unter ↑ Wilhelm IV. gen wurde. Schon 1803 durch den Reichs-
(1508–1550) Rechtsreform; Unterdrü- deputationshauptschluss Erwerb der Bis­
ckung des Luthertums; unter ↑ Albrecht IV. tümer Augsburg, Freising, Würzburg usw.;
(1550–1579): nach außen Annäherung an 1805 ff. Erwerb von „Neubayern“: Mark-
die protestant. Reichsstände, innenpolit. grafschaften Ansbach und Bayreuth,
infolge (protestant.) Adelsverschwörung Reichsstadt Nürnberg, mediatisierte Ge-
und unter Einfluss der Jesuiten (Universi- biete; 1806 Erhebung zum Königreich,
tät Ingolstadt) streng katholisch; ↑ Maxi- 1812 Teilnahme am napoleon. Feldzug
milian I. (1597–1651) errichtete den kath. nach Russland, 1813 Anschluss an die Ver-
Musterstaat, Vertreter eines gemäßigten bündeten. Unter dem deutschgesinnten
Absolutismus, im 30-jährigen Krieg Heer- und kunstliebenden König ↑ Ludwig I.
führer der ↑ Liga, Rivale Wallensteins, er- (König 1825–1848) wirtschaftlicher und
hielt 1623 zur Belohnung die Kurfürsten- kultureller Aufstieg. München geistiges
würde; während des Krieges 1632–1646, Zentrum Deutschlands; 1848 Revolution
1648 Verwüstungen B.s; im Westfäl. Frie- und Abdankung des Königs (im Zusam-
den Kurfürstenwürde als erblich aner- menhang mit der Lola- ↑ Montez-Affäre).
kannt. ↑ Ferdinand Maria (1651–1679) König ↑ Maximilian II. (König 1848–
trieb frankreichfreundliche Neutralitäts- 1864) bes. Förderer der Wissenschaften.
politik; ↑ Max II. Emanuel (1679–1726), Unter König ↑ Ludwig II. (1864–1886)
zunächst beteiligt am Türkenkrieg, erwarb mitentscheidende dt. Politik, nach dem
durch Bündnis mit Frankreich die Nieder- Krieg 1866 Friede mit Preußen und 1867
lande, daher wurde B. im ↑ Span. Erbfol- Schutz- und Trutzbündnis mit Preußen,
gekrieg ein Opfer Österreichs (Bauernauf- 1870 Beitritt zum Dt. Reich (doch Son-
stand, Sendlinger Mordweihnacht). 1724 derstellung durch Reservatrechte); Kul-
Unions-Erbvertrag zw. Bayern und Pfalz, turkampf. Nach Ludwigs II. Tod Regent-
1726–1745 Karl Albrecht als ↑ Karl VII. schaft Prinz Luitpolds (für Ludwigs geis­
Kaiser; im Österr. Erbfolgekrieg Bayern teskranken Bruder Otto), Nachfolger: sein
wieder in der Hand österr. Truppen. Im Sohn Ludwig III. (König seit 1913), ver-
Frieden zu Füssen (1745) verzichtete Kur- lor 1918 durch die Revolution den Thron.
fürst ↑ Maximilian III. Joseph auf die ös- 1919 Räterepublik, nach deren Nieder-
terr. Länder (Ende der bayer. Großmacht- werfung „Freistaat“; 1920 Coburg zu B.;
politik). Nach dem Tode Maximilians, Konkordat 1924; nach 1945 Rheinpfalz
mit dem die „Bayer.“ Linie ausstarb, 1777 und Lindau bis 1956 der bayer. Verwal-
Regierungsantritt des (pfälz.) Kurfürsten tung entzogen; 1956 Lindau wieder bei
↑ Karl Theodor (bis 1799), dessen Tausch- B., Rheinpfalz blieb bei Rheinland-Pfalz;
pläne (Eintausch der Niederlande gegen 1946 neue Verfassung. Als einziges westdt.
Bayern) durch Einschreiten Friedrichs Parlament lehnte der Bayer. Landtag 1949
d. Gr. (Dt. Fürstenbund 1785) verhindert das Grundgesetz ab, akzeptierte jedoch die

96
Bebel

Gründung der Bundesrepublik Deutsch- Béarn, ehemaliges Fürstentum Südfrank-


land unter Einschluss von B. Stärkste Par- reichs, am Fuße der Pyrenäen, von Basken
tei ist seit den ersten Landtagswahlen von bewohnt, seit 600 fränk. Grafschaft; kam
1946 die CSU, die 1946–1956 und seit 1548 durch Heirat an das Haus Bourbon,
1957 in unterschiedlich zusammengesetz- fiel durch Heinrich IV. (den „Béarner“)
ten Koalitionen, seit 1962 in der Alleinre- 1589 an die frz. Krone, mit der es 1620
gierung den Ministerpräsidenten stellt. für immer vereinigt wurde.
Bayeux, Tapisserie de, berühmter Bildtep- Beatrix von Burgund, um 1144–1184;
pich aus dem Ende des 11. Jh., im roma- 2. Gemahlin Kaiser Friedrichs I. seit 1156,
nischen Stil; Stickerei mit farbiger Wolle Tochter und Erbin des Pfalzgrafen Rai-
auf weißer Leinwand (50 cm hoch, 70 m nald II. von Burgund.
lang), mit ausführlicher und durch latein. Beaufort, Henry, engl. Kardinal und
Legende erklärter Darstellung der Erobe- Staatsmann, 1377–1447; Lordkanzler,
rung Englands durch die Normannen 1417 auf dem Konstanzer Konzil; gehörte
(Sieg Wilhelms des Eroberers bei Hastings dem Gerichtshof an, der Jeanne d’Arc ver-
1066). urteilte; krönte 1431 Heinrich VI. in Paris
Bayle, Pierre, frz. Philosoph der Aufklä- zum König von Frankreich.
rung, 1647–1706; forderte Geschichts- Beauharnais, 1) B., Alexandre, Vicomte
schreibung nach krit. gesichteten Quellen; de, frz. General, 1760–1794; kämpfte im
Verfechter der uneingeschränkten Freiheit nordamerik. Unabhängigkeitskrieg, 1789
der Wissenschaft und des Bekenntnisses; Mitglied der Nationalversammlung, we-
Moral nur auf Vernunft gegründet. gen der Räumung von Mainz guillotiniert.
Bayonne, frz. Stadt am Golf von Biskaya, 2) B., Josephine, Witwe von 1), 1763–
1154–1451 englisch; 1808 Zusammen- 1814; heiratete durch Vermittlung von
kunft Napoleons I. mit dem span. König Barras 1796 Napoleon Bonaparte, von
Karl IV., der zugunsten Joseph Bonapartes ihm 1804 zur Kaiserin gekrönt; da sie kin-
auf den span. Thron verzichtete. derlos blieb, ließ Napoleon sich 1809 von
Bayreuth, Hauptstadt Oberfrankens; erst- ihr scheiden. 3) B., Eugen, Sohn von 1)
mals 1194 genannt, 1248 im Besitz der und 2), Stiefsohn Napoleons, 1781–1824;
hohenzollernschen Burggrafen von Nürn- 1805–1814 Vizekönig von Italien, 1817
berg, 1430 von den Hussiten zerstört; als Schwiegersohn des Königs Max I. von
1557–1603 mit der Markgrafschaft Ans- Bayern zum Herzog von Leuchtenberg er-
bach vereinigt; 1604–1769 Residenz der hoben. 4) B., Hortense, Tochter von 1)
Linie Brandenburg-B., 1769–1791 wieder und 2), 1783–1837; seit 1802 Gemahlin
mit Ansbach vereinigt; 1792–1806 preu- Ludwig Bonapartes, des späteren Königs
ßisch, 1807–1810 unter frz. Verwaltung; von Holland, Mutter Napoleons III.
1810 an Bayern. – 1876 Eröffnung des Bebel, August, einer der Mitbegründer
Richard-Wagner-Festspielhauses, seither und Führer der Sozialdemokrat. Partei
Festspielstadt. in Deutschland, 1840–1913; Sohn eines
Bazaine, François Achille, frz. Marschall, Unteroffiziers, 1864 Drechslermeister in
1811–1888; 1863–1867 Oberbefehlsha- Leipzig, schloss sich Arbeiterbildungs-
ber des frz. Expeditionskorps in Mexiko, vereinen an, gründete 1869 zus. mit W.
wegen der Kapitulation von Metz (1870) ↑ Liebknecht in Eisenach die Sozialdemo-
zum Tode verurteilt, von MacMahon zu krat. Arbeiterpartei, seit 1867 im Reichs-
Festung begnadigt, entfloh 1874 nach tag, glänzender Agitator und Organisator;
Spanien. unter dem Sozialistengesetz 1878–1890
Beaconsfield, ↑ Disraeli. der meistverfolgte Mann Deutschlands,

97
Beck

mehrmals des Hochverrats angeklagt und Beecher-Stowe, Harriet, amerik. Schrift-


verurteilt; setzte sich in den 70er Jahren stellerin, 1812–1896; Vorkämpferin gegen
gegen die Nachfolger ↑ Lassalles und nach die Sklaverei („Onkel Toms Hütte“, 1852,
Neugründung der Partei 1890 (Erfurter in 37 Sprachen übersetzt); trat für die be-
Programm) gegen die radikaleren „Jungen“ rufliche Frauenemanzipation ein.
durch, hielt gegen die „Revisionisten“ aber Befreiungskriege, 1812–1815, Kampf fast
auch am Marxismus fest. ganz Europas gegen die Herrschaft Napo-
Beck, 1) B., Józef, poln. Staatsmann, leons nach dessen gescheitertem Russland-
1894–1944; Waffengefährte und Vertrauter feldzug 1812; eingeleitet durch die preuß.-
Pilsudskis, seit 1932 Außenminister, ver- russ. Konvention von ↑ Tauroggen und
suchte vergeblich zwischen bolschewist. die ostpreuß. Volkserhebung; entschieden
Russland und nat.-soz. Deutschland zu la- durch die Völkerschlacht bei Leipzig Okt.
vieren (Nichtangriffspakte), um Polen zu 1813 und, nach Napoleons Rückkehr von
retten. 2) B., Ludwig, dt. Generaloberst, Elba, durch die Schlacht von ↑ Belle-Al-
1880–1944; Generalstabschef 1935–1938, liance (Waterloo) 1815, endend mit Na-
als Gegner der Kriegspolitik Hitlers entlas- poleons Verbannung nach St. Helena.
sen; Haupt der Verschwörung gegen Hitler Verlauf: Dezember 1812 Neutralitätsver-
im Juli 1944, nach gescheitertem Selbst- trag des aus Russland weichenden preuß.
mordversuch erschossen. Hilfskorps mit den Russen; Februar 1813
Becket, Thomas, hl., um 1118–1170; preuß.-russ. Schutz- und Trutzbündnis
1155 Kanzler Heinrichs II. von England, von Kalisch; März 1813 Kriegsaufruf des
seit 1162 Erzbischof von Canterbury und preuß. Königs von Breslau aus und Kriegs-
Vorkämpfer des Papsttums gegen die In- rüstung; Mai 1813 Siege Napoleons, auf
vestituransprüche des Königreichs, floh dessen Seite die Rheinbundstaaten stan-
1164 nach Frankreich, nach seiner Rück- den, bei Groß-Görschen und Bautzen.
kehr im Dom von Canterbury erschlagen; Rückzug der Verbündeten nach Schle-
1173 heiliggesprochen; vielfach literarisch sien und Waffenstillstand; Juni bis August
gestaltet (T. S. Eliot, Anouilh). 1813 Allianz Preußen-Österreich-Russ-
Beda, gen. Venerabilis (der Ehrwürdige), land-England; August 1813 Siege über frz.
angelsächs. Theologe aus Northumberland, Heere bei Groß-Beeren und an der Kau-
hl., um 673–735; Humanist, schrieb erste bach; Niederlage bei Dresden; Aug. und
engl. (Kirchen-)Geschichte und „Die sechs Sept. 1813 Niederlage frz. Generale bei
Weltzeitalter“, regte die christliche Zeit- Kulm, Nollendorf und Dennewitz; Okt.
rechnung in der Geschichtsschreibung an. 1813 Umfassung und Niederlage Napole-
Bede (mhdt., Bitte), eine seit dem 12. Jh. ons bei Leipzig (Völkerschlacht bei Leip-
in allen dt. Territorien übliche direkte zig); Napoleon flüchtete über den Rhein;
Steuer, die im allg. der Landesherr von Fall die Rheinbundstaaten traten auf die Seite
zu Fall vom bäuerlichen und bürgerlichen der Verbündeten. – 1814: Krieg in Frank-
Besitz „erbat“ = erhob. Geistlicher und rit- reich: ab Jan. 1814 Vormarsch der Ver-
terl. Besitz waren von der B. befreit. bündeten auf Paris, das im März 1814
Bedford, John, Herzog von, dritter Sohn kapitulierte; April 1814 dankte Napoleon
Heinrichs IV. von England, 1389–1435; ab, Verbannung nach Elba, Rückkehr der
Regent in Frankreich seit 1422, siegte Bourbonen (Ludwig XVIII.). 1. Friede
1424 bei Verneuil über die Franzosen; die von Paris (Grenzen von 1792); seit Sept.
Belagerung von Orléans musste er infolge 1814 ↑ Wiener Kongress zur Neuordnung
des Auftretens der Jungfrau von Orléans Europas. – März 1815: Landung Napole-
aufgeben (1429). ons in Frankreich; Einzug in Paris; engl.,

98
Bela

preuß., niederländ. Truppen sammelten schaft von Frauen für religiöse und wohl-
sich in Belgien; Juni 1815 Sieg Napoleons tätige Zwecke in mauerumgürteten Höfen
über Blücher bei Ligny, alliierter Sieg bei (B.-Höfe); vor allem in Belgien und den
Belle-Alliance (Waterloo); Juli 1815 Ein- Niederlanden heimisch; der männliche
zug der Verbündeten in Paris, Rückkehr Zweig nennt sich Begharden (seit 1230).
Ludwigs XVIII., Napoleon nach St. He- Behaim, Martin, Nürnberger Kaufmann
lena verbannt (dort 1821 gest.); 2. Pariser und Kosmograf, um 1459–1507; Schüler
Frieden (ungefähr die Grenzen von 1790, des ↑ Regiomontanus; seit etwa 1484 mit
Besetzung N- und O-Frankreichs, Kriegs- Unterbrechungen in Portugal, Teilnehmer
entschädigung). – Die Bezeichnung „Frei- und navigator. Ratgeber bei Entdeckungs-
heitskriege“ wurde in demokrat. und libe- fahrten; entwarf den ersten Globus und
ral gesinnten Kreisen abgelehnt, weil die ließ ihn in Nürnberg anfertigen.
den Völkern bei Beginn des Kampfes ver- Beirut, Hauptstadt des Libanon, wich-
sprochene polit. Freiheit des Innern der tiger Hafen an der Levanteküste; die
befreiten Staaten auf dem Wiener Kon- phönik. Hafenstadt Beruta ist seit dem
gress hintertrieben wurde. 14. Jh. v. Chr. belegt; um 140 von den Sy-
Begin, Menachem, israel. Politiker, 1913– rern zerstört, unter Augustus ab 14 v. Chr.
1992; war früh zionistisch aktiv, 1940 als wieder aufgebaut. Seit 635 (mit Unter-
Führer einer radikalen zionist. Jugendor- brechungen) arabisch, 1110 von den
ganisation in Litauen von den Sowjets ver- Kreuzfahrern erobert. 1291 unter Hoheit
haftet und nach Sibirien verbannt, 1942 der Mamelucken, 1516 osmanisch. Seit
nach Palästina eingewandert, ab 1942 dem 19. Jh. bevorzugter Niederlassungs-
Führer der terrorist. Untergrundorganisa- ort westlicher Missionen und Handels-
tion Irgun Zwai Leumi und verantwort- gesellschaften, seit 1943 Hauptstadt der
lich für zahlreiche Gewaltakte. 1948 grün- Republik Libanon. Bis zum Bürgerkrieg
dete B. die rechtsgerichtete Cherut-Partei (1975–1990) eines der wichtigsten Wirt-
und bekämpfte die Politik des Staatsgrün- schaftszentren Vorderasiens, im Bürger-
ders ↑ Ben Gurion, v. a. territoriale Kon- krieg starke Beschädigungen, seit 1991
zessionen an die Araber. 1967–1970 Mi- Wiederaufbau mit einem völlig neuen
nister ohne Geschäftsbereich, seit 1977 Stadtzentrum.
als Kandidat des nationalkonservativen Bekennende Kirche, 1933 aus dem Ge-
Likud-Blocks Premierminister. B. förderte gensatz zur nat.-soz. Kirchenpolitik
die zielbewusste Gründung weiterer israel. (Reichsbischof, „Deutsche Christen“) ent-
Siedlungen in den besetzten jordan. Ge- standene Bewegung innerhalb der evan-
bieten, v. a. in Judäa und Samaria. 1979 gelischen Kirche, die den kirchlichen
Abschluss des israel.-ägypt. Friedensver- Machtansprüchen der Regierenden aus
trages, wofür ihm gemeinsam mit ↑ Sadat dem christl. Bekenntnis heraus entgegen-
der Friedensnobelpreis verliehen wurde. trat (Hauptwortführer die Pastoren Niem-
1981 Annektierung der seit 1967 besetz- öller und Asmussen, von der Schweiz her
ten syr. Golanhöhen, 1982 Invasion des Karl Barth); ↑ Drittes Reich.
Libanon und Duldung des Massakers im Bela, Könige von Ungarn: 1) B. III.
Palästinenserlager Chatila. Im Sept. 1983 (1173–1196); in Byzanz aufgewachsen
trat B. formell zurück, zu den Parlaments- und mit byzantin. Hilfe auf den Thron er-
wahlen 1984 ließ er sich nicht mehr auf- hoben, unterstützte später vorübergehend
stellen. die Serben gegen Byzanz. 2) B. IV. (1235–
Beginen, im 13. Jh. gestiftete, ordensähn- 1270); baute das Land nach den Mongo-
liche (ohne Gelübde, ohne Regel) Gemein- lenverwüstungen (1241 Niederlage bei Er-

99
Belagerungsmaschinen

lau gegen die Mongolen) wieder auf; der bei Spanien und kath. (Vertrag von Arras
von ihm geförderte Burgenbau des Adels 1579); 1659, 1668 und 1678 wurden Ar-
schwächte jedoch die königliche Gewalt. tois, Teile Flanderns und der Hennegau
Belagerungsmaschinen, schon in ältesten französisch; 1714 zu Österreich (Österr.
Zeiten der Stadtkultur bekannt; eine der Niederlande); 1794 Frankreich einver-
ersten Darstellungen auf assyr. Reliefs um leibt, 1815 zusammen mit Holland Kö-
850 v. Chr.; Meister der Belagerungskunst nigreich der Vereinigten Niederlande. Die
die Römer, die selbst die größten und stär- Geschichte des heutigen Staates, der 1831
kstbefestigten Städte (Syrakus, Karthago) seinen Namen B. erhielt, begann 1830 mit
jahrelang nach allen Regeln der Kunst bela- dem Aufstand gegen das aus religiösen und
gerten und nach dem damaligen Stand der wirtsch. Gründen verhasste holländ. Re-
Technik höchstentwickelte B. zum Einsatz gime; Proklamierung der Unabhängigkeit
brachten: Belagerungstürme (in Höhe der Belgiens, die von der Londoner Konferenz
Festungsmauern), Widder (Rammböcke (1831) bestätigt wurde, unter gleichzei-
gegen Mauerwerk und Tore), Katapulte tiger Verbürgung ewiger Neutralität; Hol-
(zum Schleudern von Steinkugeln und land erkannte 1839 die Unabhängigkeit
Brandtöpfen) und Steinschleudern; ähn- Belgiens an; seit 1831 parlamentar. Verfas-
liche B. wurden auch im MA verwendet. sung, im gleichen Jahre Leopold von Sach-
Belfast, seit 1920 Hauptstadt von Nord­ sen-Coburg zum König gewählt; innere
irland. Die Spannungen in Nordirland Politik war beherrscht durch Gegensatz
führten in B. seit dem Ende der 60er Jahre zw. Konservativen und Liberalen, german.
zu schweren Konflikten zwischen Katho- Flamen (seit den 40er Jahren „Flämische
liken und Protestanten. Bewegung“) und roman. Wallonen; ge-
Belfort, frz. Stadt und Festung am Süd- gen Napoleon III. Abwehr der Annexions­
fuß der Vogesen zum Schutz der Burgun- pläne; seit 1881 private Kolonialpolitik
dischen Pforte; Festung 1686 von ↑ Vau- Leopolds II. (1865–1909) am Kongo;
ban gebaut, 1870/71 vergeblich belagert. Gründung des ↑ Kongostaates, der 1908
Belgien, parlamentar. Monarchie in W- belg. Kolonie wurde; 1894 allg. Wahl-
Europa; im röm. Altertum nach dem kelt. recht; 1906 Militärvereinbarung zw. belg.
Stamm der Belgen benannte gall. Land- und engl. Generalstab zur Sicherung der
schaft zw. Seine und Niederrhein; seit Neutralität (↑ Schlieffen); Verletzung der
57 v. Chr. von Cäsar erobert; seit 16 v. Chr. Neutralität Belgiens 1914 durch Deutsch-
röm. Provinz Belgica mit Hauptstadt land Anlass für brit. Kriegseintritt; 1914–
Reims (Durocortorum), umfasste Gebiet 1918 und 1940–1944 unter dt. Besatzung;
zw. Rhein, Nordsee, Seine, Saône; nach nach 1945 heftige innere Auseinanderset-
den Verträgen von Verdun (843) und zungen um die Person Leopolds III., der
Meersen (870) zum Ostfränk. Reich, au- 1940 den Befehl zur Kapitulation gege-
ßer Flandern und Artois; zerfiel seit dem ben hatte; 1947 wirtschaftspolit. Zusam-
10. Jh. in mehrere Territorien (Herzog- menschluss mit Holland und Luxemburg
tümer Limburg, Brabant, Luxemburg; zur ↑ Benelux-Union; 1949 Beitritt zum
Grafschaften Namur, Antwerpen, Henne- Atlantikpakt; seit 1958 im Gemeinsamen
gau nebst dem Bistum Lüttich); im 15. Jh. Markt (EWG); 1960/61 wirtsch. und po-
(einschließlich Flandern und Artois) verei- lit. Erschütterung durch Kongo-Krise. Die
nigt bei Burgund; seit 1482 habsburgisch, Kolonie Belg.-Kongo erhielt 1960 die Un-
1548 zu den Span. Niederlanden; wirtsch. abhängigkeit. Verschärfung der Gegen-
und kulturelle Blüte; im Freiheitskampf sätze zwischen Flamen und Wallonen. Zur
der Niederlande blieben die Südprovinzen Regelung dieser Frage kam es 1971 durch

100
Benedikt von Aniane

Verfassungsänderung, in der die Abkehr Bell, Alexander Graham, amerik. Erfinder


vom Zentralstaat zugunsten einer halbfö- (geb. in Schottland), 1847–1922; konstru-
deralist. Staatsform verankert wurde. 1988 ierte 1876 das erste industriell herstellbare
weitere Verfassungsänderungen, die B. in Telefon (↑ Telefon, Reis).
einen Bundesstaat umwandeln (Regionen Bellarmin, Robert, hl., ital. Jesuit und
Flandern, Wallomen und Brüssel). 1993 Kardinal, 1542–1621; Rechtsphilosoph,
endgültig zu einem föderalistisch struktu- Vorkämpfer des Papsttums gegen territo-
rierten Bundesstaat mit drei autonomen rial- und nationalkirchliche Bestrebungen,
Regionen (Flandern, Wallonien, Brüssel- Verfasser eines Volkskatechismus, der in
Hauptstadt) umgewandelt und Kompe- 60 Sprachen übersetzt wurde, 1930 heilig-
tenzen auf Bundesebene beschränkt. Im gesprochen.
gleichen Jahr wurde Albert II. neuer bel- Belle-Alliance, Gehöft 20 km südl. Brüs-
gischer König. sel, nach dem Blücher die Schlacht von
Belgisch-Kongo, ↑ Kongostaat. ↑ Waterloo benannt hat (↑ Befreiungs-
Belgrad (serb. Beograd = weiße Burg), kriege).
Hauptstadt Jugoslawiens; röm. Singidu- Belsazar, bibl. Name für Belscharussur,
num, kelt. Siedlung, röm. Militärlager, babylon. Kronprinz, führte seit 551 die
das während der Völkerwanderung mehr- Regierungsgeschäfte, wohl 539 v. Chr. im
fach zerstört und wiedererrichtet wurde; Kampf gegen den Perserkönig Kyros II. ge-
im 10. Jh. bulgarisch, 11./12. Jh. byzanti- fallen; im A. T. Gotteslästerer, dem durch
nisch; 1241–42 im Mongolensturm ver- das Menetekel der bevorstehende Unter-
wüstet, vom serb. König Stephan Duschau gang seines Reiches verkündet wird.
als Burg wiedererbaut, fiel B. 1433 an Un- Benedek, Ludwig von, österr. General,
garn; wichtige Grenzfeste gegen die Tür- 1804–1881; unterlag 1866 bei Königgrätz
ken; 1521 türkisch, 1717 von Prinz Eugen als Oberbefehlshaber der Nordarmee den
erstürmt, 1739 im Frieden von B. wieder Preußen.
an die Türken; seit 1827 Hauptstadt Ser- Benedetti, Vincent Graf, frz. Diplomat,
biens, bis 1867 mit türk. Besatzung, seit 1817–1900; seit 1864 Botschafter in Ber-
1918 Hauptstadt Jugoslawiens; im 1. Welt- lin; seine Unterredung 1870 in Bad Ems
krieg von den Truppen der Mittelmächte, mit König Wilhelm gab Anlass zur ↑ Em-
im 2. Weltkrieg von dt. Truppen besetzt. ser Depesche.
Belisar, Feldherr des oström. Kaisers Ju- Benedikt, Name von 16 Päpsten, von de-
stinian I., um 500–565; 522–532 Oberbe- nen B. XII. (1334–1342) als Erbauer der
fehlshaber im Orient, vernichtete 534 das Papstburg von Avignon, B. XIV. (1740–
Vandalenreich in Nordafrika und kämpfte 1758) als Kirchenrechtslehrer und Förde-
536–540 und 544–549 gegen die Ostgo- rer der Wissenschaft und Künste, B. XV.
ten in Italien; 559 schlug er die Hunnen (1914–1922) wegen seiner Bemühungen
vor Byzanz zurück. um den Frieden der Welt (bes. 1917), der
Belize, früher Brit.-Honduras, Republik Linderung des Kriegs- und Nachkriegs­
in Zentralamerika; Kerngebiet der Maya; elends und durch die Herausgabe des
1638 von brit. Schiffbrüchigen besiedelt, ↑ Codex Iuris Canonici von besonderer
seit 1782 unter brit. Schutz, 1862 Kolo- Bedeutung sind.
nie; erhielt 1964 volle innere Autonomie, Benedikt von Aniane, Gote, Abt von
1973 in B. umbenannt, nach langwie- Aniane in Frankreich, um 750–821;
rigen Verhandlungen, v. a. wegen territori- Gründer von Kornelimünster bei Aachen,
aler Ansprüche des Nachbarn Guatemala, Berater Ludwig des Frommen (kirchliche
1981 unabhängig. und weltliche Reformgesetzgebung, Got-

101
Benedikt von Nursia

tesreich auf Erden: ein Gott, ein Kaiser, von 1958 bereitete volle Wirtschaftsunion
eine Kirche). vor, die 1960 verwirklicht wurde (Vertrag
Benedikt von Nursia, hl., Begründer des auf 50 Jahre).
abendländ. Mönchtums, etwa 480–543; Beneš, Eduard, tschechoslowak. Staats-
529 Abt des von ihm gegr. Klosters und mann, 1884–1948; nächster Mitarbei-
mittelalterl. Kulturzentrums Monte Cas- ter ↑ Masaryks, seit 1918 Außenminister,
sino und Verfasser der ersten abendländ. 1935 Staatspräsident, 1938–1945 im Exil
Mönchsregel (Leitsatz: Ora et labora in London. 1946 erneut zum Präsidenten
– Bete und arbeite); Stifter des Benedik- gewählt; trat 1948 nach dem kommunist.
tinerordens. Staatsstreich, dem er unzureichenden Wi-
Benediktiner (Ordo Sancti Benedicti, derstand leistete, zurück.
OSB), der 529 von Benedikt von Nursia Benevent, Stadt nordöstl. von Neapel,
gestiftete Mönchsorden; gegründet auf Samnitersiedlung; 275 v. Chr. Niederlage
Demut, feierliche Gebetsübung (Chorge- des Königs Pyrrhus gegen ein röm. Heer;
sang), Streben nach Vollkommenheit und 545 n. Chr. von den Ostgoten zerstört, da-
geistiger oder profaner Arbeit (zum Un- nach langobard. Herzogssitz, 1049 zum
terschied von der mehr myst. Mönchswelt Kirchenstaat; 1266 fiel Manfred von Ho-
des Orients und der Ostkirche); durch Bo- henstaufen bei B. gegen Karl von Anjou.
denkultivierung, Rodung und Siedlung, Bengalen, ind. Landschaft im Gebiet des
Gartenkulturen, Handwerk (geschlossene unteren Ganges, reichstes und dichtest
Klosterwirtschaft), Bau von Kirchen und bevölkertes Gebiet Indiens; seit Ende des
Klosterschulen, Pflege der Wissenschaft 12. Jh. von Mohammedanern erobert; seit
und Kunst (Buchmalerschulen) wurden 1650 Eindringen der Engländer, ihr Sieg
die B. auf vielen Gebieten Lehrer und bei Plassey (1737) begründete die brit.
Erzieher der abendländ. Völker im MA; Herrschaft in B.; nach der Teilung des un-
zuerst in Einzelklöstern, seit 900 zusam- abhängigen Indien wurde Ost-B. 1947 auf
mengeschlossen in Gruppenklöstern; seit Grund einer Volksabstimmung Pakistan.
596 in England (Abteien, Klosterschulen, Exklave in Hindu-Indien. 1971 prokla-
gelehrte Anstalten); die angelsächsischen mierte Scheich Mujibur ↑ Rahman in Ost-
B. (Suitbert, Willibrord, Bonifatius, Pir- pakistan die unabhängige Republik Ben-
min, Ansgar, Willibald) missionierten galen = ↑ Bangladesch.
in Deutschland und im Norden; bis ins Bengler, Rittergesellschaft, 1391 von
12. Jh. war abendländ. Mönchtum bene- westfäl. und rheinischem Adel gegen den
diktinisch (↑ Cluny, Orden, Monte Cas- Landgrafen von Hessen und den Bischof
sino). von Paderborn gegründet, löste sich 1395
Beneficium, im MA die von der Krone auf; Abzeichen: silberner „Bengel“.
oder Kirche zur Nutzung gegen bestimmte Ben Gurion, David, Gründer und erster
Leistungen (Dienste oder Abgaben) ver- Regierungschef des Staates und der Repu-
gebenen Ländereien, im Kirchenrecht die blik Israel, 1886–1973; geb. im russ.-poln.
Pfründe eines Kirchenamtes; aus der Ver- Plonsk; schon 1906 im damals türk. Paläs-
bindung des B. mit der ↑ Vasallität ent- tina Vorkämpfer des ↑ Zionismus und des
stand das ↑ Lehenswesen. jüd. Siedler-Sozialismus (↑ Israel). B. G.
Benelux, Abk. für Belgique (Belgien), Ne- war von 1948–1953 und von 1956–1963
derland (Niederlande) und Luxembourg Ministerpräsident und Verteidigungsmi-
(Luxemburg); seit 1921 Luxemburg und nis­ter. 1965 Bruch mit der von ihm 1930
Belgien in Wirtschaftsunion; seit 1944 gegr. Arbeiterpartei Mapai und Gründung
mit den Niederlanden Zollunion; Vertrag der Rafi-Partei.

102
Berber

Benin, Volksrepublik in W-Afrika, ehe- bei Preuß.-Eylau besiegte. 2) B., Rudolf


mals frz. Kolonie ↑ Dahomey; 1960 un- von, dt. Politiker, 1824–1902; Hannove-
abhängig, seit 1. Dez. 1975 in B. umbe- raner; 1859 Vorsitzender des Deutschen
nannt. Erste Parlamentswahlen seit dem Nationalvereins, 1866–1898 Führer der
Militärputsch Mathieu Kerékons (1972) Nationalliberalen Partei, Anhänger Bis-
fanden 1979 statt, K. wurde im Amt des marcks, der ihn und seine Partei bis 1878
Staats- und Regierungschefs bestätigt. zur Durchsetzung seiner Politik benutzte,
Ende der 1980er Jahre aufgrund der wirt- aber dann beiseite drängte.
schaftl. Lage (geschätzte Auslandsschulden Benno, hl., 1010–1106; Bischof von Mei-
1,5 Mrd. Dollar) Abkehr vom Marxismus ßen seit 1066. Missionar der Wenden,
und Demokratisierungsprozess, gemäß Gegner der Investiturpolitik Heinrichs IV.,
der Verfassung von 1991 parlamentarische der ihn zweimal absetzte.
Präsidialrepublik. 1991–1996 Staatspräsi- Bentham, Jeremy, brit. Philosoph des
dent Nicéphore Soglo, seit April 1996 er- klass. Liberalismus, 1748–1832; Rationa­
neut Mathieu Kérékon. list und Pragmatiker; der von ihm begrün­
Benin-Reich, nach der Stadt Benin, westl. dete Utilitarismus (­Nützlichkeitsdenken)
des Nigerdeltas am Golf von Guinea be- unter dem Leitsatz „Größtmögliches
nannt, sagenhafte Gründung durch einen Glück der größtmöglichen Zahl“ (durch
König Ogane „aus dem Osten“, schon um liberale Reformen und eine Politik des
1300 Kulturzentrum am unteren Niger Laissez faire) beeinflusste nachhaltig die
(Verbindung nach Abessinien); Küsten Denk- und Verhaltensweise des westeurop.
1470 von portug. Seefahrern entdeckt und Bürgertums im 19. Jh.
erste Handelsniederlassungen mit portug. Benz, Carl Friedrich, dt. Ingenieur, 1844–
Handelsmonopol (seit 1536); Blütezeit 1929; baute 1885 einen dreirädrigen Ben-
der B.-Kultur im 15. und 16. Jh. unter zinkraftwagen mit Einzylinder-Viertakt-
den Kriegerkönigen Ewuara und Casigu, motor, als „billigstes Beförderungsmit-
vermutlich durch die Ife-Kultur direkt be- tel für Geschäftsreisende und Touristen“;
einflusst. Der Reichtum des Landes v. a. ↑ Automobil.
in der Spätzeit gründete auf extensivem Ben Zwi, Isaac, früher Schimschilewitsch,
Sklavenhandel; 1897 Eroberung durch die Isaak, israel. Politiker, 1884–1963; ging
Briten; in ↑ Nigeria aufgegangen. 1907 als Lehrer nach Palästina, 1921 Mit-
Benkendorf (Benckendorff), Alexander begründer der Gewerkschaft Histradut
Christoforowitsch Graf, russ. General und 1930 der sozialist. Arbeiterpartei Ma-
und Hofbeamter, 1781 oder 1783–1844; pai; organisierte 1931–1948 als Präsident
Ratgeber des Zaren Nikolaus I; seit 1826 des Jüd. Nationalrats die jüd. Selbstvertei-
Organisator und Chef der nach dem Auf- digung und war 1952–1963 israel. Staats-
stand der ↑ Dekabristen eingerichteten präsident.
Geheimpolizei; kam bei einem Schiffsun- Berber, nordafrikanische alpine Volks-
glück ums Leben. stämme hamitischer Abkunft, Reste der
Bennet, Gordon, nordamerik. Journalist, hellhäutigen Altbevölkerung Nordafri-
1795–1872; Gründer des „New York He- kas; im Altertum Mauren, Mauretanier,
rald Tribune“ (1835), des Vorbilds für die Numidier, Libyer, Gargamanten u. ä. be-
amerik. Massen- und Sensationspresse. nannt; nach der arabischen Einwanderung
Bennigsen, 1) B., Levin Leontjewitsch, nur noch in einzelnen Gebirgs- und Wüs­
Graf, russ. General, 1745–1826; Ver- tengebieten als Nomaden oder Ackerbau-
schwörer gegen Zar Paul I. (1801), 1807 ern reinrassig erhalten, u. a. die marokka-
Oberbefehlshaber gegen Napoleon, den er nischen B., die Rifkabylen und Tuareg, im

103
Berchtold

MA nach ihnen benannt die Berberel und lagerung in mittelalterl. Burgen; gesichert
die B.-Staaten (Marokko, Algerien, Tunis, gegen Wurfgeschosse, Erklettern, Unter-
Tripolis). graben, Rammen; Fundament­inneres oft
Berchtold, Leopold Graf, österr. Politiker, Verlies (↑ Burg).
1863–1942; Außenminister 1912–1915; Bergius, Friedrich, dt. Chemiker, 1884–
legte im Sommer 1914 mit dem Ultima- 1949; entwickelte Methoden der Kohle-
tum an Serbien die Richtung der österr. verflüssigung (B.-Verfahren zur Gewin-
und dt. Außenpolitik fest (↑ 1. Weltkrieg). nung synthet. Benzins) und der Holzver-
Berdjajew, Nikolai, russ. Religions- und zuckerung; Nobelpreis 1931.
Geschichtsphilosoph, 1874–1948; seit Bergpartei („Der Berg“, Montagne), in der
1922 in Paris, forderte ein „neues MA“, Frz. Revolution die radikalste Gruppe (Ja-
d. h. Rückkehr zu Gott; verkündete mes- kobiner und Cordeliers), die im Konvent
sian. Sendung des russ. Volkes. die oberen Sitzreihen einnahmen (Mon-
Berengar, 1) B. I., Markgraf von Friaul, tagnards); die Partei der „Ebene“ (Plaine)
Enkel Ludwigs des Frommen, um 850– wurde von den Girondisten geführt, wäh-
924; 888 König von Italien, 915 zum rend der Schreckensherrschaft verächtlich
Kaiser gekrönt, 924 ermordet. 2) B. II., als „Sumpf“ (Mamis) bezeichnet.
Markgraf von Ivrea, um 900–966; Enkel Berija, Lawrenti Pawlowitsch, sowjet. Po-
Berengars I., 950 König von Italien, 963 litiker, 1899–1953; seit 1921 im sowjet.
von Kaiser Otto I. gefangengenommen, Staatssicherheitsdienst tätig, seit 1934 im
gest. in Bamberg. ZK der KPdSU, 1938 Volkskommissar
Beresina, rechter Nebenfluss des Dnjepr; des Innern und damit Chef der Sicherheits­
im November 1812 fand hier der verhäng- organe. B. war einer der Stellvertreter und
nisvolle, verlustreiche Übergang der zu- engsten Vertrauten des Diktators Stalin.
rückflutenden Großen Armee Napoleons Nach dessen Tod 1953 amtsenthoben,
statt. in einem Geheimprozess als „imperialist.
Berg, alte Grafschaft, seit 1380 Her- Agent“ und „Verräter“ zum Tode verurteilt
zogtum, östl. des Niederrheins mit der und hingerichtet.
Hauptstadt Düsseldorf; kam 1511 zusam- Bering, Vitus, dän. Seefahrer, 1680–1741;
men mit Jülich und Ravensberg zu Kleve befuhr in russ. Diensten seit 1728 den
(1521: Kleve-Mark); 1614 (endgültig NO-Teil des Stillen Ozeans, das nach ihm
1666) Jülich und Berg an Pfalz-Neuburg, benannte B.-Meer, erforschte die NO-Küs­
mit diesem 1685 an Kurpfalz und 1777 an ten Asiens und nach Durchfahrt der nach
Bayern; 1806 napoleon. Großherzogtum ihm benannten B.-Straße 1741 die Küste
unter Joachim Murat, 1815 an Preußen. Alaskas und die Alëuten.
Bergen, norweg. Hafenplatz, 1070 von Berlichingen, Götz von, „mit der eisernen
König Olaf Kyrre gegr.; wurde alleiniger Hand“, fränk. Ritter, 1480–1562; 1525
Umschlagplatz für den Handel mit ge- von den aufständ. Bauern gezwungen, ihre
trockneten Fischen (Stock- und Klipp- Führung zu übernehmen; kämpfte später
fisch); um 1350 Errichtung eines Hanse- gegen Türken und Franzosen.
Kontors, das gegen Fische vornehmlich Berlin (Name wendisch), entstanden aus
Mehl, Bier und Salz einführte; das dt. den Fischerdörfern B. und Kölln, die um
Stadtviertel „Tydsebrüggen“ = „Dt. Brü- 1237 Stadtrecht erhielten und 1307 ver-
cke“. – 1450 Unionsvertrag von B. zw. einigt wurden; im 15. Jh. Mitglied der
Dänemark und Norwegen. Hanse; seit 1486 ständige Residenz der
Bergfried, „Berchfrid“, fester, unbewohn­ Kurfürsten von Brandenburg, um 1640
ter Hauptturm und letzte Zuflucht bei Be- 6 000 Einwohner; unter dem Großen Kur-

104
Bermudas

fürsten Festung und Stadterweiterung. Ba- Westberlins an die Bundesrepublik getrof-


rockbauten Schlüters (Schloss, Zeughaus); fen wurden. Mit der Vereinigung 1990
nach 1685 Aufnahme von Hugenotten endete die Teilung der Stadt, 1991 wurde
(↑ Réfugiés), die sich wirtsch. und geistig sie zur Hauptstadt der Bundesrepublik
positiv auswirkte; im 18. Jh. Entwicklung Deutschland erklärt. 1999 nahm die Bun-
zum beherrschenden wirtsch. und kul- desregierung ihre Arbeit in Berlin auf.
turellen Mittelpunkt des preuß. Staates; Berliner Kongress, 13. Juni–13. Juli 1878
unter Friedrich d. Gr. 100 000 Einwoh- unter Vorsitz Bismarcks als „ehrlicher
ner, 1760 vorübergehend von Russen, Makler“; in Berlin durchgeführte Konfe-
1806–1808 von Franzosen besetzt; 1808 renz der führenden Staatsmänner der eu-
Selbstverwaltung; 1810 Universität (Aus- rop. Großmächte und der Türkei zur Neu-
gangspunkt der geistigen und sittlichen ordnung der Verhältnisse auf dem Balkan
Erneuerung Preußens); klassizist. Bauten nach dem ↑ russ.-türk. Krieg von 1877 und
Schinkels; 1848 Mittelpunkt der Revolu- dem (hinfälligen) Frieden von San Stefano
tion in Preußen; Entwicklung zur Groß- (3. März 1878). Die neue Balkanordnung
stadt; 1871 Hauptstadt des Dt. Reiches; führte jedoch zu neuen Spannungen, Ver-
„Gründer(bau)fieber“ und rapide Entwick- schärfung der russ.-österr. Rivalität und
lung zur Weltstadt und Industriestadt, mit der nationalen Frage auf dem Balkan.
bedeutenden Kulturstätten (Preuß. Staats- Berliner Mauer, 1961 von der DDR-Re-
bibliothek, Pergamon-, Kaiser-Friedrich- gierung errichtet, riegelte Ost- und West-
Museum, Staatsoper, Schillertheater u. a.); Berlin hermetisch ab. Die 45,1 km lange Be-
1918/19 revolutionäre Unruhen und Stra- tonmauer war mit Sicherungsanlagen verse-
ßenkämpfe (Spartakistenaufstand); 1920 hen, das Wachpersonal hatte Schießbefehl.
Eingemeindung zahlreicher Randstädte; Durch Öffnung der Grenze seit Nov. 1989
größte Industriestadt Europas; im 3. Reich obsolet geworden, 1990 abgetragen.
wurde B. eigene Provinz; im 2. Weltkrieg Berlinguer, Enrico, ital. Politiker, 1922–
verheerende Luftangriffe; 25. April bis 1984; seit 1959 im Parteivorstand der KP,
2. Mai 1945 von den Russen erobert, da- 1969 stellvertretender Generalsekretär der
nach in vier Besatzungssektoren geteilt; Partei.
1948 sowjetruss. Blockade der Westsek- Bermudakonferenzen, 1. B., 1953: Be-
toren („Luftbrücke“), Trennung des Ost- kräftigung der atlantischen Solidarität
sektors unter eigenem Magistrat; B. (Ost) der NATO durch die Regierungschefs
Hauptstadt der DDR; Garantie der West- von Frankreich, Großbritannien und den
mächte für die Westsektoren, 1958 B.-Ul- USA. 2. B., 1957: Abstimmung der Außen­
timatum der UdSSR, führte zu Ost-West- politik von Großbritannien und den USA
Verhandlungen 1959; neue sowjet. For- durch Eisenhower und Macmillan. 3. B.,
derungen weiteten 1961 die B.-Krise zur 1961: Vereinbarung zwischen Kennedy
Weltkrise aus: B. (West) sollte zur Freien und Macmillan über Intensivierung der
Stadt erklärt und das Kontrollrecht auf Entspannungs- und Abrüstungsgespräche
den Verbindungsstraßen und die Luft- mit der UdSSR.
kontrolle der DDR übertragen werden. Bermudas, Inselgruppe im Atlantik, brit.
1961 Absperrung von B. (Ost) durch die Kolonie, US-Marine- und Luftstützpunkt
„Mauer“ (Stopp des Flüchtlingsstroms). im Rahmen der NATO. Durch die Ver-
Die Berlinverhandlungen der vier Mächte fassung von 1968 erhielten die B. Selbst-
führten 1971 zu einer Vereinbarung über verwaltung, engl. Recht gilt weiterhin,
B. (West), in der vor allem Bestimmungen Landesverteidigung durch das brit. Mut-
über die Sicherheit und die Bindungen terland.

105
Bern

Bern, Bundeshauptstadt der Schweiz und das ihm als Fürstentum versprochen war,
Hauptstadt des Kantons B., 1191 von und eroberte 1638 die Festung Breisack
Berthold V. von Zähringen gegründet; im (Schlüsselstellung der Habsburger); nach
13. Jh. Reichsstadt; 1353 Beitritt zur Eid- seinem Tod wurden seine Eroberungen,
genossenschaft; 1415 Eroberung des Aar- entgegen dem Letzten Willen B.s, von
gaues, 1536 der Waadt; 1528 Reformation Frankreich einbehalten.
Zwinglis; 1798–1813 frz. Besetzung und Bernstein (Ambra, Augenstein), fossiles
Abtretung von Aargau und Waadt; 1848 Nadelholzharz, „Vater des Handels“; aus
Bundeshauptstadt. der Jungsteinzeit Schmuckstückfunde in
Bernadotte, Jean Baptiste, General Na- Kleinasien; in der Bronzezeit Luxushan-
poleons I. und Marschall von ­ Frankreich, delsgut selbst im Mittelmeerraum (My-
1764–1844; 1804 Gouverneuer des von kene), im Fernhandel auf den „B.-Stra-
den Franzosen besetzten Hannover; 1810 ßen“ herangebracht; im späten MA Rega-
als schwedischer Kronprinz adop­tiert; 1813 lien des Dt. Ordens.
Führer der Nordarmee im Befrei­ungskrieg Bernstein, Eduard, dt. sozialist. Theoreti-
(Leipzig); 1818–1844 als Karl XIV. König ker, 1850–1932; ging 1878 nach Zürich,
von Schweden. später nach London, wo er den Fabianis-
Bernauer, Agnes, Tochter eines Baders aus mus (↑ Fabian Society) kennen lernte, trat
Augsburg, 1432 heimlich mit Herzog Al­ mit einer Kritik am Marxismus hervor,
brecht III. von Bayern vermählt und 1435 den er wegen nicht eingetroffener Voraus-
von dessen Vater in der Donau ertränkt. sagen (Verelendungstheorie von Marx) für
Bernhard, Prinz der Niederlande, 1911– revisionsbedürftig erklärte, und begrün-
2004; heiratete 1937 Juliana, die Kron- dete den Revisionismus; wirkte vor allem
prinzessin der Niederlande, 1976 in Be­ für die Gewerkschaften, die sich hinter ihn
stechungsskandal (Lockheed) verwickelt. stellten.
Bernhard von Clairvaux, gen. Doctor Bernstorff, mecklenburg. Uradel: 1) B.,
mellifluus = honigfließender Lehrer, Kir- Johann Hartweg, Graf von, dän. Minis-
chenlehrer, bedeutender Kirchenpoliti- ter, 1712–1772; Reformen im Geiste der
ker, 1091–1153; Begründer einer tiefen Aufklärung, förderte die Literatur, Gön-
Christusmystik (Gegner Abälards) mit ner Klopstocks, den er nach Dänemark
dem Auftrag zu Predigt und Werken der holte. 2) B., Johann Heinrich, dt. Diplo-
Liebe; Begründer der Mystik des MA; mat, 1862–1939; Botschafter in den USA
von weitreichendem Einfluss auch auf die 1908–1917, versuchte den Kriegsein-
Reichsentwicklung („ungekrönter König tritt der USA zu verhindern; dann in der
im Abendland“); prägte wesentlich den Türkei; 1926 dt. Vertreter in der Abrü-
Zisterzienserorden, rief zum 2. Kreuzzug stungskonferenz des Völkerbundes.
auf. Bernward, Bischof von Hildesheim, hl.,
Bernhard von Weimar, protestant. Feld- um 960–1022; Erzieher und Kaplan Kai-
herr im 30-jährigen Krieg, 1604–1639; ser Ottos III., Anhänger der cluniazens.
seit 1631 in schwed. und in frz. Diens- Reformbewegung (↑ Cluny), Gelehrter
ten, entschied nach Gustav Adolfs Tod die und Förderer der Kunst; unter ihm wurde
Schlacht bei Lützen (1632), erhielt 1633 Hildesheim zum Kunstzentrum („Bern-
ein Herzogtum Franken, das er nach sei- wardkunst“, Dom St. Michael, Bernwards­
ner Niederlage bei Nördlingen 1634 ge- türen, deren Reliefs Anfang der roman.
gen die Kaiserlichen wieder verlor; nach Plastik sind).
dem Prager Frieden (1634) Übertritt in Berosos, babylonischer Priester und Ge-
frz. ­Dienste; kämpfte mit Erfolg im Elsass, schichtsschreiber um 280 v. Chr.; Verfasser

106
Bessarion

einer Geschichte des chaldäisch-babylon. Besançon, alte Hauptstadt der Sequaner


Reiches, die nur in Bruchstücken noch (Vesontio), 1032 zum Dt. Reich; Reichs-
vorhanden ist. tag von B. 1157 (Auseinandersetzung
Berry, Charles Ferdinand, Herzog von, zwischen dem päpstlichen und dem kai-
1778–1820; Sohn des Grafen von Artois, serlichen Kanzler, Roland von Siena und
des späteren Königs Karl X., floh 1792 aus Rainald von Dassel); Freie Reichsstadt
Frankreich, Emigrantenführer, 1814 zu- seit 1283; 1555–1648 spanisch, 1678 zu
rückgekehrt; 1815 von Ludwig XVIII. mit Frankreich.
dem Befehl über die Truppen in Paris be- Besatzungsstatut, regelte 1949 das Be-
traut, ermordet. satzungsrecht der USA, Großbritanniens
Bertha, 1) B., „mit dem großen Fuß“, „die und Frankreichs in der Bundesrepublik
Spinnerin“, Gattin Pippins des Kurzen, (unter Vorbehalt Zuerkennung der gesetz-
Mutter Karls d. Gr., gest. 783 (sagenum- gebenden, vollziehenden und rechtspre-
woben und historisch nicht sicher). 2) B., chenden Gewalt, sofern die Sicherheit der
Tochter Karls d. Gr. und seiner Gemahlin Besatzungsmächte gewahrt blieb; Grund-
Hildegard, Angilberts heimliche Gemah- gesetzänderungen waren genehmigungs-
lin, Mutter des Chronisten Nithard. 3) B., pflichtig; die Bundesrepublik blieb ent-
Tochter des burgund. Grafen Otto von Sa- militarisiert; Einspruchsrecht gegen Ge-
voyen und der Markgräfin Adelheid von setze); Milderung 1951 (Recht zu eigener
Turin, gest. 1087; 1065 vermählt mit Kai- Außenpolitik, Wegfall des Prüfungsrechtes
ser Heinrich IV. bei Gesetzen); Ablösung 1952 durch
Berthier, Alexander, Herzog von Neu­ ↑ Deutschland-Vertrag (Bonner Vertrag),
châtel, Fürst von Waltram, frz. Marschall der nach Ablehnung durch Frankreich
und Stabschef Napoleons I., 1753–1815; durch ↑ Pariser Verträge (1955) ersetzt
beging Selbstmord. wurde, ↑ Deutschland, Bundesrepublik.
Berthold von Henneberg, Kurfürst, Erz- Bessarabien, Gebiet zwischen Pruth, Dn-
bischof von Mainz, 1442–1504; Reichs- jestr und Schwarzem Meer; im Altertum
kanzler (Leiter der Reichskanzlei) unter von Skythen bewohnt; kam unter röm.
Maximilian I., betrieb mit Tatkraft und und got. Herrschaft, im 7. Jh. von den
Ausdauer Pläne zu einer umfassenden thrak. Bessen erobert, deren sagenhafter
Reichsreform (Stärkung der Reichs ge- Fürst Bessarab dem Land den Namen gab;
genüber der kaiserlichen und Territorial­ seit 1367 bildete B. die östl. Hälfte des
gewalt, Reichsheer, Reichssteuer, Reichs- Fürstentums Moldau unter türk. Oberho-
untertanenschaft), scheiterte nach An- heit; 1812 zu Russland, 1856 teilweise zu-
fangserfolgen (Errichtung des Reichskam- rückgegeben; 1878 von dem 1858 gebil-
mergerichts) an den Sonderinteressen des deten Rumänien ganz an Russland abge-
Kaisers und der Reichsstände. treten (↑ Berliner Kongress); 1918–1920
Berthold von Regensburg, Franziskaner- Anschluss an Rumänien unter russ. Pro-
mönch, einflussreicher Wanderprediger, test; 1940 wieder an Russland; 1941–1944
1220–1272. vorübergehend nochmals rumänisch.
Berwick, James Fitzjames, Herzog von, Bessarion, Johannes, byzantin. Humanist
Marschall von Frankreich, 1670–1734; und Kirchenpolitiker, um 1403–1472;
natürlicher Sohn des späteren Königs Ja- 1437 Erzbischof von Nicäa, 1438/39 auf
kobs II. von England; 1691 im Dienst dem Konzil von Ferrara/Florenz für die
Ludwigs XIV.; eroberte 1714 Barcelona; Wiedervereinigung der griech. mit der
im poln. Erbfolgekrieg vor Philippsburg röm. Kirche tätig; 1439 zum Kardinal in
gefallen. Rom ernannt, seitdem in Italien als Ver-

107
Bessières

mittler griech. Literatur; 1463 lat. Patri- deklaration (12. Dez. 1916); Rücktritt
arch von Konstantinopel. Juli 1917; B. versagte durch seine Politik
Bessières, Jean Baptiste, Herzog von des „Zu spät“ und der Halbheiten, war in
Istrien, frz. Marschall, 1768–1813; wehrpolit. Fragen Tirpitz und Ludendorff
kämpfte in Ägypten, Oberitalien (Ma- unterlegen.
rengo), Österreich und Russland; als Bettelorden (Mendikanten), Mönchs-
Kommandeur der Garde bei Großgör- orden seit ca. 1220, zu deren Regel das
schen (Lützen) gefallen. Gelübde der Armut gehört, das privates
Bessos, pers. Satrap der Provinz Baktrien, und klösterliches Eigentum verbietet: nur
schwang sich nach Ermordung des Königs Nutznießung für einfachste Lebensbe-
Darius III. 330 v. Chr. als Artaxerxes IV. dürfnisse, Leben von milden Gaben (da-
zum König auf; 329 von Alexander d. Gr. für Seelsorge, Unterricht), Rückkehr zur
gefangen genommen und als Königsmör- apostol. Strenge und Sittenreinheit (Buß-
der nach pers. Recht hingerichtet (grau- bewegung), als Seelsorger und Prediger vor
same Kreuzigung). allem in volkreichen Städten tätig; weitge-
Besthaupt, im MA Abgabe des besten hende Missionstätigkeit, urspr. Franziska-
Stückes Vieh oder anderer Besitzstücke ner, und Dominikaner später auch Karme-
an den Grundherrn aus dem Erbe des hö- liter, Kapuziner, Augustiner, Serviten u. a.
rigen Bauern nach dessen Ableben (eine Beust, Friedrich Ferdinand Graf von,
Art Erbschaftssteuer). sächs. und österr. Staatsmann, 1809–
Bestuschew-Rjumin, Alexei Petrowitsch 1886; zunächst in sächs. diplomat. Dienst
Graf, russischer Staatsmann, 1693–1766; (Berlin, Paris, München, London und
1744–1758 Großkanzler der Zarin Elisa- 1848 Gesandter in Berlin); 1849 sächs.
beth, führte Russland gegen Preußen in Außenminister, bald auf Seiten Preußens,
den 7-jährigen Krieg, fiel 1757 wegen sei- bald Österreichs; Gegner des Zollvereins;
ner Eigenmächtigkeiten in Ungnade und nach 1859 für Reform des Dt. Bundes im
wurde verbannt. Sinne der ↑ Trias-Idee; ab 1864 entschie-
Bethlen, Gabor (Gabriel), Fürst von Sie- den antipreußisch, nach Königgrätz auf
benbürgen, 1580–1629; Gegner Habs- Veranlassen Bismarcks zurückgetreten;
burgs und Verbündeter der Protestanten ging in österr. Dienste (1866 Außenminis­
im 30-jährigen Krieg, fiel mehrmals in die ter, 1867 Ministerpräsident), maßgeblich
österr. Erblande ein; 1620 zum König von beteiligt am österr.-ungar. ↑ Ausgleich;
Ungarn gewählt, 1621 zum Verzicht ge- Annäherung an Frankreich und Italien;
zwungen. 1870 durch die Haltung Ungarns und den
Bethmann Hollweg, Theobald von, dt. Druck Russlands am Eingreifen gehindert,
Staatsmann, 1856–1921; Reichskanzler 1871 entlassen.
1909–1917; Verfassung und Wahlreform Beveridge, William Lord, brit. liberaler
für Elsass-Lothringen; in der Marokko- Politiker und Sozialreformer, 1879–1963;
krise 1911 diplomat. Niederlage; 1913 verdient um die Errichtung der Arbeit-
Heeresverstärkung, 1914 Bagdadabkom- sämter in England: entwarf 1942 im Auf-
men mit England, 1914 durch das Vorge- trag Churchills den nach ihm benannten
hen Österreichs diplomat. überspielt; nach Plan einer umfassenden brit. Sozialversi-
Ausbruch des Krieges entschuldigte er im cherung nach kontinentaleurop. Muster
Reichstag das Unrecht des Einmarsches (1946 in den Grundzügen verwirklicht).
in Belgien mit Notwehr; Gegner des ver- Bevin, Ernest, brit. Arbeiterführer und
schärften und des uneingeschränkten U- Politiker, 1881–1951; Arbeitsminister im
Boot-Krieges; Fehlschlag der Friedens­ Kriegskabinett Churchill 1940; 1945–

108
Bibel

1951 Außenminister im Kabinett Attlee, gen Verweigerung einer Aussage zu 3 Jah-


maßgeblich beteiligt am Zustandekom- ren Zwangsarbeit verurteilt, im selben
men des Brüsseler Vertrages (1948), der Jahr wurde ihre Kandidatur bei den Par-
OECD (1948) und der NATO (1949). lamentswahlen abgelehnt; aus dem Exil
Beza, Theodor, Genfer Theologe, 1519– versucht sie weiterhin, gegen das 1999 er-
1605; Freund und 1564 Nachfolger Cal- richtete pakistanische Militärregime anzu-
vins, Lehrer an der Theolog. Akademie kämpfen.
in Genf, führender Apologet der refor- Biafra, Ostteil Nigerias, erklärte sich 1967
mierten Kirche; organisierte Hilfsaktionen für selbständig. In der krieger. Auseinan-
für die Hugenotten. dersetzung konnte es sich gegen die Trup-
Bharat, amtlicher Name der ↑ Indischen pen der nigerian. Bundesregierung nicht
Union, nach einem sagenhaften Kaiser behaupten. Seit der Kapitulation 1970 ist
Bharata. B. wieder voll in den nigerian. Staat inte-
Bhutan, konstitutionelle Monarchie im griert.
Himalaja, zw. ↑ Nepal, Indischer Union Bibel (griech. ta biblia, die Bücher, oder
und Tibet; außenpolit. Vertretung und biblos, das Buch), hl. Schrift, Wort
Landesverteidigung durch ind. Union Gottes, das Wort, Buch der Bücher, Altes
(seit 1949 auch jährliche Unterstützungs- (A. T.) und Neues Testament (N. T.); von
zahlung); im 19. Jh. Kolonialkämpfe mit den christl. Kirchen in verschiedenem
Brit.-Indien, Abwehr der chin. Herr- Umfang als Urkunde göttlicher Offenba-
schaftsansprüche. 1971 wurde B. Mitglied rung anerkannt, Grundlage für Glauben
der UN. Seit 1974 Bestrebungen nach und Lehre. Das A. T. begann in der Zeit
wirtsch. und außenpolit. Unabhängigkeit der Könige (seit 11. Jh. v. Chr.) zu entste-
von Indien. hen; seine Entwicklung bis zum für das Ju-
Bhutto, Zulfikar Ali-Khan, pakistan. Poli- dentum wie für das Christentum verbind-
tiker, 1928–1979; war 1963–66 Außenmi- lichen Kanon währte mehr als 1 000 Jahre
nister, gründete die linksgerichtete opposi- (Abschluss etwa 90 n. Chr.), doch ist die
tionelle „Volkspartei“, befürwortete 1971 Kanoneigenschaft einiger Schriften strit-
die militär. Intervention der westpakistan. tig geblieben (im Protestantismus gelten
Zentralregierung gegen den Separations- die nur in griech. Sprache vorliegenden
versuch O-Pakistans; 1971–73 Staatsprä- Schriften der Spätzeit, z. B. Bücher der
sident, 1973–1977 Ministerpräsident. B. Makkabäer, Sprüche Jesus Sirachs, Weis-
wurde nach einem Militärputsch verhaftet heit Salomos, zwar als „klug und nütz-
und 1978 wegen Anstiftung zum Mord an lich“, aber als unkanonisch, apokryph;
einem polit. Gegner zum Tode verurteilt; der Katholizismus hat sie als deuteroka-
trotz Intervention ausländ. Politiker 1979 nonisch vollwertig in den Kanon aufge-
hingerichtet. – Seine Tochter und Mitar- nommen; das Judentum erkennt sie z. T.
beiterin Benazir B., geb. 1953, gewann an); das A. T., das aufgrund mündlicher
1988 nach dem Tod von B.s Nachfolger Überlieferung urspr. hebr. und chaldäisch
(und Gegner) Ziaul Haq die Parlaments- abgefasst wurde, umfasst etwa den Zeit-
wahlen und wurde im Dezember 1988 zur raum eines Jahrtausends und enthält den
Ministerpräsidentin ernannt – die erste Bericht vom „auserwählten Volk“ Israel als
Regierungschefin eines islam. Staates, im Heilsgeschichte (Größe Gottes, Abhängig-
Juli 1990 entlassen, kam 1993 erneut ins keit der Geschöpfe von ihm, Gebote sitt-
Amt (bis 1996). 1999 in Abwesenheit zu licher Lebensführung, Wirken Gottes in
5 Jahren Haft verurteilt, 2001 in einem der Geschichte); es enthält 1) das Gesetz
neuen Verfahren 3 Jahre Haft. 2002 we- und die überlieferte Geschichte (den Pen-

109
Bibliothek

tateuch, jüd. Thora, alexandrinische Bez. dotion (2. Jh. n. Chr.), Hieronymus (um


der fünf Bücher Mose: Genesis, Exodus, 400, ↑ Vulgata), außerdem frühe Überset-
Leviticus, Numeri, Deuteronomium); zungen ins Samaritanische, Aramäische,
2) die Propheten (Geschichte und Reden Koptische, Äthiopische, Syrische, Go-
der Propheten als Verkünder des Wortes tische (↑ Wulfila). Die Übersetzung Mar-
Gottes, als Volkslehrer, Mahner, Gottge- tin ↑ Luthers war von entscheidender Be-
sandte); 3) die Schriften (Psalmen, Sprü- deutung für die Reformation und zugleich
che, das Hohelied, Klagelieder) der Predi- für die Entwicklung der dt. Sprache. Da-
ger, Lehrbücher; 4) die apokryphen bzw. neben Zürcher Bibel ↑ Zwinglis.
deuterokanon. jüngeren Schriften (siehe Bibliothek (Büchersammlung), älteste
oben) mit verstärkter Hindeutung auf den nachweisbare B. die Tempel-B. der Ba-
Messias. – Das N. T. umfasst weniger als bylonier in Nippur (zurückreichend bis
ein Jahrhundert und ist griech., z. T. ara- 2200 v. Chr.) aus Tontafeln; umfang-
mäisch abgefasst; es ist Quelle für das Le- reich die B. von Chattusa-Bogazköy
ben Jesu und seiner Jünger, für Glauben (14./13. Jh. v. Chr., Keilschriften); B. mit
und Leben der frühen Gemeinden und vorderasiat. Literaturdenkmälern die Ton-
die erste Ausbreitung des Christentums; tafelsammlung des assyr. Königs ↑ Assur-
erstes Schriftzeugnis sind (etwa 2 Jahr- banipal im Palast zu Ninive (7. Jh. v. Chr.);
zehnte nach Christi Tod) die Paulusbriefe; zu den größten B.en des Altertums zähl-
fast gleichzeitig entstanden wohl in ara- ten die zu Alexandria (↑ Museion, vor dem
mäischer Sprache erste Aufzeichnungen Brand 48/47 v. Chr. etwa 700 000 Schrift-
von Reden und Taten Christi, dann als rollen) und die zu Pergamon; in Rom ver-
erstes Evangelium das des Markus (um fügten Cicero, Atticus, Vergilius usw. über
70), kurze Zeit später das Evangelium eigene Privatbibliotheken; C. Asinius Pol-
des Matthäus, zwischen 70 und 100 das lio gründete 39 n. Chr. die erste öffentliche
Evangelium des Lukas und die Apostelge- B.; im 4. Jh. n. Chr. hatte Rom 28 öffent-
schichte; vor 100 das Evangelium und die liche B.en; im MA bestanden B.en nur in
Apokalypse des Johannes („Offenbarung den Klöstern und bei manchen Hauptkir-
des Johannes“, Visionen von Himmel und chen (erste Klosterbibliothek durch Cassi-
Hölle, von Endzeit und Weltgericht); der odor um 540 in Vivarium); Blüte in der
Kanon des N. T. gegen Ende des 2. Jh. im Karolingerzeit (Kölner Dom-B.); seit dem
wesentlichen festgelegt, doch bei Griechen 13. Jh. auch an den Universitäten (mit
und Lateinern noch lange unterschiedlich; Katalogen und Ausleihe); gewaltiger Auf-
Abschluss gegen Ende des 4. Jh. – Hand- schwung seit dem 15./16. Jh. durch den
schriften: Papyrus mit Teil des Johannes- Humanismus, vor allem seit der Erfindung
Evangeliums um 130 n. Chr.; Rollentexte des Buchdrucks (Laurentiana in Florenz,
vom Toten Meer (Jesaja, Jesus Sirach, Vaticana in Rom); infolge der Klosterauf-
Buch Tobias) auf Leder und Papyrus (um hebung Errichtung von städt. B.en; nach
200 n. Chr.). Papyrus Bodmer II (um 200, Ausbildung der neueren Territorialstaaten
14. Kapitel des Johannes-Evangeliums); Gründung von fürstlichen (den später
Texte im sog. „Thomas-Evangelium“ staatlichen) B.en (berühmt die Palatina
(2./3. Jh.); die Codices Vaticani (4. Jh.), = Pfälzische B. zu Heidelberg); Anfang
Sinaiticus (4. Jh.), Alexandrinus (5. Jh.), des 19. Jh. wanderten die reichen Bücher-
Ephraemi (5. Jh.) u. a. – Übersetzungen: schätze der aufgehobenen Klöster in die
↑ Septuaginta (3. u. 2. Jh. v. Chr.), früh- Landes-B.en; erst im 19. Jh. die moderne
christliche lat. Übersetzung (Vetus Latina), B., allgemein zugänglich, mit großzügigen
Ben Akiba Aquila, Symmachus und Theo- Benutzungsmöglichkeiten (↑ Buch).

110
Bischof

Bidault, Georges, frz. Politiker, 1899– auf der Synode von 843 in Konstantino-
1983; 1946 und 1949/50 Ministerprä- pel die Beschlüsse von 787 endgültig be-
sident, Gegner der Algerienpolitik de kräftigt.
Gaulles. Bildersturm, Zerstörung von Heiligenbil-
Biedermeier, Kultur des Bürgertums im dern und -figuren in der Reformationszeit
dt. Vormärz 1815–1848; Bezeichnung ab- durch extreme Anhänger der neuen Lehre
geleitet von zwei komischen Typen in der (Vorwurf des Götzendienstes); Luther trat
Zeitschrift „Fliegende Blätter“: Bieder- gegen die Bilderstürmer auf; in der luther.
mann und Bummelmeier (Ludwig Eich- Kirche wurden Bilder als Schmuck er-
rodts Biedermeiergedichte); Lebensstil des laubt; die Reformierten lehnten Bilder in
zurückgezogen lebenden Bürgers (gemüt- ihren Kirchen ab.
lich, einfach, sparsam, philiströs); in der Bill of Rights, engl. Staatsgrundgesetz von
Möbelkunst: Zopfstil und antikisierende 1689, hervorgegangen aus der „Declara-
Mode; solide in Material und Arbeit, tion of Rights“, in der das Parlament seine
schlicht und sparsam; Mittelpunkt der alten Rechte und Forderungen gegenüber
Geselligkeit die Familie, der Salon; Bie- der Krone zusammenfasste (Steuerbewil-
dermeier in der Literatur: Übergang von ligungsrecht, Freiheit der Wahl und der
der Romantik zum Realismus. Rede, kein stehendes Heer), anerkannt
Bier, schon in ältesten Zeiten hergestellt; von Wilhelm III. von Oranien bei seiner
in Babylonien und Ägypten aus Emmer Thronbesteigung; die Gefahr des Absolu-
oder Gerste gewonnen; die Nordvölker tismus war dadurch gebannt und der Par-
kannten nach Pytheas (um 240 v. Chr.) lamentarismus fest begründet.
ebenfalls das B.; Priscus erwähnt es als Billunger, wahrscheinlich aus Franken
Getränk im Lager Attilas (448 n. Chr.), stammendes Geschlecht, das 950–1106
bei den Griechen und Römern wenig ge- die Herzogwürde in Sachsen innehatte.
schätzt. – Im MA wurde die Kunst des Birger Jarl, Regent von Schweden seit
Bierbrauens vor allem von den Klöstern 1248, aus der Familie der Folkunger,
gepflegt. Brauen und Ausschank mit be- schloss Handelsverträge mit der Hause,
sonderen Privilegien verbunden; führende erhob Stockholm zur Stadt, gest. 1266.
dt. Braugebiete in Bayern und Westfalen; Birma, ↑ Burma.
norddt. Bier war eines der Hauptexport- Biroll, Graf von (Ernst Johann von Büh­
güter der Hanse. ren), russ. Staatsmann, 1690–1772; unter
Bilderstreit in Byzanz: Kaiser Leo III. ver- Zarin Anna 1730–1740 Lenker der russ.
bot 726 und 730 die Verehrung der Hei- Politik auf den Bahnen Peters d. Gr., Geg-
ligenbilder, die im Orient zu Entartungen ner der altruss. Partei, 1737 Herzog von
geführt hatte, und machte das Verbot zu Kurland, 1740–1762 verbannt.
einer völligen Verneinung der Bilderver- Bischof (griech. episkopos, Aufseher);
ehrung; die Westkirche verdammte die oberster kirchl. Würdenträger in ei­nem
grundsätzliche Leugnung des Bilderkults, Sprengel (Diözese), nach kath. Auffassung
da die Verehrung dem Urbild der Darstel- als Nachfolger der Apostel; er wurde in der
lung gelte; der Parteikampf der Bilderstür- älteren Zeit von den ­ Gemeindeältesten,
mer (Ikonoklasten) und der Bilderdiener später von Klerus und Volk der Bischofs-
(Ikonodulen) wirkte zersetzend im byzan- stadt gewählt, schließlich vom Papst er-
tin. Reich: Unter Kaiserin Irene erlaubte nannt. Die byzantin. Kaiser beanspruch-
das 7. allg. Konzil zu Nicäa 787 den Bil- ten schon früh das Recht der Ernennung
derdienst; nach einem Wiederaufleben des der Bischöfe der oström. Kirche, ein An-
Streites wurden unter Kaiserin Theodora spruch, den in der folgenden Zeit auch

111
Bismarck

die german. Fürsten und Könige für ihre nennung zum preuß. Ministerpräsidenten
Herrschaftsbereiche erhoben. Nach ger- und Außenminister, gewaltsame Lösung
manischem Recht war der Grundherr, der des preuß. Verfassungskonfliktes um die
auf seinem Grund und Boden eine Kir- Heeresreform (Auflösung des Landtages);
che baute, Eigentümer dieser Kirche, ver- dann planmäßige Inangriff­nahme der Pro-
pflichtete sie zu Abgaben und war auch bleme der dt. Einheit unter Führung Preu-
Herr über die Zuwendungen, die ihr von ßens und Ausschluss Österreichs (kleindt.
den Gläubigen gemacht wurden; aus die- Lösung): 1864 Krieg gegen Dänemark um
sem Recht (↑ Eigenkirchenrecht) leitete Schleswig-Holstein, 1866 Kampf gegen
sich auch der Anspruch auf die Ernennung Österreich, Schonung des besiegten Öster-
und Absetzung der Geistlichen ab; da die reichs und der süddt. Staaten, Gründung
Könige ihren Herrschaftsbereich, die spä- des Norddt. Bundes; 1867 Bundeskanzler;
teren Kaiser das Gesamtreich als ihr Grund­ 1870 Krieg gegen Frankreich; 1871 Prokla-
eigentum und die Kirchen als Eigenkir- mation des Dt. Kaiser­reiches in Versailles;
chen betrachteten, vertraten sie die Auffas- Erhebung in den Fürs­tenstand, Reichs-
sung, dass sie als „Grundherren“ auch die kanzler und Vorsitzender des Bundesrates
Bischöfe einsetzen oder absetzen könnten; (starke Stellung in Reichsverfassung veran-
der Jahrhunderte lange Kampf zw. dem kert), 1878 innenpolit. Wendung (Über-
Papsttum und den Königen bzw. den Kai- gang zur Schutzzollpolitik, Trennung von
sern um die Besetzung der Bischofssitze den National­liberalen); 1878 „ehrlicher
und die Belehnung mit dem Bischofsamt (ausgleichender) Makler“ auf dem ↑ Ber-
(↑ Investitur; die B. waren auch weltliche liner Kongress (Verstim­mung Russlands);
Fürsten, einige später Kurfürsten) hatte in 1879 Abschluss des Verteidigungsbünd-
dieser germanischen Rechtsauffassung eine nisses mit Österreich, 1882 nach Beitritt
seiner Ursachen, mit dem Wormser Kon- Italiens zum ↑ Dreibund erweitert (1883
kordat 1122 endgültig bereinigt; die ↑ Sä- Anschluss ­Rumäniens); 1887 ↑ Rückversi-
kularisierung in der Reformation, in Eng- cherungsvertrag mit Russland; 1890 nach
land unter Heinrich VIII., in Frankreich in erbitterter Machtprobe von Kaiser Wil-
der Frz. Revolution und in Deutschland helm II. entlassen, danach Abfassung der
1803 (↑ Deputationshauptschluss), besei- „Gedanken und Erinnerungen“ (eigent-
tigte fast alle von Bischöfen verwalteten licher Titel: „Erinnerung und Gedanke“).
weltlichen Territorien. – In der anglikan. – B.s Staatskunst sicherte durch seine
und schwed. Kirche B.-Amt etwa dem des Bündnispolitik den Frieden Europas nach
kath. entsprechend; in den dt. Landeskir- 1871, doch im Innern belastete er die
chen seit 1933 Titel des leitenden Geist- deutschen Zustände mit der Durchfüh-
lichen (Landes-B.). rung des Kulturkampfes, einer oft parla-
Bismarck, Otto von B.-Schönhausen (seit mentsfeindlichen Haltung und der Ein-
1865 Graf, 1871 Fürst, 1890 Herzog von bringung des Sozialistengesetzes; Schöp-
Lauenburg), preuß.-dt. Staatsmann, 1815– fer der ersten umfassenden Sozialgesetz-
1898; aus altem märk. Adel, 1837 Regie- gebung der Welt (Unfall-, Kranken- und
rungs-Referendar in Potsdam, 1839 Guts- Altersversicherung).
herr und Deichhauptmann zu Schönhau- Bistum (Sprengel), Amtsbezirk eines kath.
sen, 1847–1850 konservativer Abgeordne- Bischofs; durch Belehnungen wurden die
ter, 1851 Gesandter Preußens beim Bun- Bistümer seit Otto I. teilweise zu selbstän-
destag in Frankfurt/Main (preuß. Macht- digen, reichsunmittelbaren Fürstentü-
politik gegen Österreich), 1859 Botschaf- mern; im 16./17. Jh. und 19. Jh. säkula-
ter in Petersburg, 1862 in Paris, danach Er- risiert, rein kirchliche Verwaltungsbezirke.

112
Blaustrumpf

Bithynien, Landschaft im NW Kleinasiens Blake, Robert, engl. Admiral und Seeheld,


am Marmarameer, Bosporus und Schwar- 1599–1657; durch seine Siege über Hol-
zen Meer, Hauptstadt Nikomedia (gegr. länder (1653) und Spanier (1657) wurde
264 v. Chr.), wichtigste Stadt Nicäa; nach er zum Mitbegründer der engl. Seeherr-
Zerfall des Perserreiches selbständig, seit schaft (↑ Navigationsakte 1651).
190 v. Chr. unter röm. Einfluss, 73 v. Chr. Blanc, Louis, frz. sozialist. Theoretiker, Po-
röm. Provinz, 395 n. Chr. oströmisch, seit litiker und Historiker, 1811–1882; kriti-
dem 13. Jh. osmanisch. sierte als einer der ersten den Wirtschafts-
Bizone, Bez. für das im Dez. 1946 ge- liberalismus, forderte Arbeiterproduktions­
schaffene einheitliche Wirtschaftsgebiet genossenschaften unter staatlicher Regie
aus amerik. und brit. Besatzungszone und staatliche Garantie des Rechtes auf
in Deutschland; 1947 wurde ein Wirt- Arbeit, verwirklichte als Mitglied der pro-
schaftsrat der B. gebildet, der als ein Wirt- visor. Regierung 1848 sein Programm in
schaftsparlament die Vorform der westdt. Form der Nationalwerkstätten (aufgelöst
Regierung darstellte; April 1949 durch 1849), ging nach dem Maiaufstand ins
Anschluss der frz. Besatzungszone zur Tri- Exil;1871 in der Nationalversammlung
zone erweitert. Gegner der Kommune.
Björkö, Insel im Finnischen Meerbusen, Blanca von Kastilien, Königin von Frank-
1905 Zusammenkunft und (persönlicher) reich, 1188–1252; vermählt mit Lud-
Vertrag zw. Kaiser Wilhelm II. und Zar wig VIII., regierte als Vormund ihres
Nikolaus II., Verteidigungsbündnis, das Sohnes Ludwig IX. 1226–1236; schloss
jedoch an der Haltung der russ. Minister den Vertrag von Paris 1229 (Ende der Al-
scheiterte. bigenserkriege; Teile des Herzogtums Nar-
Black Muslims, 1932 gegründete radi- bonne fielen an die Krone, der Rest 1271);
kale mohammedanische Sekte in den unterdrückte Aufstandsversuche der Ba-
USA, treten für schwarzen Nationalismus rone.
und Rassentrennung ein, wollen Grün- Blanchard, Jean-Pierre, frz. Luftschiffer,
dung eines separaten Staates. Weltweit be- 1753–1809; 1785 erste Überquerung des
kannteste Anhänger: der 1965 ermordete Ärmelkanals im Ballon und erster Fall-
Malcolm X. und der Boxer C. Clay (Mu- schirmabsprung (↑ Luftfahrt).
hammad Ali). Blanqui, Louis Auguste, frz. Kommunist,
Black Panther Party, 1966 gegründete 1805–1881; unermüdlicher Verschwörer
afroamerik. Organisation, die den Befrei- und Organisator bewaffneter Aufstände;
ungskampf der Schwarzen zum Ziel hat. 1871 einer der Führer des Kommune-Auf-
In sog. Selbstverteidigungstruppen gegen standes.
die Übergriffe der Polizei gerieten ihre Blauer Montag, im MA der Montag vor
Mitglieder oft in gewaltsame Auseinander- Fastenbeginn (benannt vielleicht nach der
setzungen. In den späten 1960er Jahren violettblauen Verkleidung des Altars wäh-
wurde die Black Panthers Party von den rend der Fastenzeit), an diesem Tag wurde
US-Behörden terroristischer Aktionen ver- nicht gearbeitet („blau gemacht“).
dächtigt. 1968 ermordete der US-Geheim- Blaustrumpf (engl. blue stocking), seit
dienst führende Mitglieder der Bewegung. etwa 1800 üblicher Spottname für gelehrte
1972 spaltete sich die Partei an der Frage Frauen, die ihre weiblichen Pflichten ver-
des Einsatzes von Gewalt zum Erreichen nachlässigen (benannt nach einem um
ihrer Ziele und verlor ab 1973 an Bedeu- 1750 in London tagenden literar. Kreis, zu
tung. Bekannteste Führer: St. Carmichael dem ein Teilnehmer, Mr. Benjamin Stil-
und E. Cleaver. lingfleet, mit blauen Wollstrümpfen statt

113
Bleikammern

der üblichen schwarzseidenen zu erschei- 1936/37 erster sozialistischer Ministerprä-


nen pflegte und damit allen Teilnehmern, sident Frankreichs, Führer der Volksfront-
insbesondere den weiblichen, diese spöt- regierung, 1940 von der Regierung Pétain
tische Bezeichnung verschaffte). eingekerkert und wegen der mangeln-
Bleikammern (Piombi) von Venedig, das den Kriegsbereitschaft Frankreichs ange-
berüchtigte Staatsgefängnis der Republik klagt, 1942–1945 im ­Konzentrationslager
unter dem bleigedeckten Dach des Do- Buchen­wald; 1946/47 erneut Minister­
genpalastes, 1797 zerstört. präsident.
Blendung, die alten Griechen straften mit Blum, Robert, dt. Politiker, 1807–1848;
dieser barbarischen Maßnahme Ehebruch, im Vormärz demokratischer Agitator in
Tempelraub und vorsätzliche Beraubung Leipzig, radikaler Abgeordneter der Frank-
der Sehkraft, die Westgoten die Abtrei- furter Nationalversammlung 1848; wurde
bung, die Langobarden den Diebstahl; wegen der Teilnahme am Aufstand in
das Strafrecht seit Friedrich II. von Hohen­ Wien erschossen.
staufen verordnete die Strafe bei Meineid Bluntschli, Johann Kaspar, Schweizer li-
und Hochverrat an Reich und Kirche. beraler Rechtsgelehrter, 1808–1881; seit
Bligh, William, brit. Seefahrer, 1754– 1861 Prof. in Heidelberg; 1861–1871
1817; Kapitän der „Bounty“, deren Besat- Mitglied der bad. Ersten Kammer und des
zung 1789 auf der Rückfahrt von Tahiti Zollparlaments, seit 1873 ­ Abgeordneter
meuterte und ihn auf hoher See in einem und zuletzt Präsident der bad. Zweiten
Boot ausetzte. Kammer.
Bljucher (Blücher), Wassili Konstantino­ Blutbann, Blutgerichtsbarkeit, im MA
witsch, sowjet. General, 1890–1938; Bür- Gerichtsbarkeit über Leben und Tod der
gerkriegsheld und Führer des erfolgreichen Untertanen, urspr. nur den Königen und
bolschewist. Kampfes 1921/22 gegen Ja- Kaisern vorbehalten; als Privileg später
pan in Sibirien; 1924–27 militär. Berater den Landesfürsten verliehen.
der chin. Kuomintang-Regierung, 1935 Blutrache, bei Totschlag oder Kränkung
Marschall der Sowjetunion. Wiederherstellung des Rechts durch
Blücher, Gebhard Leberecht von, aus Selbsthilfe oder durch Sippen- oder Fa-
pommerschem Adel, Fürst B. von Wahl- miliengenossen; vielen Völkern eigentüm-
statt, preuß. Feldmarschall, 1742–1819; lich, die noch keine ausreichende staat­liche
1791 Oberst der roten Husaren, 1803 Rechtssatzung besitzen; bei verschiedenen
Gouverneur in Westfalen; volkstümlicher indogerman. Völkern (Germanen, Per-
Heerführer der Befreiungskriege, genannt sern) konnte die Blutschuld durch „Wer-
„Marschall Vorwärts“; siegte 1813–1814 geld“ abgegolten werden; auch der Islam
als Befehlshaber der schles. Armee an der erlaubte die Lösungssumme; im antiken
Kaubach, bei Wartenburg, Möckern (b. Rom galt in der frühen Republik das „ius
Leipzig) und, nach dem Rheinübergang talionis“ (Wiedervergeltung nach strenger
bei Kaub und Koblenz, bei La Rothière Blutrache); auf Island und in Norwegen
und Laon; entschied 1815 (nach seiner noch im 10./11. Jh. sogenannten „Bluts-
Niederlage bei Ligny) durch rechtzei- brüderschaften“ zu gegenseitigem Schutz
tiges Eintreffen zus. mit Wellington die und wechselseitiger Rächung im Falle des
Schlacht von Waterloo. Totschlags; ähnliche Verbindungen im
Blum, Léon, frz. Sozialistenführer, 1872– 13./14. Jh. in den Balkanländern, auf Kor-
1950; seit 1919 Führer der sozialistischen sika u. a.
Fraktion, protestierte nach dem 1. Welt- Bocche di Cattaro, Bucht von Cattaro
krieg gegen die Politik von Versailles; (Kotor), golfartige Bucht an der Ostküste

114
Böhmen

Jugoslawiens, schon in röm. Zeit Flotten- schaft, desgleichen in den von der UdSSR
stützpunkt; im MA handeltreibende Küs­ beeinflussten Oststaaten und in radikalster
tenstädte, bes. Kotor (Cattaro), gegen das Form im kommunist. China.
offene Meer durch Ketten geschützt; zeit- Bodin, Jean, genannt Bodinus, frz. huma-
weise Seeräuberzuflucht. nist. Rechtsgelehrter und polit. Schriftstel-
Böckler, Hans, dt. Gewerkschaftler und ler, 1530–1596; Vertreter des Naturrechts,
Politiker, 1875–1951, wurde als führender begründete die Epoche machende Lehre
Kopf der illegalen Gewerkschaftsbewe- von der Staatssouveränität, erklärte die ab-
gung in der nat.-soz. Zeit verfolgt, orga- solute Monarchie für die beste Staatsform,
nisierte nach 1945 den Wiederaufbau der trat für religiöse Toleranz ein.
Gewerkschaften und deren Zusammenfas- Boethius, Anicius Manlius Severinus,
sung im DGB, setzte sich bes. für die Mit- röm. Staatsmann und Philosoph, um
bestimmung in der Montanunion ein. 480–525 n. Chr.; übersetzte und erklärte
Bodelschwingh, 1) B., Ernst von B.-Vel- Schriften des Aristoteles („Letzter Römer
mede, preuß. Staatsmann, 1794–1854; und erster Scholastiker“); Ratgeber des
nach 1848 Mitbegründer der Zentrums- Ostgotenkönigs Theoderich, der ihn später
partei. 2) B., Friedrich von, Sohn von 1), unter der (grundlosen) Anklage des Hoch-
evang. Pfarrer, 1831–1910, Begründer der verrats gefangen nehmen und hinrichten
wohltätigen, sich selbst versorgenden An- ließ; im Gefängnis verfasste er im antiken
stalten in Bethel (Pflegehäuser, Diakonis- Geist sein Werk „Trost der Philosophie“.
sen- und Diakonenanstalt) mit Außenan- Bogazköy, Ruinenstätte der althethi­ti­
stalten und Afrika-Mission. schen Hauptstadt Chatussa (14. und
Bodenreform, soz. Kernproblem in Staa- 13. Jh. v. Chr.) in Ostanatolien; einst hoch-
ten, deren Agrarverfassung durch Groß- zivilisierte Stadt, bedeutende Keilschriftbi-
grundbesitz, Schrumpfung eines lebensfä- bliothek mit hethit. Urkunden, Schriften.
higen Bauernstandes und Landflucht ge- Bogomilen (slaw., Gottesfreunde), ma-
kennzeichnet ist; die klass. B.-­Bewegung nichäische Sekte, entstanden im 10. Jh.
im alten Rom ging von den ↑ Gracchen in Thrakien, verbreitet auf dem Balkan,
aus; die gleichen siedlungs­polit. Ziele, im 11./12. Jh. verfolgt; verwarfen Ehe,
doch unter den bes. Bedingungen des Fleischgenuss und Bilderverehrung; in ge-
modernen Industriestaates, verfolgten wissem Sinne Vorläufer der ↑ Katharer.
im 19. Jh. die Bodenreformer (u. a. ↑ Da- Böhmen, benannt nach den kelt. ↑ ­Boiern
maschke): Aufteilung des Großgrundbe- (Boiohaemum = Heim der Böhmen), die
sitzes, Schaffung einer Bodenreserve, Ver- um 60 v. Chr. den Germanen wichen; um
hinderung der Grundstücksspekulation 9 v. Chr. Einwanderung der Markoman-
u. a.; prakt. durchgeführt wurde eine B. in nen, die um 500 nach Bayern auswan-
Frankreich während der Frz. Revolution; derten; seit dem 6. Jh. Vordringen der
in Deutschland (Ostelbien) Ansätze wäh- Tschechen, zur Zeit Karls d. Gr. Christia-
rend der Weimarer Republik; radikale B. nisierung; in der 2. Hälfte des 9. Jh. polit.
unter Verneinung des Privatbesitzes über- Zusammenfassung im Großmähr. Reich
haupt in Russland nach der bolschewist. des Swatopluk; nach 908 unter ostfränk.
Oktoberrevolution, ähnlich in den balt. Oberhoheit; durch König Heinrich I. 950
Staaten (Enteignung des dt. Großgrund- unterworfen, seitdem beim Reich (tribut-
besitzes); die B.-Bewegung wurde im Os- pflichtig und Heeresfolge); seit der Stau-
ten abgelöst durch den Agrarkommunis- ferzeit Aufstieg der Dynastie der ↑ Prze-
mus: in Sowjetrussland nach dem 1. und mysliden. 1196 erbliches Königtum; seit
2. Weltkrieg Grundlage der Agrarwirt- dem 12. Jh. Einwanderung dt. Bauern und

115
Böhmische Brüder

Handwerker; Glanzzeit unter ↑ Ottokar II. Bojar (türk. bajar, der Vornehme), im al-
(1253–1278); mit dem Erlöschen der Prze- ten Russland Angehöriger der obersten
mysliden 1306 B. als Reichsgut eingezo- Schicht des fürstlichen Dienstadels; Krie-
gen; 1310–1437 unter luxemburg. Herr- ger und Mitglied des Verwaltungsrats
schern; „Goldenes Zeitalter“ unter Kaiser (Duma) des Fürsten, mit Landbesitz aus-
Karl IV. (Prag Erzbistum, Reichshaupt- gestattet, doch im Gegensatz zum Abend-
stadt, Universität); unter Wenzel IV. wach- land ohne Standesprivilegien und Erblich-
sende Macht des Adels; durch dynast. Fa- keit des Amtes; Rangordnung der Bojaren-
milienverbindung mit England Einsickern geschlechter nach dem Dienstalter festge-
der Lehre Wiclifs, Reformbewegung unter setzt; von Iwan IV. blutig verfolgt, da sie
Hus, 1419–1436 Hussitenkriege, Schwä- der Autokratie hinderlich waren, von Pe-
chung des kath. Deutschtums; 1452–1471 ter d. Gr. als Stand abgeschafft und durch
Herrschaft des Hussiten Georg ↑ Podieb- neuen Dienstadel ersetzt.
rad, dann (Königswahl durch den Adel) Boleslaw, Name von Herrschern. Polen:
unter der Regierung der Jagellonen, mit 1) B. I. Chrobry (der Kühne), Herzog
Ungarn verbunden und mit diesem 1526 (992–1025); erhob Polen zur Vormacht
habsburgisch; ständiger Kampf des habs- unter den Westslawen (Krakau, Gnesen);
burg. Königtums mit den Ständen; der nach dem Tode des befreundeten Kaisers
Widerstand der protestant. böhm. Stände Otto III. vorübergehende Besetzung Böh-
gegen den Kaiser führte zum Ausbruch des mens und Mährens; Krieg gegen Deutsch-
30-jährigen Krieges; nach dem Sieg am land (1004–1018); behauptete von seinen
Weißen Berg (Niederlage des Winterkö- Eroberungen die Lausitz; 1025 zum König
nigs 1620) Strafgericht über 27 tschech. gekrönt. 2) B. II., Herzog (1058–1080);
und dt. Ständeführer, Wiederherstellung gewann die Slowakei und russ. Gebiet
der habsburg. absolutist. Herrschaft und zw. Bug und San, 1076 König, vertrieben,
des Katholizismus; erst im Gefolge der starb 1081 in Ungarn. 3) B. III., Herzog
Ideen von Aufklärung und Romantik (1102–1138); besiegte 1109 Kaiser Hein-
Wiedererwachen eines tschech. National- rich V., eroberte 1121 das heidnische Her-
bewusstseins; 1848 Slawenkongress und - zogtum Pommern (1135 von Kaiser Lo-
aufstand in Prag; bis 1918 erbitterter Spra- thar mit Pommern und Rügen belehnt).
chenkampf gegen das Deutschtum und Böhmen: 4) B. I., Herzog (929–967); ur-
Kampf für die Erneuerung der „Wenzels- spr. Führer des heidn.-nationalen Adels,
krone“; 1918 B. größtes der „histor. Län- ermordete seinen Bruder Wenzel (tschech.
der“ der neu gegr. Tschechoslowakei, seit Nationalheiliger), gewann Teile Mährens
1993 Teil der Tschechischen Republik. und Altschlesiens, 950 von Otto d. Gr. un-
Böhmische (Mährische) Brüder, aus den terworfen.
Hussiten hervorgegangene christliche Ge- Boleyn, Anna, zweite Gemahlin Hein-
meinschaft; verneinten Eigentum, Eid, richs VIII. von England, 1507–1536
Waffendienst (↑ Mähr. Brüder). (↑ Anna).
Boier, keltisches Volk, spaltete sich im Bolingbroke, Henry Saint John, Viscount,
4. Jh. v. Chr.; der eine Teil ist in Nordita- engl. Staatsmann (Tory) und Schriftsteller,
lien (Hauptstadt Bonoma = Bologna) in 1678–1751; 1710–1714 Außenminister,
den Römern aufgegangen; ein anderer Teil schloss den Frieden von Utrecht 1713;
in Böhmen, von dort Ausbreitung nach wegen hochverräter. Verbindungen mit
Pannonien, Noricum und Gallien; in Böh- den vertriebenen Stuarts 1715–1723 im
men von den Markomannen um 9 v. Chr. Exil; Vorbild für die Bezeichnung ↑ „John
verdrängt (↑ Böhmen). Bull“.

116
Bolschewismus

Bolivar, Simon, südamerik. Staatsmann setzung des Sparkurses in der Wirtschafts-


und Nationalheld, 1783–1830; genannt politik, innenpolitische Auseinanderset-
„Libertador“ (Befreier), erkämpfte 1819– zungen wegen Banzers Mitgliedschaft in
1824 die Unabhängigkeit Kolumbiens, der Militärregierung der 70er, wiederholte
Venezuelas, Ecuadors, Perus und Boliviens Ausrufung des Ausnahmezustandes, 2001
von der span. Herrschaft, 1819 Präsident Rücktritt Banzers, Übergangspräsident
der Republik Groß-Kolumbien, wurde der Jorge Quiroga. 2002 Sánchez de Lozada
Nachahmung Napoleons verdächtigt und erneut zum Präsidenten gewählt, Rücktritt
dankte 1830 ab. Okt. 2004 nach Protesten gegen geplante
Bolivien, südamerik. Republik, das alte Erdgasexporte in die USA, Ernennung des
Oberperu (um 1200 eroberten Inkas aus vormaligen Vizepräsidenten Carlos Mesa
Peru ganz B.); 1538 durch Spanier (↑ Al- zum neuen Staatsoberhaupt.
magro) erobert, seit 1776 Teil des span. Vi- Bollandisten, Jesuitengesellschaft, beschäf­
zekönigreichs La Plata, seit 1819 Revolu- tigten sich mit Erforschung der Heiligen-
tion und selbständige Regierung in La Paz, geschichten, Herausgeber der ↑ Acta Sanc-
1825 unter Simon ↑ Bolivar (1816 Beginn torum, benannt nach dem Gründer Jean
des Befreiungskrieges Bolivars), den es Bolland, 1596–1665.
durch Übernahme seines Namens ehrte Bologna, Hauptstadt der ital. Landschaft
(Bolivia), unabhängige Republik; 1879– Emilia; „Felsina“ der Etrusker, danach
1884 zus. mit Peru Salpeter-Krieg gegen „Bonoma“ der kelt. Boier, 189 v. Chr. von
Chile, an das es seine einzige Küstenpro- den Römern erobert; im MA zeitweilig
vinz und den Zugang zum Pazifik verlor; beim byzantin. ↑ Exarchat; 1167 Beitritt
1932–1935 Niederlage im ↑ Gran-Chaco- zum Lombard. Städtebund, guelfisch; un-
Konflikt gegen Paraguay; im 19. Jh. und in terwarf sich nach Machtkämpfen der Ge-
der ersten Hälfte des 20. Jh. zahlreiche Re- schlechter 1512 dem Papst; bis 1860 beim
volutionen und Umsturzversuche, 8 Prä- Kirchenstaat, dann Anschluss ans König-
sidenten ermordet; verarmte Bevölkerung reich Sardinien; besitzt älteste europ. Uni-
(„Tibet Amerikas“), auf Auslandshilfe an- versität, gegr. 1119; im MA wichtigste
gewiesen; 1952 Verstaatlichung der Zinn- Pflegestätte des röm. Rechtes; in B. fand
minen und Wahlrecht auch für Analpha- 1530 die letzte Kaiserkrönung (Karl V.)
beten. 1964 Machtübernahme durch das statt und tagte 1547/48 das ↑ Tridenti-
Militär unter General Barrientos; 1967 nische Konzil.
Partisanenkrieg „Che“ Guevaras von der Bolschewismus, ehem. Bez. für das kom-
Militärregierung mit amerikan. Hilfe nie- munist.-totalitäre Gesellschafts-, Staats-,
dergeschlagen; 1970/71 mehrere Putsche, Wirtschafts- und Kultursystem der Sowjet­
seit 1971 wurde B. von einer Junta rechts- union mit Anspruch auf Weltgeltung,
orientierter Offiziere unter Oberst Suarez beruhend auf den Sozialisierungs- und
regiert. Nach den manipulierten Wahlen Weltrevolutionsideen des ↑ Marxismus,
1978 mehrere Putsche; 1979 Generalstreik, getragen vom imperialist. slaw. Sendungs-
1980/81 erneute Putsche. Seit 1985 unter bewusstsein des 19. Jh. und der Philoso-
Präsident Victor Paz Estenssoro Versuche, phie des dialekt. Materialismus (Denken,
die Wirtschaft des Landes (Inflationsrate geistiges Leben und Streben des Menschen
zeitweilig 22 000 %) zu sanieren, Krise werden allein durch die ständige Verände-
durch Zusammenbruch des Zinnmarktes rung der wirtschaftlichen Produktionsver-
1986; 1989 Staatspräsident Paz Zamora, hältnisse, des gesellschaftlichen Seins, be-
1993 Gonzalo Sánchez de Lozada. 1997 stimmt); Ziel: über eine im marxist. Pro-
Koalitionsregierung unter Banzer, Fort- zess oder durch revolutionäre Taktik er-

117
Bolz

richtete (Minderheits-)Diktatur des (bäu- fielen B.-Attentaten zum Opfer; zur Be-
erlichen und industriellen) Proletariats drohung der Menschheit wurden seit 1945
zur klassen- und staatslosen Menschheit, die Atombomben.
gegebenenfalls unter vorübergehenden Bonaparte, eigtl. (ital.) Buonaparte, kors.
Kompromissen. Der B. der UdSSR wurde Familie, im 16. Jh. von Genua eingewan-
getragen von der staatsregierenden Partei dert; ihr entstammen die Napoleoniden,
(KPdSU) und ihren Spitzengremien: Zen- u. a. die Kaiser ↑ Napoleon (B.) I. und Na-
tralkomitee, Parteipräsidium, Parteisekre- poleon III.; Vater Napoleons I. war Car-
tariat und der vom Parteitag gewählten lo B., Advokat in Ajaccio, 1746–1785;
Parteikontrollkommission. Mutter Lätitia, geb. Ramolino, 1750–
Bolz, Eugen, dt. Jurist und Staatsmann, 1836; Napoleon der zweitälteste Sohn,
1881–1945; seit 1912 Mitglied im Zent- seine sieben Geschwister: 1) B., Joseph,
rum; unterstützte als württemberg. Staats- 1768–1844; 1806 König von Neapel,
präsident (1928–1933) die Politik ↑ Brü- 1808–1814 von Spanien. 2) B., Lucian
nings und bekämpfte den Nationalsozia- (Luden), 1775–1840; 1799 entscheidend
lismus; 1933 für mehrere Wochen in Haft, beteiligt am Staatsstreich (18. Brumaire),
unterhielt Verbindungen zu den Wider- anschließend Innenminister; befürwor-
standskreisen um ↑ Goerdeler; nach dem tete das Konkordat mit der Kurie, über-
gescheiterten Attentat vom 20. Juli 1944 warf sich mit seinem Bruder; 1814 vom
verhaftet und hingerichtet. Papst mit dem Fürstentum Cassino be-
Bombay, auf einer Insel an der W-Küste lehnt. 3) B., Elisa (Marie-Anna), 1777–
Vorderindiens; eine der größten Hafen- 1820; 1805 Fürstin von Piombino, 1809
und Industriestädte Asiens; 1534 portu- Großherzogin von Toskana. 4) B., Ludwig
giesisch, 1661–1947 englisch; Hauptsitz (Louis), 1778–1846; 1806–1810 König
der pars. Feueranbeter, der Nachkommen von Holland, Vater Napoleons III. aus der
der altpersischen Religion Zarathustras; Ehe mit Hortense ↑ Beauharnais. 5) B.,
in der Vorstadt Malabar Hill „Türme des Pauline, 1780–1825; verheiratet mit Fürst
Schweigens“, auf denen die Toten ausge- Borghese. 6) B., Karoline, 1782–1839;
setzt werden. verheiratet mit Joachim Murat, 1806
Bomben, eiserne Behälter mit Sprengla­ Großherzogin von Berg, 1808–1814 Kö-
dungen; als erster ließ Malatesta, Fürst nigin von Neapel. 7) B., Jérôme, 1784–
von Rimini, B. aus zwei eisernen Halbku- 1860; 1807–1813 König von Westfalen,
geln anfertigen, die durch einen Zünder bestgehasster Napoleonide in Deutsch-
(ital. „bomba“) zur Detonation gebracht land; 1850 Marschall von Frankreich, un-
worden (1433), seit Ende des 15. Jh. als ter Napoleon III. zum Kronerben ernannt;
Granaten in artillerist. Gebrauch; vor dem sein jüngster Sohn Napoleon Joseph Karl
Abfeuern der Geschütze werden die Zün- Paul bonapartist. Thronprätendent, im
der durch Anbrennen mit der Lunte in Volksmund „Prinz Plon-Plon“ genannt;
Gang gesetzt, Geschoss- und Aufschlag- 1822–1891.
zünder kamen im 19. Jh. auf, chemische Bonapartismus, in der polit. Literatur je-
und Uhrwerkszünder 19./20. Jh. (Bezeich- des Regime im Stile Napoleons I. oder Na-
nung Bombe durch Granate verdrängt); poleons III.; in der Regel Produkt und Ab-
Flieger-B. seit 1. Weltkrieg; mit Dynamit schluss von Revolutionen, gekennzeichnet
gefüllte, geworfene B. im 19. Jh. bevor- durch die Mischung autoritärer, konserva-
zugte Kampfmittel revolutionärer Anar- tiver Formen mit demokrat. und sozialen
chisten und Nihilisten, vor allem in Russ- Errungenschaften; dem B. als einer Son-
land; zahlreiche Herrscher und Minister derform der Diktatur sind bes. die Beru-

118
Bono

fung auf den Volkswillen und die Vorliebe nedikt Gaetani, 1294–1303); betrachtete
für Volksabstimmungen (Plebiszite) eigen- sich seit 1300 auch in weltlicher Hinsicht
tümlich, wenn deren günstiger Ausgang als der Universalherr Europas, bekämpfte
von vornherein mit Sicherheit einberech- erbittert Philipp IV. von Frankreich, ver-
net werden kann; außenpolit. Verbindung kündete 1302 in der Bulle „Unam sanc-
von Machtpolitik und Nationalismus, tam“ (↑ Zweischwerterlehre) den Vorrang
nach Bedarf Berufung auf das nationale der geistlichen vor der weltlichen Gewalt;
Selbstbestimmungsrecht, im Gegensatz starb an der Demütigung durch den frz.
zum legitimist. Prinzip (↑ Legitimisten); Überfall in Anagni 1303.
Auflösung der europ. Staatenordnung von Bonifatius, weströmischer Feldherr, Statt-
1815 war das außenpolit. Hauptziel des B. halter in Afrika seit 422 n. Chr., rief die
im 19. Jh., verfochten von Napoleon III. Vandalen nach Afrika, besiegte Aetius, ge-
Bonapartisten, Anhänger der Familie storben 432.
Bonaparte und Verfechter ihrer Thronan- Bonn, alte Stadt der Ubier, röm. Bonna
sprüche nach dem Sturz Napoleons I., be- oder Castra Bonnensia, von Drusus etwa
kämpften die Republikaner wie die An- 15 v. Chr. gegr., in der Völkerwanderung
hänger der Häuser Bourbon und Orléans; wiederholt zerstört und wieder aufgebaut,
seit dem Tode des Prinzen Lulu (Sohn Na- 1273–1794 Residenz der Kurfürsten von
poleons III.) polit. nicht mehr bedeutend, Köln; im „Münster“ wurden Friedrich der
halten aber noch heute an der Thronkan- Schöne und Karl IV. gekrönt; Schlossbau
didatur der Nachkommen Jerómes, des seit 1692; 1801 an Frankreich, 1814 an
Bruders Napoleons I., fest. Preußen, seit 1949 Hauptstadt der Bun-
Bonhoeffer, Dietrich, dt. ev. Theologe, desrepublik Deutschland; Universität seit
1906–1945; seit 1931 Studentenpfarrer 1786 (bzw. 1818). 1949–1990 Haupt-
und Privatdozent in Berlin, 1935 Leiter stadt, bis Mitte 1999 Regierungssitz der
des (illegalen) Predigerseminars der Be- Bundesrepublik.
kennenden Kirche in Finkenwalde; schloss Bonner Vertrag, ↑ Deutschland-Vertrag.
sich der polit. Widerstandsbewegung ge- Bonset, Georges, frz. Jurist und Politi-
gen das Dritte Reich an, 1943 verhaftet, in ker, 1889–1973; 1925–1940 Minister
den letzten Kriegstagen hingerichtet. verschiedener Ressorts, unterzeichnete als
Bonifatius, hl., eigentlich Winfrid, be- Außenminister ↑ Daladiers das Münchner
deutender Vertreter der angelsächs. Mis- Abkommen. Bonneval, Claude Alexandre
sion, gen. „Apostel der Deutschen“, Be- Graf von, frz. Abenteurer, 1675–1747; zu-
nediktiner, um 672–754; 719 in Rom mit erst in der frz. Marine, dann im frz. Heer,
Germanenmission beauftragt; 722 in Rom dann in der österr. Armee, kämpfte als ös-
zum Bischof geweiht. Missionar in Thü- terr. General gegen Frankreich und gegen
ringen, Hessen und Friesland, Gründer der die Türken, 1724 wegen Zerwürfnissen
Klöster Fulda und Fritzlar; 738 päpstlicher verabschiedet, ging 1729 zu den Türken
Legat von Deutschland und kirchlicher über, zum Islam übergetreten, organisierte
Organisator, gründete Bistümer (Freising, als Achmed Pascha das türkische Heeres-
Regensburg, Passau, Salzburg, Würzburg, wesen.
Fritzlar, Eichstätt, Erfurt); 745/746 (Ti- Bono, Emilio de, ital. General und Mit-
tular-)Erzbischof von Mainz; bei neuem begründer des Faschismus, 1886–1944;
Missionszug von Friesen erschlagen; in 1935 Oberkommandierender, im Krieg
Fulda begraben. gegen Abessinien durch Badoglio ersetzt,
Bonifatius, Bonifaz, Name von neun half 1943 Mussolini stürzen; 1944 er-
Päpsten; der bedeutendste: B. VIII. (Be- schossen.

119
Bootgrab

Bootgrab, vor- und frühgeschichtliche ↑ Machiavellis; seine Schwester Lucrezia


Form der Beisetzung in einem Boot, vor- B., 1480–1519, war in dritter Ehe ver-
wiegend in N-Europa; bes. in der Wikin- mählt mit Herzog Alfonso von Ferrara und
gerzeit, meist mit reichen Grabbeigaben. machte dessen Hof zu einem glänzenden
Das bedeutendste B. wurde 1903 in Ose- Sammelpunkt bedeutender Künstler, Ge-
berg am Oslofjord entdeckt. lehrter und Dichter; ihr schlechter Ruf be-
Booth, William, 1829–1912; Begründer ruht vermutlich auf zeitgenössischen Ver-
der Heilsarmee in London 1878. leumdungen.
Böotien, alte griech. Landschaft zwischen Boris, 1) B. I. Michael, erster christlicher
dem Sund von Euböa und der Straße Bulgarenzar (Khan) (852–889); 865 ost-
von Korinth, Hauptstadt Theben; im kirchlich getauft; Nationalheiliger, zuletzt
4. Jh. v. Chr. polit. bedeutsam, Widersa- im Kloster, gest. 907. 2) B. III., Zar von
cher Spartas. Bulgarien 1894–1943, Zar ab 1918; stand
Bordeaux, an der Garonne, Hauptstadt im 2. Weltkrieg auf der Seite Deutschlands
des Dep. Gironde; im Altertum (Burdi- und regierte seit Hitlers Machtübernahme
gala) Hauptstadt der röm. Provinz Aqui- 1933 sein Land als autoritärer Herrscher;
tanien (reiche Überreste aus der Römer- wurde jedoch aufgrund sowjetischer Dro-
zeit); 507 von den Franken, 732 von den hungen im Krieg nicht aktiv. 3) B., Godu-
Arabern erobert, 735 von Karl Martell zu- now, ↑ Godunow.
rückerobert; im 9. Jh. von den Normannen Bormann, Martin, dt. Politiker, geb. 1900,
geplündert; 1154 an England (Heinrich II. seit 1945 verschollen, 1973 offiziell für tot
von Anjou), Beginn des wirtsch. und kul- erklärt. B. war seit 1930 in der obersten
turellen Aufstiegs; Hauptstadt des Herzog- Parteiverwaltung der NSDAP tätig, 1941
tums Guyenne (bei England); 1451–1453 Leiter der Parteikanzlei, 1943 „Sekretär
von Frankreich zurückgewonnen; in der des Führers“, gewann großen Einfluss auf
Frz. Revolution Hauptort der Girondi- Hitler. 1946 vom Nürnberger Gerichtshof
sten; 1870/71 Mittelpunkt der nationalen in Abwesenheit zum Tode verurteilt.
Verteidigung (Gambetta), Sitz der Natio- Börne, Ludwig, polit. Schriftsteller und
nalversammlung; im 1. Weltkrieg Sitz der Kritiker, 1786–1837; radikaler Demo-
frz. Regierung. krat des Vormärz, lebte in Paris im Exil,
Borghese, röm. Adelsgeschlecht, nach Meister des journalistischen Feuilletons,
ihm benannt die Villa B. in Rom (17. Jh.) durch seine „Pariser Briefe“ wurde er zum
mit berühmten Kunstschätzen; Fürst Ca- literarischen Abgott des „Jungen Deutsch-
millo B. war 1803–1814 mit Napoleons land“.
Schwester Pauline verheiratet. Bornhöved, Ort in Schleswig, südl. Kiel;
Borgia, aus der span. Provinz Valencia 1227 Sieg der norddt. Fürsten unter füh-
stammendes Adelsgeschlecht, das in Ita- render Teilnahme der Stadt Lübeck über
lien zur Macht gelangte und zwei Päpste, den Dänenkönig Waldemar II.; das Land
↑ Kalixtus III. und ↑ Alexander VI., stellte; bis zur Eider blieb bei Deutschland.
dessen natürlicher Sohn Cesare B., 1475– Bornu, ehemaliges afrikan. Reich südwestl.
1507, schaffte sich gewaltsam ein Her- des Tschadsees (Hauptstadt Kuka); begr.
zogtum in der Romagna, ermordete sei- wahrscheinlich schon im 10. Jh. n. Chr.,
nen Bruder Juan, wurde 1493–1498 ohne zeitweise mit Kanem vereinigt, unter
Priesterweihe Kardinal, musste seine Er- einem ausgewanderten König von Kanem
oberungen 1503 herausgeben und fiel in um etwa 1500 selbständig. Zentrum des
Spanien; er verkörperte den skrupellosen Islam im mittleren Sudan; Handel bis
Renaissancefürsten und das polit. Ideal zum Mittelmeer (Tripolis); Anfang des

120
Bosporus

19. Jh. von den Fulbe bedrängt; Scheich netzündung für Verbrennungsmotoren


Omar von B. Förderer der Afrikareisenden und versah als erster Kraftwagen mit ein-
Barth, Overweg, Vogel, Rohlfs, Nachtigal; heitlicher elektr. Ausrüstung.
1883–1901 unter der despot. Herrschaft Bosnien, histor. Landschaft Jugoslawiens,
des arab. Sklavenhändlers Rabeh; dann urspr. von Illyrern bewohnt; gehörte in
Hauptteil zur brit. Kolonie Nigerien, ein röm. Zeit zur Provinz Dalmatien; seit 600
Teil zur dt. Kolonie Kamerun, der Rest zu von Südslawen (Kroaten und Serben) be-
Frz.-Äquatorialafrika. siedelt; unter der Herrschaft von Fürsten
Borodino, Dorf im Gouvernement Mos- (Titel: Ban) und unter ungar. Oberhoheit;
kau; 1812 verlustreicher Sieg Napoleons von Ban Stephan Twertko I. (1353–1391)
über die Russen unter Kutusow. geeinigt und 1377 Königreich, Verfall und
Borromäus (Borromeo), Carlo, Graf, Kar- Adelsherrschaft unter den Nachfolgern;
dinal und Erzbischof von Mailand, hl., 1463 von den Türken unterworfen (Her-
1538–1584; bedeutender, asketischer Kir- zegowina, der südwestl. Teil, erst 1482);
chenpolitiker nach dem Tridentin. Konzil, Übertritt des Großteils des Adels zum Is-
wirkte für Erneuerung des kirchlichen Le- lam; 1875 Aufstand, 1878 durch den Ber-
bens, insbes. der Mönchsorden. liner Kongress unter österr. Verwaltung,
Börse, im alten Rom gab es bereits im langwierige und blutige Niederwerfung
1. Jh. v. Chr. die „Collegia mercatorum“ des Aufstands, wirtsch. und kulturelle Er-
(Zusammenkünfte der Kaufleute); im MA schließung (Bahnen, Straßen, Schulen);
Handelshallen (seit dem 13. Jh.); Börsen 1908 Eingliederung in den österr.-ungar.
im modernen Sinne, d. h. gesetzlich or- Staatsverband (Annexions- oder ↑ Bosn.
ganisiert, entstanden zuerst in Antwerpen Krise); Herd des großserb. Nationalis-
1531, Lyon und Toulouse 1546, in Lon- mus; 28. Juni 1914 Ermordung des österr.
don 1566; in Hamburg seit 1558, in Ber- Thronfolgers Franz Ferdinand in Sarajewo;
lin seit 1716; der Name wurde abgeleitet 1919 zu Jugoslawien; im 2. Weltkrieg er-
von einer Familie van der Burse in Brügge, bitterter Widerstand gegen dt.-ital. Beset-
Anfang 16. Jh., deren Wahrzeichen – der zung. Seit 1992 Landesteil der Republik
Geldbeutel – das Gebäude schmückte, in Bosnien-Herzegowina.
dem die Kaufherren schon seit dem 13. Jh. Bosnische Krise, von 1908/09, Öster-
regelmäßig zusammenkamen, um hier mit reich, von Deutschland diplomatisch un-
Tauschgütern zu handeln, die beim Ge- terstützt, annektierte das von ihm bereits
schäftsabschluss nicht zur Stelle zu sein seit 1878 (↑ Berliner Kongress) besetzte
brauchten. – In Deutschland ist seit der Bosnien mit der Herzegowina und ver-
Börsenreform von 1934 die Anzahl der Ef- schärfte dadurch die polit. Gegensätze
fektenbörsen von 21 auf 9 verringert, um zwischen den europ. Großmächten vor
leistungsfähige Märkte zu schaffen. dem 1. Weltkrieg.
Borsig, August, dt. Maschinenbauer und Bosporus (griech., „Rinderfurt“), Meer-
Industrieller, 1804–1854; erbaute die ers- enge von Konstantinopel; im Altertum
ten dt. Lokomotiven. thrak. B., Ausgang aus dem Schwarzen
Bosch, 1) B., Carl, dt. Chemiker und In- Meer ins Marmarameer und durch die
dustrieller, 1874–1940; (mit Haber) Ver- ↑ Dardanellen ins Mittelmeer; Öffnung
fahren zur Stickstoffgewinnung aus der oder Beherrschung der türk. Meerengen
Luft (Ammoniak-Synthese aus Luftstick- seit dem 18. Jh. eines der Hauptziele der
stoff), Verfahren zur Kohleverflüssigung; russ. Politik; „Kranker Mann am B.“ =
Nobelpreis 1931. – B., Robert, dt. Indus- Spottname im 2. Teil des 19. Jh. für die ver-
trieller, 1861–1942, entwickelte die Mag­ fallende Türkei. – Kimmerischer B. hieß

121
Bossuet

in der Antike die Straße von Kertsch; hier kan. Politiker, geb. 1916; seit 1948 Parla-
entstand um 480 v. Chr. auf beiden Land- mentsabgeordneter für die National Party,
seiten das Bosporan. Reich, dessen letzter 1961–66 Minister für Städtebau, öffent-
König sich ↑ Mithradates VI. von Pontus liche Arbeiten und Angelegenheiten der
unterwarf; kam unter röm. Oberhoheit, Farbigen, seit 1966 Parteiführer der NP in
dann unter die Herrschaft der Sarmaten, der Kap-Provinz, 1966–80 Verteidigungs-
Ostroms, der Chasaren und Tataren. minister. Seit 1978 auch Ministerpräsi-
Bossuet, Jacques Bénigne, frz. Theologe, dent, versuchte B. die Situation der Far-
Kanzelredner, Historiker, 1627–1704; bigen im Alltagsleben zu verbessern, ohne
1681 Bischof von Meaux („Der Adler von jedoch des System der Apartheid (Rassen-
Meaux“), vertrat die Rechte der gallikan. trennung) insges. anzugreifen. Nach Ver-
Kirche, diente andererseits der kath. Kir- fassungsreform 1984 zum 1. exekutiven
che durch Bekämpfung des ↑ Quietismus Präsidenten der Zweiten Republik ge-
und dessen Verteidigers Fenelon wie des wählt, der in Personalunion die Ämter des
Protestantismus, als dessen Grundfehler Staatsoberhauptes sowie des Regierungs-
er die konfessionelle Zersplitterung der chefs vereinigt; amtierte bis 1989.
Kirchen ansah; betrieb die Aufhebung des Bothwell, James Habburn, Earl of, schott.
↑ Edikts von Nantes; Verfasser einer Uni- Abenteurer, um 1536–1578; ermordete
versalgeschichte im Geiste der Geschichts- 1567 Darnley, den Gemahl Maria Stuarts,
philosophie des MA. die er danach selbst heiratete; vertrieben,
Boston, Hauptstadt des nordamerikischen in dän. Gefangenschaft gestorben.
Staates Massachusetts. 1630 von Purita- Botswana, Republik im südl. Afrika;
nern gegründet, Mittel- und Ausgangs- seit 1885 war das nördl. Betschuanaland
punkt der Unabhängigkeitsbewegung der brit. Protektorat, bis 1962 Angliederungs-
nord­amerikan. Kolonien; 1770 blutiger bestrebungen Südafrikas. 1966 entließ
Zusammenstoß mit englischen Truppen Großbritannien B. in die Unabhängig-
(„B. Massacre“); 1773 Bostoner Teesturm keit. Als einer der schwarzafrikanischen
(„B. Teaparty“), bei dem als Indianer ver- „Frontstaaten“ im Rhodesienkonflikt (bis
kleidete Einwohner eine Schiffsladung un- 1979) befand sich B. wegen seiner starken
verzollten Tee der Ostindischen Kompanie wirtsch. Abhängigkeit von der Republik
ins Wasser warfen. – 1638 wurde nahe B. Südafrika in einer besonders exponierten
die Cambridge-Harvard-Universität, die Situation.
älteste der Neuen Welt, gegr. (↑ Unabhän- Böttger, Johann Friedrich, Erfinder des
gigkeitskrieg). (europ.) Porzellans, 1682–1719; Apothe-
Bos(t)ra, antike Stadt in Syrien, Kultur­ ker, Alchimist und vermeintlicher „Gold-
mittelpunkt, Tempel der Astarte; seit macher“, von August dem Starken deshalb
105 n. Chr. röm. Provinzialhauptstadt gefangen gehalten, erfand (1708/09) statt
(Prov. Arabia): Beginn der „Bostran. Ära“ Gold zus. mit Tschirnhaus das rotbraune
für das Ostjordanland (↑ Zeitrechnung); „B.-Porzellan“, später das weiße (chines.);
später byzantinisch. daraufhin Gründung der Meißener Porzel-
Botha, 1) B., Louis, südafrikan. Staats- lan-Manufaktur.
mann und General, 1862–1919; kämpfte Botzaris, Markus, Held des griech. Frei-
gegen die Engländer im Burenkrieg, 1907 heitskampfes, um 1788–1823; zeichnete
Ministerpräsident von Transvaal, 1910– sich bei der ersten Belagerung von Misso-
1919 erstes Ministerpräsident der Südafri- lunghi aus, fiel im Kampf gegen die Alba-
kan. Union, eroberte 1915 Deutsch-Süd- nesen; Lieblingsgestalt des griech. Volks-
west-Afrika. 2) B., Pieter Willem, südafri- liedes.

122
Bourges

Bougainville, Louis Antoine de, 1729– im Bourbonnais, die ein Sohn Ludwigs IX.
1811; frz. Weltumsegler (1766–1769) und 1272 durch Heirat erworben hatte; Graf-
Südseeforscher. schaft B. 1327 zum Herzogtum erhoben,
Bouillon, Gottfried von,↑ Gottfried von B. 1523 nach dem Abfall des Connétable
Bouillon, belg. Stadt südl. Namur; ehe- Charles de B. zus. mit anderen bourbon.
mals Grafschaft, 1023 Herzogtum, 1096 Besitzungen (Herzogtum Auvergne) von
von Gottfried von B. an das Bistum Lüt- der Krone eingezogen; 1527 erlosch die
tich verpfändet; später dem Haus Latour ältere Linie des Hauses; die Seitenlinie
gehörig; 1814 zu Luxemburg; 1837 zu Vendôme gelangte zunächst auf den Thron
Belgien. von Navarra und 1589 mit Heinrich IV.
Boulanger, Georges Ernest, frz. General auf den frz. Thron, regierte in gerader Linie
und Politiker, 1837–1891; 1886–1887 bis 1792 (Frz. Revolution) und nochmals
Kriegsminister, Chauvinist, gefährdete den 1814–1830; Seitenlinien Condé, Condi
europ. Frieden durch intensive Revanche- und Orléans. In Spanien erlangte das
Propaganda (für 1870/71); gestürzt, floh Haus B. durch den Enkel Ludwigs XIV.,
nach Brüssel und beging Selbstmord. Philipp, 1700, endgültig 1714 den Thron,
Boulogne-sur-Mer, Gründung der belg. den es bis 1931 inne hatte. Im Königreich
Moriner, röm. Portus Gesoriacus; 1435– beider Sizilien herrschte eine Nebenlinie
1477 bei Burgund, danach bei Frankreich, der span. Bourbonen von 1738–1860; ein
1544–1550 von den Engländern besetzt; Seitenzweig im Herzogtum Parma und Pi-
berühmt durch das von Napoleon für eine acenza bis 1859.
Invasion Englands 1803–1805 errichtete Bourgeois, Léon, frz. Staatsmann, 1851–
Lager von B. 1925; 1919 1. Präsident des Völkerbundes;
Boumedienne, Houari, alger. Offizier Friedensnobelpreis 1920.
und Politiker, 1925–1978; schloss sich Bourgeoisie (frz. bourgeois, Bürger); kam
1954 Ben Bella an, wurde 1960 General- als Schlagwort zur Kennzeichnung der
stabschef der Befreiungsarmee. B. stützte „besitzenden Klasse“ in der Frz. Revolu-
Ben Bella bei der Machterrichtung im un- tion auf, verbreitet jedoch erst durch das
abhängigen Algerien, stürzte ihn jedoch Werk von Karl Marx, in dessen Schrift
1965 und wurde Staatspräsident. „Wissenschaftlicher Sozialismus“ die B.
Bourbaki, Charles Denis Sauter, frz. Ge- als Trägerin des kapitalist. Systems ana-
neral, 1816–1897; kämpfte im Krim- lysiert und als historische Gegenspielerin
krieg, bei Solferino und im Dt.-Frz. Krieg des ↑ Proletariats im entscheidenden (in-
1870/71; als Führer der Ostarmee bei Bet- dustriellen) Stadium des Klassenkampfes
fort geschlagen. ausgegeben wurde; nach Erfüllung ihrer
Bourbon, Herzog Karl von, Connétable historischen Mission (Überwindung des
von Frankreich, 1490–1527; frz. Feldherr, Feudalismus, Ausbildung des kapitalist.
siegte 1515 im Dienste Franz’ I. bei Mari- Systems bis zum Monopolkapitalismus)
gnano, ging 1523 zu Kaiser Karl V. über, selbst zum Untergang verurteilt; durch
weil die Königinmutter Luise mit Erfolg die marxist. Literatur wurde „Bourgeois“
gegen ihn intrigierte, führte 1524 ein kai- im 19. Jh. zu einem der meistgebrauchten
serliches Heer in die Provence, hatte An- polit. Schimpfworte, sinngemäß „Ausbeu-
teil am Sieg von Pavia 1525 über Franz I.; ter“.
fiel bei der Erstürmung Roms. Bourges, frz. Stadt zwischen Paris und
Bourbonen, frz. Herrschergeschlecht, Ne- Orléans; Galliersiedlung, 52 v. Chr. von
benlinie der ↑ Capetinger, benannt nach Cäsar erobert („Avaricum“ nach dem
der Stammburg Bourbon l’Archambault Fluss Avara = Yevre, später „Bituricae“

123
Bouteflika

benannt); im 5. Jh. in den Händen der tion seinen Abschied; 1841 erneut berufen
Westgoten, 583 fränkisch; Erzbistum mit (bis 1847).
einer der größten Kathedralen der Welt Boyneburg, Konrad von B. (Bemelberg),
(got., 13./14. Jh.); bis zum Auftreten der dt. Landsknechtsführer unter Frundsberg,
Jungfrau von Orléans Residenz König 1494–1567; erstürmte 1527 Rom (↑ Sacco
Karls VII. (König von B., zunächst nur di Roma).
im Süden Frankreichs anerkannt). Konzil Bozen, Hauptstadt der autonomen Provinz
von B. von 1438 verteidigte unter Vorsitz Bozen in Südtirol (Italien); bereits in vor-
Karls VII. die gallikan. Kirche gegen die geschichtlicher Zeit besiedelt, 14. v. Chr.
Papstgewalt; Verhältnis geregelt durch die röm. Straßenstation; im 7. Jh. Sitz einer
Pragmatische Sanktion von B. langobard. Grafschaft, zw. den Grafen von
Bouteflika, Abdul Aziz, alger. Politiker, Tirol und den Bischöfen von Trient um-
geb. 1937; 1963–1979 Außenminister, stritten, 1531 endgültig an Tirol; das B.er
seit 1965 Mitglied des Revolutionsrates, Handels- und Wechselgericht (1635) war
1979/80 Berater des Präsidenten, seit Vorbild für ähnl. Einrichtungen in Frank-
1999 Staatspräsident. furt/M., Leipzig und Wien. 1805 mit Ti-
Bouvines, zwischen Lille und Tournay; rol an Bayern, 1810 an das napoleon. Kö-
1214 entscheidende Niederlage König Ot- nigreich Italien, 1815 an Österreich, 1919
tos IV. (welf.-engl. Bündnis) durch den frz. mit Südtirol an Italien.
König Philipp II. August; Philipp über- Brabant, belg. Provinz, Hauptstadt Brüs-
sandte den auf dem Schlachtfeld zurück- sel; ehemals Kern von Niederlothringen,
gelassenen goldenen Reichsadler Fried- dessen Herzöge sich seit 1190 „Herzöge
rich II.; „von da an“, schrieb der Chronist, von B.“ nannten; 1355 zum Haus Luxem-
„sank das Ansehen der Dt. bei den Wel- burg, seit 1406 bei Burgund, 1430 mit
schen“ (Frankreich beendete den Thron- diesem vereinigt; 1477 an Habsburg, 1555
streit); Frankreichs Aufstieg zur vorherr- spanisch, 1648 nördl. Teil von den Hollän-
schenden Macht in Europa angebahnt, dern erobert, südl. Teil bis 1714 spanisch,
das frz. Königtum siegte über die Kron- dann österreichisch, 1830 zu Belgien. B.
vasallen; England musste seine Hoffnung war von Ende des 14. Jh. bis zur Mitte des
auf Rückgewinnung der Normandie be- 16. Jh. wirtsch. und kultureller Mittel-
graben, im Innern Zugeständnisse an die punkt der Niederlande (B.er Leinen).
Stände (Magna Charta 1215). Bradshaw, John, engl. Rechtsgelehrter,
Boxer, chinesischer Geheimbund, des- 1649 Lordpräsident des Gerichtshofes, der
sen Aufstand 1900 gegen die weißen Karl I. zum Tode verurteilte.
Kolonial­mächte zur Belagerung des Pekin- Braganza, portug. Dynastie, stammte von
ger ­Gesandtschaftsviertels und zur Ermor- Alfons von Portugal (1442 Herzog von B.)
dung des dt. Gesandten von Ketteler in ab; 1640–1853 auf dem portug. Thron;
Peking führte; Strafexpedition der Groß- stellte 1822–1889 auch die Kaiser von
mächte (B.-Krieg) und 1901 B.-Protokoll Brasilien.
(chines. Sühneleistungen). Brahe, Tycho, dän. Astronom, 1546–
Boyen, Hermann von, preuß. General 1601; arbeitete im Auftrag Landgraf Wil-
und Heeresreformer, 1771–1848; Mitar- helms IV. am ersten mit drehbarer Kuppel
beiter Scharnhorsts bei der Reorganisa- versehenen Observatorium in Kassel, er-
tion des Heeres nach dem Tilsiter Frieden, richtete 1576 auf der dän. Insel Ven ein
1814–1819 Kriegsminister, Schöpfer der eigenes Observatorium, erneuerte und
↑ Landwehr; von konservativen Kreisen berichtigte die Beobachtungsmethoden;
beargwöhnt; nahm bei Anbruch der Reak- seit 1597 in Prag, versuchte das ptole-

124
Brandt

mäische und kopernikan. Weltsystem zu kald. Bundes); danach Verbindung mit


­vereinen; Lehrer Keplers, der auf seinen der Geschichte ↑ Preußens. B. seit 1815
Beob­achtungen aufbaute und sie weiter- preuß. Provinz, 1947–1952 Land der
entwickelte. DDR, 1952 Dreiteilung (Bezirke Cottbus,
Brahmanismus, Lehre der Brahmanen, Frankfurt/Oder, Potsdam); seit 1990 Bun-
etwa im 6.–8. Jh. v. Chr., ausgebildet, ind. desland. 2) B., Stadt, das altwend. Brenna-
pantheist. Religion, in der indo-arischen bor (Brennaburg, Burg auf gebrannter Ro-
Religionsentwicklung die zweite Stufe, die dung); 928 von Heinrich I. den Hevellern
auf die „vedische“ Stufe folgte; Entwick- entrissen; 948 Bistum, 1161 durch Al­
lungsreihe: Vedismus (↑ Veden), Brah- brecht den Bären neu eingerichtet, 1571
manismus (↑ Hinduismus); der B. ver- säkularisiert; 1848 Sitz der preuß. Natio-
drängte in Indien den Buddhismus weit- nalversammlung.
gehend. Im Mittelpunkt steht der geistige Brandenburg, Friedrich Wilhelm, Graf
„Brahma“, die Weltseele, Urgrund des Le- von, preuß. General und Staatsmann,
bens, das höchste göttl. Wesen; der Weg 1792–1850; Sohn König Friedrich Wil-
zu seiner Erkenntnis führt über Opfer helms II., trat 1848 an die Spitze eines reak­
und Opfergebet; sittliches Handeln för- tionären Ministeriums und oktroyierte
dert die Seelenwanderung; der Übergang nach Auflösung der preuß. Nationalver-
von einem Leben ins andere vollzieht sich sammlung die neue Verfassung, stimmte
stufenweise, daher ausgeprägtes Kastensys­ der ↑ Olmützer Punktation zu.
tem, an der Spitze die geheiligte Kaste der Brandström, Elsa, schwed. Rote-Kreuz-
Brahmanen (Priester). Schwester, 1888–1948; betreute im
Brakteaten (lat. nummi bracteati, Blech- 1. Weltkrieg die dt. und österr. Kriegsge-
münzen), nur auf einer Seite geprägte, fangenen in Russland („Engel von Sibi-
sehr dünne Silber- (selten Gold-)münzen rien“).
des dt. MA und der Neuzeit, 12.–17. Jh. Brandt, Willy, dt. Politiker, 1913–1992;
Brandenburg, 1) B., auch „die Mark“ emigrierte 1933 nach Norwegen und ar-
schlechthin; bis zur Völkerwanderung beitete dort und in Schweden als Jour-
Land der germanischen Semnonen, später nalist. 1945 kehrte B. als Korrespondent
der slaw. Wenden, von ↑ Albrecht dem Bä- skandinavischer Zeitungen nach Deutsch-
ren Mitte 12. Jh. erobert, seit 1144 Mark- land zurück, seit 1948 in der SPD tätig.
grafschaft, seit 1157 endgültig dt.; von 1957–1966 war B. Regierender Bürger-
Albrechts Nachkommen, den Askaniern meister von Berlin. 1964 wurde er zum
(1134–1320), Erwerb von Teltow und Parteivorsitzenden der SPD gewählt. Als
Barnim, der Uckermark und der Gebiete Außenminister (1966–1969) bemühte B.
Lebus und Stargard, der Oberlausitz, der sich um eine Aktivierung der Ostpolitik;
Neumark, der Niederlausitz; 1231 Lehens­ 1969 Wahl zum Bundeskanzler, Fortset-
hoheit über Pommern; 1320–1373 unter zung der Entspannungspolitik (Dt.-Sow­
den Wittelsbachern, 1373–1411 unter jet. Vertrag 1970, Dt.-Poln. Vertrag 1970,
den Luxemburgern; ab 1411 bzw. 1417 Viermächteabkommen über Berlin 1971);
(feierliche Belehnung Friedrichs VI.) unter 1971 Friedensnobelpreis. 1974 Rücktritt
den Hohenzollern, Kurwürde seit 1415; als Bundeskanzler, B. übernahm die poli-
1473 durch Hausgesetz (Dispositio Achil- tische Verantwortung im Zusammenhang
lea, ↑ Albrecht Achilles) Unteilbarkeit und mit dem Spionagefall Guillaume. Seit
Trennung von dem fränk. Herzogtum der 1976 Präsident der Sozialist. Internatio-
Hohenzollern; 1539 Einführung der Re- nale, seit 1977 Vorsitzender der unabhän-
formation (jedoch außerhalb des Schmal- gigen Internat. Nord-Süd-Kommission,

125
Brasidas

trat 1987 von seinem Amt als Parteivorsit- gas; 1960 neue Hauptstadt Brasilia. Pro-
zender der SPD zurück, bis zu seinem Tod bleme: Währungssicherung, Agrarreform,
Ehrenvorsitzender. Steuergerechtigkeit, Ordnung der Staats-
Brasidas, spartan. Feldherr im Peloponnes. finanzen. Unter Präsident Kubitschek
Krieg, eroberte 424 die att. Kolonie Am- (1956–1961) forcierte Industrialisierung.
phipolis in Thrakien, schlug 422 v. Chr. Seit 1964 Machtausübung durch das Mi-
das athen. Entsatzheer unter Kleon. litär; die neue Verfassung verstärkte die
Brasilien, Bundesrepublik in S-Amerika; Position der Zentralexekutive. 1968 Auf-
1500 von Cabral als erstem Europäer be- hebung der wichtigsten Verfassungsarti-
treten; 1500–1815 portug. Kolonie; seit kel und Vertagung des Parlaments auf un-
1531 Besiedlung und königliche Verwal- bestimmte Zeit durch das Militär. 1969
tung; Versklavung der Küstenindianer; neue Verfassung. Die Ära der Militär­
Schutz für Indianer durch Jesuiten (seit regierungen (1964–1985) wurde 1988
1549, sie wurden als Arbeiter durch Ne- durch Verabschiedung einer das Präsidial-
gersklaven ersetzt); Anbau von Zucker- system konstituierenden Verfassung end-
rohr und Baumwolle; 1630–1654 setzten gültig beendet. 1989 erstmals seit 1960
sich die Holländer in Teilen B.s fest; seit wieder Präsidentschaftswahlen. Es gelang
1695 Gold-, seit 1730 Diamantenfunde; jedoch nicht, die hohe Inflationsrate und
1763 wurde Rio de Janeiro Hauptstadt; die Staatsverschuldung zu meistern. 1989
1797 soziale Unruhen unter dem Einfluss Wahl Fernando Collor de Mellos zum Prä-
der Ideen der Frz. Revolution; 1807–1820 sidenten, legte radikales Finanzierungs-
Rio de Janeiro Sitz der vor Napoleon ge- programm vor, musste jedoch wegen Kor-
flüchteten portug. Regierung; der Regent ruption Ende 1992 zurücktreten. Mitte
Pedro, Sohn König Johanns VI. von Por- der 90er Jahre erste Stabilisierung der
tugal, betrieb die Unabhängigkeit und ließ Wirtschaft B.s unter Fernando Henrique
sich 1823 zum Kaiser krönen (Pedro I.); Cardoso, erste gesetzl. Einschränkungen
1826 Verbot der Sklaveneinfuhr. 1826 der Rodung des tropischen Regenwaldes.
Abfall Uruguays; unter Pedro II. (1841– Trotz der anhaltenden Finanzkrise 1998
1889) wirtsch. Aufstieg (Kaffeeanbau); Pe- Bestätigung Cardosos 1998 im Amt; im
dro scheiterte an Sklavenfrage (1888 Ab- selben Jahr und erneut 2001 internat. Fi-
schaffung der Sklaverei) und polit. Militär; nanzhilfe des IWF für B.
B. seit 1891 Republik (Vereinigte Staaten Bratianu, Familie führender rumänischer
von B., 20 Bundesstaaten); innere Ent- liberaler Politiker: 1) B., Ion, 1822–1891;
wicklung oft gehemmt durch Auseinan- 1848–1857 wegen Teilnahme am rumän.
dersetzungen zwischen Zentralgewalt und Aufstand in der Verbannung; 1867/68
Gliedstaaten. Aufstände und Finanzkrisen Minister, bemühte sich vergeblich um das
(Kaffeepreise), außenpolit. gutes Einver- Zustandekommen einer Union der Donau­
nehmen mit den USA, aber Rivalität mit fürstentümer; 1878 erreichte er die Unab-
Argentinien, gemildert durch Zusammen- hängigkeit Rumäniens. 2) B., Constantin,
schluss zu den ↑ ABC-Staaten 1899; kul- 1866–1948 (?), Haupt der Opposition ge-
turell Anlehnung an Portugal; Entwick- gen ↑ Antonescu, brachte 1944 den Waf-
lung zum Industriestaat, zunehmende fenstillstand mit Russland zustande; von
Stadtbildung, starke Einwanderung; im den Sowjets verhaftet.
Zusammenhang mit wirtsch. Krisen (vor Brauer, Max, dt. Politiker, 1887–1973;
allem auf dem Kaffeemarkt) wiederholte wurde 1924 Oberbürgermeister des preuß.
Aufstände, 1930–1945 und 1950–1954 Altona; 1933 von den Nationalsozialisten
autoritäres Regime des Präsidenten Var- abgesetzt, leitete als erster Nachkriegsbür-

126
Breisach

germeister von Hamburg (1946–1953) 1922 Freistaat, 1933–1945 zusammen


den Wiederaufbau der Hansestadt ein, mit ↑ Anhalt unter Reichsstatthalterschaft,
1957–1960 erneut Hamburger Bürger- 1946 Teil des Landes Niedersachsen.
meister. Breda, Stadt in Nordbrabant, seit dem
Braun, 1) B., Karl Ferdinand, dt. Physi- 15. Jh. bei einer nassauischen Nebenlinie
ker, 1850–1918; verdient um wiss. Fun- (später N-Oranien), 1648 endgültig nie-
dierung der drahtlosen Telegrafie, Erfinder derländisch; der berühmte Kompromiss
der Braunschen Röhre (Kathodenstrahl- von B. 1566 (Adelsbund gegen die span.
röhre); 1909 Nobelpreis. 2) B., Otto, dt. Inquisition) war Auftakt der Erhebung ge-
Sozialdemokrat. Politiker, 1872–1955; gen die Spanier; B. wechselte im nieder-
1920–1933 preuß. Ministerpräsident länd. Freiheitskampf dreimal den Besitzer;
(„Roter Zar von Preußen“), nach dem berühmt die Einnahme durch den span.
Sturz Brünings von der Regierung Papen Feldherrn Spinola 1625 (Gemälde von
abgesetzt, 6. Feb. 1933 endgültig amtsent- Velasquez: Die Übergabe von B.). – Der
hoben, seitdem im Exil. Friede von B. 1667 beendete den unent-
Braunschweig, 1) Stadt: Siedlung um schiedenen 2. Seekrieg zw. Holland und
die Burg Dankwarderode; Brunswik 1031 England.
erstmals erwähnt; kam 1127 an das Haus Brederode, Heinrich Graf von, Vorkämp-
der Welfen, Stadtrecht durch Heinrich fer der niederländ. Befreiung von span.
den Löwen (romanischer Dom 1173 gegr., Herrschaft, 1531–1568; überreichte an
mit Grabmälern Heinrich des Löwen und der Spitze der Adligen der Statthalterin
seiner Gattin); 1247 Hansemitglied, 1753 Margarete von Parma die Kompromiss­
herzogliche Residenz. -Fachwerkbauten adresse von ↑ Breda; auf einem Festgelage
der Altstadt im 2. Weltkrieg zerstört. schlug er seinen Gesinnungsgenossen vor,
2) Herzogtum B.: Restbesitz (Eigengut) den Namen ↑ „Geusen“ anzunehmen.
der Welfen nach dem Sturz Heinrichs des Bregenz, Hauptstadt des österr. Bundes-
Löwen seit 1181, 1235 neues Herzogtum landes Vorarlberg, am O-Ufer des Boden-
B.-Lüneburg; fortgesetzt Teilungen; seit sees gelegen, ma. Stadtkern in Terrassen-
1569 zwei Hauptlinien: 1. Lüneburg, B.- lage; entstanden in röm. Zeit als Siedlung
Lüneburg, später Kurfürstentum ↑ Han- Brigantium in der Nähe eines Kastells; um
nover, schließlich Königreich Hannover; 260 durch die Alemannen zerstört, im
2. Dannenberg, seit 1634 im Besitz von 5. Jh. Bau einer alemann. Burg an Stelle
Wolfenbüttel, daher B.-Wolfenbüttel (aus- der röm. Oberstadt; seit Mitte des 10. Jh.
gestorben 1884, s. u.). Nichtsouveräne Li- Residenz der Udalrichinger; um 1200
nie B.-Bevern: Herzog Ferdinand, preuß. Stadtrecht, 1330 Marktprivileg, 1408 an
Feldherr unter Friedrich d. Gr. Herzog die Grafen von Montfort, 1451 an die
↑ Friedrich Wilhelm (aus der Linie B.- Habsburger.
Wolfenbüttel) im Kampf gegen das repu- Breisach, „Mons Brisiacus“ der Sequaner,
blikan. Frankreich und Napoleon. – B. Stützpunkt Ariovists, ehemals stark befes­
1807–1813 dem Königreich ­ Westfalen tigter Rheinübergang; seit dem 12. Jh. im
zugeschlagen; 1830 Revolution gegen Besitz der Bischöfe von Basel, 1275 Reichs-
Misswirtschaft Herzog Karls II. (vertrie- stadt, 1331 von Kaiser Ludwig an Öster-
ben); Aussterben der braunschweig. Wel- reich verpfändet, 1425 endgültig habsbur-
fen 1884, Regentschaft durch preuß. und gisch; 1638 von ↑ Bernhard von Weimar
mecklenburg. Prinzen; 1913–1918 Wel- erobert, 1648–1697 bei Frankreich, da-
fenherzog Ernst August von Cumberland nach wieder mit Unterbrechungen bei Ös-
(aus der Linie B.-Lüneburg-Hannover); terreich; 1805 an Baden.

127
Breisgau

Breisgau, Landschaft zw. Schwarzwald nister die Außenpolitik Adenauers. 2) B.,


und Oberrhein, bis 1218 zähringisch, Lorenz, dt. Politiker, 1813–1891; republi-
dann geteilt; bis zum 15. Jh. nach und kan. Mitglied der Frankfurter National-
nach zu Habsburg; 1468–1474/77 an versammlung, 1849 Führer der bad. Re-
Burgund verpfändet, im 17. und 18. Jh. volution, zum Tode verurteilt, floh 1850
von Frankreich und Österreich umkämpft; nach den USA, 1876 dort Kongressmit-
1810 der gesamte B. Teil des Großherzog- glied. 3) B., Lujo, dt. Nationalökonom
tums Baden. und Sozialpolitiker, 1844–1931; trat für
Breitenfeld, Dorf bei Leipzig; im 30-jähr. Arbeiter- und Gewerkschaftsrechte ein,
Krieg schwed. Siege über die Kaiserlichen: forderte Freihandel.
1631 durch Gustav Adolf (über Tilly), Brenz, Johannes, dt. Luther. Theologe,
1642 durch Torstenson. 1499–1570; Reformator Württembergs,
Bremen, 1) ehemaliges Bistum; gegr. 788; verfasste die „Große Kirchenordnung“
845 mit Erzbistum Hamburg vereinigt, 1559.
Sitz der Erzbischöfe nach Bremen verlegt, Breschnew, Leonid, sowjet. Politiker,
von wo aus die Missionierung Skandinavi- 1906–1982; seit 1952 im Zentralkomi-
ens begann; der bedeutendste Erzbischof tee, seit 1957 Mitglied des Präsidiums der
war ↑ Adalbert von B.; im 13. Jh. Kampf KPdSU, 1960–1964 Vorsitzender des Prä-
um Stade (↑ Stedinger); seit 1522 Ein- sidiums des Obersten Sowjets. 1964 als
dringen der Reformation; unter protes- Nachfolger ↑ Chruschtschows 1. Sekretär
tant. Fürsten; 1648 schwed. Herzogtum des Zentralkomitees und damit mäch-
mit Hauptstadt Stade; 1715 durch Kauf tigster Mann der Sowjetunion; außenpo-
an Hannover. 2) Stadt B., seit dem 13. Jh. lit. v. a. um die Sicherung der Weltmacht-
von den Bischöfen unabhängig, 1276 stellung der UdSSR und deren ­Hegemonie
Beitritt zur Hanse, Mitglied des Schmal- in Osteuropa bemüht, innenpolit. Fort-
kald. Bundes, 1541 reichsunmittelbar, setzung des wirtsch.-techn. Modernisie-
1810–1813 französisch, 1815 Freie Stadt rungsprozesses bei restaurativen Tenden­
im Deutschen Bund, erwarb 1827 Bre- zen; 1976 Marschall der Sowjetunion, seit
merhaven; Aufschwung zum Übersee- 1977 als Vorsitzender des Präsidiums des
und führenden dt. Auswandererhafen Obersten Sowjets Staatsoberhaupt.
(Norddt. Lloyd); 1848/49 Beseitigung der Breschnew-Doktrin, zur nachträglichen
patriz. Ratsverfassung, 1866 Beitritt zum Rechtfertigung der militär. Interven-
Norddt. Bund, Zollanschluss an das Reich tion der UdSSR in der Tschechoslowakei
erst 1888; 1919 kurzzeitig Räterepublik, 1968 entwickelte Doktrin von der „be-
ab 1933 gemeinsam mit Oldenburg von schränkten Souveränität“ aller sozialist.
einem Reichsstatthalter regiert. – 1946 Staaten; nach dem früheren sowjetischen
selbständiges Land (Freie Hansestadt Bre- Staats- und Parteichef ↑ Breschnew be-
men). nannt, stieß bei vielen Kommunisten, be-
Brennus, 1) B., gall. Heerführer, eroberte sonders bei den kommunistischen Parteien
mit den ↑ Senonen 387 v. Chr. Rom, mit Jugoslawiens, Rumäniens und Chinas auf
Lösegeld zum Abzug bewogen. 2) B., kelt. starken Widerstand. Verlor schon unter
Heerführer, fiel 279 v. Chr. in Griechen- ↑ Gorbatschow stark an Bedeutung.
land ein, plünderte Delphi, musste sich je- Breslau, Gründung an der Stelle eines al-
doch zurückziehen, beging Selbstmord. ten Handelsplatzes im 10. Jh. als böhm.
Brentano, lombard. Adelsgeschlecht seit Lehen; als Sitz des um 1 000 gegr. Bistums
1282: 1) B., Heinrich, dt. Politiker, 1904– B. 1018 erstmals urkundlich erwähnt;
1964; vertrat 1955–1961 als Außenmi- Vorort der Christianisierung Schlesiens;

128
Brieg

seit 1163 Residenz des in Niederschlesien Bretton Woods (USA), internationales


regierenden Zweiges der Piasten; 1241 Währungs- und Finanzabkommen zur
von den Mongolen zerstört, im 13. Jh. Zu- Stabilisierung der Währungen und für
wanderung dt. Kolonisten, wirtsch. und zwischenstaatliche Kreditgewährung, be-
kultureller Mittelpunkt der dt. Ostkolo- schlossen 1944 von einer Sonderkommis-
nisation, Hansemitglied; 1327–1335 mit sion der Vereinten Nationen, 1945 von 28
Böhmen (unter Luxemburgern) vereinigt, Staaten ratifiziert (nicht von der Sowjet-
dessen Schicksal es im 15. Jh. teilte; 1527 union). Hauptinstitutionen: Internatio-
österreichisch (Habsburg); 1742 (im Frie- naler Währungsfonds und Internationale
den von B.) preußisch; 1807 von Franzo- Bank für Wiederaufbau und Entwicklung;
sen besetzt; 1813 Residenz des preuß. Kö- Hauptzweck: Förderung des Welthandels,
nigs; 1945 in 11-wöchigem Kampf fast Produktionssteigerung und Beseitigung
völlig zerstört und unter poln. Verwaltung von Devisenbeschränkungen; Teilnehmer
(Wroclaw) gestellt. verpflichtet, einen Teil der Beteiligungs-
Brest-Litowsk, Friede von, 1918, erster quote in Gold zu zahlen.
Friedensschluss im 1. Weltkrieg zw. den Breve (lat. brevis, kurz), päpstliches Schrei-
Mittelmächten und der Sowjetunion, die ben, das sich von einer Bulle durch minder
beträchtliche Gebietsverluste hinnehmen feierliche, kurze Form unterscheidet.
musste (u. a. Finnland, Polen, Ukraine, Briand, Aristide, frz. Staatsmann, 1862–
balt. Staaten); Lenin nahm die dt. Bedin- 1932; urspr. Sozialist, 1909–1932 mehr-
gungen an, um eine „Atempause“ für den fach Ministerpräsident und Außenmi-
Bürgerkrieg zu gewinnen; nach dem dt. nister, Vertreter einer europ. Zusammen-
Zusammenbruch wurde der Friede von arbeit, bes. der dt.-frz. Verständigung
den Westmächten und der Sowjetunion (↑ Stresemann) und der Politik von ↑ Lo-
für ungültig erklärt; er diente den Geg- carno; 1926 zus. mit Stresemann Friedens-
nern Deutschlands als Rechtfertigung für nobelpreis.
die Friedensbedingungen von Versailles. Briefmarken, erstmals durch den Mai-
Bretagne, nordwestfrz. Halbinsel; wegen tre des requètes (Berichterstatter über
ihrer seit dem 5. Jh. n. Chr. aus England Bittschriften) O. de Valayer unter Lud-
geflüchteten Keltenbevölkerung Britan- wig XIV. 1653 in der Pariser Stadtpost ver-
nia minor (Klein-Britannien) genannt (die wendet (streifbandähnliche Billets de port
Bewohner Britanni, Bretonen); 497 frän- payé zu 1 Sou); blieben im 18. Jh. ohne
kisch, später selbständig (Breton. Mark Nachahmung; allgemeine Einführung der
Karls d. Gr. gegen die unruhigen Breto- Postwertzeichen zuerst in England 1840;
nen); 1113 engl. Lebenshoheit, 1166 eng- es folgten 1843 Kanton Zürich, Brasi-
lisch; seit 1213 unter einer capeting. Ne- lien, 1845 Finnland, 1846 Norwegen
benlinie, 1297 Herzogtum, 1488–1532 und Nordamerika, 1848 Russland, 1849
Kronbesitz; z. Z. der Frz. Revolution zu- Frankreich, Belgien, Bayern, 1850 Preu-
sammen mit der Vendée Hauptgebiet der ßen, Österreich, Sachsen.
königstreuen Volksbewegung; starke se- Brieg, Herzogtum in Schlesien, 1348 aus
paratist. Bewegung der kelt. sprechenden dem Herzogtum Liegnitz entstanden, von
Bretonen im 2. Weltkrieg, beim dt. Rück- einem Zweig der Piasten beherrscht, mehr-
zug flohen die Führer nach Irland. mals mit Liegnitz wiedervereinigt; 1524
Brétigny, frz. Ort östl. von Chartres; 1360 reformiert, 1537 Erbverbrüderung mit
Friede zw. Frankreich und England, das Brandenburg (Hohenzollern), trotzdem
Poitou, die Guyenne und Gascogne sowie nach Aussterben der Herzöge 1675 vom
Calais erhielt. Kaiser eingezogen und mit Österreich ver-

129
Bright

einigt; erst 1742 nach dem 1. Schles. Krieg Friedensbedingungen zu erreichen, lehnte
an Preußen abgetreten. die Unterzeichnung des Vertrages ab; seit
Bright, John, brit. liberaler Staatsmann, 1922 Botschafter in Moskau, erstrebte
1811–1888; mit ↑ Cobden Haupt der eine dt. Orientierung nach Osten, trug
↑ Anti-Corn-Law-League und des ↑ Man- entscheidend zum Zustandekommen des
chestertums, entschiedener Gegner des Berliner Vertrages bei.
brit. Imperialismus; seit 1859 Führer der Brockhaus, Friedrich Arnold, dt. Verle-
radikalen Liberalen im Unterhaus, mehr- ger, 1772–1823; urspr. in Amsterdam, gab
mals Minister. 1813 auf Befehl des Fürsten Schwarzen-
Brindisi, röm. Brundisium, seit 245 v. Chr. berg in Altenburg die „Deutschen Blätter“
bereits latein. Kolonie, Kriegshafen Roms als Tageszeitung und Nachrichtenblatt des
an der Adria, Endpunkt der Via Appia. Hauptquartiers der Verbündeten heraus;
Brissot, Jacques Pierre, frz. Politiker, seit 1817 in Leipzig; 1808 übernahm er
1754–1793; die von ihm gegründete Par- das „Conversationslexikon“ Löbels und
tei der Brissotins wurde zu den Girondi- Frankes und baute es aus.
sten gerechnet; nach deren Sturz hinge- Broglie, Albert Victor de, frz. Staatsmann
richtet. und Schriftsteller, 1821–1901; Führer der
Britannicus, Beiname röm. Kaiser; Tibe- orleanist. Katholiken, betrieb nach 1871
rius Cäsar Claudius B., Sohn des Kaisers die Wiederherstellung der Monarchie,
Claudius und der Messauna, adoptierte stürzte 1873 Thiers, 1873/74 Minister,
seinen Stiefbruder Nero, der ihn 55 n. Chr. 1877 nach Staatsstreich kurze Zeit Minis-
vergiften ließ. terpräsident.
Britannien, lat. Britannia, röm. Name für Bronzezeit, aus der Jungsteinzeit (↑ Neo-
England, das 55 und 54 v. Chr. von Cä- lithikum) erwachsende Kultur, Ende 3. bis
sar betreten, aber erst nach weiteren er- Anfang 1. Jt. v. Chr. nachweisbar in ver-
folglosen Angriffen unter Kaiser Claudius schiedenen Kulturbereichen der Erde, in
(mit 30 000 Mann), Aulus Plautius und Europa war die Ägäis (kret.-myken. Stadt-
Vespasian 43 n. Chr. (unter Kaiser Clau- kultur) erster Mittelpunkt (seit etwa 2500
dius) erobert wurde. B. wurde 407 von bereits auf Kreta), insgesamt Zeit fried-
den Römern geräumt; seit Mitte des 5. Jh. licher Entwicklung (verfeinerter Acker-
von ↑ Angelsachsen in Besitz genommen bau, größere Dörfer, stadtähnliche Orte,
(↑ England). erste Staatsanfänge). Die Bronze ist eine
Briten, die kelt. Bewohner Englands, seit schmelzbare und dadurch leicht form- und
dem 5. Jh. n. Chr. von den Angelsachsen verzierbare Kupfer-Zinn-Legierung; Kup-
zurückgedrängt; heute Name für die Eng- fer bereits im Neolithikum als Schmuck-
länder. rohstoff oder für Geräte (im österr. Do­
Britischer Staatenbund, ↑ Common- naugebiet bis Siebenbürgen, seit dem 5. Jt.
wealth, Empire, Großbritannien. in Mesopotamien) verwandt (Kupfervor-
Britisches Museum, Museum und Biblio- kommen auf Zypern, Sinai, in Spanien,
thek in London, 1753 gegr., heute eine der Etrurien, der Slowakei, Ungarn, Sieben-
größten Bibliotheken der Welt (7 Mio. Bü- bürgen, Mitteldeutschland, Zinnstein im
cher); bedeutende Altertümer- und Mün- Vogtland, Erzgebirge, bes. in Spanien und
zensammlungen. England, später auch in Hallstatt); Kupfer,
Brockdorff-Rantzau, Ulrich Graf von, Zinn und Bronzerohstoff (in Stäben, Rin-
dt. Diplomat, 1869–1928; 1918–1919 gen, Barren) und Bronzefertigwaren schon
Reichsaußenminister, Unterhändler in Ver­ früh Objekte des Fernhandels, Tausch
sailles, versuchte vergebens, Milderung der gegen Nahrungsmittel, Salz, Tongefäße,

130
Bruce

Bernstein u. a., bes. durch Phöniker und Eisen verschwistert. – Von Europa bzw.
Etrusker. dem Vorderen Orient aus Verbreitung der
Die europ. B. unterteilt in 3 Stufen: Bronze in Asien, vom Mittelmeer aus in
1) Früh-B. um 1800–1500 v. Chr. bes. in Afrika (z. B. späte Bronzekultur im ↑ Be-
Mitteleuropa; allmählich Ersatz der Stein- nin-Reich), eigen­ständige Entwicklung im
waffen und -geräte und des Schmuckroh- Fernen Osten (China) und in den vorko-
stoffes durch Bronzewaren (Beile, Dolche, lumbischen Kulturen Amerikas (Azteken,
Schwerter, Lanzenspitzen, Reifen, Ringe, Maya; nicht die Inka, die nur Kupfer,
Anhänger, Nadeln); Bronze-Händler und Gold und Silber kannten).
-Gießer wurden sozial gehobene Schicht; Brougham and Vaux, Henry Baron, brit.
Bronze-Barrenbesitz wurde Grundlage Staatsmann und Schriftsteller, 1778–
zu individuellem Reichtum; Aufschwung 1868; 1830–1834 Lordkanzler, dann Mit-
in Handel und Gewerbe, verbesserter glied des Oberhauses, zw. Whigs und Tor-
Ackerbau, neue Waffenarten, größere ries; trat für humanitäre Reformen, Volks-
Dörfer, stärkere Befestigungen (bronze- bildung und Katholikenemanzipation ein;
zeitliche Kultur von Kreta und Mykene); Vorkämpfer für die Abschaffung des Skla-
Bestattung vornehmlich in Hockerstel- venhandels.
lung (Hockergräber). 2) Mittel-B. etwa Brown, Robert, engl. Prediger und Grün-
1500–1300 v. Chr.; die B. hatte jetzt auch der einer wiedertäufer. Religionsgemein-
in W- und N-Europa die Steinzeit abge- schaft, um 1550–1630; Vorläufer der ↑ In-
löst; Hebung des gesamten bäuerlichen dependenten.
Lebensstandards (auch bedeutende Gold- Browne, Maximilian Ulysses Reichsgraf
arbeiten, ziervollste Keramik); Bronze­ von, österr. Feldmarschall irischer Ab-
arbeiten in höchster Vollendung (Gürtel-, stammung, 1705–1757; 1740 zur Räu-
Brustschmuck, Prunkgefäße); reiche bron- mung Schlesiens gezwungen, 1757 in der
zene Grabbeigaben in den Hügelgräbern Schlacht bei Prag tödlich verwundet.
dieser Zeit; Bronzescheiben als Symbole Brownlow, William Gannaway (auch Par-
der Sonne auf den Sonnenwagen (pferde- son B.), Unionsverfechter im nordamerik.
bespannter Trundholm-Wagen mit gold- ↑ Sezessionskrieg, 1805–1877; Methodist,
blechbeschlagener Bronzescheibe), gestei- Journalist; einer der schärfsten Publizisten
gerte Kupferförderung, Zinnhandel auch gegen die Südstaaten und die Autono-
über See. 3) Spät-B. seit etwa 1300, Zeit miebestrebungen Tennessees, wurde nach
der ↑ Urnenfelderkultur (Brandbestattung dem Anschluss Tennessees 1865 dessen
in Urnen); bronzene Rundschildbeschläge, erster Gouverneur; berühmt seine „Sket-
typ. Schwertformen, Luren, Henkelscha- ches of the rise, progress and decline of se-
len, Aufkommen der Fibel (lat. fibula, cession“ (1862).
Gewandhaftung) zur Gewandsicherung Bruce, altes schott. Adelsgeschlecht, im
in Form der Spange oder Sicherheitsnadel 14. Jh. mit dem Hause Baliol im Kampf
und ihre techn. und ästhet. Vervollkomm- um den schott. Thron. – 1) B., Robert,
nung zur Brosche mit Spiralen, Zierbü- 1306 zum König gewählt, behauptete
geln, Schmuckplatten, Bronzeblechge- 1314 den Thron und Schottlands Unab-
hängen, figürlichen Darstellungen (Tiefe, hängigkeit durch den Sieg von Bannock-
Masken), eingelegten Korallen oder Farb­ burn über Eduard II. von England. 2) B.,
email; die verschiedenen Fibelformen bie- David, Sohn von 1), beim Tode seines Va-
ten bis ins frühe MA Hinweise für die ters 1329 noch unmündig, 1346–1356 in
Datierung von Funden. Die Bronze war engl. Gefangenschaft, erhielt gegen Löse-
auch in der ↑ Eisenzeit noch lange dem geld den Thron zurück, starb 1370.

131
Bruck

Bruck, Karl Ludwig Freiherr von, österr. Brüder vom gemeinsamen Leben (Fra-
Staatsmann, 1798–1860; Mitbegründer terherren, Hieronymianer, Gregorianer),
des Österr. Lloyds und der österr. Han- von Gerhard Groote um 1376 in Deventer
delskammern, 1848 Mitglied der Frank- gegründete ordensähnliche religiöse Ge-
furter Nationalversammlung, danach bis nossenschaft von Weltpriestern und Laien
1851 Handelsminister, Wirtschaftsorga- ohne Gelübde, bes. am Niederrhein und
nisator und -planer großen Stils, dem ein in Norddeutschland verbreitet; befassten
Wirtschaftsgroßraum Europa vorschwebte; sich bes. mit Jugenderziehung.
drang mit seinen umfassenden Reformvor- Brügge, in Westflandern, im MA eine der
schlägen nicht durch; beging Selbstmord. wirtsch. bedeutendsten Städte Europas
Brückenbrüder, Orden der Brückenbrü- durch blühendes Tuchgewerbe (Verarbei-
der des MA, als Frères pontifes oder Fra- tung engl. Wolle) und glänzende Han-
tres pontifices im 12. Jh. in Südfrankreich delsverbindungen (seit Balduin, Graf von
entstanden; Gliederung in Ritter, Mönche Flandern und Lateinischer Kaiser von By-
und Arbeiter; ihre Aufgaben: Bau und Un- zanz: Levantehandel; Stapelplatz für engl.
terhalt von Brücken, Anlegung von Hospi- Wolle und für den westeurop. Hansehan-
zen (Brückenbau im MA religiöse und soz. del); reich privilegiertes Hansemitglied;
Tat: Brückenheilige, Brückenkapellen); am flandr. Freiheitskampf gegen die frz.
der von Papst Clemens III. 1139 bestätigte Krone maßgeblich beteiligt (1302 Mor-
Orden im 15. Jh. von Pius II. aufgelöst. genfeier von B.: Zünfte ermordeten die frz.
Brüdergemeine (Brüderunität oder Herrn­ Besatzung; Schlacht bei Kortrijk); 1384
huter), protestant.-pietist. Freikirche. Reste zu Burgund; 1488 hielt die Bürgerschaft
und geistige Nachfahren der 1457 gegrün- Maximilian I. 4 Monate lang gefangen und
det ↑ Böhmisch-mähr Brüder wanderten zwang ihn zum Verzicht auf die Herrschaft
1722 aus Böhmen und Mähren aus und über Flandern; in der Folge wurde B. von
stifteten 1727 in Herrnhut/Lausitz, einer kaiserlichen Truppen genommen; durch
Besitzung des Grafen Zinzendorf, die neue die Entdeckung der großen Seewege, die
Gemeinschaft; 1749 Gemeinde in Eng- Versandung der Fahrrinne zur Nordsee,
land, später Zweige auch in Amerika; aus- das Aufkommen Antwerpens und durch
gedehnte Missionstätigkeit; Erziehungsan- die span.-habsburg. Herrschaft allmäh-
stalten; die B. verwirklichte die Einheit von licher Niedergang; Stadtbild B.s mit sei-
Glauben und Leben im Geiste des ↑ Pie- nen zahlreichen Kanälen noch heute vom
tismus. MA geprägt.
Bruderschaften, bes. im MA verbreitete, Brühl, Heinrich Graf von, sächs. Staats-
von der (kath.) Kirche erlaubte und geför- mann, 1700–1763; allmächtiger Minister
derte Vereinigungen von Laien, die sich zu Friedrich Augusts II. (III.) von Sachsen-
besonderer Frömmigkeit oder guten Wer- Polen, vernachlässigte Verwaltung und
ken verpflichteten, ohne Ordensgelübde; Heer zugunsten höf. Prachtentfaltung.
verschiedene Mönchsorden gründeten für Brukterer, german. Volksstamm westlich
Laien verschiedene Standes-B., die lose der Ems, an den Aufständen gegen die Rö-
den Orden angeschlossen waren. mer beteiligt; später zu Franken
Brüder und Schwestern des freien Geis- Brumaire, 2. Monat des frz. Revolutions-
tes, freigeistige Sekte des 14./15. Jh.; pan- kalenders; am 18. B. (9. Nov.) 1799 stürzte
theist. Mystiker, meist Laien, außerhalb Napoleon Bonaparte, aus Ägypten zurück-
der kirchlichen Ordnung; bes. am Ober- gekehrt, durch Staatsstreich die Direktorial­
rhein, auch in Frankreich und Italien ver- regierung, löste den Rat der 500 auf und
breitet. übernahm als Erster Konsul die Macht.

132
Brüssel

Brun, ↑ Bruno. den USA und Prof. der Harvard-Universi-


Brune, Guillaume, frz. Marschall, 1763– tät; 1951 Rückkehr und Professur in Köln.
1815; ehemaliger Buchdrucker, errichtete 1970 erschienen seine Memoiren.
1797/98 die Helvetische Republik, 1806 Bruno, Giordano, ital. Philosoph, 1548–
Gouverneur der Hanse-Städte, als angeb- 1600; urspr. Dominikaner, Pantheist, von
licher Mörder der Prinzessin ↑ Lamballe Lukrez, Lullus und Nikolaus von Cues
von Royalisten ermordet. beeinflusst, verkündete mit dichterischer
Brunfels, Otto, dt. Theologe und Gelehr- Leidenschaft die Lehre von der Unend-
ter, „Vater der Botanik“, um 1488–1534; lichkeit des Alls und erweiterte damit
zunächst Kartäuser, in Straßburg zum Pro- die Lehre des Kopernikus zum philoso-
testantismus übergetreten, luther. Prediger, phischen Weltbild; nach unstetem Wan-
dann Arzt, begründete die moderne, auf derleben von der Inquisition ergriffen und
unmittelbare Naturbeobachtung aufge- in Rom als Ketzer verbrannt.
baute Botanik; Verfasser eines berühmten Bruno, 1) B., Erzbischof von Köln, Brun
Kräuterbuches in lat. und dt. Sprache, genannt, 925–965; Bruder Kaiser Ottos I.,
Freund Huttens; sein Name stand an der Herzog von Lothringen; als Erzkanzler
Spitze des 1550 auf kaiserlichen Befehl Vertreter einer starken Reichspolitik und
zusammengestellten Verzeichnisses der einer engen Bindung des Reichsklerus und
Hauptketzer. des Reichsepiskopats an das Königtum; als
Brunhilde, Tochter des Westgotenkönigs Kirchenfürst für entschiedene Klosterre-
Athanagild, 567 vermählt mit Sigbert von form; Förderer der Wissenschaften. 2) B.
Austrasien; trieb ihn zum Krieg gegen sei- von Köln, hl., um 1040–1101; zog sich
nen Bruder Chilperich von Neustrien, der 1086 in die Gebirgsschlucht Chartreuse
sich nach der Verstoßung Galswinthas, der bei Grenoble zurück, wurde zum Stifter
Schwester Brunhildes, mit Fredegunde des Kartäuserordens. 3) B. von Querfurt,
vermählt hatte; erlag als Regentin dem hl., um 970–1009; Missionsbischof in Po-
Aufstand des austras. Adels; dem Sohn len, Ungarn, bei den Petschenegen; auf ei-
Fredegundes, Chlothar II., ausgeliefert ner Missionsreise in Preußen erschlagen.
und zu Tode gefoltert (in der Heldensage Brüssel, im 7. Jh. durch den hl. Ge­rald,
Gemahlin Gunthers von Burgund und Bischof von Cambrai, auf einer Insel der
Feindin Siegfrieds). Senne gegründet; im 11. Jh. Residenz der
Brüning, Heinrich, dt. Politiker, 1885– Herzöge von Niederlothringen und Bra-
1970; 1921–1930 Geschäftsführer des bant, 1430 an Burgund, 1477 an Habs-
(christl.) Dt. Gewerkschaftsbundes, Mit- burg; von Karl V. zur Hauptstadt der
glied der Zentrumspartei. 1930–1932 Niederlande erhoben, Herd des nieder-
Reichskanzler; versuchte durch Ausnut- ländischen Aufstandes (1566 Bund der
zen der verfassungsmäßigen Vollmachten ↑ Geusen zu B.; 1577 Union von B. zwi-
des Reichspräsidenten (Notverordnungen) schen Spanien und den Aufständischen);
und unpopuläre Sparmaßnahmen die 1585 von Alexander Farnese unterwor-
schwere Finanz- und Wirtschaftskrise des fen, teilte von da an das Schicksal der spa-
Reiches zu überwinden; bereitete die Lö- nischen, seit 1714 der österreichischen
sung der Reparationsfrage vor; im Innern Niederlande; mehrmals von den Franzo-
Kampf gegen Nationalsozialismus (Verbot sen belagert oder erobert (zuletzt 1794),
der SA 1932) und Kommunismus; 1932 Herd der Unzufriedenheit mit der österr.
von Hindenburg wegen seiner Agrarre- Herrschaft; 1830 Schauplatz der Revolu-
formpläne in Ostelbien entlassen; 1933 tion, durch die es zur Hauptstadt des neu-
Zentrumsführer; 1935 Emigration nach gebildeten Königreichs Belgien wurde; in

133
Brüsseler Pakt

beiden Weltkriegen von dt. Truppen be- Bucer, Butzer, Martin, Reformator Straß-
setzt. Nach dem 2. Weltkrieg war B. einer burgs, 1491–1551; urspr. Dominikaner,
der Hauptstreitpunkte im flämisch-wallo- durch Luther für die Reformation gewon-
nischen Sprachenstreit. B. ist Hauptsitz nen, für die er in Oberdeutschland, bes.
der Institutionen der Europäischen Union in Straßburg, neben und zusammen mit
und seit 1967 der Führungsorgane der Jakob Sturm wirkte; neigte zu Zwingli,
NATO. Verfasser der Confessio Tetrapolitana
Brüsseler Pakt, 1948 zw. Frankreich, („Bekenntnis der vier Städte“ Straßburg,
Großbritannien, Belgien, Holland, Konstanz, Lindau, Memmingen, auf dem
Luxemburg geschlossener wirtsch. und Reichstag zu Augsburg 1530 vorgelegt);
militär. Beistandspakt gegen ein wieder- im Gegensatz zu Luther auch politisch
erstarkendes Deutschland (Erweiterung äußerst rührig, in enger Verbindung mit
des brit.-frz. Bündnisses von Dünkir- dem Landgraf Philipp von Hessen; Seele
chen 1947); nach Scheitern der Europ. des Projektes eines protestantischen Ge-
Verteidigungsgemeinschaft (EVG) 1954 genreiches gegen den Kaiser gerichtet; un-
durch Beitritt Deutschlands und Italiens ermüdlich um die Einigung von Luthe-
zur Westeurop. Union (WEU) erweitert ranern und Zwinglianern bemüht (Wit-
(1955); seitdem Bestandteil des Nordat- tenberger Konkordie 1536), weigerte sich
lantikpakts NATO. nach dem ­Schmalkald. Krieg, das Interim
Brussilow, Alexej, russ. Heerführer, 1853– anzuerkennen; als Prof von Erzbischof
1926; leitete 1916/17 großangelegte Of- Cranmer nach Cambridge berufen.
fensiven in Wolhynien und der Bukowina, Buch (ahdt. buoh = zusammengehef-
deren ungeheure Menschenopfer (über tete Buchenholztafeln [auf denen man
1 Mio.) die russ Armee demoralisierten. schrieb]); in babylonischer Zeit Tonta-
Bruttier, im Altertum Bewohner der süd- fel-B., in Altindien Palmblatt-B., bei den
westital. Landschaft Bruttium (heute: Ka- Griechen und Römern zuerst in Form von
labrien); Verbündete Pyrrhus’, dann der Papyrusrollen, die um Christi Geburt auch
Karthager, nach dem Sieg Roms versklavt. zu Büchern gebunden wurden; bei den
Brutus, Beiname des röm. Geschlechtes Römern in Form von zusammengebun-
der Junier. 1) B., Decimus Junius, Unter- denen Wachstafeln; seit etwa 250 v. Chr.
feldherr Cäsars im Gallierkrieg; um 84– auch Tierhautrollen (griech. kylindros, lat.
83 v. Chr. Statthalter Galliens, Teilnehmer volumen); seit dem 4. Jh. n. Chr. kam der
an der Verschwörung gegen Cäsar. 2) B., Blatt-Codex auf Papyrus oder Pergament
Lucius Junius, nach sagenhafter Über- auf; er wurde gegenüber der als heidnisch
lieferung Befreier Roms von der Königs- angesehenen Rolle zur Form des christ-
herrschaft um 510 v. Chr.; 509 erster röm. lichen Buches; Rollen wurden in Behäl-
Konsul, ließ seine Söhne als Verschwörer tern, Kästen oder Regalen aufbewahrt, die
hinrichten. 3) B., Marcus Junius, 85– Codices erhielten zunächst nur ein festeres
42 v. Chr.; Neffe und Schwiegersohn Ca- Anfangs- und Schlussblatt, später (leder-
tos, Anhänger der Senatspartei, einer der bezogene) Holzdeckel oder Kleinodien-
Cäsarmörder, bei ↑ Philippi (42) besiegt, einbände, wurden auch im Buchbeutel ge-
beging Selbstmord. tragen; Blattzählung erfolgte erst seit dem
Bucentaur, Staatsgaleere, auf der der 14. Jh., in dieser Zeit auch das Aufkom-
Doge von Venedig bei dem alljährlichen men der Papierbücher und der gedruck-
Fest der Vermählung mit dem Meer zu fah­ ten Blockbücher mit Holzschnitttafelsei-
ren pflegte; der letzte B. wurde 1798 von ten; in der Anfangszeit des ↑ Buchdrucks
den Franzosen verbrannt. wurde das B. der Handschrift nachge-

134
Buchdruck

staltet (Inkunabelzeit bis etwa 1500), mit den als Ganzes in Holztafeln (ursprüng-
handgemalten, zum Teil schon in Metall lich Metalltafeln) geschnitten und mit
oder Holz geschnittenen Initialen und Il- einem Reiben auf Papier übertragen; aus-
lustrationen; die Buchherstellung wurde geübt von den Briefmalern und Karten-
zum Handwerk, der Buchdruck ermögli- machern, Formschneidern und Briefdru-
chte Massendrucke; Verschlechterung der ckern; vor allem Abzüge von Heiligen-
Buchkultur im 17. Jh. (30-jähriger Krieg), bildern, Ablassbriefen, Kalendern und
Reform im 18. Jh. (Rokoko, Klassik); seit Grammatikfibeln, sogenannte Donaten;
dem 19. Jh. Maschinendruck. – Buchillus- um 1440/50 Erfindung des Buchdrucks
tration besonders in roman. und got. Zeit mit beweglichen Lettern durch ↑ Guten-
hoch entwickelt; im 15. Jh. Aufkommen berg (eigentlich Serie von Erfindungen:
des Holzschnitts und des Kupferstichs, im Letternguss mit eigens entwickelter Gieß-
19. Jh. des Stahlstichs und der fotomechan. vorrichtung, Setzkasten, Setzleiste, Hand-
Ätzung. Die Buchausmalung erfolgte in presse, Druckfarbe); erstes Meisterwerk
der Spätantike in städt. Werkstätten meist Gutenbergs 42-zeilige Bibel mit 1282 Sei-
durch Sklaven, im MA in Klosterschreib- ten, Auflage etwa 150; Druckereien (Of-
stuben und bischöflichen Malschulen; fizinen): Bamberg 1457, Straßburg 1459,
Buchmaler (Miniatoren) waren Nonnen Köln 1465, Augsburg 1468; in Italien seit
und Mönche; bedeutende Schreibstuben 1465, hier wurde Venedig seit 1469 der
u. a. in Hinsau, Tours, Echternach, Trier, bedeutendste europäischer Druckort; in
Lorsch, Corbie, St. Gallen, Cîteaux, Rei- Frankreich 1470, in den Niederlanden
chenau, Regensburg, Salzburg. 1472, Ungarn 1472, Spanien 1473, Polen
Buchanan, James, nordamerik. Staats- 1474, England 1482, Schweden 1484; um
mann, Demokrat, 1791–1868; als Staats- 1500 gab es 260 Druckorte, bis dahin wa-
sekretär um den Erwerb des bisher mexi- ren 40 000 Bücher und Schriften in einer
kan. Kaliforniens (1846) verdient; 1857– Auflage von etwa 6 Mio. erschienen; die
1861 Präsident, begünstigte die Sklaven- Buchdrucker (Goldschmiede, Buchmaler,
halter und damit den Abfall (Sezession) Schreiber, Formschneiden, Akademiker)
der Südstaaten. bildeten keine Zunft, sondern waren „freie
Bucharin, Nikolai, führender Bolschewist, Kunst“ (der Buchdruck war unsicheres
1888–1938; an der Oktoberrevolution Gewerbe, da Buchdrucker auch Verleger
1917 maßgeblich beteiligt; Chefredakteur waren): Der B. förderte Entwicklung ei-
der „Prawda“ seit 1917, Mitglied des Po- ner einheitlichen Schriftsprache; erste Ver-
litbüros 1924, Vorsitzender der Komin- leger im 16. Jh.; 1725 erste Stereotypie
tern 1926 und Parteitheoretiker von be- (Letternsatz wurde in Gips gegossen, die
stimmendem Einfluss auf die bolschewist. Gipsform wurde mit Blei ausgegossen, die
Doktrin und Taktik; bei der großen Säu- als Druckplatte diente); 1796 Flachdruck-
berung Stalins zum Tode verurteilt und verfahren (Lithografie). 1799 erste Papier-
hingerichtet (↑ Bolschewismus). maschinen; 1800 erste Eisendruckpressen
Buchdruck, Vorstufen sind Siegel- und (statt hölzerner); 1811 dampfbetriebene
Stempeldruck, seit den Kreuzzügen der Schnellpresse (Friedrich Koenig); 1822 ers­
Zeugdruck; Druck mit Tonlettern schon tes Setzmaschinenpatent; 1837 Galvano-
um 1 000 in China; mit Wortstempeln plastik (Herstellung von Negativformen);
aus Bronze Ende des 14. Jh. in Korea; 1848 erste Rotationspresse; 1884 Zeilen-
Vorläufer des Gutenberg. Letterndruckes setzmaschine Ottmar Mergenthalers; im
war der Tafeldruck in den Blockbüchern: 20. Jh. Foto- und Lochstreifensetzma-
Text oder Bild oder Text und Bild wur- schine und neue Druckverfahren.

135
Bucher

Bucher, Lothar, preuß. Politiker und Jour- ben“-Kolonie Neuofen, die mit dem un-
nalist, 1817–1892; ursprünglich radikaler gar. Buda verschmolz; 1351 Residenz;
Liberaler, als Mitglied der Nationalver- 1526 Pest von den Türken erobert, 1541
sammlung 1848 am Steuerverweigerungs- Ofen; Türkenherrschaft (Festung Ofen
beschluss beteiligt, deshalb später in den umkämpft); 1686 befreit; 1849 im un-
Anklagezustand versetzt, emigrierte 1850 gar. Aufstand von österr. Truppen besetzt;
nach London; dank einer Amnestie nach 1867 Hauptstadt der Länder der ungar.
Berlin zurückgekehrt, von Bismarck 1864 Krone, im gleichen Rang wie Wien; 1944
in das Auswärtige Ministerium berufen, von dt. Truppen besetzt, 1945 sechs Wo-
wurde dann zu einem seiner engsten Mit- chen lang umkämpft; 1956 antibolschewi-
arbeiter. stischer Aufstand.
Büchner, 1) B., Georg, dt. Dichter und Buddha (Sanskrit: der Erleuchtete), Bei-
Revolutionär, 1813–1837; Gründungs- name des indischen Königssohns Sid-
mitglied der hess. Verschwörerorganisa- dharta Gautama, um 560–480 v. Chr.,
tion „Gesellschaft für Menschenrechte“, Stifter der buddhist. Religion, in der er
deren bürgerlich-liberales Programm er die Philosophie des ↑ Brahmanismus mit
zu einem klassenkämpfer.-sozialist. umzu- persönlichem religiösen Erlebnis verband
wandeln suchte; Hauptverfasser der illega- (nach 7-jähriger Askese „Erleuchtung“,
len Flugschrift „Der hessische Landbote“, verkündet in der Predigt von Benares);
musste fliehen; aufrüttelnd wirken seine Grunderkenntnis: Alles Leben ist vergäng-
realist. Dramen: „Dantons Tod“, „Woy- lich, alles Leid hat seine Quelle in der Le-
zek“. 2) B., Ludwig, Philosoph, 1824– bensgier, die überwunden werden muss.
1899; Bruder von 1), verfasste „Kraft und Buddhismus, ind. Religion, nach ihrem
Stoff“, das Standardwerk des radikalen Gründer ↑ Buddha benannt, bes. durch
Materialismus im 19. Jh. König ↑ Aschoka Mitte des 3. Jh. v. Chr.
Buckingham, engl. Herzogsgeschlecht, aus gefördert und Staatskirche; in den An-
dem bedeutende Staatsmänner hervorgin- fängen als Hinayana („kleines Fahrzeug“,
gen. – 1) B., George Villiers, 1592–1628; das den einzelnen über den Strom der
einflussreicher Hofmann unter König Ja- Leiden führt) nur Lehre für wenige, seit
kob I., dann unter Karl I., vom Parlament dem 2. Jh. n. Chr. als Mahayana („großes
wegen spanienfeindlicher und franzosen- Fahrzeug“, auf dem alle Wesen zum er-
freundlicher Politik angeklagt, ermordet. lösenden Ufer gelangen) Religion auch
2) B., George Villiers, 1627–1688, Sohn für die Massen und deren Erlösungsbe-
von 1), Günstling Karls II., 1669–1675 dürfnis und Weltreligion; Lehre von der
Mitglied in dessen absolutist. Ministe- Seelenwanderung und dem glückseligen
rium. Aufgehen im „Nirwana“ durch stufen-
Budapest, Doppelstadt an der Donau, weise Läuterung (achtteiliger Pfad), Ver-
gebildet aus Buda (auf dem rechten Stei- senkung durch Askese und Abwendung
lufer) mit Festung und Schloss, und Pest vom ird. Dasein. – Buddha hinterließ kei-
(auf dem linken Flachufer); 1872 verei- nen Nachfolger; Richtschnur sollte seine
nigt; röm. Militärkolonie Aquincum (das Lehre sein, nach seinem Tode von den
spätere Altofen), warme Heilquellen von Jüngern gesammelt und mündlich weiter-
Buda von den Römern benutzt; im MA gegeben (Richtungen, Schulen, die Bud-
Entstehen einer kleineren Siedlung auf dhas Worte verschieden auslegten und sie
dem linken Ufer (Pest); 1241 von Mon- dann schriftlich fixierten); Buddha war in
golen zerstört; von Bela IV. neu angelegt; dieser Zeit noch nicht kult. verehrter Heil-
Altofen im 14. Jh. überflügelt von „Schwa- bringer, sondern Lehrer, es gab noch keine

136
Bugeaud

Buddha-Statuen; das plast. Bild wurde dem 13. Jh. griff er in der Form des tibe-
erst nach Christi Geburt in der hellenist. tan. Lamaismus auf die Mongolei über. In
Gandhara-Kunst geschaffen, zugleich mit Korea gewann im 14. Jh. der Konfuzianis-
Vergöttlichung Buddhas. Nach frühen mus und in Indonesien im 15. Jh. der Is-
Ansätzen zur Missionierung im Ausland lam die Überhand. Im 17. Jh. entstanden
(Prediger in Diadochen-Reichen, Eindrin- erste ­ buddhistische Gemeinden auf eu-
gen nach Ceylon, das bis heute Zentrum rop. Boden bei den Kalmüken. Heute ist
des Alt-Buddhismus blieb) in der Zeit von der Hinayana-B. in Ceylon, Burma, Siam,
Chr. Geburt bis etwa 500 Missionierung Laos und Kambodscha verbreitet; der Ma-
Indonesiens, W-Afghanistans, O-Irans, O- hayana-B. in Nepal, Vietnam, China, Ko-
Turkestans, von dort aus ↑ Chinas, in dem rea, Japan; der Lamaismus in Tibet, Sik-
der Buddhismus im 3./4. Jh. Volksreligion kim, Bhutan und der Mongolei.
wurde, unter Übernahme des Kaiserkults Budjonny, Semjon Michailowitsch, sow-
und der Ahnenopfer; von China aus Tong- jet. Marschall, 1883–1973; gewann im
king und Korea (dort um 372 n. Chr.) mis- Bürgerkrieg 1919–1921 als Reiterführer
sioniert. Seit der Mitte des 1. Jh. n. Chr. der Roten Armee legendären Ruhm. Im
begann in Indien der B. mit dem Hindu- 2. Weltkrieg Oberbefehlshaber im SW-
ismus und Brahmanismus zu verschmel- Abschnitt (1941) und im N-Kaukasus
zen und sich in weitere Sekten zu teilen, (1942). Obwohl auf beiden Kriegsschau-
das Rituelle überwucherte den Lehrinhalt; plätzen glücklos, blieb er als einer der äl-
im NW Indiens wurde er seit 711 vom Is- testen Mitstreiter Stalins hochgeehrt und
lam überwunden. Bis etwa 1000 hatte er wurde 1946 in den Obersten Sowjet ge-
fast alle seine Anhänger an den Islam, den wählt.
Hinduismus und andere Religionen ver- Buenos Aires, Hauptstadt von Argenti-
loren. Zur Hochblüte entwickelte er sich nien, am Rio de la Plata; erste Stadtgrün-
indes in Ceylon und in Hinterindien, wo dung (1535) durch spanische Konquista-
im 9. Jh. die große Kultstadt Angkor ent- doren, 1541 aufgegeben; zweite Stadt-
stand, und in Indonesien, wo ebenfalls gründung 1580; 1777 Hauptstadt des
im 9. Jh. Borobudur auf Java mit herr- Vizekönigreichs La Plata; 1810 Zentrum
lichen Stupas geistiger Mittelpunkt war. der Revolution gegen die Spanier, 1816
In China wurde der B. trotz von Zeit zu Hauptstadt der Konföderation am Rio de
Zeit heftiger Verfolgungen (mit Säkulari- la Plata, seit 1861 Hauptstadt der Repu-
sierung der Mönche und Tempelenteig- blik Argentinien.
nung) durch geschmeidige Anpassung an Buffon, Georges Louis Leclerc, Graf von,
die bestehenden Volkskulte und den ↑ Ta- frz. Naturforscher, 1707–1788; Intendant
oismus zu einem bestimmenden Kultur- des Königlichen Botanischen Gartens
faktor (neben dem vorherrschenden Kon- in Paris, Verfasser einer stilistisch glän-
fuzianismus). In Japan, wo er den ↑ Schin- zenden 36-bändigen Naturgeschichte, von
toismus mit seinem Natur- und Ahnen- den Zeitgenossen, auch in Deutschland,
kult verdrängte, wurde er stark japanisiert viel gelesen (Popularisierung der Wissen-
und gewann mehr nationalist. und krieger. schaft).
Gepräge. In Tibet, wo er 642 eingeführt Bugeaud, Thomas Robert, Herzog von
wurde, nahm der B. die Form des ↑ Lama- Isly, Marschall von Frankreich, 1784–
ismus an, mit z. T. bizarrer Zaubermagie. 1849; entscheidend beteiligt an der Un-
Um 1200 erlag der B. in Indien dem Hin- terwerfung Algeriens, wo er zum General-
duismus, um die gleiche Zeit belebte er gouverneur aufstieg, schlug 1844 die Ma-
sich in Japan im ↑ Zen-Buddhismus. Seit rokkaner am Isly.

137
Bugenhagen

Bugenhagen, Johann (aus Pommern), in Stalins Partei- und Staatsapparat; seit


dt. Reformator, 1485–1558; urspr. Prä- 1948 Mitglied des Politbüros, 1947–49
monstratenser, neben Luther und Me- und 1952–55 Verteidigungsminister, seit
lanchthon der einflussreichste Führer der 1955 Ministerpräsident; 1958 als Regie-
Reformation, bes. in Norddeutschland, rungschef amtsenthoben und aus dem Po-
seit 1521 in Wittenberg, ordnete das litbüro, 1961 auch aus dem ZK entfernt.
protestant. Kirchen- und Schulwesen in Bulgarien, Land der ursprünglich den
Braunschweig, Hamburg, Pommern, Dä- Turkvölkern verwandten Bulgaren, die aus
nemark, Schleswig-Holstein. dem mittleren Wolgagebiet (Großbulgar.
Bukanier, ↑ Flibustier. Reich) seit der Mitte des 6. Jh. in ihre heu-
Bukarest, in den Chroniken seit dem tigen Wohngebiete (Teil der ehemaligen
14. Jh. genannt; seit dem 17. Jh. Residenz röm. Provinzen Mösien und Thrakien)
der Fürsten der Walachei, 1862 Haupt- vorgedrungen waren, sich mit den Slawen
stadt des neugebildeten Fürstentums Ru- vermischten und 681 ein eigenes Reich
mänien; im 1. und 2. Weltkrieg von dt. gründeten; im 9. Jh. in die byzantin. Kir-
Truppen besetzt; durch alliierte und dt. che einbezogen; im 10. Jh. unter Symeon
Luftangriffe teilweise zerstört. d. Gr. Vormacht auf dem Balkan, Angriffe
Bukarester Friedensschlüsse, 1812 zw. gegen Byzanz; um 1000 von Byzanz un-
Türkei und Russland, das Bessarabien terworfen, 1185 wieder selbständig; seit
und Teile der Moldau erhielt. – 1886 zw. 1330 Auflösung in Teilstaaten, seit 1396
Serbien und Bulgarien. – 1918 zw. Rumä- türk. Provinz; 1878 durch den Berliner
nien und den Mittelmächten: Dobrudscha Kongress Gründung des der Türkei tri-
fiel an Bulgarien, Deutschland erhielt Öl- butpflichtigen, aber verwaltungsmäßig
ausbeutungsrechte (im Nov. 1918 aufge- selbständigen Fürstentums; B. 1908 sou-
hoben). veränes Königreich unter dem Hause
Bukowina (Buchenland), Landschaft im Sachsen-Coburg (↑ Ferdinand I.); große
NO der Kurpaten, hauptsächlich von Ru- militärische und territoriale Verluste im
thenen und Rumänen besiedelt, Landes- 2. ↑ Balkankrieg; 1915 auf Seiten der Mit-
hauptstadt Czernowitz; 1513 türkisch, telmächte, um Mazedonien und südlich
1769 von den Russen besetzt; 1775 ös- Dobrudscha zurückzugewinnen; 1918 mi-
terreichisch, 1786 mit Galizien vereinigt, litärischer Zusammenbruch; im Vertrag
1850 eigenes Kronland, 1918 zu Rumä- von Neuilly 1919 erneut Gebietsabtre-
nien; 1940 ultimativ erzwungene Abtre- tungen an Rumänien und Griechenland,
tung der nördl. Bukowina an Russland, zwischen den beiden Weltkriegen Bauern-
Umsiedlung von dt. Bewohnern, meist und Bürgersystem und seit 1934 autori-
Bauern. täres Regime des Königs Boris; 1941 auf
Bule (griech., Rat), in der athen. Verfas- Seiten Deutschlands, Gewinn der südl.
sung des Solon (594 v. Chr.) Rat der 400, Dobrudscha (schon 1940; 1947 belassen),
aus den drei ersten Steuerklassen gewählt, Thrakiens und Mazedoniens; 1944 russ.
Sitz im Buleutherium, u. a. Aufsicht über Einmarsch, 1946 Abschaffung der Mo-
die Staatsverwaltung, Staatsgerichtshof; narchie, demokrat. Volksrepublik (↑ Di-
in der Verfassung des Kleisthenes von mitrow); 1947 in Paris Friedensvertrag
510 v. Chr. Rat der 500, aus dem die 50 (Staatsgrenzen von 1941); Freundschafts-
↑ Prytanen hervorgingen. und Beistandspakt mit Jugo­slawien;
Bulganin, Nikolai Alexandrowitsch, sow­ wirtsch.-sozialist. Sowjetisierung; 1948
jet. Politiker, 1895–1975, bekleidete seit Bündnispakt mit Sowjetrussland und
den 1930er Jahren leitende Positionen Kündigung des Freundschaftsabkommens

138
Bundespräsiden

mit ­ Jugoslawien, 1955 Beitritt zum War- Bundesakte, Verfassungsvertrag des Dt.
schauer Militärpakt, Mitglied der UN. Re- Bundes, von 39 Staaten 1815 als Teil der
gierungschef seit 1962 T. Schiwkow (1989 Schlussakte des ↑ Wiener Kongresses un-
entmachtet). 1979 Auseinandersetzungen terzeichnet.
mit Jugoslawien um die mazedon. Frage, Bundesgenossenkriege 1) 357–355 v. Chr.
seit 1984/85 durch sog. „Bulgarisierungs- Krieg des Tyrannen Maussolos von Karien
kampagnen“ Druck auf die türk. Minder- und der Inseln Chios, Rhodos und Kos,
heit. Nach Zusammenbruch des Kommu- sowie Byzantions gegen Athen. 2) 220–
nismus 1990 erste allg. und freie Wahlen, 217 v. Chr. Krieg Philipps V. von Make-
1991 neue Verfassung (parlamentarische donien und des Achäischen Bundes gegen
Demokratie), in den folg. Jahren wech- den Ätolischen Bund. 3) 91–89 v. Chr.
selnde Regierungen, 2001 Wahlsieg der und 82 v. Chr. der italienischen Verbünde-
„Nationalen Bewegung“ unter Ex-Mo- ten Roms gegen Rom um die Erringung
narch Simeon II. (Sakskoburggotski), der des röm. Bürgerrechts (↑ Gracchen); 89
seither Ministerpräsident von B. ist Verleihung des Bürgerrechts an alle Bun-
Bulle (mittellat. bulla = Kapsel), urspr. desgenossen.
Metallabguss von Siegelstempeln, dann Bundeskanzler, 1) in der Schweiz auf
die Kapsel mit dem Siegel, schließlich die 4 Jahre gewählter Leiter der Kanzlei des
gesiegelte Urkunde selbst, vornehmlich Bundesrats und der Bundesversammlung
die feierlichen Erlasse der byzantin. und („Kanzler der Eidgenossenschaft“). 2) in
abendländ. Kaiser sowie der Päpste (mit Österreich 1920–1938 und seit 1945 Chef
Benennung nach den ersten Wörtern des der Bundesregierung. 3) im Norddt. Bund
Textes); auf Pergament geschrieben, die 1867 bis 1871 Leiter des Bundespräsidi-
angehängten Siegel oft in kostbaren Sie- ums und Vorsitzender des Bundesrats.
gelbehältern (↑ Goldene B.). 4) in der Bundesrepublik Deutschland als
Bullinger, Heinrich, schweizer. Reforma- primus inter pares Leiter der Bundesregie-
tor, 1504–1575; Nachfolger Zwinglis in rung. Wahl auf Vorschlag des Bundesprä-
Zürich; Verfasser des Züricher Überein- sidenten durch den Bundestag; bestimmt
kommens 1549 (Einigung Calvins mit die Richtlinien der Politik, hat im Vertei-
den Zwinglianern); auch Verfasser der digungsfall Befehls- und Kommandoge-
2. Helvet. Konfession 1566 (Abgrenzung walt über die Streitkräfte.
gegen das Luthertum). Bundespräsident, allg. das Staatsober-
Bülow, 1) B., Bernhard Fürst von, dt. haupt eines Bundesstaats; in der Bundes-
Staatsmann, 1849–1929; 1897–1900 republik Deutschland von der ↑ Bundes-
Staatssekretär des Auswärtigen, 1900– versammlung auf 5 Jahre gewählt (einma-
1909 Reichskanzler, gewandter Diplomat, lige anschließende Wiederwahl zulässig).
aber ohne festen außenpolit. Kurs (Schei- Befugnisse u. a.: Vorschlagsrecht für die
tern einer Verständigung mit England, Wahl des ↑ Bundeskanzlers, Ernennung
↑ Haldane); innenpolit. den zunehmenden und Entlassung (auf Ersuchen des Bun-
Spannungen nicht gewachsen; scheiterte destags) des Bundeskanzlers, Ernennung
u. a. an der Reichsfinanzreform; bedeut- und Entlassung der Minister auf Vorschlag
sam seine „Denkwürdigkeiten“ (1930– des Bundeskanzlers, Einberufung des
31). 2) B., Friedrich Wilhelm Graf B. von Bundestags und dessen Auflösung, Ernen-
Dennewitz, preuß. General, 1755–1816; nung und Entlassung der Bundesrichter,
Sieger über die Franzosen 1813 bei Groß- Bundesbeamten, Offiziere und Unteroffi-
beeren und Dennewitz, 1814 bei Laos und ziere, Gnadenrecht, Ehrungen. Der B. ver-
1815 bei Belle Alliance. tritt den Bund völkerrechtlich, er schließt

139
Bundesrat

Verträge und beglaubigt und empfängt desrat, dessen Mitglieder (im Gegensatz
die Gesandten. B.en seit 1949: Th. Heuss zum Reichstag) von den Regierungen er-
(1949–1959), G. Lübke (1959–1969), nannt wurden; die Aufteilung der Sitze
G. Heinemann (1969–1974), W. Scheel nach Einwohnerzahlen gab Preußen ein
(1974–1979), K. Carstens (1979–1984), Übergewicht. – Seit 1949 Parlament der
R. von Weizsäcker (1984–1989–1994), Bundesrepublik Deutschland (entspre-
R. Herzog (1994–1999), J. Rau (1999– chend dem früheren Reichstag), auf 4 Jahre
2004), H. Köhler (seit 2004). – In Ös- in allgemeiner, unmittelbarer, freier, glei-
terreich ist die verfassungsrechtliche Stel- cher und geheimer Wahl gewählt.
lung des B.en vergleichbar mit der des B. Bundesverfassungsgericht, Sitz in Karls-
der Bundesrepublik Deutschland. – In ruhe, seit 1951 bestehendes unabhängiges
der Schweiz führt der B. den Vorsitz im höchstes Verfassungsgericht der Bundesre-
↑ Bundesrat, dem er als Chef eines De- publik Deutschland, übt die Kontrolle der
partements angehört; jährlicher Wechsel Gesetzgebung in Übereinstimmung mit
nach dem Dienstalter. der Verfassung (Grundgesetz, GG) aus;
Bundesrat, im Norddeutschen Bund besteht aus 2 Senaten mit je 8 Richtern,
und im Dt. Reich von 1871 Vertretung die je zur Hälfte vom Bundesrat und Bun-
der Bundesstaaten (nicht im Sinne eines destag gewählt werden.
Oberhauses); im Kaiserreich die unter Bundesversammlung, zur Wahl des
Ausschluss der Öffentlichkeit tagende Ver- Bundespräsidenten der Bundesrepublik
tretung der Staaten, das entscheidende Deutschland zusammentretendes Kolle-
Reichsorgan (über dem Reichstag ste- gium, dem die Mitglieder des Bundestages
hend); zu seiner Zuständigkeit gehörte und ebenso viele (gewählte) Vertreter der
u. a. die Genehmigung der durch den Landtage angehören.
Reichstag beschlossenen Reichsgesetze Bundeswehr, Streitkräfte der Bundesrepu-
und die Entscheidung bei Streitigkeiten blik Deutschland, in die NATO integriert,
unter den Bundesstaaten (nach 1918 in entstanden durch Änderungen des Grund-
der Weimarer Verfassung ersetzt durch gesetzes in den Jahren 1954 und 1956,
den ↑ Reichsrat). – Seit 1949 das Länder- welche die Wehrgesetzgebung konstituier-
organ der Bundesrepublik aus Mitgliedern ten, allg. Wehrpflicht seit 21. Juli 1956, seit
der Landesregierungen (mit Vertretungs- 2001 in allen Bereichen auch für Frauen
recht), die an die Weisungen ihrer Regie- offen. An der Spitze der B. steht der Bun-
rungen gebunden sind; in den Ausschüs- desminister der Verteidigung, im Verteidi-
sen können auch andere Ländervertreter gungsfall der Bundeskanzler. Ursprünglich
tätig sein; jährlich wechselnde Präsident- Verteidigungsstreitkräfte, seit 1993 auch
schaft. – In Österreich von den Landtagen in „Out of Area“-Einsätzen im Rahmen
der Bundesländer gewählte Körperschaft. der UN eingesetzt, 1999 im Rahmen des
In der Schweiz oberste leitende und voll- Eingreifens der NATO im Kosovo-Kon-
ziehende Bundesbehörde. flikt erster Kampfeinsatz der Bundeswehr.
Bundesrepublik Deutschland, ↑ Deutsch- Weitere Einsatzgeb. der B. seit Jan. 2002
land, Grundgesetz. Afghanistan und im Rahmen des Interna-
Bundestag, im 19. Jh. ständige Versamm- tionalen Kampfes gegen den Terrorismus
lung der Gesandten der 38 souveränen das Horn von Afrika.
Gliedstaaten des Dt. Bundes in Frankfurt Bundschuh, im MA der derbe, mit Rie-
am Main, 1815–1848 und 1850–1866; men zusammengeschnürter Bauernschuh,
nach der Reichsgründung entsandten die Feldzeichen der aufständ. Bauern in Süd-
Bundesstaaten ihre Vertreter in den ↑ Bun- westdeutschland 1492/1525.

140
Burg

Bunker Hill bei Boston, 1775 im amerik. und hugenott. Kolonisten in Südafrika
↑ Unabhängigkeitskrieg Gefecht zw. Eng- (1615 Gründung der Kapkolonie, der ers-
ländern und den aufständ. nordamerik. ten afrikan. Siedlerkolonie); strenggläubig
Kolonisten. und konservativ, ein Teil von ihnen wan-
Bunsen, Christian Karl Josias, Freiherr derte nach der Eroberung der Kapkolo-
von, preußischer Diplomat und Schrift- nie durch die Engländer nordwärts und
steller, 1791–1860; Freund Friedrich Wil- gründete 1842 den Oranje-Freistaat, 1853
helms IV., trotz seiner liberalen Prinzipien die Südafrikan. Republik (Transvaal),
als Nachfolger Niebuhrs preuß. Geschäfts- die nach ihrer – durch innere Schwierig-
träger beim Vatikan, im Zusammenhang keiten erleichterten – Annexion (1877)
mit dem ↑ Kölner Kirchenstreit abberu- den Engländern 1881 am Majubaberg
fen; später in London während der schles- eine schwere Niederlage beibrachte und
wig-holstein. Krise; wegen seines Eintre- sich dadurch bedingte Unabhängigkeit
tens für Preußens Teilnahme am Krim- erkämpfte; systemat. Einkreisung der B.-
krieg gegen Russland abberufen. Republik durch die Engländer (Basuto,
Bunzelwitz, niederschles. Dorf bei Betschuanaland, Rhodesien), beschleu-
Schweidnitz, 1761 befestigtes „Hungerla- nigt durch Gold- und Diamantenfunde;
ger“ der unterlegenen preuß. Armee unter 1895 Abwehr des Überfalls der brit. Jame-
Friedrich d. Gr., das die vereinigten Ös- son-Freischärler; Gesetzgebung gegen brit.
terreicher und Russen nicht anzugreifen Überfremdung unter Präsident Krüger
wagten. Anlass zum Einschreiten Englands: 1899–
Buonarotti, Filippo, ital.-frz. Revolutio- 1902 Burenkrieg (international bedeut-
när, 1761–1837; wegen oppositioneller sam, weil er Englands militär. Schwäche
Umtriebe aus der Toskana verbannt, ging zu Lande enthüllte): infolge erdrückender
nach Korsika, 1793 nach Paris, Vertrauter brit. Übermacht, Verwüstung der Farmen
Robespierres, dann als Teilnehmer an der und Internierung von Frauen und Kindern
Verschwörung Babeufs verbannt. in Konzentrationslagern schließlich Kapi-
Burckhardt, l) B., Jacob, schweizer. tulation der B.; ihre Republiken wurden
Kunst- und Kulturhistoriker, 1818–1897; brit. Kolonien; 1906/07 Selbstverwaltung,
Schüler Rankes, gleichbedeutend in der 1910 Zusammenschluss zur ↑ Südafrikan.
Originalität der Deutung und Gediegen- Union, Aussöhnung mit England, doch
heit der Darstellung; humanitärer Geist, Opposition des nationalist. Flügels.
sah entgegen dem Fortschrittsoptimismus Burg, befestigter Ort, an dem man sich
seines Jh. das Kommen neuer Barbarei vo- „bergen“ kann; als befestigte Anlage an
raus; vertrat einen ästhet. kulturellen In- schwer zugänglicher Stelle angelegt (auf
dividualismus gegen Materialismus und steilen Bergen, zw. Wasserläufen; Wasser-
Staatsallmacht, bes. des modernen Wohl- burgen, mit Wall und Graben); bis zur
fahrtsstaates; mit seinem Pessimismus Karolingerzeit Volksburgen als Zuflucht
beeinflusste er nachhaltig bes. Nietzsche für die Gesamtbevölkerung bei Feindein-
und Spengler. 2) B., Carl Jacob, schwei- fällen (Fluchtburg/Fliehburg);später Her-
zer. Staatsmann und Schriftsteller, 1891– renburgen als Wehr- und Wohnanlage
1974; 1937–1939 Völkerbundskommissar der Grafen und des grundbesitzenden
in Danzig (Politik des Ausgleichs); 1944– Adels, aus dem sich der Ritterstand ent-
48 Präsident des IRK; Verfechter der eu- wickelte; seit dessen Blüte im 11.–13. Jh.
rop. Einheit. Bau zahlreicher Ritterburgen (Hauptteile:
Buren (holländ. = Bauern), Nachkom- Palas = Herrenhaus mit Rittersaal, Keme-
men der holländ., später auch niederdt. nate = mit Kamin versehene Wohn- und

141
Burgenland

Frauengemächer, Bergfried = Hauptturm maßgebend. Als ausschlaggebend erwies


als letzte Zuflucht, Kapelle, Wirtschafts- sich die überlegene wirtsch. Leistungsfä-
gebäude, unterirdisches B.-Verlies, Zieh- higkeit des B.tums insges. gegenüber den
brunnen, Zugbrücke, Wehranlagen mit privilegierten Ständen; seit dem 18. Jh.
Zinnen, Scharten, Pechnasen usw.); mit kämpfte das B.tum um die polit. Gleich-
dem politisch-sozialen Niedergang des berechtigung, als „Dritter Stand“ errang es
Ritterstandes infolge Erstarkung des Ter- in der Frz. Revolution einen vollständigen
ritorialfürstentums sanken viele B. zu Sieg, in Deutschland kam es 1848 nur zu
Raubnestern (Raubritterburgen) herab Teilerfolgen, das B. blieb weiterhin Träger
und wurden zerstört (durch weittragende des polit. Liberalismus; staatspolitisch er-
wirkungsvolle Pulverwaffen); an die Stelle weiterte sich der Begriff des B. zum Staats-
der (oft ungewöhnlichen) Burg trat seit bürger (einschließlich der ländlichen Be-
dem 15./16. Jh. das großzügiger angelegte völkerung) mit verfassungsmäßig garan-
fürstliche Schloss, militär. die den neuen tierten gleichen Rechten, ihm entsprach in
Verhältnissen (Belagerungsgeschütze) an- Frankreich der citoyen; soziologisch dage-
gepasste Festung. gen wurde im 19. Jh. das in einem spezif.
Burgenland, seit 1918 Bezeichnung für Sinne jetzt als ↑ „Bourgeoisie“ bezeichnete
die früheren westungar. Komitate Eisen- Bürgertum innerhalb der Klassengesell-
burg, Ödenburg und Wieselburg, bewohnt schaft, die es an Stelle der alten Stände-
von den deutschsprachigen Heanzen, seit ordnung geschaffen hatte, aus seiner An-
1921 österr. Bundesland außer Ödenburg, griffsstellung vom „Proletariat“ allmählich
das nach Scheinabstimmung 1922 wieder in die Verteidigung gedrängt.
ungar. wurde; das B., früher „Armenhaus Burgfriede, im MA der durch Verbot oder
Europas“, heute wirtsch. gut entwickelt Einschränkung der Fehde verstärkte per-
(Landwirtschaft, Industrie). sönliche Rechtsschutz innerhalb einer um-
Bürger, urspr. Burgverteidger, dann der mauerten Anlage (Burg oder Stadt); heute
Bewohner einer befestigten Anlage (Burg), die befristete Einstellung innenpolit.
seit dem 10./11. Jh. entwickelte sich ein Kämpfe an Festtagen (z. B. Weihnachts-
neuer Stand zwischen Adel und Geistlich- B.) oder bei nationalem Notstand (z. B.
keit mit dem Ziel der kommunalen Selbst- der Parteien in Deutschland bei Ausbruch
verwaltung: das B.tum; die Entwicklung des 1. Weltkriegs).
dieses seit dem späten MA wirtsch. wie kul- Burggraf, im MA der militärisch und
turell eindeutig führenden Standes war eng richterlich bevollmächtigte Vertreter des
mit der des Städtewesens verknüpft und Stadtherrn, in Königs- oder Bischofsstäd-
ist ein besonderes Zeichen der abendländ. ten; später auch als Titel ohne Amt verlie-
Sozialentwicklung gegenüber der orien- hen.
tal.; Inhaber des vollen städt. Bürgerrechts Burgiba (Bourguiba), Habib, tunesischer
und Träger der städt. Selbstverwaltung Politiker, 1903–2000; studierte 1924–27
waren zunächst die Patriziergeschlechter, Jura in Paris, gründete 1934 die Neo-De-
im späten MA erkämpften sich auch die stour-Partei und hatte als ihr Führer we-
zünftigen Handwerker und Kleinkaufleute sentlichen Anteil am Kampf um die Un-
die Ratsfähigkeit; nichtzünftige Handwer- abhängigkeit Tunesiens. 1934–36, 1938–
ker, Gesellen und Dienstleute, Juden und 1942 und 1952–54 saß B. in frz. Gefäng-
Geistlichkeit besaßen kein Bürgerrecht; nissen. 1955 kehrte er nach Tunesien zu-
für die örtlich verschiedene Abstufung rück und wurde Ministerpräsident, nach
der B.rechte war in der Regel Grundbesitz Abschaffung der Monarchie 1957 Staats-
oder die Führung eines eigenen Haushalts präsident. B. lehnte panarabische Hege-

142
Burkina Faso

moniebestrebungen ab, seine Politik war nichtet wurde (Nibelungensage). Rest des
westlich orientiert; 1987 gestürzt. Volkes im Rhone-Saône-Gebiet angesie-
Burgoyne, John, brit. General, 1722– delt (↑ Burgund).
1792; musste als Oberbefehlshaber im Burian, Stephan Freiherr von, österr.-un-
nordamerik. Unabhängigkeitskrieg 1777 gar. Staatsmann, 1851–1922; 1915/16
bei Saratoga kapitulieren. und 1918 Minister des Auswärtigen, in-
Burgund, frz. Bourgogne, histor. Land- folge Meinungsverschiedenheiten mit der
schaft im Rhone-Saône-Gebiet; im MA dt. Regierung zum Abschluss eines Sepa-
ein meist selbständiges Reich von oft ratfriedens für Österreich-Ungarn ent-
wechselndem Umfang; benannt nach schlossen.
den ↑ Burgundern, deren letztes Reich Burke, Edmund, brit. Staatsmann und
an der Rhone 534 von den Franken zer- polit. Denker, 1729–1797; Fürsprecher
stört wurde; aus dem fränk. Teilreich B. der Freiheitsbewegung der Nordamerika-
bildeten sich beim Zerfall des Karolinger- ner, Iren, Korsen, Polen und Inder, doch
reiches zwei selbständige Königreiche un- nach 1789 Verfechter einer konservativen
ter dt. Lehenshoheit: 879-Nieder-B. (nach Staatsauffassung gegen die Frz. Revolution
seiner Hauptstadt Arles Arelat genannt) als ein „zerstörendes Experiment radikaler
mit der Provence; unter Boso 887 Hoch.- Doktrinäre ohne polit. Instinkt“ und Sinn
B. (Hauptstadt Besançon) mit der Frei- für polit. Realitäten, betrachtete demge-
grafschaft B. (Franche-Comté) und der genüber Staat und Gesellschaft als etwas
Westschweiz unter dem Welfen Rudolf I.; organ. Gewachsenes, verwarf die Mas-
933/34 beide Reiche vereint zum König- sendemokratie und trat für ein parlamen-
reich Arelat; 1033–1034 durch Erbschaft tar. System mit führender Elite ein; be-
an die dt. Könige, allmählich Auflösung einflusste den Freiherrn vom Stein, Gentz
in mehrere Territorien, die größtenteils an und Adam Müller.
Frankreich fielen (Provence, Dauphiné, Burkina Faso, (Land der ­Unbestechlichen),
Savoyen, Franche-Comté); daneben be- Republik in Westafrika (bis 1984 Ober-
stand seit dem 10. Jh. das Herzogtum B. volta); 1896 wurden die Reiche der Mossi
mit der Hauptstadt Dijon, 1361 von der von Ouagadougou, Oatenga und Tenko-
frz. Krone eingezogen und 1363 an eine dogo von den Franzosen erobert. 1919
königliche Nebenlinie (Valois) verliehen, Konstitution als Kolonie und Eingliede-
von Karl dem Kühnen (1467–1477) zu rung in Frz.-Westafrika, 1932 aufgelöst
einem mächtigen Reich zwischen Alpen und unter die Kolonien Elfenbeinküs­te,
und Nordsee ausgebaut, nach seinem Tod Sudan und Niger aufgeteilt. Im Rahmen
(1477) zw. Frankreich und Habsburg auf- der Frz. Union 1947 als Territorium wie-
geteilt bzw. umstritten: Niederlande und derhergestellt, 1960 in die Unabhängig-
Freigrafschaft B. zu Habsburg (1512), Er- keit entlassen. 1965/66 Militärputsch un-
richtung eines Burgund. Kreises; 1556 an ter General S. Lamizana (Staatsoberhaupt
die span. Habsburger; Herzogtum B. zu bis 1980). Die Verfassung von 1977 wurde
Frankreich; 1678 (Nimwegen) fiel auch 1980 vom Militär außer Kraft gesetzt. Im
die Freigrafschaft an Frankreich. Nov. 1982 wurde das „Militärkomitee
Burgunder, ostgerman. Volk, urspr. auf für die Wiederaufrichtung des Nat. Fort-
Bornholm, dann zw. unterer Oder und schritts“ durch einen wiederholten Putsch
Weichsel, im 4. Jh. n. Chr. am Main, 406– gestürzt, J. B. Quedraogo wurde im Au-
413 Bildung eines Reiches um Worms, gust 1983 ebenfalls durch Putsch abgelöst,
das von dem röm. Feldherrn Aëtius und Th. Sankara setzte als neuer Machthaber
den ihm verbündeten Hunnen 436 ver- den Namenswechsel durch und verstaat-

143
Burleigh

lichte Grund und Boden, im Okt. 1987 angewendet; in jüngster Zeit sind büro-
fiel er einem blutigen Putsch unter Ju- kratische Verwaltungen häufig der Kritik
stizminister B. Campaore zum Opfer. Im ausgesetzt wegen ihrer Tendenz zur Ver-
Laufe der nächsten Jahre wurden wieder selbständigung und Eigengesetzlichkeit.
Parteien zugelassen, 1991 wurde Compa- Burschenschaften, dt. Student. Bewe-
oré bei einer Wahlbeteiligung von unter gung, gegr. 1815 in Jena: veranstaltete
30 % (die Opposition hatte zum Boykott 1817 Wartburgfest (↑ Wartburg), trat für
der Wahl aufgerufen) zum Staatspräsi- die dt. Einheit und polit. Freiheiten ein;
denten gewählt. Im Mai 1992 erstmals seit 1819 nach der Ermordung ­ Kotzebues
14 Jahren wieder Parlamentswahlen, 1996 durch den Studenten Sand verboten
Zusammenschluss der Regierungspartei (↑ Karlsbader Beschlüsse) und verfolgt bis
ODP-MT (Organisation pour la Démo- 1848; danach farbentragende Student. Ver-
cratie Populaire-Mouvement du Travail) bindungen nach dem Muster der Corps;
mit zehn bisherigen Oppositionsparteien als Gesamtverband 1883–1934 der Allg.
zum CDP (Congrès pour la Démocratie et Dt. Burschenbund, daneben seit 1902 die
le Progrès) zusammen, 1998 Wiederwahl Burschenschaft, 1935/36 aufgelöst; nach
Compaorés. dem 2. Weltkrieg neu entstanden.
Burleigh (Burghley), William Cecil, Baron, Burundi, Republik in O-Afrika; wahr-
engl. Staatsmann, 1520–1598; leitender scheinlich im 17. Jh. von den Tussi gegr.,
Minister der Königin Elisabeth seit 1558, seit 1890 Teil von Dt.-Ostafrika, zus. mit
entschiedener Gegner Maria Stuarts und Ruanda 1919 Völkerbundsmandat und
Spaniens; setzte den Protestantismus in 1946 als UN-Treuhandgebiet unter belg.
England durch. Verwaltung, 1962 unabhängiges König-
Burma, Name (bis 1989) von ↑ Myanmar. reich, 1966 Republik. Im Innern Gegen-
Burmastraße, im Anschluss an die Bahn- sätze zwischen der unterdrückten Bevölke-
strecke Rangun-Lashio über das Grenz- rungsmehrheit der Hutu (85 %) und den
gebirge nach Südwestchina, 1936–1939 Tutsi, die fast alle Machtpositionen besetz-
erbaut, 1100 km lange strateg. Gebirgs- ten; blutige Auseinandersetzungen (Bür-
straße, um China im Kampf gegen Japan gerkrieg) 1972, 1988 und 1993 führten
mit Kriegsmaterial zu versorgen. zu Hunderttausenden Toten und Flücht-
Bürokratie (frz.-griech.), die hierarch. ge- lingen, 2000 auf Vermittlung N. Mandelas
gliederten Kräfte des Beamtentums sowie Unterzeichnung eines Friedensvertrages
das polit. System eines Staates, in dem das zwischen den verfeindeten Gruppie-
zu einem Berufsstand zusammengefasste rungen, trotzdem weiterhin Gefechte zwi-
Beamtentum polit. Macht ausübt; B. ist schen der Armee und den Hutu-Rebellen.
gekennzeichnet durch abgegrenzte Auf- Busch, 1) B., Hermann von dem (Bu-
gabenverteilungen, Befehlsgewalten und schius Pasiphilus), dt. Humanist, 1468–
Kompetenzen, durch beruflichen Aufstieg 1534; Parteigänger Reuchlins im Kampf
in vorgegebenen Laufbahnen, festgeglie- gegen die Kölner Dominikaner, Freund
derte Bezahlung und genaue Aktenfüh- Huttens. 2) B., Moritz, dt. Journalist,
rung über sämtliche Vorgänge; V. Seigneur 1821–1899; seit 1870 Mitarbeiter Bis-
de Gournay prägte den Begriff B. be- marcks, vielgelesener Autor zahlreicher
reits 1745; urspr. nur auf die vom Berufs­ Bücher über den Reichskanzler.
beamtentum durchgeführte staatl. Verwal- Busento, Nebenfluss des Crati in Kala-
tung bezogen, wurde der Begriff B. bes. brien; nach der Sage wurde in seinem Bett
seit Anfang des 20. Jh. auch auf private bei Cosenza 410 ↑ Alarich begraben (neue
Wirtschafts- und Organisations­formen Ausgrabungen bisher ergebnislos).

144
Byzantinisches Reich

Bush, George Herbert Walker, amerik. der Carbonari und am Freiheitskampf der
Politiker, geb. 1924; seit 1966 als Abge- Griechen teil, starb während des Kampfes
ordneter der Republikaner im Repräsen- in ↑ Missolunghi.
tantenhaus, 1970–72 UNO-Botschafter, Byzantinisches Reich (Byzanz, Ostrom),
danach zwei Jahre Vorsitzender seiner Par- abendländ. Bez. für das Oström. Reich;
tei, 1976–77 Leiter des Geheimdienstes hervorgegangen aus der Reichsaufgliede-
CIA, 1981 Vizepräsident unter ↑ Reagan, rung ↑ Diokletians, die Konstantin durch
1989–1993 41. Präsident der Vereinigten die äußerst bedeutungsvolle, aus strateg.
Staaten, trat in seiner Amtszeit innenpo- Gründen (gegen die Perser) erfolgende
litisch für die Sanierung der Staatshaus- Verlegung der Reichshauptstadt von Rom
haltes und Bekämpfung der Drogenkrimi- nach Byzanz (= Konstantinopel) 330 be-
nalität ein; außenpolitisch Verständigung kräftigte; 395 endgültige Teilung des Im-
mit ↑ Gorbatschow über Abrüstungsfra- periums unter ↑ Theodosius, dem letzten
gen. Sein Nachfolger Bill ↑ Clinton wurde Alleinherrscher des Gesamtreiches, der das
2001 wiederum von B.s Sohn George Reich unter seine Söhne Arkadius (Os-
Walker Bush abgelöst. ten) und Honorius (Westen) aufteilte. Das
Bute, John Stuart, Earl of, brit. Staats- B. R. umfasste um 400 den Balkan südl.
mann, 1713–1792; schloss 1763 nach der unteren Donau (etwa ab Belgrad),
dem Rücktritt des älteren Pitt mit Frank- aber ohne Dalmatien, Kleinasien bis ans
reich und Spanien den Frieden von Paris. Hochland von Armenien, Syrien, Paläs­
Butler, Walter, kaiserlicher Oberst, irischer tina, Sinaihalbinsel, Ägypten und Libyen
Abstammung; organisierte 1634 in Eger und alle O-Mittelmeerinseln: ungefährer
die Ermordung Wallensteins. Grenzverlauf zw. Ost und West: Belgrad
Bylinen, epische Heldenlieder der russ. – Südostspitze Italiens – Große Syrte.
Volksdichtung; Blütezeiten als höf. Kunst Anders als Westrom verstand es Ostrom,
im 11./12. Jh. in Kiew, im 13./14. Jh. in sich der Germaneneinfälle zu erwehren
Nowgorod und u. a. im 16. Jh. in Mos- und von den Erschütterungen der Völker-
kau, danach als Volkskunst weiter tradiert. wanderung zum großen Teil verschont zu
Die B. berichten, z. T. märchenhaft aus- bleiben: Abwehr der Westgoten (teilweise
geschmückt, über histor. Ereignisse und Ansiedlung auf byzantin. Reichsgebiet),
Personen, z. B. über Wladimir d. Gr., Iwan der Hunnen unter Attila und der Ostgo-
d. Schrecklichen, Peter d. Gr. ten unter Theoderich; dadurch Staatsent-
Byrd, Richard, nordamerik. Flieger und wicklung ohne Germanenanteil, Bewah-
Polarforscher, 1888–1957; flog 1926 rung des spätantik-lat., vornehmlich aber
mit F. Bennet als erster zum Nordpol, er- des griech.-hellenist. Sprach- und Kultur-
forschte 1929/30 den Südpol mit Flug- erbes mit zunehmender Ausprägung eines
zeugen, leitete 1946/47 die größte ame- griech.-byzantin. Nationalgeistes, auch
rik. Antarktisexpedition und bereitete die im kirchlichen Bereich: 451 Gründung
amerik. Expedition des Geophys. Jahres des Patriarchats von Konstantinopel; Aus-
1957/58 vor. bau der Verfassung der griech. Kirche; in
Byron, George Noel Gordon, Lord, engl. dieser Zeit Hochblüte der Theologie und
Dichter, 1788–1824; Lyriker und Drama- christlichen Philosophie; Entfaltung des
tiker der Romantik (Weltschmerz); seine weltflüchtigen griech. Mönchtums. Nach
Werke zählen zur Weltliteratur und beein- dem Zusammenbruch des Weström. Rei-
flussten nachhaltig die europäische Lite- ches 476 n. Chr. bewahrte im Westen das
ratur des 19. Jh.; B. führte ein abenteuer- Papsttum die gesamtröm. Kaiser- und
liches Leben, nahm an der Verschwörung Reichsidee (vorerst in Abhängigkeit von

145
Byzantinisches Reich

Ostrom, bis die Päpste die Franken als ser (Zusammenbruch des ↑ Sassaniden-
ihre Schutzmacht anerkannten), im Os- reiches, 627); Abwehrkämpfe gegen Awa-
ten beanspruchten die byzantin. Kaiser ren und Slawen. In der Folge tauchten als
das Kaisererbe und verbanden die Funk- neue Gegner das Donaubulgar. Reich (seit
tion des Cäsars mit der des Pontifex ma- 680) und die Araber auf, die Ägypten, Sy-
ximus („Cäsaropapismus“ gegenüber dem rien, Paläsrina erobert hatten und byzan-
späteren Dualismus Kaiser und Papst im tin. Provinzen in Persien besetzten, aber
Westen). 678 und 718 vor Konstantinopel zurück-
Vom Osten ging unter Kaiser Justinian I. geworfen wurden (Rettung des Abend-
(527–565) der letzte tatkräftige Versuch landes): Kleinasien blieb byzantin. Boll-
aus, Ostrom wieder zum Haupt eines röm. werk gegen den Islam. Im 8. und 9. Jh.
Gesamtreiches zu machen; nach Kodifizie- 100-jähriger zerrüttender ↑ Bilderstreit
rung des gesamtröm. Rechtes im (noch lat. (Heiligenbilderverehrung als gottesläster-
verfassten, christlich durchsetzten) ↑ Cor- lich verboten, Vernichtung der Bilder);
pus iuris (534); Zurückeroberung eines Höhepunkt des Bilderstreits unter Leo III.
Teiles der weström. Reichshälfte; es wur- (717–741) und Konstantin V. (741–775),
den Nordafrika nach Zerstörung des Van- Zulassung der Bilderverehrung unter Kai-
dalenreiches durch ↑ Belisar (534), Italien serin Irene (780–802), endgültig unter
nach Vernichtung des Ostgotenreiches Kaiserin Theodora 843. Langobarden er-
durch ↑ Narses (552–554) und ein Teil oberten 751 ↑ Exarchat von Ravenna, der
des westgot. Südspaniens (554) oström. Papst beanspruchte Dukat von Rom; nur
Reichsglieder; vorübergehende Überwin- Unteritalien und Sizilien (bis 827) blie-
dung des abendländ. Schismas (wegen der ben byzantin. (Anerkennung des Kaiser-
christolog. Frage); Bau der Hagia Sophia tums Karls d. Gr., Hinwendung des Papst-
als neuem Reichssymbol; unter Justinian tums zum Frankenreich); obwohl sich die
Vorstoß der ↑ Slawen und ↑ Bulgaren in Byzantiner noch Römer nannten, weitere
die byzantin. Balkanprovinzen und der Entfremdung zwischen Ost und West. Ge-
Perser in Kleinasien (hier wurde die Frie- gen Leo VI. den Weisen (886–912), der
denssicherung durch Tributzahlung er- sich „Auserwählter Gottes“ nannte und
kauft; starker Einfluss des Orients auf die ein absolutist. Regiment führte, verfocht
byzantin. Herrscheridee). Unter Justini- Patriarch Photias die Zweigewaltenlehre;
ans Nachfolgern Verlust von großen Tei- das Corpus iuris Justinians wurde durch
len Italiens an die Langobarden (seit 568) neues Reichsgesetz abgelöst (Festigung des
und Aufteilung Italiens in lango­bard. und Beamtentums, Zunftordnung für Handel,
byzant. Einflussgebiete (byzantin. ­ waren Schiffbau; Seidenherstellung). Unter Kon-
u. a. das Exarchat Ravenna mit Unter­ stantin VII. Porphyrogennetos (912–963)
italien und Sizilien und ↑ Dukat Rom). Blüte der Wissenschaften („Makedonische
Nach Festsetzung der Slawen auf dem Bal- Renaissance“ antiker Schriftsteller), För-
kan unter Kaiser ↑ Heraklius I. (61()641) derung der Klein- und Wehrbauern. 961
Reichsreform zur Stärkung der Abwehr- wurden Kreta, 965 Zypern, 969 Teile Syri-
kraft: Aufteilung in Wehrkreise (Themen) ens, 974/75 Teile Palästinas dem Islam ent-
unter kommandierenden Generalen (auch rissen, 972 wurde Bulgarien byzantin. Pro-
in den ital. und nordafrikan. Provinzen), vinz; Beginn der Missionierung des Bal-
Wehrbauerntum an den Grenzen; Helle- kans (Serbien, Bulgarien) und Mährens im
nisierung der Kultur (Griechisch wurde Sinne des byzantin. Christentums; weltge-
Amtssprache, der Kaiser nannte sich ↑ Ba- schichtlich folgenreich wurde die Christia-
sileus); drei Kreuzzüge gegen die Per- nisierung Russlands bes. unter ↑ Basilios II.

146
Byzantinisches Reich

(976–1025); das B. R. erstreckte sich von Nordwest-Kleinasien; starke kulturelle ge-
der Adria bis Armenien, von der Donau genseitige westöstl. Durchdringung, aber
bis zum Euphrat; doch nach Aufgabe der kirchliche und soziale Gegensätze zwi-
Themenverfassung und der Einführung schen Herrschenden und rechtloser Bevöl-
eines Söldnerheeres anstelle des Wehrbau- kerung; der Dynastie von Nicäa (Paläolo-
erntums und durch das Übergewicht der gen) gelang 1261 die Wiedergewinnung
Zivilverwaltung und der Großgrundbesit- von Konstantinopel (Ende des lat. Kaiser-
zer Aufstieg der Territorialgewalten und tums). Kaiser ↑ Michael VIII. Palaiologos
Schwächung der Wehrkraft, vor allem im (1258–1282) suchte gegen Venedig das
Kampf gegen die Offensive der ↑ Petsche- Bündnis Genuas und durch Union mit
negen von der Donau her, der Normannen der röm. Kirche (Konzil von Lyon 1274)
(Verlust Unteritaliens) und der türk. ↑ Sel- Beendigung des Schismas, scheiterte aber
dschuken (Verlust Inner-Kleinasiens). an innerem Widerstand; um 1300 ging
Unter Konstantin IX. (1042–1055) wegen Kleinasien erneut verloren.
dogmat. und kirchenpolit. Streitfragen Das 14. Jh. war gekennzeichnet durch das
Trennung der Ost- und Westkirche 1054 weitere Vordringen der Türken, die Kon-
(gegenseitige Bannung Papst Leos IX. und stantinopel umgingen und Bulgarien,
des Patriarchen Michael Cärularius’), spä- Serbien, Thessalien, Griechenland, die
ter Übergreifen des Schismas auf bulgar., Dobrudscha besetzten; Kulturzentrum
rumän., serb. und russ.-orthodoxe Kir- war zeitweise Mistra (Sparta) auf dem Pe-
che (↑ Ostkirche). In den folgenden Jah- loponnes. ↑ Johannes V. (1354–1391) er-
ren Tiefpunkt der byzantin. Macht. Italien hoffte durch erneutes Unionsangebot mi-
war restlos, der Balkan teilweise, Klein- litär. Hilfe des Westens; auch er scheiterte
asien fast völlig verloren; die Zentralge- an den inneren Gegensätzen (sozialradi-
walt gelähmt; Währungsverfall; 1081 be- kale Bewegung, myst. Sektierer); um 1400
gründete General Alexios Komnenos als war das B. R. fast ganz auf die Hauptstadt
↑ Alexios I. (1081–1118) die Komnenen- beschränkt; das kirchliche Erbe trat Mos-
Dynastie und schlug mit Hilfe Venedigs kau an; erneute Unionspläne schlugen
und Genuas die Normannen zurück; Ve- fehl (1437 in Rom, 1439 in Florenz), da
nedig erhielt 1082 Handelsvorrechte (Be- sie vom Volk und von Russland abgelehnt
ginn seines Seereiches); Alexios gewann im wurden („Lieber ein türk. Turban als eine
1. Kreuzzug 1096/97 Teile ­Kleinasiens zu- röm. Mitra“); auch der letzte Aufruf zur
rück; Manuel I. (1143–1180) erstrebte ver­ Union 1452 und zur Hilfeleistung war
geblich Zurückgewinnung Italiens; nach vergebens und wurde von den in partiku-
ihm Zersetzung des Reiches durch Thron- larist. Interessen befangenen abendländ.
folgekämpfe, um 1200 Verlust des Balkans; Staaten überhört; nur eine kleine päpst-
Byzanz, für Fehlschläge in den Kreuzzü- liche Hilfstruppe eilte nach Konstantino-
gen verantwortlich gemacht, wurde auf pel. Die durch Mongolenangriffe vorüber-
Betreiben Venedigs unter Führung des gehend geschwächten Türken begannen
vertriebenen Kaisersohnes Alexios IV. An- 1453 unter Sultan Mehemed II. (1451–
griffsziel des 4. Kreuzzuges und fiel 1204 1481) die Belagerung Konstantinopels,
in die Hand der Kreuzfahrer; Errichtung das sie am 29. Mai unter Einsatz schwerer
des ↑ lat. Kaisertums in Byzanz und Um- Artillerie eroberten; der letzte Paläologe,
gebung; Zerfall des übrigen Reichsgebietes Kaiser Konstantin XI. Dragasas, fiel; Kon-
in Herzogtümer, Grafschaften, Baronien stantinopel wurde türkische Hauptstadt
und die Teilreiche von Epirus an der Adria, (Stambul). 1456 wurde Athen, 1460 der
Trapezunt am Schwarzen Meer, Nicäa in Peloponnes, 1461 Trapezunt erobert, das

147
Byzanz

sich seit 1204 als eigenes Kaiserreich erhal- gien bergen viele Zeugen des byzantin.
ten hatte; der Südwesten des Abendlandes Kunsteinflusses; in der ital. Malkunst des
war dem weiteren Vordringen der Türken 13. Jh. ist die „maniera greca“ oder „bizan-
geöffnet; 1459 eroberten sie Serbien, 1463 tina“ ein fester Begriff; auch die dt. Roma-
Bosnien, 1464 die Walachei, 1479 Alba- nik und Gotik und der dt. Humanismus
nien, 1483 die Herzegowina, 1526 fast erhielten Anregungen aus dem byzantin.
ganz Ungarn, die Verteidigung des Abend- Kunst- und Kulturbereich.
landes übernahm das Haus Habsburg. Byzanz (Byzantion), um 660 v. Chr. von
Die lange Zeit unterschätzte Bedeutung Dorern aus Megara gegr. Kolonie am Bos-
des B. R. liegt nicht nur in der Abdäm- porus, handelspolit. bedeutend, 515 v. Chr.
mung der Anstürme, denen Europa vom persisch, 478 v. Chr. von Pausanias be-
Osten (Slawen) und vom Orient (Islam) freit, der 7 Jahre in B. blieb; Mitglied
her ausgesetzt war, sondern v. a. auch in des Att. Seebundes, nach 405 v. Chr. vo-
seinen Kulturleistungen, die sowohl in rübergehend unter spartan. Herrschaft;
das Abendland wie in den Vorderen Ori- 340 v. Chr. erfolglose Belagerung durch
ent und nach Russland ausstrahlten: Das Philipp II. von Makedonien, selbstän-
christliche theologisch-philosophische dig auch unter Alexander d. Gr. und den
Denken des frühen Mittelalters wurde ent- Dia­dochen; um 278 v. Chr. von den Kel-
scheidend mitgeprägt durch die Schriften ten heimgesucht, im 2. Jh. v. Chr. mit Rom
frühbyzantin. Theologen (u. a. Eusebius, gegen dessen kleinasiat. Gegner verbündet
Athanasius, Basilius, Gregor von Nyssa, und darum als sog. Freie Stadt privilegiert;
Gregor von Nazianz, Johannes Chrys- 196 n. Chr. von Septimius Severus wegen
ostomos); bis in die Stauferzeit wirkte der Parteinahme für den Gegenkaiser nach
Byzanz auf das abendländ. Kaisertum ei- dreijähriger Belagerung größtenteils zer-
nerseits durch Heiraten, andererseits als stört; 330 von Konstantin d. Gr. als Roma
Vorbild für Herrschaftsordnungen, Hof- Nova (Neu-Rom) feierlich zur Residenz
zeremonien und Lebensformen, die Ara- erhoben, großzügig ausgebaut und Kon-
ber übernahmen vom B. R. Heeresord- stantinopel benannt; 395 bei Teilung des
nungen, Waffen- und Schiffbautechniken. Reiches durch Theodosius Hauptstadt des
In die profane Literatur des Abendlandes Oström. (↑ Byzantin.) Reiches, Sitz eines
strömten starke Einflüsse aus den Werken Patriarchen (seit dem 5. Jh. Oberhaupt der
der byzantin. Geschichtsschreiber, Alter- griech.-orthodoxen oder Ostkirche); ↑ Ha-
tumskundler, Philosophen und vor allem gia Sophia anstelle der gleichnamigen, 330
der Übersetzer, da Byzanz das hellen. und errichteten, später abgebrannten Kirche,
hellenist. Erbe umfassender bewahrte als erbaut 532–535; oftmals belagert (622
der Westen; auf dem Gebiet der bildenden Doppelangriff der Awaren, Slawen und
Kunst war die Ausstrahlungskraft des B. R. Perser; 674/78 und 717/18 Angriffe der
besonders groß; die Kunst entwickelte sich Araber siegreich abgewiesen); 1204 von
aus frühchristlichen, spätantiken, später Kreuzfahrern genommen und Hauptstadt
auch oriental. Elementen und gelangte des ↑ lat. Kaisertums, 1261 vom griech.
mehrmals zu hoher Blüte (Architektur, Kaiser Michael VIII. Palaiologos zurück­
Mosaik- und Reliefkunst, Raumdekora- erobert; 1453 Eroberung durch die Tür-
tion, Wandmalerei, Elfenbeinschnitze- ken, deren Hauptstadt es bis 1923 blieb
rei, Bronzeguss, Seidenweberei); Ravenna (Istanbul, Stambul).
(Kirche, Mosaiken), Venedig (Markus-
dom), Rom, Süditalien, Sizilien, aber auch
Russland, der Balkan, Armenien, Geor-

148
Cabet

Cabet, Etienne, frz. Kommu- Caere (Cervetri), alte etruskische Stadt

C nist, 1788–1856; schrieb den


utop. Roman „Reise nach Ika-
rien“, versuchte den Kommu-
nismus auf friedlichem Wege zu verwirk-
in der Toskana, 353 Friede mit Rom auf
100 Jahre; im MA verfallen, 1536 wurde
hier eine Gräberstadt der Etrusker aufge-
funden (Wandgemälde, Vasen).
lichen, gründete 1848 in Texas und 1851 Caetano, Marcelo José, portug. Politiker,
in Illinois mit Anhängern aus Frankreich 1906–1980; seit 1936 enger politischer
„ikar.“ Kolonien, scheiterte jedoch. Mitarbeiter ↑ Salazars bei der Errichtung
Caboto, Giovanni (John Cabot), ital. See- des portug. Ständestaates; 1968 Minister-
fahrer in engl. Diensten, um 1420–1498; präsident, 1974 durch Militärputsch ge-
entdeckte 1497 auf der Suche nach der stürzt, in Brasilien im Exil.
Nordwestpassage (noch vor Kolumbus, der Cafe Filho, Joa Fernandes, brasilian. Poli-
erst auf seiner 3. Fahrt 1498–1500 Süda- tiker, 1899–1970; Mitinitiator des Staats-
merika anlief ) das amerik. Festland (Labra- streichs von 1930, 1954 Staatspräsident,
dor), gelangte bis zur Küste Neufundlands 1955 Rücktritt wegen innenpolit. Schwie-
und südl. vielleicht bis Florida. rigkeiten.
Cabral, Pedro Alvarez, portug. Seefahrer, Caillaux, Joseph, frz. Staatsmann, 1863–
um 1460–1526; landete 1500 in Brasi- 1944; 1911/12 Ministerpräsident, im
lien (das er für die portug. Krone in Besitz 1. Weltkrieg wegen Hochverrats verhaftet,
nahm), als er auf der Indienfahrt westwärts 1920 verurteilt, 1925 begnadigt; 1925,
abgetrieben wurde; gründete die ers­ten 1926 und 1935 jeweils für kurze Zeit Fi-
portug. Faktoreien in Indien. nanzminister.
Cadiz, Hafenstadt an der span. Atlantik­ Ça ira (frz., „So wird’s geh’n ...“, nämlich
küste, phönik. Gründung um 1100 v. Chr.; „die Aristokraten an die Laterne zu hän-
seit etwa 500 v. Chr. bedeutender karthag. gen“), Refrain eines vielgesungenen Liedes
Handelsplatz; 206 v. Chr. von den Römern der Frz. Revolution, das später von der
erobert (Gades); 711–1262 n. Chr. in Hän- Marseillaise verdrängt und 1797 verboten
den der Araber, dann an Kastilien, Haupt- wurde.
stapelplatz des span. Kolonialhandels; seit Cajetan, Jacobus (eigtl. Thomas de Vio
dem 18. Jh. Hafen der Silberflotte, mehr- von Gaeta), bedeutendster kath. Theologe
mals von den Engländern angegriffen, 1810 der Reformationszeit, 1469–1534; Domi-
und 1823 von den Franzosen belagert, im nikanergeneral, Kardinal, hochgebildeter
19. Jh. revolutionärer Unruheherd. Humanist und Scholastiker, versuchte als
Cadoudal, Georges, frz. Royalistenführer, päpstlicher Legat auf dem Reichstag zu
1771–1804; 1799 Führer der bret. ↑ Chou- Augsburg 1518 vergeblich, Luther zum
ans gegen die frz. Revolutionäre, ging nach Widerruf zu bewegen.
der Niederschlagung des Aufstandes nach Calais, Stadt und Seefestung, mittelalterl.
London; 1803/04 zus. mit Pichegru Ver- Gründung; nach der Schlacht von Crécy
schwörung gegen Napoleon, hingerichtet. 1347–155 in englischem Besitz (letzter
Caen, Hauptstadt des frz. Dep. Calva- engl. Stützpunkt auf dem europ. Festland);
dos, von Wilhelm dem Eroberer um 1060 1588 fand auf der Höhe von C. die Arma-
gegr.; normann.-roman. und got. Bauten, daschlacht statt; 1639 versenkten die Nie-
Hauptsitz der Herzöge von der Norman- derländer vor C. eine der span. Silberflot-
die; in den Kriegen mit England und in ten; im 2. Weltkrieg fast völlig zerstört.
den Hugenottenkriegen heiß umstritten; Calatrava, Orden von, span. Ritterorden;
1944 bei Invasion der Alliierten heftig um- 1158 gegr. anlässlich der Verteidigung der
kämpft und weitgehend zerstört. span. Stadt Calatrava gegen die Mauren;

149
Calhoun

später wurde die Großmeisterwürde zu zur ewigen Seligkeit oder zur Verdamm-
einem Titel der span. Könige. nis und die Rechtfertigung allein aus dem
Calhoun, John Caldwell, nordamerik. Glauben (der bei den zur Verdammnis
Staatsmann, 1782–1850; mehrfach Vize- Ausersehenen nur ein Scheinglaube ist). In
präsident der USA, vertrat gegen die Union der von Luther und Zwingli abweichenden
die Interessen der Südstaaten (Sklaverei). Abendmahlslehre wurde 1549 mit den
Calicut, ind. Stadt an der Malabarküste; Zwinglianern eine Einigung erzielt; äu-
urspr. Handelsplatz eines Hindu-Fürsten, ßerste Einfachheit im Kultus nach dem
1498 erster Landeplatz Vasco da Gamas Vorbild der apostol. Urkirche, Bilder auch
in Indien, portug. Festung und stärkster nicht als Schmuck in den Kirchen gedul-
kolonialer Stützpunkt; später im Besitz det; republikan. Kirchenverfassung, Pres-
Englands (aus dem Namen C. abgeleitet byterium = Rat der Ältesten an der Spitze,
Kaliko, gefärbter Kattun). Selbständigkeit gegenüber dem Staat. Der
Caligula (Gajus Julius Caesar Germani- C. verbreitete sich bes. in Westeuropa (in
cus), röm. Kaiser (37–41 n. Chr.); geb. Frankreich: Hugenotten; in Schottland:
12 n. Chr., Sohn des Germanicus, aufge- Presbyterialkirche des John Knox) und
wachsen im Feldlager (daher C., Soldaten- zeigte sich im Gegensatz zum Luthertum
stiefelchen); seine Schreckensherrschaft en- auch in weltlich-polit. Fragen (Ideal der
dete mit seiner Ermordung durch die Prä- Volkssouveränität) kämpferisch interessiert
torianer. (Auswirkung vor allem in den aufständ.
Calonne, Charles Alexandre de, frz. Staats- Niederlanden); die Gegenreformation fand
mann, 1734–1802; versuchte als Finanz- den erbittertsten Widerstand beim C.; in
minister 1783–1785 vergeblich eine Fi- Deutschland blieben die Anhänger des C.
nanzreform vor dem Ausbruch der Revo- vom Augsburger Religionsfrieden 1555
lution; auf seine Veranlassung trat 1787 ausgeschlossen, doch neigte selbst der Kreis
(zum erstenmal seit 1626) die ↑ Notabeln- um Melanchthon zum C.; diese „Krypto-
versammlung zusammen, ohne seine Vor- calvinisten“ fanden in den luther. Ländern
schläge zur Deckung des Defizits zu unter- keine Duldung; der C. rächte sich durch
stützen. entsprechende Intoleranz dort, wo er sich
Calvin (Cauvin), Johann, Reformator, durchsetzte (1562 Pfalz, 1604 Hessen-Kas-
1509–1564; frz. Herkunft, kam 1536 erst- sel); er trug andererseits wesentlich zur För-
mals nach Genf, geriet – als leidenschaft- derung der Toleranz von Staats wegen bei,
licher Fanatiker – in Streit mit den Anhän- indem er das Problem der religiösen Min-
gern der freieren, weniger strengen Lehre derheit aufwarf; im Dt. Reich wurde der C.
Zwinglis, musste fliehen; 1541 zurückge- 1648 als gleichberechtigt neben kath. und
rufen, gründete er die reformierte Kirche luth. Kirche anerkannt. – Die wirtschafts-
und führte ein strenges Kirchenregiment; und sozialgeschichtliche Bedeutung des C.
einer der bedeutendsten Gegenspieler der besteht darin, dass der C. von seinen An-
Gegenreformation; sein Hauptwerk (1536) hängern Arbeitseifer fordert und den sicht-
„Institutio religionis Christianae“; seine baren Erfolg des Arbeitens als eines der
Lehre, der ↑ Calvinismus, geprägt von sei- Zeichen der Auserwählung ansieht (Aus-
ner Strenge und Unerbittlichkeit. wirkung auf das kapitalist. Denken).
Calvinismus, durch ↑ Calvin begr. protes- Camara, Helder Pessoa (gen. Dom Helder),
tant. Religionslehre; in ihrem Mittelpunkt brasilian. Erzbischof, 1909–1999; Sprecher
steht die aus der gänzlichen Verderbtheit der progressiven Gruppe der brasilian. Kir-
des Menschen (Erbsünde) gefolgerte gött- che. C. plädierte für „brasilian. Sozialis-
liche Vorherbestimmung (Prädestination) mus“, lehnte Gewaltanwendung ab.

150
Canaris

Cambacérès, Jean-Jacques Régis de, frz. Camorra, polit. Geheimverbindung im


Staatsmann, 1753–1824; Revolutionspo- ehemaligen Königreich Neapel im 19. Jh.;
litiker, gemäßigtes Mitglied des Konvents; von den Bourbonen meist geduldet, un-
1793 Präsident des Wohlfahrtsausschusses, terstützte Garibaldi; im Königreich Italien
1799 Justizminister, dann Zweiter Konsul, wieder auf Seiten der gestürzten Bourbo-
1804 Erzkanzler, wesentlich an der Ausar- nen, sank allmählich zum Terroristenbund
beitung des Code Napoleon beteiligt; 1808 ab, 1911 Hinrichtung seiner Führer; den-
zum Herzog von Parma ernannt, 1816– noch lebte der Bund nach den Weltkriegen
1818 verbannt. immer wieder auf (↑ Mafia).
Cambon, 1) C., Joseph, frz. Revolutionär, Campanella, Thomas, ital. Philosoph,
1754–1820; Mitglied des Konvents und 1568–1639; Dominikaner, verband unter
des Wohlfahrtsausschusses, 1794 an Ro- dem Einfluss Platons in dem utop. Roman
bespierres Sturz beteiligt; Finanzmann und „Civitas solis“ (Sonnenstaat) die Vorstel-
Förderer des Assignatenwesens; 1816 ver- lung einer kath. Universalmonarchie mit
bannt. 2) C., Paul, frz. Diplomat, 1843– gemeinwirtsch. Ideen (Verneinung des Pri-
1924; 1898–1920 Botschafter in London, vateigentums); 26 Jahre unter der Beschul-
treibende Kraft der ↑ Entente cordiale. digung des Hochverrats in span. Haft,
Cambrai, frz. Stadt an der Schelde; das 1634 Flucht nach Frankreich.
„Cameracum“ der Römer, von Nerviern Campe, Joachim Heinrich, philanthrop.
besiedelt: im 6. Jh. Bischofssitz; Anfang Pädagoge der Aufklärung und Jugend-
des 11. Jh. erhielten die Bischöfe die Graf- schriftsteller, 1746–1818; Reformer des
schaft C. (dt. Kammerich) als Reichsle- braunschweig. Schulwesens im Geiste
hen; 1556 Erzbistum, 1678 an Frankreich; Rousseaus und Basedows, Bearbeiter des
1508 ↑ Liga von C. – 1529 „Damenfriede“ „Robinson Crusoe“ für die Jugend.
von C. (ausgehandelt von Margarete von Camphausen, preuß.-dt. liberale Politiker
Parma, der Statthalterin der Niederlande, und Minister: 1) C., Ludolf, 1803–1890;
mit Luise von Savoyen, der Mutter des Kö- nach der Märzrevolution 1848 Minister-
nigs Franz I.) zw. Frankreich und Habs- präsident, drang mit seinem Verfassungs-
burg. 1917 Tankschlacht von C. (erster entwurf nicht durch, trat als Bevollmäch-
Masseneinsatz von Tanks durch die Eng- tigter Preußens in Frankfurt ohne Erfolg
länder). für engeren Bundesstaat unter preuß. Füh-
Cambridge, 1) Hauptstadt der Grafschaft rung (Programm Gagern) ein. 2) C., Otto,
C. im SO Englands; neben Oxford älteste Bruder von 1), 1812–1896; 1869–1878
und berühmteste Universität Englands, Finanzminister im Zeichen des frz. (Kriegs-
1229 gegr.; 19 Colleges (selbständige Kör- entschädigungs-) „Milliarden-Segens“; als
perschaften); darunter das Trinity Col- Förderer des Handels- und Industriekapi-
lege, gegr. 1546 (Schüler: Bacon, New- tals von Schutzzöllnern und Agrariern wie
ton, Byron); St. John’s (1511) und Kings von Sozialisten heftig angegriffen.
College (1441) mit prächtigen Kapellen. Campoformio, Schloss in Venetien; 1796
2) Stadt in Massachusetts bei Boston, mit Friede zwischen Frankreich und Öster-
der Harvard-Universität, der ältesten und reich, das die österr. Niederlande und die
berühmtesten der USA, gestiftet 1636 von Lombardei gegen den Erwerb Venetiens,
dem Prediger Harvard. Istriens und Dalmatiens abtrat und sich in
Camillus, Marcus Furius, röm. Feldherr den Geheimbestimmungen zur Räumung
und Staatsmann, Eroberer des etruskischen des linken Rheinufers verpflichtete.
Veji (396 v. Chr.), mehrmals Diktator; Canaris, Wilhelm, dt. Admiral, 1887–
391–387 v. Chr. im Exil. 1945; seit 1935 Chef der Abwehrabtei-

151
Canberra

lung, 1938–1944 Leiter des Amtes Aus- Canterbury, Stadt in England, nach
land/Abwehr im OKW, unterstützte bes. der Sage 900 v. Chr. von den Briten als
1938–1941 die Widerstandsbewegung Caerkent gegr., röm. Durovernum; König
gegen Hitler; obwohl bereits im Februar Ethelbert von Kent machte es 568 n. Chr.
1944 entlassen, wurde C. nach dem Atten- zu seiner Residenz; um 600 Bistum C., be-
tat vom 20. Juli 1944 verhaftet und in den gründet vom Mönch Augustinus (ältestes
letzten Kriegstagen hingerichtet. Bistum Englands), später Erzbischofssitz
Canberra, austral. Bundeshauptstadt, als mit berühmter Kathedrale aus dem 11.–
Hauptstadt 1913 gegr. (als Kompromiss 15 Jh.; der Erzbischof von C. ist Primas der
der Städte Sydney und Melbourne). anglikan. Kirche und erster Peer des Kö-
Canisius, Petrus (eigtl. Peter de Hondt), nigreichs; Stadt 1942 durch Luftangriffe
Prediger, Kirchenpolitiker, Missionar, ers­ schwer zerstört.
ter dt. Jesuit, hl., 1521–1597; wirkte maß- Capetinger, frz. Herrschergeschlecht, das
gebend für die Gegenreformation („Zwei- mit Hugo Capet, dem Grafen von Paris und
ter Apostel der Deutschen“), verfasste Herzog von Franzien, 987 den Thron be-
volkstümliche Katechismen, die 1597 in stieg; stammte von einem ­eingewanderten
200 Ausgaben vorlagen. Sachsen namens Witichin ab, erwarb Fran-
Cannae, Ort in Apulien am Aufidus; zien und erreichte 887/98 und 922/23 vo-
216 v. Chr. erlitten hier die Römer durch rübergehend die Königswürde; regierte in
Hannibal die vernichtendste Niederlage ih- Frankreich im Hauptstamm bis 1328, in
rer Geschichte (rd. 50 000 Tote und 20 000 der Seitenlinie der Valois bis 1589, in der
Gefangene auf röm. Seite, 6 000 Tote auf der Bourbonen bis 1792 (bzw. 1830).
karthag. Seite). In der Kriegsgeschichte ist Capistran(us), Johannes, ital. Franziskaner
C. das klass. Beispiel für die Vernichtungs- und Kreuzzugsprediger, hl., 1386–1456;
schlacht durch Umfassung. rief Europa zur Türkenabwehr auf (Befrei-
Canning, George, brit. Staatsmann, 1770– ung Belgrads 1456).
1827; Tory, 1807–1809 und seit 1822 Capitani (ital. Häupter); adelige Groß­
Außenminister, 1827 Premierminister; lehensträger, hoher ital. Feudaladel im
verantwortlich für den Überfall auf die MA.
dän. Flotte in Kopenhagen 1807; gegen Capitularia, Sammlungen von Gesetzen
die Heilige Allianz gerichtete Außenpoli- und Erlassen der Karolingerzeit, benannt
tik (Unterstützung des griech. Freiheits- nach ihrer Einteilung in Kapitel; darunter
kampfes, Förderung der von Spanien abge- das berühmte „Capitulare de villis“ (Ord-
fallenen südamerik. Staaten). nung über die Landgüter) Karls d. Gr. zur
Canossa, ital. Burg südwestl. Reggio-Emi- Verbesserung der heruntergewirtschafteten
lia; im 11. Jh. im Besitz der Markgräfin von Krongüter in Aquitanien; wichtige Quelle
Tuszien, 1255 zerstört; hier erzwang Kai- der westeurop. Sozial- und Wirtschaftsge-
ser Heinrich IV. 1077 durch persönliche schichte (Gliederung des Fronhofhand-
Kirchenbuße die Aufhebung des Bannes werks, Anbautechnik, Nutzpflanzen).
durch Papst Gregor VII. (Bismarck 1872 Caprivi, Leo Graf von, preuß. General
im Reichstag: „Nach Canossa gehen wir und dt. Staatsmann, 1831–1899; zuerst
nicht!“). Stabsoffizier in den Kriegen 1864, 1866
Canrobert, François Certain de, frz. Mar- und 1870/71; 1883/88 Chef der Admira-
schall, 1809–1895; am Staatsstreich Napo- lität, 1890–1894 als Nachfolger Bismarcks
leons III. beteiligt, kämpfte auf der Krim, Reichskanzler („Neuer Kurs“), lehnte Er-
bei Magenta und Metz (Gefangennahme); neuerung des geheimen ↑ Rückversiche-
eine der Hauptstützen der Bonapartisten. rungsvertrages mit Russland ab; erwarb

152
Carlos

Helgoland im Austausch gegen Sansibar entlehnte Ausdrucksweise, mit der sich die
und leitete eine neue Handelspolitik (Sen- Eingeweihten verständigten.
kung der Agrarzölle) ein; von den Alldeut- Carcassonne, Stadt in Südfrankreich,
schen und den agrar. Schutzzöllnern heftig Dep. Aude; vorröm. Siedlung Carcasso im
angefeindet. 1. Jh. v. Chr. erstmals erwähnt, in der Rö-
Caprivizipfel, Landstreifen an der NO- merzeit Colonia Julia Carcasso; seit 462
Grenze Deutsch-Südwestafrikas, 1890 westgotisch, 725 arabisch, um 759 von
erworben als Verbindung zum Sambesi; den Franken zurückerobert, seit 1247 frz.
1921 zu Brit.-Betschuanaland. Krondomäne. Die Altstadt mit doppeltem
Capsien, ↑ Afrika. Mauerring bewahrt bis heute mittelalterl.
Capua, Hauptstadt Campaniens; etrusk. Gepräge.
Gründung um 600 v. Chr., um 430 v. Chr. Carcer Mamertinus, altröm. Staatsge-
samnitisch, um 335 unter röm. Schutz fängnis am O-Hang des Kapitols in Rom;
(Anlass zum 1. Samniterkrieg); 312 End- vermutlich im 3. Jh. v. Chr. erbaut; wurde
punkt der Via Appia; 216 v. Chr. (nach der Ende des 14. Jh. zur Kirche San Pietro in
Schlacht von Cannae) schloss die Stadt ein Carcere umgestaltet, da das Bauwerk nach
Bündnis mit Hannibal, dessen Truppen der christl. Legende das Gefängnis von Pe-
dort im Winterquartier verweichlichten; trus und Paulus gewesen sein soll.
211 von den Römern zurückerobert und Cardwell, Edward, brit. Staatsmann,
mit Entzug der Stadtrechte und Entvölke- 1813–1886; u. a. Präsident des Handels-
rung bestraft; durch Cäsar wieder aufge- amtes, Staatssekretär für Kolonien, Kriegs-
baut; in der Völkerwanderung zerstört. minister; Verfechter der „Kauffahrteiakte“,
Caracalla, Beiname (nach dem kelt. Solda- verdient um das Gesetzwerk für die brit.
tenmantel, Mantel mit Kapuze) des Mar- Handelsmarine; reformierte das brit. Heer-
cus Aurelius Severus Antoninus, röm. Kai- wesen 1871.
ser (211–217 n. Chr.); fähiger, aber grau- Carey, Henry, bedeutendster amerik. Nati-
samer Herrscher, ermordete 212 seinen onalökonom des 19. Jh., 1793–1879; über-
Bruder und Mitregenten Geta; erteilte 212 wand die pessimist. Richtung der klass. (li-
durch die Constitutio Antoniniana allen beralen) Schule (Ricardo, Malthus) und
freien Einwohnern des Imperiums das Bür- den Individualismus der Aufklärungszeit;
gerrecht (Gleichstellung der Provinzen mit hielt den Assoziations- (Geselligkeits-, Er-
Italien); kämpfte gegen Alemannen und gänzungs-) Trieb für die wichtigste Trieb-
Goten; auf Feldzug gegen die Parther er- feder an Stelle des Eigennutzes; urspr. Frei-
mordet; Zeuge seiner verschwenderischen händler, dann Schutzzöllner im Sinne des
Bautätigkeit die gewaltigen C.-Thermen in Merkantilismus; von großem Einfluss auf
Rom. die europ. Nationalökonomie.
Carbonari (ital., Köhler), nationalrevolu- Carlos, Infanten von Spanien: 1) Don C.,
tionärer Geheimbund in Italien, entstand 1545–1568; von seinem Vater Philipp II.
um 1796 als Träger der Freiheits- und Ein- 1568 (vermutlich wegen Geisteskrank-
heitsbewegung, nach 1815 bes. im König- heit) gefangen gesetzt, um seine Flucht
reich Neapel am Werk. Nach der Revolu- in die Niederlande zu verhindern (Drama
tion von 1820 unterdrückt, neuer Mittel- von Schiller, 1787; Oper von Verdi, 1867).
punkt Paris, wo sich Mazzinis „Junges Ita- 2) Don C., 1788–1855; Sohn Karls IV.,
lien“ absonderte; der Name bezieht sich auf focht die (altkastil statt salische) Erbfolge
die schwarzen Mäntel, Masken und Hüte, der Tochter seines Bruders Ferdinand VII.,
die die C. bei ihren Zusammenkünften Isabellas II., an; Führer der ↑ Karlistenpar-
trugen, und auf ihre dem Köhlergewerbe tei im 1. Karlistenkrieg (1834–1849), ge-

153
Carlyle

schlagen, verzichtete 1844 auf die Thron- (↑ Levée en masse); der einzige führende
folge. Jakobiner, der die Revolution überlebte,
Carlyle, Thomas, schott. Historiker und ohne seine polit. Ideen aufzugeben; unter
Schriftsteller, 1795–1881; Goethe-Vereh- Napoleon zeitweilig Minister; nach 1815
rer, vermittelte den Engländern die Begeg- verbannt, starb in Magdeburg. 2) C., Sadi
nung mit dem dt. Geistesleben (Überset- Marie François, frz. Staatsmann, 1837–
zungen), verurteilte aus puritan.-christl. 1894; Enkel von 1); 1887 Präsident der
Geist die Frz. Revolution als widerchristl.; Republik, von Anarchisten ermordet.
Gegner des Liberalismus, Individualismus Carnuntum, alte Keltenstadt in Pannonien
und der Massendemokratie; vertrat die (östlich von Wien, an der Donau, heute
Anschauung: „Männer machen die Ge- Petronell-Altenburg); von den Römern als
schichte“ („Über Helden und Heldenver- großes Truppenstandlager und Donauha-
ehrung“, „Friedrich der Große“); als Sozial­ fen ausgebaut, später Grenzstadt gegen die
politiker Anhänger der christl.-sozialen Be- Germanen; um 400 n. Chr. von den Qua-
wegung Englands. den zerstört; 2 Amphitheater, Mithrastem-
Carmagnole, frz. Revolutionslied, entstan- pel, kelt.-illyr. Heiligtümer.
den 1792 bei der Einnahme der Stadt Car- Carol, Könige von Rumänien: 1) C. I.,
magnola in Piemont; wurde neben dem Prinz Karl von Hohenzollern-Sigmarin-
↑ „Ça ira“ und der „Marseillaise“ das be- gen, 1839–1914; auf Empfehlung Napo-
liebteste Kampflied; Napoleon I. sorgte leons III. 1866 zum Fürsten von Rumä-
nach seinem Staatsstreich (1799) dafür, nien gewählt, 1881 zum König ausgeru-
dass die C. und die anderen Revolutions- fen; Begründer des modernen Rumäni-
lieder ihre Popularität verloren. ens, mit dem Dreibund verbündet, den er
Carmichael, Stokeley, führender Vertre- bei Kriegsausbruch unterstützte. 2) C. II.,
ter der amerik. ↑ Black-Power-Bewegung, Großneffe von 1), 1893–1953; verzich-
1941–1998; forderte den revolutionären tete zunächst auf die Thronfolge (Eheskan-
Befreiungskampf der Farbigen in den USA, dal mit Mme. Lupescu); 1930 nach seiner
ging Ende der 1960er Jahre nach Guinea, Rückkehr aus dem Ausland von der Na-
wo er unter dem Namen Kwame Ture für tionalversammlung zum König ausgeru-
einen sozialist. Panafrikanismus eintrat. fen, versuchte ein persönliches Regiment,
Carmona, Fragoso, portug. General und 1938 Staatsstreich (autoritäre Regierung);
Staatsmann, 1869–1951; machte sich 1926 13. Nov. 1940 Staatskrise (von Russland
durch Staatsstreich zum Staatsoberhaupt erzwungene Abtretung Bessarabiens; Ver-
und errichtete ein autoritäres Regime. lust des nördl. Siebenbürgens an Ungarn),
Wiederholt zum Präsidenten gewählt; gab berief General ↑ Antonescu als Staatsfüh-
1932 das Amt des Ministerpräsidenten an rer, der ihn zur Abdankung zwang.
↑ Salazar ab. Carolina, abgekürzte Bezeichnung für die
Carnegie, Andrew, nordamerik. Stahl- und Constitutio criminalis Carolina (C. C. C.),
Eisenindustrieller schott. Herkunft, 1835– die Kaiser Karl V. 1532 nach dem Muster
1919; verdient als Stifter gemeinnütziger der ↑ Bambergischen Halsgerichtsordnung
und wiss. Einrichtungen (z. B. Mount-Wil- als Strafgesetzbuch für die „peinlichen“
son-Observatorium). Verbrechen erließ; erste reichseinheitliche
Carnot, 1) C., Lazare, frz. Staatsmann und Regelung des Strafrechts und -verfahrens;
Militärschriftsteller, 1753–1823; Ingeni- obwohl von großer Härte (Verstümme-
euroffizier, als Mitglied des Wohlfahrtsaus- lungen, Folter), war die C. in einigen dt.
schusses Organisator der Revolutionsheere Ländern (Mecklenburg, Bremen, Schaum-
1793 und Schöpfer der allg. Wehrpflicht burg-Lippe) noch bis 1871 in Kraft.

154
Casanova

Carpet-baggers, nach dem amerikan. Se- zeit fungierte er u. a. als Vermittler in poli-
zessionskrieg die aus dem Norden in die tischen Missionen, wie auf Haiti, in Nord-
besiegten Südstaaten eingereisten Abenteu- korea und Nicaragua. Im Balkankrieg er-
rer und Postenjäger, deren ganzes Gepäck reichte er 1994 einen Waffenstillstand zwi-
in einer Reisetasche (Carpet-bag) Platz schen Serbien und Bosnien-Herzegowina,
hatte; sie besetzten die wirtsch. und po- 2002 Friedensnobelpreis.
lit. Schlüsselstellungen und beuteten den Cartier, Jacques, frz. Seefahrer, 1491–
Süden aus, der schließlich zur Selbsthilfe 1557; erforschte 1534–1541 die Küsten
griff und sich zugleich gegen die befreiten von Labrador und Neufundland und den
Schwarzen wandte (Ku-Klux-Klan); 1877 St. Lorenz-Strom.
machte Präsident Hayes dem C.-System Cartwright, Edmund, brit. Mechaniker,
ein Ende. 1743–1823; urspr. Theologe, verdient
Carrero Blanco, Luis, span. Offizier und durch techn. Verbesserungen in der Textil-
Politiker, 1903–1973; 1967 Vizepräsident, industrie, Erfinder des mechan. Webstuhls
Vertrauter von ↑ Franco; 1973 Regierungs­ (1786).
chef, wurde Opfer eines Sprengstoffatten- Carus, Marcus Aurelius, aus Dalmatien,
tats polit. Gegner. röm. Kaiser (282–283); urspr. Prätoria-
Carrier, Jean Baptiste, frz. Revolutionspo- nerpräfekt des Kaisers Probus, nach dessen
litiker, Konventsmitglied, 1756–1794; ver- Tod zum Kaiser erhoben, kämpfte erfolg-
antwortlich für die Massenertränkungen in reich gegen die Parther.
Nantes 1793, hingerichtet. Casablanca, marokkan. Hafenstadt am At-
Carroccio, Fahnenwagen der oberital. lantik; im 16. Jh. von den Portugiesen gegr.,
Städte, auf dem das Feldzeichen (Banner) 1907 von Frankreich besetzt. – 1943 Kon-
aufgerichtet war und von dem aus die Füh- ferenz zw. Churchill und Roosevelt, der die
rer ihre Befehle gaben; eingeführt 1037 Forderung nach bedingungsloser Kapitula-
durch den Mailänder Erzbischof Aribert, tion der Achsenmächte durchsetzte; Aus-
um die Kampfmoral zu stärken; der Ver- gleich zwischen den Führern des „Freien
lust des C. galt als Schmach; der mailänd. Frankreichs“, de Gaulle und Giraud.
C. ging 1162 und 1237 verloren. Casablanca-Staaten, Gruppe afrikan.
Cartagena, ehemaliger karthag. Stütz- Staaten (Ghana, Guinea, Mali, Marokko,
punkt in Spanien, 225 v. Chr. von Hasdru- Vereinigte Arab. Republik und algerische
bal als Carthago nova gegr.; 209 v. Chr. von Exilregierung), die 1961 in C. über ge-
Scipio Africanus erobert, wurde Haupt- meinsames militärisches Oberkommando
stadt der Provinz Hispania citerior; in der und eine „Afrikan. Charta“ konferierten.
Völkerwanderungszeit fast völlig verödet, Forderung nach sofortiger Unabhängig-
blühte erst im 19. Jh. wieder auf. keit aller afrikan. Völker. Die Vereinigung
Carter, James Earl (gen. Jimmy), geb. der C.-Staaten löste sich 1963 mit der Bil-
1924; 1962–1966 Senator, 1970–1975 dung der „Organization of African Unity“
Gouverneur von Georgia, 1976 Präsident- (OAU) wieder auf.
schaftskandidat der Demokratischen Par- Casanova, Giacomo, adelte sich selbst:
tei, 1977–1981 Präsident der USA, poli- Chevalier de Seingalt, ital. Abenteurer,
tisch größte Erfolge 1978 der Panamaka- 1725–1798; floh aus den Bleikammern des
nal-Vertrag, 1979 Camp-David-Abkom- venezian. Dogenpalastes (wegen Spionage
men zwischen Ägypten und Israel, 1980 eingesperrt), zog als vielseitiger Dilettant
SALT II-Vertrag mit der UdSSR. Unterlag an den europ. Höfen umher, schließlich
bei den Wahlen 1980 dem Republikaner Bibliothekar in Dux (Böhmen); schrieb ga-
↑ Reagan. Nach dem Ende seiner Amts- lante, erst nach seinem Tod erscheinende

155
Cäsar

Memoiren mit aufschlussreichen Zeitschil- die Republik sich überlebt habe, bestätigte
derungen (wiss. zuverlässige Ausgabe erst der Aufstieg seines Großneffen und Adop-
seit 1960). tivsohnes Octavian; „C.“ wurde zunächst
Cäsar (Caesar), Gaius Julius, röm. Feldherr ehrenvoller Beiname der julischen, dann
und Staatsmann, 100–44 v. Chr.; stammte Titel der Kaiser überhaupt, seit Hadrian
aus dem uradligen Geschlecht der Julier, Amtstitel der Thronfolger; davon abgelei-
mütterlicherseits mit der plebejischen No- tet „Kaiser“ und „Zar“.
bilität verwandt, schloss sich der Volkspar- Cäsarea, Name mehrerer Städte der An-
tei gegen die Adelsfamilien an; in Fühlung tike, darunter: 1) C., Hauptstadt Kappa-
mit ↑ Catilina, den er für seine Zwecke dokiens, vordem Mazaka, von Tiberius in
brauchte; 80–70 rhetor. und militär. Aus- C. umbenannt; eine der Hauptmünzstät-
bildung im Osten; seit 68 im Staatsdienst, ten des östl. Römerreiches. 2) C. in NW-
68 Quästor, 65 Ädil, 63 Pontifex Maxi- Palästina, an der Grenze von Galiläa und
mus; 62 Prätor; schloss 60 mit ↑ Pompe- Samaria, 13. v. Chr. von Herodes ausgebaut
jus und ↑ Crassus das erste ↑ Triumvirat; und Augustus zu Ehren in C. umbenannt,
59 Konsul (Ausschaltung des Senats); er­ Sitz der römischen Prokuratoren.
oberte und befriedete 58–52 als Statthalter Cäsarion, Sohn Julius Cäsars und Kleopa-
das noch freie, Rom oft bedrohende kelt. tras, 47–30 v. Chr. Als Sohn einer Nicht-
Gallien (Südgallien war bereits röm. Pro- römerin kam er als Erbe Cäsars nicht in
vinz = Gallia Narbonensis), schaffte sich Frage; nach der Einnahme Alexandrias von
dort ein zuverlässiges Heer, überwarf sich Octavian hingerichtet.
mit Pompejus und dem Senat, überschritt Cäsarismus, Regierungsform nach dem
49 mit seinem Heer den Rubikon (Grenze Vorbild Julius Cäsars; Herrschaft eines
seiner Provinz); schlug 48 Pompejus bei Einzelnen, der nicht einer legitimen Dy-
Pharsalus, überließ 47 das mühsam be- nastie entstammt (↑ Legitimismus), son-
friedete Ägypten ↑ Kleopatra, vernichtete dern sich durch Staatsstreich des Thrones
47/46 die Reste der Pompejaner in Nord- bemächtigt, gestützt auf das Heer oder
afrika und Spanien: unumschränkter Al- Anhängerschaft im Volk; meist im Ge-
leinherrscher in Rom, ließ sich alle wich- folge von Staatskrisen oder revolutionären
tigen Staatsämter unter Wahrung der ver- Wirren, begünstigt durch den allgemeinen
fassungsmäßigen Formen („Cäsarismus“: Wunsch nach Frieden und Ordnung. Der
Alleinherrschaft auf demokrat. Grund- C. bedient sich meist der verfassungsmä-
lage) übertragen, reorganisierte das Reich ßigen Formen; zu seinen polit. Mitteln ge-
(Überwachung der Steuererhebung, Verlei- hören Volksabstimmungen und Scheinpar-
hung des röm. Bürgerrechts an zahlreiche lamente; Spielart des C. ist z. B. der ↑ Bo-
Provinziale, Gründung von Kolonien zur napartismus.
schnelleren Romanisierung bes. Galli- Cäsarius von Heisterbach (bei Königs-
ens, Veteranensiedlungen, Verminderung winter), Zisterziensermönch, um 1180–
des röm. Proletariats, Kalenderreform); 1240; Verfasser von Legendensammlungen
sein Streben nach der Krone in den For- in Anekdoten- und Novellenform (als Kul-
men des hellenist. Absolutismus führte zu turgeschichtsquelle von Wert), Biografien
einer Verschwörung von Anhängern des über Erzbischof Engelbert von Köln und
Senats und fangt. Republikanern und zu Elisabeth von Thüringen.
seiner Ermordung an den Iden des März Cäsaropapismus, Vereinigung von welt-
(15. März); von seinen Schriften erhalten: licher (kaiserlicher) und oberster geistlicher
7 Bücher über den Gall. Krieg, 2 Bücher Herrschergewalt in einer Hand (im Unter-
über den Bürgerkrieg. C.s Erkenntnis, dass schied zur Hierokratie: Unterordnung der

156
Cateau-Cambrésis

geistl. unter die weltl. Gewalt), vor allem 1769–1822; 1812 Außenminister, trieb
in Byzanz (↑ Justinian I.); da Russland von unermüdlich zum Entscheidungskampf
Byzanz aus christianisiert wurde, setzte sich mit Napoleon und zur Wiedereinsetzung
auch dort das System des C. durch; der Zar der Bourbonen; Vertreter Englands auf
war zeitweilig auch Patriarch der Kirche, dem Wiener Kongress von 1815, mit Met-
die als „Ornat“ der Monarchie angesehen ternich hauptverantwortlich für die restau-
wurde und unter Peter d. Gr. den Rest von rative Neuordnung Europas nach Napo­
Selbständigkeit verlor; cäsaropapist. Züge leons Sturz; in der brit. Innenpolitik als ari-
auch im Karolingerreich. stokratischer Reaktionär verhasst; beging
Casement, Sir Roger, irischer Freiheits- in geistiger Verwirrung Selbstmord.
kämpfer, 1864–1916; sabotierte im Castro, Fidel, kuban. Politiker, geb. 1927;
1. Weltkrieg die brit. Rekrutierung in Ir- Studium der Rechte, Rechtsanwalt in Ha-
land, agitierte im (england-)feindlichen vanna; 1953 wegen Aufstandsversuchs zu
Ausland für die irische Unabhängigkeit, in 15 Jahren Gefängnis verurteilt; 1955 frei-
London gehenkt. gelassen; nach erfolgreichem Guerillakrieg
Cassin, René, frz. Jurist und Politiker, (seit 1956) gegen die Regierung Batista
1887–1976; nach wiss. Laufbahn 1924– 1959 Ministerpräsident, seit 1976 auch
1938 Mitglied der frz. Delegation beim Staatsoberhaupt: Durchführung von So-
Völkerbund, seit 1940 führend in der Exil- zialreformen, Enteignung nordamerik.
organisation Freies Frankreich; an der Ab- Besitzes, Landverteilung, Planwirtschaft,
fassung der Menschenrechtserklärung der Volksbildungssystem. Wirtsch. und po-
UN maßgeblich beteiligt; 1965–1968 Prä- lit. Druck der USA führten zu militä-
sident der Europ. Gerichtshofs für Men- rischer Aufrüstung und zur Anlehnung an
schenrechte; 1968 Friedensnobelpreis. die Sowjetunion durch ↑ Kuba. C. unter-
Cassiodor (Flavius Magnus Aurelius Cas- stützte den Guerillakampf in Südamerika
siodorus), röm. Gelehrter und Staatsmann, und Afrika, dort (↑ Angola) seit Mitte der
um 490–583; Minister Theoderichs d. Gr., 70er Jahre auch durch Militärhilfe. Seit
wirkte im Sinne der gotisch-röm. Verstän- der Kubakrise Differenzen zw. dem kom-
digung; schrieb eine Geschichte der Goten munist. Kuba unter C. und den westl.
und eine Weltchronik; trat um 540 in das Ländern nahezu unüberbrückbar; nach
von ihm gegr. Kloster Vivarium ein und dem Zusammenbruch des Kommunismus
förderte das Bildungswesen der Klöster 1989 außenpolit. zunehmend isoliert. Auf
(Abschriften antiker Schriftsteller). Grund der Wirtschaftskrise Kubas gab C.
Cassius, Longinus Gaius, aus plebejischem Mitte der 1990er die sozialist. Wirtschafts-
Geschlecht, röm. Politiker; zunächst Partei- ordnung z. T. auf, wurde 1998 vom Volks-
gänger Cäsars, dann zusammen mit Brutus kongress in seinem Amt bestätigt.
Haupt der Verschwörung gegen Julius Cä- Catania (Katane), ionische Kolonie auf
sar, an dessen Ermordung beteiligt; nach Sizilien, als Tochterstadt von Naxos um
der Niederlage bei Philippi (42 v. Chr.) be- 729 v. Chr. gegr., 476 v. Chr. von Syrakus
ging er Selbstmord. aus besetzt, seit 260 v. Chr. römisch, unter
Cassius Dio, ↑ Dion Cassius. Augustus Kolonie; im MA von Feindein-
Castiglione, Baldassare Graf, ital. Diplo- fällen und Erdbeben heimgesucht (↑ Groß-
mat und Schriftsteller, 1478–1529; zeich- griechenland).
nete im „Cortegiano“ (1528) das Idealbild Cateau-Cambrésis (bei Cambrai), 1559
eines Hofmannes der Renaissance. Frieden zwischen Spanien, England und
Castlereagh, Henry Robert Stewart, Mar- Frankreich, das Calais erhielt, aber auf
quis of Londonderry, brit. Staatsmann, sämtliche Ansprüche in Italien und Bur-

157
Catilina

gund (für immer) verzichtete; Höhepunkt Gesetzgebung, Handelsverträge und Bahn-


der span. Macht in Europa. bau; beteiligte sich am Krimkrieg, um sich
Catilina, Lucius Sergius, röm. patriz. Po- das Wohlwollen der Westmächte zu si-
litiker, um 108–62 v. Chr.; sein Programm chern, brachte auf dem Pariser Friedens-
der Schuldentilgung fand Anklang, Cä- kongress 1856 die ital. Frage zur Sprache;
sar und Crassus sahen in ihm ein Werk- verband sich mit Napoleon III. in einem
zeug; erster Umsturzversuch 66 v. Chr. (ge- Geheimbündnis zum gemeinsamen An-
plante Ermordung der Konsuln, Diktatur griff gegen Österreich; trat 1859 vorüber-
Crassus-Cäsar) misslang; staatsgefährliche gehend zurück, weil der Vorfriede von Vil-
Verschwörung 63/62 v. Chr. (nach Ermor- lafranca seinen Wünschen nicht entsprach,
dung der Konsuln sollte Rom in Brand ge- vollzog anschließend trotz des frz. Protestes
steckt werden; Aufwiegelung der gall. Al- die Annexion Mittelitaliens und des Kö-
lobroger), wurde vom Konsul ↑ Cicero auf- nigreichs beider Sizilien.
gedeckt; C. floh mit 3 000 Anhängern und Ceausescu, Nicolae, rumän. Politiker,
fiel im Verzweiflungskampf bei Pistoria. 1918–1989; seit 1945 im Zentralkomitee,
Cato, 1) C., Marcus Porcius C. Censorius seit 1960 Leiter des Parteiapparates der KP
(Cato d. Ä.), röm. Staatsmann und Schrift- Rumäniens, 1965 1. Parteisekretär, 1967–
steller, 234–149 v. Chr.; 195 Konsul, 184 1974 Vorsitzender des Staatsrates (Staats-
Zensor (gefürchtet, daher Beiname Censo- oberhaupt), seit 1974 Staatspräsident. C.
rius); Verfechter der altröm. Tradition und verfolgte eine unabhängige rumän. Außen­
Sittenstrenge, Todfeind Karthagos, dessen politik, machte sich jedoch im eigenen
Zerstörung er unermüdlich forderte; Geg- Land zunehmend durch Vetternwirtschaft,
ner des griech. Kultureinflusses, Schöpfer Zerstörung der alten agrar. Strukturen und
der lat. Prosa. 2) C., Marcus Porcius Uti- den Terror seiner Geheimpolizei „Securi-
censis (Cato d. J.), Urenkel von 1), 95– tate“ verhasst; im Dez. 1989 gestürzt und
46 v. Chr.; Anhänger der Senatsaristokratie, von einem Militärgericht hingerichtet.
Gegner Cäsars; nach dessen Sieg bei Thap- Celsus, Aulus Cornelius, röm. Gelehr-
sus tötete sich C. selbst, um den Untergang ter und Arzt um 30 n. Chr.; Verfasser ei-
der Republik nicht erleben zu müssen. ner großen Enzyklopädie, die auf hohem
Caulaincourt, Armand Augustin Louis Niveau den Stand der damaligen Wissen-
Marquis de, Herzog von Vicenza, frz. schaft, bes. der Medizin, wiedergibt.
Staatsmann, 1773–1827; 1807 Gesandter Celtis (Celtes), Konrad (eigtl. K. Pickel),
in Petersburg, begleitete Napoleon auf dem dt. Humanist, 1459–1508; durchreiste als
Rückzug von Moskau, 1813 und 1815 gefeierte Autorität humanist. Studien und
Außenminister. klass. Beredsamkeit ganz Deutschland; von
Cavaignac, Eugène, frz. General und Po- Kaiser Friedrich III. 1487 mit dem Lorbeer
litiker, 1802–1857; warf im Juni 1848 in zum (lat.) Dichter gekrönt (poeta laurea-
blutigen Straßenkämpfen den Arbeiterauf- tus), stiftete Humanistenvereinigungen
stand in Paris nieder. (Sodalitas Rhenana in Heidelberg), von
Cavour, Camillo Benso Graf von, ital. Maximilian I. als erster Lehrer der Rede-
Staatsmann, 1810–1861; Begründer der und Dichtkunst an einer dt. Universität
nationalen Einheit Italiens; 1852–1859 1497 nach Wien berufen.
und 1860–1861 Ministerpräsident von CENTO-Pakt, Abk. für ↑ Central Treaty
Sardinien-Piemont (Haus Savoyen), dem Organization.
er die Führerrolle (ähnlich Preußen in Central Intelligente Agency, Abk. CIA,
Deutschland) zugedacht hatte, förderte Zentralamt des amerik. Geheimdienstes;
die Entwicklung des Landes durch liberale 1947 gegr.; mehrfach entgegen ihrer Be-

158
Chaldäer

stimmung innerhalb der USA tätig (Über- schlug die Umwandlung der Kathedrale
wachung von Gegnern des Vietnam- Notre-Dame in den „Tempel der Vernunft“
krieges, Infiltrierung von Organisationen, vor; als Anhänger Dantons guillotiniert.
Verletzung des Briefgeheimnisses); teils Chabrias, athen. Feldherr, trug durch
Außenpolitik auf eigene Faust (Pläne zur seine Erfolge (376 v. Chr. Seesieg bei Na-
Ermordung missliebiger ausländ. Politi- xos über die Spartaner) zum Wiedererstar-
ker); 1975/76 Untersuchungsausschuss des ken Athens nach dem Peloponnes. Krieg
Kongresses, danach Entlassung zahlreicher bei, fiel 357 v. Chr. in der Seeschlacht bei
hoher C.-Beamter. Chios.
Central Treaty Organization, Nachfolge- Chacokrieg, 1932–1935, zw. ↑ Bolivien
organisation des ↑ Bagdadpaktes; Sitz seit und Paraguay um Grenzgebiet am La Plata
1960 Ankara; 1979 aufgelöst. (Erdöl; Zugang Boliviens zum Paraguay);
Cesarini, Giuliano de, Kardinal, 1398– 1938 erhielt Paraguay den größeren Teil
1444; rief als päpstlicher Legat in Deutsch- des umstrittenen Gebiets, Bolivien einem
land zum Kreuzzug gegen die Hussiten auf; Korridor zum Paraguay.
1431–38 Leiter des ↑ Baseler Konzils, fiel Chadidscha, erste Gattin Mohammeds,
in Ungarn gegen die Türken. um 555–619; reiche Kaufmannswitwe, in
Ceylon, Inselstaat an der Südspitze Vor- deren Geschäft der 15 Jahre jüngere Pro-
derindiens; Hauptstadt Colombo; Urbe- phet zunächst als Karawanenführer und
völkerung den Weddiden zugehörig; um Handelsagent tätig war; Mohammeds ­erste
500 v. Chr. Singhalesenherrschaft; in den Anhängerin, Mutter von ↑ Fatima.
Weddahöhlen altsteinzeitliche Funde; Chaireddin, gen. C. Barbarossa, griech.
Mitte 3. Jh. n. Chr. Einführung des Buddhis­ Seeräuber, um 1467–1546; seit 1515 Herr
mus, Blütezeit im 12. Jh.; 1517 Niederlas- von Algier, kämpfte als türk. Admiral und
sung der Portugiesen, die 1606 von den Verbündeter Franz’ I. von Frankreich gegen
Holländern verdrängt wurden; Ausbeu- Karl V., schlug 1538 die kaiserliche Flotte.
tung durch Gewürzmonopol (Zimt) und Chaironeia (lat. Chaeronea), Stadt im
Perlenhandel; 1796 von den Engländern westl. Böotien; hier siegte 338 v. Chr.
erobert, 1802 britische Kronkolonie, 1948 Philipp von Makedonien über Athener
selbständig. Mitglied des Commonwealth; und Thebaner und setzte damit der griech.
1954 Mitglied der Föderation der fünf Unabhängigkeit ein Ende. – 86 v. Chr. Sieg
↑ Colombo-Staaten (Burma, Indien, Pakis- Sullas und der Römer über ↑ Mithradates.
tan, Indonesien und Ceylon); 1955 UN- Chalcedon (türk. kadikoi), Stadt im alten
Mitglied. 1972 wurde Ceylon zur Repu- Bithymen am Bosporus; 675 v. Chr. von
blik ↑ Sri Lanka. Megara aus gegr., 74 v. Chr. an die Römer;
Chaban-Delmas, Jacques, frz. Politiker, 451 n. Chr. 4. ökumen. (allg.) Konzil; Rom
1915–2000; 1958 gegen den Willen de lehnte Überordnung des Patriarchen von
Gaulles zum Präsidenten der Nationalver- Konstantinopel ab; das Chalkedonische
sammlung gewählt, 1969 nach dem Rück- Glaubensbekenntnis verwarf die Lehre der
tritt de Gaulles bis 1972 Ministerpräsi- ↑ Monophysiten.
dent; von 1978–1981 und 1986–1988 er- Chaldäer, semit. Bewohner der Landschaft
neut Präsident der Nationalversammlung; Chaldäa (Kaldu) am unteren Euphrat; ihr
1947–1977 und 1983–1995 Bürgermei- Name erscheint um 900 v. Chr. unter den
ster von Bordeaux. Titeln der assyr. Könige, diese machten
Chabot, François, Radikaler der Frz. Re- Ur zur Hauptstadt; später verbunden mit
volution, 1759–1794; urspr. Kapuziner- der Geschichte der Babylonier (neue chal-
mönch; fanat. Cordelier im Konvent, däische Dynastie 626–538); erster chal-

159
Chalid Ibn Al Walid

däischer König in Babylon und Begründer für Irland (Gladstones Plan: ↑ Home Rule)
des Neubabylon. Reiches war ↑ Nabu- von den Liberalen abfielen; 1895–1903
polassar (626–605 v. Chr.); ihm folgten: Kolonialminister, Hauptvertreter des Impe-
↑ Nebukadnezar (604–556) und Nabonid rialismus, zus. mit C. Rhodes Urheber des
(555–538); die C. standen als Sterndeuter Burenkrieges, betrieb den engen Zusam-
in hohem Ansehen, ihre astronom. Kennt- menschluss Englands mit den Kolonien
nisse und religiösen Vorstellungen wurden zum Empire, scheiterte trotz glänzender
z. T. vom Hellenismus übernommen. Agitation mit dem Plan einer Wehr-, Zoll-
Chalid Ibn Al Walid (el Makhzumi), arab. und Wirtschaftsunion (Schutzzölle). 4) C.,
Feldherr aus dem Stamme Koraisch; an- Sir Joseph Austen, brit. Staatsmann, 1863–
fangs erbitterter Gegner Mohammeds, seit 1937 Sohn von 3), Konservativer, 1924–
626 einer seiner tapfersten Anhänger, be- 1929 Außenminister, schloss den ↑ Lo-
siegte 632 die Perser und 634 die Byzan- carnovertrag und den Kelloggpakt (↑ Kel-
tiner, eroberte Syrien und Palästina. logg); Friedensnobelpreis 1925.
Chalkis, griech. Seehandelsstadt auf Euböa; Chambord, frz. Königsschloss (im Renais-
Blüte im 8.–6. Jh. v. Chr.; Grün­dung zahl- sance-Stil) an der Loire, von Franz I. erbaut.
reicher Kolonien; durch seine Lage an der 1552 Vertrag von C. zwischen Heinrich II.
Meeresenge des Euripos einer der „Schlüs- von Frankreich und dt. protestant. Fürsten,
sel zu Hellas“; 506 v. Chr. von Athen un- an der Spitze Kurfürst Moritz von Sachsen,
terworfen. der bei seinem geplanten Abfall vom Kaiser
Châlons-sur-Marne, frz. Stadt in der (Karl V.) frz. Hilfe benötigte und dafür in
Champagne; zur Römerzeit als Catalau- die Abtretung der dt. Bistümer Metz, Toul
num eine der bedeutendsten Städte Gal- und Verdun einwilligte.
liens, nach ihr die Schlacht auf den ↑ Kata- Champagne, frz. Kreidelandschaft östl.
launischen Feldern benannt; alter Bistums- von Paris; im MA Grafschaft unter frz.
sitz; in der Neuzeit bekannt durch das Lehenshoheit, Residenz Troyes, seit 1361
von Napoleon III. 1856 angelegte Trup- endgültig mit der Krone vereinigt. – Im
penübungslager, das größte Frankreichs. 1. Weltkrieg eines der Hauptschlachtfelder,
Chamberlain, 1) C., Arthur Neville, brit. zw. Aisne und Marne frz. Offensiven 1915
Staatsmann, 1869–1940; Sohn von 3), und 1917, dt. Offensive 1918.
Konservativer, seit 1937 Ministerpräsident, Champlain, Samuel de, frz. Entdecker und
betrieb gegenüber Hitler und Mussolini Kolonialpionier, 1567–1635; Erforscher
Politik des „Appeasement“ (Beschwichti- und erster Gouverneur Kanadas, gründete
gung), schloss 1938 das ↑ Münchener Ab- 1608 Quebec („Vater Neu-Frankreichs“).
kommen über friedliche Regelung der Su- Champollion, Jean-François, frz. Ägyp-
detenfrage; gab 1939 die engl.-frz. Garan- tologe, 1790–832; fand den Schlüssel zur
tieerklärung für Polen ab; nach dem dt. Ein- Entzifferung der ↑ Hieroglyphen.
marsch in Polen Kriegserklärung; Mai 1940 Chantilly, ehemalige Residenz des Hauses
von ↑ Churchill abgelöst. 2) C., Houston ↑ Condé, Renaissanceschloss, im 1. Welt-
Stewart, brit.-dt. Kulturphilosoph, 1855– krieg frz. Hauptquartier. – 1915 Konfe­renz
1927; Schwiegersohn ­ Richard Wagners, von C., auf der die Alliierten be­schlossen,
gilt durch sein Werk „Die Grundlagen des ihre Offensiven zu koordinieren und Gal-
19. Jh.“ mit dem Rassenmythos als einer lipoli (Dardanellen) zu räumen.
der geistigen Wegbereiter des Nationalso- Chanzy, Antoine Eugène Alfred, frz. Gen-
zialismus. 3) C., Joseph, brit. Staatsmann, eral, 1823–1883; einer der fähigsten frz.
1836–1914; Führer der Liberalen Union- Heerführer 1870/71, versuchte 1871 mit
isten, die in der Frage der Selbstverwaltung der 2. Loire-Armee den Entsatz von Paris;

160
Chassidismus

1873 Generalgouverneur von Algerien, Chartismus, demokratische Arbeiterbewe-


1879 Botschafter in Petersburg. gung in England, entstanden nach der nur
Chapultepec, Akte von, ein 1945 in C. beschränkten Parlamentsform von 1832,
(bei Mexiko-Stadt) auf Vorschlag der USA die den Arbeitern das Wahlrecht voren-
zwischen den amerikanischen Staaten (au- thielt; benannt nach dem 1838 in einer
ßer Kanada) geschlossenes wechselseitiges Flugschrift formulierten Programm, der
Garantieabkommen, das in allgemeinen „People’s Charter“, der Magna Charta des
Wendungen die gemeinsame Abwehr eines Volkes; allgemeines, gleiches und geheimes
Angriffes auf einen Teil Amerikas vorsieht; Wahlrecht, Abgeordnetendiäten und jähr-
ausgebaut auf der Panamerik. Konferenz liche Parlamentswahl, mit dem Ziel, die
1948 zur „Organisation Amerik. Staaten“ Vorherrschaft der Besitzenden im Parla-
(OAS). ment zu brechen und der Arbeiterschaft
Charette de la Contrie, frz. Royalist, Einfluss auf Staat und Wirtschaft zu ver-
1763–1796; seit 1793 Führer der aufständ. schaffen; zugleich die erste demokrat. Mas-
Vendéer im Kampf gegen die Republik, senbewegung mit sozialem Inhalt; forderte
nach wechselvollen Kämpfen gefangen ge- Einkommensteuer, Fabrikgesetze u. a.;
nommen und erschossen. 1838 Nationalkonvent des C., Spaltung
Charlotte, Kaiserin von Mexiko, 1840– in Radikale (O’Connor) und Gemäßigte
1927; Tochter König Leopolds I. von Bel- (Lovett); Massenversammlungen und -pe-
gien und Gemahlin ↑ Maximilians, Erz- titionen an das Parlament, Streiks ohne
herzogs von Österreich, dem sie 1864 nach Erfolg; nochmals großer Ansatz 1848,
Mexiko folgte; reiste 1866/67 nach Eu- kurz vor der Revolution; danach Abflauen,
ropa, um Hilfe für den gefährdeten Thron Übernahme der Anhängerschaft und der
zu erlangen, verfiel dem Wahnsinn. sozialen Forderungen durch die Trade-
Charta (frz. Charte), bei den Römern Blatt Unions (Gewerkschaften).
der Papyrusstaude, dann jedes Schriftstück Chartreuse, La grande (frz., Große Kar-
überhaupt (davon abgeleitet das Wort tause), das 1084 vom hl. Bruno gegr.
Karte); im MA und später jede Urkunde, Stammkloster des Kartäuserordens (Leben
vor allem solche polit. Natur, in denen der Mönche in Einzelhütten) nahe Gre-
wichtige Freiheiten oder Privilegien festge- noble zw. steilen Felswänden; 1793 aufge-
stellt wurden (in dieser Bedeutung ↑ Ma- hoben, 1816 wieder bezogen.
gna C., ↑ Atlantik-C., UN-C.); im 19. Jh. Chasaren, türkisches, urspr. in Innerasien,
auch Bezeichnung für geschriebene Ver- dann im Ural ansässiges Volk, seit Ende
fassung, z. B. Charte constitutionelle Lud- 6. Jh. n. Chr. in Südrussland; im 8./9. Jh.
wigs XVIII. 1814; seit dem Verfassungs- sich ausbreitendes Reich der C. zwischen
streit in Portugal C. = die vom Herrscher Ural und Dnjepr. Hauptstadt seit 730 Itil
gegebene Verfassung, zum Unterschied von an der Wolgamündung; byzantin. Ein-
der Konstitution, die sich das Volk durch flüsse, Vermittlung des oriental. Handels
die Nationalversammlung selbst gegeben zum Norden. Nebeneinander der Religi-
hat. onen und Toleranz; Gesamtvolk 860 für
Charta 77, im Jan. 1977 in der CSSR gegr. die jüd. Religion gewonnen; danach teil-
Bürgerrechtsgruppe, die bis 1990 aktiv weise christianisiert, um 965 von den Rus-
war, setzte sich für die Bürger- und Men- sen unterworfen.
schenrechte in der CSSR und in der Welt Chassidismus, im 18. Jh. mystische Bewe-
ein. Im Zuge der Liberalisierung wurde ei- gung innerhalb des osteurop. Judentums,
ner ihrer Sprecher, der Dramatiker V. Ha- begründet von Baal Schem Tov (Rabbi Is-
vel, im Dez. 1989 Staatspräsident. rael ben Elieser), suchte die Nähe Gottes

161
Chateaubriand

statt in Askese in Herzensfreude, Andacht Chavín de Huantar, archäolog. Fundort


und Demut; dabei sammelten sich die eines Heiligtums in den nordperuan. An-
Chassidim um einen Zaddik (vollkommen den am O-Hang der Cordillera Blanca;
Frommen). wird in das 1. Jt. v. Chr. datiert und der
Chateaubriand, François René Vicomte Chavin-Kultur zugeordnet; erhalten ist die
de, frz. Dichter und Staatsmann; 1768– Ruine eines nahezu quadrat. Steinbaus mit
1848; urspr. beeinflusst von Rousseau; Innenhof von 75 m Seitenlänge und etwa
ein Jahr in Nordamerika unter Indianern, 13 m Höhe, in die Außenwände sind Stein-
1792 im Emigrantenheer; 1800–1804 im masken (menschliche Gesichter mit Raub-
Dienste Napoleons, danach dessen erbit- tiergebiss) und Friese eingelassen, die wilde
terter Gegner; Legitimist, seit 1814 Di- Tiere oder Kombinationen anderer Tierar-
plomat im Dienste Ludwigs XVIII.; 1822 ten darstellen.
Außenminister, trieb entschiedene Restau- Chelléen, früherer Name für ↑ Abbevil-
rationspolitik im Geiste der Heiligen Alli- lien.
anz. 1824 entlassen; Übertritt zur liberalen Chemie, Anfänge ↑ Alchemie; die wiss.
Opposition, seit 1830 wieder Anhänger chem. Forschung begann mit Robert Bo-
der Bourbonen. yle (1627–1691); entgegen der herkömm-
Chatten, Germanenstamm zwischen Main lichen Dreielementenlehre (auch die im
und Werra; nahm an der Erhebung des Ar- Altertum und MA bekannten Metalle
minius teil, fiel wiederholt in röm. Gebiet Gold, Silber, Kupfer, Eisen, Zinn, Blei,
ein; röm. Rachefeldzüge 15 n. Chr. (Ger- Quecksilber wurden auf diese 3 Grunde-
manicus), 83 und 89 (Domitian); aus den lemente zurückgeführt) lehrte Boyle, dass
C. gingen die Hessen hervor. alle chem. nicht mehr zerlegbaren Stoffe
Chauken, Germanenstamm zwischen We- Elemente seien, echtes chem. Wissen
ser und Ems, Seefahrer und Piraten; spä- müsse experimentell, durch chem. Ana-
ter im Chattenland; wahrscheinlich in den lyse, nicht autoritativ fundiert sein; auch
Sachsen aufgegangen. Jungius (1587–1657) wendete sich gegen
Chauliac, Guy de, frz. Chirurg des 14. Jh., die Dreielementenlehre und forderte ge-
Arzt am päpstl. Hof zu Avignon, beschrieb naue Messungen mit der Waage; um 1700
die Pest 1348. waren 15 Elemente bekannt; im 18. Jh.
Chaumette, Pierre Gaspard, frz. Revoluti- wurden 19 neue Elemente entdeckt; Black
onär, 1763–1794; als fanatischer Terrorist (1728–99) begründete die Gaschemie
führend beteiligt an den Greueltaten 1792 (Gase können aus festen Körpern entste-
und an der Verurteilung Marie ­Antoinettes; hen). Cavendish (1731–1810) erkannte
hingerichtet. die Zusammensetzung des Wassers, Priest-
Chauvinismus, benannt vermutlich nach ley (1733–1804) die Zusammensetzung
Chauvin, einem Soldaten, der wegen sei- der Luft (Entdeckung des Sauerstoffs, der
ner blinden Schwärmerei für Napoleon be- Salzsäure, des Ammoniakgases, der schwefl.
kannt war; Scribe verewigte den Haudegen Säure und des Kohlen­oxydgases); Richter
in einem Lustspiel als Säbelrassler, der für (1762–1807) erforschte die Gewichtsver-
Frankreichs Kriegsruhm und Machtvergrö- teilung der Grundstoffe in Verbindungen
ßerung lebt und stirbt; Chauvin auch Figur und bei chem. Reaktionen (Stöchiome-
in dem Lustspiel der Brüder Cigniard „La trie) und stellte dazu erste Tabelle auf; La-
cocarde tricolore“; C. ist übersteigerter Va- voisier (1743–1794) nannte quantitative
terlandsstolz, gegen fremde Rechte blinder Messungen Grundforderung der chem.
und oft zur Kriegshetze führender Patrio- Forschung; er erkannte, dass Verbren-
tismus. nung Sauerstoffaufnahme (Oxydation)

162
Chemnitz

ist, und stellte das Gesetz von der Erhal- mögen der Elemente), hochbedeutsam für
tung des Stoffes auf (Summe der Gewichte die Entwicklung der modernen Großche-
der chem. aufeinander wirkenden Stoffe = mie; die räumliche Anordnung der Atome
Summe der Gewichte der entstandenen in Molekülen und Kristallen (Stereoche-
Stoffe); bald danach begründete Dalton mie) erkannte van t’Hoff (1852–1911);
(1766–1844) die moderne Atomlehre: Alle neue Methoden und Erkenntnisse wurden
Körper bestehen aus kleinsten, nicht mehr durch die Entdeckung des Massenwer-
zerlegbaren Teilchen, unveränderlichen tungsgesetzes (1867, Berechnung chem.
Atomen, die bei dem gleichen Element Gleichgewichte), der Osmose (1877), der
gleiche Struktur haben; sie verbinden sich Kolloidchemie (ab 1850) und der Spek-
in ganzzahligen Verhältnissen; Grundein- tralanalyse (1859, dadurch Entdeckung
heit ist das Wasserstoffatom (= 1); nachdem neuer Elemente, Übergreifen der chem.
Galvani (1737–1798), Volta (1745–1827) Forschung auf die Weltallmaterie) gewon-
und Davy (1778–1829) die Vorausset- nen; 1856 gelang erstmals die Herstellung
zungen für die Elektrochemie (Elektrolyse, einer synthet. Anilinfarbe; sie begründete
Elektrothermie) geschaffen hatten, gelang das Zeitalter der chem. Industrie im 19.
es Berzelius (1779–1848), erstmals genaue und 20. Jh. (Stickstoff aus der Luft, Koh-
Gewichte für die Atome von Elementen leverflüssigung, künstl. Kautschuk, Kunst-
festzulegen; er versuchte eine erste Syste- fasern, Zellstoff, Kunststoffe); von nicht
matik der Elemente, führte die Zeichen- geringerer Bedeutung war das Eindringen
sprache der C. ein und schied anorganische in die Chemie der Lebensvorgänge (Bio-
C. der toten von der organ. C. der lebenden chemie, physiolog. Chemie): Erforschung
Körper; doch bewies Wöhler (1800–1882) des Blutfarbstoffes, des Chlorophylls, der
durch die Synthese von Harnstoff (aus Am- Vitamine, Hormone, Fermente, des Zell-
moniak u. a.), dass organ. Stoffe auch aus plasmas; Entdeckung der Antibiotika;
toten Stoffen entstehen können; um 1800 chem. Herstellung von Heilmitteln (z. B.
begann fabrikmäßige Herstellung chem. Sulfonamide); Chemotherapie und chem.
Produkte (Schwefelsäure, Soda, Chlor- Schädlingsbekämpfung; der Ausbau der
kalk, Rübenzucker), im 19. Jh. Ausbau der Atomphysik brachte neue (meist künst-
chem. Theorie, der Experimente, der Nut- liche) Elemente (Transurane) und Klärung
zung chem. Forschungsergebnisse; 50 neue über den wirklichen Charakter der Materie
Elemente wurden entdeckt und Ordnung und ihren Aufbau aus Atomen und deren
in die Vielzahl der Elemente gebracht; das Elementarteilchen; er ergab zugleich, dass
gelang L. Meyer (1830–1895) und Men- chem. Vorgänge sich nur im Schalenbe-
delejew (1834–1907), die die Elemente reich der Atome, innerhalb des Elektro-
nach ihren Atomgewichten ordneten und nengürtels, abspielen; der Begriff C. wird
erkannten, dass das Atomgewicht den heute jedoch auch auf Atomkerne ange-
Charakter des Elementes bestimmt (Pe- wandt und meint dann die Vorgänge bei
riodisches Sys­tem der Elemente); Liebig natürlich oder künstlich ausgelösten Um-
(1803–1873) begründete die Agrarchemie, wandlungsprozessen im Kern (Kernche-
indem er die Bedeutung der Mineralien mie).
für die Pflanzenernährung erfasste (Kunst- Chemnitz, 1) C., Martin, bedeutendster
dünger); Kekulé (1829–1896) erkannte die luther. Theologe im Zeitalter der Gegen-
Vierwertigkeit des Kohlenstoffes und die reformation, 1522–1586; maßgebend
Ringstruktur des Benzols und wurde da- beteiligt an dem Zustandekommen der
mit zum Begründer der Valenztheorie (Va- ↑ Konkordienformel. 2) C., Philipp Bogis-
lenzwertigkeit, gegenseitiges Bindungsver- law von, Geschichtsschreiber, 1605–1678;

163
Cheops

Enkel von 1), dt. Reichshistoriograf in Childebert I., fränk. König, um 495–558;


schwed. Diensten, verteidigte die Rechte Sohn und (511) Nachfolger Chlodwigs im
der Reichsstände und den Protestantis- Gebiet der Bretagne bis zur Somme, zer-
mus gegen das habsburgische Kaisertum; störte 534 mit seinem Bruder Chlotar das
schrieb eine Geschichte der Teilnahme Burgunderreich.
Schwedens am 30-jährigen Krieg. Childerich, fränk. Könige aus dem Hause
Cheops (Chufu), König von Ägypten der Merowinger: 1) Ch. I. (457–481), Va-
(4. Dynastie) um 2540 v. Chr.; Erbauer der ter Chlodwigs; sein Grab in Tournai reich
größten Pyramide bei Giseh und des an- an merowing.-fränk. Beigaben. 2) Ch. II.
schließenden Reichsfriedhofs (Grabbauten (670–673), herrschte anfangs nur in Aus-
der hohen Beamten). trasien; bemächtigte sich 673 auch Neu-
Chephren (Chafra), König von Ägypten striens und Burgunds. 3) Ch. III. (743–
(4. Dynastie), um 2510 v. Chr.; Erbauer der 751), letzter Merowinger auf dem Thron,
zweitgrößten Pyramide im Reichsfriedhof von den Söhnen Karl Martells abgesetzt
von Giseh (früher Totenstadt von Mem- und ins Kloster geschickt.
phis) mit berühmtem Bildnis (Diorit) als Chile, Staat in S-Amerika; von ­ Spaniern
Gottkönig mit dem Horusfalken. (Almagro) seit 1539 erobert und dem Vize-
Cherbourg, Hafenstadt in der Normandie königreich Peru einverleibt; seit 1778 span.
auf der Halbinsel Cotentin; im MA um- Generalkapitanat; 1810–1818 Kampf für
kämpft von England und Frankreich, das die Unabhängigkeit, danach Republik, Dik-
C. 1450 endgültig eroberte; unter Lud- tatur des Präsidenten O’Higgins (1818–
wig XIV. zur stärksten Seefestung Frank- 1823); 1840–1860 wirtsch. Aufstieg; neue
reichs ausgebaut, 1758 von den Engländern Kupfer- und Silberminen, Eisenbahnen,
erobert und geschleift; von Ludwig XVI., Einwanderung (bes. aus Deutschland),
Napoleon I. und Napoleon III. erneut aus- Schulen, Gründung der Universität San-
gebaut und erweitert; 1944 durch die Alli- tiago (1843); C. gewann 1879–1884 im
ierten schwer beschädigt. Krieg gegen Bolivien und Peru das wert-
Cherusker, german. Stamm im Weserge- volle Kupfer- und Salpetergebiet an der
biet, der als Kern der unter ↑ Arminius ver- Küste; ­Weltmonopol C.s in Salpeter durch
bündeten Stämme 9 n. Chr. den Römern die dt. Stickstoff­gewinnung aus der Luft
die Niederlage im Teutoburger Wald bei- im 1. Weltkrieg gebrochen, seitdem Wirt-
brachte, sich auch 1416 gegen Germanicus schaftskrisen und soziale Unruhen; 1943
behauptete; ging später vermutlich in den Kriegserklärung an Japan; im 2. Weltkrieg
Sachsen auf. erneut wirtsch. Aufschwung durch Roh-
Chester, Hauptstadt der westmittelengl. stoffexporte v. a. in die USA; 1952 militä-
Grafschaft C., altröm. Gründung im Stadt- rischer Beistandspakt mit den USA; 1961
bild erkennbar, besterhaltene mittelalterl. Währungsreform und Zehnjahrespro-
Stadt Englands (Mauern, Fachwerkbauten, gramm für Wirtschaftsausbau. 1964 nach
romanisch-got. Dom). dem Wahlsieg des Christdemokraten Frei
Chichén Itzá, Mayastadt, um 600 n. Chr. Reformprogramm. 1970 Präsidentschaft
in der Nähe von Quellen auf der Halbin- des Sozialisten ↑ Allende nach dem Wahl-
sel Yucatán gegr.; 1007 im Städtebund mit sieg der Volksfront; Verstaatlichungen und
Mayapan und Uxmal; 11–13. Jh. Hoch- Landreform. 1973 Militärputsch unter Ge-
blüte, Bau von Tempelpyramiden, Paläs­ neral Pinochet, Ermordung Allendes; Mili-
ten, Observatorium, Ballspielplatz; dann tärregierung verhängte Belagerungszustand
von Mayapan unterjocht; in span. Zeit be- und hob die Verfassung auf, Auflösung von
reits in Trümmern (↑ Maya). Kongress und Partei, Aufhebung der polit.

164
China

Freiheiten, Verhaftungswelle. 1978 wurde Tschungkuo („Reich der Mitte“) genannt;


der Belagerungszustand aufgehoben (der Zentrum der großen Ebene zw. Hoangho
Ausnahmezustand blieb jedoch aufrecht), und Jangtse, hier auch die dichteste Besied-
die Militärregierung nahm erstmals Zi- lung. – Ur- und Vorgeschichte nur sehr lü-
vilisten auf. 1980 neue Verfassung. 1988 ckenhaft bekannt (keine systemat. Gra-
sprach sich in einem Plebiszit die Mehrheit bungen); Menschen schon um
der Bevölkerung gegen eine Verlängerung 500 000 v. Chr. in C. nachweisbar (Peking-
der Amtszeit von Präsident Pinochet aus, Mensch, Sinanthropus pekinensis: Reste
1989 Wahlsieg des Christdemokraten Azó- von 40 Altsteinzeitmenschen, die das Feuer
car, der einem Wahlbündnis aus 17 Par- und einfache Steinwerkzeuge kannten,
teien vorstand; damit Ende der Militärdik- doch primitiver als der Neandertaler wa-
tatur Pinochets, der jedoch als Oberbefehls­ ren); Reste sichtbarer Kultur im Neolithi-
haber des Heeres sowie als Mitglied des Se- kum im Hoangho-(Gelber Fluss-)Gebiet;
nates und des Nationalen Sicherheitsrates Bauernkultur mit zahlreichen Dörfern; ab
weiter großen Einfluss besaß. 1993 Ein- 2500, vielleicht durch Einwanderung,
richtung von Sondergerichten zur Abur- Yangschao-Kultur (Kansu, Schensi,
teilung von Menschenrechtsverletzungen Schansi, Hoanan und nördl. China), von
während der Zeit der Militärdiktatur, de- weitreichendem Einfluss; noch ohne Me-
nen sich jedoch Pinochet, geschützt durch tall; Anbau von Hirse, Reis, Weizen; Na-
seine Ämter, nicht stellen musste. Der Ex- turkult (Ströme, Berge, Quellen sind Göt-
General wurde erst 1998 in England ver- ter, Obergott die Erde, Glaube an eine
haftet, 2002 wurde in C. Anklage gegen sinnliche und eine Charakterseele), Zau-
ihn erhoben, das Verfahren jedoch wegen berbann, Ahnendienst (Ahnen sind Ober-
seiner Demenz eingestellt. 1994–2000 war häupter der Patriarchalfamilie); rote,
der Christdemokrat E. Frei Ruiz-Tagle Prä- schwarze, gelbe Keramik. – Seit etwa
sident, Modernisierung von Wirtschaft 2000–1500 Lungschan-Kultur (in Schan-
und Gesellschaft, 2000 gewann der Sozi- tung, Nord-Honan, Anhui, Schekiang, Ki-
alist Ricardo Lagos die Stichwahl um das angsu in NO-C.); ebenfalls noch ohne Me-
Präsidentenamt. tall, mit befestigten Siedlungen; graue,
Chilliasmus (griech. chilioi, 1000), die schwarze Keramik; seit etwa 1800 Beginn
auf Matth. 26, 29 oder Apokalypse 20, 2–4 staatlicher Organisationen (erste Königs-
gestützte Erwartung des Tausendjährigen dynastie); Beginn der Bronzezeit. – Alter-
Reiches Christi auf Erden, anschließend tum: seit etwa 1500–1100 v. Chr. durch
Überwindung des Satans, Untergang der König Tang begr. Schang-Dynastie (Her-
Welt, Totenauferstehung, Jüngstes ­Gericht; kunft unbekannt), Zentrum Nordost-Ho-
besonders starke Bewegung im 8. Jh., dann nan („Reich der Mitte“); losere Staatsorga-
bei der ersten nachchristlichen Jahrtau- nisation (priesterliches Erbkönigtum, das
sendwende, im Spät-MA und in der Refor- die sittliche und gesellschaftliche Gesamt-
mationszeit durch protestant. Sektierer. ordnung, das Tao, zu sichern hatte, der Kö-
Chilperich I., fränk. König aus dem Hause nig war absetzbar; Gaufürsten); z. T. Ab-
der Merowinger (561–584); Teilherrscher kehr von der Langschau-Kultur, jetzt fan-
in Neustrien, führte Kriege gegen seine tast. Tierornamentik (Drachen, Schlan-
Brüder; ließ seine Gattin Galswintha, gen); hohe Bronzekunst (Dämonenmas-
Schwester Brunhildes, ermorden. ken), weiße Keramik; Erweiterung des
China, historisch das chin. Reich in seiner Ackerbaus; Haustiere, auch Opfertiere wa-
wechselnden Ausdehnung, von den üb- ren Rind, Schwein, Hund, Schaf, Wasser-
rigen Asiaten Kitai, von den Chinesen büffel, Pferd; Seide und Hanfanbau; man

165
China

glaubte an den Himmelsgott Schau, an Ende des chin. Kaisertums 1911/1912 Be-
Götter und Dämonen (Menschenopfer); stand hatte; das geeinigte Reich wurde zen-
um 1300 wurde Yin in N-Honan Resi- tral verwaltet, erhielt einheitliche Maße,
denz, Umbenennung der Schang in Yin; Gewichte und einheitliche Schrift; oberste
Orakelpriester benutzten Kultschrift (2 000 religiöse Wesenheit war der Himmel; der
Zeichen); Übergriffe der Könige, Religi- Herrscher von Chin nannte sich „Erster,
onsverfall führten zur Opposition der Gau- erhabener Kaiser“; in dieser Zeit begann
fürsten; Gaufürst von Tschou beseitigte die gegen das zwischen Mongolei und Pamir
Dynastie Schang-Yin. Tschou-Zeit um bestehende Hunnenreich der Bau der
1100–256 v. Chr.; die Tschou organisierten Großen Mauer (↑ Chinesische Mauer, zu-
und sicherten das Land militär. und teilten nächst als Wall); Ausrottung der feudalen
es in eine große Zahl von Lehen auf; das Überlieferung durch Bücherverbrennung
Handwerk war stark gegliedert; im 10. Jh. (213); die absolutist. Dynastie Chin brach
von N-C. her Ausdehnung des Reiches in einer Rebellion zusammen; der Trup-
nach Osten und Südosten durch Erobe- penführer Kiu Ki (Kaiser Kao-tsu) grün-
rungszüge der Lehensfürsten; in der dete die Han-Dynastie 206 v. Chr.–
Tschou-Zeit wurde das Muschelgeld durch 222 n. Chr.; weiterhin Abwehrkämpfe ge-
Kupfer- und Bronzegeld ersetzt; in den gen die C. bedrohenden Hunnen; um
Städten bildete sich Handel treibender 190 n. Chr. Beseitigung des Bücherver-
Kaufmannsstand; im Laufe des 8. Jh. trat botes, Blüte einer mag. Theologie und pro-
die Tschou-Dynastie gegenüber den Terri- faner Wissenschaften (Dichtung, Ge-
torialherren (Fürstenbünde, z. T. gegen schichtsschreibung); Kaiser Wu-ti (140–
Hunnen gerichtet) stark zurück; in die 87 v. Chr.) drängte die Hunnen in die
Kämpfe der Lehensstaaten wurden die Wüste Gobi zurück, unterwarf Teile Ko-
Bauern hineingerissen, die zunehmend reas, südchin. Küstengebiete, eroberte das
verarmten; das Lehenswesen wurde besei- Tarimbecken und führte C. zu einem ers-
tigt; zur Hebung der Wirtschaft staatlich ten Höhepunkt; gegen die Verarmung
organisierte Kanal- und Deichbauten. Un- durch die Kriege kämpfte er durch Landre-
ter der Tschou-Dynastie, auch in ihrer Ver- form an (Weinbau, Großgüter, Staatsmo-
fallszeit, bedeutendes literar. und philo- nopole); doch zunehmend Wirtschaftskri-
soph. Leben; die Kultschrift wurde zur all- sen und Überbevölkerung, zahllose Bauern
gemeinen Schrift; gegen den religiösen sanken zu Pächtern herab; unter Wu-ti
Verfall trat um 500 ↑ Lao-tse auf (↑ Taois- Ausdehnung des chin. Handels über Zen-
mus), der die myst. Versenkung in die All- tralasien (↑ Seidenstraße); die Herrschaft
natur lehrte; fast um die gleiche Zeit wirkte der Han-Dynastie wurde zeitweise unter-
↑ Konfuzius, der zur Pflege der Tradition brochen durch die Herrschaft des Kaisers
aufrief und die Pflichten gegenüber der Fa- Wang Mang (9–23 n. Chr.) aus dem ver-
milie über die Pflichten gegenüber dem wandten Hause Hsin, unter dem die zen-
Staat stellte. Die Territorialherren von tralasiat. Eroberungen größtenteils verlo-
Chin im Norden, die alle anderen Teil- ren gingen; unter den Nachfolgern, die
staaten (Tschao, Yen, Wei, Tschu und Tsi) wieder der Han-Dynastie angehörten,
unterwarfen, machten der Herrschaft der durch Berührung mit den Persern, Indern
Tschou ein Ende und begründeten als erste und dem hellenist.-röm. Orient starke
Dynastie des MA die Chin-Dynastie, 256– fremde Kultureinflüsse; das Kaiserreich ge-
206 v. Chr.; der von ihr gegründete absolu- wann seine alte Machtstellung wieder und
tist. Staat wurde zum universalen Kaiser- erweiterte sein Gebiet um Annam, Tong-
staat, der in wechselnden Formen bis zum king und Turkestan; auf der Seidenstraße

166
China

Handel bis ins Römerreich; seit etwa See, Vernichtung des nordkorean. Reiches;
100 n. Chr. erneute Hunnenbedrohung Kaiser Hsüan-Tsun 713–756 (Blüte der Li-
und Aufstände der Militärbefehlshaber; teratur). – In der Tang-Zeit Entfaltung der
doch zunehmende Erschließung Südchinas Pagoden- und Tempelkunst, Grabanlagen
und Besiedlung durch nord- und mittel- mit Geisteralleen; reiche lyrische Dichtung
chin. Reisbauern. – In der Han-Zeit er- (Litaipe 701–770) und hohe Gelehrsam-
neute Blüte der Literatur (Geschichts- keit; christliche Missionare (Nestorianer
werke, Lehrgedichte, Literatursamm- um 780); unter Kaiser Wu-tsung (841–
lungen). Ausbildung einer realist. Kunst, 846) Verfolgung des Buddhismus und Sä-
der Drache wurde zum Reichssymbol; das kularisierung seiner Kirchengüter und Klö-
Staatsdenken wurde vornehmlich durch ster; Ausrottung der Christen. – Unter den
den Konfuzianismus bestimmt; seit etwa Nachfolgern Bauern­kriege. Nach Zerrüt-
60 n. Chr. (unter Kaiser Ming-ti) kam je- tungen und Reichs­teilungen Sung-Dy-
doch von Indien her der ↑ Buddhismus nastie, nördl. mit Hauptstadt Kaifang und
nach C. und begann mehr und mehr das südl. mit Hauptstadt Nanking oder Hangt-
geistige Leben zu bestimmen; buddhist. schou, 960–1269. Zur Herstellung der
Bücher wurden übersetzt, Chinesen pilger- Reichseinheit große Reformen unter Kai-
ten in die Heimat Buddhas; starke wechsel- ser Schen-tsun (1068 bis 1085), Außen-
seitige Beeinflussung auf dem Gebiet der handel mit Indochina und Indonesien. Das
Philosophie und Literatur. Seit 222 Auf- Reich verlor durch tungus. Staatsgrün-
spaltung in drei Reiche; später, nach vorü- dungen den Norden und wurde von 1211
bergehender Einigung (265–317) und Ein- an durch Mongoleneinfälle erschüttert
fall der Hunnen in N-C., Trennung in N- (↑ Dschingis Khan eroberte Peking), Teile
(Reich der Wei) und S-C. (317–589) mit Chinas wurden den Mongolen tribut-
starker innerer Zerrüttung; doch weitere pflichtig; trotz des zunehmenden Nieder-
Kolonisierung in den südl. Küstenbezirken gangs Blüte des geistigen Lebens, der Dich-
und Ausbildung von kulturellen Zentren tung, der Philosophie („Buddhist. Scholas-
in den verschiedenen Reichsgebieten; Blüte tik“), der Geschichtsschreibung, der Land-
der buddhist. Kultur unter den Kaisern des schaftsmalerei und der Baukunst (erstes
6. Jh.; der Süden trieb Handel mit Südosta- Porzellan). ↑ Mongolen-Dynastie, 1271–
sien und Indonesien. Erneute Wiederher- 1368; C. wurde Chanat (Teilstaat) des Rie-
stellung der Reichseinheit durch den süd- senreiches der ↑ Mongolen, die 1274 und
chin. Feldherrn Yang Chien, Gründung 1281 von Korea aus auch Japan zu besetzen
der Tsui-Dynastie, 569–617; unter ihr Ka- suchten; das Reich – erster Großkhan war
nalbau Jangtse-Hoangho, verlustreiche Kublai Khan (1280–1294) – hatte rund
Kämpfe gegen die Türken, Indochinesen 38 Mio. Einwohner; die Bewohner waren
und Koreaner; Einführung des Prüfungs- in vier Klassen eingeteilt: Mongolen,
wesens für die Beamten (bis ins 20. Jh. be- ­Innerasiaten, Nordchinesen, Südchinesen;
stehend). – Mit türk. Hilfe kam die Tang- die Verwaltung fast ausschließlich in Hän-
Dynastie, 618–907, zur Herrschaft und den von Mongolen; in dieser Zeit ↑ Marco
zentralisierte das Reich von Neuem. Be- Polo in C.; Bau des Kaiserkanals Hangt-
deutender Herrscher Tsai Tsung (626– schou-Peking; Eindringen des Islams; Ab-
649); C. war Weltreich; Kulturaustausch stieg seit 1307 durch Thronfolgestreitig-
mit Indien, zeitweise Lehenshoheit über keiten und Parteikämpfe; den südchin. Na-
das Sassanidenreich; Einflussnahme auf Ti- tionalisten gelang es 1368, die Mongolen
bet und Japan; Kaiser Kao-Tsun (650– zu vertreiben, die sich in die ↑ Mongolei
683): Machtbereich bis zum Balchasch- zurückzogen, aber auch weiterhin das Land

167
China

beunruhigten. Ming-Zeit, 1368–1644; sensphären; 1840–1842 ↑ Opiumkrieg, im


unter Kaiser Tsai-tsu (1368–1398) wurden anschließenden Frieden von Nanking 1842
alle Nichtchinesen aus den Ämtern vertrie- Abtretung von Hongkong an England,
ben; Küstenbefestigungen gegen drohende Freigabe mehrerer Häfen für den Europa-
jap. Invasion; Korea machte sich selbstän- handel, später durch Handelsdiktate erwei-
dig; unter Tscheng-tsu (1402–1424) er- tert; 1850 Beginn des Taiping-Aufstands
neute Einfälle der Mongolen; 1420 wurde (Aufstand sozialrevolutionärer Sektierer),
Peking wieder Hauptstadt, Bau des Him- die Aufteilung von Grund und Boden for-
melsaltars und der Ming-Gräber in Nan- derten und Mittelchina besetzten und ver-
king; Bau einer Flotte gegen Japan; 1514 wüsteten; nach der militär. Intervention
erschienen erstmals portug. Schiffe und Englands und Frankreichs (↑ Lorcha-Krieg
gründeten Handel treibend 1567 die Kolo- wegen angeblicher Schändung einer brit.
nie ↑ Macao; ab 1581 Jesuitenmission in Flagge auf dem chin. Schiff Lorcha, Beset-
China, erste christliche Kirchen; der Jesuit zung Pekings, Zerstörung des Sommerpa-
Joh. Adam Schall von Beill (1619–1665) lastes), 1860 Vertrag von Tientsin; Freigabe
war Leiter der kaiserlichen Sternwarte; weiterer Vertragshäfen, europ. Gesandt-
1622 setzten sich die Holländer auf For- schaften in Peking, Exterritorialität der
mosa fest; Europa erhielt nähere Kunde Fremden, freie christliche Mission; Verlust
vom Weltreich C. (Chinoiserien in der eu- Amurs und der Fernostprovinz Sibiriens an
ropäischen Kunst); unter dem letzten Russland; 1876 wurde China gezwungen,
Ming-Kaiser Einbruch der tungus. Man- Gesandtschaften im Ausland zu unterhal-
dschu, die in der Mandschurei ein Reich ten. 1885 fiel Annam an Frankreich, 1886
errichteten und 1644 Peking eroberten. Burma an England; nach dem chin.-jap.
– Neuzeit: Mandschu-Zeit, 1644–1911: Krieg von 1894/95 um Korea trat China
Die Mandschu, die mit der Zeit zu Chine- im Vertrag von Schimonoseki Formosa
sen wurden, sicherten ihre Herrschaft (Taiwan) und die Pescadores-Inseln an Ja-
durch über das ganze Reich verteilte Garni- pan ab; Korea wurde „unabhängig“; 1896
sonen; Kaiser Kang-hi (1662–1722) schuf erzwang Russland die Benutzung der nord-
zentralist. Verwaltung (Besetzung der Äm- chin. Bahn nach Wladiwostok; 1898 be-
ter durch je einen Chinesen und einen setzte Deutschland als Vergeltung für die
Mandschu) und förderte die Kolonisation, Ermordung von Missionaren Kiautschou
besetzte 1683 Formosa und legte 1689 die mit Tsingtau; die fremdenfeindliche Bewe-
Grenze gegen Russland fest; die Mongolen gung führte 1900 zum Aufstand der ↑ Bo-
unterwarfen sich 1696; der Kanon der xer und zum Eingreifen europ. Mächte, der
konfuzian. Schriften wurde festgelegt; gro- USA und Japans; Besetzung Pekings; hohe
ßer Einfluss der christl. Missionare, jedoch Sühnegelder, die C.s Finanzwirtschaft wei-
1724 Verbot der christl. Mission; unter ter zerrütteten; die einsetzenden Reform-
Kaiser Kien-lung (1735–1795) größte Aus- bestrebungen (Plan einer Verfassung, Be-
dehnung des chin. Reiches; 1751 wurde seitigung der Beamtenprüfungen, Eisen-
Tibet chin. Protektorat, 1758/59 wurde bahnbau) konnten das Kaisertum nicht
Ostturkestan besetzt, Burma und Nepal mehr retten. – Neueste Zeit: 1911 Revolu-
anerkannten die chin. Oberhoheit; um die tion der Jungchinesen unter ↑ Sun Yatsen,
Mitte des Jh. hatte C. 100 Mio. Einwoh- dem Führer der 1905 gegr. revolutionären
ner, Ende des 18. Jh. 275 Mio. – Das Kuomintang-Partei; Sturz der Mandschu-
19. Jh. war gekennzeichnet durch das Ein- Dynastie. Der mit den Revolutionären
greifen der westeurop. Seemächte und die paktierende General Yüan Schikei wurde
Politik der Aufteilung Chinas in Interes- 1. Präsident der Chin. Republik; Abfall Ti-

168
China

bets und der Mongolei; Generalsherrschaft; trieunternehmen, große Produktionsstei-


im 1. Weltkrieg Besetzung Kiautschous gerung. 1964 Explosion der ersten chin.
und Eingreifen in die Innenpolitik durch Atombombe in Zentralasien. 1965 ent-
Japan; seit 1920 Bürgerkrieg der Generale; fachte Mao Tse-tung die „Kulturrevolu-
zunehmender Einfluss der UdSSR; seit tion“ gegen die bürokratische Praxis der
1925 war ↑ Tschiangkaischek Führer der Parteihierarchie, die „Roten Garden“
Kuomintang; dann Auseinanderfall der dienten der Mobilisierung eines revolutio-
Partei (nach dem Tod Sun Yat-sens) in nären Bewusstseins. 1971 Aufnahme der
Kommunisten (↑ Mao Tse-tung) und Nati- Volksrepublik C. in die UN. Die Öffnung
onalchinesen (Tschiangkaischek); T. gelang nach Westen signalisierte 1972 der Besuch
es, Nord und Süd zu einigen (1928); Nati- des amerik. Präsidenten Nixon in China.
onalversammlung 1931, doch im gleichen 1976 nach dem Tode Maos innere Unru-
Jahre Besetzung der Mandschurei durch Ja- hen und Machtkämpfe. Ausschaltung der
pan („Kaiserreich Mandschukuo“ von Ja- radikalen Fraktion um Maos Witwe ↑ Ts-
pans Gnaden, ab 1934) und Vordringen chiang Tsching (sog. „Viererbande“).
nach Innerchina; Chin.-jap. Krieg 1937– ↑ Hua Guofeng übernahm den Vorsitz im
1945 (Eroberung Pekings, Tientsins, Nan- ZK der KPCh (bis 1981), der in der Kul-
kings, Tsingtaus, Kantons; Blockade der turrevolution entmachtete ↑ Deng Xiao-
Küste; Vormarsch stockte nach Überflu- ping kehrte 1977 in seine Ämter als stell-
tung der Hoangho-Ebene und durch Parti- vertretender Ministerpräsident und stell-
sanenkrieg); nach Bau der ↑ Burmastraße vertretender Vorsitzender des ZK zurück.
Gegenoffensive C.s; nach Ende des Krieges Seitdem wirtsch. Liberalisierung: Herab-
neuer Bürgerkrieg (der Nationalchinesen setzung des Kollektivierungsniveaus, Leis­
unter Staatspräsident Tschiangkaischek seit tungsprinzip im Lohnsystem, Technolo-
1948) gegen die Kommunisten unter Mao gieimport aus dem Westen; Rückbesin-
Tse-tung, dem Präsidenten der seit 1949 nung auf die klass. chin. Traditionen in der
bestehenden „Chin. Volksrepublik“; nach Kultur. 1979 diplomat. Anerkennung
Niederlage Flucht der Nationalchinesen durch die USA. 1978 Krieg mit Vietnam.
nach Formosa („Nationalchina“, ↑ Tai- 1983 und 1986 „Rektifizierungskampa-
wan); in „Rotchina“ radikale Landreform, gne“ zur Säuberung der Partei von „radi-
Kollektivierung, gesteigerte Industrialisie- kalen“ Mitgliedern. Eine Bewegung für
rung, Beistandspakt mit der UdSSR 1950; Freiheit und Demokratie, getragen haupt-
im gleichen Jahre Eingreifen in den Korea- sächlich von Studenten, wurde im Juni
krieg (↑ Korea) und Eroberung Tibets; 1989 blutig niedergeschlagen; dies führte
1958 Überspringen der „sozialist.“ Stufe vorübergehend zur polit. Isolation Chinas,
der Industrialisierung (↑ Kommunismus) seine Bedeutung als Absatzmarkt und als
durch Gründung der Volkskommunen (ex- bevölkerungsreichstes Land der Welt be-
zessives Kollektivierungssystem, Aufhe- wirkte jedoch eine rasche Reintegration.
bung der Unterschiede zw. Stadt und Land, Auch nach dem Tode Deng Xiaopings
Kampf gegen altchin. Familienordnung), 1997 blieb die chin. Führung unter Min.
um den „letzten Zustand der Geschichte“ Präs. Li Peng (1988–1998) und Parteichef
zu erreichen; ideolog. Kampf mit dem Jiang Zemin (seit 1989, seit März 1993
Kommunismus der UdSSR um die Mög- auch Staatspräsident) bei dem eingeschla-
lichkeit der vorzeitigen Verwirklichung der genen Kurs einer liberalen Wirtschaft ei-
kommunist. Gesellschaftsordnung und der nerseits, der Unterdrückung jegl. Demo-
„Koexistenz“ mit den „kapitalist.“ Län- kratiebewegungen andererseits. 2001 Auf-
dern. Bis 1966 Verstaatlichung aller Indus- nahme in die WTO, auch unter Min.Präs.

169
Chinamensch

Wen Jiaobao (seit 2003) weitere wirtsch. 1. Jh. v. Chr.; der Grieche Hippokrates
Öffnung bei gleichzeitigen vorsichtiger po- (5. Jh. v. Chr.) verfügte über chirurg. Er-
lit. Reformen (Lockerung der “Ein-Kind“- fahrung trotz geringer anatom. Kennt-
Politik, 2003 Verfassungsänderung: nisse (Behandlung von Knochenbrüchen,
Grundrechte auf Streik und Freizügigkeit Bauchhöhlenoperationen); mit schweren
sowie “Recht auf Privatsphäre”). Blutungen verbundene Operationen konn-
1997 erhielt C. die ehem. brit. Kronko- ten erst durchgeführt werden, als die Un-
lonie Hongkong zurück, 1999 die portug. terbindung der Blutgefäße bekannt war, die
Kolonie Macao, beide behielten als “Son- der Enzyklopädist ↑ Celsus für die Zeit um
derverwaltungszonen” ihr Wirtschaftssy- 50 n. Chr. überliefert; im MA fand die C.
stem, während die polit. Führung durch eine Pflegestätte in der medizin. Schule von
eine chinafreundliche ersetzt wurde. Salerno, die die Kenntnisse der Araber dem
Chinamensch, ↑ Paläolithikum. Abendland vermittelte, hier Ausbildung
Chinesische Mauer, von Kaiser Schi Hu- von geschulten Chirurgen für die Kreuz-
ang-ti Ende des 3. Jh. v. Chr. zum Schutz züge; im 13. Jh. wurden frz. Wund­ärzte
gegen Angriffe von Nomadenvölkern aus (Schule von Paris, Montpellier) Lehrmei-
dem Norden zunächst als Erdwall ange- ster der C.; Höhepunkt der C. im 16. Jh.
legt; im 15. Jh. zur gemauerten Befesti- war das Wirken des Franzosen Ambroise
gung ausgebaut; Länge 2450 km, Höhe bis Paré, der vier frz. Königen als Leibarzt auf
16 m, Dicke bis 8 m, größte Bauanlage der ihren Feldzügen folgte und die Behand-
Welt; Renovierung durch die kommunist. lung von Schusswunden verbesserte, die
Regierung. Gefäßunterbindung wiederentdeckte und
Chioggia, Stadt bei Venedig; 1381 Sieg der den Kaiserschnitt versuchte; auch ↑ Para-
Venezianer über die Genuesen; Sicherung celsus förderte die vernachlässigte, den Ba-
der Vorherrschaft Venedigs. dern, Feldscherern, Steinschneidern und
Chirac, Jacques René, frz. Politiker, geb. Schröpfern überlassene „niedere C.“ durch
1932; 1972–74 Landwirtschaftsminister, vorzügliche Anweisungen in der Wundbe-
1974 Innenminister, 1974–76 Premiermi- handlung; drei entscheidende Fortschritte
nister. Seit 1977 Bürgermeister von Paris, brachte erst das 19. Jh.: die antiseptische
1986–88 wiederum Premierminister, un- Wundbehandlung (↑ Lister), die Narkose
terlag bei den Präsidentschaftswahlen 1988 (Long, Morton, Simpson, Braun u. a.) und
dem Amtsinhaber ↑ Mitterrand, konnte die künstliche Erzeugung von Blutleere an
1995 schließlich dessen Nachfolge antre- den Operationsstellen (↑ Anatomie).
ten. 1997 durch Sieg der Linken bei den Chlodomer, König der Franken, 511–524;
Parlamentswahlen geschwächt, musste den Sohn und Teilerbe Chlodwigs, residierte in
Sozialisten Jospin zum Premierminister be- Orléans.
rufen. 2002 (erst in der Stichwahl gegen Chlodwig (Chlodowech, Ludwig), König
den extremen Rechten Le Pen) in seinem der salischen Franken aus dem Hause der
Amt als Staatspräsident bestätigt. Merowinger, um 466–511; Sohn Childe-
Chirurgie (griech., Eingriff mit der Hand), richs I., trat 482 die Herrschaft an, begrün-
neben der Geburtshilfe ältester Zweig der dete das Fränk. Reich durch Beseitigung
Heilkunst; Amputationen, Schienen ge- der anderen salischen Gaukönige, schließ-
brochener Glieder, Schädelöffnungen wur- lich auch der ripuarischen und durch
den von den Wundärzten der Ägypter vor- Siege über die Römer (↑ Syagrius erlag bei
genommen; von noch höheren chirurg. ­Soissons 486), über Alemannen und West-
Kenntnissen zeugt das ind. Werk „Ayur- goten; trat 496 zum (kath.) Christentum
veda“ (Buch der Lebenskunde) aus dem über (der Arianismus der Ostgermanen

170
Christentum

entscheidend überwunden, Voraussetzung Reich, das 1194 das Seldschukenreich er-


für die Reichseinheit); übernahm das zen- oberte, dann von den Mongolen zerstört
tralist. Verwaltungssystem der Römer, be- wurde; im 16. Jh. usbek. Teilreich (Khanat
wahrte aber auch die german. Tradition Chiwa), Sklavenhandelszentrale; 1873 von
(Aufzeichnung der Lex salica). Russland erobert, mit zarist. Generalgou-
Chlothar, fränk. Könige aus dem Hause vernement Usbekistan vereinigt; Baum-
der Merowinger: 1) C. I. (511–561); Sohn wollgebiet.
Chlodwigs I. und dessen Nachfolger im Chorherren, Angehörige eines Ordens, die
nordwestl. Teil des Reiches seit 511, be- nicht nach der Mönchsregel, sondern nach
teiligte sich an der Vernichtung der Reiche den Richtlinien für Kleriker leben; entstan-
der Thüringer und Burgunder, überlebte den im Gefolge der mittelalterl. Kirchenre-
seinen Bruder, dadurch 558 noch einmal form. Ihnen obliegt der gemeinsame Chor-
König des Gesamtreiches. 2) C. II., gest. dienst, Seelsorge, Unterricht und Wissen-
629, kam 584 als Sohn Chilperichs I. im schaft.
Alter von vier Monaten unter Regentschaft Chosrau, sassanidische Perserkönige:
seiner Mutter Fredegunde auf den Thron 1) C. I. (531–579); erhob das Buch Ave-
von Neustrien; das Edictum Chlotarii sta (Kanon des Zarathustra) zur religiösen
(614) festigte die Stellung des Adels und Autorität; Freund griech. Bildung; kämpfte
der Hausmeier; 623 abgedankt. gegen Byzanz, gegen die „weißen Hun-
Choiseul-Amboise, Etienne François, nen“, Inder und Araber. 2) C. II. (590–
Herzog von, frz. Staatsmann, 1719–1785; 628); machtvoller Eroberer (Syrien, Nord-
Günstling der Pompadour, brachte 1756 ägypten) und verhasster Despot, ermordet.
als Gesandter in Wien das Bündnis mit Chotusitz, böhm. Städtchen; 1742 Sieg
Österreich zustande; 1758–1770 Außen- Friedrichs d. Gr. über die Österreicher.
minister und zeitweilig Kriegsminister; Chouans, die royalist. Aufständischen der
Gegenspieler Englands im Kampf um die Bretagne gegen die Revolutionsrepublik,
koloniale Vorherrschaft; setzte 1762 das benannt nach ihrem Anführer Jean Cotte-
Verbot der Jesuiten in Frankreich durch; reau, mit dem Beinamen „Chouan“ (Uhu);
reorganisierte Heer und Flotte nach 1763, führten 1792–1799 einen blutig niederge-
gewann 1768 Korsika für Frankreich. schlagenen Guerillakrieg (Chouanerie).
Cholera, in Ostasien heimische Infekti- Christentum, die von ↑ Jesus von Nazareth
onskrankheit; in Europa epidemisch zuerst – genannt „Christus“ = Gesalbter Gottes
1831 aufgetreten, zuletzt 1892 in Ham- – gestiftete Religion, in Erfüllung der Ver-
burg; 1883 entdeckte Robert Koch den heißungen des A. T. aus der jüd. Religion
Erreger, seither durch behördliche hygien. hervorgegangen, doch gleichzeitig als Of-
Maßnahmen fast erloschen. fenbarungsreligion etwas grundsätzlich
Chomjakow, Alexej, russ. Schriftsteller, Neues; durch die Apostel (vor allem Pau-
1804–1860; Wegbereiter des Panslawis- lus) zunächst im östl. Mittelmeerraum bis
mus, verkündete Sendung Russlands und Italien verbreitet; entwickelte sich aus den
seinen Triumph über den zum Untergang verstreuten Gemeinden des Urchristen-
bestimmten Westen, der das wahre Chris- tums im Rahmen des übernationalen röm.
tentum verraten habe. Imperiums zur Weltkirche, in seiner Aus-
Choresmien, das Gebiet um Chiwa, in breitung gefördert durch die Jenseitsge-
der heutigen Sowjetrepublik Usbekistan; richtetheit und das Erlösungsbedürfnis der
im Altertum von iran. Völkern bewohnt, Spätantike sowie durch die werbende Kraft
im 9. und 8. Jh. v. Chr. machtvoller Staat der Blutopfer seiner Märtyrer (↑ Christen-
Zentralasiens; 1097–1220 n. Chr. Neues verfolgungen); gehemmt noch bis ins 4. Jh.

171
Christenverfolgungen

durch das Misstrauen des röm. Staates, Christenverfolgungen, im röm. Reich bis
durch innere Auseinandersetzungen (↑ Ari- zum Toleranzedikt von Mailand 313; mit
anismus/Athanasius) und die Rivalität der hervorgerufen durch die Absonderung der
anderen großen Weltreligionen und phi- Christen und den Ausschließlichkeitsan-
losoph. Systeme der ausgehenden Antike spruch des Christentums, das den Kult der
(↑ Mithra); dabei formte sich das C. auch offiziellen Staatsgötter verdammte; neben
als Geistes- und Bildungsmacht in der Be- den Hassinstinkten der heidn. Großstadt-
gegnung mit dem Hellenismus; anderer- bevölkerung gaben polit. Erwägungen der
seits enge Verbindung mit dem röm. Staats- Kaiser den Ausschlag; die Staatsgleichgül-
und Rechtsdenken durch die Erhebung zur tigkeit der Christen steigerte sich im 3. Jh.
Staatsreligion bzw. Reichskirche unter Kai- zur Verweigerung des Militärdienstes und
ser Theodosius I. 391. Im Kampf um den der Übernahme öffentlicher Ämter; die als
Primat (geistliche Vorrangstellung) setzte Geheimbünde verdächtigten Christenge-
sich der Bischof von Rom 451 (Reichs- meinden genossen nicht die Sonderrechte
konzil zu Chalcedon) gegen Konstantino- der Juden (die gleichfalls die heidn. Göt-
pel durch; die Taufe des Merowingerkönigs zendienste ablehnten). – C. des ↑ Nero
Chlodwig I. (496) führte die röm. Kirche 64 n. Chr., auf Rom beschränktes Ablen-
auf den Weg der mittelalterl. Staats- und kungsmanöver und Willkürakt Neros;
Reichskirche; die Rivalität Rom-Byzanz ↑ Trajan lehnte planmäßige Fahndung ab,
aber, dogmatisch vertieft, führte 1054 zur bejahte aber grundsätzlich Strafverfolgung
Kirchenspaltung (Schisma): Teilung in ein bei Verweigerung der Teilnahme am röm.
abendländ. (röm.-kath.) und morgenländ. Kult, dadurch Denunziantentum und
(griech.-orthodoxes) C. Die ↑ Reforma- Willkür der lokalen Justizbehörden be-
tion (seit 1517) verursachte eine erneute günstigt; größere C. unter ↑ Mark Aurel;
Glaubensspaltung in der christl. Kirche systemat. C. erstmals unter ↑ Decius 250
und sprengte die Einheit der mittelalterl. (Einkerkerung oder Tod); unter ↑ Aureli-
Welt in Europa, die aus der Aneignung anus 280 (neue Reichsreligion des Sol in-
des C. und der von ihm religiös unter- victus – Sonnengott – mit Ausschließlich-
bauten universalen Reichsidee durch die keitsanspruch); schlimmste C. unter ↑ Dio­
german.-roman. Völkerwelt erwachsen war kletian seit 303 (Verhaftung der Priester,
(↑ Luther, Zwingli, Calvin, Anglikanische Verschickung in die Bergwerke bei Op-
Kirche). Subjektive Auslegung der christl. ferverweigerung; im weström. Reichsteil
Lehre führte zur weiteren Aufsplitterung Kirchenzerstörung, Folterung, Todesstrafe
in Freikirchen und Sekten (vor allem auf nach besonderen Strafverfahren). Zahl der
protestant. Seite); die christl. Ständeord- Opfer (Märtyrer) nicht festzustellen, doch
nung wurde gleichzeitig abgelöst von der aus dem Geist der Blutzeugen bedeutender
modernen Gesellschaftsordnung (Aufklä- Kräftezuwachs für die Kirche; Beendigung
rung, Frz. Revolution), womit das C. als der C. durch das Toleranzedikt 313 un-
beherrschende Lebensmacht (z. B. in der ter Konstantin d. Gr. (vgl. auch ↑ Japan,
Wirtschaftsauffassung) ausgeschaltet wer- China).
den sollte. Parallel zu der von den Kir- Christian, Name von Herrschern. Anhalt:
chen bekämpften „Entchristlichung“ des 1) C. I., Fürst von A.-Bernburg, 1568–
Abendlandes („Religion Privatsache“, C. in 1630; befreundet mit König Heinrich IV.
den meisten Ländern nicht mehr Staatsre- von Frankreich, Calvinist, Feldherr der
ligion) lief die Ausbreitung des C. in der protestant. Union, unterlag 1620 in der
„Neuen Welt“ und großen Teilen Afrikas Schlacht am Weißen Berge. – Dänemark:
und Asiens. 2) C. I. (1448–1481); geb. 1426, 1450

172
Christus

König von Norwegen (seither in Perso- und föderalist. Partei, von der sich 1949
nalunion), 1457–1470 König von Schwe- die CDU der DDR ablöste und gleich-
den, 1460 Herzog von Schleswig, Graf geschaltet wurde; in der Bundes­republik
von Holstein; Gründer der Universität Ko- Deutschland 1949–1966 und seit 1982
penhagen (1479). 3) C. II. (1513–1523); tragende Regierungspartei; Ziele: kul-
geb. 1481, bemächtigte sich 1520 Schwe- turpolitisch: christliche Staatsgestaltung,
dens (↑ „Stockholmer Blutbad“ unter dem Schutz von Ehe und Familie, Elternrecht;
schwed. Adel), 1523 aus beiden Reichen wirtsch.- und sozialpolitisch: freie sozi-
vertrieben, starb 1559 in der Gefangen- ale Marktwirtschaft, gemeinsamer euro-
schaft. 4) C. IV., 1577–1648; Dänemarks päischer Markt, Schutz des Privateigen-
volkstümlichster Herrscher, griff ohne tums, Mitbestimmungsrecht; außenpoli-
Erfolg in den 30-jähr. Krieg ein (1625– tisch: Zusammenarbeit mit dem Westen,
1629), erwarb bleibendes Verdienst durch europäische Integration, Unterstützung
Verwaltungsreform und merkantilist. Wirt- der Entwicklungsländer; die CDU steht in
schaftsförderung; Gründung von Kolo- Fraktionsgemeinschaft mit der seit 1945 in
nien auf Island und Grönland. 5) C. VIII. Bayern bestehenden, betont föderalistisch
(1839–1848); geb. 1786, kündigte 1846 eingestellten, in den Gesamtzielen der
mit seinem „offenen Brief“ die Verschmel- CDU entsprechenden Christlich-Sozialen
zung Schleswig-Holsteins mit Dänemark Union (CSU). Seit dem Ende der Großen
an und eröffnete damit den Streit um die Koalition 1969 war die CDU/CSU im
Herzogtümer. 6) C. IX. (1863–1906); geb. Bund Oppositionspartei. Im Okt. 1982
1818, aus der Linie Sonderburg-Glücks- Koalitions­regierung mit der FDP, die in
burg; durch das Londoner Protokoll 1852 den Wahlen von 1983, 1987, 1990 und
zum Thronfolger bestimmt, verlor durch 1994 bestätigt wurde. Seit der Bundestags-
seine Verschmelzungspolitik 1864 Schles- wahl 1998 befindet sich die CDU nach 16-
wig-Holstein und Lauenburg. 7) C. X. jähriger Regierungszeit wieder in der Op-
(1912–1947): geb. 1870, blieb beim dt. position. Der Organisationsgrad der CDU
Einmarsch 1940 im Lande, leistete pas- ist gering, nur etwa 2 % ihrer Anhänger-
siven Widerstand. – Halberstadt; 8) C., schaft sind Mitglieder der Partei. – In der
Prinz von Braunschweig-Wolfenbüt- ehemaligen DDR ordnete sich die CDU
tel, 1599–1626; 1616 Administrator des 1949 als Blockpartei der SED unter. Nach
(luth.) Bistums Halberstadt, protestant. den politischen Umwälzungen von 1989
Feldherr im 30-jähr. Krieg; wegen harter wurde sie zunächst eigenständige politische
Kriegführung als „der tolle Halberstädter“ Kraft. Aus den Volkskammerwahlen 1990
gefürchtet, von Tilly 1622 bei Höchst und ging die Ost-CDU als stärkste Partei her-
1623 bei Stadtlohn geschlagen. vor und stellte in der DDR-Regierung den
Christine, Königin von Schweden, 1626– Ministerpräsidenten (Lothar de Maizière).
1689 (1632–1654); Tochter Gustav Adolfs, Im Okt. 1990 vereinigte sie sich mit der
gelangte 1632 zur Herrschaft, eigen­willig, westdt. CDU.
hochbegabt, dankte 1654 ab und wurde Christophe, Henri, König von Haiti,
1655 kath., widmete sich nach unstetem 1767–1820; urspr. Sklave, wurde später
Leben 1668 bis zu ihrem Tod 1689 ih- zum General ernannt und 1807 Präsident,
ren künstlerischen und wissenschafltichen ließ sich 1811 als Henri I. zum König krö-
Neigungen in Rom. nen; hatte nur Einfluss im NO der Insel,
Christlich-Demokratische Union (CDU), beging Selbstmord, als das Volk sich gegen
1945 gegr., beide christl. Konfessionen Ge- ihn erhob.
samtdeutschlands umfassende demokrat. Christus, ↑ Jesus.

173
Christusorden

Christusorden, portug. Ritterorden, 1318 heute die Datierung erlaubt); noch ge-
zum Kampf gegen die Mauren gestiftet; nauere Altersbestimmungen ermöglicht
von bes. Bedeutung bei der Kolonisierung; die Radio­carbonmethode, jedoch nur an
1550 Großmeisterwürde mit der Krone organ. Stoffen (Gewebe, Knochen, Pflan-
Portugals verknüpft. zen- und Holzreste); für frühe Zeit kön-
Chronik (griech., Zeitbuch), Form der Ge- nen die vergleichende Völkerkunde und
schichtsschreibung, in der die Ereignisse in die vergleichende Sprach-, Sagen-, My-
zeitlicher Ordnung erzählt werden, u. a. im then- und Märchenforschung zeitliche An-
MA gepflegt. C.en gehen oft von den An- haltspunkte bieten, bes. für die Frage, ob
fängen (der Welt, eines bestimmten Klos- histor. Vorgänge bei verschiedenen Völ-
ters, einer bestimmten Stadt) aus und stel- kern früher oder später liegen; eine große
len die Dinge in den Rahmen der Heils- Rolle in der Datierung von Ereignissen für
geschichte. Die Grenzen zu den ↑ Annalen die Umrechnung althistor. Kalender spie-
sind fließend. Der Gebrauch der Mutter- len Angaben über Himmelserscheinungen
sprache setzte sich, von Italien ausgehend, (Sonnen- und Mondfinsternisse, Venus­
im späten MA immer mehr durch. beobachtungen, Siriusaufstiege, Gestirns-
Chronologie, Lehre von der Zeitmessung konjunktionen, z. B. für das Geburtsjahr
und den Zeitrechnungsarten; Altersbestim- Christi: „Stern der Weisen“); diplomat.
mung, Datierung von vorgeschichtlichen Briefwechsel, internat. Handelsbeziehun­
oder geschichtlichen Funden, Ereignissen, gen (Einfuhrgüter aus Kulturländern, de-
Tatsachen und die entsprechenden Verfah- ren C. festliegt), Kriege, Friedensschlüsse
ren; Anfänge schon in der Antike (z. B. bei lassen Zeitangaben des einen Partners oder
↑ Eratosthenes) und im MA; wiss. C. erst Volkes auf das andere übertragen; Königs-
seit Joseph Scaliger (De emendatione tem- , Archonten-, Konsullisten des Altertums,
porum, 1583) und Petavius (De doctrina Annalen des MA machen zeitliche Fest-
temporum, 1627); die ersten entschei- legungen möglich, ebenso Angaben über
denden Beiträge von der Astronomie her Olympische Spiele und über Kalender­
lieferten Kepler und Newton; grundlegend reformen und ihre (astronom.) Begrün-
L. Ideler (1766–1846). Annähernde Daten dung; Datierungsquellen sind auch die
für die Eiszeiten und die eiszeitlichen (alt- Jahresringe von Baumstämmen (↑ Dendro-
steinzeitl.) Kulturstufen werden astrono- chronologie), Verwitterungserscheinungen,
misch (Ermittlung von Klimaänderungen Grab- und Triumphtafeln oder an Sied-
durch datierbare Änderungen der Sonnen- lungsplätzen auf Völkerwanderungswegen,
einstrahlung), durch die Messung der Ton- in Militärlagern vorgefundene Münzen,
schichten nach dem Zurückweichen von sofern festgestellt werden kann, seit wann
Gletschern, durch die Messung der Ausbrei- und wie lange sie in Kurs waren; ebenso
tung und Schichtendicke der Moränen ge- Gräber und Bestattungsweisen und Geräte,
wonnen; die Pollenanalyse (↑ Moorfunde) deren Material (handgeformte oder Dreh-
lässt die Zusammensetzung der Vegeta- scheibenkeramik; Stein-, Kupfer-, Bronze-,
tion bestimmter Landschaften in früherer Eisenfundstücke), Form, Verzierungsweise
Zeit ermitteln (das Alter vorgeschichtlicher für eine Epoche oder einen Kulturkreis
Fundstücke kann an Erdresten mit Pollen typisch sind (Band-, Schnurkeramik, Spi-
grob festgestellt werden); der Fluortest er- ralfibeln, Kreuzformen u. a.); auch Fami-
möglicht es, im Boden lagernde Skelettre- lien-, Orts- und Flurnamen lassen zeit-
ste altersmäßig zu bestimmen (Knochen liche Rückschlüsse zu; v. a ergiebig sind
nehmen mit dem Grundwasser Fluor auf, die Schrift- und Sprach­analyse bei Schrift-
dessen mengenmäßige Anreicherung bis denkmälern (Wortschatz) und die Stilana-

174
CIA

lyse bei Kunstwerken und Ornamenten, um 354–407 n. Chr.; Patriarch von Kon-


die oft bis auf das Jahrzehnt genaue Datie- stantinopel, griech. Kirchenvater und be-
rungen zulassen. rühmter Redner; wegen seiner Reform-
Chruschtschow, Nikita Sergejewitsch, ideen und seiner sozialpolit. Anklagen am
sowjet. Politiker; 1894–1971; Bergmann, Kaiserhof (↑ Eudoxia) verhasst und 403
kämpfte ab 1918 im kommunist. Bürger- verbannt.
krieg, später Parteifunktionär, Baustellen- Churchill, Winston, brit. Staatsmann,
leiter; 1935 als Nachfolger von Kagano- 1874–1965; aus der Familie der Herzöge
witsch Parteiführer Moskaus; wenig später von Marlborough, nahm am Burenkrieg
im Obersten Sowjet; als gebürtiger Ukrai- teil; seit 1900 Mitglied des Unterhauses, ur-
ner 1938 Parteiführer der Ukraine („Säu- spr. konservativ, trat zu den Liberalen über,
berungs“-Aktionen); von dort 1939 Beru- seit 1906 in der Regierung; Anteil an der
fung ins Politbüro. 1941 organisierte C. Sozialgesetzgebung der Liberalen; 1911–
den Abtransport der Industrie aus der Uk- 1915 Marineminister (Rücktritt nach ge-
raine, um sie den Deutschen zu entziehen, scheitertem Dardanellenunternehmen);
und den Partisanenkampf; nach Kriegsende 1917/19 Munitions-, 1919/21 Kriegs-,
wieder in der Ukraine; 1949 Sekretär im 1921/22 Kolonialminister, als Liberaler
Zentralkomitee (ZK) der KPdSU und nicht wiedergewählt; Wiederanschluss an
1952 im Präsidium; nach Stalins Tod 1953 die Konservativen; seit 1930 Anteilnahme
einer der vier Sekretäre des ZK; nach Be- an der Außenpolitik, bekämpfte Baldwins
rijas Sturz 1. Sekretär des ZK (= Parteifüh- und Chamberlains nachgiebige Politik ge-
rer); 1955 Sturz Malenkows; 1955–1958 genüber den Achsenmächten; nach Kriegs-
mit Ministerpräsident Bulganin staats- ausbruch Marineminister, 1940–1945 Mi-
bestimmend; auf dem 20. Parteitag 1956 nisterpräsident und Führer Englands im
(Verurteilung Stalins, gegen Persönlich- 2. Weltkrieg; 1945–1951 Führer der kon-
keitskult) sagte C. Ausbruch des Sozialis- servativen Opposition, 1951–1955 wieder
mus aus den Landesgrenzen voraus, hielt Ministerpräsident. C. trat als einer der ers-
aber takt. Koexistenz zw. Kapitalismus und ten westl. Politiker für Ost-West-Entspan-
Marxismus für möglich; gewaltiger Ausbau nung ein, 1956 erhielt er auf Grund seiner
der Schwerindus­trie und Rüstung (Atom- Verdienste um die Einigung Europas den
bomben, Raketenwaffen); außenpolitisch Karlspreis. Auch als Schriftsteller trat C.
flexible Taktik; 1957/58 Ausschaltung der hervor („Marlborough“, 1933–1938, „Der
polit. Konkurrenten Molotow, Kagano- Zweite Weltkrieg“, 1948–1953; Nobel-
witsch, Malenkow, Schukow, Bulganin; preis für Literatur 1953).
seit 1958 auch Ministerpräsident; auf dem Churriter, vorderasiat. Volk (Ausgangs-
22. Parteitag 1961 nochmals schärfste Ver- punkt Churrum bei Aserbeidschan), das
urteilung des polit. und wirtschaftstheoret. nach 1680 v. Chr. aus dem inneren Iran
Stalinismus; Entfernung der Stalinisten aus nach Assyrien und Kleinasien vordrang,
Staats- und Parteiämtern, Entfernung der kleinere Fürstentümer gründete, den Mi-
Leiche Stalins aus dem Lenin-Mausoleum. tanni-Staat beherrschte und im Mitanni-
Zunehmende wirtschaftliche Misserfolge und Hethiterreich aufging; vermutlich ver-
und die Verschärfung des Konflikts mit dankt Vorderasien ihnen die Einführung
China führten 1964 zum Sturz C.s als Par- des Pferdes; Vermittlung der babylon. Keil-
tei- und Regierungschef, 1966 Ausschluss schrift an die Hethiter ihnen zugeschrieben
aus dem ZK. (Kulturfunde in ↑ Tall Halaf ).
Chrysostomus (wegen seiner Beredsam- CIA, Abk. für ↑ Central Intelligence
keit C. = Goldmund gen.), Johannes, hl., Agency.

175
Ciano

Ciano, Galeazzo, Graf von Cortellazzo, Anhängern Sullas beherrschte Rom und er-
ital. Diplomat und Politiker, 1903–1944; richtete eine Schreckensherrschaft; von sei-
Schwiegersohn Mussolinis, 1936–1943 nen Soldaten 84 erschlagen.
Außenminister, begründete 1936 die Achse Cinquecento (ital., fünfhundert, Abk. für
Berlin-Rom, versuchte den Kriegseintritt 1500), in der Kunst- und Kulturgeschichte
Italiens zu verhindern. Am Sturz Mussoli- gebräuchliche Bez. für das 16. Jh., d. h. die
nis 1943 beteiligt, nach dessen Befreiung Hochrenaissance (und Übergang zum Ba-
verhaftet und hingerichtet. rock), vertreten durch Bramante, Miche-
Cicero, Marcus Tullius, röm. Staatsmann, langelo, Raffael, in der Literatur Ariost
Jurist und Schriftsteller, 106–43 v. Chr.; und Tasso.
der größte Redner Roms, Vollender des Cipangu, Marco Polos Bezeichnung für
klass. lat. Stils, als Philosoph selbst nicht ↑ Japan; unter diesem Namen zeichnete
schöpferisch, doch bedeutend durch die auch der ital. Geograf Toscanelli die Inseln
formvollendete Vermittlung der nach­ auf seine Karten ein.
aristotelischen, besonders stoischen, grie- Circus, Schauplatz der circensischen Spiele
chischen Philosophie und ihrer humani- (ludi circenses), röm. Festspiele, zuerst
tären Ideen (“Academica”, “Tuskulanische nur als Pferde- und Wagenrennen, seit
Gespräche”, “Über das Greisenalter”, 264 v. Chr. auch als ↑ Gladiatorenkämpfe
“Über die Freundschaft”), deckte 63 v. Chr. und Tierhatzen; das Hauptvergnügen der
als Konsul die Verschwörung des ↑ Catilina großstädt. Massen, die „panem et circen-
auf; republikanisch gesinnt, entschied sich ses!“ (Brot und Spiele) forderten; Haupt-
daher im Bürgerkrieg für Antonius gegen schauplatz in Rom der C. Maximus (bis
Cäsar; nach Cäsars Ermordung Führer des zum 4. Jh. n. Chr. für 385 000 Zuschauer
Senats gegen Antonius, der ihn umbrin- erweitert); vorher seit 220 v. Chr. der
gen ließ. Das Erbe Ciceros wirkt durch alle C. Flaminius; neue C.-(↑ Amphitheater-
Zeiten bis zur Gegenwart. Bauten) unter Nero, den Flaviern (↑ Ko-
Cid Campeador (Kämpfer), Beiname des losseum), Caracalla; größere röm. Provinz-
span. Nationalhelden Ruy Diaz de Vivar, städte verfügten über eigene Anlagen (Ve-
um 1045–1099; Idealgestalt des kastilian. rona, Nîmes, Pompeji, Trier u. a.).
Rittertums der Reconquista, eroberte 1094 Cisalpinische Republik, 1797 von Gene-
das maurische Königreich Valencia; dich- ral Bonaparte in Oberitalien proklamierter
terisch verherrlicht in altspan. Romanzen frz. Vasallenstaat, umfasste Mailand, Mo-
(übersetzt von Herder); Dramen von Lope dena, Ferrara, Bologna, Romagna, nahm
de Vega und Corneille. 1802 den Namen „Italienische Republik“
Cimbern, ↑ Kimbern. an, ging 1805 im napoleon. „Königreich
Cincinnatus, Lucius Quinctius, altröm. Italien“ auf.
Nationalheld, nach der Überlieferung Cispadanische Republik, „diesseits (d. h.
458 v. Chr. vom Pflug weg zum Dikta- südlich) des Po“, 1796 von Bonaparte pro-
tor berufen, um das von den Äquern ein- klamiert, 1797 in der „Cisalpinischen Re-
geschlossene Heer zu befreien; löste diese publik“ aufgegangen.
Aufgabe binnen 16 Tagen und kehrte auf Cisrhenanische Republik, ein 1797 von
sein Landgut zurück, als Musterbild röm. Anhängern der Frz. Revolution „diesseits
Tugend gefeiert. des Rheins“ (den „Cisrhenanen“) geplantes
Cinna, Lucius Cornelius, röm. Feldherr Staatsgebilde (mit Bonn, Köln, Aachen),
und Staatsmann, seit 87 v. Chr. Konsul, durch die Abtretung des linken Rheinufers
verband sich mit Marius, den er aus dem an Frankreich (↑ Campoformio) illusorisch
Exil zurückgerufen hatte, eroberte das von geworden.

176
Clayton-Bulwer-Verrtrag

Citeaux, frz. Kloster in Burgund, Dep. Clark, Mark Wayne, amerik. General,
Côte d’Or; 1098 von Robert von Molesme 1896–1984; befehligte im 2. Weltkrieg das
und Alberich gegr. Reformkloster, das zum amerik. Expeditionskorps in England und
Mutterkloster des ↑ Zisterzienserordens leitete an der Spitze der amerik. 5. Armee
wurde. die Invasionen in Tunesien, Sizilien und
Citoyen (frz. Bürger), in der Ära der Frz. Süditalien.
Revolution 1792–1804 Anredeform an Clarke, Henri Jacques Guillaume, Herzog
Stelle des aristokrat. „Monsieur“; 1848 auf von Feltre, frz. Marschall irischer Abstam-
kurze Zeit wieder in Gebrauch. mung, 1765–1818; 1806 Gouverneur von
Civitas Dei (lat. Gottesstaat), nach ↑ Augus­ Erfurt und Berlin, 1817–1814 Kriegsmini-
tinus (dessen Hauptwerk: „De Civitate ster Napoleons.
Dei“, Vom Gottesstaat) der alle Völker um- Claudier, altröm. Geschlecht plebejischer
fassende christl. Idealstaat (im Gegensatz Herkunft, dem die Kaiser von Tiberius bis
zur Civitas terrena, dem irdischen Staat Nero entstammten (Adoption des Tiberius
der Kinder der Finsternis), in den sich am durch Augustus, dessen Gattin Livia vor-
Ende auch die weltl. Gewalten einordnen; her mit einem Claudius verheiratet war).
als Kernbegriff der teleolog. (zielgerichte- Claudius, röm. Kaiser: 1) C., (Tibe-
ten) Geschichtsauffassung (Geschichtste- rius Claudias Nero Germanicus; 41–
leologie) des MA großer Einfluss auf den 54 n. Chr.); geb. 10 v. Chr., Sohn des Dru-
Machtkampf zw. Papsttum und Kaisertum. sus (des Bruders des Kaisers Tiberius), als
Clactonien, Kulturstufe der Altsteinzeit „Schwachkopf“ verachtet, von den Präto-
(↑ Paläolithikum), benannt nach der Fund- rianern zum Kaiser erhoben, hoch gelehrt
stätte im Moor von Clacton-on-Sea an der und dank seiner Ratgeber auch in der Re-
SO-Küste Englands, nahe der Themsemün- gierung erfolgreich; eroberte Britannien,
dung; Kultur ohne Faustkeile, statt dessen führte Reformen durch; ließ seine zügel-
Werkzeuge, die durch Zertrümmerung lose Gemahlin Messalina hinrichten, hei-
von Feuersteinknollen auf Steinunterlage ratete Agrippina, die ihn vergiftete, nach-
entstanden sind und, am Rand grob oder dem er ihren Sohn Nero adoptiert hatte.
feiner bearbeitet, zum Schlagen, Schnei- 2) C. II. Gothicus (Marcus Aurelius Vale-
den, Schaben, Kratzen, Sägen und Bohren rius Claudius; 268–270); besiegte Aleman-
benutzt wurden, vielleicht Hinterlassen- nen und Goten; erlag der Pest.
schaften einer eigenen Menschenrasse in Clausewitz, Carl von, preuß. General und
W- und N-Europa. Militärschriftsteller, 1780–1831; am Ab-
Clairvaux, Zisterzienserabtei südl. Troyes schluss der Konvention von ↑ Tauroggen
im Herzogtum Burgund, 1115 von ↑ Bern- (1812) beteiligt; 1812–14 in russ. Diens­
hard von C. gegr., 1792 aufgehoben. ten; sein nach seinem Tod unvollendet er-
Clarendon, engl. Staatsmänner: 1) C., Ed- schienenes Buch „Vom Kriege“, das die mi-
ward Hyde, Earl of, 1609–1674; im Bür- litärtechn. Ergebnisse der Befreiungskriege
gerkrieg Parteigänger der Stuarts; nach auswertet, wurde Grundlage der modernen
der Restauration von 1660 Leiter der Po- Kriegslehre.
litik als Lordkanzler Karls II., 1667 ge- Clay, Lucius D., amerik. General, 1897–
stürzt, floh nach Frankreich, schrieb die 1978; 1947–49 Militärgouverneur in der
erste Geschichte des engl. Bürgerkriegs. amerik. Besatzungszone Deutschlands,
2) C., George Villiers, Earl of, 1800–1870; Organisator der Luftbrücke während der
1847–1852 Vizekönig von Irland, schlug Berliner Blockade.
den irischen Aufstand 1848 nieder, seit Clayton-Bulwer-Vertrag, Abkommen
1853 mehrmals Außenminister. zw. den USA und England 1850 über die

177
Clémenceau

Neutralität des geplanten Kanals zwischen „Sprecher des Menschengeschlechts“, Kon-


dem Atlantischen und Pazifischen Ozean; ventsmitglied, guillotiniert.
1900/01 zugunsten der amerik. Revisions- Club of Rome, internat. Organisation von
forderungen (rein amerik. Kontrolle) außer Wissenschaftlern sowie Persönlichkeiten
Kraft gesetzt (↑ Panamakanal). aus Politik, Wirtschaft und Kultur zur Un-
Clémenceau, Georges, frz. Staatsmann, tersuchung der Situation und Zukunftsper-
1841–1929; gefürchteter Parlamenta- spektiven der Menschheit, gegr. 1968 von
rier („Der Tiger“); für Wiederaufnahme dem Industriellen Aurelio Peccei in Rom.
des Dreyfusprozesses (↑ Dreyfus-Affäre); 1973 Veröffentlichung: „Die Grenzen des
1906–1909 und 1917–1919 Ministerprä- Wachstums“ von D. Meadows, im selben
sident; seine willensstarke Politik führte Jahr Auszeichnung mit dem Friedenspreis
zum Sieg Frankreichs im 1. Weltkrieg und des Deutschen Buchhandels. 1991 er-
zur weitgehenden Durchsetzung der frz. schien der Bericht des Rates des Club of
Forderungen gegenüber Deutschland im Rome „Die erste globale Revolution. Be-
↑ Versailler Vertrag. richt zur Lage der Welt“.
Clermont-Ferrand, Stadt in Südfrankreich; Cluny, frz. Benediktinerabtei nördl. Lyon,
1095 Konzil unter Vorsitz Papst Urbans II., 910 von Herzog Wilhelm von Aquita-
beschloss den 1. Kreuzzug. nien gegr., 1790 aufgehoben; von ihr ging
Cleveland, Stephen Grover, nordamerik. im 10. und 11. Jh. die große cluniazen-
Staatsmann, 1837–1908; Präsident der sische Reformbewegung zur Erneuerung
USA 1885–1889 und 1893–1897; De- des Mönchswesens aus (strenge Kloster-
mokrat, Antiimperialist, verhinderte die zucht, Unabhängigkeit der Klöster von der
Einführung der freien Silberwährung und Rechtsprechung der fürstlichen Bischöfe
forderte die staatliche Kontrolle der Privat- und weltlichen Vogteien, Unterstellung
eisenbahnen. direkt unter Rom), zur Erneuerung der
Clive, Robert, Baron C. of Plassey, Begrün- Gesamtkirche (gegen die Priesterehe) und
der der brit. Macht in Ostindien, 1725– Stärkung des Papsttums; die Cluniazenser
1774; seit 1743 im Dienst der Ostind. aus vielen hundert Klöstern (in Deutsch-
Kompanie, siegte 1757 bei ↑ Plassey über land bes. Hirsau) wurden zur mächtigen
den Herrscher von Bengalen, festigte und Stütze des Papsttums im ↑ Investiturstreit:
erweiterte die brit. Herrschaft (Verwal- sie waren die Träger der die mittelalterl.
tungsverträge mit dem Großmogul 1765). Auffassung vom Sinn des Krieges revolu-
1767 wegen Amtsmissbrauch angeklagt, tionierenden ↑ Gottesfriedensbewegung
später rehabilitiert, endete durch Selbst- (vgl. auch ↑ Landfriede) und später der
mord (↑ Indien). Kreuzzugsidee.
Cloaca Maxima, ältester und bedeu- Cobbett, William, brit. Politiker, 1763–
tendster Abwasserkanal im alten Rom; 1835; bis 1803 Gegner der brit. Friedens-
vom 6.–1. Jh. v. Chr. gebaut, ermöglichte politik gegenüber Napoleon I., kämpfte für
auch die Anlage des Forum Romanum. die Rechte der verelendeten Fabrik- und
Clodius Pulcher, Publius, berüchtigter po- Landarbeiter und war seit 1815 Führer der
lit. Abenteurer in Rom; 58 v. Chr. Volks- unorganisierten brit. Arbeiterschaft; 1832
tribun, verbannte seinen Feind Cicero wurde er ins Unterhaus gewählt.
und terrorisierte Rom mit seinen Banden, Cobden, Richard, brit. Industrieller und
52 v. Chr. im Straßenkampf erschlagen. Wirtschaftspolitiker, 1804–1865; klass.
Cloots (Klootz), Baron von, gen. Anarcha- Vertreter des freihändlerischen ↑ Manche-
sis C., frz. Revolutionspolitiker dt. Her- stertums (Grundsatz des „Laissez faire“);
kunft, 1755–1794; demokrat. Schwärmer, Führer der ↑ Anti-Corn-Law League.

178
Colombo-Plan

Cobenzl, Ludwig Graf von, österr. Staats- nus Karls d. Gr.; schließlich die Sammlung
mann, 1753–1809; als Gesandter in St. Pe- des kath. Kirchenrechts, abschließend ver-
tersburg in Gunst bei Katharina II., ent- einigt im C. Iuris Canonici (C. des kano-
schiedener Gegner des revolutionären nischen Rechts), seit 1918 in Kraft.
Frankreich; maßgeblich beteiligt an der Colbert, Jean Baptiste, frz. Staatsmann, be-
3. Teilung Polens (1795), Unterhändler deutendster Vertreter des ↑ Merkantilismus
zu ↑ Campoformio (1797), ↑ Rastatt und („Colbertismus“), 1619–1683; förderte als
↑ Lunéville, 1801–1805 Staatskanzler und Finanzminister Ludwigs XIV. Flotte, Kolo-
Außenminister, errichtete das österr. Kai- nien und die gesamte Staatswirtschaft, bes.
sertum und schloss Defensivbündnis mit Gewerbe, Handel und Verkehr; Gegner der
Russland (1804). frz. Eroberungspolitik auf dem Kontinent,
Cocceji, Samuel Freiherr von, dt. Rechtsge- konnte sich aber gegen die Kriegspartei
lehrter, 1679–1755; 1738 Chef der preuß. (Louvois) nicht durchsetzen.
Justiz, 1747 preuß. Großkanzler, refor- Coligny, Gaspard de, frz. Feldherr und
mierte das Rechtswesen in Preußen (Pro- Führer der ↑ Hugenotten, 1519–1572;
zessordnung 1748). 1552 für seine Siege im Dienste der Krone
Cochläus, Johann, dt. Humanist und kath. zum Admiral (Befehlshaber) von Frank-
Theologe, 1479–1552; rührigster Gegner reich ernannt; seit 1559 Calvinist, 1569
Luthers, den er in Predigten und Schriften an der Spitze der Hugenotten; Opfer der
bekämpfte; beteiligt an der Abfassung der ↑ Bartholomäusnacht.
↑ Confutatio. Colleoni, Bartolomeo, ital. Condotti-
Code Napoléon, das auf Veranlassung Na- ere in mailändischen und venezianischen
poleons I. ausgearbeitete, 1804 als Code Diensten, 1400–1475; Denkmal von Ver-
civil (1807 „C. N.“) veröffentlichte Zi- rocchio in Venedig.
vilgesetzbuch, später mehrmals erweitert Collot d’Herbois, Jean Marie, frz. Revolu-
und auch in Holland, Belgien, Italien, Spa- tionär, 1749–1796; ehemaliger Schauspie-
nien, Portugal, den bayer., hess. und preuß. ler und Theaterdichter, radikaler Jakobiner,
Rheinlanden und Baden eingeführt; in 1793 Präsident des Konvents, Mitglied des
Deutschland 1900 vom Bürgerl. Gesetz- Wohlfahrtsausschusses, verantwortlich für
buch abgelöst; 1806 kamen das Zivilpro- die Massenhinrichtungen in ↑ Lyon, 1795
zessbuch, 1808 die Strafprozessordnung deportiert.
hinzu, die beide für die dt. Rechtsentwick- Colombo, Emilio, ital. Politiker, geb.
lung bedeutsam wurden. 1920; seit 1950 Minister in den verschie-
Codex, alte (Buch)Handschrift; ursprüng- densten Ressorts, zeitweilig Präsident des
lich die zu einem ↑ Buch zusammenge- Ministerrats der EWG; 1970–71 Minister-
fügten hölzernen und mit Wachs überzo- präsident, 1977–79 Präsident des Europ.
genen Schreibtafeln der Römer, bes. für Parlaments.
Ein- und Ausgabenverzeichnisse; im MA Colombo-Plan (Colombo Plan for Coope­
der handschriftliche Pergament-, später rative Economic Development in South
Papier-C.; berühmt die frühmittelalterl. and Southeast Asia), 1950 im Verband
Bibelhandschriften auf Pergament, z. B. des brit. Commonwealth in Colombo be-
der C. argenteus (Silberne C.), die mit sil- schlossener wirtsch. Aufbauplan der Staa-
bernen Lettern auf purpurrotem Pergament ten Australien, Großbritannien, Japan, Ka-
geschriebene gotische Bibelübersetzung des nada und Neuseeland für die Länder des
↑ Wulfila, heute in Uppsala; auch die kai- süd- und südostasiatischen sowie des pazi-
serlichen Gesetzsammlungen im MA wer- fischen Raumes (6-Jahres-Pläne). Derzeit
den als C. bezeichnet, z. B. der C. Caroli- sind 24 Staaten der Initiative angeschlos-

179
Colonna

sen. In dem Plan sind Hilfeleistungen in Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe wurde
Form von Darlehen, Zuschüssen und im Juni 1991 förmlich aufgelöst.
Sachleistungen wie z.B. Düngemittel, Aus- Comenius, Johann Amos (Komensky),
bildungsprogramme etc. enthalten. Theologe und pädagog. Reformer, 1592–
Colonna, berühmtes röm. Adelsgeschlecht, 1670; Bischof der ↑ Böhmisch-mährischen
meist ghibellinisch gesinnt, griff in seiner Brüder, wirkte für eine christl. durchdrun-
Blütezeit im 11.–16. Jh. oftmals entschei- gene Erziehung und (unter dem Einfluss
dend in die innerröm. Machtkämpfe ein Bacons) für Reformen des Schulwesens
und beeinflusste bes. die Papstwahl; aus ihm (Anschauung an Stelle der Belehrung aus
gingen außer Papst Martin V. (1417–31) Büchern), bes. im Sprachunterricht.
viele Kardinäle, Feldherren, Staatsmänner Comes (lat. Begleiter), die röm. Bezeich-
und Gelehrte hervor. – 1) C., Sciarra, floh nung Palatini für die Bewohner des kaiser-
vor Papst Bonifatius VIII. nach Frankreich, lichen Palastes (für den Hofadel) wandelte
1303 an der Gefangennahme des Papstes sich mit Beginn des 4. Jh. n. Chr. in Comi-
Bonifatius VIII. in Anagni beteiligt, krönte tati, Reisegefährten; Comes wurde zum Ti-
als Haupt der republikanischen Regierung tel, der dem späteren Graf entsprach.
in Rom, in Abwesenheit des Papstes, 1328 Commodus, Marcus Aurelius C. Antoni-
Kaiser Ludwig den Bayern in Rom. 2) C., nus, röm. Kaiser (180–192); geb. 161,
Prospero, Feldherr, 1452–1523; vertrieb Sohn ↑ Mark Aurels, grausam, ausschwei-
nach 1515 als Oberbefehlshaber der an- fend; ließ seine Gattin hinrichten, trat als
tifrz. Koalition die Franzosen aus Italien, Circuskämpfer auf, ermordet.
siegte 1522 bei Bicocca. Commoners (engl., Gemeine), alle, die
Columban, einer der ersten Germanen­ nicht zur engl. Nobility, also zum Ober-
apostel, hl., um 543–615; irischer Her- haus, gehören; House of Commons = Un-
kunft (Kloster Bangor), verbreitete das terhaus.
Christentum unter den Franken und Ale- Common Law (engl., Gemeines Recht):
mannen, stiftete zahlreiche Klöster (be- 1) das anglo-amerik. Rechtssystem im
rühmt: Bobbio in der Lombardei 612). Unterschied zum röm. Recht und seinen
Columbus, ↑ Kolumbus. Tochterrechten auf dem europ. Kontinent
COMECON, Abk. für engl. Council for Mu- und in Lateinamerika (Civil Law). 2) im
tual Economic Assistance, dt. auch Rat für engeren Sinne das zentralisierte, für ganz
gegenseitige Wirtschaftshilfe (Abk. RGW), England gültige Recht, wie es sich seit Wil-
Wirtschaftsorganisation der ehemaligen helm d. Eroberer durch die Königsrechte
sozialist. Ostblockstaaten, die 1949 auf In- gegen die lokal beschränkten Gewohn-
itiative der Sowjetunion gegründet wurde, heitsrechte und Sonderrechte eigenen Ur-
um der Organisation für wirtschaftl. Zu- sprungs durchsetzte. 3) das Gewohnheits-
sammenarbeit (OEEC) eine ähnliche Wirt- recht (aufgrund richterlicher Entschei-
schaftsorganisation entgegenzusetzen. Sitz dungen von Fall zu Fall) zum Unterschied
der Organisation war Moskau. Mitglieder vom gesetzlichen Recht (Statute Law).
waren die Sowjetunion, Polen, die Tsche- Common Prayer Book, seit 1549 das li-
choslowakei, Ungarn, Rumänien, Bulga- turg. Handbuch (Agende) der anglikan.
rien, die DDR (seit 1950), die Mongo- Staatskirche in England, mehrmals revi-
lische Volksrepublik (seit 1962), Kuba (seit diert, eine letzte Revision 1928 am Wider-
1972) und Vietnam (seit 1978). Mit Jugos- stand des Parlaments gescheitert.
lawien gab es ein Asso­ziierungsabkommen Commonwealth (engl., Gemeinwohl,
und mit Finnland, Irak, Mexiko und Ni- Gemeinwesen, Staatenbund): 1) Bez. für
caragua ein Kooperationsabkommen. Der die Republik unter ↑ Cromwell (C. of

180
Condorcet

England). 2) 1900 Zusammenschluss der Hitler und den Franzosen im gleichen Ei-
austral. Einzelstaaten zum C. of Austra- senbahnwagen wie 1918 und am gleichen
lia. 3) 1926 (C.-Konferenz) infolge des Platz.
Strebens der Dominions nach uneinge- Comte, Auguste, frz. Sozialphilosoph.
schränkter Souveränität Umgestaltung und 1798–1857; Begründer des Positivismus
Umbenennung des brit. Weltreiches (Bri- und der Soziologie als (oberster) Wissen-
tish Empire) in „British C. of Nations“, schaft; begann als Saint-Simonist und en-
Gemeinschaft freier Staaten und Völker dete als Prophet einer neuen Gesellschaft
(angegliedert das eigentlich abhängige Ko- und einer neuen „Menschheitsreligion“, ei-
lonialreich); die engl. Krone als „Symbol“ ner Verbindung von Positivismus (Wissen-
stellt das Bindeglied des C. dar; als Völ- schaftsgläubigkeit), sozialist. Utopismus
kerfamilie seit 1948 ohne den Zusatz „Bri- und hierarch. Forderungen („positive“ Phi-
tish“ mit Rücksicht auf die Gefühle der losophen an der Spitze des neuen Gemein-
nichtengl. Völker (Indien u. a.); die letzten wesens); C. selbst Vorsitzender des „Europ.
(theoret.) Vorrechte des brit. Parlaments Komitees der zukunftsgläubigen Mensch-
gegenüber den Dominions fielen 1931 heit“. Einfluss auf St. ↑ Mill, Spencer und
durch das Statut von Westreinster: formelle auch Marx (soziolog. Betrachtungsweise in
Beziehungen zwischen England und den der Geschichtswissenschaft); ↑ Geschichts-
gleichberechtigten Mitgliedern des C. nur philosophie.
noch wirtsch., kulturell (Premierminister- Condé, Seitenlinie der Bourbonen, be-
besprechungen, gemeinsame Währungs- nannt nach ihrem Stammsitz, der Stadt
grundlage, C.-Konferenzen in unregelmä- Condé im Hennegau (Nordfrankreich);
ßigen Zeitabständen); Mitgliedsstaaten: bedeutendste Vertreter: 1) C., Ludwig I.
Antigua und Barbuda, Australischer Bund, von Bourbon, Prinz von C., 1530–1569;
Bahamas, Bangladesch, Barbados, Belize, zusammen mit ↑ Coligny an der Spitze der
Botswana, Brunei, Dominica, Fidschi, Hugenotten gefangen genommen und er-
Gambia, Ghana, Grenada, Guyana, In- schossen. 2) C., Ludwig II. von Bourbon,
dien, Jamaika, Kamerun, Kanada, Kenia, Prinz von C. („Der große Condé“), Feld-
Kiribati, Lesotho, Malawi, Malaysia, Ma- herr, 1621–1686; besiegte die Spanier bei
lediven, Malta, Mauritius, Moçambique, Rocroy 1643, die Kaiserlichen bei Allers-
Namibia, Nauru (indirekt), Neuseeland, heim (Elsass) 1645, eroberte 1646 Dünkir-
Nigeria, Pakistan, Papua-Neuguinea, Saint chen; überwarf sich in den Kämpfen der
Kitts und Nevis, Saint Lucia, Saint Vincent Fronde mit dem Hof und Mazarin, wurde
and the Grenadines, Salomonen, Sambia, span. Oberbefehlshaber, als Hochverräter
Samoa, Seychellen, Sierra Leone, Singapur, zum Tode verurteilt, 1659 rehabilitiert, er-
Sri Lanka, Republik Südafrika, Swasiland, oberte 1668 die Freigrafschaft Burgund;
Tansania, Tonga, Trinidad und Tobago, Tu- siegte unter Ludwig XIV. in den Nieder-
valu (indirekt), Uganda, Vanuatu und Zy- landen 1674; 1675 Oberbefehlshaber am
pern. Simbabwes Mitgliedschaft im Com- Rhein; das Haus C., dem auch der Emi-
monwealth wurde aufgrund der Unterdrü- grantenführer Prinz Ludwig Joseph von
ckung der Opposition und der Enteignung Enghien angehörte, erlosch 1830.
weißer Farmer im Land 2002 suspendiert, Condorcet, Antoine, Marquis de, frz. Ge-
2003 trat Simbabwe aus dem C. aus. lehrter, 1743–1794; Enzyklopädist, för-
Compiègne, Ort nördl. von Paris; im Wald derte als Mathematiker die Integralrech-
von C. wurde 1918 zw. Marschall Foch nung; bekämpfte das Königtum als un-
und Erzberger der Waffenstillstand abge- sozial, vertrat uneingeschränkten Fort-
schlossen; 1940 Waffenstillstand zwischen schrittsglauben; 1792 Präsident der Ge-

181
Confessio Augustana

setzgebenden Versammlung, stand als er wiss. unterbaute; gründete in Frankreich


Konventsmitglied ↑ Brissot nahe; geächtet, kommunist. „Phalanstères“ (freie Arbeits-
beging nach Verhaftung Selbstmord (↑ Ge- gemeinschaften); nach seinem Hochver-
schichtsphilosophie). ratsprozess 1849 schuf er kommunist. Ko-
Confessio Augustana, ↑ Augsburgische lonien in Texas.
Konfession. Constans, röm. Kaiser des Westens (337
Confutatio pontificia, kath. Gegenschrift bis 350 n. Chr.), der jüngste Sohn Kon-
gegen die ↑ Augsburgische Konfession; auf stantins d. Gr., seit 333 Cäsar, wie sein Va-
dem Reichstag von Augsburg 1530 im Auf- ter Anhänger des Athanasius, erlag einer
trag Karls V. verlesen. Offiziersrevolte in Gallien, ermordet.
Connétable (von lat. comes stabuli, Stall- Constant de Rebecque, Benjamin, frz.
meister); in Frankreich seit dem 13. Jh. Politiker und Schriftsteller, 1767–1830;
Oberbefehlshaber des Landheeres, im Liberaler und Befürworter der konstitutio-
Rang über den Marschällen und Prinzen, nellen Monarchie, von Napoleon 1802 als
im Krieg mit fast unbeschränkten Voll- Freund von Mme. de ↑ Staël verbannt.
machten, als Amt und Würde von Lud- Constantius, röm. Kaiser: 1) C. I. Chlorus
wig XIII. 1627 aufgehoben (↑ Bourbon). (305–306 n. Chr.), 293 zum Cäsar des Wes-
Conrad von Hötzendorf, Franz Graf, ös- tens ernannt, nach Diokletians Abdankung
terr.-ungar. Feldmarschall, 1852–1925; zum Augustus erhoben, Vater Konstantins
1906–1911 und 1912–1917 General­ d. Gr. 2) C. II. (337–361); Sohn Konstan-
stabschef, trat 1908/09 für einen Präven- tins d. Gr., zunächst Herr des Ostens, 351
tivkrieg gegen die Politik der Irredenta in nach dem Tod seines Bruders Constans des
Italien und die serb. Expansion ein; 1911 Gesamtreichs, begünstigte im Gegensatz
vorübergehend entlassen; entwarf die Pläne zu Vater und Bruder die Lehre des ↑ Arius.
zu den Durchbruchsschlachten von Gor- Contadora-Gruppe, aus Kolumbien, Me-
lice 1915 und Tolmein-Flitsch 1917; trat xiko (bis 1989), Panama und Venezuela
1917 wegen Meinungsverschiedenheiten bestehende Staatengruppe (1983–1990),
mit Kaiser Karl zurück und übernahm eine benannt nach der Insel Contadora, auf
Heeresgruppe in Tirol. der die erste Konferenz stattfand. Ziel der
Conring, Hermann, Rechtsgelehrter und Gruppe war die friedliche Beilegung des
Mediziner, 1606–1681; forderte als Natur- Konflikts um ↑ Nicaragua.
wissenschaftler und als Jurist kritische Ein- Contarini, mächtiges venezian. Adelsge-
zelforschung, trat für eine vom röm. Recht schlecht, aus dem zahlreiche Dogen, Kir-
unbeeinflusste vergleichende Rechtsge- chenfürsten, Feldherren und Gelehrte her-
schichte ein, Begründer der dt. Rechtsge- vorgingen. – C., Gasparo, Kardinal, 1483–
schichte. 1542; Gesandter Venedigs auf dem Worm-
Consalvi, Ercole Marchese, Kardinal, ser Reichstag 1521, wirkte seit 1535 für die
1757–1824; päpstlicher Staatssekretär, Reform der Kirche und suchte Verständi-
schloss mit Napoleon 1801 das Konkordat; gung mit den Protestanten (Regensburger
von diesem zeitweilig interniert, wirkte Religionsgespräch 1541).
1815 auf dem Wiener Kongress für Wie- Contrat social (frz. Gesellschaftsvertrag),
derherstellung des Kirchenstaates, dessen Titel des 1762 erschienenen Hauptwerkes
Verwaltung er reorganisierte; verdient um von J. J. ↑ Rousseau; gegen den Kernbe-
zahlreiche Konkordatsabschlüsse. griff des absolutist. Staates, das Gottes-
Considérant, Victor, frz. Sozialist, 1808– gnadentum (↑ Gottes Gnaden), gerichtete
1893; Anhänger Fouriers, den seine Agita- „Vertragslehre“ der Aufklärung, wonach
tion erst bekannt machte und dessen Ideen der Staat aus dem freiwilligen Zusammen-

182
Cornwall

schluss freier Individuen entstanden ist; Robespierre gestürzt, die Führer hingerich-
trug wesentlich zur geistigen Vorbereitung tet; berühmte Mitglieder der C.: Brissot,
der Frz. Revolution bei. Danton, Desmoulins, Marat, Hébert.
Cook, James, brit. Forschungsreisender Cordoba, südspan. Stadt am Guadalquivir;
und Weltumsegler, 1728–1779; erforschte in der röm. Kaiserzeit berühmte Handels-
in drei Reisen seit 1768 Südsee und Be- stadt, durch Hochschule kultureller Mit-
ringmeer, widerlegte die Annahme eines telpunkt; 711 von Arabern erobert, seit
großen zusammenhängenden Südkonti- 756 Residenz der Emire und Kalifen (Ka-
nents, nahm die austral. Ostküste auf noch lifat von C. der maurischen Dynastie der
heute wertvollen Karten auf; von Eingebo- Omaijaden); Mittelpunkt der maur. Kul-
renen auf Hawaii erschlagen. tur, von legendärer Pracht („Mekka des
Coolidge, Calvin, nordamerik. Politiker, Westens“); 1236 von Kastilien erobert,
1872–1933; Vizepräsident unter Harding, seither im Verfall. – Kathedrale eingebaut
Präsident der USA 1923–1929, Republika- in die im 8. Jh. errichtete Hauptmoschee
ner; seine Präsidentschaft stand im Zeichen (die zweitgrößte des Islams); maur. Palast
der „prosperity“ (Wirtschaftsblüte). begonnen 778 (↑ Araber, Islam).
Cooper, 1) C., Alfred Duff, brit. Staats- Cordova y Aguilar, Gonzalo Fernandez
mann, 1890–1954; Konservativer, 1935 de, span. Feldherr, 1443–1515; vertrieb
Kriegs-, 1937 Marineminister, gegen 1495 und 1501–03 (Sieg am Garigliano)
Chamberlains Politik, 1940–43 Minister die Franzosen aus dem Königreich Neapel,
im 1. Kabinett Churchill, 1944–48 Bot- begründete den Ruhm der span. Waffen in
schafter in Paris. 2) C., James Fenimore, Europa.
nordamerik. Schriftsteller, 1789–1851; Coriolan (Gnäus Marcius Coriolanus), sa-
schilderte im „Lederstrumpf“ das ­Indianer- genhafter röm. Patrizier, eroberte 493 die
und Grenzerleben im amerik. Westen. Volskerstadt Corioli; in die Verbannung ge-
Copán, bedeutende Ruinenstätte der Maya, schickt, bedrohte er mit einem volskischen
bei Santa Rosa de C. in W-Honduras gele- Heer seine Vaterstadt Rom (488 v. Chr.);
gen; der Ort galt im 9./10. Jh. wegen sei- von den Volskern getötet.
ner bes. Pflege der Wissenschaften als „Ale- Cornelia, Tochter des Scipio Africanus
xandria der Neuen Welt“, entdeckt wurde d. Ä., 2. Jh. v. Chr., Gemahlin des Sempro-
er 1576; wichtigster Teil ist die „Akropo- nius Gracchus und Mutter der ↑ Gracchen;
lis“ mit ihren Pyramiden und Tempeln, be- galt als Muster einer Römerin.
rühmt die lange „Hieroglyphentreppe“ auf Cornelius, Geschlechtername mehrerer
dem Gebiet der Skulpturenkunst entwi- patrizischer und plebejischer röm. Fami-
ckelte C. einen eigenen, fast vollplast. Stil. lien (Cornelier); dem Geschlecht gehörten
Corday, Charlotte, Mörderin Marats, u. a. an: Cinna, Dolabella, Gallus, Len-
1768–1793; wollte Frankreich von der ja- tulus, Scipio, Sulla, Tacitus. – C., Name
kobinischen Schreckensherrschaft befreien eines Papstes der Märtyrerzeit (251–253),
und suchte sich den verhassten Marat als der die während der Christenverfolgung
Opfer aus; guillotiniert. (unter Decius) Abgefallenen gegen Bußlei-
Cordeliers, radikaler Klub der Frz. Re- stung wieder in die Kirche aufnahm.
volution, benannt nach dem Tagungsort, Cornelius Nepos, ↑ Nepos.
einem Kloster der C. („Strickträger“, der Cornwall, engl. Landschaft (lat. Cornu
nach ihrem Leibgurt benannten Franzis- Gallige, das äußerste von Galliern be-
kaner); 1790 als Sektion der Jakobiner ge- wohnte Land); auf der gebirgigen Halbin-
gründet, radikaler als diese, mit ihnen zus. sel hielten sich die Kelten und ihr Druiden­
im Konvent die „Berg“-Partei; 1794 von kult neben Wales am längsten; seit 1330

183
Cornwallis

führt der engl. Thronfolger den Titel eines es durch die Rechtsschule von Bologna, die
Herzogs von C. Glossatoren, wiederbelebt und zu einem in
Cornwallis, Charles Brome, Marquess of, sich geschlossenen Rechtssystem verbun-
brit. Heerführer und Politiker, 1738–1805; den, das später in dieser Form als Instru-
kapitulierte 1781 bei Yorktown (Washing- ment der auf Rechtseinheit bedachten mo-
ton), 1786 Generalgouverneur in Ostin- dernen Staaten das zersplitterte dt. Recht
dien, 1798 Vizekönig von Irland, unter- verdrängte (Rezeption des röm. Rechts)
zeichnete 1802 den Frieden von Amiens. und im l6. Jh. unbeschränkte Geltung er-
Corpus, Schriftensammlung, z. B. Samm- langte. Das Bürgerliche Gesetzbuch (seit
lung von Gesetzen, Inschriften. Auch Be- 1900 in Kraft) ist z. T. auf den Grundsät-
zeichnung für Zusammenschluss, Bund. zen des C. aufgebaut.
C. catholicorum, Zusammenschluss der Cortes (span., Gerichtshof ), Ständever-
kath. Reichsstände nach dem 30-jäh- sammlung (Adel, Kirche, Städtevertreter),
rigen Krieg unter Führung von Kurmainz, Volksvertretung in Spanien und Portugal
C. evangelicorum, Zusammenschluss der seit dem 12. Jh. (Steuerbewilligung, Ge-
protestant. Reichsstände 1648 unter Füh- setzgebung); seit dem 15. Jh. im Verfall; C.
rung Kursachsens; auf den Reichstagen von Cadiz (1810–1813) erstes modernes
wurde nicht abgestimmt, sondern zw. dem Parlament Spaniens.
C. e. und dem C. c. als gleichberechtigten Cortés, Hernán, span. Eroberer ↑ Mexikos,
Partnern verhandelt. 1485–1547; 1504 in Haiti, 1511 Beteili-
Corpus Iuris Canonici, im 12.–15. Jh. gung an der Eroberung von Kuba; 1519–
nach dem Vorbild des Corpus Iuris Civilis 1521 eroberte und zerstörte C. das Reich
zusammengestellte Sammlung der kanon. der Azteken: 1519 Landung bei Veracruz,
Rechtsquellen des MA, als kirchlich ausle- Marsch mit 452 Soldaten und 6 leichten
gendes Gesetzbuch 1918 vom ↑ Codex Iu- Geschützen, begleitet von Hunderten von
ris Canonici abgelöst. Indianern als Lastenträgern ins Hochland,
Corpus Iuris Civilis, die auf Veranlassung über Tlaxcala, Cholula nach Tenochtit-
Kaiser Justinians von einer Juristenkommis- lan-Mexiko, der Hauptstadt des Azteken-
sion unter Vorsitz Tribonians besorgte Zu- reiches; König ↑ Montezuma II., der ihn
sammenfassung des gesamten röm. Rechts, feierlich empfing, ließ er gefangen setzen
begonnen 528 n. Chr. mit der Sammlung und zwang ihn zur Anerkennung der span.
der geltenden kaiserlichen Erlasse (Codex Oberhoheit; Montezuma bei aztek. Auf-
Justinianus, 529), ergänzt durch die Erlasse stand getötet; nach Rückschlägen (Noche
aus den Jahren 535 bis 565 (diese – neuen triste) 2. Zug und endgültige Eroberung
– Nachträge als „Novellen“ bezeichnet) von Tenochtitlan und des Aztekenreiches
und auf den neuesten Stand gebracht; da- (1521); C. der erfolgreichste Konquista-
neben stehen die „Pandekten“ oder „Dige- dor, wurde Statthalter von Neuspanien,
sten“, die aus der un­übersichtlichen Fülle dann aber nach Intrigen von Neidern und
der alten juristischen Lehrmeinungen Gegnern teilweise entmachtet; 1530 Expe-
ausgewählten und den praktischen Erfor- dition nach Kalifornien; 1541 Teilnahme
dernissen angepassten Auszüge (533 als am Feldzug Karls V. nach Algier.
Reichsgesetz verkündet); dazu als Einlei- Corvey, Schloss bei Höxter (Westfalen),
tung über grundsätzliche Rechtsfragen die ehemalige Benediktinerabtei, die ältes­te
„Institutionen“. Das C. spielte im MA nur Deutschlands; 822 als Schwesterkloster
eine untergeordnete Rolle (Subsidarrecht des frz. Klosters Corbie gegründet; im
in Italien und Frankreich, bei Lücken im MA Pflegestätte der Wissenschaften (hier
einheimischen Recht); im 12.-l4. Jh. wurde entstand u. a. 967 Widukinds Sachsen­

184
Cremona

geschichte); seit dem l3. Jh. gefürstete ternat. Olymp. Komitees (bis 1925) die
Reichsabtei, 1803 säkularisiert. neuen ↑ Olymp. Spiele (l. Olymp. Spiele
Cosmas von Prag, tschech. Geschichts- 1896 in Athen).
schreiber, um 1045–1125; als Domherr Couthon, Georges, frz. Revolutionär,
von Prag verfasste er 1119/22–25 die erste 1755–1794; Mitglied des Konvents und
lat. Chronik der Böhmen, „Chronikon Bo- des Wohlfahrtsausschusses, maßgeblich
emorum“, stützte sich darin bes. auf sagen- an den Massenerschießungen in ↑ Lyon
hafte Überlieferungen aus der böhm. Vor- (1793) beteiligt; vertrauter Freund Robe-
und Frühgeschichte. spierres, mit diesem hingerichtet.
Costa Rica, Staat in Mittelamerika; 1502 Couve de Murville, Maurice, frz. Politi-
von Kolumbus entdeckt, span. Kolonie; ker, 1907–1999; 1956–58 Botschafter in
1821 unabhängig, 1871 eigene Verfassung; Bonn; 1958–1968 vertrat er als Außenmi-
Gebietsstreitigkeiten mit Panama und Ni- nister konsequent die Politik de Gaulles,
caragua von den USA bzw. den Paname- 1968–69 Ministerpräsident.
rik. Staaten beigelegt. In beiden Weltkrie- Covenant (Convenant), Bündnis der pres-
gen trat C. R. an der Seite der USA in den byterian. Schotten mit ihrem König (1580
Krieg ein. Wirtsch. Abhängigkeit von den mit Jakob I.); dann untereinander (1638)
USA, v. a. durch Niederlassung von Bana- gegen Karl I. zur Verteidigung ihres Glau-
nenpflanzungsgesellschaften. Nach bürger­ bens.
kriegsartigen Auseinandersetzungen 1948 Cranmer, Thomas, engl. Theologe und
Aufbau eines sozial orientierten demokrat. Reformator, 1489–1556; Erzbischof von
Verfassungsstaates unter Präs. José F. Ferrer Canterbury seit 1533, schied die Ehe
(1948–49, 1953–58, 1970–74). Im Kon- Heinrichs VIII. mit Katharina von ­Aragon,
flikt um ↑ Nicaragua versuchte das Land, förderte als dessen Kanzler und Ratge-
das 1983 die dauernde, aktive und unbe- ber die Trennung der englischen Kirche
waffnete Neutralität ausrief, zu vermitteln von Rom und begründete die ↑ Angelika­
(Friedensnobelpreis 1987 für Präsident nischen Kirche; Feuertod unter Maria I.
Arias Sanchez). Wegen seiner Neutrali- der Katholischen.
tät, seiner ­Landschaft und seines relativen Crassus, Marcus Licinius, röm. Kon-
Wohlstandes wird C. R. auch die „Schweiz sul, 115–53 v. Chr.; Anhänger Sullas, un-
Mittelamerikas“ genannt. terdrückte 71 den Sklavenaufstand des
Cotta von Cottendorf, Johann Friedrich, Spartacus, danach Konsul; sich stützend
Freiherr, dt. Verlagsbuchhändler, 1764– auf seine gewaltigen Reichtümer (Speku-
1832; Freund und Verleger Schillers und lationsgewinne durch Aufkauf zerfallener
Goethes; seit 1798 Herausgeber der „Allge- Häuser, deren Wiederinstandsetzung und
meinen Zeitung“ (bis 1850 bedeutendstes Vermietung zu überhöhten Preisen), trieb
dt. Presseorgan), seit 1807 auch des „Mor- er eigennützige Politik, suchte durch Geld
genblattes für die gebildeten Stände“; den Catilina für sich auszunützen; mit Cäsar
techn. Entwicklungen sehr aufgeschlossen: und Pompejus im ersten Triumvirat; von
1824 eine der ersten dampfgetriebenen den Parthern vernichtend geschlagen und
Schnellpressen; das Verlagsarchiv mit zahl- nach Verrat ermordet.
reichen Handschriften 1961 der Schiller- Cremona, Stadt in Norditalien; kelt. Grün-
Gesellschaft, Marbach, übergeben. dung, 218 v. Chr. Römerkolonie, 69 n. Chr.
Coubertin, Pierre Baron de, frz. Sports- unter Kaiser Vespasian zerstört; im 12. Jh.
mann, 1862–1937; erneuerte den olym- ghibellinisch. 1334 zu Mailand. – Im
pischen Gedanken und organisierte als 16. Jh. berühmte Maler-, im 16.–18. Jh.
Vorsitzender des 1894 von ihm gegr. In- Geigenbauschule.

185
Crépy-en-Laonnais

Crépy-en-Laonnais, frz. Dorf nahe Laon; liche Beherrscher Ägyptens (großzügiger


1544 Friedensschluss zwischen Franz I. Ausbau der Nilregulierung, Straffung der
von Frankreich und Karl V.: Mailand blieb ägypt. Verwaltung).
Reichslehen, Neapel zu Spanien, Burgund Cromwell, Oliver, engl. Staatsmann und
zu Frankreich. Feldherr, 1599–1658; seit 1640 treibende
Crescentius, Adelsgeschlecht im mittelal- Kraft der puritan. Parlamentsopposition
terl. Rom: Johannes C., um 985–995 welt- gegen Karl I., Führer der radikalen ↑ In-
licher Gewalthaber in Rom, bezeichnete dependenten, schaffte sich im Bürgerkrieg
sich als patricius Romanorum, wurde 998 eine Elitereiterei aus ergebenen Anhängern,
nach der Einnahme Roms durch Otto III. den „Heiligen“, mit der er 1644/45 die kö-
gefangen gesetzt und vor der Engelsburg niglichen Heere und 1648 die Schotten be-
enthauptet, seine Parteigänger wurden ge- siegte und sich das presbyterian. Parlament
kreuzigt. gefügig machte; das ihm ergebene „Rumpf-
Crispi, Francesco, ital. Staatsmann, 1819– parlament“ setzte die Hinrichtung Karls I.
1901; beteiligt 1848–1849 am Aufstand in durch (C. Mitglied des Gerichtshofes); im
Palermo und 1860 an der Erhebung Sizili- Staatsrat der Republik spielte C. die füh-
ens unter Garibaldi im ital. Parlament Füh- rende Rolle; 1649/50 warf er als General-
rer der liberalen Linken, 1887–1891 und gouverneur von Irland den irischen Auf-
1893–1896 Ministerpräsident; Vertreter stand grausam nieder; nach neuen Siegen
der Politik des ↑ Dreibundes; versuchte Er- über die Schotten und Truppen Karls II.
oberung Abessiniens, die bei ↑ Adua 1896 gab er 1653 eine Verfassung, die ihn zum
scheiterte. Lord-Protektor von England, Schottland
Croce, Benedetto, ital. Philosoph und His- und Irland erhob; errichtete zeitweilig eine
toriker, 1866–1952; entwarf, die Dialektik Militärdiktatur; 1652–1654 führte er ei-
Hegels neu gestaltend, eine Philosophie nen siegreichen Seekrieg gegen Holland,
des Geistes, unter Ablehnung der Natur- gegen das er 1651 die ↑ Navigationsakte
philosophie eine Philosophie des Lebens verkündet hatte; er unterstützte überall die
und eine idealist. Geschichtsphilosophie. protestant. Mächte gegen Spanien; seine
Cro-Magnon, Ort in der Dordogne (S- großen militär. Erfolge in und außerhalb
Frkr.), Fundstätte (1868) von fünf Ske- Europas (1655 Eroberung Jamaikas, 1658
letten des C.-Menschen des Jung-↑ Paläo- Einnahme von Dünkirchen) und seine
lithikums, nach dem Neandertaler 50 000 konsequente merkantilist. Politik begrün-
bis etwa 12 000 v. Chr. lebend; der Cro- deten Englands Stellung als führende See-,
Magnon-Mensch war der Träger der ↑ Au- Kolonial- und Handelsmacht; im Inneren
rignacien, ↑ Solutréen- und ↑ Magdale- gelang es ihm nicht, seine Macht zu legali-
nien-Kultur; Klingen und Knochengeräte; sieren, er geriet in Konflikte mit dem Parla-
Beginn der darstellenden Kunst, früheste ment, das er nach Hause schickte; die Kö-
Menschendarstellungen (Venusstatuetten); nigskrone lehnte er ab und hinderte seine
Rentierjäger. Der C.-Mensch war über Eu- Anhänger daran, die polit. Revolution bis
ropa, Nordafrika und die Kanaren verbrei- zur soz. weiterzutreiben; die Wohlfahrt des
tet; mit ihm begann die Aufspaltung in Landes und die Garantie der bürgerl. Ord-
die Großrassen der Gegenwart (Europide, nung hielt er für die moralische Rechtferti-
Australide, Mongolide, Negride). gung seiner Diktatur; sein unfähiger Sohn
Cromer, Evelyn Baring, Earl of, brit. Richard, 1626–1712, folgte ihm 1658 als
Staatsmann, 1841–1917; einer der großen Lord-Protektor, musste aber schon 1659
Mehrer des brit. Empire, als Generalkon- der inneren Opposition, die 1680 zur Re-
sul in Kairo 1883–1907 war er der eigent- stauration der Stuarts führte, weichen.

186
Curtius Rufus

Crotus Rubianus (Johannes Jäger), dt. Dampferverbindungen über den Atlantik


Humanist, um 1480–1545; Freund Hut- ein und gründete die erste Dampfschiff-
tens, Mitverfasser (vielleicht Urheber) der fahrtsgesellschaft der Welt.
„Epistolae obscurorum virorum“ (↑ Dun- Cunha, Tristão da, portug. Seefahrer, gest.
kelmännerbriefe), einer scharfen human- um 1550; entdeckte die nach ihm be­nannte
istischen Satire auf den selbstgenügsamen, Insel im südl. Atlantik; erhielt als Leiter
ungebildeten niederen Klerus, abgefasst in einer Gesandtschaft 1515 von Papst Leo X.
sog. „Mönchslatein“. die Schenkungsurkunde für alle Gebiete,
CSU, Abk. für Christlich-Soziale Union, die Portugal den Ungläubigen entriss.
↑ Christlich-Demokrat. Union. Cuno, Wilhelm, dt. Staatsmann, 1876–
Cuius regio, eius religio, Grundsatz des 1933; Generaldirektor der Hamburg-
↑ Augsburger Religionsfriedens von 1555 Amerika-Linie, 1922/1923 Reichskan-
(der in einem Territorium herrschende zler mit einem „Kabinett der Wirtschaft“,
Reichsstand bestimmt das rel. Bekennt­nis konnte in der Reparationsfrage zu keinem
seiner Untertanen). Erfolg gelangen und die Besetzung des
Cumae, altitalisches Dorf bei Neapel, äl- Ruhrgebietes nicht verhindern; abgelöst
teste griech. Kolonie auf ital. Boden, als von ↑ Stresemann.
Stadt mit Festungsburg um 750 v. Chr. Curiae, die Geschlechterverbände im al-
von Chalcis aus gegr. und sich in die bäuer­ ten Rom, die Kuriatkomitien (Volksver­
liche Umgebung ausdehnend; die Bewoh- sammlungen nach Curiae) wurden später
ner waren Seefahrer im ­ Tyrrhen. Meer, abgelöst von den Zenturiat-Komitien.
behaupteten sich 524 und 474 v. Chr. Curiatier, sagenhaftes Geschlecht aus Alba
(mithilfe Hierons von Syrakus) gegen Longa, das Drillingsbrüder zum Kampf ge-
die Etrusker. Ende des 5. Jh. von ital- gen röm. Drillinge – die Horatier – stellte
ischen Völkerschaften zerstört und von und unterlag; Alba Longa kam dadurch
Oskern und Samniten beherrscht. Unter unter die Herrschaft Roms.
den Römern (seit 338 v. Chr.) Kleinstadt; Curius Dentatus, Manius, röm. Staats-
seine Rolle als Handelsplatz übernahm das mann und Feldherr, Konsul 290, 284 und
nahe Puteoli; in C. Orakel – Kulthöhle der 275 v. Chr., schlug Sabiner und Samniten;
Sibylle; die Höhle wurde 1932 entdeckt zwang Pyrrhus von Epirus durch den Sieg
(↑ Großgriechenland). von Benevent (275) zur Räumung Italiens;
Cumberland, 1) C., Wilhelm August, von Cato als Ideal eines Römers gerühmt.
Herzog von, Sohn Georgs II. von Eng- Curtius, 1) C., Ernst, dt. klassisch. Philo-
land, 1721–1765; Heerführer im 7-jäh- loge, 1814–1896; leitete die Ausgrabun-
rigen Krieg; 1757 von den Franzosen bei gen in Olympia. 2) C., Julius, dt. Poli-
Hastenbeck geschlagen, räumte Hannover tiker, 1877–1948; seit 1920 Mitglied des
(Konvention von Kloster Zeven). 2) C., Reichstages (Dt. Volkspartei), 1926–1929
Ernst August, Herzog von, königlicher Reichswirtschafts-, 1929–1931 Reichs­
Prinz von Großbritannien, Herzog von außenminister (Durchsetzung des Young-
Braunschweig-Lüneburg, Sohn Georgs V., Planes); konnte 1931 die geplante dt.-ös-
des letzten Welfenkönigs von Hannover, terr. Zollunion gegen den frz.-brit. Wider-
1845–1923; 1885 als Erbe von Braun- stand nicht durchsetzen.
schweig ausgeschlossen, weil er an seinem Curtius Rufus, Quintus, röm. Geschichts­­
Anspruch auf Hannover festhielt. schreiber der Kaiserzeit; verfasste eine „Ge-
Cunard, Sir Samuel, brit. Reeder (aus schichte Alexanders d. Gr.“ in 10 Büchern,
Kanada), 1787–1865; richtete 1840 trotz von den die letzten acht fast vollständig er-
der Warnung der Techniker regelmäßige halten sind.

187
Curzon

Curzon, George Nathaniel, Marquess C. of Cuzco (Cusco), 1200–1533 n. Chr. Haupt-


Kedlestone, brit. Staatsmann, 1859–1925; stadt des Inkareiches, etwa 3400 m hoch
1898–1905 Vizekönig von Indien, 1919– gelegen, Residenz des „regierenden Inka“
1924 Außenminister. und des „Viererrates“, der Vertretung des
Curzon-Linie, die vom brit. Außenminister hohen Adels; nach Osten durch Berg- und
↑ Curzon 1920 vorgeschlagene Grenzzie- Grenzfestung Machu Picchu geschützt;
hung zwischen Polen und Russland, folgte Sonnentempel und Tempel der Sonnen-
etwa der Siedlungsgrenze zw. Polen einer- jungfrauen freigelegt; in der Nähe monu-
seits, Ukrainern und Weißrussen ander- mentale Reste von Machu Picchu und der
erseits (überwiegend ukrainisch, Ostgali- Vor-Inkastadt Sacschuaman; 1533 Einzug
zien jedoch zu Polen); wurde von Polen ↑ Pizarros; 1535 z. T. niedergebrannt,
abgelehnt, das nach seinem Sieg über die Gründung der neuen Hauptstadt Lima;
Sowjets 1920 große Gebiete östl. der C. 1536/37 vergebliche Belagerung der Stadt
behielt; 1939 annektierte die Sowjetunion durch die Inkas; auf den Ruinen Bau der
diese Gebiete einschließlich Ostgaliziens heutigen Provinzhauptstadt C.
und ließ sich auf der Konferenz von Tehe- Cyrankiewicz, Jozef, poln. Politiker,
ran 1943 eine Nachkriegsgrenze gemäß der 1911–1989; als Generalsekretär der Poln.
C. zusichern; Polens Protest gegen diese Sozialist. Partei (PPS) seit 1945 maßgeb­
„5. Teilung Polens“ ohne Erfolg; Polen lich an deren 1948 vollzogenen Vereini-
wurde jedoch 1945 auf Kosten Deutsch- gung mit den Kommunisten zur Vereinig-
lands durch die zur Verwaltung überge- ten Poln. Arbeiterpartei beteiligt. 1947–52
benen Ostgebiete jenseits der Oder-Neiße- und 1954–70 Ministerpräsident, unter-
Linie entschädigt. zeichnete den Dt.-Poln. Vertrag; 1970–72
Custoza (fälschlich Custozza), Dorf süd- Staatspräsident, seit 1972 Botschafter in
westl. von Verona; hier schlugen die Öster- Bern.
reicher 1848 unter Radetzky die sardische Cyrus, ↑ Kyros.
Armee unter König Karl Albert, 1866 un- Czartoryski, Adam Georg Fürst, poln. Sta-
ter Erzherzog Albrecht die Italiener unter atsmann, 1770–1861; Patriot, nahm am
Lamarmora. Freiheitskampf Kosciuszkos teil; 1795 als
Cuvier, George Baron de (eigtl. Küper), Geisel in Petersburg, während der napo-
frz. Naturforscher dt. Herkunft, 1769– leon. Kriege Ratgeber und Begleiter des
1832; begründete die vergleichende Anat- Zaren Alexander I.; nach der poln. Erhe-
omie und Paläontologie; vertrat eine Katas- bung 1830 Präsident der Nationalregie­
trophentheorie (alles Leben wird nach rung, aus Protest gegen poln. Übergriffe
gewissen Zeiträumen durch Katastrophen zurückgetreten, seit 1831 Haupt der aristo­
vernichtet; neues Leben durch neue Schöp- krat. poln. Emigranten in Paris.
fung; Ablehnung der organ. Entwicklung- Czernin, Ottokar Graf, österr.-ungar.
slehre). Staats­mann, 1872–1932; von 1916–1918
Cuza, Alexandru Ioan, erster Fürst Ru­ Außenminister, der eine neue Linie der ös-
mäniens, 1820–1873; nahm 1848 an der terr.-ungar. Außenpolitik im Sinne Kaiser
revolutionären Bewegung in der ­ Moldau Karls einleitete; im Frühjahr 1917 diplo-
teil; 1862 Zusammenschluss der Vereinig­ mat. Schritte in Berlin mit dem Ziel eines
ten Fürstentümer unter dem Namen Ru­ baldigen Friedens. – Unabhängig davon
mänien (C. als Alexander Johann I. von Sonderfriedens-Aktion des Prinzen ↑ Six-
Rumänien); führte grundlegende liberale tus.
Reformen durch; 1866 zur Abdankung
gezwungen.

188
Dachau

Dachau, nat.-soz. KZ; 1933– mit weiträumigen Lehmpalästen; blutige

D 1945 waren hier rd. 200 000


Menschen interniert, mindes­
tens 34 000 von ihnen wurden
zwischen 1940 und 1945 getötet; D. war
Gewaltherrschaft, grausame Eroberungs-
kriege mit Hinmetzelung aller ­Gefangenen,
Sklavenjagden, Leopardenkult mit uner-
messlichen Menschenopfern; berühmt und
eines der ersten KZs der Nationalsozia- berüchtigt die Frauenregimenter, die noch
listen; die vom Kommandanten Eicke ein- 1890 den eindringenden Franzosen ent-
geführte Lagerordnung wurde maßgeblich gegentraten; 1904 Kolonialgebiet in Frz.-
für die weiteren ↑ Konzentrationslager. Westafrika; 1960 unabhängig, jedoch in
Dacia, ↑ Dakien. der Franc-Zone verbleibend. Seit der Un-
Dagobert I., merowing. König der Franken abhängigkeit wiederholt Militärputsche,
(629–639), Sohn Chlotars II.; herrschte Regierung durch „Nationalrat der Revo-
seit 622 in Austrasien, später über das Ge- lution“ seit 1965; Abbau der privilegierten
samtreich (Austrasien, Neustrien und Bur- Beziehungen zu Frankreich, 1975 Umbe­
gund), kämpfte vergeblich gegen den Sla- nennung in ↑ Benin.
wenherrscher Samo in Böhmen. Unter D. Daily-Telegraf-Affäre, enstanden durch
Emporkommen des arnulfing. Adelsge- die Veröffentlichung eines Interviews Kai-
schlechts (Arnulf von Metz und Pippin). ser Wilhelms II. in der großen engl. Zei-
Nach seinem Tod Preisgabe der Reichsein- tung „Daily Telegraf“ 1908 mit taktlosen
heit durch Erbteilung. Bemerkungen über das dt.-engl. Verhält-
Daguerre, Louis Jacques Mandé, frz. De- nis. Entfesselte einen Sturm in der öffent-
korationsmaler, 1789–1851; erfand in den lichen Meinung in Deutschland gegen das
1830er Jahren zus. mit Nièpce das erste fo- „persönliche Regiment“ des Kaisers mit
tograf. Verfahren, die Daguerreotypie. seinen Unberechenbarkeiten in der Außen­
Dahlberg, Erik Graf, schwed. Feldmar- politik (Thronkrise); seitdem stärkere Zu-
schall, 1625–1703; berühmter Festungs- rückhaltung in der Außenpolitik.
bauer, „Vauban Schwedens“ genannt; Geg- Daimler, Gottlieb, dt. Ingenieur, Pionier
ner der Offensivpläne Karls XII. gegen Po- der Motorentechnik, 1834–1900; konstru-
len, Russland und Sachsen. ierte Verbrennungsmotoren und 1885 ein
Dahlmann, Friedrich Christoph, dt. His­ mit Verbrennungsmotor (Glührohrzün-
toriker und Politiker, 1785–1860; in Kiel dung) ausgestattetes, hölzernes Zweirad;
Wortführer Schleswig-Holsteins gegen die 1890 Gründung der Daimler-Motoren­-
dän. Krone, fand das Dokument mit der Gesellschaft (seit 1926 mit Fa. Benz zur
Bestimmung „up ewig ungedeelt“; 1837 Daimler-Benz AG vereinigt).
unter den ↑ „Göttinger Sieben“, seit 1842 Daimyo, seit dem 12. Jh. japanische Grund­
Prof. in Bonn, 1848 Mitglied des Frank- herren (Lebensherren), im 13. bis 19. Jh.
furter Parlaments, gemäßigter, am engl. auch Territorialherren, deren Rechte 1869
Vorbild orientierter Liberaler, für kleindt. auf den Kaiser übergingen.
Lösung, an der Ausarbeitung der Reichs- Dakien, Siedlungsgebiet der thrakischen
verfassung maßgeblich beteiligt, kapitu- Daker im heutigen Rumänien, die z. Z.
lierte vor der Reaktion. Als Vertreter eines Cäsars zusammen mit den Goten ein Reich
liberalen geschichtlichen Denkens von be- zwischen Schwarzem Meer und Böhmen
herrschendem Einfluss auf das Geschichts- errichteten und die röm. Nordgrenze be-
bild des histor. interessierten Bürgertums. unruhigten; gegen ihren König ­Decebalus
Dahomey, ehemals selbständiges König­ führte Trajan 101–107 n. Chr. siegreiche
reich des Ewestammes in W-Afrika 1625– Kriege (verherrlicht auf den Reliefs der
1894, Hauptstadt: Alada, später Aboma Trajansäule in Rom). Begründung der Ko-

189
Daladier

lonie Dacia in Siebenbürgen und westlich Teil der Provinz Illyricum; seit dem 4. Jh.
des Alt (einzige röm. Siedlung nördlich der wechselnd im Besitz germ. Völker, vor
Donau), besiedelt mit Pannoniern, Dal- allem der Ostgoten; nach deren Untergang
matinern, Syrern. Reste der Daker erhalten Teil des byzantin. Reiches. Im 7. Jh. Be-
in der Großen Walachei (Vorfeld der Pro- sitznahme durch Kroaten und Serben, seit
vinz); unter Mark Aurel Abwehrkämpfe ge- 11. Jh. umkämpft zw. Venedig, Ungarn,
gen die Sarmaten, im 3. Jh. Goteneinfälle, Byzanz, Serbien, Bosnien und Kroatien.
271 Räumung der Provinz, Rückführung Die Inseln und Küstengebiete 1420 vene-
der Bevölkerung nach Neu-D. südl. der zianisch, gegen die Türken behauptet und
Donau. landwärts vergrößert (Grenzziehung durch
Daladier, Édouard, frz. Staatsmann, 1884– den Frieden von Passarowitz 1718), 1797
1970; Radikalsozialist (bürgerlich-liberal), (endgültig 1814) zu Österreich, 1816–67
jahrelang Kriegsminister, 1933 und 1938– Königreich, 1867 Kronland, 1869 Auf-
1940 Ministerpräsident; beteiligt am Ab- stand. Nationalitätenkampf der Kroaten
schluss des Münchener Abkommens, da- gegen Deutsche und Italiener; seit 1919 zu
durch Konflikt mit der Volksfront; 1939 Jugoslawien, seit 1991 zu Kroatien.
Garantieerklärung für Griechenland, Ru- Dalwigk, Karl Friedrich Reinhard Freiherr
mänien und Polen, 3. Sept. Kriegserklä- von, dt. Staatsmann, 1802–1880; seit 1850
rung an Deutschland (nach Briefwechsel Leiter der Politik des Großherzogtums
mit Hitler), unter Petain als Mitschuldiger Hessen, einer der Gegenspieler Bismarcks
an frz. Niederlage verurteilt, 1944 nach in der dt. Frage, trat für uneingeschränkte
Deutschland gebracht, 1945 befreit. Selbständigkeit der Mittelstaaten zw. Preu-
Dalai Lama, das geistliche und weltliche ßen und Österreich ein und verfocht die
Oberhaupt des ↑ Lamaismus. ↑ Trias-Lösung.
Dalberg, altes dt. Adelsgeschlecht (Minis­ Damaschke, Adolf, Führer der dt. ↑ Boden­
terialadel), Erzkämmerer des Adelsstifts reform-Bewegung, 1865–1935; kämpfte
Worms, im 17. Jh. zu Reichsfreiherren er- für Überwindung der sozialen Not v. a.
hoben. – 1) D., Johann, Kanzler der Kur­ allem der Großstädte durch Beschränkung
pfalz, Bischof von Worms, 1445–1503; des Privateigentums an Grund und Boden
Förderer der Universität Heidelberg, Grün- (z. B. Enteignung von Grundstücken für
der der Bibliothek zu Heidelberg, sein Mu- Sozialeinrichtungen).
senhof Mittelpunkt des Früh­humanismus Damaskus, Stadt an der großen Handels-
(Agricola, Celtes, Reuchlin). 2) D., Karl straße Mittelmeer–Euphratgebiet; bedeu-
Theodor, Freiherr von, letzter Kurfürst und tender Markt und Gewerbeplatz bereits in
Erzbischof von Mainz, 1744–1817: 1806 der Altsteinzeit (Faustkeilindustrie) ebenso
Fürstprimas des Rheinbundes, 1810/13 wie in geschichtl. Zeit (↑ „Damaszener
Großherzog von Frankfurt, nach 1815 Erz- Klingen“), am Ostfluss des Antilibanons;
bischof von Regensburg, Freund Goethes z. Z. Davids um 1 000 v. Chr. als gefähr-
und Wielands. licher Nachbar der Israeliten erstmalig er-
Dalmatien, Küstenlandschaft an der Adria; wähnt, 950–800 v. Chr. Hauptstadt eines
in der Jungsteinzeit im Einflussbereich der aramäischen Reiches, 732 v. Chr. von den
↑ Urnenfelder- und in der Bronzezeit der Assyrern erobert, dann babylonisch und
↑ Hallstattkultur; in späterer Zeit bewohnt persisch, blühende Handelsstadt; 333 in
von den illyr. Dalmatinern, benannt nach der Gewalt Alexanders d. Gr., anschließend
der Handelsstadt Delminium; 229 v. Chr. unter den Seleukiden; seit 64 v. Chr. unter
erster Krieg mit den Römern, 33 v. Chr. von röm. Oberhoheit, 105 n. Chr. von Trajan
Oktavian unterworfen und seit 10 n. Chr. der Provinz Syrien einverleibt. Bischofs-

190
Dampfschiff

sitz im byzantinischen Reich, 635 vom 1700 (Kolben-“Feuermaschine“) erst von


Kalifen Omar erobert, bis 753 Residenz James Watt seit 1769 (1. Patent) in indus-
der ↑ Abbasiden, 1148 ohne Erfolg von triell einsetzbarer Form entwickelt. Die
Kreuzfahrern belagert, 1154 von Sultan nach dem Vorbild von Watts Erfindungen
Nureddin von Aleppo erobert; 1401 von gebauten D.n (mit Kondensator, doppelt
Timur zerstört, 1516 türk. Statthaltersitz, wirkendem Zylinder, Schieber und Feue-
1860 Christenmassaker durch die ↑ Dru- rung) wurden in England zunächst meist
sen. Nach dem 1. Weltkrieg Hauptstadt im Bergbau (Auspumpen des Grubenwas-
des frz. Mandats Syrien, beim Drusenauf- sers) verwendet. 1798 baute der Englän-
stand 1925 von den Franzosen beschossen. der Richard Trevithick die erste leistungs-
Seit dem 2. Weltkrieg Hauptstadt der Re- fähige Hochdruck-D., 1801 der Ameri-
publik Syrien bzw. bis 1961 2. Hauptstadt kaner Symington die direkt wirkende D.
der Vereinigten Arab. Republik. mit unbeweglichem, liegendem Zylinder.
Damaskusschrift, 1896 im Schriftrollen- Bereits um 1800 wurde die Arbeitskraft
archiv (Genua) der Synagoge Kairo ent- von 3 Mio. Menschen von der D. ersetzt;
deckte und in Teilen auch in Qumran am die „Industrielle Revolution“ wäre ohne
Toten Meer erhaltene Manuskripte bzw. D. undenkbar gewesen (Energie an jedem
Abschriften der Lebensordnung einer jüd. Standort, zu jedem Zweck). Das 19. Jh.
Gemeinschaft („Neuer Bund“, Essener?) brachte an Konstruktionsverbesserungen:
aus dem 1. Jh. v. Chr. mit dem Ziel einer die Mehrfachexpansion (zweistufig schon
Rückkehr zu Moses. 1781 von Hornblower), Steuerungsver-
Damaszener Klingen, aus Indien und Per- besserung (1849 Dampfsteuerung von
sien stammende Stahlart, bei der Stahlplat- Corlis, 1867 Ventilsteuerung), Dampf­
ten oder Stahldrähte und Weicheisen unter überhitzung (Idee des Elsässers Hirn, 1892
vielfacher Verdrehung/Knickung bei lang- Heiß-D. des Deutschen W. Schmidt). Die
samer Abkühlung miteinander verschweißt moderne Hochdruckdampftechnik wurde
werden. Die D. K. (Handelsplatz Damas- von Schmidt entscheidend gefördert (1886
kus) oder Panzer zeigten bei hoher Festig- Versuchsmaschine für 60 at). 1891 kon-
keit große Elastizität; seit etwa 900 be- struierte Eberle die 1. Entnahme-D., 1909
kannt, durch die Araber nach Spanien (To- Stumpf die Gleichstrom-D.
ledo) übertragen, durch die Kreuzfahrer Dampfschiff, um 1690 schlug der Franzose
auch in Mitteleuropa bekannt geworden. Papin vor, Dampfkraft zum Bewegen der
Damiani, Petrus, hl., einflussreicher Ver- Schiffe zu verwenden; die Fahrt von 1707
fechter des kirchlichen Reformgedankens, auf der Fulda oder Weser ist eine Legende.
1007–1072; ursprünglich Schweinehirt, 1736 erhielt der Engländer Hull ein Patent
dann Mönch, eiferte gegen die Sittenlosig- auf Ruderradschiffe mit Dampfkraft; auch
keit des Klerus; 1058/61 Kardinalbischof der Physiker Daniel Bernoulli griff den Ge-
von Ostia, von Papst Gregor VII. mehr- danken auf. Versuche mit D.-Konstrukti-
mals zu Missionen verwendet; als Legat auf onen machten Auxiron 1774, Perrier 1775
der Synode zu Mainz (1069) bewegte er und Marquis Joufroy 1776 (bis 1816) in
Kaiser Heinrich IV. dazu, auf die geplante Frankreich, der Engländer Fitch und der
Ehescheidung zu verzichten. Amerikaner Miller 1787 und 1788. Sy-
Dampfmaschine, nach den ­Konstruktionen mington kombinierte 1801 die bis dahin
des frz. Physikers Papin um 1690 (atmo- gemachten Verbesserungen. Am erfolg-
sphär. Kolben-D.), des engl. Mecha­nikers reichsten war Fulton, der mit dem Rad-
Savery zur gleichen Zeit (Aspira­tions­ dampfer „Claremont“ 1807 den Hudson
maschine) und des Engländers ­Newcomen befuhr; 1811 1. europ. Raddampfer von

191
Dampier

Bell. Schon 1819 kreuzte die „Savannah“ zug) die dalmatinische Hauptstadt Zara
als erstes (noch besegeltes) Dampfschiff und zweimal, 1203 und 1204, Byzanz, er-
den Atlantik in 26 Tagen (davon 8 Tage un- warb wichtige Handelsstützpunkte (Ioni­
ter Segel), 1833 wurde in England das erste sche Inseln, Kreta), rettete 1205 das 1204
Kriegsdampfschiff gebaut. Einen gewal- errichtete ↑ lateinisches Kaisertum in By-
tigen Fortschritt bedeutete die Erfindung zanz vor der Vernichtung durch die Bul-
der Schiffsschraube durch I. Ressel 1829, garen.
doch herrschte der Raddampfer noch bis Danebrog, dän. Reichsbanner (rotes Ban-
über die Mitte des 19. Jh. vor; die Damp- ner, weißes Kreuz), fiel nach einer Sage in
fer waren auch jetzt noch zusätzlich mit Se- der Schlacht von Reval 1219 unter Walde-
geln ausgerüstet. Seiner Zeit voraus war der mar II. in höchster Not aus den Wolken.
von Brunel und Russel konstruierte, 1857 Danegeld, ↑ Ethelred II.
vollendete Riesendampfer „Great Eastern“ Dänemark, eines der Kernsiedelgebiete der
(ganz aus Eisen). Weitere bedeutende Fort- Urgermanen; nach Abzug der Westgerma-
schritte in der Entwicklung waren die Ver- nen seit dem 5. Jh. von den skandinav. Dä-
wendung von Stahl als Hauptbaumate- nen besetzt, die zu den gefürchteten Wi-
rial, die Verdrängung der Kolbenmaschine kingern (Normannen) gehörten; unter Kö-
durch den Turbinenantrieb (auch kombi- nig Gottfried (ermordet 810) Kämpfe mit
niert mit Generator und Elektromotor), Karl d. Gr.; Christianisierung begonnen
Kohlenstaub- oder Ölfeuerung an Stelle im 9. Jh., mit Dauererfolg im 10. Jh. vom
der Kohlenheizung. Moderne (leichte) Erzbistum Bremen aus, um 965 Übertritt
Kriegsschiffe erreichten Geschwindigkeiten des Königs Harald Blauzahn zum Chris-
von über 40 Seemeilen in der Stunde = tentum; seit Anfang des 10. Jh. geeintes
über 70 km. Neueste Entwicklung: Wärme­ Königreich mit Teilen von Schleswig und
energie durch Atomreaktor. Südschweden. Unter Knut d. Gr. (1016
Dampier, William, engl. Weltumsegler oder 1018–1035) vorübergehende Erobe-
1652–1715; nach ihm benannt die D.- rung Englands und Norwegens; Glanzzeit
Straßen (nordwestl. bzw. nordöstl. von unter Waldemar I. d. Gr.; Großmachtstel-
Neuguinea) und das D.-Land (Halbinsel lung (Mecklenburg, Pommern, Holstein)
im NW Australiens). 1227 in der Schlacht bei Bornhöved zu-
Danekelmann, Eberhard Freiherr von, sammengebrochen; im Innern Erstarken
brandenburg. Staatsmann, 1643–1772; des Feudaladels, Absinken der Bauern in
leitender Minister des Kurfürsten Fried- die Leibeigenschaft, schwaches Wahlkö-
rich III. (des späteren Königs Friedrich I.), nigtum. Nach der Vertreibung des Kö-
Calvinist, entschiedener Vertreter des Ab- nigs Christoph II. wurde 1326 Graf ↑ Ger-
solutismus und des Merkantilismus; wegen hard III. d. Gr. von Holstein Reichsverwe-
seines Widerstandes gegen die Verschwen- ser; Übergriffe des gewalttätigen holstein.
dungssucht des Kurfürsten und wegen sei- Adels. Unter ↑ Waldemar IV. Wiederher­
ner energischen Amtsführung von seinen stellung des früheren Reichsumfangs, sein
Neidern 1697 gestürzt. Überfall auf ­Gotland (↑ Wisby) 1361 lös­te
Dandolo, eine der zwölf ersten Familien Krieg mit der Hanse aus, Waldemar konnte
von Venedig, aus der bedeutende Staats- sich nicht behaupten und floh ins Aus-
männer, Gelehrte usw. hervorgingen; am land. Durch den demütigenden Frieden
berühmtesten Enrico D., um 1108–1205, von Stralsund (1370) geriet Dänemark in
Doge von Venedig seit 1192, Begründer Abhängigkeit von der Hanse. Unter Köni-
der venezianischen ­ Mittelmeerherrschaft, gin Margarete 1387 Union mit Norwegen,
eroberte mithilfe der Kreuzfahrer (4. Kreuz- 1389 auch mit Schweden; 1397 ↑ Kalma-

192
Dante Alighieri

rische Union, Verschmelzungspolitik gegen Stützpunkte, die Insel erhielt 1979 die in-
heftigen Widerstand der Schweden. Nach- nere Autonomie. Staatsoberhaupt seit 1972
folger Margaretes: ↑ Erich der Pommer. Seit Königin Margarete II. 1973 wurde D. Mit-
1448 Haus Oldenburg in D. (in Schweden glied der Europäischen Union. Die lang-
Gegenkönige). Vereinigung mit Schwe- jährige parlamentar. Herrschaft der Sozial-
den endgültig 1523 gelöst. 1640 Personal- demokraten (zuletzt Minderheitsregierung
union mit Schleswig-Holstein (bis 1863). unter A. Jørgensen) wurde 1982 beendet.
1536 Einführung der Reformation und Bis 1993 bürgerlich-liberale Minderheits-
Säkularisierung der Kirchengüter. 1625– regierungen, 1993–2001 Mitte-Links-Re-
29 erfolgloses Eingreifen in den ↑ 30-jäh- gierung, seitdem Minderheitsregierung der
rigen Krieg. Territoriale Verluste durch rechtsliberalen und Konservativen unter
die Kriege mit Schweden (1643–45 und Anders Fogh Rasmussen.
1657/58). 1665 Einführung des Absolu- Danewerk, befestigter Grenzwall der Dä-
tismus durch die Lex regia (Königsgesetz), nen gegen die Deutschen in Schleswig, um
1700–1721 Teilnahme am ↑ Nordischen 808 von König Gottfried erbaut, 974 von
Krieg gegen Schweden; zweite Hälfte des Kaiser Otto II. erstürmt, 1027 an Däne-
l8. Jh. aufgeklärter Absolutismus und Re- mark zurück, 1849 von den Preußen er-
formen (­Bauernbefreiung). Nach Beschie- stürmt, danach wiederaufgebaut und ver-
ßung Kopenhagens und Wegnahme der stärkt, 1864 kampflos geräumt und von
Flotte durch die Engländer 1807 Anschluss den Preußen geschleift.
an Napoleon, 1814 Abtretung Norwegens Danilewski, russ. Schriftsteller, ­Wortführer
an Schweden, Helgolands an England; von des Panslawismus, 1822–1885; gab in dem
den nationalliberalen „Eiderdänen“ gefor- 1871 erschienenen Werk „Russland und
derte und von der Krone übernommene Europa“, das zur „Bibel der Panslawisten“
Politik der Einverleibung Schleswig-Hol- wurde, eine geschichtsphilosophisch-reli-
steins Anlass zum Krieg gegen den Dt. giöse Rechtfertigung der Führerrolle Russ­
Bund (geführt von Preußen) 1849/50; lands bei der Befreiung der Balkanvölker
Regelung der Thronfolge im Gesamtstaat und der Bildung eines allslaw. Reiches „von
1852 durch ↑ Londoner Protokoll, 1863 der Adria bis zum Stillen Ozean“, stellte
Gesamtstaatsverfassung auch für Schles- darin eine (Spengler vorwegnehmende)
wig-Holstein Ursache des Krieges gegen Kulturtypenlehre auf, um zu beweisen,
Preußen und Österreich (↑ Schleswig-Hol- dass das „Russland der demütigen Heili-
steinischer Krieg), Niederlage (Düppeler gen“ nicht zum „Europa der gewalttätigen
Schanzen) und Verlust der Herzogtümer. Helden“ gehöre und berufen sei, den zum
Neutralität im 1. Weltkrieg, 1917 Verkauf Untergang verurteilten Westen zu über-
der dän.-westind. Inseln. 1920 Rückge- winden und abzulösen.
winnung N-Schleswigs durch Volksabstim- Dante Alighieri, der größte ital. Dichter,
mung; 1940 dt. Einmarsch (kampflos); seit Schöpfer der ital. Literatursprache (de vul-
1943 Widerstandsbewegung, 1945 Lan- gari eloquentia) und einer der tiefstschöp-
dung der Engländer in Kopenhagen, Ab- fenden Geister aller Zeiten, 1265–1321;
zug der deutschen Truppen; nach 1945 aus Florenz stammend, als gemäßigter
Ende der traditionellen Neutralitätspolitik; Guelfe Opfer der Parteikämpfe seiner Va-
1949 Beitritt zum Nordatlantikpakt; Mit- terstadt, 1301 verbannt und nach sei-
begründer des Nordischen Rats. 1918 Er- ner Parteinahme für Kaiser Heinrich VII.
klärung Islands zum selbständigen Staat in „auf ewig“ geächtet („De monarchia“ über
Personalunion mit D., Personalunion 1944 Weltreich und Weltkaisertum; Kirche und
gelöst. Auf Grönland (Provinz) amerik. Reich gleichberechtigt); sah seine Vater-

193
Danton

stadt nicht wieder und starb nach ruheloser Dardanellen, Meerenge zw. Ägäischem und
Wanderschaft in Ravenna. Sein Hauptwerk Marmarameer, nach der antiken Stadt Dar-
„La Divina Commedia“, etwa 1311–1321 danos benannt, antiker Name Hellespont;
verfasst, gestaltet das Weltbild seiner Zeit in der Antike „Brücke“ Europa – Asien;
in einer visionären Schau, im Persönlichen durch die Araber stark befestigt; seit 1356
das Schicksal der Menschheit deutend. türkisch. Das Durchfahrtsrecht durch die
Danton, Georges Jacques, einer der Führer D. wurde seit dem 18. Jh. zu einem inter-
der Frz. Revolution, 1759–1794; Advokat, nationalen Problem: – Die D.-verträge des
begründete mit ↑ Desmoulins die radikale 19. Jh. waren Ergebnisse des Ringens zw.
Parteigruppe der Cordeliers, Vertreter der Russland, das über den Besitz der Darda-
„natürlichen Grenzen“ Frankreichs, Mit- nellen Zugang zum Mittelmeer erstrebte,
glied des Konvents und des Wohlfahrts- England und Frankreich, die im 19. Jh. der
Ausschusses; verantwortlich für die Septem­ russ. Expansion entgegentraten, und der
bermorde 1792; errichtete 1793 das Revo­ Türkei als der traditionellen Hüterin der
lutionstribunal, durch Robespierre ­gestürzt, Meerengen. – Gegen die 1833 von Russ-
hingerichtet (↑ Frz. Revolution). land dem Sultan abgenötigten Vorrechte
Danzig, bed. Ostseehafen, an der Weich- 1841 Vertrag der Großmächte mit der
selmündung; 997 erstmals erwähnt; um Türkei: Verbot der Durchfahrt nichttürk.
1260 Hauptstadt des Herzogtums Pom- Kriegsschiffe ohne Zustimmung der Pforte,
merellen (Oberpommern), 1224–1226 1856 im Pariser Frieden bestätigt; ähnliche
dt. (Lübisches) Stadtrecht. Umkämpft zw. Bestimmungen enthielten das Londoner
Pommern, Dänemark, Polen, Branden- Protokoll von 1871 und der Berliner Frie-
burg und dem Dt. Orden; 1308/10 zum den von 1878. Nach dem gescheiterten
Dt. Orden, 1361 Hansemitglied, nach D.-Unternehmen der Alliierten 1915 und
1410 (Tannenberg) Loslösung vom Or- nachdem ein Geheimabkommen mit Russ-
den, endgültig 1454; trotz Personalunion land (Zusage der D.-Kontrolle) durch die
mit Polen (durch 2. Thorner Frieden 1466) russ. Revolution gegenstandslos geworden
weitgehende Unabhängigkeit und Auf- war, 1918 Besetzung der D., Unterstellung
stieg zur beherrschenden Handelsstadt; unter eine Internationale D.-Kommission
bei der 3. Teilung Polens 1793 zu Preußen, und uneingeschränkte Durchfahrt; 1922
1807–1814 durch Napoleon Freistaat; Rückeroberung der 1918 an Griechenland
1878 Hauptstadt der Provinz Westpreu- abgetretenen Halbinsel Gallipoli durch die
ßen; 1919–1939 gegen den Willen der Be- Türken. 1923 im Vertrag von Lausanne
völkerung „Freie Stadt“ unter Protektorat ständige Überwachung der freien Durch-
des Völkerbundes und seit 1922 im poln. fahrt durch den Völkerbund; D. weiter-
Zollgebiet. Konflikte mit Polen, das seine hin entmilitarisiert, Durchfahrt für fremde
Sonderrechte zu erweitern suchte und den Kriegsschiffe auch im Frieden gesperrt.
Konkurrenzhafen Gdingen baute. Einglie- Entgegen der Tradition sowjet. Widerstand
derung in das Dt. Reich 1939 (2. Welt- gegen Öffnung der D. (Furcht vor Inter-
krieg); 1945 von Russen erobert, dabei vention). 1936 im Vertrag von Montreux
mittelalterl. Stadtbild zerstört, Marienkir- volle Wiederherstellung der türk. Souverä-
che, größtes Denkmal der Backsteingotik, nität und Wiederbefestigung, freie Durch-
ausgebrannt. Von Polen annektiert, dt. Be- fahrt im Frieden ohne Einschränkung nur
völkerung vertrieben; Wiederaufbau nach für Handelsschiffe, Sonderregelung für
1950. Heute bedeutende Industrie- und Kriegsschiffe.
Hafenstadt, Stadtverband mit Zoppot und Darius (griech. Dareios), persische ­Könige
Gdingen. aus dem Geschlecht der Achämeniden.

194
Daudet

1) D. I. (522–485 v. Chr.), warf den Auf- seines berühmten Enkels. 2) D., Charles,
stand des Gaumata nieder und rettete Enkel von 1), 1809–1882; sammelte auf
damit die Reichseinheit, sicherte die Au- einer 5-jährigen Erdumsegelung das Mate-
ßenprovinzen (518 Zug nach Ägypten, rial für sein Epoche machendes Werk „Über
um das Schreckensregiment des Kamby- die Entstehung der Arten durch natürliche
ses II. vergessen zu machen), unterwarf Zuchtwahl“ (1859); ↑ Darwinismus.
auf einer großen Expedition gegen die Darwinismus, von Charles ↑ Darwin auf-
­Skythen (Schiffsbrücke über den Bospo- gestellte Entwicklungstheorie; erklärte in
rus) ­ Thrakien und Makedonien, eroberte Ablehnung der herrschenden Theorie Cu-
das Indus­tal, reorganisierte die Reichs- viers und in Fortsetzung schon bestehen-
verwaltung (Einteilung in 20 Satrapien, der Entwicklungstheorien die Entstehung
Reichswährung, Staatspost), unterdrückte und Umformung aller Tier- und Pflanzen­
den großen Aufstand der ionischen Städte arten durch die Prinzipien der Variation
(Milet zerstört 494) und bereitete die Er- (Abweichung vom Elterntypus), natürliche
oberung von Hellas vor; der Feldzug des Auslese (abhängig von der Bewährung der
Datis und Artaphernes nach Athen führte Variation bei der Lebensbehauptung) und
zur Niederlage von Marathon 490 v. Chr. Vererbung (vorzugsweise der günstigen Va-
2) D. III. Kodomannos, letzter Achäme- riationen); die Entstehung der Arten ist
nide (um 336–330 v. Chr.); unterlag Ale- vom Ziel her bestimmt; in Form dieser
xander d. Gr., floh nach dem O-Iran, von Auslese- oder Selektionstheorie verhalf
dem Satrapen Bessos ermordet. der D. zus. mit den Theorien ↑ Lamarcks
Darlan, François, frz. Admiral, 1881–1942; der Abstammungslehre zum Sieg, wonach
seit 1937 Chef des Generalstabs, 1940 Ma- alle Lebewesen nicht von Anfang an in der
rineminister der Vichy-­Regierung, 1941 heutigen Form da waren, sondern sich aus
Regierungschef, zum Nachfolger Petains einer oder wenigen gemeinsamen Urfor-
ernannt; 1942 Oberkommandierender der men erst durch natürliche Zuchtwahl im
frz. Armee, erklärte sich zum Staatschef Kampf ums Dasein entwickelt haben. Im
von Nordafrika und ging zu den Alliierten positivistisch eingestellten 19. Jh. (↑ Positi-
über, kurz danach in Algerien ermordet. vismus) feierte der D. höchste Triumphe,
Darnley, Henry Stuart, Lord, Vetter und gegen die Absicht Darwins auch außerhalb
(1565) zweiter Gemahl Maria Stuarts, seines eigentlichen biolog. Bereiches (Dar-
1545–1567; Vater König Jakobs I. von winistische Weltanschauung, Nietzsches
England, von ↑ Bothwell ermordet. Herrenmenschentum durch Auslese, Ma-
Darre, Richard Walther, dt. Agrarpoliti- terialismus, Manchestertum, Imperialis-
ker, 1895–1953; seit 1933 Reichsleiter der mus, Nationalsozialismus). Der D. heute
NSDAP, 1933–1942 Reichsminister für allgemein anerkannt und durch die Muta-
Ernährung und Landwirtschaft (Reichs- tionstheorie ergänzt.
erbhofgesetz, Reichsnährstand), seit 1934 Daschkow, Jekaterina Romanowna, Fürs­
Reichsbauernführer, Verfechter der Blut- tin, Vertreterin der Aufklärung in Russ-
und-Boden-Ideologie der Nationalsozia- land, 1743–1810; 1762 beteiligt an der
listen. 1942 aus allen Ämtern entlassen; Verschwörung gegen Zar Peter III. und
1945 in Nürnberg zu 7 Jahren Haft verur- an der Thronbesteigung Katharinas d. Gr.,
teilt, 1950 entlassen. 1783 Präsidentin der Akademie der Wis-
Darwin, brit. Naturforscher. 1) D., Eras- senschaften.
mus, 1731–1802; mit seiner naturge- Dussel, Reinhard von, ↑ Rainald.
schichtlichen Theorie (in Form von Lehr- Daudet, Léon, Schriftsteller, 1867–1942;
gedichten) ein Vorläufer ↑ Lamarcks und Wortführer der nationalistischen ↑ „Action

195
Daun

Française“, Führer der royalistischen „Ca- Dawesplan, benannt nach seinem Haup-
melots de roi“. turheber ↑ Dawes, ausgearbeitet und ange-
Daun, Leopold Joseph Maria Reichsgraf nommen 1924; sollte die dt. Zahlungsfä-
von, österr. Feldmarschall, 1705–1766; higkeit für die Reparationen und damit die
reorganisierte seit 1748 die österr. Armee, Rückzahlung der europ. Schulden an die
Rivale ↑ Laudons, als Stratege «der große USA sichern, unter dem Schlagwort „Busi-
Zauderer» genannt, gefährlicher Gegner ness, not politics“; belastete Deutschland
Friedrichs d. Gr., siegte bei Kolin (1757), mit 1–1,75 Mrd. Mark Jahreszahlungen
Hochkirch (1758) und Maxen (1759). bis 1927, ab 1928 mit 2,5 Mrd. Zinsen-
Dauphin, Titel der Kronprinzen von dienst von Reichsbahn- und Industrieobli-
Frankreich 1349–1830; urspr. Titel der gationen, Verpfändung von Zöllen und in-
Grafen von Vienne, der Reichslehnsherren direkten Steuern als Sicherheit; endgültige
der Dauphine in SO-Frankreich, die einen Reparationssumme nicht festgesetzt; zur
Delphin im Wappen führten; 1349 ver- Stabilisierung der dt. Währung 800 Mio.
machte Graf Humbert II. die Dauphine „D.-Anleihe“; 1929 vom Young-Plan ab-
der Krone unter der Bedingung, dass der gelöst.
Thronerbe Frankreichs stets den Titel Dayan, Moshe, israel. General und Poli-
dieses Landes führen sollte. tiker, 1915–1981; Oberbefehlshaber des
David (hebr., Geliebter), jüd. König, um Sinaifeldzuges von 1956; 1959–64 Land-
1000–970 v. Chr.; nach der Auseinander­ wirtschaftsminister, 1964 Mitbegründer
setzung mit den ↑ Seevölkern eigentlich Be- (mit ↑ Ben Gurion) der Rafi-Partei (Ab-
gründer des jüdischen Reiches, Nachfolger spaltung der Sozialdemokrat. Mapai-Par-
Sauls, durch den Propheten Samuel zum tei); führte als Verteidigungsminister (bis
König gesalbt; vereinigte Israel und Juda, 1974) den Sechstagekrieg 1967. 1977–79
machte das bisher kanaanäische Jerusalem Außenminister; 1981 Gründer der Partei
zur Hauptstadt (durch Überführung der Telem (Bewegung für die nationale Erneu-
Bundeslade); Psalmendichter; bestimmte erung), die jedoch unbedeutend blieb.
Salomo, den Sohn seiner Geliebten Beth- Deák, Franz, ungar. Staatsmann, 1803–
seba, zu seinem Nachfolger (↑ Israel). 1876; Liberaler, 1848 Justizminister, trat
Davis, 1) D., Jefferson, amerik. Staats- als Abgeordneter im ungar. Reichstag für
mann, 1808–1889; Vorkämpfer der Skla- den Ausgleich mit Österreich (1867) ein.
venhalterstaaten, im Sezessionskrieg 1861– Debré, Michel, frz. Politiker, 1912–1996;
1865 Präsident der Südkonföderation und 1959–1962 Ministerpräsident, 1966–1968
Seele des Widerstandes gegen die Union, Wirtschafts- und Finanzminister, 1968/69
1865 gefangen genommen, 1868 begna- Außenminister, anschließend bis 1973 Ver-
digt. 2) D., John, engl. Seefahrer, 1550– teidigungsminister, unterlag bei den Präsi-
1605; entdeckte 1585 die D.-Straße zw. dentschaftswahlen 1981 dem Sozialisten
Grönland und Baffinland, 1592 die Falk- ↑ Mitterrand.
landinseln. Debreczin, ungar. Stadt; 1567 Synode,
Dawes, Charles G., nordamerikanischer Annahme des reformierten Glaubensbe-
Politiker und Finanzexperte, 1865–1951; kenntnisses (das „calvinist. Rom“); 1711
im 1. Weltkrieg Leiter der amerikanischen Kongress von D.: Ungarn unterwarf sich
Intendantur, 1924 Vorsitzender des Interna­ dem Hause Habsburg; 1849 Sitz der un-
tionalen Sachverständigenausschusses der gar. Regierung; ↑ Kossuth verkündete die
­Reparationskommission, 1925 Friedensno- Unabhängigkeit Ungarns.
belpreis, 1925–29 Vizepräsident der USA; Decebalus, König der Daker an der un-
↑ Dawes-Plan. teren Donau, führte 86–88 n. Chr. Krieg

196
Delbrück

gegen Rom, von Trajan 102–107 besiegt, zu vier Jahren Gefängnis verurteilt, danach
beging 107 Selbstmord (Reliefs der Trajan- verbannt; 1944 Mitbegründer der Demo-
säule; ↑ Dakien). crazia Cristiana; 1944/45 und 1951–1953
Decemvirn (lat., „decemviri“, zehn Män- Außenminister, 1946–1953 Ministerpräsi-
ner), in der röm. Verfassungsgeschichte dent; entschiedener Vorkämpfer der europ.
Kommission aus zehn Mitgliedern mit Son- Integration, gewährte 1946 Südtirol Auto-
derauftrag und -vollmacht; berühmt die nomie.
um 451 v. Chr. mit dem ­ Niederschreiben Dekabristen (russ., „Dezembermänner“),
der Gesetze beauftragten, die das ↑ „Zwölf- Teilnehmer einer russ. Offiziersverschwö-
tafelgesetz“ abfassten. rung gegen das absolute Zarenregime, die
Decius, Gaius Messius Quintus Traianus, unter Führung von Oberst Pestel anlässlich
röm. Kaiser aus Sirmium (249–251), setzte des Thronwechsels beim Tod Alexan­ders I.
sich für altröm. Sitte und Religion ein, ließ im Dezember 1825 in Petersburg den Um-
als Erster die Christen planmäßig verfol- sturz versuchten, um ihr westlerisches Re-
gen; fiel gegen die Goten, die er über die formprogramm (u. a. Bauernbefreiung) zu
Donau zurückwarf. verwirklichen. Der Aufstand wurde von
Declaration of Independence, Unabhän- Nikolaus I. niedergeworfen, die Anführer
gigkeitserklärung; am 4. Juli 1776 vom gehängt oder nach Sibirien verbannt.
Kongress der 13 britischen Kolonien in Dekeleia, Ort nördl. Athen, den im Pelo-
Amerika angenommen, aus denen später ponnes. Krieg die Spartaner besetzten, um
die Vereinig­ten Staaten von Amerika ent- von hier aus Athen zu blockieren; daher
standen. wird der letzte Abschnitt des Krieges 413–
Declaration of Rights, aus der ↑ „Petition 404 v. Chr. auch ↑ Dekeleischer Krieg“ ge-
of Rights“ hervorgegangene Erklärung, in nannt.
der das engl. Parlament 1689 die Grund- Dekretalen (lat. decretales epistolae),
sätze der engl. Verfassung und die Grund- päpstliche Rechtsentscheidungen in Einzel­
rechte des Bürgers festlegte und König Ja- fällen, schon im frühen MA gesammelt,
kob II. wegen Verletzung dieser Rechte die z. T. in das ↑ Corpus Iuris Canonici aufge-
Thronrechte absprach; von Wilhelm III. zu nommen.
der ↑ „Bill of Rights“ erweitert. Dekumatenland (lat. decumates agri: Be-
Defoe, Daniel, engl. Schriftsteller, 1660– deutung des Namens noch umstritten, die
1731; Strumpfhändler, Pamphletschreiber, Erklärung „Zehntland“ – wegen Zahlung
Politiker, Parteigänger Wilhelms von Ora- eines Zehnten an die Römer – kommt für
nien, kämpfte gegen Intoleranz und Kor- diese Zeit nicht in Frage, vielleicht „Zehn-
ruption, zu Pranger und Gefängnis ver- land“, d. h. in 10 Teile gegliedertes Land),
urteilt; durch meisterhafte, wirkungsvolle die seit Domitian zum röm. Reich gehö-
Satiren und Herausgabe der ersten Moral. rende südl. Oberrheinebene zw. Rhein und
Wochenschrift (1704 „Review“) einer der Donau (Württemberg, Baden), im Schutz
Begründer des modernen Journalismus, des ↑ Limes von Kelten für die dort statio­
ließ seinen Roman „Robinson Crusoe“ nierten Legionen bebaut; 260 n. Chr. von
(Darstellung der Kulturentwicklung der den Alemannen überrannt.
Menschheit), der ein Welterfolg wurde, als Delbrück, 1) D., Clemens von, preuß.
ersten Zeitungsroman erscheinen, nach- Staatsmann, 1856–1921; 1909-l6 preuß.
geahmt in zahlreichen Robinsonaden. Handelsminister und Stellvertreter des
De Gasperi, Alcide, ital. Staatsmann, Reichskanzlers Bethmann-Hollweg. 2) D.,
1881–1955; im 1. Weltkrieg als Irreden- Hans, dt. Historiker, Nachfolger Treitsch-
tist in österr. Haft, 1926 als Antifaschist kes in Berlin, 1848–1929; Herausgeber der

197
Delcassé

„Preuß. Jahrbücher“, Vertreter des natio- das geschwächte Sultanat, Plünderung und
nalen Bürgertums; deutete Staatenbildung Terrorisierung D.; Pandschab und Sind
von der Kriegsgeschichte her, forderte für gingen verloren; Lodi-Dynastie (1451–
Deutschland Anteil an der Weltherrschaft; 1526), unter ihr Herrschaft der Territorial­
später der Linken zuneigend, Gegner Lu- fürsten; 1526 wurde das Sultanat Beute
dendorffs und Tirpitz’. 3) D., Rudolf von, ↑ Baburs, Gründung des ↑ Mogul-Reiches
preuß. Staatsmann, 1817–1903; verdient mit der Zentralregierung in D.
um die Entwicklung des Zollvereins als Delos, Insel der Ägäis; seit der Mitte des
Präsident des Bundeskanzleramtes des 6. Jh. v. Chr. im Besitz Athens, berühmtes
Norddt. Bundes; ab 1871 enger Mitarbei- Heiligtum mit Apollon- und Artemis-
ter Bismarcks bei der Errichtung und beim kultstätte und Orakel, 477 v. Chr. wurde
Ausbau des Dt. Reiches; als führender li- durch Athen der Attische oder Delische
beraler Wirtschaftspolitiker trat er zurück, Seebund gegründet, dessen Bundeskasse
als Bismarck sich für Schutzzollpolitik ent- sich bis 454 auf D. befand; um 168 v. Chr.
schied, und kämpfte seit 1878 im Reichs- von den Römern eingerichteter Freihafen,
tag für den Freihandel gegen Bismarcks Mittelpunkt der Sklavenmärkte der Ägäis;
Schutzzoll- und Verstaatlichungspolitik. 87 v. Chr. Landung des Mithradates und
Delcassé, Théophile, frz. Staatsmann, Gemetzel unter den Einwohnern.
1852–1923; Außenminister 1898–1905 Delphi (griech. Delphoi), bed. antike Ora-
und 1914/15; Vertreter der Revanchepoli- kelstätte (Apollons), für Kultur, Verfassungs­
tik gegen Deutschland, Schöpfer der „En- fragen, Kolonisation in Phokis (Mittelgrie-
tente cordiale“ mit England (1904). chenland), Sitz der Pythia, Schauplatz der
Delhi, Hauptstadt der Indischen Union Pythischen Spiele. Autonomer Mittelpunkt
(mit Alt-D. und Neu-D.); um 1 000 n. Chr. (Vorort) der Delphischen ↑ Amphiktyonie,
gegründet, 1193 von Türken erobert, 1398 durch eine polit. und sozial gut informierte
von ↑ Timur zerstört (5-tägige Plünde- Priesterschaft von erheblichem Einfluss auf
rung), seit 1526 Residenz des Großmo- die griech. Lebensgestaltung, bes. nach der
guls; 1739 Einfall des Perserkönigs Nadir Aufnahme des Dionysoskults; unermess-
Schah (Massaker und Brand); 1803 bri- lich reich durch Weihegaben; 279 v. Chr.
tisch, 1912–1948 Sitz der brit. Vizekö- von Galliern bedroht, von Sulla (86 v. Chr.)
nige. Prachtbauten: Jumna-Moschee (die und Nero geplündert, doch ehrten auch
größte des Islams), Palast der Großmogule die Römer das Delphische Orakel; erst in
mit dem Pfauenthron. – D. (Groß-D.) seit christl. Zeit verfiel D. nach einer kurzen
1912 Staat der Ind. Union. Blüte unter Trajan und Hadrian; Ende des
Delhi, Sultanat, 1206–1526, von dem Skla- 4. Jh. n. Chr. wurde das Orakel von Kaiser
vengeneral Aibak (1206–1290) ­ begründet Theodosius geschlossen.
(mohammedan. ­„Sklavendynastie“, 1206– Demagogie (griech. Volksführung),
1290), reichte zeitweise von Indus- bis Volksverführung und -aufwiegelung durch
Gangesmündung und bis Mittelindien; Phrasen, Hetze und Appell an die nied-
unter dem Sultanat D. harte Kämpfe mit rigen Instinkte der Massen; urspr. war De-
Hindus, Mongolen, Rajputen; Islam drang magoge in Athen eine Führergestalt mit
bis Dekhan und S-Indien vor; Tughluq- persönl. Ansehen und überlegener Rede-
Dynastie (1320–1413), unter ihr größte kunst in den Volksversammlungen, doch
Ausdehnung, doch seit 1335 Aufstände schon Thukydides verband mit dem Aus-
in den Randstaaten im Osten und Süden, druck ein negatives Werturteil (Verachtung
das Sultanat schrumpfte bis Ende des Jh. des Gerbers Kleon, der als Demagoge und
zusammen; 1398/99 Einfall ↑ Timurs in Gegner des Perikles auftrat). – Die „De-

198
Demokratie

magogenverfolgungen“ der Vormärzzeit in teurer, der nach seinem Siegeszug bis vor
Deutschland richteten sich gegen die „de- die Tore Moskaus eine Gegenregierung bil-
magog. Umtriebe“ der Liberalen Patrioten, dete; vom Volk „der Gauner von Tuschinn“
z. B. gegen die Burschenschaften (↑ Karls- gen., von der ehrgeizigen Gattin des ersten
bader Beschlüsse); zu den Verfolgten ge- „Pseudo-D.“ als ihr Gemahl und damit als
hörten Männer wie Arndt, Jahn, Welker der „echte D.“ anerkannt. Gegen die Miss-
u. a., später auch Fritz Reuten. wirtschaft seines beutehungrigen Anhangs
Demetrios, 1) D. von Phaleron, griech. empörte sich schließlich das russische Nati-
Staatsmann und Philosoph, um 350– onalbewusstsein. Das Eingreifen Polens in
283 v. Chr., 378–308 v. Chr. Statthalter die „Wirren“ brach seine Macht, er wurde
von Athen, von Demetrios Poliorketes ver- 1610 zu Kaluga ermordet. Ein dritter und
trieben, Ratgeber des Ptolemäus bei der ein vierter D. hatten noch weniger Glück
Einrichtung der Bibliothek des Museions (Dramen von Schiller und Hebbel).
zu Alexandria. 2) D. Poliorketes („Städte­ Demirel, Suleyman, türk. Politiker, geb.
eroberer“), Diadochenherrscher, um 336– 1924; seit 1964 Vorsitzender der Gerechtig­
283 v. Chr.; Sohn des Antigonos Mono- keitspartei, 1965–71 Ministerpräsident,
phthalmos (des Einäugigen), kämpfte in Rücktritt unter dem Druck der Armee-
zahlreichen wechselvollen Feldzügen gegen führung. 1975–77, 1977/78 und 1979/80
die anderen Diadochen um die Vorherr- Ministerpräsident rechtsgerichteter Re-
schaft, vertrieb Kassandros aus Griechen- gierungen, 1980 durch Militärputsch ge-
land, unterlag 301 mit seinem Vater bei Ip- stürzt. Das gegen ihn und seinen sozial-
sos, erstürmte 294 Athen; 294–287 v. Chr. demokratischen Gegenspieler Bülent Ece-
König von Makedonien, von Pyrrhus ver- vit verhängte Verbot der polit. Betätigung
trieben, starb in seleukidischer Gefangen- wurde per Referendum 1987 aufgehoben.
schaft. 3) D. I. Soter („Retter“), König von 1993–2000 Staatspräsident der Türkei.
Syrien (161–150 v. Chr.); vorher als Geisel Democrazia Cristiana, 1942 unter Füh-
in Rom, Sohn des Seleukos IV., siegte 160 rung de Gasperis gegründet ital. christl.-de-
über ↑ Judas Makkabäus, auf der Flucht mokratische Partei, Nachfolgeorganisation
vor dem Usurpator Balas getötet. der 1926 durch die Faschisten aufgelös­ten
Demetrius, Sohn Iwans des Schrecklichen katholischen Volkspartei. Seit 1944 war
aus 6. Ehe, 1582–1591; wahrscheinlich die DC tragende Regierungspartei Italiens
auf Veranlassung von Boris Godunow er- mit wechselnden Koalitionspartnern und
mordet, die Ungewissheit seines Todes, stellte zeitweise den Ministerpräsidenten.
der Streit um die Thronfolge führten zum 1994 wurde die Partei aufgelöst.
Auftreten mehrerer Anwärter auf den Za- Demokratie (griech., Volksherrschaft),
renthron, die sich als Zarewitsch D. ausga- Staatsform, bei der die höchste Gewalt
ben. Der erste „falsche“ oder „Pseudo-D.“, vom Volk (demos) ausgeht; nach der klas-
der Mönch Gregor Otrepjew, zog mit poln. sischen Formulierung von Lincoln „Regie-
Unterstützung gegen Moskau und bestieg rung aller für alle durch alle“; zwei Organi-
nach dem Tod Godunows 1605 den Thron, sationsformen der D. sind zu unterschei-
wurde 1606 wegen Begünstigung der kath. den: direkte Demokratie (durch Plebiszit,
Kirche von den Bojaren ermordet, die ih- Volksabstimmung) und indirekte D. (re-
ren Standesgenossen Schulski als Zaren präsentative, d. h. durch Volksvertretung).
einsetzten. Dagegen erhob sich das unzu- Historisch erwachsen und geformt ist die
friedene Volk und erklärte sich für einen D. in der Auseinandersetzung mit den ent-
zweiten „falschen D.“ als den Vorkämp- gegengesetzten Grundsätzen (in der An-
fer für soziale Gerechtigkeit: einen Aben- tike: die ↑ Despotie, die ↑ Tyrannis und

199
Demokratische Partei

die Oligarchie; im MA und in der Neuzeit: alisierung verwirklichte oder angestrebte


↑ Feudalismus, ↑ Absolutismus, ↑ Dikta- „bürgerliche“ D. Hand in Hand mit dem
tur). In reiner Form ist die D. selten ver- polit. Liberalismus und (in Deutschland,
wirklicht, weil der Begriff des „Volkes“ Italien und Osteuropa) mit der national-
als des obersten Trägers der Staatsgewalt staatlichen Bewegung. Auch die D. stand
je nach der herrschenden Sozialordnung (wie der Industrialismus) unter dem Ge-
unterschiedlich weiter oder enger gefasst setz des „West-Ost-Gefälles“, früh ausge-
wird. So schloss die D. der Antike, wie sie prägt in den angelsächs. Ländern (freiheit-
sich namentlich in den reichen griech. See- liche Tradition), spät und schwach entwi-
und Handelsstädten entwickelte, Sklaven ckelt in Russland (zarist. Autokratie, An-
und Besitzlose von den polit. Rechten aus; alphabetentum). In Deutschland kämpften
die röm. Republik ist mehr ↑ Aristokratie linksliberale Gruppen (Fortschritt, später
als D. Der Gedanke der parlamentarischen Freisinn) noch um die Verwirklichung der
Vertretung (indirekte D.) war der Antike demokrat. Idee, als von sozialist. Seite die
meist fremd. Auch die german. Volksver- liberale „bürgerliche“ D. bereits als „Klas-
sammlung stellte eine Form der direkten senherrschaft der Kapitalisten“ angefoch-
D. dar, wie sie in den vereinzelten bäuer- ten und eine neue Form der D. auf der
lichen Republiken des MA (Urkantone, Grundlage der sozialen Gleichheit ange-
Dithmarschen) in Erscheinung trat und strebt wurde (orthodox. Marxismus bzw.
schließlich noch heute in den ↑ Landsge- Kommunismus, Herstellung der angeblich
meinden einiger schweizer. Kantone be- allein wirklichen D. – „Volksdemokratie“
steht. Wichtig für die Entwicklung der D. – auf dem Umweg über die Diktatur des
waren die Stadtrepubliken bes. Oberita- Proletariats). Ein Todfeind erstand der D.
liens, später das Bürgertum Hollands und nach dem 1. Weltkrieg von rechts in den
Englands, dessen wirtschaftliche Macht autoritären Bewegungen, die sich beson-
sich in polit. Selbstbewusstsein umsetzte ders in Italien und Deutschland durch-
und den Grundsätzen der D. zum Durch- setzten („Führerprinzip“). Als ideologische
bruch verhalf; in England zus. mit dem Waffe wurde die D. von den westlichen
Adel und im Verlauf einer Entwicklung, Alliier­ten im 1. und 2. Weltkrieg verwen-
die bereits mit der ↑ Magna Charta ein- det („Kreuzzug für die D.“); bis heute häu-
setzte; in den absolutist. regierten Staaten fig Begründung v.a. der USA für militär.
des Festlands erst seit Ende des 18. Jh., in Aktionen gegen nichtdemokratische Staa-
den Revolutionen des ↑ „Dritten Standes“ ten; ↑ Parlament, Ständewesen.
(1789, 1848) geistig vorbereitet durch die Demokratische Partei, polit. Partei in den
schon seit dem späten MA immer wieder USA, 1828 gegründet; die republikan.
formulierten Lehren von der Volkssouve- Vorherrschaft (1860–1932) wurde durch
ränität und dem Widerstandsrecht (gegen die Demokraten erst seit der großen Wirt-
Tyrannen) und vor allem durch die polit. schaftskrise durchbrochen; ideolog. Unter-
Theorien der Aufklärung (Gesellschaftsver- schiede zwischen der D. P. und der Repu-
trag, Gewaltenteilung, Menschenrechte). blikan. Partei sind kaum erkennbar, ledig-
Die Volksvertretung war in der Stände- lich in der Sozial-, Schul- und Wirtschafts-
versammlung des MA bereits vorgebildet politik zeigt die D. P. größeres Engagement
(engl. Parlament, frz. Generalstände, dt. für die unteren Schichten der Gesellschaft,
Reichstag); das 19. Jh. verwirklichte in fast die einen großen Teil ihrer Wähler stellen.
allen europ. Staaten das allgemeine, glei- Demosthenes, 1) D., athen. Feldherr im
che und geheime Wahlrecht. In der polit. Peloponnes. Krieg, eroberte 425 v. Chr.
Praxis ging diese im Zeitalter der Industri- Pylos; 413 nach der athen. Kapitulation

200
Deportation

auf Sizilien von den Syrakusanern hinge- kräfte S-Russlands eine Großoffensive, die
richtet. 2) D., Staatsmann und größter bis Tula vorankam und dann zusammen-
Redner Athens, 384–322 v. Chr.; kämpfte brach, flüchtete auf einem frz. Torpedo-
in seinen berühmten Reden gegen König boot und starb im Exil in den USA.
Philipp II. von Makedonien („Philippika“) Denkta, Rauf Rasit, nordzypriot. Politiker,
und die Makedonenfreunde in Athen (u. a. geb. 1924; seit 1960 Präsident der türk.
Äschines) für die von diesen bedrohte Frei- Kommunalkammer auf Zypern, 1964–68
heit der Griechen und gründete den Hel- im türk. Exil, 1973 Vizepräsident Zyperns,
len. Bund. Nach der Niederlage bei Chai- seit 1975 Präsident des „Türk. Föderations­
ronea (338 v. Chr.) zog er sich aus dem po- staates von Zypern“; verhandelte als Füh-
lit. Leben zurück; wegen Bestechung ver- rer der türk. Volksgruppe auf Zypern mit
urteilt, floh er, kehrte nach dem Tod König anderen Volksgruppen, scheiterte mit sei-
Philipps zurück, floh erneut vor den Make- nem Teilstaaten-Modell am Widerstand
donern und nahm, um der Hinrichtung zu von Erzbischof ↑ Makarios. 2003 lehnte er
entgehen, Gift. einen UNO-Friedensplan zur Wiederverei-
Dendrochronologie, Datierungsmethode nigung Zyperns ab.
aus den Jahresringen von Hölzern, Balken Departement, frz. Verwaltungsbezirk; die
an vorgeschichtlichen und geschichtlichen 1789 von der frz. Nationalversammlung
Bauten: Charakterist., unverwechselbare beschlossene, von Abbé ↑ Sieyès durchge-
Wachstumserscheinungen der Jahresringe führte Einteilung des Landes in 83 etwa
an einem Holz werden mit den gleichen an gleich große D.s (mit einem Präfekten an
einem zeitlich vorausgehenden Holz und der Spitze, unterteilt in Arrondissements
Charakteristika dieses Holzes mit denen und Kantone), sollte die histor. Gegensätze
eines noch früheren usw. verglichen, sodass der (33) Provinzen der Monarchie auslö-
sich eine Folge von Jahresringen (= Jahren) schen; sie entsprang dem radikal rationa-
ergibt, die Datierungen weit zurück ermög­ list. Denken der Aufklärung und dem Wil-
licht. len zum nationalen Einheitsstaat. – Heute
Deng Xiaoping (Teng Hsiap’ing), chin. zählt Frankreich 95 D.s, die Namen der
Politiker, 1904–1997, Generalsekretär der früheren Provinzen haben sich als Land-
KPCh 1956–1967. D. wurde 1967 Op- schaftsbezeichnungen erhalten. – In der
fer der “Kulturrevolution”, 1973 rehabili- Schweiz Bez. für die Verwaltungseinheiten,
tiert, stieg er nach dem Tod Mao Tse-tungs auf welche die Regierungsgeschäfte (der
(1976) zum einflussreichsten chin. Politi- Kantone oder des Bundes) verteilt werden.
ker auf. Mit D. verbindet sich einer­seits die Deportation (lat., „Wegführung“, „Ver-
Öffnung Chinas zum Westen, aber auch schleppung“), 1) strafweise Verbannung
die blutige Niederschlagung der Demokra- von Verbrechern oder Staatsfeinden an ei-
tiebewegung auf dem “Platz des Himmli­ nen bestimmten Ort, vorzugsweise entle-
schen Friedens” 1989. 1990 Rücktritt von gene öde Inseln oder Landstriche mit rauen
allen wichtigen Ämtern. Lebensbedingungen; in der Antike von
Denikin, Anton Antonowitsch, russ. Ge- den ersten röm. Kaisern eingeführt, in der
neral und Konterrevolutionär, 1872–1947; Neuzeit von einigen Staaten in ein System
1917 Oberkommandierender gegen die gebracht. Das zarist. Russland deportierte
Deutschen, kämpfte 1918 als Nachfolger seit etwa 1650 bis 1917 nach Sibirien (in
Kornilows an der Spitze einer Freiwilligen- 5 Graden, vom Zwangsaufenthalt in einer
armee gegen die Bolschewisten im Nord- Stadt ohne sonstige Rechtsbeschränkung
kaukasus und am Kuban, leitete 1918 als bis zum Kettensträfling); die bolschewist.
Oberbefehlshaber der weißgardist. Streit- Machthaber setzten diese Tradition mit der

201
Derby

Einrichtung von Arbeitslagern fort, dabei hänger mystisch-asket. Bewegungen, aus


noch stärker auf die Ausbeutung der Ar- denen im MA zahlreiche Orden mit unter-
beitskraft der Verurteilten zu kolonisator. schiedlichen Regeln hervorgingen, meist in
oder industriellen Zwecken bedacht. Kolo- Klöstern unter einem Scheich, von from-
nisator. Ziele verfolgte auch England, das men Stiftungen, Betteln oder einem Hand-
seit 1619 nach Nordamerika, später Aus- werk lebend; Aufgaben: religiöse Unterwei-
tralien deportierte, doch 1858 die D. ab- sungen der Bevölkerung, Armenpflege, re-
schaffte. Das frz. Strafgesetzbuch (1810) ligiöse Übungen, ekstat. Kulttanz und -ge-
führte die D. als drittschwerste Strafe (nach sang („tanzende“, „heulende“ D.); auch als
Tod und lebenslängl. Kerker) auf; die Ver- Wanderprediger und Gaukler unterwegs;
schickung in die berüchtigten Strafkolo- bekannte D.-Orden: Rufaije, Mewlewije,
nien begann Mitte des 19. Jh. (Cayenne Bektaschi, Kalender-D., ↑ Senussi; meist
1852, Neukaledonien 1863, bes. 1872 für durch Tracht und Kult unterschieden; von
die Teilnehmer am Kommune­aufstand). großem religiösen und zeitweise auch von
2) Zwangsweise Umsiedlung ganzer Völker polit. Einfluss.
oder Bevölkerungsgruppen als Strafe oder Desaix, Louis Charles Antoine, frz. Gene-
aus polit., rass., milit. oder wirtsch. Grün- ral, 1768–1800; half Bonaparte bei der Er-
den, im Altertum von den Assyrern einge- oberung Ägyptens, fiel bei Marengo, nach-
führt, von den Römern bes. zur Sicherung dem er den Sieg herbeigeführt hatte.
gefährdeter Grenzprovinzen angewendet; Desiderius, letzter König der Langobarden,
in der neuesten Zeit bes. vom nat.-soz. Herzog von Tuszien (757–774); Nachfolger
Deutschland (von „Fremd­arbeitern“ in die Aistulfs, von Karl d. Gr., der seine Tochter
Rüstungsindus­trie, von Juden in die Ver- Desiderata heiratete, gestürzt, starb in der
nichtungslager), von der Sowjetunion und Verbannung; das langobardische Reich ins
der Türkei (von ↑ Armeniern 1915) geübt. Frankenreich einbezogen.
Derby, Edward Geoffrey, Graf, früherer Desmoulins, Camille, frz. Revolutionär,
Lord Stanley, brit. Staatsmann, Führer der 1760–1794; Advokat, Führer der Massen
Konservativen, 1799–1869; mehrfach Mi- beim Bastillesturm 1789, Mitbegründer
nister und Ministerpräsident, kämpfte ge- des Klubs der Cordeliers, wendete sich ge-
gen die Aufhebung der engl. Staatskirche gen die Schreckensherrschaft der Jakobi-
in Irland. – Sein Sohn Edward Henry D., ner, mit Danton hingerichtet.
1826–1893, trat als Gegner der russland- Despotie (despotes, griech. = Hausherr;
feindlichen Politik Disraelis zu den Libe- Despot bei den Persern Beiname von Kö-
ralen über. Die berühmten Derby-Rennen nigen, im ↑ Byzantin. Reich Anrede für
hat ein Ahne, der 12. Graf D., 1780 be- Prinzen, Thronfolger, Vasallenfürsten; bei
gründet. den Türken im 16./l7. Jh. für ­Gouverneure
Derfflinger, Georg (seit 1674) Reichs- auf dem Balkan): willkürliche Gewaltherr-
freiherr von, brandenburg. Feldmarschall, schaft ohne Gesetzesbindung und Kon-
1606–1695; Sohn eines Bauern, im 30- trolle, stützte sich auf die Mitwirkung
jähr. Krieg in schwed. Diensten, seit 1654 willfähriger Elemente, auf starke Polizei,
Reiterführer des Großen Kurfürsten; ver- militär. Hausmacht; heute Bez. für die un-
trieb zus. mit diesem die Schweden aus umschränkte Herrschaft eines Einzelnen.
Deutschland, entschied durch den Hand- Deutsch (ahdt. „diutisk“, mhdt. „tiu[t]sch“,
streich auf Rathenow den Sieg von Fehr- abgeleitet von „theoda“ – Volk), urspr. Be-
bellin 1675. zeichnung für die (german.) Sprache des
Derwische (persisch, „Arme“, „Bettler“), Volkes (lat.: „lingua theodisca“), im Ge-
Mönche des Islam (auch weiblich); An- gensatz zum Latein als Kirchensprache und

202
Deutsche Demokratische Republik

„walhisk“, Welsch, den roman. Sprachen; mission. Erster Staatspräsident Wilhelm


erst seit dem 9. Jh. zur Bezeichung der die­se Pieck, erster Ministerpräsident Otto Gro-
Sprache sprechenden Menschen („theo- tewohl, stellvertretender Ministerpräsident
disci“) angewandt (die in den Quellen des Walter Ulbricht, sämtlich Sozialist. Ein-
frühen MA als „barbari“ bezeichnet oder heitspartei Deutschtands (SED). Zusam-
nach den Stämmen, z. B. Franci, genannt mensetzung der Volkskammer, die zus. mit
wurden); seit dem 10. Jh. für Franken, der Länderkammer das Parlament bildet,
Sachsen, Bayern, Alemannen, ­ Thüringer, von der SED bestimmt, die auch die „de-
Friesen des Ostfränkischen Reiches ge- mokrat. Massenorganisationen“ (Gewerk-
braucht; bis ins 19. Jh. in der Schreibweise schaften, Frauenbund usw.) beherrschte.
„teutsch“ verwendet, da fälschlich von 1950 Ulbricht Generalsekretär der SED,
­„teutonicia (von Livius ­ übernommener, Verkündung des 1. Fünfjahresplans, An-
seit Otto d. Gr. im MA gebräuchl. Name erkennung der Oder-Neiße-Linie, Schaf-
der Deutschen) abgeleitet. fung der polit. Geheimpolizei. Okt. 1950
Deutsche Arbeitsfront, Abk. DAF, nach Wahlen, keine parlamentar. Opposition,
Zerschlagung der Gewerkschaften am „Blockpolitik“ der gleichgeschalteten Par-
10. Mai 1933 gebildete nat.-soz. Organi- teien (CDU, LDP, DNP, DBP). Freund-
sation, die anstelle der Gewerkschaften die schaftsverträge mit den Ostblockstaaten.
Interessen der dt. Arbeiter wahrnehmen Nach Bodenreform (­entschädigungslose
sollte; stützte sich auf das Vermögen der Enteignung des Privatbesitzes über 100 ha)
zwangsaufgelösten Gewerkschaften. Als und Errichtung Volkseigener Betriebe
Trägerin der „Nat.soz. Gemeinschaft ‚Kraft (VEB) konsequente Durchführung der
durch Freude’“ (KdF) organisierte die DAF zentral gelenkten Wirtschaft unter fast
Urlaub und Reisen und die Volksbildung. völliger Ausschaltung der Privatwirtschaft
Nach Kriegsbeginn war sie wesentlich an (1958: Anteil der sozialistischen Betriebe
der Umstellung der Wirtschaft auf die Rüs­ an Industrieproduktion 89 %); staatseigene
tungsproduktion beteiligt. Am 10. Okt. Handelsorganisation (HO), Produktions-
1945 aufgelöst. gemeinschaften der Handwerker und Bau-
Deutsche Demokratische Partei (DDP), ern; Einbau der Wirtschaft in die gesamte
1918 von Friedrich Naumann gegr. bür- Ostblockwirtschaft, z. T. im Rahmen des
gerliche, staatsbejahende, antisozialist. Par- später gegründeten ↑ COMECON (des
tei der Weimarer Republik, im Reich und „Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfen).
in den Ländern meist in den Regierungen 1952 Proklamierung der vollständigen So-
vertreten; 1930 Umbenennung in Deut- zialisierung und der längst vororganisier-
sche Staatspartei, 1933 selbst aufgelöst. ten „Nationalen Streitkräfte“. Auflösung
Deutsche Demokratische Republik, gegr. der Länder (nur noch Bezirkseinteilung)
7. Okt. 1949; Hauptstadt und Regierungs- zugunsten der zentralist. Verwaltung, Auf-
sitz Ost-Berlin, Verfassung am 30. Mai lösung der Länderkammer; 1953 Ulbricht
1949 vom „Volkskongress“ angenommen, 1. Parteisekretär; 17. Juni 1953 Aufstand
der sich zum provisor. Parlament erklärte der Arbeiter und Bauern militär. niederge-
und dessen über eine Einheitsliste unfrei schlagen; Beginn der zweiten Fluchtwelle
gewählte ständige Vertretung, der „Deut- (1950–1959 2,3 Mio. Flüchtlinge); 1954
sche Volksrat“, sich als vorläufige Dt. erfolgte nach der ergebnislosen Berliner
Volkskammer konstituierte, die Verfassung Außenminister-Konferenz der vier Mächte
in Kraft setzte und die Regierungsgeschäfte über die Deutschlandfrage durch sowjet.
übernahm. Gleichzeitig Umwandlung der Erklärung die ausdrückliche Anerkennung
sowjet. Militärverwaltung in eine Zivilkom- der DDR als „souveräner Staat“ (Ende des

203
Deutsche Demokratische Republik

Besatzungs-Regimes, die Befugnisse der tung ständiger Vertretungen in Bonn und


bisherigen Hochkommissare gingen über Ost-Berlin, Öffnung weiterer Grenzüber-
auf den sowjet. Botschafter, Belassung der gangsstellen und Einrichtung eines klei-
sowjet. Streitkräfte als „Schutztruppen“). nen Grenzverkehrs. Aufgabe des Allein-
1955 Beitritt der DDR zum Warschauer vertretungsanspruchs der Bundesrepublik.
Pakt; Änderung der Verfassung vom 1973 wurde die DDR Mitglied der Verein-
7. Okt. 1949, Bildung der „Nationalen ten Nationen. 1976 Umbesetzungen in der
Volksarmee“. 1956 2. Fünfjahresplan; seit Führungsspitze: Vorsitzender des Staatsrats
Erhebung in Ungarn verschärfte Überwa- (seit 1972 durch das Gesetz über den Mi-
chungsmaßnahmen; neben der Nationalen nisterrat der DDR wieder aufgewertetes
Volksarmee wurden Grenzpolizei und Be- Amt) wurde SED-Generalsekretär Hone-
triebskampfgruppen der SED aufgestellt. cker, Stoph wechselte auf den Posten des
1957 wurde die Staatsordnung der „Volks- Ministerratsvorsitzenden. Nach Jahren re-
demokratie“ als erreicht bezeichnet; die lativer Entspannung zw. den beiden dt.
Staatsgewalt ging faktisch von dem durch Staaten verschlechterte sich das Klima seit
das Zentralkomitee der kommunist. SED 1980 wegen Parteinahme der DDR für den
gelenkten Ministerrat aus. Im Truppenver- sowjet. Einmarsch in Afghanistan und die
trag vom 12. März 1957 wurde die weitere Unterdrückung der freien Gewerkschafts-
Anwesenheit der Truppen der Sowjetunion bewegung in Polen Solidarnosc). Der
geregelt; Verkündung eines Siebenjahres- Grenzübertritt zw. der DDR und Polen
plans; die Staatsflagge Schwarz-Rot-Gold wurde in beiden Richtungen erschwert.
erhielt Hammer- und Zirkel-Emblem; der Satz für den Devisen-Zwangsumtausch
1960 Pieck gest.; Ulbricht Vorsitzender für Besucher der DDR drastisch erhöht;
des Nationalen Verteidigungsrates, Partei- verstärkt erhob die DDR die Forderung
führer, Vorsitzender des Staatsrats (Amt nach völliger völkerrechtlicher Anerken-
des Staatspräsidenten beseitigt), Grote- nung durch die Bundesrepublik. Parallel
wohl Vorsitzender des Ministerrats; 1961 zur Friedensbewegung im Westen (nach
Flüchtlingsflut in die Bundesrepublik; am dem Beschluss über die Stationierung der
13. Aug. Abriegelung der Berliner Sek- Mittelstreckenraketen, Abrüstungskonfe-
torengrenze; 1962 Einführung der Wehr- renzen) begannen sich auch in der DDR
dienstpflicht für Männer und Frauen; Er- autonome Friedensgruppen zu bilden. In
klärung zum selbständigen Zollhoheitsge- zahlreichen Rahmen- und Einzelverein-
biet. Seit dem VI. Parteitag der SED Phase barungen entwickelte sich das dt.-dt. Ver-
wirtsch. Reformexperimente durch „Neues hältnis seit Mitte der 80er Jahre weiter
Ökonomisches System der Planung und (Kulturabkommen, Kredite für die DDR,
Leitung der Volkswirtschaft“. Aufstieg der Ausbau der grenzüberschreitenden Stra-
DDR zur stärksten Industriemacht des ßenverbindungen). Honeckers Staatsbe-
Ostblocks nach der UdSSR. Die Verfas- such in der Bundesrepublik im Sept. 1987
sung von 1968 charakterisierte die DDR galt der DDR als Anerkennung ihrer Ei-
als „Sozialist. Staat deutscher Nation“. genstaatlichkeit. Erstmals 1988 zeigte sich
1971 wurde ↑ Honecker 1. Staatssekretär die Regierung bereit, Entschädigungszah-
der SED, 1973 ↑ Stoph Vorsitzender des lungen für jüd. Opfer des Nationalsozialis-
Staatsrats. 1972 Normalisierung der Bezie- mus zu leisten. Die Weigerung der DDR-
hungen zur BRD durch Unterzeichnung Führung, den von M. Gorbatschow in der
des Grundlagenvertrages: Vereinbarungen UdSSR unter den Schlagworten Glasnost
über Einsetzung einer Grenzkommission, und ↑ Perestroika vorangetriebenen ge-
Austausch von Korrespondenten, Errich- sellschaftlichen und kulturellen Verände-

204
Deutsche Kommunistische Partei

rungen zu folgen, isolierte die DDR im delsgesellschaften und (politisch-propagan­


Ostblock; wirtsch. Schwierigkeiten und distisch „Dt. Kolonialgesellschaft“ und
eine seit Mitte 1989 rapide anschwellende „Dt. Kolonialverein“, erst später ­Initiative
Ausreisebewegung (hauptsächlich über des Reichs durch Übernahme der Schutz-
Ungarn und die ↑ CSSR) führten zu tief- herrschaft, Pachtverträge, Kauf oder Kom­
greifender Erschütterung des Staatswesens: pensationsforderung; Ausbau zu Tausch­
Massendemonstrationen, Entmachtung, märkten, Handels- und Machtstützpunk-
teilweise sogar Verhaftung führender Po- ten, Erschließung als Rohstoffquellen und
litiker, Umbenennung der Staatspartei in Siedlungsräume. Bis zum 1. Weltkrieg fi-
SED-PDS (Partei des Demokrat. Sozialis- nanz. Zuschussunternehmen. Heftige in-
mus – seit 1990 nur noch PDS), Öffnung nenpolit. Kämpfe zwischen „Kolonial-
der Grenze nach Westen im Nov. 1989, schwärmern“ und Kolonialgegnern; Ko-
Angebote an die Opposition zur Regie- lonial­skandale (↑ Peters); Eingeborenen­
rungsbeteiligung, freie Wahlen, wirtsch. aufstände (↑ Hereros). 1884 Dt.-Südwest­
Zusammenarbeit mit der Bundesrepublik afrika (Lüderitz), Kamerun und Togo
mit der Aussicht auf grundlegende Verän- (Nachtigal), Kaiser-Wilhelm-Land, Neu-
derungen im Verhältnis der beiden dt. Staa- guinea. 1885 Dt.-Ostafrika (Peters), Mar-
ten. Die ersten freien Volkskammerwahlen schallinseln, 1898 Kiautschou (auf 99 Jahre
am 18. März 1990 ergaben eine Mehrheit gepachtet). 1899 Karolinen, Marianen, Pa-
für die konservative Allianz (CDU, DSU, lauinseln, (westl.) Samoainseln, 1911 Neu-
Demokrat. Aufbruch). 1. Sept. 1990 Wirt- kamerun. – Im 1. Weltkrieg fielen alle dt.
schafts-, Sozial- und Währungsunion mit Kolonien in Feindeshand, der Versailler
der Bundesrepublik, 3. Okt. Beitritt. Vertrag sprach Deutschland die Fähigkeit
Deutsche Einigungskriege, Bez. für die ab, Kolonien zu verwalten, („Kolonial-
drei Kriege, deren national integrierende schuldlüge“); die dt. Schutzgebiete wur-
Wirkung wesentlich zur dt. Einigung unter den als ↑ Mandate England, den britischen
Preußens Führung beitrug: ↑ Schleswig- Domi­nions, Frankreich, Japan und Belgien
Holstein. Krieg 1864, ↑ Dt. Krieg 1866, zugeteilt. Die in ↑ Locarno gemachten Zu-
↑ Dt.-Frz. Krieg 1870/71. sicherungen auf teilweise Rückgabe blie-
Deutsche Farben, bis 1806 Kaiserfarbe ben unerfüllt (↑ Kolonien).
Schwarz-Gelb; Bundesfarben 1848/49: Deutsche Kommunistische Partei, Abk.
Schwarz-Rot-Gold; Norddt. Bund und DKP; die 1968 neu gegründete kommu-
Zweites Dt. (Kaiser-)Reich: Schwarz- nist. Partei, die rechtlich keine Nachfolge­
Weiß-Rot; Weimarer Republik: Schwarz- partei der KPD (↑Kommunist. Partei
Rot-Gold; Handelsflagge: Schwarz-Weiß- Deutschlands) war, sondern mit neuem
Rot mit schwarz-rot-goldener Ecke; „Drit- Statut und Grundsatzprogramm die Ver-
tes Reich“: zunächst Schwarz-Weiß-Rot, fassungsordnung des Grundgesetzes formal
seit 1935 nur noch für Kokarden, Schlag- nicht anzweifelte. Sie strebte als allg. Ziel
bäume usw., sonst Hakenkreuzflagge; Bun- die „revolut. Veränderung der BRD“ hin
desrepublik und DDR Schwarz-Rot-Gold; zu einer „sozialist. Demokratie“ an. Die
in der DDR seit 1959 mit Hammer-und DKP wurde zwar nie als verfassungswid-
Zirkel-Emblem. rig verboten, wurde jedoch immer als ver-
Deutsche Fortschrittspartei, ↑ Fort- fassungsfeindliche Partei betrachtet (Radi-
schrittspartei. kalenerlass). Mit dem Ende der SED-Herr-
Deutsche Kolonien, zunächst durch pri- schaft in der ehemaligen DDR wurde der
vate Initiative (z. B. ↑ Lüderitz) ­erworben; DKP die materielle Grundlage entzogen.
Träger der Kolonialbewegung waren Han- 1990 wurde die Partei aufgelöst.

205
Deutscher Bund

Deutscher Bund, 1815 an Stelle des 1806 Verbündete Preußens: Italien und norddt.
aufgelösten Hl. Röm. Reiches Dt. Nation Kleinstaaten; auf Seiten Österreichs alle
auf dem ↑ Wiener Kongress durch die übrigen Mitglieder des Dt. Bundes (Han-
Bundesakte begründeter, durch die Wiener nover, Sachsen, Baden, beide Hessen,
Schlussakte 1820 erweiterter Zusammen- Bayern und Württemberg). Militär. Ent-
schluss der souveränen dt. Einzelstaaten scheidung bei Königgrätz, wo Moltke über
(35 Fürsten, 4 Freie Städte), die mit bevoll- Benedek siegte. Maßvolle Forderungen
mächtigten Gesandten auf dem Frankfur- Bismarcks (im Gegensatz zu preuß. Mi-
ter ↑ Bundestag (unter österr. Vorsitz) ver- litärs) im Vorfrieden zu Nikolsburg und
treten waren. Österreich gehörte nur mit Frieden zu Prag. Einverleibung Hanno-
Teilen seiner Gebiete (Böhmen, Mähren, vers, Kurhessens, Nassaus, Frankfurts und
Tirol u. a.) dem Dt. B. an, ebenso Preußen Schleswig-Holsteins in Preußen, das freie
(ohne Ost- und Westpreußen). Keine Ent- Hand in Deutschland erhielt. Österr. Ge-
wicklung zum dt. Nationalstaat (Versuch bietsverluste: Venetien an Italien (trotz ital.
1848/49 fehlgeschlagen); Mitglieder waren Niederlagen bei Lissa und Costoza). – Auf-
auch der König von England als König von lösung des Dt. Bundes.
Hannover, der König von Dänemark als Deutscher Michel, im 16. Jh. aufgekom-
Herzog von Holstein, der König der Nie- mener Spottname für den schwerfälligen,
derlande als Großherzog von Luxemburg. gutmütigen, bäuerlich-derben Typ des
Der Dt. B. zerfiel 1866 mit der von Öster- Deutschen, später ironische Bezeichnung
reich erwirkten Mobilmachung des Bun- für politische Rückständigkeit.
desheeres gegen Preußen und der Austritts- Deutscher Nationalverein, ↑ National-
erklärung Preußens. verein.
Deutscher Kaiser, 1871–1918 Titel der Deutscher Orden (Deutschritter oder
Könige von Preußen, die im (Zweiten) Dt. Deutschherren), einer der drei großen
Reich die Rechte eines Bundespräsidenten geistlichen Ritterorden neben ­Johannitern
besaßen. Wilhelm I. war gegen diesen Titel und Tempelherren; ging 1198 nach der
(„Charaktermajor“) und forderte den Titel vorausgegangenen Gründung eines Pilger­
„Kaiser von Deutschland“; bei der Kaiser- spitals vor dem von den Kreuzfahrern be-
proklamation in Versailles verfiel der Groß- lagerten Akkon (Akka, nördl. Haifa) aus
herzog von Baden auf den Ausweg, das einer von dt. Kreuzfahrern gestifteten
Hoch auf „Kaiser Wilhelm“ auszubringen. Bruderschaft zur Krankenpflege, Missions­
Deutscher König, an Stelle des „Königs der arbeit und zur Bekämpfung der Ungläu-
Franken und Sachsen“ (10. Jh.) Titel des bigen hervor; 1199 päpstlich bestätigt;
dt. Herrschers, seit dem 11. Jh. häufiger: Kauf von Landbesitz im Hl. Land. Nach
„König der Römer“; nach der Kaiserkrö- missglückter Niederlassung im siebenbürg.
nung vom Kaisertitel verdrängt, während Burgenland 1211 bis 1225 (Gründung
der Titel „Röm. König“ oft auf den von von Kronstadt) unter dem Hochmeister
den Fürsten durch Wahl zu bestätigenden Hermann von Salza um 1226 Beginn der
Thronerben angewendet wurde. Christianisierung Preußens, dessen Erobe-
Deutscher Krieg 1866 zw. Österreich und rung bes. dank des Landmeisters Hermann
Preußen um die Vorherrschaft in Deutsch- Balk 1283 abgeschlossen wurde (Ordens-
land (kleindt. oder großdt. Lösung der staat); seit 1226 standen die Hochmeister
dt. Frage); entzündet durch österr.-preuß. im Rang von Reichsfürsten; 1237 Ver-
Spannungen in Schleswig-Holstein und schmelzung mit dem 1202 begründeten
durch den preuß. Antrag auf Reform des Schwertbrüderorden in Livland, Bistümer
Dt. Bundes (unter Ausschluss Öster­reichs). Kulm, Pomesanien, Ermland, Samland;

206
Deutsche Volkspartei

1291 Sitz des Hochmeisters von Akkon krieg teilweise zerstört, seit 1947 wieder-
nach Venedig, dann nach Marburg a. d. aufgebaut; veranschaulicht die Entwick-
Lahn, 1309 in die Marienburg verlegt. lung von Naturwissensch. und Technik,
Größte Ausdehnung des Ordensstaates un- enthält wertvolle Originalapparate von
ter den Hochmeistern Winrich von Kni- Erfindern.
prode und Ulrich von Jungrogen im l4. Jh.: Deutsches Reich: Durch die Kaiserkrö-
Preußen, Livland, Kurland, Estland, Gut- nung Karls d. Gr. im Jahre 800 wurde
land; beherrschende Ostseemacht, fast die Tradition des römischen Imperiums
moderne Geldwirtsch.; neben Ritter- und mit der des christlichen Abendlandes und
Priesterbrüdern auch Söldner; Konvente nach der Entstehung eines dt. Königtums
unter Komturen, Komtureien zu Balleim (Anfang 10. Jh.) mit diesem durch Kaiser
zusammengefasst unter Landkomturen, Otto I. zum „Imperium Romanorum et
dt. Balleim unter Deutschmeis­tern (sonst Francorum“ verbunden. Außer Deutsch-
Landmeistern); die Hochmeis­ter wurden land bildeten auch Italien und Burgund
gewählt; Tracht: Ordensbrüder: weißer die Grundlage dieses mittelalterlichen
Mantel mit schwarzem Kreuz, Ritterbrü- Reiches, das deutsch und universal zu-
der: weißer Wappenrock mit Kreuz, kür- gleich war. Seit dem 11. Jh. als Römisches
zerer Mantel; Banner: weiß mit schlankem Reich, seit dem Spätmittelalter als „Hl. Rö-
Kreuz. Ende des 14. Jh. Gegensätze zu misches Reich Dt. Nation“ (eingeschränkt
Städten und Landadel. Wechselvolle auf Deutschland) bezeichnet; es bestand als
Kämpfe gegen Litauen und Polen. 1410 Erstes Reich bis 1806 unter wechselnden
vernichtende Niederlage bei Tannenberg, Kaiserhäusern. Die Machtgrundlage des
danach Abfall der dt. Städte; 1457 Ver- Reiches, die Lehenshoheit, seit dem 16. Jh.
lust der Marienburg, Verlegung des Sitzes durch die Ausbildung der autonomen Ter-
nach Königsberg; 1466 Zusammenbruch ritorialstaaten stark gemindert. Vom Ers-
der Ordensmacht im 2. Thorner Frieden ten Reich führte keine direkte Verbindung
(Westpreußen zu Polen, Ordensland Ost- zu dem 1871 durch die Politik Preußens
preußen poln. Lehen); 1525 unter dem geschaffenen, in Versailles proklamierten
Hochmeister ↑ Albrecht von Branden- nationalen, „kleindeutschen“ Kaiserreich,
burg-Ansbach Ordensgebiet in ein welt- dem sogenannten Zweiten Reich, das bis
lich-protestant. Herzogtum umgewandelt 1918 bestand. 1919-1933 war das Dt.
(1618 zu Brandenburg); kath. gebliebene Reich eine Republik (↑ Weimarer Repu-
Ritter verlegten Ordenssitz nach Mergent- blik), 1933-1945 als sogenanntes „↑ Drit-
heim, hielten aber Anspruch auf Preußen tes Reich“ eine faschistische ↑ Diktatur.
aufrecht, Besitz verblieb noch in Mittel-, ↑ Deutschland.
Süd- und Südostdeutschland, Italien, Spa- Deutsche Staatspartei, ↑ Deutsche De-
nien, Schweden, Griechenland, seit 1809 mokrat. Partei.
nur noch in Österreich; Hochmeister seit Deutsche Volkspartei, bürgerlich-nati-
1840 nur Titel; der priesterliche Zweig er- onale Partei der Weimarer Republik; aus
hielt 1929 neue Ordensregel, von Natio- den ehemaligen Nationalliberalen hervor-
nalsozialisten verboten, 1945 wiederherge- gegangen, gemäßigt monarchistisch, z. T.
stellt (Flüchtlingsfürsorge, ­Missionsarbeit). von der Schwerindustrie beeinflusst, die
Deutscher Zollverein, ↑ Zollverein. sich in den Wahlkämpfen zerrieben, 1933
Deutsches Museum, 1) in Berlin, 1930 schließlich aufgelöst. – Als bedeutendster
eröffnet, dt. Kunst bis Ende des 18. Jh. Parteiführer wurde ↑ Stresemann bekannt,
2) in München, 1903 von Oscar von Mil- dem es gelang die Partei in die Weimarer
ler gegründet, Neubau 1925, im 2. Welt- Republik einzubauen.

207
Deutsch-Französischer Krieg

Deutsch-Französischer Krieg, von 1870– Besiedlung durch Jäger und Sammler, im


1871 Ursache: die von Frankreich als He- ↑ Neolithikum erste Bauernkulturen mit
rausforderung angesehene Politik Bis- 3 Kulturkreisen: der nordische K. (Hünen-
marcks, unter preußischer Führung die dt. gräber im norddt. Flachland); der bandke-
Einheit zu verwirklichen, auf der Gegen- ramische Donaukreis (Ausgangspunkt der
seite Napoleons III. Prestige- und Kom- ↑ Urnenfelderkultur) und der westliche
pensationspolitik und die frz. Furcht vor K. (Pfahlbauten, Michelsberger Kultur).
einer preuß.-dt. Hegemonie in Europa. Gegen Ende der Steinzeit Beginn der In-
Auslösung durch die „einkreisende“ ho- dogermanisierung (Schnurkeramik, Streit-
henzollernsche Thronkandidatur in Spa- axt, Ackerbau, Viehzucht, außer Rind und
nien sowie Bismarcks Veröffentlichung der Schaf auch schon Pferd, das zunächst nur
↑ Emser Depesche Juli 1870. Kriegserklä- als Luxus von den Königen usw. als Zug-
rung Frankreichs an Preußen, auf dessen tier gebraucht wurde, Sonnenkult). In der
Seite wider frz. Erwarten die süddt. Staa- Bronzezeit seit etwa 1600 v. Chr. lassen sich
ten traten. Unter Moltkes Oberleitung dt. drei Völker unterscheiden: im Norden die
Siege bei Wörth, Spichern; Armee Bazaines Germanen, im SW die Kelten, im SO die
nach dt. Siegen bei Colombey-Nouilly, Illyrer. Die Kulturen von Hallstatt und La
Mars-la-Tour, Gravelotte und St. Privat Tène (Eisenzeit) hatten bereits Kontakt
in Metz eingeschlossen und im Okt. zur mit der Kultur im Süden. Erste Berührung
Übergabe gezwungen. Armee MacMahons zwischen Germanen und Römern im Krieg
am 2. Sept. bei Sedan geschlagen, Napo- gegen ↑ Kimbern und Teutonen (113–
leon III. gefangen. Danach Einschließung 101), noch sahen die Römer in den Ger-
von Paris, Abwehr der frz. Entsatzarmeen. manen ↑ Kelten; Germanenstämme ver-
Brechung des „nationalen Widerstands“ drängten allmählich die Kelten, mit denen
der 3. Republik (Gambetta); Jan. 1871 sie sich z. T. auch vermischten, doch ver-
Übergabe von Paris, Vorfriede von Ver- hinderten die Römer zunächst mit Erfolg
sailles Febr. 1871, endgültiger Abschluss ein weiteres Vordringen über den Rhein.
im ↑ Frankfurter Frieden. Ergebnis: die 58 v. Chr. ↑ Ariovist, Führer der Sueben,
dt. Einheit im Sinne Bismarcks verwirk­ bei Mühlhausen (?) von Cäsar, der als ers-
licht; Abtretung von Elsass und Lothrin- ter Römer Kelten und Germanen unter-
gen; frz. Reparationszahlungen; Krönung schied, geschlagen. 56 v. Chr. Abwehr der
Wilhelms I. von Preußen zum Dt. Kaiser; Usipeter und Tenkterer; 55 und 53 v. Chr.
frz. Vormachtstellung in Europa gebro- Übergang Cäsars über den Rhein, der zur
chen; Belastung der europäischen Politik befestigten Militärgrenze des Römerreiches
durch das Aufsteigen der neuen Groß- wurde; 15 v. Chr. wurde der spätere bayer.
macht Deutschland und durch frz. „Re- Raum südl. der Donau zur römischen Pro-
vanche“-Gedanken. vinz (Raetien-Vindelicien); im Übrigen
Deutschland, der heutige dt. Raum war in – abgesehen von vereinzelten militär. De-
den ↑ Eiszeiten von den Gebirgen und von monstrationen – zeigte Rom keine Ab-
der Arktis her z. T. vergletschert und nahm sicht, seine Herrschaft jenseits des Rheins
an den verschiedenen Kulturen des ↑ Paläo­ zu erweitern; aufgrund der bitteren Erfah-
lithikums teil; früheste Menschenfunde: rungen in der Schlacht im Teutoburger
Heidelberger Mensch (400 000 Jahre zu- Wald verzichtete Rom auf Eroberung des
rück, „der erste greifbare Europäer“), freien Germaniens; der von den röm. Kai-
Steinheimer Mensch (300 000 Jahre zu- sern Trajan und Hadrian 98–138 errich-
rück), der Neandertaler (um 100 000); im tete Limes sollte den Bestand des Reiches
↑ Mesolithikum Bewaldung und dichtere sichern; gegen 90 n. Chr. wurden die bishe-

208
Deutschland

rigen Operationsbereiche des röm. Heeres der ↑ Völkerwanderung (um 375–568)


am Ober- und Unterrhein verwaltungsmä- stießen 406 Vandalen, Quaden und Ala-
ßig von Gallien losgelöst und zu den Pro- nen über den Rhein nach Gallien vor, 407
vinzen ↑ Germania superior (Obergerma- überschritten auch Burgunder und erneut
nien) und Germania inferior (Untergerma- Alemannen den Rhein; burgund. Födera-
nien) ausgebaut. Seitdem gliederte die sich ten-Reich um Worms, das indes 436 vom
geschichtlich lange auswirkende Teilung weström. Heermeister Aetius vernichtet
des dt. Gebietes in ein von Rom verwal- wurde (451 Durchzug der ↑ Hunnen un-
tetes Germanien (Germania Romana) mit ter Attila, 476 Ende des weström. Reiches,
röm. Provinzialkultur (reiche Städte, z. B. das weitgehend german. unterwandert war,
Augusta Treverorum = Trier, mit Forum, durch ↑ Odoaker). Gegen Ende der Völ-
Amphitheater, Thermen) und in das freie kerwanderung sechs Hauptstämme zwi-
Germanien (Germania libera, magna), im schen Rhein und Elbe: Friesen, Sachsen,
Wesentlichen unberührt von röm. Zivilisa- Thüringer, Alemannen, Bayern und Fran-
tion. Tacitus gab in seiner „Germania“ die ken (bereits um 260 erstmals gen.), deren
klass. Schilderung Germaniens um Chr. Stellung sich seit Mitte des 5. Jh. sichtlich
Geburt. Die Germanen waren Krieger, festigt; fränk. Kultur und fränk. Staatsbil-
Ackerbauern, Viehzüchter, teilweise beein- dung (↑ Fränk. Reich) für die Zunkunft
flusst durch das Keltentum; Rom vermit- D.s geschichtlich entscheidend: Im ger-
telte im Laufe der Jh. viele Elemente zur man.-roman. Norden entwickelte sich auf
höheren Kultur: Schrift, Literatur, Stein- Grundlage german., röm. und christlicher
bau, Städte- und Straßenwesen, höhere re- Elemente (histor. Bedeutung des Übertritts
ligiöse Vorstellungen. Auf die Dauer ließen Chlodwigs zum kath. Christentum 496)
sich die Wogen der in Bewegung geratenen ein Staat neuartigen, besonderen Geprä-
Germanen an den Grenzen nicht stauen: ges: ↑ Chlodwig, der Merowinger, einigte
Der Vorstoß der Markomannen gegen die die Teilreiche seiner sal. Rivalen und besei-
Donau (166 n. Chr.) zwang Rom zu lang- tigte den König der ripuar. Franken, ver-
wierigen militärischen Abwehrmaßnah- nichtete durch seinen Sieg bei Soissons
men; 213 n. Chr. versuchten die Aleman- über Syagrius den letzten Rest röm. Herr-
nen den rätischen und obergermanischen schaft, bezwang die Alemannen und hin-
Limes zu durchbrechen, durch ↑ Caracalla terließ 511 seinen Nachfolgern ein festge-
zunächst aufgehalten, 233 aber gelang ih- fügtes „fränk. Reich“; seine Söhne unter-
nen der Durchbruch und der Vorstoß bis warfen die Thüringer und die Burgunder
Oberitalien, Rom gab den Limes auf und und brachten auch Bayern in lose Abhän-
räumte das Land nördl. der Donau und gigkeit, Sachsen und Friesen hielten sich
rechts des Rheins, das planmäßig stärker unabhängig.
befestigt wurde. Seit Ende des 3. Jh. an der Nach Verfall der Merowinger-Herrschaft
oberen Donau und am Rhein Ansiedlung durch Teilungen, Familienzwiste Wieder-
von Germanen; 288 die Rheinmündung aufstieg unter den Hausmeiern (Pippini-
von den Franken besetzt, Sachsen erschie- den); Pippin der Mittlere (aus dem austra-
nen an der Küste Nordfrankreichs; seit 355 sischen Geschlecht der Arnulfinger, stellte
Vordringen der Franken an und über den durch seinen Sieg über den neustr. Haus-
Rhein; 350 der Rhein von den Aleman- meier bei Tertri 687 die Reichseinheit wie-
nen auf breiter Front überschritten, auf- der her; sein leiblicher Sohn, Karl Martell,
gehalten 357 durch den Sieg Julians bei schlug 732 in der Schlacht zw. Tours und
Straßburg; 401 wurde schließlich der Ober­ Poitiers die ↑ Araber und rettete dadurch
rhein von den Römern geräumt. Im Zuge die christlich-german. Kultur vor dem Is-

209
Deutschland

lam. Endgültige Verlagerung des polit. und tonicorum“), das ↑ Heinrich I., 919–936,
kulturellen Schwergewichtes vom Mittel- der erste der sächs. Herrscher, begründete
meer nach Norden. Martells Sohn Pippin (919–1024); H. suchte die Einheit seines
d. Jüngere, seit 741 Hausmeier, seit 752 Reiches zu fördern, reorganisierte die Lan-
König, wurde zum Begründer der karo- desverteidigung (Burgenbau; Schaffung ei-
lingischen Königsdynastie (­endgültige Ab- ner Reiterei und Ausbildung des Lehens-
setzung der Merowinger); folgenreich die wesens); er vernichtete ein ungar. Heer
sog. Pippinsche Schenkung: gegen päpstl. bei Riade (Unstrut). Seinem Sohn Otto I.
Anerkennung der neuen Dynastie königl. d. Gr. (936–973) gelang die Niederwer-
Schutz des Papsttums vor den Langobar- fung der aufständ. Herzöge und die Ver-
den (rechtliche Grundlage des ↑ Kirchen- treibung der Ungarn (Schlacht auf dem
staates), Verknüpfung kirchl. und welt- Lechfeld 955); Otto kehrte zur Reichskir-
licher Macht. Die Entwicklung gipfelte chenpolitik der Karolinger zurück, indem
in dem abendländischen Reich ↑ Karls er die geistlichen Fürsten zu Stützen der
d. Gr. (768‑814): Einverleibung des Lan- Reichseinheit machte, erneuerte die Kai-
gobardenreichs, Unterwerfung des bayer. serwürde (Kaiserkrönung 962) und ge-
Herzogtums (Absetzung Tassilos III.), Be- wann maßgeblichen Einfluss auf das Papst-
zwingung des letzten noch unabhängigen tum, dadurch Begründung des Hl. Röm.
Stammes der Sachsen; Erneuerung der Reiches und Einleitung der mittelalterl.
röm. Kaiserwürde als krönender Abschluss Italienpolitik der dt. Kaiser. Unter Otto II.
(Translatio imperii); neben diesen polit. und vollends unter Otto III. christlich-uni-
Erfolgen auch die erste nachdenkende und versale Einheitskultur noch ohne nationale
nachempfindende Renaissance der klass. Besonderheiten, getragen von Kloster- und
Wissenschaft und Kunst (↑ Karoling. Re- Domschulen, eine neue Renaissance (↑ Ot-
naissance). Karl d. Gr. (Charlemagne) wird tonisches R.).
sowohl von dt. wie von frz. Historikern in In dem letzten der Sachsenkaiser, Hein-
gleicher Weise als Ahnherr des dt. wie des rich II., erstand dem Reich ein Retter ge-
frz. Königtums bezeichnet, sein Kaisertum genüber den Wirren im Innern wie auch
war abendländ.-christl.-universal, da noch gegenüber den Slawen (Boleslav Chrobry).
keine Nationen mit eigener Staatsidee be- ↑ Konrad II. (1024–1039) eröffnete die
standen; erst durch die Reichsteilungen, Reihe der fränk. oder sal. Kaiser (1024–
die seine Erben und Nachfolger vornah- 1125), stützte sich, um vom Adel und 122
men, vor allem durch die Verträge von von der Kirche unabhängig zu werden, auf
↑ Verdun und ↑ Mersen bahnte sich eine die kleineren Vasallen, denen er die Erblich-
dt. wie auch eine frz. Nationalgeschichte keit ihrer Lehen zugestand. Die Regierung
an. Ludwig der Deutsche wurde Erbe Ost- ↑ Heinrichs III. (1039–1056) bedeutete
frankens (des späteren Deutschlands), Re- einen Höhepunkt kaiserlicher Machtfülle
sidenz in Regensburg; nach seinem Tode (Absetzung und Ernennung der Päpste),
neue Teilreiche und mangels einer starken der nach dem Tod des Kaisers zwangsläu-
Zentralgewalt Erneuerung der Stammes­ fig zur Auseinandersetzung mit dem Papst-
herzogtümer in Sachsen, Bayern, Schwa- tum um die Abgrenzung der gegenseitigen
ben und Franken. Gegen die anderen Machtbereiche (↑ Investitur) führte. Den
Herzöge vermochte sich der 911 zum dt. erbitterten Kampf musste ↑ Heinrich IV.
König gewählte Frankenherzog Konrad I. (1056–1106) austragen; 1062 als Knabe
nicht völlig durchzusetzen; sein Reich in Kaiserswerth gewaltsam entführt, 1065
(„Regnum Francorum“) war Übergang zu mündig, warf er 1073/74 einen Sachsen-
dem eigentlichen dt. Reich („Regnum Teu- aufstand nieder, kämpfte hartnäckig gegen

210
Deutschland

Papst Gregor VII. und die gregorian. Re- reiches, verbunden mit der Oberherrschaft
form, zuletzt auch gegen den eigenen Sohn des Kaisertums über die abendländ. Chris­
Heinrich V. (1106–1125), dem es gelang, tenheit; seinem Hause suchte er auf dem
1122 im Wormser Konkordat den Investi- Erbweg die Kaiserkrone zu sichern, sein
turstreit beizulegen. Die Notlage des Kö- früher Tod aber verhinderte die Durchfüh-
nigs nützten im Innern des Reiches die rung und leitete den Abstieg ein. Das Dop-
partikularen polit. Gewalten, bes. die Wel- pelkönigtum Philipps von Schwaben und
fenherzöge, zur Stärkung und Erweiterung des Welfen Otto IV. (1198–1212) offenba-
ihrer Macht, der König fand Hilfe bei den rte den Niedergang des König- und Kaiser-
(bes. rheinischen) Städten; in die Zeit des tums. Die Niederlage Ottos bei ↑ Bouvines
Investiturstreites fiel auch der Beginn der (1214) bedeutete nochmals einen Sieg der
„Hl. Kriege“, der ↑ Kreuzzüge; ohne dt. Staufer, deren Zeitalter glanzvoll ausklang
Beteiligung begann der 1. Kreuzzug, in der in dem kämpfer. Königtum ↑ Friedrichs II.
Hauptsache getragen von dem religiös-ver- (1212–1250), dessen Tod den Untergang
klärten Rittertum. Nachfolger Heinrichs V. des mittelalterl. Kaisertums überhaupt
wurde ↑ Lothar von Supplinburg (1125– bedeutete. Fr. machte den geistlichen wie
1137), unter ihm Wiederaufnahme der den weltlichen Fürsten in Deutschland
Mission und Kolonisation im Nordosten. große Zugeständnisse, die für die Entwick-
Nachfolger wurde statt des von ihm desi- lung landesherrlicher Macht entscheidend
gnierten Welfen (Heinrich der Stolze) der wurden, und konzentrierte sich auf den
Hohenstaufe ↑ Konrad III. (1138–1152), Machtkampf mit den Päpsten; gleichzeitig
gewählt von der Kirche und den Fürsten; gewannen die westeurop. Mächte Einfluss
als erster Staufer lag Konrad fast dauernd auf die dt. Verhältnisse. Der Tod des Kai-
im Kampf mit den Welfen und war betei- sers, das Erliegen der letzten Staufer in Ita-
ligt an dem gescheiterten 2. Kreuzzug. Ge- lien (Hinrichtung Konradins 1268) besie-
waltiger Aufschwung des Kaisertums un- gelten das Ende des ritterlichen Zeitalters in
ter ↑ Friedrich I. Barbarossa (1152–1190), seiner Größe und seinem Glanz (die große
zunächst Verständigung mit den Fürsten, Zeit der Ministerialen, staufische Dich-
dann leidenschaftlicher Kampf mit dem tung und Kunst). Für das Reich folgte das
Papsttum und mit den lombardischen Interregnum, „die kaiserlose, die schreck-
Städten, schließlich aber nachgiebig ge- liche Zeit“; erst die Erhebung Rudolfs von
genüber Papst und Lombarden; Sturz Habsburg 1273 weckte neue Hoffnungen;
Heinrich des Löwen; nächstes Ziel die Er- nach Lage der neuen Verhältnisse, unter
oberung des normannischen Reiches, vor- denen die tatsächliche Macht des König-
zeitiger Tod an der Spitze des 3. Kreuz- tums schwere Einbußen erlitten hatte, sah
zugs. In Fortführung seiner Politik brach sich König Rudolf indes in der Hauptsa-
↑ Heinrich VI. (1190–1197) den Wider- che auf die Macht seines Hausbesitzes an-
stand des welfisch-sächsisch-niederrhein. gewiesen, doch gelang es ihm, durch Land-
Fürstenbundes (Gefangennahme des Kö- friedenstätigkeit (Landfriedensbündnisse)
nigs Richard Löwenherz von England) und segensreich zu wirken. Die fortschreitende
eroberte das normannische Reich, Höhe- ostdt. Kolonisation, die von den Landes-
punkt der stauf. Macht; Heinrich, der die herren, Städten und Ritterorden getragen
Kronen von Deutschland, Burgund, der wurde, brach zusammen, als die außerdt.
Lombardei und von Sizilien trug, plante Staaten Osteuropas und Skandinaviens er-
die Beseitigung des Wahlreichs, die Be- starkten; ohne den notwendigen Rückhalt
gründung einer Erbmonarchie und darü- durch ein starkes Reich erlahmte die Macht
ber hinaus die Errichtung eines Universal- des Dt. Ordens ebenso wie die der Hanse.

211
Deutschland

Zunehmende Hausmachtpolitik schwächte Burgund. Kreis = Burgund, Luxemburg,


nicht nur den Reichsgedanken, sondern Belgien, Holland waren habsburgische
auch eine gesamtdt. Ordnung, im Unter- Hausmacht). Verwicklungen durch den
schied zur nationalstaatlichen Entwicklung wachsenden außerdt. Besitz; Kampf gegen
in Frankreich und England, wo sich Zen- Westen; die Türken zwangen Karl V. zum
tralgewalt und Erbmonarchie durchsetzten Kampf auch nach SO. Im Innern Schwä-
und die Territorialherren allmählich zum chung durch den Misserfolg der kirch-
Hofadel herabgedrückt wurden. Das Recht lichen Reform und die daraus erwach-
der Königswahl wurde in Deutschland seit sende Glaubens- und Kirchenspaltung in
der Mitte des 13. Jh. von den ↑ Kurfürsten der ↑ Reformation (konfessionelle und po-
beansprucht; vor der Wahl ließen sich die lit. Spaltung der Reichsstände). Das Herr-
Landesfürsten ihre Rechte bestätigen oder scherhaus teilte sich 1521/22 in eine dt.
erweitern (Wahlkapitulation). Unter den und span. Linie, doch blieb die Verflech-
Luxemburgern versuchte Heinrich VII. tung in außerdt. Angelegenheiten in der
(1308–1313) tatkräftig die Kaisertradition Folgezeit verhängnisvoll, als Deutschland
fortzusetzen (von Dante als ­Erneuerer der zum Tummelplatz fremder Heere und In-
Kaiserschaft gefeiert); er starb auf dem Rö- teressen wurde.
merzug; der Luxemburger Karl IV. (1347– Der ↑ Augsburger Religionsfriede von
1378) bestätigte in der ↑ Goldenen Bulle 1555 bestätigte die konfessionelle Spal-
1336 das alleinige Wahlrecht der Kur- tung und die staatliche Zerrissenheit. In
fürsten, das Grundlage der Reichsordnung den Parteiungen der protestant. „Union“
bis zur Reichsteilung 1806 blieb (Grün- (1608) und der kath. „Liga“ (1609) stan-
dung des vom Reich unabhängigen Rhein- den sich die Konfessionen gegenüber.
bundes). Seinem Sohn Sigmund (Sigis- Der Aufstand der Böhmen (↑ Prag) ließ
mund; 1410–1437) gelang es, auf kirch- die Fronten zusammenprallen (↑ 30-jähr.
lichem Gebiet das Schisma zu verhüten; Krieg). Der ↑ Westfäl. Frieden 1648 zerstü-
doch blieben Versuche zur Kirchenreform ckelte das Reich in 372 Obrigkeitsstaaten,
erfolglos, ebenso wie unter Maximilian I. überlieferte die Macht den Reichsfürsten
(1493–1519) die von ↑ Berthold von Hen- und strich das Reich als Großmacht aus,
neberg angeregte Reichsreform zur Stär- während England, Schweden und Russ-
kung der Zentralgewalt fehlschlug. Durch land und vor allem Frankreich emporstie-
seine Ehe mit der Erbin von Burgund, gen: Frankreich löste unter Ludwig XIV. D.
durch Erbvertrag mit Böhmen‑Ungarn, als erste Festlands-Großmacht ab. In dem
durch die Ehe seines Sohnes Philipp mit „Monstrum“ des Reiches mit dem Neben-
Johanna, der Tochter Ferdinands von Ara- einander souveräner Fürsten, die entweder
gon und Isabellas von Kastilien, legte Ma- als Landesherren für die Wohlfahrt ihrer
ximilian den Grund zur späteren Donau- Untertanen sorgten oder ganz ihren pri-
monarchie. Die größeren Fürsten des Rei- vaten Zielen lebten und den „beschränkten
ches bauten in dieser Zeit zielstrebig ihre Untertanengeist“ heranzüchteten, standen
Territorien aus (Röm. Recht, Beamtentum, die Reichsinteressen fast völlig zurück, der
Söldnertruppen) und versuchten, auch das Kaiser war nur noch Träger eines Ehren-
Bürgertum der privilegierten Städte zu Un- titels (ein gewisser „Reichspatriotismus“
tertanen zu machen. hielt sich jedoch noch bis 1806). Ansehen
Das Universalreich des MA wiederher- und Macht der habsburg. Kaiser gründeten
zustellen, war das Bemühen vor allem sich auf ihre immer noch wachsende Haus-
Karls V. (1519–1556), des Erben eines Rie- macht, die es ihnen ermöglichte, die ↑ Tür-
senreiches (Spanien und seine Kolonien; kengefahr zu bannen (Wien 1683, Belgrad

212
Deutschland

1688); das Vorrücken Frankreichs im El- der Reichsdeputationshauptschluss (1803)


sass konnte jedoch nicht verhindert wer- wurde für die Fürsten zur großen territori-
den. Innerhalb des Reichsraumes wurde alen „Flurbereinigung“ (Säkularisation der
die Schwäche der Reichsgewalt seit 1640 geistl. Gebiete, Mediatisierung zahlreicher
(↑ Friedrich Wilhelm I.) von den Herr- Reichsstädte); nach dem 3. Koalitionskrieg
schern Brandenburg-Preußens zur Verein- 1806: Niederlage Preußens, Errichtung des
heitlichung und Ausweitung ihres Staates souveränen Rheinbundes außerhalb des
benutzt, der ein Bollwerk gegen die sich Reiches, dadurch am 6. Aug. 1806 Ende
seit dem 18. Jh. vorschiebende Macht des Ersten Reiches, des „Hl. Röm. Reiches
Russlands wurde. Ostpreußen wurde aus Dt. Nation“; Franz II., letzter Kaiser des
der poln. Lehnshoheit befreit. Der Erb- alten Dt. Reiches, legte unter dem Druck
folgekrieg um die Kaiserwürde der Habs- Napoleons die Kaiserkrone nieder, nach-
burger (1741–43) führte zum dreimal er- dem er 1804 den österreichischen Kaiser-
neuerten Kampf Preußens und Österreichs titel angenommen hatte; das Ende des Kai-
um Schlesien. Mit der Eroberung Schlesi- sertums verschlimmerte die Lage. Nach der
ens durch ↑ Friedrich d. Gr. (↑ 7-jähriger Katastrophe Napoleons in Russland Erhe-
Krieg) verstärkte sich der Dualismus zwi- bung der Völker und Wiedererkämpfung
schen Österreich und Preußen, der für der Freiheit in den ↑ Befreiungskriegen.
mehr als ein Jh. die dt. (und europ.) Poli- Die europ. Neuordnung, die 1815 auf
tik bestimmte. Die habsburg. Kaisermacht dem ↑ Wiener Kongress im Geiste der
wurde durch Preußens Aufstieg zur Groß- „Heiligen Allianz“ erfolgte, enttäuschte die
macht nach Südosteuropa abgedrängt. Die Hoffnungen der dt. Patrioten und schaffte
Entwicklung der beiden dt. Großstaaten erneut einen Bund souveräner dt. ­Staaten,
bewegte sich noch weiter vom Reich zur Ei- den ↑ Deutschen Bund, der sich im Vor-
genstaatlichkeit fort. Durch die Teilungen märz mit Mühe und unterschiedlichem
↑ Polens von 1772, 1793, 1795 wurden die Erfolg (↑ Karlsbader Beschlüsse) der libe-
deutschen Grenzen nach Osten vorgescho- ralen und nationalen Bewegung erwehrte.
ben. Im Zeitalter der ↑ Frz. Revolution Die erstrebte polit. Einheit D.s wurde
und ↑ Napoleons wirkte sich durch das zunächst auf wirtsch. Gebiet eingeleitet
Fehlen einer aktionsfähigen Zentralgewalt durch den Dt. ↑ Zollverein (1833) und
die Ohnmacht des Reiches verhängnis- seinen Ausbau. Die vom Bürgertum getra-
voll aus; Verlauf und Ergebnis der ↑ Koa- gene Revolution von 1848/49 (↑ Märzre-
litionskriege offenbarten die Schwäche des volution) führte zur ersten dt. ↑ National-
alten Reiches gegenüber der frz. Nation: versammlung, eröffnete am 18. Mai 1848
Rückzug nach der Kanonade von ↑ Valmy in der Paulskirche den ersten Versuch zur
(1792), Ausbruch Preußens aus der Koali- Bildung eines alle dt. Länder umfassenden
tion (Basler Separatfrieden 1795, von der parlamentarischen Reichstages; der revo­
österr. Publizistik als „Verrat am dt. Vater- lutionären Bewegung wurde der ­ Mangel
land“ gebrandmarkt; fakt. Preisgabe des an einem politischen Zentrum D.s ebenso
linken Rheinufers); nach schweren Nie- zum Verhängnis wie der Mangel an polit.
derlagen Österreichs Friede von Campo Wirklichkeitssinn; der Versuch zur Schaf-
Formio (1797), in dessen Geheimabma- fung einer einheitlichen dt. Verfassung
chungen sich Österreich zur Räumung des und eines Reichsministeriums sowie eines
linken Rheinufers verpflichtete; der 2. Ko- neuen dt. Kaisertums misslang, stattdes-
alitionskrieg (1799–1802, Preußen blieb sen verschärfte sich der österr.-preuß. Ge-
wieder neutral) endete mit dem Frieden gensatz im Kampf um die Führung in D.;
von Lunéville, linkes Rhein­ufer blieb frz.; der Kampf (Scheitern des ↑ Erfurter Parla-

213
Deutschland

ments, Preußens Nachgeben in ↑ Olmütz) mühungen um den Ausgleich der Interes-


wurde durch die Politik ↑ Bismarcks und sen. Verhängnisvoll wirkte sich das Miss-
den durch sie ausgelösten ↑ Deutschen trauen des Auslands, bes. Englands, aus, als
Krieg 1866 im Sinne der nationalen preuß. nach Bismarcks Rücktritt im Zeitalter des
Staatsidee entschieden. Mit dem preuß. ↑ Imperialismus und Wilhelms II. das neue
Sieg entstand ein kleindt. Bundesstaat un- Reich von der kontinentalen zur Weltpoli-
ter Führung Preußens (Auflösung des Dt. tik überging und eine Seemacht zu grün-
Bundes, Ausscheiden Österreichs aus D.), den begann. Der außenpolit. „Neue Kurs“
zunächst seit 1867 als ↑ Norddt. Bund, begann 1890 mit der unerwarteten Kündi-
nach der siegreichen Beendigung des gung des ↑ Rückversicherungsvertrages mit
↑ Dt.-Frz. Krieges als („kleindeutsches“) Russland; das unbedingte dt. Zusammen-
Kaiserreich (sog. Zweites Reich; „vom Volk gehen mit Österreich verstärkte die Ab-
gebilligt, aber von ihm polit. nicht mitge- neigung Russlands, das sich mit dem we-
staltet“) unter dem Hause Hohenzollern gen der Abtretung Elsass‑Lothringens geg-
und einem ernannten, beamteten Reichs- nerischen Frankreich verband. Auch das
kanzler als einzigem Reichsminis­ter. Den Verhältnis zu England wurde zusehends
deutschen Nationalstaat erklärte Bismarck gespannter; die ↑ Krügerdepesche (1896)
als „saturiert“ und als gleichberechtigtes, verstimmte England schwer, Bündnisver-
friedliebendes Mitglied der europ. Staaten- handlungen (1893 und 1901) blieben ohne
gemeinschaft, um das in der Umwelt und Erfolg. So vermochte die an sich friedfer-
im Innern bestehende Misstrauen allmäh- tige, aber unsichere und wenig scharfsich-
lich zu beseitigen. Bismarcks geschickter tige, durch die Ungeschicklichkeit des Kai-
und zurückhaltender Außenpolitik gelang sers und bes. ↑ Bülows belastete dt. Politik
es, Vertrauen für die neue europ. Groß- 1890 bis 1914 den Ausbruch des Ersten
macht D. zu erwerben. ↑ Weltkrieges nicht zu verhindern. Die dt.
Weniger günstig gestalteten sich die innen- Niederlage 1918 brachte in der November-
polit. Verhältnisse: Bismarck schonte zwar revolution den Zusammenbruch des Kai-
die Gefühle der dt. Dynastien und ihrer sertums und des Zweiten Reiches sowie die
Anhänger (außer den Welfen), genehmig­te Schaffung der ↑ Weimarer Republik, deren
Reservatrechte in der Reichsverfassung bes. Verfassung zum ersten Mal Reichsministe-
für Bayern, aber der ↑ Kulturkampf hielt rien vorsah und den Parlamentarismus in
das Misstrauen des kath. Volksteils gegen D. einführte. Die D. auferlegten Lasten
das „protestant. Hohenzollernreich“ wach. des Versailler Vertrages (nicht zu bewälti-
Der preuß. Großgrundbesitz wurde auf gende Güter- und Geldreparationen, Ko-
Kosten anderer Volksschichten begünstigt lonialverlust, Abtretung von Reichsteilen,
(Getreidezölle), ebenso die Schwerindus­ politische Demütigungen), die frz. Ruhr-
trie (Eisenzölle); die parlamentar. Opposi- besetzung und die Inflation von 1922/23
tion der Linksliberalen wurde zu unfrucht- zerrieben die Kräfte des demokrat. Kerns
barem Parteikampf verdammt, die in der und begünstigten sowohl den Linksradi-
Sozialdemokratie polit. organisierte Arbei- kalismus wie einen extremen Nationalis-
terschaft durch das ↑ Sozialistengesetz (trotz mus (↑ Nationalsozialismus), der den Ge-
der für Europa vorbildlichen Sozialgesetz- danken einer europ. Zusammenarbeit im
gebung) weiterhin entfremdet. Die auch ↑ Völkerbund, in den D. 1926 dank der
für die Außenpolitik D.s entscheidende Politik ↑ Stresemanns aufgenommen wor-
Frage, ob Festhalten an agrar. Struktur oder den war, sabotierte. Die Massenarbeitslo-
Übergang zum reinen Industriestaat, blieb sigkeit, Zusammenbruch des Mittelstandes
offen; deshalb in der Folgezeit ständige Be- im Gefolge der Weltwirtschaftskrise 1930–

214
Deutschland, Bundesrepublik

32 und noch ungelöste außenpolit. Pro- kontrollamt; Gesetzgebung: der parlaments­


bleme erschütterten die kaum gefestigte ähnliche Wirtschaftsrat). Marshallplan,
Demokratie. begann am 1. Juli 1948 nach Währungs-
Unter Ausnutzung der (in der ganzen reform mit Wirtschaftsstarthilfe. 1948 Be-
Welt) bestehenden (abklingenden) Krise schluss der westl. Besatzungsmächte, dass
gelangte der Nationalsozialismus 1933 Westzonen in bundesstaatlicher Ordnung
zur Herrschaft und errichtete die autori- gemeinsame, bevollmächtigte Regierung
täre Staatsform des sog. ↑ Dritten ­Reiches, erhalten sollen; Anweisung zur Einberu-
das 1938 mit der Angliederung Öster- fung einer konstituierenden Versamm-
reichs als „Großdt. Reich“ proklamiert lung zum 1. Sept. 1949 und zur Festlegung
wurde. Die territorialen Ansprüche Hitlers der Ländergrenzen mit dem Ziel der Be-
führten – nach einer scheinbaren Beruhi- endigung der Teilung Deutschlands (Ein-
gung durch das ↑ Münchener Abkommen ladung an die UdSSR, die ablehnte). Am
– infolge des Überfalls auf die Tschecho- 1. Sept. 1948 traten 65 von den Landtagen
slowakei und Polen zum Zweiten ↑ Welt- gewählte Delegierte (dazu 5 Berliner De-
krieg, der 1945 mit dem völligen Zusam- legierte ohne Stimmrecht) aus 7 Parteien
menbruch des Dt. Reiches, der Besetzung (CDU/CSU 26, SPD 26, FDP 5, DP 2,
ganz D.s, der Abtrennung großer Reichs- Zentrum 2, Kommunisten 2) zum Parla-
teile und der Vertreibung ihrer Bewohner mentar. Rat in Bonn zusammen; Ratsprä-
endete. sident Konrad Adenauer. Am 8. Mai 1949
Aus den Besatzungszonen der Westmächte wurde das Grundgesetz als provisor, Ver-
einerseits und der Sowjetzone andererseits fassung für Gesamtdeutschland angenom-
bildeten sich zwei getrennte Staatsteile he- men, am 23. verkündet, am 15. Juli Erlass
raus, die 1949 eine verschiedene verfas- des Wahlgesetzes zum 1. Bundestag und
sungsmäßige Grundlage erhielten: ↑ Bun- zur 1. Bundesversammlung. 14. Aug. 1949
desrepublik Deutschland und ↑ Deutsche Wahlen (78,5 % Beteiligung). Am 7. Sept.
Demokratische Republik (DDR). 1949 Konstituierung von Bundestag und
Deutschland, Bundesrepublik, aus den Bundesrat. Die 1. Bundesversammlung
drei westlichen Besatzungszonen gebildet, (804 Mitglieder) wählte am 12. Sept. 1949
föderalist., demokrat., parlamentar. Staats- den 1. Bundespräsidenten mit 5-jähriger
wesen (Bundesstaat). Vorausgegangen wa- Amtszeit (Prof. Theodor Heuss, FDP), auf
ren 1945 bzw. 1946 die Bildung der Län- dessen Vorschlag wählte der 1. Bundes-
der Bayern, Württemberg-Baden, Hessen tag am 19. Sept. 1949 den Bundeskanzler
(US-Zone), Baden (Südbaden), Württem­ (Konrad Adenauer, CDU). Die Rechte der
berg-Hohenzollern, Rheinland-Pfalz (frz. 11 Länder (heute nach Bildung von Baden-
Zone), Bremen, Hamburg, Schleswig-Hol- Württemberg und der Rückkehr des Saar-
stein, Niedersachsen, Nordrhein-Westfa- landes 10) wurden vom Bundesrat vertre-
len (brit. Zone, nach Auflösung der preuß. ten, zur prov. Hauptstadt wurde Bonn be-
Provinzen); Großberlin erhielt besatzungs- stimmt. Die Rechte der westl. Besatzungs-
rechtliche Sonderstellung, das um 109 Ge- mächte wurden durch das am 21. Sept.
meinden vergrößerte Saargebiet wurde von 1949 in Kraft getretene Besatzungsstatut
Deutschland losgetrennt und in Anleh- geregelt; sie behielten sich die oberste Ge-
nung an Frankreich autonom; 1947 Bil- walt bei Gefährdung der Ordnung vor und
dung der wirtsch., verkehrsmäßig und fi- bestätigten dem Bund und den Ländern
nanziell zusammengefassten US- und brit. die Staatshoheit (ausgenommen Entwaff-
Zone (Bizone, Leitung: Dt. Exekutivrat, nung, Entmilitarisierung, Ruhrkontrolle,
Frankfurt; Überwachung: Zweimächte­ Vorprüfungs- und Einspruchsrecht bei Ge-

215
Deutschland, Bundesrepublik

setzen, Außenpolitik); das Statut wurde 3. Bundestages, 3. Kabinett Adenauer; im


1951 (Beendigung des Kriegszustandes gleichen Jahr Mitbegründung der ↑ Europ.
zw. Westmächten und BRD) revidiert Wirtschaftsgemeinschaft (Gemeinsamer
(kein Prüfungsverfahren mehr für Gesetze, Markt, EWG) und der Atomgemeinschaft
Recht zu selbständiger Außenpolitik) und (EURATOM); 1. Jan. 1958 Inkrafttreten
1952 durch Deutschland-Vertrag ersetzt der EWG. 1. Juli 1959 Bundespräsiden-
(Bonner Vertrag): Die BRD erhielt Verfü- tenwahl (Heinrich Lübke). 6. Juli 1959
gungsgewalt über alle inneren und äußeren wirtsch. Rückgliederung des Saarlandes;
Angelegenheiten (ausgenommen Stationie- 1961 Wahl des 4. Bundestages, 4. Kabinett
rung von Streitkräften, Status von Berlin, Adenauer. 1963 Rücktritt Adenauers als
Lage D.s als Ganzes, Wiedervereinigung, Bundeskanzler, Wirtschaftsminister ↑ Er-
Friedensvertrag, Notstandsbefugnisse bei hard wurde Bundeskanzler.
Bedrohung); Regelung der Truppenstatio- 1966 führte die wirtsch. Rezession zur
nierung; Westmächte und Regierung ver- Bildung der Großen Koalition von CDU/
pflichteten sich zur Politik der Wiederver- CSU und SPD unter ↑ Kiesinger. 1969
einigung mit friedlichen Mitteln. Die BRD Wahl ↑ Heinemanns zum Bundespräsi-
trat 1949 der OEEC, 1950 der Europä- denten. Die Bundestagswahl von 1969
ischen Zahlungsunion (EZU), 1951 dem brachte die erste Bundesregierung un-
Europarat und der Europ. Gemeinschaft ter Führung der SPD unter Bundes-
für Kohle und Stahl (Montan­union), 1952 kanzler ↑ Brandt, Koalitionsregierung
dem ­ Weltnachrichtenverein, der Internat. mit der FDP wurde nach dem Wahlsieg
Arbeitsorganisation und der UNESCO 1972 fortgesetzt. 1974 nach Spionageaf-
bei; schneller Fortgang des wirtsch. Wie- färe Rücktritt Brandts als Bundeskanzler,
deraufbaus und der Wiedergewinnung des Nachfolger wurde ↑ Schmidt, Wahl des
Vertrauens in der Welt (vor allem Versöh- Außenministers ↑ Scheel zum Bundesprä-
nung mit Frankreich). 6. Sept. 1953 Wahl sidenten. Außenpolitisch kam mit der Re-
des 2. Bundestages, 2. Kabinett Adenauer. gierung Brandt größere Bewegung in die
17. Juli 1954 Wiederwahl des Bundesprä- Deutschland- und Ostpolitik. 1970 dt.-
sidenten Heuss. Am 24. März 1955 tra- sowjet. und dt.-poln. Vertrag, Viermäch-
ten Pariser Verträge in Kraft, Eintritt der teabkommen über Berlin. 1972 „Vertrag
BRD (nach Scheitern der Europ. Verteidi- über die Grundlagen der Beziehungen zw.
gungsgemeinschaft/EVG) in die Nordat- der Bundesrepublik Deutschland und der
lant. Verteidigungsgemeinschaft (NATO); DDR“. 1973 Aufnahme bei der dt. Staa-
Vorbehalte hinsichtlich Status von Berlin, ten in die Vereinten Nationen. 1973 Nor-
Wiedervereinigung, des Friedensvertrags, malisierungsvertrag mit der Tschechoslo-
Stationierung von Truppen zur Verteidi- wakei (Münchener Abkommen von 1938
gung der freien Welt (Truppenvertrag) und wurde für „nichtig“ erklärt). Pragmatisch
Verteidigungsbeitrag; Wiedervereinigung ausgerichtete Politik der SPD/FDP-Ko-
und Friedensvertrag blieben gemeinsames alitionsregierung unter H. Schmidt seit
Ziel; bei Wiedervereinigung Vertragsände- 1974, Sanierung der Renten- und Kran-
rung möglich; am 5. Mai 1955 Wiederher- kenversicherung, Kampf gegen den Ter-
stellung der vollen Souveränität (Ende des rorismus (1977 Mogadischu), Ausbau der
Besatzungsregimes, Auflösung der Alliier- Kern­energie, der „Macher“ Schmidt in der
ten Hochkommission); 1956 Einführung internat. Politik aber bald höher angesehen
der allg. Wehrpflicht; Vertrag mit Frank- als in D. selbst. Erstarken der oppositio-
reich über Angliederung des Saarlandes nellen CDU/CSU in den Bundesländern,
(vollzogen am 1. Jan. 1957); 1957 Wahl des 1979 mit K. Cars­tens zum erstenmal ein

216
Deutschlandlied

Bundespräsident der CDU gewählt. Bei 9. Nov. Grenzöffnung zw. der DDR und
den Bundestagswah­len 1980 unterlag der der Bundesrepublik.
Herausforderer F. J. ↑ Strauß; dennoch ge- Im Zwei-Plus-Vier-Vertrag (12. Sept. 1990)
riet die weitergeführte Koalitionsregierung zw. der frei gewählten Regierung der DDR
Schmidt durch massive Einsparungen in unter de Maizière, der Regierung der BRD
den Bundeshaushalten 1981 und 1982 zu und den vier Siegermächten aus dem
Lasten breiter Bevölkerungsschichten in 2. Weltkrieg wurden die Voraussetzung für
die Krise, die FDP unter Genscher vollzog die Wiedervereinigung der beiden dt. Staa-
den Wechsel zur Koalition mit der CDU/ ten geschaffen, die am 3. Okt. 1990 vollzo-
CSU. 1. Okt. 1982 Sturz der Regierung gen wurde. Hauptstadt wurde erneut Ber-
durch konstruktives Misstrauensvotum, lin, im Nov. 1990 wurde die Oder-Neiße-
der CDU-Vorsitzende ↑ H. Kohl wurde Linie als endgültige Ostgrenze bestätigt.
Kanzler. Bundestagswahl 1983 Mehrheit Bei den ersten freien gesamtdeutschen
für die Koalition aus Christdemokraten/ Wahlen seit Ende des 2. Weltkriegs wurde
Christlich-Sozialen und Liberalen, SPD die Koalition aus CDU/CSU und FDP un-
und die neu hinzugekommenen Grünen ter Kanzler Kohl bestätigt (erneut 1994).
seitdem in der Opposition. Außenpolit. Die Wiedervereinigung stellte eine große
setzte die Regierung Kohl/Genscher den wirtsch. Belastung für D. dar. Durch die
Kurs ihrer Vorgänger fort (Entspannungs- Übernahme der Altschulden und die ho-
politik bei gleichzeitiger Westorientie- hen Kosten für den Wiederaufbau in den
rung), was sie in Auseinandersetzungen mit neuen Bundesländern stiegen die Staats-
der Friedensbewegung und den Gegnern chulden an, ebenso die Zahl der Arbeits-
der Atomenergie brachte. Die Sensibilisie- losen. Schwierig gestaltete sich auch die
rung der Bevölke­rung für die vom Atom Bewältigung der entstandenen gesellschaft-
ausgehenden Gefahren wurde 1986 durch lichen und sozialen Probleme durch die
das Reaktorunglück von Tschernobyl ver- Wiedervereinigung. 1998 verlor die Koa-
stärkt; einen Markstein setzte in gewisser lition unter Kohl die Wahlen und wurde
Hinsicht 1989 der Verzicht der Atomin- von einer Koalition aus Sozialdemokra-
dustrie auf die Wiederaufbereitungsanlage tischer Partei und Bündnis 90/Die Grünen
in ­ Wackersdorf (Ober­pfalz). Wirtschafts- unter Bundeskanzler G. Schröder (SPD)
polit. setzte die Regierung auf die „Selbst- abgelöst. 2002 erneut (knapper) Wahlsieg
heilungskräfte des Marktes“, ähnlich wie der regierenden rot-grünen Koalition. Au-
zur selben Zeit die brit. und amerik. Re- ßenpolitisch spielt Deutschland v. a. im eu-
gierungschefs Thatcher und Reagan. In- rop. Einigungsprozess eine führende Rolle,
nenpolitisch 1983 starke Belastung durch brach aber 2003 aufgrund seines hohen
die sog. Flick-Affäre (­Vorwürfe gegen Bun- Haushaltsdefizits bereits zum zweiten Mal
deswirtschaftsminister Graf Lambs­dorff den EU-Stabilitätspakt.
wegen Bestechlichkeit), das Vorhaben, Deutschlandlied, dt. Nationalhymne; Text
ein Amnestiegesetz für Steuerstraftaten im von dem Sprach- und Liedforscher und
Zusammenhang mit Parteispenden ein- Liederdichter August Heinrich Hoffmann,
zuführen, scheiterte; 1984 Arbeitskämpfe gen. Hoffmann von Fallersleben, Prof. in
in der Metall- und Druckindustrie um Breslau, 1841 auf Helgoland verfasst und
die 35-Stunden-Woche. Die Bundestags- an einen Hamburger Verleger verkauft;
wahlen 1987 bestätigten die Koalitionsre- nach seiner Entlassung aus dem Lehramt
gierung. 1989 Massenflucht von Bürgern (wegen seiner „Unpolit. Lieder“) Bekennt-
aus der DDR (↑ Deutsche Demokratische nislied des Verfemten zum Nachweis seiner
Republik) in den Westen und schließl. am nationalen Gesinnung (Übernahme der

217
Deutschmeister

Melodie der alten österr. Kaiserhymne von pelallianz; im Frieden von Aachen erhielt
Joseph Haydn); Veröffentlichung in Stu- L. nur 12 flandr. Festungen (Lille).
dentenliederbüchern; im 1. Weltkrieg Lied Dezemberverfassung, von Kaiser Franz
der Langemarckkämpfer; 1922 zur dt. Na- Joseph in Kraft gesetzte liberale Grundge-
tionalhymne erhoben. setze; wegbereitend für das konstitutionelle
Deutschmeister, ↑ Deutscher Orden. Regierungssystem in Österreich; die D.
Deutschnationale Volkspartei, konserva- war 1867–1919 geltendes Gesetz.
tive Rechtspartei der ↑ Weimarer Republik, Diadem (griech., Stirnbinde), Schmuck-
die der parlamentar.-demokrat. Verfassung band aus Stoff oder Metall zum Zusam-
meist feindlich gegenüberstand; erstrebte menhalten des Haupthaares, galt im alten
Wiederherstellung der Monarchie, stützte Orient (bes. Persien) als Zeichen könig-
sich auf den ostelb. Großgrundbesitz und licher Würde, von Alexander d. Gr. über-
Teile der Schwerindustrie; geriet unter nommen, von den Römern der Republik
Führung Hugenbergs in ein immer mehr verabscheut, erst von Konstantin offiziell
reaktionäres und rechtsradikales Fahrwas- zum Symbol der kaiserlichen Würde erho-
ser und ebnete Hitler den Weg zur Macht ben; als edelsteinbesetzter Stirnreif wan-
(↑ Drittes Reich), 1933 selbst aufgelöst. delte es sich schließlich zur Krone.
Deutsch-Sowjetischer Nichtangriffspakt, Diadochen (griechisch, Nachfolger durch
am 23. Aug. 1939 in Moskau abgeschlos- Übernahme), die Feldherren ­ Alexanders
sener Vertrag, in dem das Dt. Reich und d. Gr., die sich als seine Nachfolger in
die Sowjetunion sich wechselseitig Neu- wechselvollen und langwierigen Kämp-
tralität im Falle eines Angriffs auf Dritte fen um die Teile des Weltreichs stritten
versicherten. Ein geheimes Zusatzproto- („D.-Kämpfe“). Von den hellenistischen
koll beinhaltete die Möglichkeit der Tei- D.-Reichen erlangten größere Bedeutung
lung Polens, der Einbeziehung Finnlands, Ägypten (Ptolemäer), Vorderasien (Seleu-
Estlands, Lettlands und ­Bessarabiens in die kiden) und Makedonien (Antigoniden);
sowjetische, der Litauens in die dt. Macht- die Nachfolger der D. wurden Epigonen
und Interessenssphäre (Existenz dieses Zu- genannt.
satzprotokolls erst 1989 von der Sowjet- Diana von Poitiers, Geliebte König Hein-
union zugegeben). Der D. gab Hitler freie richs II. von Frankreich, 1499–1566; seit
Hand für die Entfesselung des 2. ↑ Welt- 1547 als Herzogin von Valentinois unbe-
kriegs. dingte Herrin des Hofes; 1559, nach dem
De Valera, ↑ Valera. Tod Heinrichs II., von Katharina von Me-
Devolutionskrieg, erster Eroberungskrieg dici verbannt.
Ludwigs XIV. 1667/68 gegen die span. Diaz, 1) D., Armando, Duca della Vit-
Niederlande; L. forderte auf Grund des in toria, ital. Marschall, 1861–1928; Ober-
Brabant geltenden sog. Devolutionsrechts befehlshaber seit 1917, Kriegsminister
(Ablösungsrechts), wonach Kinder aus ver- 1922–1924. 2) D., Bartholomeu, portug.
schiedenen Ehen eines Vaters das während Seefahrer, um 1450–1500; erreichte 1486
der einzelnen Ehen erworbene Vermö- erstmals das Kap der guten Hoffnung, bei
gen erhalten sollen, als Erbgut seiner Ge- dem er auf späterer Fahrt unterging. 3) D.,
mahlin, der ältesten Tochter Philipps IV. Porfirio, mexikan. General und Staats-
von Spanien (gest. 1665), Teile der span. mann, 1830–1915; kämpfte gegen Kaiser
Niederlande und ließ Turenne zur Besitz- Maximilian, 1877–1880 und 1884–1911
nahme einrücken; zur Abwehr des über- Präsident der Republik, regierte diktato-
raschenden Angriffs schlossen die Nieder- risch; rang um Mexikos Selbständigkeit ge-
lande mit England und Schweden die Tri- genüber den USA; 1911 gestürzt.

218
Diktatur

Dibelius, Friedrich Karl Otto, dt. ev. Lan- polit. Liberalismus; Fürsprecher der Leh-
desbischof, 1880–1967; seit 1925 Ge- rerschaft (forderte Hochschulbildung für
neralsuperintendent der Kurmark, 1933 Volksschullehrer).
des Amtes enthoben, danach führend in Dietrich von Bern (Verona), in der german.
der Bekennenden Kirche; 1945–1966 Bi- Heldensage Name des Ostgotenkönigs
schof von Berlin, 1949–1961 Vorsitzen- ↑ Theoderich d. Gr., in zahlr. Dichtungen
der des Rates der Evangelischen Kirche in besungen (Nibelungenlied, Thidreksaga);
Deutschland. Idealheld der Deutschen des MA.
Diderot, Denis, frz. Philosoph und Dich- Dijon, Stadt in Frankreich; als galloröm.
ter der Aufklärung, 1713–1784; Herausge- Siedlung Divio seit dem 2. Jh. nachweisbar,
ber und Hauptverfasser der großen frz. En- 479 burgundisch, 534 fränkisch; seit 1016
zyklopädie (seit 1751) im Geiste des Frei- im Besitz der Herzöge von Burgund, die es
denkertums, für das er auch mit journalist. zu ihrer Hauptstadt machten; seit 1477 zu
Mitteln kämpfte. Frankreich.
Diebitsch-Sabalkanskij, Iwan Graf von, Diktator (lat.), in Alt-Rom höchster, au-
russischer General, 1785–1831; schloss ßerordentlicher Beamter, in Notzeiten
1812 die Konvention von Tauroggen mit auf Senatsbeschluss durch einen Konsul
General Yorck; 1829 Oberbefehlshaber im eingesetzt und mit unumschränkten Voll-
Türkenkrieg, nahm nach dem Übergang machten ausgestattet; sein Auftrag ist fest
über den Balkan (daher auch genannt Sa- umrissen, längste Amtsdauer 6 Monate.
balkanskij = Balkanüberschreiter) Adriano- Diktatur, Staatsführung durch einen einzel-
pel; kämpfte 1830/31 gegen die aufständ. nen (oder eine Gruppe) mit unbeschränkter
Polen. Machtbefugnis; das Amt des ↑ Diktators
Diehards (engl.), die „Unentwegten“, nach im alten Rom war im Staatsrecht fest ver-
ihrem Wahlspruch „to die hard“ = schwer ankert und genau ­ umrissen (Beschrän-
sterben, der extreme, schroff imperialist. kung der Amtsdauer und des Auftrags); in
Flügel der engl. Konservativen. der Neuzeit (Regierung ohne parlamentar.
Dien Bien Phu, Stadt in Vietnam; diente Kontrolle, Neigung zu Willkür und Recht-
1953 den Franzosen als Sperre gegen den losigkeit), entbehrt in der Regel der Dauer-
Nachschub des Vietminh, die Kapitula- haftigkeit und kommt überwiegend in Re-
tion der Franzosen in D. 1954 gilt als ent- publiken vor (z. B. in den Stadtrepubliken
scheidende frz. Niederlage in der 1. Phase der Antike und des MA, wo der Diktator
des Vietnam-Krieges, leitete die Trennung meist als „Tyrann“ bezeichnet wird; oder in
Frankreichs von seinen Kolonien ein. den Republiken Südamerikas; eine D. ist
Diesel, Rudolf, dt. Ingenieur, 1858– auch in (schwachen) Monarchien möglich
1913; Erfinder des nach ihm benannten (z. B. D. Primo de Riveras in Spanien). Die
Schwerölmotors (Dieselmotor) mit Zün- D. dient oft zur Verhinderung der sozi-
dung durch hochverdichtete Luft; erster alen Revolution, kann aber auch den Fort-
D.-Motor 1894 (↑ Automobil). schritt proklamieren (Diktatur des Prole-
Diesterweg, Adolf, dt. Pädagoge, Schulre- tariats ↑ Marxismus). Wegbereiter der D.
former, 1790 1866; von der preuß. Regie- sind Wirtschaftskrisen, nationale Katastro­
rung wegen seiner liberalen, aufklären Ge- phen und politische Unsicherheit der Mas-
sinnung gemaßregelt; Mitglied des preuß. sen (Ruf nach dem „starken Mann“). Eine
Abgeordnetenhauses; Gegner der Konfes- im 19./20. Jh. häufige Form der D. ist die
sionsschule und geistlicher Schulaufsicht, Militär-D., ausgeübt von erfolgreichen Ge-
Verfechter des modernen staatlichen Volks- neralen in Ländern mit schwacher demo-
schulwesens im Sinne ↑ Pestalozzis und des kratisch. Tradition; mit weltanschaulichen

219
Diluvium

Prinzipien verbindet sie sich in den tota- ein Jt. Währungseinheit der islam. Welt
litären „Führerstaaten“ des 20. Jh. (auch geblieben ist; eingeführt 696 n. Chr.; weist
„autoritäre“ Staaten genannt: faschist. Ita- meist Koransprüche als Ornament auf.
lien, nat.-soz. Deutschland, ähnlich die Diodorus Siculus, griech. Geschichtsschrei­
Diktatur Francos, der sich auf die Falange ber, Verfasser der „Historischen Biblio-
stützte). Die Verteidiger der D. verwei- thek“, einer populären (nicht immer zu-
sen auf erfolgreiche histor. Beispiele wie verlässigen) Weltgeschichte, die bis zum
Cromwell in England, Kemal Atatürk in Gallischen Krieg seines Zeitgenossen Cäsar
der Türkei; die Gegner der D. sehen darin reicht (15 von 40 Büchern erhalten).
Ausnahmen, die die Regel bestätigen. Diogenes, 1) D. Laertios, schrieb um
Diluvium (lat., Überschwemmung, „Sint- 275 n. Chr. eine Geschichte der griech. Phi-
flut“); zum Unterschied vom Alluvium losophie (knapp, jedoch durch Übermitt-
(Anschwemmung, Nacheiszeit) zweit- lung verlorener Quellen wertvoll). 2) D.
jüngste geolog. Formation, zum Quartär von Sinope, griech. Philosoph, Zeitgenosse
gehörig, gekennzeichnet durch die ↑ Eis- ↑ Alexanders d. Gr.; lebte in Korinth und
zeiten und das erste nachweisbare Auftre- Athen, durch sein Ideal der Bedürfnislosig-
ten des Menschen und erste nachweisbare keit und der Verachtung aller Konvention
Kunstschöpfungen (↑ Paläolithikum). Figur zahlr. Anekdoten; wohnte demons-
Dimitri Iwanowitsch Donskoi, Großfürst trativ in einer Tonne (wie ein „Kyon“,
von Moskau (1359–89); geb. 1350; führte griech. = Hund, daher „Kyniker“).
die Russen 1380 zum ersten Sieg über ein Diokletian (Gajus Aurelius Valerius Dio-
tatar. Heer in offener Feldschlacht unweit cletianus), röm. Kaiser (284–305); Sohn
des Don (daher der Beiname). eines illyr. Freigelassenen, vom Heer zum
Dimitrijevi, Dragutin, serb. Offizier, 1876– Kaiser erhoben, regierte absolutist. nach
1917; Verfechter eines großserb. Nationa- oriental. Muster, führte eine polit. Neu-
lismus, 1903 beteiligt an der Ermordung ordnung des Reiches durch: Teilung der
des serb. Königs Alexander I. Obrenovic Regierungsgewalt, an der Spitze zwei Au-
und dessen Frau Draga, seit 1911 Chef des gusti (neben D. sein Freund Maximian);
Geheimbundes «Schwarze Hand» und Or- die von ihnen adoptierten, zum Nachrü-
ganisator des Attentats auf den österr.-un- cken bestimmten beiden Cäsaren sicher-
gar. Thronfolger Franz Ferdinand 1914 in ten gleichzeitig die Thronfolge (im ganzen
↑ Sarajewo, 1917 hingerichtet. eine Tetrarchie = Herrschaft der Vier, be-
Dimitrow, Georgi, bulgar. Kommunisten- ginnende Reichsteilung). Zwecks Reform
führer, 1882–1949; flüchtete nach dem der Verwaltung Dezentralisierung (Eintei-
Aufstand von 1923 und (zum zweiten Mal) lung des Gesamtreichs in 4 Präfekturen,
nach dem Bombenattentat auf die Kathe- in sich wiederum aufgeteilt in je 12 Diö-
drale von Sofia ins Ausland; Kominterna- zesen), zugleich Stärkung der Zentralge-
gent; 1933 im Reichstagsbrandprozess frei- walt durch Gleichschaltung aller Reichs-
gesprochen, danach Generalsekretär der teile (Ende der Sonderstellung Roms und
Komintern und Vorsitzender des Obers- Italiens) und Einheitlichkeit der Verwal-
ten Gerichtshofes in Moskau; kehrte 1944 tungsmaßnahmen; ferner Heeres- und Fi-
nach Bulgarien zurück, organisierte die nanzreform (Einheit der Münze und des
kommunist. „Vaterländ. Front“ und ließ Steuersystems, dabei Rückgriff auf Natu-
1946 die Volksrepublik Bulgarien ausru- ralabgaben), verzweifelter Kampf gegen
fen, 1946–49 Ministerpräsident. die permanente Wirtschaftskrise durch
Dinar, die entsprechend dem Bildverbot zwangswirtsch. Maßnahmen (Höchst-
bildlose Goldmünze des Islam, die über preise, Schollenpflicht der Bauern und

220
Diplomatie

Handwerker, Berufszwang); Großbauten auf die Mystik (entstanden um 500). 4) D.


(Thermen in Rom); Erneuerung des alten von Halikarnassos, griech. Historiker und
Jupiterkults und daher ↑ Christenverfol- Rhetor, seit 30 v. Chr. in Rom, in seiner
gung; nach seiner freiwilligen Abdankung durch rhetorischen Glanz ausgezeichne-
(305) starb D. im Jahr 313 zurückgezogen ten „Röm. Archäologie“ (Geschichte) ver-
in Salona (Split). suchte er die Abstammung der Römer von
Dion, 1) D. von Syrakus, aristokrat. Poli- den Griechen nachzuweisen. 5) D. Perie-
tiker, Schüler und Freund des Platon, der getes aus Alexandria, griech. Geograf und
in Syrakus seinen von einer philosoph. ge- Schriftsteller, Anfang 2. Jh. n. Chr.; geogr.
schulten Elite geleiteten Idealstaat verwirk- Lehrgedicht, das noch im MA als Schul-
licht sehen wollte; vom jüngeren Dionysios buch benutzt wurde. 6) D. Thrax, griech.
366 v. Chr. vertrieben, nach seiner Rück- Grammatiker, um 170–90 v. Chr., Lehrer
kehr 354 v. Chr. ermordet. 2) D., Cassius, in Rhodos und Rom, verfasste die erste
griech. Geschichtsschreiber aus Nicäa, um griech. Grammatik.
155–229; Senator, Konsul 221 und 229; Dionysius, 1) D. (portug. „Diniz“), Kö-
schrieb eine röm. Geschichte von Äneas bis nig von Portugal (1279–1325); gen. „der
zu seiner Gegenwart in 80 Büchern (erhal- Ackerbauer“, legte in friedlicher Regierung
ten die Jahre 68 v. Chr. bis 47 n. Chr.). den Grund zu Portugals Aufstieg. Gegner
Dionysien (lat. Bacchanalien), Feste zu der Kurie; stiftete die Universität Lissa-
Ehren des Gottes Dionysos (lat. Bacchus); bon. 2) D. Exiguus („der Geringe“), skyth.
wurden in Athen als städt. oder große D. Mönch auf Monte Cassino und in Rom,
Anfang April, als kleine oder ländliche gest. um 540; begründete die christliche
D. Ende Dez. gefeiert. Über Unteritalien Osterberechnung und Zeitrechnung nach
gelangte der Kult der ausschweifenden Christi Geburt (Jahresbeginn Weihnachten
Baccha­nalien auch nach Rom, wo er vom statt Karfreitag), sammelte Kirchengesetze
Senat 186 v. Chr. mit Strenge unterdrückt zur Rechtfertigung des päpstlichen Pri-
wurde (Hinrichtung zahlreicher wegen mates. 3) D. der Große, Bischof von Ale-
Teilnahme an diesem Geheimkult Ange- xandria, Kirchenlehrer, gest. 265 n. Chr.;
klagten), doch hielt er sich bis zur Mitte Schüler des Origines. 4) D. von Paris, frz.
des 4. Jh. n. Chr. im Volk. Nationalheiliger, erlitt im 3. Jh. vermutlich
Dionysios, 1) D. I. der Ältere, Tyrann in Paris den Märtyrertod.
von Syrakus, (405–367 v. Chr.), Tragödien­ Diözese (griech.), seit Kaiser Diokletian
dichter, bedeutender Staatsmann, Feldherr Unterverwaltungsbezirk des Röm. Impe-
der sizilischen Griechen im Kampf gegen riums, seit Konstantin auch Verwaltungs-
die Karthager, deren Machtbereich er auf sprengel der Erzbischöfe, später der Bi-
W-Sizilien beschränkte; Ausdehnung seines schöfe.
Reiches auch auf Süditalien, Stützpunkte Diplomatie, polit. Verhandlungskunst,
an der Adria. 2) D. II. der Jüngere, Sohn bes. als Teilbereich und Mittel der Außen-
von 1), Tyrann von Syrakus seit 367 v. Chr., politik; auch die im zwischenstaatlichen
grausam und ausschweifend, 357 von Dion Verkehr ausgebildeten Regeln und Formen;
vertrieben, 346 nochmals Herr der Stadt, schließlich die Gesamtheit der damit be-
344 endgültig verjagt und nach Korinth trauten Beamten des auswärtigen Dienstes.
verbannt. 3) D. Areopagita, nach der Apo- – Mit dem griech. Wort „Diploma“, der
stelgeschichte Schüler des Paulus und 1. Bi- zusammenklappbaren Schreibtafel, be-
schof von Athen; unter seinem Namen im zeichneten die Römer die auf solchen Ta-
frühen MA mehrere neuplatonischer früh- feln festgehaltenen amtlichen Dokumente;
christliche Schriften verbreitet, von Einfluss danach hieß Diplomat, wer solche Urkun-

221
Diplomatik

den ausfertigte. Doch erst durch ↑ Mabil- land arbeiteten; 1 Mio. DPs kehrten nicht
lon wurde die Bezeichnung „Diplom“ für in die Heimat zurück.
Staatsurkunden in Europa üblich; zur glei- Disraeli, Benjamin, später Lord Beacons-
chen Zeit (17./18. Jh.) entwickelte die auf field, brit. Staatsmann und Schriftsteller,
außenpolit. Prestige wie auf schriftliche Fi- 1804–1881; nach einer für ihn als (getauf-
xierung ihrer territorialen Erwerbungen, ten) Volljuden ungewöhnlichen ­ Karriere
Ansprüche, Bündnisverpflichtungen usw. seit 1848 Führer der Konservativen im
bedachte Kabinettspolitik eine verfeinerte Unterhaus, 1868 und 1874–1880 Premier­
Technik des zwischenstaatlichen Verkehrs minister, strebte nach einer „Tory-Demo-
(Regeln der D. auf dem ↑ Wiener Kongress kratie“ (↑ Tory), einer von den Konserva-
und 1961 in der Wiener Vereinbarung tiven getragenen Sozialpolitik zur Erhal-
festgelegt); deren verbindliche Normen im tung der brit. Rasse für eine Reichspolitik
Zeitalter des Imperialismus und der au- großen Stils; führte 1868 eine Wahlrechts-
toritären Staaten an Geltung einbüßten; reform zugunsten der Mittelklassen durch.
zudem entsprach die herkömmliche „Ge- Gründer den neueren brit. ↑ Imperialismus,
heim-D.“ nicht den Prinzipien der mo- kaufte die Suezkanalaktien an, verschaffte
dernen Demokratie. Große Staatsmänner der Krone den Titel „Kaiser von Indien“
waren immer zugleich Meister der D. (Tal- und gewann 1878 Zypern als eigent­licher
leyrand, Metternich, Bismarck), arbeiteten Sieger des ↑ Berliner Kongresses (in seinem
aber oft mit machiavellist. Mitteln. Auch Sinne Erhaltung der Türkei, Vereitelung
der Begriff des „Diplomat. Korps“ als der der russ. Expansion ohne Krieg, Verstim-
Gesamtheit der bei einer Regierung „akkre­ mung zwischen Russland, Deutschland
ditierten“ (beglaubigten) auswärtigen Di- und Österreich); Verfasser mehrerer Gesell­
plomaten gehört der Neuzeit an; erst seit schaftsromane („Vivian Grey“).
der Renaissance gibt es ständige Gesandt- Dissenters (engl., Andersdenkende), auch
schaften (bes. Venedigs und der Kurie) an Nonkonformisten; seit 1550 Bezeichnung
fremden Höfen. für die in England nicht zur anglikan.
Diplomatik, Urkundenlehre, wichtige his­ Staatskirche gehörigen Christen – im wei-
torische Hilfswissenschaft, begründet von teren Sinne einschließlich der Katholiken,
↑ Mabillon. in engerem Sinne nur die protestant. Frei-
Direktorium, die oberste Regierungsbe- kirchen (Presbyterianer, Quäker, Baptisten
hörde Frankreichs in der Spätzeit der Revo- usw.); unter den Stuarts unterdrückt, 1689
lution, nach dem Sturz der ↑ Jakobiner be- durch die Toleranzakte Wilhelms I. gedul-
stehend aus 5 Direktoren, begr. durch die det, 1829 durch Aufhebung der ↑ Testakte
Verfassung von 1795, vertrat die polit.-soz. (1673) rechtlich den Anglikanern gleich-
Restauration; gestürzt durch den Staats- gestellt.
streich am 18. Brumaire (9. Nov.) 1799. Dissidenten (lat., Getrennte), die außer­
Diskos von Phaistos, bedeutende antike halb der Landeskirche Stehenden; in Polen
Tonscheibe; 1908 im Palast von Phaistos die Nichtkatholiken, bes. die Protestanten;
auf Kreta gefunden, enthält auf beiden Sei- 1570 zu polit. Zwecken zusammengeschlos­
ten eine Vielzahl von bis heute nicht entzif- sen (gemeinsame Glaubensformel der Lu-
ferten Stempeln und Zeichengruppen; ver- theraner, Reformisten und Böhm. Brüder),
mutl. kretisch-minoischer Herkunft, wird 1573 den Katholiken rechtl. gleichgestellt,
um 1600 v. Chr. datiert. im l8. Jh. unterdrückt und entrechtet,
Displaced Persons (DP), Bez. für die 1775 durch nachdrückliche Unterstützung
8 Mio., die als Zwangsarbeiter oder Freiwil- seitens Russlands (1772 Einmarsch in Po-
lige während des 2. Weltkrieges in Deutsch- len) wieder gleichberechtigt. Heute auch

222
Dollardiplomatie

gebraucht als Bez. für polit. Andersden- Doge (abgeleitet von lat. dux, Führer),
kende (v. a. in den sozialist. Staaten). Staatsoberhaupt der Republiken Venedig
Dithmarschen (Thiadmarsgoi, die im Gau (697–1797) und Genua (1339–1797).
eines Dithmar Wohnenden), Landschaft in – Der D. von Venedig residierte im Pa-
W-Holstein, zw. Elbe und Eider; besiedelt lazzo ducale (Dogenpalast), einem spätgot.
von Sachsen und Friesen, im MA trotz der Prachtbau (1310–1340 erbaut).
Anerkennung der Lehnsoberhoheit des Bre- Dohna, adliges Geschlecht aus dem Pleiß-
mer Erzbischofs Bauernrepublik mit weit- ner Land; erstmals 1127 urkundlich er-
gehender Eigenständigkeit, 1474 Protest wähnt, 1648 kaiserliche Anerkennung
gegen ihre Einverleibung in das von Kai- als „Reichsburggrafen und Grafen“, ka-
ser Friedrich III. zum Herzogtum erhobene tholisch-schlesische Linie (bis 1711) und
Holstein, mit dem der Dänenkönig belehnt protestant.-preuß. Linie (seit 1469), deren
wurde; 1500 Vernichtung eines Heeres dän. Zweige 1840 zur „Gesamtgrafschaft D.“
und dt. Ritter bei Hemmingstedt, 1559 von Preußen vereinigt wurden.
Unterwerfung unter die dän. Krone. Dohnanyi, Hans von, dt. Jurist, 1902–
Division, Truppenkörper, der alle Waf- 1945; Schwager ↑ Bonhoeffers, arbeitete
fengattungen in sich vereint und eigene im Reichsjustizministerium und im Stab
Nachschubdienste besitzt, also die kleinste der Abwehr des OKW; maßgebl. an den
selbständig operierende Einheit; Ende des Widerstandsaktionen 1939/40 und 1943
18. Jh. eingeführt. beteiligt, nach Verhaftung 1943 im KZ
Divus (lat., göttlich), röm. Ehrentitel, der Sachsenhausen durch Standgerichtsverfah-
als Erstem Julius Cäsar, später Augustus ren zum Tode verurteilt und hingerichtet.
und seinen Nachfolgern verliehen wurde; Dolchstoßlegende, die nach dem 1. Welt-
bedeutet: „der zum Gott Gewordene“. krieg von nationalist. und militär. Seite
Djilas, Milovan, jugoslaw. Politiker und aufgestellte und verbreitete Behauptung,
Schriftsteller, 1911–1995; im 2. Weltkrieg Deutschland sei nicht der militär. und
engster Mitarbeiter ↑ Titos, 1954 Haft wirtsch. Übermacht seiner Gegner erlegen,
und Verlust aller Ämter wegen öffentlicher sondern dem „Dolchstoß in den Rücken
Kritik am kommunist. System, Gefängnis­ der Front“, dem schmählichen und ver-
aufenthalte 1955–1961 und 1962–1966. räter. Versagen der Heimat (Streiks, polit.
Veröffentlichte u.a. „Die neue Klasse“ Verhetzung usw.). Zu den namhaftesten
(1957), „Tito“ (1982). Vertretern der D. gehörten ↑ Hindenburg
Dobrudscha, urspr. bulgar. Landschaft an und ↑ Ludendorff, auch Hitler übernahm
der unteren Donau, 1396–1876 türkisch, sie in „Mein Kampf“; sie diente als propa-
seit 1878 (Berliner Kongress) rumänisch, gandist. Waffe gegen die Weimarer Repu-
der südl. Teil 1940 an Bulgarien, das ihn blik und die „Novemberverbrecher“ sowie
schon 1878–1913 besessen hatte. gegen die „Erfüllungspolitiker“. Als „Le-
Dodekanes (griech., Zwölfinselland), In- gende“, d. h. Entstellung der histor. Wahr-
selgruppe im Ägäischen Meer (Rhodos, heit, wurde sie bereits in den 20er Jahren
Kos, Patmos u. a.), insges. 50 Inseln, von entlarvt.
Griechen besiedelt, strategisch wichtig; Dollar (abgeleitet vom dt. Taler), Münz-
1552 von den Türken erobert, 1912 von und Währungseinheit der USA seit 1792,
Italien besetzt (1925 anerkannt) und zum auch Kanadas, einiger kleinerer amerik.
Stützpunkt ausgebaut, 1943 von Deutsch- Staaten und Chinas (Silber-D.).
land besetzt, im Frieden von Paris 1946 Dollardiplomatie, Schlagwort zur Kenn-
von Italien an Griechenland abgetreten, zeichnung der von den USA geprägten
vertragsgemäß demilitarisiert. Sonderform des ↑ Imperialismus, insbes.

223
Dollfuß

der Unterstützung des Auslandes durch Kathedrale. – D.-freiheit (durch Immuni-


amerik. Geldgeber mit Vermittlung des tät): Die unmittelbare Umgebung des D.s
Staatssekretariats, also der Zusammenar- stand im MA unter eigener Gerichtsbar-
beit zw. dem großen Kapital und der offizi- keit (des D.kapitels). – D.stift oder -kapi-
ellen Regierungspolitik. Erstmals angewen- tel: das Kollegium der Geistlichen an einer
det unter den Präsidenten Theodore Roose- Bischofskirche, Beirat des Bischofs, seine
velt (1901–1909) und Taft (1909–1915), Mitglieder: D.herren; die ev. D.städte Mag-
um „Kugeln durch Dollars zu ersetzen“. deburg, Brandenburg u. a. hatten seit der
Hauptobjekte der D. bis zum 1. Weltkrieg Reformation keine geistl. Ämter mehr und
waren die mittelamerik. Republiken und verliehen ihre Pfründe an Persönlichkeiten,
China („Politik der offenen Tür“ für ame- die sich um den Staat verdient gemacht
rik. Kapital); Hauptmittel Anleihen, Inves­ hatten. – D.schulen: Bildungsstätten des
titionen, auch direkte finan­zielle Unter- MA in den D.städten, vor allem zur Aus-
stützung amerikafreundlicher Regierungen bildung künftiger Kleriker (berühmte D.
oder der innenpolit. Gegner amerikafeind- Trier, Köln, Bamberg, Hildesheim, Paris);
licher Regierungen, gegebenenfalls Schutz bedeutend für das allg. Schulwesen und als
des amerik. Kapitals durch Einsatz von Vorstufen späterer ↑ Universitäten.
Streitkräften, besonders der Marine. – Seit Domäne (lat., Herrengut), heute Staatsgü-
dem 2. Weltkrieg wurde in der Propaganda ter (und -forsten), urspr. Kron- oder Her-
der Gegner der USA die amerik. Politik rengüter der Könige und der Territorial­
insgesamt als D. bezeichnet. herren; so gerieten die großen röm. D.n
Dollfuß, Engelbert, österr. Politiker, 1892– in Gallien in die Hände der fränkischen
1934; seit 1932 (christl.-soz.) Bundeskanz- Könige, die damit z. T. das ↑ Lehenswesen
ler, errichtete in Anlehnung an den mit- aufbauten oder Verwalter einsetzten und
telalterl. christl. Ständestaat (↑ Ständewe- aus den Erträgen den Unterhalt des Hofes
sen) und nach Verbot der kommunist., bestritten (Königsgüter). Unter den Wahl-
nat.-soz., sozialdemokrat. Parteien und der kaisern des MA ging das Reichsgut durch
Wehrverbände eine autoritäre und ständ. Verschuldung, Verpfändung usw. vielfach
Regierung („Christlich-dt. Bundesstaat Ös- verloren; bei seiner Auflösung 1806 ver-
terreich“), gründete die „Vaterländ. Front“; fügte das Reich über keine D.n mehr. (Die
von Nationalsozialisten ermordet. Bezeichnung D. setzte sich erst im 18. Jh.
Döllinger, Ignaz von, dt. kath. Kirchenhis­ allgemein durch.) In den Einzelterritorien
toriker, 1799–1890; verfocht urspr. in der wurden die fürstlichen (Privat-)Kammer-
Bayer. Kammer und im Frankfurter Parla- güter erst im 19. Jh. von den Staatsgütern
ment die Sache der kath. Kirche (↑ Kölner klar getrennt. Nach dem Ersten Welt-
Kirchenstreit); dann Gegner Roms, bes. des krieg (und der Fürstenabfindung) verfügte
päpstlichen Unfehlbarkeitsdogmas (1870); der preuß. Staat über 10 % des gesamten
geistiger Urheber des Altkatholizismus. Staatsgebietes als D.
Dolmen (von kelt. dol, Tisch), aus mehre- Domesday Book (engl.), eines der ältes-
ren Steinblöcken oberirdisch gefügtes Grab ten Rechts- und Geschichtsdenkmäler Eng­
(Steintisch) bes. im jungsteinzeitl. Westeu- lands, hielt nach Art eines Grundsteuerka-
ropa, oft für mehrere Tote zum für Opfer- tasters als Reichsgrundbuch die Ergebnisse
dienst zugänglichen Großsteingrab erwei- der Landaufnahme unter Wilhelm d. Ero-
tert, das von Erdhügeln überdeckt wurde. berer 1085/86 fest und ermöglichte eine
Dom (von lat. domus, Haus), bischöfliche angemessene Festsetzung der Lehensabga-
Hauptkirche, in Oberdeutschland auch ben und damit eine geordnete köngliche
Münster gen., in Burgund und Frankreich Finanzverwaltung.

224
Domitius

Dominat (von lat. dominus, Herr), das ab- nischen Befreiungspartei (PLD) abgelöst.
solute röm. Kaisertum an Stelle des halb- Seit Anfang der 90er innenpolit. Situation
republikan. ↑ Prinzipats des Augustus, der von Ausschreitungen und Unruhen ge-
oriental. Despotie verwandt. Offiziell erst kennzeichnet, dennoch Zunahme der Ur-
von Konstantin, praktisch schon zuvor von lauberzahlen, Tourismus wurde neben dem
einzelnen Kaisern eingeführt. Export von Nahrungsmitteln wichtigster
Dominica, Staat der Westind. Inseln; 1493 Devisenbringer. 1998 überwältigender
von Kolumbus entdeckt, im 18. Jh. zw. Wahlsieg der PRD, die 2000 den Unter-
Frankreich und England umstritten, seit nehmer Hipólito Mejía zum Staatschef
1763 britisch; 1978 unabhängig. machte; 2004 erneut von Leonel Fernán-
Dominikaner, Bettel- und Predigerorden, dez Reyna abgelöst.
1216 von ↑ Dominikus gestiftet, privile- Dominikus, Heiliger, aus Altkastilien, um
giert, überall zu predigen und Beichte zu 1170–1221; nach jahrelanger Tätigkeit als
hören, einflussreich außer durch Massen- „Apostel des armen Christus“ unter den
seelsorge auch durch Wahrung der Rein- ↑ Albigensern gründete er 1216 in Tou-
heit des Glaubens; 1232 mit der Inqui- louse den nach ihm benannten Orden der
sition beauftragt (Bezeichnung: Domini ↑ Dominikaner zur Bekehrung der Ketzer.
canes, Spürhunde des Herrn). Berühmte Dominions (von lat. dominium, Herr-
Gelehrte: Thomas von Aquin, Albertus schaft), bis 1952 die selbständigen Glied-
Magnus, Petrus von Tarantasia; um 1300 staaten des brit. ↑ Commonwealth: Ka-
Hauptträger der dt. Mystik (Eckhart, Seuse, nada, Australien, Neuseeland, Südafrika,
Tauler); in Abänderung der urspr. Armuts- Indien, Pakistan, Ceylon; heutige Bezeich-
idee seit 1475 Recht zu festen Einkünften; nung Countries of the ↑ Commonwealth.
seit dem Zeitalter der Entdeckungen um- Dominium, im röm. Recht das nicht be-
fangreiche Missionstätigkeit. schränkte Herrschaftsrecht über Grund
Dominikanische Republik, östl. Teil der und Boden; seit fränk. Zeit die allg. Bez.
Insel ↑ Haiti; 1492 durch Kolumbus ent- für Herrschaft, im MA unterschieden in D.
deckt, span. Kolonie, 1795 Abtretung an directum (Obereigentum des Lehnsherrn)
Frankreich, 1801–1809 beherrscht von und D. utile (Recht und Untereigen­tum
aufständ. Schwarzen. 1821 Ausrufung des Vasallen).
der Republik; 1916 von amerik. Truppen Domitian (Titus Flavius Domitianus),
besetzt (bis 1924); innere Unruhen, teil- röm. Kaiser (81–96 n. Chr.); Sohn des
weise Linkskurs. 1961 Ende des diktator. ↑ Vespasian, Nachfolger seines Bruders Ti-
Regimes des Rafael Trujillo und seiner Fa- tus, begann 88/89 den Bau des ↑ Limes,
milie. 1965 löste ein Militärputsch den regierte despotisch; 2. Christenverfolgung;
Bürgerkrieg aus, Beendigung durch OAS- von Höflingen ermordet.
Militärintervention. Unter dem gemäßigt Domitius, röm. Politiker und Feldherren:
konservativen Präsidenten Balaguer seit 1) D., Gnaeus, Ahenobarbus (= Rotbart),
1966 stabilere Entwicklung (Industrieauf- unterwarf 122 v. Chr. die Gallierstämme
bau, Agrarreform). Dessen zunehmend au- (Allobroger) im Hinterland von Massdia
toritäres Regime endete mit den Wahlen (Marseille), stellte die Landverbindung
von 1978; 1978–1986 Präsidentschaft von nach Spanien her (Via Domitia) und rich-
Kandidaten der früheren Oppositionspar- tete die Provinz Gallia Narbonensis (Gal-
tei Partido Revolucionario Dominicana lia Transalpina) ein. 2) D., Lucius, Aheno-
(PRD). 1986 kam Balaguer erneut an die barbus, Gegner Cäsars, fiel bei Pharsalus
Macht, im Juni 1996 wurde er von Leo- 48 v. Chr. 3) D., Lucius, Ahenobarbus,
nel Fernández Reyna von der Dominika- 16 v. Chr. Konsul, Führer der Rheinarmee,

225
Donatisten

demonstrierte 1 n. Chr. in einem weiträu- chung des darin festgelegten Grundsatzes


migen Heereszug die Macht Roms in Inner­ der Internationalisierung (unbeschränkte
germanien (von der Donau bis zum oberen Schifffahrt). Mitglieder: alle Uferstaaten,
Main, saaleabwärts bis über die Elbe, durch einschl. Deutschland, ferner England,
das Gebiet der Cherusker bis zum Rhein). Frankreich, Italien. Sitz in Wien. Zustän-
4) D., Gnaeus, Corbulo, röm. Feldherr, digkeitsstreit mit der Europ. D., 1938 auf-
erfolgreich gegen Germanen und Perser, gelöst, nachdem Deutschland die Inter-
67 n. Chr. von Kaiser Nero zum Selbst- nationalisierung seiner Flüsse gekündigt
mord gezwungen. – Lucius Domitius Au- hatte. – Neuregelung 1948 auf Belgrader
relianus, Kaiser ↑ Aurelianus. – Domitius Donaukonferenz (von der Sowjetunion
Ulpianus, ↑ Ulpianus. – Lucius Domitius beherrscht). Neue Donaukonvention: D.
Ahenobarbus, von Kaiser Claudius adop- nur aus Vertretern der Uferstaaten; an
tiert: Nero Claudius Drusus Germanicus Stelle der Europ. D. russ.-rumän. Sonder-
Caesar, ↑ Nero. verwaltung. Vergeblicher Protest der West-
Donatisten, Anhänger einer Sekte in mächte, vor allem der USA, die am Prin-
Afrika, im 4. Jh. entstanden; äußerer An- zip der Internationalisierung und internat.
lass war der Streit um die Besetzung des Kontrolle festhielten. Dt. Beteiligung an
Bischofsstuhles von Karthago, um den der neuen (sowjet.) D. nicht vorgesehen,
sich außer dem kath. Bischof Cäsarius der obwohl dt. Zuständigkeit ab Ulm bean-
„ketzerische“ Bischof Donatus bewarb. Im sprucht, Erleichterung ab 1956; heute hat
5. Jh. hatte die Sekte einen stark sozialrevo- die Bundesrepublik Beobachterstatus. Die
lutionären Charakter. D. unterhält einen internationalen Fonds
Donaukommission, internat. Körperschaft mit Sitz in Wien, der durch die EU und die
zur Verwaltung der Donau als Schifffahrts- Vertragsstaaten getragen wird. Aus diesem
weg; in ihrer Zusammensetzung und ihren Fonds werden die Räumung der Schiff-
Zuständigkeiten aus wirtsch. und macht- fahrtsrinne der Donau, aber auch einzelne
polit. Gründen heftig umkämpft. – 1) Eu- Projekte wie im Jahr 2000 die Entfernung
ropäische D., gegr. 1856 (nach dem Krim- der zerstörten Donaubrücken in Novi Sad
krieg durch den Pariser Vertrag), um im finanziert.
Donaudelta eine Fahrrinne für Seeschiffe Donaukultur, ↑ Neolithikum.
offen zu halten (Versandungsgefahr) und Donauwörth, seit 1348 freie ­ Reichsstadt;
westeurop. bzw. österr. Kontrolle über im 16. Jh. protestant., wegen eines Streites
türk. bzw. russ. Interessensphäre zu ­sichern. mit dem dortigen Kloster in Reichsacht,
Mitglieder: alle europ. Großmäch­te (Russ- von Bayern unterworfen und rekatholi-
land und Türkei erst später zugelassen, siert (Anlass zur Gründung der protest.
ebenso Rumänien). Sitz in Galatz. Eigene ↑ Union).
Hoheits­rechte, technische Erfolge, 1918 Dönitz, Karl, dt. Großadmiral, 1891–
Ausschluss Deutschlands, Österreichs, der 1980; seit 1939 Befehlshaber der U-Boote,
Sowjetunion und der Türkei. 1939 Wie- 1943 Nachfolger Raeders als Oberbefehls-
derzulassung Deutschlands, das sich be- haber der Kriegsmarine; 20. April 1945
herrschenden Einfluss sicherte und mit von Hitler mit dem Oberbefehl in Nord-
der Sowjetunion in Konflikt geriet. Wurde deutschland beauftragt, übernahm nach
1940 aufgelöst. 2) Internat. D. (an Stelle Hitlers Tod die Führung, bildete eine neue
der alten Uferstaatenkommission, die ne- Reichsregierung (Schwerin von Krosigk),
ben der Europäischen D. bestanden, doch erstrebte bei den Kapitulationsverhand-
weniger geleistet hat), auf Grund der Do- lungen mit den westl. Alliierten Zeitgewinn
naukonvention 1921 gegründet, Überwa- für die dt. Verbände an der Ostfront (zum

226
Downing Street

Absetzen nach Westen); als Staatsoberhaupt D.typen (Weiler, Haufendorf, Rundling,


von den Alliierten nicht anerkannt und im Rund­angerdorf, Platzdorf, Sackgassendorf,
Nürnberger Prozess zu 10 Jahren Gefängnis Straßendorf, Zeilendorf, Reihendorf u. a.),
verurteilt, 1956 freigelassen. nach der Fluraufteilung wird unterschie-
Donjon, wehrhafter Haupt- und Wohn- den zw. D. mit Gemengelage, Gewanndör-
turm einer Burg; seit dem 11. Jh. Teil der fern und dt. Kolonialdörfern.
normann. Burgenarchitektur in N-Frank- Doria, Andrea, genuesischer Staatsmann
reich, England und S-Italien. und Admiral, 1466–1560; befreite 1528
Doppeladler, ↑ Adler. die Republik von der frz. Herrschaft; von
Doppelaxt, Werkzeug und Waffe der Karl V. zum Oberbefehlshaber zur See er-
vorgeschichtlichen Kulturen des Vorde- nannt, besiegte 1532 die Türken, eroberte
ren Orients und seit dem 3. Jt. v. Chr. auf 1535 Tunis, vertrieb die Franzosen aus
Kreta; erlangte in der minoischen Kultur Korsika. – Gegen seinen Großneffen und
bes. Bedeutung als Kultsymbol, wurde an- Stellvertreter Gianettino D. richtete sich
fangs aus Bronze, später auch aus Stein ge- 1547 die Verschwörung des Fiesco.
arbeitet. Dortmund, Stadt in Nordrhein-Westfa-
Dorado (Eldorado), sagenhaftes Goldland len; seit Karl d. Gr. Königshof, Münzstätte
im Innern des nördlichen Südamerika, be- unter den Ottonen, reiche Handelsprivile-
nannt nach dem König von Guatavita, der gien (D.er Kaufleute im ganzen Reich vom
goldbestaubt den Göttern opferte. Zoll befreit), freie Reichsstadt (seit 1221;
Dorer (Dorier), spät eingewanderter alt- die einzige in Westfalen) und Mitglied
griech. Stamm, urspr. in NW-Griechen- der Hanse, höchster Freistuhl des westfäl.
land ansässig; die D. eroberten im Ver- Femegerichtes; D.er Stadtrecht bis nach
lauf der „Dorischen Wanderung“ 1100– Dorpat verbreitet; Verfall seit 30-jährigem
900 v. Chr. Teile Mittelgriechenlands und Krieg; 1806 zum Großherzogtum Berg,
den Peloponnes mit Ausnahme von Arka- 1815 preußisch, 1923/1924 frz. Besatzung;
dien, später auch Kreta und die südl. Küs­ im 2. Weltkrieg schwere Zerstörungen.
tengebiete Kleinasiens. Dorisch sind auch Douaumont, im 1. Weltkrieg Panzerwerk
Siedlungen in Süditalien (Tarent), Sizilien der Festung Verdun, 1916 erbittert um-
(Syrakus) sowie Kyrene. – Zum bedeu- kämpft (Febr.-Okt. in dt. Hand).
tendsten der dorischen Staaten entwickelte Douglas-Home, Sir Alexander Frederick,
sich ↑ Sparta (auch ↑ Lakedämon). brit. Politiker, 1903–1995; 1960–1963
Dorf, geschlossene ländliche Gruppensied- Außenminister, 1963–1964 als Nachfolger
lung von urspr. bäuerl. Bevölkerung mit an- ↑ Macmillans Premierminister, 1970–1974
geschlossenen Nutzflächen; früher zumeist Außenminister.
Marktgenossenschaften oder Siedlungsge- Doumergue, Gaston, frz. Staatsmann,
meinschaften mit eigener Gerichtsbarkeit, 1863–1937; 1924–1931 Präsident der Re-
den Bauerngerichten und anderen Selbst- publik, 1913/14 und 1934 Ministerpräsi-
verwaltungseinrichtungen; älteste deut- dent, versuchte 1934 mit einem Kabinett
sche Dörfer im Altsiedelgebiet (5.–8. Jh.), der „Nationalen Einigung“ eine Politik der
bis zu Beginn des 19. Jh. galten Dörfer als starken Hand zur Überwindung der frz.
Realgemeinde, danach wurden sie abgelöst Staatskrise.
von der polit. Gemeinde, die auch mehrere Downing Street, Straße in London, in
Orte umfassen konnte; seit 1900 starker der außer dem Sitz des Premierministers
Einfluss der industriellen Entwicklung und das brit. Auswärtige Amt (Foreign Office)
Auflösung alter dörflicher Sozialstrukturen; liegt; übertragene Bezeichnung für das Au-
man unterscheidet je nach Form mehrere ßenministerium selbst.

227
Drachme

Drachme, altgriech. Münze aus Silber (Sil- gerichtet gegen einen etwaigen frz. Angriff
bergewicht 3,4 g); 1 D = 6 Obolen, 100 D = auf Italien oder Deutschland; 1883 An-
1 Mine, 6 000 D = 1 Talent; 4 D (Tetra- schluss Rumäniens, 1887 Sonderabkom-
Drachmon) attische Hauptmünze. men über Balkan, 1887–1912 jeweils still-
Dragonaden, in Frankreich unter Lud- schweigend oder ausdrücklich verlängert,
wig XIV. seit 1681 durchgeführte Zwangs- 1915 von Italien, das 1907 Geheimbund
einquartierung von Dragonern in hugenot­ mit Frankreich geschlossen hatte, gekün-
tischen Ortschaften und Häusern, um die digt. Auf der Gegenseite ↑ Dreiverband.
Bewohner zum Übertritt in die katholische Dreifelderwirtschaft, ­ landwirtschaftliche
Kirche zu zwingen; die Mehrzahl der Be- Betriebsform, die in der fränk. Zeit die Feld­
drängten wanderte aus. graswirtschaft (das Feld ist 1 Jahr Weide,
Dragoner, um 1550 in der frz. Armee ein- 1 Jahr Acker) ablöste; der Feldbesitz war
geführte berittene Infanterie, die meist zu in jährlicher wechselnder Folge dreigeteilt:
Fuß kämpfte; im 19. Jh. zur leichten Ka- 1/3 Sommer-, ­1/3 Wintergetreide, 1/3 blieb
vallerie gerechnet. 1 Jahr brach, damit der Acker sich erholte;
Drake, Francis, engl. Seeheld, um 1540– Futter wurde aus eigenen Grasweiden ge-
1596; Spanienhasser, brandschatzte die wonnen; später verbesserte D.: das Brach-
span. Kolonien, umsegelte 1577–1580 die land wurde mit kurzlebigen Futterpflanzen
Erde, kaperte span. Flotten, kämpfte 1588 (Klee u. a.) bebaut; die D. im Abendland
gegen die span. Armada. Seine Erhebung über 1 000 Jahre vorherrschend; Anfang
zum Ritter durch die engl. Königin ver- 19. Jh. durch die Fruchtwechselwirtschaft
schärfte die Spannung zw. Spanien (Phi- abgelöst (auf dem gleichen Acker wech-
lipp II.) und England. selnd andere Pflanzen angebaut).
Drakon, athenischer Gesetzgeber, der um Dreikaiserbündnis, das polit. Einverneh-
621 v. Chr. eine erste Aufzeichnung des gel- men zw. den Monarchen Deutschlands,
tenden ion. Gewohnheitsrechtes vornahm; Österreichs und Russlands 1872–1887;
die Gesetzgebung des D. galt sprichwört- zerschlug sich an den Balkangegensätzen
lich als streng („drakonisch“). zwischen Österreich und Russland.
Dravida (Draviden), wohl aus dem Nord- Dreiklassenwahlrecht, bestand im Ge-
westen in voran Zeit in Indien eingewan- gensatz zum demokratischen Grundsatz
derte Stämme einer noch nicht identifi- der allgemeinen, gleichen und geheimen
zierten Sprachgruppe, Menschen von dun- Wahl vor dem 1. Weltkrieg in einigen dt.
kel- bis hellbrauner Hautfarbe, z. T. von ­Staaten, bes. in Preußen, auf Grund der
eigenständiger, kulturschöpfer. Begabung; 1849 oktroyierten Verfassung; innenpolit.
wurden im Zuge des Einbruchs der durch heftig umkämpft, aber erst durch die Revo-
ihre Streitwagen überlegenen ↑ Arya nach lution 1918 beseitigt. Es teilte die Stimm-
Zentral- und Südindien vertrieben, wo sie berechtigten (Männer) für die Wahl des
im 3. Jh. v. Chr. mehrere Königreiche grün- Abgeordnetenhauses nach dem Steuerauf-
deten; heute noch etwa 80 Mio. mit z. T. kommen in drei Klassen, diese wählten in
hoher Kultur und zahlreichen Sprachen. öffentlicher Stimmabgabe die gleiche An-
Dreadnought (engl., „Fürchte nichts“), zahl Wahlmänner, diese die Abgeordneten
brit. Linienschiffstyp des Jahres 1906, spä- (1908 waren z. B. für 8 sozialdemokrat.
ter Bez. für alle Großkampfschiffe. Sitze 600 000 Stimmen notwendig, dage-
Dreibund, zwischen Deutschland, Öster- gen ergaben 418 000 konservative Stim-
reich-Ungarn und Italien auf Anregung men 212 Sitze).
Italiens geschlossenes geheimes Verteidi- Dreikronenkrieg, auch nord. 7-jähriger
gungsbündnis von 1882 auf fünf Jahre, Krieg genannt, 1563–1570, zw. Dänemark

228
Dreißig Tyrannen

und Schweden, weil der dänische König forderte Rückgabe aller seit 1552 eingezo-
Friedrich II. die drei Kronen (Sinnbild der genen geistlichen Güter. Triumph des Kai-
↑ Kalmarer Union von Schweden, Däne- sers und des Katholizismus. 3) Rettung des
mark und Norwegen) nicht aus seinem Protestantismus im Schwed. Krieg 1630–
Wappen entfernen wollte. 1635 durch die Landung und den Sieges-
Dreimächtepakt, 1940, Vertrag zwischen zug Gustav Adolfs von Schweden bis nach
Deutschland, Italien, Japan, später Un- Bayern; zugleich Entlastung der schwed.
garn, Rumänien, Slowakei, Jugoslawien Besitzungen im Baltenland und zw. Me-
zur Sicherung der „Neuen Ordnung“ in mel und Pommern. Wiederberufung des
Europa und im großasiatischen Raum; 1629 auf Betreiben der eifersüchtigen
ergänzt 1942 durch Militärpakt Deutsch- kath. Fürsten abgesetzten Wallenstein.
land–Italien–Japan. 1632 Tod Gustav Adolfs bei Lützen. Die
Dreißigjähriger Krieg, 1618–1648; Kette Schweden kämpften unter Bernhard von
von machtpolit.-militär. Auseinanderset- Weimar, Hoorn u. a. weiter, polit. Leitung
zungen auf dt. Boden, einerseits Austra- bei Oxenstierna, Geheimverhandlungen
gung des im ↑ Augsburger Religionsfrie- mit dem undurchsichtigen Wallenstein
den nur vorübergehend beigelegten, in durch dessen Ermordung beendet. Die
der Gegenreformation wieder verschärften schwed. Niederlage bei Nördlingen 1634
konfessionellen Gegensatzes (Streit um sä- und der Übertritt Sachsens, Brandenburgs
kularisierte Kirchengüter, Auslegung der zum Kaiser im Separatfrieden von Prag
Religionsfreiheiten; Gründung der protes- 1635 brachte erneut Wendung zuguns­
tant. ↑ Union und der kath. ↑ Liga), ande- ten Habsburgs. 4) Schwed.-Frz. Krieg
rerseits Machtprobe zwischen dem Hause (1635–1648): Frankreich (Riche­lieu) griff
Habsburg und seinen Gegnern, den dt. offen auf Seiten Schwedens und der noch
Reichsständen, die nach Unabhängigkeit kämpfenden protestant. Fürsten ein, um
strebten, und den europ. Mächten, vo- Habsburg bes. am Rhein zu schwächen:
ran Frankreich, die Habsburgs Vorherr- wechselvolle Kämpfe, unter denen bes.
schaft zu brechen suchten. 1) Aufstand Bayern litt, schließlich durch den ↑ West-
der protestant. Stände Böhmens gegen ih- fäl. Frieden beendet. – Folgen des Krieges:
ren König, den Habsburger Ferdinand, in- Deutschland in seiner polit., kulturellen
zwischen Kaiser geworden und Führer der und wirtsch. Entwicklung um Jh. zurück-
Liga, Absetzung und Wahl Friedrichs V. geworfen, weite Gebiete verwüstet, Bevöl-
von der Pfalz, des Führers der Union (Pra- kerungsverluste: mindestens ein Drittel
ger Fenstersturz). Böhm.-Pfälz. Krieg, (dadurch Frankreich volkreichstes Land
1618–1623. Sieg des Kaisers im Bund mit Europas), die Überlebenden verelendet
der Liga über den „Winterkönig“ Fried- und verroht. Reagrarisierung; in Handel
rich V. (1620 Schlacht am Weißen Berge). und Gewerbe hoffnungsloser Rückstand
Strafgericht in Böhmen. Eroberung der gegenüber Westeuropa. Erstarken des ter-
Pfalz durch Tilly. 2) Im Dän.-Niedersächs. ritorialen Obrigkeitsstaates (Libertät). Kai-
Krieg 1625–1630 wurde Chris­tian IV. von ser und Reich nur noch Schattenmächte.
Dänemark, der sich an die Spitze der Pro- Blüte des Partikularismus, Hegemonie
testanten gestellt hatte, von Tilly und Wal- Frankreichs (↑ Deutschland).
lenstein geschlagen, schied im Frieden von Dreißig Tyrannen, die nach der Niederlage
Lübeck aus den dt. Streitigkeiten wieder Athens im Peloponnes. Krieg 404 v. Chr.
aus; fast ganz Deutschland bis zur Ost- eingesetzte oligarchische Regierung von
seeküste von kaiserlichen Truppen besetzt. 30 Männern (Kritias, Theramenes u. a.),
Restitutionsedikt Ferdinands II. (1629) die unter dem Schutz einer spartan. Be-

229
Dreiverband

satzung etwa 1500 Bürger um ihres Reich- Lager (Liberale, Sozialisten und Freimaurer
tums willen hinrichten ließen; 403 von traten für Dreyfus ein) und bewegte die öf-
Demokraten unter Thrasybulos gestürzt. fentliche Meinung ganz Europas.
Dreiverband („Tripelentente“), die dem Dreyse, Johann Nikolaus von, dt. Techni-
↑ Dreibund gegenüberstehende Mächte- ker, 1787–1867; erfand 1827 das Zündna-
gruppe vor dem 1. Weltkrieg: Frankreich, delgewehr (1836 zum Hinterlader verbes-
mit Russland durch Militärbündnis, mit sert), gründete 1841 mit Unterstützung
England durch die ↑ Entente cordiale ver- der preuß. Regierung eine Gewehr- und
bunden. Munitionsfabrik und lieferte bis 1863
Dreizehn alte Orte, Staatenbund der 300 000 Gewehre, die den Krieg von 1866
Schweiz. Eidgenossen von 1513; umfas­ entschieden und die Kriegführung revolu-
ste die Orte Zürich, Bern, Luzern, Uri, tionierten.
Schwyz, Unterwalden, Glarus, Freiburg, Dritter Stand (frz. le tiers état), in der Stän-
Solothurn, Zug, Basel, Schaffhausen und deordnung des MA (das sozialgeschichtlich
Appenzell. erst 1789 zu Ende ging) alle, die nicht zu
Dresden, urspr. wendische Siedlung, ent- den beiden privilegierten Ständen (Adel
wickelte sich nahe der Burg der Wettiner und Geistlichkeit) gehörten, bes. das ↑ Bür-
am Taschenberg zur dt. Stadt (um 1212); gertum, das an der Ständevertretung betei-
1485–1918 Residenz der Wettiner (Alber- ligt war und 1789 zum Träger der Revolu-
tin. Linie: Kurfürsten, dann Könige von tion wurde; 1789 zündende Flugschrift des
Sachsen), 1918–1952 Hauptstadt des Frei- Abbé Sieyès („Was ist der 3. Stand bisher
staats bzw. Landes Sachsen. Unter August gewesen? Nichts! Was soll er sein? Alles!“).
d. Starken und August III. Mittelpunkt der Nach der Einberufung der frz. General-
dt. Barockkunst (Zwinger 1711–1722 von stände bestand der doppelt starke 3. Stand
Pöppelmann, Frauenkirche 1726–1743 auf Abstimmung nach Kopfzahl statt nach
von Baehr erbaut, Brühlsche Terrasse u. a.). Ständen und konstituierte sich schließlich
– Im Jahr 1745 Friede von D. nach dem als ↑ Nationalversammlung, die alle feuda-
2. Schles. Krieg. 1760 Beschießung der len Privilegien abschaffte.
Stadt durch die Preußen. 1813 bei D. letz- Drittes Reich, Epoche der dt. Geschichte,
ter Sieg Napoleons auf dt. Boden (über von der „Machtübernahme“ Hitlers am
Schwarzenberg). 13./14. Febr. 1945 ver- 30. Jan. 1933 bis zum „Zusammenbruch“
heerende Luftangriffe auf die mit Flücht- im Jahre 1945 („Führerstaat“, Hitler-
lingen überfüllte Stadt. 1918–1952 und Reich; nationalsoz. Suggestivbezeichnung:
seit 1990 Hauptstadt Sachsens. „Tausendjähriges Reich“). – Das Jahr
Dreyfus-Affäre, die 1894 in Paris erfolgte 1933: Die Berufung Hitlers zum Reichs-
Verurteilung des jüd. Artilleriehauptmanns kanzler durch den Reichspräsidenten Hin-
Alfred Dreyfus (1859–1935) zu lebens- denburg beendete nach dem Sturz des Prä-
länglicher Deportation wegen angebl. Lan- sidialkabinetts Schleicher die Zeit der
desverrats (Auslieferung von militär. Do- ↑ Weimarer Republik; „Nationales Kon-
kumenten an die Deutschen). Dreyfus war zentrationskabinett“ mit nur 2 Nationalso-
unschuldig und wurde trotz zahlreicher zialisten (Reichsinnenminister Wilhelm
Proteste (Zola: „J’accuse!“ = Ich klage an!, Frick und Reichsminister ohne Geschäfts-
nämlich die Schuldigen an diesem Justizs- bereich Hermann Göring); die anderen
kandal) und Revisionsversuche erst 1906 Mitglieder gehörten den ­Deutschnatio­nalen
freigesprochen. Der D.-Prozess war mit ei- und dem Stahlhelm an (von Papen, von
ner antisemit. und nationalist. Hetze ver- Blomberg, Seldte, von Neurath, von Rübe-
bunden, spaltete Frankreich in zwei große nach, von Krosigk, Gärtner); Vizekanzler

230
Drittes Reich

von Papen glaubte, mit seiner bürgerlichen (21. März 1933); der Reichstag verzichtete
Ministermehrheit Hitler „einzäunen“ und gegen die Stimmen der SPD im (später
„zähmen“ zu können. Hitler, für den der verlängerten) „Ermächtigungsgesetz“ vom
30. Jan. 1933 Tag der „Machtergreifung“ 24. März 1933 auf die Legislative. 31. März
de facto war, löste jedoch am 1. Feb. den Gleichschaltung der Länder unter Reichs-
Reichstag auf, um die Koalitionspartner zu statthaltern (Länderparlamente erhielten
schwächen. Kabinettsumbildung: Auswär- ohne Wahl gleiche Zusammensetzung wie
tiges: von Neurath, 1938 Ribbentrop; In- der Reichstag); am 7. April 1933 allge-
neres: Frick, 1942 Himmler; Wirtschaft: meines Gleichschaltungsgesetz (erweitert
Schmitt, 1934 Schacht, 1937 Göring, am 31. Jan. 1934); Führerprinzip für alle
1938 Funk; Justiz: Gärtner, 1941 Schlegel- Vereine, Organisationen (außer den Kir-
berger (beauftragt), 1943 Thierack; Wehr- chen und der Wehrmacht) nach dem Mus­
minister: Blomberg, 1938 aufgehoben; ter der NSDAP; am 1. und 2. Mai nach
Post: von Rübenach, 1937 Ohnesorge; Massen-Maiaufzügen mit kontrollierter Be­
Verkehr: von Rübenach, 1937 Dorpmül- teiligung Gleichschaltung (Beseitigung)
ler; Ernährung: Darre, 1942 Backe; Propa- der Gewerkschaften und Einzug des Ge-
ganda: Goebbels; Luftfahrt: Göring; Kul- werkschaftsvermögens; Ende der Parteien
tus: Rust; Forsten: Göring; Kirchen: Kerrl. (außer der NSDAP); Verbot der Neubil-
In Deutschland befand sich seit dem dung von Parteien (14. Juli); organisierter
30. Jan. die tatsächliche Gewalt bereits in Boykott der Juden im gesellschaftlichen
den Händen der radikalen Parteiorganisa- und wirtsch. Leben. Trotz der Zusage, an
tion. Bildung der Geheimen Staatspolizei internationalen Konferenzen teilzuneh-
durch Göring, zuerst in Preußen, Terror men, am 14. Okt. 1933 Austritt aus der
gegen politisch Andersdenkende und ge- Abrüstungskonferenz und dem Völker-
gen die Juden, Flucht zahlreicher bedeu- bund, um freie Hand für die in „Mein
tender Politiker, Gelehrter, Künstler, Kampf“ programmierten außenpolit. Ak-
Schriftsteller ins Ausland; „wilde“ Konzen- tionen zu haben; der Austritt wurde durch
trationslager mit willkürlicher Häftlingsbe- die Volksabstimmung vom 12. Nov. 1933
handlung durch die Rache ausübende SA. (39 Mio. Ja-Stimmen) sanktioniert; Aus-
Die Verordnung des Reichspräsidenten bau der „totalen Propaganda“ auf allen Ge-
zum Schutz von Volk und Staat bieten des öffentlichen und privaten Le-
(28. Feb  1933) schaffte permanenten Aus- bens, auch in Wissenschaft, Kunst, Litera-
nahmezustand mit Aufhebung der Grund- tur, Film, Rundfunk, Versammlungen, Ur-
rechte und Ausschaltung der Opposition laubsgestaltung u. a.; Mobilisierung kritik-
und gab Hitler die absolute Polizeigewalt. loser, einseitig unterrichteter, nur noch ge-
Am 5. März 1933 nach dem Reichstags- fühlsmäßig und auf Schlagworte reagie-
brand (24. Feb.) und der Inhaftierung der render Massen unter Tarnung der letzten
kommunist. Kandidaten „Wahl“ mit knap- Ziele. Glorifizierung Hitlers als des von der
per Mehrheit (NSDAP nur 43,9 %) für „Vorsehung berufenen Führers“. Durch
Regierungskoalition; schwarz-rot-goldene das Reichskonkordat (20. Juli 1933) suchte
Flagge durch Schwarz-Weiß-Rot und Ha- Rom Bekenntnisfreiheit zu retten, um die
kenkreuz ersetzt, die auch als Staffage bei bedrohte christl. Basis zu stärken; Hitler
der „Verbrüderungsszene“ Hitler–Hinden- täuschte seine Partner und weiteste christl.
burg („Nationale Revolution“ und „Preuß. Kreise über seine antichristl. kulturkämp-
Tradition“) am „Tag von Potsdam“ dienten, fer. Absichten; der Kirchenkampf begann
dem Staatsakt in der Garnisonskirche zur mit Angriff auf die Einheit der ev. Kirche
Eröffnung des 1. Reichstags des D. R. (durch Partei gesteuerte, weitgehend adog-

231
Drittes Reich

mat. Bewegung der „Deutschen Christen“ Wehrpflicht (16. März); Protest gegen die-
unter Reichsbischof Müller; ihnen stellte sen Vertragsbruch und gemeinsame Ab-
sich die „Bekennende Kirche“ entgegen). wehrpolitik Englands, Frankreichs, Italiens
Erste sichtbare wirtsch. Erfolge durch Ver- (Konferenz von Stresa, 11. April) und frz.-
ringerung der Arbeitslosenziffern um sowjet. Beistandspakt (2. Mai); England
600 000, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, entschloss sich, aus Furcht vor der bolsche-
Autobahnbau. Das Jahr 1934 brachte den wist. Gefahr und um Krieg zu verhindern,
Einbruch in das frz. Bündnissystem im Os- zur Politik des Entgegenkommens („Ap-
ten durch (provisorisch gedachten) Freund- peasement“); Flottenabkommen mit
schaftspakt mit Polen (16. Jan.); der Reichs- Deutschland am 18. Juni 1935; Hitler un-
verteidigungsrat beschloss die „wirtsch. terstützte Italien im Abessinienkrieg (seit
Kriegsvorbereitung“, innenpolit. blutige 3. Okt.) und schaffte so Voraussetzung für
Ausschaltung der SA-Armee unter Stabs- spätere „Achse Berlin–Rom“; die „Nürn-
chef Röhm als Machtfaktor („Juni-Re- berger Gesetze“ (15. Sept.) entzogen den
volte“, „Röhm-Putsch“, 30. Juni ff.; Röhms Juden die Staatsbürgereigenschaft, das
Ziele: Überordnung der SA als eines nat.- Wahlrecht, verboten Eheschließung mit
soz. Volksheeres über die Reichswehr und „Deutschen“ und schalteten sie durch die
soziale Revolution); zugleich Ermordung Vorschrift des „Ariernachweises“ aus dem
persönlicher Gegner Hitlers (u. a. Schlei- öffentlichen Leben aus; gegen Jahresende
cher, Gregor Strasser, Kahr); Sieger war war neben der Organisation der Staats-
nicht die Reichswehr, sondern die SS und Kommunalverwaltungen die allmäch-
(Schutz-Staffel), die unter ↑ Himmler und tige Parteihierarchie mit einigen hundert-
Heydrich von der SA gelöst und durch die tausend Amtsträgern im Wesentlichen auf-
Verbindung zur Gestapo und durch die gebaut: Reichsleitung der Partei, Sitz im
Verwaltung und Bewachung der Konzen- „Braunen Haus“ in München, mit dem
trationslager Hauptträger des politischen „Führer“ an der Spitze; „Stellvertreter des
Terrors und aktivstes Werkzeug der Dikta- Führers“ Rudolf Heß; 19 Reichsleiter (un-
tur wurde; Hitler entledigte sich des Vize- ter ihnen Reichsorganisationsleiter Robert
kanzlers von Papen, der nach dem misslun- Ley, Stabsleiter des Führer-Stellvertreters
genen nat.-soz. Putsch in Wien (Ermor- Martin Bormann, Reichspropagandaleiter
dung des Bundeskanzlers Dollfuß, 25. Juli Joseph Goebbels, Reichspressechef Diet-
1934) „Versöhnungsgesandter“ in Wien rich, Beauftragter für weltanschauliche
wurde; nach dem Tode Hindenburgs Schulung Rosenberg, Stabschef der SA
(2. Aug. 1934) Abschaffung des Reichsprä- [1 Mio. Mitglieder] Lutze, Reichsführer SS
sidententitels; Hitler erhob sich als „Führer Heinrich Himmler [25 000 Mitglieder],
und Reichskanzler“ zum unumschränkten Reichsjugendführer Baldur von Schirach);
Staatsoberhaupt und forderte Eidesleistung Untergliederung in Gaue, Kreise, Orts-
der Reichswehr auf seine Person; Haken- gruppen, Zellen und Blocks (zur Überwa-
kreuzflagge wurde Reichsflagge (15. Sept. chung der Bevölkerung); außerdem NS-
1934). Geheime Parteipropaganda für An- Kraftfahrkorps, NS-Fliegerkorps, Hitler-
nektierung der Ukraine und für deutschen Jugend, NS-Studentenbund, NS-Dozen-
Korridor durch Südbelgien–Nordfrank- tenbund, NS-Frauenschaft, Reichsarbeits-
reich zum Atlantik. – Das Jahr 1935: Am dienst, NS-Fachverbände, Reichsbund für
13. Jan. entschied sich die Saarbevölkerung Leibesübungen u. a. – Das Jahr 1936
(99 %) für Wiedereingliederung ins Deut- brachte gewaltige Steigerung der dt.
sche Reich; Frankreich führte die 2-jährige Machtposition; Hitler kündigte am 7. März
Militärdienstpflicht ein, Hitler die allg. den ↑ Locarno-Pakt vom Jahr 1925, abge-

232
Drittes Reich

schlossen zw. Belgien, Deutschland, Frank- schaftsminister Schacht wurde durch Gö-
reich, Großbritannien, Italien (Garantie ring und dann durch den Staatssekretär im
der dt. Westgrenze, Entmilitarisierung des Propagandaministerium Funk, ersetzt; am
Rheinlandes, friedliche Regelung aller 12. März 1938 zwang Hitler durch Gewal-
Streitftagen); Hitler verlegte Truppen in tandrohung den österr. Bundeskanzler
die entmilitarisierte Rheinlandzone und Schuschnigg zum Rücktritt, Besetzung Ös-
gewann als Partner im Ausland: Franco terreichs (am 10. April durch das letzte Ple-
(Unterstützung im span. Bürgerkrieg), biszit in Deutschland und Österreich gut-
Mussolini (dt.-ital. Vertrag vom 25. Okt. geheißen; 49 Mio. Ja-Stimmen); Organi-
1936 zur polit. Zusammenarbeit: „Achse sierung des „Großdeutschen Reiches“; Hit-
Berlin–Rom“), Japan (Antikominternpakt ler bezahlte Mussolinis Zurückhaltung in
vom 25. Nov. mit Bündnisabsprache gegen der österr. Frage mit der Preisgabe von
die UdSSR); erheblicher Prestigegewinn Südtirol. Zur Verteidigung gegen Frank-
durch die Beteiligung des Auslands an den reich Bau des Westwalls (seit Juni 1938);
Olympischen Spielen in Berlin (1. Aug. die als nächstes Land bedrohte alleinste-
1936 eröffnet); Steigerung der militär. Rüs- hende Tschechoslowakei teilmobilisiert
tung ergänzt durch 2-jährige Militärdienst- (19. Mai), da weder von England noch
zeit (24. Aug. eingeführt) und durch „Vier- Frankreich, noch von der UdSSR militär.
jahresplan“ vom 18. Nov.; Hitler: „Die Hilfe zu erwarten war; aus Protest gegen
deutsche Armee muss in vier Jahren ein- die Kriegspolitik Rücktritt des Chefs des
satzfähig sein, die deutsche Wirtschaft Generalstabs des Heeres, des General­
muss in vier Jahren kriegsfähig sein“; obersten Beck; Hitler forderte Abtretung
Zweck: wirtsch. Unabhängigkeit vom Aus- der den Anschluss erstrebenden sudetendt.
land (Autarkie), lückenlose Planwirtschaft, Gebiete (Sept. 1938), dem sich die Tsche-
Forcierung der Aufrüstung, deren nächste choslowakei unter Druck des ↑ Münchener
Zielsetzung Hitler am 5. Nov. 1937 der Abkommens zw. Hitler, Daladier, Cham-
Generalität unterbreitete („Hoßbach-Pro- berlain und Mussolini nicht widersetzen
tokoll“): Behebung der dt. Raumnot durch konnte; Zusicherung Hitlers, dass es seine
Besetzung der Tschechoslowakei und An- letzte Revisionsforderung sei; Einmarsch
schluss Österreichs. Das Jahr 1938: Die am 1. Okt. 1938; Konrad Henlein Gaulei-
Aggres­sionen begannen, nachdem die Exe- ter des „Gaues Sudetenland“; erst das von
kutive weitgehend engsten Gefolgsleuten Goebbels mithilfe der SA or­ganisierte
Hitlers übertragen war: Himmler, Chef der Judenpogrom („Reichskristallnacht“ am
Gestapo und Reichsführer der SS, war zu- 9. Nov. 1938) mit organisierter Zerstörung
gleich Chef der gesamten Polizei mit eige- jüd. Geschäfte und Synagogen, Tötungen
nem Geheimdienst; schimpfliche Entlas- und Misshandlungen jüd. Bürger und von
sung des Reichskriegsministers und Ober- Göring erpresstem Tribut von 1 Mrd. Mark
befehlshaber der Wehrmacht von Blom- (vorgeblich „Vergeltung“ für die Ermor-
berg und des Oberbefehlshabers des Heeres dung des Gesandtschaftsrats vom Rath in
von Fritsch, der durch von Brauchitsch er- Paris durch einen Juden), vor allem aber
setzt wurde; Hitler machte sich zum Ober- die Anfang des Jahres 1939 von Hitler er-
befehlshaber; die Aufgaben des Reichs- hobenen Forderungen an Polen, die unter
kriegsministers übernahm das „Oberkom- dem Druck Hitlers erfolgte Absprengung
mando der Wehrmacht“ (OKW) unter der Slowakei (Unabhängigkeitserklärung
Keitel; der „Sonderbeauftragte des Füh- 14. März 1939) und die unter Bruch des
rers“ Ribbentrop wurde an Stelle von Neu- Münchener Abkommens erfolgte Zerschla-
raths Reichsaußenminister; Reichswirt- gung und Annektierung der Resttschechei

233
Dritte Welt

als „Reichsprotektorat Böhmen-Mähren“ 1845; im Kampf mit der preuß. Regierung


(15./16. März 1939) brachten einen 1837–1839 in Festungshaft, weil er entge-
Schwenk der Politik der Westmächte; Eng- gen der Zusage seines Vorgängers, des Gra-
land führte die allgemeine Wehrpflicht ein fen Spiegel, an der Forderung katholischer
(27. März), nach polnischer Teilmobilma- Erziehung der Kinder aus konfessionellen
chung brit.-frz. Garantie für Polen Mischehen festhielt (↑ Kölner Kirchen-
(31. März); Hitler gab Anweisung für ein- streit).
heitliche Kriegsvorbereitung (11. April), Droysen, Johann Gustav, dt. Historiker
kündigte dt.-engl. Flottenabkommen und und Politiker, 1808–1884; 1848 Mitglied
dt.-poln. Pakt vom 28. April 1934; Ab- des Frankfurter Parlaments, Liberaler und
schluss eines dt.-ital. Militärbündnisses Kleindeutscher; schrieb eine Geschichte
(22. Mai); nachdem Litauen am 23. März des Hellenismus und prägte damit diesen
das Memelgebiet an das Dt. Reich zurück- Begriff; Vertreter der „boruss.“ (preuß.-
gegeben hatte, gewann Hitler den Wettlauf kleindt.) Geschichtsschreibung („Ge-
um die Vertrags-Partnerschaft der UdSSR schichte der preuß. Politik“).
(seit Frühjahr 1939 Verhandlungen der Druiden, Priesterkaste der ↑ Kelten unter
Westmächte um Sicher­heitspakt gegen Oberpriestern, von größtem Einfluss, or-
Hitler); im dt.-sowjet. Nichtangriffspakt densmäßig organisiert und auf Druiden-
vom 23. Aug. geheime Zusicherung von schulen in religiöser, heil-, rechts- und
Beutegewinnen bei „terri­torialpolit. Um- sternkundlicher Unterweisung vorberei-
gestaltung“ in den balt. Staaten und Polen, tet; verbreitet in Gallien und Britannien;
Abgrenzung der Interessengebiete in O- die D. waren Priester, Wahrsager (Einge-
und S-Europa; Befehl zum Angriff auf Po- weideschau, Deutung außerordentl. Na-
len (25. Aug.) wurde unter dem Eindruck turereignisse), Richter, polit. Berater; Got-
des brit.-poln. Beistandsvertrages, der tesdienste auf Bergen, hl. Inseln, Felsen,
Kriegsunlust Italiens und letztem Vermitt- an hl. Seen; nicht selten Menschenopfer;
lungsversuch Mussolinis aufgehoben; Mo- Glaube an erkennbaren Götterwillen und
bilmachung Polens am 30. Aug., Angriffs- Seelenwanderung; zeitweise als Wahrsage-
befehl Hitlers am 31. Aug.; Beginn des An- rinnen auch Druidinnen.
griffs ohne Kriegserklärung am 1. Sept. Drummond, Sir Eric, später Lord Perth,
1939. brit. Diplomat, 1876–1951; erster Ge-
Zur Vernichtungspolitik des D. R. an be- neralsekretär des Völkerbundes 1919/33,
stimmten Volks- und Religionsgruppen, 1933–1939 Botschafter in Rom.
auch ↑ Juden, ↑ Konzentrationslager. Drusen, Angehörige der im 11. Jh. aus dem
Dritte Welt, Bezeichnung der Staaten schiitischen Islam entstandenen Religions-
Afrikas, Asiens und Lateinamerikas, die gemeinschaft im Gebiet zw. Libanon, Israel
wirtsch. und sozial unterentwickelt sind und Syrien mit dem Kultzentrum Dsche-
und einen hohen Grad von Analphabeten bel Drus; arab. Sprache, geheim gehaltene
an der Gesamtbevölkerung besitzen. (aus islam., jüd., frühchristl. Elementen
Drogheda, Hafenstadt bei Dub­lin, Sitz gemischte) Offenbarungsreligion auf der
eines alten Klosters, das auf den irischen Grundlage von 111 Briefen der Weisheit,
Heiligen St. Patrick zurückgeführt wird; die nur einer kleinen Zahl von Mitgliedern
Cromwell nahm D. 1649 und ließ die bekannt sind (7 Verständige), gekennzeich-
Einwohner z. T. niedermetzeln, z. T. nach net vom Glauben an Seelenwanderung und
Amerika deportieren. Umsetzung göttlicher Prinzipien in der
Droste zu Vischering, Clemens August Weltvernunft; starker Unabhängigkeits-
Freiherr von, Erzbischof von Köln, 1773– drang, Erbfeindschaft gegen benachbarte

234
Dublin

(christliche) Maroniten (Maronitenmassa- Fehler und Laster; heute meist für Glau-
ker im 19. Jh.), nach 1919 Kampf gegen benskrieg der Muslime gegen Nicht-Mus-
frz. Mandatsmacht, seit 1925 autonom, lime, Ausdehnung der Herrschaft der is-
nach dem 2. Weltkrieg Syrien angegliedert; lam. Gesellschaftsordnung, Unterwerfung
Bürgerkriegspartei im ↑ Libanon. Andersgläubiger verwendet („Heiliger
Drusus, 1) D., Nero Claudius, röm. Feld- Krieg“), was jedoch nicht dem koran. Ver-
herr, 38–9 v. Chr.; Adoptivsohn des Augus- ständnis des Wortes entspricht.
tus, Bruder des Tiberius, Vater des Germa- Dschingis Khan (Temudschin), um
nicus und des Kaisers Claudius, kämpfte 1155–1227; mongol. Eroberer, nach blu-
12–9 v. Chr. gegen die Germanen und stieß tigen Stammesfehden 1206 Großkhan al-
bis zur Elbe vor. 2) D., Marcus Livius, ler Mongolen, eroberte 1215 Peking, 1219
röm. Volkstribun, setzte sich für die Verlei- Korea und Turkestan (Vernichtung der is-
hung des Bürgerrechts an die Italiker ein, lam. Hochkultur von Samarkand), drang
seine Ermordung 91 v. Chr. brachte den bis zum Indus, dann bis in die S-Ukraine
↑ Bundesgenossenkrieg zum Ausbruch. vor, besiegte 1223 die Russen, wendete sich
Dschebel al Tarik (Berg des Tarik), arab. dann wieder nach Osten; begründete nach
Name für ↑ Gibraltar; hier setzte 711 Tarik, den blutigen Feldzügen ein straff verwaltetes
der Unterfeldherr Musas, über die Meer- Weltreich, das vom Stillen Ozean bis zum
enge und griff das Westgotenreich an. Schwarzen Meer reichte und zum Schmelz-
Dschemdet-Nasr-Periode, nach dem Aus- tiegel vieler Kulturen wurde; Aufteilung
grabungsort D.-N. bei Kisch (nordöstl. nach seinem Tod (↑ Goldene Horde).
von Babylos) in Mesopotamien gen. Kul- Dschumblat, Kamal, libanes. Politiker,
turperiode zwischen Uruk und Mesilim, 1919–1977, Drusenführer, seit 1960
die 2. Epoche der sumer. Frühgeschichte, mehrfach Innenminister, vermittelte 1969
um 2800–2600 v. Chr.; Schriftdenkmäler das Abkommen mit den palästinens. Feda-
(Tontafeln), künstler. Plastik, Siegelzeich- jin, 1977 ermordet.
nungen, auf Scheibe gedrehte schwarz-rote Dubarry, Marie Jeanne Gräfin, Mätresse
Keramik, Glasschmelz, luftgetrocknete Ludwigs XV. von Frankreich, 1743–1793;
Lehmziegel, Pflug, Wagen. unter Robespierre hingerichtet.
Dschibuti, Republik in NO-Afrika; seit Dubcek, Alexander, tschechoslowak. Politi-
1862 im Einflussbereich des frz. Koloni- ker, 1921–1992; 1964–1968 l. Sekretär des
alismus, sollte Basis für frz. Expansion an slowak. Zentralkomitees. D. gilt als Träger
den Nil sein, nach schweren Aufständen des tschechoslowak. Reformkommunis-
1967 erhielt D. weitgehende innere Auto­ mus, der 1968 durch die militär. Interven-
nomie mit eigener Exekutive, seit 1977 tion der Sowjetunion unterbunden wurde.
nach Volksabstimmung unabhängige Re- 1970 Enthebung D.s aus allen Ämtern und
publik. Parteiausschluss, 1989 rehabilitiert, 1990
Dschidda (Djidda, Jidda), saudi-arab. Ha- bis zu seinem Tod Parlamentspräsident.
fenstadt am Roten Meer; vorislam. Grün- Dublin, älteste Geschichte wie die Chris­
dung, bedeutend als Hafen für Mekka- tianisierung durch den hl. Patrick sagen-
Wallfahrer, seit 1517 osmanisch, 1925 zu haft; 1. Hälfte 9. Jh. gegründet von einem
Saudi-Arabien. norweg. Wikinger (Turgeis), nach der Ver-
Dschihad, bedeutete ursprüngl. eine ent- treibung der Norweger aus Irland (901)
schlossene geistige Haltung, später den Kleinreich der dän. Wikinger um D. 1038
Einsatz für den Islam schlechthin unter Bistum, 1214 Erzbistum; um 1170 von
Aufopferung des eigenen Lebens und Ver- den Engländern erobert, 1541 Sitz des
mögens, aber auch inneren Kampf gegen Vizekönigs von Irland, Mittelpunkt der

235
Dublone

irischen Unabhängigkeitsbewegung, 1916 ein, unter Königin Maria hingerichtet.


blutiger Osteraufstand, seit 1922 Haupt- Dufour, Guillaume Henri, schweizer. Ge-
stadt des Freistaates Irland (Eire). neral, 1787–1875; machte die letzten Feld-
Dublone, span. Goldmünze des 16.– züge Napoleons I. mit, wurde 1832 Chef
19. Jh.; war in dieser Zeit bedeutende des Generalstabs der Eidgenossen, 1847
Welthandelsmünze, wurde in vielen Staa- Befehlshaber im Feldzug gegen die Kan-
ten nachgeahmt und abgewandelt. tone des ↑ Sonderbundes; 1864 Mitbe-
Dubois, Guillaume, frz. Kardinal und gründer des Intern. Roten Kreuzes, schuf
Staatsmann, 1656–1723; Erzieher des Her- 1832–64 die bedeutende „Topograf. Karte
zogs Philipp von Orléans; leitender Minis­ der Schweiz“.
ter während dessen Regentschaft, brachte Duguesclin, Bertrand, Connétable von
die ↑ Quadrupelallianz gegen Spanien zu- Frankreich, um 1320–1380; nahm 1370–
stande, durch die Spanien 1718 zum Frie- 1373 den Engländern fast allen frz. Land-
den gezwungen wurde. gewinn ab (↑ Hundertjähriger Krieg).
Dubrovnik, Stadt in S-Dalmatien, Kroa- Duilius, Gaius, röm. Flottenführer, Konsul
tien, das antike ↑ Ragusa; um 615 v. Chr. 260 v. Chr., Erbauer der ersten röm. Flotte;
von den Griechen gegr., wurde 164 v. Chr. 260 v. Chr. Seesieg von Mylä über die Kar-
röm. Kolonie, bis 1205 byzantinisch, dann thager (verherrlicht durch die «Columna
unter der Oberhoheit Venedigs, später Un- rostrata» mit den erbeuteten karthag.
garns, seit 1526 unter türk. Herrschaft, Schiffsschnäbeln auf dem Forum).
1806–1814 von Frankreich besetzt, seit Duisberg, Carl, dt. Chemiker, 1861–
1815 von Österreich; 1919 zu Jugo­slawien, 1935; Pionier der Farb- und pharmazeut.
seit 1991 zu Kroatien. Chemie, Generaldirektor der IG Farben,
Duchesne, André, frz. Historiker, 1584– an deren Aufbau er maßgebl. beteiligt
1640; sammelte und edierte als Erster war (Grundlagen- und eigene Farbenfor-
systematisch Quellentexte zur frz. Ge- schung).
schichte. Dukat (von lat. dux, Herzog), Verwaltungs­
Duchoborzen (russ., Geistesstreiter), pie- einheit des byzantantinischen Restbesitzes
tistisch-mystische Sekte in Russland, ent- in Italien zur Zeit des Langobardenreiches;
standen um die Mitte des 18. Jh. unter außer dem ↑ Exarchat von Ravenna die D.e
einfachen Bauern aus Protest gegen die von Rom, Neapel und Venetien.
Veräußerlichung der Ostkirche; die D. ver- Dukaten, Goldmünzen, seit etwa 1100 von
werfen alle religiösen Zeremonien und die byzantin. Kaisern geprägt, daher auch „By-
Sakramente, suchen „Gott im Menschen“, zantiner“ genannt; im 12. Jh. in Italien, seit
verweigern Kriegsdienst und Eid, deshalb 1284 besonders in Venedig als ­ Zecchino
vom Staat hart verfolgt; Reste heute noch geprägt, von da über Europa verbreitet; in
in Kanada. Deutschland 1559 zur Reichsmünze er-
Duckwitz, Arnold, dt. Wirtschaftspo- klärt (1 Köln. Mark = 67 D.); 1857 durch
litiker, 1801–1881; Mitglied des brem. den Münzvertrag der Länder des Dt. Zoll-
Senats, Vorkämpfer der dt. Zolleinheit, vereins abgeschafft. Goldgehalt etwa 3,5 g
Förderer der dt. Seeschifffahrt, 1848/49 (gehaltreicher als der Goldgulden).
Reichsminister des Handels; Schöpfer der Dulles, 1) D., John Foster, amerik. Politi-
ersten dt. Kriegsmarine. ker, 1888–1959. 1953–1959 Außenminis-
Dudley, John, Herzog von Northumber­ ter unter Eisenhower, verfolgte Politik der
land, englischer Staatsmann, 1502–1553; Stärke gegenüber dem Ostblock. 2) D., Al-
Günstling Eduards VI., trat für die Thron- len Welsh, amerik. Politiker, 1893–1969;
folge seiner Schwiegertochter Jane Grey leitete im 2. Weltkrieg den amerikanischen

236
Dupleix

Nachrichtendienst in Europa, 1953–1961 Duncker, 1) D., Max, dt. Historiker und


Leiter der Central Intelligence Agency Politiker, 1811–1886; Mitglied des Frank-
(CIA). furter Parlaments, seit der neuen Ära
Duma (russ., Rat), 1) Im Moskauer Reich: (1860) mehrmals im preuß. Staatsdienst,
Adelsversammlung (Bojaren). 2) Stadtrat vortragender Rat für Politik. 2) D., Franz,
großer Städte seit Ende des 18. Jh. 3) die dt. Politiker, 1822–1888; Bruder von 1).
nach der Revolution von 1905 von Ni- Mitbegründer der ↑ Fortschrittspartei und
kolaus II., zugestandene russ. Volksver- der (liberalen) Hirsch-D.schen Gewerkver-
tretung aus allgemeinen Wahlen, mit be- eine (↑ Gewerkschaft).
schränktem Budgetrecht („Scheinkonsti- Dunkelmännerbriefe (Epistolae obscuro-
tutionalismus“); 1. und 2. D. wegen op- rum virorum), Sammlung von fingierten
positioneller Haltung aufgelöst (1906/07), satirischen, gegen kirchl. Autorität und
nach Wahlreform 1907 3. und 4. D., „Her- entartetes Mönchtum gerichteten Briefen,
rendumen“ im Dienst des Zarismus; auf- absichtlich in schlechtem Latein („Küchen-
gelöst 1917. – Seit 1993 Name des rus- latein“ des niederen Klerus) geschrieben,
sischen Parlaments, des Unterhauses (450 1. Teil von Crotus Rubianus 1515, 2. Teil
Abgeordnete). Bildet mit dem Föderations­ von Ulrich von Hutten 1517; erwiesen sich
rat das Zweikammern-Parlament. als schärfste Waffe des Humanismus im
Dumbarton Oaks, Ort bei Washington Kampf gegen die entartete Scholastik.
(USA); 1944 Konferenz von D. O. zw. Dünkirchen, frz. Hafenstadt an der Nord-
England, USA, China und UdSSR, em­ see; flandr. Gründung, 1384 burgundisch,
pfahl Auflösung des Völkerbundes und 1477 habsburg., 1558 spanisch, umkämpft
entwarf die Satzung einer neuen internat. zwischen Franzosen, Spaniern und Englän-
Sicherheitsorganisation (↑ Vereinte Natio- dern, zeitweilig Seeräuberhafen, 1662 end-
nen). gültig französisch. – 1940 Schlacht bei D.,
Dumouriez, Charles François, frz. Gene- Einschiffung des brit. Expeditions­korps
ral, 1739–1823; Parteigänger der ↑ Gi- und von Resten der frz. Armee. – 1947
rondisten, veranlasste 1792 als Außenmi- Bündnisvertrag von D. zwischen England
nister die Kriegserklärung an Österreich, und Frankreich auf 50 Jahre, gegen dt.
übernahm nach Lafayettes Flucht dessen Angriff oder Nichterfüllung des Friedens-
Kommando, behauptete sich bei ↑ Valmy, vertrages durch Deutschland (↑ Brüsseler
er­oberte Belgien, geriet mit dem ↑ Konvent Pakt).
in Konflikt, unterlag 1793 bei Neerwinden; Dunois, Jean, frz. Feldherr, um 1403–1468;
wollte die Armee nach Paris zurückführen, Sohn des Grafen Ludwig von Orléans und
um die konstitutionelle Monarchie wieder- seiner Geliebten, daher „Bastard von Or-
herzustellen, floh zu den Österreichern. léans“ genannt, verteidigte 1429 Orléans
Dunant, Henri, Schweizer ­ Schriftsteller bis zum Auftreten der „Jungfrau von O.“
und Philanthrop, 1828–1910; als ­ Zivilist und trug wesentlich zur endgültigen Ver-
Augenzeuge der Zustände nach der Schlacht treibung der Engländer aus Frankreich bei
von Solferino, der wohl blutigsten Schlacht (↑ Hundertjähriger Krieg).
des 19. Jh., und des völligen Versagens der Dupleix, Joseph François, frz. Kolonial­
Verwundeten- und Gefangenen­fürsorge pionier, 1697–1763; Gegenspieler des
(„Erinnerung an Solferino“, 1862); Be- Engländers ↑ Clive in Ostindien, 1730/41
gründer des Roten Kreuzes und Urheber Gouverneur der Besitzungen der frz. Ost-
der Genfer Konvention (1864) zur Verbes- indienkompanie, residierte in Pondichery,
serung der Lage der Kriegsgefangenen und vom Mutterland unzulänglich unterstützt,
Verwundeten. 1901 Friedensnobelpreis. 1754 abberufen.

237
Düppeler Schanzen

Düppeler Schanzen, dän. Befestigungen schwer verletzt; danach Aufenthalt in Eng-


in Nordschleswig, Schlüssel zur Insel Al- land (1968–1971) und Dänemark.
sen, 1848/49 umkämpft, von den Dänen Duvalier, François, haitian. Politiker, gen.
ausgebaut, 1864 von den Preußen erstürmt Papa Doc, 1907–1971; 1957 mithilfe der
(↑ Schleswig-Holstein. Krieg). USA zum Präsidenten gewählt, erklärte
Dura-Europos, Ruinenstätte in O-Syrien, sich 1964 zum Präsidenten auf Lebenszeit.
hellenist. Grenzstadt am mittleren Eu- Sein Sohn Jean-Claude D., gen. Baby Doc,
phrat, Schnittpunkt hellenist. und oriental. geb. 1951, wurde 1971 als Nachfolger zum
Kultur; um 300 v. Chr. gegr. makedon. Mi- Staatspräsidenten ernannt, 1988 nach Mi-
litärsiedlung, seit Ende des 2. Jh. v. Chr. in litärputsch entmachtet.
der Hand der Parther, um 210 n. Chr. röm. Duvernois, Clement, frz. Publizist und Po-
Kolonie mit Garnisons­lager, 256 n. Chr. litiker, 1836–1879; bemüht um die Aus-
wieder von den Persern erobert und zer- söhnung Napoleons III. mit den Ideen der
stört; durch frz. und vor allem amerik. Freiheit, gründete den vom Kaiser inspi-
Ausgrabungen wertvolle Denkmäler parth. rierten und mitfinanzierten „Peuple“, eine
Kunst erschlossen (↑ Parther). der ersten Zeitungen mit Massenauflage.
Durham, John George Lambton, Earl of, Dynamit, ein 1867 von dem schwed. Che-
brit. Politiker, 1792–1840, Führer des ra- miker und Sprengstoffindustriellen Alfred
dikalen Flügels der Whigs im Unterhaus; ↑ Nobel erfundener Sprengstoff aus explo-
1838/39 Generalgouverneur von Brit.- siblem Nitroglyzerin, das von Kieselgur-
Nordamerika; entwickelte ein Konzept ko- paste aufgesaugt ist, nur bedingt handha-
lonialer Selbstverwaltung, das Grundlage bungs- und transportsicher; fast ganz ver-
der brit. Commonwealth-Politik wurde. drängt durch die noch wirksamere Spreng-
Duroc, Michel, Herzog von Friaul, frz. gelatine.
Marschall, 1772–1813; Adjutant und Ver- Dynamomaschine (Generator), Maschine
trauter Napoleons, oft als Unterhändler zur Erzeugung von elektrischem Strom;
verwendet, fiel nach der Schlacht von Baut­ von Dampf- oder Wasserkraftmaschinen,
zen bei Markersdorf in der Lausitz. Gasmotoren, Atomkraftwärmeanlagen be-
Düsseldorf, Hauptstadt von Nordrhein- trieben. Erste Konstruktionen nach dem
Westfalen; 1288 Stadtrecht, seit 1511 Re- Induktionsprinzip seit 1832; erst die An-
sidenz der Herzöge von Berg, nach deren wendung des Dynamoprinzips (wonach
Aussterben 1614 an Pfalz-Neuburg; Blüte der in der D. erzeugte Strom die Erregung
unter Kurfürst Johann Wilhelm von der der eigenen Magneten verstärkt) 1867
Pfalz (1690–1716), Gemäldegalerie; 1795 durch Werner von Siemens ermöglichte
von den Franzosen eingenommen, 1801 den Bau leistungsfähiger, industriell ver-
zurück an Bayern, 1806–1813 Hauptstadt wertbarer D.n.
des Großherzogtums Berg, 1815 an Preu- Dynastie (von griech. dynastes, der Mäch-
ßen, 1921/25 von den Franzosen besetzt, tige), Herrschergeschlecht, Herrscherhaus;
im z. Weltkrieg durch Luftangriffe schwer D. oft zur histor. Aufgliederung dienend
getroffen, seit 1946 Hauptstadt von Nord­ (Karolinger, Hohenstaufen, Habsburger,
rhein-Westfalen. Bourbonen u. a.), besonders für die Ein-
Dutschke, Rudolf (Rudi), dt. Studenten- teilung der altägypt. Geschichte (seit dem
führer, 1940–1979; Mitglied des Sozialist. 3. Jt. v. Chr. 31 z. T. unechte D.n, korri-
Dt. Studentenbundes; seit 1966 an der Or- giert durch Auswertung des altägypt. Ka-
ganisierung Student. „antiautoritärer“ Pro- lenders, astronom. Daten, Urkunden).
testaktionen beteiligt (↑ Außerparlamenta-
rische Opposition); 1968 durch Attentat

238
Eagle

Eagle, Goldmünze der USA barkeit des Landes und die demokrat. Tra-

E seit 1792; nach seinem Münz-


bild, einem Adler, benannt,
entspricht im Wert 10 Dollar;
seit Langem durch Papiergeld ersetzt.
dition Württembergs durch ständ. Verfas-
sung, die die fürstl. Gewalt einschränkte;
stiftete die Universität Tübingen (1477);
vom Kaiser 1495 zum Herzog erhoben.
Earl (dän. Jarl), unter der Dänenherr- Ebernburg, Burg in der bayer. Pfalz, seit
schaft seit 1010 Verwalter einer der angel- 1504 im Besitz Franz von Sickingens, der
sächs. Grafschaften (↑ Alderman); bis zum dort verfolgten Anhängern der Reforma-
14. Jh. (Einsetzung königlicher Beamter) tion (Melanchthon, Butzer, Hutten u. a.)
höchste Stufe des engl. Adels, später die Zuflucht gewährte.
3. Stufe nach Duke und Viscount; E.s hat- Ebert, Friedrich, dt. Politiker und 1. Reichs-
ten erblichen Sitz im Oberhaus. präsident der Weimarer Republik, 1871–
Easterlings (engl., Ostmänner), zunächst 1925; gelernter Sattler, schon früh in der
die aus dem Osten nach England kommen­ Gewerkschaftsbewegung; 1893 Redakteur
den skandinav. Seeräuber; später auch Han­ in Bremen; seit 1905 im Berliner Vorstand
se­kauf­leute, auch das Geld, das sie mit- der SPD, 1913 als Nachfolger Bebels Par-
brachten (Ableitung des Wortes Ster­ling teivorsitz der SPD, 1916 mit Scheidemann
aus E. ist umstritten). Fraktionsvorsitz im Reichstag; Politiker
Eban, Abba Solomon, israel. Politiker, des Ausgleichs, der Staatstreue und Völ-
1915–2002; 1949–1959 Vertreter Israels kerverständigung, beteiligt an der Friedens­
bei den UN, 1950–59 zugleich Botschafter resolution 1917; verhinderte 1918 als
in Washington, 1963–66 stellvertretender Mit­vorsitzender des Rats der Volksbeauf-
Ministerpräsident, anschließend bis 1974 tragten die Sowjetisierung Deutschlands;
Außenminister. durch Denomination des letzten Reichs-
Eberhard, Grafen und Herzöge von Würt­ kanzlers des Kaiserreiches 1. Reichskanzler,
temberg: 1) E. I., der Erlauchte, 1265– 1919 von der Weimarer Nationalversamm-
1325; 1279 Nachfolger seines Bruders Graf lung zum 1. Reichspräsidenten gewählt, fes­
Ulrich II.; Gegner der Reichsgewalt und der tigte die Demokratie und suchte, geachtet
schwäb. Reichsstädte, empörte sich gegen auch von polit. Gegnern, den Ausgleich in
Rudolf von Habsburg; 1309 gegen Kaiser den politichen und sozialen Spannungen.
Heinrich VII., im Verlauf des Reichskriegs – Sein Sohn Friedrich E., 1894–1979, war
(1310–1316) geächtet und bis 1313 ver- 1946 Mitbegründer der SED, 1948–1967
trieben; Verlegung seiner Residenz von der Oberbürgermeis­ter von Berlin (Ost); seit
Stammburg Württem­berg nach Stuttgart, 1960 Mitglied des Staatsrates der DDR.
das er 1320 zur Landeshauptstadt machte; Ebstorfer Weltkarte, größte und bedeu-
E. vergrößerte sein Land um das Doppelte. tendste Erdkarte des MA; 30 Pergament-
2) E. II. der Rauschebart oder der Grei- blätter mit Jerusalem als Mittelpunkt, im
ner (der Streitsüchtige), 1315–1392; Enkel 13. Jh. entworfen, um 1830 im Kloster Ebs­
von 1); von Kaiser Karl IV. zur Unterwer- torf b. Uelzen entdeckt, das Original 1943
fung gezwungen, zur Stärkung seiner Haus- im Staatsarchiv Hannover verbrannt.
macht in ständigen Fehden mit den Ritter- Eburonen, kelt. Stamm zwischen Maas
und Städtebünden, brach 1388 die Macht und Rhein, von Cäsar 53 v. Chr. aufgerie-
des Schwäb. Städtebundes durch den Sieg ben; Nachrücken german. Stämme.
von Döffingen. 3) E. V. (I.), mit dem Barte Ecevit, Bülent, türk. Politiker, geb. 1925;
(1482–1496); geb. 1445; regierte zunächst 1961–1965 Arbeitsminister, seit 1972 Vor-
im Uracher Teil Württembergs, begründete sitzender der Republikanischen Volkspar-
1482 (Vertrag von Münsingen) die Unteil- tei, 1974–79 Ministerpräsident. Nach dem

239
Echnaton

Militärputsch 1980 interniert; 1987 Vor- landes zu heben suchte. 1968–1972 erneut
sitzender der Demokratischen Linkspartei, Präsidentschaft Velascos. 1972 Staatsstreich
1999 bis 2002 erneut Ministerpräsident. des Militärs, seitdem Militär­regierung re-
Echnaton, Pharao, ↑ Amenophis IV. former., am Beispiel der peruanischen Mi-
Echter von Mespelbrunn, Julius, Fürst- litärjunta orientierter Offiziere. 1979 nach
bischof von Würzburg (1573–1617), geb. einem Referendum Rückkehr zur Verfas-
1545, aus Ministerialenfamilie des Spes­ sungsmäßigkeit: Etablierung einer Repu-
sarts, einer der aktivsten Führer der Gegen­ blik mit Präsidialsystem. 1985 brach E. die
reformation in Süddeutschland, stellte den Beziehungen zu Nicaragua ab und zog sich
Katholizismus in seinem Bistum wieder aus der Unterstützung der ↑ Contadora-
her; 1582 Wiedererrichtung der Würzbur- Gruppe zurück.
ger Universität. Edda (nord., Buch von Oddi), unter die-
Eck, 1) E., Johann (Mayer aus Egg in Schwa­ sem Namen werden zwei Denkmäler der
ben), kath. Theologe und scharfer Gegner altnord. Literatur zusammengefasst: die
der Reformation, 1486–1543; Prof. in In- (jün­­gere) Snorra-E. und die (ältere) Sae-
golstadt, trat mit Streitschriften und in Re- mundar-E. Die Snorra-E., nach der Über-
ligionsgesprächen gegen ­ Luther (↑ Leip- lieferung um 1230 von Snorri Sturtuson
ziger Disputation 1519) und Zwingli auf, verfasst, ist in Handschriften aus dem 13.
erwirkte persönl. in Rom die Bannbulle ge- und 14. Jh. erhalten; sie ist Anleitung für
gen Luther, beteiligt an der Abfassung der junge Skalden (Dichter, Sänger), eine Poe­
↑ Confutatio. 2) E., Leonhard von, bay­er. tik, die die verschiedenen Versarten und
Kanzler, um 1480–1550; aus altadliger Fa- die dichter. Gestaltungstechnik anhand
milie, seit 1519 unter Herzog Wilhelm IV. von Beispielen erläutert; sie führt viele
Leiter der bayer. Politik im Stile des zeitge­ Einzelheiten aus der nord. Mythologie und
nöss. Machiavellismus; Gegner der Refor- Heldensage an. Die Saemundar-E., auch
mation, ­ betrieb die Stärkung der herzogl. Lieder-E. genannt, fälschlich dem Priester
Macht im Innern und nach außen, un- Salmand Sigfusson (um 1100) zugeschrie-
terlag aber bei dem Versuch, Bayern die ben, ist in ihrer jetzigen Form durch eine
habsburg. Erbrechte zu sichern, der ge- Handschrift aus dem 13. Jh. bekannt; in
wandteren Politik Habsburgs. mehr als 30 Liedern werden die nordische
Ecuador, Republik im NW Südamerikas, Götterwelt und die german. Heidenzeit be-
unter dem Äquator, von den Anden durch- sungen; die Stoffe der beiden Edden stam-
zogen; bis 1533 Nordteil des ↑ Inkareiches, men fast alle aus altnord. Wikingerzeit; die
1533/34 von Spaniern erobert; vom 16.– „Völuspa“ (Weissagung der Völva), eines
18. Jh. zum Vizekönigreich ↑ Peru, seitdem der interessantesten Gedichte der Edden,
bis 1830 dem Vizekönigtum Neugranada gilt als Hauptquelle für die Kenntnis der
bzw. Groß-Kolumbien angehörend; 1830 german. Mythologie.
souveräne Republik; bedeutende diktator. Eden, Anthony, brit. Staatsmann, 1897–
Präsidenten Garcia Morena (1861–1875) 1977; Konservativer, entschiedener Geg-
und Elory Alfara (1895–1911); in den üb­ ner der Achsenmächte, 1935–38, 1940–45
rigen Zeiten von zahlreichen Revolten zer- und 1951–55 Außenminister; als Nachfol-
rüttet (Gegensätze zw. kirchlichen Krei- ger Churchills 1955–57 Premierminister;
sen und Liberalen); 1938–1941 Streit mit Rücktritt nach dem ↑ Suezkonflikt. Eden-
Peru um die Kaffeeprovinz El Oko, durch Plan: von E. 1954 vorgetragener Plan zur
Schiedsgericht neutralisiert; 1944–47 und Wiedervereinigung Deutschlands unter
1952–1961 Präsidentschaft des Velasco Demobilisierung Gesamtdeutschlands und
Ibarras, der die Bodenschätze des Indianer- Sicherheitsgarantie der 4 Großmächte.

240
Edrisi

Edessa (heute Urfa), Stadt in N-Mesopo- Edirne, Stadt in der Türkei, das frühere
tamien, das Ruhu der Assyrer, unter den ↑ Adrianopel. Edison, Thomas Alva, bahn­
Seleukiden nach der gleichnamigen ma- brechender nordamerik. Erfinder, 1847–
kedon. Stadt E. benannt; 145–129 v. Chr. 1931; praktisch eingestellt und optimis­­
Mittelpunkt des Edess. Reiches (unter ei- tisch, findig und zäh, verkörperte den Glau­
gener Dynastie), um 70 v. Chr. unter röm. ben seines Landes und seiner Zeit an den
Oberhoheit, nach Empörung 116 n. Chr. techn. Fortschritt; erfand den Walzenpho-
röm. Militärkolonie, seit dem 3. Jh. Zent­ nografen, das Kohlenkörnermikrofon, die
rum der christl. Kirche im Osten, 525 als (Kohlenfaden-)Glühlampe u. a., richtete
Justinianopolis Festung, 639 arab., 1031 das erste Elektrizitätswerk ein (1882, New
zu Byzanz, 1098 Mittelpunkt der Graf- York) und verwendete erstmals den Be-
schaft E. (Kreuzfahrerstaat), 1144 von Sul- tonguss; die Priorität vieler ihm zugeschrie-
tan Zenki erobert, 1391 von Timur zer- bener Erfindungen wird auch von anderen
stört; seit 1637 türkisch. beansprucht.
Edfu, altägypt. Gauhauptstadt am ober­ Edomiter, Edom (Stammvater Esau, der
ägypt. Nil mit Großtempel des Horus, Bruder Jakobs), den Israeliten nah ver-
er­baut 237–217 v. Chr.; Inschriften auf- wandtes semit. Volk in Südpalästina (Ara-
schlussreich für spätere ägypt. Religions- bia Petraea) und auf der Sinaihalbinsel,
geschichte. mit reichem Kupferbergbau, von David
Edikt, amtl. Verlautbarung; im röm. Staat um 1 000 v. Chr., später von Assyrern und
unterschieden in Edicta magistratuum, E. Babyloniern unterworfen; um 500 v. Chr.
prae­torum, E. provincialia usw.; zur Ver- Einwanderung in Juda.
einheitlichung von Verwaltung und Recht- Edrisi (Scherif Al E.), arab. Geograf, 1099-
sprechung wurden die älteren röm. E.e um 1166; bereiste Kleinasien und Nordaf-
unter Hadrian durch den Juristen Salvius rika, verfasste für ↑ Roger von Sizilien Erd-
Julianus gesammelt und im Edictum per- beschreibung und Erdkarten („Rogerbuch“
petuum zusammengefasst; später dienten erhalten); wohl wertvollste geogr. Leistung
die E.e als Quelle für das ↑ Corpus Iu- des MA. Eduard, engl. Könige: 1) E. der
ris des Kaisers Justinian. – Entsprechend Bekenner (1042–1166); letzter angel-
wurde im ostgot. Reich unter Theoderich sächs. König, forderte durch Begüns­tigung
das für Ostgoten wie Römer verbindliche der ↑ Normannen die Opposition der an-
Gesetzeswerk 506 als Edictum Theodorici gelsächs. Großen heraus und geriet unter
herausgegeben, im Langobardenreich 643 den Einfluss Godwins; Heiligsprechung
unter König Rothari der Edictus Rothari. 1161. 2) E. I. (1272–1307); geb. 1239, aus
Edikt von Nantes, 1598, Toleranzgesetz dem Hause Plantagenet, unterwarf in zwei
Heinrichs IV. v. Frankreich, das den ↑ Hu­ Feldzügen (1277 und 1282–84) Wales und
genotten Sicherheitsräume, Religionsfrei- gliederte es dem Königreich ein (Prinz von
heit und bürgerliche Gleich­berechtigung Wales seit 1301 Titel seines ältesten Sohnes
ein­räumte; 1685 von Ludwig XIV. auf­ E., von da an jedes engl. Kronprinzen),
gehoben, Massenauswanderung von Hu­ kämpfte gegen Frankreich 1294–97 und
genotten nach Deutschland, in die Schweiz das mit diesem verbündete brit. Lehens-
und die Niederlande. reich Schottland, richtete zur Stärkung der
Edinburgh, nach König Edwin von Nort- Zentralgewalt 1295 das Model Parlament
humbria (7. Jh.) benannt; 1128 als königl. (so benannt wegen seiner vorbildlichen
Burg erwähnt, im 15. Jh. von den Stuarts Zusammensetzung) ein, dem außer den
als Residenz gewählt, seither Hauptstadt großen Baronen auch Vertreter der Graf-
Schottlands, 1539 Universität. schaften und Städte angehörten. 3) E. II.

241
EFTA

(1307–1327); geb. 1284, Sohn von 2), der Staufer Reichsstadt (seit 1179) mit
unfähig, musste nach der Niederlage bei Reichsburg, Mittelpunkt des von Reichs-
Bannockburn (1314) die Unabhängigkeit ministerialen verwalteten Verteidigungs-
Schottlands anerkennen; Günstlingswirt- systems gegen Osten; 1342 zu Böhmen;
schaft; abgesetzt und ermordet. 4) E. III. 1634 im Stadthaus Ermordung Wallen-
(1327–1377), geb. 1312; Sohn von 3) und steins; vor dem 2. Weltkrieg Mittelpunkt
Isabellas (Tochter Philipps IV.) von Frank- der sudetendt. Henleinbewegung.
reich, stellte vorübergehend die Lehens- Egmont, Lamoraal Graf von, Fürst von
hoheit über Schottland wieder her, löste Gavere, niederländ. Staatsmann und Heer-
durch seine Ansprüche auf den frz. Thron führer in span. Diensten, 1522–1568; be-
und durch seine Einflussnahme in Flandern siegte die Franzosen bei St. Quentin und
den ↑ Hundertjährigen Krieg mit Frank- bei Gravelingen (1557 und 1958), 1559
reich aus, siegte 1346 bei Crecy, eroberte Statthalter von Flandern; seine Opposition
1347 Calais und sicherte sich im Frieden gegen die span. Verwaltung führte zu sei-
von Bretigny 1360 seine frz. Besitzungen ner Hinrichtung durch Albas Blutgericht
gegen Verzicht auf die frz. Thronfolge; sein (zusammen mit dem Grafen Hoorn), ob-
Sohn E., Prinz von Wales, 1330–1376; we- wohl er sich nicht am Aufstand der Nie-
gen seiner schwarzen Rüstung „Schwarzer derländer beteiligt hatte. – Als Dramen-
Prinz“ gen., erfocht den entscheidenden held von Goethe idealisiert.
Sieg von Maupertuis (1356); 1363 Statthal- Ehernes Lohngesetz, eine von dem engl.
ter in Guyenne. 5) E. IV. (1461–1483); aus Nationalökonomen Ricardo und dem
dem Hause York, sicherte seine Herrschaft preuß. Sozialisten Rodbertus begr., von
in den ↑ Rosenkriegen durch Siege über Lassalle formulierte Lohntheorie, nach der
das Haus Lancaster 1471. 6) E. VI. (1547– im liberalen, kapitalist. Wirtschaftssystem
1553); geb. 1537, aus dem Hause Tudor, der Arbeitslohn auf die Dauer das Exis­
Sohn Heinrichs VIII. und der Johanna tenzminimum der Arbeiterfamilie nicht
Seymour, für den Protestantismus gewon- übersteigen könne, d. h. der Arbeiter vom
nen; die vormundschaftliche Regierung Steigen des Sozialprodukts zugunsten des
(Protektor Herzog Eduard von Somerset) Unternehmerprofits ausgeschlossen bleibe.
führte die Reformation der engl. Kirche Ehrenlegion (Legion d’honneur), einziger
durch. 7) E. VII. (1901–1910); geb. 1841, noch bestehender frz. Orden, 1802 von
Sohn Königin Viktorias, trug zur Festigung Napoleon I. zur Belohnung militär. oder zi-
der Entente mit Russland und Frankreich viler Verdienste (auch an Städte verliehen)
bei. 8) E. VIII., 1894–1972; bestieg 1936 gestiftet (5 Klassen).
den Thron und dankte noch im gleichen Ehrhardt, Hermann, dt. Freikorpsführer,
Jahr ab, um eine geschiedene bürgerliche 1881–1971; ehemaliger Marineoffizier, be­­
Frau heiraten zu können; führte seitdem teiligte sich an der Spitze der von ihm 1919
den Titel Herzog von Windsor. gegründeter (Freiwilligen-)Brigade E. 1920
EFTA, ↑ Europ. Freihandelszone. am Kapp-Putsch (↑ Kapp), bekämpfte die
Egbert, angelsächs. König von Wessex Weimarer Republik („Organisation Con-
(802–839), unterwarf Cornwallis und die sul“, deren Mitglieder die Fememorde an
angelsächsischen Königreiche (Sussex, Es- Erzberger und Rathenau begingen), emi-
sex, Kent, Mercia, Ostanglien und Nort- grierte 1934.
humberland), nannte sich König von Eng- Ehrlich, Paul, dt. Mediziner, 1854–1915;
land. entdeckte als Schöpfer der Chemotherapie
Eger, Hauptort des seit dem 10. Jh. von das Salvarsan zur Behandlung der Syphilis;
Deutschen besiedelten E.landes, zur Zeit bahnbrechende Arbeiten über Hämatolo-

242
Einflusssphäre

gie, Serologie, Immunologie; 1908 Nobel- Eideshelfer (Juratores oder Consacramen-


preis für Medizin. tales), im altgermanischen Recht Männer,
Eichhorn, 1) E., Hermann, preuß. Gene- die die Glaubwürdigkeit des Eides einer
ral, 1848–1918; im 1. Weltkrieg Führer schwurpflichtigen Person beschworen; sie
einer Heeresgruppe im Osten; in Kiew er- nahmen nicht Stellung zur Tat selbst und
mordet. 2) E., Johann Albrecht Friedrich, konnten durch die Zahl der E. des Gegners
preußischer Politiker, 1779–1856; Mitbe- überstimmt werden; bei Anschuldigungen
gründer des Zollvereins, verhalf als Kultus- gegen Edle sollten möglichst sieben, we-
minister (seit 1840) der kath. Kirche zur nigstens aber drei Hände schwören; beim
Un­abhängigkeit vom Staat und begünstig­te Reinigungseid war die Zahl der E. je nach
den orthodoxen Protestantismus, trat 1848 sozialem Rang verschieden.
zurück. 3) E., Karl Friedrich, Jurist, His­ Eidgenossenschaft, ↑ Schweiz.
toriker, 1761–1854; verdienstvoll und Weg Eigenkirchenrecht, germ. Grundsatz, nach
weisend seine „Dt. Staats- und Rechtsge- dem jeder Grundherr über die auf seinem
schichte“. Boden errichtete Kirche gebot (Aufsichts-
Eichmann, Adolf, dt. SS-Obersturmbann- recht über Klöster und Klerus, Ernennung
führer, 1906–1962; organisierte während der Geistlichen); von den deutschen Kö-
des 2. Weltkrieges Judentransporte in die nigen auch auf die Reichskirche als „E.“
Massenvernichtungslager in den besetz- ausgedehnt (Investitur von Bischöfen und
ten Ostgebieten. Nach dem Krieg floh E. Äbten); gegen dieses E. wandte sich die Be-
nach Argentinien, von dort 1960 vom is- wegung von ↑ Cluny; in Bezug auf den Kö-
raelischen Geheimdienst nach Israel ent- nig und die Ernennung der höheren Geist-
führt; 1961 zum Tode verurteilt und im lichkeit im Wormser Konkordat beseitigt.
folgenden Jahr hingerichtet. Eike von Repgow, Schöffe, Richter und
Eichstätt, Bistum in Mittelfranken, 741 Geschichtsschreiber aus Reppichau (An-
von Bonifatius gegr.; erster Bischof Willi­ halt); verfasste um 1220 den Sachsenspie-
bald, dem Erzbistum Mainz unterstellt; gel in Latein, übertrug ihn um 1235 ins
1802 säkularisiert und (endgültig 1805) zu Niederdeutsche und schrieb die „Sächs.
Bayern; 1817 Bistum wiederhergestellt; als Weltchronik“; beide Werke sind die ersten
Standesherrschaft Leuchtenberg an Eugen erhaltenen Prosaschriften in ndt. Sprache.
↑ Beauharnais, aufgelöst 1855. Einaudi, Luigi, ital. Finanzsachverständi­
Eidechsenbund, Zusammenschluss der ger von internat. Rang, 1874–1961; Vertre­
kulmischen Ritterschaft im Dt. Ordens- ter des Neoliberalismus, 1945 Finanzminis­
staat 1397, führte Eidechse (Symbol des ter; 1948–1955 erster Staatspräsident der
Vertrauens) als Abzeichen; forderte vom Republik Italien.
Dt. Orden ständische Rechte, ließ ihn im Einflusssphäre, im Zeitalter des ↑ Imperia­
entscheidenden Augenblick der Schlacht lismus geprägter Begriff zur Abgrenzung der
von Tannenberg 1410 im Stich und berei- Interessengebiete der Großmächte (im Ge-
tete den Sturz des Hochmeisters Heinrich gensatz zur Politik der „offenen Tür“), um
von Plauen vor; dieser kam den Verschwö- offene Konflikte zu verhindern: z. B. 1907
rern zuvor und ließ den Anführer Nikolaus Aufteilung Persiens in eine brit. (südl.) und
von Reny enthaupten. russ. (nördl.) E.; Grad und Methoden des
Eiderdänen, nat.-lib. Partei Dänemarks, Einflusses (wirtsch. Durchdringung, mi-
die Schleswig bis zur Eider dem dän. Staat litär. Beratung usw.) unterschiedl., doch
einverleiben wollte; ihr maßgeblicher Ein- (nominelle) Unabhängigkeit der Staaten in
fluss auf die dän. Politik 1848–1864 en- der E. zum Schein stets gewahrt. Obwohl
dete mit dem Verlust Schleswig-Holsteins. durch die antiimperialist. Publizistik verru-

243
Einhard

fen, wurde die Politik der E.n auch nach ten Verbände (z. B. Zünfte), 2) beschwo-
dem 2. Weltkrieg unter versch. Vorwänden rene Verträge und Bündnisse wie Landfrie-
und Vorzeichen fortgesetzt, bes. von der den und Strafsatzungen.
UdSSR und den USA. Eire, offizieller Name der Irischen Repu-
Einhard, Gelehrter, Baumeister, Gesandter blik (Südirland) nach der Verfassung von
und Biograf Karls d. Gr., um 770–840; seit 1937, um den nationalir. Anspruch auf die
etwa 794 am Hof Karls, dessen Freund und gesamte Insel, d. h. einschließlich des zu
polit. Ratgeber, Aufseher der kaiserlichen England gehörigen Ulster (Nordirland),
Bauten; leitete den Bau des ↑ Aachener auszudrücken; ↑ Irland.
Münsters; die von ihm in Anlehnung an Eisen, ↑ Eisenzeit. – Die Methoden der
↑ Sueton verfasste Biografie Kaiser Karls E.-Gewinnung und -Verarbeitung blieben
(Vita Caroli Magni) als Geschichtsquelle mehr als zwei Jt. lang fast unverändert, als
weithin zuverlässig. Schmelzmittel diente ausschließlich Holz-
Einheitsstaat, ↑ Unitarismus. kohle; Gusseisen kam erst im 14. Jh. in
Einkammersystem, Volksvertretung, durch Ge­brauch (bis dahin nur Schmiedeeisen);
eine einzige Kammer repräsentiert (Gegen- die bei Beginn der Neuzeit noch schwach
satz: Zweikammersystem, z. B. Unterhaus– entwickelte E.-Industrie Europas war von
Oberhaus, Senat–Repräsentantenhaus). der Wasserkraft abhängig und daher weit
Einkreisungspolitik, nach deutscher Auf- verstreut; erst das 18. und 19. Jh. brach-
fassung die Politik des engl.-frz.-russ. Drei- ten jene gewaltigen Fortschritte in der
verbandes gegenüber Deutschland vor E.-Verhüttung (mit Steinkohle bzw. Koks
dem 1. Weltkrieg; als Schlagwort erstmals statt Holzkohle), die die Grundvorausset-
durch Reichskanzler von Bülow 1906 ge- zungen für die industrielle Revolution und
braucht, also noch vor der entscheidenden das Maschinenzeitalter waren; voran ging
engl.-russ. Verständigung 1906/07; erst England, wo 1735 der erste (Koks-)Hoch-
die vergeblichen Versuche Englands, sich ofen angeblasen wurde, 1796 der erste in
mit Deutschland zu verbinden (1898 und Deutschland (Gleiwitz); weitere technische
1901), führten zur Annäherung an Russ- Neu­erungen ↑ Stahl. Die E.-Industrie ent-
land. wickelte sich zur typ. Standortindustrie
Einstein, Albert, bedeutendster Physi- mit Schwerpunkten, wie sie sich aus den
ker des 20. Jh., Mitbegründer eines neuen Fundorten bzw. billigsten Transportmög-
physikal. Weltbildes, 1879–1955; leitete lichkeiten von E.-Erzen und Kohle erga-
bis 1933 das Kaiser-Wilhelm-Institut für ben; die aufkommende „Schwerindustrie“
Physik in Berlin, emigrierte 1934 als Jude, bestimmte die Wirtschaftskraft, das Rüs­
­Pazifist und Kosmopolit nach den USA. tungspotential und die polit. Macht der
Leistungen: die Spezielle Relativitätstheo- Staaten; sie führte zu bis dahin in die­sem
rie (1905), 1916 erweitert zur Allg. Relativi­ Ausmaß nicht gekannten wirtsch. Macht-
tätstheorie; Erweiterung der Quantenme- ballungen. Die Eisen erzeugende In­dustrie
chanik, Erschließung neuer Möglichkeiten zählt zu den sog. Schlüsselindus­trien.
der Energieproduktion durch Äquivalenz- Eisenbahn, Vorläufer: Spurbahnen, die
hypothese; 1950 Allg. Gravitationstheorie; schon in der Antike bekannt waren (Stra-
machte Roosevelt auf die von ihm für mög- ßenrinnen für Wagenverkehr); im MA ge-
lich gehaltene Atombombe aufmerksam. spurte, z. T. mit Eisen beschlagene Holzboh­
1921 Nobelpreis. len (bes. in Bergwerken); Ende 18. Jh.
Einung, mittelalterlicher Rechtsbegriff; die ersten Pferdebahnen auf (zunächst
­bedeutete 1) die durch beschworene Über- guss­eisernen) Schienen, 1820 erstmals
einkunft von Standesgenossen begründe- Her­stellung gewalzter Schienen in Eng-

244
Eisenzeit

land, wo auch die ersten ↑ Lokomotiven Eisenhower-Doktrin, Kongressbotschaft


konstruiert wurden; 1822 Strecke Stock- Prä­sident E.s in der Suezkrise 1957: Die
ton–Darlington in England; 1835 Strecke Vereinigten Staaten werden sich für die
Nürnberg–Fürth, 1837–39 Leipzig–Dres- Länder des Nahen Ostens, sofern ihre Un-
den; seit Mitte 19. Jh. rapide Ausdehnung abhängigkeit und innere Freiheit bedroht
des Schienennetzes bes. in den Industrie- ist, einsetzen; praktiziert u. a. im Libanon-
staaten; Erschließung neuer Wirtschafts- konflikt 1958.
und Lebensräume; in Deutschland 1840: Eisenseiten (engl. ironsides), geharnischte
500 km, 1845: 2300 km, 1855: 8290 km, Reiter, die Elitetruppen ↑ Cromwells im
1865: 14 690 km, 1875: 27 930 km, 1885: engl. Bürgerkrieg.
37 650 km; seither E. (dt. Vorkämpfer Baa- Eisenzeit, Kulturstufe der Vorgeschichte,
der, Harkort, Motz, List) Gegenstand des gekennzeichnet durch die Verbreitung des
polit. Kampfes, in der Innenpolitik Ver- Eisens, das die Lebenswelt zunächst weit
klammerung von Staatsgebieten (Atlan- weniger veränderte, als es das Aufkom-
tik–Pazifik-Bahnen der USA und Kana- men der Bronze getan hatte (↑ Bronze-
das), Streit um Verstaatlichung (Bismarck zeit); Meteor-Eisen wahrscheinlich schon
hatte die Reichseisenbahn vergeblich an- im Neolithikum genutzt; in Ägypten me-
gestrebt), anfangs auch Auseinandersetzun­ teor. Eisen in der Pyramidenzeit verein-
gen um E.-Spekulationen und -Skandale zelt bekannt, doch beharrte Ägypten bis
(bes. in der Gründerzeit); in der Außen- um die Zeitwende im Allgemeinen bei der
politik der Großmächte Verwicklungen Bronze. Eisen aus Erdlagerstätten in größe-
durch E.-Bauten in ihren ↑ Einflusssphä- rem Umfang zuerst in Kleinasien genutzt,
ren (z. B. Mandschur. Bahn, Bagdadbahn); von wo es im 10. Jh. v. Chr. in die ägäische
zudem Revolutionierung der Kriegführung Kultur eindrang und hier als Werkme-
durch die E.: rascher Aufmarsch von Mas- tall neben die Bronze trat; die Illyrer ver-
senheeren (erstmals von Preußen 1866 und breiteten seine Kenntnis über den Balkan;
1870 durchgeführt). um die gleiche Zeit fand es sich neben der
Eisenhower, Dwight David, nordamerik. Bronze in Italien und im Donautal; im üb-
General und Politiker, 1890–1969; ­ leitete rigen Mitteleuropa in Form von eisernen
1942/43 die alliierten Landungen in N- Messern, eisernen Schmuckteilen an Waf-
Afrika und Sizilien und als Oberkomman- fen, seit etwa 800 v. Chr. (ältere Eisenzeit
dierender der Westalliierten (seit Dez. 1943) bis etwa 400 v. Chr. ↑ Hallstattzeit); Eisen-
die ↑ Invasion in Frankreich 1944 bis zum geräte neben Bronzegeräten; vermutlich
militär. Zusammenbruch Deutschlands; waren die Erschöpfung der Kupfer- und
brach im Mai 1945 den Vormarsch bei Zinnlager und das Übermaß an bronze-
Erreichen der in Jalta mit der UdSSR ver- nen Grabbeigaben die Ursache, das reich-
einbarten Linien ab und bestand auf der lich vorhandene Eisen zunehmend aus-
bedingungslosen Kapitulation aller dt. zuwerten; durch die ↑ Kelten wurde es ab
Streitkräfte; danach Oberbefehlshaber der 500–400 v. Chr. zum allg. gebräuchlichen
Besatzungstruppen und Mitglied des Kon- Werkmetall (Jüngere Eisenzeit, ↑ Latène–
trollrats, bis 1948 Chef des Generalstabs Kultur). – In Inner­asien kamen Eisen-
der USA, 1951 Oberbefehlshaber der At- geräte im 1. Jh. v. Chr. vor, in Japan um
lantikpakt-Streitkräfte (NATO); trat 1952 300 v. Chr., in China erst in nachchristl.
zurück; Präsidentschaftskandidat der Re- Zeit, in Amerika durch die Entdecker, in
publikanischen Partei, siegte nach hartem Afrika (außerhalb des Nordens und Sü-
Wahlkampf 1952 über den Demokraten dens) folgte die E. im Allg. (ohne Bronze-
Stevenson; 2. Präsidentschaft 1956–1960. zeit) der Steinzeit.

245
Eiserne Front

Eiserne Front, 1931 gegr. Abwehr-Massen- birgsgletschern aus durch Erdbahnschwan-


organisation der SPD, der Gewerkschaften, kungen, Veränderungen in der Zusam-
Arbeitersportverbände, des „Reichsban- mensetzung der Luft oder (wahrschein-
ners“ gegen die Massenorganisationen des licher) durch pulsierende Veränderung der
Nationalsozialismus und Kommunismus. Sonneneinstrahlung auf die Erde erklärt;
Eiserne Krone („eisern“ wegen eines ein- kein plötzlicher Beginn der Vereisung,
gelegten Eisenreifes, der aus einem Nagel sondern vor etwa 1 Mio. Jahren langsamer
vom Kreuz Christi geschmiedet sein soll), Übergang zu kälterer Witterung; volles
als Königinnenkrone im 9. Jh. geschaffen; Einsetzen vor 600 000 Jahren; größte Ver-
später Königskrone von Italien, mit der gletscherung in Europa und Nordwestruss-
Konrad III., Karl V., Napoleon I. und 1838 land 13 Mio. km², auf der Erde einschließ-
Kaiser Ferdinand I. von Österreich gekrönt lich der Südhalbkugel etwa 50 Mio. km²
wurden. umfassend; in den Tropen, bes. in Afrika,
Eiserner Vorhang, polit. Schlagwort, nach in dieser Zeit Regen und Dürreperioden
dem 2. Weltkrieg von Churchill geprägt; mit Wüstenbildungen bzw. Urwaldreich-
bezeichnete die Maßnahmen, mit denen tum und in den Warmzeiten Wiederbe-
die UdSSR ihren Einflussbereich im Zei- grünung der Wüsten (z. B. der Sahara);
chen des beginnenden kalten Krieges her- die Abfolge von Kalt und Warm ließ die
met. abzuriegeln versuchte. Meere steigen (vielleicht Erklärung für
Eisernes Kreuz, preuß.-deutsche Kriegs- die „Sintflut“) oder sinken und veränderte
auszeichnung, 1813 gestiftet (Entwurf von vielmals das geogr. Bild (starker Druck
K. F. Schinkel in Anlehnung an das Kreuz der Eismassen auf das Festland, das nach
des Dt. Ordens), 1870, 1914 und 1939 er- der E. anstieg; Bildung des engl. Kanals,
neuert; zwei Klassen, zusätzlich Großkreuz Moränenlandschaften, Stromtäler, Bin-
und Goldener Stern (nur an Blücher und nenseen, Festland­senkung im Mittelmeer,
Hindenburg verliehen); im 2. Weltkrieg Schollenerhe­bun­gen in Zentralasien, Ent-
Rit­terkreuz und Großkreuz. stehung der indo­nes. Inselwelt, Bildung
Eisner, Kurt, dt. Linkssozialist. Schrift- der Ostsee u. a.). Die Klimaänderungen
steller und Politiker, 1867–1919; radikaler wandelten das Ausweichen, die Wieder-
Kriegsgegner; 1918 Führer der Revolution kehr oder Neuzuwanderung von Völkern
in Bayern und bayer. Ministerpräsident, in und ihre Anpassung an neue Umwelten,
München vor seinem beabsichtigten Rück- das Bild des Menschen und der Tier- und
tritt ermordet (Folge war die Ausrufung Pflanzenwelt. „Klassische“ Hauptgliede-
der [ersten] Räterepublik). rung der E. benannt nach der Donau bzw.
Eiszeit, großräumige Vergletscherungen nach 4 Donaunebenflüssen im einst ver-
schon in der Urzeit der Erde (Kam- gletscherten Alpenvorland (die Flussna-
brisch-algonische E.) und im Erdaltertum men geben mit ih­ren Anfangsbuchstaben
(Permo-karbonische E.); die für die Ent- die zeitliche Reihenfolge an) oder – für den
wicklung des Menschen wichtigste war europäischen Norden  – von mittel- und
die E. der Nachtertiärzeit, des Quartärs osteurop. Flüssen (in Klam­mern angefügt):
(Di­luvium [lat., Sintflut] oder Pleistozäns Der früheste Käl­te­einbruch trägt den Na-
[griech., Zeit viel neuen Lebens]); diese E. men der Donau, die erste eigentliche Kalt-
war das Zeitalter der allmählichen Entfal- zeit (Glazial) den Namen des Donaune-
tung und Verbreitung der heutig. Mensch- benflusses Günz, die 2. und 3. Kaltzeit
heit (↑ Paläolithikum). Die Veränderung die Namen der Donaunebenflüsse Mindel
der Erdoberfläche durch den Vorstoß des (im Norden Elster) und Riss (im Norden
Inlandeises vom Pol und von den Hochge- Saale), die letzte Eiszeit den der Würm

246
Eiszeitkunst

(im Norden Weichsel), eines Abflusses des relle und Font de Gaume 1901 führten zur
Starnberger Sees. Die Hauptwarmzeiten allmählichen Anerkennung der Funde als
(Interglaziale) zw. den Kaltzeiten wurden eiszeitliche Schöpfungen. Bis heute wur-
mit Günz–Mindel-, Min­del–Riss-, Riss– den 70 Bilderhöhlen in Frankreich, 34 in
Würm-Zwischenzeit (bzw. -Warmzeit), die Spanien, zwei in Italien, eine in Deutsch-
Nacheiszeit mit Alluvium, d. h. Zeit der land mit mehreren tausend Bildern und
Anschwemmung, be­zeichnet; die entspre- Skulpturen erschlossen. Ergiebigste Fund-
chenden Bez. für N-Amerika: Nebrascan stellen sind Altamira in Spanien, Lascaux
(Günz), Kansas (Mindel bzw. Elster), Yar- in Frankreich (Departement Dordogne),
mouth (Mindel–Riss), Illinoian (Riss bzw. Schischkino an der oberen Lena (Sibirien).
Saale), Sangamon (Riss–Würm), Wiscon- Die Künstler gehörten noch der Epoche
sin (Wärm bzw. Weichsel). Volle Entfal- der Freibeuter, umherschweifenden Jäger
tung der Eiszeitabschnitte: Donau-Kaltzeit und Sammler an; Ackerbau, Viehzucht,
vor mehr als 600 000 Jahren, Günz-Kalt- Töpferei waren unbekannt, aber es bestand
zeit um 550 000, Günz–Mindel-Warmzeit schon Tauschhandel. Vorstufen des zeich-
um 500 000, Mindel-Kaltzeit um 400 000, nenden und malenden Kunstschaffens wa-
Mindel–Riss-Warmzeit um 300 000, Riss- ren Ritzzeichnungen mit Feuersteinstichel
Kaltzeit um 200 000, Riss–Würm-Warm- auf Steinplatten, Geweih- und Elfenbein-
zeit um 100 000, die Würm-Kaltzeit um stücken, Wurf­stäben, Harpunen, Mammut­
80 000 mit zwei Erwärmungsperioden um stoßzähnen und Schulterblättern, vermut-
60 000 und 40 000; Ende der E., von Sü- lich auch auf Holz; anfangs ornamentale
den nach Norden abklingend, um 15 000– Stri­chelungen, Wellenlinien, Schachbrett-
12 000. Nach stärkerem Wärmevorstoß muster, Verschlingungen, Mäander; dann
(Al­leröd-Schwankung um 10 000) erfolgte erste Blütengebilde, Umrisse von Tieren,
der Durchbruch zu gemäßigtem Klima um erste Tierfiguren aus gebranntem Lehm,
8 000 (Boreal), doch wurde eine vorüber- menschliche Gestalten (Venus von Willen-
gehende Warmperiode (Atlantikum) noch dorf in der Wachau); Farben: Ockergelb
um 6 000 verzeichnet. (Zur Menschheits- bis Rot aus brauneisenhaltigem Ton, Kalk-
und Kulturentwicklung in der E. ↑ Paläo- steinweiß, Holzkohle- oder Pechschwarz;
lithikum.) Tierblutrot, ↑ Kupfergrün und Blau aus
Eiszeitkunst, die früheste bekannte „Bil- Kupferverbindungen; Zerstoßen mit Stein­
derschrift“ der Menschheit (bildhafter mörser, Zerreiben auf Reibplatten; Auftra-
Ausdruck von Wünschen, Ideen und Ge- gen der Farben im Licht steinerner Fett-
danken), aufschlussreich für die Lebens- lämpchen mit der Hand, mit Spachtel,
weise der Vorzeitmenschen, ihre religiösen Haar­pinsel, Fellstücken oder Blasrohr; pla-
und magischen Vorstellungen (Zauberbe­ stische Wirkung durch Ausnutzung von
schwörungen), ihr Wirtschaften und ihre Felsunebenheiten. Die E. entfaltete sich
Wande­rungen, auch für die tierische Um- in 3 Stufen: 1) lineare Epoche (nur Ge-
welt. Die Entdeckungsgeschichte begann staltumrisse: Zeit des ↑ Aurignacien, seit
1840 (Broillet fand im Dep. Vienne einen etwa 40 000 v. Chr.); 2) malerische Epo-
gravierten Knochen); bedeutend das Auf- che (Darstellungen mit räumlicher Tiefe,
finden von Gravierungen durch Lartet seit mit Licht und Schatten; frühes ↑ Magdalé-
1860 in der Dordogne; 1863 wurden die nien, ab 20 000 v. Chr. mit Höhepunkt im
Bilder von La Madeleine, 1879 von Alta- mittleren Magdalénien); 3) Rückkehr zum
mira entdeckt. Aber erst die Entdeckung linearen Umriss (spätes Magdalénien),
der Höhlenbilder von La Mouthe 1895, bis etwa 10 000 v. Chr. und Ende der Eis-
von Pair-non-Pair 1896, von Les Comba- zeitkunst; sie fand in der Nacheiszeit ihre

247
Ekbatana

Fortsetzung in der mehr und mehr stilisie- bensgebiete bestimmenden ↑ Koran inzw.
renden Felsbildkunst Ostspaniens, Skandi- auch Na­turwissenschaft und moderne Spra­
naviens, Russlands einschließlich Sibiriens, chen; Ausbildung und Entsendung islam.
vor allem in Nordafrika (↑ Sahara) in der Missionare besonders in die afrikanischen
Zeit von 10 000 bis etwa 2 000 v. Chr. Länder; Pflege und Verbreitung der arab.
Ekbatana (jetzt Hamadan), Hauptstadt Sprache und Kultur; dogmat. und moral-
des Medischen Reiches; um 700 v. Chr. von theolog. Gutachtertätigkeit.
Dejokes gegr., später Sommerresidenz der Elba, Insel im Mittelmeer zw. Korsika und
Achämeniden und parth. Könige und Auf- dem ital. Festland; im Altertum im Besitz
bewahrungsort des Staatsschatzes. von Puniern, Griechen, Etruskern und Rö-
Eknomos (heute Monte Sant Angelo), mern, berühmt wegen ihrer Eisengruben;
Felskap an der Südküste Siziliens, vor dem im 10. Jh. an Pisa, 1290 an Genua, dann
311 v. Chr. die Karthager über die Syraku- an Spanien, 1736 an Neapel; 1814/15 als
saner, 256 v. Chr. die Römer unter Regulus Fürstentum Verbannungsort Napoleons I.,
über die Karthager siegten. 1815 an Toscana, 1860 an Piemont.
Elagabal (M. Aurelius Antonius Helio- Elbe, in Mitteldeutschland stromabwärts
gabalus), röm. Kaiser (218–222 n. Chr.); seit etwa 500 n. Chr. Grenze zw. Slawen
mit 14 Jahren auf dem Thron, angeblich und Deutschen, danach in Auswir­kung der
Sohn Caracallas, vorher Oberpriester des deutschen Ostkolonisation seit dem 10. Jh.
syrischen Sonnengottes E. (griech. Helio­ annähernd Grenze zw. dem alten Reichs-
gabalos), den er zum Hauptgott Roms er- boden und dem dt. Kolonialboden „Ost-
klärte; wegen seiner despot. Herrschaft und elbiens“, vor allem Brandenburg-Preußens,
wüsten Ausschweifungen ermordet. das bei seinem Aufstieg zur Großmacht
Elam, altoriental. Reich im westl. Iran, zwar auch nach Westen über die Weser bis
nördl. des Persischen Golfs, östl. von ↑ Ak- zum Rhein ausgriff, doch durch sein Vor-
kad, bestand schon im 3. Jh. v. Chr., Haupt- dringen nach Osten über die Oder und
stadt Arvan, dann Susa. Die Herkunft der Weichsel seinen Schwerpunkt immer östl.
Elamiter ist noch ungeklärt, ihre Spra- der E. behielt und sich durch den Tilsiter
che, das Elamitische, erst z. T. erschlossen; Frieden 1807 vorübergehend mit der E.
sie benutzten die Keilschrift ihrer westl. als Westgrenze abfinden musste. Sozial-
Nachbarn, der kulturell überlegenen ↑ Su- geschichtlich bedeutsam wurde die E. als
merer; nach wechselvollen Kämpfen gegen Trennungslinie der dt. Agrarverfassung:
Akkad und Babylon, das von ihnen nach Die ostelb. ↑ Gutsherrschaft unterschied
1200 zeitweise beherrscht wurde, geriet E. sich wesentlich von der ↑ Grundherrschaft
schließlich unter die Herrschaft seines Erb- in West- und Süddeutschland. Auch durch
feindes Assyrien; 639 v. Chr. eroberte As- die Zweiteilung Deutschlands nach dem
surbanipal Susa; anschließend persisch. 2. Weltkrieg wurde die E. z. T. wieder zu
El-Azhar („die Glänzende“), 972 n. Chr. ­einer innerdt. Grenze zwischen zwei grund-
von den ↑ Fatimiden in ihrer neuen Haupt- verschiedenen Wirtschafts- und Sozialord-
stadt Kairo erbaute islamische Universität, nungen. Gleichzeitig verlor sie erheblich an
heute unter Aufsicht der ägypt. Regierung; Wert als Schifffahrtsweg. Die E.-Schifffahrt
einflussreichste theolog. Hochschule des wurde im alten Dt. Reich durch Dutzende
Islam (12 000 Studenten aus vielen mo- von Zöllen, Stapelrechten usw. behindert;
hammedanischen Ländern), Symbol der die E.-Schifffahrtsakte von 1821 blieb we-
Einheit des Islam (Kairo durch E.-A. gei- gen Sonderinteressen der Uferstaaten ohne
stiges und polit. Kraftfeld in der Welt des Auswirkung, und erst durch Gesetz des
Islam); neben dem Studium des alle Le- Norddt. Bundes wurde 1870 die Freiheit

248
Elektrizität

der E.-Schifffahrt verwirklicht; 1919–1936 zu Schaukämpfen. Im MA wurden Kriegs-


war die E. internationalisiert. E. im Orient eingesetzt.
El-Bekri, arab. Geograf, schrieb 1069 in Elektrizität (griech.), beim Reiben von
Cordoba das „Buch der Wege und König- Bernstein stellten schon die Griechen eine
reiche“, bedeutend für das Afrika im MA. Anziehungskraft leichter Körperteilchen
Eldorado, ↑ Dorado. fest. Den Namen E. gab der englische Arzt
Elea, in Süditalien um 540 v. Chr. als Ko- Gilbert um 1600, der dieselben Merkmale
lonie der Phokäer gegr., Sitz der ersten be- außer bei Bernstein auch bei Glas, Harz
kannten Philosophenschule des Altertums und Edelsteinen entdeckte. Damit begann
(Eleaten), die um 450 blühte, begründet die E.s-Lehre, doch wurde bis Mitte 19. Jh.
von Xenophanes; berühmteste Vertreter die E. nur zu Experimentierzwecken ver-
Parmenides und Zenon. wendet, erst von da an techn.-industrielle
Elefanten, „Panzerwaffe“ der Antike ne- Auswertung in stürm. Entwicklung. – An-
ben dem Streitwagen, doch ebenso selten fang 17. Jh. konstruierte O. von Guericke
wie dieser von schlacht-, nie von kriegs- die erste Elektrisiermaschine; 1727 ent-
entscheidender Bedeutung; ihre Stärke lag deckte Gray den Unterschied zw. Leitern
im Überraschungsmoment und in der mo- und Nichtleitern (Isolatoren), also die
ral. Wirkung auf einen unerfahrenen und Leitbarken des Stromes bei bestimmten
undisziplinierten Gegner, ihre Schwäche Stoffen, 1773 Du Fay die Anziehung und
in der Empfindlichkeit gegen Klima- und Abstoßung der Pole, 1789 Galvani und
Futterwechsel bei Verwendung auf frem- Volta den Galvanismus (Berührungs-E.).
den Kriegsschauplätzen (Hannibal ver- Davy (1778–1829) zersetzte mit Strom
lor bei seinem Alpenübergang fast sämtl. Alkalien; 1820 fand Örstedt durch Zufall
Kriegs-E.), ihrer Reizbarkeit und Schreck- den Elektromagnetismus; 1826 entdeckte
haftigkeit, die mitunter die eigenen Linien Ampere die gegenseitige Einwirkung der
gefährdete. Zu Kriegszwecken erstmals ab- elektr. Ströme; 1827 fand Ohm die Gesetze
gerichtet von den Indern (seit Alexanders der Stromstärke (Ohmsche Gesetze); 1831
d. Gr. Indienzug den Griechen bekannt), erkannte Faraday die Induktion; 1833 bau-
mit Vorliebe verwendet von den Kartha- ten Gauß und Weber einen elektro­magne­
gern. Die Hauptausrüstung der Kriegs-E. tischen Telegrafen, 1835 Morse den Fern-
bestand in einem meist gepanzerten Turm, schreiber; 1838 erfand Jacobi die Galva-
der mit Speerschleuderern und Bogen- noplastik, 1839 Steinheil die elektr. Uhr;
schützen besetzt war, zudem reizten die 1854 Heinrich Göbel die Glühlampe
Führer ihre Tiere dazu auf, die feindlichen (1879 neu durch Edison); 1865 entwi-
Soldaten niederzutrampeln. In der Regel ckelte Maxwell die elektromagnet. Licht-
kamen nicht über 20 E. in einer Schlacht theorie; 1866 erkannte Siemens das dy-
zum Einsatz, diese Anzahl brachte auch namoelektr. Prinzip (für die Konstruktion
Pyrrhus von Epirus nach Italien mit; durch leistungsfähiger Dynamomaschinen und
ihn sahen sich die Römer Kriegs-E. gegen- später der Elektromotoren als wichtigsten
über. Nach anfänglichem Schrecken stell- Antrieb im Maschinenzeitalter); 1879 bau-
ten sie sich darauf ein: Sie bildeten Gassen, ten Siemens und Halske nach der elek-
in die die angreifenden E. hineinliefen, wo trischen Straßenbahn die elektr. Lokomo-
sie mit Feuerbränden scheu gemacht und tive, 1882 Edison das erste E.s-Werk; 1888
ihre vom Hauptheer abgeschnittene Besat- wies Hertz die elektromagnetischen Wellen
zung vernichtet werden konnte, indes sich nach; 1896 erfand Marconi die drahtlose
die vorderen Schlachtreihen wieder schlos- Telegrafie und 1906 der österr. Physiker
sen. Die Römer selbst verwendeten E. nur Robert von Lieben die Elektronenröhre.

249
Elemente

Neue Erfindungen auf dem Gebiet der Elis, fruchtbare griech. Landschaft auf dem
Elektronik z. B. Braunsche Röhre, ↑ Fern- Peloponnes; am Fluss Alpheios der heilige
sehen und in der Datenverarbeitung. Tempelbezirk ↑ Olympia.
Elemente, Urstoffe oder Grundbausteine Elisabeth, Name von Herscherinnen. Eng-
der Materie; nach Auffassung der antiken land: 1) E. I. (1558–1603); geb. 1533,
griech. Philosophen Wasser, Feuer, Luft Tochter Heinrichs VIII. und der Anna Bo­
und Erde; nach Aristoteles nicht verschie- leyn, eine der bedeutendsten Frauen auf
dene Grundstoffe, sondern verschiedene dem englischen Thron, erfüllte nach dem
Er­scheinungsformen einer einzigen Ur- katholischen Regime ihrer Stiefschwester
materie. Die Lehre von vier (für unwan- Maria der Katholischen (gest. 1558) die
delbar gehaltenen) E.n gelangte über die Hoffnungen des antipäpstlichen und anti-
Araber nach Westeuropa und ging in die span. England, stellte die anglikan. Staats-
↑ Alchimie des MA ein, erweitert durch kirche wieder her, unterdrückte Katholiken
den Grundsatz der drei alchimist. E. Salz, und Presbyterianer, vermied Konflikte mit
Schwefel, Quecksilber; überwunden erst im dem Parlament, ließ ihre Thronrivalin Ma-
17. Jh. durch Boyle (1627–1691), der den ria Stuart nach mehrjähriger Gefangen-
naturwissenschaftl. Begriff des Elementes schaft hinrichten und behauptete sich sieg-
festlegte (↑ Atomzeitalter, Chemie). reich gegen Philipp II. von Spanien (1588
Eleonore von Aquitanien (von Poitou), Vernichtung der Armada). 1584 wurde die
um 1122–1204, Tochter Wilhelms X. von von Raleigh gegr. erste engl. Kolonie in
Aquitanien; vermählte sich 1137 mit Lud- Nordamerika nach der unvermählten Kö-
wig VII. von Frankreich, 1152 in 2. Ehe nigin „Virginia“ benannt (↑ Elisabethan.
mit Heinrich von Anjou, Herzog der Nor- Zeitalter). 2) E. II., geb. 1926, Symbol des
mandie und Graf von Anjou, Maine und Empire, Tochter Georgs VI., dem sie 1952
Tours, dem späteren Heinrich II. von Eng- auf den Thron folgte, seit 1947 mit Prinz
land: westliche Hälfte Frankreichs fiel als Philip Mountbatten (aus dem griech. Kö-
„Mitgift“ an England; E. war die Mutter nigshaus, Herzog von Edinburgh) verhei-
von Richard Löwenherz. ratet; von den Schotten nur als E., nicht
Elephantine, altägyptische Kultinsel bei E. II., anerkannt. – Frankreich (Orléans):
Assuan am 1. Nilkatarakt, befestigter Sperr­ 3) E. Charlotte, Herzogin von Orléans,
riegel gegen ↑ Nubien; berühmter erhalte­ ↑ Liselotte von der Pfalz. – Österreich:
ner Nilpegel; Jahwe-Tempel. 4) E., Kaiserin, 1837–1898; Schwester
Eleusis, altgriech. Küstenstadt, mit Athen Herzog Karl Theodors von Bayern, seit
durch die „heilige Straße“ verbunden; be- 1854 Gattin Franz Josephs, bemüht um
rühmte Geheimkultstätte (Fruchtbarkeits- Ausgleich mit Ungarn, in Genf von einem
kult); Demeter und Persephone zu Eh- Anarchisten ermordet. – Pfalz: 5) E., Kur-
ren wurden hier alljährl. zweimal große fürstin, 1596–1662; Tochter Jakobs I. von
Weihen und Prozessionen abgehalten, die England, seit 1613 Gattin Friedrichs V.
Eleusin. ↑ Mysterien, die Athen seinen Vor­ von der Pfalz, des ↑ „Winterkönigs“ von
machtideen dienstbar machte. Böhmen. – Preußen: 6) E. Christine, Kö-
Elfenbeinküste, afrikan. Staat, 15.–19. Jh. nigin, 1715–1797; braunschweig. Prinzes-
Aschantireich im Innern, um 1700 „Reich sin, seit 1733 Gattin Friedrichs d. Gr., von
des goldenen Stuhles“ , steigerte den von dem sie seit 1740 getrennt lebte. – Rumä-
Ghana übernommenen Goldhandel; seit nien: 7) E., Königin, 1843–1916; Prinzes-
Anfang des 19. Jh. frz. Einflussgebiet, seit sin von Wied, seit 1869 mit Karl (Carol) I.
1893 Kolonie, 1960 in die Unabhängigkeit verheiratet; Schriftstellername war Carmen
entlassen. Sylva. – Russland: 8) E. Petrowna, Zarin

250
Elsass

(1741–1762); geb. 1709, Tochter Peters 1945 Wiedereinführung der Verfassung


d. Gr., gelangte durch Palastrevolution auf von 1886 (präsidiale Republik). 1960 Mi-
den Thron, ausschweifend, Günstlingswirt­ litärputsch linker Kreise, 1962 neue Verfas-
schaft; im 7-jährigen Krieg aus persönl. sung. Seit der Wahl Carballos zum Präsi-
Grün­den gegen Friedrich d. Gr., den ihr denten 1962 antikommunistische Politik,
Tod aus verzweifelter Lage rettete („Mira- die sein Nachfolger Hernandez fortführte.
kel des Hauses Brandenburg“); gründete Seit 1978 wachsende Unruhe v. a. unter
1755 die erste russ. Universität (in Mos- den Bauern, die 1979 in Botschaftsbeset-
kau) und 1758 die Akademie der Künste zungen und Geiselnahmen gipfelte; Sturz
(in Petersburg). – Spanien: 9) E., Tochter des Staatspräsidenten H. Romero (seit
König Heinrichs II. von Frankreich und 1977) durch Militärputsch, fortan regierte
Katharinas von Medici, 1545–1568; nach eine 5-köpfige Junta aus Militär und christ-
der Auflösung ihrer Verlobung mit dem demokrat. Politikern. März 1980 Ermor-
Infamen Don Carlos seit 1559 mit des- dung des oppositionellen Erzbischofs von
sen Vater Philipp II. vermählt. 10) E. Far- San Salvador, Oscar Arnulfo Romero; da-
nese, Königin, 1692–1766; seit 1714 (2.) raufhin beschleunigter Zusammenschluss
Gemahlin Philipps V., stürzte mit ihrem der Opposition in der Frente Democrático
Günstling Alberoni Spanien in außenpoli- Revolucionario (FDR); Ausbruch eines
tische Abenteuer, um ihren Söhnen Throne Bür­gerkriegs, der 1980 etwa 10 000 Men-
zu verschaffen. – Thüringen: 11) E. die schen das Leben kostete und in Form eines
Heilige, Landgräfin 1207–1231; Tochter Guerillakampfes fortgesetzt wurde. 1980–
Andreas’ II. von Ungarn, 1221 vermählt 82 und seit 1984 Staatspräsidentschaft des
mit dem Landgrafen Ludwig IV., der vom Christdemokraten José Napoleón Duarte.
Kreuzzug nicht heimkehrte (1227); verließ Der von ihm angebotene „nationale Dia­
die Wartburg und fand einen Herrschafts- log“ mit allen demokrat. Kräften schei-
sitz in Marburg, wo sie seit 1229 unter der terte; 1989 Regierung unter Führung der
strengen Leitung ihres Beichtvaters Kon- rechtsgerichteten Partei ARENA. 1992
rad von Marburg ein Leben der Askese, Friedensabkommen, das u. a. die Demo-
Andacht und aufopfernden Nächstenliebe kratisierung der Armee, Bodenreformen
führte; 1235 heiliggesprochen. und die Einhaltung der Menschenrechte
Elisabethanisches Zeitalter, Regierungs- zum Inhalt hatte; 1993 Generalamnestie
zeit der engl. Königin ↑ Elisabeth I. (1558– für Bürgerkriegsverbrecher, die 2000 wie-
1603), Blüte von Schifffahrt und Han- der aufgehoben wurde. Ebenfalls 2000
del (↑ Kaperfahrten Drakes, Ostindische Ein­führung des US-Dollars als Zweitwäh-
Kompanie) wie des Geisteslebens (↑ Ba- rung zur Stabilisierung der wirtsch. La­ge.
con, Shakespeare). Seit 2000 Parlamentsmehrheit der FMLN,
El Salvador, mittelamerik. Republik; aber Regierung der ARENA unter Präsi-
1524/25 von dem Spanier Alvarado unter­ dent Elías Antonio Saca (seit 2004).
worfen, von Indianern bewohnt, unter- Elsass, zw. Rhein und Wasgenwald (Voge-
stand bis 1821 dem spanischen Generalka- sen); Name von Alesaciones = Alemannen;
pitän von Guatemala, dann mit Guatemala, ursprünglich von Kelten besiedelt, seit dem
Honduras, Costa Rica bis 1839 im mittel- 1. Jh. v. Chr. Eindringen ger­man. Stämme;
amerik. Bund; 1841 Freistaat; 1842–45, nach dem Sieg Cäsars über Ariovist
1895–98 und 1921/22 erneut mit anderen (58 v. Chr. ) römisch: neue Siedlungen Au-
mittelamerik. Staaten föderiert; mehrmals gusta Rauricorum (Augst bei Basel), Mons
Kriege mit Guatemala; 1886 demokra- Brisiacus (Altbreisach), Ar­gen­toratum
tische Verfassung, abgelöst von Diktaturen; (Straß­burg), Tabernae (Zabern) u. a.; seit

251
Elsass-Lothringen

der Mitte des 4. Jh. n. Chr. von Alemannen dt. Sprache und Kultur, erfolgreich durch
bewohnt, 496 im fränk. Reich Chlodwigs, die werbende Kraft der Revolutionsideen.
im 7. und 8. Jh. eigene Herzöge, 843–870 Wunsch der dt. Patrioten nach Rückgliede-
beim Reich Lothars, seitdem zum ostfränk. rung des E. 1815 unberücksichtigt, (↑ E.-
(dt.) Reich, seit 925 Teil des Herzogtums Lothringen).
Schwaben; Blüte in der sächs. und staufi- Elsass-Lothringen, durch den Frankfurter
sche Zeit (neue Burgen der Ministerialen Frieden 1871 an Deutschland als „Reichs-
und Städte; Pfalz Hagenau); territoriale land“ unter kaiserlichem Statthalter abge-
Zersplitterung seit 1268 (Ende des Hauses treten. Die große Mehrheit der Bevölke-
Hohenstaufen): Landgrafschaft Ober-E. rung protestierte gegen die Angliederung
(Sundgau) im Besitz der Habsburger; Land­ (15 elsass-lothring. „Protestler“ im Reichs-
grafschaft Unter-E. unter den Bischöfen tag 1874), ein Teil optierte für Umsiedlung
Straßburgs; habsburg. Stifte, Reichsvogtei nach Frankreich; dazu aktive frz. Kulturpo-
über die Städte; freie Reichsstadt Straß- litik, Verbundenheit der Intelligenzschicht
burg; seit 1354 Zehnstädtebund, in dem (Notabeln) mit Frankreich; Missstimmung
Hagenau führte; bedeutender Beitrag zur auch wegen allg. dt. Dienstpflicht, Verwal-
dt. Geistesgeschichte des MA und der tung durch reichsdt. (preuß.) Beamte, Vor-
Reformationszeit (Otfried von Weißen- enthaltung der Autonomie (bis 1911) trotz
burg, Gottfried von Straßburg, Johannes der Qualität der dt. Verwaltung und der
Tauler, Geiler von Kaysersberg, Wimpfe­ wirtsch. Blüte. Uneinheitliche Politik der
ling, Sebastian Brant, Thomas Murner, Statthalter, noch verwickelter durch kultur-
Martin Butzer). Im 15. Jh. vergebliche Er- polit. Forderungen der kath. Kirche. 1913
oberungsversuche Frankreichs (Armagna- weiterer Rückschlag durch ↑ Zabernaffäre.
ken 1445) und Burgunds (Karl d. Kühne); – Im 1. Weltkrieg Wiedererstarken der Sym­
Bauernkrieg 1525; Eroberungsversuche pathien für Frankreich, 1918 Rückgliede­
Heinrichs II. (nach der Auslieferung von rung an Frankreich begrüßt, doch aus kul-
Metz, Toul und Verdun 1552) vor Straß- turpolit. Gründen (Schulgesetze) starke
burg abgewiesen. Im 30-jährigen Krieg E. Autonomiebewegung. Förderung der el-
Durchmarschgebiet der Spanier, Heimsu- sässischen Irredenta durch das nat.-soz.
chung durch die Schweden und schließlich Deutschland. Bei Ausbruch des 2. Welt-
Vordringen Frankreichs; Richelieu erfolg- krieges der Führer der Autonomisten,
reich im „Trümmerfeld links des Rheins“ Roos, von den Franzosen erschossen, 1940
(machtpolit.-strateg., nicht national moti- dt. Besetzung von E.-L. und Loslösung von
viert), begünstigt durch die geheime Ab- Frankreich (keine förml. Annexion), Um-
tretung der habsburgischen Rechte an der siedlung vieler Franzosen und mit Frank-
span. Linie Habsburgs. Im Westfälischen reich Sympathisierenden, Einberufungen
Frieden 1648 Abtretung dieser Rechte an zur dt. Wehrmacht; 1944/45 Rückerobe-
Frankreich, absichtlich in unklarer Fassung rung durch die Alliierten; Erneuerung der
(beiderseits Wunsch nach Auslegung im alten Departementseinteilung.
eigenen Interesse). Die ↑ Reunions­politik Emanuel, Könige von Portugal, ↑ Manuel.
Ludwigs XIV. gipfelte im Raub Straßburgs Emanzipation, bei den Römern Freilas­
1681. Im 18. Jh. Gesicht des E. noch dem sung einer Person aus der Gewalt des
Rhein zugewandt, rege kulturelle Beziehun­ Haus­vaters (pater familias); später allge-
gen zum Reich, Frage nach der nationalen mein die Befreiung aus einem Zustand der
Zugehörigkeit erst durch die Frz. Revolu- Abhängig­keit oder Beschränkung: E. der
tion aufgerollt. Restliche dt. Besitzungen Frauen (Wahlrecht, Zulassung zu den Uni-
von Frankreich eingezogen, Kampf gegen versitäten usw.) im 19. Jh.; E. der Juden

252
Emigranten

(Gleichberechtigung als Staatsbürger) im Frankreich noch mehr verhasst; die Pari-


Gefolge der Frz. Revolution; E. der Katho- ser Revolutionsregierung stellte Ächtungs-
liken in England 1829 durch Aufhebung listen mit 30 000 Namen auf, die Güter der
der ↑ Testakte; E. der Bauern durch Auflö- E. wurden eingezogen, der Verkehr mit ih-
sung der feudalen Agrarverfassung; E. der nen unter Todesstrafe gestellt; nach Bona-
Unternehmer und Lohnarbeiter von dem partes allg. Amnestie 1799 kehrten viele E.
Reglement des Merkantilismus. nach Frankreich zurück, der bourbonen-
Emerson, Ralph Waldo, nordamerik. Phi- treue Rest erst 1814, erhielt aber Vermö-
losoph und Dichter, 1803–1882; von be- gen und Güter nicht zurück, sondern 1825
deutendem Einfluss auf das Geistesleben eine Entschädigung in Rentenpapieren,
der USA, mit Carlyle befreundet und stark die 1831 zugunsten des Staates eingezo-
vom dt. philosoph. Idealismus beeinflusst; gen wurden. – Nach 1815 wurde Frank-
forderte eine Vergeistigung des Lebens zur reich selbst das Ziel von E., bes. aus Ita-
Wahrung der Würde des Menschen. lien und Deutschland, die vor der Metter-
Emesa (heute Homs), syr. Stadt, in der nichschen Reaktion bzw. den Demagogen­
Antike Tempelheiligtum des Helios (als verfolgungen flüchteten. Massenemigra­tio­
Ober­priester der spätere Kaiser ↑ Elaga- nen lösten auch das Scheitern der poln.
bat); 272 n. Chr. Sieg des Kaisers Aurelian Aufstände und der Revolution 1848–1849
über Zenobia, anschließend Verpflanzung aus; in der 1. Hälfte des 19. Jh. war Paris
des Baal-Dienstes nach Rom (Staatstem- Zentrum der europ. Emigration und der
pel 274); 1098 von Kreuzfahrern erobert; polit. Revolutionäre. In der 2. Hälfte des
1516–1918 osmanisch. 19. Jh. wurden die nationalen und demo-
Emigranten (lat. emigrare, auswandern), krat. Freiheitskämpfer abgelöst von emi-
Flüchtlinge, die ihr Vaterland als Opfer grierten Sozialisten und Anarchisten: das
politischer, konfessioneller, sozialer oder Emigrationsgefälle verlief von Osten nach
natio­naler Unterdrückung oder aus eige- Westen: Russland–Deutschland–Westeur-
nem Entschluss aus Protest gegen das dort opa–USA. Die E. wählten Zufluchtsländer,
herrschende Regime verlassen; als Massen­ in denen sie Gesinnungsfreunde fanden
erscheinung meist der ersten Gruppe zu- (z. B. begeisterte Aufnahme der poln. E. bei
gehörig. Markante Beispiele in der Neu- den dt. Demokraten im Vormärz) oder in
zeit die Massenemigration der ↑ Huge- denen sie mit weitgehender Toleranz oder
notten (↑ Refugiés), der Salzburger Exu- Asylrecht (Schweiz) rechnen konnten; ihre
lanten (↑ Firmian), der kath. Irländer, der Aufnahme führte mitunter zu diplomat.
Gegner der Frz. Revolution aus Frank- Verwicklungen (Auslieferungs- bzw. Aus-
reich, die als E, zu einem spezif. histor. Be- weisungsbegehren, Forderung nach Ver-
griff des Zeitraums 1789–1815 wurden: bot der polit. Weiterbetätigung u. a.). – Im
Es waren die meistgehassten Vertreter des nat.-soz. Deutschland kamen zu polit. E.
Ancien régime, an ihrer Spitze die Ange- (ca. 35 000 Menschen) die E. wegen rass.
hörigen des Hauses Bourbon, fast der ge- Verfolgung (bis Okt. 1941 emigrierten ca.
samte Hochadel, später auch Geistliche 500 000 Menschen jüd. Abstammung). Im
und reiche Bürger; sie stellten in Koblenz Nachkriegsdeutschland kursierte zeitweilig
eine Gegenregierung und ein E.-Heer un- der Begriff der „Inneren E.“, mit dem v. a.
ter dem Prinzen Condé auf, das 1792 mit Intellektuelle ihre Anpassung an den Na-
den Armeen der Verbündeten in Frank- tionalsozialismus als nur scheinbar, die E.
reich einmarschierte; ihre Verbindung mit dagegen als verantwortungslos Geflohene
auswärtigen Höfen, ihre Unbelehrbarkeit, darstellen wollten. – Die großen polit.
Anmaßung und Rachsucht machten sie in und territorialen Veränderungen nach dem

253
Emin Pascha

2. Weltkrieg ließen die Emigration (neben Endlösung der Judenfrage, nat.-soz. Bez.
der ↑ Vertreibung), zunächst in den ostmit- für den Plan, die europ. Juden zwangsweise
teleuropäischen Staaten und der Ukraine, in bestimmte Gebiete umzusiedeln bzw.
dann auch in Teilen Asiens und Afrikas, durch millionenfache Morde, bes. in den
zum Schicksal für Millionen Menschen KZ und Vernichtungslagern, auszurotten;
wer­den. die verschleiernde Bezeichnung tauchte
Emin Pascha (Eduard Schnitzer), dt. Afri- erst­mals im Vorfeld des Russland-Feld-
kaforscher, 1840–1892; 1865 türkischer zuges auf, er­hielt ihren mörder. Sinn dann
Arzt, seit 1876 in ägyptischen Diensten, 1942 bei der ↑ Wannsee-Konferenz; der E.
Übertritt zum Islam; 1878 Gouverneur fielen rd. 5 Mio. Juden zum Opfer.
von Äqua­torialafrika, das er gegen den Enea Silvio, ↑ Pius II.
↑ Mahdi behauptete, obwohl seit 1883 völ- Engelbert von Köln, Erzbischof, um
lig abgeschnitten; 1888 von Stanley befreit, 1185–1225, erst Parteigänger Philipps von
besiegte er die Mahdisten und trat 1890 in Schwaben, später Friedrichs II.; seit 1216
dt. Dienste, erforschte die ostafrikanischen Erzbischof, reorganisierte das zerrüttete
Seen; wurde am Kongo von arab. Sklaven- Erzbistum, wurde 1220 Vormund Hein-
händlern ermordet. richs (VII.) und als weitblickender Reichs-
Emir (arab. Herrscher), Titel der (wirkl. verweser „des Reiches Schutz und Schirm“;
wie angebl.) Nachkommen Mohammeds, 1225 von Friedrich von Isenburg erschla-
der unabhängigen arab. Stammeshäupt- gen (Wehklage Walthers von der Vogel-
linge und einiger Würdenträger des Os- weide über seinen Tod, Biografie des Cae-
man. Reiches, auch einiger islam. Dynas­ sarius von Heisterbach).
tien (z. B. der Omaijaden in Spanien; bis Engels, Friedrich, dt. sozialist. Theoreti-
1926 des Herrschers von Afghanistan). ker, Mitbegründer des wiss. Sozialismus
Empire, Bez. für das Kaiserreich Napole- oder ↑ Marxismus, 1820–1895; Sohn eines
ons I., Napoleons III. und das brit. Welt- rhein. Textilindustriellen, in der Jugend
reich. Junghegelianer, kam durch Feuerbach zum
Emser Depesche, telegraf. Bericht aus Ems Materialismus; seit 1842 in Verbindung
vom Juli 1870 an Bismarck über König Wil- mit Karl ↑ Marx, mit dem ihn lebenslange
helms I. Unterredung mit ↑ Benedetti über Freundschaft und das gemeins. Werk ver-
die Thronkandidatur eines Hohenzollern band; lernte aus eigener Anschauung in
in Spanien; Bismarck ließ sie in verkürzter Manchester (Filialbetrieb des Vaters) die
und dadurch verschärfter Form veröffent- Arbeiterfrage und die engl. Frühsozialisten
lichen, um auch nur den Anschein einer (Chartisten, Owen-Anhänger) kennen,
Demütigung Preußens zu verhindern und schrieb 1845 „Die Lage der arbeitenden
das in Prestigefragen empfindliche Frank- Klassen in England“; Abkehr von Hegel;
reich zu provozieren: Damit löste er die frz. verfasste mit Marx 1847/48 für den „Bund
Kriegserklärung aus (↑ Dt.-Frz. Krieg). der Kommunisten“ in London das „Kom-
Emser Punktation, Übereinkunft, die die munist. Manifest“, gründete mit ihm in
Erzbischöfe von Mainz, Trier, Köln und Köln die „Rheinische Zeitung“, emigrierte
Salzburg 1786 abschlossen, um Autonomie als Teilnehmer am pfälz.-bad. Aufstand
und Unabhängigkeit gegenüber den päpst- nach London und unterstützte Marx mate­
lichen Nuntien zu erlangen, von Joseph II. riell wie geistig. Nach dessen Tod galt er als
unterstützt, von Friedrich Wilhelm II. Haupt des internationalen Sozialismus, von
verworfen; die Bischöfe unterwarfen sich bes. Einfluss auf die dt. Sozialdemokratie.
1789; der Ansatz zu einer dt. Nationalkir- Hauptwerke: „Der Ursprung der Familie,
che scheiterte. des Privateigentums und des Staates“, „Die

254
England

Entwicklung des Sozialismus vom der Uto- 899) organisierte. Erneute Däneneinfälle
pie zur Wissenschaft“. führten zur (normann.) Dänenherrschaft
Engelsburg, die antike Moles Hadriani 1016–1042; unter Knut d. Gr. von Dä-
(Hadrians Grabmal), 136–139 n. Chr. als nemark und Norwegen (1016–1053) war
50 m hoher Rundbau in Rom am Tiber er- fast ganz E. Teil des dän. Nordseeimpe-
baut, im MA Festung der Päpste bis 1870, riums. 1066 setzte der normann. Herzog
ben. nach dem Erzengel Michael. Wieder- der Normandie Wilhelm (der „Eroberer“)
holt belagert und erstürmt; berüchtigt die mit einem Heer nach E. über, siegte in der
Belagerung 1527 durch die Landsknechte Schlacht bei ↑ Hastings über die Teilkö-
Karls V. (↑ Sacco di Roma). nige, eroberte ihre Staaten, ließ sich zum
Enghien, Heinrich von Bourbon, Herzog König wählen und krönen; Einführung des
von E., frz. Emigrant, Opfer eines Justiz- normann.-frz. Lehensrechtes (1400 könig-
mordes, 1772–1804; auf Befehl Bonapar­ liche Lehensträger), Stärkung der Königs-
tes unter Bruch des Völkerrechts aus Ba- gewalt, deren Einflussbereich auch die Nor-
den nach Frankreich entführt und unter mandie auf dem Festland umgriff; zentrale
der Anschuldigung der Teilnahme an einer Verwaltung (↑ Domesday Book 1083–86),
Verschwörung erschossen. Beendigung der Normanneneinfälle aus
England (Anglia, Land der Angelsach- dem dän. Raum; am Hof Wilhelms I., des
sen), südl. Hauptteil der brit. Insel, polit. Eroberers, frz. Sprache und Kultur, Kir-
der Kern Großbritanniens und des engl. chen-, Palast- und Klosterbauten in „nor-
Weltreiches. Zur Urgeschichte ↑ Paläolithi- mann. Romanik“. Die Enkelin Wilhelms,
kum, Mesolithikum, Neolithikum; in der Mathilde, heiratete Gottfried von Anjou-
Bronze- und Eisenzeit Eindringen der Kel- Plantagenet, ihr Sohn Heinrich (II.) wurde
ten (↑ Briten); schon früh von seefahrenden Thronfolger: Die Krone E.s ging an das
Völkern wegen seines Reichtums an Zinn Haus ↑ Anjou-Plantagenet über (1151–
aufgesucht. Zeit der röm. Herrschaft: 55 1399); Heinrich II. (1154–1189) legte
und 54 v. Chr. von Cäsar betreten und die durch die Heirat mit ↑ Eleonora von Aqui-
Eroberung eingeleitet; in der 2. Hälfte des tanien den Grund zum ↑ Angevin. Reich,
1. Jh. n. Chr. von den Römern unterwor- das außer E. halb Frankreich und das
fen (43 röm. Feldzug, SO-Britannien röm. 1170–1175 unterworfene Irland umfasste.
Provinz Britannia); 57 n. Chr. Aufstand; Die Schwächung des Königtums in den
78–84 von Agricola bis zum ↑ Piktenwall Auseinandersetzungen mit dem Papst (E.
in Schottland unterworfen; um 410 n. Chr. wurde 1213 päpstliches Lehen) und durch
von den Römern geräumt. – Zeit german. Niederlagen auf dem Festland (Schlacht
Könige: Seit 449 n. Chr. wurde E. im SO bei ↑ Bouvines 1214, Verlust der meisten
von Jüten, Angeln und Sachsen (Angel- Festlandsbesitzungen) benutzten 1215 die
sachsen) erobert; ein Teil der Vorbewohner großen Lehensherren (Barone), ↑ Johann
floh aufs europ. Festland, in die Bretagne; Ohneland die ↑ Magna Charta abzuzwin-
Gründung mehrerer angelsächs. Kleinkö- gen; während eines erneuten Aufstands der
nigreiche, die sich bis zur Irischen See aus- Barone (1260–65) verschmolzen niederer
dehnten; seit Anfang des 7. Jh. Einführung Adel und das Bürgertum der großen Städte
des Christentums; zum führenden angel- unter Führung Simons von Montfort zum
sächsischen Teilkönig­reich wurde Wessex, dritten polit. Faktor, doch behielt das Kö-
das unter schweren Kämpfen gegen die nigtum die Oberhand; entscheidende Aus-
↑ Normannen (Dänen) im 9./10. Jh. einen bildung des Parlaments durch Hinzuzie-
angelsächs. Gesamtstaat errichtete, dessen hen von Vertretern der Grafschaften und
einheitl. Verwaltung ↑ Alfred d. Gr. (871– Städte (Unterhaus) 1265 bzw. 1295; unter

255
England

↑ Eduard I. 1277–1282 Einverleibung des mus (E. = „Das neue Israel“); trotz des eng-
keltischen Wales; das vorübergehend be- lischen Sieges über die spanischen Armada,
herrschte Schottland ging 1344 (Schlacht trotz verwegener Freibeuterei (↑ Drake)
bei Bannock­burn) wieder verloren; im und der Überseearbeit der ↑ Ostind. Kom­
14. Jh. setzte sich die englische Sprache panie (gegr. 1600) zunächst nur geringe
(das alte Angelsächsisch vermischt mit dem überseeische Expansion (E. hatte in die-
Fran­zösisch der Normannen) auch am Hof ser Zeit nur 4 Mio. Einwohner); erst un-
durch (anstelle der frz. Hofsprache). 1339– ter dem Hause Stuart (seit 1603 Perso-
1453 ↑ Hundertjähriger Krieg um das Erbe nalunion E.-Schottland) Anfänge des engl.
in Frankreich, im ersten Abschnitt erfolg- Kolonialreiches. – Haus Stuart und die
reich, endete schließlich mit Verlust auch Re­vo­lution (1603–1688): Die Thronfolge
der noch verbliebenen engl. Festlandsbesit- trat, da Elisabeth I. unvermählt geblieben
zungen (außer ↑ Calais). Regierende Häu- war, König Jakob (I.) von Schottland, der
ser: Lancaster 1399–1461, York bis 1485. Sohn der ↑ Maria Stuart, als nächstberech-
Die Ausblutung des Adels setzte sich in den tigter Nachfolger an; die Neigung Jakobs I.
↑ Rosenkriegen, im Bürgerkrieg zwischen (1603–1625) und Karls I. (1625–1649)
den Häusern Lancaster (Rote Rose) und zum Absolutismus (höf. Luxus, Steuererhe­
York (Weiße Rose), 1455–1485 fort; an bung ohne parlamentarische Bewilligung,
die Stelle der fast ausgerotteten Hocharis­ stehendes Heer usw.) forderte das von
tokratie trat die neue ↑ „Gentry“, das Bau- den Puri­tanern beherrschte Parlament zu
erntum blieb weiter bedrückt (↑ Bauernle- offe­nem Widerstand heraus, führte 1640
gen), dagegen überwand das wirtschaftlich zum Bürgerkrieg, in dem die von Oliver
auf­blühende Bürgertum alle Rückschläge ↑ Cromwell geführten Parlamentstruppen
(erfolgreiche Konkurrenz gegen das flandr. den Sieg davontrugen, und endete mit
Tuchgewerbe, das im MA die englischen der Enthauptung Karls I., doch blieben
Wolle verarbeitet hatte, und gegen den Republik und Diktatur Cromwells verfas-
Han­del der Hanse). Neuer Abschnitt in sungsrechtliche Episoden; durch ihn zu-
der Geschichte E.s unter dem Hause Tudor nehmende außenpolit. Aktivität: Ausbil-
(1485–1603): starke Königsmacht (ergebe­ dung eines geschulten Seemannsstandes;
nes Unterhaus), innere Stabilität, Loslö- Begrün­dung der englischen Vormacht zur
sung von Rom (unter Heinrich VIII.) und See im Kampf gegen Holland (↑ Navigati-
Begründung der ↑ anglikan. Staatskirche, onsakte 1651), 1654 Festsetzung auf dem
Säkularisierung des Kirchengutes (Erlös in span. Jamaika. 1660 Restauration der kath.
Küstenbefestigungen angelegt) und Ver- Stuarts (Karl II., der Sohn Karls I., 1660–
staatlichung der Pfründen (Entmachtung 1685); im Kampf um die königl. Rech­te
des hohen Adels), Knechtung des kath. Ir- (↑ Test­akte, Habeascorpusakte) Bildung
land, Ausschaltung des fremden Handels der beiden großen Parteien (↑ Tories und
(Schließung der Hanseniederlassungen), Whigs), beide gegen Absolutismus und
Abwehr des spanisch-kath. Universalismus, kath. Thronfolge; in der „Glorious Revo-
För­derung von Handel und Gewerbe – al- lution“ 1688–89 Absetzung des kath. Kö-
les im Rahmen einer bewussten Inselpoli- nigs Jakob II., des Bruders Karls II., und
tik unter Verzicht auf festländ. Machtpo- Berufung des protestant. Erbstatthalters
sitionen; Höhepunkt dieser Entwicklung der Niederlande Wilhelm (III.) von Ora-
(Aufgabe der letzten Festlandsbesitzung nien auf den engl. Thron (1689–1702);
Calais) unter ↑ Elisabeth I. (1558–1603); Entstehung des modernen Staates Groß-
Erwachen des englischen Sendungsbewusst­ britannien (ab 1689); Wiederherstellung
seins durch das Eindringen des ↑ Calvinis­ der engl. Staatskirche, Politik des ↑ Gleich-

256
Entdeckungen

gewichts; durch das Grundgesetz der ↑ Bill gelangte etwa 325 v. Chr. zu den Orkney-
of Rights (1689) Ausschaltung des Absolu- Inseln und evtl. in die Ostsee. Alexander
tismus und Begründung der (ersten) parla- d. Gr. wollte bis zu den Ostgrenzen der
mentar.-konstitutionellen Regierungsform bewohnten Welt vorstoßen (Indienzug
unter Garantie der ständischen Rechte und 327–325 v. Chr.), aber sein meuterndes
Freiheiten des Volkes (Vorbild für europä- Heer zwang ihn zu verfrühter Umkehr; auf
ischen Rechts- und Verfassungsstaaten); in dem Rückzug Um­segelung Arabiens durch
das parlamentar. System der wirtsch. sehr die makedonische Flotte. Die Römer tru-
aktive Adel einbezogen; Teilnahme E.s an gen vor allem aus macht- und militärpo-
der „Großen Allianz“ gegen ↑ Ludwig XIV. lit. Gründen zur Erschließung neuer Ver-
und am ↑ Span. Erbfolgekrieg (Eroberung kehrswege und unbekannter Gebiete bei
Gibraltars 1704); nach Ausschaltung der (↑ Afrika). Unter Augustus und Tiberius
kath. Thronanwärter durch den ↑ Act of Kundfahrten in die Libysche Wüste und
Settlement 1714 Thronfolge des protestan- zum mittleren Nillauf, unter Claudius ins
tischen Hauses Hannover (bis 1837) und Atlasgebirge; Agricola umsegelte 84 n. Chr.
damit (widerwillig) erneute Ver­strickung in ganz Britannien, vermutlich auch Durch-
die Geschicke des europ. Festlandes. 1707 querung der Sahara bis zum Tschadsee
durch Verschmelzung der Parlamente von durch röm. Expedition. Doch keine plan-
E. und Schottland Begründung des „Verei- vollen und großzügigen E.-Fahrten, da die
nigten Königreichs“ von Großbritannien, Römer kein Seefahrervolk, zudem geringer
das im Kampf mit Frankreich (erfolgreicher Wissensdrang. Ingesamt Schifffahrt der Al-
See- und Kolonialkrieg 1744–47) den Weg ten Welt nur Küstenschifffahrt, „Weltver-
zur Weltmacht beschritt. (Weitere histor. kehr“ des Röm. Reiches auf „terra cognita“
Entwicklung ↑ Großbritannien.) (bekanntes Land) beschränkt, machte im
Entdeckungen, der Europäer, Hauptmo- Allg. vor dem großen Ozean und den Tro-
tive im Altertum: Suche nach Gold und penzonen halt (obwohl vereinzelt schon
anderen Metallrohstoffen, nach Nahrung, Handelsverkehr mit ↑ Indien und China).
Gewürzen, Sklaven, neuen Handelswegen, – Seit etwa 1 000 n. Chr. wurden die ↑ Ara-
auch geogr. Wissenstrieb. Die Ägypter un- ber aus wissenschaftlichen, ↑ machtpolit.,
ternahmen vermutlich um 2360 v. Chr. die missionar. und Handelsgründen zu Ent-
erste Fahrt nach dem Lande ↑ Punt (Su- deckern: Erkundung großer Teile Südost-,
dan- oder Eritrea- oder Somaliküste), er- Ost- und Westasiens, der afrikan. Sudan-
forschten vor dem 10. Jh. v. Chr. große zone (Sultanat Kanem-Bornu am Tschad-
Gebiete des oberen Nil, die Phöniker er- see, Niger-Stadt Timbuktu, islamischer
reichten im 5. Jh. v. Chr. die Azoren; beide Haussastaaten, Vor­stoß bis ins Königreich
Völker fuhren zu den Küsten Ostafrikas Ghana). – Die ↑ Normannen befuhren um
und Arabiens zum Warenaustausch und 1 000 n. Chr. den Atlantik, siedelten auf
Sklavenerwerb. Um 600 v. Chr. umfuhren Island, entdeckten Grönland (↑ Erik der
(nach Herodot) Phöniker im Auftrag des Rote) und erreichten das Festland Norda-
ägypt. Königs Necho ganz Afrika von Ost merikas (↑ Leif ). – Westeuropas Interesse
(Rotes Meer) bis West (Straße von Gibral- im MA galt dem Fernen Osten, dem Wun-
tar). Der Phöniker (Karthager) Hanno ge- derland Indien und sagenhaften China.
langte um 510 v. Chr. bis Kamerun. Die Zunächst kei­ne direkte Verbindung, son-
Griechen lösten die Phöniker als führen- dern Vermittlung durch die Araber und
des Seefahrervolk ab, sie erforschten und Mongolen. Als erster Europäer zog Marco
besiedelten die Küsten des Schwarzen Polo 1271–95 durch ganz Asien. – Beginn
Meeres; der griech. Kaufmann ↑ Pytheas der eigentlichen europ. E.-Geschichte erst

257
Entebbe

im 15. Jh.; wichti­ges Hilfsmittel: der Kom- Magellan 1519–1522, damit Beweis für
pass. Entscheidender Anstoß durch den den um das Doppelte größeren Erdumfang
Fall Konstantinopels (1453) und durch als bis dahin vermutet und für den Zusam-
den Bankrott der von ihren Handelsver- menhang der Weltmeere erbracht. – Fort-
bindungen abgeschnittenen ital. Städte; gang der E. im Zeichen des europ. Kolo-
Ersatz für den Orienthandel: Suche nach nialismus und der modernen Wissenschaft;
einem Seeweg zu den Gewürzländern Ost- Vervollkommnung der Navigationsmetho-
indiens; andere bestimmende Motive: der den (↑ Landkarten). 1585–87 entdeckte
abendländ., der Antike unbekannte Drang Davis die Davis­straße, 1594–97 erforschte
in die Ferne, Abenteuerlust und Kreuz- Barents Nowaja Semlja und das Karische
zugsgeist; führend zunächst die Genuesen Meer, seit 1603 erkundeten die Franzo-
(Kanarische Inseln); dann die Portugiesen sen (Champlain) die Ströme Kanadas,
(planmäßige naut. Vorbereitungen unter 1609–10 entdeckte Hudson die Hudson-
↑ Heinrich dem Seefahrer): Sie umfuhren bai und den Hudsonfluss, 1616 Baffin die
1415 Kap Nun, 1433 Kap Bojador, 1441 Baffnbucht, 1642 Tasman in der Südsee
Kap Blanco, 1445 Kap Verde, 1447 Kap Tasmanien und Neuseeland; 1728 durch-
Leone; fuhren 1455 auf dem Senegal, 1483 fuhr Bering die Beringstraße zw. Asien
auf dem Kongo ins innere Afrika; 1486 er- und Amerika, 1768 erreichte Bougainville
reichte Bartholomeu Diaz die Südspitze die Salomoninseln, Tahiti und Neugui-
Afrikas, und 1498 verwirklichte Vasco nea, 1768–80 befuhr Cook alle Weltmeere
da Gama den Plan der Afrikaumsegelung und umrundete die südl. Halbkugel. – Im
(Kap der Guten Hoffnung) und in Fortset- 19. Jh. Erforschung Innerafrikas: 1850–55
zung der Umfahrung die Überquerung des Barth; 1852–59 und 1867–73 Livings-
Ind. Ozeans; er legte damit den Grund zur tone; 1863–67 und 1878 Rohlfs; 1869–74
europ. Herrschaft in Vorder-(Ost-)Indien. Nachtigal; 1869–70 Schweinfurth; 1874–
– Gleichrangiges Entdeckervolk neben den 77 Stanley; 1876–92 Emin Pascha. Die
Portugiesen die Spanier, in ihrem Dienst geogr. und kulturellen Rätsel Asiens er-
↑ Kolumbus, der durch die falschen Erd- forschten bes. 1868–72 von Richthofen;
umfangsberechnungen der Zeit zur Fahrt 1894–1897, 1899, 1905–1908 Sven He-
nach Westen angeregt wurde und glaubte, din; 1904, 1926–28 Filchner. Im Kampf
in San Salvador, Kuba, Haiti „westind.“ um den Nordpol zeichneten sich 1888
Inseln gefunden zu haben. Span.-portug. Nansen und 1903–1906 Amundsen aus;
Rivalität um den Besitz der neuentdeckten 1909 erreichte Peary den Pol. Im Wettlauf
Länder durch Festlegung der Demarkie- zum Südpol blieb Amundsen 1911 Sieger
rungslinie 1494 (Vertrag von Tordesillas) vor Scott. – Nach dem 1. Weltkrieg Einsatz
geschlichtet. 1497 entdeckte Caboto Labra­ moderner techn. Hilfsmittel (1926 überflo-
dor und Neufundland, 1500 Cabral Brasi- gen Amundsen und Nobile mit Luftschiff
lien. Der an einer portug. Expedition nach den Nordpol, 1929 Byrd mit Flugzeug den
Südamerika beteiligte Florentiner Amerigo Südpol). 1921 zog die erste Mount-Everest-
↑ Vespucci hielt als Erster die entdeckten Expedition zur Bezwingung des höchsten
Landteile für einen eigenen Kontinent. Berges der Welt aus, die erst 1953 Hillary
Damit begann die Zeit der Abenteurer und gelang. Durchforschung der Antarktis und
Eroberer, der Konquistadoren (↑ Pizarro, anderer Erdzonen seit 1957 im (verlänger-
↑ Cortes); Balboa überschritt 1513 die ten) Internat. Geophysikal. Jahr.
Landenge von Panama und gelangte als ers- Entebbe, Stadt in Uganda, als brit. Mili-
ter Europäer an die westl. „Südsee“ (Stiller tärposten gegr.: 1978 Schauplatz einer von
Ozean). Höhepunkt: Weltumseglung des Präs. Amin gedeckten Flugzeugentführung

258
Enzyklika

und spektakulären Geiselbefreiung durch z. T. erheblich. Das von der UN ausgege-
ein israel. Antiterror-Kommando. bene Ziel, 0,7 % des Bruttosozialprodukts
Entente, im engeren Sinne ↑ E. cordiale, (BSP) als E. zur Verfügung zu stellen, errei-
das 1904 (Verständigung über Nordafrika) chen nur wenige Länder. Ursprüngl. Ziel
eingeleitete „herzliche Einverständnis“ zw. von E. in den 1950er und 60er Jahren war
Frankreich und England, das im 1. Welt- schnelle Industrialisierung und Moderni-
krieg seinen Höhepunkt erreichte. Seit der sierung der Staaten der Dritten Welt durch
engl.-russ. Verständigung 1907/08 sprach Nachahmung der westl. Entwicklung; in
man von der Triple-E. (↑ Dreiverband), den 60ern und 70ern forderten die Staa-
schließlich war E. während des 1. Weltkrie­ ten der Dritten Welt stärkere Mitsprache,
ges im weiteren Sinn gleichbedeutend mit in den 80ern und 90ern verstärkte Ausrich-
↑ Alliierte. Die 1920 unter frz. Protek­torat tung der E. auf auf Liberalisierung, Priva-
geschlossene sog. Kleine E. zw. der Tsche- tisierung und Reformen in den Entwick-
choslowakei, Jugoslawien und Rumä­nien, lungsländern, freie Marktwirtschaft ent-
bis 1938 bestehend, umfasste die Siche- scheidend für die Überwindung von Unter-
rung gegen territoriale Revisionsansprüche entwicklung erkannt, Fokus der E.-Politik
Österreichs und bes. Ungarns und gegen auf Verbesserung der konkreten Lebensver-
habsburg. Restaurierungsabsichten. hältnisse, z. B. durch verbesserte Trinkwas-
Entnazifizierung, Maßnahmen zur Aus- serversorgung, Konzept der nachhaltigen
schaltung nat.-soz. Einflüsse aus dem öf- Entwicklung wurde zentral.
fentl. Leben, 1945 von den alliierten Sieger­ Enver Pascha, türk. General und Politiker,
mächten eingeleitet. Übertragung der E. Führer der Jungtürken, 1881–1922; Seele
auf dt. Spruchkammern, unterschiedliche der jungtürk. Revolution 1908, des türk.
Hand­habung in einzelnen Besatzungszo- Widerstands in Tripolis und im Balkan-
nen. Nach der Gründung der Bundesrepu- krieg, Kriegsminister und Oberbefehlsha-
blik verlor die E. an polit. Bedeutung. ber im 1. Weltkrieg; floh nach dem türk.
Entwicklungshilfe, Hilfsmaßnahmen der Zusammenbruch in den Kaukasus, arbei-
entwickelten Welt an die Dritte Welt. Un- tete zunächst mit den Sowjets zusammen
terscheidung zw. staatl. und nichtstaatl. E. und fiel schließlich im Kampf gegen die
Staatl. E. im Rahmen multinationaler Or- Rote Armee.
ganisationen (↑ UN, IWF, Weltbank u. a.) Enzio (ital. Heinrich), König von Sardi-
oder in bilateraler Entwicklungszusam- nien, um 1220–1272; illegitimer Sohn
menarbeit; Nicht-Regierungsorganisatio­ Kaiser Friedrichs II., zeitweise Generalle-
nen (Hilfsorganisationen, Kirchen u. a.) gat des Kaisers für Italien (Rückgewinnung
leisten ebenfalls einen z. T. erhebl. Beitrag von Spoleto und der Mark Ancona; Kampf
zur E. Reichweite, Umfang, Art und Ziel gegen die kaiserfeindlichen Städte); 1249–
von E. haben sich seit Ende des 2. Welt- 1272 in Gefangenschaft der Bolognesen;
kriegs stark verändert. Im Zuge der Deko- E. war einer der ersten ital. Lyriker und
lonisierung von den ehem. Kolonialmäch- Idealbild stauf. Rittertums.
ten zur Sicherung ihres polit. Einflusses, Enzyklika, Rundschreiben des Papstes an
während des O-W-Konflikts z. T. zur Ge- die Bischöfe der Welt oder eines Landes,
winnung von Bündnispartnern eingesetzt. hrsg. bei bes. Anlass, enthält die grundsätz-
Mit Ende des O-W-Konflikts sanken die liche Stellungnahme des Vatikans zu aktu-
Zuwendungen deutlich ab, Gelder aus der ellen politischen, sozialen oder kulturellen
UdSSR und den Staaten des O-Blocks ent- Problemen; E.en werden nach ihren An-
fielen völlig, die USA, die europ. Staaten fangsworten (meist lat.) benannt, z. B. 1864
und Japan reduzierten ihre Hilfsleistungen (Pius IX.) „Quanta cura“ gegen die Weltan-

259
Enzyklopädisten

schauung des Liberalismus; 1907 (Pius X.) tern fortnahm und in Staatserziehung gab,
„Pascendi domini“ gegen die Zeitirrtümer; dauerte die E.-Zeit bis zum 30. Lebensjahr;
1937 (Pius XI.) „Mit brennender Sorge“ dann erst durfte der „Jungmann“ heiraten.
gegen den Nationalsozialismus; 1950 „Hu- Ephesus (griech. Ephesos), bedeutende
mani generis“ (Pius XII.) gegen die Säku- antike Handelsstadt an der Küste Klein-
larisierung des Dogmas; Sozialenzykliken: asiens, um 1100 v. Chr. als Kolonie der Io-
1891 (Leo XIII.) „Rerum novarum“ gegen nier gegr.; 356 v. Chr. wurde der berühmte
die Auswüchse des Kapitalismus und den Artemistempel von ↑ Herostratos in Brand
Sozialismus, fortgesetzt und ergänzt 1931 gesteckt, wieder aufgebaut gehörte er zu
(Pius XI.) durch „Quadragesimo Anno“ den 7 ↑ Weltwundern; 133 v. Chr. wurde
für eine christl. Sozialordnung und 1961 E. römisch; 88 v. Chr. ließ Mithradates alle
(Johannes XXIII.) durch „Mater et Magis­ Römer ermorden; E. war 56–58 n. Chr.
tra“ für soz. Gerechtigkeit in der Lebens- Wirkungsstätte des Apostels Paulus (Ephe­
welt der Gegenwart. 1968 Ehe­enzyklika serbriefe); um 262 wurde E. von den Go-
„Humanae vitae“ Pauls VI., Ablehnung der ten niedergebrannt, seit 1426 in der Hand
Empfängnisverhütung. der Türken. Seit 1863 große englische,
Enzyklopädisten, urspr. die Herausgeber seit 1895 österr. Ausgrabungen. Neueste
und Mitarbeiter der 35-bändigen frz. En- Funde: Thermen und Rathaus mit dem
zyklopädie 1751–1772, unter Leitung von Hestia-Tempel.
↑ Diderot und d’Alembert; zu ihnen ge- Ephialtes, 1) E., griech. Verräter, der
hörten auch ↑ Voltaire und ↑ Montesqieu. 480 v. Chr. den Persern den Weg in den
Da sie die Vernunftideale und den Empi- Rücken der Spartaner bei den ↑ Thermopy-
rismus der Aufklärung gegen kirchliche, len zeigte; geächtet und erschlagen. 2) E.,
staatliche und wiss. Autoritäten vertraten, demokrat. Politiker in Athen, 462 v. Chr.
versteht man unter E. alle Wortführer des ermordet; Zeitgenosse und Mitarbeiter des
Rationalismus oder des philosophischen Perikles, entscheidend die von ihm einge-
Ma­terialismus der Zeit, auch wenn sie an leitete Verfassungsreform (Entmachtung
der Enzy­klopädie nicht unmittelbar betei- des Areopags und Demokratisierung).
ligt waren (↑ Aufklärung). Ephoren (griech. ephoroi, Aufseher), Be-
Epaminondas, theban. Feldherr und Politi- amte in Sparta seit dem 8. Jh. v. Chr.; Kör-
ker, um 420–362 v. Chr.; siegte 371 v. Chr. perschaft von 5 Mitgliedern, die, auf ein
dank der von ihm eingeführten „schie- Jahr von der Volksversammlung gewählt,
fen Schlachtordnung“ und der „Heiligen die Oberaufsicht über die Staatsverwaltung
Schar“ bei ↑ Leuktra gegen die Spartaner (auch über den König) hatte und allein be-
und begründete zus. mit ↑ Pelopidas für rechtigt war, die Volksversammlung einzu-
10 Jahre die Vormachtstellung Thebens in berufen.
Griechenland; in der siegreichen Schlacht Epidauros, griech. kultischer Kurort in der
bei Mantinea (362) fand er gegen Sparta- Argolis am Saronischen Golf, in der Antike
ner und Athener den Tod; ↑ Philipp von berühmt durch das Heiligtum des Äskulap;
Makedonien trat sein Erbe an. Orakel und Heilstätte, von der zahlreiche
Epheben, die zur Mannbarkeit herange- Wunderkuren (durch Schlaf im Tempel)
reiften und mündig gewordenen Jünglinge behauptet wurden; unter den Ruinen das
Griechenlands (Aufnahme in die Bürger­ besterhaltene griech. Theater.
liste); in Athen dauerte die vormilitär. und Epigrafik, histor. Hilfswissenschaft, Samm-
sportl. Ephebenausbildung in den Gym- lung und Ausdeutung von Inschriften; be-
nasien vom 16. bis 18. Jahr; in Sparta, das deutende Sammlungen: Corpus Inscriptio-
die Knaben schon mit 6 Jahren den Müt- num Latinarum; C. I. Graecarum; Inscrip-

260
Erdöl

tiones Graecae, Sammlungen kleinasiat., fläche, bestimmte die Schiefe der Ekliptik,
semit., etrusk. Inschriften. maß zwischen Alexandrien und Assuan die
Episkopat (griech. episkopos, Aufseher), Meridianentfernung und errechnete daraus
Amt und Würde des ↑ Bischofs, auch die den Erdumfang auf 252 000 Stadien (etwa
Gesamtheit der Bischöfe. – Episkopatkir- 41 000 km).
che, ↑ Anglikan. Kirche. Erbuntertänigkeit, bäuerliches Abhängig­
Episkopalsystem (Episkopalismus), Auf- keits­verhältnis der ostelb. ↑ Gutsherrschaft;
fassung, dass die höchste kirchl. Gewalt der Form der ↑ Leibeigenschaft und verbunden
Gesamtheit bzw. Versammlung der katho- mit Schollenpflichtigkeit sowie Hof- und
lischen Bischöfe (↑ Konzil) zukomme, der Spann­diens­ten, Gesindedienstzwang der
sich auch der Papst unterzuordnen ha­be le­digen Kinder; Anfang 19. Jh. durch die
(Konzilarismus); durch das Vatikan. Kon- Stein-Hardenbergschen Reformen aufge-
zil dagegen Festlegung des päpstl. Primats. hoben (↑ Bauernbefreiung).
Im protestant. Kirchenrecht Ableitung Erbverbrüderung, Vertrag zweier (oder
der kirchlichen Autorität des Landesherrn mehrerer) hochadeliger oder regierender Fa­
durch Übertragung der bischöflichen Ge- milien, durch den sie sich im Falle des Aus-
walt auf der Grundlage des ↑ Augsburger sterbens gegenseitig zu Erben einsetzen,
Religionsfriedens. um zu verhindern, dass ihre Güter bzw.
Epistolae virorum obscurorum, ↑ Dunkel­ Länder als erledigte Lehen eingezogen wer-
männerbriefe. den; auch die Lehenshoheit öfter durch E.
Erasmus von Rotterdam, Desiderius abgelöst. Wichtig die brandenburg. E.en
(Gerhard Gerhards), berühmtester Huma­ mit Pommern, Liegnitz (1537), Jägerndorf
nist, Niederländer, um 1465–1536; ur- (1596) und Neuenburg (1666).
sprünglich Mönch, besuchte Frankreich, Erdöl, bis weit in die Neuzeit als Naphta,
England, Italien, seit 1521 in Basel und Bergöl, Steinöl, Erdpech nur in minimalen
Freiburg i. Breisgau, sah das Bildungs- und Mengen verbraucht („heilige Herdfeuer“
Lebensideal in der Verbindung von An- in den Erdölquellen im Orient, Einbal-
tike und Urchristentum („Zurück zu den samieröl, Pechmörtel, Abdichtung von
Quellen!“), in der Einheit von Vernunft, Schiffsplanken, Brandfackeln, Heilöl); das
Freiheit des Geistes, Toleranz und Maßhal- Interesse an der Gewinnung erwachte erst
ten; kritisierte die alte Kirche, wandte sich in der 2. Hälfte des 19. Jh. mit der Erfin-
gegen die Reformation als Massenbewe- dung der Petroleumlampe, dem Bau der
gung, deren Fanatismus er ablehnte; gegen ersten Erdölraffinerie (1853 in Galizien)
Luther verteidigte er die Lehre vom freien und der ersten Verwendung des „Abfall-
Willen; suchte zw. den Konfessionen zu produktes“ Benzin in einem Motor (Mar-
vermitteln. Bedeutende wiss. Leistungen: cus 1864, Maybach 1874); erste systema-
Ausgabe des N. T. in griech. Sprache, die tische Tiefbohrungen: 1858 bei Hannover,
Luthers Übersetzung zugrunde liegt; Aus- 1858/59 in Pennsylvanien; sprunghafte
gabe der Kirchenväter. Stei­gerung der E.-Produktion seit 1870
Eratosthenes aus Kyrene (im heutigen durch Auswertung des E.s als Energie-
O-Libyen), Universalgelehrter (Philologe, quelle: E. wurde zum „Blut der Motoren“
Geograf, Astronom, Mathematiker, Dich- (Otto- und Dieselmotor), zum Treibstoff
ter), um 275–195 v. Chr.; Leiter der Hoch- für Schiffsmaschinen (1904 erste Schiffe
schule von Alexandrien (↑ Museion), be- mit Ölfeuerung in England); wichtig auch
jahte die Kugelgestalt der Erde (der Erd- als Schmieröl, als Straßenbelag (Bitumen),
ball kann umfahren werden), entwarf ein Isoliermittel, Rohstoff für Kunststoffe u. a.
Gradnetz und eine Ortskarte der Erdober- Im 19./20. Jh. schließl. „Ölimperialismus“:

261
Eresburg

Kampf um die Quellen des neuen Schlüs- gieversorgung. Folge: Erschließung neuer
selprodukts der Weltwirtschaft und der Energiequellen (Kernenergie), Steigerung
Rüstungsindustrie; entscheidende Rolle der Kohleförderung, Energieeinsparung.
des großen Finanzkapitals, Verschmelzung Eresburg, alte Grenzbefestigung der Sach-
der E.-Kompanien zu Riesenkonzernen sen, gebaut an der Diemel, Pforte in das in­
(1904 Shell), Tauziehen zwischen Staats- nere Sachsen (heute Obermarsberg/West-
interessen und Profitstreben des Kapitals; falen), von Karl d. Gr. zu Beginn der Sach-
neue Methoden der Diplomatie (Finanz-, senkriege 772 erobert; unweit davon die
Handelsagenturen); wechselseitiges Sich- ↑ Irminsul.
Überbieten der Kaufsummen für E.-Kon- Erfüllungspolitik, seit 1921 Schlagwort
zessionen, zugleich Finanzierung des zivili­ zur Kennzeichnung der Außenpolitik der
sator. Fortschritts in rückständigen Gebie- ↑ Weimarer Republik unter Reichskanzler
ten (Iran, Irak, Arabien, Nordafrika, Ve- Wirth und Wiederaufbauminister Rathe-
nezuela). Im 1. und 2. Weltkrieg standen nau: am 11. Mai 1921 nach Abstimmung
alle wichtigen E.-Vorkommen zur Verfü- im Reichstag vorbehaltlose Annahme des
gung der Alliierten (Vorderer Orient; Kau- Londoner Ultimatums hinsichtlich der Re-
kasus; Venezuela; größter E.-Produzent: parationszahlungen, der Abrüstungsmaß-
USA); rumän. E.-Vorkommen in Händen nahmen und der Aburteilung der Kriegs-
der Mittel- (bzw. Achsen-)mächte dagegen beschuldigten; durch bestmögliche „Er-
unbedeutend; vergebliche Vorstöße nach füllung“ der Bedingungen des ↑ Versailler
dem Kaukasus und Irak; Sieg der Alliier- Vertrags und der Reparationsforderungen
ten „auf einer Woge von Öl“ (↑ Invasion); sollten die Alliierten, bes. Frankreich, ver-
andererseits durch den Ölimperialismus söhnlicher gestimmt und ihnen bewiesen
Auftrieb des Nationalismus in den E.-Län- werden, dass die restlose Erfüllung dieser
dern; seit Ende des 2. Weltkriegs gewaltige Bedingungen wirtsch. unmöglich sei. Die
Steigerung der Weltförderung, Erschlie- E. wurde von der „nationalen Opposition“
ßung neuer Fördergebiete (Alaska, Nord- (Hitler, Hugenberg) heftig angegriffen und
see) steigende Erdgas- und Erdölgasförde- als „nationale Würdelosigkeit“ bezeichnet:
rung; gleichzeitig (Schwinden der amerik. „Erfüllungspolitiker“ wurde zum Schimpf-
Reserven) stark veränderte Verteilung der wort. Mitentscheidend für das Scheitern
verfügbaren Erdölvorkommen, daher der der „Politik des guten Willens“ war die frz.
Nahe Osten im Mittelpunkt des Kampfes Unnachgiebigkeit (Poincaré). Der Nach-
um das Öl (1951 iran.-brit. Ölkonflikt; folger Wirths, Reichskanzler Cuno, ver-
1956 Suez-Konflikt, 1961 Konflikt um Ku­ suchte die ablehnende Widerstand Frank-
wait, Streit Frankreich – Algerien um Sa- reichs mit passivem Widerstand (im Ruhr-
hara-Ölquellen). E.-Besitz bleibt weiterhin gebiet) zu brechen; diesen musste ↑ Strese-
polit. Machtfaktor (Wettlauf um Markt- mann (ebenfalls als „Erfüllungspolitiker“
beherrschung durch Bau von Pipelines, beschimpft) jedoch angesichts der Über-
Riesentankerbau). 1973 beschlossen die macht Frankreichs, der Infla­tion und der
Öl exportierenden arabischen Staaten auf Notlage des dt. Volkes abbrechen.
dem Höhepunkt des Jom-Kippur-Krieges, Erfurt (Furt am Fluss Erf ), Bistum 741
das Erdöl als polit. Waffe einzusetzen und durch ↑ Bonifatius gegründet (ohne Be-
die Ölförderung empfindlich zu drosseln, stand); wichtiger dt.-slaw. Handelsplatz
um die westl. Industrieländer und Japan schon unter Karl d. Gr., in loser Abhängig-
zu einer proarabischen Haltung zu zwin- keit von Kurmainz; 1181 Reichstag unter
gen. Lieferbeschränkungen und Preiserhö- Friedrich I. (Unterwerfung Heinrichs des
hungen führten zu Engpässen in der Ener- Löwen); spätgot. Dom 1349 bis 1372 er-

262
Eritrea

baut; im 15. Jh. eine der größten deutschen mark 1439, in Norwegen 1442. 3) E. XIV.,
Städte mit ausgedehnten Lehensbesitzun­ König von Schweden (1560–1569);
gen, blühendem Fernhandel, Mitglied der 1533–1577; Sohn Gustav Wasas, gewann
Hanse; die 1378 gegr. Universität Hoch- Estland, kämpfte unglücklich gegen die
burg des Humanismus (1816 aufgehoben); Dänen, wegen despot. Maßnahmen von
1483 erneuerte der Mainzer Erzbischof ver- sei­nen Brüdern gestürzt, zu ewiger Haft
traglich seine Hoheitsrechte über die Stadt, ver­urteilt, im Gefängnis vergiftet.
die ihrerseits einen Schutzvertrag mit Sach- Eridu, südirak. Ruinenstätte; neben Kisch,
sen schloss; 1660–64 in Reichsacht und Uruk, Ur, Lagasch, Nippur best­untersuchte
durch frz. Truppen wieder zur Unterwer- sumer. Stadt, wie Ur im (später verlager-
fung unter Kurmainz gezwungen; 1803 zu ten) Euphratdelta gelegen (↑ Sumerer).
Preußen, 1806 frz., 1815 endgültig preuß.; Erik (Erich) der Rote, Wikingerfürst aus
1945 zu Thüringen. – E.er Fürstentag mir Norwegen, um 950–1007; als Kind in Is-
Napoleon I., Zar AlexanderI. und den Fürs­ land lebend, entdeckte um 981/82 ↑ Grön-
ten des Rheinbundes 1808; Napoleon über­ land und gründete dort 986 Normannen-
ließ Russland die Donaufürstentümer und siedlung; sein Sohn ↑ Leif Erikson ent-
Finnland, sicherte sich Spanien, sagte die deckte um 1 000 die nordamerik. Küste.
Räumung Polens und Deutschlands zu, er- Eritrea (Erythräa), Republik in NO-Afrika
reichte nicht die Abrüstung Österreichs. am Roten Meer, seit 1993 von ↑ Äthiopien
– E.er Unionsparlament, Versuch zu einer unabhängig. 1881–85 von Italien erobert,
dt. Union 1850 unter preuß. Führung; an Basis für spätere Eroberung Äthiopiens
österr. Intervention gescheitert (↑ Union, (1935/36); im 2. Weltkrieg von Großbri-
Preußische). – E.er Programm von 1891, tannien besetzt; nach dem ital. Verzicht
↑ Sozialdemokratie. im Pariser Frieden (1947) 1952 als auto-
Erhard, Ludwig, dt. Politiker; 1897–1977; nomes Gebiet mit dem Kaiserreich Äthio­
bereitete 1948 als Direktor der in den westl. pien vereinigt, 1962 Eingliederung als Pro-
Besatzungszonen eingesetzten Wirtschafts- vinz. Widerstand gegen die äthiopische
verwaltung die Währungsreform mit vor; Vorherrschaft, Bürgerkrieg der „Eritrean
1949–63 Bundeswirtschaftsminister, Ein- Liberation Front“ (ELF, gegr. 1961), und
treten für „soziale Markwirtschaft“, E. als der marxist. „Eritreans People’s Liberation
„Vater des Wirtschaftswunders“ gefeiert; Front“ (EPLF, gegr. 1970) für die Unab-
1963 zum Bundeskanzler gewählt, 1966 hängigkeit des Landes. 1987 weitgehende
als Nachfolger Adenauers Vorsitzender der Autonomie, aber Fortsetzung des Bürger-
CDU; 1966 Rücktritt E.s als Bundeskanz- krieges. 1993 schließl. vollständige Unab-
ler, 1967 als Parteivorsitzender. hängigkeit, Hauptstadt Asmara, Staatsprä-
Erich (Erik), skandinavischer Herrscher: sident und Regierungschef Isayas Afewerki
1) E. IX., der Heilige, führte das Christen­ (gewählt vom Zentralkomitee der EPLF).
tum in Finnland ein, 1160 von Dänen er­ Langsamer Wiederaufbau des Landes,
schla­gen. 2) E. XIII., der Pommer, Kö- möglichst ohne ausländ. Hilfe, um nicht in
nig der Union Dänemark, Norwegen und neuerliche Abhängigkeit zu geraten. 1997
Schweden, um 1382–1459; regierte seit Vorstellung der neuen Verfassung, die aber
1412 allein, brachte Kopenhagen unter die noch nicht in Kraft trat. Im selben Jahr
Herrschaft der (dän.) Krone, kämpfte ohne Einführung einer eigenen Währung (zuvor
Erfolg gegen die Hanse und die Grafen von Währungsunion mit Äthiopien), deswegen
Holstein um Schleswig, verur­sachte durch und wegen Grenzstreitigkeiten ab 1998
Unfähigkeit und Grausamkeit Volksauf- Krieg mit Äthiopien, 2000 Friedensvertrag
stand, abgesetzt in Schweden und Däne- mit Hilfe der UN.

263
Eri(u)gena

Eri(u)gena, Johannes Scotus, ↑ Johannes Ermland, urspr. einer der elf Gaue des
Scotus E. heidn. Preußens, vom Dt. Orden erobert
Erlander, Tage Fritjof, schwed. Politiker, und seit 1250 eines der vier Bistümer des
1901–1985; 1933–1973 sozialdemokrat. Ordenslandes; der Bischof vom Orden un-
Abgeordneter im Reichstag, 1946–1969 abhängig, bis 1354 dem Erzbischof von
schwedischer Ministerpräsident, zugleich Riga, dann unmittelbar dem Papst unter-
Vorsitzender der Sozialdemokrat. Partei; stellt und Reichsfürst, nach der Abtretung
außen­polit. Verfechter einer bewaffneten E. an Polen im Frieden von Thorn 1466
Neu­tralität, verwirklichte innenpolit. die Mitglied des poln. Senats; 1772 wurde E.
Ideen eines modernen Wohlfahrtsstaates; Preußen einverleibt; seit 1945 unter poln.
trat 1969 von führenden Ämtern in Staat Verwaltung.
und Partei zurück. Ernestiner, der ältere Zweig der sächs.
Erler, Fritz, dt. Politiker, 1913–1967; füh- Wettiner, von Kurfürst Ernst, dem Bruder
rende Stellung in der SPD als außen- und Herzog Albrechts (des Gründers der Alber-
militärpolit. Sprecher, ab 1964 stellvertre- tin. Linie), 1485 begründet, bis 1547 im
tender Vorsitzender der SPD und Frakti- Besitz der Kurwürde, danach in viele Ein-
onsvorsitzender im Bundestag. zellinien zersplittert (↑ Sachsen-Weimar,
Ermächtigungsgesetz, Verzicht des Par­la­ Sachsen-Coburg-Gotha u. a.).
ments auf die verfassungsmäßigen Rech­te Ernst, dt. Fürsten. Braunschweig: 1) E.
(besonders in der Gesetzgebung) zuguns- August, Herzog (1913–1918); geb. 1887,
ten der Regierung, um dieser in Krisen- Welfe, Sohn des Herzogs E. August von
zeiten rasches und wirksames Handeln zu Cumberland, Schwiegersohn Kaiser Wil-
ermögli­chen; so übertrug der Reichstag helms II., gest. 1953. – Hannover: 2) E.
1914 dem Bundesrat Vollmachten zum Er- August, erster Kurfürst (1692–1698);
lass von Verordnungen mit Gesetzeskraft, geb. 1629, seit 1679 Herzog von Braun-
um die Umstellung auf die Kriegswirt- schweig; 1692 Belehnung mit der Kur-
schaft zu ermöglichen; 1923 zwei (erfolg- würde (die 9. Kur im Reich). – Lüneburg
reiche) E.e zur Überwindung der Inflation; (Lüneburg-Hannover): 3) E. August, Kö-
bes. verhängnisvoll das E. vom 24. März nig (1837–1851); geb. 1771, durch seine
1933 („Gesetz zur Behebung der Not von Thronbesteigung Lösung ↑ Hannovers von
Volk und Reich“), vom Reichstag mit ver- England, hob die Verfassung von 1833 auf
fassungsändernder Mehrheit angenommen (Protest der ↑ „Göttinger Sieben“). – Sach-
(von allen Parteien gegen die Stimmen der sen: 4) E., Kurfürst (1464–1486); geb.
Sozialdemokratie bei Ausschluss der Kom- 1441, als Kind zusammen mit seinem Bru-
munisten) und auf vier Jahre befristet, be- der Albrecht von Kunz von Kaufungen ge-
deutete das Ende der Weimarer Republik; raubt („Sächs. Prinzenraub“), teilte 1485
Hitler missbrauchte das befristete und mit Albrecht die Wettiner Lande und
mehrfach, zuletzt 1943, verlängerte Ge- begr. die ↑ Ernestiner Linie. – Sachsen-
setz zum Ausbau seiner Diktatur (↑ Drit- Gotha: 5) E. I., der Fromme, Herzog von
tes Reich). Sachsen-Gotha (1640–1675); geb. 1601,
Erman(a)rich, Legenden umwobener Kö- protestant. Feldherr im 30-jährigen Krieg,
nig der Ostgoten, gründete um 350 n. Chr. vorbildlich als Landesvater beim Wieder-
ein riesiges Reich zw. Dnjepr und Dnjestr, aufbau seines Landes und als Förderer des
das um 375 von den Hunnen überrannt Schulwesens. – Sachsen-Coburg-Gotha:
wurde; Freitod. – In der german. Helden- 6) E. II., Herzog (1844–1893); geb. 1818,
sage Gegner Dietrichs von Bern in der Ra- Schwager der engl. Königin Viktoria, als li-
benschlacht. beraler Politiker Gegner Bismarcks, setzte

264
Esquilin

sich für die dt. Einigung ein. – Schwaben: verwaltung durch; die Hetze gegen ihn als
7) E. II., Herzog, geb. 1007, empörte sich „Landesverräter“ und ↑ „Erfüllungspoliti­
gegen seinen Stiefvater, König Konrad II., ker“ führte 1921 zur Ermordung durch
und fiel 1030; Volksbuch „Herzog E.“. Rechtsradikale.
Eryx, im Altertum Berg und Stadt an der Erzherzog, bis 1918 Titel der Prinzen des
W-Küste Siziliens mit berühmtem Heilig­ Hauses Habsburg; angeblich schon von
tum der Aphrodite; im ersten ↑ Punischen Kaiser Friedrich I. dem zum Herzog erho-
Krieg zäh verteidigte Operationsbasis des benen Markgrafen von Österreich verlie-
karthag. Feldherrn Hamilkar Barkas. hen, um ihm den höchsten Rang nach den
Erzämter, die Hofämter des Hl. Röm. Inhabern der ↑ Erzämter zuzuerkennen;
Reiches (bis 1806), die bes. bei den Krö- von den Kurfürsten erst nach Bestätigung
nungsfeierlichkeiten ausgeübt wurden; durch Friedrich III. anerkannt.
hervorgegangen aus den vier germanischen Escher vom Glas, Alfred, schweizer. Poli-
Hausämtern (Truchseß, Kämmerer, Mar- tiker und Wirtschaftsführer, 1819–1882;
schall und Schenk); seit der Krönung Ot­ 1847 Präsident des Großen Rats in Zürich,
tos d. Gr. zwischen den Fürsten wechselnd. seit 1848 Regierungspräsident und Natio-
Seit 1257 (bestätigt durch die ↑ Goldene nalrat, Mitbegründer des Eidgenöss. Poly-
Bulle 1356) fest in den Händen der sieben technikums 1854 (heute ETH Zürich) und
Kurfürsten; die Erzbischöfe von Mainz, 1856 der schweizer. Kreditanstalt, 1871–
Trier und Köln waren die Erzkanzler für 78 erster Direktor der Gotthardbahn.
Deutschland, Burgund und Italien; der Eschkol, Levi, israelischer Politiker, 1895–
Pfalzgraf bei Rhein war Erztruchseß, der 1969; 1921 Mitbegründer der Gewerk-
Herzog von Sachsen Erzmarschall, der schaft Histadruth; 1952–1963 Finanzminis­
Markgraf von Brandenburg Erzkämmerer ter, ab 1963 Ministerpräsident, 1963–1967
und der König von Böhmen Erzschenk; zu­gleich Verteidigungsminister.
1652 kam das Erzschatzmeisteramt hinzu, Escorial (el Escorial), Schloss, Kirche und
1692 das Erzbanneramt. – Die mit den E.n Kloster in der Provinz Madrid, von Phi-
verbundenen Dienste waren schließlich lipp II. erbaut, umfasste auch Universität,
nur noch symbolische Zeremonien, wur- Se­minar, kostbare Bibliothek, Museum,
den von erblichen Stellvertretern aus dem Hos­pital und die Gruft der span. Könige;
hohen Adel verrichtet (Erbämter). das Ganze künstler. Ausdruck der Persön-
Erzberger, Matthias, dt. Politiker, 1875– lichkeit Philipps II. als des mächtigsten
1921; führender (linksgerichteter) Zen- Herrschers im Abendland und des weltl.
trumspolitiker; 1903 im Reichstag, wandte Hauptes der Gegenreformation; 1563–1584
sich 1906 gegen die Kolonialskandale; im mit ungeheuren Kosten (5,26 Mio. Duka-
1. Weltkrieg Annexionist (Angliederung ten) im Stil der Renaissance (schmuckloser
Belgiens); 1917 Urheber der Friedensre- „Herrera“-Stil) erbaut.
solution des Reichstags mit dem Ziel eines Escudo, 1) 1537 in Spanien eingeführte
Verständigungsfriedens, 1918 Staatssekre- Goldmünze; den doppelten E. nannte man
tär, unterzeichnete auf Weisung der dt. Dublone, den halben Escudillo. 2) Gold-
Obersten Heeresleitung den Waffenstill- münze in Portugal bis 1854. 3) bis 2002
stand von Compiègne, um den Reichszer- Währung der Republik Portugal; Abk. Esc.
fall zu verhüten; 1919/20 Reichsminister Esquilin, einer der vielen („sieben“) Hügel
für Waffenstillstandsfragen und Finanzen, im Osten Roms, sehr früh schon Begräb-
setzte als Vertreter des Einheitsstaatsgedan­ nisstätte; in der frühen Kaiserzeit hier die
kens die Überführung der Eisenbahnen in „Gärten des Maecenas“ und das „Goldene
Reichs­eigentum und reichseigene Steuer­ Haus“ (Domus aurea) Neros.

265
Esra

Esra, jüd. Priester und Schriftgelehrter, Herzögen erhoben; glänzende Hofhaltung


führte Mitte des 5. Jh. v. Chr. Tausende Ju- während der Renaissance, Förderung der
den aus ↑ Babylon. Gefangenschaft zurück Künste und Wis­senschaften; Höhepunkt
und reformierte die Gemeinde Jerusalems. un­ter Alfon­so I. (1505–1535), Gemahl
Essen, als Stadt erstmals 1003 erwähnt, der Lukrezia Borgia, Gönner Ariosts und
gehörte zu einer Benediktiner-Frauenabtei, Tizians, Parteigänger Karls V., und unter
die um 860 als Nonnenkloster gegr., später Ercole II. (1535–1559), dem Erbauer der
in eine Reichsabtei (für adelige Kanonis- Villa d’E. bei Rom. 1597 folgte eine Ne-
sen) umgewandelt und 1803 säkularisiert benlinie, Ferrara vom Papst eingezogen.
(zu Preußen) wurde; 1807 zum Großher- Nach Erlöschen des Mannesstammes 1803
zogtum Berg, 1814 endgültig preußisch; Heirat der Erbtochter Maria Beatrice mit
rascher Aufschwung durch ↑ Kruppwerke, Erzherzog Ferdinand; die neue Linie (Öster­
dem wirtsch. Rückgrat der Stadt bis in den reich-E.) regierte bis 1859 in Modena (das
2. Weltkrieg; durch Luftangriffe am stärks­ an das Königreich Italien fiel) und erlosch
ten zerstörte dt. Großstadt, 1945 zu Nord­ 1875; der Titel ging auf den 1914 ermor-
rhein-Westfalen; 1957 Errichtung eines Bis­ deten Erzherzog ↑ Franz Ferdinand über.
tums Essen (Ruhrgebiet). Este-Kultur, vorröm., ostoberital. Kul­tur
Essener (Essäer), jüd. Sekte um Chr. Ge- im Gebiet der illyr. Veneter (neben der
burt, siedelte in abgesonderten Bruder- etwa gleichzeitigen ↑ Villanova-Kultur im
schaften in dörfl. Siedlungen oder kloster­ Raum um Bologna und der ↑ Golasecca-
ähnlichen Gemeinschaften, bes. am Toten Kultur im Westen der Poebene); Epoche
Meer; meist ehelos, verwarfen Sondereigen­ der älteren Eisenzeit (↑ Hallstattzeit), be-
tum, Eidleistung, Kriegsdienst, blutige einflusst von der vorangegangenen ↑ Ur-
Tier­opfer, Luxus und Handelsgeschäfte; nenfelderkultur; Name nach den Brand-
such­ten das Reich Gottes vorwegzuneh- gräberfeldern von Este bei Padua; Kult-
men; strenge Reinheitsriten. Die durch plätze an heilkräftigen Quellen mit man-
die Schriftrollenfunde bekannt gewordene nigfaltigen Weihegaben zu Ehren der
Gemeinde von Qumran am Toten Meer Fruchtbarkeits- und Muttergöttin Reitia
scheint E.-Gemeinde gewesen zu sein und der Beistandsgöttinnen Hekata und
(↑ Damaskusschrift). Louzera; in den gemauerten Heiligtümern
Essex, Robert Devereux, Graf von, Günst- figurenreiche Bronzeblechwaren mit Bän-
ling der Königin ↑ Elisabeth von England, dern voller natürlich wiedergegebener oder
1567–1607; kämpfte auf verschiedenen phantast. Tiergestalten; die E.-K. wirkte
Kriegsschauplätzen, 1596 am Handstreich stark auf die etrusk. Kunst, ihr Einfluss war
gegen Cadiz beteiligt, 1599 gegen seinen aber auch in Mitteleuropa spürbar.
Willen zum Statthalter Irlands ernannt, Esterházy von Galántha, mächtiges, rei-
wurde des ir. Aufstands nicht Herr, verhaf- ches ungarisches Magnatengeschlecht mit
tet und wegen Hochverrats hingerichtet. ausgedehnten Besitzungen im Burgen-
Este, altes ital. Adelsgeschlecht, spaltete land (Schloss Eisenstadt); aus ihm gingen
sich nach dem Tod des Markgrafen Azzo II. seit den Türkenkriegen bedeutende österr.
1097 in eine ital. (Fulco I.) und eine dt. Li- Heerführer und Diplomaten hervor; groß-
nie (Welf I. seit 1070 Herzog von Bayern, zügige Förderer der Künste und Wissen-
Stammvater der jüngeren Welfen). Die schaften und maßlose Verschwender.
italienischen E. herrschten seit 1264 in Estland, balt. Land, benannt nach dem
Ferrara (päpstl. Lehen), seit 1289/90 in finnougrischen Volk der Esten oder Aisten,
Modena und Reggio (Reichslehen) und das bis zum 8. Jh. n. Chr. aus dem Osten in
wurden 1452 bzw. (für Ferrara) 1471 zu die Ostseeprovinzen eingewandert war; An-

266
Etrusker

fang 13. Jh. vom Schwertbrüderorden und Ethelred (Aethelred), angelsächs. Könige:


den Dänen unterworfen und christia­nisiert; E. II. (978–1016); suchte sich der dän.
seit 1219/22 dänisch (↑ Waldemar II.); Einfälle zu erwehren, erhob von seinen
nach 1227 (↑ Bornhöved) Ausbreitung des Untertanen das „Danegeld“ (Ursprung der
Dt. Ordens, Gründung von Reval (1230), ersten allgemeinen Steuer eines Staates im
Einwanderung dt. Vasallen, seit 1345/46 MA) für Tributzahlungen an die Dänen,
E. ganz in der Hand des Dt. Ordens; um ließ 1002 alle Dänen in England ermor-
1530 Reformation; 1561 schwedisch, ab den, musste nach der Normandie flüchten
1572 vorübergehend russisch, 1584 wie- und unterlag schließlich ↑ Knut d. Gr.
der schwedisch; nach dem ↑ Nord. Krieg Etrusker (lat. Tusci, griech. Tyrrhenoi, Tyr-
1721–1918 russisch, 1918 selbständige sanoi, etrusk. Rasenna), das einzige nicht-
Republik, 1919 Enteignung des dt. Groß- indogerman. Volk Italiens, Herkunft um-
grundbesitzes. Im 1. und 2. Weltkrieg zeit- stritten; sichtbar um 1 000 v. Chr. an der W-
weilig dt. Besetzung, 1940 von der UdSSR Küste Mittelitaliens; drangen landeinwärts
annektiert, Umwandlung in die Estn.-So- (ins Tibergebiet) vor, wo das Dorf Rom zur
zialist. Sowjetrepublik; 1990 Unabhängig- etrusk. Stadt und später etrusk. Königsresi-
keit, März 2004 Beitritt zur NATO, Mai denz wurde, dann in den Mittel-Apennin,
2004 Beitritt zur EU. In der Außenpolitik später im Norden bis in die Po­ebene, die
enge Zusammenarbeit mit Lettland und sie fruchtbar machten, und in die Alpen-
Litauen („Baltischer Rat“). täler, im NO bis zur Adria (Hafen Spina),
ETA, Abk. für Euzkadi Ta Azkatasuna (dt. im Süden bis in die Bucht von Salerno, im
„Baskenland und Freiheit“), baskische Un- Westen nach Korsika. Zwischen dem 8.
tergrundorganisation; 1959 gegr., radikale und 6. Jh. v. Chr. größte Machtentfaltung,
Verfechterin eines unabhängigen Basken- doch wie die Kelten keine Reichsbildung,
lands, versucht bes. seit 1970 ihre For- sondern lose verbundene Stadtstaaten wie
derungen mit Sabotageakten und Atten- bei den Griechen, mit regelmäßigen Zu-
taten durchzusetzen, 1973 verantwortl. für sammenkünften der Könige, später der
Atten­tat auf den span. Ministerpräsidenten aristokratischen Stadtältesten. Ihre Städte
L. Carrero Blanco. 1994 offizeller Gewalt- (mehrere Großstädte mit über 100 000
verzicht, Ende 1999 Wiederaufnahme des Einwohnern) meist auf Hügeln mit ab-
bewaffneten Kampfes. Die als politischer seits gelegenen, straßendurchzogenen To-
Arm der ETA geltende Partei „Batasuna“ tenstädten (Nekropolen, mit kostbar aus-
wurde 2003 verboten, der polit. Führer gestatteten, oft bemalten, vielfach geplün-
Mikel Albizu Iriarte und 20 weitere aktive derten Grüften), oft weit größer als die
Mitglieder Ende 2004 verhaftet. Bisher bei Städte der Lebenden; die E. trieben inten-
nahezu 4 000 Anschlägen über 830 Tote siven Seehandel bis N-Europa, Griechen-
und über 2 300 Verletzte. land, in den Orient, sie galten zeitweise als
Etats généraux (frz., Generalstände), die gefürchtete Seeräuber (westl. Mittelmeer:
unter Philipp d. Schönen 1302 erstmals „Tyrrhen. See“). Im Kampf mit den unter­
gemeinsam einberufenen Vertreter der frz. ital. Griechen (↑ Großgriechenland) ver-
Stände (Adel, Geistlichkeit, städtische Kor- bündeten sie sich mit ↑ Karthago, dessen
porationen), die außerordentliche Steuer­ Seekonkurrenten sie eine Zeitlang gewe-
erhebungen zu bewilligen hatten; seit 1614 sen waren. Um 500 v. Chr. schüttelte Rom
wurden sie für 175 Jahre nicht wieder ver- die Fremdherrschaft der E. ab. Von Süden
sammelt; ihre Einberufung 1789 ange- drangen Großgriechen (Siege bei Cumae
sichts des drohenden Staatsbankrotts lei- 524 und 474 v. Chr.) in etrusk. Gebiet vor.
tete die Frz. Revolution ein. 396 v. Chr. wurde Veji, die bedeutendste

267
Etzel

südetrusk. Stadt, nach 10-jähriger Belage- (Cumae); 506–338 v. Chr. meist von Athen
rung von den Römern zerstört, im Norden abhängig, in den Perserkriegen (490 und
vertrieben die kelt. Gallier ab 390 v. Chr. 480) verheert; 1366 an Venedig, 1470 an
die etrusk. Siedler; im 4. und 3. Jh. eroberte das Osman. Reich.
Rom eine Stadt nach der anderen, um Eudoxia, Älia, byzantinische Kaiserin, aus
260 v. Chr. waren die E. unterworfen; im fränk. Adel, seit 395 Gemahlin des Kaisers
↑ Bundesgenossenkrieg 91–88 v. Chr. ver- ↑ Arkadius, den sie beherrschte; verbannte
loren sie den Rest ihrer nationalen Eigenart 404 den Johannes ↑ Chrysostomus.
(Zerstörung ihrer Städte durch Sulla) und Eugen, Päpste: 1) E. III. (1145–1153); war
wurden romanisiert; viele Familien zogen Schüler Bernhards von Clairvaux; ↑ Arnold
nach Rom. – Die Kultur der E. stark reli- von Brescia zwang ihn, außerhalb Roms zu
giös bestimmt (Glaube an das Walten von amtieren; E. flüchtete 1146 nach Trier, rief
Naturgöttern, Dämonen, Geistern; Wahr- zum 2., unglücklich verlaufenden, Kreuz-
sagekunst, ausgeprägter Totendienst); sie zug auf. 2) E. IV. (1431–1447); versuchte
waren große Bauherren (Dämme, gewölbte 1431 das Baseler Konzil aufzulösen, das
Abwässerkanäle, gepflasterte Straßen, stei- ihn 1439 absetzte und Felix V. zum Gegen-
nerne Wohnhäuser, riesige Stadtmauern); papst wählte, doch behauptete er sich und
ihre Kunst vom Orient und von griech. ging durch Konkordatsabschlüsse über die
Lehrmeistern beeinflusst; bedeutend die Beschlüsse des Konzils hinweg.
Plastik (tönerne Gesichtsurnen, Relief-Sar- Eugen, Fürsten und Feldherren: 1) (Franz)
kophage, Statuen und Statuetten aus Stein E., Prinz von Savoyen, der „edle Ritter“,
oder Bronze, z. B. Kapitolin. Wölfin, Mars österr. Feldmarschall und Politiker, der
von Todi); die Wandmalereien in den Grä- eigentliche Begründer der Großmacht-
bern mit Motiven des Lebensgenusses, spä- stellung Österreichs, 1663–1736, begra-
ter eines tiefen Pessimismus; bedeutend ben im Wiener Stephansdom; Sohn der
auch die Porträtkunst, die Architektur Olimpia Manzini, einer Nichte Mazarins,
der Gruftgewölbe, Felskammergräber und in Paris erzogen; von Ludwig XIV. als Of-
nicht erhaltenen Holztempel, das Kunst- fizier abgewiesen, trat E. 1683 in österr.
handwerk (Grabinventar aus Stein, Treib- Dienste, nahm teil an der Befreiung ­Wiens
und Gießarbeiten, Goldschmiedegeräte 1683, 1688 beim Sturm auf Belgrad ver-
und Steinschneidekunst). Deutlich die Ein- wundet, schlug 1697 als Oberbefehlshaber
und Nachwirkung der E. auf die römische der kaiserl. Truppen in Ungarn die Türken
Kultur: Die Römer übernahmen von ih- entscheidend bei Zenta (Ungarn fiel an
nen relig. Vorstellungen (Dämonenfurcht, Österreich, Friede von Carlowitz 1699);
Wahrsagekunst, Leber- und Vogelschau), Aufrüstung der österr. Armee und Füh-
das Staatszeremoniell (Triumphzüge, Likto­ rer im ↑ Spanischen Erbfolgekrieg gegen
ren), die Gladiatorenkämpfe, medizini­sche Frankreich, schlug im Bund mit englischen
und astronomische Kenntnisse, den Bau Truppen unter ↑ Marlborough die Franzo-
von festen Straßen und Kanalisationsanla- sen bei Höchstädt, Turin, Oudenarde, Mal-
gen, das Tonnengewölbe u. a. plaquet, stieß auf Paris vor und forderte
Etzel, Name ↑ Attilas in der germanischen Metz, Toul, Verdun, das Elsass und die
Heldensage. Freigrafschaft Burgund, um die Vormacht
Euböa, Insel vor der O-Küste Mittelgrie- Frankreichs zu brechen; wandte sich, als
chenlands, im Altertum Handelsmacht, diese Forderungen im Frieden von Rastatt
Hauptorte Chalkis und Eritrea, Mutter- 1714 unberücksichtigt blieben, wieder ge-
land der ersten griech. Kolonien auf der gen die Türken und kolonisierte Ungarn
Chalkidike, auf Sizilien und in Unter­italien und den Banat nach Bannung der Türken-

268
Europa

gefahr (Sieg von Peterwardein 1716 und Eumenes, 1) E., 362–316 v. Chr.; Feldherr
Eroberung Belgrads 1717); bis 1724 war und Kanzler Alexanders d. Gr., nach dessen
E. Statthalter der im Frieden von Rastatt Tod als Diadoche Statthalter in Kappado-
bzw. Baden Österreich zugefallenen ehem. kien, unterstützte als Verfechter der Reichs­
Span. Niederlande, wo er sich vertreten einheit Perdikkas und Polyperchos, unter-
ließ; als Hofkriegsratspräsident in Wien lag durch Verrat seiner Truppen Antigo-
bemühte er sich um die Aussöhnung mit nos, der ihn umbringen ließ. 2) E. II., Kö-
­Frankreich, zentralisierte die Verwaltung, nig von Pergamon (197–159 v. Chr.); Sohn
sorgte für einheitl. Ausbildung des Offi­ und Nachfolger Attalos’ I., Bundesgenosse
zierskorps und suchte, indem er die kai- der Römer, erkämpfte sich mit ihrer Hilfe
serl. Gewalt gegenüber den Reichsfürsten oder Duldung eine bedeutende Machtstel-
stärkte, die alte Reichsidee zu erneuern. Als lung in Vorderasien, Förderer der griech.
Mäzen der Künste berief er die Baumeis­ter Kultur, ließ neben anderen Bauten (Athen,
Fischer von Erlach, Hildebrandt, Permo- Milet) in Pergamon den berühmten Zeus-
ser, erbaute für sich den Belvedere-Palast altar errichten.
und das Palais in der Himmelpfortgasse Eupen-Malmedy, deutschsprachiges Ge-
in Wien, war Freund von Leibniz, Gönner biet südl. von Aachen, seit 870 beim Dt.
Rousseaus, sammelte in seiner Prachtbibli- Reich, später zu den span., dann österr. Nie­
othek reiche Buchschätze; 1734 im poln. derlanden, 1801–1815 frz., seither preuß.
Erbfolgekrieg noch einmal als Feldherr Aufgrund des Vertrages von Versailles 1920
tätig; hinterließ eine umfangreiche Kor- an Belgien abgetreten (eine von Deutsch-
respondenz. 2) E., Vizekönig von Italien, land angefochtene Volksabstimmung ent-
↑ Beauharnais. schied zugunsten Belgiens, die Bevölke-
Eugenie, Kaiserin der Franzosen und Re- rung erhielt Minderheitenrechte). 1940 dt.
gentin (1859, 1865, 1870), 1826–1920; Annexion. 1945 Zustand von 1920 wieder­
span. Herkunft (Gräfin von Montijo); re- hergestellt.
präsentierende Gemahlin Napoleons III., EURATOM, Abk. für ↑ Europäische Ge-
dessen Politik sie entscheidend und ungüns­ meinschaft für Atomenergie.
tig beeinflusste; Gegnerin der neuen europ. Eurich, arian. König der Westgoten (466–
Großmächte Italien und Preußen, auf Sei- 484); Sohn Theoderichs I., machte sich
ten Österreichs, mit dem sie die Entmach- selbständig gegenüber dem verfallenden
tung Preußens betrieb; lebte nach 1870 in W-Rom, vergrößerte sein Reich in Gallien
England. durch Eroberung weiterer Teile Galliens
Eulenburg, 1) Botho Graf zu, 1831–1912; und NO-Spaniens mit dem Ziel der Herr-
1878–1881 Innenminister (maßgeblich schaft über das Abendland; ließ das Stam-
beteiligt am ↑ Sozialistengesetz), 1892– mesrecht aufzeichnen (Codex Euricianus,
1894 preuß. Ministerpräsident; Konflikt ältestes german. Gesetzbuch; Regelung der
mit ↑ Caprivi, da er zur Unterdrückung der Rechtsbeziehungen zw. W-Goten und Rö-
SPD den Reichstag auszuschalten suchte. mern); sein Nachfolger war ↑ Alarich II.
2) E., Philipp, (seit 1900) Fürst, Diplo- Europa, geogr. W-Ausläufer Eurasiens, der
mat, 1847–1921; 1894–1902 Botschafter europ.-asiat. Landmasse, doch ethnograf.
in Wien, einflussreicher Vertrauter Kaiser und kulturgeschichtlich eigenständig; im
Wilhelms II., Schöngeist und Schwärmer, Wesentl. Schicksals- und Kulturboden der
ohne polit. Ernst, durch die Skandalpro- indogerman. (germ.-roman.-slaw.) Völker-
zesse, die der Journalist Harden, Herausge- familie. Name vermutlich von Semit. ereb =
ber der „Zukunft“, gegen ihn führte, vom dunkel, d. h. Land des Sonnenuntergangs,
Hofe verbannt. des Okzidents; von dem Kleinasiaten

269
Europäische Atomgemeinschaft

↑ Herodot für das Kleinasien gegenüber- ratender organisatorischer Form (Unionis­


liegende Griechenland bzw. Thrakien und ten) oder in Form eines festgefügten europ.
Peloponnes gebraucht (Kult der Euro­pa), Staatenbundes (Föderalisten) zur Überwin­
die übrigen Weltteile waren Asia der Perser dung der übersteigerten Nationalstaatlich-
und Libia, d. h. Afrika; in der späteren An- keit, z. T. mit dem Ziel einer Blockbildung
tike galten das Kaspische Meer als östl., das gegenüber dem Block der Vereinigten Staa-
Mittelmeer als südl., der Atlantik als westl. ten und dem der UdSSR. – Erster Initia-
und Nord- und Ostsee, später Skandi­na­ tor war nach dem 1. Weltkrieg der Öster-
vien und das Nordmeer als nördl. Begren- reicher Coudenhove-Kalergi (1923 Schrift
zung; Aufteilung in Graecia, Thessalia, Ma­ „Paneuropa“, 1924 Gründung der Pan-
cedonia, Thrakia, Moesia, Dacia, Italia, europa-Union mit Nationalräten in den
Illyria, ferner Hispania, Gallia, Britannia, Ländern; Zeitschrift „Paneuropa“). 1926
Germania, Vindelicia, Rhaetia, Noricum, Gründung einer wirtsch. Vereinigung für
Pannonia und die großen Inseln Baliares, eine Europ. Union. 1929 Vorschlag zu
Corsica, Sardinia, Sicilia, Malta, Creta, Eu- einer vertraglich festgelegten europ. Soli-
böa, Cyclades u. a. Die heutige Begrenzung darität durch den frz. Außenminister Ari-
entspricht im Wesentlichen der des Alter- stide Briand (Rede vor dem Völkerbund
tums, wobei im Westen Island einbezogen und Memorandum für ein Sicherheitssy-
ist. Der heutige Begriff Europa deckt sich stem aller europäischen Staaten), unter-
nicht mit dem des ↑ Abendlandes. stützt durch den dt. Außenminister Gustav
Europäische Atomgemeinschaft (EURA- Stresemann (Weißbuch und Studienkom-
TOM), gegr. durch Versailler Vertrag vom mission 1931/32). Wiederaufgreifen des
23. März 1957 mit den gleichen Mitglie- europ. Einheitsgedankens 1942 durch die
dern wie die Montanunion, hat die Auf- dt. Widerstandsbewegung (Plan zu einer
gabe, die Voraussetzungen für die schnelle europ. Föderation). 1943 Anregung Win-
Entwicklung von Kernindus­trien zu schaf- ston Churchills zur Bildung eines Euro-
fen; sie fördert die Forschung (gemeinsa­me parates. Nach dem 2. Weltkrieg neue In-
Atomforschungsinstitute), stellt einheitl. itiative Churchills (1946 Rede in Zürich,
Sicherungsnormen für den Gesundheits- Plan für die Vereinigten Nationen von
schutz auf, erleichtert Investitionen, ver- Europa nach Verständigung zw. Deutsch-
sorgt die Mitglieder mit Erzen und Kern- land und Frankreich); Gründung der Liga
brennstoffen und überwacht deren friedli­ für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
che Verwendung, sichert sich gewisse Eigen­ Gründung der Union Europ. Föderalisten
tumsrechte am Spaltmaterial und sorgt für (Europa-Union mit dem späteren Bund
Absatzmärkte und günstigen Einkauf. – Europäischer Jugend). 1947 Vertrag von
Organe: die „EURATOM-Kommission“, ↑ Dünkirchen zw. Frankreich und Groß-
be­steht aus 5 Mitgliedern, die für 4 Jahre britannien zur gegenseiti­gen Hilfeleistung
von den Länderregierungen ernannt wer- und Verteidigung (Vorstufe zum Brüsseler
den; sie unterbreitet Vorschläge und trifft Pakt); Europäische Parlamentar. Union
in eigener Zuständigkeit Entscheidungen. unter Coudenhove-Kalergi; Gründung der
– Der „Rat“, aus Regierungsvertretern der Wirtschaftsunion der UN für Euro­pa un-
Länder gebildet, stimmt die Tätigkeit der ter Teilnahme fast aller europ. Staaten, der
Atomgemeinschaft und der Mitglieds- USA und der UdSSR; Bewegung für ein
staaten aufeinander ab. Vereinigtes Europa (Churchill), Zusam-
Europäische Bewegungen, Bemühungen menschluss der meisten europäischen Uni-
und Maßnahmen zum Zusammenschluss onsbewegungen im Internat. Komitee als
Europas, entweder in lockerer, mehr be- Dachorganisation, sozialistische Bewegung

270
Europäische Gemeinschaften

für die Vereinigten Staaten von Europa. rung der Länder der EWG und der EFTA.
1948 Erster Europa-Kongress in Den Haag Symbol der Europ. Bewegung ist die Euro-
unter Teilnahme Churchills, de Gasperis, paflagge (Grünes E auf weißem Grund).
Schumans, Blums, Monnets, Reynauds, Europäische Freihandelszone, Abk. EFTA
Spaaks u. a.; Vorschlag zu einer legislativen (für englisch: European Free Trade Associa­
Versammlung aus Vertretern des europä- tion), handelspolit. Zusammenschluss der
ischen Parlaments; Zusammenschluss von europ. Länder Island, Liechtenstein, Nor-
16 Ländern zur Organisation für europ. wegen und Schweiz mit Hauptsitz in Genf
wirtsch. Zusammenarbeit (OEEC, Europ. (Schweiz). Organisation: in EFTA-Rat, Se-
Wirtschaftsrat) ohne Ostblockstaaten zur kretariat und Gerichtshof aufgeteilt. Die E.
Verwirklichung des Marshallplans; eben- wurde am 4. Jan. 1960 in Stockholm von
falls 1948 Brüsseler Vertrag zw. Frankreich, Dänemark, Großbritannien, Norwegen,
England, Belgien, Holland, Luxemburg Österreich, Portugal, Schweden und der
für ständige wirtsch. Zusammenarbeit Schweiz gegründet; Ziel des Bündnisses
und kollektiven Beistand (West-Union). war es, gemeinsame wirtsch. Interessen ge-
1949 Konferenz zur Bildung des Europa- genüber der 1957 gegr. Europäischen Wirt-
rates, ­einer losen, beratenden Organisation schaftsgemeinschaft (EWG) zu wahren, Li-
der europäischen Staaten auf der Grund- beralisierung des Handels mit Industriegü-
lage der Rechtsstaatlichkeit und der Men- tern und Abbau von Zöllen, mit Ausnahme
schenrechte (später Beitritt Deutschlands), der Zölle auf Agrarerzeugnisse, innerhalb
Sitz Straßburg, erster Präsident Paul-Henri des EFTA-Binnenhandels. Es wurde keine
Spaak. 1950 Gründung der Europ. Zah- polit. Integration angestrebt. 1967 Beitritt
lungsunion (EZU), aus der OEEC erwach- Finnlands, 1970 Islands, 1991 Liechten-
send. 1952 auf Vorschlag des frz. Außenmi- steins. 1973 verließen Großbritannien
nisters Robert Schuman Vertrag über einen und Dänemark, 1986 Portugal und 1995
Gemeinsamen Markt auf dem Gebiet der Österreich, Schweden sowie Finnland die
europ. Kohle- und Stahlwirtschaft (EGKS, EFTA, um der EG (seit 1993 EU) beizu-
Schuman-Plan, Montanunion) und Plan treten. Am 2. Mai 1992 wurde der Euro-
zu einer Europ. Polit. Gemeinschaft (EPG) päische Wirtschaftsraum (EWR) von den
der 6 Länder der Montanunion. 1954 Er- drei EFTA-Staaten Island, Liechtenstein,
weiterung des Brüsseler Vertrags zur West- Norwegen sowie von den damaligen EG-
europ. Union (WEU) durch den Beitritt Staaten gegründet.
Deutschlands. 1957 Unterzeichnung des Europäische Gemeinschaften (Europ.
Vertrages über die Europ. Wirtschaftsge- Gemeinschaft), Abk. EG, seit 1967 Sam-
meinschaft (EWG, Sitz Brüssel) und die melbez. für die im Zuge der europ. Eini-
Europ. Atomgemeinschaft (EURATOM). gungsbewegung nach dem 2. Weltkrieg ent-
1958 Gründung des Europ. Parlaments standenen Organisationen ↑ Europäische
als gemeinsames beratendes Organ für Wirtschaftsgemeinschaft (EWG, 1957),
EWG, Montanunion und EURATOM. die ↑ Europäische Atomgemeinschaft (EU-
1960 Bildung der Europ. Freihandelszone RATOM, 1957) und die ↑ Europäische
(EFTA = European Free Trade Association, Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS,
Sitz Genf ). 1961 Erweiterung der OEEC 1951); seit 1967 organisatorisch zusam-
durch den Beitritt der USA und Kanadas mengefasst. Gründungsmitglieder Belgien,
zur OECD (= Atlant. Wirtschaftsrat); Plan Bundesrepublik Deutschland, Frankreich,
de Gaulles zur polit. Konföderation der Italien, Luxemburg und die Niederlande;
westeurop. Länder und Bemühungen um weitere Mitglieder: seit 1973 Dänemark,
den Zusammenschluss bzw. die Assoziie- Irland, Großbritannien, 1981 Griechen-

271
Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl

land, 1986 Portugal und Spanien. Ziel der destens 30 und höchstens 51 Mitglieder,
EG war die Errichtung einer Wirtschafts- pa­ritätisch zusammengesetzt aus Vertretern
und Währungsunion und eine enge­re der Erzeuger, Arbeitnehmer, Verbraucher
poli­tische Zusammenarbeit. Speisung des und Händler. – Der „Rat“, aus je einem
Haushalts der EG aus Beiträgen der Mit­ Vertreter der Länderregierungen bestehend
gliedstaaten, abhängig von der Höhe des und im Vorsitz alle 3 Monate wechselnd; er
jeweiligen Sozialproduktes. Durch den Ver­ stimmte die Tätigkeit der Hohen Behörde
trag von Maastricht 1993 in Europäische und die Wirtschaftspolitik der angeschlos-
Union (EU) umbenannt. senen Länder aufeinander ab. Durch den
Europäische Gemeinschaft für Kohle Fusionsvertrag von 1965 gingen die Hohe
und Stahl (EGKS, Montanunion). Die Behörde und der Beratende Ausschuss in
Montanunion, die auf Grundlage des Ver- dem Gemeinsamen Rat und der Gemein-
trages vom 18. April 1951 gebildet wurde, samen Kommission der EG auf.
fasste die Produktion und Versorgung auf Europäischer Gewerkschaftsbund, Abk.:
dem Stahl- und Kohlenmarkt der ange- EGB; engl. European Trade Union Confe­
schlossenen Länder (Belgien, Bundesre- deration, ETUC; 1969 von den EG-Mit-
publik Deutschland, Frankreich, Italien, gliederstaaten des IGFB gegründeter Bund
Luxemburg und Niederlande, seit 1973 mit Sitz in Brüssel. Neugründung 1973 mit
auch Dänemark, Großbritannien und Ir- Erweiterung der Europäischen Gemein-
land) zu einer Marktgemeinschaft ohne schaft. Umfasst 65 nat. Gewerkschaftsver-
Zollschranken und mengenmäßige Be- bände aus 28 Staaten. Ziel ist die Vertre-
schränkung des Warenverkehrs zusammen; tung und Förderung der sozialen, wirtsch.
Kohle- und Stahlmarkt wurde der Souverä­ und kulturellen Interessen der Arbeitneh-
nität der einzelnen Länder entzogen; der mer bei allen europ. Institutionen.
Montanunion oblagen alle dazu notwendi­ Europäisches Gleichgewicht, ↑ Gleich­
gen produktions- und versorgungsmäßigen gewicht.
Maßnahmen, die Preisregulierungen, Qua- Europäisches Konzert, Bezeichnung für
litätsverbesserungen; die natürlichen Hilfs- den von den europ. Großmächten im 18.
quellen wurden rationell ausgenutzt, Fort- und 19. Jh. erhobenen und praktizierten
schritte in den Lebens- und Arbeitsbedin- An­spruch, auch für die kleineren europä-
gungen der Arbeiter sollten allen beteiligten ischen Staaten Entscheidungen treffen zu
Nationen zugute kommen. – Organe: Die können. Anfang des 18. Jh. die Großen
„Hohe Behörde der Montanunion“ war Vier: Österreich, Frankreich, die Nieder-
oberstes Organ (9 Mitglieder für je 6 Jahre; lande, Spanien; seit etwa 1740 Österreich,
davon 2 aus der Bundesrepublik Deutsch- Frankreich, England, Preußen, Russland,
land, je ein Vertreter der Wirtschaft und zuletzt wirksam unter Bismarck auf dem
der Gewerkschaften); der Hohen Behörde ↑ Berliner Kongress.
oblag die Überprüfung der Markt- und Europäische Sicherheitskonferenz, ↑ Kon­
Preisentwicklung und die Aufstellung von ferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit
Programmen für Erzeugung, Verbrauch, in Europa (KSZE).
Aus- und Einfuhr, Modernisierung der Fa- Europäisches Parlament, Versammlung
brikation; ebenso die Aufnahme von Anlei- der EG; konstituierte sich 1958 in Straß-
hen, die Erhebung von Umlagen, die Ge- burg, wird seit 1979 auf 5 Jahre direkt ge-
währung von Krediten an die Unterneh- wählt, hat (seit 1986) 518 Mitglieder; Bera-
mer, in besonderen Fällen auch die Festset- tungs- und Kontrollfunktionen, aber keine
zung von Höchst- oder Mindestpreisen. – legis­lativen Befugnisse; E. P. kann eigenen
Der „Beratende Ausschuss“ umfasste min- Haushalt beschließen, hat das Recht, der

272
Europarat

EG-Kommission mit Zweidrittelmehrheit Handelspolitik, des Verkehrswesens, der


das Misstrauen auszusprechen und sie da- Freizügigkeit der Arbeiter, des Niederlas-
mit zum Rücktritt zwingen. sungsrechts, der landwirtsch. Marktord-
Europäische Verteidigungs-Gemeinschaft nung; 1968 war der Abbau der Zölle für
(EVG), Vertrag zwischen Deutschland, Bel­ gewerbl. Erzeugnisse verwirklicht; Aufhe-
gien, Frankreich, Italien, Luxemburg und bung der mengenmäßigen Beschränkung
den Niederlanden (1952) zur gemeins. für Industrieerzeugnisse bis 31. Dez. 1961,
Verteidigung in Zusammenarbeit mit den Angleichung der einzelstaatl. Zölle an den
freien Völkern und im Geist der Charta der gemeinsamen Außenzolltarif des EWG-
UN; durch Ablehnung in der frz. Kammer Raumes (bereits abgeschlossen). Der Auf-
zu Fall gebracht. bau des zollfreien Agrarmarktes der EWG
Europäische Wirtschaftsgemeinschaft erfolgte ab 1. Juli 1962 bis 1970, der dt. In-
(EWG), vertragl. Zusammenschluss auf terzonenhandel blieb Binnenhandel. 1969
un­begrenzte Zeit zum Zweck der wirtsch- erklärte die Haager Konferenz der Staats-
lichen Integration; Gründungsmitglieder: und Regierungschefs der EWG-Staaten
Bel­gien, Deutschland, Frankreich, Italien, die Übergangsphase zur Errichtung eines
Luxemburg, Niederlande und ihre un­ab­ gemeinsamen Marktes für abgeschlossen.
hän­gigen Überseegebiete sowie as­so­ziierte Ziel war nun die Errichtung einer Wirt-
Mitglieder; seit 1973 Neunergemeinschaft schafts- und Währungsunion. – Organe:
mit Dänemark, Großbritannien und Ir- Die EWG-Kommission (von den Regie-
land; 1981 schlossen sich Griechenland, rungen der Mitgliedsstaaten auf vier Jahre
1986 Spanien und Portugal an. Ziel: völlige ernannte Mitglieder); sie unterbreitet Vor-
Wirtschaftseinheit, ohne Binnenzölle und schläge und trifft in eigener Zuständigkeit
Warenkontingente und mit einheitlichen Entscheidungen. – Der „Rat“, aus je einem
Außenzöllen, bei Freizügigkeit des Kapi- Vertreter der Regierungen der Länder be-
tals und der Arbeitskräfte, Einheitlichkeit stehend, mit alle 6 Monate wechselndem
des Verkehrs und der Wettbewerbsregeln. Vorsitz; er koordiniert die Wirtschaftspo­
Zu den bedeutendsten Assoziierungsver- litik der Länder und entscheidet in den
trägen mit Überseeländern zählte das Ab- meisten der vertraglich festgelegten Fragen.
kommen von Jaunde 1963 zw. der EWG – Der „Wirtschafts- und Sozialausschuss“
und einem Zusammenschluss von 17 afri- (mit EURATOM gemeinsam) mit bera-
kan. Staaten und Madagaskar. Ähnliches tender Funktion.
Abkommen 1968 mit Kenia, Tansania und Europarat, „Straßburger Versammlung“,
Uganda. 1969 Abkommen mit Tunesien lockere Organisation von 43 europ. Staaten
und Marokko; 1971 mit Malta; 1972 mit (d. h. alle europ. Staaten außer Monaco und
Mauritius. Ziele: Verflechtung der Volks- Weißrussland) und zwei vorderasiati­schen
wirtschaften, rationellste Verteilung der Staaten (Armenien und ­Aserbaidschan), die
Erzeugung und Steigerung auf den höchs- zum Zweck der Zusammenarbeit in wirtsch.,
ten Leistungsstand, Steigerung der Be- kulturellen, soz. und wiss. Fragen 1949 ge-
schäftigung, Hebung der Lebenshaltung bildet wurde, erstes prakt. Ergebnis der z. T.
bei Stabilität der Preise, Abwehr von Stö- auf die Paneuropa-Idee ↑ Coudenhove-Ka-
rungen, gemeinsame Forschungsaufgaben, lergis zurück­gehenden Europaunionbewe­
Schaffung eines gemeinsamen Sozialfonds, gung, die den polit. Zusammenschluss Eu-
einer gemeinsamen Sozialpolitik, einer eu- ropas anstrebt; Sitz in Straßburg, gegliedert
rop. Investitionsbank, Vereinheitlichung in Ministerausschuss (der Außenminister)
des Börsenwesens, des Kontrollrechts, und Beirat, Versammlung (der Abgeordne-
der Wettbewerbsregeln, der Besteuerung, ten aus den Ländern, auch aus den Opposi­

273
Eusebios

tionsparteien), die ihre satzungsgemäße Ab­ EWG, Abk. für ↑ Europäische Wirtschafts-
hängigkeit vom Ministerrat zu überwinden gemeinschaft.
und die gesetzgeber. Gewalt eines echten, Ewige Richtung, 1474 in Konstanz zwi-
aus allg. Wahlen hervorgehenden Europ. schen Herzog Sigmund von Tirol und der
Parlaments zu erlangen sucht; da sowohl schweizer. Eidgenossenschaft geschlossener
Verteidigungsfragen wie auch Fragen, die Vertrag; beendete durch den Verzicht auf
die Souveränität der einzelnen Mitglieds- die ehemals österr. Gebiete den Kampf der
staaten berühren, außerhalb der Dis­kussion Eidgenossen mit Österreich.
stehen, beschränken sich die Beratungen Ewiger Landfriede, auf dem Reichstag zu
auf allg. Probleme der Politik, Wirtschaft, Worms 1495 ergangenes Gesetz, das das
Kultur usw. Mitglieder der Organisation Recht der Fehde und bewaffneten Selbst-
können alle europ. Staaten werden, die als hilfe abschaffte; seine Wahrung wurde dem
Rechtsstaaten anerkannt sind und die Men- neugeschaffenen Reichskammergericht als
schenrechte garantieren. 1950 Unterzeich- oberster Reichsinstanz übertragen, galt seit
nung einer europ. Konvention zum Schutz 1555 auch für Religionssachen.
der Menschenrechte und Grundfreiheiten; Exarch (griech., Außenherrscher), 1) in
1954 Europ. Kultur-Konvention; 1955 der griechisch-orthodoxen Kirche Vertre-
Konvention über Niederlassungsrechte. ter des Patriarchen, von diesem meist prak-
Eusebios, 1) E. von Cäsarea, griech. Kir- tisch unäbhängig. 2) im Byzantin. Reich
chenlehrer, um 270–339; „Vater der Kir- Provinzstatthalter.
chengeschichte“, verfasste außer einem Exarchat, byzantinische Außenprovinz in
Grundriss der Weltgeschichte eine zehn- Afri­ka oder Italien; am berühmtesten das
bändige „Kirchengeschichte“ (bis 323) von E. von Ravenna, seit 552 Sitz des militär.
hohem Quellenwert; Verteidiger des Arius. und zivilen Generalgouverneurs Ostroms
2) E. von Nikomedien, oström. Bischof, (Exarchs) von Italien; umfasste nach der
seit 338 Patriarch von Konstantinopel, Er­oberung großer Teile Italiens durch die
gest. 342; erzog Kaiser Julian, taufte Kaiser Langobarden nur noch Teile der Roma-
Konstantin, trat im arian. Streit mit (vorü- gna, Rom (von den Päpsten beansprucht)
bergehendem) Erfolg für Arius ein. und Unteritalien; Ende des E.s durch die
Euthanasieprogramm, nat.-soz. Programm Eroberung Ravennas durch den Langobar-
zur Vernichtung sog. „lebensunwerten Le- denkönig Aistulf (751), den Einfall der Sa-
bens“; begann 1939 auf Befehl Hitlers, razenen in Süditalien und die Gründung
wurde unter der organisator. Verantwor- des Kirchenstaats durch Pippin (754).
tung des Reichleiters Ph. Bouhler durch- Exterritorialität, völkerrechtl. Sonderstel-
geführt. Ziel war die Massentötung miss- lung bestimmter fremder Staatsangehöriger
gebildeter Kinder und geisteskranker Er- (bes. der Diplomaten) innerhalb des Gast-
wachsener, die Zahl der Opfer wird auf rd. landes; ihre Verletzung gilt als schweres
100 000 geschätzt; 1941 nach Protesten Vergehen gegen das Völkerrecht; die E. hat
bes. von kirchl. Seite abgebrochen, in Ein- ihre Wurzeln in der schon im Altertum be-
zelfällen jedoch fortgeführt. achteten persönl. Unantastbarkeit des Un-
Eutropius, röm. Geschichtsschreiber des terhändlers oder Gesandten.
4. Jh. n. Chr.; verfasste im Auftrag des
Kaisers Valens einen Abriss der röm. Ge-
schichte, der im MA viel benutzt wurde.

274
Fabian Society

Fabian Society, 1883 gegr., bindungen zu zermürben; das Abweichen

F britische sozialistische Vereini-


gung, seit etwa 1890 von Ein-
fluss auf die ↑ Gewerkschaften
und auf die Arbeiterbewegung, der La-
von dieser Taktik bezahlten die Römer mit
der Niederlage von ↑ Cannae. Fabius vom
Volk als „Schild Roms“ bezeichnet.
Fabricius Luscinus, Gajus, röm. Feldherr
bour Party gab sie 1918 das Programm; und Politiker, Konsul 282 und 278 v. Chr.;
die F. S. wirkte anfangs und seit den 20er eroberte zahlreiche großgriechische Städte
Jahren wieder rein literarisch; zu ihren füh- in Süditalien, wies als Gesandter alle An-
renden Persönlichkeiten gehörten Sidney gebote an den König ↑ Pyrrhus ab; seine
und Beatrice Webb sowie die Schriftstel- Rechtschaffenheit wurde später ins Legen-
ler Shaw und Wells; sie lehnte den marxist. däre erhoben (Abweisung eines Verräters,
Ma­teria­lismus, die Lehre vom Klassen- der sich anbot, Pyrrhus zu ermorden, und
kampf und jede revolutionäre Taktik ab, Warnung des Königs Pyrrhus).
erstrebte die Verwirklichung des Sozialis- Fabrik, der moderne gewerbl. Großbetrieb,
mus mit der durchdachten Zurückhaltung wesentl. Merkmal der Produktion seit der
des röm. Feldherrn Fabius Cunctator, des „industriellen Revolution“ in England, im
„Zau­derers“ (nach dem sie sich nannte), Gegensatz zu den bis ins l8. Jh. vorherr-
durch Propaganda in allen Bevölkerungs- schenden Produktionsweisen (Handwerks-
schichten (auch in der Liberalen Partei), betrieb, Verlagssystem, Manufaktur) ge-
durch so­ziale Reformen und enge Zusam- kennzeichnet durch die Konzentration von
menarbeit mit den brit. Gewerkschaften Kapital und Arbeitskräften, rationelle Zer-
und der Arbeiterbewegung, deren Politik legung des Arbeitsprozesses (Höhepunkt:
sie maßgebl. und in mäßigendem Sinne be­ „laufendes Band“) und weitgehende Me-
einflusste. In ihrer aufs Praktische gerichte- chanisierung (Kraft- und Arbeitsmaschi-
ten Denkweise und in ihrem streng demo- nen; Automation) zwecks Massenproduk-
krat. Vorgehen typisch englisch, wurden tion; freies Unternehmertum in freiem
die Fabier die geistigen Väter der „Cautious Wett­bewerb auf dem freien Markt. Die
revolution“ (vorsichtigen Revolution) des Voraussetzungen waren erst um die Wende
sozialist. England nach dem 2. Weltkrieg; vom 18. zum 19. Jh. gegeben: nach der
von erhebl. Einfluss auch auf die festländ. Frz. Revolution Emanzipation der Wirt-
Sozialdemokratie (der F. S. vergleichbar in schaft (Gewerbefreiheit; Bauernbefreiung,
Deutschland der Kreis um Friedrich Nau- dadurch Zustrom von Arbeitskräften in
mann). die Städte), Dampfmaschine, Verbindung
Fabier (Fabii), altes römisches Patrizierge- von Wirtschaft und (Natur-)Wissenschaft
schlecht; nach der Überlieferung fielen im zur Vervollkommnung der Produktions-
Jahr 479 v. Chr. alle (300) F. bis auf einen technik, schließlich das sprunghafte An-
Knaben, den Stammvater der späteren F., steigen der europ. Bevölkerung zwischen
im Kampf gegen Veji. – Der berühmteste 1800 und 1900 (damit sowohl erhöhte
F.: Quintus Fabius Maximus, als röm. Nachfrage und Massenabsatz sowie „in-
Feldherr Cunctator („Zauderer“) genannt, dustrielle Reservearmee“ gegeben). Das F.-
gest. 203 v. Chr.; mehrmals Konsul, nach System setzte sich im 19. Jh. in Europa und
der röm. Niederlage am ↑ Trasimen. See in den USA durch, seine Massenproduk-
217 v. Chr. im 2. Pun. Krieg zum Dikta- tion ermöglichte sowohl die moderne Mas-
tor ernannt, vermied eine Entscheidungs­ senzivilisation wie die Massenvernichtung,
schlacht gegen Hannibal und versuchte des­ schaffte Völker verbindenden Weltmarkt
sen Kräfte durch hinhaltende Kampffüh- und führte zugleich zum Kampf der impe-
rung und Störung der rückwärtigen Ver- rialist. Industriestaaten um Absatzmärkte

275
Fabrikgesetze

(auch Kolonialimperialismus); vor allem Kennzeichen für Eigentümer und Her-


aber entwickelte sich ein Proletariat, das kunft. – Im Hl. Röm. Reich war die rote
durch die räumliche Konzentration in der Blut-F. das Symbol des Blutbanns und der
F. leicht organisiert und zum „Klassenbe- Belehnung durch den König; daneben gab
wusstsein“ erzogen werden konnte (↑ Ar- es die Reichsfahne „Das hl. Reich“ (rot mit
beiterbewegung, ↑ Marxismus). weißem Kreuz), als Kriegs-F. die Reichs-
Fabrikgesetze oder Arbeiterschutzgesetze, sturm-F. (schwarzer kaiserl. Adler auf gol-
die Anfänge der modernen Sozialgesetzge- denem Feld) und die schwarz-weiß ge-
bung; erste Maßnahmen des Staates gegen streifte Reichsrenn-F. (Standarte der Reiter-
die sozialen Missstände im Fabriksystem, vorhut); das Schwarz-Gold der kaiserlichen
besonders gegen die rücksichtslose Ausbeu­ F. übernahmen die Habsburger, im ausge-
tung von Kindern und Frauen (der Mehr- henden MA kam das Rot der Adlerfänge
heit der industriellen Arbeitskräfte in der hinzu, das aber nicht Fahnenfarbe wurde
1. Hälfte des 19. Jh.); zuerst in England (Trikolore erst in der Neuzeit). Schwarz-
aufgrund alarmierender Blaubücher par- Rot-Gold erst beim ↑ Wartburgfest (dt.
lamentarischer Untersuchungskommissio­ Tri­kolore, verboten 1832), durch Bundes-
nen; in Preu­ßen ging der Anstoß von beschluss 1848 Reichsfahnenfarben, 1871
den Militärbehörden aus (Rückgang der Schwarz-Weiß-Rot Farben des dt. Kaiser-
Diensttauglichkeit wegen gesundheitlicher reiches (vorher Farben der Marineflagge
Schädigung in den Fabriken), daher in des Norddt. Bundes, kombiniert aus dem
Preußen 1839 erste dt. F.: Verbot der Kin- Schwarz-Weiß Preußens, dem Rot-Weiß
derarbeit unter 9 Jahren, Beschränkung der der Hansestädte und dem Weiß-Rot Bran-
Arbeitszeit für Jugendliche bis 16 Jahre auf denburgs). Seit 1871 Schwarz-Rot-Gold
10 Stunden täglich, für diese Altersgruppe Oppositionsfarben, in Österreich Farben
allg. kei­ne Nacht- und Sonntagsschichten. der großdt. Bewegung. 1919 Fahnenfar-
Die­se Bestimmungen wurden in den fol- ben der Weimarer Republik (die Seeflagge
genden Jahrzehnten ergänzt und erweitert, blieb Schwarz-Weiß-Rot mit schwarz-rot-
1869–1871 auf ganz Deutschland ausge- goldener Ecke). 1933 Fahne des „Dritten
dehnt (↑ Sozialversicherung). Reiches“ Schwarz-Weiß-Rot und Rot mit
Fackeltelegraf, antikes Nachrichtenmit- Hakenkreuz; seit 1934 nur noch Rot mit
tel über größere Strecken. Von einem weit Hakenkreuz. 1949 Schwarz-Rot-Gold wie-
sichtbaren Punkt aus wurden in einem be- der Farben Deutschlands; in der DDR seit
stimmten Rhythmus Signale mit einer oder 1957 mit Hammer- und Zirkelemblem. –
mehreren Fackeln gegeben, vom Empfän- Bekannte F.n sind die schwarze Fahne des
ger nach einem geheimen Schlüssel entzif- Propheten Mohammed (in Konstantinopel
fert. aufbewahrt); die ↑ Oriflamme Frankreichs,
Fahne, als Feldzeichen schon im Altertum die rote Revolutionsfahne, die Rot-Kreuz-
nachweisbar (im Orient, Perser), von Grie- Fahne u. a.
chen und Römern (Reiterstandarten) über- Fahnenlehen (Fahnlehen), im MA welt-
nommen; aus dem spätröm. Labarum ent- liches Fürstentum, vom König direkt ver-
wickelten sich die Kirchenfahnen und die gebenes weltliches Lehen mit Amtsge-
Städtebanner des MA; im Abendland F.n walt (Heer- und Gerichtsbann); bei der
seit dem 9. Jh. üblich, besonders als Er- Belehnung wurde dem Lehensträger eine
kennungs- und Richtungszeichen für sol- Fahne (im späten MA mit dem Wappen
dat. Einhei­ten (Fähnlein), getragen vom des ­Lehensgebietes) überreicht (andere Le-
Fähnrich oder Fahnenjunker (Fahneneid = henssymbole waren Schwert, Helm, Zepter,
Treueid); im hohen MA Schiffsflaggen als Schild, ↑ Lehnswesen).

276
Falkland Islands

Fahrende Leute, im MA die herumzie- Faliero, Marino, Doge von Venedig, um


henden Gaukler, Spielleute, Wanderkomö- 1280–1355; versuchte nach diplomat. Er-
dianten, Bärenführer, Quacksalber, Dir- folgen gegen Genua seine Herrschaft erbl.
nen, Bettler usw.; auch verarmte Edelleute, zu machen, deshalb abgesetzt und hinge-
entlaufene Mönche und Nonnen, brot- richtet.
lose Kleriker und entlassene Landsknechte Falk, Adalbert, preuß. Staatsmann, 1827–
schlossen sich dem Volk der „Landfahren- 1900; führte als Kultusminister 1872–79
den“ an, sie bildeten insges. ein Lumpen- mit Bismarck den ↑ Kulturkampf; verdient
proletariat (zählten zu den „unehrlichen um die Einführung der Schulaufsicht, Ver-
Leuten“), für das in der strengen ständ. besserung der Lehrerausbildung, als Ur­
Ordnung des MA kein Platz war; in etwas heber der scharfen „Maigesetze“ (1873) ge-
höherem Ansehen standen die „fahrenden gen die kath. Kirche der meist umstrittene
Schüler“ (Vaganten) und „fahrenden Sän- Minister, von Bismarck fallengelassen.
ger“, die Neuigkeits- und Nachrichtenkrä- Falken, 1) „Die Falken“, politische Jugend­
mer, die mit Bildern ausgerüsteten „Zei- organisation der SPD; 1946 gegründet,
tungssinger“ (Bänkelsänger). Sitz ist Frankfurt/Main. 2) polit. Schlag-
Faidherbe, Louis, frz. General und Kolo- wort, entstand während des Vietnamkriegs
nialpionier, 1818–1889; 1861 Gouverneur zur Bezeichnung der Befürworter einer un-
von Senegambien, Mitschöpfer des frz. Ko- nachgiebigen Vietnampolitik in den USA.
lonialreichs in Afrika, 1870/71 Führer der Heute allg. Vertreter einer militanten Au-
Nordarmee; verdient durch geogr. und eth- ßenpolitik.
nolog. Forschungen. Falkenhayn, Erich von, dt. General,
Faisal (Feisal), 1) F. I., erster König des 1861–1922; setzte als preuß. Kriegsminis­
Irak, 1883–1933; Sohn des nachmaligen ter 1913 die Wehrvorlage (Heeresverstär-
(1926 wieder vertriebenen) Königs Hussein kung) durch, löste Sept. 1914 Moltke als
von Hedschas, kämpfte im 1. Weltkrieg an Chef des Generalstabs ab, entwickelte die
der Seite des britischen Obersten Lawrence verhängnisvolle Theorie des „Abnutzungs-
gegen die Türken, nach deren Zusammen- krieges“ und versprach sich vom Frontal-
bruch als König von Syrien von den Alli- angriff auf das starke Verdun die „Aus-
ierten nicht anerkannt, darauf 1921 durch blutung“ der frz. Front, trat 1916 zurück;
Volksabstimmung König des brit. Mandats dann Armeeführer im siegreichen Feldzug
Irak. 2) F. II., 1935–1958; Enkel von 1), gegen Rumänien und Heeresgruppenfüh-
folgte 1939 (unter Regentschaft) seinem rer in Palästina.
Vater Ghasi auf den Thron, 1953 gekrönt; Falkland Islands and Dependencies, brit.
schloss Febr. 1958 mit Jordanien die später Kronkolonie im S-Atlantik, umfasst die
aufgelöste Arab. Föderation; im Zug der Falklandinseln (span. Islas Malvinas), Süd-
nationalen Revolution getötet (Juli 1958); georgien und die Süd-Sandwich-Inseln;
der Irak wurde Republik. 1592 entdeckt, 1764/65 von Briten und
Fajum („Meer“), oberägypt. Oase, durch Franzosen besetzt, die beide kurz darauf
einen Nilarm („Josefskanal“) bewässert, von Spanien vertrieben wurden. 1820 im
mit Karumsee (Mörissee); gefunden wur- Besitz der La-Plata-Konföderation (Ar-
den zahlreiche Papyri und Grabmalereien. gentinien). 1831 Deportation der gesam-
Falange, 1933 von Primo de Rivera jun. ten Bevölkerung nach dem Festland. 1833
gegründete polit.-soziale Bewegung und nahm Großbritannien die F. wegen ihrer
Parteimiliz in Spanien, später von ↑ Franco strateg. Bedeutung in Besitz, argentin. An-
geführt und Einheitspartei; 1976/77 auf- sprüche wurden stets zurückgewiesen. Der
gelöst. Konflikt steigerte sich seit Entdeckung von

277
Fallières

Erdölvorkommen bei den Inseln und gip- als Parlaments-Drucksache) und der Öf-
felte in der militär. Besetzung der F. durch fentlichkeit des In- und Auslands; sie tru­
Argentinien im April 1982. Vermittlungs- gen nach Ländern verschiedenfarbige Um­
versuche durch die USA scheiterten; nach schläge; in Deutschland waren Weißbü-
schweren Kämpfen zur See landeten im cher, in England Blaubücher, in Frank-
Mai brit. Truppen und eroberten bis zum reich Gelbbücher, in Österreich, den USA
15. Mai 1982 die Inseln zurück. Für ↑ Ar- und in der UdSSR Rotbücher üblich, im
gentinien bedeutete die Niederlage auf den zarist. Russland Orangebücher. Berühmt
F. den Bankrott der (Militär-)Regierung. und aufschlussreich (entstellende Weglas-
– In der Seeschlacht bei den F. 1914 wurde sungen, Fälschungen von Dokumenten)
das dt. Kreuzergeschwader unter Graf Spee die F. über die Vorgeschichte und den Aus-
von einem überlegenen brit. Verband ver- bruch des 1. Weltkrieges.
nichtet. Farel, Wilhelm, schweizer. Reformator,
Fallières, Armand, frz. Staatsmann, 1841– 1489–1565; reformierte die frz. Schweiz,
1931; mehrfach Minister, 1906–1913 Prä- Vorgänger, dann Mitarbeiter ↑ Calvins in
sident der Republik, intensiv um Festigung Genf.
des ↑ Dreiverbandes bemüht. Farnese, ital. Adelsgeschlecht, Stamm­burg
Fanarioten, griech. Familien meist vorneh­ Farneto bei Orvieto, Glanzzeit im 16. Jh.,
mer Abkunft, die nach der Eroberung Kon- 1731 erloschen. Berühmteste F.: 1) F.,
stantinopels durch die Türken den Stadtteil Alessandro, 1468–1549; Kardinal, seit
Fanar bewohnten, sie stiegen im 18. Jh. zu 1534 Papst Paul III., verlieh seinem natür-
hohen Staatsämtern im Osman. Reich auf lichen Sohn Pier Luigi 1545 das Herzog-
und stellten die Fürsten der Moldau und tum Parma und Piacenza, in dem die F. bis
Walachei; für die griech. Erhebung 1821 1731 regierten; ließ in Rom den Palazzo F.
wurden sie blutig bestraft. bauen (vollendet von Michelangelo); ihm
Fanfani, Amintore, ital. Politiker, 1908– sind bedeutende antike Funde zu verdan-
1999; 1954 und 1960–1963 Ministerprä- ken („Farnes. Sammlungen“, darunter der
sident, 1965–1968 Außenminister, 1965– berühmte „Farnes. Stier“ und der „Hera-
1966 Präsident der UN-Vollversammlung, kles F.“, beides röm. Kopien griech. Origi-
1968–1973 und 1976–1982 Präsident des nalwerke). 2) F., Alessandro, 1520–1589;
Senats; 1982/83 erneut ital. Ministerpräsi- Kardinal, vermittelte 1539–41 zwischen
dent. Außerdem ehemaliger Innen-, Land- Kaiser Karl V. und Franz I. von Frank-
wirtschafts- und Arbeitsminister; Senator reich und führte 1546 das päpstliche Hilfs-
auf Lebenszeit. korps in den Schmalkaldischen Krieg.
Faraday, Michael, brit. Chemiker und 3) F., Alessandro, 1545–1592; Sohn des
Physiker, Begründer der modernen Elek- Herzogs Ottavio und der Margarete von
trodynamik, 1791–1867; entdeckte u. a. Parma, 1578 Statthalter der Niederlande,
die elektrische Induktion und die Gesetze rettete mit diplomat. und militär. Geschick
der Elektrolyse, erforschte die Zusammen- die S-Provinzen für Spanien gegen den auf-
hänge zw. Licht, Elektrizität und Magne- ständ. Norden.
tismus, führte eine Reihe noch heute ver- Färöer („Schafinseln“), strateg. wichtige
wendeter Fachausdrücke ein (Feld, Kraftli- Inselgruppe im Nordatlantik, seit dem
nie, Anode usw. ). 9. Jh. von norweg. Wikingern besiedelt;
Farbbücher, von Regierungen veröffentli- 1380 dänisch, nach der dt. Besetzung Dä-
chte Dokumentensammlungen zur Recht- nemarks 1940–1945 von den Engländern
fertigung der Regierungspolitik (bes. Au- besetzt; 1946 Unabhängigkeit proklamiert,
ßenpolitik) vor dem Parlament (zunächst von Dänemark nicht anerkannt; 1947

278
Faschodakonflikt

a­ utonom (Bewohner, die Färinger, spre- abgelöst durch Kammer der Korporati-
chen nicht dänisch, sondern „färöyisch“, onen (gelenkte Ständevertretung). Der F.
eine dem Altnorweg. verwandte Sprache), versuchte auch nach außen an die Tradi-
vertreten im dän. Parlament. tion des röm. Imperiums anzuknüpfen und
Faruk I., König von Ägypten, 1920–1965; die Italiener zu einer „imperialist. und krie-
Sohn ↑ Fuads I., bestieg 1936 zunächst un- ger. Nation“, einem „Volk von Helden und
ter der Regentschaft seines Oheims Mo- Seefahrern“ zu erziehen und stürzte sich in
hammed Ali den Thron; versagte sich den koloniale und militärische Abenteuer (Er-
notwendigen sozialen Reformen und ver- oberung Abessiniens, Unterstützung Fran­
lor den Krieg gegen Israel; 1952 durch den cos im spanischen Bürgerkrieg, Angriff auf
Militärputsch Nagibs abgesetzt und ins Griechenland); Italianisierung der Tiroler
Exil geschickt. und slowen. Minderheiten. Der F. gab sich
Fasces, im antiken Rom Ratenbündel der nicht kirchenfeindlich (1929 ↑ Lateranver-
↑ Liktoren, von den Etruskern übernom- träge) und nicht antisemitisch, nahm aber
menes Symbol der Amts-(Straf-)gewalt der antisemit. Kurs unter dem Druck des Nati-
höheren Beamten, denen sie vorausgetra- onalsozialismus auf (doch keine organisier-
gen wurden; das aus den F. herausragende ten Massenverfolgungen und Massenver-
Richtbeil (Sinnbild der Strafgewalt bzw. nichtungen), mit dem er nach ursprüng-
der Todesstrafe) wurde in der Republik licher Gegnerschaft seit 1936 außenpol.
entfernt, da die Blutgerichtsbarkeit dem zusammenarbeitete (Achse Berlin–Rom).
Volk oblag, und nur in Zeiten der Diktatur Im Gegensatz zum Regime Hitlers blieb
wieder hinzugefügt. – Der ital. Faschismus seinem Staat eine gewisse Rechtsgrund-
erhob die F. zum Partei-, dann Staatssym- lage erhalten (Dualismus Staat–Partei), so
bol, um zu bekunden, dass er das Erbe des dass Mussolini, der „Duce“ (Führer), 1943
alten Rom angetreten habe. vom Faschist. Großen Rat abgesetzt wer-
Faschismus (ital. Fascismo), totalitäre Be- den konnte. Die anschließend unter dem
wegung in Italien, 1919 von ↑ Mussolini Schutz dt. Bajonette errichtete faschist.
ins Leben gerufen; urspr. als „Fascio di Republik in N-Italien wurde von den Al-
Combattimento“ Kampfbund, dann Ein- liierten beseitigt, doch zeigte sich der F.
heitspartei, die die altröm. ↑ Fasces zum bald nach Kriegsende wieder aktiv. – Der
Symbol wählte; erwachsen aus der natio- F. (bzw. sein Schöpfer Mussolini) fand
nalen Unzufriedenheit mit dem schlech- Nachahmer fast in der ganzen Welt (Fa-
ten Abschneiden Italiens bei den Friedens- schismus im weiteren Sinne), obwohl an-
verträgen und aus dem Widerstand gegen geblich „kein Exportartikel“. Außer Hitler
einen zunehmenden Linksradikalismus; in Deutschland ahmten den F. nach: Doll-
durch den Staatsstreich vom 28. Okt. 1922 fuß in Österreich, Franco in Spanien, Sala-
(„Marsch auf Rom“ des Wehrverbandes zar in Portugal, Metaxas in Griechenland,
der „Schwarzhemden“) und nach Terrori- Codreanu und Antonescu in Rumänien,
sierung der noch immer bestehenden bür- Perón in Argentinien; in Ländern mit de-
gerlichen Parlamentsmehrheit seit 1926 mokrat. Tradition konnte er sich nicht
Übernahme der Macht (Einheitsparteien- durchsetzen (Mosley in England, Degrelle
staat bei fakt. Fortbestehen der Monar- in Belgien). Verschiedene Parteien und po-
chie). Der F. vertrat den Gedanken eines lit. Strömungen knüpften nach 1945 an
autoritär gelenkten und ständisch geglie­ die Tradition des F. an (↑ Neofaschismus).
derten Staates gegen Liberalismus, Demo- Faschodakonflikt, 1898 zw. Frankreich
kratie und Parlamentarismus; Nation und und England um die Beherrschung des
Staat galten als höchste Werte, Parlament Sudan, ausgelöst durch das Vorgehen des

279
Fasti

frz. Kolonialpioniers ↑ Marchand, der quer Faure, 1) F., Felix, frz. Staatsmann, 1841–
durch Afrika zog und in Faschoda am obe- 1899; Präsident der Republik seit 1895,
ren Nil die frz. Flagge hisste, darüber aber unter ihm endgültiger Abschluss des Bünd-
mit dem englischen General Kitchener zu- nisses mit Russland. 2) F., Edgar, frz. Po-
sammenstieß; auf Weisung seiner Regie- litiker, 1908–1988; 1950–58 und 1963–
rung, die vor der britischen Kriegsdrohung 1972 Minister in verschiedenen Ressorts.
zurückwich, gab er sein Unternehmen auf. 1968/69 Unterrichtsminister, suchte nach
Empörung in Frankreich; Wende der frz. den Maiunruhen 1968 eine Hochschulre-
Außenpolitik eingeleitet, hin zu koloni- form im Sinne de Gaulles durchzuführen.
aler Verständigung mit England (↑ Entente 1973–78 Präsident der frz. Nationalver-
cordiale) mit Front gegen Deutschland sammlung.
(das Werk ↑ Delcassés). Faust, Georg (Dr. Johannes Faustus),
Fasti (lat. dies fasti, Gerichtstage, zum Un- Schwarzkünstler, Astrologe, Arzt, Lehrer,
terschied von dies nefasti, an denen Amts- um 1480–1540; führte unstetes Wanderle-
handlungen verboten waren), in Alt-Rom ben (Erfurt, Wittenberg, Ingolstadt, Hei-
der Amtskalender; die Konsularfasten, Lis­ delberg); schon bei Lebzeiten von Legen-
ten der Konsuln, als chronologische Ge- den umgebene Gestalt; lieferte seine Seele
schichtsquelle wichtig. dem Teufel aus, um seinen Drang nach
Fatah, Al, 1958 gegr., militante palästi- Wissen und Beherrschung der Welt zu be-
nens. Befreiungsbewegung, die die Selbst- friedigen; später Mittelpunkt eines Sagen-
ständigkeit Palästinas anstrebt; bis zu sei- kreises. Das erste erhaltene Volksbuch vom
nem Tod unter der Führung ↑ Arafats, seit- Dr. F. erschien 1587 in Frankfurt/Main;
her Mahmud Abbas’. Versuchte ab 1965 der Engländer Marlowe schrieb um 1589
durch Terroranschläge die Aufmerksamkeit eine Tragödie vom Dr. F., der bereits Züge
der Öffentlichkeit auf die Palästinafrage des genialen Übermenschen trug; die be-
zu lenken; wurde bei Zusammenstößen rühmteste Bearbeitung des Stoffes erfolgt
mit der jordan. Armee 1970/71 („Schwar- allerdings durch Goethe; seither der „faus­
zer September“ 1970) fast vollständig zer- tische Mensch“ (Spengler) Verkörperung
schlagen; Verlegung der Operationsbasis in des abendländischen Dranges nach letzten
den Libanon, Anschluss an die PLO; dort Zielen durch Erkenntnis und Tat.
stärkste Gruppierung. 1983 spaltete sich Fausta, Flavia Maxima, erste Gemahlin des
die Al Fatah auf, Ende der 1980er Jahre römischen Kaisers Konstantin d. Gr., der
sagte sie sich vom Terrorismus los. Bei der sie als Mörderin seines Sohnes Crispus tö-
Wahl zum Palästinens. Autonomierat 1996 ten ließ; Mutter der Kaiser Konstantin II.,
gewann sie die absolute Mehrheit. Constantius II. und Constans.
Fatima, jüngste Tochter Mohammeds und Faustina d. Ä., nach ihrem Tod göttlich
seiner Gemahlin Chadidscha, 606–632; verehrte Gattin des röm. Kaisers Antoni-
Gemahlin des späteren Kalifen Ali, Mutter nus (Tempel der F. in Rom). Ihre Tochter
von Hasan und Hussein, Stammmutter des F. d. Jüngere war Gattin Mark Aurels.
ersten islam. Adelsgeschlechts; die Nach- Faustkeil, Hauptwerkzeug der frühen und
kommen ihrer Söhne: die Fatimiden. mittleren Altsteinzeit (↑ Paläolithikum),
Fatimiden, islam. Dynastie, schiit. Nach- Zeugnis der ersten greifbaren Zivilisation;
kommen der ↑ Fatima, herrschten seit 910 aus Gesteinsknollen oder Gesteinsabschlä-
in Nordafrika, seit 969 in Ägypten (Resi- gen gefertigtes, an beiden Seiten in die ge-
denz und Kulturzentrum Kairo, seit 972 wünschte Form geschlagenes Universalin-
Kalifen), eroberten Syrien; 1171 von ↑ Sa- strument, meist aus ↑ Feuerstein (Zweise-
ladin gestürzt. her), manchmal mit ausgezogener Spitze

280
Fehrbellin

zum Bohren; urspr. roh und plump, dann im arabischen Orient. Auch arab. Frei-
zunehmend verfeinert (Sinn für Linienfüh- schärler des 20. Jh. bezeichnen sich als F.
rung); nicht in allen altsteinzeitlichen Kul- Feddersen Wierde, frühgerman. Wurten-
turen vorkommend (↑ Clactonien) und im siedlung an der Wesermündung („Troja des
Jung-Paläolithikum von Klingen mehr und Nordens“), reiche Funde (Bohlenwege, We-
mehr verdrängt; beim Zersprengen der Ge- ber-, Töpfer-, Schmiede- und Gerberhäu-
steinsknollen abgelöste Splitter wurden zu ser, Vorratsspeicher, Pflüge, Gewebe) aus
Sticheln, Schabern, Sägemessern, Boh­rern der Zeit von Chr. Geburt bis ins 5. nach-
oder als Speerspitzen verwendet. christliche Jh., in Verbindung stehend mit
Faustrecht, Selbsthilfe „mit bewaffneter Ringwallfestung Sievern am Geestrand; die
Hand“ (das Recht des Stärkeren ist Rechts- Bewohner zogen vielleicht mit den Angeln,
norm), setzte sich im späten MA, einer Sachsen und Jüten nach England.
Zeit des schwachen staatl. Rechtsschutzes Federmann, Nikolaus, dt. Konquistador,
durch; unvermeidbare Folge des ausarten­ gest. 1542; im Dienst der ↑ Welser in Vene­
den ↑ Fehdewesens. zuela 1530–32 und 1536–39.
Favre, Jules, frz. Staatsmann, 1809–1880; Federsee, verlandender Moränensee im
Führer der republikanischen Opposition schwäb. Voralpenland mit Besiedlungs-
ge­gen Napoleon III.; unterzeichnete 1871 resten seit 12 000 v. Chr. (Rentierjägerla-
als Außenminister der Republik die Kapi­tu­ ger, Jäger- und Fischerhütten); um 1000–
lation von Paris, den Waffenstillstand und 800 v. Chr. befestigte Inselsiedlung („Was-
den Frieden von Frankfurt. serburg“); 800–500 zahlreiche Grabhügel
Fawkes, Guy, 1605 Haupträdelsführer der mit reichen Bronze- und Eisengrabbeiga-
↑ Pul­ververschwörung in England, 1570– ben; auch röm. und alemann. Funde; hier
1606; hingerichtet; der Tag seiner Verhaf- wurde erstmals die Pollenanalyse ange-
tung (5. Nov.) heute noch in England Ju- wandt (↑ Chronologie, Moorfunde).
gendfest. Fehde, im MA gewaltsame Selbsthilfe als
FDJ, Abk. für ↑ Freie Deutsche Jugend. Rechtseinrichtung (später neben dem Ge-
Februarrevolution, 1) die am 24. Feb. richtswesen), erwachsen aus der german.
1848 in Paris gegen die Herrschaft des Bür­ Sitte des Rechtsschutzes bzw. der Sühneer-
gerkönigs Louis Philipp ausgebrochene Re­ zwingung als einer Angelegenheit des Ein-
volution, aus ihr ging die „2. Republik“ zelnen und seiner Sippe (erst in zweiter Li-
her­vor; die F. löste die dt. Märzrevolution nie der übergeordneten Gemeinschaft), sie
aus (↑ Frankreich). 2) bürgerlich-demokra- setzte „gute“ Gründe und ritterl. Haltung
tische Revolution in Russland am 12. März voraus und unterlag bestimmten Regeln
1917 (nach russ. Kalender 27. Feb. 1917), (F.-Recht; z. B. Ankündigung durch F.-Brief
ausgelöst durch den 1. Weltkrieg und seine 3 Tage voraus) und Beschränkungen (Ein-
Wirkungen auf Russland; beendete die halten des Gottesfriedens, Schonung von
Selbstherrschaft der russ. Zaren, Russland Schwerkranken, Kaufleuten usw.); Beendi-
wurde Republik. Nach der F. wurde sog. gung durch die ↑ Urfehde; praktisch artete
Doppelherrschaft etabliert: die bürgerl. re- das F.-Wesen in die willkürliche Herrschaft
präsentative Demokratie mit Provisor. Re- des ↑ Faustrechts und damit in allg. Anar-
gierung und die revolutionären Räte (Sow­ chie aus, der erst der ↑ Ewige Landfriede
jets). Die F. war der Vorbote der ↑ Okto- von 1495 juristisch ein Ende machte.
berrevolution im gleichen Jahr. Fehrbellin, Ort in der Mark Branden-
Fedajin (arab. Fidaijjun, „die sich Opfern­ burg; 1675 entscheidender Sieg Friedrich
den“), im MA aufgekommene Bezeich- Wilhelms von Brandenburg-Preußen und
nung für polit. Untergrundorganisationen Derfflingers über die Schweden; Befreiung

281
Fehrenbach

der Kurmark (seitdem Friedrich Wilhelm weiht in das geheime Prozessverfahren und
„Der große Kurfürst“). durch Eid zur Geheimhaltung verpflichtet.
Fehrenbach, Konstantin, dt. Politi- An der Spitze jedes Freistuhls (der ange-
ker, 1852–1926; Zentrumsabgeordneter, sehenste: Dortmund) stand ein Stuhlherr
1919/20 Präsident der Weimarer National- (Oberstuhlherr: der Erzbischof von Köln als
versammlung, 1920 Reichskanzler, verwei- Herzog von Westfalen), unter ihm die Vor-
gerte 1921 Annahme des Londoner Ulti- sitz führenden Freigrafen; seit dem 14. Jh.,
matums und trat zurück; 1924 Fraktions- als die Rechtsunsicherheit im ganzen Reich
vorsitzender des Zentrums. zunahm, dehnte sich das Wirkungsfeld der
Feldpost, für Soldaten der Überlieferung F. weiter aus; wer der Ladung der F. nicht
nach erstmals unter Alexander d. Gr. orga­ folgte, wurde „verfemt“ (= gerichtet). Die
nisiert; im Spät-MA unter Kaiser Maxi­ F. verfielen seit dem 15. Jh., in Westfalen
milian (1426), in der frz. Armee unter bestanden sie als lokale Gerichte bis 1808.
Turenne und Guebriant um 1660 am – In der Weimarer Republik gingen von
Oberrhein. Erstes preuß. F.-Amt 1716, rechtsradikalen Gruppen die Fememorde
weiterer Ausbau im 7-jährigen Krieg; seit aus, denen sog. „Erfüllungspolitiker“ oder
1813 hatte jedes preuß. Korps ein eigenes „Novemberverbrecher“, u. a. Rathenau und
F.-Amt, Leistung der dt. Feldpost 1870/71: Erzberger zum Opfer fielen.
94 Mio., 1914–19: 29 Mrd., 1939–1945: Fénelon, François de Safignac de la Motte,
30,6 Mrd. Sendungen. frz. Theologe und Pädagoge, 1651–1715;
Feldschlange, für den Bewegungskrieg Erzieher der Enkel Ludwigs XIV., 1695
bestimmtes Geschütz mit langem Rohr Erzbischof von Cambrai, wegen seiner quie­
im 15. bis 17. Jh., Kaliber bis 14 cm, Ge- tist. Neigungen von ↑ Bossuet angegriffen
schossgewicht (Eisenvollkugeln) bis 10 kg. und vom Papst gemaßregelt; schrieb den
Felonie, im ↑ Lehenswesen Verletzung der berühmten Erziehungsroman und ↑ Fürs­
Lehenstreue sowohl durch den Lehens- tenspiegel der Aufklärung „Télémaque“
herrn gegenüber seinem Vasallen wie um- (Kritik an Ludwig XIV.).
gekehrt; hob das Lehensverhältnis auf. Fenier (abgeleitet vom altirischen Wort
Felsbilder, ↑ Eiszeitkunst. flann, Krieger), revolutionärer Geheim-
Felsengräber, in Felsen angelegte Begräb- bund der Iren nach dem Vorbild der Jako-
nisstätten des alten Orients und Ägyptens; biner, bes. in den USA, betrieb seit 1861
die ältesten F. stammen aus dem 3. Jt. v. Chr., die Lostrennung Irlands von England; Auf-
die bekanntesten sind in Theben-West (Be- stände 1865 und 1867 in Irland; versuchte
amtengräber), im Königsgräber­tal und im Handstreiche in Liverpool und Manches­
Tal der Königinnen (↑ Petra). ter; seit 1886 im Erlöschen; neu erstanden
Femegerichte (Ferne, Veme, mhdt. Verur- in der ↑ Sinn Féin.
teilung, Strafe), im MA (nachgewiesen seit Ferdinand, Name von Herrschern. Rö-
dem 13. Jh.) vom König mit dem Blutbann misch-dt. Kaiser: 1) F. I., Begründer der
beliehene Freigerichte (ausschließlich für österreichisch-ungar. Monarchie (1556–
todeswürdige Verbrechen), bes. in West- 1564); geb. 1503, Bruder Karls V., erhielt
falen (während anderswo die Blutgerichts- 1521 die österr. Erblande Habsburgs und
barkeit von den Landesherren beansprucht vertrat Karl V. in Deutschland, 1526 Kö-
wurde); das Gericht setzte sich zusammen nig von Böhmen und Ungarn, um dessen
aus mindestens 7 „Freischöffen“ (freie Bau- Besitz er gegen die Türken kämpfte; 1531
ern), tagte bei Tage und ohne Vermum- zum röm. (dt.) König gewählt, bemühte
mung an der herkömmlichen Thingstätte, sich um konfessionellen Ausgleich durch
die Schöffen waren als „Wissende“ einge- Konzil und Religionsgespräche, schloss

282
Ferdinand

1552 den ↑ Passauer Vertrag und 1555 den die Franzosen 1758 bei Krefeld, 1759 bei
↑ Augsburger Religionsfrieden; nach Karls Minden und hielt sie bis Kriegsende in
Rücktritt 1556 Kaiser. 2) F. II. (1616– Schach. – Bulgarien: 7) F. I. (1887–1918);
1637); geb. 1578, führte in seinen Erblan­ geb. 1861, Prinz von Sachsen-Coburg-
den die Gegenreformation durch (Emigra­ Kohary, gegen den Willen Russlands zum
tion der Protestanten) und löste durch sein Fürsten von B. gewählt, 1908 zum Zaren
schroffes Vorgehen gegen den Protestantis­ erhoben, im 1. Weltkrieg auf Seiten der
mus in Böhmen den ↑ 30-jähr. Krieg aus; Mittelmächte, dankte nach dem militär.
1629 auf dem Gipfel seiner Macht (Resti- Zusammenbruch Okt. 1918 ab, starb 1948
tutionsedikt), eroberte Württemberg für in Coburg. – Kastilien: 8) F. I., d. Gr., ers-
Habs­burg. 3) F. III. (1637–1657); geb. ter König von K. (1035–1065); eroberte
1608, Sohn von 2), führte nach Wallen- im Kampf gegen seinen Schwager 1037
steins Ermordung das kaiserl. Heer und das Königreich Léon und gegen die Mau-
schlug mit Gallas die Schweden bei Nörd- ren 1064 Coimbra. 9) F. III., der Heilige
lingen; gab Württemberg wieder auf, (1217–1252); vereinigte 1230 Kastilien
such­te Aussöhnung mit den Protestanten mit Léon (für immer), führte die ↑ Rekon-
und allgemeinen Frieden; stark kulturelle quista auf ihren Höhepunkt (Eroberung
Neigungen, verhandelte zäh um den Ab- von Cordoba, Murcia, Sevilla und Cadiz)
schluss des Westfäl. Friedens, um Schwä- und gründete die Universität Salamanca.
chung der Reichsgegner und Erhaltung der – Neapel-Sizilien: 10) F. I. (1458–1494);
Reichseinheit. – Aragonien: 4) F. II., der geb. 1423, Sohn ALfons’ V. von Aragonien,
Katholische (1479–1516); geb. 1452, hei- nach dessen Tod setzte er sich als König von
ratete 1469 Isabella, die 1474 den Thron Neapel durch und behauptete sich gegen
von Kastilien bestieg, und vereinigte damit die Ansprüche der Anjous; Pracht liebend,
beide Reiche (zunächst lose) zum König- Förderer der Wissenschaften. 11) F. IV.
reich Spanien, hielt den Adel nieder, er- (I.) (1759–1825); geb. 1751, Bourbone,
neuerte die Inquisition zum Kampf gegen trieb nach der liberalen Regentschaft des
die Ketzer, vertrieb die Juden, mehrte seine Ministers Tanucci eine absolutist. Günst-
Macht nach außen durch Abschluss der lingswirtschaft, führte aus Hass gegen die
↑ Re­konquista (Zurückeroberung; 1492 Frz. Revolution Krieg gegen Frankreich;
Fall Granadas, des letzten Maurenstütz- 1798–1800 aus Neapel vertrieben und auf
punkts), Eroberung von Neapel 1503 und Sizilien beschränkt, 1805 von Napoleon
Navarra 1512 sowie durch Entdeckungen er­neut abgesetzt, vereinigte nach seiner
(1492 Kolumbus; 1494 Vertrag von ↑ Tor- Rück­kehr 1816 beide Reiche zum König-
desillas über die span.-portug. Demarkati- reich beider Sizilien und nannte sich F. I.,
onslinie). – Bayern: 5) F. Maria, Kurfürst ließ 1821 die Revolution in seinem Land
(1651–1679); geb. 1636, trieb während von Österreich niederschlagen. 12) F. II.
der Kriege gegen Ludwig XIV. eine frank­ (1830–1859); geb. 1810, Enkel von 11),
reichfreundl. Neutralitätspolitik; Pracht regierte despotisch und warf die liberalen
und Kunst liebend (Theatinerkirche, Nym- Erhebungen mit grausamer Härte nieder,
phenburg). – Braunschweig: 6) F., (nicht- sodass die brit. und frz. Regierung schließ-
regierender) Herzog, preuß. Feldmarschall, lich den diplomat. Verkehr mit ihm abbra-
1721–1792; trat 1740 in die Dienste Fried- chen, starb an den Folgen eines Attentats
richs d. Gr., zeichnete sich in den Schles. von 1856. – Österreich: 13) F. I., Kaiser
Kriegen und im 7-jährigen Krieg aus, er- (1835–1848); geb. 1793, regierungsun-
hielt Ende 1757 den Oberbefehl über die fähig (Regierung durch „Geheime Staats-
preuß.-engl. Armee in Hannover, schlug konferenz“ unter Metternich), „Der gute

283
Feriae

Nandl“ dankte Dezember 1848 zugunsten Fernsehen, die Idee älter als der Rund-
seines Neffen Franz Joseph ab, starb 1875. funk; 1884 erfand Paul Nipkow als Bild-
– Rumänien: 14) F. I., König (1914–1927); feldzerleger die Spirallochscheibe (Nipkow­
geb. 1865, Prinz von Hohenzollern-Sigma- scheibe, z. T. bis 1943 in Gebrauch); Er-
ringen, Neffe Karls (Carols) I., vermählt findungen in verschiedenen Ländern
mit einer Nichte Eduards VII., ließ sich führ­ten zum heutigen F.: 1893 Fotozelle
1916 zum Kriegseintritt auf Seiten der Alli­ zur Umwandlung von Licht- in Strom-
ierten bestimmen. – Spanien: 15) F. VII., schwankungen (Elster und Geitel); 1897
König (1814–1833); geb. 1784, 1808 von Braunsche Röhre (Kathodenstrahlröhre)
Napoleon in Bayonne zum Thronverzicht als Bildröhre im Empfänger (verbessert
gezwungen (Anlass zur span. Erhebung ge- 1903 durch die Glühkathode Wehnelts),
gen die Franzosen), hob bei seinem Regie- 1906 erstmals verwendet (M. Dieckmann);
rungsantritt die lib. Verfassung von 1812 1906 Verstärkerröhre (R. von Lieben); erste
auf, ließ die Revolution von 1820 durch Fernsendung 1919 durch D. von Mihaly;
Frankreich 1823 niederwerfen, stellte zu- 1925 Elektronenauge (Ikonoskop) als Er-
gunsten seiner Tochter Isabella die weibl. satz für die Nipkowscheibe (W. Zworykin);
Thronfolge wieder her, wogegen sich sein 1925/26 erfolgreiche Sendeversuche nach
Bruder Don ↑ Carlos erhob. verschiedenen Verfahren durch Karolus in
Feriae, die Fest- und Feiertage der Römer, Deutschland, Baird in England, Jenkins in
entweder von Staats wegen allg. verbind- den USA; 1927 Übertragung auf 330 km
lich oder nur innerhalb einzelner Familien; Entfernung (H. T. Ives, USA); 1928/29
die Staatsfeste waren teils auf einen best. Übertragungen durch die Dt. Reichspost
Tag festgelegt, teils wurden sie mit jährl. (30 Zeilen) über Funksender Witzleben
wechselndem Datum von den Priestern an- und Deutschlandsender; 1930 erzielten
gesetzt, dazu Feiertage bei bes. Anlass. M. von Ardenne und W. Zworykin hoch-
Fermi, Enrico, ital. Physiker, 1901–1954; zeilige Bildzerlegung in der Braunschen
benutzte als Erster Neutronen zum Atom- Röhre; 1933 24-Stunden-Programm in den
kernbeschuss und erzielte 1934 künstliche USA (Aufbau von 15 Sendern, Farbfernse-
radioaktive Stoffe; 1942 erster Atomreak- hen 1941), 1935 Fernsehdienst der Reichs-
tor der Welt in Chicago; Nobelpreis 1938. post (bis 1943); nach dem 2. Weltkrieg
Fernrohr, das holländische oder Galileische Neuaufbau in den USA (1945), in England
(Zer­streuungslinse als Okular, aufrechte Bil­ 1946, in Deutschland 1953. – Das F. ne-
der), um 1600 in Holland erfunden (wohl ben unterhaltender auch von großer polit.,
von dem Brillenmacher Lippers­heim) und wirtsch., kultureller Bedeutung (aus bild-
auf Kunde davon 1609 auch von Galilei licher Anschauung Kenntnis der Länder
konstruiert, der damit in der ersten Nacht und ihrer Probleme, der Politiker und ih-
drei Jupitermonde entdeckte; das astro- rer Zielsetzungen, lebendige Teilnahme an
nom. oder Keplersche F. (Lupe als Okular, zeitgeschichtl. Ereignissen, Einwirkung auf
verkehrte Bilder, größerer Gesichtskreis) die öffentl. Meinung; Fortbildung).
1611 von Kepler in seiner „Dioptrik“ vor- Fernsprecher, erstes Gerät konstruiert von
geschlagen und wohl von Scheiner 1613 dem dt. Lehrer Philipp Reis 1860, in der
erstmals konstruiert; das erste Spiegelte- heutigen Form entwickelt 1876 von dem
leskop 1668 von Newton hergestellt; das Amerikaner Graham Bell (statt Stromunter­
erste F. mit achromat. Objektiv (ohne Far- brechung, die nur entstellende Stimm-
benzerstreuung) auf Anregungen Eulers wiedergabe zuließ, Stromschwankungen
1757 von Dollond konstruiert, um 1820 im elektromagnet. Induktionsstrom), in
techn. perfektioniert von Fraunhofer. Deutschland verbessert von Siemens 1880;

284
Festung

Hughes und Lütge erfanden das Mikrofon Festung, stärkste und dauerhafteste Form
1878; Generalpostmeister Stephan (auf einer Verteidigungsanlage; ihr Bau wie ihre
den die Bezeichnung „F.“ zurückgeht) ließ Einnahme zu allen Zeiten und bei fast al-
die Postanstalten der kleinen Orte mit F. len Völkern wichtiges Ziel der Kriegstech-
anstelle des kostspieligen Telegrafen ausrüs­ nik und schon in den Großreichen des Al-
ten und 1881 in Berlin das erste Ortsnetz tertums (Assyrer, Perser, Römer) zur Voll-
(8 Teilnehmer) eröffnen (vorangegangen endung entwickelt. Stärker befestigt und
USA seit 1878); um 1895 wurde die auto- größer als Lager und Burg, zum Unter-
matische Vermittlung entwickelt; die von schied von der durchgehenden Grenzbefe-
von Lieben und de Forest 1906 erfundene stigung (↑ Limes, Chin. Mauer u. a.) ört-
Verstärkerröhre ermöglichte Ferngespräche lich konzentriert, wandelte sich die F. mit
über weiteste Distanz. der Entwicklung der Angriffswaffen (↑ Be-
Ferrara, Stadt am unteren Po, altrömische lagerungsmaschinen). Im Altertum waren
Kolonie, seit dem 4. Jh. n. Chr. Bischofs- praktisch alle Großstädte F.en, die in der
sitz; seit dem 6. Jh. beim byzantin. ↑ Ex- Regel nur nach monate-, oft jahrelanger
archat, im MA als päpstliches Lehen bei Belagerung genommen wurden (Ninive,
der Markgrafschaft Tuszien; im 12. Jh. als Athen, Milet, Tyrus, Syrakus, Karthago,
freie Stadt Mitglied des Lombard. Städte- Rom); desgleichen die Städte des MA, die
bundes, doch im 13. Jh. auf Seiten Kaiser von der eigenen „wehrhaften“ Bürgerschaft
Friedrichs II.; seit 1264 unter der Herr- verteidigt wurden (z. B. die dt. Reichsstädte
schaft der ↑ Este, 1471 vom Papst zum gegen die rivalisierenden Fürsten, die Lom-
Herzogtum erhoben. Blütezeit in der Re- bard. Städte gegen die Staufer, Konstanti-
naissance (im 15. Jh. 100 000 Einwohner). nopel 1453 und Wien 1683 gegen die Tür-
1597 als erledigtes Lehen vom Papst einge- ken); erst mit der Ausbildung des moder-
zogen, bis 1859 beim Kirchenstaat. nen Staates, der stehenden Heere usw. ent-
Ferry, Jules, frz. Politiker, 1832–1893; Re­ stand die ausschließlich zu militärischen
publikaner, antikirchl., begr. 1879/80 als Zwecken errichtete Festung im engeren
Unterrichtsminister das weltliche Schul- Sinn (zum Schutz des Landes). Daneben
system, 1880/81 und 1883–85 Minister- entwickelte sich der Begriff der „offenen
präsident; als weit planender Organisator Stadt“; doch waren noch im 19. Jh. manche
des frz. Kolonialreiches (Tunis, Madagas- Hauptstädte (z. B. Paris, Wien) befestigte
kar, Tonkin, Annam) auf dem Weg des F.en. Die Einführung der Feuerwaffen
Einvernehmens mit Bismarcks Diplomatie (Belagerungsgeschütze) revolutionierte die
(Ablenkung Frankreichs vom Verlust El- F.-Bautechnik, die zu einer Wissenschaft
sass-Lothringens, dt.-frz. Verständigung), wurde, mit der sich selbst große Künstler
scheiterte aber an der Opposition der „Re- wie Dürer, Leonardo da Vinci und Baltha-
vanchepartei“ (Clemenceau). sar Neumann beschäftigten. Vorbildlich
Fes (Fez), Wirtschaftszentrum in NW-Ma- wurden die F.en Italiens und der Nieder-
rokko; röm. Siedlung, von den Vandalen lande im l6. Jh.; mit Vauban erreichte die
zerstört; 789 n. Chr. neu gegründet; 1. Re- Kunst des F.-Baus und des F.-Krieges einen
sidenz des Sultans, seit 1086 Hauptstadt Höhepunkt; sie hatte im 17./18. Jh. mehr
der maur. Reiche F. und Marokko; zählte in mit Mathematik als mit soldat. Tapferkeit
seiner Blütezeit (13. Jh.) Hunderte von Mo- zu tun. Die Steigerung der Artilleriewir-
scheen und galt in W-Afrika als heili­ge Stadt kung (Sewastopol 1854/55, Paris 1870/71,
des Islam neben Mekka und ­Kairouan; ver- Port Arthur 1904/05, Antwerpen 1974,
fiel seit dem 16. Jh.; 1911 von den Frz. be- Verdun 1916) löste die F. alten Stils in ein
setzt; heute marokkan. Provinzhauptstadt. weiträumiges Befestigungssystem einzelner

285
Fetialen

„Werke“ auf; im 2. Weltkrieg bildete sich Einzelstaaten (Stein-Hardenberg in Preu-


ein neuer (großräumiger) F.s-Begriff (Ma- ßen); doch behauptete die feudale Groß-
ginot-Linie, Westwall, Atlantikwall, F. Hol- grundbesitzerklasse in industriell rückstän-
land, Alpenfestung u. a.). digen Gebieten (Ostelbien, Osteuropa, Sü-
Fetialen (fetiales), altröm. Kollegium von ditalien, Spanien), z. T. bis in die neueste
20 Priestern zur Wahrung des Völkerrechts Zeit, ihre starke polit. und wirtsch. Stel-
(Vertragsabschlüsse; Kriegserklärung durch lung.
Wurf einer blutigen Lanze in ­Feindesland). Feuerstein, Flint, glasartiges, sprödes, sehr
Feudalismus (von mittellat. feudalia, Le- hartes Gestein, als Knollen in Kreideforma­
henssachen), von ↑ Montesquieu gepräg­ tionen vorkommend (S-Schweden, N-
ter Begriff für das Gesellschaftssystem des Jütland, auf Rügen, in England, Belgien,
↑ Lehenswesens im MA; im 19. und 20. Jh. N-Frankreich, Polen, S-Russland), z. T.
Begriff auch für ähnl. erscheinende polit., bergmännisch gewonnen oder als Geröll
soziale, wirtsch. Zustände in anderen Ge- durch Gletscher verlagert; zerbricht bei
sellschaftsordnungen (z. B. in Alt­chi­na, Schlag in scharfkantige Bruchstücke, die
Altjapan, Altindien, Altrom, Russland, zum Schneiden, Stechen, Bohren, Sägen,
Ägypten, Spanien, den Kolonien). F. be- Raspeln, Schaben zu gebrauchen sind; als
zeichnete die durch den Staat gestützte Rohmaterial für die wichtigsten Werk-
oder geduldete Vorherrschaft und die zeuge und Waffen der Steinzeit weithin
rechtl. (Erbrecht) und gesellschaftl. Vor- ge­handelt; die Knolle, mehr oder weniger
rechte weltlicher und geistl. Grundbesitzer zurechtgeschlagen, als ↑ Faustkeil oder als
gegenüber anderen, abhängigen Schich- Kernbeil; die dünneren Abschläge wurden
ten (Bürgern, Bauern, Hörigen, Leibeige- Klingen, deren Ränder schärfer bearbeitet
nen u. a.), verbunden meist auch mit poli- waren („Klingenkulturen“); aus F. wurden
tischen Vorrangstellung und Sonderrechten auch eingekittete Pfeilspitzen, Harpunen
der Lebensführung; mannigfache Erschei- hergestellt, in der Nacheiszeit auch Schlag-
nungsformen, von autokrat. Willkür bis zu steine zum Feuerzünden. – Das Maß und
patriarchal. Fürsorge für die Abhängigen die Art der Bearbeitung Hauptmerkmal
reichend. Seit dem Frühkapitalismus ge- der steinzeitlichen Zivilisationsstufen.
hörten zur feudalen Schicht auch die Besit- Feuersteinschloss, erfunden im 16. Jh.,
zer der großen Manufakturen; Karl Marx allg. eingeführt während des 30-jährigen
bezeichnete die moderne kapitalmächtige Krieges; der mit einem Feuerstein verse-
Bourgeoisie als neue Form des F. – Der F. hene Gewehrhahn öffnete beim Nieder-
im engeren Sinne – die auf dem Lehens- schnappen den Deckel der Zündpfanne
wesen beruhende staatliche und soziale Or- und erzeugte gleichzeitig durch Reibung
ganisationsform des MA – schaffte durch am Deckel einen Funken, der das Pulver
Verleihung von Ländereien und Rechten, entzündete (200 Jahre in Gebrauch).
die allmählich erblich wurden, privilegierte Feuillants, gemäßigter Revolutionsklub,
Schichten. Durch den F. wurde der alte Be- der 1789 im aufgehobenen Kloster der F. in
amtenstand des frühen MA (Merowinger- Paris, einer Kongregation der Zisterzienser,
reich) in einen Stand erblicher Lebensträ- tagte und für die konstitutionelle Monar-
ger umgewandelt. Der F. wurde in Frank- chie eintrat; nach seinem Versammlungsort
reich erst durch die Revolution von 1789 F. genannt (Führer: Lafayette, Bailly); ging
endgültig beseitigt, in Deutschland als po- 1791 im jakobin. Radikalismus unter.
lit. Herrschaftsform erst 1803 durch den Fibeln (lat. fibula, Gewandhaftel), Spange
Reichsdeputationshauptschluss, als soziale in Form einer Sicherheitsnadel, diente der
Ordnung durch die Reformen in den dt. Gewandsicherung und als Schmuck, löste

286
Film

die Gewandnadel mit Schnursicherung ab; Ficker, Julius, dt. Rechtshistoriker, 1826–
mit der Zeit aufs Höchste vervollkomm- 1902; bedeutender Urkundenforscher, Mit­
net und modisch abgewandelt, zweiteilig begründer der österr. historischen Schule,
(Nadel und Bügel getrennt) oder einteilig; Haupt der großdt. Geschichtsschreibung,
zweigliedrige vor allem im nord.-german. verteidigte gegen die Angriffe Sybels (klein­
Kulturraum (bis zum Ende der ↑ Urnen- ­dt.) die mittelalerl. Kaiserpolitik.
felderkultur), dann in ganz Europa ein- Fideikommiss, Familienerbgut (in den
teilige bis in die Völkerwanderungs- und meis­ten Fällen Groß­grundbesitz), durch be­
Wikingerzeit; verbreitet auch bei Römern stimm­ten Erbgang nur ungeteilt übertrag-
und Griechen; in ihrer techn. und künstler. bar, unveräußerlich und nur beschränkt be­
Formentwicklung sind die F. Leittypen für lastbar; die im ↑ Feudalismus verwurzelte
vorgeschichtl. und geschichtl. Datierung, Errichtung von F.en war im 19. Jh. in den
bes. wenn sie mit charakterist. Funden an- dt. Staaten unterschiedlich geregelt; wo sie
derer Art vergesellschaftet sind. erlaubt war, ein Privileg des Adels, darum
Fibonacci (Pisano), Leonardo, ital. Mathe­ von den bürgerl. Liberalen heftig angegrif-
matiker, um 1184–1250; brachte von sei- fen; durch die Reichsverfassung von 1919
nen Reisen die arab. Ziffern nach Mittel­ beseitigt.
europa (1202 „Liber abaci“), die bis zum Fiesco (eigtl. Fieschi), Giovanni Luigi,
16. Jh. die römischen Zahlenzeichen ver- Graf von Lavagna, 1523–1547; aus be-
drängten; Voraussetzung für das moderne rühmter genues. Familie (aus der Papst In-
Rechnen ohne Rechenbrett und Rechen- nozenz IV. hervorging), zettelte zum Sturz
steine (Abacus). der mit dem Kaiser verbündeten Doria
Fichte, Johann Gottlieb, dt. Philosoph, eine Verschwörung an, ertrank bei einem
1762–1814; knüpfte an Kants „kategori­ Aufstandsversuch im von seinem Anhang
schen Imperativ“ an und führte in seiner schon besetzten Hafen.
„Wis­senschaftslehre“ alles Seiende auf die Figl, Leopold, österr. Politiker, 1902–
Selbstentfaltung des (nichtindividuellen, 1965; saß als Gegner des „Anschlusses“
absoluten) „Ich“ in sittl. Tathandlung zu- Österreichs an das Dt. Reich 1938–1945
rück und stellte als polit. Denker demge- in mehreren KZs; 1945 Führer des Bau-
mäß den Pflichtbegriff über die Glückse- ernbundes und Mitbegründer der ÖVP,
ligkeit; F. verfocht die Prinzipien der Frz. 1945–1953 österr. Bundeskanzler, 1953–
Revolution, war liberaler Demokrat und 59 Außenminister, 1959–1962 Präsident
Republikaner und verband extremen Patri­ des österr. Nationalrates.
otismus mit humanist. Weltbürgertum; Filchner, Wilhelm, dt. Forschungsreisen-
in seinen wirkungsvollen „Reden an die der, 1877–1957; 1900 Pamirexpedition,
dt. Nation“ (1807/08) rief er zum Kampf 1903–1905 Tibet, 1911/12 (2. dt.) Südpol­
gegen Napoleon auf und forderte eine dt. expedition, 1926–28 Zentralasien („Om
Nationalerziehung über alle Standesschran- mani padme hum“), 1934–38, 1939/40
ken hinweg. Als einer der ersten Staatsso- er­neut in Asien („Bismillah!“); später in
zialisten wandte er sich in seiner Schrift Nepal.
„Der geschlossene Handelsstaat“ (1800) Film (Kinematografie), als bedeutendste
gegen das liberale Konkurrenz­system, trat techn. Pioniere um 1895 gleichzeitig am
für Autarkie ein und entwarf das Bild ei- Werk: Edison (Streifen), der Franzose Lu-
ner Planwirtschaft mit Vollbeschäftigung; mière (Kamera), die Deutschen Messter
seine Gedanken wirkten im 19. Jh. in ver- (Fort­bewegung des Streifens), Anschütz;
schiedenen Richtungen stark nach (bes. bei 1896 drehte M. bereits Straßenszenen in
Hegel, Feuerbach, Marx). Berlin, 1897 aktuelle Sportereignisse, 1898

287
Finck

Naturaufnahmen. Anfänge des Spielfilms: trickfilms (Disneys „Mickymaus“). Inter-


dramatisch bewegte Einzelszenen („Sprung national gefeierte Stammfilmstars: Greta
ins Wasser“), 1897 Aufsehen erregender, Garbo, Ramon Navarro, Conrad Veidt,
250 m langer Spielfilm Edisons „Der Eisen- Harry Piel, Rudolf Valentino, Henny Por-
bahnüberfall“. Filmvorführungen zunächst ten u. a. Gleichzeitig entwickelte sich die
Schaubudensensation, um 1900 Blüte des F.-Industrie zum wirtsch. Machtfaktor:
Wanderkinos („Bioskop“); bereits aktuelle Millioneninvestitionen und -profite, Kon-
Reportagen (Burenkrieg); Spiel-F. mit Zir- zernbildung, Kampf um internationalen
kusartisten. Nächste Stufe: „Ladenkino“ Absatzmarkt. 1918 Gründung der Ufa
mit Erklärer, Klavier- oder Harmoniumbe- durch Hugenberg, Abwehr der USA-Kon-
gleitung (gegen Vorführgeräusch, zur Un- kurrenz und des Auslandboykotts dt. F.e.
termalung und Pausenfüllung); 1902 erstes Seit den 20er Jahren F. auch polit. Faktor:
F.-Theater in den USA (Los Angeles), 1910 Aufsehen erregende Sowjet-F.e (Eisensteins
erstes Großkino in Berlin, Anfänge der F.- „Panzerkreuzer Potemkin“), in Deutsch-
Industrie. Griffith (USA) arbeitete als Ers- land Protest der Linken gegen Fridericus-
ter mit Großaufnahmen und Bewegung der F., der Rechten gegen „Im Westen nichts
Kamera, Zucker mit Berufsschauspielern Neues“, staatlich subventionierte Propa-
statt Laien; Wildwestaufnahmen an Ort ganda-F.e im faschist. Italien und nat.-soz.
und Stelle (Keimzelle Hollywoods). Füh- Deutschland, Anti-Hitler-F. Hollywoods. –
rende Produktionsländer vor dem 1. Welt- Revolution in F.-Ateliers mit Erfindung des
krieg Frankreich, Italien, bes. mit histor. Tonfilms (1928 dt. Erfinder: Vogt, Engel,
F.en (1913 „Quo vadis“); seit 1907 Star-F. Massolle; Gründung der Tobis), seit 1930
(M. Linder, H. Porten, M. Pickford), 1910 Triumph des Tonfilms. Künstler. Verfall
erster dt. Groß-Spielfilm „Gelbstern“ (drei trotz Réné Clair (Frankreich) und anderer
Tage Drehdauer, 600 Mark Herstellungs- großer Könner. Massenproduktion (Holly-
kosten, 25 Mark Gage der Hauptdarstel- wood tägl. ein Film); 1950: 90 000 Kinos
ler); gemeinsame Abwehrfront von Presse, mit über 50 Mio. Sitzplätzen). Neue Ent-
kirchlichen Kreisen, Schule, Theater und wicklungsstufe: Farbfilm (seit 1935), Breit-
Elternhaus gegen den F. Im 1. Weltkrieg wand- und dreidimensionaler F. (plast. F. )
„feldgrauer Kitsch“ („Überfall in Feindes- u. a. -Trotz Konkurrenz durch das ↑ Fern-
land“, „Fräulein Feldwebel“ usw.). Nach sehen von ungebrochener wirtschaftlicher
dem Krieg Beginn des künstlerischen F.s und künstler. Bedeutung.
(„Der Student von Prag“). Experimente Finck, Friedrich August von, preußischer
und Entwicklung des „film.“ Stils: expressi- General, 1718–1766; 1759 von Friedrich
onist. (Wienes „Kabinett des Dr. Caligari“), d. Gr. zur Verfolgung Dauns entsandt und
utop. (Fritz Langs „Metropolis“), Kammer- von diesem mit seinem dezimierten Korps
spiel- (Ludwig Bergers „Ein Glas Wasser“) bei Maxen (Sachsen) zur Kapitulation ge-
und Märchenfilme (Paul Wegeners „Rübe- zwungen („Finkenfang“); nach Friedens-
zahl“). Große Publikumserfol­ge mit Kri- schluss kriegsgerichtlich verurteilt (obwohl
minal- („Die Spinne“), Aufklärungs- („Es unschuldig); 1764 in dän. Diensten.
werde Licht!“), exot. und Ausstattungs- Finnen, finnougrisches Volk, das vermut­
filmen („Die Lieblingsfrau des Mahara- lich mit den Hunnen nach Europa kam
dscha“). Hochflut von his­tor. F. („INRI“; und sich in Finnland und den nördli­
„Madame Dubarry“; „Bismarck“). Von chen Gebieten Schwedens, Norwegens,
Hollywood aus Siegeszug des Grotesk- Westruss­lands niederließ (1. Jh. n. Chr.);
(Buster Keaton, Harold Lloyd, Charlie früh von nordgermanischer Kultur beein-
Chaplin, Pat und Patachon) und Zeichen- flusst (↑ Finnland).

288
Fiume

Finnland, im 12./13. Jh. von Schweden er- Großmächten. Bedeutendster Politiker der


obert und christianisiert: 1249 „Kreuzzug“ Nachkriegszeit U. K. Kekkonen, als Staats-
des Folkungers ↑ Birger Jarl, Festigung der präsident 1956–1981 um gute Nachbar-
schwed. Herrschaft, 1284 schwed. Her- schaft mit der Sowjetunion bemüht. Unter
zogtum; seit 1495 russische Angriffe; Re- seinem Nachfolger, dem Sozialdemokraten
formation 1530 durch Michael ↑ Agricola; M. Koivisto, seit 1982 Koalitionskabinette
1721 (Friede von Nystadt) Abtretung Ka- unter Führung der Sozialdemokraten, seit
reliens, 1743 weiterer Gebiete an Russland; 1987 der Nationalen ­ Sammlungspartei,
1809 wurde ganz F., das 1808 von Russ- 1991 Zentrumspartei wieder stärkste Kraft,
land im Einverständnis mit Napoleon I. Koalitionsregierung unter E. Aho, der mit
erobert war, dem russ. Reich angegliedert, Russland einen neuen Grundlagen­vertrag
zunächst autonom, doch schon unter Zar (anstelle der Freundschaftspakte der Nach-
Nikolaus I. Russifizierungspolitik; Wider- kriegszeit) schloss. 1995 EU-Beitritt. Staats-
stand der finn. Nationalbewegung bes. präsident Tarja Halonen (seit 2000), Minis-
gegen die russ. Gesetzgebung 1899; 1905 terpräsident Matti Vanhanen (seit 2003).
Generalstreik, 1917 Unabhängigkeitserklä­ Firdausi (Firdusi), Abul Kasim Mansur,
rung, 1918–20 Kampf gegen die Bolsche- größter pers. Epiker, 939–1020; verfasste
wisten, die von Mannerheim mit dt. Hilfe in 60 000 Doppelversen die iran. Reichsge-
(General von der Goltz) vertrieben wur- schichte bis zur Eroberung durch die Ara-
den; 1920 Friede von Dorpat mit Sowjet- ber 651 („Königsbuch“).
russland; 1921 Gewinn der ↑ Alandinseln; Firmian, Leopold Anton Graf von, Erz­
1922 Bodenreform (betroffen bes. die alte bischof von Salzburg, 1679–1744; vertrieb
schwed. Oberschicht). Seit 1930 Putsche 1731/32 über 17 000 Protestanten aus dem
der antikommunist., bäuerl. Lappobewe- Lande, „Exulanten“, die z. T. in Ostpreu-
gung. Bedeutender Staatspräsident: Svin- ßen von König Friedrich Wilhelm I. an-
hufvud (1931–1937). 1939 Aggression gesiedelt wurden, in der Markgrafschaft
sow­jet. Truppen, als F. Gebietsabtretungen Ansbach Aufnahme fanden und z. T. nach
ablehnte; Winterkrieg gegen die UdSSR, Nordamerika auswanderten (die Vertrei-
Kampf um „Mannerheim-Linie“; im Frie- bung regte Goethe zu „Hermann und Do-
den (Moskau) Abtretung der karel. Land- rothea“ an).
enge und der Ufer des Ladogasees. 1941 Fischer, Karl, Begründer und erster Füh-
Teilnahme am dt. Angriff auf die UdSSR, rer des „Wandervogels“, 1881–1941; rief
danach Kriegserklärung Englands; 1944 1896 zum Aufstand gegen die bürgerliche
Rückzug und Waffenstillstand, Wieder- „Sofakultur“ auf und leitete damit die dt.
herstellung der Grenzen von 1940, Ab- Jugendbewegung ein.
tretung Petsamos, Verlust Wiborgs, Aus- Fisher, 1) F., John, engl. kath. Bischof,
tausch Hangös gegen Porkkala (bestätigt um 1459–1535; wegen Widerstandes ge-
auf Pariser Friedenskonferenz 1947); 1948 gen die Ehescheidung Heinrichs VIII. und
Beistandspakt mit der UdSSR, doch im gegen die Begründung der anglikan. Kir-
Innern Schwächung des kommunist. Ein- che (Verweigerung des Suprematieeides)
flusses; 1950 Handelsverträge mit Sow- hingerichtet; 1935 heiliggesprochen. 2) F.,
jetunion und China; 1955 Mitglied der John, Lord F. of Kilverstone, brit. Admi-
UN, 1959 der EFTA; der Freundschafts- ral, 1841–1920; 1904–1910 und 1914/15
und Beistandspakt mit der UdSSR von Erster Seelord, Gegenspieler von Tirpitz,
1948 wurde 1955 und 1970 um jeweils Schöpfer der mod. brit. Flotte (Übergang
20 Jahre verlängert. Außenpolit. vertritt F. zur Ölfeuerung, Bau von ↑ Dreadnoughts).
das Prinzip der Neutralität gegenüber den Fiume, italien. Name von ↑ Rijeka.

289
Fjodor

Fjodor, russ. Zaren: 1) F. I. (1584–1598); rung „In Flandern flämisch!“ erfüllt (fläm.
geb. 1557, Sohn ↑ Iwans d. Schrecklichen, Amtssprache, Kommandosprache in fläm.
unpolitischer Fürst, überließ die Regierung Truppenteilen usw.); ein kleiner Teil der
seinem Schwager Boris Godunow. Mit F. strebte darüber hinaus nach Autono-
ihm erlosch das. Haus ↑ Rurik im Mannes- mie oder nach beherrschender Stellung
stamm. 2) F. III. (1676–1682); geb. 1661, im Gesamtstaat. Zu Beginn der 60er Jahre
aus dem Haus Romanow; Stiefbruder Pe- flammte der Sprachenstreit wieder auf.
ters d. Gr., kämpfte gegen Türken und 1962 Sprachgrenze in ost-westl. Richtung
Po­len um die Ukraine, ließ die Rangver- südl. von Brüssel, zwei homogene Sprach-
zeichnisse des Adels öffentlich verbrennen, gebiete, Brüssel zweisprachig.
Freund der europ. Kultur. Flamininus, Titus Quinctius, röm. Feld-
Flagellanten (lat., Geißelbrüder), Laien herr und Staatsmann, um 228–174 v. Chr.;
(Kreuzbrüder) des 13.–15. Jh., die durch Konsul 198, schlug 197 König Philipp V.
öffentl. Selbstgeißelung Buße taten; durch- von Makedonien bei Kynoskephalai und
zogen bes. in Pestzeiten trotz kirchlicher erklärte bei den Isthmischen Spielen 196
Verbote in Prozessionen zu Tausenden die jeden der Griechenstaaten für autonom,
Länder Europas, zuletzt abergläubisch ver- nach dem Grundsatz: „Divide et impera“.
wildernd. Flaminius, Gaius, röm. Staatsmann, gest.
Flamberg, Schwert des 15./16. Jh., Zwei- 217 v. Chr.; 232 v. Chr. Volkstribun, setzte
händer mit bis zu 1,8 m langer wellenför- sich gegen die Senatsaristokratie für Land-
miger (geflammter) Klinge, ohne Scheide verteilung (im cisalpinen Gallien) an die
über der Schulter getragen; Waffe der Plebs ein, schlug als Konsul 223 die gall.
Lands­knechte. Insubrer, erbaute als Zensor 220 den Cir-
Flamen (Vlamen), german. Bevölkerungs- cus F. und die Via Flaminia von Rom nach
gruppe (Niederfranken) im Westen und Ariminum (Rimini), verlor als Konsul
Norden Belgiens, mit eigenständigen und 217 gegen Hannibal am ↑ Trasimener See
bedeutenden Kulturschöpfungen und ei- Schlacht und Leben.
ner vom Holländ. nur geringfügig abwei- Flandern, ehem. Grafschaft zw. Nordsee
chenden Sprache, doch als Katholiken in und Schelde; seit der Völkerwanderung
konfessionellem Gegensatz zu den refor- von Franken besiedelt, 843 (Vertrag von
mierten Niederlanden seit deren Abfall von Verdun) zum westfränk. Reich, im MA un-
Spanien im l6. Jh. Nach der Gründung des ter frz., zugleich (durch die Belehnung mit
Königreichs ↑ Belgien standen die F. in ge- Zeeland, 1018) unter dt. Lehenshoheit,
wissem Gegensatz zu den frz. sprechenden vorübergehend mit Hennegau vereinigt.
↑ Wallonen; trotz formeller Gleichberech- Bedeutende Rolle der Grafen von F. auf
tigung wurde die fläm. Sprache zurück- den Kreuzzügen (Begründung des ↑ Lat.
gedrängt, auch hatten die Wallo­nen ein Kaisertums in Byzanz). Blüte der neben
Übergewicht in Verwaltung und Kultur; den toskan. und lombard. wirtsch. höch-
dagegen erhob sich seit der 2. Hälfte des stentwickelten flandr. Städte (↑ Brügge,
19. Jh. die fläm. Nationalbewegung, sie Gent, Ypern) als Umschlagplätze des Han-
wur­de während der dt. Besetzung Belgiens dels zw. Italien und N-Europa und durch
im 1. Weltkrieg stark gefördert (flämische ihr leistungsfähiges Tuchgewerbe, das
Universität Gent; Rat von Flandern), doch große Teile Europas belieferte; im Bund
wurden die Erfolge der deutschfreundl. mit der ↑ Hanse hohe wirtsch. Blüte,
fläm. „Aktivisten“ 1919 zunichte gemacht aber auch scharfe soziale Spannungen zw.
(Führer Borms zum Tode verurteilt, dann Kaufherrenpatriziat und dem Weberpro-
begnadigt). Erst 1932 wurde die Forde- letariat. Zünfte der Städte von England

290
Florenz

gestützt, Träger des Freiheitskampfes ge- indien, meist Franzosen, die 1625 die Insel
gen die Franzosen, die 1300 F. besetzt hat- San Christoph besetzten, später im Kampf
ten; 1302 „Morgenfeier von Brügge“ (die mit den Spaniern Herren von Haiti wur-
Zünfte machten die frz. Besatzung nie- den, wo sie auch als Bukanier bezeichnet
der), „Sporenschlacht“ von Kortrijk (Ver- wurden; sie plünderten die amerik. Küsten,
nichtung des frz. Ritterheeres durch die trieben gelegentlich Handel; Anfang des
bewaffneten Zünfte); 1338 erneuter Auf- 18. Jh. von den Seemächten entmachtet.
stand der Städte unter ↑ Artevelde. 1384 Fliedner, Theodor, dt. ev. Pfarrer, 1800–
wurde F. durch Heirat der Erbtochter mit 1864; Organisator der Inneren Mission,
dem Herzogtum Burgund vereinigt und gründete 1836 das Diakonissen-Mutter-
teilte von da an das Geschick der bur- haus zu Kaiserswerth.
gund. Niederlande (1477 an Maximilian); Flint, ↑ Feuerstein.
Teile kamen durch die Raubkriege Lud- Flinte (frz. fusil, davon abgeleitet Füsilier),
wigs XIV. an Frankreich. Nach der Grün- das im 17. Jh. eingeführte, mit dem ↑ Feuer­
dung Belgiens fläm. Bewegung (↑ Flamen). steinschloss versehene Gewehr, benannt
– Im 1. Weltkrieg F. eines der Hauptkampf­ nach dem Feuerstein (Flint); viel leichter
gebiete (Herbst 1914 beim „Wettlauf nach als seine Vorgänger.
der Küste“ Schlachten an der Yser und bei Flodoard von Reims, frz. Geschichts-
Ypern; 1917 große Schlacht in F., 1918 schreiber, 894–966; Archivar der Reimser
Schlacht um den Kemmel) . Domschule, zuverlässige Annalen der Jahre
Flavier, röm. Geschlecht plebej. Herkunft, 919–966.
dem die Kaiser Vespasian, Titus und Domi­ Florentiner Konzil, 1439–1442, von Papst
tian (69–96 n. Chr.) angehörten. Eugen IV. einberufen als Gegenkonzil zum
Flavius Josephus, ↑ Josephus. Baseler K. (tagte zuvor in Ferrara, dann
Fleming, Sir Alexander, brit. Bakteriologe, nach Rom verlegt), berühmt durch die
1881–1955; entdeckte das Antibiotikum kurzlebige Union zwischen abend- und
Penicillin; 1945 Nobelpreis. morgenländ. Kirche (1439), die der byzan-
Flemming, Jakob Heinrich Graf von, sächs. tin. Kaiser und der Patriarch von Konstan-
Minister und Feldmarschall, 1667–1728; tinopel nur wegen der türk. Bedrohung
verschaffte als Gesandter in Warschau Au- eingingen.
gust dem Starken die poln. Königskrone, Florenz, Hauptstadt der Toskana; einst
kämpfte unglücklich gegen Karl XII. Stadtstaat, einer der Ausgangspunkte der
Fleurus, Ort im Hennegau; 1794 Sieg der europ. Kultur der Neuzeit, Heimat oder
Franzosen unter Jourdan über die Öster- Wirkungsstätte Dantes, Leonardos, Michel­
reicher, die darauf die Niederlande preis- angelos, Machiavellis und Gali­leis, mit rei-
gaben. cher Fülle von Kunstschätzen und Bau-
Fleury, um 625 gegründete Benediktiner- denkmälern bes. der Renaissance. – ­Urspr.
abtei an der Loire, mit führend in der Be- vermutl. wie Fiesole (Faesulae) etruskische
wegung von ↑ Cluny, berühmte Kloster- Sied­lung, unter Sulla röm. Militärkolonie
schule des MA. (Florentina); im 4. Jh. n. Chr. Bischofssitz;
Fleury, Andre Hercule de, frz. Kardinal und nach gotischer, byzantin., langobard. und
Staatsmann, 1653–1743; leitete seit 1726 fränk. Herrschaft zur Markgrafschaft Tus-
die Politik Frankreichs unter Ludwig XV., zien, seit Ende 11. Jh. Aufstieg als freie
dem er im Poln. Erbfolgekrieg 1738 das Reichsstadt, Republik mit wechselnder,
Anrecht auf Lothringen verschaffte. meist mehr aristokratischer als demokrat.
Flibustier (englisch flyboats, leichte Seg- Verfassung; in wechselvollen Kämpfen ge-
ler), kühne Seeräuber des 17. Jh. in West- gen Pistoia, Pisa, Lucca, Siena Herrin der

291
Florin

Toskana, behauptete Vormachtstellung Flüe, Nikolaus von der, eigentlich Löwen-


und Unabhängigkeit (auch gegen den Kai- brugger, „Bruder Klaus“, Schweizer Amt-
ser) trotz empfindlicher Rückschläge, verur­ mann, dann Einsiedler, 1417–1487; ver-
sacht durch zerrüttende Kämpfe im Innern hütete 1481 einen eidgenöss. Bürgerkrieg
zw. Guelfen und Ghibellinen (Parteien der und formulierte den wichtigsten Bundes-
„Schwarzen“ und „Weißen“), zw. Adel und vertrag der alten Schweiz (Regelung des
Volk, oberen und niederen Zünften („po- Landfriedens und der obrigkeitlichen Ver-
polo grasso“ und „popolo minuto“); um hältnisse).
1282 kamen die oberen Zünfte an die Flugschriften, als Streitschriften schon im
Macht, der zurückgedrängte Adel suchte MA von nachweisl. Einfluss (in den Kämp-
und fand Zugang in den Zünften, sodass fen Kaiser – Papst), als Druckschriften seit
sich wieder ein oligarchisches Regiment ent- dem 15. Jh. (Reformation, Bauernkriege)
wickelte. Wirtschaftsblüte dank glänzender mitentscheidend für die Bildung der öf-
Handelsverbindungen, hochentwickeltem fentl. Meinung. Vorläufer der Gesinnungs-
Gewerbe und ausgebildetem Geld- und presse und der Presse überhaupt; Verbrei-
Bankwesen; durch Eroberung von Pisa und tung bes. auf Jahrmärkten, an Wallfahrts-
Livorno Zugang zum Meer. Bankierfamilie plätzen; wichtige kulturgeschichtl. Quelle
der ↑ Medici seit 1434 in beherrschender für Reformationszeit, 30-jährigen Krieg,
Stellung; unter ihnen Glanzzeit der Stadt, Frz. Revolution, Befreiungskriege und die
Blüte der Wissenschaften und Künste, des Revolutionen des 19. Jh.
Humanismus und der Renaissance; 1494 Flugzeug, ↑ Luftfahrt.
Vertreibung der Medici, nach kurzem Zwi- Foch, Ferdinand, frz. Marschall, 1851–
schenspiel der theokrat. Herrschaft ↑ Sa- 1929; führte 1914 in der Marneschlacht
vonarolas (verbrannt 1498) 1512 Wie- die 9. Armee, 1916 Oberbefehlshaber der
dereinsetzung durch Heilige ↑ Liga; 1527 frz. Truppen an der Somme, Mai 1917 Ge-
erneute Vertreibung der Medici, 1531 neralstabschef Petains, November Mitglied
Rückführung durch Karl V. (nach elf Mo- (1919 Vorsitzender) des Obersten Kriegs-
naten Belagerung von F. 1529/30), damit rats, übernahm April 1918 den Oberbefehl
republikan. Verfassung endgültig aufge- über alle alliierten Armeen und eröffnete
hoben. 1569–1859 Hauptstadt des Groß- Juli die Großoffensive gegen die dt. West-
herzogtums Toskana (bis 1737 unter Haus front; erzwang Nov. 1918 den Waffenstill-
Medici, dann unter habsburg.-lothring. stand; Verfechter der Rheingrenze und der
Dynastie); 1808–1813 frz.; 1865–1871 Entmilitarisierung Deutschlands.
Hauptstadt des Königreichs Italien. – Be- Föderalismus (von foedus, Bündnis),
rühmteste Bauten: Baptisterium (13. Jh.); staats­politische Theorie, die in der bundes-
Santa Maria Novella (14. Jh.); Santa Croce staatlichen Gliederung die ideale Organi-
(l4. Jh., Gräber weltberühmter Italiener); sationsform des staatl. Großverbandes, des
Dom (begonnen 1296, Brunelleschis Kup- „Bundes“, sieht; auch die Gesamtheit der
pel 1420–1434); Palazzo Vecchio (14. Jh.); um die Verwirklichung des F. bemühten
Palazzi Medici, Pitti, Strozzi (15. Jh.). polit. Strömungen. Im Gegensatz zum Par-
Florin, die Florentiner Prägung des ↑ Gul- tikularismus oder Separatismus anerkennt
den. der F. die Notwendigkeit des Zusammen-
Flottenverein, Deutscher, 1898 gegr., be- schlusses zur umfassenden Staats- oder
trieb vor dem 1. Weltkrieg die Propaganda Reichseinheit, sieht seinen Hauptgegner
für dt. Flottenbau und dt. Seegeltung; jedoch im ↑ Zentralismus oder Unitaris-
wichtige politische Stütze des Flottenbau- mus und dessen Ideal des Einheitsstaates.
programms von ↑ Tirpitz. Er betont die Freiwilligkeit des Zusam-

292
Folter

menschlusses und fordert, dass den Glied- des röm. Heeres zur Folge. Konstantin er-
staaten ein großes Maß an Selbständigkeit reichte 332 von den föderierten Westgo-
verbleibt. In der praktisch unvermeidbaren ten, dass ihre Hilfstruppen auch außerhalb
Auseinandersetzung mit der Zentralgewalt ihres Grenzschutzbezirks zur freien Verfü-
um die Abgrenzung der Machtbefugnisse gung standen; Neuregelung unter Theodo-
verteidigt er die Eigenstaatlichkeit der Teile sius 398 (nach Ansiedlung der Westgoten
(↑ Autonomie). Sind die Kräfte des F. sehr auf dem Balkan): F. waren autonom, aber
entschieden und stark, so beschränkt sich Reichsangehörige, wirtsch. gesichert durch
der Zusammenschluss auf die Form des Überlassung eines Drittels des Bodens (mit
Staatenbundes, der Föderation oder Kon- dazugehörigen unfreien Bauern) der römi­
föderation (mit schwacher Zentralgewalt) schen Grundbesitzer, denen sie als „Gäste“
anstelle des Bundesstaates. Klassische Bei- zugewiesen wurden.
spiele eines funktionierenden F.: USA und Föderation (Konföderation), Staaten-
Schweiz. Im allg. vertreten konservative bund, lockere Verbindung gleichberech-
Parteien den F., der bis zur Frz. Revolu- tigter, souverän bleibender Staaten ohne
tion die vorherrschende politische Lebens- straffe überstaatl. Zentralgewalt, doch mit
form Euro­pas war. Deutschland blieb auch einheitlichen Zielsetzungen auf bestimmen
nach der Frz. Revolution und den Befrei- Gebieten (Handel, Außenpolitik, Wirt-
ungskämpfen 1815–1866 bzw. 1871 ein schaftsmaßnahmen o. a.); moderne Form
loser Bund souveräner Einzelstaaten. Der mehrerer übernationaler staatl. Zusammen­
Gründung des Bismarck-Reiches 1871 so- schlüsse bes. in Afrika.
wie der ↑ Weimarer Republik 1919 lag der Folkunger, schwed. Adelsgeschlecht, das
F. als Prinzip zugrunde, doch wurde nach 1250–1363 den schwed., 1319–1387 auch
Ansicht vieler Föderalisten in der Praxis den norweg. Thron inne hatte.
in­folge der zentralistischen Bestrebungen Folsom-Kultur, zweitälteste nordamerik.
der Wirtschaft und der Politik die Eigen- Kulturstufe des Eiszeitausgangs und der
staatlichkeit der Länder ausgehöhlt. Ausge- 1. Nacheiszeit; 1927 entdeckt, erste Fund-
prägt föderalist. bundesstaatliche Struktur stätte bei Folsom in Neu-Mexiko (gestielte,
hat nach ihrer Verfassung die Bundesrep. fein retuschierte, blattförmige Feuerstein-
Deutschland, d. h. die Länder der Bundes- spitzen, keine Menschenfunde); Urahnen
republik sind Gliedstaaten eigenen Rechts des indian. Jägertums, um 10 000 v. Chr.
und keine unselbständigen Körperschaften nachweisbar auf dem Einwanderungsweg
eines Zentralstaates, die Zuständigkeiten der Indianer: N-Asien, Alaska, S-Kanada
des Bundes sind verfassungsmäßig fest um- bis Mittelamerika.
grenzt. Der föderalist. Gedanke wird heute Folter, bei den Römern, gegen Ausgang
von Föderalisten der europäischen Unions­ des MA und bis ins 18. Jh. hinein Einrich-
bewegungen auf die Einigung Europas tung des Strafprozesses; die durch die F.
über­tragen. erzwungenen Geständnisse galten als pro-
Föderaten (lat., Verbündete), die im Röm. zessuale Beweismittel; die Anwendung der
Reich vertraglich gegen Überlassung von „peinlichen Frage“ bei dringendem Ver-
Siedlungsland und Zahlung von Jahresgel­ dacht wurde 1532 in der ↑ „Carolina“ ein-
dern zur Waffenhilfe verpflichteten Völker­ schränkend geregelt; Friedrich d. Gr. ging
schaften; bes. germanische Stämme (Go- bei seinem Regierungsantritt (1740) mit
ten, Van­dalen, Burgunder u. a.), die damit der Abschaffung der F. den übrigen Staa-
als Grenzschutz ausgenutzt und gegenei- ten voran; allgemeine Ächtung, aber auch
nander ausgespielt wurden; das F.-System Wiederaufleben der F. in den Diktaturen
hatte die zunehmende Germanisierung des 20. Jh.

293
Fondaco dei Tedeschi

Fondaco dei Tedeschi, Kauf- und Lager- Lon­don, gegr. 1782; vom Staatssekretär für
haus der deutschen Kaufleute in Venedig auswärtige Angelegenheiten (Rang eines
bei der Rialtobrücke, vom 13. bis 15. Jh. Mi­nisters) geleitet.
wichtig für den dt. (nur mittelbaren) An- Formosa, ↑ Taiwan.
schluss an den Orienthandel (Monopol Forster, dt. Naturforscher und Reiseschrift­
Ve­nedigs, daher strenge Überwachung des steller: 1) F., Georg, 1754–1794; beglei-
F.); Neubau 1507 mit Fresken von Gior­ tete seinen Vater 2) nach Australien, regte
gione und Tizian; 1805 geschlossen. Humboldt zu seiner Forschertätigkeit an,
Fontainebleau, Stadt südöstlich von Pa- ver­fasste meisterhafte Reisebeschreibungen
ris mit Jagdrevier der frz. Könige und be- (berühmt: „Ansichten vom Niederrhein“),
rühmtes Jagd- und Lustschloss mit Kunst- begrüßte als Kosmopolit und Republika-
schätzen, bes. Gemäldesammlung. – Erster ner die Frz. Revolution und ging im Auf-
Schlossbau 998, wiederholt in verschiede­ trag der Mainzer Klubbisten nach Paris,
nen Baustilen erweitert; Aufenthaltsort um den Anschluss des linken Rheinufers
der Mätressen Montespan und Dubarry, an Frankreich zu betreiben, starb dort
der Königin Christine von Schweden, in Reichsacht. 2) F., Johann Reinhold,
des Papstes Pius VII. (1812–14) und des 1729–1798; nahm an Cooks 2. Weltreise
geschlagenen Napoleon I., der hier 1814 1772–75 teil, erkannte die Selbständigkeit
abdankte. – Das Revokationsedikt von F. Austra­liens als Erdteil; von Friedrich d. Gr.
(1685) hob das ↑ Edikt von Nantes auf. an die Universität Halle berufen.
Ford, Henry, amerik. Industrieller, 1863– Fortschrittspartei, dt. linksliberale Par-
1947; moderner Wirtschaftsführer und tei, gegründet 1861, erlangte die Majorität
Organisator großen Formats und eigen- im preuß. Abgeordnetenhaus, bekämpfte
williger Prägung, gründete 1903 die Ford Bismarck im preuß. Verfassungskonflikt,
Motor Company in Detroit, entwickelte 1866 durch Gründung der Nationallib.
ein rationelles System der Serienmassen- Partei (die Bismarcks Politik nachträgl. bil-
produktion, den sog. „Fordismus“ (weitge- ligte) geschwächt, blieb auch nach 1871
hende Mechanisierung und Arbeitsteilung weiter in Opposition (mit Ausnahme des
am „laufenden Band“), ergänzt durch das ↑ Kulturkampfes, den sie noch verschär-
soziale Prinzip: hohe Löhne, kurze Arbeits- fen wollte), lehnte bes. die Heeresvorlagen
zeit (Ablehnung der Gewerkschaften, soz. ab, forderte ein parlamentarisches System
Fürsorge erfolgte durch Unternehmer); und Freiheit der Wirtschaft, bekämpfte
F. trug entscheidend zur Ausbreitung des die Sozialdemokratie. Im Reichstag Rede-
Kraftwagens über die Erde bei (nach Auf- schlachten zw. ihren Führern (Eugen Rich-
bau zahlreicher Zweigfabriken in verschie- ter, Virchow) und Bismarck. 1884 ging sie
denen Ländern, zu seinen Lebzeiten Her- als mitbestimmende Gruppe in der neuge-
stellung von insgesamt 30 Mio. F.-Wagen). gründeten ↑ Freisinnigen Partei auf.
F. gliederte seinem Unternehmen auch Forum Romanum, zentraler Platz in Alt-
Bergwerke, Erzgruben, Eisenbahnen, Flug- Rom, zw. Kapitol, Esquilin und Palatin,
zeugfabriken usw. an. urspr. Marktplatz, später dort nur Lu-
Ford, Gerald, amerik. Politiker, geb. 1913; xusgeschäfte und zahlreiche öffentl. Bau-
seit 1965 Fraktionsführer der Republikan. ten, Tempel, Gerichtsgebäude, Säulen-
Partei. 1973/74 Vizepräsident, wurde nach hallen, die berühmte Rednertribüne „Ro-
dem Rücktritt ↑ Nixons Präsident, 1976 stra“, Denkmäler und Standbilder; ausge-
Wahlniederlage gegen ↑ Carter. baut bes. unter Cäsar und Augustus und
Foreign Office, das Auswärtige Amt Groß­ zu einem Mittelpunkt römischen Lebens
britanniens (Whitehall), Downing Street, gestaltet; hier begann die Via Sacra, die

294
FPOLISARIO

Haupt­geschäftsstraße. Die Prachtbauten Föderation kleiner autarker Lebensgemein-


Augustus‘ engten den Platz so ein, dass die schaften von je 300 Familien, Einfluss auf
nachfolgenden Kaiser östl. des alten F. R. Marx und Engels. 2) F., Jean Baptiste Jo-
neue Prachtplätze anlegten; die neu entstan­ seph Baron de, frz. Physiker und Mathe-
denen Fora wurden nach ihren Gründern matiker, 1768–1830; entwickelte eine ana-
oder Bauherren benannt, z. B. Forum Tra- lyt. Theorie der Wärmeausbreitung, beglei-
jani, Forum Hadriani, Forum Severi u. a. tete Napoleon I. 1798 nach Ägypten.
Das F. R. diente im MA als Viehweide. Fox, 1) F., Charles James, brit. Staatsmann,
Foscari, Francesco, Doge von Venedig 1749–1806; temperamentvoller und ent-
(1423–1457); geb. 1372, begründete in schiedener Wortführer der ↑ Whigs im
Kämpfen mit Mailand die venezianische Unterhaus, trat für das Selbstbesteuerungs-
Festlandsmacht („Terra ferma“, Venetien), recht der nordamerikanischen Kolonien
kurz vor seinem Tod abgesetzt. ein, 1782/83 Staatssekretär des Auswärti-
Fossa Carolina, Karlsgraben, um 785 Ver- gen; schloss 1783 in Versailles den Frieden
such Karls d. Gr., einen Kanal zwischen mit Amerika ab, bekämpfte Missstände in
Main und Donau (Verbindung über die der Verwaltung der Ostindischen Kompa-
Altmühl und die Rezat) zu bauen, anschei- nie, forderte als Haupt der Opposition und
nend wegen technischen Schwierigkeiten großer Gegenspieler des jüngeren ↑ Pitt die
auf­gegeben; vermutliche Reste beim Dorf Abschaffung der Negersklaverei (1808 Ver-
Graben. bot des Sklavenhandels) und Abbruch des
Fouché, Josef, Herzog von Otranto, frz. Kampfes gegen die Frz. Revolution, die er
Staatsmann, 1759–1820; ohne politische bewunderte; 1806 nochmals Staatssekretär,
Prinzipien, von Selbstsucht getrieben, radi­ versuchte er vergebens Verständigung mit
kales Konventsmitglied, Teilnehmer der Napoleon. 2) F., George, engl. Wander-
Schreckensherrschaft (Blutgericht über prediger, Stifter der ↑ Quäker, 1624–1691;
Lyon und Toulon), half Robespierre stür- ursprümglich Schuhmacher, warb auch in
zen; 1799–1802 und 1804–1810 gefürch- Amerika, Holland und Norddeutschland
teter Polizeiminister Napoleons, fiel wegen für seine Lehre.
seiner geheimen Macht und seines Wider- FPOLISARIO, Abk. für Frente Popular para
standes gegen die Eroberungspolitik in Un­ la Liberación de Saguia el Hamra y Rio
gnade, bekleidete aber weiter hohe Ämter, de Oro, Befreiungsbewegung für die (spa-
pendelte 1814/15 zw. Napoleon und den nische) Westsahara; 1973 gegr., nach der
Bourbonen; 1876 als Königsmörder ver- Einigung zwischen Marokko und Maure­
bannt. tanien über Aufteilung der Westsahara
Fouchet, Christian, frz. Politiker, 1911– führte die F. einen Guerillakrieg mit dem
1974; 1962 als letzter Hochkommissar in Ziel einer Demokratischen Republik Sa-
Algerien, 1967 Innenminister, musste we- hara, 1979 vom UN-Ausschuss für Entko­
gen des Polizeieinsatzes bei den Maiunru- lonialisierung als Vertretung der Westsa-
hen 1968 zurücktreten. hara anerkannt; die bewaffneten Ausei-
Fouquier-Tinville, Antoine Quentin, frz. nandersetzungen zwischen marokkan. und
Revolutionär, 1746–1795; seit 1793 öf- FPOLISARIO-Truppen wurden jedoch
fentlicher Ankläger des Revolutionstribu- fort­gesetzt. 1991 Waffenstillstand unter
nals, wurde nach Robespierres Sturz hin- UN-Vermittlung, Referendum zur Unab-
gerichtet. hängigkeit der Westsahara für 1998 unter
Fourier, 1) F., Charles, frz. Sozialphilo- Aufsicht der UN vorgesehen; es wurde je-
soph, 1772–1837; entwarf ein System des doch auf Druck Marokkos hin mehrfach
utopischen Sozialismus auf der Basis einer verschoben.

295
Fra Diavolo

Fra Diavolo (ital., Bruder Teufel), eigentl. tären Regimes, Aufbau eines Ständesystems
Michele Pezza, ital. Abenteurer, Räuber- als „einzig echter Demokratie“; hielt sich
hauptmann, 1771–1806; führte Banden- im 2. Weltkrieg durch hochgeschraubte
krieg gegen die Franzosen im Königreich Forderungen an die Achsenmächte neutral
Neapel (1799–1806), gehängt. und versuchte nach Kriegsende mit Hin-
Franc (Franken), ehemalige frz. Währungs­ weis auf diese Haltung Spaniens Aufnahme
einheit seit 1795 bis zur Einführung des in die UN durchzusetzen; ließ 1947 Spa-
Euro 2002; übernommen in die überseei­ nien wieder zur Monarchie erklären (Kron-
schen frz. Besitzungen und zeitweise im prätendent Bourbone Don Carlos); enger
Saargebiet; langjährige Abwertung, 1960 Anschluss an Argentinien und Portugal;
Neuer Franc (NF). In Belgien 1832 einge­ 1953 Vertrag mit den USA über Militär-
führt (bis 2002), 1848 (bis 2002) in Luxem­ stützpunkte und Waffenlieferungen; 1955
burg, 1850 in der Schweiz (Franken). Aufnahme Spaniens in die UN; 1956 Ab-
Franck, Sebastian, deutscher Geschichts- tretung Span.-Marokkos an Marokko. Als
schreiber, Theologe und Philosoph, 1499– Nachfolger ernannte F. 1969 Prinz Juan
1542; aus Donauwörth, urspr. kath. Pries- Carlos von Bourbon, der nach F.s Tod Kö-
ter, kurze Zeit Luther. Geistlicher, dann nig von Spanien wurde.
freier Schriftsteller in Straßburg, Seifen- François-Poncet, Andre, frz. Diplomat,
sieder in Eßlingen, Buchdrucker in Ulm, 1887–1978; 1931–38 frz. Botschafter in
schließlich in Basel; unstete und grübleri­ Berlin und 1938–1940 in Rom, 1940–43
sche Natur, relig. Pantheist, politisch De- Mitglied des Nationalrats, dann von den
mokrat. Hauptwerke: „Chronica“ (Weltge­ Deutschen deportiert und bis 1945 inhaf-
schichte in dt. Sprache), „Cosmografia oder tiert; seit 1948 diplomat. Berater der frz.
Weltbuch“ und „Germaniae Chronicon“. Regierung in Deutschlandfragen, 1949–
Francke, August Hermann, dt. Theologe, 1953 frz. Hochkommissar, 1953–55 Bot-
und Pädagoge, 1663–1727; Wortführer schafter in Bonn; 1955–1967 Präsident des
des ↑ Pietismus gegen Luther. Orthodoxie frz. Roten Kreuzes, seit 1952 Mitglied der
und Aufklärung, beeinflusste mit seinen Academie française.
Er­ziehungsreformen nachhaltig das Schul- Frangipane, mächtiges Adelsgeschlecht
wesen in Norddeutschland, gründete seit der Stadt Rom im MA; Giovanni F. nahm
1695 in Halle/Saale wohltätige Anstalten 1268 den Staufen ↑ Konradin gefangen
(Armen-, Waisenhaus, Erziehungsanstalt), und lieferte ihn an Karl von Anjou aus.
woraus die F.schen Stiftungen erwuchsen. Frank, Hans, dt. Politiker, 1900–1946;
Franco Bahamonde, Francisco, span. Ge- Jurist, 1930 Reichstagsabgeordneter der
neral und Politiker, 1892–1975; 1923 NSDAP, 1933 bayerischer Justizminister
Befehlshaber der span. Fremdenlegion, und „Reichskommissar für Gleichschal-
1935 Generalstabschef, nach dem Sieg der tung der Justiz in den Ländern“. Nach
Volksfront 1936 kaltgestellt, übernahm im der Besetzung Polens wurde F. General-
Juli 1936 die Führung des Militärputsches gouverneur für die besetzten Gebiete. F.
der Generäle (↑ Span. Bürgerkrieg), trat wurde zum „ungekrönten König von Po-
1937 als Caudillo (Führer) auch an die len“, der mit systematischem Terror jedem
Spitze der faschist. Falange Espanol, blieb polnischen Widerstand begegnete. Ande-
mit ital. und deutscher Hilfe Sieger über rerseits wandte er sich in zahlreichen Re-
die Streitkräfte der Republik und die von den gegen die polizeistaatliche Willkür im
der UdSSR unterstützten kommunist. Bri- Reich. Als einziger der 21 Angeklagten im
gaden; 1939 zum Staatsoberhaupt auf Le- Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess
benszeit gewählt, Errichtung eines autori- bekannte sich F. schuldig und übernahm

296
Frankfurt am Main

die Verantwortung für seine Taten. Kurz herzöglichen Rechte sicherten sich die Bi-
vor seiner Hinrichtung trat er zum Katholi­ schöfe von Würzburg (Titel „Her­zog von
zismus über. Franken“ bis 1803); ihr Besitztum, das Bis-
Franken (die Freien, die Kühnen), 1) F., tum Bamberg sowie die Markgrafschaften
westgerman. Volksstamm, allmähl. zu- Ansbach und Bayreuth u. a. wurden 1512
sammengewachsen aus den schon frü- unter Maximilian I. im Zuge der Eintei-
her bekannten Völkern der Sugambrer, lung des Reiches in 10 Landfriedenskreise
Brukterer, Amphivarier, Chatten, Cha- als „Fränk. Reichskreis“ zusammengefasst.
maven u. a., in ihrer Gesamtheit erstmals – Das 1632 von ↑ Bernhard von Weimar
Mitte des 3. Jh. n. Chr. erwähnt: polit. zu- begr. Herzogtum F. bestand nur bis 1634.
nächst kein geschlossener Verband, son- – 1803, 1806, 1810 kam das fränk. Gebiet
dern Bündnis­system von Kleinkönig- zu ↑ Bayern: 1837 Bildung der drei bayeri­
tümern; während der Völker­wanderung schen Regierungsbezirke Unter-, Mittel-,
führend und mehr und mehr zum poli- Oberfranken.
tisch wichtigsten deutschen Stamm wer- Frankenspiegel, dt. Rechtsbuch des MA
dend. – Die salischen F. (salisch abgeleitet aus der Zeit Ludwigs d. Bayern, ähnl. dem
von sala = Herrschaft, nicht von sal = Meer) ↑ Sachsen- und dem ↑ Schwabenspiegel das
siedelten seit dem 4. Jh. als ↑ Föderaten im „kleine Kaiserrecht“; enthielt aber im Un-
Rheindelta und drangen in steten Kämp- terschied vom Sachsenspiegel auch Dienst-
fen mit den Römern nach Flandern und mannen- sowie Stadtrecht.
Gallien vor, ihnen fiel die weltgeschicht- Frankfurt am Main, eine der wichtigsten
liche Rolle der Gründung des ↑ Fränk. Rei- Städte des alten Hl. Röm. Reiches, im
ches (Merowin­ger) zu. Die andere Haupt- Schnittpunkt großer Heer- und Handels-
gruppe, die ripu­arischen (= Ufer-) F., saßen straßen, gleich bedeutend als polit. Mit-
beiderseits des Mittelrheins; sie eroberten telpunkt wie als Handelsstadt (Messen).
455 Köln, das Hauptstadt ihres Reiches – Schon zu Zeiten Karls d. Gr. Kaiserpfalz
wurde, und siedelten bis zur Nordeifel. (Franconofurd, Furt der Franken); 794
Die chattischen F. breiteten sich rheinauf Reichsversammlung unter Karl d. Gr.; un-
aus, drangen als Moselfranken im 5. Jh. ter Ludwig d. Deutschen Residenz des Ost­
nach Westen, mosel­aufwärts, vor und er- reiches; Emporstieg unter den Staufern,
oberten etwa 456 das noch röm. Trier. Im seit 1220 Entwicklung zur Reichsstadt.
6. Jh. wurde unter Zurückdrängung der Als Ort der Königswahl (erstmals 1147) in
Thüringer und Alemannen das Mainge- der „Goldenen Bulle“ 1356 reichsgesetz-
biet bis zum Fichtelgebirge von F. besie- lich anerkannt, seit 1562 auch Krönungs-
delt. 2) Deutsches Herzogtum F., entstan- stadt; wirtsch. und kulturelle Blüte dank
den nach Auflösung des ↑ Fränk. Reiches des ↑ Ewigen Landfriedens. Seit 1520 Be-
Ende 9. Jh., umfasste die fränk. besiedelten ginn der Reformation. 1536 Beitritt zum
Gebiete beiderseits des Mains und im Pfäl- Schmalkald. Bund, durch Augsburger Re-
zer Raum; erste Herzöge: die ↑ Konradi- ligionsfrieden (1555) lutherische Reichs-
ner; 939 wurde das Herzogtum von Otto stadt; Kämpfe zw. Patriziat und Zünften.
d. Gr. eingezogen. In Rheinfranken (um – 1759–1763 und mehrmals seit 1792 von
Mainz) schafften sich die ↑ Salier (später frz. Truppen besetzt. 1810 Hauptstadt des
Kaiser) eine Hausmacht, Konrad II. teilte Großherzogtums Frankfurt (Rheinbund-
das Gebiet auf verschiedene Herrschaften staat unter Karl Theodor von Dalberg,
(Bistümer Mainz, Speyer; Grafschaft Nas- seit 1813 unter Eugen Beauharnais); 1815
sau u. a.) auf. Der Name F. blieb bei den durch Wiener Bundesakte wieder Freie
Main-(= Ost-)franken (um Würzburg), die Stadt. 1816–1866 Sitz des ↑ Bundestags,

297
Fränkische Kaiser

1848/49 der Dt. ↑ Nationalversammlung durch den salfränk. Merowinger ↑ Chlod-


in der ↑ Paulskirche; 1866 Preußen ein- wig; 486 Vernichtung der röm. Restmacht
verleibt. Aufgrund seiner reichsstädt. Tra- in Gallien unter ↑ Syagrius, Vordringen bis
dition und führenden Rolle im Handel, zur Loire, Residenz Soissons; 496 Über-
Börsen- und Bankwesen Hort der süddt. tritt zum Christentum (kath.; damit Aria-
Demokratie, des anti­preußischen Libera- nismus zum Untergang verurteilt). 497 (?)
lismus und Freihandels („F.er Zeitung“). Sieg über die Alemannen, 507 über die
Altstadt (Römer, Goethes Geburtshaus) Westgoten; Reichszentrum war das Pari-
im 2. Weltkrieg zerstört, nach dem Krieg ser Becken. Nach Chlodwigs Tod 511 vier
großzügig wieder aufgebaut. 1946 zum Teilreiche in außenpolit. Zusammenarbeit;
Land Hessen. – Frankfurter Friede, 1871 531 Eroberung Thüringens, 532 Burgunds,
zw. Bismarck und Jules Favre abgeschlos- dann der Provence, lose Angliederung Bay­
sen; beendete den ↑ Dt.-Frz. Krieg; Frank- erns (Friesen und Sachsen blieben außer-
reich musste ↑ Elsass-Lothringen abtreten halb). Aus neuen Teilungen 3 Reichsteile:
und 5 Mrd. Francs Kriegsentschädi­gung ↑ Austrasien, ↑ Neustrien und ↑ Burgund.
zah­len. Frankfurter Fürstentag, 1863 von Schwächung durch blutige Familienzwiste
Ös­terreich einberufen, um unter österrei- der Merowinger, staatliche Neuordnung
chischer Füh­rung die dringl. Reform des durch das Hausmeiertum. Wiederherstel-
Dt. Bundes durchzuführen; blieb erfolglos, lung der Reichseinheit durch die austras.
da Bismarck König Wilhelm I. in heftiger Hausmeier Pippin II. und Karl Martell aus
Auseinandersetzung dazu bestimmte, der dem Geschlecht der Arnulfinger (später
Einladung Franz Josephs nicht zu folgen; Karolinger genannt). 732 entscheidender
Preußen lehnte die gefassten Beschlüsse Sieg über die Araber zwischen Tours und
der übrigen Fürsten ab. – F.er ↑ National­ Poitiers; doch infolge der arab. Herrschaft
versammlung (Paulskirche). – Frankfurter im westl. Mittelmeer Verfall des Handels,
Wachensturm, 1833 Verschwörung jun- der Städte und des Geldwesens; damit
ger dt. Revolutionäre gegen den Dt. Bund, Reagrarisierung, d. h. keine Staatsverwal-
Sturm auf die F.er Hauptwache, um die Ge- tung nach röm. Vorbild (bezahltes Beam-
fangenen zu befreien und eine allgemeine tentum) mehr möglich: naturalwirtsch.
Volkserhebung herbeizuführen, misslang Grundlage des karoling. Universalreichs,
nach Überrumpelungserfolg unter blutigen 751 Beseitigung des merowing. Schatten-
Opfern; Anlass zu neuen reaktionären Un- königtums. Wahl Pippins III. zum König,
terdrückungsmaßnahmen (Verhaftungen, sakrale Weihe durch päpstliche Salbung;
bes. von Burschenschaftlern). Übernahme der Schutzherrschaft über
Fränkische Kaiser (auch Salische Kaiser Papst und Kirche, 768–814 Karl d. Gr., Er-
genannt), 1024–1125, aus fränk. Herzogs- neuerer der röm. Weltreichsidee: 774 auf
haus, Konrad II. 1024–1039, Heinrich III. päpstlichen Hilferuf Vernichtung des Lan-
1039–1056, Heinrich IV. 1056–1106, gobardenreiches, 772–804 Unterwerfung
Hein­rich V. 1106–1125. der Sachsen, Reichsgrenzen: Ebro und
Fränkisches Reich, Großreich der ↑ Fran- El­be, 800 Kaiserkrönung in Rom; ↑ Karo­
ken im 6. bis 9. Jh., der politisch-kulturelle ling. Renaissance. Übervölkischer Zentral­
Rahmen des werdenden Abendlandes, er- staat mit Einheitskultur trotz der Kirche
wachsen aus der Synthese von germani­ als staatl. Reichsklammer auf die Dauer
schem Volkstum, Christentum und röm. nicht zu verwirklichen da wirtschaftliche
Reichsidee; brachte die entscheidende Ver- Voraussetzungen nicht gegeben; Lösung
lagerung des Schwerpunkts Europas aus des Verwaltungsproblems im ↑ Lehenswe-
dem Mittelmeerraum nach Norden. – Begr. sen. Auflösung des Reiches nach Tod Karls

298
Frankreich

d. Gr. Teilungsverträge: 843 ↑ Verdun, 870 Lugdunensis, Belgica (später dazu ↑ Germa­
↑ Mersen (westfränk. und ostfränk. Reich), nia superior und Germania inferior); hoch-
Beginn der frz. und dt. Nationalgeschichte stehende röm. Provinzialkultur (Römer-
(↑ Deutschland, ↑ Frankreich). bauten, röm. Mode und Bildung, röm.
Franklin, Benjamin, nordamerik. Politiker, Recht); Vulgärlatein, die Sprache der röm.
Erfinder und Schriftsteller, neben Washing- Soldaten und Beamten, wurde zur Grund-
ton die volkstümlichste Gestalt der ame- lage der späteren frz. Sprache; große gallo-
rik. Kolonialgeschichte, 1706–1790; Sohn romanische Kulturleistungen. Christianisie­
eines Seifensieders, Buchdrucker, Autodi- rung im Rahmen der christlichen Durch-
dakt, universaler Praktiker, verband die Tu- dringung des ganzen röm. Weltreichs. Seit
genden des Puritanertums mit den Idealen Beginn des 5. Jh. Eindringen der Germa-
der Aufklärung: erfand den Blitzableiter, nen (Westgoten, Burgunder, Alemannen;
gab die „Pennsylvania Gazette“ (heute „Sa- Einfall der Hunnen unter Attila nur von
turday Evening Post“) und Volkskalender vorübergehender Bedeutung). Von ent-
heraus, gründete zahlreiche gemeinnützige scheidender Nachwirkung auf die weitere
Anstalten; 1753–1775 Generalpostmeister, Entwicklung wurden die ↑ Franken, die
vertrat die Sache der Kolonien in London dem Land den Namen gaben und mit den
und trug wesentlich zu ihrer Unabhängig- romanisierten Kelten zu einer kulturellen
keitserklärung 1776 bei; ging nach Ver- und sprachlichen Einheit verschmolzen.
sailles, brachte 1778 das Bündnis der re- Seit dem 6. Jh. war F. Teil des ↑ Fränk. Rei-
volutionären Kolonien mit dem monarch. ches, dann des Universalreiches Karls d. Gr.
Frankreich und 1783 den Friedensschluss bis zur Reichsteilung von ↑ Verdun 843,
mit England zustande. dem Beginn des frz. Nationalstaates; sym-
Frankreich, im heutigen frz. Raum bereits bolhaft bereits die zweisprachigen ↑ Straß-
in der Altsteinzeit (↑ Paläolithikum) Spu- burger Eide (842): Ludwig d. Deutsche
ren menschl. Lebens; Zeugen einer jung­ und Karl d. Kahle erschienen als Repräsen-
steinzeitl. Megalithkultur die Menhire und tanten von 2 in der Sprache verschiedenen
Dolmen im Süden, an der Rhone und in Völkern; mit den Verträgen von ↑ Mersen
der Bretagne; in der 1. Hälfte des 1. Jt. im und ↑ Ribemont wurde Westgrenze Loth­
Osten ↑ Hallstattkultur (Hügelgräber), Ein­ ringens zur deutschen Reichsgrenze (bis ins
wanderung der ↑ Kelten, neben ihnen noch 16. Jh.). Das von den späten Karolingern
Reste der Urbevölkerung (Aquitaner, Bas- schwächlich regierte westfränk. Reich war
ken, Ligurer u. a.). Seit 600 v. Chr. griech. zunächst nur loser Lebensverband, konnte
Kolonisten an der Rhonemündung (Mas- sich der verheerenden Einfälle der ↑ Nor-
salia, lat. Massfilia = Marseille); seit dem mannen nicht erwehren; 911 musste Karl
4. Jh. v. Chr. kelt. ↑ Latenekultur (griech. d. Einfältige (898–923) mit den Norman-
und von Italien her etrusk. beeinflusste nen unter Rollo in Saint Clair-sur-Epte ei-
Kultur der Gallier). Seit 121 v. Chr. fassten nen Vertrag über deren Ansiedlung in der
die Römer in Gallien Fuß: röm. Provinz nach ihnen benannten ↑ Normandie schlie-
Gallia Narbonensis (122 v. Chr. Gründung ßen. Die Zeit der Capetinger (987–1328):
von Aquae Sextiae [Aix], 118 v. Chr. Grün- Erst die Wahl Hugos von Franzien aus dem
dung von Narbo [Narbonne]); durch Cäsar Haus Capet 987 begründete das nationale,
58–51 v. Chr. Unterwerfung des ganzen unabhängige Königtum, das durch unabläs­
Landes (↑ Gallien), Vercingetorix der letzte sige Erweiterung der Krondomänen sei­ne
große Kelte. Wirtschaftliche und kulturelle Macht ausdehnte und den Kampf gegen
Durchdringung durch Rom; unter Augus­ die übermächtigen Kronvasallen aufnahm.
tus 4 Provinzen: Narbonensis, Aquitania, Für den Aufbau eines geschlossenen und

299
Frankreich

zentral regierten Nationalstaates waren im Herrschaft des Papsttums: Der Sturz ↑ Bo­
Gegensatz zur dt. Entwicklung drei Grund- nifatius’ VIII. 1303 hinterließ großen Ein-
tatsachen fördernd: a) günstige geogr. Ge- druck auf das gesamte Abendland; 1309–
staltung des Landes, Gebirgswall im Süden 1377 waren die Päpste in Avignon unter
und Westen (nur im Norden Lücke) und frz. Kontrolle (↑ Babylon. Gefangenschaft);
natürlicher zentraler Mittelpunkt (Isle de nach der Ideologie Pierre Dubois’ (gest.
France = Pariser Becken); b) Fortleben rö- 1320) galt der frz. König als der Aller-
misch-gall. Rechtsgutes; c) Erblichkeit der christlichste König („christianissimus“); F.
Krone (Königswahl seit dem 12. Jh. nur beanspruchte, Ordnungsmacht in Europa
noch Form­sache); hindernd waren die eng- zu sein. Unter der capeting. Nebenlinie Va-
lischen Besitzungen im Norden F.s. Die Er- lois (1328–1589) zunächst jäher Abstieg
starkung F.s kam zum Ausdruck in den F.s durch engl. Thronansprüche im ↑ Hun-
vorwiegend von F. getragenen Kreuzzügen dertjährigen Krieg (1339–1453), F. mehr-
und in dem wachsenden Einfluss F.s auf mals der Auflösung nahe; Erhebung der
Deutschland; seit der Mitte des 11. Jh. frz. Pariser Bürgerschaft gegen die Krone, Bau-
Kriegstaktik von Deutschland übernom- ernaufstand (↑ Jacquerie) im 14. Jh.; An-
men, frz. Wissenschaft (Universität Paris) fang 15. Jh. Paris in burgund., dann in eng-
und frz. Dichtung Vorbild für die Deut- lischer Hand; der letztendliche Triumph
schen. Aufstieg F.s zur europ. Macht unter des frz. Nationalbewusstseins verkörpert in
den Königen ↑ Philipp II. August (1180– ↑ Jeanne d’Arc (Vertreibung der Engländer
1223), ↑ Ludwig IX. dem Heiligen (1226– vom Kontinent, bis auf Calais); zugleich
1270) und Philipp IV. dem Schönen Schaffung der großen nationalen Institutio­
(1285–1314); seit der 2. Hälfte des 13. Jh. nen: Pragmatische Sanktion von ↑ Bourges
capetingische Nebenlinie der Anjou in Nea­ 1438 sicherte die gallikan. Rechte (freie Bi-
pel und Sizilien; Abwehr der tödlichen na- schofswahl, keine Pfründe an Fremde); die
tionalen Bedrohung durch England, des- Ordonnanzen von Orléans 1439 führten
sen Könige aus dem Haus Anjou-Plantage- allg. direkte Steuern zur Unterhaltung des
net mehr als die Hälfte des frz. Bodens be- königlichen Soldheeres ein (einzuziehen
setzt hielten (Normandie, Anjou, Poitou von königl. Beamten statt Feudalherren)
u. a., ↑ Angevin. Reich); frz. Sieg bei ↑ Bou- und verboten den Großen, Heere ohne kö-
vines 1214 über engl.-welf.-flandr. Heer: nigliche Erlaubnis aufzustellen. Die Gefahr
Wendepunkt der europ. Geschichte; dt. eines großburgund. Reiches zw. Nordsee
Thronstreit zw. dem mit den Engländern und Mittelmeer für Frankreich glücklich
verbündeten Welfenkaiser Otto IV. und abgewendet durch den Schlachtentod
dem mit F. verbündeten Hohenstaufenkai- ↑ Karls d. Kühnen 1477; Herzogtum Bur-
ser Friedrich II. durch F. entschieden. Nie- gund als erledigtes Kronlehen an Frank-
dergang der dt. Kaisermacht und Aufstieg reich, doch übriger burgund. Besitz an
F.s; Rückeroberung aller engl. Festlandsbe- Habsburg; die Bildung eines habsburg.
sitzungen außer dem Herzogtum Guyenne. Rings (Niederlande, Elsass, später Mai-
Planmäßige Überwindung der feudalen land-Spanien) um Frankreich Ursache der
Anar­chie im Staatsinnern (Hofbeamten- Erbfeindschaft der Häuser Valois bzw.
tum, fes­te Lehensmatrikel, Oberster Rech- Bourbon und Habsburg; Höhepunkt unter
nungshof ), Machterweiterung bes. an der ↑ Franz I., der in Konkurrenz mit Karl V.
W-Grenze des Dt. Reiches (Champagne, die dt. Kaiserkrone beanspruchte; trotz sei-
Arelat); Rückschlag nur in Flandern („Spo- ner Niederlage im Kampf gegen Karl V.
renschlacht“ bei Kortrijk 1302). Erfolg- (Pavia 1525) eine systematsiche Macht­
reicher Machtkampf mit der weltlichen steigerung der Krone (Steuererhebung

300
Frankreich

ohne Befragung der Stände, Bündnisver- rop. Fürstenhöfe; die frz. Literatur (Cor-
trag mit den Türken 1536, Ausbau einer neille, Racine, Moliere und Lafontaine) be-
aktiven Diplomatie); Expansion in Rich- herrschte das europ. Geistesleben; militär.
tung Rhein durch Zusammenarbeit mit dt. Machtentfaltung (Vauban, Louvois) Aus-
protestant. Fürsten und Gewinn von Metz, druck der errungenen Hegemonie F.s in
Toul, Verdun 1552. In der 2. Hälfte des Europa; durch drei Angriffskriege (↑ Devo-
16. Jh. Rückschläge durch den Druck des lutionskrieg 1667/68, Krieg gegen Holland
zur Weltmacht aufgestiegenen Spanien, das 1672–1678, ↑ Pfälzer Erbfolgekrieg 1688–
auch die Niederlande beherrschte; Nieder- 1697), durch die sog. ↑ Reunionen und
lage gegen Spanien (St. Quentin 1557); im durch die Besetzung Straßburgs (1681) er-
Innern Bürgerkrieg: Glaubenskämpfe (Hu- reichte Ludwig XIV. bedeutende Grenzer-
genotten), gekoppelt mit dem Versuch des weiterungen, doch führten seine Maßlosig-
Hochadels, die Krone in ihrer Macht zu keit und die Politik der „Raubkriege“ euro-
beschränken. – 1589–1789 Haus Bour- päische Koalitionen gegen F. herbei: 1668
bon, Glanzzeit und Ende des frz. König- sog. ↑ Tripelallianz zw. Holland, England
tums: Richelieu und Mazarin Wegbereiter und Schweden zur Erhaltung des polit.
des absolutist. Königtums Ludwigs XIV. Gleichgewichts; 1686–89 Bildung der
Hein­rich IV. (1589–1610) zog die Rettung Großen Allianz (Kaiser, Spanien, Schwe-
der weltl.-polit. Einheit der Glaubensein- den, die bedeutendsten Reichsfürsten,
heit vor: 1589 ↑ Edikt von Nantes: Aus- Holland); durch den Frieden zu ↑ Rijswijk
schaltung der Fronde des Hochadels; Netz (1697) wurde der frz. Expansion Einhalt
von Bündnissen gegen die spanische Macht geboten; im ↑ Span. Erbfolgekrieg wurde
und gegen Kaiser und Reich; Plan zu einer schließlich F.s Machtstellung schwer er-
Neuorganisation Europas unter F. als „Ord- schüttert, durch die Kriege waren die
nungsmacht“; Ausbildung der klass. frz. Staatsfinanzen unheilbar zerrüttet; zuneh-
Rheinpolitik (Einmischung in innerdt. mende Opposition gegen die Idee des Ab-
Verhältnisse zur angeblichen Rettung der solutismus. Unter dem trägen und genuss-
„Libertät“ der Reichsstände); unter Riche- süchtigen Ludwig XV. (1715 bzw. 1723–
lieu kolonialer Vorstoß nach Westafrika; 1774) vermochte auch die Staatskunst des
nach dem 30-jährigen Krieg 1648 kamen Kardinals Fleury (Kolonien in Ostindien,
Teile des Elsass und Breisach zu F. Unter Nordamerika, Flottenausbau) und des Mi-
Ludwig XIV. (1643–1661 unter der Re- nisters Choiseul den Abstieg nicht aufzu-
gentschaft Mazarins, 1661–1715 Allein- halten; dem diplomat. Gewinn Lothrin-
herrschaft) Vollendung des ↑ Absolutis- gens (1766) stand der Verlust des großen
mus, der zum Vorbild für andere europ. Kolonialbesitzes in Indien und Nordame-
Herrscher wurde; der letzte Widerstand rika (1763 an England) gegenüber; die Kri-
des Parlaments (Oberster Gerichtshof, der tik der Aufklärer am Absolutismus (Mon-
durch Registereintragung die königlichen tesquieu, Voltaire, Enzyklopädisten, Rous-
Gesetze zu bestätigen hatte) wurde gebro- seau) und ihr Eintreten für Gleichgewicht
chen, die gallikan. Staatskirche gefestigt, (statt Hegemonie) in Europa fand reiche
Hugenotten und Jansenisten wurden un- Nahrung an der Misswirtschaft in Ver-
terdrückt (1685 Widerruf des Toleranz- sailles und fiel bes. beim wirtschaftlich er-
ediktes von Nantes). Die vom genialen starkten Bürgertum auf fruchtbaren Bo-
↑ Colbert geleitete merkantilist. Wirt- den; der verelendete Bauernstand war der
schaftspolitik (↑ Merkantilismus) stärkte Las­tenträger der Nation; nach Scheitern
die frz. Wirtschaftskraft; der Glanz des der Reformversuche von Turgot und ↑ Ne-
Hofes von Versailles wurde Muster für eu- cker drohte der Staatsbankrott; die Einbe-

301
Frankreich

rufung der ↑ Generalstände 1789 (erstmals Lothringens verschmerzte es nicht; wäh-


wieder seit 1674) mündete in die ↑ Frz. Re- rend die Monarchisten trotz Begünstigung
volution und die „Erste Republik“. Der re- durch Präsident Mac-Mahon nicht die
volutionäre Elan, der erweckte Nationalis- Mehrheit erlangten, erzielte die Gruppe
mus und die Mobilisierung der Volkskraft des Revanchegedankens (Clemenceau)
durch ↑ Carnot vereitelten den Versuch der konkrete Erfolge: 1885 Sturz Ferrys, der
Koali­tion des alten Europa (↑ Koalitions- durch koloniale Expansion großen Stils F.s
kriege), F.s Wiederaufstieg zur europ. Vor- Interesse vom Festland ablenken und die
macht zu verhindern; doch übersteigerte dt.-frz. Verständigung herbeiführen wollte;
↑ Napoleon I., der Begründer des neuen im Innern heftige Auseinandersetzungen
Kaiserreichs, sein Herrschaftsstreben um die Verweltlichung des Schulwesens
ebenso maß­los wie Ludwig XIV.; sein Plan, (Sieg des Laizismus) und den Panamaskan-
unter F.s Führung ein gewaltsam geeintes dal; durch die Affäre ↑ Dreyfus brachen die
Europa zu schaffen, scheiterte nach glän- Fronten von 1789 noch einmal auf. Das
zenden, doch kurzfristigen Erfolgen am Proletariat überwand die Folgen der Nie-
Widerstand der europäischen Dynastien derlage der Kommune von 1871, den mar-
und Völker, bes. Englands, Spaniens, Ös- xist. Sozialismus (Jaures) begleitete eine
terreichs und Russlands. Doch rettete starke anarchistische Nebenströmung.
↑ Talleyrands diplomat. Kunst auf dem Grundpfeiler der frz. Außenpolitik seit
↑ Wiener Kongress F.s Großmachtstellung. 1893 war das Bündnis mit Russland, gefes­
Die reaktionäre Unbelehrbarkeit der 1814 tigt durch militär. Zusatzabkommen und
wieder eingesetzten ↑ Bourbonen führte starken frz. Kapitalexport nach Russland.
zur Julirevolution 1830, die Begünstigung Auf der Bahn des Imperialismus (1830 Al-
der besitzenden Klassen durch den „Bür- gier, 1881 Tunis, 1883 Tonking, 1885 Ma-
gerkönig“ Ludwig Philipp von Orléans zur dagaskar usw.) zog sich F. 1898 bei ↑ Fa-
Februarrevolution 1848 („Zweite Repu- schoda vor der brit. Macht zurück, han-
blik“), aus der aber nicht das unzufriedene delte aber in der ↑ Entente cordiale 1904
und bereits mit verschiedenen sozialist. außer der brit. Freundschaft freie Hand in
Theorien (St. Simon, Fourier, Proudhon, Marokko ein. Innenpolitisch nach längeren
Blanc) vertraute Proletariat als Sieger her- parlamentarischen Kämpfen Gesetz über
vorging, sondern der ↑ „Bonapartismus“ die Trennung von Kirche und Staat (1905).
↑ Napoleons III.; gestützt auf Armee, Kle- Der Ausbruch des 1. Weltkriegs fand F.
rus und Kapital, trieb Napoleon III. Pre- wohl gerüstet (seit 1913 3-jährige Dienst-
stigepolitik nach außen, um sich gegen die zeit); 1914 durch das „Wunder an der
starke republikan. Oppo­sition zu behaup- Marne“ gerettet, blickte F. 1916 auf ↑ Ver-
ten (Krimkrieg, Krieg gegen Österreich in dun als Symbol seines Siegeswillens, über-
Italien 1859, mexikan. Abenteuer 1863– stand alle Krisen (Meutereien 1916, Aus-
66, Anspruch auf Luxemburg 1867), scheiden des russ. Verbündeten 1917, dt.
konnte aber das Wachsen der Macht Preu- Frühjahrsoffensive 1918) und ließ sich von
ßens nicht verhindern und verlor im ↑ Dt.- Clémenceau und Foch mit Hilfe der USA
Frz. Krieg 1870/71 den Thron. Die nach zum Endsieg führen. Im Frieden von ↑ Ver-
der Niederlage von Sedan proklamierte sailles gewann es u. a. Elsass-Lothringen
„Dritte Republik“ konnte trotz der Energie zurück, dem unterlegenen Deutschland ge-
↑ Gambettas den Krieg nicht siegreich be- genüber bestand es auf strenger Erfüllung
enden. Wirtsch. erholte sich F. (Zahlung der Friedensbedingungen (Politik der „pro-
von 5 Mrd. Francs Kriegsentschädigung) duktiven Faustpfänder“: Besetzung des
unerwartet rasch, doch den Verlust Elsass- Ruhrgebiets 1923–25); außerdem befrie-

302
Frankreich

digte es sein tradition. Sicherheits­bedürfnis lösung (↑ Frz. Union); nach achtjährigem


durch den Bau der ↑ Maginotlinie und Krieg 1954 Verlust ↑ Indochinas, 1954–62
duch Sicherheitspakte mit den osteuropä- Algerienkrieg. In der Außenpolitik zu-
ischen Staaten. Die von Briand-Stresemann nächst v. a. Anlehnung an England; 1947
angebahnte ver­heißungsvolle dt.-frz. Ver- Vertrag von ↑ Dünkirchen mit England ge-
ständigung (Locarnovertrag, Kelloggpakt, gen mögl. neuen dt. Angriff; dann An-
vorzeitige Räumung des Rheinlands) blieb schluss an das sich entwickelnde westeu-
Episode; die deutsche Remilitarisierung rop. Paktsystem: 1949 Beitritt zum Atlantik­
des Rhein­lands und die Aufrüstung Hitlers pakt und Londoner Zehnmächtepakt;
nahm F. hin, geschwächt durch schwere so- 1950/51 entscheidend beteiligt am Zustan­
ziale und polit. Auseinandersetzungen im de­kommen der ↑ Montanunion; nach der
Innern (1936–1938 Volksfrontregierung, Ablehnung des 1952 in Paris abgeschlos-
heftig bekämpft von den Konservativen senen ↑ EVG Vertrags durch die frz. Kam-
und der radikalen Rechten). 1939 auf- mer (30. Aug. 1954) suchte und fand die
grund der Garantieerklärung für Polen Regierung eine Ersatzlösung durch die Pa-
Kriegserklärung an Deutschland (2. ↑ Welt- riser Verträge (Okt. 1954) in der Errich-
krieg), Verharren in Defensive („Maginot- tung der ↑ Westeurop. Union (WEU; Er-
Geist“), militär. Zusammenbruch binnen weiterung des ↑ Brüsseler Pakts, unter Bei-
6 Wochen; Marschall ↑ Petain überging die tritt der Bundesrepublik Deutschland) so-
engl. Aufforderung zum Weiterkämpfen, wie 1957 durch den Beitritt zur neugegr.
schloss den Waffenstillstand ab und errich- Europ. Wirtschaftsgemeinschaft (↑ EWG).
tete die Regierung von Vichy, die ohne Au- Die Dauerkrise im Innern, die sich im
torität blieb; General de ↑ Gaulle, „Chef Frühjahr 1958 infolge einer Militärrevolte
der freien Franzosen“, setzte den Kampf in Algier zuspitzte, führte am 31. Mai 1958
(bes. in Afrika) fort, sein Nationalkomitee zur Berufung de Gaulles, dem die Natio-
wurde 1943 von den Alliierten als provisor. nalversammlung gesetzgeber. Vollmachten
frz. Regierung anerkannt; außer gaullist. auf 6 Monate einräumte; 28. Sept. 1958
Truppen trug auch die Untergrundbewe- Verfassung der „Fünften Republik“ (Präsi-
gung (Maquis) zur Befreiung F.s. 1944 bei; diale Demokratie): Mutterland und über-
Aug. 1944 Einzug de Gaulles in Paris und seeische Gebiete bildeten nach dem Muster
Bildung einer provisorischen Regierung; des ↑ Commonwealth die souveränen oder
Dez. 1944 frz.-sowjet. Bündnisvertrag auf autonomen Glieder der ↑ Communauté,
20 Jahre; im Zug strengster Bestrafung der der Präsident war zugleich Präsident der
Kollaborateure 1945 Hochverratsprozesse Communauté; er konnte Gesetze zum
und Todesurteile über Petain und Laval, Volksentscheid bringen; Volksvertretung in
Petain begnadigt, Laval hingerichtet; 1945 Nationalversammlung und Senat; Verfas-
Rücktritt de Gaulles; Annahme der Verfas- sungsrat wachte über die Verfassung; Exe-
sung der „Vierten Republik“. 1946 Grün- kutivrat und Senat aus den Delegierten al-
dung der ↑ Frz. Union; 1947 Wahl Vincent ler Mitgliedstaaten der Communauté be-
Auriols zum Präsidenten der Republik; im stimmten deren Wirtschafts- und Finanz-
Innern schwerer Stand der demokratischen politik und auswärtige Angelegenheiten,
Mitte gegen Linksradikalismus und die doch zunehmende Selbständigkeit der
Rechte (Kommunisten und Gaullisten); Überseegebiete (↑ Afrika); 13. Feb. 1960
wirtschaftliche Schwie­rigkeiten: Streiks, erster Atombombentest in der Sahara; Ab-
Ab­wertung des Franc; in den Kolonien zug der frz. Einheiten aus Marokko (bis
Aufstände und Anfeindungen, teilweise Ende 1961); Volksabstimmung bejahte die
Einräumung der Autonomie, teilweise Los- Maßnahmen zur Beendigung des Algerien-

303
Franktireurs

krieges; 1961 Konflikt mit Tunis um den sung der dt. Frage; prophezeite den welt-
Flottenstützpunkt Biserta; schwere innen- weiten Dualismus der kommenden Welt-
polit. Krisen um die Lösung der Algerien- mächte Russland und Amerika; erkannte
frage. 1962 erhielt Algerien die Unabhän- im Nationalismus den Totengräber Euro-
gigkeit. In den 1960er Jahren von de Gaulle pas, forderte aus konservativem abendländ.
bestimmte Außenpolitik: Annäherung an Geist den organischen Zusammenschluss
die Staaten des Ostblocks, Distanz zu den der europ. Völker zu einem Völkerbund,
USA. Die Maiunruhen von 1968 weiteten der als 3. Kraft neben den USA und Russ-
sich durch einen Generalstreik zu einer land bestehen sollte.
Staatskrise aus; de Gaulle verknüpfte sein Franz, Name von Herrschern: Röm.-dt.
Verbleiben im Amt mit einem Referendum Kaiser: 1) F. I. Stephan (1745–1765); geb.
über die Senats- und Regionalreform und 1708, Sohn des Herzogs Leopold Joseph
trat 1969 nach dessen negativem Ausgang von Lothringen und der Elisabeth Char-
zurück. Unter de Gaulles Nachfolgern (ab lotte von Orléans (Tochter der Liselotte),
1969 Georges Pompidou, ab 1974 Valérie Herzog von Lothringen, das er 1738 gegen
Giscard d’Estaing, ab 1981 François Mitte- das Großherzogtum Toskana eintauschte;
rand, seit 1995 Jacques Chirac) und ver- 1736 mit der späteren Kaiserin Maria
schiedenen Koalitionsregierungen, bei de- Theresia verheiratet, begr. damit das Haus
nen sich Gaullisten und Sozialisten als Re- Habsburg-Lothringen; 1740 Mitregent
gierungschefs ablösten, baute F. den Kurs in Österreich, nach dem Tod Karls VII,
eines selbständigen und starken Landes in zum Kaiser gewählt, ohne polit. Einfluss.
einem geeinten Europa weiter aus. Schwer- 2) F. II. (1792–1806), letzter Kaiser des Hl.
punkte blieben weiter das Interesse an ei- Röm. Reiches dt. Nation; geb. 1768, gest.
ner eigenständigen europ. Sicherheits- und 1835, legte nach Gründung des ↑ Rhein-
Verteidigungspolitik, wobei sich die frz. bundes 1806 die röm.dt. Kaiserkrone nie-
Regierung für eine Osterweiterung der der und regierte seither nur als Kaiser F. I.
NATO und der EU aussprach. Das frz.- von Österreich (↑ 4). – Frankreich: 3) F. I.,
amerik. Verhältnis war und ist geprägt von König (1515–1547); geb. 1494, Pracht lie-
Skepsis gegenüber der amerik. Vormachts- bender Renaissanceherrscher, Gegenspieler
stellung und teilweise angespannt aufgrund Karls V., gewann durch den Sieg über die
unterschiedlicher Standpunkte in Punkten Schweizer 1515 bei Mari­gnano das Her-
wie z.B. Welthandel und Klima. In den zogtum Mailand, bewarb sich 119 um die
UN gehört F. zu den tragenden Mitglie- deutsche Kaiserkrone, führte seit 1521 vier
dern (sowohl auf diplomat. als auch auf Kriege gegen Karl V., in denen er trotz Nie­
militär. Ebene). In der Politik gegenüber derlagen (1525 Pavia, Gefangennahme)
den Staaten Afrikas konnte sich der grund- und trotz des schließlichen Verzichts auf
sätzliche Verzicht auf eine Interventionspo- Mailand, Neapel und Burgund (Friede von
litik durchsetzen. Crépy 1544) Frankreichs Unabhängigkeit
Franktireurs (frz., Freischützen, Freischär- und Größe behauptete (↑ Frankreich). –
ler), bewaffnete Zivilisten in Frankreich Österreich: 4) F. I., bis 1806 als F. II. röm.-
1870/71 und in Belgien 1914 (die Be- dt. Kaiser (↑ 2), nahm schon 1804 den Titel
zeichnung F. im 2. Weltkrieg nicht mehr „Kaiser von Österreich“ an, um Napoleons
verwendet; statt dessen Partisanen). Kaiserkrönung zuvorzukommen, musste
Frantz, Konstantin, staatsphilosophischer 2 Jahre später die dt. Kaiserwürde aufge-
Schriftsteller, klass. Theoretiker des ↑ Föde- ben und verlor durch unglückliche Kriege
ralismus, 1817–1891; scharfsinniger Kriti- gegen Napoleon beträchtliche Gebiete, er-
ker der Bisrnarckschen preuß.-kleindt. Lö- hielt aber durch den Wiener Kongress ei-

304
Französische Revolution

nen Länderkomplex, wie ihn in dieser Ge- Elisabeth und des Thronfolgers Franz Fer-
schlossenheit noch kein Habsburger beses- dinand; hielt allein kraft seiner Persönlich-
sen hatte, herrschte als Absolutist im Geist keit den Vielvölkerstaat zusammen, den
der „Hl. Allianz“, dem auch die Politik sei- umzugestalten er nicht mehr die Kraft fand
nes Staatskanzlers ↑ Metternich entsprach; (über Einzelheiten ↑ Österreich).
seine Tochter Marie Luise wurde 1810, um Franz von Assisi, 1182–1226; urspr. rei-
Österreich und Frankreich einander näher- cher Kaufmannssohn (Giovanni Bernar-
zubringen, die 2. Gemahlin Napoleons I. done), zur apostolischer Armut bekehrt,
Sizilien: 5) F. II. (1859–1861); geb. 1836, volkstümlicher Wanderprediger, lebte nach
von Garibaldi aus Neapel vertrieben, kapi- dem Evangelium, verfasste Hymnen in der
tulierte 1861 in der Festung Gaeta vor Pie- Volkssprache („Sonnengesang“) und grün-
mont-Sardinien, starb 1894 im Exil. dete den Orden der ↑ Franziskaner. Seine
Franz Ferdinand, Erzherzog von Öster- wirkungsmächtige Erscheinung vielmals in
reich-Este, 1863–1914; Sohn des Erzher- der Kunst und in Legenden verherrlicht.
zogs Karl Ludwig, Neffe Franz Josephs I., Franz von Sales, Kirchenlehrer, 1567–
seit 1896 (nach dem Tod seines Vaters und 1622: 1602 Bischof von Genf, betrieb die
des Kronprinzen Rudolf ) österr. Thronfol- Gegenreformation bes. in Savoyen, stiftete
ger, wegen unebenbürtiger Heirat (Gräfin den Orden der Salesianer; wegen seiner
Chotek) zum Verzicht auf die Thronfolge klass. religiösen Schriften („Philothea“) Pa-
etwaiger Kinder aus dieser Ehe gezwungen; tron der kath. Schriftsteller.
dachte an einen gegen die ungar. Herren- Franziskaner, Bettelorden, wurde 1210 von
klasse (allgemeines Wahlrecht in Ungarn) ↑ Franz von Assisi gestiftet, 1223 vom Papst
wie gegen Serbien (Führungsrolle der Kroa­ bestätigt, auch Minoriten genannt (Minder­
ten im südslaw. Raum) gerichteten födera- brüder); einflussreich durch innere Missio-
list. Umbau der Monarchie (Erweiterung nierung („Demokratisierung“) und Innen-
des österr.-ungar. Dualismus zum Trialis- reformation der Kirche; große Prediger:
mus unter stärkerer Einbeziehung der Sla- Antonius von Padua, Berthold von Regens-
wen, der Tschechen und kroat. geführten burg; bedeutende Scholastiker: Bonaven-
Südslawen) und wurde deshalb von groß- tura, Roger Bacon, Duns ­Scotus, Wilhelm
serb. Nationalisten am 28. Juni 1914 mit von Ockham; im Streit um das Armutsideal
seiner Gattin in Sarajewo erschossen (An- spalteten sie sich in die strengeren Spiritua-
lass zum Ausbruch des 1. Weltkrieges). len, die Observanten und in die Konventu-
Franz Joseph I., Kaiser von Österreich alen (mit gemilderten Armutsvorschriften);
(1848–1916), geb. 1830, kam durch Ab­ von den Observanten splitterten sich später
dankung seines Onkels ↑ Ferdinand I. auf die strengeren Kapuziner ab.
den Thron; seit dem Ausgleich von 1867 Französische Revolution („Große Revo-
mit Ungarn auch König von Ungarn, lution“), polit., ideolog. und soziale Um-
letzter großer Monarch des alten Europa, wälzung von weltgeschichtlicher Bedeu-
vom Unglück verfolgt: polit. Niederlagen tung, tiefer Einschnitt in der Geschichte
gegen Italien (1859 Verlust der Lombar- Europas, indirekt auch N- und S-Ameri-
dei) und Preußen (1866 Ausscheiden aus kas. Voraussetzungen, Ursachen und Vor-
dem Dt. Bund, Verlust Venetiens, 1871 geschichte ↑ Frankreich. Ziel: Staatsord-
preuß.-deutsches Kaisertum), Nationali­ nung der Vernunft, Sturz des ↑ Feudalis-
tätenkämpfe, 1. Weltkrieg; persönlich die mus, der alten Ständeordnung und des Ab-
Erschießung seines Bruders Maximilian solutismus; Verwirklichung von „Freiheit,
in Mexiko, tragischer Tod seines einzigen Gleichheit, Brüderlichkeit“ unter dem
Sohnes Rudolf, Ermordung seiner Gattin Eindruck des Freiheitskrieges der nord-

305
Französische Revolution

amerik. Bürgerheere, ihrer Freiheitsideen, ropa zugunsten der ↑ Emigranten und des
ihrer Unabhängigkeitserklärung (1776) Königs, der darauf im April 1792 von der
und der Erklärung der Menschenrechte. (gemäßigten) Gironde zur Kriegserklärung
Ablauf: 5. Mai 1789 in Versailles Zusam- gezwungen wurde (↑ 1. Koalitionskrieg).
mentritt der Generalstände (↑ États Géné- Ra­dikalisierung durch ↑ Bergpartei (Ma-
raux) als einer Finanzversammlung (Neu- rat, Danton, Robespierre); Dekrete gegen
festsetzung der Steuern zur Verhütung des Emigranten und Eid verweigernde Pries-
Staatsbankrotts); sie setzte sich zusammen ter; militär. Niederlagen, darauf Sturm auf
aus je 300 Abgeordneten des Adels und der die Tuilerien und Gefangensetzung der
Geistlichkeit und aus 600 Abgeordneten königlichen Familie im Temple; Beginn
des ↑ dritten Standes (Bürgertum); 3. Stand der Schreckensherrschaft des Pöbels (Sep-
forderte Abstimmung nach Köpfen, nicht tembermorde) unter Führung der jakobi-
nach Ständen; infolge der ablehnenden nischen Terroristen, die den neugewählten,
Haltung der privilegierten Stände (Adel am 20. Sept. eröffneten Nationalkonvent
und Klerus) konstituierten sich am 17. Juni beherrschten; 21. Sept. Abschaffung des Kö­
die Vertreter des 3. Standes auf Antrag von nigtums, Frankreich wurde die „eine und
↑ Sieyès unter Führung ↑ Mirabeaus zur unteilbare Republik“ (1. Republik). Jan.
verfassunggebenden Nationalversammlung 1793 Prozess gegen „Louis Capet“ (den Kö­
(Assemblée nationale constituante), der die nig) und Hinrichtung (21. Jan.); royalist.
beiden anderen Stände beitraten, und gin- und girondist. Aufstände, schwerste Wirt-
gen an die Ausarbeitung einer großbürger- schaftskrise durch Inflation (Assignaten-
lich-liberalen Verfassung; 20. 6. ↑ Ballhaus- sturz); Sieg der Radikalen. April: Die neue
schwur und revolutionäres Eingreifen der Verfassung (Errichtung des ↑ Wohlfahrts-
Straße: 14. Juli Sturm auf die ↑ Bastille (der ausschusses) mündete in die Diktatur,
14. Juli wird später frz. Nationalfeiertag); verkörpert durch ↑ Danton, nach seinem
4. Aug. Verzicht des Adels auf seine Privi- Sturz durch den doktrinären ↑ Robespierre;
legien (Abschaffung des Feudalsystems); militär. Katastrophe Anlass zur Steigerung
27. Aug. Erklärung der ↑ Menschenrechte; des Terrors gegen alle „Feinde der Freiheit
unter dem Druck der Massen Übersied- und der Republik“ und zur ↑ Levée en
lung des Königs von Versailles nach Paris, masse, organisiert von Carnot; nationaler
doch blieb Frankreich noch Monarchie. Existenzkampf, aus der Abwehr Übergang
2. Dez. Einziehung der Kirchengüter zur zum Vormarsch an allen Fronten: „Krieg
Deckung der Staatsschulden. 12. Juli 1790 den Palästen, Friede den Hütten, Versöh-
Zivilkonstitution des Klerus (Verfassungs- nung des Volkes“; Marseillaise und Tri­
eid der Priester), Einziehung der königl. kolore; durch militär. Entlastung Voraus-
und Emigrantengüter als Deckungsgrund- setzung für Jakobinerterror entfallen. 1794
lage für das Papiergeld (↑ Assignaten); Be- Hinrichtung Dantons (5. April); Sturz und
ginn des Kulturkampfes; Abschaffung des Hinrichtung Robespierres (28. Juli); Ab-
Adels. 1791: Stellung der Monarchie nach lösung des „roten Schreckens“ durch den
dem Tod Mirabeaus und der missglückten „weißen Schrecken“. 1795: 21. Mai Jako-
Flucht Ludwigs XVI. (20. Juni 1791) trotz bineraufstand niedergeworfen, 22. Aug.
Schwur auf die Verfassung (14. Sept.) hoff- 3. Verfassung, 26. Okt. Auflösung des Kon-
nungslos; Linksrutsch bei den Wahlen zur vents; 31. Okt. Übernahme der Regierung
Gesetzgebenden Versammlung (Assemblée durch das 5-köpfige Direktorium (Direc-
législative), die am 29. Sept. zusammentrat, toire), gestützt vom Ruhe- und Sicherheits-
führende Gruppe die republikanischen bedürfnis des wohlhabenden Bürgertums;
↑ Girondisten. Intervention des alten Eu- Beschluss der Revolution durch ihren sieg-

306
Frauenbewegung

reichen General: 18. Brumaire (9. Nov.) des 19. Jh. mit dem Ziel der kulturellen,
1799 Staatsstreich Napoleon Bonapartes, rechtl., sozialen und polit. Gleichberech­
der als 1. Konsul die Macht an sich riss. – tigung der Frau; Markstein der F. die ↑ Frz.
Ergebnis der F. (fortgesetzt in der Julirevolu­ Revolution: 1792 „Erklärung der Frauen-
tion 1830 und Februarrevolution 1848): rechte“ durch Olympe de Gouges (Grün-
Zusammenbruch des Ancien régime (Abso­ dung des „Cercle social“, der die polit.
lutismus, Feudalismus), Vorherrschaft der Gleichberechtigung der Geschlechter mit
liberalen und demokrat. Prinzipien, die im aktivem und passivem Wahlrecht und Zu-
modernen Rechts- und Verfassungsstaat lassung zu den öffentl. Ämtern forderte);
verwirklicht wurden (Schutz des Individu- überragende Vorkämpfer der fraulichen
ums vor der Staatsallmacht, parlamentar. Staatsbürgerrechte: John Stuart Mill, Mary
Kontrolle der Regierung, Wandlung des Wollstonecraft, George Sand; in Deutsch-
Untertanen zum Staatsbürger), Erstarken land die Frauen der Romantik (Bettina von
des republikan. Gedankens und des „Anti­ Arnim), Luise Otto-Peters, Helene Lange,
klerikalismus“ (Trennung von Staat und Gertrud Bäumer u. a. Seit den 1840er Jah­
Kirche), Ende der Sozial- und Wirtschafts- ren Forderung nach Zulassung zu den
ordnung des MA; Ablösung des Ständewe- Hochschulen, nach berufl. Gleichberechti-
sens durch die Klassengesellschaft, Bauern- gung, berufl. Fortbildung, freier Berufwahl.
befreiung, Handels- und Gewerbefreiheit Während in Italien und z. T. auch in Spa-
als Voraussetzung für die Entfaltung des nien seit der Renaissance Frauen studieren
Industrialismus und Kapitalismus; eigent- konnten, öffneten sich die Universitäten
licher Sieger der F.: der „Dritte Stand“ (die der übrigen Kulturländer nur zögernd den
„Bourgeoisie“). Haupteinwände der Kriti- Frauen: 1864 die Schweiz (Zürich), 1869
ker der F.: Entfesselung des Nationalismus, die USA (seit 1833 Frauen-Colleges), 1870
der zur Selbstzerfleischung Europas führte, Schweden, 1878 Holland, 1879 England,
Weckung von Masseninstinkten, die von 1882 Norwegen, 1883 Belgien, 1892 erste
fanat. oder doktrinären Demagogen miss- Zulassung in Baden, 1887 Österreich,
braucht wurden. 1901 Russland, 1908 die dt. Universitäten.
Französische Union (Union Française), die Die F. trat schon früh der Ausbeutung der
dem brit. Commonwealth entsprechende weibl. Arbeitskraft in Fabriken und durch
staatsrechtl. Verbindung des frz. Mutterlan­ Heimarbeit entgegen, andere Gruppen
des mit seinen (ehemal.) Kolonial­ge­bieten forderten Zuerkennung der vollen Staats-
bis zur Bildung der ↑ Communauté durch bürgerrechte, v. a. des Frauenstimmrechts.
de Gaulle (1958) aufgrund der Verfassung Wahlrecht bestand schon vor 1787 in ei-
der 4. Republik vom 27. Okt. 1946; die F. nigen nordamerik. Staaten (doch nicht in
bestand aus der „Französischen Republik“, der Bundesverfassung verankert); seit 1840
den „Assoziierten Gebieten“, den „Assozi­ starke Bewegung für das Frauenstimm-
ierten Staaten“; Präsident der F. war der recht in den USA (Vorkämpferinnen: Lu-
Präsident der Frz. Republik, daneben Ho- cretia Mott, Elis. Cady Stanton, Susan B.
her Rat der F. (zur Unterstützung der Re- Anthony); 1869 gewährte der Staat Wyo­
gierung der Republik in Angelegenheiten ming, dann Colorado, Idaho und Utah
der F.) und die Versammlung der F.; die den Frauen das Wahlrecht; allg. aber erst
F. abgelöst durch die Gründung einer lo- 1919; in England organisierte Wahlrechts-
ckeren Gemeinschaft, der Communauté bewegung seit 1866 (Wahlrecht auf der In-
vom 28. Feb. 1958 (↑ Frankreich). sel Man 1880), seit 1903 kämpfen Aktio­
Frauenbewegung, entstand im Rahmen nen der Frauenrechtlerinnen (↑ Suffrage­
der allgemeinen ↑ Emanzipationstendenzen tten), allg. Wahlgleichberechtigung erst

307
Fredegar

nach 1918; Neuseeland 1893, Australien nik, seit 591), für die aber zwei weitere
1902, Finnland 1906, Norwegen 1907, Verfasser (mit Zusätzen bis 642 bzw. 658)
Island 1913, Dänemark 1915, Russland nachgewiesen wurden und die bis 768 drei
1918, Deutschland 1919 (Wahl zur Natio­ weitere Fortsetzer fand.
nalversammlung; Vorkämpferinnen waren Fredegunde, fränk. Königin, gest. 597;
bes. Min­na Cauer, Anita Augspurg), Polen zunächst Geliebte, dann Gemahlin Chil-
1921, Holland, Luxemburg, Tschechoslo- perichs I. von Neustrien, berüchtigt wegen
wakei und Schweden 1918–21, Kanada ihrer Greueltaten; Mutter von ↑ Chlotar II.,
und Indien 1920, Südafrika 1930, Spanien für den sie die Regentschaft übernahm.
1932, Türkei und Brasilien 1934; nach Fregatte, in der Segelschiffzeit schnelles
1945 Frankreich, Italien, Japan, Belgien; Kriegsschiff mit Vollschifftakelage für den
Portugal 1946, China 1947, Israel und Kreuzerdienst; im 19. Jh. als Panzer-F.
Korea 1948, Griechenland 1952, Schweiz größ­te Klasse der Hochseeflotten, bis man
1971. Nationale Frauenorganisationen anfing, Panzerlinienschiffe zu bauen.
bestanden seit dem 19. Jh. in vielen Län- Freidenker, „Freigeister“, urspr. Gruppe
dern: 1865 Allg. dt. Frauenverein; die seit- von Philosophen des ausgehenden 17. und
dem entstehenden Frauenbünde 1894 in 18. Jh., die den radikalen Flügel der Auf-
Deutschland in Verbindung mit internat. klärung bildeten und sich für unabhängig
Frauenorganisationen zum Bund dt. Frau- von den überlieferten geistigen Autoritäten
envereine zusammengeschlossen. 1888 erklärten; anfangs nur gegen die kirchl.
Gründung des Internationalen Frauenrats Dogmen, dann gegen den christl. Offenba-
(„Mütter des Völkerbundes“); außerdem rungsglauben, doch noch an einem Schöp-
Friedensorganisationen, Berufs- und Inte- fergott festhaltend (Deismus), schließl. ent-
ressenorganisationen, religiöse und weltan- schiedene Atheisten. Führende F. im Sinne
schauliche Verbände, Mütter- und Kinder- einer „Vernunftreligion“: Hume, Di­derot,
schutzbünde. Seit Mitte der 1960er Jahre Voltaire u. a., i. S. des philosoph. Materia-
fanden organisierte Formen der Frauene- lismus: Lamettrie, Holbach u. a. Im 19. Jh.
manzipation eine breite Basis. 1966 Grün- wandelte sich das F.tum zu einer antikirchl.
dung der „National Organisation for Wo- Massenbewegung, die in den sozialist. Par-
men“ in den USA, starke publizistische Tä- teien polit. Rückhalt und ihren Anhang
tigkeiten, radikale Manifeste z. B. von der bes. im Proletariat fand. Seit 1880 internat.
Bewegung „Women’s Lib“. In der Bundes- Zusammenschluss der F.-Verbände.
republik Deutschlands entwickelten sich Freie, bei den Germanen Kern der Bevöl-
aus der Studentenbewegung neue linke kerung („Gemeinfreie“), voll rechts- und
Frauengruppen, engagiert v. a. im Kampf waffenfähig (Anspruch auf volles Wergeld,
gegen den § 218 (Verbot des Schwanger- Teilnahme an der Heeresversammlung);
schaftsabbruchs, mittlerweile geändert). nach unten, d. h. von den Unfreien, schär-
Prominenteste dt. Frauenrechtlerin ist seit fer abgegrenzt als nach oben, vom ↑ Adel,
den 1970er Jahren Alice Schwarzer. Seit der sich laufend aus den F.n ergänzte. Erst
den 1990er Jahren liegt der Schwerpunkt mit dem Aufkommen des ↑ Lehenswe-
der Aktivitäten außerdem auf der Errich- sens und der ↑ Grundherrschaft bildete
tung von Frauen-Netzwerken zum allg. sich ein gesonderter Adel heraus, gleich-
Informationsaustausch unter den Mitglie- zeitig sanken viele F. teils durch Selbster-
dern. gebung (an Grundherren), teils durch ge-
Fredegar, angeblich Verfasser einer fränk. waltsame Unterwerfung in Abhängigkeits-
Weltchronik (wichtigste Quelle für die verhältnisse ab und verschmolzen im Lauf
50 Jahre nach ↑ Gregors von Tours Chro- des MA mit den ehemaligen Unfreien zur

308
Freigelassener

Hörigenklasse; nur in einzelnen Gebieten, aufbauende Quadrivium: Arithmetik, Geo­


z. B. Schweiz, Westfalen, Dithmarschen, metrie, Astronomie, Musik; alle sieben F.
behaupteten sich bäuerliche F. als geschlos- bildeten den Lehrstoff der unteren oder
sener Stand, dafür erwuchs in den Städten Artistenfakultäten der Universitäten, in de-
eine neue Freiheit. nen man die Würde eines Magister artium
Freie Demokratische Partei (FDP), 1948 liberalium erlangen konnte.
durch Zusammenschluss verschiedener li- Freier Deutscher Gewerkschaftsbund,
beraler Gruppen gegr., liberale Partei der Abk. FDGB, Einheitsgewerkschaft der
Bundesrepublik Deutschland; gegen Sozia­ DDR; 1945 gegr., setzte sich zusammen
lisierung, für verantwortlichen freien Wett- aus 15 Einzelgewerkschaften, trug nach
bewerb; gegen Zweiparteiensystem, für die dem Arbeitsgesetzbuch (seit 1978) die Ver-
Ausbildung einer dritten, liberalen Kraft; antwortung für die Stärkung der sozialist.
vertritt die Freiheit der Lehre, der For- Gesellschaftsordnung und die Entwicklung
schung, der Kunst, der Presse; gegen Kon- der sozialist. Gesellschaft. 1990 aufgelöst.
fessionsschule und konfessionelle Lehrer- Freie Städte, im MA bischöfliche Städte
bildung; außenpolit. für nationale Gleich- (Köln, Speyer, Worms, Augsburg, Basel
berechtigung, bes. in der Frage der Wieder- u. a.), die im 13./14. Jh. die Unabhängig-
vereinigung; für Völkerverständigung und keit von der geistl. Herrschaft erlangt hat-
aktive Ostpolitik; 1949–1956 und 1961– ten; waren im Unterschied zu den ↑ Reichs-
1966 Regierungsbeteiligung in Koalition städten von bestimmten Reichspflichten
mit CDU/CSU; 1966–1969 Opposition (Heerfahrt, Jahressteuer) befreit. – Später
zur Großen Koalition. 1968 linksliberale Bez. für die Stadtrepubliken Hamburg,
Umorientierung der FDP unter dem Par- Bremen, Lübeck und Frankfurt/Main, seit
teivorsitzenden Scheel. 1971 „Freiburger 1815 Mitglieder des Dt. Bundes; Frank-
Thesen der FDP zur Gesellschaftspolitik“. furt fiel 1866 an Preußen, Hamburg, Lü-
1969–1982 Koalition mit der SPD, 1982– beck (Freie und Hansestädte) und Bre-
1998 mit der CDU/CSU, seither in der men (Freie Hansestadt) wurden 1867 Mit-
Opposition. glieder des Norddt. Bundes und 1871 des
Freie Deutsche Jugend (FDJ), 1946 gegr., Dt. Reiches; Lübeck kam 1937 zu Preu-
sozialist. Jugendorganisation in der DDR; ßen, Bremen wurde dem Reichsstatthalter
bis 1989/90 einziger Jugendverband, eng in Oldenburg unterstellt; Hamburg und
mit der SED verbunden; Aufgaben der Bremen nach 1945 Länder der Bundes­
FDJ waren polit. Organisierung, ideolog. republik Deutschland.
und fachl. Erziehung der Jugendlichen (ab Freigelassener, bei Griechen, Römern
14 Jahren), Freizeitgestaltung, Betreuung und Germanen ehemaliger Sklave oder
der Pionierorganisation „Ernst Thälmann“ Höriger, dem meist (bei Griechen) durch
(Junge Pioniere). Nach dem Zusam- Weihung an einen Gott oder (bei Römern)
menbruch der SED-Herrschaft im Okt./ durch Testament oder Behördenprozedur
Nov. 1989 löste sich die FDJ von der einsei­ die Freiheit gegeben wurde; der F. erwarb
tigen Ausrichtung auf die kommunist. Par- damit nur die persönliche Freiheit, erst
tei; im Zuge der Wiedervereinigung 1990 seine freigeborenen Kinder waren Vollbür-
aufgelöst. ger; er genoß geringes soziales Ansehen,
Freie Künste (artes liberales), im Altertum konnte aber, bes. in der röm. Kaiserzeit,
die eines freien Mannes würdigen Beschäf- zu hohen Staatsämtern (Hausminister)
tigungen; im Bildungswesen des MA das aufsteigen. Auch die F. bei den Germanen
Trivium der Elementarschulen: Gramma- zählten zu den Minderfreien und bedurf-
tik, Rhetorik, Dialektik, und das darauf ten der Schutzgewalt eines Patrons.

309
Freihandel

Freihandel, wichtigster Programmpunkt tät und Fremdbestimmung. Im dt. Idealis-


des wirtschaftlichen ↑ Liberalismus: Der mus (Kant, Hegel, Fichte) wurde der F.s-
durch keinerlei staatl. Maßnahmen (Zölle, Begriff weiterentwickelt; Kant unterschei-
Ein- und Ausfuhrbeschränkungen, Mono- det die empirische, psychische F. als Unab-
pole) behinderte Güteraustausch zw. allen hängigkeit von äußeren Faktoren von der
Völkern ist Voraussetzung des allg. Wohl- sittl. F. als Unabhängigkeit des Willens von
standes. Als Gegenbewegung gegen die Re- psychischen Faktoren und als Befolgung
glementswirtschaft des ↑ Merkantilismus vernünftiger Sittengesetze; Hegel versteht
und aus dem allgemeinen Ideengut der unter F. das individuelle Vermögen, be-
Aufklärung heraus wurde der F. zuerst um wusst handeln zu können; die Geschichte
die Mitte des 18. Jh. von den Physiokraten ist ein „Fortschritt im Bewusstsein der F.“;
(↑ Physiokratismus) vertreten und dann im Verlauf der Geschichte geschaffene In-
Hauptbestandteil der klass. engl. National­ stitutionen sind Verwirklichungen von F.
ökonomie (Smith, Ricardo); radikalster Für Marx ist F. die Einsicht in geschichtl.
Verfechter: das ↑ Manchestertum; größter Notwendigkeiten, hervorgegangen aus ge-
Erfolg: der Sieg der engl. ↑ Anti-corn-law- sellschaftlicher Praxis und materieller Pro-
league; polit.-parlamentar. Vertretung: die duktion; persönliche F. und Selbstverwirk-
Parteien des liberalen Bürgertums. Seit der lichung sind für die Masse der arbeiten-
2. Hälfte des 19. Jh. rückläufige Bewegung den Menschen mit sozialer Emanzipation
in fast allen großen Staaten. Übergang zum eng verbunden; F. ist die Aufhebung ver-
Zollschutz für Landwirtschaft und Indus- selbständigter Macht von Menschen über
trie (Deutschland 1879), Beginn der Zoll- Menschen, verbunden mit gesellschaftlich
kriege. Wiederbelebung des F.s seit dem organisierter Planung und Kontrolle der
2. Weltkrieg durch Zollabbau, Zahlungs- materiellen Produktion. In der Existenz-
unionen, Wirtschaftsgemeinschaften. Im philosophie wird die F. zur Grundbestim-
weiteren Sinne versteht man unter F. das mung menschl. Existenz. Der polit.-ge-
Gesamtprogramm des Wirtschaftslibera­ schichtliche Begriff F. bezeichnete bei den
lismus, z. B. auch die Gewerbefreiheit. Griechen die F. von Fremdherrschaft und
Freihandelszone, Kleine, ↑ Europäische Tyrannei; F. und Gleichheit waren Kenn-
Freihandelszone. zeichen der griech. Polis. Im antiken Rom
Freiheit, Autonomie gegenüber äußeren, bezog sich die F. auf Abwehr von Einzel-
inneren oder durch Einzelne oder Instituti- herrschaft bzw. von Willkür der Magistrate
onen (Staat, Gesellschaft, Gruppen, Kirche gegenüber dem freien Bürger; in der röm.
usw.) ausgeübten Zwängen. In der Antike Kaiserzeit wurden den Bürgern F.s-Rechte
war die F. zunächst ein politischer Begriff, gewährt. Im MA bezeichnete die F. eine
der Freie unterschied sich als Bürger der Po- Rechtsstellung eines Einzelnen, einer Ge-
lis vom Sklaven. Die individuelle F. ist bei meinschaft oder Örtlichkeit, die sich aus
Sokrates, Platon und Aristoteles dann die Herkunft, durch Verleihung u. a. ergab;
Einsicht des Menschen in das Vortreffliche, F. war eng mit Herrschaft und Macht ver-
verwirklicht in polit. Praxis und im Leben; bunden und wie diese abgestuft: genos-
innerlich frei war der Mensch, wenn er ver- senschaftliche F. der Bürger und Bauern,
nunftfeindliche Triebe seinem Geist un- Dom- und Markt-F., Rechte der Stände
terwarf. In der Neuzeit mit Entstehen des u. a. Der F.s-Begriff des MA wurde durch
Bürgertums ist die F. zunächst stärker po- die in den religiösen Bürgerkriegen des 16.
lit. definiert; Hobbes, Locke, Rousseau ver- und 17. Jh. erkämpften ständischen und
standen unter F. die Unabhängigkeit von persönlichen F.s-Rechte ersetzt. Es ent-
überlieferter oder selbst auferlegter Autori- stand ein lib. F.s-Begriff; die individuelle

310
Freimaurer

F. wurde als Grundrecht (Naturrecht) bis ven Entscheidung für diese Gemeinschaft
heute Teil aller demokrat. Verfassungen; F. aufgenommen werden; in Europa zu-
der Person, Freizügigkeit, Meinungsfrei- meist durch Abspaltung von Staatskirchen
heit, Versammlungsfreiheit, freie Wahlen entstanden. In England gibt es seit dem
u. a. ermöglichen die Teilnahme des ein- 17. Jh. Presbyterianer, Kongregationalisten
zelnen Bürgers an der polit. Gestaltung und Baptisten, seit dem 18. Jh. auch Quä-
der Gesellschaft. Seit dem 19. Jh. sind die ker und Methodisten; in den USA sind die
F.s-Rechte ergänzt um soziale Rechte (For- meisten Kirchen Freikirchen, in Deutsch-
derung nach Gleichheit). In der heutigen land sind die wichtigsten der Bund Ev.-
polit. Diskussion geht es um das Span- Freikirchlicher Gemeinden und der Bund
nungsverhältnis von individueller F. und freier ev. Gemeinden.
ihrer staatlichen Garantie, die zum Ein- Freikonservative Partei, preußischer Par-
griff in die F. des Zinzelnen führen kann. tei; Bismarcks parlamentar. Hauptstütze,
– Seit dem 19. Jh. trat neben die Forderung trennte sich 1866 von den Konservativen
nach persönlicher F. der Kampf um natio- im preußischen Landtag und stand zw. die-
nale F. Er löste auf der ganzen Welt Kriege sen und den Nationalliberalen; seit 1871
aus, veränderte Staatsgrenzen und destabi- als Dt. Reichspartei im Reichstag, stellte
lisierte ganze Regionen. Trotz wachsender zahlreiche Minister, einflussreich durch ih-
wirtsch. Verflechtung und Abhängigkeiten ren Anhang im Hochadel und in führen-
und trotz militär. Blocksysteme hat der den Wirtschaftskreisen, ging 1918 in der
Kampf um nationale F. nicht an Spreng- Dt. Volkspartei auf.
kraft verloren. Freikorps, militär. anerkannter Freiwilli-
Freiheit der Meere, völkerrechtl. Begriff, genverband, der sich meist erst während
entwickelt von dem Niederländer Hugo des Krieges bildete. In den Befreiungskrie-
↑ Grotius, der 1609 in seiner Schrift „De gen 1813–15 zahlreiche F. (z. B. Lützower
mare libero“ (Über das freie Meer) den Jäger). Nach der Auflösung der dt. Armee
engl. Seeherrschaftsansprüchen entgegen- 1918 bildeten sich F. sowohl im Innern des
trat und für alle Völker freie Bewegung auf Reiches (Ruhrkampf, Bund Oberland in
allen Meeren forderte; der Engländer John Bayern gegen Räterepublik, Brigade Ehr-
Selden sah in einer Gegenschrift (1619) das hardt, Eiserne Schar usw.), als auch nach
„Mare clausum“ (Geschlossenes Meer) für außen zur Verteidigung bedrohter Grenz-
einen Bestandteil des Herrschaftsbereiches gebiete (Oberschlesien, Baltikum).
an. Praktisch richtete sich die immer wie- Freimaurer, international verzweigte Ver-
der (zuletzt von den USA im 1. Weltkrieg) einigung zum Schutz der ↑ Menschen-
erhobene Forderung nach F. gegen Eng- rechte, gekennzeichnet durch männerbün-
land; in Friedenszeiten verwirklicht, wurde dische Organisationsform und geheimes
sie im Krieg trotz der Seerechtsdeklarati- Ritual. Ursprung in jenen Bauhütten des
onen (Paris 1856, London 1909) durch die MA, in denen eine myst. Erweckungsbe-
brit. Seeblockaden und den „Wirtschafts- wegung gnost. und neuplaton. Gedanken
krieg“ (gegen Deutschland) aufgehoben. pflegte, und in der Bewegung der ↑ Rosen-
Freiheitskriege, ↑ Befreiungskriege. kreuzer. Zentraler Begriff: „Bau“ (am Tem-
Freihof oder Freigut, ein von Lehensver- pel der Menschheit und am eigenen Ich);
pflichtungen und Abgaben an den Grund- Eindringen des Ideengutes der Aufklärung:
herrn freies Gut; Privilegien im 19. Jh. auf- Humanität, Toleranz, Gedankenfreiheit,
gehoben. Weltbürgertum. Offizielles Geburtsdatum:
Freikirche, kirchliche Gemeinschaft, de- 1717 Zusammenschluss der 4 Londoner
ren Mitglieder nur aufgrund einer positi­ Logen zur Großloge; rasche Ausbreitung

311
Freising

über ganz Europa bis nach Russland und Freizügigkeit, das Recht, sich innerhalb des
Beitritt führender Geister (Friedrich d. Gr., Staatsgebiets frei zu bewegen und an jedem
Lessing, Herder, Voltaire, Fichte, Goethe Ort niederzulassen; gehört zu den Grund-
u. a.). Entwicklung nationaler Eigenarten: rechten des modernen Verfassungsstaates.
in England nüchternes, praktisches Chris- – Die F. war im MA beschränkt; der von
tentum, in Deutschland Verbindung mit einem Grundherrn abhängige Bauer durfte
Neuklassizismus und nationalem Denken nur gegen „Abzugsgeld“ wegziehen, der
(bes. in den sog. altpreußischen Logen); in Hörige überhaupt nicht; andererseits war
Frankreich, Italien, Spanien, Mexiko, Süd- aber auch der Zuzug mit gleichzeitiger Exis­
amerika scharf antikirchlich; in Italien Un- tenzgründung erschwert, in der Stadt z. B.
terstützung der Irredenta. Vorherrschende war die Aufnahme in eine entsprechende
Richtung: für natürliche Ethik, dogmen- Handwerkerzunft durch Zulassungsbedin-
freies Christentum, polit. liberale Ideen; gungen stark beschränkt. Die reisenden
keine zentral geleitete Weltorganisation; Kaufleute standen unter Fremdenrecht.
wegen ihrer kosmopolit. Ideen in autori- Auch der Fürstenstaat des 17. und 18. Jh.
tären Staaten unterdrückt (1925 Italien; beschränkte die F. aus wirtsch.- und mili-
1933 Deutschland; 1940 Spanien). Polit. tär-polit. Gründen. Wandel erst durch die
Einfluss der F. verhältnismäßig am stärks- Frz. Revolution, in Deutschland durch die
ten in den roman. Ländern, im Allg. über- Reformen Anfang des 19. Jh. (Bauernbe-
schätzt. freiung). Gewährung der unbeschränkten
Freising, vermutl. Römergründung, 738 F. auch im Ausland Voraussetzung für Ent-
vom hl. Bonifatius gegr. Bistum, zeitweilig faltung der modernen Weltwirtschaft.
Residenz der ↑ Agilolfinger, 955 von den FRELIMO, Abk. für Frente de Libertacão de
Ungarn niedergebrannt; berühmteste Bi- Moçambique, Befreiungsbewegung sowie
schöfe: Arbeo, 8. Jh., erster bayerischer Ge- Einheits- und Staatspartei in Moçambique;
schichtsschreiber, und ↑ Otto von F., um gegr. 1962, führte 1964–1974 einen Gue-
1150. Das Bistum mit zahlreichen Außen­ rillakrieg gegen die Kolonialmacht Portu-
besitzungen (Werdenfelser Land) wur­de gal. Nach der Unabhängigkeit Moçam-
1650 zum Fürstbistum erhoben, 1802 sä- biques 1975 Staats- und Einheitspartei,
kularisiert, 1817 als Erzbistum wieder her- seit 1990 besteht mit der in Kraft getre-
gestellt und nach München verlegt (Erzbis- tenen neuen Verfassung ein Mehrparteien-
tum München-Freising). system in Moçambique, 1992 Zulassung
Freisinnige Partei, entstand 1884 als Sam- der ersten Oppositionspartei. 1994 bei den
melbecken der liberalen Opposition aus ersten freien Wahlen gewann FRELIMO
der Fortschrittspartei und dem linken Flü- die absolute Mehrheit der Parlamentssitze,
gel der Nationalliberalen, bekämpfte unter ebenso 1999 und 2004.
Führung Eugen Richters, Bambergers u. a. Fremdenlegion (Légion étrangère), nach
Bismarcks Wirtschafts- und Sozialpolitik, der ↑ Julirevolution in Frankreich aus den
Heeresverstärkungen, Kolonialpolitik, den Flüchtlingen und Abenteurern vieler Na-
Abbruch des Kulturkampfes usw., erlangte tionen zur Eroberung Algeriens gebildete
1890 zus. mit Zentrum und Sozialdemo- Truppe von Söldnern und Arbeitssoldaten,
kratie die Majorität, spaltete sich 1893 die seitdem zur Sicherung des frz. Besitzes
bei neuer Heeresvorlage, ging 1910 in der in Nordafrika und in Ostindien verwendet
Fortschrittlichen Volkspartei, 1918 in der wurde, zeitweise zu 40–80 % aus Deut-
Dt. Demokrat. Partei auf. schen formiert (etwa 250 000 Deutsche ge-
Freistaat, Land mit republikan. Verfassung fallen). Die frz. F. kämpfte auch gegen die
(↑ Republik). Karlisten in Spanien 1835–1837, im Krim-

312
Frieden

krieg 1854–1856, in Oberitalien gegen wieder ital.; 1919 auch die Grafschaft Görz
Österreich 1859, im Dt.-Frz. Krieg und im zu Italien; 1947 gingen Teile an das heutige
2. Weltkrieg. Mit dem Ende des Algerien- Slowenien.
krieges und mit dem Zerfall des frz. Kolo- Frick, Wilhelm, dt. Politiker, 1877–1946;
nialreiches verlor die F. an Bedeutung. nahm 1923 am Hitlerputsch teil, als Reichs­
French, John Earl of Ypres and of High innenminister 1933–1943 verantwortlich
Lake, brit. Heerführer, 1852–1925; für die Durchführung der Rassengesetze,
1914/15 Führer des brit. Expeditionskorps 1943–1945 Reichsprotektor von Böhmen
in Nordfrankreich und Flandern, danach und Mähren; 1946 in Nürnberg als Kriegs-
als Oberbefehlshaber aller britischen Streit- verbrecher zum Tode verurteilt.
kräfte für Ausbildung und Organisation Frieden, Regelung der Verhältnisse und
des Heimatheeres verantwortlich. Beziehungen innerhalb von und zw. Staa-
Freud, Sigmund, österr. Arzt und Psy- ten durch Rechtsprinzipien und ohne
chologe, 1856–1939; seit 1885 Dozent Gewalt, Zwang oder Krieg; in dieser De-
in Wien, musste 1938 wegen seiner jüd. finition eine Idee der Neuzeit seit Kant:
Abstammung vor den Nationalsozialisten „Zum ewigen F.“ (1795). Das A. T. ver-
nach London fliehen; gilt als Entdecker des stand unter F. die intakte Gemeinschaft
Unbewussten und Begründer der Psycho­ als göttliches Geschenk; im N. T. war die
analyse, die weltweit starken Einfluss auf Verkündigung des F.s identisch mit der
die psychotherapeut. Behandlung gewann; Heilsbotschaft. Theologie und Kirchen ha-
F. betrachtete als Antrieb allen menschli­ ben dennoch unterschieden zw. dem welt-
chen Handelns anfangs die Libido, später lichen Bereich, in dem nach Augustinus
den Todestrieb, seine Ideen hatten großen der F. zur Not auch mit einem „gerechten
Einfluss auf Literatur und Kunst; die Natio­ Krieg“ (bellum iustum) gesichert werden
nalsozialisten lehnten seine Werke als „Ver- kann, und dem ewigen F.sreich. Im MA
leugnung aller sittlichen Werte“ ab und („Pax et Justitia“) war das Recht Ausdruck
warfen sie 1933 bei den Bücherverbren- des F.s, die Herrschaftsinstanzen Träger der
nungen auf den Scheuerhaufen. Rechts- und F.sidee; im Ewigen Landfrie-
Freycinet, Charles Louis, frz. Politiker, den (1495) und im Augsburger Religions-
1828–1923; urspr. Ingenieur, organisier­te frieden (1555) stand die Vorstellung eines
im Dt.-Frz. Krieg unter ↑ Gambetta den einheitl., weltumspannenden Reiches im
Widerstand; viermal Ministerpräsident, Vordergrund, in dem geistl. und weltliche
ebenso oft Kriegsminister, Schöpfer des frz. Gewalt (Papst und Kaiser) gemeinsam den
Heeres für den 1. Weltkrieg zog. F. wahrten. In Renaissance und Human-
Friaul, ital. Landschaft in O-Venetien, nismus wurden Prinzipien einer rechtlich
heute Provinz Udine, bewohnt von Rä- verfassten F.sordnung entworfen und der
toromanen mit eigener Mundart. – Be- Krieg als naturwidrig bezeichnet; erste Im-
nannt nach der röm. Stadt Forum Ju- pulse für ein modernes Völkerrecht und
lii; 568 langobardisches Herzogtum, seit Anfänge des neuzeitl. Pazifismus (Men-
dem 8. Jh. Markgrafschaft des Fränk. Rei- noniten, Quäker, Baptisten). Diese Ideen
ches; im 10. Jh. mehrfach Bayern von dt. wurden verstärkt in der Zeit der Aufklä-
Herrschern verbrieft; von Otto d. Gr. mit rung; 1713 veröffentlichte Abbé de Saint
der Mark Kärnten vereinigt; 1077–1420 Pierre einen Weltfriedensplan, er forderte
zum Patriarchat von Aquileja; im 15. Jh. eine Föderation europ. Staaten; 1795 pos­
östlicher Teil zu Österreich (Grafschaften tulierte Kant eine sittl. F.spflicht, nach
Görz und Gradiska); westlicher Teil zu Ve- der ein Krieg auch als letztes Mittel aus­
nedig, 1797 ebenfalls zu Österreich, 1866 zuschließen ist. Infolge der entstehenden

313
Friedensresolution

Industriegesellschaft, der Befreiungskriege rung) seit Anfang 14. Jh.; aus den Grund-
und des Nationalismus der europ. Völker besitzern einer Grafschaft vom König er-
verloren die bisherigen F.sideen an gesell- nannt, für die Wahrung des Friedens und
schaftlicher Wirkung. Erst die Kriege in für die Verfolgung der Friedlosen (Bestra-
der Neuzeit mit hoher Zerstörungswir- fung der Verbrecher) verantwortlich ge-
kung haben die F.sforderung wieder ver- macht und mit der Aufsicht über die kö-
stärkt. B. von Suttners Roman „Die Waf- niglichen Sheriffs beauftragt, Organe der
fen nieder!“ (1888) stand für den Beginn niederen Gerichtsbarkeit und der Poli­zei­
der organisierten F.bewegung; 1892 Grün- verwaltung (z. B. Überwachung des Woll-
dung der Dt. Friedensgesellschaft; 1899 handels), haben sich bis heute erhalten;
Haager Friedenskonferenz; 1920 in Paris später auch in Frankreich (1790), der
Gründung des Völkerbundes; 1945 der Schweiz, den USA.
UN. Diese Entwicklung half, trotz 1. und Friedland, 1) Stadt und Herrschaft in
2. Weltkrieg, das Völkerrecht durch Kriegs- Böhmen mit dem Schloss ↑ Wallensteins,
und Gewaltverbot weiterzuentwickeln. Im der 1623 Herzog von F. wurde. 2) Stadt in
nuklearen Zeitalter ist die F.ssicherung zur Ostpreußen, 1807 Sieg Napoleons über die
Überlebensbedingung der Menschheit ge- Russen. Folge: Tilsiter Friede.
worden. – Das staatliche Gewaltmonopol Friedlosigkeit, bei den Germanen Strafe
ist seit dem 19. Jh. eine Voraussetzung für für schwere Verbrechen, entsprach der
den inneren F. Der Einzelne verzichtet auf ↑ Acht im MA: Der Friedlose wurde aus der
Gewaltausübung und stellt sich unter den Rechtsgemeinschaft ausgeschlossen und
staatl. Schutz von Leib, Leben und Eigen- galt als vogelfrei, seine Frau als Witwe.
tum. Im staatlichen Schutz des Privatei- Friedrich, Name von Herrschern. Dt. Kai-
gentums liegt aber die Möglichkeit für den ser und Könige: 1) F. I. Barbarossa (Rot-
Eigentümer, Herrschaft über andere aus- bart) aus dem Hause der Hohenstaufen,
zuüben, ein Grund für soziale und Klas- neben Karl d. Gr. Idealgestalt abendländ.
senkonflikte der Industriegesellschaften. Herrschertums im MA (Kyffhäusersage),
Im Sozialstaat des 20. Jh. sind im Interesse um 1122–1190; 1147 Herzog von Schwa-
des inneren F.s deshalb Eingriffe in durch ben, folgte 1152 seinem Onkel Konrad III.
Eigentum bedingte Herrschaft möglich; als König; auf dem ersten seiner 6 Italien-
gesellschaftliche Konflikte werden recht- züge 1155 zum Kaiser gekrönt, trieb eine
lich und mit dem Ziel der Konsensbildung kraftvolle Politik der „Ehre des Reiches“
normiert. (Honor imperii) und stieß bei dem Ver-
Friedensresolution, am 19. Juli 1917 such, die alten Reichsregalien zu erneuern,
Beschluss der aus Sozialdemokr., Fort- auf den zähen Widerstand der reichen ober­
schrittlichen und Zentrum bestehenden ital. Stadtrepubliken, die sich zum Lom-
Reichstagsmehrheit unter Einschaltung bardischen Bund (↑ Lombardei) zusammen­
der Obersten Heeresleitung zur Errei- schlossen (im Bund mit dem Papst, der die
chung eines Verständigungsfriedens und weltl. Oberherrschaft beanspruchte und F.
dauernder Aus­söhnung mit den Alliierten; bannte). Nach wechselvollen Kämpfen
Anlass der dro­hende Zusammenbruch der (1162 Zerstörung Mailands; 1176 Nieder-
österr.-ungar. Fronten; Verzicht auf Anne- lage von Legnano) musste sich F. mit dem
xionen; Rücktritt ↑ Bethmann Hollwegs; Papst (1177 Venedig) und den Lombarden
die F. ohne Wirkung (innenpolit. Wider- (1183 Konstanz) vergleichen. Der trag.
stände, Unnachgiebigkeit der Alliierten). Konflikt mit seinem Vetter ↑ Heinrich dem
Friedensrichter, in England wichtiger Be- Löwen, der F. die Lehensgefolgschaft ver-
standteil der Lokalverwaltung (Selbstregie- weigert hatte, endete 1180/81 mit der Ab-

314
Friedrich

setzung des Welfen und der Zerschlagung 1286–1330; Sohn Albrechts I., seit 1308
seiner Hausmacht (Folge: Zusammen- Herzog von Österreich, 1314 Gegenkönig
bruch des dt. Kolonisationswerkes Hein- Ludwigs des Bayern (durch Doppelwahl),
richs im Osten; Hauptvorwurf der kleindt. 1322 bei Mühldorf besiegt und auf Burg
Geschichtsschreibung gegen F.s Italienpoli- Trausnitz gefangengesetzt, 1325 Mitregent
tik). 1186 festigte F. die kaiserliche Macht Ludwigs. 4) F. III., 1415–1493; seit 1424
durch die Vermählung seines Sohnes Hein- Herzog von Steiermark und Kärnten, spä-
rich mit Konstanze, der Erbin Siziliens. ter auch von Österreich, 1440 zum König
Auf dem 3. Kreuzzug ertrank F. im klein- gewählt, schloss 1448 mit dem Papst gegen
asiat. Fluss Saleph. 2) F. II., 1194–1250; die Beschlüsse des ↑ Baseler Konzils das
Enkel von 1), Sohn Heinrichs VI. und Wiener Konkordat, 1452 Kaiser (letzte
Konstanzes, der Tochter des Königs Ro- Kaiserkrönung in Rom), entschlussschwa­
ger II. von Sizilien, 1198 König von Sizi- cher Herrscher, der den anarch. Zuständen
lien, 1212 Gegenkönig Ottos IV. in im Reich nicht entgegentrat, doch zäh als
Deutschland, 1215 gekrönt, 1220 Kaiser; Hausmachtpolitiker; legte trotz Verlust Un­
nahm auf der Bahn F.s I. den Kampf um garns, Böhmens, vorübergehend sogar sei-
die Macht in Italien gegen Papst und lom- ner österr. Erblande, den Grund zur Groß-
bard. Städte auf, verschaffte sich Rücken- macht Habsburg (1477 Verheiratung sei-
deckung in Deutschland durch Preisgabe nes Sohnes Maximilian mit Maria, der Er-
von Reichsrechten an die geistlichen und bin Burgunds), dankte 1490 ab. 5) F. III.
weltlichen Fürsten (als Lohn für die Wahl von Hohenzollern, Sohn des Kaisers Wil-
seines Sohnes Heinrich an die geistlichen helm I. und Augustas; 1831–1888; als
Herren: Privilegium in favorem principum Kronprinz 1866 und 1870/71 Heerführer,
ecclesiasticorum 1220; und Statutum in fa- seit 1858 mit der brit. Prinzessin Viktoria
vorem principum 1232), denen er damit (spätere „Kaiserin F.“), der Todfeindin Bis-
die aufstrebenden dt. Städte auslieferte, er- marcks, verheiratet; auf beiden ruhte die
richtete im Gegensatz hierzu in Unterita- Hoffnung des liberalen Deutschland (Frei-
lien (Residenz in Palermo) den ersten mo- sinnige Partei „Kronprinzenpartei“); 1888
dernen, zentral und straff verwalteten Staat folgte F. seinem Vater als dt. Kaiser und
Europas (Vorwegnahme des aufgeklärten König von Preußen, bereits todkrank
Absolutismus, z. B. Toleranz gegen Araber (Kehlkopfkrebs) und starb nach 99 Tagen.
und Juden). Von Papst Gregor IX. gebannt, – Baden: 6) F. I., 1826–1907; 1852 Re-
sicherte F. auf dem 5. Kreuzzug 1229 den gent, 1856 Großherzog, Schwiegersohn
Christen den Besitz Jerusalems, ließ sich Kaiser Wilhelms I., liberal gesinnt, Vor-
1230 vom Bann lösen (Erlass blutiger kämpfer der dt. Einigung. – Brandenburg:
Ketzergesetze), setzte 1235 seinen Sohn 7) F. I., erster Kurfürst aus dem Hause Ho-
Heinrich VII. wegen Hochverrats in henzollern (1415–1440); geb. 1371, 1398
Deutschland ab, wurde 1239 zum zweiten Burggraf von Nürnberg, zum Dank für die
Mal vom Papst gebannt, 1245 vom Konzil Unterstützung König Sigmunds 1411 Statt­
von Lyon als abgesetzt erklärt und musste halter von Brandenburg, 1415 Markgraf,
in Deutschland die Wahl von Gegenkö- 1417 Kurfürst, versuchte den Adel zu ent-
nigen (Heinrich Raspe; Wilhelm von Hol- machten (gelang seinem Sohn F. II., d. Ei-
land) hinnehmen; trotz aller Rückschläge sernen), mehrmals Führer des Reichs­heeres
und Enttäuschungen starb F. ungebeugt im gegen die Hussiten. – Dänemark: 8) F. III.,
Glauben an seine imperiale Sendung; mit König (1648–1670); geb. 1609, führte den
seinem Tod begann in Deutschland und Absolutismus ein (1665 Staatsgrundgesetz
Italien das Chaos. 3) F. der Schöne, um Lex Regia), kämpfte unglücklich gegen

315
Friedrich

Schweden. 9) F. IV., (1699–1730); geb. tant. Reichsstände (1608 ↑ Union) betrieb


1671, hob die Leibeigenschaft auf, unter- unter dem Einfluss Christians von Anhalt
lag im Nord. Krieg Karl XII. bis zu dessen schroff antikaiserl. und antispan. Politik,
Niederlage in Russland, gewann 1720 unterstützt von Frankreich, erfolgreich im
durch den Frieden von Frederiksborg den Jülich-Kleveschen Erbfolgestreit (↑ Jülich).
Besitz des Hauses Holstein-Gottorp in 19) F. V., Kurfürst (1610–1632); geb.
Schleswig. 10) F. VI. (1808–1839); geb. 1596, bis 1614 unter Vormundschaft, in
1768, regierte seit 1784 anstelle seines geis- sei­nem polit. Ehrgeiz von seinen Ratgebern
teskranken Vaters, verlor im Frieden von Christian von Anhalt und Camerarius an-
Kiel 1814 Norwegen und Helgoland, ge- gestachelt, Schwiegersohn Jakobs I. von
wann dafür Lauenburg. 11) F. VII. (1848– England; nahm 1619 als Haupt der protes­
1863); geb. 1808, proklamierte die Einver- tant. Union die Königskrone von Böhmen
leibung Schleswigs in Dänemark (1848), an, die er jedoch schon 1620 nach der
forderte damit die Erhebung Schleswig- Schlacht am Weißen Berge wieder verlor
Holsteins und das Eingreifen des Dt. Bun­ (daher „Winterkönig“ genannt); er wurde
des heraus. 12) F. IX., 1899–1972; folgte vom Kaiser geächtet, von Tilly auch aus der
1947 seinem Vater Christian X. als König. Pfalz vertrieben und starb 1632 im Exil;
Hessen: 13) F. II., Landgraf von Hessen- erst sein Sohn Karl Ludwig erlangte 1648
Homburg (1681–1708); geb. 1633, verlor Land und Kurwürde wieder. Preußen:
in schwed. Diensten 1659 vor Kopenhagen 20) F. I., erster König in Preußen (1701–
ein Bein, kämpfte als brandenburg. Gene- 1713); geb. 1657, Sohn des Gr. Kurfürsten.
ral 1675 bei Fehrbellin (Kleists „Prinz von 1688 als F. III. Kurfürst von Brandenburg,
Homburg“ dichterisch frei gestaltet). ließ sich 1701 in Königsberg zum König in
14) F. II., Landgraf von Hessen-Kassel Preußen krönen, mehrte den Glanz seiner
(1760–1785); geb. 1720, verkaufte Tau- neuen Würde zwar durch Förderung von
sende von Landeskindern als Soldaten an Kunst und Wissenschaft (1694 Universität
England für den Krieg in Nordamerika, Halle, 1700 Akademie der Wissenschaften,
um die Mittel für seine verschwenderische Schlüterbauten in Berlin), schwächte aber
Hofhaltung aufzubringen. – Österreich: die tatsächliche Macht seines Staates durch
15) F. II., der Streitbare, Herzog (1230– Verschwendungssucht und Günstlingswirt­
1246); 1235 vom Kaiser geächtet, weil er schaft. 21) F. II., der Große (1740–1786);
die österr. Länder aus dem Reich zu lösen geb. 1712, litt unter der Tyrannei seines
suchte; erwarb käuflich Krain, fiel gegen Vaters und entging nach dem missglückten
die Ungarn; mit ihm erlosch das Haus der Versuch einer Flucht nach England knapp
Babenberger in männlicher Linie. 16) F., der kriegsgerichtlichen Verurteilung zum
Erzherzog, 1856–1936; österr. Feldmar- Tod, kam nach Küstrin in Haft und musste
schall, 1914–17 Oberbefehlshaber des der Hinrichtung seines Freundes Katte zu-
Feldheeres. Pfalz: 17) F. III., der Fromme, schauen; schrieb als Kronprinz in seinen
Kurfürst (1559–1576); geb. 1515, aus der glücklichsten Jahren, auf Schloss Rheins-
Linie Pfalz-Simmern, erster Reichsfürst, berg, einen „Antimachiavell“ (Glaube an
der sich zum Calvinismus bekannte (1563 allg. gültige, aus der Vernunft erwachsende
Heidelberger Katechismus). 18) F. IV., Kur­ politische Prinzipien), doch noch im Jahr
fürst (1583–1610); geb. 1574, bis 1592 un­ des Regierungsantrittes (1740) „um Ruhm
ter Vormundschaft seines Onkels Johann und Ehre zu gewinnen“ und zur Minde-
Kasimir, Prunk liebender und verschwen- rung der Kaisermacht Einmarsch in Schle-
der. Barockfürst (Friedrichsbau des Heidel- sien, um dessen Besitz er drei Kriege
berger Schlosses), Oberhaupt der protes­ (1740–1742 1. ↑ Schles. Krieg; 1744/45

316
Friedrich Wilhelm

2. Schles. Krieg; 1756–1763 ↑ Siebenjähri- gegen Franz I. von Frankreich, beschützte


ger Krieg) führte; nach glanzvollen Siegen aus polit. und Gewissensgründen Luther.
(Roßbach, Leuthen) und schweren Nieder- – Schleswig-Holstein: 24) F. VIII., Herzog
lagen (Kolin, Kunersdorf ) rettete ihn nur zu Schleswig-Holstein-Sonderburg-Augus­
der Tod der Zarin Elisabeth vor der Ver- tenburg, 1829–1880; machte 1863 seine
nichtung durch eine europ. Koalition, die Erbansprüche geltend, von den Herzog-
seine große Gegnerin Maria Theresia zu- tümern anerkannt, vom Dt. Bund und der
sammengebracht hatte; außer Schlesien er- öffentlichen Meinung ganz Deutschlands
warb F. Ostfriesland (1744) und Westpreu- unterstützt, jedoch von Bismarck beiseite
ßen (1772 1. ↑ Poln. Teilung), damit erhob gedrängt; seine Tochter Auguste Viktoria
er Preußen in die Reihe der europ. Groß- heiratete Kaiser Wilhelm II. Württemberg:
mächte und begr. zugleich den dt. Dualis- 25) F. I., erster König von Württemberg
mus (eifersüchtige Opposition gegen habs- (1806–1816); geb. 1754, 1797 Herzog als
burg. Versuche, die Kaisermacht zu stär- F. II., 1803 Kurfürst, trat dem Rheinbund
ken: 1779 im bayer. Erbfolgekrieg, 1785 bei, 1806 König, Absolutist, Schöpfer des
durch den Dt. Fürstenbund). Im Innern modernen Staates Württemberg.
war F. der klass. Vertreter des aufgeklärten Friedrich August, Name von Herrschern.
Absolutismus („Alles für, nichts durch das Sachsen: 1) F. A. I., ↑ August II., der
Volk“) und machte als „erster Diener seines Starke. 2) F. A. I., der Gerechte, erster Kö-
Staates“ Preußen zu einem Wohlfahrtsstaat nig von Sachsen (1806–1827); geb. 1750,
merkantilist. Prägung und zum Rechts- seit 1763 Kurfürst als F. A. III., bis 1768
staat, geistig gehörte F. der frz. Kultur, ins- unter Vormundschaft, 1806 in die Nieder-
bes. der Aufklärung, an (Verkehr mit Vol- lage Preußens hineingezogen, schloss sich
taire, d’Alembert), konfessionell indiffe- Napoleon an, erhielt den Königstitel und
rent, gebot er Toleranz. Nicht der macht- das Herzogtum Warschau, bezahlte die
willige Menschenverächter F., sondern das Anhänglichkeit an „seinen großen Alliier-
Vorbild an Pflichterfüllung bis zur Selbst- ten“ nach seiner Gefangenschaft in Leip-
aufopferung und der bedürfnislose „Philo- zig 1813 mit dem Verlust der Hälfte seines
soph von Sanssouci“ gingen in das Ge- Landes. 3) F. A. III., letzter König (1904–
schichtsbewusstsein des dt. Volkes ein; das 1918); geb. 1865, volkstümlich durch sei-
in seiner persönlichen Staatsidee geeinte nen Mutterwitz, starb 1932.
Preußen verlor unter seinen schwächeren Friedrich Wilhelm, Name von Herrschern.
Nachfolgern an innerer und äußerer Si- Braunschweig: 1) F. W. der „schwarze Her-
cherheit. – Sachsen: 22) F. I., der Streit- zog“, geb. 1771, im Kampf gegen Frank-
bare, erster Kurfürst aus dem Hause Wet- reich 1806 gefangengenommen und von
tin (1423–1428); geb. 1370, 1381 Mark- Napoleon seines Erblandes beraubt, stellte
graf von Meißen(-Thüringen). Gründer 1809 ein Freikorps auf und schlug sich von
der Universität Leipzig (1409), verläss- Böhmen nach England durch, erhielt 1813
lichste Stütze Kaiser Sigmunds im Kampf sein Herzogtum zurück, fiel 1815 bei Qua-
gegen die Hussiten, erhielt dafür das erle- trebras. – Hessen: 2) F. W. I., letzter Kur-
digte Herzogtum Sachsen-Wittenberg mit fürst (1847–1866); geb. 1802, seit 1831
der Kurwürde. 23) F. III., der Weise, Kur- Regent, in ständigem Verfassungskonflikt
fürst (1486–1525); geb. 1463, aus der er- mit der Ständeversammlung, unterstützt
nestin. Linie, Gründer der Universität von seinem reaktionären Minister Hassen-
Wittenberg (1502); trat für Reichsreform pflug, verlor 1866 sein Land an Preußen,
ein, lehnte die dt. Krone ab und entschied starb 1875 enteignet im Exil. – Preußen:
bei der Kaiserwahl 1519 zugunsten Karls V. 3) F. W., der Große Kurfürst (1640–1688);

317
Friedrich Wilhelm

geb. 1620, schaffte die Voraussetzungen unter Preisgabe des linken Rheinufers; in
für den Aufstieg Brandenburg-Preußens der Geschichte der Hohenzollern beispiel-
zur Großmacht, erwarb 1648 Hinterpom- lose Günstlings- und Mätressenwirtschaft.
mern, Minden, Halberstadt und die An- 6) F. W. III. (1797–1840); geb. 1770,
wartschaft auf Magdeburg, erlangte die Sohn von 5), pflichtbewusste, bescheidene
Souveränität über das Herzogtum Preu- Soldatennatur ohne staatsmänn. Gaben,
ßen (Ostpreußen) durch geschickte Bünd- blind gegenüber den Folgen der Frz. Re-
nispolitik zw. Schweden und Polen (Oliva volution und den Plänen Napoleons, be-
1660), trat Ludwig XIV. am Rhein entge- zahlte seine schwächliche Politik mit der
gen, schlug 1675 die Schweden (Fehrbel- Niederlage von Jena und Auerstedt und
lin), musste, im Stich gelassen, seine Ero- dem Verlust der Hälfte seines Staates im
berungen 1679 (St. Germain) herausgeben ↑ Tilsiter Frieden 1807, berief Stein, Har-
und schloss sich deshalb bis 1685 Frank- denberg, Gneisenau, Schamhorst zur Re-
reich an. Im Innern Absolutist und Mer- formierung der Verwaltung und des Heer-
kantilist; brach den Widerstand der ost- wesens, nahm aber keinen inneren Anteil
preuß. Stände, schuf einen zentralisierten an den Stein-Hardenbergschen Reformen
Staat mit Berufsbeam­tentum, geordnetem und der Heeresorganisation, erklärte
Finanzwesen (Akzi­se) und stehendem Heer, 1813 nur zögernd Napoleon den Krieg,
förderte Handel, Gewerbe, Verkehr, stärkte gewann auf dem Wiener Kongress 1815
die Wirt­schaftskraft durch Aufnahme der halb Sachsen, Westfalen und Rheinland,
aus Frankreich geflüchteten ↑ Hugenotten. verweigerte die versprochene freisinnige
4) F. W. I., der „Soldatenkönig“ (1713– Verfassung und trieb im Rahmen der Hl.
1740); geb. 1688, das Gegenbild seines Allianz eine reaktionäre Politik; erreichte
Vaters, sein Leben tragisch überschattet aber die Ev. ↑ Union von Lutheranern und
(„Könige müssen mehr leiden können als Reformierten. 7) F. W. IV. (1840–1861);
andere Menschen“); nüchtern und pietis- geb. 1795, Sohn von 6), „der Romantiker
tisch fromm, sparsam bis zum Geiz, streng auf dem Thron“, enttäuschte die hochge-
bis zur Gewalttätigkeit, erzog seine Unter- spannten Erwartungen des Volkes, hielt
tanen zum gleichen Pflichtgefühl und zur am Gottesgnadentum fest, oktroyierte
Redlichkeit; lebhafter Briefschreiber, Ma- nach der Märzrevolution 1848 eine Verfas-
ler; als Außenpolitiker friedliebend und sung und lehnte die ihm 1849 angebotene
passiv (außer Erwerb Vorpommerns von Kaiserkrone von Volkes Gnaden ab; beim
Schweden 1720), festigte F. W. seinen Staat Versuch, die dt. Frage selbständig zu lösen
durch sein patriarchal. Regiment (Ausbau (Erfurter ­ Unionsparlament), demütigte er
des Volksschulwesens, straffe Finanzver- sich 1850 (Olmütz) vor Österreich; wegen
waltung); er hinterließ seinem Sohn F. (21) der Geisteskrankheit übernahm 1857 sein
gefüllte Staatskassen und ein schlagfertiges Bruder Wilhelm die Regentschaft.
Heer von 83 000 Mann. 5) F. W. II. (1786– Friesen, german. Volksstamm, zunächst
1797); geb. 1744, Neffe und Nachfolger in Jütland, später an der Nordseeküste zw.
des kinderlosen Friedrich d. Gr., unter sei- Scheldemündung und Unterweser; Seefah-
ner schwachen Regierung sank das Anse- rer und Kaufleute, setzten der Bekehrung
hen Preußens trotz der großen Gebietser- zum Christentum wie der Unterwerfung
werbungen aus der 2. und 3. Teilung Po- durch die Franken im 8. Jh. zähen Wi-
lens (dadurch die Bevölkerung Preußens in derstand entgegen (Herzog Ratbod), er-
großen Teilen slaw.); im Schlepptau Öster- schlugen ↑ Bonifatius; Landgewinnung
reichs Teilnahme am Koalitionskrieg gegen und Deichbau (seit etwa 1000) formten
die Frz. Revolution, 1795 Separatfrieden eine selbständige gesellschaftliche Ent-

318
Frühkapitalismus

wicklung („Fries. Freiheit“), die erst in der gehört): im MA die Arbeit der unfreien
frühen Neuzeit endete. Bauern für den Grundherrn, meist ohne
Friesland, urspr. das gesamte von den Entgelt, also zusätzliche Leistung zu den
↑ Frie­sen bewohnte Gebiet, 843 zum Reich Natural(bzw. Geld-)abgaben; man unter-
Lothars, seit 880 (Vertrag von Ribemont) schied Spann- (mit dem Gespann) und
unter Oberhoheit des ostfränk. (dt.) Rei- Handdienste; gemessene, d. h. fest verein­
ches. Im Westen Ausbildung weltl. und barte, und angemessene F.dienste, die von
geistl. Herrschaften (Grafschaften Holland der Herrschaft nach Willkür gefordert wur­
und Zeeland, Bistum Utrecht); im Osten den, zur Vernachlässigung der Äcker des
Bund der 7 fries. Seelande mit eigener Ver- Bauern führten und eine Hauptquelle der
fassung. Behauptung der Unabhängigkeit bäuerl. Unzufriedenheit waren; im Wes­
gegen Holland und Burgund; die ↑ Stedin- ten Deutschlands seit dem 15. Jh. meist
ger vom Erzbischof von Bremen und dem durch Geldleistungen ersetzt; abgeschafft
Grafen von Oldenburg unterworfen; das erst durch die Frz. Revolution und (in
Gebiet westl. der Ems wurde 1524 Habs- Deutschland) durch die ↑ Bauernbefreiung
burg untertan und teilte seither das Schick- Anfang 19. Jh.
sal der Niederlande; eine Sonderstellung Fronde (frz., Schleuder; Spottname nach
behielt das eigentliche Ost-F. östl. der Ems, der Waffe der Pariser Straßenjungen), Re-
seit 1454 Grafschaft, unter dem einheim. bellionsbewegung in Frankreich während
Geschlecht der Cirksena, 1744 an Preu- der Minderjährigkeit Ludwig XIV. gegen
ßen, 1807 holländ., 1810 frz., 1815–1866 den Absolutismus Mazarins und die Be-
zu Hannover, mit diesem wieder preuß., vorzugung von Ausländern durch die Kö-
heute bei Niedersachsen. nigin-Mutter Anna; Träger: der Adel, die
Fritsch, Werner Freiherr von, dt. General, Parlamente (obere Gerichtshöfe), Teile des
1880–1939; 1934 Chef der Heeresleitung, Bürgertums; Häupter: Kardinal Retz, Prinz
1935–1938 Oberbefehlshaber des Heeres; Ludwig II. von Condé. Bürgerkrieg 1648–
F. äußerte 1937 Bedenken gegen Hitlers 1653. Nach vorübergehender Vertreibung
Expansionspläne; 1938 wegen verleum- Mazarins Zusammenbruch der F. infolge
der. Unterstellung der Homosexualität aus Uneinigkeit der Führer, Triumph des Ab-
der Armee entlassen (Fritsch-Krise), später solutismus.
rehabilitiert; die Entlassung von F. ermög- Frühgeschichte, der Zeitraum, der auf
lichte Hitler die Übernahme des Oberbe- die ↑ Vorgeschichte folgt und auf die „das
fehls über die Wehrmacht. erste Licht schriftlicher Quellen“ fällt, wo-
Fröbel, Friedrich August Wilhelm, dt. Pä- bei auf die archäolog. Quellen noch nicht
dagoge, 1782–1852; Schüler Pestalozzis, verzichtet werden kann; die Grenzen sind
dessen pädagogisches System er weiterent- fließend.
wickelte (Erziehung von Geburt an, An- Frühkapitalismus, Bez. für die Epoche der
knüpfen an den Spieltrieb, selbständige europ. Wirtschaftsgeschichte vom 16. Jh.
Tä­tigkeit des Kindes). F. gründete 1857 in bis zur industriellen Revolution (etwa
Blankenburg den ersten Kindergarten als 1760); im 16. Jh. geprägt von Kapitalkon-
„Hilfsanstalt der Familie“. zentrationen und Monopolbildungen; Ar-
Frobisher, Sir Martin, um 1535–1594, beitsteilung und Kooperation bewirkten
engl. Seefahrer, Entdecker der nach ihm in den Manufakturen enorme Produkti-
ben. Bai im arkt. Amerika, zeichnete sich vitätssteigerungen, Entwicklung des Ver-
bei der Vernichtung der span. Armada aus. lagssystems, das einzelne Handwerker stär-
Fron (eigentlich frone, Frondienst, abge- ker vom Handelskapitalismus abhängig
leitet von ahdt. fro, Herr: was dem Herrn machte (auch ↑ Kapitalismus).

319
Frundsberg

Frundsberg, Georg von, Herr zu Mindel- in Amerika; Geldgeber Maximilians I. und


heim, kaiserl. Feldhauptmann, „Vater der Karls V., der mit dieser Hilfe seine Wahl
dt. Landsknechte“, 1473–1528; 1504 von zum Kaiser und seine zahlreichen Kriege
Maximilian I. zum Ritter geschlagen, ver- finanzierte, zum Dank dafür ein Verfahren
trieb 1519 mit dem Heer des ↑ Schwäb. des Reichsanwalts gegen das Haus F. we-
Bundes Herzog Ulrich von Württemberg, gen Monopolwuchers niederschlug und Ja-
trug entscheidend zum Rückzug der Fran- kobs Neffen und Nachfolger 1530 in den
zosen aus Oberitalien bei (1525 Pavia), Reichsgrafenstand erhob und ihren Gütern
führte 1527 ein mit eigenem Geld gewor- Landeshoheit gewährte. Schwere Angriffe
benes Heer gegen Rom (↑ Sacco di Roma), gegen das Wirtschaftsgebaren der F. (bes.
starb bei einer Meuterei seiner Soldaten. in Luthers Schrift „Von Kaufhandlung und
Frunse, Michail Wassiljewitsch, sowjet. Po- Wucher“); Mäzen der Stadt Augsburg und
litiker und Militärexperte, 1885–1925; un- Bauherr (Fuggerkapelle erstes sakrales Bau-
terstützte Trotzki beim Aufbau der Roten werk der dt. Renaissance); große gemein-
Armee, gilt als Begründer der sowjet. Mili­ nützige Stiftungen (1519 F.ei Augsburg:
tärwissenschaft. Wohnsiedlung für bedürftige Bürger, die
Fuad I., König von Ägypten (1922–1936); noch heute besteht). Zweiter Höhepunkt
1868–1936; jüngster Sohn des Khediven der Macht der F. unter Jakobs Neffen An-
Ismail Pascha, 1917 Sultan, nahm 1922 ton und Raimund F., Kunstförderer wie die
nach Erlöschen des brit. Protektorats den Medici (zahlreiche Schlösser, Buchkunst,
Königstitel an; englandfreundl.; gegen ihn Kunstsammlungen). Die seit der Mitte des
die nationalist. Wafd-Partei, die die völlige 16. Jh., bes. nach dem Tod Karls V., auftre-
Lösung von Großbritannien betrieb; sein tenden Wirtschaftskrisen in Spanien und
Nachfolger ↑ Faruk I. Ungarn und die Verlagerung des wirtsch.
Fugger, aus Lechfelder Bauerngeschlecht Schwerpunktes nach W-Europa (neue See-
hervorgegangenes Patriziergeschlecht, seit wege) wirkten sich auf das Haus F. aus. Die
1367 in Augsburg, der Zentrale des Baum- F. zogen sich mehr und mehr aus den Ge-
wollhandels und der Baumwollindustrie; schäften auf ihre Besitzungen zurück und
bedeutendstes Handels- und Bankhaus des lebten in fürstlichem Stil. Der Dreißig-
Frühkapitalismus in Deutschland; aus der jährige Krieg verschlang dann fast den ge­
Weberei und dem Barchenthandel kom- samten Reichtum; die Nachfolger waren
mend, groß geworden durch Geldgeschäfte, Grundbesitzer, Beamte, Soldaten, Bischöfe
Ausbeutung von (besonders in Tirol und und Domherren; im 19. Jh. gefürstet. Zeit-
Ungarn) Silber-, Kupfer- und (in Spa- und kulturgeschichtlich aufschlussreich
nien) Quecksilberbergwerken, die ihm von die „F.-Zeitungen“ 1558–1605 (Berichte
Fürsten verpfändet worden waren, sowie der F.schen Agenten aus den europäischen
durch Handel mit Wolle, Seide, Erz, über- Großstädten an das Stammhaus in Augs-
seeischen Gewürzen; auch der Ablasshan- burg; ↑ Zeitung).
del lag z. T. in seiner Hand. Höhepunkte Fulbe, hellhäutige osthamitische Steppen-
der F.schen Finanzmacht unter Jakob I., nomaden, im MA von Ostafrika in das Ge-
bes. aber unter Jakob II., dem Reichen, biet nördlich des Senegal und in das Hin-
1459–1525, dem reichsten Europäer seiner terland von Kap Blanco eingewandert, im
Zeit; dieser lernte in Venedig Großhandel 16. Jh. auch in die ↑ Haussastaaten. Die F.
und doppelte Buchführung kennen, grün- bildeten unter Osmandan Fodio die Vor-
dete Filialen in Skandinavien, den Nieder- macht im W-Sudan und gelten als Grün-
landen, in Schlesien, Polen und Ungarn; der mehrerer Reiche, die jedoch ausnahms-
Interessen im Südosten, in Spanien und los im 19. Jh. verfielen.

320
Fürst

Fulbright, James William, amerik. Politi- die Plansysteme zu reformieren durch die
ker und Unternehmer, 1905–1995, grün- Einführung von Anreizsystemen, Beteili-
dete 1946 die F.-Stipendien zur Finanzie- gung mittlerer und unterer Ebenen an der
rung eines akadem. Austauschprogramms. Planung. Seit 1965 „Neues System der Pla-
F. war 1959 Vertreter des außenpolit. Aus- nung und ökonom. Stimulierung“ in der
schusses, setzte sich für einen Ausgleich mit UdSSR. Nachahmung in mehreren Staaten
der Sowjetunion und der Volksrepublik (auch in den nat.-soz. Vierjahresplänen).
China ein. 1943 trug er mit der Fulbright Fünfte Kolonne, urspr. im span. Bürger-
Resolution als Abgeordneter der Demokra- krieg die Anhänger ↑ Francos im Hin-
tischen Partei zur Gründung der UN bei. terland der republikan. Front, die durch
Fulda, im MA gefürstete Benediktinerab- Sabtage, Spionage usw. den Vormarsch
tei, 744 im Auftrag von Bonifatius durch Fran­cos unterstützten, während dieser mit
seinen Schüler, den Bayern Sturmi, gegr., 4 Angriffskolonnen vorstieß; seitdem ver-
751 unmittelbar Rom unterstellt, erhielt allgemeinert als Bezeichnung für alle polit.
968 den Primat unter den Klöstern; als Gruppen, die zugunsten fremder Auftrag-
Hüterin der angelsächs. Tradition in Wis- geber ein Land im Innern unterminieren
senschaft und Bildung erste dt. Pflanzstätte und lähmen.
der Wissenschaften; zu ihren Brüdern Funk, Walther, dt. Politiker, 1890–1960;
zählten berühmte Gelehrte wie Hrabanus seit 1931 Mitglied der NSDAP, 1938–
Maurus, Alkuin u. a.; 1752–1803 Bistum, 1945 Reichswirtschaftsminister, seit 1939
1815 zu Kurhessen, 1829 Neuordnung des Reichsbankpräsident, verantwortlich für
Bistums, 1866 zu Preußen, 1946 zu Hes- die wirtsch. Kriegsvorbereitung; 1946 in
sen. – Dom anstelle der mehrmals abge- Nürnberg als Kriegsverbrecher zu lebens-
brannten Basilika 1704–1712 erbaut; Grab langer Haft verurteilt, aus der er 1957 we-
des hl. Bonifatius. gen Krankheit entlassen wurde.
Fulton, Robert, amerik. Ingenieur, 1765– Fürst (ahdt. furist, der Vorderste), bei den
1815; urspr. Maler, Erbauer des ersten Germanen die gewählten Heerführer und
brauchbaren Dampfschiffes (1807 Fahrt Richter im Gau; im Frankenreich durch
auf dem Hudson). die vom König eingesetzten Gaugrafen
Fünfjahrespläne der UdSSR, Grundlage ersetzt; mit der Ausbildung des ↑ Lehens-
der (stalinist.-)sozialist. Planwirtschaft, wesens die mit Fahnenlehen, d. h. unmit-
Ziel: etappenweiser Aufbau der sowjet. In- telbar vom König, belehnten Großen, die
dustriemacht, bei entsprechender Produk- bis ins 13. Jh. den König wählten; schließ-
tionssteigerung auch in der Landwirtschaft lich gehörten dem Reichsfürstenstand nur
(in Kolchosen, Sowchosen, Agro­städten). die großen reichsunmittelbaren Territorial­
Die F. werden vom staatlichen Planamt herren an, die sich nach unten (z. B. ge-
ausgearbeitet und vom Obersten Sowjet gen die Grafen) abschlossen: Kurfürsten,
angenommen; der 1. Fünfjahresplan lief Herzöge, gefürstete Reichsgrafen; daneben
1928 bis 1932, der 2. bis 1937, der 3. die Reichsbischöfe und -äbte. Erhebung
wurde durch den 2. Weltkrieg unterbro- nichtfürstlicher Herrschaften durfte der
chen; nach dem Krieg 4., 5. und 6. Fünf- Kaiser nur mit Einwilligung der F.en vor-
jahresplan; danach Zehn- und Zwanzig- nehmen, praktisch war ihr Stand seit dem
jahresplan; Erfüllung bzw. Übererfüllung 17. Jh. geschlossen. Die regierenden (nicht
der Planziffern oberstes Gebot. Bedeu- Titular-)F.en Deutschlands waren den kö-
tende Erfolge durch forcierte Industriali­ niglichen Dynastien des übrigen Europa
sierung mit niedrigem Lebensstandard ebenbürtig (auch nach dem Verlust ihrer
bezahlt. Seit den 1960er Jahren Versuche, Hoheitsrechte durch Säkularisation 1803

321
Fürstenabfindung

und Mediatisierung 1805/06). F. im en- Fürstenschulen (Landesschulen), vom


geren Sinne war der Titel der Angehörigen Herzog (bzw. Kurfürst) Moritz von Sach-
der untersten Stufe dieses Standes (nach sen gegr. und mit säkularisiertem Kloster-
dem Herzog). – Die im 19. Jh. erhobenen gut ausgestattete Internate (1543 Schul-
Fürsten (z. B. Metternich, Hardenberg, pforta und Meißen, 1550 Grimma) mit
Blücher, Wrede, Bülow, Bismarck, Eulen- humanist. Bildungsideal; berühmte Schü-
burg) waren nicht sukzessionsfähig. ler: Lessing, Fichte, Nietzsche, Bethmann
Fürstenabfindung, Entschädigung der Hollweg u. a.
1918 abgesetzten dt. Dynastien (nachdem Fürstenspiegel, Erziehungs- und Beleh-
deren Enteignung 1926 durch Volksent- rungsschrift für Fürsten, histor.-biografisch
scheid abgelehnt worden war); geregelt in oder theoret.-staatsphilosophisch, in ih-
26 Einzelverträgen der Länder; die Fürsten ren Idealforderungen dem geschichtlichen
wurden in der Hauptsache mit Geld abge- Wandel unterworfen. Berühmte F.: Xeno-
funden und erhielten teilweise ihre Domä- phons „Kyropädie“; Petrarcas „De repu-
nen und Schlösser zurück. blica“; Ma­chiavellis „Il Principe“; Fénélons
Fürstenberg, weit verzweigtes Grafen- „Télémaque“; Friedrichs d. Gr. „Antima-
und Fürstengeschlecht aus Schwaben, das chiavell“.
im alten Dt. Reich zu hohen Würden ge- Füsiliere, urspr. die mit Steinschlossgeweh­
langte. – 1) F., Franz Egon Graf von, ren (frz. fusil) bewaffneten Infanteristen,
1625–1682; 1663 Bischof von Straßburg, im Gegensatz zu den mit der bis dahin üb-
während des 2. Raubkrieges Ludwigs XIV. lichen Luntenmuskete ausgerüsteten Mus-
für Frankreich tätig, daher 1674 zur Flucht ketieren; seit 1640 in Frankreich; nach Ab-
nach Versailles genötigt und 1675 in die schaffung der Muskete (um 1700) gab es
Reichsacht erklärt; 1681 unterstützte er nur noch F.; in Preußen (wo die Bezeich-
tat­kräftig die Besetzung Straßburgs durch nung Musketiere beibehalten wurde) bil-
Ludwig XIV. 2) F., Wilhelm Egon Graf deten F. die leichte, bis zur allg. Einfüh-
von, 1629–1704; Bruder von 1) und 1682 rung des Mausergewehres oft besser be-
sein Nachfolger in Straßburg mit frz. Hilfe, waffnete Infanterie.
auf Betreiben Ludwigs XIV. 1686 Kardinal, Fust, Johannes, dt. Drucker und Buch-
1688 Erzbischof von Köln. händler, um 1400–1466; lieh Gutenberg
Fürstenbund, Deutscher, auf ­Veranlassung das Betriebskapital, das dieser zur Vollen-
Friedrichs d. Gr. 1785 zw. mehreren dt. dung seiner Erfindung und zum Druck der
Reichsfürsten geschlossene Vereinigung 42-zeiligen Bibel benötigte; da Gutenberg
gegen Kaiser Joseph II. und dessen Pläne, weder Zinsen zahlte, noch das Kapital zu-
Bayern gegen die Österr. Niederlande und rückzahlen konnte, verklagte ihn F.; Gu-
damit die habsburg. Hausmacht zu stärken. tenberg verlor seine verpfändete Werkstätte
Fürstengräber, in der Vor- und Frühge- und das bisher gehütete Geschäftsgeheim-
schichte Bezeichnung für besonders reich nis an den Gläubiger F., der mit seinem
ausgestattete Gräber (oft mit Grabbauten); Schwiegersohn Peter Schöffer das Geschäft
die historische und rechtliche Stellung der weiterführte; berühmtestes Druckwerk das
in den F.n Bestatteten ist unbekannt. „Psalterium“ von 1457.

322
Gabun

Gabun, Republik an der W- Gagarin, Juri, der erste erfolgreiche Astro-

G Küste Afrikas, frühere frz.


Besitzung; Hauptstadt Libre-
ville; Bantu und Pygmäen;
1470 von Portugiesen entdeckt, Sklaven-
naut der Welt, russ. Major, 1934–1968;
um­rundete am 12. April 1961 in 89,1 min.
und in 175–302 km Höhe mit einer 4,72 t
schweren Satelliten-Raumkapsel die Erde.
handel; 1839 gewährte der „König von G.“ G. kam 1968 bei einem Flugzeugabsturz
den Franzosen das Niederlassungsrecht, ums Leben.
1842 erste frz. Faktorei; 1958–1960 in der Gagern, Heinrich Freiherr von, führen-
Frz. Communauté, seither unabhängig. der liberaler Politiker der 48er Bewegung,
Erster Präsident Léon Mba (1960–1967, 1799–1880; Burschenschaftler, als hess.
1964 durch frz. militär. Intervention ge- Beamter (1821–1833) wegen liberaler Hal-
stützt), unter Omar Bongo Einführung tung vorzeitig pensioniert, Gutsbesitzer;
eines Einparteiensystems (Parti Démocra- Mai 1848 Präsident der Frankfurter Natio­
tique Gabonais, PDG). Versuche der Op- nalversammlung, trat für einen (kleindt.)
position zur Einführung einer parlamentar. Bund unter preuß. Führung in loser Union
Mehrparteiendemokratie erst 1990 erfolg- mit Österreich ein („engerer“ und „wei-
reich, bei den ersten demokrat. Wahlen Be- terer“ Bund), betrieb die Wahl Erzherzog
stätigung Präsident Bongos im Amt, aber Johanns zum Reichsverweser und die Ver-
Zweifel an der korrekten Durchführung, leihung der Kaiserkrone an den König von
1994 Abkommen über die Regierungsbe- Preußen, trat im Dez. 1848 an die Spitze
teiligung der Opposition und Vereinba- des Reichsministeriums, legte aber, da Kö-
rung von Neuwahlen für 1996. Erneuter nig Friedrich Wilhelm sein Programm ab-
Wahlsieg der Regierungspartei PDG; 1998 lehnte, 1849 seine Ämter nieder; nahm
Wiederwahl Bongos für weitere 7 Jahre, 1850 am ↑ Erfurter Unionsparlament teil
Premierminister seit 1999 J. F. Ntoutoume und unterstützte die preuß. Pläne; im Zu-
Emane. – G., früher auch Name für Frz.- sammenhang mit der Schleswig-Holstein-
Kongo. Frage aber wandte sich G. 1862 Österreich
Gaddafi (Kadhdhafi), Umar Muammar zu und setzte sich für dessen großdt. Bun-
El, libyscher Politiker, geb. 1942; Mitglied despläne ein.
der Bewegung der „Freien Offiziere“, die Gaismair, Michael, Tiroler Bauernführer,
1969 König Idris stürzte und die Republik 1491–1532; Schreiber des Bischofs von
ausrief, Präsident des Revolutionsrates und Brixen; 1525 Anführer im Tiroler Bauern-
Oberbefehlshaber der Armee, hat seit 1979 krieg, verfasste 1526 eine Tiroler Landes-
keine offiziellen Regierungsämter mehr ordnung als Grundlage für eine christliche
inne, ist jedoch weiterhin der „Führer der demokrat. Bauernrepublik; floh später auf
Revolution“; Verfechter radikaler sozialer venezian. Gebiet, wurde dort ermordet.
und kultureller Reformen, die Libyen auf Gajus, röm. Jurist, kommentierte um
der Grundlage des Islam umgestalten sol- 170 n. Chr. die Digesten Justinians (Cor-
len, vertritt unversöhnliche Haltung ge- pus Iuris Civilis) und verfasste die „Insti-
genüber Israel; entwickelte im sog. Grünen tutiones“ (ein noch heute benutztes Lehr-
Buch eine Theorie, die sich von Kapitalis- buch des röm. Zivilrechts).
mus und Kommunismus absetzt, eine arab. Galater (griech. Galatoi oder Keltoi), kel-
Kulturrevolution bejaht und die Probleme tische Stämme (↑ Kelten), die z. Z. Ale-
der Dritten Welt lösen will. Im Nahost- xanders d. Gr. an der unteren Donau, in
konflikt einer der entschiedensten Gegner Ma­ke­donien und Thrakien vordrangen,
Israels; wird mit zahlreichen Terroranschlä- 278 v. Chr. den Hellespont überschritten,
gen in Verbindung gebracht. in Kleinasien einfielen und die Rivalität

323
Galba

der kleinasiat. Reiche für ihre Wander- und sog. Humoralpathologie (Humor = Feuch-
Raubzüge ausnützten; von Antiochus I. be- tigkeit, Körpersaft), wonach die Krank-
siegt und am Halys angesiedelt, beunruhig­ heiten auf fehlerhafter Beschaffenheit der
ten sie gleichwohl weiterhin Syrien und Körpersäfte beruhen; ein Teil seiner zahl-
Pergamon (Zeusaltar von Pergamon und reichen Schriften wurde dem Abendland in
der „Sterbende Gallier“ Zeugnisse ihrer arab. Übersetzung bekannt; seine Lehrmei-
Niederlage). Erst 188 v. Chr. zwang sie ein nungen von der Scholastik übernommen,
röm. Heer zum Sesshaftwerden; Galanen galten bis weit ins 16. Jh. als unumstößlich
wurde röm. Vasallenstaat, 25 v. Chr. durch richtig und wurden erst von Paracelsus, Ve-
Erbschaft römische Provinz; 48/49 n. Chr. sal und Harvey überwunden.
Apostel Paulus bei den G.n. Galeone, großes, armiertes Segelkriegs-
Galba, Servius Sulpicius, röm. Kaiser (68– schiff mit 3–4 Decks übereinander,
69 n. Chr.), bewährter Heerführer, von den 3 Masten und halbmondförmigem Rumpf,
Prätorianern zum Nachfolger Neros aus- beweglicher und seetüchtiger als die Ga-
gerufen („Soldatenkaiser“), später wegen leere; von den Portugiesen im Spät-MA
seines angeblichen Geizes (Ausbleiben ver- entwickelt und von den Spaniern im 15.-
sprochener Geldgeschenke) erschlagen. l8. Jh. bes. im Amerikahandel (Silberflot-
Galeasse, im MA die größte Klasse der ve- ten) verwendet.
nezian. Kriegsschiffe; Dreimaster, Ruder- Galeote, im MA kleines Ruderkriegsschiff,
und Segelschiff, mit bis zu 1 000 Mann trotz geringerer Ruderzahl der Galeere an
Besatzung. Schnelligkeit überlegen, bes. beliebt bei
Galeazzo, ↑ Visconti. den Türken, in den Barbareskenstaaten;
Galeere, aus der Antike übernommener der Name ging auf die kleinen, sehr schnel-
Kriegsschiffstyp, bis ins 18. Jh. im Mittel- len Schoner der nord. Seemächte über.
meer üblich, bes. in den Flotten der ital. Galerius, Gaius, röm. Kaiser (305–311);
Stadtrepubliken (Venedig, Genua u. a.); we­ urspr. Hirt aus Dakien, wurde bei der Er-
nig seetüchtiges Ruderfahrzeug mit Haupt- richtung der Tetrarchie ↑ Diokletians 293
mast und Nebenmast; im Durchschnitt neben dem Cäsar des Westens, Constantius
25–50 Ruderbänke mit je 2–5 Ruderern Chlorus, zum Cäsar des Ostens (Illyrien,
Besatzung (als Ruderer meist G.nsträflinge; Makedonien und Griechenland) ernannt,
Kriegsgefangene oder Schwerverbrecher). berüchtigt durch grausame Christenver-
Galen, Clemens August Graf von, dt. kath. folgung (303); nach der Abdankung Dio-
Theologe, 1878–1946; seit 1933 Bischof kletians, seines Schwiegervaters, zum „Au-
von Münster, seit 1946 Kardinal; trat ent- gustus“ des Ostens erhoben (305) gleich-
schieden gegen die Kirchen- und Rassen- zeitig Rücktritt Maximians und Erhebung
politik des NS-Regimes auf. des Constantius Chlorus zum Augustus des
Galenus, 131–201 n. Chr., griech.-röm. Westens. 311 erließ G. ein Toleranz­edikt
Arzt; nach Hippokrates bedeutendster Me- (Anerkennung des Christengottes neben
diziner der Antike; aus Pergamon, prakti- an­deren Kulten). – Nach dem Tod des
zierte urspr. als Gladiatorenarzt, stieg in Constantius Aufstände und Thronwirren.
Rom zum Leibarzt Mark Aurels auf, errich- Galicien, Landschaft im nordwestl. Spa-
tete aus einer Auswahl der überlieferten nien (Gallaecia, benannt nach den hier
Theorien ein umfassendes, in sich geschlos- sesshaften kelt. Callaici), vom 5. Jh. n. Chr.
senes System der Medizin, indem er reale bis 582 Reich der als Föderaten angesiedel­
Beobachtung (aus anatom. Untersuchung, ten Sueben, danach westgot. und maur.
zumeist von Tieren, und physiolog. Expe- Herr­schaft, ab dem 8. Jh. zum Königreich
riment) mit spekulativer Theorie verband, Asturien und im 11. Jh. zu Kastilien.

324
Gallien

Galiläa, Landschaft im nördl. Palästina, 1846 wieder zu Österreich; 1846–49 Bau-


bis 734 (oder 733) v. Chr. zu Israel gehörig, ernbefreiung; im Landtag und in der Ver-
dann assyr. Provinz, 105 v. Chr. zum jüd. waltung Polen tonangebend. – Im 1. Welt-
Staat (unter dem Hasmonäer Hyrkanos I.), krieg G. einer der Hauptkriegsschauplätze
um 33 n. Chr. röm. Provinz. (Lemberg, Przemysl Gorlice-Tarnow, Brus-
Galilei, Galileo größter ital. Physiker und silow-Offensiven). 1918–1920 ganz G. zu
Astronom, Begründer der modernen Na- Polen (↑ Curzonlinie), 1939 nach dem pol-
turwissenschaft, 1564–1642; Professor in nischen Zusammenbruch G. östl. des San
Pisa und Padua, Hofastronom zu Florenz, zur UdSSR, bestätigt durch Potsdamer Ab-
verhalf der experimentell-induktiven For- kommen 1945.
schungsmethode endgültig zum Durch- Galla Placidia, ↑ Placidia.
bruch, schuf die Grundlagen der mechan. Gallas, Matthias, Graf von Campo, Herzog
Physik (Entdeckung der Isochronie, der von Lucera, kaiserlicher General im 30-jäh-
gleichbleibenden Dauer der Pendelschwin- rigen Krieg, 1584–1647; wirkte an Wallen-
gungen und der Fallgesetze, Erfindung der steins Sturz mit und erhielt dessen böhm.
hydrostat. Waage); stellte als Erster mit Herrschaften, siegte 1634 bei Nördlingen;
einem selbst konstruierten Fernrohr astro­ infolge persönl. Mängel als Feldherr nicht
nomische Beobachtungen an (Entdeckung immer glücklich, daher der „größte Heer-
der Jupitermonde, deren System ihm als verderber des 30-jährigen Kriegs“ genannt;
Abbild des Systems Sonne–Planeten er- mehrmals ab- und wieder eingesetzt.
schien, der Mondgebirge, der Phasen der Gallien (lat. Gallia, Gallier-, d. h. Kelten-
Venus, des Wesens der Milchstraße); ver- land), im Altertum das von den seit dem
focht das heliozentr. Weltsystem des Ko- 7. Jh. eingewanderten ↑ Kelten besiedelte
pernikus, wurde, da diese Lehre sich nicht W-Europa zwischen Pyrenäen, Oberita-
mit der zeitgenöss. Vorstellung und der Hl. lien (das die Römer nicht zu Italien rech-
Schrift im Einklang befand, gegen den Wi- neten), Rhein und dem Ozean. Der röm.
derspruch mehrerer Mitglieder der röm. Abwehrkampf gegen die krieger. Gallier,
Inquisition 1633 zum Widerruf gezwun- die 387/386 v. Chr. Rom in Brand gesteckt
gen (der Ausspruch: „Und sie bewegt sich hatten (↑ Allia), führte nach schweren
doch“ ist Legende). – Hauptwerke (in ital. Kämpfen 200 und 191 v. Chr. zur Unter-
statt lat. Sprache): „Dialog über die Koper- werfung Oberitaliens und zur Errichtung
nikan. Lehre“ (1632); „Mathemat. Unter- der Provinz Gallia cisalpina („diesseits der
haltungen“ (1638). Alpen“, von Rom aus gesehen; Oberitalien
Galizien, Landschaft nördl. der Karpaten; geteilt durch den Po in G. cispadana und
um 350 v. Chr. im Zuge der östl. Kelten- G. transpadana); ihre Bewohner erhielten
wanderung kelt. Siedlungsgebiet, daher 48 v. Chr. unter Cäsar das röm. Bürger-
nach den „Galliern“ benannt; seit dem recht. Die Eroberung von Gallia transal-
6. Jh. von Slawen besiedelt; West-G. (mit pina („jenseits der Alpen“) wurde 121–
Krakau) unter Boleslaw I. Chrobry im 118 v. Chr. eingeleitet durch die Unterwer-
10. Jh. zu Polen; Ost-G. (mit Lernberg) fung der Stämme im Hinterland der grie-
beim russ. Großfürstentum von Kiew; im chischen Kolonie Massfilia (↑ Marseille),
12./13. Jh. selbständige Fürstentümer, in der späteren Provinz G. Narbonensis (nach
wirtsch. Blüte, doch immer wieder von der Hauptstadt Narbo = Narbonne). 58–
Russen, Polen, Ungarn umkämpft, 1386 51 v. Chr. eroberte Cäsar das übrige G.
polnisch. Durch die poln. Teilungen 1772– (Rechenschaftsbericht „De bello gallico“);
1795 österr. Kronland. 1815 West-G. zum sein Sieg über ↑ Ariovist verhinderte die
russ. Kongress-Polen, Freistaat Krakau Germanisierung G.s, die Unterwerfung des

325
Gallienus

↑ Vercingetorix entschied endgültig für die Gallipoli, Halbinsel und Hafenstadt an


Romanisierung. Provinz Gallia transalpina den ↑ Dardanellen; seit 1354 türk. (Über-
(ulterior, comata) zerfiel in 4 Teile: 1) Gal- gang nach Europa); 1915/16 G.-Unterneh-
lia Narbonensis oder Provincia (Provence); men der Briten und Franzosen verlustreich
2) Aquitania (zwischen Loire und Ga- an der dt.-türk. Abwehr gescheitert. 1920
ronne); 3) Gallia Lugdunensis (mit Haupt- wurde G. im Frieden von Sevres den Grie-
stadt Lugdunum = Lyon; Seine, Marne); chen zugesprochen, von den türk. Natio-
4) Gallia Belgica (unterer Rhein); 2)–4) nalisten aber zurückerobert.
waren die „drei“ von Cäsar eroberten Gal- Gama, Vasco da, portug. Seefahrer, 1469–
lien; zeitweise wurde auch Germanien zu 1524; umsegelte 1497 das Kap der Gu-
G. gerechnet. Seit dem 3. Jh. wurde G. von ten Hoffnung bis Melinde, das bereits von
german. Stämmen überflutet (Alemannen, Kairo aus angesegelt worden war (Umrun-
Franken, Burgunder, Westgoten), die auf dung abgeschlossen), erreichte mit arab.
gall. Boden Reiche errichteten und (bes. Lotsen 1498 die ostind. Küste bei Calicut
die Franken) die Kultur und Verwaltungs- und bereitete die portug. Herrschaft in O-
einrichtungen dieser hochentwickelten Afrika und O-Indien vor; 1524 Vizekönig
röm. Provinz übernahmen (↑ Frankreich). von Indien.
Gallienus, Publius Licinius, röm. Kaiser Gambetta, Léon, frz. Staatsmann, 1838–
(253–268 n. Chr., bis 260 gemeinsam mit 1882; radikaler Republikaner, 1870 (nach
seinem Vater Valerian); vom Heer erhoben, Sedan) Innen-, Kriegs- und Finanzminister
machtlos, nicht imstande, die wirtsch., po- der provisor. Regierung, verließ im Heiß-
lit. und militär. Krise des Reiches zu über- luftballon das belagerte Paris, organisierte
winden (Inflation, Piraterie und Räuber- in diktator. Form mit ↑ Freycinet den na-
wesen, Ansturm der Franken, Sassaniden, tionalen Widerstand bis „zum Äußersten“,
Gegenkaiser, die sog. „dreißig Tyrannen“, stimmte gegen den ↑ Frankfurter Frieden
in den Grenzprovinzen). und vertrat die Revanche-Idee („Nie da-
Gallikanismus, seit dem 15. Jh. national- von sprechen, immer daran denken!“); als
kirchliche Strömung in Frankreich mit Abgeordneter um die innere Festigung der
dem Ziel, durch Sicherung der „Galli- Republik verdient, 1881/82 Min.präs., ver-
kan. Freiheiten“ (1407) im geistl. Bereich suchte das frz. Kolonialreich auszuweiten.
den Bischöfen größere Rechte gegenüber Gambia, Staat in Westafrika; im 15. Jh. von
dem Papst zu geben und auf weltl. Ge- den Portugiesen entdeckt, seither von Spa-
biet den Staat vom kirchl. Einfluss zu be- niern und Holländern, von Franzosen und
freien. Im G. verband sich der weltl. frz. Briten umkämpft; seit 1843 brit. Kronko-
Nationalgedanke mit der allgemeinkirchl. lonie, 1888 Protektorat; 1965 unabhän-
Konziliar­idee, wonach der Papst dem Kon- gig, aber Verbleib im Commonwealth, seit
zil unter­geordnet sei; von bes. polit. und 1970 Republik.
materiellem Interesse war die Forderung Gamelin, Maurice Gustave, frz. General,
nach Vergebung der kirchl. Pfründen und 1872–1958; 1914–1916 im Stab Joffres,
Bi­schofswahl ohne päpstl. Einfluss. Höhe- 1931 Generalstabschef, 1935 Oberkom-
punkt des G. waren die ↑ Pragmat. Sank- mandierender, 1939 Oberbefehlshaber der
tion von Bourges 1438, die von Bossuet alliierten Streitkräfte, Mai 1940 (nach dt.
formulierten 4 Artikel der gallikan. Kirche Durch­bruch in N-Frankreich) von Wey-
1682 und deren Erneuerung als Reichsge- gand abgelöst.
setz 1810 durch Napoleon. Das Vatikan. Gandhara-Kultur, Kultur eines griech.-
Konzil (1870) machte dem G. ein Ende, baktrischen Bereiches mit dem Mittelpunkt
doch wirkten gallikan. Tendenzen nach. Gandhara (Afghanistan und W-Pakistan);

326
Gapon

bedeutende Klosterbauten und Stupen mit Methode der Gewaltlosigkeit, soziale Be-
Reliefbildern, berühmte Steinmetzschulen, freiung der Massen, vor allem der Bauern,
griech.-röm.-indische Mischkultur, Indisie­ Abschaffung des Begriffes „Unberührbar-
rung antiker Motive und Formen (Buddha­ keit“ (Aufgehen der Paria im Volk), allind.
bilder in antiker Toga und mit klassischen Einheit, säkularisierter Staat, wirtsch. Au-
Zügen, griech.-römische Mythengestalten, tarkie (Förderung des ind. Handwerks),
Kentauren, Atlanten, Tritonen in Bud- Ablehnung der sozialist. Experimente
dhas Gefolge, ion. und korinth. Schmuck- Gandhi, Indira, indische Politikerin, 1919–
formen an Tempeln, realist. Menschendar- 1984, Tochter J. ↑ Nehrus; 1946–64 enge
stellung); Blütezeit 1.–3. Jh. n. Chr. in Af- Mitarbeiterin ihres Vaters. 1964–66 Infor-
ghanistan und Kaschmir, nachwirkend bis mationsministerin, 1966–1977 Minister-
etwa 600 n. Chr., z. T. mit der Kunst des präsidentin. G. vertrat innen- und außen-
↑ Gupta-Reiches zusammenfließend. polit. sozialist. Ideen, 1971 Vertrag über
Gandhi, Mohandas Karamchand, gen. Ma- Freundschaft und Zusammenarbeit mit der
hatma („Große Seele“), Führer der ind. Un- UdSSR. 1975 wegen Wahlkorruption ver-
abhängigkeitsbewegung, 1869–1948; aus urteilt, verhängte G. den Ausnahme­zustand
hoher Kaste, studierte in London, Rechts- über Indien und ließ die Führer der Oppo-
anwalt in Bombay; 1893–1914 Vorkämp- sition verhaften. Bei den Parlamentswahlen
fer der Gleichberechtigung seiner Lands- Mandatsverlust (1977); 1984 ermordet.
leute in Südafrika, organisierte im Buren- Gao-Reich, am mittleren Niger, macht-
und auch im 1. Weltkrieg freiwillige Sani- volle Staatsbildung des Volkes der Song-
tätskorps; seit 1918 Organisator und Seele hai seit 1 000 n. Chr., berber. vermischte
der ind. Nationalbewegung. 1924 und Sudaner, die Eroberer des ↑ Mali-Reiches;
1940 Präsident des Nationalkongresses Hauptstadt Gao; um 1100 Islamisierung,
(Kongresspartei), acht Mal im Gefängnis. um 1500 n. Chr. unter König Askia d. Gr.
G.s bei den Hindus ins Legendäre gestei- Ausdehnung bis zur Südgrenze des heu-
gertes Ansehen, seine Erfolge gründeten tigen Algeriens mit zahlreichen Stützpunk-
sich auf Selbstlosigkeit, asket.-heroische ten in der Sahara und am Golf von Guinea;
Haltung (Fasten) und die Methoden seiner nördl. Karawanenstadt Agades im heutigen
polit. Kampfführung, bes. des gewaltlosen W-Libyen, südwestl. von Tripolis; große
Widerstandes (satyagraha) in Form von zi- Station für den Handel (Sklaven, Gold, El-
vilen Ungehorsamkeitskampagnen, Steuer­ fenbein gegen mittelmeer. und europ. Wa-
streik, Boykott engl. Textilwaren durch ren) mit Tunis, Algerien, Ägypten; Erobe-
Hausspinnerei (der handgesponnene weiße rung der ↑ Haussa-Staaten im nördl. Nige-
baumwollene „Khaddar“ Symbol wirtsch. rien und ↑ Timbuktus am Nigerknie, das
Freiheit), Verletzung des staatlichen Salz- geistiges und islam.-religiöses Zentrum des
monopols durch Destillation von Salz aus Gao-Reiches wurde. Um 1590 Einfall mit
Meerwasser, Hungerstreiks. G. trat nicht Büchsen und Kanonen bewaffneter marok-
nur für Gleichberechtigung der Paria, son- kan. Truppen, Beginn blutiger Wirren und
dern auch für die Versöhnung zwischen Überflutung durch Nomaden.
Hindus und Moslems ein und wurde des- Gapon, Georgij Apollonowitsch, russischer
halb von einem Journalisten, einem fanat. Pope, Polizeiagent und Arbeiterführer,
Hindu, erschossen. G. legte die Grund- 1870–1906; ehrgeiziger, erfolgreicher De-
lagen des neuen ind. Staates, seine Lehre magoge; propagierte staatl. geförderten, or-
umfasste die folgenden Hauptprogramm- thodox-christl. Sozialismus mit dem Ziel,
punkte: Selbstregierung auf Grund natio- den Patriotismus der unzufriedenen Ar-
naler Erziehung und sozialer Arbeit, neue beitermassen für den Krieg gegen Japan zu

327
Garde

entflammen; versuchte 1905 die drohende Südamerika, führte 1848 ein Freikorps ge-
Revolution abzuwenden und Zar Niko- gen Österreich, verteidigte 1849 vergeblich
laus II. moralisch unter Druck zu setzen, das aufständ. Rom gegen die Franzosen,
stellte eine Bittschrift mit gemäßigten For- emigrierte nach Nordamerika, lebte seit
derungen zusammen und zog in feierlicher 1854 auf der Felseninsel Caprera; kämpfte
Prozession an der Spitze von über 100 000 1859 mit einem sardin. Alpenjägerkorps
Petersburger Arbeitern vor den Zarenpa- gegen Österreich, landete 1860 in Mar-
last: „Blutiger Sonntag“ (22. Jan.) mit über sala und stürzte mit seinen „Rothemden“
1 000 Opfern; Beginn der Revolution. G. im Einvernehmen mit ↑ Cavour die Bour-
entkam, kehrte mit Hilfe der Geheimpoli- bonen in Sizilien und Neapel („Zug der
zei zurück und wurde von Sozialrevolutio- Tausend“); scharfer Gegner des Papsttums
nären gehenkt, seine dunkle Rolle (Provo- und der Kirche, versuchte mehrfach, den
kation des Blutbades?) ist nicht geklärt. Kirchenstaat zu besetzen (1862 und 1867);
Garde, urspr. Leibwache von Herrschern, kämpfte im Dt.-Frz. Krieg 1871 für die frz.
dann Elitetruppe; spielte häufig polit. oder Republik gegen die dt. Südarmee.
militär. eine entscheidende Rolle: im Alter- Gascogne, historische Landschaft im SW
tum die 10 000 „Unsterblichen“ des Per- Frankreichs; besiedelt von Iberern, früher
serkönigs, die berittenen „Hetairoi“ (Ge- Teil der römischen Provinz Aquitania, von
fährten) Philipps II. von Makedonien und den Westgoten erobert, 602 zum Franken-
Alexanders d. Gr., die Prätorianer der röm. reich, im Wechsel unter eigenen Herzö-
Kaiser. In der Neuzeit berühmt die Schwei- gen oder Teil des Herzogtums Aquitanien
zergarde des Papstes und der Bourbonen, (Guyenne), mit diesem 1154 unter eng-
die sich beim Sturm des Pöbels auf die lischer Herrschaft (Haus Anjou-Plantage-
Tuilerien niedermetzeln ließ; die gedrillte net); 1453 wieder unter frz. Herrschaft.
Potsdamer G. („Lange Kerls“) Friedrich Gasteiner Konvention, zw. Preußen und
Wilhelms I., die oft Schlacht entscheidende Österreich 186 über die vorläufige Verwal-
Kaisergarde Napoleons I. (vgl. auch ↑ Jani- tung der beiden schleswig-holstein. Her-
tscharen, ↑ Mamelucken, ↑ Strelitzen). zogtümer: Schleswig wurde Preußen, Hol-
Gardiner, Stephen, engl. Bischof (von Win- stein Österreich überlassen und Lauenburg
chester) und Staatsmann, um 1493–1555; gegen Geldentschädigung Preußen zuge-
betrieb die Scheidung Heinrichs VIII., be- schlagen; Kiel war Bundeshafen; die G. K.
kämpfte aber den Protestantismus; unter sicherte noch kurze Zeit den Frieden, bis
der reformationsfreundlichen Regentschaft im Jahre 1866 der ↑ Dt. Krieg ausbrach.
für Eduard VI. 6 Jahre im Tower gefan- GATT (General Agreement on Tariffs and
gen; bes. erfolgreich als Staatskanzler unter Trade), handelspolit. Charta, 1947 unter-
↑ Maria der Katholischen. zeichnet; Ziel: die Zolltarife und Handels-
Garfield, James Abraham, 20. Präsident der schranken der teilnehmenden 37 Länder
USA (1881), 1831–1881; General im ↑ Se- weitgehend herabzusetzen und alle Vorteile
zessionskrieg, trat der Korruption in seiner und Vergünstigungen, die einem Mitglied
eigenen Republikanischen Partei entgegen; zugestanden sind, auch den anderen Mit-
im Jahr seines Amtsantritts von einem ab- gliedern zuzugestehen. Zweck: Wieder-
gewiesenen Postenjäger erschossen. herstellung des freien Handelsverkehrs,
Garibaldi, Giuseppe, ital. Freiheitskämp- freie, marktkonforme Preisbildung, zwi-
fer und General, Nationalheld des ↑ Risor- schenstaatl. Arbeitsteilung, Beseitigung der
gimento, 1807–1882; nahm 1834 am ge- Kontingente; als ständige Institution 1995
scheiterten Savoyerzug ↑ Mazzinis teil, zum organisator. von der World Trade Organi-
Tode verurteilt, floh; 1846 Kaperkapitän in sation (WTO) abgelöst.

328
Gazette

Gattamelata (eigentl. Erasmo de Narni), tie und rief das nationale „Rassemblement
ital. Condottiere, um 1370–1443; führte du Peuple Français“ (Straßburg) ins Leben;
päpstliche und venezian. Söldner, bes. im 1958 Ministerpräsident mit außerordent-
Kampf gegen Mailand (berühmtes Reiter- lichen gesetzgeber. Vollmachten zur Über-
standbild von Donatello in Padua). windung der innen- und außenpolit. und
Gau (in der röm. Literatur als pagus bez.), wirtsch. Krisen; Schöpfer der Präsidialver-
bei den Germanen innerhalb des (größe- fassung der „Fünften Republik“ (1958)
ren) staatlichen Volksverbandes als Unter- und durch sie 1959 Staatspräsident; Grün-
gliederung ein geografisch näher umschrie­ der der (bald zerfallenden) Communauté,
benes, meist nach Flüssen benanntes, meh- Verfechter eines supranationalen „Europas
rere Dorfschaften umfassendes Gebiet, in der Vaterländer“. Er wandte sich jedoch ge-
dem ein oder mehrere Gaufürsten herr- gen übernationale polit. Integration: Auf-
schen; nicht überall nachweisbar und in kündigung des NATO-Bündnisses, Aufbau
vielen Organisationsformen und Größen einer eigenen Atomstreitmacht, zeitweilige
gebildet, oft nur in Größe eines Gutsbe- Blockierung der europ. Integration; 1963
zirks oder als Dorfgenossenschaft; in fränk. Dt.-frz. Vertrag. 1968 wurde seine Position
Zeit ist der G. vielfach mit der Grafschaft, durch die Maiunruhen erschüttert, er ver-
dem Verwaltungsbezirk eines Grafen, iden- band ein Referendum über die Regional-
tisch. – G., im Dritten Reich 1933–1945 und Senatsreform mit einem Referendum
(inoffiziell auch schon vorher innerhalb der über seine persönliche Politik und trat
NSDAP üblich) das nach der Reichs­ebene nach dessen negativem Ausgang 1969 zu-
höchste „Hoheitsgebiet“ mit dem polit. rück (↑ Frankreich).
entscheidenden Gauleiter an der Spitze, Gaza (Gasa, Ghaza), alte Hafenstadt in
der praktisch auch Staat und Verwaltung Palästina, im 2. Jh. v. Chr. Hauptstadt der
und im Krieg als Reichsverteidigungskom- Philister, später bei Assyrien und Babylon;
missar auch das Wehrgebiet beherrschte. 332 v. Chr, von Alexander erobert, danach
Gaugamela, Ort in Assyrien, 331 v. Chr. vielfach umkämpft; 62 v. Chr. römisch
entscheidender Sieg Alexanders d. Gr. über (Sklavenmarkt), 635 arabisch, 1100–1170
den Perserkönig Darius III., dargestellt auf Flottenstützpunkt der Kreuzfahrer; unter
dem „Alexandermosaik“; das Perserreich Napoleon I., im 1. Weltkrieg und 1956/57
fiel an Alexander. umkämpft; 1956 an Ägypten und unter
Gaulle, Charles de, frz. General und Po- Aufsicht der UN; Hauptproblem: 221 000
fitiker, 1890–1970; erkannte 1940 den Palästinaflüchtlinge. 1967 wurde G. zu-
Waffenstillstand von ↑ Compiegne zwi- sammen mit der Sinaihalbinsel von is-
schen Frankreich und Hitler nicht an; er- raelischen Truppen erobert und seitdem
klärte sich in London zum „Chef der freien besetzt gehalten, seit 1977 zunehmende
Franzosen“, organisierte an der Spitze eines jüdische Besiedelung; ab 1987 eines der
von England gestützten Nationalkomi- Hauptzentren der Intifada. 1993 Teilau-
tees die Weiterführung des Kampfes, seit tonomie; 1994 Abzug der israel. Truppen;
1943 von Algier aus; setzte sich politisch Versuch der PLO, eine Selbstverwaltung
gegen seinen von den USA unterstützten aufzubauen; 1996 wurde das palästinen-
Nebenbuhler Giraud durch, zog im Au- sische Selbstverwaltungsorgan gewählt; seit
gust 1944 im Triumph in Paris ein, schloss 2000 erneut Konflikte mit Israel.
am 10. Dez. 1944 einen Bündnisvertrag Gazette, im 18. Jh. übliche Bezeichnung
mit der UdSSR, trat Jan. 1946 als Regie- für Zeitung, vermutlich abgeleitet von der
rungschef zurück, bekämpfte die neue Kleinmünze Gaza, mit der im 16. Jh. in Ve-
Verfassung, forderte präsidiale Demokra- nedig Zeitungen bezahlt wurden.

329
Geber

Geber, oder Jabir, eigentlich Abu Musa Ja- Partei (Adel, Kaiser, Konzil) aufgestellt, in
bir ibn Hayyan al Sofi, berühmtester arab. den Papstlisten nicht mitgezählt; Folge des
Chemiker, 721 bis um 810; als origineller Verfalls der päpstlichen Autorität bes. in
Experimentator wie als Theoretiker (Lehre der Zeit des ↑ Schismas.
von den chem. Grundelementen Schwefel Gegenreformation, von der dt. protes-
und Quecksilber) durch seine Werke im tant. Geschichtsschreibung des 19. Jh. ge-
12./13. Jh. von größtem Einfluss auf die prägte Bezeichnung für den Gegenangriff
abendländ. ↑ Alchemie. der kath. Kirche gegen den Protestantis-
Gedymin, Großfürst von Litauen, um mus, eingeleitet nach dem Augsburger Reli­
1275–1341; Schöpfer des Litau. Großrei­ gionsfrieden von 1555; ermöglicht und ge-
ches mit der Hauptstadt Wilna; zog 1323 fördert durch die Reform der kath. Kirche
dt. Kaufleute, Handwerker und Geistliche auf dem Tridentiner Konzil 1545–1563.
in sein Land, verbündete sich 1325 mit (Im weiteren Sinne ist unter G. jene um-
Wladislaw I. von Polen gegen den Dt. Or- fassende innnerkirchl. Erneuerungsbewe-
den; vermählte seine Tochter Aldona 1325 gung zu verstehen, deren Wurzeln ins späte
mit dem poln. Thronfolger Kasimir III. mit MA zurückreichen.) Die stärksten Kräfte
dem Ziel, eine dynast. Verbindung zu Po- der G. waren die span. Krone (Philipp II.)
len aufzubauen. und der Jesuitenorden, ihr zähester Gegner
Gefolgschaft, bei den Germanen freiwil- der Calvinismus. Die G. löschte die protes-
lige Vereinigung von Männern unter einem tant. Regungen in Italien und Spanien aus
(adligen) Anführer (Gefolgsherrn), zu dem und gewann dem Katholizismus Gebiete
sie im Frieden wie im Krieg in einem bes. Deutschlands zurück, das größtenteils pro-
Treueverhältnis standen; nach dieser ger- testantisch geworden war.
man. G.-auffassung war der König „der Geheimdiplomatie, geheime Verhandlun­
Erste unter Gleichen“; bes. Bedeutung er- gen und Abmachungen der internationa-
langte das G.-prinzip im ↑ Lehenswesen; len Diplomatie, praktisch der wesentliche
im Nationalsozialismus wiederbelebt als und oft der entscheidende Teil der Politik
Befehls-/Gehorsamsbeziehung in Partei, der großen Mächte bis zum 1. Weltkrieg
Massenorganisationen und Wirtschaft. (z. B. Bismarcks Rückversicherungsvertrag
Gegenkaiser, Gegenkönige, meist als Folge mit Russland); die bes. von den sozialist.
nicht geregelter oder in ihrer Rechtmäßig- Parteien geforderte, aber auch in Wilsons
keit umstrittener Thronfolge oder infolge 14 Punkten proklamierte Abschaffung der
Zerrüttung der Zentralgewalt; die G. des G., beginnend mit Öffnung der geheimen
röm. Reiches, bes. im 3. Jh., wurden meist Staatsarchive zur Klärung der Kriegs-
von Truppen, entweder den Legionären der schuldfrage des 1. Weltkriegs, wurde nur
Grenzprovinzen oder den Prätorianern in in einzelnen Staaten und dann mit Ein-
Rom ausgerufen. Im Hl. Röm. Reich be- schränkungen und meist nur vorüberge-
trieb ein Teil der Fürsten mit Rücksicht auf hend verwirklicht.
ihre Hausmachtinteressen und weil sich Geheimer Rat, Kollegium von Räten, das
das Geblütsrecht nicht durchsetzen konnte in der Zeit des Absolutismus unmittelbar
(freie Königswahl) mehrfach die Wahl von dem Fürsten unterstand und unter seinem
G.n (Otto IV., Friedrich von Österreich, Vorsitz Gesetze und Verordnungen ausar-
Albrecht I., Ruprecht von der Pfalz), wäh- beitete und verabschiedete, z. B. in Bran-
rend in den Erbmonarchien Frankreich denburg-Preußen 1604–1808; seine (er-
und England G. seltener waren. weiterten) Befugnisse gingen im 19. Jh.
Gegenpäpste, durch zwiespältige oder zum Teil auf das Kabinett, zum Teil auf das
unkanon. Wahl erhoben oder von einer Parlament über; daneben hielt sich in eini-

330
Geld

gen Staaten (z. B. Preußen) noch ein bera- nien nach Nordafrika, errichtete dort das
tender Staatsrat; auch die Mitglieder die- erste unabhängige Germanenreich auf röm.
ses Kollegiums trugen den Titel G. R., der Reichsboden und begründete eine Seeherr-
später obersten Beamten eines Ressorts als schaft über das westliche Mittelmeer (455
Auszeichnung verliehen wurde. Eroberung Roms), die rücksichtslose Poli-
Geheime Staatspolizei, Abk. Gestapo, tik gegenüber der röm. Bevölkerung und
polit. Polizei während des NS-Regimes sein strenger Arianismus ließen ihn kein
1933–1945; von H. Göring 1933 in Preu- Werk von Dauer schaffen.
ßen ins Leben gerufen, entwickelte sich Geißelbrüder, ↑ Flagellanten.
unter H. Himmler und R. Heydrich zum Geistlicher Vorbehalt (Reservatum eccle-
entscheidenden innenpolit. Machtwerk- siasticum), Klausel des ↑ Augsburger Reli-
zeug des nat.-soz. Staates; berüchtigt und gionsfriedens zugunsten der kath. Kirche,
gefürchtet wegen ihrer brutalen Methoden wonach geistl. Reichsstände beim Übertritt
(Folterungen, Einweisungen in KZ). Die zum Protestantismus ihr Amt und Gebiet
G. besaß unumschränkte Macht zur Frei- verloren.
heitsentziehung; 1946 in Nürnberg vom Gelasius I., Papst (492–496 n. Chr.), for-
Internat. Militärgerichtshof zur verbrecher. derte Unabhängigkeit der Kirche, Unter-
Organisation erklärt. ordnung des Kaisers unter den Glaubens-
Gehlen, Reinhard, dt. General, 1902– entscheid der Kirche (Grundlegung der
1979; 1942–45 im Generalstab des Heeres, ↑ Zweischwerter- oder Zweigewaltenlehre
stellte nach 1945 der US-amerikan. Besat- Papst Bonifaz’ VIII.).
zungsmacht das Material des von ihm ein- Geld, nach Gehalt und Gewicht festge-
gerichteten Geheimdienstarchivs zur Ver- legter und später mit öffentlich und rechtl.
fügung und baute den Nachrichtendienst gültigen entsprechenden Zeichen ver-
auf. (1956 in Bundesnachrichtendienst sehener Wertmaßstab für begehrte Gü-
umbenannt). ter; Kennzeichen und zugleich Vorausset-
Geisel (ahdt. gisal, Leibbürge), Bürg- zung für die höhere Wirtschaftsform der
schaftsgefangener, Bürger, der in Gewahr- „Geldwirtschaft“ gegenüber der vorausge-
sam genommen wurde und mit Freiheit gangenen niedrigeren „naturalwirtschaft-
und Leben für die Einhaltung von Ver- lichen“ Stufe mit vorherrschendem Gü-
pflichtungen haftete, die seiner Heimat- tertausch (zu den getauschten Naturalien
stadt, seinem Land usw. auferlegt waren; zählte z. B. Vieh, lat. pecus, daher lat. pecu­
G.-nahme oder der Austausch von G.n nia = G.). Übergangsformen: Schmuck-G.,
war im Altertum ein häufig angewandtes Stein-G., Muschel-G., Pelz-G. u. a. Ent-
Mittel, um die Einhaltung eines Waffen- scheidend für die Entwicklung des Geld-
stillstands, eines Vertrags usw. zu sichern; wesens war der Übergang zu Metall-G.:
z. B. hielten sich in Rom zahlreiche Söhne zunächst in Form von Metallbarren (z. B.
oder Verwandte von Fürsten auf, die den Bronze), dann Metallgegenständen, z. B.
Römern in irgendeiner Form (etwa als Sa- bei den Ägyptern Gold- und Kupferringe,
telliten) verpflichtet waren. Das moderne und schließlich die gewichtsgleiche, ein-
Völkerrecht kennt G.-nahme nur noch als heitlich geformte Münze. Eine babylon.
Vorsichtsmaßregel im Krieg, um Feindse- „Mina“ wird um 1600 v. Chr. im ind. Rig-
ligkeiten von Zivilisten zu verhindern. Veda erwähnt. Die Griechen übernahmen
Geiserich, König der ↑ Vandalen (428– um 650 v. Chr. die Münzprägung von den
477); Sohn Godegisels und einer nichtger- Lydern, denen die Sage die Erfindung der
man. Sklavin, schloss den Adel von der Re- Münzprägung zuschreibt; als Metall wurde
gierung aus, führte 429 sein Volk von Spa- Elektron (eine Silber-Gold-Legierung 4:1)

331
Geldern

u. a. verwendet, seit Krösus (um 550) reines war der Taler. Der ↑ Merkantilismus ent-
Gold (auch für die pers. Dareike und den wickelte eine staatliche G.-Politik, wenn
makedon. Stater), im silberreichen Attika auch unter falschen Voraussetzungen. In-
(Bergwerke von Sunion) dagegen fast aus- folge der Überproduktion von Silber gin-
schließlich Silber. Einheiten der in der An- gen viele Staaten zur (ausschließlichen)
tike maßgeblichen griech. Währung: 1 Ta- internat. zuverlässigen Goldwährung über
lent (= 26,2 kg) = 60 Minen = 3 600 Drach- (England um 1800, das Dt. Reich 1871),
men = 21 600 Obolen. Dareike und Gold- doch führte der relative Mangel an Gold
stater waren etwa 30 Silberdrachmen wert. bei Ausweitung des Wirtschaftsvolumens
In der röm. Republik um 270 v. Chr. erste zur Ausgabe von ungedecktem Papiergeld
Kupfer- und Silbermünzen, um 190 v. Chr. durch Notenbanken (erstmals 1716 in
der röm. Silberdenar, in der Kaiserzeit rech- Frankreich), das nur noch zum Teil durch
nete man mit dem Goldsolidus und Silber- Gold gedeckt war, in einzelnen Fällen über-
denar, als Klein-G. war die Sesterze im haupt nicht mehr (z. B. 1923 die Renten-
Umlauf. Wirtschaftskrisen (Staatszwangs- mark in Deutschland, zur Überwindung
wirtschaft, unzulängliche Produktion bes. der Inflation, gesichert durch die Gesamt-
des Gewerbes) führten zu Inflation; zwi- belastung des Bodens, der Industrie usw.).
schen Caracalla und Diokletian (217–248) Nach dem 2. Weltkrieg Versuch der inter-
sank der Geldwert auf 1/18 des alten Kauf- nat. Währungsstabilisierung durch das Ab-
wertes. Die Germanen übernahmen die kommen von ↑ Bretton Woods und andere
G.-wirtschaft in der zerrütteten Form. Als Währungsmaßnahmen.
der Arabereinbruch den Mittelmeerhan- Geldern, 1339 zum dt. Herzogtum erho-
del lahmlegte, wurde der G.wirtschaft im benes Gebiet am Niederrhein; 1379–1423
Abendland die Grundlage entzogen, doch mit Jülich vereinigt, 1473 an Burgund, seit
behaupteten sich Solidus und Denar als 1477 umstrittener Teil des burgund. Erbes,
Rechnungseinheiten, obwohl nur noch 1543 durch Karl V. mit den habsburg. Nie-
selten in barer Münze bezahlt wurde; got., derlanden vereinigt. 1579 Teilung: der
fränk. und langobard. Herrscher ließen nördl. Teil als Provinz Gelderland zu den
eigene Münzen prägen. Soweit Geld ver- Generalstaaten, der südl. Teil („Oberquar-
wendet wurde, war seine Kaufkraft sehr tier von G.“) blieb bei den span. Nieder-
hoch, weil Edelmetalle bis zur Entdeckung landen, wurde aber im Span. Erbfolgekrieg
Amerikas rar und mühselig zu gewinnen von Preußen erobert. 1801 an Frankreich,
waren. Das Recht, Münzen zu prägen, 1814 teilweise an Preußen zurück, der Rest
wurde vom König als Regal an Fürsten und ebenfalls an die Niederlande.
Städte verliehen, die Folge war ein wirres Geleit, im MA bewaffneter Schutz gegen
Durcheinander der Währungen, gesteigert Gewalt; notwendig zur Aufrechterhaltung
durch „Münzverruf“. Als Reichskurs wurde der Verkehrssicherheit auf den von Waren-
z. B. in der Stauferzeit das Pfund (Silber) zügen, Viehherden, Pilgern usw. belebten
zu 20 Solidi (Schilling), der Solidus zu und gleichzeitig von Räubern bedrohten
12 Denaren zugrunde gelegt, daneben be- Straßen; das Recht, G. zu geben, wurde
stand die Naturalwirtschaft weiter. In der vom Kaiser geübt oder auch als Regal an
Entwicklung zur reinen G.-wirtschaft ging Landesherren, Städte usw. verliehen; es
Italien voran, auch in der Organisation des wurde meist durch bes. G.-Herren oder
bargeldlosen Zahlungsverkehrs (↑ Banken); G.-Männer ausgeführt, die Reisenden
aus Florenz ging der Florin (später Gulden) mussten dafür G.-Geld bezahlen; wer den
nach Deutschland, aus Byzanz der Dukaten kaiserlichen G.-Brief missachtete, verfiel
(Reichsmünze 1559–1857); dt. Ursprungs der Reichsacht. – G. in moderner Form

332
Generalgouvernement

(Konvoi) bewaffneter Begleitschutz für bei Ausgang des MA von Italien übernom-
Handelsschiffe, militär. Landtransporte. mene (dort erneuerte) röm. Recht (in der
Gelimer, letzter König der ↑ Vandalen Hauptsache handelte es sich um das Cor-
(530–534); Urenkel Geiserichs, von Beli- pus Iuris Civilis, das Corpus Iuris Cano-
sar besiegt und als Gefangener im Triumph nici und das lombard. Lehensrechtsbuch)
nach Byzanz geführt. wurde nicht durch Verordnung eingeführt,
Gelnhausen, ehem. Reichsstadt im Kinzig- sondern setzte sich in der Praxis durch und
tal unterhalb des Passes von Schlüchtern, wurde „subsidiär“, als ergänzendes Hilfs-
d. h. an der wichtigen alten Heerstraße recht, neben dem bestehenden einheit-
zwischen dem Rhein-Main-Gebiet und lichen Recht verwendet; das „rezipierte“
dem Weserraum bzw. Mitteldeutschland; Recht bildete zus. mit den Reichsgeset-
daher an dieser Stelle Kaiserpfalz Barba- zen fortan bis zum Inkrafttreten des BGB
rossas, der 1170 G. Stadtrecht verlieh; hier (1900) „des Reiches gemeines Recht“. In
1180 Absetzung ↑ Heinrich des Löwen. der Praxis galt indes der Grundsatz: „Stadt-
1348 an die Grafen von Schwarzburg ver- recht bricht Landrecht, Landrecht bricht
pfändet, 1435 an Pfalz und Hanau, dann gemein Recht.“
an Hessen-Kassel, 1810–1813 zum Groß- Gendarmen (von frz. Gens d’armes, Waf-
herzogtum Frankfurt, dann zu Kurhessen, fenmänner), urspr. Leibgarde der frz. Kö-
1866 zu Preußen. nige aus berittenen Adligen, unter Lud-
Gelon, griech. Tyrann von Gela (491– wig XIV. Schlosswache, dann Reitertruppe,
483 v. Chr.) und Syrakus (485–478 v. Chr.); später berittene Polizei und allgemeine Po-
Bruder und Vorgänger des ↑ Hieron; schlug lizeitruppe (Landjäger).
zus. mit seinem Schwiegervater Theron Genealogie, Lehre von den Abstam-
von Agragas 480 v. Chr. die Karthager un- mungsverhältnissen von Personen oder Fa-
ter Hamilkar entscheidend bei ↑ Himera, milien; im MA bes. für den Adel von Be-
stiftete wertvolle Weihegeschenke für Del- deutung, spielte herausragende Rolle im
phi, später als Heros verehrt. mittelalterlichen Lehnswesen sowie bei
Gemeiner Pfennig, die erste dt. allge- der Aufnahme in Ritterorden und adlige
meine Reichssteuer, bereits während der Dom- und Stiftskapitel (Ahnenprobe); seit
Hussitenkriege vorgeschlagen, besonders dem 16. Jh. wissenschaftliche Beschäfti-
dringlich geworden durch das Vordringen gung mit der G. Während der Aufklärung
der Türken, doch erst 1495 vom Worm- entwickelte sich die G. zur geschichtlichen
ser Reichstag als Teil der Reichsreform Hilfswissenschaft.
unter ↑ Maximilian I. beschlossen; mit ihr Generaldirektorium (General-Ober-Fi-
sollten die Kosten eines Reichsheeres (aus nanz-, Kriegs- und Domänen-Direkto-
Soldtruppen) und des neu eingerichteten rium), oberste preuß. innere und Finanz-
Reichskammergerichtes gedeckt werden, verwaltungsbehörde, 1723 von ↑ Friedrich
doch scheiterte die Eintreibung am Wider- Wilhelm I. geschaffen mit der Auflage, im
stand der Territorialherren und am Mangel Staatshaushalt stets einen Überschuss he-
einer starken Zentralexekutive, daher 1505 rauszuwirtschaften; es bestand bis zu den
wieder aufgehoben (Rückkehr zu den Ma- Stein-Hardenbergschen Reformen zu Be-
trikular-Beiträgen). ginn des 19. Jh. (Neugliederung der Pro-
Gemeines Recht, gemeines (im Sinne von vinzen, städt. Selbstverwaltung, Ressort­
communis, allgemeines) R. für das ganze ministerien).
Reich, gegründet nicht auf Volksrecht, son- Generalgouvernement, Bez. für das Rest-
dern auf Königsrecht, einheitliche (bürger- gebiet Polens nach der Besetzung 1939
liche) Rechtsnorm im Hl. Röm. Reich. Das durch dt. und sowjet. Truppen; diente den

333
Generalpächter

Nationalsozialisten als Rekrutierungsfeld d. Gr.), weiterentwickelt in den Napoleon.


für Zwangsarbeiter und als Aufnahmeland Kriegen bes. durch Gneisenau und Scharn-
für die aus den annektierten poln. Gebie- horst, 1821 selbständige Organisation;
ten vertriebenen 1,2 Mio. Polen. Im G. er- Bewährungsproben 1866 und 1870/71.
richtete die SS im Zuge der Judenverfol- Hauptaufgaben: Vorbereitung der Mobil-
gung Gettos und Vernichtungslager. machung, Aufmarsch- und Operationspla-
Generalpächter, in Frankreich vor 1789 nung (z. B. Schlieffenplan), Beobachtung
Pächter und Spekulanten, die gegen Zah­ fremder Heere; daneben topograf. Landes-
lung einer Pauschalsumme an den Staat die aufnahme (G.karten) und Pflege der Mili-
Steuern und Gebühren eines bestimmten tärwissenschaften (u. a. groß angelegte und
Gebietes einzogen; die Nationalversamm- detaillierte Werke über Kriegsgeschichte).
lung hob 1790 das mit vielen Missständen Berühmte Chefs des Großen G.s: Moltke,
verbundene System auf. – Steuerverpach- Schlieffen, Hindenburg. Auflösung und
tung bereits in der Antike bekannt, z. B. im Verbot des Großen G.s durch den Ver-
Römischen Reich, dort berüchtigtes Trei- sailler Vertrag; z. Z. der Reichswehr als
ben der Steuerpächter [„publicani“] in den „Truppenamt“ getarnt, nach 1933 wieder
Provinzen. offiziell ausgebaut; 1945 erneut aufgelöst
Generalstaaten, die seit 1579 in der und verboten.
↑ Utrechter Union zusammengeschlos- Generalstände, ↑ États généraux.
sene Ständeversammlung der 7 nördlichen Generalvertrag, ↑ Deutschland, Bundes-
Provinzen der Niederlande, staatsrecht- republik.
lich zugleich die oberste Regierungsgewalt Genf, Hauptstadt des schweizer. Kantons
der neuen Republik. – Gelegentlich auch G.; im Altertum Hauptsitz der keltischen
Name für den Gesamtstaat der Vereinig- Allobroger, im 5. Jh. häufig Sitz der Kö-
ten Niederlande; seit 1814 Bezeichnung nige Burgunds, seit 1526 der schweizer.
der beiden Kammern des niederländischen Eidgenossenschaft zugehörig, 1541–46
Parlaments. strenge geistliche Herrschaft ↑ Calvins
Generalstab, militär. Führungseinheit aus über die Stadt; 1798–1814 zu Frankreich;
bes. ausgesuchten und auf der Kriegsakade- 1920–1946 Sitz des Völkerbundes; heute
mie ausgebildeten Offizieren; nach ↑ Clau- europäischer Sitz der Vereinten Nationen
sewitz dazu bestimmt, „die Idee des kom- sowie zahlreicher internationaler Organisa­
mandierenden Generals in Befehle umzu- tionen.
schaffen“; Vorformen und Ansätze schon Genfer Katechismus, Bez. für zwei von
in früheren Epochen der Kriegsgeschichte, ↑ Calvin 1537 und 1541/42 verfasste Glau-
in moderner Form entstanden aus der Not- bensbekenntnisse; zählen zu den Grund-
wendigkeit, die unübersehbar gewordenen satzschriften der reformierten Kirchen.
Massenheere (↑ Levée en masse) durch Genfer Konvention, auf Anregung des
präzise Befehlsgebung zu dirigieren, die Schweizers Henri ↑ Dunant 1864 in Genf
Kriegführung nicht mehr dem Zufall und abgeschlossene internationale Übereinkunft
der Intuition eines einzelnen Feldherrn zu „zur Verbesserung des Loses der Verwunde-
überlassen, sondern als Problem der Pla- ten und Kranken der im Felde stehenden
nung anzusehen; Entwicklung beschleu- Heere“. Erkennungs- und Schutzzeichen:
nigt durch Technisierung des Heerwesens. rotes Kreuz auf weißem Grund (Schweizer
– Ehemaliger „Großer G.“ des dt. Heeres Nationalflagge in Umkehrung der Farben),
(Vorbild für andere Länder, z. B. Türkei, in der Türkei (seit 1877) roter Halbmond.
Japan) hervorgegangen aus dem preuß. G. 1899 (Haager Friedenskonferenz) auf den
(Ansätze: Flügeladjutanten unter Friedrich Seekrieg ausgedehnt; 1906/07 verbessert.

334
Gent

1929 erneuert (Zusatzabkommen über die Wirtschaftsfaktor (in England fast 10 Mio.,
Behandlung der Kriegsgefangenen); 1949 in Deutschland bis 1935 5 Mio. Mit-
weitere Abmachungen (Schutz der Zivilbe- glieder); den ersten modernen Konsum-
völkerung). vereins-Laden (der zu normalen Preisen
Genfer Protokoll des Völkerbundes 1924 verkaufte, aber am Jahresende den Gewinn
„für die friedliche Regelung internat. Strei- an die Mitglieder ausschüttete) eröffneten
tigkeiten“, gegen den Revisionismus der 1844 Arbeiter der englischen Stadt Roch-
Unterlegenen des 1. Weltkrieges gerichtet; dale („Pioniere von Rochdale“).
sah Ächtung der Angriffskriege, Kollektiv- Genscher, Hans Dietrich, dt. Politiker,
maßnahmen gegen den Angreifer usw. vor, geb. 1927; 1969–74 Innenminister, seit
wurde von England nicht ratifiziert. 1974 Außenminister, 1974–1985 Partei-
Genossenschaften, im MA die aus altdt. vorsitzender der FDP (↑ Freie Demokra-
Rechtsvorstellungen (kult. Männerbünde) tische Partei); 1982 maßgeblich am Koa-
und ständ. Gemeinschaftsdenken erwach- litionswechsel der FDP von der SPD zur
senen Wirtscharts- und Schutzverbände, CDU/CSU beteiligt. G. hatte großen An-
z. B. Nachbarschaften, Gefolgschaften, teil am Gelingen der deutschen Wiederverei­
Siedler-G., Deich-G., Fischerei-G., Rott- nigung 1989/90 und an der europ. Eini-
(Transport-)G., Bruderschaften, Lands- gung, erreichte u. a. die Ausreiseerlaubnis
mannschaften (Nationen), Zünfte, Gilden für die DDR-Bürger, die im Sommer 1989
usw., zur Sicherung des Lebens und „stan- in die bundesdt. Botschaft in Prag geflüch-
desgemäßer Nahrung“; von bes. Art war tet waren. G.s Politik nach dem Ende des
die ↑ Markgenossenschaft. Seit der Frz. Kalten Krieges stand allerdings in der Kri-
Revolution durch das System der freien tik; besonders die diplomat. Anerkennung
Konkurrenz und des Einzelunternehmer­ der Staaten, die 1991/92 ihre Unabhängig-
tums abgelöst. Mitte des 19. Jh. lebte der keit vom damaligen Jugoslawien erklärten,
G.Gedanke in verschiedenen Formen galt als übereilt. 1992 zog G. sich aus der
wieder auf, er förderte den Zusammen- Politik zurück.
schluss und die Zusammenarbeit wirtsch. Gent, Hauptort Flanderns, erstmals im
Schwacher als Selbsthilfe gegen das Über- 7. Jh. erwähnt, seit 1007 im Besitz der
gewicht kapitalist. Kräfte. In Deutschland Grafen von Flandern, im 13./14. Jh. neben
gründete Schutze-Delitzsch Selbsthilfever- Brügge Mittelpunkt des flandrischen Tuch-
einigungen städtischer Interessengruppen gewerbes, Hauptumschlagplatz des dt.-nie-
(Handwerker, Kaufleute, Beamte), Roh- derl. Handels, eine der reichsten und größ-
stoffvereine zum gemeinsamen Material- ten Städte Europas (unter Karl V. 175 000
einkauf und Kredit-G.; nach dem gleichen Einwohner), Kämpfe im Innern (Weber
Prinzip organisierten Raiffeisen, Dasbach gegen Patrizier) und nach außen (gegen
u. a. Darlehenskassen für die Landwirt- Frankreich und die Grafen von Flandern);
schaft, die durch Einkaufs- und Verkaufs- 1336 Produktionskrise, als Eduard III. die
G. der Bauern ergänzt wurden. Das von so- Ausfuhr engl. Wolle verbot; 1338 Aufstand
zialen Gedankengängen getragene Genos- der Zünfte unter Führung Jakobs von Ar-
senschaftswesen der Arbeiterschaft nahm tevelde; 1382 Aufstand unter Philipp von
von England seinen Ausgang. Während die A.; 1385 zu Burgund, mit diesem an Habs-
als Keimzellen des Sozialimus gedachten burg; Geburtsort Karls V.; 1539/40 Nie-
Produktiv-G. der „utop.“ Sozialisten (z. B. derlage im Aufstand gegen Karl V., wirtsch.
Robert Owen) in der durchgeführten Pra- Rückgang unter der span. Herrschaft nach
xis ausnahmslos scheiterten, entwickelten Anschluss an die niederl. Abfallbewegung.
sich die Konsum-G. zu einem mächtigen 1584 Kapitulation vor den Spaniern; 1714

335
Gentry

österreichisch, 1794 frz., 1814 niederlän- Machtkämpfe zwischen Ghibellinen und


disch, 1830 belgisch, Mittelpunkt der flä- Guelfen, aristokrat. und demokrat. Partei
mischen Volkstumsbewegung; im 1. Welt- und den führenden Adelsfamilien (Do-
krieg wichtiger dt. Etappenort. ria, Fieschi, Grimaldi), Verfassungsände-
Gentry (engl.), der engl. niedere ↑ Adel; im rungen (1339 Einführung der erblichen
weiteren Sinne die sog. „gehobene Gesell- Dogenwürde). Seit 1353 G. von Mailand
schaft“. oder Frankreich abhängig, 1381 unglück-
Gentz, Friedrich, österr. Politiker und Pu- licher Ausgang des seit 1256 dauernden
blizist, die „Feder Europas“, 1764–1832; Kampfes gegen die große Rivalin Venedig:
urspr. preuß. Kriegsrat, empfahl Friedrich Vernichtung der genues. Belagerungsflotte
Wilhelm III. liberale Prinzipien, trat 1802 bei Chioggia; weitere Einbußen im Levan-
in österr. Dienste, bekämpfte geschickt und tehandel durch das Vordringen der Türken.
wirkungsvoll die Frz. Revolution (Überset- Um den wirtsch. Niedergang G.s als eines
zung von E. Burkes Betrachtungen über die Zentrums des Frühkapitalismus (Banken,
Frz. Revolution) und Napoleon; verfasste Handelsgesellschaften usw.) zu vermeiden,
u. a. die österr. Kriegsmanifeste 1809 und Teilnahme genues. Seefahrer an der Suche
1813, wandelte sich seit 1810 zum Ver- nach neuen Seehandelswegen, gleichwohl
fechter eines schroffen Absolutismus, Ver- seit der Entdeckung Amerikas, die das han-
trauter Metternichs, Protokollführer auf delspolit. Mittelmeermonopol brach, wirt-
dem Wiener Kongress; bewahrte sich trotz schaftlicher Abstieg unaufhaltbar. Andrea
Annahme von Bestechungsgeldern der Doria gelang 1529 die Abschüttelung der
­europ. Fürsten ein selbständiges polit. Ur- frz. Herrschaft, 1547 innere Erschütterung
teil im Sinne des europ. ↑ Gleichgewichts. durch die Verschwörung des Fies­co; dann
Genua, Hauptstadt der histor. Land- immer in der Defensive gegen die mäch-
schaft ↑ Ligurien; entwickelte sich seit tigeren Nachbarn, darunter Frankreich.
dem 10. Jh. zur selbständigen Stadtrepu- 1684 demütigende Beschießung durch
blik mit weitem Hinterland und zur See- die Franzosen. 1768 Verkauf Korsikas an
und Handelsmacht; 934 Zerstörung durch Frankreich. 1797 Errichtung der ↑ Ligur.
Araber, 1016 zus. mit Pisa Seesieg über die Republik durch Napoleon. 1805 zum frz.
Sarazenen; rang in einem über 100-jäh- Kaiserreich, 1815 an Piemont-Sardinien.
rigen Krieg Pisa nieder (1284) und nahm Im 19./20. Jh. Entwicklung zum moder-
ihm bis Ende des 13. Jh. Korsika, Sardi- nen Welthafen, Seetor der industrialisier-
nien und Elba ab; seither G. Herrin des ten Poebene. – 1922 Wirtschaftskonfe-
westli­chen Mittelmeers; gleichzeitig erfolg- renz von G., erstmals seit dem 1. Weltkrieg
reiches Aus­greifen in das östl. Mittelmeer, Teilnahme Deutschlands an einer internat.
begünstigt durch das Bündnis mit dem Konferenz; der frz. Widerstand gegen das
griech. Kaiser von Byzanz zum Sturz des Mitspracherecht Deutschlands und der di-
von Venedig unterstützten ↑ Lat. Kaiser- plomatisch noch nicht anerkannten Sowjet­
tums (1261); G. mit wichtigen Privilegien union führte zum Vertrag von ↑ Rapallo
in Konstantinopel belohnt, die ihm einen zw. Deutschland und Russland.
Vorsprung vor dem bis dahin im Levante­ Geopolitik, Lehre von der geogr. („räum-
handel führenden Venedig verschafften. lichen“) Bedingtheit des Schicksals der
Expansion: Rhodos, Samos, Chios, Lesbos Staaten und Völker; auf die Politik an-
als Fürstentümer genues. Adliger, lukra- gewandte Geografie und „Rüstzeug zum
tive Kolonien an den Küsten des Schwar- polit. Denken und Handeln“; als wiss.
zen Meeres, bes. auf der Krim, aber außen- Schule nach dem 1. Weltkrieg begründet
polit. Schwächung durch ständige innere von dem schwed. Staatsrechtslehrer Kjel-

336
Georg

lén (der den Ausdruck G. prägte, Schüler schloss 1717/18 gegen die Umtriebe der
des Deutschen Ratzel, der 1897 eine „Po- Stuartanhänger die ↑ Quadrupelallianz.
lit. Geografie“ verfasst hatte) und dem ehe- 7) G. II., König von Großbritannien und
maligen dt. General Karl Haushofer; nach Kurfürst von Hannover (1727–1780), geb.
1933 diente die G. zur Begründung der 1693; Sohn von 6), gab der Sorge um sein
na­tionalsoz. Außenpolitik (viel gebrauchte Heimatland Hannover den Vorzug vor der
Schlagworte: „Lebensraum“ und das dem engl. Weltpolitik, die W. Pitt mit Erfolg be-
„atlant.“ folgende „pazif. Zeitalter“ [dt.- trieb, gründete 1737 die Universität Göt-
jap. Bündnis]). tingen; Verbündeter Friedrichs d. Gr. im
Georg, Name von Herrschern. Baden: ↑ 7-jährigen Krieg. 8) G. III., König von
1) G. Friedrich, Markgraf von Baden- Großbritannien (1760–1820); zugleich
Durlach (1604–1622), geb. 1573; trat im Kurfürst, seit 1814 König von Hannover;
30-jährigen Krieg die Regierung an seinen geb. 1738; Enkel von 7), ließ ↑ Pitt und
Sohn ab und kämpfte als Söldnerführer Preußen fallen, schloss 1763 mit Frankreich
für die protestant. Sache, 1622 von Tilly den günstigen Frieden von ↑ Paris, ver-
bei Wimpfen geschlagen, geächtet, gest. schuldete durch seinen Starrsinn und seine
1638. – Bayern: 2) G. der Reiche, Her- absolutist. Neigungen den Abfall der nord­
zog von Bayern-Landshut (1479–1503), amerik. Kolonien, unterwarf sich aber im
geb. 1455; feierte 1477 die glanzvolle Kampf gegen das revolutionäre Frankreich
Landshuter Fürstenhochzeit, vererbte sein und Napoleon der Führung des jüngeren
Land der Pfalz (Landshuter Erbfolgekrieg). ↑ Pitt, seit 1811 geisteskrank. 9) G. IV.,
– Brandenburg: 3) G. Wilhelm, Kurfürst König von Großbritannien und Hannover
(1619–1640); geb. 1595, Vater des Gr. (1820–1830); geb. 1762, übernahm 1811
Kurfürsten, verschuldete im 30-jährigen die Regentschaft für seinen Vater G. III.,
Krieg durch ungeschickte Neutralitätspo- zog sich durch sein ausschweifendes Leben
litik den Fall Magdeburgs und (nach dem und seinen Ehescheidungsskandal allge-
Prager Frieden mit dem Kaiser 1635) die meine Verachtung zu. 10) G. V., König von
Verwüstung der Mark durch die Schwe- Großbritannien (1910–1936); geb. 1865,
den. – Griechenland: 4) G. I. (1863– 2. Sohn Eduards VII., nahm 1917 für sich
1913), geb. 1845; Sohn Christians IX. von und sein Haus den Familiennamen Wind-
Dänemark, nach dem Sturz des Wittelsba- sor an. 11) G. VI., König von Großbritan-
chers ↑ Otto I. zum König gewählt, ermor- nien (1936–1952); geb. 1895, bestieg nach
det. 5) G. II., geb. 1890, folgte als König der von seinem Bruder Eduard VIII. ver-
1922 seinem Vater Konstantin, der abge- ursachten Krise nach dessen Abdankung
dankt hatte, und musste 1923 selbst ab- den Thron, legte 1948 den Titel „Kai-
danken; 1935 nach dem Sieg der Monar- ser von Indien“ ab. – Hannover: G. I. bis
chisten bei gelenkter Volksabstimmung aus G. IV., auch Könige von ↑ Großbritannien.
dem Exil zurückgerufen; ging 1941 nach 12) G. V., letzter König (1851–1866); geb.
dem dt. Einmarsch erneut ins Ausland und 1819, blind, hob 1855 die Verfassung von
kehrte 1946 nach einer (von der republi- 1848 auf, verlor als Gegner Preußens im
kan. Opposition angefochtenen) Volksab- Dt. Krieg 1866 Krone und Land, 1868
stimmung nochmals zurück, starb 1947. infolge seiner antipreußischen Agitation
– Großbritannien: 6) G. I. (1714–1727), auch die ihm zugestandene Entschädigung
geb. 1660; 1698 als G. Ludwig Kurfürst (aus der Bismarck den berühmten „Wel-
von ↑ Hannover, folgte aufgrund des ↑ Act lenfonds“ bildete); starb 1878 im Exil.
of Settlement als Nachkomme Jakobs I. der Sachsen: 13) G., König (1902–1904);
Königin Anna Stuart auf den engl. Thron, geb. 1832, Heerführer 1866 und 1870/71.

337
George

Waldeck: 14) G. Friedrich, Graf, (seit als erblichen Besitz abtreten, das nie wie-
1682) Fürst, 1620–1692; 1651–1658 in der mit der dän. Krone vereinigt werden
brandenburg. Diensten; einflussreicher Rat­ sollte (Constitutio Waldemariana); blieb
geber des Gr. Kurfürsten, kämpfte später auch nach Rückkehr des vertriebenen Kö-
ge­gen die Türken und Ludwig XIV., zuletzt nigs Christoph II. Herr von Dänemark;
als Reichsmarschall. 1340 ermordet.
George, Henry, amerik. Nationalökonom, Gerichtsbarkeit im dt. MA: In der ger-
1839–1897; begründete die ↑ Bodenreform­ man. Frühzeit deckte sich Gerichtsbezirk
bewegung, sah die Hauptursache aller so- mit Siedlungsbezirk, Recht wurde beim
zialen Übel im Privateigentum an Grund Thing (Ding) an der Malstätte durch Be-
und Boden. fragung der Versammlung (Volksgericht)
George, Stefan, dt. Dichter, 1863–1933; oder der Rechtskundigen vom Fürsten ge-
setzte der Vermassung und dem Materialis­ sprochen (Könige und Fürsten waren an
mus einen Persönlichkeitskult und den ro- das geltende Recht gebunden; dem König
mantischen Glauben an ein verborgenes waren die Streitsachen der Großen des Rei-
und ewiges Reich des Geistes entgegen; ches und Streitsachen um Reichsgut reser-
starker Einfluss auf das Ausland; Werke viert; ↑ „Hochgericht“). In der fränkischen
u. a. „Der siebente Ring“. Zeit übernahmen mehrere Grafschaftsge-
Georgien (Kolchis und Iberien), auch Gru- richte in den Grafschaften die Rechtspre-
sien, Landschaft im südl. Kaukasus­vorland; chung (nach Befragung der Thingleute
seit 65 v. Chr. im römischen Macht­bereich, oder der Rechtskundigen) unter Vorsitz
Glanzzeit im 12. und 13. Jh. nach dem des Grafen (Eingriffe in Leben, Freiheit
Niedergang der Araber (höf. Kultur unter und Eigentum = Kriminalfälle) oder eines
pers. Einfluss). Ende 18. Jh. russ. Schutz- beauftragten Schultheißen (Frevel, Schuld-
staat. 1806 russ. Besitz, erst nach schweren sachen, fahrende Habe); diese Aufteilung
Kämpfen befriedet (Bau der Grusin. Heer- entsprach der „hohen“ und „niederen“ G.
straße); 1919 Unabhängigkeitserklärung. Karl d. Gr. führte die Ordnung von stän-
1921 von den Sowjets unterworfen, 1922 digen vereidigten Urteilsweisen, Schöffen,
mit Aserbeidschan und Armenien vereinigt für die ganze Grafschaft ein, sie schlugen
zur Transkaukas. (Georg.) Sozialist. Sowjet- das Urteil vor, Genehmigung durch die
republik, seit 1991 unabhängige Republik. Gerichtsgemeinde, eine unabhängige Ge-
Gepiden, ostgerman. Volk; den Goten und richtsregelung galt für die ↑ Immunitäts-
Vandalen verwandt, urspr. an der unteren Grundherrengerichte bereits seit dem 9. Jh.
Weichset, seit dem 3. Jh. n. Chr. in Gali- (↑ Hofgericht). In der Folge wurde Schult-
zien, Ende 4. Jh. unter hunn. Herrschaft, heißen-Gerichtsamt erbliches Lehen; G.
am Zug Attilas nach W-Europa (↑ Kata- wurde Sache der Landesherren (Herzogs-
laun. Felder) beteiligt, danach mächtiges, gerichte, Landfriedensgerichte, geistliche
dem Arianismus ergebenes eigenes Reich Stiftsgerichte), der Städte (Marktgerichte),
in der Theißebene, das 567 von den Lan- der Stände (Lehns- und Dienstmannenge-
gobarden und Awaren vernichtet wurde. richte); doch blieben die karoling. Grafen-
Gerbert von Reims, ↑ Silvester II. gerichte bis ins 13. Jh. mit Thingstühlen
Gerhard III., der Große, Graf von Hol- erhalten. Mit Verfall der Reichsverfassung
stein(-Rendsburg), aus dem Haus Schaum- seit dem 13. Jh. Reichshofrichter am Kö-
burg, um 1292–1340; seit 1326 Reichsver- nigshof (doch ohne festen Sitz) und dele-
weser von Dänemark, ließ sich von seinem gierte Richterkommissare; an ihrer Stelle
Mündel und Neffen Waldemar III. (W. V. seit 1450 Gerichtshofräte (königl. Kam-
von Schleswig) das Herzogtum Schleswig mergericht), Schiedsgerichte der Fürsten,

338
Germanen

Landfriedensgerichte, Landgerichte der 4. Jh. v. Chr., erste gesicherte Erwähnung


Lan­desherren (in Süddeutschland blieben des Namens um 80 v. Chr. bei Poseido-
unmittelbare königliche Landgerichte, in nios von Apamea, doch erst Cäsar („De
Westfalen königliche Freigerichte beste- bello Gallico“) erkannte die G. als von
hen, unabhängig von Landesherren = ↑ Fe- den Kelten verschieden; das zuverlässigste
megerichte). Mit der Aufnahme des ↑ röm. und umfassendste Quellenwerk über die
Rechts allmählicher Übergang zum beam- G. lieferte um 100 v. Chr. ↑ Tacitus mit
teten Richter, der das Urteil verantwortl. seiner „Germania“. Heimat der G. nach
fällte; 1495 Bildung des vom Kaiser unab- ihrer Sonderung von den übrigen indo-
hängigen ↑ Reichskammergerichts. german. Teilvölkern war Südskandinavien
Gerlach, 1) G., Helmut von, dt. Politiker, und Norddeutschland zw. unterer Weser,
1866–1935; gründete 1896 mit Naumann Odermündung, Ostsee und Nord-Harz;
den Nationalen Verein, 1908 mit Breit- hier bereits in der Jungsteinzeit german.
scheid die Demokrat. Vereinigung, nach Siedlungen mit friedlicher Bauernkultur;
dem 1. Weltkrieg leidenschaftlicher Pazi- Blüte in der reifen Bronzezeit um 1400–
fist, Mitbegründer der Dt. Friedensgesell- 1200 v. Chr. (Schifffahrt mit Großschiffen,
schaft, starb im Exil. 2) G., Leopold von, Handelsverbindungen zum Mittelmeer,
preuß. General, 1790–1861; Haupt der Kultureinflüsse des Südens). Bedeutender
ultrakonservativen „Kamarilla“ um Fried- Fortschritt in der kampferfüllten Eisenzeit
rich Wilhelm IV., sein Briefwechsel mit durch Erfindung des Räderpfluges mit ei-
Bismarck aus den 1850er Jahren ist wert- serner Pflugschar. Zusammenschluss über
volle Geschichtsquelle. 3) G., Ludwig von, die Sippe hinaus in Kultverbänden, die
preuß. Politiker, 1795–1877; Bruder von wohl Organisationsgrundlage der Stammes­
2), Wortführer des „christlich-german.“ verbände waren. Sozialer Umbruch in den
Kreises, verfocht extrem reaktionäre Prin- Jahrhunderten v. Chr.; vielleicht aufgrund
zipien, Mitbegründer der Konservativen von Klima­verschlechterungen Vordrin-
Partei in Preußen und der „Kreuzzeitung“, gen auf breiter Front nach Süden und Süd­
nach 1866 scharfer Gegner der Bismarck- wes­ten in Siedlungsgebiete, die bisher von
schen Politik. Kelten bewohnt waren; Rodung aber noch
Germanen, eine der drei großen indoeuro­ unbekannt; um 650 v. Chr. G. im Süden
päischen Völkergruppen (↑ Indogerma- etwa bis Hildesheim, Salzgitter, im Wes-
nen), als West-Indogermanen jedoch en- ten am Niederrhein, im Osten an der un-
ger verwandt mit Griechen, Italikern und teren Weichsel; um 500 v. Chr. im Süden
Kelten, bildeten sich seit etwa 2 000 v. Chr. bis Thüringen, im Westen bis Mittel-Bel-
aus verwandten Stämmen in Nordeuropa gien, im Osten bis Mittel-Oder und Mit-
aus, wo sie z. T. mit jungsteinzeitlichen tel-Weichsel; um 300 v. Chr. im Süden an
Bauernvölkern verschmolzen; der Name der oberen Saale, im Westen an der Rhein-
G. (Ableitung ungewiß, vermutlich kel- mündung und Obermosel, im Osten im
tisch mit der Bedeutung „Nachbar“) wurde großen Weichselbogen; soziale und polit.
wahrscheinlich von den Kelten einem ih- Differenzierung; um 200 v. Chr. die ost-
rer germ. Nachbarstämme, den späteren german. Bastarner am Schwarzen Meer
Tongern, gegeben und schließlich, bes. und 168 v. Chr. ihr Zusammenstoß mit
von den Römern, auf alle G. angewandt, den Römern; am Oberrhein und in S-
obwohl sich das polit. Zusammengehö- Deutschland Vermischung mit Kelten; um
rigkeitsgefühl der G. anfangs nur auf den 110 v. Chr. Einfall der germ. ↑ Kimbern
Einzelstamm bezog. Erster Bericht über und Teutonen in S-Gallien und N-Italien,
die G. durch Pytheas von Marseille im um 60 v. Chr. Kämpfe Cäsars gegen die

339
Germania

über den Oberrhein vorstoßenden german. len an der russ. Ostsee, die Goten nördl.
Sueben (↑ Ariovist); um Christi Geburt der unteren Donau und in der Ukraine.
siedelten G. im Süden am Oberrhein, an Zunehmender Kultur- und Wirtschafts-
der Oberdonau, an den Elbquellen, an der austausch mit den Römern, G. als Söld-
Donau bei Wien; im Westen in N-Frank- ner im röm. Heer. Seit dem 3. Jh. setzte die
reich, im Osten am Bug (bedeutendster Überflutung des röm. Reiches durch die
und aufschlussreichster neuerer Siedlungs- G. ein: Vordringen der Alemannen über
fund aus dem 1. Jh. v. Chr. bis 5. Jh. n. Chr. Limes und Rhein, der Franken ins Innere
bei Bremerhaven: ↑ Feddersen Wierde). Galliens, der Goten über die Donau (in die
Kämpfer. und friedliche Berührung der von ihnen verlassenen Ostgebiete rückten
Römer hauptsächlich mit den Westgerma- Slawen nach). Nach dem Hunnen­einfall
nen, von Tacitus eingeteilt in a) Ingväonen (375 n. Chr.) erlag das gesamte Weströ-
an der Nordsee; Anglo-Friesen, dazu Kim- mische Reich allmählich dem Ansturm der
bern, Teutonen und Chauken; b) Istväo­ G., besonders der Ostgermanen (Ost- und
nen am Rhein: Bataver, Salier, Chatten; Westgoten, Burgunder, Vandalen), die auf
und c) Herminonen in Mitteldeutschland: röm. Reichsboden eigene Reiche gründe-
Cherusker, Sueben. Man bezeichnet sie in ten und dabei neben dem Christentum
ihrer Gesamtheit als Westgermanen gegen­ (meist in der Form des Arianismus) we-
über den Ostgermanen; zu diesen zählten: sentl. Bestandteile der röm. Kultur über-
Vandalen, Ost- und Westgoten, Burgunder nahmen. Diese german. Teilreiche verfielen
und auch Langobarden (von manchen For- rasch wieder: 534 ging das Burgunderreich
schern zu den Westgermanen gerechnet). im Rhonegebiet unter, 535 das Vandalen-
In ihrem Drang in den Westen wurden reich im röm. Nordafrika, 555 das Ostgo-
die G. von den Römern, die das gesicherte tenreich in Italien, 711 das Westgotenreich
Gallien im Rücken hatten, aufgehalten; im ehemals röm. Spanien, 774 das auf das
den G. gelang es andererseits, den Angriff Ostgotenreich folgende Langobardenreich
Roms (Drang nach der Elbgrenze) auf das in Italien. Von bleibender weltgeschichtl.
innere Germanien östl. des Rheins abzu- Bedeutung wurde allein das Übergreifen
schlagen; nach röm. Anfangserfolgen unter des Frankenvolkes auf gall.-röm. Boden.
Drusus vernichtende Niederlage des Varus Erst seit dem 8. Jh. rückten auch die Nord-
im Teutoburger Wald (9. n. Chr.); die Züge germanen ins geschichtl. Blickfeld: die
des Germanicus nur Prestigedemonstrati- ↑ Normannen (Wikinger, Waräger) durch
onen. 69–71 n. Chr. ↑ Bataver-Aufstand. ihre Unternehmungen an den Küsten
Mitte des 2. Jh. n. Chr. gerieten die G. in der Weltmeere zw. Labrador und Byzanz;
größere Bewegung: 162 n. Chr. erster gro- staatsschöpferisch wurden die Normannen
ßer Einfall der Chatten in Obergermanien in Russland, in Westfrankreich, Unterita-
und Rätien; 166–180 ↑ Markomannenein- lien, England (das bereits im 5./6. Jh. von
fälle, Grenzverlauf zw. dem freien Germa- den Angeln und Sachsen germanisiert wor-
nien und dem röm. Reich: niederrhein. Li- den war) und auf Island.
mes-Rhein – obergerman. Limes Donau. Germania, a) röm. Name für Germanien
Seit dem 2. und 3. Jh. n. Chr. sind folgende mit folgender Unterscheidung: 1) Ger-
Stammesverbände sichtbar; Sachsen an der mania Magna war das von den Römern
Nordsee zwischen Elbe und Rhein; Franken nicht unterworfene german. Land zw. Do-
im Rheindelta und am Mittel­rhein., Ale- nau, Rhein, Weichsel, Nord- und Ostsee.
mannen in Südwestdeutschland, Thüringer 2) Germania inferior war seit Domitian
nördl. des Mains, außerhalb Deutschlands (um 90 n. Chr.) Name für die meist von
die Markomannen in Böhmen, die Vanda- Ger­manen bewohnte linksrheinische röm.

340
Gero

Provinz Niedergermanien, die von Rema- Germanische Kunst, verbreitet seit etwa
gen bei Koblenz bis zur Rheinmündung 1800 v. Chr. mit der Süd- und Westwande-
bzw. zur Nordseeküste reichte, mit den Le- rung der Germanen. Kunstformen in der
gionslagern und späteren Legionsfestungen früheren Bronzezeit (ab 1700): abstrakt-
bzw. Etappenstädten Remagen, Aachen, geometrische Ornamente (Kreise, Linien,
Bonn, Köln, Neuß, Xanten, Nimwegen, Punktstriche, Spiralen), in der jüngeren
Utrecht u. a., Wohngebiete der Ubier (mit Bronzezeit durch belebte Tiermuster be-
Colonia Agrippinensis, Köln), der Bata- reichert; in dieser Zeit Hausurnen und
ver an der Rheinmündung, der Tungerer erste Felszeichnungen. In der Eisenzeit (ab
an der Maas, der Friesen an der Küste 600) bronzene Tierfiguren, rohe Holzpla-
(das Mittel- und Obermoselgebiet gehörte stiken, vereinzelt Steinbilder, im Osten
nicht zu G. inferior, sondern zur röm. Pro- Gesichtsurnen; Berührung mit dem Süden
vinz Belgica). 3) Germania superior war, und Handelswohlstand in frühgeschichtl.
ebenfalls seit Domitian, das Rheingebiet Zeit (1. Jh. n. Chr.) ließen große Holz-
südl. Andernach bis in die Schweiz (bis bauten entstehen. Im organisch belebten
zum Genfer See), G. superior griff südl. Ornament setzte sich der Filigranstil mit
von Mainz mit dem zur Verkürzung der Gold- und Silberdrähten und Metallauf-
Verbindung Rhein–Donau eroberten und lagen durch. In der Völkerwanderungszeit
wohl den Legionen zur Verfügung stehen- (350–600 n. Chr.) Übernahme des Stein-
den ↑ Deku­matenland (Baden-Württem- baus (Theoderich-Grabmal Ravenna, Kö-
berg) auch auf das rechte Rheinufer über nigshalle bei Orvieto); mächtige Wehr-
(Ostgrenze: Oberrhein. Limes), wichti­ge bauten; farbige Zelteinlagen; Übernahme
Orte: Andernach, Koblenz, Mainz, Bop- der spätröm. Kerbschnittechnik. Nach 600
pard, Wiesbaden, Worms, Speyer, Baden- abstrakter Tierstil in Flecht- und Bandver-
Baden, Rottenburg, Straßburg; im süd- schlingung, Verknotung, Verknüpfung. In
lichen Teil: Augst, Windisch, Baden, Basel, Mitteleuropa erste Pfalzbauten, Holzkir-
Zürich, Olten, Solothurn, Nyon, Besan- chen, fränk.-alemann. Reiterscheiben, fi-
çon, Langres; Stämme: in der nordwestl. gürliche Heimbeschläge; Buchmalerei, stei-
Schweiz und im ostfrz. Gebiet: Lingonen, nerne Bilddenkmäler; Übergang zur karo-
Sequaner, Helvetier; Triboker im Elsass mit ling. Renaissance. Im Norden und Westen
Straßburg; Nemetergebiet mit Speyer; Van- Wikingerkunst (noch bis 1100 heidnisch):
gionengebiet mit Worms und Mainz; Kel- Tierornamente, Holzschnitzwerke, Runen-
ten (bis 260 n. Chr.) im Dekumatenland. - steine mit ausgemalter Bilddarstellung und
b) „G.“, das histor. geogr., völkerkundliche ornamentreichem Gewebe.
Werk des ↑ Tacitus. Germanische Volksrechte (lat. Leges Bar-
Germanicus, Gaius Julius Cäsar, röm barorum), die nach der Völkerwanderung
Feldherr, 15 v. Chr.–19 n. Chr.; Sohn des und Christianisierung im 5.–9. Jh. aufge-
Drusus, Adoptivsohn des Tiberius, mit zeichneten Gewohnheitsrechte der germa-
Agrippina verheiratet, Vater Caligulas, un- nischen Stämme; ↑ Volksrechte.
ternahm 14–16 n. Chr. drei Feldzüge ins Gero, Markgraf an der Mittelelbe (937–
Innere ↑ Germaniens, wurde nach ver- 965); unterwarf die heidnischen Slawen
lustreichen Prestigesiegen über Arminius (Sorben und Wilzen) zwischen Elbe/Saale
(Bestattung der Gefallenen der Varus- und Oder, zwang Polen zur Anerkennung
schlacht, Gefangennahme der Thusnelda) der Oberhoheit Ottos I.; neben Hermann
abberufen, Liebling des Volkes; angebl. von Billung bedeutendster Vorkämpfer des
Piso, dem Statthalter Syriens, vergiftet. Deutschtums im Osten; stiftete das Kloster
Germanien, ↑ Germania. Gernrode.

341
Geronten

Geronten, ↑ Gerusia. philosophie. Die – vornehmlich von der


Gerson, Johannes (Jean Charlier), frz. Fachphilosophie bearbeitete – formale G.
Theologe und Philosoph, 1363–1429; seit befasst sich als Wissenschaftstheorie mit
1395 Kanzler der Universität Paris, auf der Begriffsbildung, Abgrenzung der his-
dem Konzil zu Konstanz Vertreter der Re- tor. Begriffsbildung gegen die naturwiss.
formidee und Gegner von Hus, verfocht Begriffsbildung („Natur“ und „Geist“,
die These, dass der Papst der allg. Kirchen- „Natur“ und „Geschichte“, generalisie-
versammlung untergeordnet sei (Konziliar­ rende Naturwissenschaft und individuali­
idee). Philosophisch galt G. als Vermittler sierende Geschichtswissenschaft). – Die
zw. Realismus und Nominalismus, Scholas­ materiale Geschichtsphilosophie fragt
tik und Mystik; genannt Doctor christia- nach dem Sinn der Geschichte, forscht
nissimus. nach Gesetzmäßigkeiten, sucht nach Epo-
Gerstenmaier, Eugen, dt. Politiker, 1906– chen übergreifenden Erklärungen: Regiert
1986; 1954–1969 Präsident des Dt. Bun- der Zufall in der Geschichte oder gibt es
destages, 1956–1969 stellvertretender Vor- historische Gesetze? Gibt es einen Sinn der
sitzender der CDU; trat 1969 infolge des Geschichte, ein Ziel, auf das sie sich hin-
öffentlichen Unwillens über seine Wieder- bewegt? Geschichtsphilosophische Randbe­
gutmachungsansprüche als Bundestagspräsi­ merkungen fanden sich bereits in frühes­
dent zurück. ten geschichtlichen Darstellungen, bei den
Gerusia, Rat der Alten (Geronten), beson- Babyloniern 2. B., dann in der Antike bei
ders einflussreich in Sparta, wo er sich aus den Griechen und Römern (Geschichte ist
28 über 60 Jahre alten Bürgern zusammen- Aufstieg und Niedergang). Der erste große
setzte, die auf Lebenszeit gewählt wurden; geschichtsphilosoph. Versuch liegt vor in
neben den zwei Königen Spartas und den dem „Gottesstaat“ des Augustinus: Dem
mächtigen Ephoren dritte Regierungskör- Staat des Auserwählten Gottes, der „Civitas
perschaft mit richterl. Befugnissen und Ve- Dei“, steht die „civitas terrena“ gegenüber,
torecht gegen Beschlüsse, Vorsitzen­de wa- der ird. Staat, wie er in den asiat. Groß-
ren die Könige, Einberufende die Ephoren = reichen oder im röm. Weltreich wirksam
Dreiteilung der Regierungsgewalt. geworden ist; für Augustinus galt Christus
Gervinus, Georg Gottfried, dt. Histori- als Begründer des Gottesstaates, die christ-
ker und Politiker, 1805–1871; einer der liche Kirche stand im Gegensatz zum welt-
↑ „Göttinger Sieben“, gab 1847 die „Dt. lichen Reich des Antichrist, beide Reiche
Zeitung“ heraus. 1848 kurze Zeit Mitglied waren im irdischen Bereich miteinander
der Frankfurter Nationalversammlung, verflochten; da aber Geschichte Heilsge-
wegen seiner „Einleitung in die Geschichte schichte ist, würde das Gottesreich zuletzt
des 19. Jh.“ des Hochverrats angeklagt; triumphieren; diese dualist. theolog.-teleo-
nach 1866 Gegner der preuß. Annexions- log. Geschichtsphilosophie beherrschte das
politik. MA, sie fand sich z. B. auch bei ↑ Otto von
Geschichtsphilosophie, Begriff zuerst ge- Freising; sie wirkte nach bei den Romanti-
prägt von Voltaire, doch hat es schon lange kern und in der Neu-Scholastik. Eine un-
vor ihm G. gegeben; heute unterscheidet theolog., auf den Gedanken der Humanität
man 1) formale oder theoret. Geschichts- gegr. G. vertrat u. a. der frz. Gelehrte ↑ Bo-
philosophie, Erkenntnistheorie der Ge- din. Blüte der weltl. Geschichtsphilosophie
schichte als a) des Geschehens und b) der in der Zeit der Aufklärung: Begründer war
Erforschung, der Erkenntnis und mittei- der Italiener Vico; in Frankreich vertreten
lenden Darstellung der geschichtl. Ereig- durch Montesquieu, Rousseau, Voltaire;
nisse; 2) materiale, inhaltliche Geschichts- in Deutschland durch Herder (Geschichte

342
Geschütz

zielt auf die Verwirklichung der Humani- Geschütz, urspr. Sammelbezeichnung für
tätsidee) in den „Ideen zur Philosophie der die großkalibrigen Feuerwaffen, seit etwa
Geschichte der Menschheit“, 1784–1787; 1500 auch Name des einzelnen „Stücks“
in der Folge wurden zwei Hauptrichtungen (das von einem Stückmeister bedient wird,
sichtbar: 1) die idealphilosoph. (Schiller, der als qualifizierter Handwerker, nicht als
Kant, Hegel, Wilhelm von Humboldt) Soldat gilt). Das Geschütz kam zunächst
und 2) die sozial-naturwiss. Richtung, be- gegen Festungen und Burgen zum Ein-
gründet von ↑ Condorcet, der die entschei- satz und löste die im Altertum und MA
dende Rolle der Massen in der Geschichte üblichen Belagerungsmaschinen (Balli-
betonte und den Fortschritt in der ange- sten, Katapulte) ab; in offener Feldschlacht
strebten soziopolit. Gleichheit sah; ihm (erstmals Crecy 1346) musste es vor die
folgte ↑ Comte, der eigentliche Begründer vorderste Linie des Fußvolkes gezogen
dieser positivist. G., die die Geschichte zur werden und kam wegen seiner Schwerfäl-
Gesetzeswissenschaft erhob (Geschichte ligkeit, der Umständlichkeit des Ladens
zielt ab auf die naturwissenschaftliche Be- und Richtens usw. zunächst nur zu be-
herrschung der Dinge). Nach der G. von schränkter Wirkung; im Seekrieg ersetzte
Karl ↑ Marx beherrschen die materiellen es zunehmend die Entertechnik. Das Ka-
Produktionsverhältnisse die geschichtliche liber der verschiedenen G.-arten (Donner-
Entwicklung, die auf die gewalt- und klas- büchsen, Kartaunen, Bombarden, Feld-
senlose Gesellschaft hinstrebt; demgegen­ schlangen, Metzen, Falkonetts usw.) betrug
über war für ↑ Ranke Geschichte Ausdruck 2–80 cm; die kunstvoll verzierten Rohre
des göttlichen Willens, und jede Epoche sei wurden aus Bronze gegossen, das Gussver-
aus ihrer Beziehung „unmittelbar zu Gott“ fahren als Geheimnis gehütet. Die techn.
zu verstehen. Auch ↑ Hegel zog das Gött- und finanziellen Mittel zur G.-Herstellung
liche heran, um die Geschichte zu verste- standen zunächst besonders den Städten
hen: Dem Menschen sei die histor. Auf- zur Verfügung (später wurde das Offiziers-
gabe gestellt, den in ihn gelegten, nie er- korps der Artillerie durch die Notwendig-
loschenen göttlichen Funken zum Feuer zu keit mathemat. Kenntnisse infolge verbes-
entfachen. Pessimistisch ist dagegen die G. serter Richtverfahren Domäne der bürger-
↑ Schopenhauers (Geschichte ist ein sinn- lichen Intelligenz). – Die techn. Entwick-
los sich drehendes Rad, und nichts ist von lung im 19. Jh.: Hinter- statt Vorderlader;
ihr zu erhoffen) und die G. ↑ Spenglers, gezogener statt glatter Lauf; Gussstahl statt
der die Geschichte als eine Abfolge entste­ Bronze oder Eisen; Explosivgeschosse mit
hender, wachsender, ablaufender und ster- Aufschlagzünder statt Vollkugeln; Rück-
bender Kulturen ansah, wobei die Kultur- lauflafette usw. Als Haupttypen bildeten
träger jeweils in das Dasein geschichtsloser sich heraus: Kanone (für Flachfeuer), Mör-
Fellachen herabsinken. Von solchen Kul- ser (für Steilfeuer), Haubitze (für beides),
turabläufen sprach auch Arnold Toynbee, dazu Festungs-, Schiffs-, Eisenbahn- usw.
glaubte aber darüber hinaus an ihr Fortwir- G.; seit 1. Weltkrieg auch G. zur Flieger-
ken in die Zukunft, in Richtung auf eine und Panzerabwehr. Spezial-G. z. B. das dt.
Weltkultur. – Der G. verwandt und sie er- Fern-G. gegen Paris (120 km Reichweite).
gänzend ist die in den letzten Jahrzehnten Masseneinsatz 1916 an der Somme: auf
begründete und ausgebaute Soziologie, die 1 m Frontbreite 1 G. Im 2. Weltkrieg erst-
Lehre vom geschichtlichen Verlauf des so- mals Einsatz von Raketengeschützen (Ne-
zialen Lebens, seiner historischen Bedin- belwerfer, Salvengeschütze, Panzerwerfer,
gungen und den (vermutetet) in ihm wal- Stalinorgel); nach dem 2. Weltkrieg Ent-
tenden Gesetzen. wicklung von Atomgeschützen.

343
Gesellschaftsvertrag

Gesellschaftsvertrag, ↑ Contrat social. im 2. Weltkrieg im Zuge der Judenverfol-


Gesta (lat., Handlung), Form der Chro- gungen durch den Nationalsozialismus,
niken im MA; zum Unterschied von den meist als Todes-G. (Übergangsstationen zu
Annalen, die nach Jahren berichten, meist den ↑ Vernichtungslagern).
erzählende Geschichtsdarstellungen, entwe­ Geusen (frz. gueux, Bettler), erst Spott-,
der auf Standesorganisationen, Stämme, dann Ehrenname für den gegen die span.
Städte, Klöster, Landschaften, Länder be- Herrschaft in den Niederlanden gerichte-
zogen oder auf einzelne Persönlichkeiten ten Adelsbund von 1566 (↑ Brederode).
(Kaiser, Könige), z. B. ↑ Otto von Freisings Die „Wasser-G.“ eröffneten 1572 den Frei-
Gesta imperatoris Friderici (Geschichte heitskampf der Niederlande mit der Ein-
Barbarossas). nahme von Briel und fügten den Spaniern
Gestapo, Abk. für die nat-soz. ↑ Geheime großen Schaden durch verwegenen Kaper-
Staatspolizei. krieg zu.
Geten, im Altertum Brudervolk der ↑ Da- Gewaltenteilung, staatstheoret. Grund-
ker, thrakischer Abstammung, beiderseits satz, fordert die Aufteilung von gesetzge-
der unteren Donau im 4. Jh. v. Chr. un- bender (Legislative), ausführender (Exe-
ter Einfluss bzw. Herrschaft der Skythen, kutive) und richterlicher Gewalt (Justiz)
dann der Sarmaten; als aggressive Grenz- auf voneinander unabhängige Träger, um
nachbarn der röm. Provinz Dacia von den Machtkonzentration in einer Hand zu ver-
Römern mit den sie ablösenden german. hindern. – In der Antike von Aristoteles
Goten verwechselt. und anderen gefordert, in der Neuzeit bes.
Getto, Ghetto (hebr., Absonderung), im von ↑ Locke und ↑ Montesquieu theore-
späten MA jedes von ↑ Juden bewohnte, tisch verfochten, im Verfassungsstaat des
streng abgesonderte Stadtviertel. – Juden­ 19. Jh. verwirklicht (wenn auch kaum in
viertel bereits in der Antike, z. B. im reiner Form); eines der Grundprinzipien
1. Jh. n. Chr. in Rom und Konstantinopel, der rechtsstaatlichen Demokratie.
entstanden aus dem Wunsch der sich ih- Gewerkschaften, Interessenverbände der
rer Sonderart bewussten Juden nach abge­ Arbeitnehmer, bes. zum Abschluss von
sonderten Wohnstätten, Judenviertel die­ Kollektivverträgen anstelle der individu-
ser Art noch im hohen MA als Schutz (vor ellen Arbeitsverträge über Lohnhöhe, Ar-
Verfolgungen) und (erkauftes) Privileg be- beitszeit, Urlaub- und Arbeitsbedingungen,
trachtet. Zwangsweise Einweisung („G.- Mitbestimmung u. a.; weitere Aufgaben:
zwang“) erstmals im 13. Jh. in Palermo, wirtsch. Unterstützung bei Streik, Krank-
1412 in Valladolid, 1516 erstmals Aus- heit, Arbeitslosigkeit, Invalidität, sonstigen
druck „G.“ in Venedig (bis dahin in Italien Notfällen, Rechtsberatung, Schulung, Fort­
„Juderia“), 1565 in Rom; 1434 G.-zwang bildung u. a., Vorläufer in den „Gesellen-
neben anderen Sondergesetzen gegen die laden“ oder „Gesellenbrüderschaften“ (ge-
Juden vom Konzil von Basel verfügt. Allge- gen die Meister; Kampf um den „blauen
mein durchgeführt (auch in Deutschland) Montag“; Gesellenversammlung jedoch
seit dem 16. Jh. (oft nur eine einzige Straße, legaler Teil der Zunftverfassung). Zusam-
„Judengassen“ mit bis zu 4 000 Bewoh- menschlüsse der Industriearbeiter infolge
nern), verbunden zeitweilig mit Kleider- des Koalitionsverbotes zunächst nur illegal,
kennzeichnungszwang („Schandmal“) und getarnt und im kleinen Umfang, offizielle
„Leibzoll“. Beseitigt durch Frz. Revolution G.-Organisationen erst nach Gewähr der
bzw. die Reformgesetzgebung Anfang des ↑ Koalitionsfreiheit, am frühesten in Eng-
19. Jh., wodurch die Juden staatsbürger- land (1824), dem klassischen Land des
liche Rechte erlangten. – Wiederaufleben G.wesens, wo sich seit den 30er Jahren des

344
Geyer

19. Jh. die Trade Unions entwickelten; zu- dem, ebenfalls als Freie G., der Allg. Freie
nächst als lokale Vereine gelernter Arbeiter, Angestelltenbund und der Allg. Dt. Beam-
dann als überörtliche Organisationen und tenbund nahe­standen. – Neben der Freien
ergänzt durch Organisationen ungelernter G.bewegung seit 1868 die linksliberalen
Arbeiter, bes. der radikaleren Dockarbei- Hirsch-Dunckerschen Gewerkvereine, die
ter und Seeleute; für Lohnstreitigkeiten den Ausgleich zw. Kapital und Arbeit er-
bestanden Einigungsämter; Kampfmittel strebten und eigentlichen G. nachgebildet
war der Streik; Versicherungen bestanden waren. 1894 Gründung der Christlichen
für Arbeitslosigkeit, Krankheit, Unfall, G. (nach dem 1. Weltkrieg zus. mit dem
Invalidität, Bestattung; eine feste Verbin- Gesamtverband Dt. Angestellten-G. den
dung bestand zur Arbeiterpartei (↑ Labour Dt. Gewerkschaftsbund bildend), sozialpo-
Party), die von den Trade Unions stark be- lit. Kampforganisationen mit polit. Stütze
einflusst wurde (die Trade Unions gehörten in der Zentrumspartei. Seit 1905 auch in
geschlossen der Labour Party an); 1871 Deutschland nach frz. Vorbild „gelbe G.“
gesetzliche Regelung des engl. G.wesens; (gelbe gegen rote Plakate), Schein-G., von
1900 2 Mio. Mitglieder. In Deutschland Unternehmern finanzierte „Werkvereine“,
nach erneutem Verbot aller Arbeiterverei- nach 1918 ohne Bedeutung, 1933 gewalt-
nigungen durch den Bundesrat (1854) in same Auflösung und Eingliederung der G.
den 60er Jahren erste Zusammenschlüsse in die „Deutsche Arbeitsfront“ (die auch
(Tabakarbeiterverein 1865, Verband deut- Unternehmer umfasste). 1947 Bildung
scher Buchdrucker 1866, der 1873 den des Gewerkschaftsrats der Bizone, später
ersten für das Reich verbindlichen Ta- der Trizone (brit., amerik., frz. Zone) als
rifvertrag abschloss), gefördert von den Stabilisierungsfaktor der rechtsstaatlichen
Arbeiterparteien (Lassalle, Bebel); diese Demokratie; 1949 nach Gründung der
Freien G. waren sozialistisch, klassenkämp- Bundesrepublik Gründung des überpar-
ferisch und fanden in den sozialdemokrat. teilichen, antikommunist. Dt. Gewerk-
Arbeiterparteien, später in der SPD, po- schaftsbundes (DGB) der Bundesrepublik
lit. Rückhalt, ohne mit ihr fest verbun- Deutschland in München (im neugegrün-
den zu sein; sie zählten bei ihrem Verbot deten Internationalen Bund Freier G.). Im
1878 (↑ Sozia­listengesetz) 29 Verbände, Zuge der übernationalen Zusammenarbeit
1300 Ortsvereine, 58 000 Mitglieder; seit in der EWG kam es 1973 zur Gründung
1880 Wiederaufleben zunächst als unpo- des ↑ Europ. Gewerkschaftsbundes. In den
lit. Fachvereine. 1890 nach Aufhebung sozialist. Staaten haben die G. als staatliche
des Sozialistengesetzes Gründung der Ge- Organe die Grundsätze und Maßnahmen
neralkommission der G.n Deutschlands des Staates durchzuführen.
zur einheitlichen Leitung der gesamten Gewürzinseln (Molukken), östlichste, ge-
Gewerkschaftsbewegung und zur Zen- würzreiche Inselgruppe von Indonesien
tralisierung möglicher Streiks. 1892 ers- (Pfeffer, Gewürznelken); im 15. Jh. islam.
ter dt. Gewerkschaftskongress in Halber- Sultanate, 1512 von den Portugiesen ent-
stadt; Gründung von Industrie-G. (Kartel- deckt, Ziel zahlreicher Entdeckungsfahrten
len) statt der Berufsverbände; Ausbau des (↑ Magellan u. a.); seit dem 17. Jh. hollän-
Unter­stützungswesens, Zusammenarbeit disch, heute Teil von ↑ Indonesien.
mit den Konsumvereinen, Schaffung einer Geyer, Florian, dt. Reichsritter und Bau-
um­fassenden Gewerkschaftspresse, starker ernführer; um 1490–1525; aus Giebel-
Einfluss auf die staatliche Sozialpolitik; stadt in Franken; war 1525 Anführer des
1914 bestanden 48 Verbände, 1919 Grün- „Schwarzen Haufens“ im ↑ Bauernkrieg.
dung des Allg. Dt. Gewerkschaftsbundes, G. über­ragte aufgrund militär. Schulung

345
Ghana

die übrigen Bauernführer; als Ritter bearg­ stadt Audghogast, später Ghana zwischen
wöhnt, konnte sich daher weder mit der Kumbi und Saleh, Residenz und Verkehrs-
Forderung nach Disziplin durchsetzen mittelpunkt zwischen Mittelmeer und den
noch den verhängnisvollen Sturmangriff zentralafrikanischen Ländern. Die Macht
auf die Feste Marienberg in Würzburg ver- des Reiches gründete sich auf den Han-
hindern; nach den Niederlagen der Bauern­ del mit Gold und Sklaven, die gegen das
haufen in Franken von seinem Schwager Salz von Cap Blanco, Perlen von Ceuta,
Wilhelm von Grumbach bei Rimpar er- Schmuck vom Mittelmeer getauscht wur-
schlagen. den. Um 1 000 mächtigster afrikan. Staat
Ghana, Republik in Westafrika, benannt mit großen Städten, prunkvoller Hofhal-
nach dem ehem. weiter nördlich gelegenen tung, bedeutender Lehmplastik und weit
Alt-Ghana (↑ Ghana-Reich), die ehemalige verbreiteter Keramik. 1076/77 erober­ten
brit. Kolonie ↑ Goldküste. 1957, um einen die berber. Almoraviden aus der westl. Sa-
Teil der ehemals dt. Kolonie Togo vergrö- hara, Beherrscher Marokkos, die Haupt-
ßert, als erste europ. Kolonie auf afrikan. stadt und führten den Islam ein; der
Boden selbständig; Vorkämpfer der Entko- Machtbereich des G.s dehnte sich fast bis
lonialisierung, des Staatssozialismus, Pana- zum Ozean aus; 1121 wurden die Almora-
frikanismus, erster Premierminister Kwame viden von den ebenfalls berber. Almohaden
Nkrumah; an der Küste westl. orientierte abgelöst. Um 1200 wurde das G. durch die
Fanti- und Ewe-Stämme, im Mittelgebiet südl. Nachbarn, die Sosso, vernichtet, die
die Aschanti, die von 1697–1901 eine ei- Bevölkerung wanderte zum Teil nach Sü-
gene Nation bildeten (↑ Aschanti-Reich) den. Kaufleute und Gelehrte emigrierten
und deren Häuptlinge zur staatl. Einord- nach Walata. – Bericht des arab. Geografen
nung gezwungen wurden; im Hinterland al-Bakri in seiner „Beschreibung Nord­
Schwarze unter islam. Emiren; 1960 lo- afrikas“ 1096.
ser Staatenbund mit Guinea und Mali, Ghibellinen (Deutung unbestimmt, ver-
im gleichen Jahr Verkündung der autori- mutet wird Ableitung aus dem arab. Wort
tären Präsidialrepublik, 1966 Sturz Nkru- für Hohenstaufen, fraglich die Herkunft
mahs durch Armeeputsch, prowestliche vom dt. Wort Waiblingen), im MA wäh-
Außen­politik, 1969–1972 zweite Repu- rend des Machtkampfes zw. Kaisertum und
blik, konnte wirtschaftlichen Niedergang Papsttum und zw. Staufen und Welfen An-
nicht verhindern. 1972 sowie 1979 und hänger der Stauferkaiser und deren zentra-
1981 erneute Machtübernahme durch das list. Machtstellung in Italien; ihre Gegner
Militär unter J. Rawlings. 1981 Verbot al- waren die ↑ Guelfen, die föderalist. Partei-
ler Parteien, 1983 Einleitung eines wirtsch. gänger der Päpste und der Städte Italiens.
Sanierungsprogrammes, z. T. erfolgreich, Im 14. Jh. auch auf Deutschland übertra-
z. B. durch die Senkung der Inflationsrate. gen (Streit Ludwigs des Bayern mit der
Zu Beginn der 1990er Jahre langsamer De- Kurie).
mokratisierungsprozess, 1992 neue Verfas- Gibraltar, im Altertum unter der Bez.
sung (nach dem Vorbild der USA). 1992 Calpe eine der „Säulen des Herkules“
Rawlings demokratisch zum Präsidenten (die andere ist Abyle bei Ceuta auf afrika­
gewählt, bei den Wahlen 2000 Ablösung nischem Boden), für das Ende der Welt
durch den bisherigen Oppositionsführer ge­halten. Der heutige Name geht zurück
J.  Kufuor. auf die Eroberung durch den arab. Feld-
Ghana-Reich, vermutl. um 300 n. Chr. herrn Tarik 710, nach dem die Halbinsel
durch die Fulbe zw. Niger und Senegal arabisch „Dschebel al Tarik“ (Gibr al Tar),
im W-Sudan gegründet, älteste Haupt- Berg des Tarik, genannt wurde. Nach der

346
Gilgamesch-Epos

Niederlage der Mauren 1462 Übergang in aber auch zum Ausbau der städt. Selbstver-
span. Besitz, 1704 von engl. Flotte besetzt waltung und Unabhängigkeit vom Stadt-
und von England zu einer der stärksten herrn benutzten; ihr Anteil am städt. Pa-
Festungen ausgebaut (beherrschte Zugang triziat und ihre Neigung zur Exklusivität
zum Mittelmeer und sicherte Seeweg nach (Er­höhung der Eintrittsgebühren, Gegen-
Ostindien nach Fertigstellung des Suez­ satz zw. Großhändlern und Kleinkaufleu-
kanals), vom span. Nationalismus zurück- ten) führten zu Auseinandersetzungen mit
gefordert („Pfahl im Fleische Spaniens“); den Zünften. Bei Ausgang des MA lösten
nach dem Verlust des Suezkanals und In- sich die meisten G.n auf, vermutlich auch,
diens und im Zeichen der Raketenwaffen weil ihre starren Vorschriften dem Handel
für England von geringer militär. Bedeu- zu enge Fesseln anlegten. – Eine der ältes-
tung. 1966 scheiterten Rückgabeverhand- ten und einflussreichsten G.n war die 1069
lungen, bei einem Referendum stimmten gegr. „Richerzeche“ in Köln, die um 1280
nur 0,3 % der Bevölkerung für den An- eine eigene G.-Halle in London besaß.
schluss an Spanien. Gildensozialismus, dem ↑ Syndikalismus
Gierek, Edward, poln. Politiker, 1913– verwandte sozialist. Strömung in England,
2001; 1949–51 und 1956–70 1. ­Sekretär entstanden vor dem 1. Weltkrieg, urspr. mit
der Vereinigten Poln. Arbeiterpartei, ab dem Ziel, den Gewerkschaften die Rolle zu-
1956 Sekretär und seit 1959 Mitglied des zuweisen, die im MA die Gilden (Zünfte)
Politbüros des ZK. Während der Unruhen spielten, dann mit dem Vorschlag, die Pro-
1970 als Nachfolger Gomulkas zum ersten duktionsmittel in Staatseigentum überzu-
ZK-Sekretär gewählt; Bemühungen um Sta- führen, ihre Verwaltung aber der Vereini-
bilisierung der binnen- und außenwirtsch. gung aller Kopf- und Handarbeiter jedes
Lage des Landes. 1981/82 interniert. Produktionszweiges (= Gilde) zu überlas-
Giers, Nikolai, russ. Politiker, 1820–1895; sen, d. h. eine industrielle Selbstverwaltung
seit 1882 Außenminister, schloss 1887 den zu schaffen. Der G. erreichte seinen Höhe-
↑ Rückversicherungsvertrag mit Deutsch- punkt nach dem 1. Weltkrieg, wurde aber
land, nach dessen ­ Nichterneuerung (trotz rasch bedeutungslos, als das Experiment
Entgegenkommens durch Russlands) 1892 einer großen Baugilde misslang.
russ. Militär-Konvention mit Frankreich. Gilgamesch-Epos, altsumer. Epos um
Gilde, kult. Ursprungs (sakraler Männer- den sagenhaften König G. von Uruk; ent-
bund mit Toten- und Rachekult); im MA standen in der schriftlosen Zeit des 4. Jt.,
der genossenschaftliche Zusammenschluss aufgezeichnet und im semit. Geist um-
von Kaufleuten einer Stadt zur Wahrung gedeutet unter der ersten babylon. Dy-
gemeinsamer Interessen (Transportsiche- nastie (nach 2 000 v. Chr.), überliefert in
rung und -bewältigung) und gegenseitigen einer bruchstückhaften Bearbeitung des
Unterstützung nach dem Grundsatz der 4./5. Jh. v. Chr. (aus der Bibliothek Assur-
„standesgemäßen Nahrung“. Die Gilden, banipals) und einigen Resten der sumer.
in manchen Städten Hansen genannt, ent- Fassung in Keilschrift; schildert in my-
standen seit dem 11. Jh., meist etwas frü- thologischer Ausdeutung die Wanderung
her als die (Handwerker-)Zünfte (für die und Läuterung des leidenschaftl. Lebens-
gelegentl. ebenfalls die Bezeichnung Gilde suchers G. zum Führer des Volkes und be-
gebraucht wurde). Durch Ausbildung eige- richtet vom Kampf der Könige von Ur und
nen Kaufmannsrechts und die Besetzung Kisch und einer großen Sintflut in Meso-
der Ratsherrenstühle mit ihren Angehö- potamien. Einflüsse auf die hethitischen,
rigen erlangten sie großen polit. Einfluss, phrygischen, phönikischen, kretischen und
den sie zur Sicherung ihrer Privilegien, griech. Göttermythen.

347
Girondisten

Girondisten (Name abgeleitet von Gi- Gladiatoren, Fechter, die in den Amphi-
ronde, frz. Dep.), in der ↑ Frz. Revolution theatern blutige Schaukämpfe mit verschie­
Partei der gemäßigten Republikaner, die denen Waffen ausführten; urspr. kultischer
eine liberale Föderativrepublik nach dem Brauch der Etrusker, erste G.-Spiele in
Vorbild der USA anstrebten, in der Gesetz- Rom 264 v. Chr. Die G. wurden aus der
gebenden Versammlung die Mehrheit be- Masse der Kriegsgefangenen oder den Rei-
saßen, aber als rechter Flügel im Konvent hen der Verbrecher ausgesucht, in späteren
1793 durch die Jakobiner gestürzt, verfolgt Zeiten verwendete man auch Sklaven, die
und großenteils hingerichtet wurden; sie in bes. G.-Schulen (bes. in Ravenna und
waren verantwortlich für die Kriegserklä- Capua) herangebildet wurden; meist war
rung an Österreich 1792. Führer: Brissot, der eine der Gegner mit Kurzschwert und
Vergniaud, das Ehepaar Roland u. a. Schild, der andere mit Netz und Dreizack
Giscard d’Estaing, Valery, frz. Politiker, ausgerüstet; wurde ein G. durch Verwun-
geb. 1926; 1962–1966 und 1969–1974 dung oder Ermattung kampfunfähig, ent-
Wirtschafts- und Finanzminister, 1974– schied das Publikum, ob er am Leben blei-
1981 Staatspräsident, 1989–1993 Abge- ben durfte oder ob der Gegner ihm den To-
ordneter des Europaparlaments. 2002/03 desstoß geben sollte. Verbot und Ende der
Vorsitzender des Europäischen Konvents Spiele im 4. Jh. n. Chr.
Zur Ausarbeitung des Entwurfs der europ. Gladstone, William Ewart, brit. Staats-
Verfassung. 2003 Aachener Karlspreis und mann, 1809–1898; Führer der Liberalen,
Aufnahme in die Académie française. 1868–1894 mehrmals Ministerpräsident,
Gisela, dt. Kaiserin, Tochter Herzog Her- bekämpfte als ↑ Disraelis großer Gegen-
manns II. von Schwaben, Gemahlin Kaiser spieler die imperialist. Tendenzen; doch
Konrads II., um 994–1043; vermochte für wurden unter ihm Ägypten und afrikan.
den ersten Aufstand (1025) ihres Sohnes, Gebiete besetzt; er vertrat einen entschie-
Herzogs ↑ Ernst von Schwaben, bei ihrem denen Pazifismus und den freiheitlichen
Gatten Verzeihung zu erbitten, wandte sich humanitären Gedanken in der Politik, för-
aber von Herzog Ernst ab, als dieser sich er- derte u. a. das irische Streben nach Selbst-
neut empörte; brachte Burgund ans Reich. verwaltung.
Giselbert, seit 915 Herzog von Lothrin- Gleichgewicht, politisches, die Ausge-
gen; 920 im Kampf mit dem westfränk. wogenheit im Kräftespiel der Staaten im
König Karl dem Einfältigen; anerkannte Gegensatz zur ↑ Hegemonie einer Macht;
923 die dt. Oberhoheit, 928 mit Ger- als außenpolit. Maxime bereits in der An-
berga, der Tochter Heinrichs I., vermählt, tike angewendet (z. B. in der Politik der
empörte sich 939 gemeinsam mit Ottos I. griech. Stadtstaaten); wurde vor allem in
Bruder Heinrich und Herzog Eberhard der Neuzeit mit dem Aufkommen einer
von Franken gegen den Kaiser, wurde bei Vielzahl souveräner, machtpolitisch riva-
Andernach (939) besiegt und ertrank bei lisierender Staaten bewusst und method.
der Flucht über den Rhein. ­verwirklicht, in klassischer Form ange-
Gislebert von Mons (auch Gillebert v. M.), wandt von den aufeinander eifersüchtigen
dt. Geschichtsschreiber, ca. 1150–1223/25; ital. Kleinstaaten der Renaissance. Seither
seit 1180 Notar des Grafen Balduin V. von beherrschte der G.gedanke innerhalb des
Hennegau; verhandelte 1189–91 mit den europäischen Staatensystems Diplomatie,
Kaisern über die Verteidigung der balduin. Bündnispolitik und Krieg­führung, geistes-
Güter in Flandern und Namur; schrieb das geschichtl. in Überein­stimmung mit der
„Chronicon Hanoniae“, Quelle für Verfas- Ausbildung des neuen Stils eines von relig.
sungsgeschichte des 12. Jh. Bindungen befreiten po­litischen Denkens

348
Gneisenau

(Staatsräson, Souveränität, Macht als rei- gemustert waren; letzte europ. Kulturstufe
ner Selbstzweck). Das Scheitern Karls V., des ↑ Neolithikums; in dieser Zeit Ausbeu-
Philipps II., Ludwigs XIV. und Napole- tung und Verarbeitung des Kupfers Spa­
ons, das sich ständig wandelnde System niens, Ungarns und Siebenbürgens (Vor-
der Ligen, Koalitionen und Allianzen, die stufe zur Bronzezeit).
scheinbar uneigennützige Hilfeleistung für Glorious Revolution in England 1688/89,
von einem Dritten bedrohte Staaten waren ↑ England und Wilhelm III. von England.
ebenso ein Ergebnis der G.idee wie die oft Glossatoren, akadem. Lehrer des ↑ „Cor-
komplizierten territorialen Bestimmungen pus iuris“ seit dem 12. Jh., benannt nach
der Friedensschlüsse (von Münster und ihrer Methodik, über unklare und zu erläu-
Osnabrück 1648, Utrecht 1715 und des ternde Stellen Eintragungen (Glossen, zw.
Wiener Kongresses 1815). England war den Zeilen oder am Rand) zu machen, die,
nach seiner Art jederzeit am europ. G. von Nachfolgern benutzt, mit der Zeit zu
(engl. „balance of power“) interessiert und um­fangreichen Kommentaren anwuchsen;
unterstützte aus seiner „splendid isolation“ Wegbereiter der gelehrten Jurisprudenz;
heraus seinen jeweiligen „Festlandsdegen“ der erste war Irnerius (gest. vor 1140);
gegen die jeweils stärkste Macht des Fest- die ihnen folgenden Postglossatoren stan-
lands; vor dem 1. Weltkrieg neigte es zum den unter dem Einfluss der Scholastik. Seit
frz.-russ. Bund aus Besorgnis vor einem dem 16. Jh. wieder streng philosoph.-kri-
dt.-österr.-ital. Übergewicht. Seit Ende tische Bearbeitung der Quellen.
des 2. Weltkriegs trat die Idee eines europ. Glücksburg, Stadt und Stammsitz des Her­
Gleichgewichts zurück gegenüber dem Du- zogshauses von Schleswig-Holstein-Sonder­
alismus USA–Sowjetunion und der Idee burg-G., das im Londoner Protokoll (1852)
des Gleichgewichts der Machtblöcke. als Thronfolger für Gesamt-Dänemark für
Gleichschaltung, von der nat.-soz. Propa- den Fall des Erlöschens des männl. Stam-
ganda geprägtes Wort zur Bez. der Ausrich- mes des regierenden Herrscherhauses be-
tung von Verbänden, Organisationen, Par- stimmt wurde und nach der Thronbestei-
teien und schließlich jedes einzelnen Bür- gung Christians IX. eine wichtige Rolle im
gers auf die Ziele der nat.-soz. Politik; ge- Krieg von 1864 spielte.
prägt 1933 von Reichsjustizmin. Gärtner Gneisenau, August Graf Neidhardt von,
für die Formulierung des Gesetzes zur G. preuß. Heerführer und Reformer, vielsei-
der Länder mit dem Reich. tig gebildet, 1760–1831; 1782 mit einem
Glevner (von frz. glaive = Gleve, einer vom Ansbacher Markgrafen an England
spieß­artigen, der Hellebarde ähnl. Waffe), verkauften Infanterieregiment nach Nord-
Bewaffnete zu Pferd, meist adliger Abstam- amerika, später im preußischen Heer, nach
mung, die sich im 12.–14. Jh. zum Schutz 1806 Führer der Kriegspartei gegen Na-
der Städte verdingten und Mitbegründer poleon I.; 1807 Verteidiger Kolbergs, da-
des mittelalterl. Stadtadels wurden. nach mit Scharnhorst Reorganisator der
Glockenbecherkultur, ab etwa 2 000 v. Chr. Armee („Freiheit im Rücken“, „Weg mit
von Mittelspanien sich schnell über N- dem Zopf“, Einheit von Staat, Volk und
Afrika, die Mittelmeerinseln bis Sizilien Armee); 1813 und 1815 Generalstabschef
und Sardinien, Frankreich, Belgien, Hol- Blüchers, beteiligt an den Siegen von Wa-
land, England, das Rhein- und Donauge- terloo und Leipzig; später im Sinne des Re-
biet bis Ungarn und Polen ausbreitende formers Stein Verfechter der Verfassungsi-
jungsteinzeitl. Kultur mit bezeichnenden, dee und Vermittler zw. Preußen und dem
um­gekehrt glockenförmigen Bechern aus neu gewonnenen Rheinland; starb an der
ro­tem Ton, die flächenförmig geprägt und Cholera.

349
Gneist

Gneist, Rudolf von, dt. Jurist und Staats- hilfe der Alemannen konnten die Vandalen
mann, 1816–1895; entwickelte die rechts- seinen Plan, den Rhein zu überschreiten,
wiss. Lehre von der Selbstverwaltung, seit ausführen und nach Spanien vordringen.
1869 führender Vertreter einer selbstän- Godolphin, Sidney, Earl of G., brit. Poli-
digen Verwaltungsgerichtsbarkeit; 1867– tiker, 1645–1712; als Lordschatzmeister
1884 Mitglied des Reichstages. (1702–1710) unter Königin Anna führen-
Gnesen, alte poln. Krönungsstadt (als sol- der Kopf der brit. Politik, ermöglichte die
che 1320 von Krakau abgelöst); nach 991 Beteiligung Englands am Span. Erbfolge-
Residenz der poln. Herzöge aus dem Haus krieg.
der Piasten, 1262 dt. Stadtrecht, 1793– Godomar, Könige des Reiches ↑ Burgund:
1807 und seit 1814 preußisch, 1919 pol- 1) G. I., um 406 n. Chr., der Held Gernot
nisch. Das Erzbistum G., gegr. um 1000 der Nibelungensage, teilte mit seinen Brü-
von Otto d. Gr. zu Ehren seines Freundes, dern Gundahar (Gunther) und Gislahar II.
des Preußenapostels und Märtyrers ↑ Adal­ (Giselher) das Reich. 2) G. II. (523–532);
bert von Prag, wurde Missionsstätte und Sohn des Königs Gundobad, letzter König
Ausgangspunkt für die Eigenentwicklung des alten Reiches Burgund, wurde 532 bei
der poln. Kirche (Lösung aus der Abhän- Autun von den Franken besiegt und seines
gigkeit von Magdeburg) und für die natio­ Reiches beraubt.
nalstaatl. Bewegung Polens; sein Sprengel Godoy, Manuel de, span. Politiker, 1767–
umfasste u. a. die Erzbistümer Breslau, 1851; betrieb seit 1792 als Minister eine
Krakau und später auch Posen (dadurch Politik des aufgeklärten Absolutismus, galt
Ausbreitung Magdeburgs nach Osten ver- nach Abschluss des Baseler Friedens (1795)
hindert); der Erzbischof war päpstl. Legat, zw. Spanien und Frankreich als „Friedens-
Primas der poln. Kirche und bis zu jeder fürst“ bereicherte sich skrupellos, 1808 im
neuen Königswahl Reichsverweser; 1821 Volksaufstand von Aranjuez gestürzt.
Erzbistum G. mit Posen (neuer Sitz des Godunow, Boris Fjodorowitsch, russ. Zar
Bischofs) vereinigt. 1837 in den ↑ Kölner (1598–1605); geb. 1551; Schwager des Za-
Kirchenstreit verwickelt. Geistesgeschicht- ren Fijodor, unter dem er großen Einfluss
lich war G. im 16./17. Jh. bedeutend als hatte (als Regent seit 1588, bewirkte 1589
Vermittler des Humanismus, der dt. Ge- die Erhebung Moskaus zum Patriarchat)
genreformation und als Sitz der Jesuiten. und dem er auf den Thron folgte, nachdem
Goa, Gebiet an der Westküste Vorderindi- er 1591 den Zarewitsch Dimitri (Deme-
ens; seit 1510 portug. Kolonie (Glanzzeit trius) hatte ermorden lassen. Trotz Tatkraft
der portug. Seemacht unter dem Vize­könig und Begabung bei den Bojaren als Empor-
Alfonso d’Albuquerque); 1961 von Indien kömmling verhasst.
besetzt. Godwin, Graf von Kent; hob 1042 Eduard
Gobineau, Arthur Graf von, frz. Diplomat, den Bekenner auf den Thron, wurde 1051
Orientalist und Schriftsteller, 1816–1882; verbannt, kehrte aber 1052 als Führer eines
begründete eine umstrittene Rassen­lehre, nationalen Aufstands der Angelsachsen zu-
wonach die Rassen auch geistig verschie- rück, starb 1053.
den seien; als die wertvollste Rasse bezeich- Goebbels, Joseph, dt. Politiker und Jour-
nete er die arische, insbes. die „german.“; nalist, 1897–1945; Sohn eines Werkmeis­
wirkte ein auf Nietzsche, Wagner, Cham- ters in Rheydt, seit 1922 in der nat.-soz.
berlain, den Nationalsozialismus. Bewegung; Schriftleiter der „Völk. Freiheit“
Godegisil, erster historisch bekannter Kö- in Düsseldorf, dann Sekretär Gregor Stras-
nig der ↑ Vandalen, brach 406 ins Franken- sers mit sozialrevolutionärer Zielsetzung
reich ein, wurde besiegt und fiel; erst mit- unter Anlehnung an die UdSSR; 1925,

350
Goldene Horde

„von Hitler maßlos enttäuscht“, mit Gre- densplan im Sinne einer europ. Völker-
gor und Otto Strasser Fronde gegen Hitler, gemeinschaft. G. war von der dt. Wider-
doch schon 1926 Abfall von den Brüdern standsbewegung als Reichskanzler auserse-
Strasser und von Hitler im Zuge der Partei- hen; nach dem fehlgeschlagenen Attentat
reform zum Gauleiter von Berlin ernannt, (20. Juli 1944) verhaftet und hingerichtet.
gründete hier den „Angriff“ (Herausgeber Golasecca-Kultur, vorröm. nordital. Kul-
bis 1933); 1933 im Reichstag und Reichs- turkreis der Bronzezeit, wie die gleichzei-
propagandaleiter; bedenkenlos, demagog. tige benachbarte ↑ Este- und die ↑ Villa-
Massenbeeinflussung, Meister des Schlag- nova-Kultur Ausläufer der ↑ Urnenfelder-
worts, radikaler Antisemit, nihilist. Athe- kultur; Ausbreitungsgebiet war die westl.
ist; seit 1933 „Reichsminister für Volks- Po-Ebene, bes. am Comer See, Lago Mag-
aufklärung und Propaganda“; als Präsident giore und in Ligurien; herbe Lebenswelt,
der Reichskulturkammer Beherrscher von die noch wenig erschlossen war; es bestand
Presse, Rundfunk, Film, Theater; Macht- Kulturgüteraustausch mit den Nachbar-
kämpfe gegen Himmler, Ribbentrop, Ro- kulturen und über die Alpen hinweg und
senberg, Bormann; im 2. Weltkrieg Leitar- durch das Inntal mit der Hallstatt-Kultur;
tikler im „Reich“; Propagandist des totalen der Raum der G.-K. wurde in der Folgezeit
Krieges; 1944 Generalbevollmächtigter für zum Teil von den Etruskern besiedelt.
den totalen Kriegseinsatz; 1945 von Hitler Goldene Bulle, Name mehrerer bedeu-
als sein Nachfolger im Reichskanzleramt tender Urkunden, benannt nach dem gol-
bestimmt; 1945 Selbstmord; ↑ Nationalso- denen Siegel der Kanzlei; insbes. das zum
zialismus, Drittes Reich. Zweck eines Ausgleichs mit den Kurfürsten
Goeben, August von, preußischer General, von Kaiser Karl IV. auf den Reichstagen in
1816–1880; nach Manteuffel Oberbefehls- Nürnberg und in Metz am 10. Jan. und
haber der 1. Armee im Krieg 1870/71, be- 25. Dez. 1356 erlassene Verfassungsge-
siegte die frz. Nordarmee unter Faidherbe setz des Hl. Röm. Reiches (Reichsgrund-
bei St. Quentin. gesetz); das Gesetz regelte die Königswahl
Goerdeler, Carl, Führer der dt. Wider- und den Wahlmodus und verwandelte das
standsbewegung gegen Hitler, 1884–1945; allg. Wahlrecht der dt. Fürsten in das allei-
Marineoffizier, dann Verwaltungsbeamter, nige Wahlrecht der 7 ↑ Kurfürsten (Wahl-
1920 Bürgermeister von Königsberg, 1930 ort Bartholomäuskirche in Frankfurt/
Oberbürgermeister von Leipzig, 1931 und Main, Krönungsort ↑ Aachener Münster);
1934 Reichskommissar für Preisüberwa- die Wahl erfolgte nach dem Mehrheits-
chung; von Hitler entlassen, 1937 im Ruhe­ prinzip (nicht mehr einstimmig, in offener
stand; Auslandsreisen, auf denen er harte Abstimmung); das Gesetz verbriefte auch
Politik gegen Hitler und die Bildung eines für wichtige Reichsentscheide den Kurfürs­
europ. Staatenbundes (England, Frank- ten ausschlaggebendes Zustimmungsrecht,
reich, Deutschland u. a.) forderte, verfasste sicherte ihnen den unteilbaren (bei weltl.
mehrere Denkschriften gegen den national­ auch den erbl.) Besitz ihrer Länder zu (der
soz. und bolschewist. Totalitarismus; berei­ nur beim Aussterben des Geschlechts an
tete seit 1943 die Aktion gegen Hitler vor. das Reich fallen sollte); außerdem enthielt
Ziel einer neuen Regierung: Volks- und die G. B. neue oder erneut genannte Be-
Ar­bei­terstaat auf demokrat. Grundlage stimmungen über Münzwesen, Landfrie-
mit Reichspräsident, ­Reichskanzler, freiem den (Sonderbundverbot) und Regalien.
Parlament, Liberalisierung der Wirt­schaft, Goldene Horde, urspr. das wohl nach
freier Entfaltung kirchlicher Kulturarbeit, dem goldenen Zelt des Khans benannte
Sühne für die Naziverbrechen. 1943 Frie- Heerlager des Dschutschi, des Sohnes des

351
Goldenes Buch

1227 verstorbenen Dschingis Khans; des- Goldmann, Nahum, jüd. Politiker, 1895–
sen Enkel Batu errichtete hier – als Inhaber 1982; Präsident des Jüd. Weltkongresses,
des westl. Teiles des ehemaligen mongol. maßgeblich an der Gründung des Staates
Großreiches – die Herrschaft der G. H. Israel beteiligt, 1956–1968 Präsident der
(Kiptschak), nachdem er die Wolga-Bul- Zionist. Weltorganisation.
garen vernichtet (1237), das obere Wol- Goldmark, Abk. GM, 1919–1923 wäh-
gagebiet besetzt, Kiew genommen hatte rend der Inflation nach dem 1. Weltkrieg
(1240), bis nach Ungarn und nach Schle- gültiges Zahlungsmittel, das der Vorkriegs-
sien (Schlacht bei Liegnitz 1241) vorge- mark entsprach; die 1924 eingeführte
stoßen war und schließlich Bulgarien und Reichsmark basierte auf der G.
Transkaukasien erobert hatte. Sarai an der Golfkrieg, Bez. für drei Kriege am Per-
unteren Wolga war Hauptstadt des Rei- sischen Golf, an denen der Irak beteiligt war.
ches, das sich bis 1480 (Ermordung des 1) Erster G., 1980–1988, militär. Konflikt
letzten Khans) halten konnte (↑ Russland). zw. Iran und Irak, Staaten mit hoher Erdöl-
Goldenes Buch, seit dem frühen 16. Jh. förderung am Pers. Golf; Hintergrund war
in der Republik Venedig Bez. für das Ver- der Streit um polit., wirtsch., religiöse und
zeichnis der 1200 (später 1600) Patrizier- kulturelle Hegemonie in der Region zw.
familien, deren Mitglieder seit 1297 den Schiiten (Bevölkerungsmehrheit im Iran)
Großen Rat der Stadt bildeten; wurde und Sunniten (Bevölkerungsmehrheit im
1797 beim Untergang der Republik ver- Irak), verschiedenen Glaubensrichtungen
brannt. des Islam; vordergründig ging es im G. um
Goldenes Vlies, in der antiken Mythologie den Grenzverlauf im Mündungsbereich
goldenes Widderfell (Goldwäscherfell), das des Schatt el-Arab; verschärft wurde der G.
Jason auf der Argonautenfahrt mithilfe der durch die Gegnerschaft zw. dem religiösen
einheimischen Königstochter Medea aus Fundamentalisten und iranischen Revolu-
dem Drachenhain von Kolchis entführte tionsführer Ajatollah Ruhollah ↑ Khom-
und nach Griechenland brachte. – Der Or- eini und dem Sozialisten (Baath-Partei)
den vom G. V. wurde 1429 von Philipp, und irak. Staatspräsidenten Saddam Hus-
Herzog von Burgund, gestiftet; übernom- sein. Der 1. G. hat nach Schätzungen al-
men von den Habsburgern als höchster lein für den Zeitraum 1982–1986 600 000
Verdienstorden und in Österreich bis 1918 Tote gefordert (insges. nahezu 800 000
verliehen. Tote, kostete die Krieg führenden Staaten
Goldküste, westafrikan. Küstengebiet am ca. 900 Mrd. Dollar und endete in Bezug
Golf von Guinea; 1470/71 von Portugiesen auf Geländegewinne nahezu ergebnislos.
entdeckt (Handelsstützpunkt), seit 1637 2) Zweiter G., multinat. Militäraktion un-
von den Holländern verdrängt, die ihrer- ter US-Kommando und mit Zustimmung
seits 1667 (Friede von Breda) den Englän- der UN zur Befreiung Kuwaits von ira-
dern weichen mussten. 1850 Proklama- kischer Besetzung (1991). Hintergründe
tion der britischen Kolonie G., die nieder- waren histor. begründete Gebietsansprü-
länd. Siedlungen wurden 1872 durch Kauf che Iraks und der Vorwurf der illegalen ku-
übernommen. Brit. Feldzüge gegen die wait. Ölförderung. Ausschlaggebend dürfte
↑ Aschanti 1873/74 und 1894. 1954 Au- der strategisch wichtige Zugang zum Pers.
tonomie mit einheimischen Ministerien, Golf gewesen sein. Im Jan. 1991 begannen
1957 aufgegangen in ↑ Ghana. – Branden- die Verbündeten mit massiven Luftschlä-
burg. Niederlassungen (1683–1720) des gen, denen der Irak nichts entgegensetzen
Großen Kurfürsten (↑ Groß-Friedrichs- konnte; im Februar begann der Vormarsch
burg u. a.), 1717 an Holland verkauft. gegen Kuwait, der bereits nach wenigen

352
Gorbatschow

Tagen erfolgreich beendet wurde mit der Sinne des ungarischen Revisionismus und
Befreiung Kuwaits. Der 2. G. kostete etwa näherte sich zu diesem Ziel bes. Italien,
100 000 irakische Soldaten und etwa 130 Deutschland und Bulgarien an.
alliierte Soldaten das Leben, viele Ölquel- Gomulka, Wladyslaw, polnischer Politiker,
len wurden in Brand gesetzt und es kam zur 1905–1982; 1956 1. Sekretär des ZK und
Meeresverschmutzung. 3) Dritter G., von Mitglied des Politbüros. Unter G. Aufhe-
den USA und ihren Allierten ausgehende bung der Zwangskollektivierung der Land-
Militäraktion gegen den Irak (20 März bis wirtschaft und Zugeständnisse an die kath.
2. Mai 2003). Begründung der US-Regie- Kirche. 1970 musste G. wegen Unruhen
rung vom Irak ausgehende militär. Gefahr, über Mängel auf dem privaten Versor-
jedoch kein UN-Mandat. Nach raschem gungssektor zurücktreten.
militär. Vormarsch auf Bagdad und Erklä­ Gonfaloniere (ital., Bannerträger), im MA
rung der Beendigung des Krieges weiter- vom Papst verliehener Titel für Schützer
hin anhaltende Angrifee auf die im Irak der Kirche, z. B. die Normannenfürsten
ver­bleibenden Besatzungstruppen. Zudem und die Anjou von Neapel. – Im 13. und
wurde den Regierungen der Vereinigten 14. Jh. auch Titel eines von der Bürger-
Staaten und Großbritanniens der Vorwurf schaft der ital. Stadtrepubliken gewählten
gemacht, Belege für die militär. Aktivitäten obersten Beamten.
des Irak manipuliert zu haben. Gonzaga, ital. Fürstengeschlecht, 1328–
Golizyn, russ. Fürstengeschlecht; bedeu- 1708 Herzöge von Mantua und Guastalla
tend: 1) G., Wassili, 1643–1714; Günst- (nach dem Mantuan. Erbfolgekrieg 1628–
ling und Berater der Zarin Sophia (der 1631 frz. Nebenlinie G.-Nevers).
Schwester Peters d. Gr.), förderte Kunst Gonzáles Marquez, Felipe, span. Politi-
und Wissenschaft; wegen seiner Absicht, ker, geb. 1942; seit 1974 1. Sekretär und
Sophia zu heiraten und mit ihr den Thron seit 1976 Generalsekretär des Partido So-
zu teilen, 1689 nach Sibirien verbannt. cialista Obrero Espanol (PSOE), nach dem
2) G., Michail, 1674–1730, Feldmar- Gewinn der absoluten Mehrheit des PSOE
schall, siegte bei Poltawa, eroberte 1714 bei den Parlamentswahlen 1982 zum
Finnland, danach Gouverneur. span. Ministerpräsidenten gewählt, unter-
Golownin, Wassili Michailowitsch, russ. lag 1996 nach vorgezogenen Parlaments-
Seefahrer, 1776–1831; umsegelte zweimal wahlen seinem konservativen Gegner José
die Welt. María Aznar (PP).
Goltz, 1) G.-Pascha, Colmar Freiherr von Gorbatschow, Michail Sergejewitsch,
der, preußischer Generalfeldmarschall und sowjet. Politiker, geb. 1931; seit 1985 Ge-
türkischer Marschall, 1843–1916; reor- neralsekretär der KPdSU, seit Okt. 1988
ganisierte 1883–1895 und 1909/10 das Vorsitzender des Obersten Sowjets (Staats-
türk. Heerwesen; 1914 Generalgouverneur oberhaupt), in diesem Amt nach einer Ver-
von Belgien; 1915–1916 Führer einer tür- fassungsreform (Dez. 1988) im Mai 1989
kischen Armee am Bosporus und in Me- vom Kongress der Volksdeputierten ge-
sopotamien. 2) G., Rüdiger Graf von der, wählt. G. studierte Rechts- und Agrarwis-
deutscher General, 1865–1946; kämpfte senschaften, seit 1952 KPdSU-Mitglied,
1918/19 in Finnland und im Baltikum ge- 1970 in den Obersten Sowjet gewählt,
gen die Bolschewisten. 1971 Vollmitglied im Zentralkomitee der
Gömbös von Jákfa, Gyula, ungar. Poli- KPdSU, 1980 Mitglied des Politbüros und
tiker, 1896–1936; Nationalist und Anti­ 1985 als Nachfolger Konstantin Tscher-
semit, 1932–1936 Ministerpräsident, nenkos zum Generalsekretär der Partei ge-
entfaltete rege außenpolit. Tätigkeit im wählt. G. initiierte eine Reform der KPdSU

353
Gordian(us)

und der sowjet. Gesellschaft; er begrün- 2) G. III. (238–244); Enkel von 1), vom
dete die Politik der Glasnost (Offenheit Senat zum Cäsar ernannt, kämpfte gegen
und Transparenz) in den Medien und po- Goten und Perser, ermordet.
lit. Strukturen und setzte die ↑ Perestroika Gordon, 1) G., Charles George, brit. Ge-
(Umgestaltung) der unter seinen Vorgän- neral, 1833–1885; warf 1860 den Taiping-
gern stagnierenden Volkswirtschaft durch. aufstand in ↑ China nieder, kämpfte in
Die Reform des polit. Systems der UdSSR ägypt. Diensten im Sudan und wurde des-
unter G. umfasste die Wirtschaftsreform, sen Generalgouverneur (1877–79); 1884
die Verfassungsreform, die Reform der po- von England zur Niederwerfung der Mah-
lit. Institutionen und Verwaltungen, des disten in den Sudan entsandt; er fiel, von
Rechtssystems und der Rechtsprechung, der brit. Regierung zu spät unterstützt, bei
die Einführung von Gewissens- und Presse­ der Verteidigung von Khartum, das von
freiheit, größere polit. und wirtsch. Unab- den Aufständischen genommen wurde.
hängigkeit der Republiken, Regionen und 2) G., Patrick, russ. General, 1635–1699;
Betriebe. Eine Garantie für den Erfolg sei- aus schott. Grafengeschlecht, militär. Bera-
ner Politik der Perestroika sah G. in der ter Peters d. Gr., für den er 1696 Asow den
Demokratisierung von Staat, Wirtschaft Türken wegnahm und 1698 den Aufstand
und Gesellschaft. G. unterstützte die Of- der Strelitzen niederwarf.
fenlegung stalinistischer Verbrechen und Görgey, Arthur von, ungarischer Gene-
die Rehabilitierung ihrer Opfer. Im Be- ral, 1818–1916; kämpfte 1848/49 für die
reich der internat. Politik sind durch G. Selbständigkeit Ungarns gegen Österreich
eine Reihe friedenspolit. Initiativen und (Eroberung Ofens im Mai 1848), 1849
Vorleistungen auf dem Gebiet der Abrüs­ Oberbefehlshaber, kapitulierte bei Világos
tung initiiert worden; die sowjet. Truppen vor den Russen (absichtl. nicht vor den Ös-
wurden aus Afghanistan zurückgezogen, terreichern), von der revolutionären unga-
sowjet. Mittelstreckenraketen einseitig ab- rischen Regierung, deren Befehle er nicht
gebaut und verschrottet; G. unterzeichnete ausgeführt hatte, zu Unrecht des Verrats
am 8. Dez. 1987 mit US-Präsident Ronald beschuldigt.
Reagan den INF-Vertrag über die Abschaf- Gorgias von Leontinoi, griechischer So-
fung nuklearer Mittelstreckenraketen. Die phist und Lehrer der Redekunst, um 485–
Politik von G. strahlte auf alle sozialist. 375 v. Chr., brachte die auf Effekt angelegte
Staaten aus, war begleitet und gefährdet Rhetorik von Sizilien nach Griechenland,
durch konservativen Widerstand gegen stellte die Lehre auf, dass letzten Endes
die Demokratisierung, durch das Aufbre- nichts existiere, und lieferte damit die phi-
chen tiefer sozialer Konflikte und Versor- losophische Grundlage zu sittlicher Zü-
gungsmängel und einer Reihe nationaler gellosigkeit; von Sokrates im Dialog „G.“
Konflikte. 1990 wurde er zum Staatsprä- scharf bekämpft.
sidenten der UdSSR gewählt und erhielt Göring, Hermann, dt. Politiker (NSDAP)
im gleichen Jahr den Friedensnobelpreis. und Reichsmarschall, 1893–1946; im
Im Dez. 1991 Rücktritt und Auflösung der 1. Weltkrieg Jagdgeschwaderkommandeur,
UdSSR, 1996 erfolglose Kandidatur für 1919–1921 in Schweden; 1922 Eintritt in
das Amt des russ. Staatspräsidenten. die NSDAP, Chef der radikalen NS-Sturm-
Gordian(us), römischer Kaiser: 1) G. I., abteilungen (SA); 1923 beim November-
238 n. Chr. als 80-jähriger Senator von den putsch Hitlers verwundet, Haftbefehl und
Legionen in Afrika zum Kaiser proklamiert; Flucht ins Ausland (Italien, dann Schwe-
da sein Sohn und Mitregent G. II. bald da- den); 1927 amnestiert; 1928 im Reichs-
nach im Kampf fiel, beging er Selbstmord. tag, 1930 Beauftragter Hitlers für Berlin,

354
Goslar

1932–1945 Reichstagspräsident, nach der innere Freiheit Deutschlands ein, wurde


„Machtübernahme“ im 1. Kabinett Hitlers von der preuß. Reaktion verfolgt, 1827 als
Minister ohne Geschäftsbereich, preuß. In- Prof. für Geschichte nach München beru-
nenminister und Chef der preuß. Polizei, fen und trat als Wortführer eines neuen
Gründung der Gestapo in Preußen; Polizei­ polit. Katholizismus (in spätromant. Geist)
terror durch die von ihm organisierte bes. im ↑ Kölner Kirchenstreit 1837–39
„Hilfspolizei“ der SA; Duldung der ers- hervor. Nach G. benannt die 1876 gegr.
ten terroristischen SA-Konzentrationslager Görres-Gesellschaft zur Förderung der
in Preußen; Amtsenthebung missliebiger Wissenschaft.
Beamter, 1933–1945 Reichsminister für Gort, John, brit. Feldmarschall, 1886–
Luftfahrt und Oberbefehlshaber der Luft- 1946; Generalstabschef, 1939/40 Komman­
waffe; Reichsforst- und Reichsjägermeister dierender der britischen Streitkräfte auf
(1934–1945); Inszenierung des Reichstags- dem Festland bis zu ihrer Einschiffung in
brands 1933 ist umstritten. 1934 beteiligt Dünkirchen.
an Junimorden (Röhm, Schleicher u. a.); Gortschakow, Alexander Michailowitsch,
seit 1935 Ausbau der Luftwaffe und der Rüs­ Fürst, russ. Staatsmann, 1798–1883; seit
tungswirtschaft (als Beauftragter für den 1856 Außenminister, seit 1862 auch russ.
Vierjahresplan 1936: „Politik diktiert die Reichskanzler. Gegner Österreichs und di-
Wirtschaft“); 1937 als Nachfolger Schachts plomat. Rivale Bismarcks; aktivierte die
vorübergehend Reichswirtschaftsminister russ. Außenpolitik (1871 Annullierung des
(abgelöst durch Funk). 1939 vor Kriegs- Pariser Friedens von 1856; 1875 Friedens-
ausbruch verspätete Vermittlungsgespräche stifterrolle zw. Deutschland und Frank-
über schwed. Instanzen mit England. Nach reich; 1877 Krieg gegen die Türkei); die
Kriegsausbruch Vorsitzender des Minister- Niederlage auf dem ↑ Berliner Kongress
rates für die Reichsverteidigung und von 1878 bewog ihn zu der für Deutschland
Hitler zum Nachfolger bestimmt. 1940 verhängnisvollen Bündnispolitik Russ-
Reichsmarschall und Leiter der Kriegswirt- land-Frankreich.
schaft. Völliger Fehlschlag seiner Luftkrieg- Görtz, Georg Heinrich Freiherr von,
führung führte zum Schwinden seines An- schwedischer Staatsmann, 1668–1719; aus
sehens, Himmler im Vordergrund; 1945 fränk. Rittergeschlecht, urspr. holsteinisch-
Versuch, in Süddeutschland an Hitlers gottorp. Geheimrat, seit 1715 Außenminis­
Stel­le zu treten und Fühlungnahme mit ter Karls XII., nach dessen Tod wegen an-
den Westmächten, von Hitler aller Ämter geblichen Verrats hingerichtet.
enthoben und aus der Partei ausgestoßen. Görz, ehem. Grafschaft (zusammen mit
In Nürnberg zum Tode verurteilt, vor der Gradisca) zwischen Friaul und Krain,
Hinrichtung Selbstmord. 1500–1918 habsburgisch; Stadt G. in den
Görres, Joseph von, dt. Gelehrter und Pu- Isonzoschlachten 1916/17 heiß umkämpft;
blizist, 1776–1848; urspr. Anhänger der 1919 zu Italien; 1947 das Gebiet von G.
Frz. Revolution, dann in seinem „Rheini­ zw. Italien und Jugoslawien aufgeteilt.
schen Merkur“ (1814/16) – Napoleon be- Gorze, ehem. Benediktinerabtei bei Metz;
zeichnete den „Merkur“, dann die Presse gegr. 749 von Chrodegang von Metz; von
überhaupt, als die „fünfte Großmacht“ hier ging im 10. Jh. die Gorzer Reform aus,
– einflussreichster geistiger Gegner Napo­ Vorbild für die cluniazens. Reform.
leons und Begründer einer kämpferischen, Goslar, ehemalige Reichsstadt am Nord-
sprachgewaltigen politischen Journalistik. hang des Harzes, urspr. Königshof, unter
Er schloss sich den Romantikern in Heidel- den Ottonen Kaiserpfalz; erlangte Bedeu-
berg (Brentano, Arnim) an, setzte sich für tung durch den von Otto I. geförderten

355
Goten

Silberbergbau am Rammelsberg; unter einheit durch Lex Visigothorum), erlag


Heinrich III. Errichtung des Domes und aber, durch innere Kämpfe geschwächt,
um 1050 der Kaiserpfalz mit dem sog. unter König Roderich 711 dem Ansturm
„Kaiserhaus“ (1880 restauriert); um 1073 der Araber. – Die Ostgoten (eigentlich Os-
Reichsvogtei, Geburtsstadt Heinrichs IV., trogoten; austra = glänzend) zogen nach
1076 Übermittlung der Androhung des dem Zusammenbruch ihres Reiches (S-
Bannes an Heinrich IV. durch päpstliche Russland bis zum Don) zunächst mit den
Gesandte; 1136–1184 Bau des Rathauses Hunnen, nahmen 451 an der Schlacht auf
und 1180 Einweihung der Frankenberger den ↑ Katalaun. Feldern teil, machten sich
Kirche (Pfeilerbasilika); 1206 Eroberung nach Attilas Tod selbständig, führten von
und Plünderung der Stadt durch die Wel- Pannonien aus Kriege gegen Byzanz, ließen
fen; Ende 13. Jh. Mitglied der Hanse; 1802 sich 488 nach Westrom (Odoaker) ablen-
Verlust der Reichsunmittelbarkeit, 1816 an ken und machten sich unter Theoderich
Hannover, 1866 an Preußen. 493 zu Herren Italiens. Die etwa 25 000
Goten, größtes ostgerman. Volk; Urhei- Ostgoten beanspruchten ein Drittel des
mat vermutlich in S-Schweden, Mitte des Landbesitzes. Ihre ­Sprache, Lebensart und
2. Jh. an der unteren Weichsel sesshaft, zo- ihr arian. Christentum trennten sie von der
gen nach Südrussland, stießen 267 erst- röm. Millionenbevölkerung. Ihr Reich, ge-
mals über die Donau vor und verwüsteten kennzeichnet durch Aufgabenteilung zwi-
den Balkan und Teile Kleinasiens, 269 bei schen Germanen und Römern (Kriegswe-
­Nisch geschlagen, schieden sich um ­ diese sen – zivile Verwaltung) sowie bewusste Er-
Zeit in O- und W-Goten (Grenze ­Dnjestr): haltung der röm. Kultur, wurde 535–555
Seither siedelten die Westgoten („Wisigo- von Justinians Feldherren Belisar und Nar-
ten“ = die wackeren G.) als ↑ Föderaten in ses vernichtet; der Rest der Ostgoten un-
der von den Römern aufgegebenen Pro- ter König Teja erhielt nach dem Verzweif-
vinz Dacia, griffen mehrfach in innerröm. lungskampf am Mons Lactarius bei Neapel
Kämpfe ein; seit Mitte des 4. Jh. wurden freien Abzug nach Norden.
sie für das (arian.) Christentum gewonnen Gotik, Stilepoche des MA in allen Kunst-
(↑ Wulfila). Vor dem Einfall der Hunnen, gattungen, ursprünglich abfällige Be-
denen 375 das Reich der Ost-G. unter Er- zeichnung („barbarisch“) der Italiener, in
manarich unterlag, wichen sie (mit dem diesem Sinne noch im 18. Jh. bis zur Ro-
christl. Volksteil) auf röm. Reichsboden aus, mantik lebendig; erste große, das Abend-
schlugen 378 Kaiser Valens bei Adrianopel, land umfassende Eigenschöpfung der
ließen sich 382 als Föderaten von Theodo- nord. Kunst; kulturelle Grundlagen: Scho-
sius Mösien als Wohnsitz zuweisen; fielen lastik und Mys­tik, Geist der Kreuzzüge,
nach Stilichos Tod (408) unter Alarich in Selbstbewusstsein des Bürgertums; vor-
Italien ein (410 Plünderung Roms), zogen nehmlich kirchliche Kunst (höchster Aus-
412 unter Athaulf nach SW-Gallien und druck in den Kathedralen), auch Stil pro-
gründeten 418 das Tolosan. Reich (Haupt- fanen Schaffens (Bürgerhäuser, Rathäu-
stadt Toulouse), das sich unter Eurich seit ser, Burgen, Paläste, Möbelstil); Ausdruck
etwa 470 über die Pyrenäen ausweitete, grübler.-myst. Menschentums in kühn
doch 507 auf gall. Boden von Chlodwig aufstrebenden Formen, unübersehbares In-
vernichtet wurde; der Hauptteil der West- einander von Steinwerk in Pfeilern, Krab-
G. zog darauf nach Spanien (nunmehr To- ben, Statuen, Wimpergen, Wasserspeiern,
ledan. Reich mit Hauptstadt Toledo), trat Kreuzblumen, von Maßwerk umrankten
586 zum Katholizismus über, verschmolz Rosetten, durchbrochenen Turmhelmen;
mit der ibero-röm. Bevölkerung (Rechts- Aufhebung der erdgebundenen Schwere

356
Gottes Gnaden

durch ­schmal emporstrebende, in sich ge- zu Deutschland: gotländ. Kaufleute im


schlossene Raumfluchten, hohe Spitzbogen Reich unter königlichem Schutz, auf G.
mit stabartiger Gliederung. Ausstrahlung deutsche Kaufmannsniederlassung, geför-
myst. Helldunkels durch Glasmalereien dert durch Heinrich d. Löwen, von Bedeu-
in hochragenden Spitzbogenfenstern und tung für die dt. Ostkolonisation; anstelle
Rosetten. Inbegriff hingebender Fröm- von ↑ Haithabu (Schleswig) wurde Wisby
migkeit und Versenkung in Gott (Meister Umschlagplatz für den Handel nach dem
Eckart: „Abgeschiedenheit“), Synthese von Osten bis nach Riga, Nowgorod usw.; die
Architektur und Bauplastik; Plastiken von „Mercatores Romani imperii“ (Kaufleute
tiefer Ausdruckskraft und überhöhter Ver- des Röm. Reiches) zusammengeschlossen
klärung der Körperlichkeit; Ablösung der in dem vorhansischen Bund „Geeinte Got-
Freskenmalerei durch mehrteilige Altarta- landfahrer“; seit der 1. Hälfte des 13. Jh.
felbilder mit zarten, verklärten Gestalten wurde Gotland in der Führung abgelöst
auf Goldgrund. – Vorstufen in Kirchen- durch das aufblühende Lübeck; im 14. Jh.
bauten der Normandie und Burgunds; von Schweden und Dänen umkämpfte In-
erste Ausbildung um 1150 in N-Frank- sel, auch von den Vitalienbrüdern heim-
reich, im 13. Jh. mit Sonderformen über gesucht; 1398–1407 in der Hand des
den größten Teil Europas verbreitet; seit Dt. Ordens; 1407–1645 dänisch, seither
dem 15. Jh. zuerst in Italien (dort ohnehin schwedisch.
schwächer entwickelt) von der Renaissance Gottesfreunde („amici Dei“ – „Gott lie-
abgelöst. In Deutschland liefen Spätgotik bende Seelen“), im 14./15. Jh. relig. Bru-
und Renaissance z. T. nebeneinander bis derschaft, bes. am Rhein (Basel, Straßburg,
zum Übergang in das Barock; Ausläufer bis Köln usw.); Mönche, Nonnen, Laien, auch
ins 17. und l8. Jh.; historisierende Nach- Adelige, Anhänger der Mystik (u. a. Tauler,
formung im 19. Jh. (Neugotik, „Schreiner- Seuse).
gotik“). Erkenntnis ihres künstler. Wesens Gottesfriede (lat. treuga dei), im MA Aus-
und Würdigung erst durch die Romantik setzung der Fehden an „gebundenen“ Ta-
(Tieck-Wackenroder). Bedeutende Bau- gen, ein von der Kirche erlassenes Gebot,
denkmäler in Deutschland: Kölner Dom, vorgeschlagen für die Leidenstage Christi
begonnen 1248, seinesgleichen überragend (Mittwoch abend bis Montag früh), für
durch die mächtige Entfaltung des Strebe- Feiertage, Advents- und Fastenzeit; seit
werkes; Freiburger Münster, Einturmfas- dem 11. Jh. in S-Frankreich und Burgund
sade, 13. Jh. (schönster Turm der dt. Go- von den Cluniazensern gefordert; seit 1082
tik, Vorbild für alle späteren Turmhelme); auch in Deutschland, im 12. Jh. als ver-
Straßburger Münster, Sinnbild mittelalterl. bindlich für das christliche Abendland er-
Städtemacht. klärt, doch nur selten eingehalten.
Gotische Sprache, überliefert im ältesten Gottes Gnaden, (lat. Dei gratia, von
german. Sprachdenkmal, der Bibelüberset- G. G.), urspr. Demutsformel im Titel der
zung des ↑ Wulfila, 4. Jh. n. Chr. (Codex Bischöfe, seit den Karolingern Zusatz zum
argenteus in Uppsala); konnte sich auf der Herrschertitel, anfangs Ausdruck der sa-
Krim bis ins 16. Jh. halten (Krimgotisch). kralen, priesterlichen Herrscherwürde und
Gotland, schwed. Insel in der Ostsee; als der Frömmigkeit; Gottesgnadentum im
einer der Auswanderungsplätze der Goten MA: Der König ist Mittler zu Gott, Bürge
nach diesen benannt; Hauptstadt Wisby; für Wohlfahrt und Frieden; patrimoniales
in der Vor- und Frühzeit Mittelpunkt der Verhältnis zum Volk, dem seinerseits das
Ostseeschifffahrt und des Handels; seit Widerstandsrecht zustand; im Zeitalter des
dem 12. Jh. engere Handelsbeziehungen Absolutismus Ausdruck der Souveränität

357
Gottesurteil

des von Gott eingesetzten Monarchen ge- Paris durch eine Schauspielerin dargestellt;
genüber der Volkssouveränität. Nach Auf- mit dem Sturz der Jakobinerherrschaft ab-
fassung der ↑ Legitimisten war das Gottes- geschafft.
gnadentum die unabdingbare Grundlage Göttinger Sieben, die Professoren Al-
der Monarchie. brecht, Dahlmann, Ewald, Gervinus, Ja-
Gottesurteil, Gottesgericht (mittellat. Or- kob und Wilhelm Grimm und Wilhelm
dale); im Gerichtswesen des MA Beweis- Weber, die an der Universität Göttingen
mittel, angewendet, wenn der Eid des Be- liberal-konstitutionelle Anschauungen ver-
klagten und die Eidhelfer versagt hatten; traten, 1837 beim Verfassungsbruch des
das G. sollte über Schuld- oder Freispruch neuen Königs von Hannover, ↑ Ernst Au-
entscheiden, im Glauben an ein unmittel- gust, sich auf ihren Beamteneid beriefen,
bares Eingreifen Gottes in das Gerichts- protestierten und daher entlassen wurden.
verfahren; neben der Entscheidung durch Gottorp, Schloss bei Schleswig, Ende
Zweikampf (urspr. Fehde) oder Los gab es 12. Jh. Residenz der Bischöfe von Schles-
die Feuerprobe, die Wasserprobe, die Probe wig, ab 1268 Herzogsresidenz; seit 1544
des geweihten Bissens (Brot oder Käse, die Sitz einer Nebenlinie des dän. Königs-
dem Schuldigen im Halse stecken bleiben hauses Holstein-G.; diese „Gottorpsche
sollten), die Abendmahlsprobe, das Kreu- Linie“ seit 1698 mit den schwed. Wasas
zurteil (Kläger und Beklagter standen an verschwägert und 1751–1818 auf dem
einem Kreuz; wer zuerst die ausgebreiteten schwed. Thron. Durch Heiratsverbindung
Arme sinken ließ, versetzte sich ins Un- mit den Romanows seit Peter III., dem En-
recht); das Bahrgericht, wonach die Wun- kel Peters d. Gr., 1762 bis zum Sturz des
den des Ermordeten bei Annäherung des Zarismus 1917 auch auf dem russ. Thron.
Mörders erneut bluten (d. h. der Dämon – 1731–1846 war G. der Sitz des dän.
des Toten überführt den Mörder). Statthalters in Schleswig-Holstein.
Gottfried von Bouillon, Herzog von Nie- Gottschalk (von Orbais), Benediktiner,
derlothringen, um 1060–1100; für die Un- um 805–868; in früher Jugend dem Klos-
terstützung Heinrichs IV. (gegen Rudolf ter Fulda übergebener Sachse (Grafen-
von Schwaben) 1088 mit dem Herzogtum sohn), vertrat die Lehre von der Vorherbe-
belehnt; zeichnete sich auf dem 1. Kreuz- stimmung des Menschen und die augustin.
zug aus, wurde 1099 zum König von Jeru­ Gnadenlehre; wurde 829 auf der Synode
salem gewählt, nahm aber nur den Titel zu Mainz vom Gelübde entbunden, aber
„Beschützer des Hl. Grabes“ an. auf Veranlassung von Hrabanus Maurus
Gottfried von Viterbo, dt. Geschichts- gezwungen, in Orbais einzutreten; 848 als
schreiber, 1125–1191, Kaplan und Notar Ketzer verurteilt, starb im Kerker.
unter Konrad III. und Friedrich I., zeitwei­se GPU, Abk. für Gossudarstwennoje Poli-
auch Diplomat; sein ­Geschichtswerk ist von tischeskoje Uprawlenije („staatliche polit.
Bedeutung für die Geschichtsschreibung Verwaltung“); eines der Vorläuferorgane
über die staufersche Kaiserzeit (Konrad III. des ↑ KGB, 1922–1934 polit. Polizei der
und Friedrich I.) und die Geschich­te Mai- Sowjetunion, war aus der ↑ Tscheka her-
lands (Hauptwerke: Gesta Friderici, Gesta vorgegangen und diente insbesondere der
Heinrici VI., Speculum regum). Bekämpfung der konterrevolutionären Be-
Göttin der Vernunft, Mittelpunkt eines strebungen im Lande und der Spionage ge-
antichristlichen Kults der ↑ Frz. Revolu- gen die UdSSR; wurde 1934 in das NKWD
tion, 1793/94 unter großem propagan- (Volkskommissariat für innere Angelegen-
dist. Aufwand zum „höchsten Wesen“ er- heiten) überführt, das Ausführungsorgan
hoben; in der Kirche von Notre-Dame in für die polit. Verbrechen der Stalin-Ära.

358
Grandson

Gracchen, röm. Sozialreformer aus ple- in Stellvertretung des Königs ausgeübten


bej. Geschlecht (Brüder), Träger der ers- Rechte zu territorialen Hoheitsrechten ent-
ten „röm. Revolution“: 1) Gracchus, Ti- wickelten. Die zu Beginn des 19. Jh. me-
berius Sempronius (Sohn der ↑ Cornelia), diatisierten regierenden Reichsgrafen zähl-
163–133 v. Chr.; erneuerte 133 v. Chr. als ten weiterhin zum hohen Adel (↑ Fürsten),
Volkstribun ein älteres (Licin.) Ackergesetz die übrigen zur obersten Stufe des niederen
über die Beschränkung des Großgrundbe- Adels. Seit der frühen Neuzeit auch Amts-
sitzes (Latifundien) zugunsten der verar- bez. für Deichg., Moorg., Holzg., Rheing.
mten Kleinbauern und des landlosen Pro- Gral (altfrz. graal = Schüssel, ahdt. gra­
letariats und forderte auch die Verteilung da­le = stufenförmige Schale), sagenhafte,
der Erbschaft des Königs Attalos von Per- wundertätige Jaspisschüssel, in der Joseph
gamon; griff bei der Durchführung dieses von Arimathia das Herzblut Christi auf-
Programms zu verfassungswidrigen Me- gefangen hat; in anderer Deutung (Wolf-
thoden und wurde 132 v. Chr. von Anhän- ram von Eschenbach) wundertätiger Stein,
gern der Senatspartei zusammen mit sei- auf der Burg Montsalvatsch verwahrt. Um
nen Anhängern erschlagen. 2) Gracchus, den Gral ranken sich viele mittelalterliche
Gaius Sempronius, 154–121 v. Chr.; noch Sagen, als bedeutendste die von Parzival;
begabter und revolutionärer als sein Bru- poetisch zuerst behandelt in Frankreich
der, verschärfte als Volkstribun 123 und durch Chrétien de Troyes und zu Beginn
122 v. Chr. die Durchführung des Acker- des 13. Jh. von Wolfram von Eschenbach.
gesetzes, trat für Kolonien auch außerhalb Gran, ältestes Erzbistum Ungarns (Sitz des
Italiens, bes. in Afrika (auf dem Boden Fürstprimas von Ungarn); 1001 von Ste-
Karthagos), ein, setzte Kampfgesetze gegen phan I. dem Heiligen gegr., Ausgangspunkt
die Senatspartei durch, u. a. ein Getreide- der Christianisierung Ungarns.
gesetz (billige Abgabe von Korn an das Pro- Granada, Stadt in S-Spanien, von Ara-
letariat Roms durch den Staat statt durch bern im 8.. Jh. bei den Ruinen Eliberis, bis
die großen Familien, die damit Stimmen- 1242 Elvira genannt, Name deutet auf das
fang trieben); beantragte, den ital. Bun- Wappen der Kalifen, den aufgesprungenen
desgenossen das volle röm. Bürgerrecht zu Granat­apfel, hin; seit 1238 blühende Re-
gewähren, entfremdete sich dadurch auch sidenz (Prachtbauten, Alhambra) eines
dem Proletariat; nach seiner Wahlnieder- maurischen Königtums; 1492 von den Spa­
lage 121 v. Chr. und dem Versagen der niern erobert (Ende der Maurenherrschaft
Volkspartei bei Ausbruch des offenen Kon- in Spanien).
flikts ließ er sich auf der Flucht von einem Gran-Chaco-Konflikt zwischen Bolivien
Sklaven töten. Das Werk der G. leitete den und Paraguay 1928, führte zum Krieg
Strukturwandel von der aristokrat. zur de- 1932–1935, in dem Bolivien nach Nie-
mokrat. und zur monarch. Verfassung ein. derlagen zwar den beanspruchten Zugang
Graf (aus ahdt. grafio, Befehlender; frz. zum Meer über den Paraguayfluss erhielt,
Comte, von lat. comes = Begleiter [des Kö- der größte Teil des umstrittenen Gebietes
nigs]); urspr. Führer einer Heerschar, im aber Paraguay zugesprochen wurde.
fränk. (und angelsächs.) Reich Beamter, Grande Nation (frz., Große Nation), von
der an der Spitze eines Gaues als Richter, Napoleon I. geprägte Bezeichnung für
Verwalter und militär. Führer den König Frankreich.
vertrat; im dt. Reich des MA wurden Amt Grandson, Landstadt im Schweizer Kan-
und Gebiet (als Lehen) erblich; später wur- ton Waadt, 1476 vernichtende Niederlage
den die G.en (Land-, Mark-, Pfalz-, Burg- Karls d. Kühnen von Burgund gegen die
grafen) zu Landesherren, da sie die urspr. Eidgenossen.

359
Granikos

Granikos, Küstenfluss an der NW-Küste Graziani, Rodolfo, ital. Marschall, 1882–


Kleinasiens, wo Alexander d. Gr. 334 v. Chr. 1955; erfolgreicher Feldherr bei der Erobe-
die Perser und Lucullus 74 v. Chr. den Par- rung Abessiniens, 1939 Generalstabschef,
therkönig Mithradates besiegte. führte 1940/41 den Oberbefehl in Libyen
Grant, Ulysses Simpson, nordamerik. Ge- und 1943 die Armee der neuerrichteten fa-
neral und Staatsmann, 1822–1885; Ober- schist. Republik.
befehlshaber der Unionstruppen im letz- Gregor, Kirchenväter und Heilige: 1) G. Il-
ten Stadium des ↑ Sezessionskrieges, den luminator, 257-um 325 n. Chr., hl.; Missio­
er 1865 mit der Kapitulation Lees bei Ap- nar und Patriarch der Kirche Armeniens.
pomattox Courthouse siegreich beendete; 2) G. von Nazianz (Kappadokien), um
als von der Republik gewählter Präsident 329–390 n. Chr.; Verteidiger des Athana-
(1869–1877) machtlos gegenüber polit. sianismus gegen Arius, deshalb 380 Patri-
Korruption. arch von Konstantinopel, an der hellenist.
Granvelle (Granvella), 1) G., Antoine Rhetorik geschulter Kirchenschriftsteller.
Perrenot de, span. Kardinal und Politiker, 3) G. von Nyssa (Kappadokien), um 331–
1517–1586; Sohn von 2), Minister unter 394 n. Chr.; Bruder ↑ Basilius’ d. Gr., seit
Karl V. und Philipp II. von Spanien, seit 372 Bischof, verfasste zahlreiche theolog.
1538 Bischof von Arras, 1561 Erzbischof Schriften u. a. gegen den Arianismus.
von Mecheln und Kardinal, 1571–75 span. Gregor, 16 Päpste, darunter: 1) G. I.,
Vizekönig von Neapel, 1584 Erzbischof d.Gr., hl. (590–604); geb. um 540, bedeu-
von Besançon. 2) G., Nicolas Perrenot tender Kirchenlehrer und Reformator (Li-
de, span. Politiker, 1486–1550; seit 1530 turgie, Choral), bewirkte die Christianisie-
Staatssekretär Karls V., Kanzler des König- rung der Angelsachsen, verfocht den Pri-
reichs Neapel-Sizilien; leitete 1540/41 die mat Roms gegen Konstantinopel. 2) G. II.,
Wormser und Regensburger Religionsge- hl. (715–731), ließ Deutschland durch
spräche mit dem Ziel, in den Glaubens- Bonifatius missionieren. 3) G. VII. (Hilde-
kämpfen zu vermitteln. brand aus Soano in Toskana), hl., 1020–
Gratian(us), Flavius, röm. Kaiser (367– 1085; Kaplan Gregors VI., ging mit die-
383 n. Chr.); geb. 359, Sohn Valentini- sem 1046 in die Verbannung nach Köln;
ans I., begünstigte die kath. Kirche, erhob 1048 als Mönch in Cluny, von Leo IX.
379 ↑ Theodosius I. zum Mitregenten. nach Rom mitgenommen und zum Kar-
Graubünden, schweizer. Kanton; gehörte dinaldiakon ernannt, lenkte 1049–1073
zur röm. Provinz Rätien, kam 536 unter die päpstliche Politik; 1059 Mitverfasser
fränk. Herrschaft; 1497/98 Bundesverhält- des Gesetzes über die Papstwahl, seit 1073
nis mit der schweizer. Eidgenossenschaft, Papst; nahm den Kampf um die Vorherr-
1788 Teil der Helvet. Republik, seit 1803 schaft der Kirche mit Kaiser ↑ Heinrich IV.
Kanton der Eidgenossenschaft. auf, führte den Zölibat durch, verbot die
Graue Eminenz, Bez. eines Politikers, der ↑ Investitur durch weltliche Herrscher
beherrschenden Einfluss ausübt und sich und bekämpfte die ↑ Simonie; löste Hein-
dabei im Hintergrund hält, meist an unver- rich IV. vom Bann (↑ Canossa), bannte ihn
antwortlicher Stelle; bes. der Vortragende 1080 abermals und wurde von ihm abge-
Rat im dt. Auswärtigen Amt, Friedrich von setzt, 1083 in Rom angegriffen, durch den
↑ Holstein, nach Bismarcks Sturz. Normannen Robert Guiscard entsetzt, floh
Gravelotte und St. Privat, Schlachtenorte, nach Salerno, wo er 1085 starb. 4) G. XIII.
westl. von Metz, wo im August 1870 dt. (1572–1585), betrieb die Gegenreforma-
Truppen unter schweren Verlusten die Ar- tion (Einrichtung von Nuntiaturen), för-
mee Bazaines nach Metz hineintrieben. derte die Jesuiten, führte den nach ihm

360
Griechenland

benannten Kalender (1582) ein. 5) G. XV. Gretschko, Andrei Antonowitsch, sowjet.


(1621–1623), stiftete 1622 die Congre- Militärpolitiker, 1903–1976; nach Stalins
gatio de propaganda fide (betraut mit der Tod Oberbefehlshaber der sowjetischen
Mission und der Rückführung der Pro- Streitkräfte in der DDR (1953–1957), der
testanten). 6) G. XVI. (1831–1846), geb. sowjet. Streitkräfte (1957–1960) und der
1765, gewählt auf Betreiben Metternichs, Streitkräfte des Warschauer Paktes (1960–
Förderer der Mission (Gründung von Mis- 67); war 1967–1976 Verteidigungsmini-
sionsbistümern) und der Jesuiten. ster der UdSSR, wurde 1961 Mitglied des
Gregor von Tours, fränkischer Geschichts- ZK und 1973 des Politbüros der KPdSU.
schreiber (Romane), um 5.39–594; Berater Grey, Jane, Königin von England, 1537–
der Merowingerkönige, seit 573 Bischof 1554; Großtante Heinrichs VIII., durch
von Tours. Hauptwerke: „Historia Fran- Eduard VI. zu seiner Nachfolgerin ernannt,
corum“ (Geschichte der Franken), wich- 1553 zur Königin ausgerufen, hingerichtet
tigste Quelle für die Merowingerzeit, und durch Maria die Katholische.
„Libri miraculorum“ (Sieben Bücher über Grey, brit. liberale Staatsmänner: 1) G.,
die Wunder). Charles, Earl of, 1764–1845. 1830–1834
Gregorianer, Selbstbezeichnung der stren- Ministerpräsident, brachte 1832 die Re-
gen Anhänger der Gottesstaatsidee seit formbill durch (Parlaments- und Wahl-
Gregor VII. rechtsreform zugunsten des vermögenden
Gregorianische Kirche, die armen. Natio- städt. Mittelstandes), beseitigte das Mono-
nalkirche, gegr. um 300 von ↑ Gregor Il- pol der Ostind. Kompanie und hob in den
luminator. brit. Kolonien die Sklaverei auf. 2) G., Ed-
Gregorianischer Kalender, ↑ Zeitrech- ward, Viscount of Fallodon, 1862–1933;
nung. Außenminister 1905–1916, erweiterte die
Gregorovius, Ferdinand, dt. Kulturhisto- Entente mit Frankreich durch Verstän-
riker, 1821–1891; klass. Schilderungen digung mit Russland zum Dreiverband,
ital. Geschichte und histor. Landschaften: machte Frankreich für den Kriegsfall ver-
„Geschichte der Stadt Rom im Mittelal- bindliche, wenn auch formlose Zusagen
ter“, „Wanderjahre in ltalien“. und konnte trotz persönlicher Friedens-
Grenada, Inselstaat in der Karibik; 1498 liebe 1914 weder den Kriegsausbruch noch
von Kolumbus entdeckt, seit 1674 frz. den Kriegseintritt Englands verhindern.
und seit 1763 brit. Kolonie, erhielt 1974 Griechenland (griech. Hellas), Brücke zw.
die Unabhängigkeit; nach einem von Kuba Orient und Okzident, durch seine Kultur-
unterstützten Putsch und der Ermordung schöpfungen von zeitloser Größe und welt-
von Premierminister M. Bishop 1983 Inva- geschichtlicher Bedeutung. – Alt-Grie-
sion durch US-Truppen, die 1985 die Insel chenland: Um 3500–2800 v. Chr. jung-
wieder verließen. steinzeitliche Sesklo-Kultur (frühe Bauern-
Grete, Bez. für Aufsehen erregende ↑ Ge- kultur mit Viehzucht und Getreidebau;
schütze: 1) Die „faule G.“, ein Riesenge- buntbemalte Keramik); ab 2800 v. Chr. –
schütz des Kurfürsten von Brandenburg von Norden vordringend – Dimini-Kultur
um 1415, wurde gegen die Burgen des wi- (erste stadtähnliche Festungsanlagen); um
derspenstigen Adels eingesetzt; 2) die „tolle 1800 v. Chr. waren zwei der drei späteren
G.“, das Riesengeschütz zu Gent, das 1452 griechischen Hauptstämme, die indoger-
bei der Belagerung von Oudenaarde stehen manischen Ionier und Achäer (Äoler), in
blieb (kaum transportierbar aufgrund des A.-G. erkennbar; Verschmelzung mit der
Gewichts von 33 000 Pfund, Fassungsver- kulturell bereits entwickelten ägäischen
mögen der Kammer 740 Pfund Pulver). Vorbevölkerung; ab etwa 1800 v. Chr. die

361
Griechenland

Ausbreitung der Kultur von ↑ Mykene, die Adelsherrschaft (kein Lehensadel, sondern
im 16. Jh. v. Chr. im Austausch mit der mi- eher Beamtenoberschicht, die sich Privile-
noischen Kultur ↑ Kretas stand; Ausbil- gien sicherte); 2) die Aufgliederung der po-
dung zum Volk der Hellenen (erst die Rö- lit. ohnehin nicht zusammengeschlossenen
mer sprachen von Graeci = Griechen); an Stämme in Kleinststämme, deren polit.
dieser Entwicklung nahm seit etwa 1200– Organisationsform meist die ↑ Polis wurde
1100 v. Chr. der dritte Hauptstamm, die (entweder als Stadtstaat oder als bäuer-
Dorer, teil (die durch die Illyrer (↑ Urnen- licher Gemeindestaat); 3) wirtsch. die In-
felderkultur] ausgelöste Dorische Wande- tensivierung der Landwirtschaft (Wein und
rung Sammelbegriff auch für die Bewe- Öl statt Getreide, das importiert werden
gung der Nordwestgriechen); aus ihm gin- musste), infolgedessen: Erweiterung des
gen die Spartaner (Lakedämonier) hervor Handels, Übernahme der Münzprägung
(in das ion. besiedelte Attika drangen keine von Lydien (seit 650 v. Chr.) und Ausbau
Dorer ein). Um 1100 Beginn der Eisenzeit des Gewerbes auf der Grundlage der (Kauf-
in Alt-G. Unter dem Druck der Einwande- )Sklavenwirtschaft. Seit der Mitte des 8. Jh.
rer erreichte eine erste Welle griech. Kolo- schriftl. Überlieferung: Homer, Hesiod,
nisatoren die ägäischen Inseln und die ge- Siegerlisten Olympias, Beamtenlisten der
genüberliegende Küste Kleinasiens, Besied- Städte, Priesterlisten der Heiligtümer, An-
lung von Milet, Ephesos, Troja (vor nalen. Im Verfassungs- wie im Wirtschafts-
1 000 v. Chr.), im 10. und 9. Jh. Über- leben zeichneten sich bedeutende Unter-
nahme der phönik. Schrift (phoinikeia) schiede ab; im Allgemeinen gingen die
unter Einfügung von Vokalzeichen; Ver- dem Meer verbundenen ion. Poleis in der
breitung der Schrift durch Kolonisten und Ägäis (darunter ↑ Athen = Attika) am frü-
Händler im ganzen Mittelmeerraum; das hesten und radikalsten zur Geldwirtschaft
Kolonisationswerk („das glänzendste Kapi- über, während das machtpolit. auf dem
tel der Kolonialgeschichte“) erreichte um Pelo­ponnes führende, agrar.-konservative
750 bis um 550 v. Chr. seinen Höhepunkt Sparta vorwiegend beim Tauschhandel ver-
und dann seinen Abschluss mit der Er- blieb; auch innenpolit. waren die handels-
schließung der Küsten Unteritaliens, Sizili- und gewerbetreibenden Poleis stärker in
ens (↑ Großgriechenland) mit Ausläufern Bewegung: Umwandlung der Oligarchie
bis Spanien, im Osten bis zur Krim; in S- über das Zwischenstadium der Tyrannis
Italien Gründung von Cumae, Neapel, Pu- (z. B. Peisistratos, Hippias und Hipparchos
teoli, Poseidonia (Pästum), Elea, Terina, in Athen; Polykrates auf Samos) in die De-
Rhegion, Locri, Kroton, Sybaris, Hera- mokratie. Die Entfaltung der griech. Kul-
kleia, Tarent; auf Sizilien Syrakus, Naxos, tur im Übergang von der archaischen zur
Gela, Akragas, Selinus, Himera, Enna, Se- klass. Zeit (↑ Griech. Kunst, Perikles) hatte
gesta; in Spanien Emporion, Ampurias, ihren Mittelpunkt in Athen (u. a. in der
Hemeroskopeion, Leuka, Meinake; im bildenden Kunst Phidias, in der Malerei
Nordmittelmeer Massfilia (Marseille), auf Apollodor und Zeuxis, in der Tragödien-
Korsika Alalia; an der nordafrikan. Küste dichtung Äschylos, Sophokles und Euripi-
(Libyen) Kyrene; an der Küste des Schwar- des, in der Komödie Aristophanes, in der
zen Meeres Sinope, Istros, Olbia, Apollo- Philosophie Anaximander, die Sophisten
nia, Kallatis, Odessa, Torni, Trapezunt; im und ihr Überwinder Sokrates, in der Ge-
gleichen Zeitraum („archaische Zeit“ = schichtsschreibung Thukydides). – Hinter
Mittelalter) vollzog sich 1) der Übergang den kulturellen Leistungen der Griechen
vom (Heer-)Königtum (das sich u. a. in blieben ihre politischen weit zurück; zwar
Sparta weiter behauptete) zur oligarch. entwickelte sich ein religiös-kulturelles Zu-

362
Griechenland

sammengehörigkeitsgefühl gegenüber den Eirene (Gemeinsam. Frieden). Trotz des


Nichtgriechen, den „Barbaren“, aber weder polit. Niedergangs blieb Alt-G. geistig und
in der Stammes- noch in der Polis-Zeit fan- künstlerisch führend (Plato, Aristoteles,
den sie je zu einer polit. Einheit zusammen Xenophon, Skopas, Praxiteles, Lysippos)
(nur Kultbünde, ↑ Amphiktyonie); ihre und wurde zum Ausgangspunkt der Welt-
polit. Bündnisse, in zahlreiche Kriege mün- kultur des ↑ Hellenismus, der sowohl das
dend, dienten der eifersüchtigen Wahrung Reich Alexanders d. Gr. und die Diado-
der Autonomie; selbst in der größten chenstaaten wie das Röm. Reich erfüllte, in
Stunde ihrer Geschichte, der gemeinsamen ↑ Byzanz eine bleibende Pflegestätte fand
Abwehr der ↑ Perser unter Führung des ge- und auch die röm.-christl. Kultur des wer-
nialen Atheners Themistokles (Marathon denden Abendlandes mitgestaltend beein-
490, Salamis 480), blieben einzelne Poleis flusste (z. T. durch Vermittlung der Ara-
und Stämme abseits. Als Athen an der ber); in der ↑ Renaissance erfuhr die griech.
Spitze des 1. Att. Seebundes (unter Einfluss Klassik eine glanzvolle Wiederbelebung. –
von Themistokles 478/77 gegr.) die Offen- Polit. jedoch wurde Alt-G. zum Objekt
sive gegen ↑ Persien organisierte (Unter- fremder Herrschaft; 196 v. Chr. unter röm.
stützung der von Persern bedrängten klein­ Oberhoheit, 27 v. Chr. römische Provinz
asiat. Griechenstädte; 460 athen. Expedi- (Achaia), 395 n. Chr. zum Oström. (Byzan-
tion nach Ägypen, die 454 in einer Katas­ tin.) Reich; im 4.–8. Jh. von german. und
trophe endete; Verlegung der Kasse des südslaw. Stämmen durchzogen, seit dem
Seebundes von Delos nach Athen; 450 9. Jh. z. T. von Arabern, Bulgaren, Norman­
athen. Seesieg über die Perser bei Salamis nen und Venezianern besetzt, im l3. Jh.
auf Zypern, 449 Kalliasfriede zw. Athen durch die Kreuzzüge in fränk. und lat.
und Persien, 447 Niederlage der Athener Fürstentümer unter frz. und ital. Rittern
bei Koroneia) und unter Führung des Peri­ aufgeteilt. Mitte des 15. Jh. von den Tür-
kles den Bund in ein Attisches Reich um- ken erobert (1456 Athen), seit 1503 Pro-
zuwandeln und einen panhellen. Friedens- vinz des Osman. Reiches. – Das moderne
kongress einzuberufen suchte, stieß es auf Griechenland: 1814 gründeten griech.
den Widerstand Spartas, Korinths u. a., die Kaufleute in Odessa einen Geheimbund
unter der Parole der Freiheit im verhee- zur Befreiung G.s von der türk. Herrschaft;
renden Peloponnes. Krieg 431–404 v. Chr. 1821 unter Führung von Ypsilanti erster
Athens Macht („des Attischen Reiches missglückter Befreiungsversuch (Verzweif-
Herrlichkeit“) zerschlugen. Die Vorherr- lungskampf der „Heiligen Schar“ bei Draga­
schaft Spartas, das im ↑ Antalkidasfrieden tschan), dann neue Aufstände (Ausgangs-
387/86 die kleinasiat. Griechen preisgab punkt Morea), unterstützt von der philhel-
und als Polizeibüttel Persiens die Autono- len. Bewegung (Griechenfreunde aus ganz
mie der Poleis zu beschützen hatte, wurde Europa, unter ihnen Lord Byron). 1822
abgelöst von der kurz dauernden Hegemo- verkündete der griech. Nationalkongress in
nie ↑ Thebens unter Epaminondas; pers. Epidaurus die Unabhängigkeit des hellen.
Gold förderte die griech. Selbstzerflei- Volkes; türk. Gegenmaßnahmen, seit 1825
schung (355 Auflösung des 2. Att. See- griech. Niederlagen, 1826 Fall von Misso-
bundes) und machte Alt-G. reif für die lunghi; erst 1827 mit Hilfe Englands,
Herrschaft ↑ Makedoniens; 338 v. Chr. Frankreichs und Russlands Sieg über die
fand die „griechische Unabhängigkeit“ bei Türken (Seeschlacht bei Navarino); 1830
↑ Chaironea ihr Ende; als Hegemon des Londoner Konferenz und Errichtung eines
Korinth. Bundes verwirklichte Philipp II. Königreichs G. unter Garantie Großbri-
von Makedonien die langersehnte Koiné tanniens, Frankreichs, Russlands. 1832

363
Griechenland

Wahl Ottos von Bayern zum König, nach mitglied der Vereinten Nationen; 1949
dessen Vertreibung 1862 Wahl Wilhelms Mitglied des Europarats, 1952 Anschluss
von Dänemark als Georg I., „König der an die NATO; 1959 Abkommen mit
Hellenen“. – Gebietserweiterungen: 1863 Türkei und Großbritannien über die Bil-
Ion. Inseln (von England), 1881 Thessalien dung einer unabhängigen Republik Zy-
und südl. Epirus (von der Türkei); nach pern (1960 verwirklicht); 1961 assoziiertes
unglücklichem Krieg gegen die Türken Mitglied der Europ. Wirtschaftsgemein-
(1896/97) vorübergehender Verlust Kretas schaft. 1967 Armeeputsch konservativer
an die Türkei, 1908 Kreta wieder mit G. Offiziere unter Papadopulos und Pattakos,
vereinigt; in den ↑ Balkankriegen Gewinn nationalist. und sozialkonservative Militär-
Südmazedoniens (mit Saloniki) und Epi- regierung, Ausrufung des Ausnahmezu-
rus. 1917 unter dem Druck der Alliierten standes und Massenverhaftungen. Gegen-
(Abdankung König Konstantins) Teil- putsch König Konstantins II. scheiterte,
nahme am 1. Weltkrieg (Ministerpräsident der König floh nach Rom. Seit Dez. 1968
Venizelos), 1920 Belohnung im Frieden war Papadopulos Diktator G.s.; 1969 Aus-
von Sevres durch Thrazien; doch nach un- tritt aus dem Europarat, 1973 Ausrufung
glücklichem Krieg gegen die kemalist. der Republik, per Volksabstimmung sank-
Türkei 1920–22 im Frieden von ↑ Laus- tioniert. 1974 Konflikt mit der türk. Re-
anne (1923) Verlust Ostthraziens und gierung um Zypern, endete mit militär.
(endgültig) Smyrnas; Zwangsumsiedlung Eingreifen der Türkei und diplomatische
von 1,2 Mio. Griechen aus Kleinasien. Isolierung des Obristenregimes; seit 1974
1924 Sturz der Monarchie, G. zur Repu- wieder zivile Regierung. K. ↑ Karamanlis
blik erklärt; 1935 Ende der Republik wur­de aus dem Exil zurückgerufen und
(Rückkehr Georgs II., durch Volksabstim- mit der Regierungsbildung beauftragt. Im
mung Wiederherstellung des Königtums); Dez. 1974 Volksabstimmung über die
1936 Staatsstreich des Ministerpräsidenten Staatsform: Mehrheit entschied für die Re-
General Metaxas, der das Land mit Erfolg publik. Im Mai 1979 Vertrag über den Bei-
gegen den ital. Angriff 1940/41 verteidigte; tritt zur EG unterzeichnet; am 1. Jan. 1981
April 1941 dt. Einmarsch, Kapitulation der in Kraft getreten. Karamanlis’ „Neue De-
Armee, Exilregierung in Kairo und Partisa- mokratie“ verlor bereits 1977 die Zweidrit-
nenkrieg gegen die dt.-ital. Besatzung. telmehrheit; 1981–89 sozialist. Regierung
1944 von dt. Truppen geräumt; Bürger- unter A. ↑ Papandreou, der bis zu seinem
krieg zw. der monarch.-konservativen Be- Tod 1996 bestimmende Figur der polit.
freiungsarmee (Griech.-Demokrat. Na- Landschaft G.s blieb. Nachfolger als Regie-
tional-Armee: EDES) und den Kommu- rungschef K.  Simitis (1989–2004, PA-
nisten (Griech. Befreiungsfront EAM, mi- SOK), wurde im März 2004 vom ND-
litärisch organisiert als Griech. Volksbefrei- Vors. Karamanlis abgelöst. Das Verhältnis
ungsarmee ELA) bis 1950; seit Okt. 1944 zur Türkei blieb wegen des ungelösten Zy-
auch britische Streitkräfte im Land. 1946 pernkonflikts, wegen des Streits um den
Rückkehr Königs Georg II. (gest. 1947); Festlandsockel der Ägäis (Erdölvorkom-
Erwerb des (ital.) Dodekanes, Konflikte men) und wegen verweigerter NATO-Ga-
bes. mit Albanien (Streitobjekt Epirus); rantie gegen eine mögliche Aggression der
Anspruch auf Zypern sowie Unterstützung Türkei schwierig, aber seit Beginn des
der zypr. Aufständischen (1955), dadurch neuen Jt.s Annäherung beider Länder.
Verhältnis zu England sowie zur Türkei ge- Griechische Kunst, in der Vorzeit Einfluss
trübt. Durch die ↑ Trumandoktrin 1947 in der kretischen (minoischen) Kultur (Ägä-
den Westblock einbezogen. Gründungs- ische Kunst). Frühstil (seit etwa 1200):

364
Groener

hölzerne Kultbilder, geometr. Vasenkunst. Griechisches Kaisertum, das oström. Kai-


Archaischer Stil (seit etwa 800): Steintem- sertum in ↑ Byzanz 330–1204 und 1261–
pel mit dorischen und frühion. Säulen, 1453.
bildgeprägte Münzen und Vasen mit figür- Griechisch-katholische Kirche, mit der
lichen Darstellungen; seit dem 6. Jh. dor. röm.-kath. Kirche (seit dem 16./17. Jh.
und ion. Großtempel im Mutterland und wieder) vereinte (unierte) Kirchen in Grie-
in den Kolonien; Kultbilder in Stein und chenland, Makedonien, Unteritalien, der
Bronze, von Ägypten und Vorderasien be- Türkei, in der Ukraine, in Ungarn, Rumä­
einflusst. Klassische Zeit (seit Perikles um nien, Bulgarien, Russland (emigriert), den
480): Propyläen, Parthenon, Erechtheion, Staaten des ehem. Jugoslawien, Ägypten,
Niketempel; Odeion, Theseion, Thea- Syrien, Armenien; der ↑ griech.-orthodo­
ter in Athen; Theater in Syrakus, Epidau- xen Kirche nur noch durch das gemein-
ros; Athenetempel in Tegea, Artemistem- same byzantin. Ritual verbunden; Rom
pel in Ephesos, Mausolosgrabmal; klas- gestand ihr die Priesterehe und das Abend-
sische Bildhauer Phidias (gest. 431), Pra- mahl in beiderlei Gestalt zu.
xiteles (um 350), Skopas (um 350), Lysip- Griechisch-orthodoxe Kirche, im engeren
pos (Alexanderzeit); Maler: Polygnot (um Sinne die autokephale (unter einem unab-
450); Zeuxis (um 400), Parrhasios (um häng. Oberhaupt stehende), verfassungs-
400), Apelles (4. Jh.). Mit Ausbreitung des rechtlich verankerte nichtröm. Staatskirche
Griechentums seit Alexander d. Gr. helle- des heutigen Griechenland (orthodoxen
nist. Kunst in der bekannten Welt. Ablö- Glaubens), hervorgegangen aus der 1054
sung klass. Ausgewogenheit durch Monu- endgültig von Rom getrennten byzan-
mentalität und Leiden­schaftlichkeit (Zeus­ tin. Reichskirche; an der Spitze der Erz-
altar in Pergamon, Metroon in Olympia, bischof von Athen; Hl. Synode als Organ
Apollotempel in Didyma, Artemistempel der Kirchenleitung; in der heutigen Form
in Magnesia; Laoko­on, Sterbender Fech- selbständig seit 1833; bis dahin orthodoxe
ter, Venus von Milo, Alexandermosaik, Gliedkirche unter dem unter Aufsicht der
Medeagemälde; repräsentative Stadtkultur; türk. Regierung amtierenden ökumen.
lebenstreue Porträts und Porträtbüsten). Patri­archen von Konstantinopel, der 1852
Einwirkung auf röm. Kunst und über die Unabhängigkeit anerkannte. – Im wei-
Persien, Nordwestindien auf die ost­asiat. teren Sinne Bezeichnung für die gesamte
Kunst bes. durch die ↑ Gandharakunst in ↑ Ostkirche.
der vorderindischen Landschaft Gandhara, Grimoald, Sohn Pippins d. Ä., seit 642
die Alexander d. Gr. erobert hatte, und Hausmeier in Austrasien, Stifter der Klö-
in Afghanistan; hier vom 1. Jh. v. Chr. bis ster Stablo und Malmedy, suchte nach dem
7. Jh. n. Chr. hellenist.-buddhist. Mischstil Tod des Königs Sigibert III. seinen Sohn
in Buddhabildern und Szenen aus Buddhas Childebert auf den Thron zu erheben,
Leben (Einflüsse bis nach Zentral­asien, scheiterte am Aufstand der Großen (662).
Ost- und Südostasien). Groener, Wilhelm, dt. General, 1867–
Griechisches Feuer, im 7. Jh. n. Chr. in 1939; 1914 Chef des Feldeisenbahnwesens,
Konstantinopel erfundene, nicht mehr ge- 1916/17 des Kriegsamtes; 1918 Nachfolger
nau bekannte Mischung, die in Bomben Ludendorffs als Generalquartiermeister,
gefüllt und mit Schleudergeschützen ver- leitete die Rückführung des Heeres nach
schossen wurde und auch auf dem Wasser dem 9. Nov. 1978 und hatte im Bündnis
brannte; 400 Jahre blieb das Geheimnis im mit den Volksbeauftragten maßgebl. Anteil
Besitz der Byzantiner, die es im Seekampf an der Verhinderung eines Rätesystems.
und bei Belagerungen verwendeten. 1920–1923 Reichsverkehrs-, 1928–1932

365
Gromyko

Reichswehr- und 1931/32 Reichsinnenmi- groschen zu 10 Pfennig seit 1840 in Sach-


nister, versuchte die Reichswehr zu einer sen. Nach Einführung der Markrechnung
Institution der Demokratie zu machen, in Deutschland volkstümliche Bezeich-
Vertreter der Außenpolitik Stresemanns; nung für Zehnpfennigstücke.
Gegner des Nationalsozialismus (1932 Großbeeren, Dorf in Brandenburg; 1813
Verbot der NS-Kampfverbände). Sieg der Preußen unter Bülow über den frz.
Gromyko, Andrei Andrejewitsch, sowjet. Marschall Oudinot, rettete Berlin vor er-
Politiker, 1909–1989; seit 1939 im diplo- neuter frz. Besetzung.
matischen Dienst, 1957–1989 Außenmi- Großbritannien, 1707 hervorgegangen aus
nister der UdSSR, 1985–1988 Vorsitzen- der Realunion der Königreiche ↑ Schott-
der des Präsidiums des Obersten Sowjets land und ↑ England, das Kernland (dessen
(Staatsoberhaupt). Name noch heute vereinfachend für ganz
Grönland, vielleicht schon im 2. Jt. v. Chr. G. gebraucht wird); in Personalunion mit
erstmals besiedelt, im 10. Jh. n. Chr. von ↑ Hannover 1714–1837, seit 1800 zum
Wikingern entdeckt, 984 durch Erik den „Vereinigten Königreich G. und Irland“
Roten betreten und von ihm „Grünes (Verschmelzung der Parlamente) erweitert,
Land“ genannt (um Siedler aus Island an- nach der Ausgliederung S-Irlands 1921 nur
zulocken); 1110 Bistum, 1261 zu Norwe- noch „Vereinigtes Königreich G. und Nord­
gen, im 15. Jh. infolge veränderten Klimas irland“. Mutterland des früheren brit.
verödet und vergessen; 1616 neuentdeckt, Weltreichs (Empire), nach dessen innerer
1721 dän.; 1814 nach Trennung Norwe- Umgestaltung im 20. Jh. noch immer Mit-
gens von Dänemark bei Dänemark verblie- telpunkt und Herz des ↑ Commonwealth.
ben; norweg. Anspruch auf Ost-G. 1933 – Grundzüge der Geschichte G.s im 18. Jh.:
vom Internationalen Gerichtshof abgewie- Schwaches Königtum, alle Macht in Hän-
sen; 1888 durch Fridtjof Nansen erstmalig den des Parlaments, das von einer bürgerl.-
von Ost nach West durchquert; 1905 er- aristokrat. Minderheit (Oligarchie) und ih-
reichte Peary das Nordkap; im 2. Weltkrieg ren Handelsinteressen beherrscht und ge-
Luftstützpunkte der USA, nach Kriegsende leitet wurde. Vorherrschaft der Partei der
trotz anfängl. dän. Einspruchs beibehalten (liberalen) Whigs (↑ Walpole, der beiden
und weiter ausgebaut; heute eingegliedert ↑ Pitts) und des kaufmänn. Denkens; in
in die „Interamerican-Defense-Zone“; seit der 2. Hälfte des Jh. Umbruch im Agrarwe-
1945 Beginn der eigentlichen Erforschung sen (Großgrundbesitz anstelle freier Bau-
des Inneren und der wirtsch. Erschließung; ern, Weiden und Parks anstelle der Korn­
1952 Anlage des Großflughafens Thule. äcker), Beginn der ↑ Industriellen Revolu-
Seit 1974 (nach Volksabstimmung) ist G. tion (Umwandlung der „grünen Insel“ in
ein Teil des Königreiches Dänemark mit eine „schwarze Insel“; ↑ Fabrik) und
autonomer Selbstverwaltung. 1982 lehnte Durchbruch der Ideen des Wirtschaftslibe-
die Bevölkerung in einem Referendum ein ralismus (↑ Smith, Freihandel, Laissez
weiteres Verbleiben in der EG ab. faire); den inneren Verhältnissen ange-
Groote, Geert, niederl. Laienprediger, passte Außenpolitik; Ausbau des Kolonial-
1340–1384; Gründer der ↑ Brüder vom reiches und weltweiter Machtkampf gegen
gemeinsamen Leben in Deventer. Frankreich, um dessen koloniale und mari-
Groschen (lat. grossus, dick), dicke Silber- time Rivalität auszuschalten sowie seine
münze, seit 1226 in Frankreich, seit dem Hegemonie auf dem Festland im Sinne des
14. Jh. in Deutschland 1/24 oder 1/30 Ta- europäischen ↑ Gleichgewichts zu beseiti-
ler wert (regional verschieden), schließlich gen. Nach Erfolgen im ↑ Spanischen Erb-
auch als Scheidemünze geprägt. Der Neu- folgekrieg (u. a. ↑ Gibraltar) Höhepunkt

366
Großbritannien

im 7-jährigen Krieg (G. mit Preußen ver- an die Krone (1876–1948 Kaiserreich ↑ In-
bündet); Verdrängung der Franzosen aus dien), 1857–1860 ↑ Lorchakrieg gegen
Ost- und Westindien, Gewinn Kanadas China, 1878 Zypern ↑ Berliner Kongress),
und Louisianas (1763). Dann Rückschlag 1881 Ägypten, danach Sudan (Unterwer-
durch den Abfall der nordamerik. Kolo- fung bis 1899), Südafrika (Cecil Rhodes),
nien (1776–1783, Ersatz durch Besiedlung 1899–1902 Burenkrieg. Um die Jahrhun-
Australiens und afrikan. Kolonien). Er- dertwende Reichsreform (J. Chamberlain):
neute erbitterte Machtprobe im Zeitalter Abschließung nach außen, Zusammen-
der Frz. Revolution und Napoleons bis an schluss nach innen, besonders wirtschafts-
den Rand wirtsch. Erschöpfung und bis polit. (zunächst gescheitert); Sieg des föde-
zur siegreichen Entscheidung: Alleinherr- ralist. Prinzips (Umwandlung der Sied-
schaft zur See durch die Siege Nelsons; lungskolonien in freie Dominions, voran
neue koloniale Beute (Kapland, Ceylon, Kanada 1867). 1911 Entmachtung des
Malta), keine Zugeständnisse an die Prin- Oberhauses (kein Vetorecht mehr), 1912
zipien der Frz. Revolution (Gleichheit, ra- Gesetz über Homerule (Selbstverwaltung)
dikale Demokratie), maßgeblicher Einfluss in Irland, dagegen Widerstand des nordir.
auf die territoriale Neugestaltung Europas Ulster; Bürgerkriegsgefahr, gebannt durch
auf dem ↑ Wiener Kongress. – Grundzüge Ausbruch des 1. Weltkrieges, an dem sich
der Entwicklung bis zum 1. Weltkrieg: G. G. gemäß seiner frz. Bindungen (↑ Entente
führende Industrie-, Handels- und See- cordiale) und aufgrund der Verletzung der
macht, Hort des Hochkapitalismus, größ- Neutralität Belgiens durch Deutschland
ter Gläubigerstaat der Welt, imperialist. beteiligte (Hauptursache des Gegensatzes
Großmacht von einzigartigem Typus (Ver- zu Deutschland: dt. Flottenbau); erstmals
bindung von zivilisatorischer Mission mit seit den Napoleon. Kriegen zählte Russ-
wirtsch. Nutzung). Voraussetzung dieser land zum Bundesgenossen (Interessenkon-
Weltstellung: sozialer Frieden im Innern; flikt, bes. in Persien, durch das Abkommen
nach 1815 gefährdet durch die Reaktion von 1907 beigelegt). Neben finanziellen
der (konservativen) Tories, Wirtschafts­ und militär. Opfern (1916 allg. Wehr-
krisen, Klassenkampf (neue Klassen: Un- pflicht) zählte die Mobilisierung der Welt-
ternehmerbourgeoisie und Proletariat); ge- meinung gegen Deutschland, die Blockade
sichert durch den Sieg der lib. Reformpar- Deutschlands und die Gewinnung der
tei: 1829 Katholikenemanzipation, 1832 USA als Kriegsverbündeten zu den Fak-
1. Parlamentsreform (bes. Erweiterung des toren, die entscheidend zum Sieg von 1918
Wahlrechts, fortgesetzt 1867 und 1884), beitrugen. Trotz Beerbung Deutschlands in
1846 Aufhebung der Kornzölle (↑ Anti- der Südsee und in Afrika und Erwerb von
Corn-Law-League); dagegen Scheitern des Positionen in der Türkei und den arab.
↑ Chartismus; Notlage der Fabrikarbeite- Ländern machtpolit. Abstieg, begleitet von
rinnen) war Schattenseite der liberalen Ära inneren Krisen: Verschuldung, Verlust von
neben der Vergewaltigung Irlands. Im Absatzmärkten (bes. an die USA), lange
„Viktorian. Zeitalter“ (1837–1901), der Streiks (z. B. Bergarbeiterstreik 1921), Wirt­
Glanzzeit G.s., polit. Führung wechselnd schaftsdepression (1931 Aufgabe des Gold-
zw. ↑ Gladstone und ↑ Disraeli, zw. pazifist. standards), einschneidende Sozialreformen,
Liberalismus und ausgreifendem Imperia- erzwungen von der Labour Party (die in-
lismus. Ausbau des Empire: Besiedlung folge des allgemeinen Wahlrechts seit 1918
Australiens, 1840 Hongkong (Opium- die Liberalen verdrängte); dazu der Verlust
krieg), 1857/58 Übergang der Verwaltung Irlands (ab 1921 Freistaat, aber theoretisch
Indiens von der ↑ Ostindischen Kompanie noch im Reichsverband), sich häufende

367
Große Depression

Schwierigkeiten mit den „coloured na- ganjika unabhängig, 1959 Singapur auto-
tions“, den erwachenden farbigen Völkern nom; 1963 wurden Kenia und Uganda un-
(besonders Indien und in Afrika), weitere abhängig; Rhodesien erklärte 1965 einsei-
Ruflockerung des Reichsverbandes (Com- tig die Unabhängigkeit von G.; Mitte der
monwealth statt Empire), Zurückweichen 60er Jahre Ende des Entkolonisierungspro-
vor den Achsenmächten (1938 Münchener zesses; seit 1973 ist G. Mitglied der EG. –
Abkommen). Doch 1939 in Erfüllung der 1964 Regierung der Labour Party, schei-
Bündnispflicht gegenüber Polen Kriegser- terte 1967 an der Gewerkschaftsreform,
klärung an Deutschland, im 2. Weltkrieg die von der nachfolgenden konservativen
zeitweilig (1940/41) fast auf sich allein ge- Regierung ↑ Heath durchgesetzt wurde.
stellt. Nach verlustreichem Kampf unter 1974 Wahlsieg der Labour Party, erneute
Führung Churchills noch immer unter den Regierung Wilsons. Eines der größten Pro-
„Großen Vier“ der Siegerstaaten, aber als bleme Großbritanniens war die bürger-
Handels- und Seemacht von den USA kriegsähnl. Situation in Nordirland, dort
weitgehend abhängig und als Schuldner- 1973 Einsetzung einer Allparteienregie-
land zur Zusammenarbeit mit diesen ge- rung, 1974 Gesetz zur Bekämpfung des
zwungen. 1945–1951 unter der Labour- Terrorismus, 1976 Callaghan Premiermin.
Regierung soziale „Revolution ohne Trä- Bei den Unterhauswahlen 1979 Sieg der
nen“, Verstaatlichung der Schlüsselindus­ Konservativen (1983 und 1987 bestätigt);
trien und Kampf um wirtsch.-finanzielles 1979–90 konservative Regierung unter
Gleichgewicht zur Wiedererlangung der Margaret ↑ Thatcher mit restriktiver Wirt-
polit. Handlungsfreiheit, Rückgabe des pa- schafts- und Währungspolitik (Steuersen-
lästinens. Mandates, Räumung Ägyptens kungen, Abbau des Wohlfahrtsstaates, Re-
(das auch den Abzug der brit. Truppen aus privatisierungen, Eindämmung der Macht
der Suez-Kanal-Zone forderte und den Su- der Gewerkschaften). 1990 John Major
dan beanspruchte), Unabhängigkeit Liby- Premierminister, 1997 Tony Blair von der
ens, Indiens, Pakistans und Burmas, Gue- Labour-Party. Dessen Regierung geriet auf-
rillakrieg in Malaya (1957 unabhängig). grund der Beteiligung Großbritanniens am
Wachsende Selbständigkeit der Mitglieds- Irak-Krieg 2003 innenpolit. unter Druck
staaten des Commonwealth. 1950 Öl­ (Affäre um den Selbstmord des ehem. Irak-
konflikt mit Persien. 1951–55 konserva- Waffeninspekteurs D. Kelly).
tive Regierung Churchill; 1952 Königin Große Depression, Bez. für die der Hoch-
Elisabeth II.; 1955–1957 konservative Re- konjunktur nach 1850 folgende Phase
gierung Eden. November 1956 (gemein- der Verlangsamung des wirtschaftlichen
sam mit Frankreich und Israel) wegen der Wachstums in Europa; umfasste ungefähr
Enteignung der Suez-Kanal-Gesellschaft den Zeitraum vom Wiener Börsenkrach
durch Nasser bewaffnete Intervention in 1873 bis zur 1895/1896 einsetzenden Auf­
Ägypten, doch unter dem Druck der UN schwungperio­de. Ihre polit. Folgen waren
und der öffentlichen Meinung Rückzug, u. a. die Diskreditierung des ↑ Liberalismus
Räumung der Kanalzone, Freigabe des und Revolutionsfurcht und Status­un­sicher­
Sudans. Nach dem Rücktritt Edens 1957 heit der Mittelschichten.
Macmillan Premierminister (konservativ). Großer Kurfürst, ↑ Friedrich Wilhelm von
1957 wurden brit. Goldküste und Britisch- Brandenburg.
Togo (Ghana), 1958 Westind. Föderation, Großer Rat, 1) Kantonsrat, Landrat; vom
1960 Nigeria und Britisch-Somalia (zu So- Volk gewählte parlamentar. Körperschaft in
malia), Zypern, 1961 Britisch-Kamerun den schweizer. Kantonen, besitzt gesetzge-
(zu Kamerun), Sierra Leone und Tan- bende Gewalt und die üblichen parlamen-

368
Großgriechenland

tar. Funktionen. 2) Regierungsbehörde in dung der Lokrer, Heimat des Gesetzgebers


der Republik Venedig, die seit dem 12. Jh. Zaleukos; Rhegion an der Straße von Mes-
die Macht der Dogen kontrollierte; exis­ sina (gegr. um 717 von Chalkis aus), Hei-
tierte bis 1797. mat des Sängers Ibykos. An der SW-Küste
Großer Vaterländischer Krieg, sowjet. Italiens entstanden u. a. (im Landesinnern
Bez. für den Krieg zw. der UdSSR und dem altital. Stämme): Elea, von Phokäern gegr.
nat.-soz. Deutschland 1941–45; bewusste Handelsstadt, die in enger Verbindung zu
Analogie zum „Vaterländischen Krieg Marseille stand, hier die älteste, von Xeno-
Russlands“ gegen Napoleon 1812. phanes gegr. Philosophenschule, Wirkungs­
Groß-Friedrichsburg, kurbrandenburgi­ stätte des Parmenides und Zenon; Poseido­
sche Fes­tung und Kolonie an der afrika- nia (Paestum) am Golf von Salerno, als
nischen Goldküste, 1683 im Auftrag des Tochterstadt von Sybaris um 680 gegr. mit
Großen Kurfürsten durch General von z. T. gut erhaltenen Tempeln, Opferschäch-
Groeben gegr., 1717 an Holland verkauft. ten mit Weihegaben und Mauerring; Nea­
Großfürst, urspr. Titel der Oberherrscher pel, gegr. um 550, Handelsstadt; Kyma
in Litauen und Russland; später im zarist. (Cumae), gegr. im 8. Jh. von Chalkis aus,
Russland Titel der kaiserlichen Prinzen. Sitz der Sibylle von Chalkis; Puteoli, als
Großgörschen bei Leipzig, 1813 Sieg Na- Hafen bei Neapel um 528 gegr. An der si-
poleons über die Verbündeten; tödliche zil. Küste u. a. die Städte Syrakus, gegr. im
Verwundung Scharnhorsts. 8. Jh. von Korinth aus, mit Tochterstäd-
Großgriechenland (Megale Hellas, Magna ten Akrei, Kamarina, Himera, mehrmals
Graecia oder Graecia Magna), das Gebiet Haupt eines Städtebundes, um 250 volk-
der überseeischen Kolonien Alt-Griechen- reichste griech. Stadt, zeitweise Lehrstätte
lands, der „Westgriechen“ in Unteritalien Platons, Heimat des Archimedes; Akragas
und auf Sizilien. Auswanderung aus den (Agrigentum), um 528 von Gela aus gegr.,
verschiedenen Gegenden des Mutterlandes mit Getreide-, Wein-, Ölausfuhr, Geburts-
seit dem 8. Jh. durch die Engräumigkeit stadt des Empedokles, vergebliches Ziel
der Heimat, durch Kargheit des Bodens, einer athen. Invasion (415); Selinos, west-
Parteikämpfe und Handelsinteressen veran­ lichste sizil. Griechenstadt, im 7. Jh. von
lasst; hauptsächlich Bauernsiedler. An der Megara aus gegr., mit berühmten Bildhau-
alt­italischen Südküste entstanden u. a. fol- erwerkstätten und Steinbrüchen; im Inselin­
gende Städte: Tarent (gegr. 708 v. Chr. von nern Sklavenmarkt Enna und Münzstätte
Spartanern), zeitweise reichste und mäch- Segesta. Das ital. G. vermittelte Römern
tigste Stadt G.s, bedeutend durch Schaf- und den z. T. benachbarten Etruskern frü-
zucht, Wollstoffe, Purpurausfuhr, Heimat heste Kenntnisse griech. Kultur und mittel-
des pythagorä. Philosophen Archytas; Sy- meer. Handelswaren, war aber unfähig zur
baris (gegr. 709 v. Chr. von Achäern), Han- Reichsbildung, jeder Stadtstaat war selb-
delsstadt, mit Straßenzug zum Tyrrhen. ständig; als letzte ital. Griechenstadt verlor
Meer, berühmt durch ihre Gastronomie Tarent 209 v. Chr. sein Sonderdasein; Un-
und ihre Kleinkunst; die Stadt 510 von teritalien wurde röm. Das sizil. G. eben-
den Bewohnern Krotons völlig zerstört, falls ohne zentrale Staatenbildung; frühe
an ihrer Stelle gründeten 449 die Athe- Kämpfe mit Phönikern, Erbfeindschaft
ner die Stadt Thurioi (Sterbeort Herodots, mit den den Westteil der Insel beherr-
425 n. Chr.); Kroton, Kolonie der Achäer, schenden Karthagern (Handelskonkurrenz
mit dem von dem Ionier Pythagoras gegr. und Kämpfe um Landbesitz); Ende der
Orden der Pythagoräer, Heimat des Philo- Freiheit 241 bzw. 212 (Fall von Syrakus),
sophen und Arztes Alkmaion; Locri, Grün- Sizilien wurde röm. Provinz.

369
Großherzog

Großherzog, fürstl. Rangstufe zw. König die geschichtliche Zeitrechnung verdient:


und Herzog, erstmals 1569 in Toskana „Chronologie des Mittelalters“, „Taschen-
(Medici); 1815–1918 gab es in Deutsch- buch der Zeitrechnung“.
land 6 Großherzogtümer: Baden, Hessen, Grotewohl, Otto, dt. Politiker, 1894–
Sachsen-Weimar, Mecklenburg-Schwerin, 1964; seit 1912 Mitgl. der SPD, 1919
Mecklenburg-Strelitz und Oldenburg; Wechsel zur USPD, 1922 wieder SPD,
heu­te nur noch in Luxemburg. 1925–1933 Mitglied des Reichstages,
Großmächte, die machtpolit. führenden 1938/39 für 7 Monate in Haft; betrieb
Staaten, gekennzeichnet durch Geschlos- 1946 die Fusion der SPD mit der KPD zur
senheit im Innern, Kraftentfaltung und SED, deren Vorsitzender er neben W. Pieck
Prestige nach außen; in ihrem Rang und 1946–1954 war, 1949–1964 Ministerprä-
dessen Wahrung an bestimmte räumliche, sident der DDR.
militär., wirtsch. und kulturelle Vorausset- Grotius (de Groot), Hugo, niederlän-
zungen gebunden. Nach dem Abstieg Spa- discher Jurist und Staatsphilosoph, 1583–
niens und dem Ausscheiden der „künstl.“ 1645; als Gegner der Oranier mehrfach im
G. Niederlande und Schweden entschied Exil; 1635–1645 schwedischer Gesandter
seit dem 18. Jh. die europ. „Pentarchie“ in Versailles; Begründer der Staats- und
(= Fünfherrschaft) über das Geschick Eu- Völkerrechtslehre (modernes Naturrecht
ropas bzw. der Welt: Frankreich, England, und Völkerrecht). Hauptwerke: „De jure
Österreich(-Ungarn), Russland und Preu- belli ac pacis“ (Das Recht im Krieg und
ßen (seit 1871 Deutschland); im Zeitalter im Frieden); „Mare liberum“ (Freiheit der
des Imperialismus rechneten auch Italien Meere).
und als erste außereurop. Staaten die USA Gruber, Karl, österr. Politiker, 1909–1995;
und Japan zu den G.n; äußerliches Kenn- Gegner des „Anschlusses“ Österreichs an
zeichen der G. war die Entsendung von das Dt. Reich 1938. Ende des 2. Weltkriegs
Botschaften (statt Gesandten), doch eig- führend in der Tiroler Widerstandsbewe-
neten sich bes. nach dem 1. Weltkrieg auch gung; 1945–1953 ÖVP-Abgeordneter im
mittlere Staaten dieses Vorrecht an; nach Nationalrat und Außenminister, 1954–57
dem 1. Weltkrieg hatten nur G. einen An- Botschafter in den USA, 1961–66 in Spa-
spruch auf ständigen Sitz im Völkerbunds- nien, 1966 in Bonn, 1970–72 erneut in
rat; seit 1945 ist der Begriff Weltmächte den USA, 1972–74 in der Schweiz.
oder Supermächte gebräuchlich. Gründerjahre, in Deutschland die Zeit
Großmogule, ↑ Mogulreich. nach dem siegreichen Dt.-Frz. Krieg von
Großmufti, (fälschlich) Titel des durch 1870/71, in der, begünstigt durch den
seine polit. Aktivität bekannten Mufti von „Milliardensegen“ der frz. Kriegsentschädi-
Jerusalem Hadsch Amin Al ↑ Husseini. gung und die großzügige lib. Wirtschafts-
Großsteingrab-Leute, ↑ Megalithkultur. gesetzgebung, zahlreiche unsolide Aktien-
Großwesir, in islamischen Ländern der gesellschaften und Firmen gegr. wurden,
erste Staatsbeamte und Siegelbewahrer des die vielfach, bes. 1873, zusammenbrachen
Herrschers; seit dem 19. Jh. bis 1922 Titel („Gründerkrach“).
des türk. Ministerpräsidenten. Grundgesetz, die am 23. Mai 1949 vom
Grotefend, dt. Forscher: 1) G., Ge- Parlamentarischen Rat (↑ Deutschland,
org Friedrich, Gymnasiallehrer, 1775– Bundesrepublik) verkündete und vom Prä-
1853; entzifferte 1802 die (assyro-baby- sidenten des Parlamentar. Rates, Konrad
lon.) ↑ Keilschrift. 2) G., Hermann, Ge- Adenauer, und den Regierungschefs und
schichtsforscher, 1845–1931; machte sich Landtagspräsidenten der westdt. Länder
durch wichtige Nachschlagewerke über unterzeichnete, auf den demokratischen

370
Grundherrschaft

Grundrechten beruhende Verfassung der Bundeskanzlers sind gegenüber denen des


Bundesrepublik Deutschland (seit 1957 Reichskanzlers der Kaiserzeit, der als vom
einschließlich Saarland), ursprünglich dazu Kaiser ernannter oberster Reichsbeamter
bestimmt, „dem staatlichen Leben für eine fungierte, und gegenüber denen des Reichs-
Übergangszeit eine neue Ordnung zu ge- kanzlers der Weimarer Republik vergrößert
ben“, d. h. bis zur Wiederherstellung der dt. (dieser konnte durch das Misstrauensvo-
Einheit. Im Grundgesetz sind die Grund- tum der einfachen Mehrheit zum Rücktritt
rechte (Artikel 1–19) und die Festlegung gezwungen werden und war dadurch oft
der Staatsform als demokrat. und sozialer den Zufallsmehrheiten und der Stimmung
Bundesstaat (Artikel 20), die auf der Volks- des Parlaments unterworfen); der Bundes-
souveränität, der Gewaltenteilung und der kanzler bestimmt die Richt­linien der Poli-
Garantie der Grundrechte basiert, enthal- tik der Regierung, trägt dafür die Verant-
ten. Die darauf folgenden Artikel (21– wortung und kann nur durch ein „kon-
146) regeln das Verhältnis von Bund und struktives Misstrauensvotum“ zum Rück-
Ländern, die Rolle der Verfassungsorgane tritt gezwungen werden, d. h. die Mehrzahl
u.a. Verfassungsänderungen wurden seit der Bundestagsmitglieder muss dem Bun-
1949 mehrfach durchgeführt, so z. B. auf- despräsidenten einen neuen Bundeskanzler
grund der Wiedervereinigung beider deut- benennen. – Der in allgemeiner, unmittel-
scher Staaten 1990. Die Grundgesetzände- barer, freier, gleicher und geheimer Wahl
rungen bedürfen einer Zweidrittelmehrheit gewählte Bundestag ist wie der Weimarer
in Bundestag und Bundesrat. Das Grund- Reichstag das stärkste Verfassungsorgan
gesetz ist die oberste Rechtsnorm der Bun- und die Verkörperung des Bundesvolkes
desrepublik Deutschland. – Wesentliche (demgegenüber hatte der Reichstag des
Unterschiede zu früheren Verfassungen: Kaiserreiches nur untergeordnete Bedeu-
In der Reichsverfassung von 1871 war der tung, da verfassungsrechtl. der unter Aus-
Bürger nur Objekt, im G. wie in der Wei- schluss der Öffentlichkeit tagende Bundes-
marer Verfassung von 1919 ist der Bürger rat als Vertreter der unterschiedl. gewich-
Subjekt der Verfassung („Die Staatsgewalt tigen Gliedstaaten [Vorrangstellung Preu-
geht vom Volke aus“); Staatsoberhaupt war ßens] das oberste Reichsorgan war). – Der
im kaiserlichen Deutschland in Erbfolge Bundesrat der Bundesrepublik hat weniger
der Kaiser, in der Weimarer Republik der Befugnisse als der Bundesrat des Kaiser-
vom Volk direkt gewählte Reichspräsident, reichs, aber mehr als der Weimarer Reichs-
dem unter Umständen direkte Eingriffe in rat; aus Mitgliedern der Landes­regierungen
Verfassung und Politik und die Errichtung der Bundesrepublik gebildet, ist er bei der
einer präsidialen Diktatur ermöglicht wa- Bundesgesetzgebung und Bundesverwal-
ren, in der Bundesrepublik der Bundesprä- tung mitentscheidend.
sident, der nicht plebiszitär (direkt durch Grundherrschaft, die Agrarverfassung des
Volksabstimmung), sondern parlamentar. MA entwickelte sich auf dem Boden der
(durch die Bundesversammlung aus Ab- frühmittelalterlichen Naturalwirtschaft
geordneten des Bundestages und der glei- und des Lehenswesens 1) aus dem spätrö­
chen Zahl Landtagsabgeordneten) gewählt mi­schen Domänenbetrieb, der mitsamt
wird; seine Rechte sind gegenüber denen Sklaven und Pächtern (Kolonen) in Gal-
des Reichspräsidenten vermindert, er ist lien von den Franken übernommen wor-
absetzbar (durch Verfassungsklage vor den war (heute umstritten); 2) aus german.
dem Bundesverfassungsgericht, zu dem die Verhältnissen (bes. der Wanderzeit: „Leib-
Zweidrittelmehrheit von Bundestag/Bun- herrschaft“ ist die Verfügung über die Ar-
desrat erforderlich ist). – Die Rechte des beitskraft Unfreier), Grundherren waren

371
Grundhold

neben dem König (Königsgut) und der recht, demzufolge Wagen- oder Schiffsla-
Kirche (Schenkungen) die weltl. Großen, dungen dem Grundherrn verfielen, sobald
die ihren Besitz durch Inanspruchnahme sie beim Passieren seines Hoheitsgebietes
von Niemandsland und durch Rodung dessen Boden oder die Ufer der Gewäs-
erweiterten und darauf Sklaven (Kriegs- ser berührten (z. B. bei Achsenbruch oder
gefangene) oder Landsuchende ansiedel- Strandung, Schiffbruch usw.).
ten; erweitert wurde die G. auch durch Grundlagenvertrag (Grundvertrag), völ-
gewaltsame Unterwerfung von Freibauern kerrechtl. Vertrag über die Grundlagen
oder deren „Selbstergebung“. Übereignung der Beziehungen zw. der Bundesrepublik
ihres Landes an den Herrn bei gleichzei- Deutschland und der DDR vom 21. Dez.
tiger Rückgabe ihres (oft vergrößerten) 1972 (in Kraft seit 21. Juni 1973). Der
Besitzes zur weiteren Nutzung; dadurch G. schrieb gleichberechtigte Beziehungen
Befreiung vom Kriegsdienst und Schutz fest, forderte Gewaltverzicht, Unverletz-
durch den Herrn, dem bestimmte Abga- lichkeit der Grenzen, die Förderung von
ben (in Naturalien, später in Geld) zu ent- Rüstungsbegrenzung, die Respektierung
richten waren. Die G. begründete sehr ver- der jeweiligen Unabhängigkeit und die
schiedene Abhängigkeitsverhältnisse, z. T. Regelung humanitärer Fragen. In Zusatz-
landschaftlich bedingt; der Grundherr war papieren wurden u. a. Familienzusammen-
oft zugleich Gerichtsherr; häufig bewirt- führung, kleiner Grenzverkehr und UN-
schaftete er selbst einen (Herren-)Hof in Beitritt geregelt. Ferner wurden ständige
Eigenregie mit Frondiensten der Bauern; Vertretungen (nicht Botschaften) in Ber-
im Allgemeinen wandelte er sich zum blo- lin-Ost und Bonn errichtet. Die DDR
ßen Rentenempfänger, während unter ihm wurde von der Bundesrepublik aber nicht
die ehemaligen Leibeigenen, Pächter, Frei- völkerrechtl., sondern nur faktisch an-
bauern usw. zur Hörigenklasse des späteren erkannt. Die Grenze zwischen den Staa-
MA verschmolzen, die in den ↑ Bauern- ten wurde zwar als Staatsgrenze zwischen
kriegen vergeblich ihr „altes Recht“ wieder­ zwei Staaten, aber auf dem Fundament des
zuerlangen suchten. Ende der G. erst durch noch existierenden Staates „Deutschland
die Agrarreformen Anfang 19. Jh.; ↑ Guts- als Ganzes“ betrachtet; d. h. Charakter ei-
herrschaft. ner Grenze zwischen zwei Bundesländern.
Grundhold, ↑ Hintersasse. Die Bundesregierung unterstrich in einem
Grundrechte, die in Anlehnung an die begleitenden „Brief zur dt. Einheit“ ihr po-
↑ Menschenrechte vom Frankfurter Parla- lit. Ziel der Wiedervereinigung. Mit der
ment 1848/49 in der Paulskirche formulier­ Dt. Einheit 1989 hat der G. nur noch his­
ten Verfassungsgrundsätze zur Siche­rung tor. Bedeutung.
der Rechtssphäre des Einzelnen gegenüber Grusinische Heerstraße, über den mittle-
dem Staat (Unverletzlichkeit der Person, ren Kaukasus nach Tiflis, angelegt Anfang
Meinungsfreiheit usw.); 1919 in der Ver- 19. Jh. aus militär.-machtpolit. Gründen
fassung der Weimarer Republik, 1949 im (Beherrschung Transkaukasiens).
↑ Grundgesetz der BRD verankert. Kenn- Guatemala, frühestes Wohngebiet der
zeichen der lib. Demokratie im Gegensatz ↑ Maya, 1524 von den Spaniern erobert,
zu Allmacht und Willkür des absolutist. 1821 unabhängig, 1822 von Mexiko an-
oder totalitären Staates. – Die Weima- nektiert, 1823 Lostrennung von Mexiko
rer Verfassung stellte den G.n erstmalig und Mitglied der Vereinigten Staaten von
Grundpflichten gegenüber. Zentralamerika; seit 1839 vom „liberalen
Grundruhr (den Grund berührendes Diktator“ Carrera zur selbständigen Re-
Strandgut), im MA Strand- und Grundruhr­ publik und führenden Macht in Zentral-

372
Guinea

amerika erhoben, 1898–1920 weitgehende Guerilla-Krieg (span., kleiner Krieg), der


Abhängigkeit von den USA, im 1. und unorganisierte Volkskampf der Spanier ge-
2. Welt­krieg auf Seiten der Alliierten; nach gen die Franzosen 1807–1814; später all-
1945 Enteignung ausländ. Besitzes. Sturz gemeine Bez. für Partisanenkrieg.
des Präsidenten Guzman durch eine Re- Guernica, span. Ort (G. y Luno), nord-
volution, Putsche und Gegenputsche. Die östl. von Bilbao; alter Versammlungsort
Armee blieb der eigentliche Machthaber bask. Landtage; in G. wurden von kastil.
des Landes. Der Kampf verschiedener link- (später span.) Königen seit dem MA mit
sorientierter Guerillaverbände (seit 1961) einem öffentlichen Eid die bask. Autono-
löste Gegenterror rechtsextremer Gruppen mierechte garantiert; 1937 durch einen
aus. Nach Militärputsch 1982 verstärkte Bombenangriff (Legion Condor) zerstört.
Verfolgung der Opposi­tionsgruppen, Mas- Die Zerstörung von G. hat Picasso 1937
saker an der Zivilbevölkerung. 1984 Sieg in einem gleichnam. berühmten Gemälde
der Mitte-Links-Partei der Christdemo- festgehalten.
kraten bei den Wahlen zur Verfassungge- Guesclin, ↑ Du Guesclin.
benden Versammlung; 1986 wurde zum Guevara Serna, Ernesto, gen. Che Gue-
ersten Mal seit 16 Jahren wieder ein Prä- vara, kuban. Politiker, 1928–1967; Arzt,
sident gewählt (der Christdemokrat M. V. kämpfte seit 1956 mit F. Castro im Gue-
Cerezo Arevalo), doch auch die 80er waren rilla-Krieg gegen die Batista-Herrschaft
von Putschversuchen, Gewalt gegen India­ auf Kuba, 1959–61 Präs. der kuban. Natio­
ner und einer aktiven Guerilla­bewegung nalbank, 1961–65 Industrieminister, maß-
geprägt. Ab 1991 unter Präs. Serrano Elias gebl. an Nationalisierung und Sozialisie-
Verhandlungen mit der Guerilla, 1994 rung der Industrie beteiligt; ab 1965 in
unter Präs. Ramiro de León Carpio eine Bolivien, wo er als Führer einer Guerilla-
„Wahrheitskommission“ zur Untersu- Gruppe erschossen wurde; weltweites Sym-
chung von Menschenrechtsverletzungen bol revolutionärer Befreiungsbewegungen.
während des Bürgerkrieges, 1996 Friedens­ Guicciardini, Francesco, Staatsmann und
schluss zw. den Bürgerkriegsparteien. Ne- Geschichtsschreiber, 1483–1540; Freund
ben sozialen Problemen immer wieder Na- der Medici, verfasste die erste Gesamtge-
turkatastrophen: 1998 Vulkanausbrüche, schichte Italiens.
Hurrikans, Überschwemmungen und Erd- Guido von Lusignan, ab 1186 König von
rutsche, 2002 wegen Dürre Katastrophen- Jerusalem, 1187 von Sultan Saladin besiegt
zustand. und gefangen, 1193 König von Zypern,
Gudea, akkad.-sumer. Priesterkönig von gest. 1195.
↑ Lagasch, um 2 000 v. Chr.; interessante Guillotine, eine (schon im MA bekannte)
Aufschlüsse über ihn geben beschriftete Köpfmaschine, für deren allg. Einführung
Standbilder (Tonzylinder); friedl. Blütezeit während der Frz. Revolution sich der Arzt
des Handels, reiche Tempelbauten. Guillotin aus Gründen der „Humanität“
Guelfen (Welfen), Parteigänger der Päpste einsetzte; von der Gesetz­gebenden Ver-
und Städte in Italien während der Staufer- sammlung im März 1792 eingeführt; spä-
zeit, Gegner der ↑ Ghibellinen. ter auch in dt. Ländern mit frz. Strafrecht
Guericke, Otto von, dt. Physiker, 1602– als Fallbeil übernommen.
1686; Erfindung der Luftpumpe, Erklä- Guinea, Republik am Golf von G.; Suda-
rung des Luftdrucks und der Schallfort- nesen und Bantu, Hauptstadt Conakry;
pflanzung, Bau der ersten Reibungselektri- einst Teilstück der portugies. Pfeffer-, Elfen­
siermaschine und eines Thermometers; seit bein-, Gold- und Sklavenküste; schon den
1646 Bürgermeister von Magdeburg. Karthagern bekannt (Fahrt des Hanno,

373
Guinea-Bissau

5. Jh. v. Chr.); entdeckt 1446; 1481 von Friedensverhandlungen weiterhin bewaff-


Portugiesen, dann Engländern 1558, Hol- nete Auseinandersetzungen zwischen regie-
ländern 1621, vorübergehend auch von rungstreuen und -kritischen Militärs. 2003
Dänen besiedelt; 1717 an die Holländ. erneut Militärputsch, Einsetzung einer Mi-
Westind. Kompanie abgetreten. Im 19. Jh. litärjunta unter General Veríssimo Correia
allmähliche geograf. Erschließung im Zu- Seabra.
sammenhang mit dem Nigerproblem Guinegate, Dorf in der ehemaligen Graf-
durch Mungo Park, Claperton, Denham, schaft Artois; zwei frz. Niederlagen: gegen
Oudney, Landes und Hourst. Seit 1865 Maximilian I. 1479 im Kampf um bur-
wirtsch. Erschließung durch Frankreich; gund. Erbe und 1513 gegen die Englän-
1886 Errichtung einer ftz. Verwaltung, der („Sporenschlacht“, Spottname für die
1891 frz. Kolonie; 1904 mit Senegal, Su- schimpfliche Niederlage der frz. Reiterei).
dan, Elfenbeinküste, Dahomey, Niger und Guiscard, ↑ Robert Guiscard.
Obervolta zum Generalgouvernement Frz.- Guise, frz. Herzogsfamilie aus dem Haus
Westafrika zusammengeschlossen; 1947 Lothringen, nach der befestigten Stadt G.
zur Frz. Union, 1958 nach Bildung der Frz. an der Oise benannt, seit 1527 Herzöge,
Communauté und nach Volksentscheid 1675 ausgestorben; die G. zeichneten sich
Unabhängigkeitserklärung unter Sékou aus als Vorkämpfer der kath. Partei in den
Touré, dessen Ziel die „Vereinigten Staa- Religionskämpfen des 16. Jh. – 1) G.,
ten von Afrika“ waren; 1960 Föderation Franz von, genannt „Le Balafré“ (der Nar-
mit Ghana und Mali. Anlehnung an die bige), 1520–1563; General der Galeeren;
sozialist. Staaten; die Unzufriedenheit in eroberte 1558 Calais, den letzten engl.
der Bevölkerung über Mängel in der Kon- Stützpunkt; erbitterter Gegner der Hu-
sumgüterversorgung wurde durch Kampag­ genotten; vor Orléans ermordet. 2) G.,
nen gegen Verschwörung und Invasions- Karl von, „Kardinal von Lothringen“,
versuche kompensiert. Seit 1978 normali- 1524–1574; einflussreicher Minister un-
sierte G. seine Beziehungen zu zahlreichen ter Franz II. und Karl IX. 3) G., Heinrich
Staaten innerhalb und außerhalb Afrikas. von, 1550–1588; beteiligt an der ↑ Bartho-
Nach S. Tourés Tod (1984) unblutiger Mili­ lomäusnacht 1572; Gründer der kath. Liga
tärputsch, die Einheitspartei PDG wurde von 1576, beherrschte Heinrich III., der
aufgelöst. 1991 neue Verfassung, Grün- ihn zu Blois ermorden ließ. 4) G., Marla
dung polit. Parteien. 1993 erste freie Prä- von, 1515–1560; als Gattin Jakobs V. von
sidentschaftswahlen (seither Präs. Lansana Schottland Mutter der Maria Stuart und
Conté), 1995 Parlamentswahlen, aber, wie seit 1542 Regentin.
auch bei folgenden Wahlen, Verdacht des Guizot, Guillaume, frz. Staatsmann und
Wahlbetruges; daher Wahlboykottvon der Historiker, 1787–1874; als Außenminister
Opposition (unter A. Condé). Seit Sept. seit 1840 (Kabinettschef seit 1847) Leiter
2000 Grenzkonflikte mit den benachbar- der Politik des Bürgerkönigtums; nach der
ten Bürgerkriegsländern Sierra Leone und durch seine Reformfeindlichkeit verursach-
Liberia aufgrund von Guerilla-Angriffen. ten Februarrevolution 1848 einige Jahre im
Guinea-Bissau, Republik in Westafrika, brit. Exil; schrieb u. a. „Geschichte der Zi-
bis 1974 Portug.-Guinea; seit 1980 von vilisation in Frankreich“.
Militärs regiert, nach der Verfassung von Gulden, Goldmünze, zuerst 1252 in Flo-
1984 eine „antikolonialist. und antiimpe- renz geprägt (Fiorino, Florin, abgekürzt
rialist. Republik“. Anfang der 90er Ein- Fl.); später in Deutschland, im 16. Jh. als
leitung demokratischer Reformen, 1998 Silber-G. (bis ins 19. Jh. dt. Münzeinheit).
Militäraufstand unter General Mané, trotz Bis 2001 in den Niederlanden.

374
Gutenberg

Gundobad, König der Burgunder, gest. Gustav, Könige von Schweden: 1) G. I.
516; seit 480 gemeinsam mit seinen Brü- Wasa, 1496–1560; im Kampf gegen die
dern auf dem Thron, Alleinherrscher seit Dänen 1521 zum Reichsverweser, 1523
501; unter ihm entstand die „Lex Burgun- zum König gewählt, führte 1527 die Refor-
dionum“, das burgund. Volksrecht. mation in Schweden durch, zog die geistl.
Gunther, in der Nibelungensage König der Güter ein; Stammvater des Hauses Wasa,
Burgunder am Mittelrhein, histor. ident. Begründer der schwed. Erbmonarchie;
mit König Gundahar, der um 413–436 in Nachfolger sein Sohn Erich XIV. 2) G. II.
Worms residierte und von den Hunnen er- Adolf, 1594–1632, Enkel von 1), Sohn
schlagen wurde. Karls IX., bestieg 1611 den Thron, Be-
Günther, Graf von Schwarzburg, 1304– gründer der Großmachtstellung ↑ Schwe-
1349; nach dem Tod Ludwigs des Bayern dens, kämpfte nach innerer Reformtätig-
von der Bayer. Partei 1349 zum Gegenkö- keit siegreich gegen Russland (1614–1617,
nig Karls IV. gewählt, trat schwerkrank die Gewinn von Karelien und Ingermanland)
Krone gegen 20 000 Mark Silber ab. und Polen (1621–1629, Erwerb Livlands
Gupta-Reich, Großreich, unter den künst- und Poln.-Preußens); griff 1630 als Schüt-
lerisch interessierten Gupta-Kaisern zeit- zer der Protestanten in den ↑ 30-jährigen
weise ganz Nordindien umfassend, Haupt- Krieg ein, besiegte Tilly 1631 bei Breiten-
stadt Pataliputra, 320–570 n. Chr.; gol- feld, rückte nach Süddeutschland vor, fiel
denes Zeitalter indischer Kultur, zeitweise im Kampf gegen Wallenstein bei Lützen
auch Kontrolle über den Dekhan, tole- (Nachfolgerin seine Tochter Christine, die
ranter, nach außen abgesicherter „Wohl- 1654 abdankte; das Haus Wasa abgelöst
fahrtsstaat“ mit großkapitalist. Gesell- vom Haus Pfalz-Zweibrücken). 3) G. III.,
schafts- und Wirtschaftsordnung, fremde 1746–1792; aus dem Haus Holstein-
Kulturen absorbierend. Unter Semudra- Gottorp, regierte seit 1771, führte neue
gupta (um 340–380) Lehnsherrschaft über adelsfeindl. Verfassung ein, kämpfte ge-
Nepal, Assam, den Pandschab. Um 400 gen Russland und Dänemark, auf einem
Tschandragupta I., Eroberung Zentralin- Maskenball ermordet. 4) G. IV. Adolf,
diens, Baktriens und Bengalens. Am Hof 1778–1837; regierte seit 1792; Gegner
des G.s berühmteste ind. Gelehrte, Dich- Napoleons, an den er Vorpommern verlor;
ter, unter ihnen der größte Epiker Indiens, wegen Ablehnung der ↑ Kontinentalsperre
Kalidasa. Klassik der indischen Dichtung, Krieg mit Russland und Dänemark, der
Kunst und Wissenschaft; hohe Tempel- zum Verlust Finnlands u. a. führte, 1809
baukunst des Buddhismus (Höhlenheilig- abgesetzt. 5) G. V., 1858–1950; aus dem
tümer und Stupen); Freitempel der Hindus Haus Bernadotte, regierte seit 1907, hielt
und Jainas mit Stein- und Terrakottareliefs sein Land in beiden Weltkriegen neutral.
und ideal erfassten Götterbildern. Reichs- 6) G. VI. Adolf, 1882–1973; führte als Ar-
auflösung im 6. Jh. beginnend mit dem chäologe Grabungen in Griechenland und
Einfall und der Festsetzung der zentralasia- Italien durch.
tischen „Weißen Hunnen“ (Hephthaliten), Gutenberg, Johann Gensfleisch zum, Er-
der Subikas und Gurjaras. Zerfall in Mi- finder der Buchdruckerkunst mit beweg-
litärstaaten (530–570 n. Chr.); Inflationen, lichen Lettern, um 1400–1468; aus Main-
Verarmung des Bürgertums und der Bau- zer Patriziergeschlecht, begann sein Werk
ern, Schwinden des buddhist. Glaubens, (↑ Buchdruck) in Straßburg und vollen-
Renaissance des Brahmaismus. Übergang dete es in Mainz. Um 1452–1455 druckte
in den Feudalismus des ind. Mittelalters G. sein Hauptwerk: die auch künstlerisch
(↑ Indien). vollendete 42-zeilige (lat.) G.bibel (Main-

375
Gutsherrschaft

zer Kleindrucke aus dieser Zeit, z. B. der Gutschkow, Alexandr Iwanowitsch, russ.
Türkenkalender, stammen allem Anschein Politiker, 1862–1936; war 1905 Mitbe-
nach nicht von G.). Erster Nutznießer sei- gründer und Vorsitzender der Reformpar-
ner Erfindung war sein Geldgeber ↑ Fust, tei der russ. Oktobristen und 1910/11 Prä-
dessen Darlehen G. nicht zurückzahlen sident der Duma; nahm im Jahr 1917 die
konnte und der seine Werkstatt übernahm. Abdankungsurkunde Kaiser Nikolaus‘ II.
G.s Erfindung war technisch so durch- in Pleskau entgegen; 1918 emigriert.
dacht, dass sie erst im 19. Jh. weiterentwi- Guyana, Republik im NO Südamerikas;
ckelt zu werden brauchte (Königs Schnell- seit 1815 brit. Kolonie, seit 1928 Kronko-
presse, Setzmaschine). lonie, erlangte 1966 die Unabhängigkeit,
Gutsherrschaft, die auf dem Kolonial­ blieb aber weiterhin Mitglied des Com-
boden Ostdeutschlands (Ostelbiens) ausge­ monwealth. 1970 in eine Republik um-
bildete Agrarverfassung; zum Unterschied gewandelt, wurde G.s Entwicklung durch
von der westlichen ↑ Grundherrschaft aus- die Auseinandersetzungen zweier kommu-
geprägtes Herrschaftssystem: Der Gutsherr nist. Parteien geprägt. Erst Anfang der 90er
war „dominus terrae“ (Landesherr) über wurden Reformen hin zu einer marktwirt-
jedermann im Gutsbezirk, der praktisch schaftlichen Ausrichtung eingeleitet. Präsi-
ein Staat im Staate war. Die G. entwickelte dent ist seit 1999 Bharrat Jagdeo, der ne-
sich aus der wirtsch. Notlage der ostdt. Rit- ben den wirtschaftlichen Problemen auch
ter im 14./15. Jh. (Verödung des Landes in- die seit Jahrzehnten bestehenden Grenz-
folge Pest usw.), die darauf selbst Höfe be- streitigkeiten mit Venezuela und Surinam
wirtschafteten, das umliegende Bauernland lösen muss.
einzogen (Bauernlegen) und sich zugleich Guyenne, ↑ Aquitanien.
vom schwachen Landesfürsten gerichts- Gyges, König der Lyder (um 682–
herrliche, steuerliche u. a. Rechte („Patri- 652 v. Chr.); entthronte seinen Vorgänger
monialgerichtsbarkeit“) übertragen ließen; Kandaules mit Hilfe von dessen Gemah-
die Rechtslage der Bauern verschlechterte lin, eroberte ionische Kolonien, fiel gegen
sich zur Erbuntertänigkeit. Durch die G. die Kimmerier, die seine Hauptstadt Sar-
stand die Verwaltung des preuß. Staates des besetzten (Held der griech. Sage und
„auf einem langen und einem kurzen des Dramas „Gyges und sein Ring“ von
Bein“, denn der Gutsherr stand gleichbe- Hebbel).
rechtigt neben dem Beamten des Königs Gymnasium (griech. „Gymnasion“, gym-
bzw. dem Träger der städt. Verwaltung. nos, nackt), in Altgriechenland ursprüng-
Die G. wurde durch die ↑ Bauernbefreiung lich Stätte sportl. Übungen und vormilitär.
(Stein-Hardenbergsche Edikte seit 1807) Abhärtung (ohne Kleidung), später auch
beseitigt, doch wurden die „Junker“ mit geistiger Ausbildung und Lernschule; seit
Bauernland entschädigt und wurden kapi­ dem 19. Jh. Name der höheren Schulen auf
talist. Großgrundbesitzer, die ihren tradi- der Grundlage klass.-humanist. Bildung.
tionellen polit. Einfluss dazu benutzten,
ihre „Getreidefabriken“ durch Kornzölle,
Staatssubventionen usw. unter dem Welt-
marktdruck rentabel zu erhalten.

376
Haager Abkommen

Haager Abkommen (Kon- fragen, für die er Gutachten ausarbeitete

H ventionen), internat. Abspra-


chen über zwischenstaatliche
Rechtshilfe und Familien-
recht (1896, 1902, 1905); Schutz der ge-
(15 Mitglieder, von der Vollversammlung
und dem Sicherheitsrat gewählt): 1951
norweg. Küstengewässerstreit mit England,
1950 Statut für Südwestafrika; 1953 frz.-
werblichen Urheber- und der Patentrechte brit. Streit um Kanalinseln.
(1925, 1947); einheitliches Wechsel- und Habeas-Corpus-Akte (lat. habeas corpus,
Scheckrecht (1910, 1912, 1930, 1931): über den Körper verfüge du!), 1679 erlas-
Schutz von Kulturgütern im Kriegsfall senes engl. Staatsgrundgesetz, nach dem
(1954); Rechtshilfe in zivilrechtlichen Fra- kein engl. Untertan ohne richterl. Unter-
gen (1955); 1964 Haager Kaufrechtsüber- suchung in Haft gehalten werden darf. In
einkommen; 1970 Haager Luftpiraterie­ allen angelsächs. Ländern gültig (in den
übereinkommen. USA seit 1787); als rechtsstaatliches Prin-
Haager Friedenskonferenzen, internat. zip auch in die kontinentaleurop. Verfas-
Konferenzen; auf Anregung des russ. Za- sungen übernommen. („Niemand darf
ren Nikolaus II. und auf Einladung der Kö- ohne richterl. Befehl verhaftet werden“).
nigin Wilhelmine der Niederlande einbe- Habsburger, nach der Stammburg („Ha-
rufen, tagten 1899 (26 Staaten) und 1907 bichtsburg“) im Aargau ben. dt. Fürsten-
(44 Staaten) in Den Haag; sie konnten geschlecht, das urspr. im Elsass und in der
keine Abrüstung durchsetzen, errichteten Nordschweiz seine Besitzungen hatte, mit
aber den Haager Schiedsgerichtshof für in- Graf Rudolf IV. Österreich und die Steier-
ternat. Streitigkeiten und arbeiteten Nor- mark gewann und durch dessen Wahl zum
men für die Land- und Seekriegführung dt. König 1273 erstmals zum Herrscher-
aus (Haager Landkriegsordnung: Schutz haus des Hl. Röm. Reiches wurde. Nach
der Zivilbevölkerung, Unversehrtheit neu- Gewinn weiterer Gebiete (Kärnten, Krain,
traler Staaten, humane Kriegführung). Vorarlberg u. a.) gelangten die H. 1438 in
Haager Schiedsgericht, 1) Haager Schieds­ den dauernden Besitz der dt. Kaiserkrone
hof, 1909 bzw. 1907 gegründet, ständiger (seit 1740 in weiblicher Linie Habsburg-
Schiedshof mit Büro in Den Haag, Rich- Lothringen), die schließlich kaum mehr
ter internat. anerkannte Juristen, auf Ver- symbol. Wert hatte und auf die Franz II.
langen der Parteien zum Gericht zusam- 1806 verzichtete. – Die von keiner ande-
mentretend (nicht für Ehrenfragen und ren europ. Dynastie erreichten Erfolge der
bei lebenswichtigen nationalen Interessen). Hausmachtpolitik der H. beruhten auf ih-
2) 1920 durch den Völkerbund Ständiger ren glücklichen Heirats- und Erbverträgen.
Internat. Gerichtshof (bis 1945); 15 vom ↑ Maximilian I. gewann durch seine Heirat
Völkerbund berufene Richter mit für die mit ↑ Maria von Burgund Burgund und
Mitgliedsstaaten obligator. Gerichtsbarkeit die Niederlande, die Heirat seines Sohnes
bei Auslegung von Staatsverträgen, völker- Philipp mit Johanna von Spanien brachte
rechtlichen Fragen, Verletzung von völker- Spanien ein (Umklammerung Frankreichs
rechtlichen Verpflichtungen und entspre- führte zu den Kriegen mit Franz I. von
chenden Entschädigungen (Schiedssprü- Frankreich); der „Wiener Kongress“ von
che: u. a. 1927 Donaukommission, 1931 1515 begründete die Ansprüche auf Böh-
dt.-österr. Zollunion, 1932 Memelgebiet, men und Ungarn (1526 angegliedert);
1933 Grönland). 3) 1945 zum Internat. aus diesen Besitzungen ging das Weltreich
Gerichtshof der UN umgewandelt (neben Karls V. hervor (außer den Erblanden: Böh-
Haager Schiedshof ), zuständig für die ihm men, Ungarn, Burgund, Niederlande, Spa-
von den Mitgliedern unterbreiteten Streit- nien mit allem überseeischen Besitz, Nea-

377
Hadrian

pel-Sizilien, Mailand, Sardinien u. a.); nach Hadrianswall, die unter Kaiser↑ Hadrian


der Teilung von 1555 ging die europ. He- in N-England angelegte Befestigungslinie.
gemonie zunächst an die span. H. (↑ Phi- Hagia Sophia, die der „heiligen Weisheit“
lipp II.) über (die Kaiserkrone unter span. geweihte Hauptkirche (Sophienkirche) von
Protektorat, span. Hofzeremoniell), deren Konstantinopel, um 330 von Konstantin
Linie 1700 erlosch. Die dt. Habsburger d. Gr. als Basilika erbaut, 532 abgebrannt;
standen wegen Burgunds im Gegensatz zu von Kaiser Justinian neuerbaut und 537
Frankreich, erfüllten zugleich (Zweifron- eingeweiht, großartiger Zentralbau mit
tenkrieg) eine gesamteurop. Aufgabe als riesiger Kuppel (Spannweite 32 m); 1453
Träger der Türkenabwehr. In ihren Erb- Moschee, heute Museum.
landen Österreich-Ungarn (Donaumonar- Hahn, Otto, dt. Chemiker, 1879–1968;
chie) regierten sie (Titel seit 1804: Kaiser ihm gelang 1939 mit F. Straßmann die
von Österreich) bis zur Abdankung Karls I. erste Spaltung eines Atomkerns (Uran)
1918, nachdem sie 1866 von Hohenzol- durch Beschuss mit langsamen Neutronen;
lern-Preußen, ihrem dt. Gegenspieler seit Grundlage zur Kettenreaktion und zur
Friedrich d. Gr. und Maria Theresia, aus Ausnutzung der Kernenergie; Nobelpreis
Deutschland völlig herausgedrängt worden 1944; 1948–1960 Präsident der ↑ Max-
waren; die habsburg. Geschichte der Neu- Planck-Gesellschaft (↑ Atomzeitalter).
zeit war bestimmt durch die Auseinander- Haile Selassie, Kaiser von Abessinien,
setzungen zwischen dem dt., slaw. und ma- 1890–1975; urspr. Ras Tafari Makonnen,
gyarischen Bevölkerungsteil des „Vielvöl- an der Spitze der zu Reformen entschlos-
kerstaates“ und durch wirtsch. und soziale senen Gruppe der abessin. Fürsten, seit
Probleme (↑ Deutschland, Österreich). 1918 Leiter der Regierung, 1928 zum Ne-
Hadrian (Publius Aelius Hadrianus), röm. gus und 1930 zum Negus Negesti (König
Kaiser, 76–138 n. Chr.; Adoptivsohn und der Könige) erhoben; unterlag 1935/36 im
117 Nachfolger Trajans, besiegte 106 die Krieg gegen Italien, bis 1940 im Exil in
Daker, ging dann zur Defensiv- und Frie- London, beteiligte sich von N-Afrika aus
denspolitik über, gab die Eroberungen Tra- an den Vorbereitungen zur Wiedererobe-
jans östl. des Euphrat auf, errichtete neben rung seines Reiches und kehrte 1941 auf
anderen Grenzbefestigungen den britann. den Thron zurück. Genehmigte 1955 neue
Limes (↑ Hadrianswall); innere Reformtä- freiheitliche Verfassung (allgemeines Wahl-
tigkeit (Verwaltungsreform, Heeresreform, recht); 1960 Putsch seines Sohnes, des
Straßenbau, Erlass der Steuerschulden), be- ­Kronprinzen Asfa Wassen, niedergeschla-
deutende Bauten in Rom (Mausoleum Ha- gen, 1974 von Militärs abgesetzt.
driani, jetzt ↑ Engelsburg); schlug 132–135 Hainisch, Michael, österr. Staatsmann,
einen Aufstand der Juden nieder; weilte als 1858–1940; erster Bundespräsident der
„Reisekaiser“ oft in Griechenland; Nach- Republik Österreich 1920–1928, als frei-
folger Antoninus Pius. sinniger Politiker Vertreter sozialer Re-
Hadrian, sechs Päpste, darunter: 1) H. I. formideen.
(772–795); rief Karl d. Gr. als Schützer ge- Haithabu (Stadt an den Heiden), frühmit-
gen die Langobarden zu Hilfe. 2) H. IV. telalterliche Siedlung (Wikingergründung)
(1154–1159); der einzige Papst engl. Her- in Schleswig an der Schlei, bedeutend als
kunft, krönte 1155 Friedrich I., leitete Handelsniederlassung, 804 erstmals ge-
dann aber den Kampf gegen das stauf. Kai- nannt; 974 zum Dt. Reich gehörig, 983
sertum ein. 3) H. VI. (1522–1523); dt. durch Harald Blauzahn zu Dänemark;
Papst, vordem Erzieher Karls V., versuchte 1051 durch Norweger zerstört; bedeutende
eine innere Reform der Kirche. archäolog. Ausgrabungen.

378
Halikarnassos

Haiti, Republik im Westteil der gleichna- Freikorpsverbände erhielt das H. einen ein-
migen Insel; 1492 von Kolumbus entdeckt deutig völk., antisemit. Charakter; 1935
(Hispaniola, San Domingo genannt); Zent- die H.-Flagge zur alleinigen Reichsflagge
rum der span. Verwaltung ­Mittelamerikas. erklärt; nach 1945 wurde der Gebrauch
Kriege, Seuchen, Ausbeutung dezimierten von H. und anderen nat.soz. Zeichen und
die Bevölkerung, seit 1507 Einführung von Symbolen von den Alliierten verboten.
afrikan. Sklaven (Beginn des afrik.-amerik. Hakim, Al, Bi Amrillah, Kalif aus dem
Sklavenhandels); seit 1677 frz. Plantagen- Geschlecht der Fatimiden, 985–1021; reli­
kolonie, seit 1791 blutige Aufstände der giöser Fanatiker, vermutlich geistesgestört,
Schwarzen unter Toussaint-Louverture sah sich als Verkörperung Allahs an und
und Dessalines („Kaiser von Haiti“, 1806 gab dadurch 1017 Grund zur Stiftung der
ermordet); seitdem Republik; 1915–1934 ↑ Drusen.
Besetzung durch die USA; 1935, 1939, Håkon, norweg. Könige: 1) H. IV. Hå-
1941 zentralist. Verfassungen, 1950 demo- konsson der Alte, 1204–1263; seit 1217
krat. Verfassung. 1964 Verfassungsände- König, erreichte die Vereinigung Nor-
rung, F. ↑ Duvalier wurde Präsident auf Le- wegens mit Grönland (1261) und Island
benszeit, 1971 Bestimmung seines Sohnes (1262). 2) H. VI. Magnusson, 1340–
Jean-Claude als Nachfolger. Unter den Du- 1380; 1362 bis 1964 auch schwed. Kö-
valiers wiederholt Aufstände und Putsch- nig, 1363 Heirat mit der dän. Prinzessin
versuche. 1986 musste J. C. Duvalier H. Margarete, wodurch die skandinav. Staaten­
verlassen; bis 1990 Militärregierungen. union angebahnt wurde. 3) H. VII., 1872
1991 freie Wahlen, Staatspräs. wurde J. B. bis 1957; seit 1905 König, in beiden Welt-
Aristide, aber noch im selben Jahr vom kriegen um neutrale Haltung der skandi-
Militär seines Amtes enthoben. Daraufhin nav. Länder bemüht, ging nach der Beset-
internationale Proteste, 1993 Wirtschaf- zung Norwegens durch dt. Truppen 1940
tembargo der UN, 1994 Statio­nierung ins Exil nach England.
US-amerik. Truppen und Wiedereinset- Haldane, Richard Burdon, Viscount H.
zung Aristides, die innenpolit. Lage blieb of Cloan, brit. Staatsmann und Philosoph,
angespannt. 2000 Sieg der Partei Aristides 1856–1928; Goetheverehrer und Freund
bei umstrittenen Parlaments- und Präsi- der dt. Kultur, 1905–1912 Kriegsminister,
dentenwahlen. 2004 nach einer Revolte reorganisierte das brit. Heer und errichtete
Rücktritt und Flucht Aristides, daraufhin den engl. Generalstab; versuchte 1912 in
Stationierung einer multinationalen Frie- Berlin vergeblich eine Verständigung mit
denstruppe und unter Übergangsregierung Deutschland in der Flottenfrage (sog. H.-
unter Präs. B. Alexandre und Ministerprä- Mission); 1912–1914 und 1924 Lordkanz-
sisdent G. Latortue. ler; auch um die Reform des brit. Hoch-
Hakenbüchse, ↑ Arkebuse. schulwesens verdient.
Hakenkreuz, offizielles Symbol der NS- Halifax, George Savile, Marquess of, eng-
DAP (seit 1920) und des nat.-soz. Deutsch- lischer Staatsmann, 1633–95; verhinderte
lands; in Europa seit dem 4. Jh. v. Chr. 1680 das Gesetz zur Ausschließung Ja-
nachgewiesen, taucht in abgewandelten kobs II. vom Thron; 1682–85 Staatsmi-
Formen auch in asiat., seltener in afrikan. nister, vermittelte zw. Jakob II. und Wil-
und mittelamerik. Kulturen auf; neu ent- helm von Oranien zur Verhinderung des
deckt im 19. Jh. von deutschtümelnden Bürgerkriegs; 1688 auf Seiten von Wil-
Kreisen um den Turnvater Jahn, Ende des helm II.; 1689/90 Geheimsiegelbewahrer.
19. Jh. Zeichen des „Dt. Turnerbundes“; Halikarnassos (heute Bodrum), antikes
nach Übernahme durch Wandervogel und Handelszentrum in ↑ Karien, von ­ Dorern

379
Hallstatt

gegründet, von Tyrannen beherrscht, Re- Die ↑ Germanen drangen in gesonderten


sidenz des (Satrapen-)Königs Mausolos; großen Verbänden aus ihrer engeren Hei-
sein Grabmal, Mausoleum, zählte zu den mat S-Skandinavien und N-Deutschland
7 Weltwundern; Geburtsort ↑ Herodots. zur Ober- und Unterweichsel, in die nordt.
Hallstatt, bronze- und später eisenzeitliche Tiefebene, zum Niederrhein und Mittel­
gewerbliche Siedlung am Hallstätter See im rhein bis in die Eifel, nach Thüringen und
Salzkammergut (Hasen-, Heidenberg) mit Hessen, im SO nach Böhmen-Mähren vor;
Salzquellen und bis zu 400 m tief gehenden unter dem Druck ihres Vordringens wichen
Bergwerksstollen für Steinsalz; in der Um- die ↑ Illyrer aus dem Raum nordöstl. der
gebung Kupfererz, Eisen und Zinn (nach Donau nach SO bis in den N-Balkan aus,
den Bronze- und Eisengrabbeigaben in den wo sie Hauptträger der Hallstattzivilisation
großen Friedhöfen von H. ist die ↑ Hall- wurden; die ↑ Kelten aus ihren Kerngebie-
stattzeit benannt); entdeckt wurden seit ten zw. N-Frankreich und Niederösterreich
1846 2500 Gräber mit Brand- und Kör- tiefer nach Frankreich (Gallien); zw. der
perbestattungen; die um 500–400 v. Chr. Hallstattzivilisation und den Kulturen des
eingewanderten ↑ Kelten (Jüngere ↑ Eisen­ Südens (Früh-Griechenland, griech. Kolo-
zeit, ↑ Latené-Kultur) führten weiteren Aus­ nisationsraum in Unteritalien [↑ Großgrie-
bau der Salzförderung und des Fernhandels chenland] ↑ und im Gebiet um Marseille
durch die Alpentäler bis zur Donau und [↑ Massilia], Etrurien) bestanden vielfäl-
zum Mittelmeer fort; die lokalen Funde tige Wechselbeziehungen über Fernhan-
zeugen von großem Wohlstand und hoch- delswege; Lebensweise der Menschen der
entwickelter Bergwerkstechnik, die von H. auf bäuerlicher Grundlage, zahlreiche
den Römern um 50 n. Chr. übernommen kleine Herrschaftsgebiete, neben einfachen
wurde (bis zur Völkerwanderung). Brandbestattungen wieder Körperbestat-
Hallstattzeit, nach der vorgeschichtlichen tungen in Hügelgräbern; Bronzekunst,
Fundstätte ↑ Hallstatt ben., aus der ↑ Ur- reich ausgebildete Keramik, auch mit fi-
nenfelderkultur um 800 v. Chr. erwach- gürl. Darstellungen. Mit der vollen Ent-
sene europ. Epoche (= Ältere ↑ Eisenzeit), faltung der keltischen Wanderbewegung
in der neben der Bronze Eisen zum Werk- (500–400 v. Chr.) Übergang der H. in die
stoff wurde (Eisenabbau und -bergbau in Jüngere ↑ Eisenzeit (↑ Latené-Kultur).
den Ostalpen, Kärnten, Steiermark, an Hallstein-Doktrin, nach dem Staatssekre-
der mittleren Donau, in Bayern, im Sie- tär im Auswärtigen Amt Walter Hallstein
gerland, außerhalb Europas bes. in Klein- benannt und 1955 formulierte Politik der
asien), doch prägte das Eisen keine neue Nichtanerkennung der DDR mit der Maß-
Kultur, seine Übernahme war nur Zuge- gabe, bei diplomat. Vertretungen der DDR
winn zu der schon bestehenden Waffen-, in einem Land (außer der UdSSR) die Ver-
Werkzeug- und Gerätetechnik, es berei­ tretung der Bundesrepublik Deutschland
cherte und erleichterte das tägliche Leben in diesem Land zurückzuziehen oder dort
auch des einfachen Menschen (­Messer, keine Vertretung zu errichten; mit dem
Beile, Schwerter, Lanzenspitzen), eroberte dt.-sowjet. Vertrag 1970 und dem Grund-
sich aber erst gegen Ende der H. den Wes- lagenvertrag 1972 aufgegeben.
ten und Osten Europas; das Gesamtleben Halsbandaffäre, Skandalaffäre in Frank-
wurde mehr durch die rasche Zunahme reich 1785; die Abenteurerin Lamothe
der Bevölkerung N- und Mitteleuropas schwindelte dem Kardinal Prinz Rohan das
bestimmt und durch die großen Bewe- Geld für ein Diamantenhalsband ab, mit
gungen der in dieser Zeit längst deut- dem dieser die Gunst der Königin ↑ Marie
lich gegliederten indogerman. Teilvölker: Antoinette zurück zu gewinnen hoffte; ob-

380
Hamilton

wohl unschuldig, wie die Gerichtsverhand- des Reichstags. 1810–1814 Hauptstadt des
lung ergab, geriet Marie Antoinette dadurch frz. Dep. der Elbmündungen, schwere Ver-
in schlechten Ruf; die H. wird zu den psy- luste durch Kontinentalsperre und Kontri-
cholog. Faktoren gerechnet, die zum Aus- butionen; 1815 souveräne „Freie Stadt“ im
bruch der Frz. Revolution beitrugen. Dt. Bund; 1842 der „große Brand“ (4 000
Halsgericht oder Hochgericht, im späten Gebäude); 1867 im Norddt. Bund, 1871
MA das Gericht für schwere, sog. „pein- im Dt. Reich, Hochburg des Freihandels,
liche“ Verbrechen, auf die Todes- oder Lei- erst 1888 nach Konflikt mit Bismarck
besstrafe stand. Anschluss an deutsches Zollgebiet; 1892
Hambacher Fest („Der dt. Mai“), erste de- Cholera­epidemie; 1919 Universitätsgrün-
mokrat. Massenversammlung (30 000 Teil- dung; 1938 Groß-H. (mit Altona, Harburg
nehmer) am 27./28. Mai 1832, dem Jahres- u. a.); 1939 größte Hafen- und Handels-
tag der bayer. Verfassung, bei Schloss Ham- stadt des europ. Festlandes (H.-Amerika-
bach (jetzt Maxburg) in der Bayer. Pfalz, Linie; Blohm & Voss-Werft, 1946 demon-
unter schwarz-rot-goldenen Fahnen und tiert); im 2. Weltkrieg durch Luftangriffe
mit radikalen Reden von Wirth und Sie- schwer getroffen, heute wieder größter dt.
benpfeiffer (gegen die „Tyrannenmacht“); Handelshafen und als Freie und Hanse-
gab erneut Anlass zu scharfem Vorgehen stadt Land der Bundesrepublik Deutsch-
des Bundestags gegen die „Demagogen“: land; 1962 Opfer der großen Sturmflut.
Verschärfung der Zensur, strengere Über- Hamburg-Amerika-Linie (ehemals Ham-
wachung der Universitäten, Verbot polit. burg–Amerika-Paketfahrt-Aktiengesell-
Vereine und Versammlungen unter den schaft, abgekürzt Hapag), älteste und be-
Farben Schwarz-Rot-Gold. deutendste dt. Schifffahrtsgesellschaft mit
Hamburg, urspr. sächs. Gauburg (Flucht- dem Sitz in Hamburg, gegr. 1847; seit
burg), von Karl d. Gr. gegr. fränk. Kö- 1856 Dampferbetrieb, seit 1930 in Ar-
nigshof, nach 831 Bistum; Name „Ham- beitsgemeinschaft mit dem Norddeutschen
maburg“; 834 Erzbistum, das nach dem Lloyd, Bremen.
Normanneneinfall (845) nach Bremen Hamilkar, mehrere karthag. Feldherren;
verlegt wurde; seit dem 10. Jh. wichtiger am bedeutendsten H. Barkas (der Blitz),
Stützpunkt im Kampf gegen die Slawen Vater Hannibals, den er als Knaben ewige
(Mark der Billunger), seit 1111 unter Ho- Feindschaft gegen Rom schwören ließ;
heit der (Schauenburger) Grafen von Hol- machte den Römern im letzten Abschnitt
stein, Handelsprivilegien und städt. Frei- des 1. ↑ Pun. Krieges zur See und zu Lande
heiten, Entwicklung zum großen Ausfuhr- (Sizilien) schwer zu schaffen, schloss
hafen (Handelsbeziehungen nach England 241 v. Chr. als Unterhändler den Frieden
und nach Brügge); Blütezeit 1300–1450; mit Rom, unterdrückte Söldneraufstand
gründendes und namhaftes Mitglied der in N-Afrika, gründete auf eigene Faust ein
↑ Hanse; nach wirtsch. Rückgang, Hand- karthag. Kolonialreich in ↑ Spanien und
werkerunruhen und Reformation 1528/29 fiel dort 229 v. Chr.
(Bugenhagen) seit Ende des 16. Jh. durch Hamilton, 1) H., Alexander, amerik. Po-
den Handel mit England und mit den Nie- litiker, 1757–1804; Sekretär Washingtons,
derlanden Aufstieg zum führenden See- um das Zustandekommen der Verfassung
handelsplatz auf Kosten Lübecks und in der jungen USA verdient, trat als Führer
der Nachfolge Antwerpens; Unabhängig- der Partei der „Föderalisten“ für eine starke
keit trotz innerer Zwistigkeiten gegen Hol- Bundesgewalt gegenüber den Einzelstaaten
stein und Dänemark behauptet, seit 1770 ein, sanierte als erster Staatssekretär der Fi-
Sitz und Stimme im Reichsstädtekollegium nanzen das Finanzwesen (Nationalbank);

381
Hamiten

fiel in einem Duell gegen einen polit. Geg- in kleineren Mengen an Verbraucher oder
ner. 2) H., Emma, Lady, Gemahlin des Weiterverarbeitung; je nach Absatzgebiet
brit. Gesandten in Neapel, um 1765–1815; wird zw. Binnen- H. und Außen- H. un-
Tochter eines Schmieds, Geliebte Nelsons, terschieden. Die historischen Ursachen des
eng verbunden mit der Geschichte des Kö- H.s liegen in der Arbeitsteilung, die sich
nigreichs Neapel. urspr. zw. verschiedenen Gemeinschaften
Hamiten, nach Ham (Sohn Noahs) ben und Regionen, später auch innerhalb der
Völkergruppe in Afrika, mehr sprachlich Gemeinschaften zwischen verschiedenen
als rassisch einander verwandt: Berber, Tua­ Wirtschaftsbereichen entwickelte. Der
reg, Somali, Nubier, Massai, Galla u. a.; Fern-H. mit Luxusgütern, später mit Ge-
Sprachverbreitung bis S-Afrika. würzen, Textilien, Rohstoffen (Kupfer,
Hammurabi (Hammurapi), 6. König Baby- Zinn, Bronze), entstand bereits im 4. Jt.
lons (1793–1750 oder 1729–1686 v. Chr., vor Chr. zw. Mesopotamien und dem östl.
Datum fraglich); gründete nach dem Nie- Mittelmeerraum; dann unter Einfluss der
dergang ↑ Sumers unter Ausschaltung Kreter, Phöniker, Griechen und Karthager
Elams, Assyriens, Syriens den babylo- Ausdehnung nach Indien, dem westl. Mit-
nischen Großstaat in Mesopotamien; die telmeerraum, der europ. Atlantikküste und
Keilschrift wurde amtliche Schrift, Aus- der westafrikanischen Küste; durch das
bildung der den ganzen Vorderen ­ Orient römische Weltreich mit seinen H.wegen
beherrschenden klassisch-babylonischen und der Normierung von Münzen, Maßen
­Sprache; Bibliotheken, Tempelschreibschu- und Gewichten Aufschwung des Fern-H.s;
len, Staatsarchive; der Ortsgott Babylons, nach einem Rückgang des H.s während der
der Weltschöpfer Marduk, wurde Reichs- Völkerwanderungen und dem Zusammen-
gott, unter ihm die Gottheiten Schamasch bruch des Fernhandels im Mittelmeerraum
und Ischtar; Bau von Tempeln und Paläs- neuer Aufschwung durch Fernhandels-
ten. Übernahme sumer. Literatur (↑ Gilga­ verbindungen nach China, durch Europa
mesch u. a.), hochgeistige, religiöse und und in den Osten; im MA Konzentration
weltliche Prosadichtung und mathemat., des H.s auf die Städte, in Süddeutschland
sternkundliches und medizin. Schrifttum; auf Augsburg, Nürnberg und im Norden
eine der frühesten Gesetzessammlungen auf die Hansestädte, im Mittelmeerraum
mit Bestimmungen für Ackerbau, Handel, auf Venedig, Genua. Mit der Entdeckung
Schifffahrt, Familienordnung; ­eingemeißelt Amerikas und der Seewege nach Ostindien
in einen Dioritblock und im Tempel des neuer Aufschwung des Fern-H.s; Westeur-
Marduk zu Babylon aufgestellt, 1901 in opa wurde Zentrum, engl. und nieder­länd.
Susa aufgefunden; unter H.s Nachfolgern H.sgesellschaften brachen in das span. und
Verfall der Reichseinheit; ↑ Babylonien. portug. H.smonopol ein. Mit der industri-
Handdienste, im MA bäuerliche ↑ Fron- ellen Revolution wurde der H. revolutio-
dienste, die im Gegensatz zu den Spann- niert; Produktionssteigerung und -diffe-
diensten mit Hand und Werkzeug abzulei- renzierung, Nachrichtenwesen, neue Ver-
sten waren (z. B. Burgbau, Wegebau usw.). kehrswege und -mittel veränderten die
Handel, 1) Beschaffung und Weiterver- Grundlagen des H.s, der jetzt die ganze
kauf von Waren; allg. Austausch wirtsch. Welt umspannte. Mit der weiteren Heraus-
Güter; 2) Gesamtheit aller mit H. be- bildung der Arbeitsteilung auch zwischen
schäftigten Einrichtungen. – Der Groß- einzelnen Produktionszweigen und der
H. verkauft seine Waren in großer Menge Perfektionierung des Verkehrs- und Nach-
an Wiederverkäufer oder weiterverarbei- richtenwesens entwickelte sich der mo-
tende Betriebe; der Einzel- H. veräußert derne Welthandel.

382
Hannover

Handelskompanien, staatlich privilegierte Römerhasser, seit 237 in Spanien, 221


Gesellschaften für den Überseehandel seit Oberbefehlshaber, leitete 219 mit der Er-
Ende des 16. Jh. bis ins 18. Jh.; erzielten oberung des mit Rom verbündeten Sa­gunt
durch Monopolstellung gewaltige Ge- den 2. ↑ Pun. Krieg ein, brachte nach sei-
winne, die für die Entwicklung des mo- nem kühnen Zug über die Alpen (218)
dernen Kapitalismus mitentscheidend durch glanzvolle Siege (Trasimen. See 217,
wurden; gründeten und verwalteten Ko- Cannae 216) Rom an den Rand des Ab-
lonien, bevor die staatliche Kolonialpolitik grunds, wurde jedoch seit seinem geschei-
einsetzte; bes. wichtig die Engl.-Ostind. terten Angriff auf Nola 275 in die Defen-
Kompanie, Hudson-Bay-K., Niederländ. sive gedrängt; kämpfte mit wechselndem
Ostind. K., Frz.-Ostind. K. Erfolg in Unteritalien, erschien 211 vor
Handfeste, 1) Urkunde, vom Aussteller den Toren des verteidigungsbereiten Rom
unterzeichnet oder durch Handauflegen (Schreckensruf: „H. ante portas“), erhielt
gefestigt. 2) Im MA häufig Privileg, das auf Betreiben der barkidenfeindlichen Fa-
vom Landesherrn verliehen wurde. milie Hanno keinen Nachschub mehr,
Handfeuerwaffen, erstmals im 14. Jh. ver- kehrte 203 nach Afrika zurück, verlor ge-
wendet, anfangs mit Hilfe der Lunte ent- gen Scipio die Entscheidungsschlacht von
zündet, im 15. Jh. durch das Luntenschloss Zama (Narraggara) 202; riet zum Frieden,
und im 16. Jh. durch das Radschloss ver- setzte innere Reformen in Karthago durch,
bessert; 1640 Erfindung des Batterie- oder musste 196 fliehen, von Roms Rachsucht
↑ Feuersteinschlosses, Vervollkommnung gehetzt; floh vom Hof des Antiochos III.
durch Zündhütchen (1819), Perkussions- von Syrien nach dessen Niederlage durch
schloss (1820); Umwandlung zum Hinter- die Römer zu König Prusias von Bithymen,
lader durch das 1836 von ↑ Dreyse kon- der ihn unter röm. Druck ausliefern wollte,
struierte Zündnadelschloss. und vergiftete sich vor der Festnahme.
Handwerk, gewerbliche Tätigkeit, zumeist Hanno, 1) H., karthagischer Oberadmiral,
mit der Hand unter Benutzung von Werk- versuchte mit 60 Schiffen um 510 v. Chr.
zeugen und Geräten ausgeübt; kommt in Afrika zu umsegeln, gelangte durch die
allen Kulturen und Zeitaltern vor, wobei Säulen des Herkules (Gibraltar) bis zur
es oft den Beginn industrieller Gewerbe- Guineaküste. 2) H. d. Gr., karthag. Feld-
formen darstellt; entwickelte sich in allen herr und Staatsmann im 2. ↑ Pun. Krieg,
Kulturen aus der Hauswirtschaft; bei den Führer der konservativen Partei, Gegner
Germanen seit 500 v. Chr. bes. die Tätig- Hamilkars und Hannibals.
keit des Schmiedes, im frühen MA gab Hannover, 1) H., Stadt, 1163 als „Hono-
es unfreie Handwerker, aber auch schon vere“ (hohes Ufer) erstmals erwähnt, 1241
freies H. in Städten und auf dem Land, im Stadt, 1386 Hansestadt, 1636 Residenz;
Hoch-MA organisierten sich die Handwer- seit 1947 Hauptstadt des Landes Nie-
ker in Zünften, seit dem 15. Jh. langsamer dersachsen. 2) H., ehemals Königreich,
Wandel zum Verlagssystem; das H. geriet hervorgegangen aus der jüngeren Wel-
im 18. Jh. durch das Entstehen der Manu- fenlinie Braunschweig-Lüneburg (begr.
fakturen in eine Krise, das Aufkommen in- 1569) und deren (Teil-)Herzogtum Ka-
dustrieller Produktionsformen und der Fa- lenberg, das den Namen H. annahm und
briken im 19. Jh. erschwerte die Situation 1692 zum Kurfürstentum erhoben wurde
des H.s zusätzlich. (Ernst August); 1705 mit Celle, dem an-
Hannibal, karthag. Feldherr und Staats- deren Teilherzogtum, vereinigt, 1719 um
mann, 246–183 v. Chr.; Sohn des ↑ Ha- die schwed. Herzogtümer Bremen und
milkar Barkas, schon als Knabe fanat. Verden erweitert. 1714 bestieg aufgrund

383
Hanse

des ↑ Act of settlement das Haus H. mit Westen bzw. Süden, aus Deutschland bes.
Georg I. den brit. Thron (Personalunion Bier). Die H. war keine polit. Organisa-
Großbritanniens-H.; ↑ Großbritannien); tion, sondern ein Zweckverband, ohne
Georg II. sicherte H. 1756 gegen einen Bundesverfassung, Oberhaupt, Beamten-
Angriff Frankreichs durch Neutralitätsver- tum, Heer usw.; nur locker gefügt, mit
trag mit Friedrich d. Gr., versagte 1757 der ständig wechselndem Mitgliederbestand;
Konvention von Kloster Zeven (Kapitula- die „Tagsatzungen“ (H.-Tage) wurden nur
tion der Engländer und der Hannoveraner unregelmäßig einberufen und beschickt;
nach der Niederlage bei Hastenbeck) seine trotzdem entwickelte sich die H. zu einem
Zustimmung und gewann H. dadurch zu- bedeutenden polit. Machtfaktor, bekam
rück; 1803 wurde H. nach der Kriegserklä- bes. im Kampf gegen Dänemark den ge-
rung Großbritanniens an Frankreich von samten Ostseeraum unter ihre Kontrolle
Napoleon besetzt, 1805 im ­Schönbrunner und trug wesentlich zur dt. ↑ Ostkoloni-
Vertrag Preußen zugesprochen; 1807 Teil- sation bei; ihre wirkungsvollste Waffe war
gebiete, 1810 der Rest zum Königreich der Handelsboykott („Verhansung“). In ih-
↑ Westfalen, doch noch im gleichen Jahr rer Blütezeit (14./15. Jh.) umfasste sie etwa
der nördl. Teil Frankreich unmittelbar ein- 100 Städte, von Krakau bis Dinant (Maas),
verleibt (Elbdepartement); 1814 vergrö- und hatte Kontore (Faktoreien) an allen
ßert (Ostfriesland) und zum Königtum wichtigen Plätzen W-, N- und O-Euro-
erhoben. 1837 Lösung der Personalunion pas. „Vorort“ des führenden „wend. Vier-
mit Großbritannien durch den Tod Wil- tels“ war ↑ Lübeck, das sich gegen Köln
helms IV. (weibliche Thronfolge Viktorias („westfäl. Viertel“) auch als Vorort der ge-
in England); der neue König Ernst August samten H. durchsetzte; dazu kamen das
von H. hob die 1833 erlassene Verfassung „sächs. Viertel“ mit Braunschweig an der
auf (↑ Göttinger Sieben). 1849 H. Mitglied Spitze und das „preuß. Viertel“ mit Dan-
des Dreikönigsbündnisses (neben Preu- zig. Im 16. Jh. bröckelte die Macht der H.
ßen und Sachsen) und 1850 der ↑ Union; ab, Ende des 16. Jh. wurden der Stalhof in
kämpfte 1866 auf österr. Seite (↑ Dt. London (durch Königin Elisabeth) und
Krieg) und wurde von Preußen annektiert der St. Peters-Hof in Nowgorod (durch
(Ansprüche des vertriebenen Welfenhauses Iwan IV.) geschlossen, die letzte Tagsatzung
H.-Cumberland bis 1913 behauptet; Tra- 1669 blieb ohne Ergebnis. Hauptursachen
dition der antipreuß. Welfenpartei noch des Niedergangs: Übergewicht der flotten­
heute nicht völlig erloschen). Nach 1945 mächtigen Nationalstaaten (England, Nie-
Kerngebiet des Landes Niedersachsen. derlande, Dänemark, Schweden); ­ Verlust
Hanse, Hansa (ahdt., Schar), im MA (seit großer Handelsgebiete: Danzig und die
dem 10. Jh.) den ↑ Gilden ähnlicher ge- Ostseeküste bis Memel gerieten unter pol-
nossenschaftlicher Zusammenschluss dt. nischer Oberhoheit, Vorpommern, Wis-
Kaufleute im Ausland (urspr. Schwurbrü- mar, Bistum Bremen, Estland und Livland
derschaften dt. Kaufleute zur Auslands- unter schwed. Herrschaft, die niederländ.
fahrt), bes. auf Gotland (Wisby), in Now- Küste wurde aus dem Reichsverband ge-
gorod, Brügge und London (Stalhof ); seit löst, Flandern und Brabant kamen zu den
dem 13. Jh. Bund dt. Städte zur Wahrung span. Niederlanden; Erstarken der territo-
gemeinsamer Handelsinteressen auf der rialen Gewalten in Deutschland (die ihre
Grundlage des O-W-Warenaustausches Städte zum Austritt aus der H. zwangen),
(Holz, Getreide, Pelze, Honig usw. aus mangelnder Rückhalt bei einer starken
dem Osten; Heringe bes. aus Skandina- Reichsgewalt, schließlich die Verlagerung
vien; Tuche, Metalle, Salz, Weine aus dem des wirtsch. Schwerpunkts auf den atlant.

384
Harvard University

Raum (Ostind. Kompanien), der konfes- list. Verwaltungssystem vor einer weitge-
sionelle Hader und die Wertevernichtung henden Selbstverwaltung und dachte bei
(30-jähriger Krieg) in Deutschland. – Das der von ihm geforderten Volksvertretung
Erbe der H. („Hanseatengeist“) wahrten nicht an Volkssouveränität, sondern an ein
die späteren „Freien H.städte“ Lübeck, geeignetes Einflussorgan der Regierung; in
Hamburg und Bremen (seit 1630 in en- der Außenpolitik drängte er schon 1811
gerem Bund). zum Befreiungskampf gegen Napoleon;
Hansemann, David, preuß. Wirtschafts- konnte sich 1815 und später nur schwer
politiker, 1790–1864; Vertreter eines ge- gegen Metternich behaupten.
mäßigten Liberalismus, gründete 1825 die Harneck, Adolf von, dt. protestant. Theo-
Aachener Feuerversicherungsgesellschaft, loge, Kirchenhistoriker und Kulturpoliti-
1848 preuß. Finanzminister, 1850/51 Di- ker, 1851–1930; vertrat eine liberale, dog-
rektor der Preuß. Bank, 1851 Gründer der menfreie Theologie; Förderer wissenschaft-
Disconto-Gesellschaft, einer der ersten dt. licher Forschungsarbeit; Generaldirektor
Großbanken, 1862/64 der „Ersten Preuß. der Preuß. Staatsbibliothek und Präsident
Hypotheken-AG“. der auf seinen Vorschlag gegr. Kaiser-Wil-
Harald, Könige. Dänemark: 1) H. II. helm-Gesellschaft.
Blaatand („Blauzahn“), Sohn Gorms des Herold II. Godwinson, letzter angelsächs.
Alten, herrschte um 950–986; 960 zum König, um 1022–1066; besiegte 1066
Christentum bekehrt, zahlte an Otto d. Gr. bei Stamford Bridge die Norweger unter
Tribut, wurde vertrieben oder (nach der Harald III., unterlag aber im gleichen Jahr
Sage) ermordet. – Norwegen: 2) H. I. Har- Herzog Wilhelm von der Normandie in
fagr („Schönhaar“), regierte seit etwa 865, der Schlacht bei Hastings.
gründete das norweg. Reich, dankte 930 Harpalos, Freund und Schatzmeister Ale-
ab, gest. 933. xanders d. Gr., gab sich in Babylon wäh-
Harappa, ↑ Induskultur. rend der Abwesenheit Alexanders (Indien­
Hardenberg, Karl August Fürst von, zug) der Prasserei hin, floh bei dessen Rück­
preuß. Staatsmann, 1750–1822; Hanno- kehr 324 v. Chr. nach Athen; verhinderte
veraner, trat 1791 in preuß. Dienste, zu- durch Bestechung (die zu einem politischen
nächst mit der Verwaltung der an Preußen Skandalprozess führte) seine Auslieferung
gefallenen Markgrafschaft Ansbach beauf- und wurde 323 auf Kreta ermordet.
tragt, 1804/05 und 1807 Außenminister; Harun Ar Raschid, abbasidischer Kalif
anfangs um Interessenausgleich mit Napo- (786–809); residierte glanzvoll zu Bagdad,
leon bemüht, seit 1806 entschiedener Geg- Freund der Künste und Wissenschaften,
ner Napoleons und unter dessen Druck unterhielt diplomat. Beziehungen zu Karl
entlassen. 1810 Staatskanzler; setzte das d. Gr.; seine Weisheit und (unhistor.) Milde
von Stein begonnene Reformwerk fort, dichterisch verherrlicht („1001 Nacht“).
nicht ganz in dessen Sinn, sondern im Haruspices (tat. haruspex, Opferschauer),
Geis­te eines rationalist. Liberalismus; be- Priester der Etrusker und Römer, brachten
müht, den altpreußischen Obrigkeits- und den Göttern Tieropfer dar und suchten aus
Feudalstaat von innen heraus zu erneuern, der Veränderung der Eingeweide die Zu-
eine engere Verbindung zw. Staat und Bür- kunft zu deuten; für andere bot Vogelschau
ger zu schaffen und die Rechtssphäre des oder die Form des Blitzes (disciplina fulgu-
Einzelnen zu erweitern (Bauernbefreiung, ralis) Anhaltspunkte für Voraussagen.
Gewerbe- und Religionsfreiheit, Reform Harvard University, durch den Priester H.
der Verwaltung und des Finanzwesens in Cambridge (Massachusetts) 1638 gegr.
u. a.); bevorzugte aber ein straffes zentra- älteste Universität N-Amerikas.

385
Harzburger Front

Harzburger Front, Bezeichnung für das derung nicht bewilligter Steuern), die auf
1931 in Bad H. beschlossene Zusammen- Einmischung Preußens (auf Seiten der
gehen der rechtsradikalen Gruppen, Natio­ Stände) fast einen Krieg zw. Preußen und
nalsozialisten, Stahlhelm und Deutsch- Österreich (auf Seiten der Regierung) aus-
nationalen, gegen die Weimarer Republik gelöst hätte (↑ Olmütz); wegen seiner reak­
(Sturz Brünings, nationale Diktatur); von tionären Rücksichtslosigkeit wurde H.
der demokrat. Linken mit Bildung der auch „der Hessen Fluch“ genannt.
„Eisernen Front“ (SPD, Gewerkschaften, Hastings, Hafenstadt in SO-England;
Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold) beant- 1066 entscheidender Sieg ↑ Wilhelms des
wortet; ↑ Nationalsozialismus. Eroberers über den letzten angelsächs. Kö-
Haschimiden, arab. Dynastie im Irak und nig Harald, Begründung der Normannen-
Jordanien; führt ihren Ursprung auf Ha- herrschaft (↑ Normannen).
schim zurück, der als Urgroßvater des Pro- Hastings, Sir Warren, brit. Staatsmann,
pheten Mohammed gilt; stellten seit dem 1732–1818; im Dienste der Ostind. Kom-
10. Jh. das religiöse Oberhaupt von Mekka, panie, 1772 Gouverneur von Bengalen,
regierten 1921–1958 im Irak; seit 1921 1774–1785 erster Generalgouverneur Ost-
Herrscherhaus in Jordanien. indiens, baute die brit. Machtstellung aus,
Hasdrubal, karthag. Feldherren: 1) H., 1787 vom brit. Parlament wegen Erpres-
Schwiegersohn des Hamilkar Backas, seit sung angeklagt, 1795 freigesprochen.
228 v. Chr. dessen Nachfolger in Spanien, Hatschepsut, ägypt. Königin, 1479–
gründete hier 227 v. Chr. Cartagena, 221 1457 v. Chr., regierte nach dem Tod ihres
ermordet. 2) H., Bruder Hannibals, be- Halbbruders Thutmosis II. als Vormund
siegte 211 die Römer in Spanien, fiel beim ihres Neffen (?) Thutmosis III., ließ sich
Versuch, Hannibal in Italien zu Hilfe zu zum König ausrufen, schickte Handels-
kommen, 207 in der Schlacht am Metau- expedition nach Ostafrika (erstes Zusam-
rus; sein Kopf wurde Hannibals Vorposten mentreffen mit Schwarzen); im Innern
zugeworfen. Reformen zur Beseitigung der Desorga-
Hasmonäer, jüdische Dynastie (143– nisation der Hyksoszeit; erbaute sich den
63 v. Chr.), von den ↑ Makkabäern im Opfertempel Deir-el-Bahri gegenüber The-
Kampf gegen die syrischen Seleukiden ge- ben, eine der großartigsten Architekturen
gründet, vereinigte weltliche und geistliche des Neuen Reiches Ägyptens.
Gewalt; nach Unterwerfung durch die Rö- Hatto I., Erzbischof von Mainz (891–913);
mer 63 v. Chr. waren sie nur noch Hohe- Regent für König Ludwig das Kind, suchte
priester. vergeblich dem Neuaufleben der Stammes­
Hassan II., König von Marokko (seit 1961), herzogtümer Einhalt zu gebieten und rief
1921–1999; 1961–1963 und 1965–1967 zur Abwehr der Hunneneinfälle auf.
auch Ministerpräsident. H. legte 1972 eine Hattusa, Chattusa, ↑ Hethiter.
Verfassung zur Volksabstimmung vor und Hatzfeld, 1) H., Paul, Graf von Wilden-
betrieb Wirtschaftsreformen. burg, dt. Diplomat, 1831–1901; bemühte
Hassaniden, die noch herrschende Dy- sich als Botschafter in London seit 1885
nastie in Marokko; sieht ihren Ursprung um dt.-engl. Verständigung. 2) H., Sophie
in dem Kalifen Hassan; seit 1669 an der Gräfin von, 1805–1881; Mutter von 1),
Macht. Freundin ↑ Lassalles, dessen polit. Bestre-
Hassenpflug, Ludwig, kurhess. Minis- bungen sie auch finanziell unterstützte.
ter, 1794–1862; betrieb die Aufhebung Haugwitz, Christian Graf von, preuß.
der Verfassung von 1831, verursachte die Staatsmann, 1752–1832; schloss als Ka-
Verfassungskrise von 1850 (durch Einfor- binettsminister (seit 1792) den (Sonder-)

386
Haustierhaltung

Frieden von Basel 1795, seit 1802 allein für den Fulbe unter Osman Danfodjo unter-
die Außenpolitik verantwortlich (1804/05 worfen und von fulb. Häuptlingen von den
vorübergehend von Hardenberg abgelöst); Hauptstädten Sokoto, Wurno und Gando
1805/06 unglückliche Verträge (Schön- aus beherrscht wurden. Im 19. Jh. geogr.
brunn und Paris) mit Napoleon, die durch Erforschung durch Barth, Rohlfs, Flegel
die Vereinbarung der Annexion Hannovers und Besetzung durch England (abgeschlos-
Preußen in Konflikt mit England brach- sen 1902), doch weiterhin von Kultur- und
ten und isolierten; verantwortlich für die Wirtschaftseinfluss auf die westl. Sudanne-
Wiederaufnahme des Krieges gegen Napo- ger (Haussa-Sprache Verkehrssprache im
leon, trat nach der Katastrophe von Jena inneren Savannengürtel).
zurück. Haussmann, Georges Eugène, Baron, frz.
Hauser, Kaspar, rätselhafter Findling, Staatsbeamter, 1809–1891; leitete als Prä-
1812–1833; tauchte 1828 in Nürnberg fekt des Dep. Seine unter Napoleon III. die
auf, ohne sich richtig verständigen zu kön- bauliche Umgestaltung von Paris zur mo-
nen, wurde in Nürnberg, dann in Ansbach dernen Weltstadt (Anlage der Boulevards).
erzogen; starb an einer Stichwunde. Der Haustierhaltung (Domestikation), die
Fall erregte die Öffentlichkeit fast ganz Eu- Nutzung gezähmter Wildtiere, „das größte
ropas; der Annahme einer bad. Prinzen- (biolog.) Experiment, das der Mensch je
schaft (↑ Feuerbach) steht die Vermutung, unternahm“ (Heue); zus. mit dem Acker-
H. sei ein Schwindler gewesen, gegenüber. bau ermöglichte sie dem Menschen erst den
Hausmeier (lat. majordomus), in den Teil- Aufstieg zu höherer Lebensstufe und zu in-
reichen der Merowinger (Austrasien, Neu- tensiverer und leichterer Nahrungsgewin-
strien, Burgund) der oberste Hof- und nung; früheste nachweisbare Zeugnisse für
Staatsbeamte; urspr. der Vorsteher der kö- die H. liegen etwa 10 000 Jahre zurück; aus
niglichen Hofhaltung, dann Führer der der Zeit um 8500 v. Chr. (aus dem ↑ Meso-
berittenen königlichen Gefolgschaft, Lei- lithikum) stammen die Funde von Resten
ter der königlichen Domänenverwaltung domestizierter Schafe der Siedlung Zami
und Oberhaupt des Adels; schließlich der Chenci Shanidor im Vorderen Orient;
eigentliche Leiter der Politik, der sein Amt fast ebenso alt sind Reste von Hunden auf
erblich machte, 687 machte sich der H. Fundplätzen des Natufian im Irak, wo die
Austrasiens, Pippin II., zum Regenten des große Zahl von Jungtieren darauf hinweist,
Gesamtreiches. dass der vom Wolf oder Schakal abstam-
Haussa-Staaten, mittelalterl. und neuzeit- mende Hund anfangs nicht nur als Jagd-
liche Negerstaaten im Sudangürtel (die H. helfer oder Hauswächter gehalten wurde,
vermutlich um 1 000 aus der Sahara in das sondern auch als Fleischtier, was heute
Gebiet zw. Niger, Bornu und Benue einge- noch in Peru oder in China der Fall ist;
wandert); Reichsbildung Mitte des 14. Jh., älter ist vielleicht die Haltung der Fleisch
islamisiert nach 1400; hohe Städtekultur und Milch liefernden Ziege (Funde im Li-
mit hochentwickeltem Gewerbe (Gold- banon). Jedenfalls scheint die (leichtere)
schmiede- und Schmiedekunst, Tuchwebe- Domestikation von kleineren Haustierfor-
rei, Gürtlerarbeiten), Handel bis Togo und men der Nutzung von Großtieren, wie des
Äquatorialafrika; Zerfall in Einzelstaaten, Rindes, vorangegangen zu sein (Hausrin-
darunter Joruba und Nupe; später die „ech- der zuerst im Zweistromland und in Eu-
ten“ (Biram, Daura, Gobir, Kano, Rano, ropa); die Bauern und Hirten des ↑ Neoli-
Katsena, Zegzeg, Jaria) und die „unech- thikums waren die ersten H.-Züchter; das
ten“ H.-St. (Zamfara, Kebi, Nupe, Gewari, Pferd, bis in die jüngere Steinzeit eines der
Yelwa, Ilorin, Kororofa), die seit 1802 von wichtigsten Jagdtiere des Menschen, ist als

387
Havelberg

Zugtier am Deichselwagen im 3. Jt. v. Chr. stamm, der nach Kanaan einwanderte; von


(Sumer), vor den Streitwagen gespannt im ihnen übernahmen die Israeliten die hebr.
2. Jt. v. Chr. (indogerman. Streitwagenvöl- Sprache.
ker) und als Streitroß im 1. Jt. v. Chr. (Vor- Hecker, Friedrich, dt. Politiker, 1811–
derer Orient) nachgewiesen; das Haus- 1881; im Vormärz führender Abgeordne-
huhn wurde aus einem ostind. Wildhuhn ter der 2. bad. Kammer. 1848 organisierte
gezüchtet, die Hausgans vermutlich aus ei- H. mit ↑ Struve den bad. Aufstand, nach
ner altägypt. Wildgans; Ausschaltung der dessen Niederlage floh er in die Schweiz
natürlichen Auslese (Pferche als Schutz und von dort in die USA, wo er als Oberst
gegen Vermischung mit Wildtieren), Stall- auf der Seite der Union am Sezessionskrieg
haltung, geänderte Ernährungsweise, neue teilnahm.
Umweltverhältnisse, Züchtung und neue Hedin, Sven, schwed. Forschungsreisender,
Aufgaben (Bespannung, Dressur, Fleisch-, 1865–1952; Erforscher Innerasiens (Ti-
Wolle- und Milchgewinnung) führten all- bet, Transhimalaja, Turkestan, Mongolei).
mählich zu den biolog. Formen der heu- Wertvolle Reiseschilderungen und geogr.
tigen Haustiere. Dokumentation.
Havelberg, urspr. Burg der slaw. Heveller, Hedschas, nach dem Zusammenbruch der
unter Markgraf ↑ Gero Hauptstützpunkt türk. Macht in Arabien seit 1917 selbstän-
des Kampfes gegen die Wenden; 948 von diges Königreich unter dem Scherif von
König Otto I. gegr. Bistum, 983–1129 Mekka, Hussein, der 1925 von ↑ Ibn Saud,
abermals slawisch, von den Askaniern zu- dem Herrscher von Nedschd, zur Abdan-
rückgewonnen. kung gezwungen wurde; 1927 Königreich
Hawaii- oder Sandwich-Inseln, 1527 von H. und Nedschd, 1932 ↑ Saudi-Arabien.
Spaniern entdeckt, 1778 von J. Cook ange- Hedschra, Hidschra (arab., Weggehen),
segelt und nach seinem Gönner Sandwich die Flucht ↑ Mohammeds von Mekka, wo
benannt; unter eigenen Königen; 1893 er und seine Anhänger verfolgt wurden,
durch Revolution Republik, 1897 von den nach Yathrib, das ihm zu Ehren in Medina
USA annektiert, wichtiger Flottenstütz- (Stadt des Propheten) umbenannt wurde,
punkt (↑ Pearl Harbor); 1959 Bundesstaat 622 n. Chr.; mit ihr ließen die Mohamme-
der USA. daner (seit 637) ihre Zeitrechnung begin-
Hawkins, Sir John, engl. Seefahrer, 1532– nen.
1595; erfolgreicher Freibeuter und Skla- Hedwig, 1) H. (Hadwig), Herzogin von
venhändler, von Königin Elisabeth zum Schwaben, um 955 mit Herzog Burck-
Schatzmeister gemacht, 1568 Vizeadmiral hard II. vermählt, hochgebildet, lebte als
gegen die ↑ Armada. Witwe auf dem Hohentwiel, starb 994;
Heath, Edward Richard George, brit. Po- Heldin in Scheffels Roman „Ekkehard“.
litiker, geb. 1916; seit 1950 konservativer 2) H., hl., Herzogin von Schlesien, 1174–
Unterhausabgeordneter, 1970–1974 Pre- 1243; 1186 mit Herzog Heinrich I. ver-
mierminister. H. führte ab 1961 Beitritts- mählt, lebte seit 1209 in dem von ihr gegr.
verhandlungen Großbritanniens zur Eu- Kloster Trebnitz, Schutzpatronin Schlesi-
rop. Gemeinschaft. Seine “weiche” Sozial- ens. 3) H. (Jadwiga), Königin von Polen,
politik führte schließlich nach dem Sturz 1370–1399; jüngere Tochter Ludwigs I.
als Premier (1974) auch zur Ablösung als von Ungarn (Anjou), 1384 gekrönt, vom
Parteichef; seine Nachfolgerin wurde Mar- poln. Adel zur Heirat mit dem heidn.
garet Thatcher. Großfürsten ↑ Jagiello von Litauen ge-
Hebräer (hebr. ibrim, die von drüben, zwungen, dadurch seit 1386 Personalunion
d. h. von jenseits des Jordan), semit. Volks- Polen-Litauen.

388
Heidelberger Katechismus

Heerbann, in der german. Kriegsverfas- menschlichen Gemeinschaftsformen; Staat,


sung ursprünglich das Aufgebot aller freien Recht) und „absoluter Geist“, „Weltgeist“
waffenfähigen Männer zur Heerfahrt (verwirklicht in den großen Weisen; Kunst,
(Volkskrieg); beim Fernbleiben vom Auf- Philosophie und Religion); die Selbstver-
gebot musste eine hohe H.-Buße geleistet wirklichung des „Weltgeistes“ macht die
werden; mit der Ausbildung des ↑ Lehens- Weltgeschichte aus (die eine Geschichte der
wesens verengte sich der H. zur Heeresfol- Ideen ist); die Entfaltung des „Weltgeistes“
gepflicht der Lehensträger (Ritterheer statt mit dem Endziel Vernunft und Freiheit
Volksheer). vollzieht sich im gesetzmäßig-rhythm., di-
Heerschild, im dt. MA äußeres Kenn- alekt. Dreischritt: Thesis (Setzung) treibt
zeichen des Ranges der heerespflichtigen zur Antithesis, zum Gegensatz, beide he-
Fürsten und Lehensträger; die H.-Ord- ben sich in der Synthesis auf (Versöhnung,
nung (erstmals aufgestellt unter Kaiser Erhöhung); mit dieser Dialektik überwand
Friedrich  I., aufgezeichnet im ↑ Schwa- H. alle Widersprüche (auch die seines ei-
ben- und ↑ Sachsenspiegel) unterschied genen Systems, der abstrakt-rationalist.
sieben H.e, deren oberster dem König zu- Geschichtsdeutung und des histor.-irrati-
kam (danach geistliche Fürsten, Laienfür- onalen Begriffs des „Volksgeistes“ als der
sten, Grafen und Freiherren, Ministerialen jeweils Epoche prägenden nationalen Ver-
und Schöffenbarfreie, deren Mannen, üb- körperung des „Weltgeistes“). H. glaubte
rige ritterbärtige Leute); sie brachte damit sich darüber hinaus imstande, Kommen-
die lehensrechtlichen Bindungen in eine des als gesetzmäßig-notwendig vorauszu-
starre Rangfolge, verbot, von dem Träger sagen. Seine alles einschließende und al-
eines niederen H.s ein Lehen anzunehmen les rechtfertigende Welterklärung, wonach
(in der Praxis nicht immer befolgt), erwies das Bestehende als das Wirkliche auch das
sich aber vor allem als Hauptstütze der Vernünftige sei, mündet in eine Verherrli-
Fürsten (Territorialherren) bei der Wah- chung des preuß. Staates des Vormärz (der
rung und Mehrung ihrer Macht, indem als Selbstzweck gesetzte Staat sei die Ver-
sie die niederen Lehens(und H.-)träger am wirklichung der göttlichen Idee auf Erden,
Aufstieg hinderte und ihnen eine unmittel- in ihm seien das Bewusstsein der Freiheit
bare Unterstützung des Königs und Mit- und die Einsicht in die Notwendigkeit des
wirkung an der Reichspolitik verwehrte, Gehorsams identisch). – H.s Einfluss auf
dem Reichsfürstenstand aber das Verfech- die polit. Ideen des 19./20. Jh. wirkte sich
ten von Rechts- und Machtansprüchen ge- nach den verschiedensten Richtungen aus;
genüber dem isolierten König erleichterte. er wurde als Apologet des konservativen
Hegel, Georg Wilhelm Friedrich, einfluss- Preußentums zitiert, von den Vertretern
reichster dt. Philosoph des 19. Jh., 1770– eines christlichen oder liberalen Humanis­
1831; lehrte in Berlin, Begründer der Dia­ mus beansprucht, fand seine Fortsetzer
lektik und Vollender des dt. Idealismus. aber ebenso in der atheist.-revolutionären
Auf Kant, Fichte und Schelling fußend, er- Richtung der Junghegelianer und lieferte
richtete H. im Bemühen, eine umfassende, Marx die methodische Grundlage zum dia-
begreifbare Deutung der Welt zu geben, lekt. Materialismus (↑ Marxismus).
ein imponierendes Denkgebäude; er setzte Hegemonie (griech., Vorherrschaft), polit.
Denken (Geist) gleich Sein (Wirklichkeit) Übergewicht eines Staates über andere im
und sah den Geist in drei Erscheinungs- Gegensatz zum ↑ Gleichgewicht; z. B. frz.
formen: „subjektiver Geist“ (verwirklicht H. in Europa im Zeitalter Ludwigs XIV.
im Einzelmenschen); Psychologie und Mo- Heidelberger Katechismus, enthält das
ral = „objektiver Geist“ (verwirklicht in den Glaubensbekenntnis der reformierten Kir-

389
Heidelberger Mensch

che, verfasst durch die Heidelberger Theo­ Heimfall, ursprünglich der Rückfall erben-
logen Olevianus und Ursinus, erschienen los oder herrenlos gewordenen Gutes an
1563. die Dorfgenossenschaft, später an den Kö-
Heidelberger Mensch, ↑ Paläolithikum. nig; im modernen Recht entwickelte sich
Heiducken (ungar., Treiber), urspr. Vieh- daraus das Erbrecht des Staates; im mittel-
hirten, wurden im 16. Jh. zu ungar. Plün- alterl. Lehensrecht Bez. für den Rückfall
derbanden, bewährten sich später als Krie- des Lehngutes an den Lehnsherrn.
ger und wurden 1605 mit eigenem Wohn- Heinemann, Gustav, dt. Politiker, 1899–
gebiet und Vorrechten ausgestattet, entwi- 1976; 1945 Eintritt in die CDU, 1950
ckelten sich zur irregulären Miliz. H. wur- Rücktritt als Bundesinnenminister aus Pro­
den auch die uniformierten Bedienten an test gegen Wiederbewaffnungspläne der
ungar. und dt. Fürstenhöfen genannt. BRD durch die Westmächte. 1957 trat H. in
Heilige Allianz, ↑ Alliierte. die SPD ein, als Justizminister 1966–1969
Heilige Kriege, in Alt-Griechenland we- betrieb er die Große ­Strafrechtsreform. H.s
gen Verletzung des delph. Heiligtums (Be- Wahl zum Bundespräsidenten mit Unter-
bauung des hl. Landes usw.) um 590 v. Chr. stützung der FDP bereitete die SPD-FDP-
gegen die Stadt Krisa; 355/46 v. Chr. gegen Koalition von 1969 vor. 1974 verzichtete
Phokis; 339/38 v. Chr. gegen Amphissa H. auf eine erneute Kandidatur zur Wahl
(Anlass für Philipp II. von Makedonien zur des Bundespräsidenten.
Machtergreifung in ganz Griechenland). Heinrich, Name von Herrschern. Dt. Kö-
– Im Islam Krieg gegen Ungläubige: Der nige und Kaiser: 1) H. I. (919–936); geb.
türk. Aufruf zum H. K. gegen die Entente 876, aus dem sächs. Haus der Liudolfinger
bei Ausbruch des 1. Weltkrieges fand bei (Ottonen gen.), 912 Herzog von Sachsen,
der Masse der Mohammedaner kein Ge- Gegner Konrads I.; der ihn trotzdem als
hör, weil das mit dem osman. Sultanat ver- Nachfolger empfahl; setzte sich gegen den
bundene ↑ Kalifat keine Autorität mehr Gegenkönig Herzog Arnulf von Bayern
besaß. durch, unterwarf Lothringen, begann die
Heilige Lanze (auch Mauritiuslanze), der Unterwerfung der ostelb. Slawen; zwang
Überlieferung nach die Lanze, mit der den Herzog von Böhmen zur Lebenshuldi-
Christus die Seite geöffnet wurde; (angeb- gung, gewann die Mark Schleswig zurück,
lich) im Besitz Konstantins, dann Heilig- legte besonders in Sachsen Burgen an („der
tum der Langobarden; sprach dem Besitzer Städtegründer“), schlug die Ungarn (denen
das Anrecht auf die Herrschaft über Italien er Tribut gezahlt hatte, um inzwischen ein
zu, wurde von Rudolf von Burgund gegen Reiterheer zu schalten) 933 bei Riade; er-
Abtretung von Basel Heinrich I. übereignet warb die ↑ Hl. Lanze. 2) H. II., der Heilige
und legitimierte seither die dt. Italienpoli- (1002–1024); geb. 973, Vetter Ottos III.,
tik im MA; zählte zu den Reichsinsignien. letzter Herrscher aus dem sächs. Haus, 995
Heilige Liga, ↑ Liga. Herzog von Bayern, kämpfte gegen die Po-
Heilige Schar, in Theben um 379 v. Chr. len, ohne die Lausitz zurückzugewinnen,
aus 300 adligen Jungmännern gebildet, machte sich um die Kirchen- und Kloster-
die je zwei und zwei einen Bund auf Leben reform im Geist von Cluny verdient, stif-
und Tod schlossen; sie entschied 371 unter tete 1007 das Bistum Bamberg; 1014 zum
Epaminondas die Schlacht von ↑ Leuktra Kaiser gekrönt, zog auf Bitten des Papstes
und fiel 338 v. Chr. bei ↑ Chaironea bis auf nach S-Italien, ohne sich durchsetzen zu
den letzten Mann. können; doch war bei seinem Tod das An-
Heiliges Römisches Reich Deutscher Na- sehen des Königtums in Sachsen wieder-
tion, ↑ Dt. Reich, Deutschland, Reich. hergestellt. 3) H. III. (1039–1056); geb.

390
Heinrich

1017, Sohn Konrads II. aus dem Haus der zum Kaiser gekrönt, wurde durch die Ge-
Salier, schon 1028 zum König gewählt; fangennahme des engl. Königs Richard Lö-
dehnte den kaiserlichen Machtbereich (vo- wenherz, den er zum Lehenseid zwang, zu-
rübergehend) auch auf Ungarn aus, för- gleich der (bes. welf.) Fürstenopposition
derte die cluniazens. Kirchenreform und Herr; 1194 zum König von Sizilien ge-
die Gottesfriedensbewegung, setzte 1046 krönt; konnte sich jedoch mit dem Plan,
(Synode zu ↑ Sutri) drei schismat. Päpste Deutschland zum Erbreich zu machen, ge-
ab und dt. Bischöfe zu Nachfolgern ein, gen Papst und Fürsten nicht durchsetzen;
gebot als letzter Kaiser auch über Kirche er starb vor der Ausfahrt zu einem Kreuz-
und Papsttum, festigte die dt. Macht in zug, der die stauf. Macht auf das östl. Mit-
den Ostgebieten. 4) H. IV. (1056–1106); telmeer (bes. Byzanz) ausdehnen sollte; mit
geb. 1050, Sohn von 3), bis zu seiner Mün- seinem Tod wurde der Weg frei für die na-
digkeit unter der Regentschaft seiner Mut- tionalstaatliche Aufspaltung Europas.
ter Agnes und prakt. in den Händen des 7) H. (VII.), 1211–1242; Sohn Fried-
hohen Klerus, kämpfte zäh für Wiederauf- richs II., 1220 zum dt. König gewählt,
richtung der Königsmacht gegen die inzwi- nach Empörung gegen seinen Vater 1235
schen erstarkten Fürsten, stützte sich dabei gefangen genommen und nach Apulien
bes. auf die rhein. Städte, schlug 1075 die verbracht. 8) H. VII. (1308–1313); geb.
aufständ. Sachsen; H. fand im ↑ Investitur- 1275, seit 1288 Graf von Luxemburg, Be-
streit einen großen Gegner in Papst Gre- gründer des „luxemburg.“ dt. Kaiserhauses
gor VII., löste sich in verzweifelter Lage und seiner Hausmacht in Böhmen, das er
(Fürstenaufstand, ↑ Tribur) 1077 vom 1310 als erledigtes Reichslehen einzog und
Bann (↑ Canossa), kämpfte unbeugsam ge- seinem Sohn Johann übertrug; zog nach
gen Papst, Fürstenopposition und Gegen- Italien, um die Kaisermacht wiederaufzu-
könige, verkündete 1065 einen Gottesfrie- richten, von den Ghibellinen (Dante) mit
den und 1103 den ersten Reichslandfrie- Jubel begrüßt, doch vom Papst, den Anjou
den; musste sich schließlich seiner aufsäs- und den Lombard. Städten beargwöhnt;
sigen Söhne erwehren, von denen ihn H. V. 1312 vom päpstlichen Legaten in Rom
1105 zur Abdankung zwang; starb in Lüt- zum Kaiser gekrönt; belagerte vergeblich
tich, noch im Bann, aber zu neuem Kampf das guelf. Florenz und starb beim Aufbruch
rüstend. 5) H. V. (1106–1125); geb. 1081, gegen Robert von Neapel. – Bayern:
Sohn von 4), letzter Salier; setzte wider Er- 9) H. I., 920–955; jüngerer Bruder Ot-
warten des Klerus die Politik seines Vaters tos I., gegen den er sich 938 empörte, er-
fort, zwang 1111 Papst Paschalis II. zur hielt aber nach Versöhnung 948 das Her-
Kaiserkrönung, zog 1115 das Erbe der zogtum Bayern; gegen ihn als nicht einge-
Markgräfin ↑ Mathilde von Tuszien ein, sessenen Herzog erhob sich 953 der bayer.
ging zwecks Bereinigung des Investitur- Adel. 10) H. II., der Zänker, 955–995;
streits einen Kompromiss ein und schloss Sohn von 9), seit 955 Herzog, bean-
mit Papst Kalixtus II. 1122 das ↑ Wormser spruchte gegen Otto II. und Otto III. die
Konkordat ab. 6) H. VI. (1191–1197); dt. Krone, verlor dabei 976 sein Herzog-
geb. 1165, Sohn Friedrichs I., kühler und tum, erhielt es aber nach Unterwerfung
bedenkenloser Realpolitiker mit kühner unter das Königshaus 985 zurück und
Konzeption: stauf. Weltkaisertum welt- wurde treuer Vasall Ottos III.; Herzog von
licher Prägung; zog dreimal nach Italien, Kärnten 989. 11) H. X., der Stolze, um
bes. um die aus seiner Ehe mit Konstanze 1108–1139; Welfe, seit 1126 Herzog, er-
erwachsenen Herrschaftsansprüche auf das hielt 1137 von seinem Schwiegervater Lo-
Königreich ↑ Sizilien durchzusetzen; 1191 thar von Supplinburg auch das Herzogtum

391
Heinrich

Sachsen, dazu die Reichsinsignien, damit Karls VI. in Frankreich, als Regent und
mächtigster Fürst im Reich und präsum- Thronfolger in Frankreich anerkannt.
tiver Nachfolger des Königs; wurde jedoch 16) H. VI., 1421–1461; Sohn von 15),
nicht gewählt, statt dessen vom neuen Kö- schon als Einjähriger König, 1430 auch
nig Konrad III, geächtet und in beiden zum König von Frankreich gekrönt, übte
Herzogtümern abgesetzt; behauptete sich nie die Herrschaft aus (erst unter Regent-
in Sachsen. 12) H. XI., der Löwe, um schaft, seit 1455 unter dem Einfluss seiner
1129–1195; Sohn von 11), erhielt 1142 Gattin Margarete von Anjou); geistes-
das Herzogtum Sachsen, von Kaiser Fried- schwach, zeitweise wahnsinnig, verlor bis
rich I. 1156 auch Bayern zurück, gründete 1453 die frz. Besitzungen (bis auf Calais);
1158 München und erhob Lübeck zur durch die Erhebung Richards von York
Stadt, trieb großangelegte Ostkolonisation, 1461 (Beginn der ↑ Rosenkriege) abgesetzt.
bes. in Mecklenburg, verweigerte 1176 17) H. VII., 1457–1509; durch seinen Sieg
dem Kaiser die Heerfolge gegen die Lom- über Richard III. 1485 erster Tudorherr-
bard. Städte und verschuldete dadurch die scher, erneuerte die durch den Bürgerkrieg
Niederlage von ↑ Legnano; 1180 geächtet geschwächte königliche Gewalt.
und in beiden Herzogtümern 1181 ent- 18) H. VIII., 1491–1547; Sohn von 17),
rechtet, erhielt nur seine Eigengüter König seit 1509, in Abhängigkeit von den
(Braunschweig-Lüneburg), kehrte aber erst Lords, leicht beeinflussbar, Machtpolitiker;
nach zweimaliger Verbannung 1189 zu- erwarb sich zunächst durch eine Schrift ge-
rück; versöhnte sich mit Kaiser Hein- gen Luthers Lehre von den Sakramenten
rich VI. – England: 13) H. II., 1133–1189; päpstliches Lob (Defensor fidei, Verteidi-
aus dem Haus Anjou-Plantagenet (väter- ger des Glaubens); sagte sich 1533 von
licher und mütterlicher Erbteil); Heirat Rom los, als ihm der Papst die Scheidung
mit Eleonore von Poitiers und 1154 Thron- von seiner (1.) Frau, Katharina von Arago-
besteigung in England (in der Nachfolge nien (zugunsten der Hofdame Anna Bo-
seines Oheims Stephan von Blois), Herr- leyn), verweigerte, und machte sich 1534
scher des ↑ Angevinischen Reiches, des mit Unterstützung des Parlaments zum
zweitstärksten Machtgebildes Europas ne- Oberhaupt der engl. (Anglikan.) Kirche
ben dem stauf.; zwang die Fürsten von (Suprematsakte), ohne die kath. Lehre
Wales und den König von Schottland zur preiszugeben; ließ die Bischöfe verfolgen,
Anerkennung seiner Lehenshoheit, begann die den Suprematseid verweigerten (Hin-
die Eroberung Irlands, verfocht die könig- richtung des Kanzlers Thomas Morus und
lichen Rechte gegen die Kirche (1170 Er- des Kardinals Fisher), und zwei seiner sechs
mordung des Erzbischofs von Canterbury, Frauen hinrichten, darunter Anna Boleyn,
Thomas Becket) und stärkte die königliche die Mutter Elisabeths I.; aus 1. Ehe mit Ka-
Gerichtsbarkeit gegen die der Barone. tharina von Aragonien stammte Maria die
14) H. IV., 1367–1413; Enkel ­Edwards III., Kath. – Frankreich: 19) H. II., 1519–
erster König aus dem Hause Lancaster, 1559; Sohn Franz’ I., seit 1533 mit ↑ Ka-
1399 vom Parlament ausgerufen (zuvor als tharina von Medici vermählt, König seit
Herzog von Hereford von Richard II. nach 1547, erwarb 1552 als Bundesgenosse der
Frankreich verbannt); musste sich der auf- dt. protest. Fürsten (besonders Moritz’ von
ständ. Barone erwehren. 15) H. V., 1387– Sachsen) Metz, Toul und Verdun, musste
1422; Sohn von 14), folgte ihm 1413 auf aber nach Niederlagen gegen Spanien 1559
den Thron, eroberte weitere Teile Frank- den ruhmlosen Frieden von ↑ Cateau Cam-
reichs (1415 Sieg von Azincourt); durch bresis schließen. 20) H. III., 1551–1589;
seine Heirat mit Katharina, der Tochter Sohn von 19); 1573 zum König von Polen

392
Heliopolis

gewählt, bestieg 1574 den frz. Thron, über- führer im 7-jährigen Krieg. – Thüringen:
ließ das Regieren seiner Mutter ↑ Katha- 25) H. Raspe, Landgraf, um 1202–1247;
rina von Medici, setzte den Krieg gegen die vertrieb die hl. Elisabeth, die Witwe seines
↑ Hugenotten fort, verbündete sich dann Bruders, von der Wartburg, 1246 von der
mit diesen, ließ den Führer der Katholiken, päpstlichen Partei zum Gegenkönig Fried-
den Herzog Heinrich von ↑ Guise ermor- richs II. ausgerufen („Pfaffenkönig“); mit
den; musste zu Heinrich von Navarra flie- ihm erlosch das thüringische Landgrafen-
hen und wurde von einem Mönch ­erdolcht; geschlecht im Mannesstamm.
mit ihm erlosch das Haus Valois. 21) H. IV., Heinrich von Plauen, Hochmeister des
1553–1610; Sohn Antons von Bourbon, ↑ Dt. Ordens, um 1370–1429; verteidigte
Erbe von Navarra, 1569 Führer der ↑ Hu- nach der Niederlage bei Tannenberg 1410
genotten, entkam bei seiner als Versöh- die Marienburg, danach zum Hochmeis-
nung gedachten Heirat mit ↑ Margarete ter gewählt, suchte die Ordensherrschaft
von Valois 1572 in der ↑ Bartholomäus- durch Reformen zu retten, vereitelte in
nacht dem Gemetzel, seit 1576 erneut an hartem Strafgericht einen Umsturzversuch
der Spitze der Hugenotten; wurde (nach der Ritter vom ↑ Eidechsenbund; 1413 ge-
sal. Erbrecht) 1589 König (als erster aus stürzt und bis 1422 in Haft.
dem Haus Bourbon, das bis 1792 den Hekataios von Milet, um 500 v. Chr.,
Thron innehatte) und um seiner Anerken- griech. Weltreisender und Geograf; sein
nung willen 1593 (zum zweitenmal) ka- Werk Quelle für ↑ Herodot.
tholisch („Paris ist eine Messe wert“), ge- Helena, hl., gest. um 326 n. Chr.; Mutter
währte aber den Hugenotten durch das Kaiser Konstantins d. Gr., frühzeitig Chris-
↑ Edikt von Nantes 1598 Religionsfreiheit, tin, pilgerte ins Hl. Land und gründete die
stellte das Ansehen der Krone wieder her, Grabeskirche, fand nach der Legende das
ordnete mit Hilfe Sullys die Finanzen; Hl. Kreuz wieder auf, ließ den Trierer Dop-
wurde während der Vorbereitung eines peldom erbauen.
Krieges gegen Habsburg von einem fanat. Helgoland, das alte „Forsitesland“, der
Katholiken ermordet. – Österreich: 22) H. Sage nach Rest einer größeren, stark be-
Jasomirgott, 1114–1177; aus dem Haus völkerten Insel, im 13./14. Jh. Schlupfnest
der Babenberger, 1141 Markgraf von Ös- der Seeräuber, Ende des 14. Jh. im Besitz
terreich, durch seine Heirat mit der Witwe der Herzöge von Schleswig-Holstein-Got-
Heinrichs des Stolzen 1143 Herzog von torp; 1714 von den Dänen erobert, 1807
Bayern, das er 1156 an Heinrich den Lö- von England besetzt und Stützpunkt der
wen abtreten musste; dafür zum Herzog Schmuggler während der Kontinental-
von Österreich mit bes. Privilegien erho- sperre, 1814 auch formell an England ab-
ben. – Portugal: 23) H., der Seefahrer, In- getreten; 1890 von Deutschland gegen
fant, 1394–1460; Sohn König Johanns I., Sansibar und Witu eingetauscht (Sansibar-
1415 zum Schutz gegen arab. Einfälle Er- Helgoland-Vertrag in Deutschland z. T.
oberung Ceutas (gegenüber von Gibraltar); stark kritisiert), nach 1918 Befestigungen
gründete naut. Schulen, organisierte seit geschleift, 1936–1939 wieder befestigt,
1418 Entdeckungsfahrten an der afrikan. 1945 bis 1952 von den Briten besetzt und
Westküste, die Portugals überseeische durch Sprengungen und Bombenabwürfe
Macht begründeten; 1432 Entdeckung der verwüstet; seit 1952 Rückkehr der dt. Be-
Azoren, 1434 Umschiffung von Kap Baja- wohner und Beginn des Wiederaufbaus.
dor, 1445 am Senegal und Kap Verde. – Heliogabalus, ↑ Elagabal.
Preußen: 24) H., Prinz, 1726–1802; Bru- Heliopolis (griech., Sonnenstadt), 1) im
der Friedrichs d. Gr., bedeutender Heer- Altertum Hauptstadt des (unter-)ägyp-

393
Hellas

tischen Reiches (nahe Kairo), mit berühm­ zen (Keimzellen westfäl. Städte) miteinan-
tem Sonnenheiligtum. 2) ↑ Baalbek. der verband; von großer militärpolitischer
Hellas, griech. Name für ↑ Griechenland; und kultureller Bedeutung. – Name abge-
bei Homer nur südthessal. Landschaft, leitet von „hallen“ (Rufpostenverständi-
dann auf das ganze Land bezogen mit den gung) oder „hell“ (Lichtung).
„Hellenen“ als Einwohnern; nach Hellen, Helmold, dt. Geschichtsschreiber, um
dem Sohn Deukalions, dem sagenhaften 1120–1177; Priester zu Bosau bei Plön;
Ahnherrn der Griechenstämme, benannt. seine „Chronica Slavorum“ behandelt die
Hellenismus, die aus der Verschmelzung Mission unter den Slawen von Karl d. Gr.
griechischen Geistes und Wesens mit reli- bis Heinrich dem Löwen; fortgesetzt durch
giös-kulturellen Elementen des Vorderen ↑ Arnold von Lübeck.
­Orients im Weltreich ↑ Alexanders d. Gr. Heloten, in Sparta Staatssklaven, die für
erwachsene Einheitskultur, die sowohl die Spartiaten die Äcker bestellten und die
die ↑ Diadochenreiche wie auch das Röm. Hälfte des Ertrages abliefern mussten, ohne
Reich erfüllte, bis (etwa unter Augustus) persönl. Rechtsschutz und wegen ihrer Auf-
die Römer unmittelbaren Zugang zur (na- standsneigungen von einer eigenen Polizei
tional-)griech. Klassik fanden; schöpfer. überwacht; im Krieg Leichtbewaffnete.
Epoche der Naturwiss., Philologie, Phi- Helvetier, kelt. Volksstamm, urspr. im
losophie; Hauptpflegestätten des H. die südwestl. Deutschland, im 1. Jh. v. Chr. von
Höfe der Diadochenherrscher, besonders den Germanen nach der W-Schweiz abge-
in Alexandria, Antiochia und Pergamon; drängt; ihr Hauptstamm, die Tiguriner,
Träger eine städt. Oberschicht, die bewusst fiel im Gefolge der Kimbern 107 v. Chr. in
individualist. und kosmopolit. eingestellt Gallien ein und schickte die geschlagenen
war (Begriff Kosmopolitismus damals ge- Römer durchs Joch; bei einem erneuten
prägt); in der Sprache trat an die Stelle der Einfall 58 v. Chr. wurden sie von Cäsar ent-
verschiedenen griech. Dialekte die griech. scheidend besiegt und gezwungen, in die
Einheitssprache (Koine, auch die Sprache alten Wohnsitze zurückzukehren.
des N. T.), auf religiösem Gebiet vorherr- Helvétius, Claude Adrien, frz. Philo-
schend der sog. Synkretismus, die Ver- soph der Aufklärung, 1715–1771; radi-
schmelzung verschiedener Religionen, selt- kaler Freidenker, Wegbereiter des philo-
same Mischformen im Kult; in der Kunst soph. Materialismus; sein Hauptwerk „De
Ablösung klass. Ausgewogenheit durch l’esprit“ wurde öffentlich verbrannt.
Monumentalität und Leidenschaftlichkeit; Henlein, 1) H., Konrad, sudetendt. Poli-
repräsentative Stadtkultur; lebensgetreue tiker, 1898–1945; gründete 1933 die Su-
Porträtkunst; der H. war der geistig-kultu- detendeutsche Heimatfront, die sich 1935
relle Triumph des polit. verfallenen Grie- in Sudetendeutsche Partei umbenannte;
chentums bes. über die kulturell weniger H. forderte anfangs die Autonomie der su-
schöpfer. Römer. – Der Begriff H. wurde detendeutsche Gebiete, trat nach 1938 für
von dem dt. Historiker Droysen geprägt. den Anschluss des Sudetenlandes an das
Hellespont, antiker Name der Dardanel- Dt. Reich ein, 1938–39 Reichskommis-
len, benannt nach der griech. Sagengestalt sar, 1939–1945 Gauleiter und Reichsstatt-
Helle, Schwester des Phrixos, die dort auf halter im Sudetenland; beging in alliierter
der Flucht vor ihrer Stiefmutter ins Meer Haft Selbstmord. 2) H., Peter, Schlosser,
stürzte. um 1485–1542; erfand um 1510 kleine
Hellweg, im Karolingerreich Heerstraße tragbare Uhren in Dosenform, die 40 Stun-
zw. Sauerland und Teutoburger Wald (Pa- den liefen und einen Stundenschlag besa-
derborn), die eine Kette königlicher Pfal- ßen.

394
Hermann

Hennecke, Adolf, dt. Bergarbeiter und Po- ↑ Pompeji 79 n. Chr. beim Ausbruch des
litiker, 1905–1975; seit 1946 Mitglied der Vesuvs untergegangen; u. a. Philosophen-
SED, stellte 1948 mit 387 % der Tages- bibliothek mit über 1500 Rollen („Hercu-
norm einen Förderrekord auf und wurde lanens. Rollen“).
so zum Begründer der Aktivistenbewegung Herder, Johann Gottfried, dt. Theologe,
in der DDR; 1950–1967 Abgeordneter der Dichter, Kultur- und Geschichtsphilosoph,
Volkskammer, seit 1954 Mitgl. des ZK der 1744–1803; seit 1776 Generalsuperinten-
SED. dent in Weimar, Wegbereiter der klass. dt.
Heraklius, byzantin. Kaiser, 575–641; re- Geistesepoche und des Neuhumanismus,
gierte seit 610, eroberte 627 von den Sas- von unmittelbarem Einfluss auf Sturm
saniden Syrien und Ägypten zurück, verlor und Drang und Romantik; überwand den
aber diese Provinzen an den Islam; mit sei- geschichtsfeindlichen Rationalismus der
nen Reformen begann die Eigenentwick- ↑ Aufklärung und stellte dessen mecha-
lung des von den weström. Traditionen ge- nist.-materialist. Sehweise eine neue, ge-
lösten ↑ Byzantin. Reiches im MA. net. Geschichtsbetrachtung gegenüber, die
Heraldik, Wappenkunde, Wappenkunst das gesetzmäßig-organ. Werden und Wach-
und Wappenrecht; Name abgeleitet vom sen aufzeigt: von der Natur zur Geschichte,
Herold der Ritterzeit, der als Turnierlei- vom einzelnen Volkstum, das seinen Wert
ter die Wappen zu prüfen hatte; Wappen in sich trägt, zum Reich der Humanität als
(mhdt. wapen = Waffenzeichen) entstan- der höchsten Bestimmung der Menschheit.
den aus Familienzeichen und Unterschei- Im Volkslied und in der Volksdichtung sah
dungsmerkmalen an den Waffen (meist auf H. die reinste Quelle zu geschichtlichem
dem Schutzschild), wie sie bes. während Verständnis; bes. den slaw. Völkern ver-
der Kreuzzüge mit den Teilnehmern aus half er damit zur Bewusstwerdung ihres
vielen Nationen notwendig wurden; aus zukunftsträchtigen Volkstums („Die slaw.
solchen einfachen Formen entwickelten Kulturen werden die Gärten der Mensch-
sich seit dem 12. Jh. die Wappenbilder heit sein“). Hauptwerke: „Ideen zur Phi-
des Adels: Schildfigur aus Heroldstücken losophie der Geschichte der Menschheit“;
(Schildteilungen) und gemeine Figuren „Stimmen der Völker in Liedern“; „Briefe
als Familiensymbole; seit dem 13. Jh. er- zur Beförderung der Humanität“.
weitert durch den Helm mit dem Kleinod Herero (oder Damara), im 18. Jh. aus Nor-
(Persönlichkeitszeichen), zwischen Helm drhodesien eingewandertes Bantu-Misch-
und Kleinod Krone oder Wulst, auf dem volk SW-Afrikas, das 1896 und 1904 ge-
Untergrund der Helmdecke die Familien- gen die dt. Kolonialmacht kämpfte; 1904
farben. Die Heraldik unterschied Farben am Waterberg beinahe aufgerieben.
(Rot, Blau, Schwarz, Braun, Purpur, Grün) Hermann, Name von Herrschern: 1) H.
und Metalle (Gold = gelb, Silber = weiß). – Billung, Herzog von Sachsen, gest. 973;
Seit dem 14. Jh. auch Bürgerwappen, dann von Otto I. 936 als Markgraf an der un-
genossenschaftliches und Staatswappen. teren Elbe eingesetzt, unterwarf die Sla-
Herberstein, Sigmund Reichsfreiherr von, wen bis zur Oder; 950 zum Vertreter Ottos
kaiserlicher Diplomat, 1486–1566; schrieb im Herzogtum Sachsen ernannt; seit 961
bedeutende Reiseberichte aus Russland Herzog von Sachsen. 2) H. der Cherusker,
(1549). fälschlich für ↑ Arminius. 3) H. von Salm,
Herculaneum, antike Villenvorstadt am Graf aus dem Haus der Luxemburger, 1081
Golf von Neapel mit etwa 6 000 Einwoh- mit Hilfe Ottos von Northeim als Gegen-
nern und mit Fischereihafen, Ruinen (z. T. könig gegen Heinrich IV. aufgestellt; im
noch unter dem heutigen Resina); mit Volk spött. „König Knoblauch“ genannt,

395
Hermann

konnte sich nicht behaupten und fiel 1088 47 röm. Statthalter von Galiläa; gelangte
in einer luxemburg. Fehde. 4) H. I., Land- mit röm. Hilfe (Antonius) auf den Thron,
graf von Thüringen (1190–1217); Gegner regierte glanzvoll (Neubau des Tempels in
Kaiser Ottos IV.; Freund der Minnesänger, Jerusalem), doch grausam (Ausrottung der
die er der Überlieferung nach zum Sänger- Hasmonäer); ihm wird der bethlehemit.
krieg auf der Wartburg versammelte. 5) H. Kindermord zugeschrieben. 2) H. Anti-
von Wied, Kurfürst und Erzbischof von pas, Sohn von 1), regierte seit 4 v. Chr. als
Köln (1515–1547); geb. 1477, seit 1532 Tetrarch von Galiläa, Landesherr Jesu, ließ
auch Bischof von Paderborn; unterdrückte auf Anstiften seiner (2.) Gemahlin Hero-
anfangs die Anhänger Luthers, versuchte dias ↑ Johannes den Täufer töten; 39 n. Chr.
dann, von Melanchthon und Bucher beein- durch Caligula nach Lyon verbannt. 3) H.
flusst, gegen den Widerstand des Domkapi- Agrippa I., Enkel von 1), Bruder der He-
tels die Reformation im Erzstift Köln einzu- rodias, durch Claudius 41 n. Chr. König
führen; nach dem Schmalkald. Krieg 1547 des wiedervereinigten jüd. Reiches, Chri-
zur Abdankung gezwungen, starb 1552. stenfeind, gest. 44 n. Chr. 4) H. Agrip-
Hermann, Geschichtsschreiber des MA: pa II., gest. 100 n. Chr.; Sohn von 3), half
1) H. von Reichenau, gen. der Lahme den Römern bei der Eroberung Jerusalems,
(Hermannus contractus), 1013–1054; setzte 44 Jakobus und Petrus gefangen;
Grafensohn, Mönch auf der Reichenau, Letzter des Geschlechts.
vielseitig gebildet; seine Weltchronik ist Herodes Atticus, griech. Rhetor aus Mara-
bes. für den Zeitraum 1039–1054 erstran- thon, 101–177 n. Chr.; Freund der Kaiser
gige Quelle. 2) H. von Altaich, geb. 1200; Hadrian und Antoninus Pius; Erbauer des
Abt von Niederaltaich (Bayern), verfasste neuen Odeions und des allathen. Stadions
die Annalen von Niederaltaich von 1137 in Athen.
bis 1273, die für die Reichsgeschichte bes. Herodot von Halikarnassos, griech. Ge-
ab 1250 wertvoll sind. schichtsschreiber, um 484–425 v. Chr.;
Hermann von Salza, Hochmeister des weitgereist (Ägypten, Afrika, Gibraltar,
↑ Dt. Ordens (1210–1239); Vertrauter Persien, Schwarzes Meer), Kenner des pe-
Kaiser Friedrichs II., Vermittler zw. ihm rikleischen Athens, mit Perikles und So-
und dem Papst; erschloss dem Orden nach phokles befreundet; wurde unter dem Ein-
dessen Vertreibung aus Siebenbürgen ein druck dessen, was er gesehen und gehört
neues Tätigkeitsfeld im heidn. Preußen, hatte, zum Historiker; um Erforschung der
sicherte ihm durch kaiserliche Privilegien historischen Wahrheit bemüht (griech. hi-
(Goldene Bulle von Rimini 1226) das zu storein, erforschen); in seinem berühmten
erobernde Gebiet als Reichslehen und ent- (im alexandrin. Zeitalter nach den 9 Musen
sandte 1230 auf den Hilferuf des Herzogs in 9 Bücher geteilten) Werk, den „Histo-
Konrad von Masowien Hermann ↑ Balk rien“, gibt H. eine weit ausholende Kultur-
nach dem Osten. geschichte der Alten Welt und schildert die
Hermunduren, Ermunduren, germ. Volks- Kämpfe der Griechen mit den ­ Barbaren,
stamm aus dem Harzvorland, um Chr. Ge- bes. die Perserkriege bis 479 v. Chr., gleich-
burt zw. oberem Main und Donau ansässig sam als Kampf Europas gegen Asien; cha-
und dem Reich ↑ Marbods angeschlossen; rakterist. für seine Geschichtsauffassung
später vermutlich in den Thüringern auf- ist die tätige Rolle, die H. den Göttern
gegangen. zuweist, indem sie den Vermessenen ver-
Herodes, jüd. Herrscher: 1) H. der Große nichten und den Erfolgreichen aus Neid zu
(37–4 v. Chr.); geb. um 72 v. Chr., aus Idu- Fall bringen (nach Cicero „Vater der Ge-
mäa (S-Palästina), d. h. nichtjüd. Herkunft, schichtsschreibung“).

396
Herzl

Herold, im MA Beamter an großen Adels- Hertz, Heinrich, dt. Physiker, 1857–1894;


höfen (↑ Heraldik); Aufgaben: Wappen- Entdecker der mit Lichtgeschwindigkeit
schau, Entscheidung über Turnierfähig- sich fortpflanzenden elektromagnet. Wel-
keit, Friedensbotenamt, Leitung von Fest- len (Funk), einer der Begründer der mo-
lichkeiten; die Reichs-H.e versahen den dernen Elektrizitätslehre.
Ordnungsdienst auf den Reichstagen. Hertzberg, Ewald Friedrich Graf von,
Heron von Alexandria, griech. Mathema- preuß. Staatsmann, 1725–1795; verfasste
tiker und Physiker, um 125 v. Chr., Leh- bei Beginn des 7-jährigen Krieges die di-
rer der Messkunst, erarbeitete sich selbst plomat. Rechtfertigungsschrift für Fried-
die theoret. Grundlagen für die Erfindung rich d. Gr., leitete mit Finckenstein die
zahlreicher Apparate, u. a. den Heronsball preuß. Außenpolitik, schloss den Frieden
(Vorläufer der Druckpumpe); errechnete von ↑ Hubertusburg und Teschen.
das Spiegelungsgesetz bei Lichtstrahlen. Heruler (Eruler), nordgermanischer Volks-
Herophilos von Chalcedon, griech. Arzt, stamm, urspr. im südl. Schweden, z. Z. des
um 300 v. Chr.; lehrte in Alexandria; begr. Tacitus an der dt. Ostseeküste; erschien um
die Lehre von der diagnost. Bedeutung des 267 am Asowschen Meer, Mitte des 4. Jh.
Pulses bei Herzkrankheiten (Konstruktion von den Ostgoten unterworfen, dann in
einer Taschenwasseruhr zur Messung des der Gewalt Attilas; in der 2. Hälfte des
Blutdrucks). 5. Jh. gründeten sie an der Theiß ein Reich,
Herostrat(os), steckte 356 v. Chr. in der dessen König Rodulf von Theoderich d. Gr.
Geburtsnacht Alexanders d. Gr. den welt- zum „Waffensohn“ durch Adoption erho-
berühmten Tempel der Artetuis zu ↑ Ephe- ben wurde; das Reich Rodulfs um 605 von
sus in Brand, um mit dieser Tat seinen Na- den Langobarden zerstört.
men zu verewigen; der Tempel später wie- Herzegowina (Oberbosnien), im Alter-
der aufgebaut. tum Teil der röm. Provinz Illyrien, im MA
Herrenhaus, in Preußen bis 1918 1. Kam- wechselweise bei Kroatien und Bosnien,
mer des Landtages; Mitgliedschaft erblich 1483 von den Türken erobert und gegen
oder durch Berufung durch den König Österreich behauptet; nach dem Aufstand
(Prinzen, Hochadel, Universität, Stadt). des christl. Bevölkerungsteils gegen die
Herriot, Edouard, frz. Politiker, 1872– Türken im ↑ Berliner Kongress 1878 unter
1957; langjähriger Bürgermeister von österr. Verwaltung gestellt, 1908 von Ös-
Lyon, seit dem 1. Weltkrieg Führer der terreich annektiert (↑ Bosn. Krise); 1918
(bürgerlich-liberalen) Radikalsozialisten, zu Jugoslawien. Seit 1992 Teil der unab-
1924/25 (Räumung des Ruhrgebietes, hängigen Republik Bosnien-Herzegowina.
Dawes-Plan) und 1932 Ministerpräsident Herzen, Alexander (eigtl. Jakowlew; Deck-
und Außenminister, mehrmals Präsident name: Iskander), russ. Schriftsteller und
der Nationalversammlung; Verfechter der Publizist, 1812–1870; radikaler Revolutio­
„Vereinigten Staaten von Europa“. när, geistiges Haupt der russ. Emigration
Herrnhuter, ↑ Brüdergemeine. in W-Europa; als bedeutendster Reprä-
Hertling, Georg Graf von, dt. Politiker sentant der (nach W-Europa orientierten)
und kath. Philosoph, 1843–1919; Prof. russ. „Westler“ von Einfluss auf die Geis­
in Bonn, Mitbegründer der Görres-Ge- tesgeschichte der russ. Revolution, beson-
sellschaft, seit 1909 Vorsitzender der Zen- ders durch seine Zeitschrift „Kolokol“ .
trumsfraktion im Reichstag, 1912–1917 Herzl, Theodor, österr.-jüdischer Schrift-
bayer. Ministerpräsident, 1917/18 Reichs- steller, Begründer des ↑ Zionismus, 1860–
kanzler und preuß. Ministerpräsident; sein 1904; machte in seiner aufsehenerregenden
Nachfolger Prinz ↑ Max von Baden. Schrift „Der Judenstaat“ (1896) aus der re-

397
Herzog

ligiös motivierten Palästina-Sehnsucht der Königreich Westfalen einverleibt; der Ver-


Juden ein polit. Programm, rief die Zio- fassungsstreit unter Friedrich Wilhelm
nist. Weltorganisation ins Leben; Präsident zw. dem Minister ↑ Hassenpflug und den
des 1. Zionistenkongresses in Basel 1897. Ständen führte 1850 zum Eingreifen Ös-
Herzog (lat. Dux), bei den Germanen für terreichs und Preußens, das in Olmütz die
Kriegs- oder Wanderjahre gewählter Füh- Sache der hess. Stände preisgab; 1866 trat
rer; nach der Auflösung des karoling. Rei- der Kurfürst auf die Seite Österreichs und
ches (9. Jh.) Führer des selbständigen Stam- verlor sein Land an Preußen (Regierungs-
mesherzogtums, in Deutschland: Sachsen, bezirk Kassel der preuß. Provinz H.-Nas-
Franken, Bayern, Schwaben, Lothringen; sau). – H.-Darmstadt wurde 1806 zum
bei der Umwandlung der noch bestehen- Großherzogtum erhoben, 1815 um Rhein-
den Stammes- in Gebietsherzogtümer H. vergrößert, verlor aber durch die Par-
(in der Stauferzeit) Titel der betreffenden teinahme ↑ Dalwigks für Österreich 1866
Territorialherren, der von da an auch un- Grenzgebiete an Preußen (darunter Hom-
abhängig von den alten Stammesnamen burg, das sich im 17. Jh. als selbständige
verliehen wurde (z. B. Herzog von Öster- Landgrafschaft abgesplittert hatte und
reich, Kärnten, Steiermark, Krain, Braun- 1866 an H.-Darmstadt zurückgefallen
schweig, Luxemburg u. a.); in neuerer Zeit war); seit 1918 Freistaat Hessen, 1945 mit
fürstliche Rangstufe zw. ↑ Großherzog und der preuß. Provinz H.-Nassau (H.-Kassel,
↑ Fürst; auch als höchster Adelstitel verlie- Homburg u. a.) zum Land H. („Groß-H.“)
hen (nicht „ebenbürtig“). vereinigt (mit Ausnahme des frz. besetz-
Heß, Rudolf, dt. nat.-soz. Politiker, 1894– ten Teils von Rhein-H., der zu Rheinland-
1987; 1920 Eintritt in die NSDAP, 1923 Pfalz kam). – H.-Nassau: ↑ Nassau.
Teilnahme am Hitlerputsch, seit 1933 Hethiter (in ägypt. Texten Ht’, im A. T.
„Stellvertreter des Führers“. 1939 von Hit- Hittim, Hettaer, Hethiter), im 3. Jt. über
ler zu seinem zweiten Nachfolger (nach den Bosporus oder Kaukasus vom Kaspis-
Göring) ernannt. Im 2. Weltkrieg versuchte chen Meer nach Kleinasien einwanderndes
H. Friedensverhandlungen mit Großbri- kriegstüchtiges Volk westindogermanischer
tannien aufzunehmen, 1946 wurde er im Herkunft; siedelten in Stammes- und Sip-
Nürnberger Prozess zu lebenslänglich Ge- penverbänden als Bauern, wurden zur
fängnis verurteilt und in Spandau inhaf- Herrenschicht und übernahmen unter
tiert, beging dort Selbstmord. Aufgabe altreligiöser Vorstellungen viele
Hessen, in german. Zeit das Gebiet der Kulturelemente der Orientalen; ihr Name
Chatten; im Dt. Reich zunächst Teil des von Chattusa (Hattusa), der von ihnen
Herzogtums Franken, 1137–1247 zur zerstörten Hauptstadt der Vorbewohner,
Landgrafschaft Thüringen, nach Erbfolge­ abgeleitet; Handel mit Assyrien, Regio-
streit 1265 selbständige Landgrafschaft nalkämpfe um Weide- und Wasserstellen;
unter Herrschern aus dem Haus Bra- erster deutlich sichtbarer Herrscher Labar-
bant; nach dem Tod des Landgrafen Phi- na I. (um 1600-1570), der den Siedlungs-
lipp des Großmütigen (der in der Refor- raum bis zum Schwarzen Meer und Mit-
mationszeit als Haupt des ↑ Schmalkald. telmeer ausdehnte; sein Sohn Chattusche-
Bundes hervortrat, gest. 1567) wurde H. li I. (um 1570–1540) baute Chattusa wie-
unter Philipps vier Söhne aufgeteilt, doch der auf, machte es zur Hauptstadt, suchte
erhiel­ten sich seit 1604 nur die beiden Li- nach Mesopotamien vorzudringen und
nien H.-Kassel und H.-Darmstadt. – H.- führte die ↑ Keilschrift für Staatsverwal-
Kassel wurde 1803 zum Kurfürstentum tung und Archive ein (älteste indogerm.
(„Kurhessen“) erhoben, 1807–1813 dem Sprachdenkmäler der etwa 10 000 Boghaz-

398
Hexe

köy-[↑ Chattusa-]Tafeln); sein ­ Nachfolger, thit. Kultur in den kleinen hethit. Nach-


der „Heldenkönig“ Murschilis I., besetzte folgestaaten Nordsyriens, die um 700 im
um 1530 vorübergehend Babylon, das Assyrerreich aufgingen.
„Rom Vorderasiens“; das H.-Reich öff- Hetman, 1) in Polen und Litauen seit dem
nete sich der babylon. Kultur, erste Ge- 15. Jh. Titel des vom König ernannten
schichtswerke; unter Teleginu (um 1450), Oberbefehlshabers des Heeres (bis 1792).
nach einer Zeit der Thronwirren, war das 2) Bei den Kosaken urspr. Bez. für den auf
H.-Reich Großreich, das zw. den bei- 1 Jahr gewählten Anführer, 1572–1764 für
den Meeren die ganze Mitte der heutigen den gewählten Heerführer aller Kosaken.
Türkei umfasste; Festigung des Staates und Heuss, Theodor, dt. Politiker und Schrift-
erste Staatsverfassung; mächtiger H.könig steller, 1884–1963; gehörte zum Kreis um
war Schuppiluliuma (um 1380–1346), der Friedrich ↑ Naumann (dessen Biografie
das Mitanni-Reich und die Stadt ­ Ugarit er schrieb); 1905–1912 Schriftleiter der
tributpflichtig machte und Syrien bis zum „Hilfe“, 1920–1933 Dozent an der Hoch-
Libanon (bis an die Grenze der Außenbe- schule für Politik in Berlin, 1924–1933 de-
sitzungen Alt-Ägyptens) unterwarf; wegen mokrat. Reichstagsabgeordneter, 1945/46
der Ermordung seines Sohnes, der eine Kultusminister in Württemberg-Baden,
ägypt. Prinzessin heiraten sollte, auf ägypt. Vorsitzender der FDP, Mitglied des Parla-
Boden Beginn des Kampfes um Syrien, das mentar. Rates mit erheblichem Einfluss auf
beide Reiche beanspruchten (Bedrohung das Grundgesetz; 1949 zum ersten westdt.
des Nils); Ramses II. von Ägypten gelang Bundespräsidenten gewählt; nach Wieder-
es, obwohl die Schlacht gegen den H.könig wahl 1954 bis 1959 im Amt. Seit 1964
Muwaselli bei ↑ Kadesch, 1296) keine Ent- Verleihung des Theodor-Heuss-Preises für
scheidung brachte, die Expansion der H. „beispielhafte demokrat. Gesinnung“.
in Südrichtung zu unterbinden und mit Heveller, slaw. Volksstamm im unteren
Muwasellis Nachfolger Chattuscheli III. Havelgebiet und an der Spree, Hauptsitz
(1282–1250) die Interessensphären in Brennabor (Brandenburg); 928–940 von
einem Freundschaftspakt (um 1275) ab- den Deutschen unterworfen, nach dem
zugrenzen (Vertragstexte sind erhalten); großen Slawenaufstand von 983 wieder
Zeit friedlicher Entwicklung. Aufbau der selbständig, durch Albrecht d. Bären end-
Gesellschaft: nichtgöttliches Königtum gültig unterworfen.
mit hoher Stellung der Königin, feudale Hexe (ahdt. hagazussa, mhdt. hesse, hexse =
Herrenschicht mit Adelsrat, Waffenleute, die den Hag Schädigende), im german.
Ackerleute, Handwerker, human behan- Altertum weissagende, heilende, bespre-
delte Sklaven, oberste Gottheit die Göt- chende oder, falls sie Schaden anrichtete,
tin Arinna und unter ihr zahlreiche Götter Frau mit Zauberkraft (die dann dem Tode
(„Tausend Götter“); Übernahme sumer.- verfiel); ihre Zauberkraft, der „seidh“ (Sud
babylon. Literatur (↑ Gilgamesch-Epos); aus zauberkräftigen Drogen), gab Macht
bedeutende Stadt- und Burgarchitektur über Menschen, Tiere und Wetter, verän-
mit Vollplastiken und Reliefs; neben der derte die Sinnesart des Menschen, flößte
Keilschrift hethit. Hieroglyphen; Erwäh- Hass oder Liebe ein, ließ hinsiechen, ver-
nung des Eisens als Edelmetall um 1600 zauberte, erzeugte Misswuchs und Unwet-
v. Chr. Zunehmende Bedrohung durch As- ter; im MA traten Eigenschaften der Wal-
syrien; um 1200 v. Chr. durch die ↑ Seevöl- küren (Fliegen und Reiten durch die Luft),
ker und einfallende Balkanstämme katas- des Wodankults (Besen als Blitzsymbol),
trophenartiges Ende des Reiches; Chattusa der Elben (Verwandlung in Fliegen), des
durch Brand zerstört; Nachleben der he- wilden Jägers u. a. hinzu; die frühmittelal-

399
Heydrich

terl. Kirche, die Merowinger, Langobarden, „Vergeltung“ wurde der tschech. Ort Li-
Karl d. Gr. eiferten gegen den H.-Glauben; dice von den Deutschen zerstört, die Män-
seit dem 13. Jh. setzte sich die Meinung ner des Dorfes wurden erschossen.
durch, die H.n seien Buhlen des Teufels; Hierarchie (griech., heilige Herrschaft),
die betreffenden Frauen wurden zuneh- Priesterherrschaft, in der kath. Kirche mit
mend Opfer eines zum Massenwahn ge- abgestufter Rangordnung, ausgebildet seit
steigerten Aberglaubens; erste beglaubigte dem 2. Jh., als Klerus und Laien sich schie-
H.-Verbrennung 1275 in Toulouse, Bulle den; Mitte des 2. Jh. stand der Bischof an
Innozenz’ VIII. bestätigte 1484 die Recht- der Spitze des Klerus, der sich seit dem
mäßigkeit der H.verfolgung; H.prozesse 4. Jh. in höheren und niederen Klerus spal-
1450 erstmals in Frankreich; Einrichtung tete; Gregor VII. führte das Kurialsystem
des H.gerichts, in dem nicht mehr Eid mit dem pyramidenförmigen Aufbau der
und Eideshelfer, sondern das (eventuell H. zur Vollendung.
durch die Folter erzwungene) Geständ- Hieroglyphen (griech., „heilige Einker-
nis voranstand; H.probe oder H.bad: eine bungen“), die Bilder- und Lautschrift der
Art ↑ Gottesurteil, bei dem die angebliche Ägypter, später der Ägäer, Hethiter; vor
H. gebunden ins Wasser geworfen wurde; 3000 v. Chr. von einem Ägypter, wahr-
Anweisung für H.richter in berüchtigtem scheinlich angeregt durch die noch frühere
„Hexenhammer“ 1487. Um die Wende des ↑ Bildschrift der Sumerer erfunden; zu-
16. Jh. und in der 2. Hälfte des 17. Jh. Hö- nächst nur nach Schönheitsgesichtspunk-
hepunkte des H.wahns (in kath. wie protes- ten angeordnet, seit etwa 2600 in Zeilen;
tant. Gebieten; Verbrennung von etwa die etwa 600 gebräuchlichen ägypt. Bild-
100 000 Menschen), gegen den schließlich zeichen teilte man ein in 1) Lautzeichen,
mutige Einzelgänger auftraten, z. B. der Je- 2) Wortzeichen, 3) diakrit. Zeichen (un-
suit Friedrich von Spee (1631 „Cautio cri- terschiedliche Zeichen zur Vermeidung
minalis“), Ende des 17. Jh. der protestant. von Irrtümern); die H. wurden als Schrift
Prof. Christian Thomasius („Lehrsatz von auf Denkmälern oder als vereinfachte Pa-
dem Laster der Zauberei“). Die humane pyrusschrift „hierat.“ Tempelschrift – ver-
Gesetzgebung des aufgeklärten Absolutis- wendet, aus der hierat., die zur Priester-
mus um die Mitte des 18. Jh. führte über- schrift wurde, entwickelte sich seit dem
all das Ende der H.prozesse herbei, letzte 7. Jh. die flüssigere demot. Schrift. Seit
H.verbrennung in Deutschland 1775 in dem 5. Jh. wurden die alten H. (auch die
Kempten, in der Schweiz 1782 in Glarus. demot. Schrift) durch die griech. Buch-
Heydrich, Reinhard, dt. nat.-soz. Politiker, stabenschrift verdrängt und fielen der Ver-
1904–1942; seit 1932 Chef des SS-eige- gessenheit anheim; die Entzifferung be-
nen Sicherheitsdienstes (SD), 1934 Leiter gann mit der 1799 erfolgten Entdeckung
des Geheimen Staatspolizeiamtes in Berlin, der berühmten Steininschrift von Rosette,
1939 Leiter des Reichssicherheitshaupt- die in 3 Sprachen und 3 Schriftgattungen
amtes, maßgebliche Beteiligung am Röhm- abgefasst wurde; altägypt. Sprache in H.-
Putsch und an der Organisation der sog. Schrift, (neuägypt.) demot. Sprache und
Kristallnacht, 1941 mit der Planung für Schrift und griech. Sprache und Schrift;
die „Endlösung der Judenfrage“ beauftragt endgültige Entzifferung 1822 durch J. F.
und stellv. Reichsprotektor von Böhmen ↑ Champollion.
und Mähren; H. galt als einer der skrupel- Hieron, Herrscher von Syrakus: 1) H. I.,
losesten NS-Führer. 1942 Opfer eines At- Tyrann (478–467 v. Chr.); vorher Tyrann
tentates von Exiltschechen, die von brit. von Gela, Bruder und Nachfolger ↑ Ge-
Flugzeugen abgesetzt worden waren. Als lons; besiegte 474 die Etrusker bei Cu-

400
Himmler

mae; Freund der Dichtkunst (Simonides Führung unterstellt blieb; 1933 Polizeiprä-
und Pindar an seinem Hof ). 2) H. II., um sident in München, Chef der polit. Polizei
306–214 v. Chr.; urspr. Offizier, 269 Feld- in Bayern, Chef der Geheimen Staatspoli-
herr von Syrakus, focht erst auf der Seite zei (Gestapo) mit dem von Heydrich auf-
der Karthager, dann Bundesgenosse der gebauten Geheimdienst zur Überwachung
Römer, nannte sich selbst später König. der Partei, später der Bevölkerung (Sicher-
Hieronymus, 1) H., Sophronius, Euse- heitsdienst der SS: SD); 1934 Entmach-
bius, hl., Kirchenlehrer, etwa 348–420; tung der SA durch die Mordaktion gegen
Rhetor und Prediger, Schüler Gregors von die SA-Führung („Röhm-Putsch“); die SS,
Nazianz, verfasste, von Papst Damasus mit von der SA unabhängig geworden, wurde
der Kommentierung und Übertragung der zunehmend Staat im Staate, Partei in der
Bibel ins Lateinische beauftragt, die ↑ Vul- Partei; 1936 erhielt H. als „Reichsführer
gata (↑ Bibel); christl. Literaturgeschichte SS und Chef der dt. Polizei“ Befehlsgewalt
(„De viris illustribus“), Streitschriften, über die gesamte Polizei; Ausbau der SS
Briefe; lebte seit 386 in einem Kloster bei (1939 240 000 Mitglieder) zum allgerman.
Bethlehem. 2) H. von Prag („Faulfisch“), „Orden“ arischer Rasse und Weltanschau-
Freund und Mitstreiter des Johannes ung und zur „biolog. Elite“; Ausbildung ei-
↑ Hus, 1360–1416; brachte aus Oxford die ner großgermanischen Reichsidee und der
Schriften ↑ Wiclifs nach Prag, in Konstanz Ideo­logie vom nord. Herrenmenschen mit
mit Hus verbrannt. eigenen nord. Forschungsinstituten („Ah-
Hildesheim, ehemals reichsunmittelbares nenerbe“) und Heiligtümern im Braun-
Bistum, gegr. um 815 als Missionsmittel- schweiger Dom (Grab Heinrich des Lö-
punkt Ostfalens; Blüte unter ↑ Bernward wen) und später im säkularisierten Straß-
von H. um 1000. Teile im 16. Jh. (H.er burger Münster; Kampf gegen Kirchen,
Stiftsfehde) zu Braunschweig; 1803 säkula- Judentum, Marxisten; 1939 Zusammen-
risiert (Gebiet zu Preußen, 1807 zum Kö- fassung der Arbeiten des SD, der Sicher-
nigreich Westfalen, 1815–1866 zu Hanno- heitspolizei und Gestapo im „Reichssicher-
ver). – Bedeutende roman. Baudenkmä- heits-Hauptamt“, H. wurde „Reichskom-
ler aus dem 11. Jh., im 2. Weltkrieg aus- missar für die Festigung dt. Volkstums“.
gebrannt; (protestant.) Michaeliskirche, Im 2. Weltkrieg aus SS-Verfügungstruppen
(kath.) Dom. – Hildesheimer Silberfund und SS-Totenkopfverbänden Formierung
(1868): vollständige Tafelausrüstung eines der Waffen-SS als Wehrmacht neben der
vornehmen Römers aus dem Anfang des Wehrmacht mit dem Ziel, alle bewaffneten
1. Jh. n. Chr. (gall., röm. und griech. Ar- Verbände unter seine Führung zu stel-
beiten). len; die SS-Totenkopfverbände als Bewa-
Himera, altgriech. Kolonie an der N-Küste chungstruppen der Konzentrations- und
Siziliens, im 7. Jh. v. Chr. von ion. Grie- Vernichtungslager im In- und Ausland
chen gegr. 480 Sieg der Griechen über die eingesetzt, in denen Millionen Juden und
Karthager; 409 v. Chr. von den Karthagern „Unerwünschte“ terrorisiert oder liquidiert
zerstört (↑ Großgriechenland). wurden; durch das H. unterstellte „SS-
Himmler, Heinrich, dt. Politiker 1900– Rasse- und Siedlungshauptamt“ und die
1945; geb. in München, Diplom-Volks- „Volksdt. Mittelstelle“ Umsiedlungs- und
wirt, Freikorpskämpfer, 1923 am Hit- ­Eindeutschungsaktionen, Deportationen
ler-Putsch beteiligt; übernahm 1929 als und Massenmorde; auf Anordnung Hitlers
Reichsführer die 1925 als persönliche Ausrottung der Geisteskranken („Euthana-
Stabswache Hitlers gegr. 200 Mann starke sie-Programm“); 1943 nach Ausbootung
Schutzstaffel (SS), die zunächst der SA- Fricks Reichsinnenminister, 1944 nach

401
Hindenburg

dem Attentat auf Hitler (20. Juli) „Befehls- Hinduismus, verbreitetste ind. Religion
haber des Ersatzheeres“ und Oberbefehlsha- ohne Stifter entstanden durch Verschmel-
ber einer Heeresgruppe mit der Erwartung, zung arischen und vorarischen Kulte im
Hitlers Nachfolger zu werden; 1945 ange- 8. Jh. v. Chr. (Upanischaden-Zeit); relig.
sichts der Aussichtslosigkeit des Kampfes und soz. System (die Menschen stehen ab-
Fühlungsnahme mit den Alliierten, des- gestuft in der Weltordnung der ↑ Kasten
halb von Hitler als Verräter gebrandmarkt; und sind der Ethik ihrer Kaste verpflich-
nach Flucht und Gefangennahme durch tet); ohne feste Dogmatik fordert der H.
alliierte Truppen Selbstmord. Gehorsam gegenüber den Brahmanen,
Hindenburg, Paul von Beneckendorff Anerkennung der Hl. Schriften des Veda,
und von, Heerführer und Politiker, 1847– Heilighaltung des Rindes, Glaube an
1934; brachte 1914 mit der 8. Armee Karma, die moral. Vergeltung der Werke
(Stabschef Ludendorff) in Ostpreußen die und an die Wiedergeburten bis zum Aufge-
„russ. Dampfwalze“ zum Stehen (Tannen- hen und zur Verklärung im Weltgeist oder
berg, Masur. Seen), zum Generalfeldmar- in Selbsterlösung (Qualen und Leiden sind
schall und Oberbefehlshaber Ost ernannt; nicht göttliche Strafen, sondern Folgen
übernahm als volkstümlichster Feldherr der Sünde). Hauptgottheiten Schiwa (der
des Krieges im krit. Sommer 1916 den Große Gott, der Herr der Welt, der Gnä-
Oberbefehl an allen Fronten (Chef des Ge- dige, Mondbekränzte, Besieger des Todes),
neralstabs des Feldheeres; ihm zur Seite als Wischnu (der Himmelskönig, Welter-
1. Generalquartiermeister ↑ Ludendorff); halter, Allgewaltige, Herr des Paradieses);
verhinderte 1918 die Auflösung des West­ Durya (die weibliche Macht der Gottheit,
heeres und führte es geordnet in die Heimat Weltenmutter); über und mit ihnen (weni-
zurück; seitdem von legendärem Ansehen ger verehrt) Brahma, Symbol des Absolu-
und 1925 (nach dem Tod Eberts) als Kan- ten; jede der Gottheiten hat ihre besonde-
didat der Rechtsparteien Reichspräsident ren Kulte und Verehrer, die auch die Gott-
(sich streng an die Verfassung haltend). heiten der übrigen Gläubigen anerkennen;
1932 als Repräsentant der gefährdeten die Gottheiten manifestieren sich auch in
Weimarer Republik gegen Hitler wieder- niedrigen, ihnen dienenden Untergöttern
gewählt; geriet zunehmend unter den Ein- und Volksgottheiten; allen gemeinsam ist
fluss seiner Umgebung (Papen u. a.) und die Ausübung des Joga, der geistigen Kon-
griff, überaltert, bestimmend und verhäng- zentration zur Befreiung des Geistes aus
nisvoll in die Politik ein; ernannte Hitler den Fesseln des Leibes; in diese Welt der
am 30. Jan. 1933 zum Reichskanzler und höheren Gottheiten bauen sich die Dämo-
gab ihm am 28. Feb. 1933 mit der „Ver- nen und Geister und die Sondergötter des
ordnung zum Schutz von Volk und Staat“ Einzelnen, des Dorfes und der zahlreichen
das Instrument zur Liquidierung der Re- Sekten mehr oder weniger ein; die Tempel,
publik in die Hand. ↑ Nationalsozialismus, aus der einfachen Zelle erwachsend, sind
Drittes Reich. Modelle der Welt mit dem ragenden Über-
Hindu, in der Bedeutung „schwarzer bau als dem Sinn Bild des Weltberges; Hin-
Mensch“ urspr. Bezeichnung der Inder, dupriester und Klostermönche ­ entfalten
bei den Persern, Arabern und Afghanen; die reiche, wuchernde Liturgie und verse-
heute auf die Angehörigen hinduist. Kas­ hen den Tempeldienst. Der H. beeinflusste
ten (ohne die Parias) und der Bekenner auch den Buddhismus (beginnende Ver-
Brahmas und der Veden angewandt; amt- göttlichung Buddhas).
lich auch die ind. Buddhisten, Jainas, Sikhs Hinkmar, Erzbischof von Reims (845–
u. a. (↑ Hinduismus, Jainismus). 882); geb. um 806, einflussreicher Ratge-

402
Hippo Regius

ber ↑ Karls d. Kahlen, erstrebte enge Ver- Hilfsmittel zur Aufgliederung des Erdglo-
bindung zw. Staat und Kirche; schilderte bus in Längen- und Breitengrade).
im 2. Teil der „Annales Bertiniani“ die Hippias,Tyrann von Athen, folgte 527 v. Chr.
fränk. Reichsgeschichte 861–882. seinem Vater Peisistratos zusammen mit
Hinterindien, mit Ausnahme Annams, das seinem Bruder Hipparch, der 514 ermor-
früh von China her entscheidende Kultur- det wurde; seither misstrauischund gewalt-
einflüsse erfuhr, vornehmlich vorderind. tätig; 510 von den ↑ Alkmäoniden mit
Kulturboden (ind. Händler, hinduist. und Hilfe Spartas vertrieben, floh an den pers.
später buddhist. Missionare). Hier meh- Hof, nahm 490 am pers. Feldzug gegen
rere blühende Reiche: Reich von Funan Griechenland teil und starb nach dessen
an der Mündung des Mekong (Kotschin- Scheitern auf dem Rückmarsch.
china), im 1. Jh. v. Chr. von Indern gegr.; 9. Hippler (Hipler), Wendel, der „Bauern-
bis 14. Jh. Großreich der ↑ Khmer im heu- kanzler“ im ↑ Bauernkrieg 1525; urspr.
tigen Kambodscha, Hauptstadt ↑ Angkor, Hohenloh. Sekretär, überragender polit.
unterwarf Funan und zeitweise ganz Siam, Kopf der Bewegung, deren einzelne Hau-
seit dem 15. Jh. von Siam und Annam be- fen er in Heilbronn („Bauernkanzlei“ und
drängt, 1864 frz. Schutzherrschaft; an der „Bauernparlament“) auf ein einheitliches
mittleren Ostküste seit dem 2. Jh. n. Chr. polit. Programm festzulegen suchte; ent-
ind. Reich von Tschampa, Blüte im 7. bis warf mit Friedrich Weigandt von Milten-
10. Jh., 1471 von Annamiten erobert; im berg, einem ebenfalls in fürstlichen Diens-
Westen, in Unter-Burma, buddhist. Rei- ten geschulten Beamten, den Plan einer
che von Thaton und Pegu, in Ober-Burma umfassenden Reichsreform; starb 1526 in
Reich Pegu. Unter dem Druck der Mon- pfälz. Gefangenschaft.
golen 1253 Einströmen von Thaivölkern Hippokrates von Kos, griech. Arzt, „Vater
in H.; im 13. Jh. Thaireich in N-Siam, das der Medizin“, etwa 460–370 v. Chr.; Le-
im 14. Jh. das Khmer-Reich und fast ganz bensumstände unbekannt, unsicher auch
Siam unterwarf; zu Beginn der Neuzeit sein persönlicher Anteil an dem ihm und
die Reiche Burma, Thailand, Annam; im seinen Schülern zugeschriebenen Sammel-
19. Jh. Zustrom von Chinesen, Indern und werk „Corpus Hippocraticum“ (hrsg. im
Malaien von den Sunda-Inseln her und 3. Jh. v. Chr.); unbestritten dagegen seine
Ausbau des brit. Malaya (1819 Freihafen überragende Bedeutung für die Geschichte
Singapur) (↑ Indochina). der abendländ. Medizin; trotz unzuläng-
Hintersasse oder Grundhold, im MA der licher Voraussetzungen (bes. in der Ana-
von dem Grundherren abhängige Bauer, tomie und Physiologie) vollbrachte H. in
↑ Grundherrschaft, Leibeigenschaft. Theorie und Praxis bahnbrechende Leis-
Hipparch(os): 1) H., Tyrann von Athen, tungen, die auf sorgfältiger, individueller
zusammen mit seinem Bruder ↑ Hippias Untersuchung und Beobachtung (statt
527 v. Chr. Nachfolger seines Vaters Peisis­ schemat. Betrachtungsweise) beruhen und
tratos, 514 v. Chr. von Harmodios und aus kritischen, induktiven Überlegungen
Aristogeiton ermordet. 2) H. von Nikaia, anstelle von allgemeinphilosoph. Spekula-
griech. Astronom und Mathematiker, um tion hervorgingen; von bleibender Gültig-
190–120 v. Chr.; lehrte in Alexandria, Be- keit die von ihm postulierte ärztliche Ethik
gründer der Trigonometrie und der wiss. („Eid des H.“: Gelöbnis der Jünger des As-
Himmelskunde; verfasste ein Fixsternver- klepios, ihr Leben und ihre Kunst rein und
zeichnis, bestimmte die Entfernung zur fromm zu bewahren).
Sonne und die Größe des Mondes; führte Hippo Regius, antike Stadt in Numidien,
die Kreiseinteilung von 360° durch (als Gründung der Phöniker, Bischofssitz des

403
Hirohito

Kirchenvaters ↑ Augustinus, der hier wäh- geistigen und sozialen Erscheinungen und
rend der Belagerung durch die Vandalen verleitete damit durch die Negierung au-
430 n. Chr. starb. ßer- oder übergeschichtlicher Wertsysteme
Hirohito, Kaiser von Japan, 1901–1989; zu eth. Relativismus. – H. gebräuchlich
Regent seit 1921, Kaiser seit 1926; sein auch für das mangels eigener stilbildender
Bleiben 1945 Kapitulationsbedingung; lei- Kraft erfolgende Zurückgreifen auf frühere
tete die Demokratisierung Japans mit einer Stile, bes. im 19. Jh.
Rundfunkrede ein, in der er erklärte, er sei Hitler, Adolf, dt. Politiker österr. Her-
(entgegen der überkommenen Auffassung) kunft; 1889–1945; geb. in Braunau, Ober­
nicht göttlichen Charakters (↑ Japan); österreich, Sohn eines Zollbeamten; in
durch die Verfassung von 1947 auf reine Linz Besuch der unteren Klassen der Real-
Repräsentativaufgaben beschränkt. schule; nach Ablehnung der Aufnahme in
Hirsch-Dunckersche Gewerkschaftsver- die Kunstschule Bau- und Gelegenheitsar-
eine, ↑ Gewerkschaften. beiter in Wien; 1912 Bauarbeiter in Mün-
Histadrut, Einheitsgewerkschaft in Israel; chen, 1914 nach Eintritt in ein Bayer. In-
1920 in Haifa gegr., mit mehr als 1,6 Mio. fanterieregiment staatenlos, Frontsoldat
Mitgliedern größte israel. Organisation. (Meldegänger und Gefreiter, bei Kriegsende
Histiäus, Tyrann von Milet, zeichnete sich verwundet im Lazarett Pasewalk); 1918
514 auf dem Feldzug des pers. Königs Da- Beschluss, Politiker zu werden; 1919 „Bil-
rius gegen die Skythen aus, zog sich spä- dungsoffizier“ bei einem Münchner Er-
ter das Misstrauen der Perser zu und ver- satztruppenteil, Beginn der polit. Propa-
anlasste den ion. Aufstand 500 v. Chr.; 493 gandatätigkeit als 55. Mitglied der völk.
von den Persern hingerichtet. „Dt. Arbeiterpartei“ A. Drexlers und Um-
Historische Hilfswissenschaften, die als bildung der D. A. zur NSDAP; 1920 Ver-
Werkzeug für den Geschichtsforscher un- kündung des 25-Punkte-Parteiprogramms
entbehrlichen Spezialwissenschaften, darun­ auf einer Münchner Massenversammlung;
ter ↑ Chronologie (Zeitrechnung), Paläo- 1921 alleiniger Leiter der NSDAP; 8. Nov.
grafie (Schriftenkunde), ­ Diplomatik (Ur- 1923 Ausrufung einer „Dt. Nationalregie-
kundenlehre), Sphragistik (­Siegelkunde), rung“ im Münchner Bürgerbräukeller, am
Heraldik (Wappenlehre), Numismatik folgenden Tag versuchter Staatsstreich in
(Münzkunde), Genealogie (Ahnenforschung, München (Feldherrnhalle); Verurteilung
Stammtafeln). zu 5 Jahren Festungshaft in Landsberg
Historismus (Historizismus), vieldeutiger (schrieb dort „Mein Kampf“); Dez. 1924
Begriff, schillerndes Schlagwort; zunächst aus der Haft entlassen; Febr. 1925 Wieder-
die im wissenschaftsgläubigen 19. Jh. ent- aufbau der Partei und erneut Parteiführer,
wickelte Richtung der Geschichtsfor- Redeverbot in Preußen, Bayern und ande-
schung und Geschichtsschreibung um ih- ren Ländern; 1928 Führer auch der österr.
rer selbst willen unter Verzicht auf Wertur- NSDAP; 1928 Aufhebung des Redever-
teile oder prakt. Nutzanwendung; beruhte bots (Preußen); 1929 Führer der „Nati-
auf der in der Romantik entwickelten ge- onalen Opposition“ (gegen den Young-
net. Geschichtsbetrachtung, in der Über- Plan); 1930 Legalitätseid vor dem Reichs-
zeugung, dass alles geschichtliche Leben als gericht; 1931 Führer der ↑ „Harzburger
Entwicklung und Wandel in kausalen Zu- Front“ (mit Hugenberg und Seldte); 1932
sammenhängen begriffen und erklärt wer- durch Ernennung zum Regierungsrat im
den könne; mündete schließlich ein in die nat.-soz. gewordenen Braunschweig Er-
philosoph. Lehre von der ausschließlich ge- werb der dt. Staatsbürgerschaft; Gegen-
schichtlichen Bedingtheit aller religiösen, kandidat Hindenburgs bei der Reichsprä-

404
Hof

sidentenwahl (unterlegen); Ablehnung der spontane seel. Regungen oder geschicht-


Wahl zum Abgeordneten und des Eintritts lich erwachsene Bindungen kein Raum ist,
in eine Regierung. 30. Jan. 1933 Ernen- schien H. die absolute Monarchie zu stüt-
nung zum Reichskanzler und Chef der sog. zen; in Wirklichkeit öffnete seine Lehre je-
„Nationalen Regierung“ durch Hinden- der revolutionären Lösung des Machtpro-
burg; 2. Aug. 1934 nach Hindenburgs Tod blems den Weg.
Selbsternennung zum „Führer und Reichs- Hochgericht, ↑ Halsgericht; auch die Richt­
kanzler des dt. Volkes“ (Reichspräsident stätte des H.s.
und Reichskanzler) und damit zum Ober- Hochkirch bei Bautzen, 1758 erfolgreicher
befehlshaber der Reichswehr; 1938 Ober- nächtlicher Überfall der Österreicher unter
befehlshaber der 1935 gebildeten Wehr- Daun auf das Lager Friedrichs d. Gr.
macht (nach Entlassung des Reichskriegs- Hochkirche (engl. High Church), die ↑ An-
ministers von Blomberg und des Oberbe- glikanische Kirche Englands; im engeren
fehlshaber des Heeres von Fritsch); 8. Nov. Sinne nur innerh. dieser die im Gegensatz
1938 fehlgeschlagenes Attentat auf H. im zur Niederkirche (Low Church) stehende
Münchner Bürgerbräukeller; 19. Dez. 1941 konservative („Anglokath.“) Richtung, die
H.s Übernahme des Oberbefehls über das noch an vielen kath. Riten festhält, doch
dt. Heer; April 1942 Selbsternennung zum gemeinsam mit der Low Church den Pri-
„Obersten Gerichtsherrn“; 20. Juli 1944 mat des Papstes ablehnt. – H. auch die
fehlgeschlagenes Bombenattentat auf H. Hochkirchlichen Vereinigungen in verschie­
durch Oberst Graf von Stauffenberg im denen europ. und amerik. Ländern mit der
Führerhauptquartier „Wolfsschanze“, Ost- Forderung nach apostol. Bischofsamt.
preußen; 30. April 1945 Selbstmord H.s Hochstaden, Konrad von, Erzbischof von
im Bunker der Reichskanzlei in Berlin; Köln; legte 1248 den Grundstein zum
↑ Nationalsozialismus, Drittes Reich. Dombau; trat als Gegner Friedrichs II. für
Hobbes, Thomas, engl. Philosoph, 1588– die Wahl Heinrich Raspes, dann Wilhelms
1679; lebte als Parteigänger der Royalisten von Holland ein, schließlich für Richard
im englischen Bürgerkrieg seit 1640 im Exil von Cornwall.
(Paris), 1651 von Cromwell amnestiert. Höchstädt, Ort bei Donauwörth; im Span.
– H. ging wie sein Zeitgenosse ↑ Locke Erbfolgekrieg 1704 Sieg des Prinzen Eugen
vom „Gesellschaftsvertrag“ aus, teilte aber und des Herzogs Marlborough über den
im Gegensatz zu Locke den Pessimismus frz. Marschall Tallart und die Bayern; die
↑ Machiavellis und nahm als Urzustand Engländer nannten die Schlacht nach dem
den Kampf aller gegen alle an („homo ho- Dorf Blindheim (Blenheim).
mini lupus“, der Mensch ist des Menschen Hoch- und Deutschmeister, Titel des
Wolf ): Von ihrem natürlichen Egoismus Oberhaupts des Dt. Ordens nach der Sä-
geleitet, der Vernunft folgend, unterwer- kularisierung des Ordensstaates in Preußen
fen sich die sonst einander durch nichts (1526). – Name auch für kaiserliches, spä-
verbundenen Individuen einem Einzelnen; ter österr. Regiment, das seit 1781 als Wie-
dieser, der Herrscher, vereinigt in sich die ner Hausregiment galt.
absolute Macht als alleinige Garantie gegen Hof (Curia), Haushaltung der Fürsten (mit
die allg. Anarchie; nur diese Macht schafft Familien) und Residenz, Machtzentrum
Recht und Moral, Frieden und Sicherheit; der beherrschten Region; in der Frühzeit
der Staat wird zum „Leviathan“, der mit beweglich, seit dem Spätmittelalter mit
den Rechten auch die Verantwortung des einer festen Residenz verbunden; im H.-
Einzelnen verschlingt. – Mit seiner mecha- Dienst Beschäftigte bildeten mit strenger
nist. Staatstheorie, in der für Naturrecht, Rangordnung den H.-Staat. Das Zeremo-

405
Hofämter

niell des H. stellte die Repräsentation des herrlichen Hofbezirks; als Standgericht zu-
vorindustriellen Staates dar; im 15. Jh. war ständig für Streitfälle der vom Herrenhof
der frz. H. Vorbild in Europa. abhängigen Bauern („Hofgenossen“) unter­
Hofämter, Bez. für vier altgerman. Hau- einander, im hohen MA teilweise auch für
sämter: Truchseß (Dapifer), Marschall, Streitigkeiten zw. Grundherren und Bau-
Kämmerer, Schenk; die H. wurden seit ern (nur in Angelegenheiten des betref-
Otto I. von den höchsten Reichsfürsten fenden Hofes).
ausgeübt; sie veränderten sich zu erheb- Hofnarren, Spaßmacher an Fürstenhöfen,
lichen Ehrenämtern (Erzämter). In Frank- mit Vorliebe zwerghafte, verwachsene oder
reich ernannte der König seit dem 14. Jh. sonst missgestaltete Personen, die wegen
von ihm abhängige H. (u. a. Seneschall, ihres kritischen, oft aggressiven Witzes ge-
Truchseß, Konnetabel, Marschall), die in schätzt wurden; oft hochgebildet, gelegent-
der Frz. Revolution abgeschafft und da- lich auch polit. einflussreich, besonders
nach von Napoleon I. durch Ehrenämter durch die ihnen zugestandene „Narrenfrei-
ersetzt wurden. heit“, dem Herrscher freimütig (und unge-
Hofer, Andreas, österr. Freiheitskämpfer, straft) zu sagen, was andere nicht zu sagen
1767–1810; Wirt in Sankt Leonhard im wagten. H. (meist Sklaven) gab es schon
Passeiertal, 1809 (im Einvernehmen mit im Altertum; im MA brachten Kreuzfahrer
Erzherzog Johann) Führer der Tiroler, Er- die Einrichtung aus dem Vorderen Orient
hebung zuerst gegen die bayer. Eingriffe in nach Europa mit, wo sie sich bis ins 18. Jh.
die Freiheiten, dann gegen die den Bayern hielt; berühmt u. a. die H. Friedrich Wil-
zu Hilfe eilenden Franzosen, siegte drei- helms I. von Preußen, Guntling, der zum
mal am Berg Isel (bei Innsbruck), unter- Professor und zum 2. Präsident der Preuß.
warf sich nach Abschluss des Friedens von Akademie der Wissenschaften ernannt
Wien, erhob sich erneut; durch Verrat ge- wurde, und sein als Literat nicht weniger
fangen und in Mantua erschossen. betriebsamer Nachfolger Fassmann.
Hoffmann von Fallersleben, August Hohenfriedberg, Schlachtenort in Schle-
Heinrich, eigtl. A. H. Hoffmann, dt. Dich- sien; 1745 beendete der entscheidende
ter und Philologe, 1798–1874; enthusiast. Sieg Friedrichs d. Gr. über das österr.-sächs.
Patriot und formbegabter literar. Verfech- Heer unter Prinz Karl von Lothringen den
ter der Ideen von 1848, kämpfte gegen 2. Schles. Krieg.
die Verfassungsverweigerung König Wil- Hohenlinden, Dorf östl. Münchens; 1800
helms IV. von Preußen; dichtete den Text entscheidender Sieg der Franzosen unter
des Deutschlandliedes. Volks- und Kinder- Moreau über die Österreicher.
lieder; Schrifttumsforschungen. Hohenlohe, fränkisches hochadeliges Ge-
Hofgericht, 1) im dt. MA das höchste Ge- schlecht, in gutem Einvernehmen mit den
richt, unterstand unmittelbar dem König, Staufern, später auch mit Rudolf von Habs­
bei seiner Abwesenheit dem Pfalzgrafen bei burg und mit Ludwig dem Bayern; in sei-
Rhein; befugt u. a. zur Bestrafung der Frie- ner territorialen Entwicklung überflügelt
densbrecher, gewährte den Königsschutz, von den Hohenzollern.
seit 1235 unter Vorsitz eines Hofrichters; Hohenlohe, Chlodwig, Fürst zu H.-Schil-
durch die ↑ Reichsreform Maximilians I. lingsfürst, 1819–1901; setzte sich als bayer.
1495 durch das Reichskammergericht er- Ministerpräsident 1866–1870 für den An-
setzt; auch in den einzelnen dt. Territorien schluss an Preußen ein, stützte die Altka-
bildeten sich H.e als höchste Instanzen. tholiken, wirkte als Botschafter in Paris
2) Das aus der (karoling.) Fronhofsverfas- 1874–1885 für die Versöhnung mit Frank-
sung hervorgegangene Gericht eines grund- reich, dann Statthalter von Elsass-Lothrin-

406
Hoher Rat

gen; 1894–1900 Reichskanzler; seinem Be- Burggrafen von Nürnberg, 1214 Teilung in
mühen um einen Ausgleich der Gegensätze eine schwäb. und fränk. Linie; der schwäb.
blieb der Erfolg versagt. Teil blieb kath. und teilte sich 1576 in die
Hohenstaufen, Staufer, dt. ­Kaisergeschlecht Zweige H.-Hechingen und H.-Sigmarin-
des hohen MA. Der Ahnherr Friedrich gen, die 1623 in den Reichsfürstenstand
von Büren (schwäb. Dorf ) nahm um die erhoben wurden und nach der Revolu-
Wende zum 11. Jh. seinen Sitz auf der neu- tion 1849 ihr Gebiet an Preußen abtraten
erbauten, im Bauernkrieg 1525 zerstörten (H.sche Lande, preuß. Regierungsbezirk
Burg H. (nahe Göppingen); sein Sohn Sigmaringen, mit Selbstverwaltung, nach
Friedrich von Staufen wurde 1079 von 1945 zu [S-]Württemberg); Prinz Karl
Heinrich IV. mit dem Herzogtum Schwa- von H.-Sigmaringen begründete 1866 (als
ben belehnt und erwarb durch die Hei- Carol I. König seit 1881) das rumän. Kö-
rat mit dessen Tochter Agnes dem stauf. nigshaus, das 1948 mit König Michael ab-
Haus das Anrecht auf das Erbe der Salier; dankte; Karls Bruder Leopold wurde 1870
Gründung des „Hausklosters“ Lorch. Sein gegen frz. Einspruch zum König von Spa-
Nachfolger Friedrich II. von Schwaben, der nien gewählt (trotz seines Verzichts Anlass
Vater Barbarossas, vergrößerte den Besitz zum Dt.-Frz. Krieg). – Die fränk. Linie
durch Heirat mit einer Welfin. Mit Kon- erwarb Ansbach und Bayreuth (bis 1806)
rad III. gelangten die H. 1138 auf den dt. und erhielt 1415 das Kurfürstentum Bran-
Thron, den sie bis 1208 (Friedrich I., Hein- denburg; seit 1701 Könige von Preußen,
rich VI.) und 1215–1254 (Friedrich II., 1871–1918 dt. Kaiser. – Stammschloss
Konrad IV.) innehatten; mit der Enthaup- des Geschlechtes die Burg H. auf der
tung Konradins in Neapel 1268 erlosch Schwäb. Alb, im 9. Jh. erbaut, 1423 von
ihr Geschlecht. Die Regierungszeit der H. den schwäb. Städten zerstört, 1454 von
galt als die Glanzzeit des dt. Kaisertums im Markgraf Albrecht Achilles wiedererbaut,
MA; indem sie sich als Träger der christl.- 1850 neu errichtet (↑ Brandenburg, Preu-
universalen „röm.“ Kaiseridee fühlten, ver- ßen, Deutschland).
lagerten sie den Schwerpunkt der Reichs- Hohe Pforte, urspr. Herrschersitz des türk.
politik nach dem Süden und strebten Sultans, dann bis 1918 Bezeichnung der
danach, durch das neueingeführte röm. Zentralregierung des Osman. Reiches in
Recht und ein geschultes Beamtentum Istanbul, insbes. des Außenministeriums.
dem Kaiser Staatsgewalt über das ganze Hoherpriester, oberster Priester der Israe­
Reich zu verschaffen; die Auseinanderset- liten, Leiter der Synagogen, des Hohen
zung mit dem Papsttum und den ital. Fürs- Rates und Vollzieher höchster ritueller
ten beanspruchte aber ihre ganze Kraft und Handlungen; erbliches Amt in der Familie
förderte die Erstarkung der territorialen Aarons, von ↑ Herodes d. Gr. und seinen
Gewalten in Deutschland; das Kaisertum Nachfolgern nach Belieben verliehen.
verlor an ideeller und tatsächlicher Bedeu- Hoher Rat, griech. Synedrium, oberste Be-
tung, in Deutschland und im Gesamt­reich hörde und Rechtsinstanz der Juden z. Z. der
eine über das der stauf. Herrschaft folgende röm. Oberherrschaft bis 70 n. Chr.; befugt
↑ Interregnum hinaus für die deutsche Ge- mit der Entscheidung über religiöse und
schichte folgenschwere Entwicklung (zu- rein jüd. Angelegenheiten. 71 Mitglieder
nehmende Zersplitterung Deutschlands in aus Ältesten und Schriftgelehrten (Theo-
unabhängige Landesherrschaften und Eu- logen), ehemals Hohepriestern, Oberprie-
ropas in Nationalstaaten). stern und den Tempelobersten unter dem
Hohenzollern, dt. Herrschergeschlecht, amtierenden Hohenpriester; der Hohe Rat
erste urkundliche Erwähnung 1001; 1191 hielt u. a. Gericht über Jesus.

407
Höhlenmalerei

Höhlenmalerei, ↑ Eiszeitkunst. rungsvertrages mit Russland); glaubte,


Holland, volkstümlicher Name für das Kö- dass „russ. Bär“ und „engl. Walfisch“ nie
nigreich der Niederlande; im engeren Sinne zusammengehen könnten; nach der 1. Ma-
nur die Provinzen Nord- und Süd-H., eine rokkokrise 1906, während der er den Prä-
ehemals dt. Grafschaft (seit dem 11. Jh.), ventivkrieg gegen Frankreich befürwortete,
1299 mit Hennegau, 1310 mit Zeeland entlassen; seit 1908 Zusammenarbeit mit
vereinigt, 1345 (durch die Ehe Kaiser Lud- Maximilian ↑ Harden.
wigs des Bayern mit der Erbtochter Marga- Home Rule (engl., Heimatregierung),
rete) unter Wittelsbacher Herrschern; nach Selbstverwaltung, Autonomie innerhalb
blutigem Bürgerkrieg um die Erbfolge des brit. Reiches; bes. von ↑ Irland gefor-
1433 an Burgund, 1477 an die Habsburger dert (1921 von England zugestanden);
und 1555 an deren span. Linie; 1581 füh- seither als Schlagwort auch auf die Auto-
rend im Aufstand gegen Spanien und seit nomiebestrebungen anderer Völker oder
1648 Kernland der ↑ Niederlande. Gebiete angewendet.
Holocaust, aus dem Engl. übernom- Homo Sapiens, ↑ Paläolithikum.
menes Wort für Völkermord, insbes. für Honduras, Republik in Mittelamerika;
die Vernichtung der Juden im Rahmen der Mittelpunkt der Maya-Kultur; in der spa-
↑ „Endlösung der Judenfrage“; in der Bun- nischen Kolonialzeit Teil des Generalkapi-
desrepublik seit Ausstrahlung der gleichna- tanats Guatemala; 1821 Abfall von Spa-
migen US-Fernsehserie (1979) gebräuch- nien, 1824–1838 im Mittelamerik. Bund;
licher Begriff. 1838 unabhängiger Staat. Zahlreiche Re-
Holstein (abgeleitet von „Holste“ = Wald- volutionen; heutige Verfassung 1965 in
bewohner), ehemals Herzogtum; Stammes- Kraft getreten. Außenpolit. Konflikte mit
land der Sachsen, als letztes sächs. Gebiet Nachbarstaaten, 1969/70 Krieg mit El Sal-
erst 804 von Karl d. Gr. unterworfen; zw. vador, sog. Fußballkrieg. 1976 und 1979
Sachsen, Dänen und Slawen umkämpfte erneute Grenzgefechte, 1980 Friedensver-
Grenzmark, als Grafschaft Teil des Her- trag mit El Salvador. Außenpolit. lehnt sich
zogtums Sachsen; 1110 von Lothar von H. stark an die USA an, daher mehrfach
Supplinburg den Grafen von Schauenburg Auseinandersetzungen mit ↑ Nicaragua, da
überlassen, die im 14. Jh.vorübergehend antisandinistische Rebellen von H. aus ge-
auch über Dänemark geboten (↑ Gerhard gen die Regierung Nicaraguas operierten.
d. Gr.) und 1386 das Herzogtum Schleswig Auch Anfang des 21. Jh. ist das sozial
erwarben; 1459 an das Haus Oldenburg und wirtsch. zerrüttete Land in einer sehr
(das seit 1448 den dän. Thron innehatte); schwierigen Situation und wird nur mit-
1474 zum Herzogtum erhoben (↑ Schles- hilfe ausländ. Hilfe stabilere Verhältnisse
wig-Holstein). – Zweige des Fürstenhauses aufbauen können.
H.: (Sonderburg-)Augustenburg, (Sonder- Honecker, Erich, ostdt. Politiker, 1912–
burg-)Glücksburg, Gottorp. 1994; 1937–1945 im Zuchthaus Bran-
Holstein, Friedrich von, dt. Politiker, denburg, seit 1946 Mitglied des ZK der
1837–1909; Mitarbeiter Bismarcks im SED; 1946–1955 Vorsitzender der FDJ.
Auswärtigen Amt und dort seit 1878 Vor- 1971 wurde H. als Nachfolger ↑ Ulbrichts
tragender Rat; nach Bismarcks Sturz übte 1. Sekretär des ZK, Vorsitzender des Natio-
er unter 3 Kanzlern als die Öffentlichkeit nalen Verteidigungsrates und Mitglied des
scheuende „Graue Eminenz“ durch seine Staatsrates der DDR; 1976 als Vorsitzen-
Sachkenntnis maßgeblichen, letzthin ver- der des Staatsrates fakt. Staatsoberhaupt
derblichen Einfluss auf die dt. Außenpo- der DDR; im Okt. 1989 abgesetzt und al-
litik aus (Kündigung des ↑ Rückversiche- ler Ämter entkleidet.

408
Horthy von Nagybánya

Hongkong, brit. Kronkolonie an der Süd- Hoover, Herbert, nordamerik. Staatsmann,


küste Chinas; 1843 im Anschluss an den 1874–1964; 1929–1933 Präsident der
↑ Opiumkrieg unter brit. Oberherrschaft USA, Republikaner, erreichte 1931 Zah-
gestellt und zum Welthafen ausgebaut lungsaufschub für Deutschland (H.-Mora-
(beherrschende Stellung im Handel mit torium), verweigerte 1932 der jap. Expan-
China); 1898 Vergrößerung des Schutz- sion in der Mandschurei die völkerrecht-
gebietes; 1941–1945 vorübergehend ja- liche Anerkennung (H.-Stimson-Doktrin);
panisch; dann Verwaltung durch Gouver- organisierte nach 1918 und 1945 Hilfs-
neur, Vollzugsrat und Gesetzgebender Rat; werke für die unterernährten Völker.
teilweise offenes Tor für den Handel mit Hopliten, in Alt-Griechenland (bes.
Rot-China. Seit Ende der sechziger Jahre Athen) das schwerbewaffnete Bürgerauf-
Produktionsstätten ausländ. Gesellschaften gebot, Infanterie, Kern des Heeres; neben
in H. 1984/85 brit.-chin. Rückgabeab- ihnen die leichtbewaffneten Peltasten und
kommen, 1997 Rückgabe an China, das Gymnoten (Bogenschützen, Schleuderer,
als „Sonderverwaltungszonen“ sein Wirt- Speerwerfer).
schaftssystem behielt, während die poli- Horatier, altröm. Patriziergeschlecht; der
tische Führung durch eine chinafreund- Sage nach erkämpften einst drei H. durch
liche ersetzt wurde. ihren Sieg über drei Curiatier, die für Alba
Honorius, (erster) weström. Kaiser, 384– Longa fochten, die Vorherrschaft Roms.
423; Sohn Kaiser Theodosius d. Gr., erhielt – Horatius Cocles rettete 507 v. Chr. durch
395 bei der Reichsteilung den Westen mit heldenmütige Verteidigung der Tiber-
Rom, residierte in Mailand, seit 403 in Ra- brücke angeblich Rom vor der Einnahme
venna, bis 408 unter Vormundschaft ↑ Sti- durch die Etrusker (unter Porsenna).
lichos; außerstande, die Einfälle der Ger- Hörigkeit, im german.-dt. Recht Abhän-
manen abzuwehren. gigkeit von einem Herrn, wie sie sich in
Honorius, vier Päpste, darunter: 1) H. I. der Agrarverfassung des MA innerhalb der
(625–638); Schüler Gregors d. Gr., um Grundherrschaft ausbildete und nach ih-
die Christianisierung Englands verdient, ren teils personal-, teils güterrechtlichen
stärk­te durch geschickte Verwaltung Ansätzen mannigfach abstufte; milder als
den Einfluss des Hl. Stuhles in Italien. die echte ↑ Leibeigenschaft, doch vielfach
2) H. III. (1216–1227); handelte im Sinne mit dieser gleichgesetzt; in den ostelb. Ge-
seines großen Vorgängers ↑ InnozenzIII., bieten zur ↑ Erbuntertänigkeit ausgeprägt.
zeigte aber versöhnlichere Haltung u. a. Horn, Gustav Graf von, schwed. Feldherr,
auch gegen Friedrich II., den er zum Kaiser 1592–1657; befehligte neben Bernhard
krönte; bestätigte die Orden der Domini- von Weimar nach dem Tod Gustav Adolfs
kaner, Franziskaner und Karmeliten, ver- das schwed. Hauptheer; 1634 bei Nördlin-
anlasste Ludwig VIII. von Frankreich, ge- gen gefangen genommen und 1642 gegen
gen die ↑ Albigenser einzuschreiten. den kaiserlichen General von Werth ausge-
Honved, (ungar., Heimatverteidiger), in tauscht, zwang 1644 Dänemark zum Frie-
Ungarn 1848/49 die Freiwilligenverbände densschluss.
der Revolutionsregierung; dann die Land- Horthy von Nagybánya, Nikolaus, ­ungar.
wehr, schließlich die gesamte Wehrmacht. Admiral und Staatsmann, 1868–1957;
Hoorn, Philipp II. von Montmorency-Ni- 1918 Oberbefehlshaber der österr.-ungar.
velle, niederl. Politiker, 1518–1568; Trä- Flotte, die er an Jugoslawien übergeben
ger hoher Ämter in span. Diensten, Gegner musste; beseitigte als Kriegsminister der
Granvellas und der span. Unterdrückungs- ungar. Gegenregierung und als Oberbe-
politik; in Brüssel hingerichtet. fehlshaber der von ihm geschaffenen Na-

409
Hosenbandorden

tionalarmee die Rätediktatur Bela Khuns; House of Representatives, 2. Kammer


1920 zum Reichsverweser gewählt; 1944 des US-Parlaments.
unter Vorbehalt Zustimmung zur Beset- Hoxha, Enver, alban. Politiker 1908–1985;
zung Ungarns durch Hitler, bemüht um gründete 1941 die KP Albaniens, seit 1954
den Waffenstillstand, 1944 von den Deut- 1. Sekretär des ZK der „Partei der Arbeit“
schen, 1945 von den Amerikanern inter- Albaniens; seit 1948 Anlehnung Albaniens
niert, danach im Exil in Lissabon. an die Sowjetunion, seit 1960 an China.
Hosenbandorden, höchster brit. Orden, Hrabanus Maurus, dt. Theologe und Ge-
gestiftet 1348 von Eduard III., auf 26 engl. lehrter, um 776–856; Schüler ↑ Alkuins,
Mitglieder beschränkt, besteht aus dunkel- 822–842 Abt zu Fulda, 847 Erzbischof
blauem Samtband (unter dem linken Knie von Mainz, begründete mit der Errichtung
zu tragen) und goldener Halskette mit der Klosterschule in Fulda das Schulwesen
achtzackigem Buntstern. in Deutschland; verwarf 848 die Anschau-
Hospital (lat. hospes, Fremder), im MA ur- ungen ↑ Gottschalks, Enzyklopädie: „De
spr. Räumlichkeit in einem Kloster, die für universo“.
die Beherbergung von Pilgern oder Reisen- Hradschin, Stadtteil von Prag mit dem
den bestimmt war; dann auch für die Be- St. Veits-Dom und bes. der aus vielen Ge-
treuung von Armen und Kranken, bes. seit bäuden verschiedener Epochen zusammen­
der Errichtung eines Lazaretts für sieche gesetzten hochgelegenen Burg, durch den
Pilger und Ritter in Jerusalem während des Fenstersturz von 1618 bekannt; heute Sitz
1. Kreuzzuges um 1100; von dieser rasch tschech. Regierungsstellen.
nachgeahmten Einrichtung nahmen die Hroswitha von Gandersheim, dt. Nonne
Orden der Armen- und Krankenpflege ih- und Dichterin, um 930–1002; Hauptver-
ren Ausgang (z. B. die Hospital-Brüder, aus treterin der „Otton. Renaissance“, aus al-
denen die Johanniter hervorgingen); bahn- tem sächs. Adel, stand in enger Fühlung
brechend wirkte der Orden vom Hl. Geist mit dem Kaiserhaus, verfasste in gutem
(1190 H.-Gründung in Rom, Hl. Geist- Latein den „Sang von den Taten Kaiser
Hospitäler in vielen Städten); schließlich Ottos I.“ nach Angaben der kaiserlichen
entwickelten sich aus den Hospitälern Familie und schrieb christl. Dramen, um
(auch Spitäler oder Spittel gen.) die von die sittenlosen Komödien des Terenz zu
religiösen Orden unabhängigen Kranken- verdrängen.
und Armenhäuser. Hubertusburg, ehemal. sächs. Jagdschloss,
Ho Tschi Minh, vietnames. Politiker, in dem 1763 nach dem ↑ Siebenjährigen
1890–1969; 1930 Mitbegründer der KP Krieg der Friede zw. Preußen, Österreich
Indochinas, führte ab 1941 mit den Viet- und Sachsen geschlossen wurde, der Preu-
minh den Kampf um die Unabhängigkeit ßen den Besitz Schlesiens bestätigte (gegen
Indochinas, nach der Teilung Vietnams Rückgabe der Stadt Fürstenberg an Sach-
1954 Staatspräsident von N-Vietnam, sen und die Zusage, bei der Kaiserwahl für
Symbolfigur des Kampfes gegen die USA. Erzherzog Joseph zu stimmen).
House of Commons (brit. Haus der Ge- Hudson, Sir Henry, engl. Seefahrer, um
meinen), das aus gewählten Abgeordneten 1550–1611; entdeckte auf Forschungs-
bestehende Unterhaus des brit. Parlaments, reisen ins Nördl Eismeer 1607–1610 den
im Gegensatz zum Oberhaus, dem House nach ihm benannten Fluss, die H.-Bay und
of Lords, dessen Mitglieder aus dem Hoch- die H.-Straße; von meuternden Matrosen
adel ernannt werden und das seit 1911 nur auf dem Meer ausgesetzt und verschollen.
noch das Recht zu einem aufschiebenden Hudson’s Bay Company, engl. Handels-
Veto hat. kompanie, 1670 gegr. und von Karl II. von

410
Humanismus

England mit Handels- und Bergbauprivi- folgungen ausgesetzt (↑ Bartholomäus-


legien ausgestattet; riesiger Landbesitz, mit nacht), kämpften sie unter Führung des
Landeshoheit und Gerichtsbarkeit; bedeu- Admirals ↑ Coligny und des Hauses Bour-
tend für die geogr. und wirtsch. Erschlie- bon (Condé, Heinrich von Navarra) in 8
ßung Kanadas; eine der ältesten und auch blutigen, durch Teilnahme des Hochadels,
polit. einflussreichsten Welthandelsorgani- durch Thronfolgestreit und Einmischung
sationen; betrieb von Faktoreien aus Pelz- des Auslandes auch polit. motivierten Bür-
handel mit Indianern und Eskimos; 1821 gerkriegen 1562–1595 für ihren Glauben,
mit der Nordwestkompanie vereinigt; ver- ehe sie durch das ↑ Edikt von Nantes 1598
kaufte 1869 fast alle Besitzrechte an den Glaubensfreiheit erhielten; nach dessen
Kanad. Bund. Aufhebung 1685 durch Ludwig XIV. neue
Hufe (ahdt. huoba, Hof oder Habe, lat. Verfolgungen (↑ Dragonaden) und (trotz
mansus), in der Agrarverfassung des MA Verbot) Auswanderung nach Holland,
die von einem Vollbauern genutzte Acker- Deutschland (Brandenburg), England und
und Weidefläche einschließlich des Hofes der Schweiz (Réfugiés); erst nach 1789
selbst und des Anteils an der ↑ Allmende; volle Gleichberechtigung.
zur Sicherung der „standesgemäßen Nah- Hugo, Name von Herrschern. Frankreich:
rung“ einer bäuerlichen Familie ausrei- 2) H. d. Gr., Herzog von Franzien, aus
chend; in Mitteldeutschland und N-Frank- dem Geschlecht der Capetinger, um 900–
reich etwa 30 Morgen, die Königs-H. auf 956; Sohn König Roberts I. von Frank-
kolonialem Boden über 100 Morgen. reich, Schwager Kaiser Ottos I., erbte das
Hufeland, Christoph Wilhelm, dt. Arzt, Herzogtum Burgund, nahm den Karolin-
1762–1836; förderte die Einführung der ger Ludwig IV. 945 gefangen. 2) H. Ca-
Schutzimpfung, Leibarzt des preuß. Kö- pet, um 940–996; Sohn von 1), seit 956
nigs. Herzog von Franzien, 987 als erster Cape-
Hugenberg, Alfred, dt. Industrieller; Fi- tinger anstelle der Karolinger zum König
nanzmann und Politiker, 1865–1951; von Frankreich erhoben. – Italien: 3) H.,
1908–1919 Vorsitzender des Direktoriums Graf von Vienne, seit 924 Herr in Nieder-
der Krupp AG in Essen; baute seit 1914 (Süd)burgund und (anstelle des eigentl.
einen gewaltigen Zeitungs-, Nachrichten- Königs Ludwig) 926 in Italien zum Kö-
und Filmkonzern auf, mit dem er bes. das nig gekrönt, durch Aufstand des lombard.
Bürgertum antidemokratisch beeinflusste Adels 945 gestürzt, starb 947.
(u. a. Scherl, Telegrafen-Union, Ufa, ver- Hugo, Kirchenmänner und Gelehrte:
flochten mit Finanzierungsgesellschaften); 2) H. von Cluny, hl., 1024–1109; Haupt-
seit 1928 Vorsitzender der Deutschnatio- vertreter der Reformbewegung des Klos-
nalen Volkspartei, deren Opposition gegen ters ↑ Cluny, vermittelte in ↑ Canossa zw.
Brüning und die Weimarer Republik er Kaiser Heinrich IV. und Papst Gregor VII.
steigerte; schloss sich in der ↑ Harzburger 2) H. von St. Victor, Scholastiker, um
Front mit dem Nationalsozialismus zusam- 1097–1141; vormals Graf von Blanken-
men; 1933 Wirtschaftsminister im Hitler- burg, wurde als Leiter der Gelehrtenschule
kabinett, dann von den Nationalsozialisten von Paris richtungweisend für die frühe
schnell ausgeschaltet. 1951 nach mehreren Mystik des MA.
Verfahren als „Entlasteter“ eingestuft. Humanismus (von lat. humanitas,
Hugenotten (verstümmelt aus huguenots, Menschlichkeit), die im 14. Jh. aus der
Eidgenossen); urspr. Spott-, seit etwa 1560 ital. ↑ Renaissance erwachsene geistige
Parteiname der (überwiegend) calvinist. Strömung und wiss. Bewegung, die nach
Protestanten Frankreichs; schweren Ver- der Ausbildung und freien Entfaltung der

411
Humbert von Moyenmoutier

Persönlichkeit als Individuum im Sinne gesandt zu Verhandlungen über die Wie-


der (idealisiert betrachteten) klass. Antike dervereinigung mit der Ostkirche, die je-
strebte; die Entfremdung vorn christl., jen- doch am Widerstand des Patriarchen Ke-
seitsorientierten Welt- und Menschenbild rularios scheiterten.
und die allmähliche Lösung von den festen Humbert, Könige von Italien: 1) H. I.,
geistigen und sozialen Bindungen des MA 1844–1900; König seit 1878, ermordet.
(in den Persönlichkeitskult der Renaissance 2) H. II., geb. 1904, seit 1944 Regent und
mündend) verband sich mit der Überzeu- 1946 (Abdankung Viktor Emanuels II.)
gung, durch unmittelbare Aneignung des König, emigrierte nach der Ausrufung der
Geistesguts der wesensverwandten Antike Republik im gleichen Jahr nach Portugal.
ein dem neuen Lebensgefühl gemäßes Kul- Humboldt, 1) H., Alexander Freiherr
tur- und Menschenideal zu erreichen; in von, dt. Naturforscher und Weltreisender,
bewusster Abkehr von der Scholastik, die 1769–1859; begr. die Pflanzen- und Tier-
mit zunehmender Erstarrung die letzten geografie, die Klimakunde, die geograf.
Rinnsale antiken Geistes zu verschütten Gestaltlehre (Morphologie) und die Phy-
drohte, forderte der H. das krit. Studium sik des Meeres, erschloss Süd- und Mittel-
der griech. und röm. Autoren im Origi- amerika, bereiste auch Russ.-Innerasien.
naltext (Suche nach alten Handschriften); Meisterhafte Reiseschilderungen; Haupt-
das wichtigste Ergebnis war die Wieder- werk „Kosmos“ von umfassender natur-
entdeckung Platos; Epikur und die Stoa wiss. Beobachtungsgabe. 2) H., Wilhelm
standen im Mittelpunkt eines antik-heidn. Freiherr von, Gelehrter und Staatsmann,
H. (Lorenzo Valla), der mit der Autorität 1767–1835; Bruder von 1), Freund Schil-
der Kirche zusammenstieß, in Grenzfällen lers und Goethes, Mitglied des preuß. Re-
auch die christl. Lehre angriff; auf der Ge- formkreises, 1809/10 preuß. Kulturmini-
genseite formte sich ein christl. H. (Tho- ster (Schöpfer des humanist. Gymnasiums
mas Morus), der eine behutsame Synthese und der Universität Berlin), Vertreter Preu-
versuchte (↑ Erasmus von Rotterdam). In ßens u. a. auf dem Wiener Kongress; 1819
Deutschland verband sich der H. mit dem Mitglied des Staatsministeriums (für Har-
sittlich-religiösen Verlangen nach Kirchen- denberg zu freisinnig, daher schon 1819
reform (↑ Nikolaus von Kues) und dem entlassen), Verfechter der Humanitätsidee
reformator. Glaubenstreit (Melanchthon, und der liberalen Gestaltung des öffent-
Bibelübersetzung und -kritik); beschränkt lichen Lebens; bedeutsame Beiträge zur
auf Fürstenhöfe und Patrizierhäuser, Uni- Sprachwissenschaft.
versitäten und Akademien, vermochte der Hundertjähriger Krieg, zw. Frankreich
H. nicht auf breitere Schichten zu wirken; und England 1339–1453 (mit Unterbre-
neben kosmopolit. Tendenzen eignete ihm chungen); ausgelöst nach dem Erlöschen
auch eine nationale Note, bes. in der Ge- des Mannesstammes der Capetinger in
schichtsschreibung; in ihm lagen die Wur- gerader Linie (Söhne Philipps IV.) durch
zeln des Rationalismus und Empirismus den gleichzeitigen Thronanspruch Philipps
der Aufklärungsphilosophie des 17./18. Jh.; von Valois (Neffe Philipps IV.) und Edu-
sein Ideal der „humanitas“ wurde Ende des ards III. von England (durch seine Mut-
18. Jh. zum Anliegen des dt. Neu-H. (Her- ter Isabella, Enkel Philipps IV.); Philipp
der, Wilhelm von Humboldt). und die frz. Großen verfochten das Amts-
Humbert von Moyenmoutier, Kardinal, königtum nach „Sal. Recht“, Eduard III.
gest. 1061; wurde 1054 von Papst Leo I. das feudalist., heute noch in England gel-
gemeinsam mit Kardinal Friedrich von tende Erbrecht (weibliche Erbfolge); der
Lothringen als Legat nach Konstantinopel engl. Krone ging es zudem um die Siche-

412
Hussein

rung ihrer frz. Besitzungen, bes. Guyennes. einem röm.-german. Heer unter Aetius auf
Nach den Siegen der Engländer unter dem den ↑ Katalaun. Feldern (bei Troyes 451)
„Schwarzen Prinzen“ (Eduard von Wales) besiegt; wanderten über die Ostalpen nach
bei Crecy 1346 und Maupertius 1356 Italien, zerstörten 452 Aquileja und Pavia,
Friede von ↑ Bretigny 1360; Wendung zu- zogen sich nach Verhandlungen zw. Attila
gunsten Frankreichs durch die Siege des und Papst Leo I. nach Osten zurück; nach
Feldherrn du Guesclin; erneute Überle- Attilas Tod (453) gingen sie z. T. in ande-
genheit Englands nach der Landung Hein- ren Völkern (Bulgaren, Awaren, Ungarn)
richs V. (1415 Azincourt), dessen früher auf; einzelne H.-Schwärme drangen noch
Tod die durch seine Heirat mit der Tochter 539/40 bis Korinth und Byzanz vor. Im
Karls VI. von Frankreich geschaffene frz.- 5. Jh. n. Chr. unternahmen die sog. weißen
engl. Personalunion verhinderte, (Hein- Hunnen (Hephthalithen) von Innerasien
rich VI. als König von Frankreich und aus ihre Eroberungszüge.
England bedeutungslos); entscheidende Hus, Jan (dt. Johannes Huß), tschech. Re-
Wende des Krieges durch das Auftreten der formator, 1369–1415; seit 1398 Prof. und
↑ Jeanne d’Arc (Orléans 1429), bis 1453 1402/03 Rektor der Universität Prag, an
Vertreibung der Engländer vom Festland der er die Vorherrschaft der Deutschen zu-
(bis auf Calais), 1475 Friedensschluss; in- gunsten der Tschechen brach; griff als Buß-
nere Auswirkungen des Krieges ↑ Frank- prediger die Lehren ↑ Wiclifs auf, eifer­te
reich und England. gegen die Missstände in der kath. Kirche
Hundertschaft, urspr. Heeresverband; spä- (Ablasshandel) und verfocht zugleich einen
ter von der röm. Verwaltung übernommen, tschechischen Nationalismus; wurde ex-
für: Gerichtsbezirk oder Herrschaftsgebiet; kommuniziert, 1414 von König Sigmund
bei den Franken „centena“, bei den Ale- gegen Zusicherung freien Geleits vor das
mannen „huntart“ genannt. Konzil zu Konstanz geladen, verweigerte
Hundert Tage, die zweite Regierungszeit den Widerruf und wurde 1415 als Ketzer
↑ Napoleons I. 1815 von seiner Rückkehr verbrannt; sein Tod von seinen Anhängern
von Elba bis zu seiner endgültigen Ge- (↑ Hussiten) blutig gerächt.
fangennahme und Verbannung nach der Husák, Gustav, tschechoslowak. Politiker,
Schlacht bei Waterloo. 1913–1991; seit 1933 Mitglied der KP,
Hunnen (chin. Hiung-nu), innerasiat. No- 1945 Partei- und Regierungsämter, 1951
maden- und Reitervolk, bezeugt seit dem verhaftet und zu lebenslänglich Kerker ver-
3. Jh. v. Chr., rass. Herkunft ungewiss; bil- urteilt, 1960 begnadigt, 1968 stellvertre-
deten unter Mao-tun (209–174 v. Chr.) tender Ministerpräsident. Beim Einmarsch
ein Großreich von der Mongolei bis zum der Truppen des Warschauer Paktes di-
Pamirplateau; im 1. Jh. n. Chr. tauchten stanzierte sich H. von ↑ Dubcek; seit 1969
sie östl. des Kasp. Meeres auf, stießen um Parteichef und Präsidiumsmitglied der KP;
372 n. Chr. unter Balamir bis zur Wolga seit 1975 Staatspräsident der CSSR; trat
vor, vernichteten das alan. Reich, zer- 1987 vom Amt des Generalsekretärs der
störten im Vordringen nach Westen das KP zurück; Dez. 1989 auch Rücktritt als
Ostgotenreich und gaben Anstoß (Auswei- Staatsoberhaupt.
chen der Westgoten auf röm. Reichsboden) Hussein, arab. Herrscher: 1) H., Kalif,
zur Völkerwanderung; ↑ Attila gründete zweiter Sohn des Kalifen Ali und der Fa-
444 ein Machtzentrum in der Theißebene; tima, mit dem Anspruch auf Mohammeds
unter seiner Führung stießen die H. mit Herrschaftserbe, fiel bei Kerbela 680; Mär-
zahlreichen Hilfsvölkern (z. B. Ostgoten) tyrer der Schiiten; sein Todestag schiit.
bis nach Orléans vor, wurden aber 451 von Feier- und Trauertag mit Passionsspielen.

413
Husseini, Al

2) H. ibn Ali, um 1853–1831; seit 1908 aus Böhmen (↑ Brüdergemeine); dagegen
Scherif von Mekka, polit. Führer der Frei- blieben die nationalkirchl.Tendenzen der
heitsbewegung der Araber im 1. Weltkrieg, hussit. Bewegung lebendig.
von den Allierten zum König des aus türk. Hutten, 1) H., Philipp von, dt. Konqui-
Oberherrschaft befreiten Hedschas ausge- stador im Dienst der Welser in Venezuela,
rufen, 1924/25 von ↑ Ibn Saud vertrieben, 1546 ermordet. 2) H., Ulrich von, Reichs-
Söhne: Feisal, 1921–1939 König im Irak; ritter, humanist. Dichter und Publizist,
Abdullah, 1921–1950 Emir (seit 1946 Kö- 1488–1523; von Kaiser Maximilian I. zum
nig) von Transjordanien; dessen Enkel H. I. Poeta laureatus erhoben, focht in Ober-
seit 1952 König von Jordanien. italien und in Württemberg (gegen Her-
Husseini, Al, Muhammad Amin, arab. Po- zog Ulrich); führend in der Polemik gegen
litiker, 1895–1974; urspr. Zollbeamter, seit Papst- und Mönchtum (Mitverfasser der
1921 Mufti, Organisator von Unruhen, ↑ Dunkelmännerbriefe), Feind der Fürs-
Führer der Araber Palästinas im Kampf ten, gegen die er den Zusammenschluss
gegen die ↑ Balfour-Deklaration, das brit. von Ritterschaft und Städten forderte; Ver-
Mandat und die jüd. Einwanderung; 1936 treter des dt. Nationalgedankens, Anhän-
zur Flucht gezwungen, gelangte nach aben- ger Luthers seit 1520, Freund Sickingens,
teuerlichen Aktionen im 2. Weltkrieg nach nach dessen gescheiterter Erhebung H. in
Deutschland, von Hitler empfangen, als die Schweiz floh.
„Großmufti von Jerusalem“ hofiert, anti- Hyksos, seit etwa 1800 v. Chr. über den
brit. Rundfunksprecher, nach Kriegsende Kaukasus, über Vorderasien, Syrien, Pa-
bei Paris interniert, seit 1946 wieder im lästina allmählich nach Ägypten vordrin-
Vorderen Orient als Propagandist der anti­ gendes asiat. Volk, das sich unterwegs mit
israel. arab. Politik, 1952 nach Pakistan, vorderasiat. Volkselementen vermischte; er-
starb in der Verbannung in Beirut. reichten um 1715 das Nildelta, unterwar-
Hussiten, die Anhänger des Jan ↑ Hus, fen von ihrer Hauptstadt Auaris (Tanis) im
verbanden reformator. Glaubenseifer mit Delta aus große Teile Ägyptens und mach-
nationaltschech. polit. Forderungen, ver- ten die noch in Theben residierenden Pha-
weigerten Kaiser Sigmund 1419 die Nach- raonen tributpflichtig; ihre Überlegenheit
folge auf den böhm. Thron; wehrten unter durch Pferd, pferdebespannte Streitwagen,
Führung ↑ Ziskas in siegreichen Schlach- Panzerhemden und Weitschussbogen und
ten (Aussig, Mies) die Angriffe Sigmunds die über Palästina, Syrien und das Niltal
und der dt. Reichsfürsten ab; nachdem der verteilten Militärlager sicherten ihnen bis
Papst gegen sie zum Kreuzzug aufgerufen um 1580 die Herrschaft; den Ägyptern
hatte, fielen sie unter den beiden Prokops galten sie als Feinde des Gottes Re und als
in die dt. Nachbarländer Böhmens ein, Barbaren, doch begannen die H. weitrei-
zwangen durch den Sieg bei Taus 1431 den chenden Handel zu treiben; nach geheimer
Kaiser zum Nachgeben und erlangten vom Aufrüstung begann um 1600 von Theben
↑ Baseler Konzil 1433 in Form der Prager aus der ägypt. Befreiungskampf; nach dem
Kompaktaten Zugeständnisse, womit sich Fall von Auaris (1580) zogen sich die H.
ihre gemäßigte Richtung (↑ Kalixtiner oder nach Palästina und Syrien zurück und gin-
Utraquisten) zufriedengab; die radikalen gen in der einheim. Bevölkerung auf. Nach
↑ Taboriten wurden im Bruderkampf 1434 ihrer Vertreibung begann in ↑ Ägypten das
bei Deutsch-Brod geschlagen. Nach dem Neue Reich (18. Dynastie).
Sieg der Gegenreformation verschwanden
auch die Nachfahren der Radikalen, die
↑ Mährischen oder Böhmischen Brüder

414
Iberer

Iberer (abgeleitet von griech. Ibo-Kultur, ostniger. Stammeskultur (Ibo-

I Iberos, Ebro), nichtindoger-


manische Bevölkerung der Py-
renäenhalbinsel und S-Frank-
reichs, aus N-Afrika herübergekommen;
volk heute 5 Mio. Angehörige), nachge-
wiesen seit etwa 1600, ohne straffe polit.
und soziale Ordnung, kleine Siedlungs-
gemeinschaften, vielfältige Kunsterzeug-
bedeutende Kunstschöpfungen in Bronze nisse, z. T. von Nachbarvölkern entlehnt;
und Stein, z. T. von Griechen und Phöni- verbreitet der Ingenka-Kult mit dem Hör-
kern beeinflusst, große Städte (Numantia, nersymbol und der Kult der Yamswurzel,
Azaila, Calazeite), weitreichende Handels- des Hauptnahrungsmittels; hohe Masken-
beziehungen (Silber, Gold), vermischten kunst, lebendige Ornamentik, Schnitztü-
sich seit 500 v. Chr. mit eindringenden ren. Der Versuch der Ibo, einen eigenen
Kelten (Keltiberer), seit dem 3. Jh. von Staat (↑ Biafra) zu gründen, scheiterte im
Karthagern bedroht, seit dem 2. Jh. v. Chr. Bürgerkrieg 1967–1970.
unter röm. Herrschaft und rasch romani- Ibrahim Pascha, ägypt. Feldherr, 1789–
siert; Reste erhalten in den Basken. 1848; adoptierter Stiefsohn ↑ Mehemed
Iberia, in der Antike griech. Name für die Alis, zu dessen Erfolgen er wesentlich
Pyrenäenhalbinsel. beitrug: Vertreibung der Wahhabiten aus
Ibero-Amerika, ↑ Lateinamerika. Mekka und Medina (1819), 1824–27 Be-
Ibn Battuta, marokkan. Forschungsreisen- fehlshaber der ägypt. Hilfstruppen gegen
der und Geograf, 1304–um 1368/69 oder die Griechen, kämpfte 1831 gegen die
1377; zu vergleichen mit dem venezian. Türken und erzwang 1833 Abtretung Sy-
Weltreisenden Marco Polo, dessen Be- riens an Mehemed Ali; musste Syrien in-
richte durch ihn eine Ergänzung erfuhren; folge der Flottendemonstration Großbri-
1325–1349 große Orientreise (Kleinasien, tanniens, Russlands und Österreichs 1840
Persien, Krim, Wolga, Zentralasien, In- wieder räumen.
dien, China, Sumatra, Arabien); 1352 Idealismus, vieldeutiger Begriff; ethisch
Reise in den Sudan (Mali). – im Gegensatz zum Materialismus –
Ibn Saud, eigentlich Abd Al Asis (III.), Glaube an das Ideal eines höheren Men-
König von Saudi-Arabien, bedeutendster schentums und die Bereitschaft, für seine
Herrscher der arabischen Welt in der Neu- Verwirklichung Opfer zu bringen: Streben
zeit, 1880–1953; gewann 1901/02 im nach dem Wahren, Guten und Schönen
Kampf gegen die Raschids sein Stammes- etwa im Sinne der griech. „Kalokagathia“,
fürstentum Nedsch zurück (sein Vater ver- Grundhaltung der dt. ↑ Klassik. – Er-
zichtete auf den Thron); machte sich be- kenntnistheoretisch und metaphysisch die
reits vor der Auflösung des Osman. Rei- Anschauung vom Geist als dem wahrhaft
ches (1918) praktisch unabhängig, stärkte Seienden und von der Materie als nur äu-
in einem 20-jährigen Krieg sein Ansehen ßerer Erscheinungsform (Gegensatz ↑ Ma-
als Vorkämpfer der (puritan.) mohamme- terialismus); erstmals zum metaphys. Sys­
dan. Wahhabiten, baute eine schlagkräf- tem erhoben in Platons Ideenlehre (Gott
tige Armee auf, vertrieb 1924/25 den Ha- als höchste Idee des Guten), die von Plo-
schimitenkönig ↑ Hussein von Hedschas tin übernommen, verwandelt und durch
(mit Mekka und Medina), nahm den Kö- Augustinus und die Scholastik christl.
nigstitel an, schloss 1932 die von ihm be- umgestaltet wurde. Als spezifisch „subjek-
herrschten Gebiete (9/10 der Halbinsel) tiver I.“ (Idee als eigentl. Wirklichkeit und
zu ↑ Saudi-Arabien zusammen; bemüht oberstes Sein) von ↑ Leibniz (Wirklichkeit
um innere Festigung seines rückständigen als System unräumlicher Kraftzentren),
Staates durch vorsichtige Reformen. Kant (Unvermögen der Erkenntnis der

415
Iden

Ideen als des Wesens des „Ding an sich“) fangen, später entflohen; ihn besingt die
und ↑ Fichte (Gott als sittliche Weltord- einzige erhaltene altruss. Heldendichtung,
nung) ausgebaut. Als „objektiver I.“ in das Igorlied.
der Ansicht vom Abhängigkeitsverhältnis Ilion (Rios), griech., Name für ↑ Troja.
der Materie vom menschlichen Bewusst- Illuminaten (lat., Erleuchtete), Mitglieder
sein und der Idee vor allem von ↑ Aristo- eines 1776 von dem Exjesuiten Adam
teles vertreten (Ideen als in dieser Welt Weishaupt in Ingolstadt gegründeten Or-
tätige und formende Prinzipien); ähnlich dens, der die Ideen der Aufklärung zu ver-
bei Schelling und ↑ Hegel; der „absolu- wirklichen suchte, in Anlehnung an die
te I.“ oder „logische I.“ ↑ Hegels vertritt ↑ Freimaurer und unter Bekämpfung der
die autogene Entwicklung der Ideen in Jesuiten; der Orden, dem viele der geis­
der Lehre des sich selbst verwirklichenden tig führenden Männer Bayerns, wie Graf
Weltgeistes. Montgelas, Sailer und Westenrieder, ange-
Iden (lat. idus, Monatsmitte), nach dem hörten, 1785 verboten und unterdrückt;
römischen Kalender der 15. Tag der Mo- 1896 neu gegründet.
nate März, Mai, Juli und Okt., in den üb- Illyrer, im Altertum indogerman. Bauern-
rigen Monaten der 13. Tag. – An den I. des volk, zunächst zw. Oder und Böhmerwald,
März (15. März 44 v. Chr.) wurde Cäsar er- Harz und Mitteldonau mit eigener (↑ Lau-
mordet. sitzer) Kultur, wanderte um 1200 v. Chr.
Idrisi, Al, arab. Geograf, 1100–um 1165; aus Mitteleuropa nach SO bis ins östl. Al-
nach ausgedehnten Reisen verfasste er pengebiet und an die Ostküste der Adria,
1154 eine Erdbeschreibung als erklären- löste vermutlich die Wanderung der ↑ Do-
den Text zu einer König Roger II. von Sizi- rer aus; an der dalmatin. Küste gefürchtete
lien gewidmeten Erdscheibe. Seeräuber, in Stämme gegliedert und polit.
Ife-Kultur, westniger. Stammeskultur, nur locker zusammengefasst (Volkskönig-
getragen von Angehörigen des Joruba- tum); seit 230–228 v. Chr. (1. illyr. Krieg)
stammes; Name nach der Hauptstadt Ife unter röm. Oberhoheit, 13–9 v. Chr. von
im Quellgebiet des Oniflusses, die in vor- Tiberius unterworfen, nach der Nieder-
christl. Zeit zurückgeht; bed. Plastiken seit werfung des Pannonischen Aufstandes (6–
dem 14. Jh. in Bronze und Terrakotta; Me- 9 n. Chr.) romanisiert (Provinzen Dalma-
galithmonumente, lebensgroße Figuren- tien und Pannonien). Aus den I.n, die Elite­
gruppen von fast „griech. Maßen“. truppen des röm. Heeres stellten, kamen
Ignatius von Antiochia, Kirchenvater und mehrere Kaiser, darunter Aurelian, Dio-
Bischof, Schüler des Apostels Johannes, kletian, Konstantin; seit dem 7. Jh. n. Chr.
bedeutend durch seine Briefe an urchristl. drangen die S.-Slawen (Kroaten, Serben)
Gemeinden, die er vor den Gnostikern in Illyrien ein; im Gebiet des illyr. Stam-
warnte; starb um 110 als Märtyrer unter mes der Veneter entstand Venedig.
Trajan. Imagines (lat.), porträtähnliche Wachs-
Ignatjew, Nikolaj, russ. Diplomat, 1832– masken, mit denen die Patrizier in Alt-
1908; Panslawist, betrieb die russ. Expan- Rom ihre Toten auf dem Forum ausstell-
sion im Fernen Osten (Amurverträge mit ten; nach der Bestattung kamen die I. als
China) und auf dem Balkan. Ahnen- und Verehrungsbilder in die Pena-
Igor, russ. Fürsten: 1) I., Großfürst von tenschränke und wurden mit kurzen Bio-
Kiew, 877–945; Sohn Ruriks, regierte grafien der Ahnen umschriftet.
seit 912, zog 941 und 944 nach Griechen- Imam (arab., Vorbild), islam. Fürstentitel,
land; erschlagen. 2) I., Fürst von Nowgo- Oberhaupt der Sekte der Schiiten; auch
rod, 1150–1202; 1185 von Polowzern ge- Vorbeter, Theologe an der Moschee.

416
Imperialismus

Imhotep, Erbauer der ältesten ägypt. Py- lich seit Ende des 19. Jh. im allg. Sinne
ramide (Stufenpyramide) des 1. Königs Bezeichnung für das Streben eines Staates
der 3. Dynastie Zoser (Djoser) und der nach Ausdehnung seines Herrschaftsbe-
Totenstadt Sakkara, um 2900 v. Chr.; auch reiches über seine hist. oder (geogr.) „na-
Arzt und Zauberer, zählte zu den „weisen türlichen“ oder ethnograf.-nat. Grenzen
Männern“ des Alten Reiches, daher später hinaus mit dem Ziel, ein übernationales
göttlich verehrt. Groß- oder Weltreich (Imperium, Empire)
Immediatstände, im Hl. Röm. Reich (bis zu schaffen, zu erhalten und immer weiter
1806) reichsunmittelbare Stände, die seit auszubauen. I. in dieser weitesten Bedeu-
dem hohen MA allmählich die volle Lan- tung lässt sich in der Weltgeschichte von
deshoheit erwarben, Gegensatz: mediate Akkad-Sumer bis Napoleon I. aufzeigen;
Herrschaften, die nicht Kaiser und Reich als extremste Form des Machtwillens eines
unmittelbar, sondern einem Landesherrn Staates oder Herrschers geht er über das
unterstanden; ↑ Mediatisierung, Reichs­ Streben nach bloßer ↑ Hegemonie hinaus.
deputationshauptschluss. – In einem besonderen Sinne bezeichnet
Immunität (lat., Befreiung) oder „Frei- man als I. die Ausdehnung der modernen,
ung“, im MA aus spätröm. Anfängen ent- bes. europ. ↑ Großmächte über weite Ge-
wickeltes Sonderrecht für das Königsgut biete des Erdballs und ihre Rivalität im
und die durch den König privilegierte Kampf um die kolonialen Räume („Kolo-
kirchliche und weltliche Grundherrschaft nialimperialismus“) und um die Abgren-
(erstmals im Pariser Edikt Chlotars II. 614 zung von ↑ Einflusssphären, etwa seit den
anerkannt); Hauptinhalt: Freiheit von 80er Jahren des 19. Jh. bis zum 1. Welt-
Steuern und öffentlichen Lasten sowie krieg („Zeitalter des I.“, in dem also meh-
Ausklammerung aus der Zuständigkeit rere Imperialismen miteinander konkur-
der ordentlichen öffentlichen Gerichte; oft rierten). In der Ausprägung dieses moder-
entwickelte sich die I. zur Landeshoheit. nen I. ging Großbritannien unter Führung
Auch die Stadt war bes. im späten MA ↑ Disraelis voran; in der Auseinanderset-
meist eine I. (= eigener Gerichtsbezirk). zung mit den überwiegend liberalen und
– Im heutigen Sinne: Schutz der Abgeord- pazifist. „Kleinengländern“ (↑ Gladstone)
neten eines Parlaments vor strafrechtlicher münzten die Verfechter der „Empire-
Verfolgung (kann durch Parlamentsbe- Idee“ den Spottnamen „Imperialisten“ in
schluss aufgehoben werden). einen Ehrennamen um; als klass. Vertre-
Impeachment, Antrag einer parlamenta- ter des brit. I. ragen Cecil ↑ Rhodes und J.
rischen Körperschaft auf Amtsenthebung ↑ Chamberlain hervor. Weltanschaulich-
oder Bestrafung einer Person, über den religiös hatte der brit. I. bereits in ↑ Crom-
eine andere Körperschaft entscheidet; ent- wells Glauben an die „Auserwähltheit“ des
standen in England im 14. Jh., später von engl. Volkes seinen Ausdruck gefunden,
anderen Staaten, v. a. der USA, übernom- unter Disraeli in der Parole „Imperium et
men. libertas“. Doch auch die anderen imperia-
Imperator (lat.), in Alt-Rom Titel eines list. Mächte waren von ihrer Berufung als
siegreichen Feldherrn, wenn ihn sein Heer Träger einer polit.-kulturellen Weltmission
dazu ausrief; ihm stand der Triumph zu. überzeugt; Frankreich wollte die frz. Zivi-
– Seit Cäsar erblicher Titel der Kaiser. lisation in ein „Größeres Frankreich“ tra-
Imperialismus (von lat. Imperium, Reich), gen, Italien die Tradition des röm. Impe-
urspr. Schlagwort für das Regierungs- riums (bes. in Afrika) wiederaufnehmen;
system Napoleons I., dann auch für die das zarist. Russland begründete imperia-
Großmachtpolitik Napoleons III., schließ- list. Pläne mit seiner panslawist. Führer-

417
Imperium

rolle und der Idee vom „Dritten Rom“; die der Neuzeit Bezeichnung für das britische
↑ Alldeutschen wollten am „dt. Wesen die Weltreich (I. Britannicum; engl. British
Welt genesen“ lassen; schließlich rechtfer- Empire) und von 1935 (Eroberung Abes­
tigte auch Japan die „Neuordnung Ostasi- siniens) bis 1943 auch für das faschist. Ita-
ens“ mit einem Auserwähltheitsanspruch. lien (Berufung auf das Erbe des I. Roma-
Doch sind Antriebskräfte des modernen I. num).
außer in weltanschaulich-polit. Prinzipien Indemnität (Straflosigkeit, Lossprechung,
und im reinen Machtwillen auch in der Entbindung), verfassungsrechtlich parla-
Verflechtung mit dem modernen ↑ Kapi- mentar. Entlastung von der Verantwort-
talismus und dem wirtsch. Existenzkampf lichkeit; klass. Schulbeispiel die Indemni-
der großen Industriemächte zu suchen tätsvorlage nach Königgrätz, von Bismarck
(Bevölkerungsdruck; Wettlauf um Absatz- dem preuß. Landtag vorgelegt, der sie am
märkte und Rohstoffquellen; Suche nach 3. Sept. 1866 mit 230 gegen 75 Stimmen
Investitionsmöglichkeiten für den inländ. annahm und dadurch nachträglich die vo-
Kapitalüberschuss; Sonderinteressen der rausgegangenen, ohne parlamentar. Ge-
Rüstungsindustrie). Die den USA vor- nehmigung erlassenen Gesetze guthieß
geworfene ↑ „Dollardiplomatie“ gilt als (Abschluss der Konfliktzeit). – Heute Bez.
„Dollarimperialismus“. – Die Kritik am I. für die Verantwortungsfreiheit der Abge-
begann um 1900 mit Lenins Schrift „Im- ordneten eines Parlaments.
perialismus als höchstes Stadium des Ka- Independenten (Unabhängige), in der ers­
pitalismus“ (1916/17), die den Expansi- ten Hälfte des 17. Jh. in England von den
onismus, insbesondere den der USA und Puritanern abgespaltene protestantische
Großbritanniens, als notwendigen Be- religiöse Gruppe, die unter ↑ Cromwell
standteil des I. darstellte. – Im Zuge der zur Macht gelangte und 1689 die Gleich-
Entkolonisation nach 1945 I.-Vorwurf des berechtigung neben der anglikanischen
afrikanischem Nationalismus gegenüber Kirche durchsetzte; verfocht gegen die
den europ. Industriestaaten, in Latein­ anglikanische Staatskirche und die Pres-
amerika richtet sich dieser gegen die USA; byterianer die Selbständigkeit der Ein-
er wird gegenüber der Sowjetunion („So- zelgemeinde (Kongregation, daher auch
zialimperialismus“) z. B. durch China er- Kongregationalisten genannt); heute bes.
hoben. in den USA (Passagiere der „Mayflower“,
Imperium (lat.), in Alt-Rom die besonders 1620) verbreitet.
im Krieg den Konsuln oder Trägern kon- Index (lat., Anzeiger), Verzeichnis von
sular. Gewalt (Provinzstatthaltern) über- Büchertiteln, Autoren, Stichworten usw.,
tragene, unbeschränkte Befehlsgewalt. In- oft in ein fachwiss. System gebracht. Mit
nerhalb des Stadtgebietes von Rom war „Index“ schlechthin wurden die Listen
das I. eingeschränkt. Das Summum I. be- verbotener Bücher in der kath. Kirche
saß nur der ↑ Diktator. Die Bezeichnung („I. librorum prohibitorum“) bezeichnet.
I. wurde auch für den entsprechenden Be- Nach Bücherverboten, die schon im MA
fehlsbereich gebraucht, ging später auf das bestanden hatten, und nach den im 16. Jh.
röm. Weltreich, das I. Romanum, über. durch Kaiser Karl V. und Heinrich VIII. in
– Das Sacrum I., das „Hl. Reich“ des MA England erlassenen Verbotslisten wurde
(seit Barbarossa Sacrum I. Romanorum, die Zusammenstellung eines wirksamen
als „Hl. Röm. Reich“, bis 1806 der Titel I. zum Anliegen der sich zur Gegenrefor-
des Reiches), stellte eine bewusste Erneu- mation sammelnden kath. Kirche; 1559
erung des röm. Weltreichs in Verbindung erster röm. I.; 1571 ständige I.-Kongrega-
mit der Idee des Christentums dar. – In tion, deren Aufgaben später vom Hl. Of-

418
Indianer

fizium übernommen wurden; 1967 außer benhäusern; seit dem 17. Jh. (Büffelherden
Kraft gesetzt. und Pferde) zum großen Teil nomadisie-
Indianer, als Indianide den Mongoliden rend; Hausrat in Leder, Horn, Holz; Haar-
verwandt, seit etwa 15 000 v. Chr. aus form und Kopffedern als Würdezeichen;
NO-Asien über die damalige Landbrücke Fruchtbarkeitsritus, Selbsttortur, Kult der
und spätere Meeresenge, die Beringstraße, Friedenspfeife (Calumet); d) Pueblo-I. im
oder vom Stillen Ozean eingewanderte Bereich des Flusssystems des Colorado
Urbevölkerung Amerikas, die im Laufe und Rio Grande, von hohem Kulturstand
der Jt. auf Fernwanderungen den ganzen schon vor 1500; wabenförmige Hausdör-
Doppelkontinent besiedelten; insgesamt fer als Wohn- und Festungssiedlungen im
von großer eigenständiger kulturschöpfer. Lehmziegelbau; Abbau von Kohle; Mais-,
Kraft. Der Name I. von ↑ Kolumbus für Bohnen-, Kürbis-, Baumwolle-, Tabakan-
die Bewohner Westindiens und der von bau; meisterhafte Weberei, Töpferei,
ihm entdeckten Festlandsküstengebiete Flechtkunst; mutterrechtlich, religiös be-
geprägt in dem Glauben, er habe Indien stimmte Gesellschaftsordnung (Stämme,
und nicht einen eigenen, zw. Europa und Großfamilien, Wohngemeinschaften; ein-
Asien liegenden Kontinent über das West- flussreiche Kultbünde; e) Ackerbaukultur
meer erreicht. Der Name ging dann auf im SO und Süden der USA mit palisa-
alle urspr. Eingeborenen Amerikas (außer denumwehrten Dörfern mit Rund- oder
den Eskimos) über; ungeklärt ist, ob den Langhäusern; Steinäxte, Muschelwaffen,
I.n eine einheitliche Ursprache eigen war; Holzschalen, Kürbisgefäße, Einbäume,
die etwa 125 wichtigsten Sprachen und hölzerne Häuptlingsstühle; Marterpfahl
ihre Dialekte hätten sich dann durch die zur Mutprobe; mutterrechtliche Organisa-
Verschiedenzeitigkeit der Einwanderungs- tion der Stämme; Geheimbünde und erste
wellen, die baldige Isolierung der Stämme Stammesbünde (u. a. Irokesen) und in ge-
in den weiten Räumen und durch Kul- schichtlicher Zeit bedeutende Häuptlinge:
turmischungen ausgebildet. Deutlich er- Metakome 17. Jh., Pontiac 18. Jh., Tecum-
kennbar sind prähistor. Kulturprovinzen seh und Black Hawk 19. Jh. – Gegen die
mit ähnlichen wirtsch., sozialen, geistigen nach Westen fortschreitende Landnahme
und religiösen Verhältnissen: 1) in Nord- der Europäer leisteten die I. Widerstand,
amerika: a) die indian. NW-Kulturprovinz der im 18. Jh. noch Erfolge brachte. Im
(Alaska bis Columbia), Kultur von Hoch- Lauf des 19. Jh. wurde der indian. Wi-
seefischern und Jägern (Dorsche, Heilbutt, derstand gebrochen – u. a. durch Vernich-
Lachs, Robben; in den Wäldern Löwen, tung ihrer Lebensgrundlagen (Abschlach-
Hirsche; Sammeln von Schalentieren, tung von 75 Mio. Büffeln zw. 1830 und
Beeren, Wurzeln), seetüchtige Kanus, höl- 1883), durch Umsiedlung und massives
zerner Hausrat, Häuser mit bemalten Gie- Vorgehen gegen die I. (z. B. Massaker am
beln und Totempfählen, entwickelte Spin- Wounded Knee 1890, etwa 400 000 tote
nerei und Weberei; Dörfer- und Sippenor- I. bei den I.-Kriegen gegenüber 2300 ge-
ganisation; b) Kultur der kaliforn. Samm- fallenen Soldaten). Danach lebten die I.
lervölker (Wildfrüchtesammler; einfacher in Reservationen. – Seit den 1960er Jah-
sozialer Aufbau in Dorfeinheiten; Me- ren verstärkte Forderungen der I. nach Er-
dizinmänner; hochstehende Korbflecht- neuerung der gebrochenen Verträge und
kunst; ideenreiche Mythologie); c) Kultur Wiedergutmachung; Bildung von Inte-
der Prärie-I. zw. Mississippi und Felsenge- ressengemeinschaften gegen fremden Ab-
birge; friedliche Anbauvölker (Mais, Boh- bau von Bodenschätzen. Heute leben in
nen) in geschlossenen Siedlungen mit Gru- Nordamerika etwa 2 Mio. I. in 76 Stäm-

419
Indien

men. – 2) in Mexiko und Mittelamerika: entwickelte sich die erst im 20. Jh. durch
↑ Mexiko, ↑ Maya. – 3) in Südamerika: Ausgrabungen entdeckte hochstehende
in vorkolumbianischer Zeit in Kolum- ↑ Induskultur, stein- und bronzezeitlich,
bien und Ecuador Chibchavölker (Gold- eine der ältesten Hochkulturen der Erde,
schmiedekunst, feste Staatsorganisation); Blüte 2700–1500; eindeutig mit Sumer
seit etwa 2 000 v. Chr. im Küstenland Pe- zusammenhängende Bauern- und Stadt-
rus und an den Andenhängen höhere in- kultur: hochentwickelte Städte Harappa,
dian. Kulturen, ↑ Inka; Untergang der in- Taxara, Tschanhudaro, Mohendschodaro
dian. Reiche S- und Mittelamerikas durch u. a., erstaunlich regelmäßige Stadtpla-
die Europäer; die I. in der Folgezeit von nung, über der Stadtsiedlung künstlich
den Weißen und von den eingeführten höher angelegte Burg, Kultbäder, Kanali-
Sklaven weitgehend verdrängt, Millionen sation (die Indusschrift ist nur zum Teil
zugrunde gerichtet. So wurden in Brasilien entziffert); im Süden gleichzeitig primitive
bei der Urbarmachung des Amazonasbe- Kultur schriftloser Pflanzer auf neolith.
ckens durch Straßenbau und Gewinnung Stufe, in späteren Jh. von Süden aus Ver-
von Eisenerzen die Tiefland-I. entweder bindungen zu Mesopotamien, Arabien,
vertrieben oder umgebracht; wachsender Ägypten, seit etwa 600 v. Chr. im Süden
Widerstand gegen die weitere Zerstörung Kolonien durch N-Inder; neuere Gra-
indian. Lebensraumes. In Südamerika le- bungen haben im Süden über der jung-
ben heute etwa 15 Mio. I., in Mittelame- steinzeitlichen Schicht eine Schicht eisen-
rika 4–5 Mio.; zunehmendes Selbstbe- zeitlicher Kultur mit Megalithgräbern
wusstsein der I. in Gesamtamerika und (Zeit um Christi Geb.) erschlossen, die
Wiederbesinnung auf die eigenen kultu- Träger dieser Kultur vermutlich zur See
rellen Traditionen und Kräfte. aus dem Westen eingewandert; im äußers­
Indien (Vorderindien), uralter asiat. Hoch- ten Süden in vorchristl. Zeit Gewürzhan-
kulturraum, begrenzt, doch nicht isoliert del mit den Römern (röm. Ruinen erhal-
durch Meere und Hochgebirge; an den ten). – Der Induskultur im Norden berei-
Strömen Indus und Ganges, in den Hoch- teten um die Mitte des 2. Jt. v. Chr. die –
ländern (Dekhan u. a.) und in den Terras- wahrscheinlich in mehreren Wellen – im
sen- und Küstenlandschaften der Halbin- NW einbrechenden Indoarier ein Ende
sel; auch die Insel Ceylon lange Zeit einbe- (Vernichtung der Städte und Ausrottung
zogen. Bereits in der Eiszeit (vier Verglet- der Bewohner); die den Iranern verwand-
scherungen im Norden), der frühen Alt- ten Arier waren von den ↑ Indogermanen
steinzeit Besiedlung durch Bodenfunde abgespaltene, hellhäutige, halbnomad.
erwiesen (Steinwerkzeuge, doch bisher Viehzüchter (Rinderherden ihr Reich-
keine Menschenskelette); im NW im 4. Jt. tum), kriegstüchtig (neu in Indien ihre
jungsteinzeitliche Bauernkultur; die Be- Streitwagen, die intensive Pferdezucht er-
völkerung der vorarischen Zeit (bis um forderten); in langwierigen Kämpfen set-
1500 v. Chr.) gliederte sich in: 1) Indome- zen sie sich zunächst am oberen Indus, im
lanide, „Schwarz-Inder“, vor allem im SO, Pandschab, fest (Fünfstromland, Land der
vereinzelt im Norden; 2) Indide, mediter- 5 östl. Nebenflüsse des Indus) und am
rane Brauninder, nach Süden und Osten oberen Ganges und bildeten die aristokrat.
sich ausbreitend; 3) Weddiden (verwandt Herrenschicht. Streit und Kampf zw. den
mit den Weddas auf Ceylon), die im Sü- arischen Kleinstämmen, die von Königen
den und in den ind. Gebirgen und Wäl- geführt wurden, berühmt ist die in einem
dern Zentralindiens auf steinzeitlicher Hymnus des Rigveda besungene „Zehnkö-
Kulturstufe verharrten. – Im 3. Jt. v. Chr. nigsschlacht“; aus der von den Ariern ver-

420
Indien

ehrten Göttervielzahl, meist verkörperten Zeit (erste sichere Datierung): Einfallende


Naturkräften, ragten hervor Djauspaitar Perser eroberten die Grenzgebiete ↑ Gand-
(Jupiter, Zeus), Agni, der Feuergott, und hara und Sind und machten sie zu tribut-
der gewaltige blonde Nationalgott Indra; pflichtigen Provinzen; beginnende Ein-
die Erinnerung an das „Heldenzeitalter“ flüsse griech. Kultur; bedeutendes Zent-
der kämpfen Landnahme durch die Arier rum im Gangesgebiet wurde Kosala; durch
bewahrt in den ↑ Veden, einer (überwie- Eroberungskriege stieg unter der Schisun-
gend mytholog.) Traditionsquelle: altved. aga-Dynastie in O-Indien das Reich Ma-
Zeit (um 1500–1000) und jungved. Zeit gadha auf, daneben bestanden zahlreiche
(1000–um 550), in der sich durch Aus- kleine Adelsrepubliken; insges. starke ter-
breitung nach Osten auch das polit. ritoriale Zersplitterung, dabei doch ge-
Schwergewicht in gleicher Richtung verla- wisser Wohlstand (seit etwa 600 Eisener-
gerte; Zeit der Machtkämpfe (um 900 18- zeugung). – In dieser Zeit Aufkommen des
tägige Schlacht auf dem Kurnfeld bei antibrahman. ↑ Buddhismus (↑ Buddha)
Delhi, histor. Kern des Mahabharata-Epos, und ↑ Jainismus; Vorherrschaft des gefe-
Kampf um das „Mittelland“). – Seit dem stigten Großreiches Magadha (Schisun-
8. Jh. – entscheidend waren für die Ge- aga- wurde durch Nanda-Dynastie besei-
schichte I.s mehrmals Wandlungen auf re- tigt). – Auf dem Indienfeldzug Alexanders
ligiösem Gebiet – bildete sich der Brahma- d. Gr. (327–325) gelangten Griechen (Ya-
nismus aus (Brahmanas sind dogmat. vanas) nach I., Blütezeit des Buddhismus,
Lehrbücher, neben den Veden die zweite der Staatsreligion wurde und die Weltmis-
große Gruppe des religiösen ind. Schrift- sion begann, und Renaissance des Hindu-
tums); die altved. kriegen Himmelsgötter ismus. – Zahlreiche Einzelstaaten ein-
wurden verdrängt, das Göttliche als Ein- schließlich des Magadha-Reiches gingen
heit gesucht, das Opfer rückte in den Mit- im 3. Jh. v. Chr. im riesigen ↑ Maurya-
telpunkt; die weitere Fortbildung der reli- Reich auf (321–184 v. Chr.), begr. von
giösen und lebensphilosoph. Anschau- Tschandragupta (griech. Sandra Kottos,
ungen spiegelte sich in den Upanischaden, 321–298); überragend dessen Enkel
in denen sich arische und nichtarische ↑ Aschoka (274–231), der ein Großreich
Glaubensformen durchdrangen; um beherrschte, das Magadha, das „Mittel-
800 n. Chr. Entwicklung zum ↑ Hinduis- land“, den Pandschab, Avanti, den Dek-
mus, der Priesterstand der Brahmanen han und Kalinga umfasste; unter ihm ge-
wurde höchste ↑ hinduist. Kaste und ver- reifte Kunstschöpfungen, berühmt seine
drängte an Ansehen den Kriegeradel Edikte auf Gedenksteinen; nach seinem
(2. Kaste); die dritte Kaste setzte sich zu- Tod war das Maurya-Reich nur noch loser
sammen aus den (arischen) Bauern und Staatenbund unter Sunga- und Kanva-
Gewerbetreibenden, die vierte umfasste Kaisern; Schwächung auch durch Einfälle
die Unterworfenen und jene Arier, die sich aus NW: um 170–60 v. Chr. griech. Herr-
mit der Vorbevölkerung vermischt hatten schaft im Pandschab (zwei feindliche
und deshalb „Unreine“ waren; außerhalb griech. Reiche); die Griechen wurden von
aller Kasten standen die Parias, die „Unbe- Skythen und Parthern verdrängt, die wie-
rührbaren“ (im Verlauf der weiteren Ent- der von Tocharern und Kuschanen (1.–
wicklung – bes. infolge der zunehmenden 3. Jh. n. Chr.) abgelöst wurden; Kuschan-
Assimilation von Ariern und Indern – er- reich in ganz N-Indien; daneben eine
fuhr die hinduist. Kastenordnung Ände- Reihe anderer aufblühender und versin-
rungen und weitere Untergliederungen). kender Reiche vor allem im Süden; seit
Anfang des 6. Jh. Beginn der eigtl. histor. 60 n. Chr. Siedlungen in O-Afrika. Der

421
Indien

Buddhismus missionierte in Afghanistan, vernichtend geschlagen (1192); Moham-


O-Turkestan, China und Japan; zugleich med besetzte Hindostan und Bengalen
weitere Entfaltung der hinduist. Konfessi- und begründete das Sultanat von ↑ Delhi
onen, des Himmelskönigskults (Vischnu- (1206–1398 bzw. 1526); sein türk. Sklave
ismus), des Schöpferkults (Schiwaismus), Aibak, der erste „Sklavenkönig“ (1206–
des Muttergöttinnenkults (Saktismus) und 1210) eroberte ganz N- und O-Indien
der Sonnenverehrung (Suryakult); staatli- (auch hier um diese Zeit Ende des Buddhis­
cher Ausdruck nationaler Ideen der Zeit mus); 1206–1290 1. und 2. Dynastie von
wurde das ↑ Gupta-Reich (320–530 bzw. „Sklavenkönigen“ in Delhi, dann eine Zeit
570 n. Chr.) in N-Indien mit großen kul- imperialer Machtentfaltung unter der
turellen Leistungen (Sanskrit Sprache der Khalji-Dynastie (1290–1320): Ausdeh-
Oberschicht, Dichter Kalidasa, Märchen- nung der Herrschaft des Delhi-Sultanats
sammlung Pantschatantra, Pflege von nach Süden, Raubzüge bis zur ind. Süd­
Kunst und Wissenschaften) und Begünsti- küste; im Kampf gegen den sich ausbrei-
gung des Hinduismus; Entwicklung einer tenden Islam wurde das südl. Reich von
vedagläubigen Hinduphilosophie; im NW Vijayanagar (um 1335–1565) zum Hort
um 450 Einbruch der Hephthaliten, der des hinduist. Widerstandes; Verfall des
↑ „Weißen Hunnen“, die bis 530 auch im Delhi-Sultanats in kleine Sultanate,
Gupta-Reich ihre Herrschaft über die meis­ 1398/99 Einfall ↑ Timur Lenks (Verwüs­
ten Staaten Indiens aufrichteten; 606–647 tungen, Massenhinrichtungen, Plünde-
im Norden neues machtvolles Reich mit rung Delhis). – Das Zeitalter der Entde-
König Harscha (König von Kanandsch); ckungen und der beginnenden europ. Ko-
im Süden errang Pulakuchim II. aus der lonisation bedeutete für I. eine neue Epo-
Tschalukya-Dynastie (Tschalukya-Dy- che; die Entdeckung des Seeweges um
nastie seit etwa 550) die Vorherrschaft, Afrika – unter Umgehung der arab. Sperre
dann viele kurzlebige Kleinstaaten und all- im Vorderen Orient – öffnete den europ.
gemeine polit. Zersplitterung. – 711 Seemächten, den Portugiesen, Holländern.
Schicksalsjahr I.s: erster Einbruch der Ara- Franzosen und Engländern, den direkten
ber, die 712 Sind, 713 den unteren Pan- Weg nach I.; als erste kolonisierten die
dschab besetzten; neue Reichsbildungen: Portugiesen: 1498 Vasco da Gama in Kali-
im Norden unter der Pala-Dynastie von kut; später portug. Handelsstützpunkte in
Bengalen, um 740–1125; im Süden Mitte Goa, Diu, Bombay (sowie auf den Inseln
des 8. Jh. bis Ende des 10. Jh. Kriegerstaat Malakka, Ceylon u. a.). – Führend in I.
der Raschtrakuta-Dynastie u. a. Herrscher- wurde seit 1526 das ↑ Mogulreich der bis
häuser (hier lebte der antibuddhist. Philo- 1761 (als Schattenfürsten bis 1858) herr-
soph Schaukara, 788–820); seit dem 9. Jh. schenden Großmogule (Mogul = Mon-
verschwand der Buddhismus aus S- und gole), begr. nach jahrelangen Kämpfen
W-Indien; seit dem 10. Jh. Ausbreitung von Zahir-ud din Babur (↑ Babur, 1526–
des Islam in Kabul: Herrschaft Mahmuds 1530, Hauptstadt Agra); Jalul-ud-din
d. Gr. von Ghasna (993–1030, ↑ Türken); ↑ Akbar (arab., d. Gr.), 1556–1605, baute
NW-Indien wurde 1001–1026 Opfer sei- das Reich durch Expansionspolitik (u. a.
ner zahlreichen Eroberungs- und Raub- Vernichtung der Hindugroßmacht Vijaya-
züge (Plünderung der Hindutempel), er- nagar im S) zum Großreich aus; innenpo-
leichtert durch Uneinigkeit der Hindufürs­ lit. tolerant, um Hindus und Mohamme-
ten; in der entscheidenden Schlacht von daner zu versöhnen; Religionsfreiheit auch
Taraori bei Delhi wurden die verbündeten für Parsen und Christen; unter Schajahan
Hindufürsten von Mohammed von Chor (1628–58) Bau des Tadsch-Mahal-Mauso-

422
Indien

leums; letzter großer Herrscher Muhijud- 1769; 1780–1784; 1790–1792; 1799),


din ↑ Aurangzeb, 1618–1707, regierte seit das brit. Vasallenstaat wurde; Ranjit Singh
1658, beherrschte fast ganz Indien, unter- (1780–1839), Führer der Sikhs, begrün-
grub aber durch hindufeindliche Politik dete nach 1800 in N-Indien ein Reich, mit
die Reichseinheit, Aufstieg der ↑ Marathen dem sich 1809 der brit. Generalgouver-
(Hindus) im W-Dekhan und Abfall wei- neur Lord Minto verständigte, 1818 ver-
terer Hindufürsten; die Marathen errich- kündeten die Briten nach der Niederschla-
teten ein Großreich, das von 1714–1760 gung der Pindaris (plündernde Freibeuter-
Bestand hatte. Entscheidend für die Zu- scharen) den Reichsfrieden (Pax Britan-
kunft (seit 1600): Festsetzung der Hollän- nica); die Ausdehnung des brit. Macht­
der und Engländer, holländ. Ostindien- bereichs schritt planmäßig 1840 über das
kompanie an der O-Küste, gleichzeitig Er- rechte Indusufer fort; 1843 wurde Sind
richtung von Faktoreien der 1600 von der besetzt. 1845–49 Unterwerfung der Sikhs,
engl. Königin Elisabeth I. privilegierten 1856 des Pandschab. – Als Protest gegen
engl. ↑ Ostindienkompanie (erste in Surat, polit., kulturelle und religiöse Vereinnah-
1613); anfangs waren Holländer und Eng- mung 1857/58 wilder Aufstand der Si-
länder im Einvernehmen, seit 1623 (Mas- poys, ind. Truppen, aus allen Klassen und
saker von Amboina, holländ. Justizmord Religionen des Landes rekrutiert und un-
an Engländern) im Konkurrenzkampf; er- ter brit. Kommando; unmittelbarer Anlass
folgreicher Ausbau der engl. Handelskolo- religiöser Natur: Hindus wie Mohamme-
nien (Fort St. George bei Madras, Bom- daner verweigerten den Gebrauch brit. Pa-
bay, Kalkutta); eine frz. Kompanie erwarb tronenhülsen, die mit Rinder- oder Schwe­
1673 Pondicherry (SO-Küste) und später inefett eingefettet sein sollten; nach der
kleinere Stützpunkte. – Das 18. Jh. Zeit Niederwerfung löste die brit. Regierung
der Wirren: Der Zerfall des Mogulreiches die Ostindienkompanie auf; Entthronung
wurde durch Raubzüge aus dem NW be- des letzten Schattenherrschers des Mogul-
schleunigt (Perser, Afghanen); Kampf der reiches. – I. wurde 1858 Kronkolonie mit
Marathen um die Vorherrschaft; Krieg zw. einem Vizekönig statt des Gouverneurs;
Großbritannien und Frankreich auf ind. Königin Viktoria wurde 1877 „Kaiserin
Boden 1744–60: Der frz. Gouverneur von von I.“; an oberster Stelle der Regierung
Pondicherry ↑ Dupleix eroberte Madras, stand der Staatssekretär für I. in London;
siegte 1751 bei Arcot, wurde 1754 abberu- Großbritannien schaffte Verwaltungsein-
fen; Robert ↑ Clive begründete durch sei- heit für 2/3 des Landes, das letzte Drittel
nen Sieg bei ↑ Plassey (1757) über den mit waren Fürstenstaaten, auf die sich die brit.
Frankreich verbündeten Nabob von Ben- Macht stützte; starke Industrialisierung
galen die brit. Vorherrschaft in I.; Zusam- führte zu schweren Krisen der Eingebore-
menbruch der frz. Handelskompanie; nenwirtschaft, doch blieb I. das Land des
auch Holland schied aus und konzen- Ackerbaus. – Die nationale Unabhängig-
trierte seine Kolonisationsarbeit auf Cey- keitsbewegung der aktiven hinduistischen
lon und Indonesien. Die Marathen erlit- Gruppen organisierte sich in dem 1885
ten 1761 schwere Niederlage durch Ahmad gegr. „Ind. Nationalkongress“ mit dem
Schah Durrani von Afghanistan; Zersplit- Ziel polit. und sozialer Gleichberechti-
terung ihrer Macht in 5 Fürstentümer, die gung aller Inder und Bildung eines natio-
Großbritannien in der Folge niederwarf nalindischen Parlamentes, nach 1900 radi-
(Marathenkriege 1775–1782; 1802–1805; kale und gemäßigte Richtung im Kon-
1817/18); Kriege der Briten auch mit dem gress; 1906 Gründung einer eigenen Frei-
Hindureich Maisur im Süden (1765– heitsbewegung der indischen Moslems,

423
Indien

der Moslemliga. Nach dem 1. Weltkrieg, Bharat und ↑ Pakistan, doch dauerte die
in dem I. dem Britischen Empire wertvolle Auseinandersetzung zw. Hindus und Mos-
Dienste leistete, forderte das ind. Volk die lems an; blutige Verfolgung der Hindus im
Selbstverwaltung; hinduist. Kongresspar- Pandschab, Moslemmassaker in Delhi
tei und Moslemliga hatten noch im Krieg (über 200 000 Tote); fast unlösbare Flücht-
gemeinsames Vorgehen vereinbart (Befrei- lingsprobleme (über 15 Mio. Heimatlose)
ungsabkommen von Lucknow, 1916); Ab- und Grenzstreitigkeiten; im Okt. 1947
lehnung der brit. Verfassung von 1919; Moslemaufstand in ↑ Kaschmir, von paki-
das Blutbad von Amritsar (April 1919) stanischen Truppen unterstützt, das Kasch-
verschärfte die Spannung: Moslemliga mirproblem kam vor die UN; Gandhis Be-
antwortete mit Aufständen, die Kongress- mühungen um Versöhnung scheiterten;
partei unter Führung ↑ Gandhis organi- 1948 wurde er ermordet. – Nach Ab-
sierte „Noncooperation“, gewaltlosen Wi- schluss der Eingliederung aller 555 ind.
derstand und Boykott britischer Waren; Fürstenstaaten wurde I. 1949 selbständige
Gandhis Methoden des zivilen Ungehor- Republik; 1950 föderative Verfassung mit
sams lähmten – trotz Einkerkerungen und starker Zentralgewalt (alle Gesetze der
Ausnahmezustand – immer mehr den Ver- Bundesländer bedürfen der Unterschrift
waltungsapparat; 1929 forderte die radi- des ind. Staatspräsidenten); das neue I.
kale Mehrheit des Kongresses unter Füh- umfasst 21 Bundesstaaten, 9 Unionsterri-
rung des jungen ↑ Nehru (nach dem Vor- torien. Das Protektorat Sikkim erhielt
bild der Unabhängigkeitserklärung der 1974 den Status eines „assoziierten Staates“
USA von 1776) völlige Unabhängigkeit der Ind. Union. Seit 1965 ist Hindi offizi-
Indiens; die brit. Regierung versuchte Ver- elle Landessprache. Hauptstadt Delhi; I.
ständigung in ↑ Round-Table-Konferen­ wurde Mitglied des ↑ Commonwealth;
zen, die Gegensätze unter den ind. Vertre- Rajendra Prasad 1. Präsident der Union;
tern erschwerten jedoch eine Lösung des 1950 Abschluss eines Minderheitenschutz-
Konflikts; 1935 Zubilligung einer neuen abkommens zw. I. und Pakistan; 1951/52
Verfassung, die 1937 in Kraft trat: I. wurde erste Wahlen; 1952 wurde Kaschmirs Ver-
Bundesstaat mit beschränkter Selbstregie- teidigung, Außenpolitik und Verkehrsnetz
rung; Burma trennte sich von Indien von I. übernommen; 1953 Neubildung
(1943 unabhängig); im Gegensatz zur des Teilstaates Andhra; Pakistan (Haupt-
Moslemliga beteiligte sich die Kongress- stadt Karatschi) nennt sich seit 1956 „Is-
partei an der Regierung, trat jedoch nach lam. Republik“. 1959 Grenzstreit und mi-
Kriegsbeginn (1939) in die Opposition; litär. Zwischenfälle mit Rot-China; 1961
das Experiment des Kongresspräsidenten militär. Annexion der portug. Enklaven
Bose, 1938/39, mit „Ind. Nationalarmee“ Goa, Damao und Diu. – 1971 betrug die
die Freiheit zu erkämpfen, blieb Episode; Bevölkerung Indiens 550 Mio. Einwohner
neuer Ungehorsamsfeldzug Gandhis und bei starkem Geburtenzuwachs (1961
erneute Einkerkerungen, Unruhen, Läh- 439 Mio.). Gründung des „Rates für Nati-
mung der nationalen Kräfte. – 1945 war onale Integration“ durch Nehru zur Besei-
das in Großbritannien zur Regierung ge- tigung des Gegensatzes Nord-Süd, der
kommene Labour-Kabinett bereit, die Au- sprachlichen und rel. Zersplitterung, der
tonomie zu gewähren; 1946 Eröffnung der Schriftvielfalt, des Regionalismus und der
ind. Verfassunggebenden Versammlung Bevorzugung bestimmter Kasten bei der
(ohne Vertreter der Moslemliga); 1947 Ämtervergebung. Die Kongresspartei re-
Teilung Indiens in 2 unabhängige Staaten gierte seit den ersten Wahlen 1951 von
(mit Dominionstatus): die Ind. Union = 1952–1964 unter Nehru, 1964–1966 un-

424
Indochina

ter Shastri, 1966–1977 und 1980–1984 lungen. Bei den Parlamentswahlen


unter Indira Gandhi; unterbrochen 1977– Mai 2004 überraschender Sieg der Oppo-
1980 durch die Janata-Partei, Ministerprä- sitionsführerin Sonia Gandhi.
sident Desai; der Grund war die Verhän- Indochina, im MA Gebiet hinduistische
gung des Ausnahmezustandes und die Ver- Reiche unter chin. Oberhoheit, seit dem
haftung von Oppositionsführern durch 16. Jh. in die christl. (kath.) Mission ein-
Gandhi, nachdem ihr korrupte Wahlprak- bezogen; 1787 Beginn der frz. Kolonial­
tiken nachgewiesen wurden. 1984 wurde herrschaft: Erwerb erster Stützpunkte
Indira Gandhi auf dem Höhepunkt der durch Vertrag mit dem unabhängigen Kai-
Auseinandersetzung mit den separatis­ serreich ↑ Annam; im 19. Jh. wurden Chri-
tischen Bestrebungen der Sikhs ermordet. stenverfolgungen Anlass zur Ausdehnung
Nachfolger als Premierminister wurde ihr des frz. Kolonialbesitzes (in den 1860er
Sohn Rajiv Gandhi; regierte bis 1989. – Jahren Erwerb Kotschinchinas mit Sai-
Unter Nehru und bes. unter seiner Tochter gon; freiwilliger Anschluss Kambodschas
I. Gandhi Hinwendung I.s zum Sozialis- als Schutzgebiet; 1883 wurde Annam frz.
mus, Industrialisierung und Verbesserung Protektorat), 1884 vertraglicher Verzicht
der Ernährungslage. Die Außenpolitik Chinas auf seine Ansprüche auf I., doch
Nehrus machte I. zu einem führenden 1884/85 frz.-chin. Krieg (auch Tonkin
Mitglied der blockfreien Staaten. Der wurde frz.); 1887 Zusammenfassung der
Konflikt mit Pakistan konnte 1966 auf der bisher erworbenen Gebiete als Frz.-I., er-
Konferenz von Taschkent unter sowjet. weitert durch Abtretungen Siams, 1893
Vermittlung beigelegt werden. Wegen wurde Laos, 1907 das von Thaistämmen
amerikanischer Waffenlieferungen an Pa- bewohnte Gebiet von Battambang einbe-
kistan und der Kaschmirfrage kam es aber zogen (ein Grenzstreifen Kambodschas;
immer wieder zu Spannungen. Auch in- neuerdings von Siam zurückgefordert);
nenpolitisch hatte das Land weiter mit re- insgesamt ist I. ergiebige Rohstoffquelle
gionalen Konflikten zu kämpfen. Weder (Reis, Gummi) und Brücke für den Chi-
R. Ghandi noch seinem Nachfolger N. Rao nahandel. – Regungen einer Nationalbe-
gelang es, den anhaltenden Konflikt in wegung schon vor dem 2. Weltkrieg; 1944
Punjab zu lösen, wo es immer wieder zu Besetzung Tonkins durch die Japaner, die
Revolten von Sikhs kam. Außerdem gab es eine Nationalregierung bildeten; nach der
immer wieder Auseinandersetzungen zw. Kapitulation Japans Sturz des Kaisers Bao
den versch. Religionen: 2002 in West-I. Dai in Annam und Proklamierung der Re-
Kämpfe zwischen Hindus und Moslems publik Vietnam, die Annam, Tonkin und
mit zahlreichen Toten, 2003 in Bombay Kotschinchina umfasste, durch die natio-
Terroranschlag der extremistischen „Isla- nalrevolutionäre Vietminh-Bewegung un-
mischen Studentenbewegung Indiens“ ter Ho Tschi Minh; Laos und Kambod-
(SIMI) mit über 50 Toten. Sprunghaft an- scha wurden 1946 assoziierte Staaten der
steigende Bevölkerungszahl, 1998 rund Frz. Union; im gleichen Jahr Vertrag mit
50 % aller Inder unterhalb der Armuts- Frankreich, das Vietnam als unabhängigen
grenze. Zuspitzung des Kaschmir-Kon- Freistaat anerkannte und eine Sonderrege­
fliktes 1998 aufgrund unterird. Atomtests lung für Kotschinchina erreichte; der Ver-
I.s. Nach einem Anschlag auf das indische trag wurde 1946/50 revidiert; Bao Dai
Parlament (Dez. 2001) Verlegung von kehrte 1949 als Staatschef nach Vietnam
Mittelstrecken-Raketen an die Grenze. Im zurück und Kotschinchina wurde wieder
Nov. 2003 Waffenstillstand zw. I. und Pa- eingegliedert. Seit 1950 neue Kämpfe mit
kistan, seit Jan. 2004 bilaterale Verhand- den Vietminh, nach dem Fall der Festung

425
Indogermanen

Dien Bien Phu 1954 durch das Genfer den Gräbern der führenden Schicht; die
Abkommen Beendigung des Krieges; 1955 schön gestaltete Streitaxt war kult. Sym-
Abdankung Bao Dais, Teilung Vietnams bol; Dreiteilung der Bauernstämme in
in N-Teil und S-Teil (1975 nach Abzug Priester, Krieger, freie Bauern und Hand-
der amerik. Truppen aufgehoben); seitdem werker; bei der Ausbreitung Umschich-
ist I. in die Staaten ↑ Vietnam, ↑ Kambod- tung durch Vermischung mit nicht-indo-
scha und ↑ Laos geteilt. germischen Völkern. Von der Forschung
Indogermanen, Indoeuropäer (­fälschlich angenommen wird eine Aufspaltung der
↑ Arier genannt), das Kunstwort Indoger­ (rekonstr.) urindogermanischen Spra­che
manen weist auf die Inder und ­Germanen um 1800 v. Chr. in 2 Hauptdialektgrup-
hin, die bei der Begründung der I.-For- pen: die westl. Wald- oder Bauernvölk-
schung durch Franz Bopp (seit 1816) erdialekte und die östl. Steppen-, Hir-
als die äußersten Völker der indogerma- tenvölkerdialekte (nach der Beibehaltung
nischen Sprachfamilie vermutet wurden; oder Erweichung von „r“ zu „s“ auch als
der Name Indoeuropäer ist genauer, da ↑ Kentumsprachen bzw. ↑ Satem-Spra-
inzwischen die Kelten als der westlichste chen bezeichnet, nach lat. centum [ken-
Zweig erkannt wurden; auch bildeten den tum] und altpersisch satem = hundert);
östlichsten Zweig der I. nach heutiger in der Folge weitere sprachliche Unter-
Kenntnis nicht mehr die Inder, sondern gliederungen und Vermischungen durch
die Todrarer in O-Turkestan. Die I. waren Wanderbewegungen oder durch Übertra-
vermutlich um 3000 v. Chr. eine sprach- gung der indogerman. Kultur auf andere
und volksmäßige Gemeinschaft, die man- Völker (vielleicht im Zusammenhang mit
che mit den Schnurkeramikern gleichset- der ↑ Urnenfelderkultur): Indogerman.
zen; mehr Wahrscheinlichkeit hat die Be- Teilvölker oder Kultureinbrüche waren
ziehung zur Mischkultur der Trichterbe- sichtbar um die Mitte des 2. Jt. im Iran;
cher- und Donaukultur (↑ Neolithikum). in der 2. Hälfte des 2. Jt. in Indien; um
Umkreis der ersten Sprachverbreitung 1600 v. Chr. Einwanderung der indogerm.
war wohl der Raum vom südl. Skandina- Hethiter in Anatolien (um 1200 v. Chr.
vien und vom Rhein über Mittel- und S- von den ebenfalls indogerman. Phrygiern
Deutschland bis S-Russland (Kiew) und in aus dem Balkan abgelöst); Mitte des 2. Jt.
den nördl. Balkan (nach anderen war die in Griechenland, zur gleichen Zeit in Ita-
östl. Steppe Ausgangsraum, aus dem die lien; die Germanen siedelten in S-Skan-
Sprach-[oder Völker-]Gruppe sich west- dinavien und N-Deutschland, die Kelten
wärts nach Mitteleuropa bewegt habe); in SW-Deutschland und N-Frankreich,
Zeit ihrer Aufgliederung in Einzelvölker dehnten sich dann weiter nach SW, Süden
wohl um 1800 v. Chr.; vor der Aufspaltung und SO aus; die indogermanischen Slawen
waren die jungsteinzeitlichen I. nomadi- drangen um die Mitte des 1. Jt. n. Chr. aus
sierende Hirten oder siedelnde Bauern, dem Raum zwischen Dnjepr, Djnestr und
die Hacke, Pflug, Egge und Sichel ver- Weichsel nach Westen und Süden vor. Zu
wandten und Schaf, Rind und Pferd züch- den lebenden indogerman. Sprachen ge-
teten; ihre Gesellschaft war vaterrechtlich hören die Reste der keltischen Sprachen
organisiert mit dementsprechend männl. mit Irisch, Gälisch (Schottland), Kymrisch
Göttern (Kult der Sonne, die sie auf einem (Wales), Bretonisch (Bretagne); das Ita-
von Pferden gezogenen Wagen als Scheibe lische mit Latein und den daraus sich ent-
darstellten, oder des menschengestaltigen wickelnden ↑ romanischen Sprachen; das
Himmelskönigs); ihre Toten begruben sie Germanische mit Englisch, Friesisch, Nie-
in Einzelgräbern mit reichen Beigaben in derländisch, Deutsch, Isländisch, Norwe-

426
Induskultur

gisch, Dänisch, Schwedisch; das Baltische munist. Putschversuch wurde 1965 von
mit Litauisch und Lettisch; das Slawische der Armee unter der Führung von Gene-
mit Polnisch, Bulgarisch, Serbo-kroatisch, ral ↑ Suharto niedergeschlagen. Suharto
Tschechisch, Wendisch, Weißrussisch, wurde als Nachfolger Sukarnos 1968 zum
Ukrainisch, Russisch; die iran. Sprache Präsidenten der Republik I. gewählt. Su-
mit Kurdisch, Ossetisch, Persisch, Belu- harto verfolgte eine neutralistische und
tschi (Belutschistan), Afghanisch und den antikommunistische Außenpolitik. Seit
Pamir-Dialekten; die ind. Sprachen. Aus- 1963 gehört Niederländisch-Neuguinea
gestorben sind u. a. Umbrisch, Oskisch, zu I. 1975 griffen indonesische Truppen
Venetisch, Gotisch, Illyrisch, Thrakisch, in den Bürgerkrieg in Portug.-Timor ein,
Phrygisch, Hethitisch, Tocharisch. 1976 wurde das Territorium trotz Protests
Indoiranier, ↑ Arier. der UN an I. angeschlossen. Seit 1976 Zu-
Indonesien, ehemals Niederländ.-Indien, strom von Flüchtlingen aus Indochina;
auch Insulinde gen.; malaiische Bevölke- Ende 1980 Ausschreitungen militanter is-
rung; im älteren und mittleren Pleistozän lamistischer Gruppen (Staatsbevölkerung
der Lebensraum des Frühmenschen Pithe- I.s bekennt sich zu über drei Vierteln zum
canthropus erectus, 1891/92 auf Java ent- Islam) gegen die auslandschinesische Min-
deckt); im Neolithikum mehrere Einwan- derheit.
derungswellen protomalaischer Stämme Induskultur (Harappa-Kultur), eine der
aus dem asiat. Festland; in den ersten frühesten Hochkulturen der Erde, aus
Jh, n. Chr. durch Hindu Gründung meh- Dorfkulturen im damals fruchtbareren
rerer Königreiche, im 15. Jh. Islamisierung Indusgebiet des 4. und 3. Jt. hervorge-
(außer Bali); im 16. Jh. portug. Handels- gangen, Herkunft noch ungeklärt, doch
niederlassungen (Gewürzhandel); seit schon früh Beziehungen zu den Kulturen
1602 (Gründung der Niederländ.-Ost- des Alten Orients, vor allem zu Sumer
ind. Kompanie) von den Holländern etap- und Bah­rain; Erforschung durch Ausgra-
penweise erobert, Quelle des niederländ. bungen erst seit 1921; bisher 100 Han-
Wohlstandes; 1798 Auflösung der Kom- delsplätze festgestellt: im Industal, der
panie und 1816–1945 Verwaltung durch oberen Gangesebene und in Gujarat bis
das Mutterland; 1942 von den Japanern zum Golf von Khambat und der Halb-
besetzt, die eine indones. Nationalregie- insel Kathiawar am Ind. Ozean. Haupt-
rung unter Achmed ↑ Sukarno einsetzten; grabungsplätze: Mohendscho-Daro, Ha-
nach Japans Kapitulation „Indones. Repu- rappa, Chanhudara und der große Hafen
blik“ ausgerufen und Kämpfe gegen brit. Lothal (mit Kais, Torschleuse und Heilig-
Truppen, nach deren Abzug (1946) ge- tum einer Seefahrergöttin); Blütezeit der I.
gen die zurückgekehrten Niederländer, die von ca. 2700–1500 v. Chr., bis Klimaver-
trotz Einspruchs der UN das Gebiet der schlechterung (Ausbleiben des Monsunre-
Republik zurückeroberten; nach langwie- gens), Notstände und indoiran. Völker ihr
rigen Verhandlungen im Haag 1949 An- ein jähes Ende setzten. Einheitliche, fast
erkennung der „Republik der Vereinigten uniforme Kultur und Zivilisation, Vieh-
Staaten von I.“ (durch Status bis 1954 zucht, Viehhaltung (Zebu, Kurzhornrind,
lose mit der Krone verbunden); 1950 Um- Büffel, Elefant, Schaf, Hund) und Acker-
wandlung des Staatenbundes in einen Ein- bau waren Voraussetzungen für das Leben
heitsstaat mit 10 Provinzen; erster Präsi- in den großen Städten (Anbau von Ger-
dent Sukarno, Hauptstadt Djakarta (Bata- ste, Weizen, Sesam, Felderbsen, Baum-
via) auf Java; 1954 endgültige Lösung der wolle; Bau von Getreidesilos; statt Mühlen
Union mit den Niederlanden. Ein kom- Getreide­stampfer); einheitliches Maß- und

427
Industrie

Gewichts­system. Verwaltungsmittelpunkte rausgegangen war und in seiner Stellung


waren wohl die durch Flussschifffahrt als führender I.-Staat erst um 1900 von
verbundenen Städte Mohendscho-Daro Deutschland und den USA eingeholt
am unteren Indus und Harappa im Pan- wurde; die durch die Weltkriege 1914–
dschab; die Städte nach Plan gebaut, nach 18 und 1939–45 erzwungenen autarken
Zerstörungen nach Plan wiedererrichtet, Wirtschaftsformen in vielen Ländern wur-
mit rechtwinklig sich kreuzenden Straßen, den zum Hauptanlass von Industrialisie-
Straßen- und Hauskanalisation, Häusern rungsbestrebungen in einer Reihe bis da-
mit Innenhöfen und Wasserzapfstellen, hl. hin industriefreier Staaten.
Bädern, öffentlichen Gebäuden, verstaat- Ingelheim (Rheinhessen), ehem. Kaiser-
lichten Läden, Werkstätten, Ziegeleien, pfalz und Oberhof; erbaut um 770 von
Weber- und Töpferbetrieben; in der Um- Karl d. Gr. und zeitweise seine Residenz;
gebung Bewässerungskanäle und Damm- mehrere Reichsversammlungen und Syno-
bauten gegen Überschwemmungen; in den: Auf dem Fürstentag zu I. wurde 1105
jeder Stadt hochragende Zitadelle, die Heinrich IV. genötigt, zugunsten seines
wahrscheinlich als Residenz des Priester- Sohnes (Heinrich V.) abzudanken; Erneu-
königs und Kultstätte zugleich diente; die erung der Pfalz durch Kaiser Friedrich I.
Zivilisation der herrschenden Klasse bron- Ingermanland, historische Landschaft
zezeitlich, die der dienenden Klasse jung- am Finnischen Meerbusen (zwischen La-
steinzeitlich mit Feuersteinwerkzeug, pri- dogasee, Newa, Narwa), ehemals unter
mitiven Töpferwaren und Tonschmuck; der Herrschaft Nowgorods, im 14. Jh.
Kult einer Muttergottheit, hl. Bäume, bei Schweden, dann zum Großfürsten-
eines gehörnten Fruchtbarkeits-Gottes; tum Moskau, 1617 (Friede von Stolbowa)
Zeugnisse der Kunst: Stempelsiegel aus durch Gustav II. Adolf wieder schwedisch;
Speckstein mit (nur z. T. entzifferten) durch den ↑ Nord. Krieg 1721 (Friede von
Schriftzeichen und Darstellung von Was- Nystad) unter Peter d. Gr. endgültig rus-
serbüffeln, Zebu­ochsen, Elefanten, Rhino- sisch (Russland stieß „das Fenster zur Ost-
zerossen und Fabelwesen; Kalkstein- und see“ auf ).
Bronze­statuetten; Sexualsymbole; Stein- Ingolstadt, bedeutende Universität (gegr.
und Knochenwerkzeuge; Silber-, Fayence- 1472 von Ludwig d. Reichen von Bayern);
, Glas-, Edelsteinschmuck, Kupferspiegel; Wirkungsstätte zahlreicher Humanisten
Bronzewaffen; Bälle, Spielfiguren. Aufge- (Celtis, Aventin, Reuchlin); durch Johan­
fundene Skelette lassen sowohl langköp- nes ↑ Eck und ↑ Canisius Hochburg des
fige, schmalgesichtige wie mongolenartige Katholizismus und theolog. Lehrstätte;
Menschen erkennen. Todesort ↑ Tillys; die Universität 1802
Industrie (lat. industria = ­ Gewerbefleiß), nach Landshut verlegt.
im Gegensatz zu der im MA und bis ins Inka, altamerik. indianischer Kulturkreis
18./19. Jh. vorherrschenden kleinhand­ in Peru, Ecuador, Chile, Bolivien; der
werklichen Produktionsweise die gewerb­l. eigtl. I.-Kultur gingen v. a. in Peru meh-
Großproduktion in Fabriken mit Kraft- rere lokal begrenzte Kulturen voraus,
und Arbeitsmaschinen auf der ­Grundlage die ins 2. Jt. v. Chr. zurückreichten; um
des privat- oder staatskapitalist. Wirt- 1000 v. Chr. war in den Hochtälern der
schaftssystems (↑ Kapitalismus); Ausgangs­ Anden wie an den Flüssen und in der an
land der mod. Großindustrie (Schlüssel­ sich unwirtlichen Küstenzone der Acker-
stellung von Kohle und Eisen) war Groß­ bau hoch entwickelt, formenreiche Ke-
britannien, das in der 2. Hälfte des 18. Jh. ramik, Webarbeiten, zweiräumige Häu-
mit der „Industriellen Revolution“ vo- ser, erste Tempelanlagen sind nachgewie-

428
Innozenz

sen; um 800–300 v. Chr. entwickelte sich hebungen; histor. deutliche Überlieferung


ein dem Stil der Chou-Zeit Chinas ver- erst seit dem 9. I, dem großen Gesetzgeber
gleichbarer Kunststil mit dämonenhaften Pachacutec (1438–1471), unter dem die
Tierfiguren; in dieser Zeit Anfänge einer Reichsgrenzen bis Quito (Ecuador) und
Schrift, stadtähnliche Siedlungen und Be- bis zum Fluss Maule vorgeschoben wur-
wässerungsanlagen; um 800 Anfänge der den; kulturelle Hochblüte, Pflege der Wis-
betont sakralen Tiahuanaco-Kultur am Ti- senschaften, keram. Reliefkarten für das
ticacasee (Mittelpunkt Tiahuanaco = Son- Reich; weitere Eroberungen durch seinen
nentor, Kult- und Wallfahrtszentrum, das Sohn Topa I. Yupanki (1471–1491) und
bis etwa 1000 n. Chr. bestand, mit Son- Wayna Kapak (1493–1527): Vordringen
nenobservatorium, Kolossalstatuen und im nördl. Bergland, Vollendung des Stra-
figürlich ornamentierten Textilien); in ßennetzes („Königsstraßen“, doch ohne
vorchristl. Zeit (seit etwa 300) in Peru be- Wagenverkehr); die I.-Kultur von Einfluss
reits Zeugnisse für astronom. und medi- über die Grenzen hinweg; nach seinem
zin. Wissenschaft, reiche Goldschmiede- Tod Reichsteilung (Thronfolgestreit) und
arbeiten. – Nach der Zeitwende bis zum Bürgerkrieg. 1532 Eindringen der Spanier
Auftreten des Stammes der Inka bestan- unter ↑ Pizarro, der I. Atahualpa (1525–
den vielerorts kleinere und größere Herr- 1535), der Urenkel Pachacutecs, wurde ge-
schaftsbereiche. Um 1200 n. Chr. erstand fangengenommen und hingerichtet, Ende
aus der Zusammenfassung mehrerer dieser des I.-Reiches damit besiegelt; der Empö-
Reiche das große Inka-Reich; Mittelpunkt rungsversuch des nach dem Einzug der
war das Hochtal von Cuzco mit der gleich- Spanier gekrönten, jungen I. Manco Ka-
namigen Hauptstadt und der Feste Huau- pak 1536/37 brach zusammen; er zog sich
aman mit dem reichsten Sonnentempel in das Gebirgsland um Machu Picchu zu-
Amerikas; die Führung hatte die adlige rück, die von ihm gegründete Herrschaft
Sippe der Inka (I. war die Bezeichnung hielt sich noch bis 1572.
für Herrscher, auch für den Adel, aus dem Innozenz (Innocenz), Name von 13 Päps­
der regierende I. hervorging, allg. auch für ten, darunter: 1) I. II. (1130–1143), for-
das Volk); Reichsherrscher war der Son- mal unrechtmäßig gegen ↑ Anaklet II. ge-
nengott, sein Vertreter war der I.-König, wählt; erst dessen Tod (1138) beendete
neben dem der mächtige Hohepriester der endgültig das Schisma. 2) I. III. (1198–
Sonne stand; die Mumien der Herrscher 1216), verkörperte die päpstliche Macht
wurden kultisch verehrt, die Hauptver- auf ihrem Höhepunkt, erneuerte als Vor-
ehrung galt der Sonne, dem Sonnengott, mund Friedrichs II. die päpstliche Lehens-
dem Tier- und auch Menschenopfer dar- hoheit über Sizilien, vergrößerte den Kir-
gebracht wurden; Luxus blieb dem I.-Adel chenstaat, erstrebte Entscheidungsgewalt
vorbehalten; die gesellschaftliche Ord- im dt. Thronfolgestreit (1210 Bann gegen
nung war die eines rel. bestimmten Staats- den anfangs begünstigten Otto IV.) und
sozialismus mit zentral gelenktem Beam- im engl.-frz. Krieg, zwang Peter von Ara-
ten- und Aufsehertum; den Untertanen gon und Johann Ohneland von England
war einfache Nahrung und Kleidung ge- zur Anerkennung der päpstlichen Lehens-
sichert, auch im Alter und bei Krankheit; herrschaft, bestätigte Franziskaner- und
sie waren in Hundertschaften zu Fron- Dominikanerorden, verteidigte unerbitt-
und Gemeinschaftsarbeit verpflichtet, mit lich die päpstliche Oberhoheit über Kai-
bes. Organisation für Kriegszeiten; eigen- ser und Könige und die Einheit der Kir-
artige Knotenschrift („Quipu“) als Hilfs- che (Kreuzzug gegen die ↑ Albigenser)
mittel beim Rechnen und für statist. Er- und berief 1215 als krönenden Abschluss

429
Innsbruck

seines Wirkens das 4. ↑ Laterankonzil. verurteilten lange Zeit Gewaltmaßnah-


3) I. IV. (1243–1254), erbitterter Gegner men; seit der Mitte des 12. Jh. Bejahung
der den Kirchenstaat bedrängenden Ita- der Bestrafung der Häretiker durch geist-
lienpolitik ↑ Friedrichs II., den er 1245 auf liche Gerichte und staatliche Exekutionen;
der Synode von Lyon als Ketzer erklärte das 4. Laterankonzil 1215 stellte allg. Re-
und absetzen ließ (Erhebung von Gegen- geln für das Vorgehen gegen die Ketzer auf
königen); setzte auch nach dessen Tod den und bedrohte die Fürsten, die nicht gegen
Kampf gegen die Staufer in Italien fort. Ketzer vorgingen, mit Exkommunikation
Innsbruck, Hauptstadt von Tirol, Öster- und Länderentziehung; Gregor IX. orga-
reich; 1180 von den bayer. Grafen von nisierte das kirchl. I.-Verfahren und er-
Andechs gegr., erhielt 1239 Stadtrecht, nannte päpstliche Inquisitoren (1231),
1420–1490 Residenz der Tiroler Linie meist Dominikaner und Franziskaner. Die
der Habsburger (ebenso 1564–65); 1805– I. (anfangs Wandergericht, dann ständiges
1814 gehörte es zu Bayern, wurde aber Tribunal in den einzelnen Ländern un-
nach dem Sturz Napoleons wieder Lan- ter einem Generalinquisitor) wendete zur
deshauptstadt. Erreichung von Geständnissen auch die
Innung, ↑ Zunft, Gilde. Folter an, die aus dem ital. auch ins dt.
Inönü, Ismet (bis 1934 Ismet Pascha), Strafrecht übernommen wurde; der Voll-
türk. General und Politiker, 1884–1973; zug der Strafe (u. a. Verbrennung, Enteig-
Generalstabschef Kemal Atatürks bei der nung) wurde den weltl. Behörden über-
Errichtung der neuen Türkei, 1921/22 lassen, Haupttätigkeitsfeld der I.: Spanien
Sieger über die Griechen (u. a. bei Inönü (Großinquisitor Torquemada; Aufhebung
in Anatolien, daher Ismets späterer Name); der I. erst 1806 durch Joseph Bonaparte),
1925–1937 Ministerpräsident, nach Ke- Portugal (Aufhebung erst 1820), Kirchen-
mals Tod 1938 Vorsitzender der Volkspar- staat (Aufhebung 1870) und Frankreich;
tei und Staatspräsident; betrieb die Zulas- daneben Deutschland, die Niederlande
sung einer Oppositionspartei (Demokrat. und England; die skandinav. Länder blie-
Partei) und trat nach deren Wahlsieg 1950 ben weitgehend verschont. Seit 1908 Hl.
zurück (Nachfolger: Celal Bayar); förderte Offizium als oberste Instanz für Abwei-
dadurch die zunehmend demokratische chungen vom röm.-kath. Glauben und für
Entwicklung der Türkei; 1960 nach dem die Indizierung zuständig; 1965 in Glau-
Staatsstreich General Gürsels Führer der benskongregation umgewandelt, Präfekt
Volksrepublikan. Partei, 1961–1965 Mi- ist der Papst.
nisterpräsident, 1972 Parteiaustritt wegen Integration, ein dem mathemat. Wort-
des Linkskurses der Volksrepublikanischen schatz entlehnter polit. Begriff, geprägt
Partei. erst in der jüngsten Vergangenheit zur Be-
Inquisition (lat., Untersuchung), richter- zeichnung für rückhaltlose Zusammen-
liche Verfolgung der Ketzerei (im weitesten arbeit und den Zusammenschluss auf ge-
Sinne; Albigenser, scheinchristl. Juden und meinsamer Ebene; im bes. die angestrebte
Mauren, Beghinen, Hussiten, Hugenot- polit. Einigung Europas.
ten usw., aber auch ↑ „Hexen“ und dgl.) Interdikt (lat., Verbot), das päpstliche I.
durch die von der kath. Kirche eingesetz- als Kirchenstrafe bedeutete die Untersa-
ten Glaubenstribunale. Gegen Häretiker gung aller kirchlichen Tätigkeit gegenüber
wurden im Frühchristentum geistl. Zucht- einer Einzelperson in einer Stadt, einem
mittel angewendet; christl. röm. Kaiser be- Bezirk oder einem Land; es durften weder
straften Häresie mit Verbannung, Güter- Sakramente gespendet noch Messen gele-
konfiskation und Tod; christl. Theologen sen oder die Glocken geläutet werden.

430
Invasion

Interim (lat., inzwischen), in der Refor- büros“ (Kominform) wiedererrichtet; um-


mationszeit einstweilige reichsgesetzliche schloss bis 1956 die kommunist. Parteien
Kompromisslösung in Glaubenssachen: Osteuropas, Frankreichs, Italiens und der
Regensburger I. 1541 (nicht abgeschlos- Niederlande, Sitz urspr. in Belgrad, nach
sen, am Widerstand der Fürsten geschei- dem Abfall Titos in Bukarest. – 1951 Neu-
tert); Augsburger I. 1548 (im Leipziger I. gründung der Sozialist. I. aus den Sozial-
für Sachsen und Brandenburg zugunsten demokrat. Parteien der Länder. 2) Analog
der Protestanten abgeschwächt): Das Augs­ prägte man auch die Schlagworte von der
burger I. gewährte den Protestanten Lai- „Goldenen I.“ (Hochfinanz), der „Schwar-
enkelch und Priesterehe, rief aber auf ka- zen I.“ (kath. Kirche), der „Grünen I.“
tholischer wie protestantischer Seite Miss- (Landwirtschaft) u. a. 3) I. wird auch das
trauen und weitgehende Ablehnung her- 1871 von E. Pottier verfasste und von
vor und wurde im ↑ Passauer Vertrag 1552 P. Degeyter vertonte Kampflied der Inter-
aufgehoben. nationalen Sozialistischen Arbeiterbewe-
Internationale, 1) Sozialist. I., Zusammen­ gung genannt.
schluss zum gemeinsamen Kampf der So- Interregnum (lat., Zwischenherrschaft),
zialisten aller Länder. Erste I. (Internati- allg. die Zeit zw. dem Ende der Regie-
onale Arbeiterassoziation) im Sinne des rungszeit eines Herrschers und dem Regie-
↑ Kommunist. Manifestes 1864 von Karl rungsantritt seines Nachfolgers; im bes. die
Marx in London gegründet (Mitglieder Zeit nach dem Ende des stauf. Kaisertums
Einzelpersonen, noch nicht Parteien), (1254) und dem Tod König Wilhelms
1872 infolge der Spaltung (↑ Bakunin) 1256 bis zur Wahl Rudolfs von Habsburg
aufgelöst. – Zweite (sozial-demokratitsch) 1273, gekennzeichnet durch das Schein-
I., 1889 in Paris gegründet, forderte den königtum ausländ. Fürsten (Richard von
Achtstundentag, setzte sich in Demonstra- Cornwall und Alfons von Kastilien); ohne
tionen (Basel 1912) für die Erhaltung des Machtgrundlage wegen der Ausbildung
Friedens ein und zerfiel, als dennoch der des Kurfürstenkollegiums, der Machtstei-
1. Weltkrieg ausbrach. – Nach 1919 vorü­ gerung der Reichsfürsten zu vollprivile-
bergehend eine Linkssozialist. I. – 1923 gierten Landesherren und des Niedergangs
Wiederherstellung der Zweiten I., die in des Ritterstandes; in engem Zusammen-
scharfem Gegensatz zur Moskauer I. stand; hang damit Fehdewesen, Raubrittertum
die führende Rolle war von der dt. Sozialde- und Bündnissysteme der Städte.
mokratie an die brit. Labour Party überge- Invaliden- und Altersversicherung, ↑ So-
gangen; auch nach dem 2. Weltkrieg lebte zialversicherung.
sie (in noch loserer Form) als „Internat. Invasion (lat. invadere, eindringen), Ein-
Sozialist. Konferenz“ (engl. abgekürzt Co- fall, bes. über ein Meer hinweg (z. B. I.s-
misco) wieder auf. -Dritte Kommunist. I. Pläne Napoleons I. und Hitlers gegen
(= Komintern), 1919 von Lenin in Mos- Großbritannien). – Im 2. Weltkrieg die
kau gegr., im Gegensatz zur Zweiten I. größte kombinierte Landeoperation der
mit straffer Disziplin und zentraler Lei- Kriegsgeschichte, ausgeführt von den al-
tung, im 2. Weltkrieg 1943 von Stalin for- liierten Westmächten im Juni 1944 zur
mell aufgelöst; die 1934 von Trotzki gegr. Bildung der „Zweiten Front“ gegen Hit-
Vierte I. blieb ohne Bedeutung (gegen die ler; Vorbereitung seit Sept. 1941; 1942
Komintern 1936 Bildung des Antikomin- durch General Eisenhower ­ Ausarbeitung
ternpakts zwischen Deutschland, Japan, des „Overlord-Planes“ für eine ­ Landung
Italien, Ungarn, Spanien u. a.). 1947 die in N-Frankreich und Bereitstellung
Komintern als „Kommunist. Information- von US-Land- und -Luftstreitkräften in

431
Investitur

Großbritannien; Juli 1943 Landung von die Auseinandersetzung erreichte ihren


Briten und Amerikanern auf Sizilien, im Höhepunkt 1075 zwischen Gregor VII.
Sept. 1943 in Kalabrien, bei Salerno und und Heinrich IV.; Abschluss des Kampfes
Anzio bei Rom; Febr. 1944 wurde Eisenho- unter Heinrich V. durch den Kompromiss
wer Oberbefehlshaber der Invasionsstreit- des ↑ Wormser Konkordats 1122.
kräfte; 6. Juni Hauptinvasion in der Nor- Ionier, (Ioner), einer der drei griechischen
mandie zwischen Cherbourg und Caen; Hauptstämme, gelangten mit der ­ ersten
nach und nach Einsatz von 3 Mio. Solda- indogermanischen Einwanderungswelle
ten, 13 000 Flugzeugen, 198 Kriegsschif- im 2. Jt. v. Chr. nach Griechenland, von
fen, 6500 Transportschiffen; Errichtung den später einrückenden Dorern z. T. ver­
künstlicher Hafenanlagen, Erdölleitungen drängt, Hauptträger der griech. Kolonisa­
quer durchs Meer; insgesamt Landung von tion; Hauptsitze im 8./7. Jh. v. Chr.: At-
400 000 Fahrzeugen 4 Mio. t Material und tika, Euböa, Chalkidike, die gegenüber-
2 Mio. Soldaten in einem Zeitraum von liegenden Inseln der Ägäis (Chios, Samos)
2 Monaten; am 1. Aug. 1944 Durchbruch und die Küsten Kleinasiens (Ephesos, Mi-
ins Innere Frankreichs, 15. Aug. weitere let), die Küsten Unteritaliens und Siziliens
Invasion bei Toulon, während im Osten (↑ Groß-Griechenland) und des Marmara-
die Großoffensive der Roten Armee ein- und Schwarzen Meeres. – Die I. waren der
setzte. kulturell höchststehende, maritim und
Investitur (lat., Einkleidung, Einsetzung); lange Zeit auch politisch führende Stamm
im MA Zeremonie der Belehnung von Griechenlands (Athen) und trugen die
Klerikern, die urspr. mit der Übergabe der Hauptlast des Kampfes gegen die Perser.
kirchlichen Symbole Ring und Stab durch Ionieraufstand, 500–494 v. Chr.; Erhe-
den weltlichen Grundherrn erfolgte, sie bung der ionischem Städte Kleinasiens
bedeutete anfangs nur die Belehnung mit gegen den Perserkönig Darius I.; nach An-
gewissen Gütern und Rechten, die mit fangserfolgen (Eroberung von Sardes 498)
einem geistlichen Amt verbunden waren 494 v. Chr. (Zerstörung von Milet) nieder-
(Kirchenpfründe, Regalien, ↑ Eigenkirchen­ geworfen; die Unterstützung der Ionier
recht); in der Zeit der päpstlichen Macht- bes. durch Athen entfesselte die ↑ Perser-
losigkeit (vor allem im 10. Jh. und Anfang kriege (↑ Griechenland).
des 11. Jh.) verwischten sich die Grenzen Ipsos in Phrygien, 301 v. Chr. Niederlage
zw. weltlicher Belehnung und kirchlicher und Tod des Antigonos im Kampf gegen
Amtseinsetzung; die I. bedeutete nun auch die Heere der gemeinsam verbündeten
zugleich die Betrauung mit einem geist- Diadochen Kassander, Lysimachos, Pto-
lichen Amt. Aus dem Widerstand der Kir- lemäos und Seleukos (Ende des 1. Diado-
che gegen diese „Laien­investitur“ in rein chenkrieges).
kirchliche Funktionen entwickelte sich der IRA, Abk. für Irisch-Republikanische Ar-
folgenreiche I.-Streit zw. Papsttum und mee, irische Terrororganisation; gegr. 1916,
Kaisertum; es ging um die Frage, ob der kämpfte im 1. Weltkrieg und danach gegen
weltliche Herrscher das Recht habe, Geist- Großbritannien mit dem Ziel eines gesamt­
liche durch Verleihung der kirchlichen irische Einheitsstaates; 1936 in Irland ver-
Symbole Ring und Stab in ihr geistliches boten. Seit 1949 v. a. in ↑ Nordirland wie-
Amt einzusetzen; die I. hatte für die Kö- der aktiv. 1969/70 Spaltung in den gemä-
nigsmacht entscheidende Bedeutung, da ßigten Flügel der „Officials“ und den ra-
die Kirchenfürsten gleichzeitig Lehens- dikal-marxist. Flügel der „­Provisionals“,
träger des Reiches waren und damit ent- auf deren Konto seitdem zahlr. Terroran-
scheidenden politischen Einfluss besaßen; schläge gingen. Nach 25 Jahren Bürger-

432
Irak

krieg in Nordirland verkündete die IRA zungen zum ersten ↑ Golfkrieg aus. Es ent-
1994 einen Waffenstillstand und erklärte wickelte sich ein Abnutzungskrieg mit ho-
sich zu Friedensgesprächen bereit; seither hen Verlusten für beide Seiten. Erst 1988
zahlr. Rückschläge im Friedensprozess. gelang durch die Vermittlung der UN ein
1998 Abschluss eines Friedensabkommens Waffenstillstand. – Konflikt mit den im
für Nordirland (Stormont-Abkommen: ­Grenzgebiet zum Iran und zur Türkei le-
Verpflichtung der IRA zur Abgabe ihrer benden, um ihre Autonomie kämpfenden
Waffen als Voraussetzung für die Bildung Kurden, gegen die der I. unter Verurtei-
einer nordir. Regionalregie­rung); aufgrund lung durch die Weltöffentlichkeit Giftgas
wiederholter ­Verzögerungen im Feb. 2000 einsetzte. Aug. 1990 Besetzung Kuwaits
Suspendierung der Regionalregierung (Auslöser des zweiten ↑ Golfkriegs). Trotz
durch die brit. Staatsregierung. innenpolit. Spannungen und der anhalten­
Irak, ehemals arab. Königreich, Kernge- den Kurdenproblematik konnte sich Sad-
biet ↑ Mesopotamiens, Hauptstadt Bag- dam Hussein weiter als Führer des I. be-
dad; seit 1534 bis Ende des 1. Weltkriegs haupten. UN-Handelsembargo, dramat.
Teil des türk. Reiches, doch schon bei Versorgungs­engpässe der Bevölkerung mit
Kriegsbeginn von den Engländern besetzt Nahrungsmitteln, erst im Mai 1996 Ab-
(Ölinteressen, bes. im Gebiet von Mos- schluss eines Abkommens über den Erdöl­
sul; Sicherung des Landweges nach Indien export und Lebensmittel­import („Oil-for-
(daher der brit. Widerstand gegen die von food-Resolution“). Im Juni 2001 ­Einigung
Deutschland finanzierte ↑ Bagdadbahn). mit Ägypten, Libyen und Syrien auf die
1920–1930 als eigener Staat brit. Man- Errichtung einer Freihandelszone zur Ver-
datsgebiet; 1921 wurde Feisal I. zum Kö- besserung ihrer wirtsch. ­Zusammenarbeit.
nig ausgerufen, 1926 Erwerb des Mossul- Im Mai 2002 Lockerung der Sanktionen
gebietes von der Türkei, 1932 volle Unab- durch den UN-Sicherheitsrat (mit der
hängigkeit; 1933 Festlegung der Grenze Stimme der USA), dennoch weiterhin
mit Syrien; 1955–59 Mitglied des ↑ Bag- starke Spannungen zwischen den USA und
dadpakts; 1958 Zusammenschluss mit dem I.; dieser ließ im Sept. 2000 erstmals
dem Königreich Jordanien in der ↑ Arab. seit 4 Jahren wieder UN-Waffeninspek-
Föderation; aufgelöst nach der nationalist. teure ins Land, vermutlich aufgrund der
Revolution General Kassems 1958 und Drohung der USA mit einem militärischen
dem Ende der Monarchie (Ermordung des Alleingang gegen den I. Im Frühjahr 2003
Königs, Bildung der autoritären Republik griffen die USA und ihre Verbündeten
I.); 1961 Konflikt um den Besitz Kuwaits. im sog. dritten ↑ Golfkrieg den I. an und
1962 schwerer Kurdenaufstand. 1968 stürzten S. Hussein (Gefangennahme erst
brachte ein Staatsstreich der nationalist. Dez. 2003). Zur Selbstverwaltung des I.s
Bath-Partei A. Bakr an die Macht, der eine setzten die USA nach Ende der Kampf-
Politik enger Anlehnung an die UdSSR be- handlungen einen irak. Regierungsrat zur
trieb. 1972 Unterzeichnung des irak.-sow- Ernennung eines Übergangskabinetts aus
jet. Freundschaftsvertrages. 1971 Abbruch 25 Ministern aller ethn. Gruppen und zur
der Beziehungen zum Iran und zu Groß- Verabschiedung einer Übergangsverfas-
britannien. Nachfolger Bakrs als Staatso- sung ein. Erste freie Wahlen im Jan. 2005
berhaupt und Regierungschef wurde 1979 überschattet von Terrorangst und Boykot-
Saddam Hussein. 1980 weiteten sich die taufrufen sunnit. Geistlicher; Wahlsieger
ideolog. und ökonom. Konflikte (Vorherr- die schiit. United Iraqi Alliance (Koaliti-
schaft in der ­ Golfregion) mit dem Iran onsregierung mit der Demokrat. Patriot.
durch vom I. ­vorgenommene Gebietsbeset- Allianz Kurdistans).

433
Iran

Iran, Republik in Vorderasien, das ehem. und erneut verstärkte Unterdrückungs-


↑ Persien (umbenannt 1934); 1925 ließ maßnahmen des Geheimdienstes SAVAK;
sich der pers. Kosakenkommandeur und 1978/79 Generalstreik und Massenerhe-
Kriegsminister Resa Khan nach einem bung gegen die zunehmend als Diktatur
Staatsstreich als ↑ Resa Pahlawi von der empfundene Herrschaft der Pahlawiden,
Nationalversammlung zum erblichen der Schah verließ das Land. Febr. 1979
Schah ausrufen; seitdem Herrschaft der Rückkehr des Schiitenführers Ajatol-
Dynastie der Pahlawiden (bis 1979). Die lah ↑ Khomeini, der seitdem, wenn auch
in Angriff genommene technolog. und ad- ohne polit. Amt, als Staatsoberhaupt der
ministrative Modernisierung des Landes durch Volksabstimmung eingerichteten
blieb bald stecken bzw. wurde von den „Islam. Republik“ fungierte. Der Revo-
Großgrundbesitzern zur Unterdrückung lution (fakt. Nationalisierung der Erdöl-
der Kleinbauern benutzt. 1941 Besetzung industrie, Auflösung des Geheimdienstes,
durch Alliierte, Abdankung des Schahs Bestrafung der verantwortlichen Befehls-
und Thronbesteigung seines Sohnes Mo- haber) folgte die Einführung einer mili-
hammad Resa Pahlawi; 1943 Eintritt in tanten Theokratie: Hinrichtungen wegen
den Krieg gegen Deutschland, 1945 Ab- Rauschgifthandels, Sabotage oder Prosti-
zug der Anglo-Amerikaner, 1946 der Sow­ tution. Die Beziehungen zu den USA ver-
jets; 1946 Druck der UdSSR auf P. wegen schlechterten sich, im Nov. 1979 besetzte
des nördl. Aserbeidschan. 1951 brit.-pers. eine Gruppe von Studenten die amerik.
Konflikt um die Ölindustrie; 1954 Beile- Botschaft und nahm die Botschaftsange-
gung des Konflikts durch ein Abkommen hörigen als Geiseln; ein Befreiungsversuch
für 25 Jahre; 1955 Beitritt zum Bagdad- durch ein Kommandounternehmen schei-
pakt (CENTO); ständige Wirtschafts- und terte, erst im Jan. 1981 wurden die Gei-
Militärhilfe der USA. Enge wirtsch. Bezie- seln freigelassen. Ende 1979 zunehmende
hungen zu den USA, Großbritannien und Verschärfung der irak.-iran. Beziehungen,
zur BRD. Um eine einseitige Bindung an die 1980 im ↑ Golfkrieg zum Ausbruch
die Westmächte zu vermeiden, bemühte kamen und erst 1988 beigelegt wurden;
sich der Schah um ein gutes Verhältnis durch die lange Kriegsdauer und die Ver-
zu den sozialist. Staaten; 1970 Erdgasab- wüstungen in den grenznahen Industrie-
kommen mit der UdSSR, 1971 Aufnahme regionen litt die iranische Wirtschaft er-
diplomat. Beziehungen zur Volksrepublik heblich. Der 1980 gewählte liberale Prä-
China. Grenzstreitigkeiten mit dem Irak sident Banisadr geriet im folgenden Jahr
führten 1969 zur Kündigung des Grenz- in Konflikt mit Khomeini und der is-
vertrages von 1937 und zum Abbruch der lam.-fundamentalist. Mehrheitspartei IRP
diplomat. Beziehungen 1971. In der Bun- und ging am 10. Juni 1981 in den Unter-
desrepublik Deutschland engagierte sich grund, Ende Juli ins Exil nach Frankreich;
der I. wirtsch. 1974 und 1976 mit einer seitdem latente Bürgerkriegssituation mit
Beteiligung am Krupp-Konzern. 1975 ver- zahlreichen Attentaten, die auch über die
fügte die Regierung den Zusammenschluss Regierungszeit von Banisadrs Nachfol-
aller zugelassenen Parteien zur Einheits- gern andauerte; Mitte 1981 – Nov. 1982
partei Rastachis („Partei der nationalen Hinrichtungswelle, der 20 000 Menschen
Wiederauferstehung“); eine Verordnung, zum Opfer gefallen sein sollen. Erneute
dass jeder Iran. Staatsbürger automatisch Belastung des Verhältnisses zu den USA
Mitglied dieser Partei werden solle, wurde Ende 1986 durch Aufdeckung geheimer
1978 zurückgenommen. Bereits seit 1977 Verhandlungen zw. Parlamentspräsident
wachsender Widerstand der Bevölkerung Rafsandschani und dem Sicherheitsbera-

434
Irland

ter im Weißen Haus, R. McFarlaine, in Wales (christl. Kunsthandwerk: Glocken,


deren Folge es Waffenlieferungen der USA Kelche, herrliche Schreine, Abts- und Bi-
an den Iran gegeben hatte, mit denen wie- schofsstäbe, Kreuze, Reliquienbehälter, Fi-
derum Geheimdienst-Aktivitäten der USA ligran- und Emailarbeiten, hohe Kloster-
in Mittelamerika finanziert worden waren kultur; vom 6. Jh. an hervorragende Hand-
(„Irangate“ [analoge Bildung zu ↑ „Water- schriften mit Menschen- und Tierdarstel-
gate“]). – Sieger der 7. Präsidentschafts- lungen); Irland wurde Ausgangspunkt für
wahlen im Mai 1997 M. Khatami, Wie- die Missionstätigkeit auf dem Festland.
derwahl 2001. Zunehmende Spannungen Vom 7.–10. Jh. Raubeinfälle der ↑ Angel-
mit den westl. Industriestaaten wegen des sachsen und ↑ Normannen, Zerstörung
iran. Atomwaffenprogramms; 2003 iran. der Kirchen und Klöster; Stillstand des
Verpflichtung zur Kooperation mit der In- Kunstschaffens; die Normannen wurden
ternat. Atombehörde, 2004 Abkommen sesshaft und bauten Städte; Wiederaufle-
mit Frankreich, Deutschland, Großbri- ben der Kunst (Rundtürme, irisch-roman.
tannien zur Bereinigung der Kontroversen Kirchen; Kirchenreform durch die Zister-
um das iran. Nuklearprogramm. zienser); seit 1171 von engl. Herrschern
Irenäus, hl., griech. Kirchenvater, um allmählich unterworfen, polit. im Zu-
115–202 n. Chr.; seit 178 Bischof von stand völliger Rechtlosigkeit gehalten und
Lyon, verteidigte in zahlreichen Schriften wirtsch. ruiniert (Vernichtung des ir. Tuch-
die kath. Lehre, besonders gegen die Gnos­ gewerbes; Güterkonfiskationen); nach der
tiker. Reformation auch im religiösen Gegen-
Irene, 1) I., Kaiserin von Byzanz, um 752– satz zu England, da I. kath. blieb; 1542
803; Gemahlin Kaiser Leos IV., regierte Heinrich VIII. „König von Irland“; 1641
nach dessen Tod 780 für ihren minderjäh- große Erhebung gegen England, 1649/50
rigen Sohn Konstantin IV., führte 787 im grausam unterdrückt, Vertreibung der Iren
Konzil zu ↑ Nizäa den Bilderdienst wieder aus dem Nordteil der Insel, das als Ulster
ein, stürzte 797 ihren Sohn und ließ ihn eine protestant. engl. Bevölkerung erhielt;
blenden, 802 entthront und nach Lesbos drei Viertel des ir. Bodens in Händen engl.
verbannt. 2) I. Maria, Tochter des byzan- Lords, Verelendung der zu armen Pächtern
tin. Kaisers Isaak III. Angelus, gest. 1208; herabgedrückten Iren, hohe Sterblichkeit
vermählt mit ↑ Philipp von Schwaben. und Massenauswanderung nach erneutem
Irland (ir. Eire), vor 8 000 Jahren noch mit gescheitertem Aufstand während der Frz.
der engl. Insel verbunden, damals vom eu- Revolution; 1801 staatsrechtl. Zusam-
rop. Festland aus besiedelt; um 3 000 v. Chr. menschluss mit Großbritannien zum
jungsteinzeitl. Bauernkultur mit Mega- „Vereinigten Königreich von Großbritan-
lithgräbern; um 2 000 v. Chr. Export von nien und I.“, doch kath. Iren vom gemein-
hochentwickelten Bronze- und Goldar- samen Parlament ausgeschlossen (bis zur
beiten (Bronzezeit etwa 2000–500 v. Chr., ­Katholikenemanzipation 1829); weitere
dann neben der Bronze Eisen); im Alter- Steigerung des Nationalhasses, Kampf um
tum am Rand des röm. Weltreichs als „Hi- ↑ Home Rule unter Führung O’Connells
bernia“ letztes freies Keltenland, mehrere, (später Parnells), neue brit. Repressalien,
schließlich 5 Kleinkönigreiche; um Chris­ti Hungerepidemien, Radikalisierung durch
Geburt religiös und sozial kelt. Kultur Geheimbünde (↑ Fenier), Rückhalt beim
wie auf dem Festland (ornament­reiche Irentum in den USA; Reformansätze der
Fibeln, Trompeten, Armbänder, Pferde- liberalen brit. Regierungen Gladstone
trensen); um 430 n. Chr. Einführung des (Bodenreform) und Asquith; 1912–1914
Christentums durch den hl. Patrick aus „Homerule Bill“ vom Unterhaus geneh-

435
Irminsul

migt und vom König unterzeichnet, doch land-Konflikts: wiederholte Auseinander-


Inkrafttreten bis nach dem Krieg verscho- setzungen in vielen nordirischen Städten,
ben, was zu erbittertem Widerstand der dort Trennung kath. und protestant. Vier-
Ulsterleute führte; 1916 Dubliner Os- tel durch Mauern und Stacheldraht; Stra-
teraufstand der radikalen ↑ Sinn Fein. ßenschlachten während der traditionellen
1919 ir. Nationalparlament und revoluti- Paraden des protestant. Oranier-Ordens in
onäre Regierung unter de Valera, Bürger- den kath. Vierteln.
krieg („ir.-brit. Krieg“) mit beiderseitigem Irminsul, die dem german. Gott Irmin
blutigem Terror. 1921 Einigung der Ge- geweihte, in einem hl. Hain stehende
mäßigten unter Cosgrave mit Großbri- Holzsäule bei der westfälischen Eresburg,
tannien: Irischer Freistaat mit Dominion­ Sinnbild der Weltesche Yggdrasil; Sieges-
status; Verbleib Ulsters (↑ Nordirlands) zeichen der Sachsen, 772 von Karl d. Gr.
bei Großbritannien; bis 1923 ­bewaffneter zerstört.
Widerstand der Republikaner (de ­ Valera) Irredenta (Italia irredenta, unerlöstes Ita-
gegen die Teilung, weiterhin Terror der lien), polit. Bewegung in Italien nach
↑ IRA (Irisch-Republikan. Armee); 1932 1870, die sich die Abrundung der natio-
Wahlsieg der Partei de Valeras. Nach dem nalen Einheit durch die Angliederung aller
2. Weltkrieg, in dem I. streng ­neutral blieb, Ital. sprechenden Gebiete (bes. von Öster-
Abbau der Bindungen an das Common- reich: Trentino, Görz, Triest, Fiume u. a.)
wealth bis zum formellen Austritt 1949, zum Ziel setzte; ihre Wünsche erfüllte der
Gründung der unabhängigen Republik 1. Weltkrieg. Übertragen Bez. für Bestre-
Eire, die weiterhin die Wiedervereinigung bung völk. Minderheiten, zum Stamm-
mit Nordirland forderte (die Verfassung land zurückzukehren.
I.s galt grundsätzlich für ganz I.); 1955 Isaak, byzantin. Kaiser: 1) I. I. Komnenos
Aufnahme in die UN. Durch das brit.-ir. (1057–1059); Vertreter des Militäradels,
Freihandelsabkommen von 1965 suchte I. Gegenkaiser Michaels VI., 1059 zuguns-
den Anschluss an das westeurop. Indus- ten des Konstantin Dukas zur Abdankung
trialisierungsniveau. 1973 wurde I. Mit- gezwungen, starb 1061 als Mönch. 2) I. II.
glied der Europ. Gemeinschaft, zu deren Angelos (1185–1195); 1195 durch seinen
wirtsch. schwächsten Regionen es zählt Bruder entthront, geblendet, gefangen,
(hohe Arbeitslosigkeit). Im Nov. 1985 Ab- 1203 durch die Kreuzfahrer wieder Kai-
kommen I.s mit Großbritannien, das der ser, 1204 abermals gestürzt (↑ Lat. Kaiser-
ir. Regierung eine konsultative Rolle in tum); gest. 1205.
der Verwaltung Nordirlands gibt. 1998 Isabeau (Isabella), Königin von Frank-
einigten sich im nordir. Belfast Vertre- reich, 1371–1435; Tochter Herzog Ste-
ter aller Parteien auf einen Friedensplan, fans II. von Bayern-Ingolstadt, 1385 ver-
der für Nordirland einen halb-autonomen mählt mit Karl VI. von Frankreich, seit
Status vorsah, die Macht im nordir. Par- 1392 Regentin, erkannte als Witwe gegen
lament sollte zwischen Protestanten und ihre Söhne Heinrich V. von England als
Katholiken geteilt werden. Noch im glei- frz. Thronerben an.
chen Jahr gaben die Parlamente in Dublin Isabella, Name von Herrscherinnen. Spa-
und London ihre Zustimmung zu einem nien, England: 1) I., 1292–1358; Toch-
Friedens-Referendum. Über 90 % der Be- ter Philipps IV. von Frankreich, 1308 ver-
völkerung der Rep. I. stimmten einer Ver- mählt mit Eduard II. von England. Der
fassungsänderung zu, durch die auf einen nach der in England möglichen weibl.
Gebietsanspruch in Nordirland verzich- Erbfolge von ihrem Sohn Eduard III. er-
tet wird. Dennoch kein Ende des Nordir- hobene Anspruch auf den vakanten frz.

436
Islam

Thron (Erlöschen des Mannesstammes haupt waren die Nachfolger des 1. Kalifen
des capeting. Hauses durch den Tod ihres Abu Bekr. Für die zweite große Konfession
Bruders Karl IV. 1328) beschwor den des I., die Schiiten (hauptsächlich im Iran,
↑ Hundertjährigen Krieg zw. England Irak und in Indien; Dynastien die Fatimi-
und Frankreich herauf. 2) I. I., die Katho- den, Idrisiden, Saffariden), besitzt allein
lische, 1451–1504; Tochter Johanns II. der Koran kanon. Geltung, für sie ist der
von Kastilien, seit 1469 vermählt mit rechtmäßige Nachfolger des Propheten
Ferdinand von Aragonien; da sie 1474 Mohammeds Adoptiv- und Schwieger-
Erbin von Kastilien wurde, entstand so sohn Ali (Gatte seiner Tochter Fatima),
der span. Nationalstaat; Gönnerin des den sie zugleich mit seinen Söhnen Hus-
Kolumbus. 3) I. II., 1830–1904; Toch- sein und Hassin als Heilige verehren; da-
ter Ferdinands VII., regierte seit 1833, neben bestehen zahlreiche regionale Sek-
1863 gestürzt, dankte 1870 zugunsten ten („72 Sekten des I.“). Die Glaubens-
ihres Sohnes Alfons XII. ab, der 1875 den lehre, stark vom jüdischen und vorislam.
Thron bestieg. Glaubensgut beeinflusst, ist im Wesent-
Isidor von Sevilla, Kirchenlehrer, 560– lichen allen Richtungen gemeinsam mit
636; Erzbischof von Sevilla, Verfasser der folgenden Lehrsätzen: 1) Es gibt nur einen
ersten abendländ. Enzyklopädie („Etymo- Gott (Allah, der Weltenherr, Weltschöpfer,
logiae“), die das gesamte Wissen der Zeit zu dem am Jüngsten Tag alles Geschaffene
aufzeichnete und für das Geistesleben des zurückkehrt); 2) der Mensch Mohammed
MA grundlegend wurde; in der Behand- ist Allahs Prophet; 3) der Koran („das oft
lung der Fachwissenschaft nahm er die zu lesende Buch“) ist die Hl. Schrift des I.
Rangfolge der späteren Universitätsfakul- und enthält Allahs Offenbarungen; 4) Al-
täten vorweg, bei der die Theologie die lah erschuf Engel als seine Diener und
Spitze einnahm; überliefert ist von ihm Teufel und Dschinnen als böse und gute
auch eine Gotengeschichte. Geister; 5) das Menschenleben ist seit Ur-
Islam (arab., Eintritt in den Stand des anfang vorherbestimmt (Kismet, Fatalis-
Heils, Gottergebenheit), Mohammeda- mus), doch bleibt Raum für Willensent-
nismus, mohammedan. Religion; Eingott- scheidungen; 6) die „letzten Dinge“ schlie-
glaube, von ↑ Mohammed – nach Adam, ßen Auferstehung, Jüngsten Tag, Letztes
Noah, Abraham, Moses und Christus der Gericht und den Eintritt in Paradies oder
sechste und letzte der Propheten Allahs – Hölle ein. Die wichtigsten Gebote sind: ri-
im 7. Jh. n. Chr. gestiftet und in einer Re- tuelle Waschungen zur inneren Reinigung,
ligionsgemeinschaft organisiert. Die Glau- die Beschneidung als Voraussetzung für
bens- und Sittenlehre, das Ritual und die den Eintritt in die Gemeinde, tägliche Ge-
kirchliche Ordnung gründen sich auf die bete und Einhaltung der Feiertage; Almo-
Offenbarungen Allahs, die Mohammed im sen in Form des Zehnten des Einkommens
↑ Koran niederlegte, für die meisten Mo- und fromme Stiftungen für Brunnen, Bä-
hammedaner auch durch die Überliefe- der, Armen-Speiseanstalten, Irrenhäuser,
rung (Hadith) und das Gewohnheitsrecht, Schulen, Bibliotheken, Festungen; das Fas­
die Sunna, die die Koranbestimmungen ten im Monat Ramadan; die Pilgerfahrt zur
ergänzt; doch erkennen nur die Sunniten Kaaba in Mekka oder ihre Ablösung durch
die später niedergeschriebene Sunna als Ersatzpilger oder Almosen. Verboten sind
Religionsquelle neben dem Koran an, zu der Genuss von Alkohol und Schweine-
ihnen zählen fast alle Moslems in Arabien, fleisch, Glücksspiel, Wucher, Wahrsagen
Syrien, in der Türkei, Tartarei, in Ägypten und Zauberei. Der I. – zunächst nur in
und dem übrigen Afrika; geistliches Ober- Erwartung des Weltgerichts örtliche reli-

437
Island

giöse und soziale Gemeinde – verpflanzte Reiches und seiner afrikan. Besitzungen).
sich nach der Verfolgung in Mekka nach Nach den Rückschlägen dieser letzten is-
Medina, wo die kirchl. Ordnung und ein lamit. Weltmacht (↑ Türkenkriege) über-
Staatswesen unter Mohammeds Führung nahm Arabien wieder die Führerschaft im
begründet wurden. Der Kampf gegen I.; das Zurückweichen im Westen machte
das heidnisch gebliebene Mekka war der der I. zum Teil durch die Missionierung
1. Religions- und Missionskrieg, der auf des Malaiischen Archipels (Insulinde)
ganz Arabien, dann auf die ganze Mittel- wett; im 18. Jh. Reform des I. durch die
meerwelt übertragen wurde. Mohammeds streng traditionsgebundene sunnit. Sekte
Nachfolger, die Kalifen, waren geistl. Füh- der ↑ Wahhabiten in Arabien (Hl. Krieg
rer und weltl. Herrscher, die unter der gegen die türk. Oberhoheit) und Begrün-
Dynastie der Omajiaden (661–750) das dung eines arab. Nationalismus durch die
islam.-arab. Weltreich organisierten; der Wahhabitenherrscher, doch zugleich pan-
polit. Gegensatz der schiit. Perser gegen islam. Bestrebungen der türk. Sultane, die
das Arabertum führte zu Bürgerkriegen seit 1774 die geistige Führung des I. bean-
und zum Aufstieg der Abbasiden-Dynastie spruchten (Kalifat bis 1924). In jüngster
(749–1228), unter deren absolutist. kirch- Zeit die innere Geschlossenheit des I. als
lichem und weltlichem Regiment die is- eines (im Gegensatz zu anderen Weltreli-
lam. Religion und Kultur gepflegt wurden gionen) alle Lebensbereiche umfassenden
und das Recht kodifiziert wurde; die Aus- religiös-gesellschaftlichen Systems (z. B. in
breitung des I. erfolgte parallel zur terri- der Einheit von Religion und Recht) durch
torialen Ausdehnung (635–638 Palästina, staatliche Reformen erschüttert (bes. in
640–642 Ägypten, 643 Neupersien [Ende der modernen Türkei); auf der Gegenseite
der Religion Zarathustras], im 8. Jh. NW- aktive puritan.-orthodoxe Erneuerungs-
Afrika, Spanien und der ind. Pandschab, bewegungen und religiöse Bruderschaften
im 9. Jh. Sizilien); um 1350 umfasste der und Orden. Aufschwung eines islam. Fun-
Islam N-Indien (Reich von Delhi), Af- damentalismus in verschiedenen arab.
ghanistan, S-Russland bis zum Aral-See, Staaten bes. infolge der iran. Revolution
Persien, ganz Vorderasien mit Kleinasien, (ab 1979) und der unter Ajatollah Khom-
Arabien, Ägypten bis zum Sudan, N- eini gebildeten islam. Republik mit dem
Afrika, in S-Spanien das Reich von Gra- I. schiit. Richtung als Staatsreligion. Der
nada; im ganzen Einflussgebiet kulturelle auf den polit. Zusammenschluss der Mo-
Einheit, die in bedeutenden wiss. Leistun- hammedaner zielende Panislamismus, der
gen, in den Werken großer Philosophen, sich nur z. T. mit der panarab. Bewegung
Geografen, Dichter, in einer einheitlichen deckt, bisher infolge der kulturellen und
Schrift, in der Vereinheitlichung der Klei- nationalen, auch der religiösen Gegensätze
dung, weitgehend einheitl. Lebensweise, (Schüten – Sunniten – ­Modernisten) ohne
in gleicher Familienordnung und Heili- Realität.
genverehrung Ausdruck fand; Moscheen, Island, Staat im europ. Nordmeer südl. des
Paläste, Festungen, Häuseranlagen, Stadt- Polarkreises, Insel der nord. Saga; im 9. Jh.
architektur in typisch arab. Bauweise; Ko- von Wikingern aus Norwegen besiedelt;
ranschulen und Universitäten als Stätten 930 Zusammentritt des ersten Althings
theolog. Tradition, doch bereits seit den (Volksversammlung; ältestes Parlament
Kreuzzügen allmähl. Ablösung der Ara- der Welt), um 1 000 christianisiert, 1264
ber als Bannerträger des I. durch die Tür- unter norweg. Oberhoheit, 1381 mit Nor-
ken (bis 1453 Eroberung Vorderasiens, wegen zu Dänemark, bei dem es auch nach
des Balkans, N-Indiens, des ↑ Byzantin. Auflösung der dän.-norweg. Union 1814

438
Israel

blieb. 1874 eigene Verfassung (Selbstver- Israel (hebr. Medinat Israel), Staat (Parla-
waltung), 1918 selbständiges Königreich mentsdemokratie) in Palästina, über 70 %
in Personal- und Realunion mit Däne- Palästinas umfassend; oberste demokrat.
mark, die 1944 (Dänemark von den Deut- Autorität ist die Knesset (Einkammer-Par-
schen, I. von den Alliierten besetzt) durch lament); Ministerialregierung unter einem
Volksabstimmung gelöst wurde. Seither Ministerpräsidenten; von der Knesset auf
parlamentar. Republik, Mitglied der UN 5 Jahre gewählter Staatspräsident; 1. Staats-
und des Atlantikpaktes (Überlassung von präsident Chaim Weizmann; Staatskon-
Luftstützpunkten an die USA). – Samm- trolleur (Präsident des Rechnungshofes);
lung und Bewahrung des alten Sagengutes Oberstes Gericht in Jerusalem; allg. Wehr-
und geschichtlicher Überlieferungen in pflicht für Männer und unverheiratete
der Edda und den Sagas. Frauen (Wehrgesetze 1949, 1950, 1952).
Isle de France, Kernland ↑ Frankreichs – Vorgeschichte der modernen Staatsbil-
(Departement Seine), ehemals Provinz dung: Schon im 19. Jh. (noch unter türk.
Franzien und Erbland der ↑ Capetinger, Herrschaft) Zuwanderung zahlreicher
mit der Hauptstadt Paris. Juden aus der Diaspora (Bewegung des
Ismail Pascha, Vizekönig von Ägypten, Chibbat Zion = Liebe zu Zion). Ende des
1830–1895; regierte seit 1863, weitete 19. Jh. bestanden 20 jüd. Einwanderer-
die ägypt. Herrschaft bis an die Grenzen siedlungen. Vermehrte Zuwanderung un-
Abessiniens aus, nahm 1868 den Titel ter dem Druck von Verfolgungen und Dis-
Khedive (Vizekönig) an, 1873 fast völ- kriminierungen seit der Gründung der Zi-
lig unabhängig; bemühte sich mit Erfolg onist. Weltbewegung durch Theodor Herzl
um die wirtsch. Erschließung des Landes (1897) zur „Schaffung einer öffentlich-
(Baumwollkulturen), musste aber 1875 rechtlich gesicherten Heimstatt für das
die Aktien des 1869 von ihm eröffneten jüd. Volk in Palästina“; Aufkauf von Bo-
↑ Suezkanals verkaufen und wurde wegen den, Gründung von Industrien und neuen
Verschwendung (auf Verlangen der Groß- Siedlungen durch den „Jüd. National-
mächte) 1879 abgesetzt. fonds“ (1914 50 jüd. Siedlungszentren).
Ismet Inönü, ↑ Inönü. Im 1. Weltkrieg wurde Palästina den mit
Isokrates, griech. Redner, 436–338 v. Chr. den Mittelmächten verbündeten Türken
↑ gründete in Athen eine Rednerschule, durch die Briten entrissen (brit. Militär-
trat für den gesamthellenist. Gedanken ein regierung); 1917 sagte der brit. Außenmi-
und erhoffte im Gegensatz zu Demosthe- nister James Balfour die „Errichtung einer
nes die griechische Einigung gegen die nationalen Heimstatt für das jüd. Volk“ zu
Perser durch ↑ Philipp von Makedonien. (↑ Balfour-Deklaration); 1920 wurde Pa-
Isolani, Johann Ludwig Graf von, kaiserl. lästina brit. Mandat, als solches 1922 vom
Reitergeneral im 30-jährigen Krieg, 1586– Völkerbund gebilligt unter Abtrennung
1640; fiel 1634 mit seiner kroat. Reiterei von Transjordanien (1923); während der
von Wallenstein ab und erhielt dafür einen Mandatsjahre verstärk­te Einwanderung
Teil der Besitzungen Wallensteins. von Juden und Arabern und zunehmende
Isonzo, Fluss in NO-Italien, im 1. Welt- Gegensätze zu den palästinens. Arabern:
krieg Verteidigungsstellung der Österrei- Ein nationalpolit. arab. Streik und blutige
cher, die die Italiener in 11 I.-Schlachten Auseinandersetzungen 1921, 1929, 1930
zu durchbrechen versuchten; in der 12. I.- führten zur Einschränkung der jüd. Ein-
Schlacht 1917 stießen Österreicher und wanderung, des Landerwerbs und der An-
Deutsche bis zur Piave vor (Durchbruch siedlung. Im 2. Weltkrieg Einsatz mehrerer
von Flitsch, Karfreit, Tolmein). jüd. Bataillone auf Seiten der Alliierten.

439
Israel

Nach 1945 neue („illegale“) Einwande- kanalzone. 1982 vollständige Rückgabe


rungswellen jüd. Heimatloser („displaced der Sinai-Halbinsel an Ägypten. Innere
persons“) und erneute Verschärfung der Entwicklung: 1949 Wahlen zur 1. Knes-
Gegensätze. Die UN-Vollversammlung set, Weizmann wurde 1. Staatspräsident,
beschloss im Nov. 1947 die Teilung Paläs- Bildung der ersten parlamentar. Regie-
tinas in einen jüd. und einen arab. Staat in rung unter dem Sozialisten David Ben
Wirtschaftsunion und unter Neutralisie- Gurion, Aufnahme in die UN, Einfüh-
rung Jerusalems; der Plan von den Juden rung der Schulpflicht; Bevölkerungszahl
angenommen, von den Arabern abgelehnt; Ende 1949 1 Mio. – 1950: Durch Gesetz
im Febr. 1948 begann der Krieg der arab. wurde jedem Juden das Recht zugestanden
„Freiheitsarmee“ gegen die jüd. Truppen einzuwandern. 1952: neue Wirtschafts-
der „Haganah“, die Tiberias, Haifa, Sa- politik. Ausbau der Gemeinschafts- und
fed, Jaffa, Akko, einen Teil Jerusalems und Kollektivsiedlungen mit Gemeineigentum
des Korridors zum Meer besetzten. – Am (Kibbuzim), der genossenschaftl. Klein-
13. Mai 1948 Proklamierung des unabhän- siedlungen ohne oder mit Lohnarbeitern
gigen Freistaats Israel, am 14. Mai Abzug und der Einwandererdörfer. Wiedergut-
der Briten; Fortsetzung des Krieges durch machungsabkommen mit der BRD. I. er-
die Arab. Liga, die die arab. Bevölkerung hielt bis 1965 über 3,45 Mrd. DM von der
bis auf 100 000 (die in Israel verblieben) in BRD. 1955: Beginn der Bewässerung und
die Nachbarländer evakuierte; die Jorda- der Besiedlung der Negev-Wüste. 1958:
nier eroberten die Altstadt Jerusalems, die Grundgesetz im Rahmen einer „wachsen-
Ägypter den Gaza­streifen; im Juni 1948 den“ Verfassung, I. besitzt bis heute noch
verfügten die UN Waffenruhe, 1949 keine geschriebene Verfassung. Innenpo-
folgten unbefristete Waffenstillstands- lit. bildeten sich stabile Verhältnisse he-
abkommen und Festlegung der Grenzen raus; bis 1977 Dominanz der Sozialde-
mit Ägypten, Jordanien, Libanon, Syrien. mokrat. Mapai, die sich als größte Partei
1950 Abtretung O-Palästinas, das an Jor- seit den ersten Wahlen 1949 behauptete.
danien fiel; 1950 Jerusalem (israelit. Teil) Durch Zusammenarbeit mit anderen
wurde Hauptstadt; Aug. 1951 Sperre des linksgerichteten Parteien stellte sie die Re-
Suezkanals für israel. Schiffe; Okt. 1956– gierungen. Premierminister: Ben Gurion,
März 1957 Krieg mit Ägypten um die Si- Sharet, Eschkol, Golda Meir, Rabin (bis
naihalbinsel und den Gazastreifen; 1967 1977). Ab 1977 – konservative Regierung
eroberte I. im Sechs­tagekrieg den Gaza- unter Begin – wurden die Regierungen
streifen, die Sinaihalbinsel, die Golan- vom nationalkonservativen Likud-Block
höhen und W-Jordanien bis zum Jordan. geführt. Ministerpräsident J. Shamir (mit
1973 Überraschungsangriff Ägyptens und Unterbrechung 1984–86 – wegen Koali-
Syriens. Nach dem Ausgang dieses Krieges tionsabsprache mit der Mapai Tausch mit
Beginn einer Phase der Friedensbemü- S. Peres). Ab 1987 schwere Unruhen („In-
hungen. 1974 kam es unter Vermittlung tifada“) in den von I. besetzten Gebieten;
der USA zur Unterzeichnung eines ägypt.- Einsatz der israel. Armee mit vielen Toten
israel. Truppenentflechtungsabkommens in der palästinens. Bevölkerung. Stärkerer
am Suezkanal und eines entsprechenden internationaler Druck auf I. in Richtung
israel.-syr. Abkommens an der Golanfront einer Nahost-Konferenz unter Einbezie-
als Grundlage einer Nahost-Friedenskon- hung der PLO. 1988 Verzicht Jordani-
ferenz in Genf. Durch das Sinai-Abkom- ens auf das von I. besetzte Westjordan-
men von 1975 zw. Israel und Ägypten land und faktischer Abtritt an die PLO.
kam es zum israel. Rückzug aus der Suez­ 1994 Einführung der palästinens. Selbst-

440
Israel

verwaltung im Gazastreifen und in Teilen („Josephs­stämme“) hatte sich im östl. Nil-


des Westjordanlandes. Strittig sind v. a. delta niedergelassen. 2 Jahrhunderte in-
das Rückkehrrecht der palästinensischen nerer und äußerer Kämpfe: Vorstoß ins
Flüchtlinge und die Teilung Jerusalems. Westjordanland und bis zum Toten Meer,
Fort- und Rückschritte im Friedenspro- Niederringung des Bauern- und Krieger-
zess wechseln einander ab. 1995 Ermor- volkes der Kanaanäer (Übernahme ihrer
dung des israel. Regierungschefs Yitzhak hebr. Sprache), seit 1190 Kämpfe mit den
Rabin durch einen israel. Extremisten, Philistern, den Beherrschern der Küsten­
1999 trotz Vermittlung der USA keine ebene, einem Zweig der ↑ Seevölker; die
Einigung zw. dem israel. Min.Präs. Barak „Josephsstämme“, die unter Ramses II.
und Jasir ↑ Arafat, wenig später Ausbruch (1301–1234) zu Frondiensten gezwungen
der 2., der Al-Aksa-Intifada, die zu einer wurden, wanderten vom Nildelta unter
Welle von Selbstmordattentaten führte. ihrem Anführer ↑ Moses ebenfalls in Pa-
Im Juni 2002 begann I. im Westjordan- lästina ein und vermischten sich mit den
land mit dem Bau eines mehrere 100 km bereits dort ansässigen, von „Richtern“
langen Schutzzauns gegen das Eindringen geführten Stämmen; mit Moses begann
palästinens. Terroristen und verletzt dabei eine neue Epoche der israelit. Religion:
palästinens. Gebiet. Im Mai 2003 stimmte Gottesoffenbarung am Sinai; Jahwe, „der
I. einem internat. Friedensplan zu, der den Gott Abrahams, der Gott Isaaks, der Gott
Palästinensern einen eigenen, unabhän- Jakobs“, löste den Gott El der Frühzeit ab
gigen Staat zugestand. Ab April 2004 wie- und schloss den „Bund“ mit den israelit.
derum Verschärfung des Konflikts wegen Stämme; Gesetz der 10 Formeln („Zehn
des Planes (unter dem isael. Ministerpräs. Gebote“), die in der „Bundeslade“ ver-
Ariel Scharon) nur teilweisen Rückzugs wahrt wurden; Festlegung des Kultes und
aus den besetzten Gebieten im Westjor- der Feste. – Um 1010 wurde der Heer-
danland vorsieht. Nach dem Tod Arafats führer Saul erster König des „Zwölfstäm-
erneute Intensivierung der Friedensver- mebundes“, unterlag den Philistern und
handlungen. nahm sich das Leben; die Südstämme in
Israel, Königreich des Altertums in Pa- Juda erhoben David (um 1000–970) auf
lästina (Land Kanaan, Gelobtes Land) den Thron, Sauls Waffenträger, der I. zum
im Raum alter Kulturen und vieler Völ- Einheitsstaat machte, den Kanaanäern Je-
kerzüge; seit etwa 7 000 v. Chr. ↑ Jericho, rusalem entriss, es zur Hauptstadt erhob
um 3500 die „Leute von Beerschewa“, und dorthin die Bundeslade überführte.
seit 2 000 Einwanderung der ↑ Kanaanäer, Sein Sohn Salomon (970–um 925) si-
um 1700 kontrollierten die ↑ Hyksos Pa- cherte das Reich: gegen Ägypten durch die
lästina vom Nildelta aus; wohl zu glei- Heirat mit einer Pharaonentochter, gegen
cher Zeit Westwanderung semit. Stämme die Phöniker durch gemeinsame Handels­
aus Mesopotamien unter dem Patriarchen unternehmungen nach Ophir am Roten
↑ Abraham; um 1500 nach dem Abzug Meer (Anlage des Hafens Edom am Roten
der Hyksos wurde P. ägypt. Provinz; um Meer); er schuf eine Streitwagentruppe
1350 Einwanderung von Hebräern, de- und baute Jahwe in Jerusalem den großen
ren Name später auf die Israeliten über- (1.) Tempel; um 950 erste ep. Werke (Bi-
ging. Etwa 1300 (Ende der Bronzezeit) ografien Sauls und Davids). Nach Salo-
Inbesitznahme des östl. Berglandes durch mons Tod spaltete sich 925 das Reich in
israelit. Beduinen (erste Erwähnung I.s das Nordreich Israel (Hauptstadt Sichem,
in einer Siegesstele des Pharaos Meren- Kultstätten in Dan und Bethel) unter
ptah um 1250), ein Teil der Israeliten Jerobeam I. (929–905) und in das kleinere

441
Issos

Südreich Juda (Hauptstadt Jerusalem) un- Babylon, der Jerusalem eroberte, Stadt
ter Salomons Sohn Rehabeam (um 925– und Tempel zerstörte und die führenden
910); gegen die geschwächten Reichsteile Schichten Judas nach Babylonien ins Exil
verstärkte Angriffe der Ägypter (920 Plün- führte (586–538; ↑ Babylon. Gefangen-
derung Jerusalems) und der Philister, Ab- schaft), ein Teil der Bevölkerung floh mit
fall der Nordgebiete mit Damaskus, das Jeremias nach Ägypten. Während des ba-
ebenfalls zum Angreifer wurde. Im 9. Jh. bylon. Exils Ausbildung des Sendungs-
regierten im Königreich I. die Könige bewusstseins des israelit. Volkes und des
Omri, Ahab, Jehu, Joachaz, Verlegung Glaubens an den Messias als den Send-
der Hauptstadt nach Samaria; gegen den boten und Gesalbten (nicht wie bisher als
Rückfall ins Heidentum (phönik. Göt- den Heerführer) Gottes (Prophet Hese-
ter Baal, Astarte, Melak) erhoben sich als kiel, gest. nach 570); große Psalmendich-
Wortführer dis Jahwisten und als „Anwälte tung. 539 Eroberung Babylons durch den
der Rechte des einzigen Gottes“ die Pro- Perser Kyros, der den Deportierten, soweit
pheten Elia und sein Schüler Elisa (weitere sie rückkehrwillig waren, die Rückkehr in
Ausbildung hl. Schriften [↑ Bibel] und der das persisch gewordene „Judäa“ erlaubte;
prophet. Literatur); um 810 Verlust des der zerstörte Tempel wurde wieder aufge-
Ostjordanlandes und von Teilen Galiläas baut und 515 unter Dareios I. vollendet.
an die Aramäer, zunehmende Bedrohung Beginn der Geschichte der ↑ Juden und
durch Assyrer. Im 8. Jh. herrschten die des Judentums.
Könige Joas, Jerobeam II. und Menachem; Issos, Seestadt in Kleinasien; 333 v. Chr.
Zurückeroberung der verlorenen Gebiete, Sieg Alexanders d. Gr. über die Perser un-
doch Zunahme der assyr. Gefahr; die Pro- ter Darius III.
pheten Amos und Hosea kündeten den Istanbul, größte Stadt der Türkei; ur-
kommenden Untergang. Sargon II. von sprüngl. Name ↑ Byzanz; im 7. Jh. v. Chr.
Assyrien eroberte 721 Samaria nach 3-jäh- durch Griechen gegr.; 330 von Konstantin
riger Belagerung, zerstörte es, deportierte d. Gr. unter dem Namen ↑ Konstantinopel
fast 30 000 Israeliten ins Zweistromland, zur Hauptstadt des Röm. Reiches erho-
machte I. zur assyr. Provinz und siedelte ben; 1453 von den Türken erobert, in der
dort Syrer und Babylonier an (Mischkultur Folgezeit Residenz der Sultane; bis 1923
der Samariter). Im Königreich Juda suchte Hauptstadt der Türkei; 1930 in I. umbe­
König Hiskia (724–696), durch den Pro- nannt.
pheten Isaias beraten, gegen Assyrien Isthmos von Korinth, einzige, einst mit
Rückhalt bei Ägyptern und Philistern; Be- Mauern und Tor versperrte Landverbin-
kämpfung aller heidn. Kulte, Konzentrie- dung zwischen Peloponnes und Mittel-
rung des gesamten Opferdienstes im Tem- griechenland, verhinderte den unmittel­
pel Salomons; Erneuerung des Verbotes baren Seeverkehr zw Adria und Ägäis
der Bilderherstellung. Im 7. Jh. in Juda die (Schiffe wurden umgeladen oder über eine
Könige Manesse, Josia und Joakim; unter Gleitbahn gezogen); erste Anfänge eines
Josia (639–609) durchgreifende Reform Kanaldurchstiches unter Kaiser Nero (der
des Gottesdienstes, Vertiefung des Mono- selbst den ersten Spatenstich tat); nach
theismus vor allem durch Jeremias (gest. seinem Sturz stockte der Bau und wurde
nach 585) und Ezechiel (gest. 571); nach erst 1882–1893 nach seinen Plänen voll-
Josias Tod Ende des Assyrerreiches, Ober- endet. – Der I. v. K. war in der griech. An-
hoheit der Ägypter über Juda, nach deren tike in Abständen von 2 Jahren Schauplatz
Niederwerfung durch die Babylonier Ka- sportlicher Wettkämpfe; während der Isth-
pitulation Judas vor Nebukadnezar II. von mischen Spiele von 196 v. Chr. wurde vom

442
Italien

römischen Konsul Titus Quinctus Flami- Elymer, Sykaner und Sukuler. Nach dem
nius die „Freiheit der Griechen“ verkün- Ende der etrusk. Zeit Roms (seit etwa
det, in Wirklichkeit wurden sie durch das 500) Expansion des von Latinern und Sa-
Verbot von Städtebündnissen wehrlos ge- binern getragenen frühen röm. Staates, der
macht. sich im Latin. Bund eine erste Machtent-
Istrien, Halbinsel im Norden der Adria, ur- faltung geschaffen hatte, über Mittelitalien
sprünglich illyrisch, Ende des 2. Jh. v. Chr. (gegen Äquer, Volsker, Etrusker, Gallier,
römisch, im 7. Jh. slawische Einwande- Samniten); um 280 v. Chr. war Mittelita-
rung, unter Karl d. Gr. zum Fränk. Reich, lien in den röm. Machtbereich einbezo-
später in der Hand von Markgrafen, im gen; in der Folge Aufbau des ital. Römer-
13. Jh. zu Venedig, 1797 zu Österreich, reiches und des ↑ Röm. Weltreiches (bis
1920 zu Italien; 1945 teilweise (ohne 476 n. Chr.), 476 wurde der letzte weström.
Triest) zu Jugoslawien, seit 1991 zu Kroa- Kaiser ↑ Romulus Augustulus durch
tien und in Teilen (Piran und Umgebung) ↑ Odoaker gestürzt, der sich zum König
zu Slowenien. von I. machte; ihn entthronte 489 der
Italien, mittlere der drei Halbinseln S-Eu- Ostgote ↑ Theoderich d. Gr.; bis 526 Ost-
ropas (Apenninenhalbinsel), in vorgeschicht­ gotenreich (mit Hauptstadt Ravenna;
licher Zeit (↑ Paläolithikum, Mesolithikum, ↑ Goten), das 554 dem Oström. Reich
Neolithikum) von den Kulturkreisen des (Byzanz) erlag; Ostrom betrachtete sich als
Mittelmeerraums, des Balkans und Mittel- Erbe Westroms, als Herrin der Halbinsel,
europas vielfältig berührt; im Übergang und machte I. zur oström. Provinz (↑ Ex-
vom Neolithikum (Jungsteinzeit) zur archat); 568 eroberten die ↑ Langobarden
↑ Bronzezeit von der Kulturausbreitung unter Albuin das obere und mittlere I.
und Völkerbewegung der ↑ Indogermanen (Hauptstadt Pavia). Im MA war I. aufs
erfasst; im 2. Jt. v. Chr. im Norden in zahl- Engste mit der Geschichte Deutschlands
reichen Funden sichtbar die indogerman. verbunden; zur Beseitigung der Umklam-
↑ Terramare-Kultur, im Süden die indo- merung durch Byzanz und Langobarden
german. Matera-Kultur; im 13. bis ins und zur Abwehr der Übergriffe des Lango-
8. Jh. v. Chr. Ausprägung der geschichtl. bardenkönigs ↑ Aistulf rief Papst Ste-
Völker- und Stammesgruppen; in N-I. seit phan II. den Frankenkönig Pippin d. J.
etwa 900 im NO (Padua), von den Ve- 754 zu Hilfe, der durch Landschenkungen
netern getragen, die ↑ Este-Kultur, im (↑ Pippinsche Schenkung) den Grund
Raum um Bologna die ↑ Villanova-Kultur, zum ↑ Kirchenstaat legte; 774 eroberte
in der westl. Poebene die ↑ Golasecca-Kul- Karl d. Gr. das Langobardenreich und ver-
tur (seit etwa 700); im Süden seit etwa leibte es dem ↑ Fränk. Reich ein. Die Ver-
800 v. Chr. griech. Kolonisierung (↑ Groß- bindung des Papsttums mit dem Franken-
griechenland), in Mittelitalien um die reich, gefestigt durch ↑ Bonifatius, be-
gleiche Zeit Entwicklung der Kultur der stimmte seitdem auf Jahrhunderte die Ge-
↑ Etrusker; weitreichender Einfluss der schichte I.s: Kampf der dt. Kaiser als
↑ Urnenfelder- und ↑ Hallstatt-Kultur. In Schutzherren der Kirche um die Herr-
dieser Zeit erkennbare Völker und Stämme schaft über I. als Teil des „Hl. Röm. Rei-
(von Norden nach Süden): Lepontier, Li- ches“ (↑ Deutschland), byzantin. Einfluss
gurer, Euganeer, Veneter, Etrusker, Phöni- nur noch im Süden. Im 9. Jh. wurde I. in
ker (Stützpunkte an den Küsten), Falisker, die fränk. Reichsteilung einbezogen; Zeit
Umbrer, Jagoden, Latiner, Sabiner, Sa- polit. Verwilderung und stadtröm. Adels-
beller, Japygen, Italer (in Kalabrien, von kämpfe, Einfall der Araber (Sarazenen) in
ihnen der Name Italien), auf Sizilien die Sizilien und N- und S-I. Seit der Kaiser-

443
Italien

krönung Ottos d. Gr. 962 in Rom Beginn seine kulturelle Vorherrschaft an Frank-
der Italienzüge (Römerzüge) der dt. Kö- reich; im ↑ Spanischen Erbfolgekrieg er-
nige und Kaiser und ständige militär. und neut Kriegsschauplatz: Österreich gewann
polit. Kämpfe um die Beherrschung I.s; die span. Länder in I. außer Sizilien, später
ein Ziel, das nie ganz erreicht wurde; wäh- dazu die Toskana (Florenz); Sardinien fiel
rend des Machtkampfes zwischem Kaiser- 1720 an das Herzogtum Savoyen-Pie-
tum und Papsttum zunehmende Erstar- mont, Neapel-Sizilien 1735 an die span.
kung territorialer Gewalten, bes. der lom- Bourbonen. Nach den vorübergehenden
bard. Städte. Nach der erfolgreichen Inva- Umwälzungen unter der Herrschaft ↑ Na-
sion der ↑ Normannen 1130 Entmachtung poleons, der I. mehrfach staatlich umge-
der Byzantiner und Araber und Gründung staltete, wurden 1815 (↑ Wiener Kongress)
eines Einheitsstaates im Süden unter der Kirchenstaat, das Königreich Sardi-
päpstlicher Lehensoberhoheit, des „Kö- nien-Piemont, das bourbon. Königreich
nigsreichs beider Sizilien“ (Insel Sizilien Neapel und der österr. Besitz (mit Vene-
und S-I. bis Neapel), das 1189 durch die dig) wiederhergestellt. Schon während der
Heirat Heinrichs (VI.), des Sohnes Fried- napoleon. Herrschaft nat. Freiheits- und
richs I., mit der Tochter des Normannen- Einheitsbestrebungen (↑ Risorgimento),
königs Roger II. den Staufern zufiel; Verla- die sich nach 1815 vor allem gegen die
gerung des polit. Schwergewichts des Rei- Herrschaft Österreichs richteten; Erhe-
ches nach I.; Höhepunkt der kaiserlichen bung von 1848/49 (unter Führung von
Macht unter ↑ Heinrich VI. Nach dem ↑ Garibaldi) von Österreich unterdrückt;
Untergang der Staufer trotz des Anspruchs 1859 erneuter Kampf um nationale Unab-
der Reichsrechte in I. und weiteren Rö- hängigkeit unter Führung des Hauses Sa-
merzügen (bis 1515) wachsende territori- voyen-Piemont, das von Frankreich (Na-
ale Zersplitterung; Franzosen und Spanier poleon III.) unterstützt wurde; Absetzung
eroberten im 13. Jh. Sizilien und Neapel der ausländ. Fürsten, ihre Besitzungen fie-
(↑ Anjou, Aragon); die Entzweiung in den len an Viktor Emanuel von Sardinien; aber
Stadtstaaten, die von Parteikämpfen erst der Staatskunst ↑ Cavours gelang die
(↑ Guelfen und Ghibellinen) und von Gründung des Königreichs I. unter dem
Fehden zw. den einzelnen Geschlechtern Haus Savoyen-Piemont mit der Haupt-
zerrissen wurden, brachte in den Städten stadt Florenz; das erste ital. Parlament er-
Adelsdynastien zur Macht: Medici (Flo- nannte 1861 Viktor Emanuel II. zum Kö-
renz), Visconti und Sforza (Mailand), nig von I., die nationale Einigung war bis
Gonzaga (Mantua), Este (Modena und auf das österr. Venedig vollzogen, das
Ferrara) u. a.; die See- und Landmächte 1866, und Rom, das 1870 eingegliedert
Venedig und Genua blieben (Adels-)Repu- wurde; Rom löste Florenz als Hauptstadt
bliken. Obwohl weder das Papsttum noch ab, I. erstarkte bis Ende des 19. Jh. zur
einer der Stadtstaaten, noch Neapel-Sizi- Großmacht; Rückhalt im Dreibund mit
lien zur Einigung I.s fähig waren, wurde I. Deutschland und Österreich und im Ko-
zum kulturell und wirtsch. führenden lonialreich N-Afrika (1912 Erwerb von Li-
Land Europas (Frühkapitalismus, Huma- byen), doch wegen des ital. Anspruchs auf
nismus und Renaissance). Seit 1494 war I. die Adria Interessenkonflikt mit Öster-
Schauplatz der Kämpfe der europ. Groß- reich. Im 1. Weltkrieg anfangs neutral,
mächte, besonders zw. Frankreich und 1915 Kündigung des Dreibunds und
Habsburg-Spanien; seit 1559 Verdrängung Kriegseintritt auf alliierter Seite gegen Zu-
Frankreichs, Abhängigkeit I.s von Spa- sicherung des Erwerbs von Trient und
nien. – Im Zeitalter des Barock verlor I. Triest und der Herrschaft über die Adria;

444
Ito

beim Friedensschluss Gewinn von Südti- ↑ Democrazia Cristiana (DC). Sie stellte
rol bis zum Brenner, von Görz, Triest, seit 1946 fast durchgängig den Minister-
Istrien, später der dalmatin. Inseln präsidenten, wichtigste Ausnahme die Re-
(1919/20) und Fiumes (1924). 1922 gierungszeit des Sozialisten (PSI) Craxi
↑ Mussolinis Marsch auf Rom; Herrschaft (1983–1987). Mitte der 1970er Jahre gab
des Faschismus; 1929 Lateranverträge mit es ein Anwachsen der Stimmen für die
dem Papsttum und Abtrennung eines kommunistische Partei, 1975 mit 33,4 %
päpstlichen souveränen Gebietes (Vatikan- ihr bestes Ergebnis bei den Regional-
staat) innerhalb Roms; 1935/36 Erobe- wahlen. Teile der DC befürworteten den
rung Abessiniens; 1936 „Achse“ Rom– „histor. Kompromiss“, ein Bündnis mit
Berlin; 1938 nach Anschluss Österreichs der PCI, das nicht über die programma-
an Deutschland gemeinsame Grenze mit tische Absprache zur Regierungsunterstüt-
Deutschland (dt. Verzicht auf Südtirol); zung (1977–79) hinauskam. Nach den
1940 Eintritt in den 2. Weltkrieg auf Sei- Wahlen 1987 Ende der Regierungszeit
ten Deutschlands, nach dem Sturz Musso- Craxis, erneute Fünf-Parteien-Koalition
linis am 25. Juli 1943 Kapitulation I.s; (DC, PSI, PRI-Republikaner, PSDI-Sozi-
1944 Abdankung König Viktor Emanu- aldemokraten, PLI-Liberale). Bei den Par-
els III. (gest. 1947 in Alexandrien) zuguns- lamentswahlen 1992 erstmals Stimmenge-
ten des Kronprinzen Umberto; Bildung ei- winne der Regionalparteien, insbesondere
ner demokratische Regierung, 1946 nach der norditalienischen Lega Nord. Zugleich
Volksentscheid Ausrufung der Republik wurde das politische Establishment durch
(Ende des Hauses Savoyen, seit 1860 ital. Korruptionsskandale, Mafiamorde an ho-
Dynastie). Der Friedensvertrag von Paris hen Justizbeamten und einer vermuteten
(ratifiziert 1947) legte fest: Triest wurde Verstrickung zw. Politik und Mafia diskre-
Dreistaat, der Dodekanes fiel an Griechen- ditiert, was 1993 zu einer Krise führte. Ak-
land, Teile von Venezia Giulia an Jugosla- tion „Saubere Hände“ von Mailänder
wien, die Kolonien wurden unter Treu- Staatsanwälten führte zu Anklagen gegen
händerschaft der UN gestellt; Abrüstungs- mehr als 6 000 Menschen, darunter die
verpflichtungen und Reparationen an Al- ehemaligen Ministerpräsidenten Andreotti
banien, Äthiopien, Griechenland, die und Craxi, und einer umfassenden poli-
UdSSR, Jugoslawien; 1948 neue Verfas- tischen Reform (nach Referendum). Wahl-
sung in Kraft: Aufgliederung I.s in 19 Re- sieger 1994 nach neuem Wahlrecht der
gionen mit gewisser Selbstverwaltung in Rechtspopulist S. Berlusconi mit einem
Sizilien, Sardinien, im Tiroler Etschland, Mitte-Rechts-Bündnis aus den Parteien
in Friaul, im Julischen Venetien und Aosta­ Forza Italia, Nationale Allianz und Lega
tal; 1949 Beitritt zum Atlantikpakt; 1950 Nord; noch im selben Jahr Korruptions-
Treuhänderschaft über Ital.-Somaliland verdacht und Rücktritt, Sieg des Mitte-
(bis 1960); 1954 Rückgewinnung Triests Links-Bündnisses „L’Ulivo“ aus PDS, PPI,
(ohne Hinterland), 1955 in den UN; 1958 Liste Dini und Grünen (Min.Präs. bis
in der Europäischen Wirtschafts- und 1998: R. Prodi; bis 2000: M. Alema, bis
Atomgemeinschaft; seit 1960 zuneh- 2001: G. Amato). 2001 siegte erneut Ber-
mender Konflikt mit Österreich um die lusconi mit seinem Mitte-Rechts-Bünd-
Autonomieansprüche Südtirols. 1975 nis.
Triestabkommen mit Jugoslawien. Innen- Ito, Hirobumi, Fürst, jap. Staatsmann,
politisch zeigte das in der Nachkriegszeit 1841–1909; seit 1886 mehrfach Minister-
entstandene Parteiensystem eine gewisse präsident, machte Japan mit den Krieg ge-
Konstanz, bestimmende Stellung der gen China (1894/95) zur Großmacht und

445
Iwan

durch die Verfassung von 1889 zum mod. nie mit hemmungslosem Despotismus,
Staatswesen; in Korea ermordet. reformierte das gesamte Staatswesen, er-
Iwan, russische Großfürsten und Zaren: oberte die Tatarenkhanate Kasan und
1) I. Kalita („Geldtäschchen“), 1304– Astrachan, rief westeurop. Handwerker,
1341; 1328 vom Khan der ↑ Goldenen Techniker und Gelehrte ins Land, begann
Horde zum Großfürsten von Moskau er- mit der Kolonisierung Sibiriens, stellte
nannt, das durch ihn zum Sitz des Metro- durch Privilegierung einer engl. Han-
politen wurde; begann die „Sammlung der delsgesellschaft unmittelbare Verbindung
russ. Erde“. 2) I. III., 1440–1505; regierte mit W-Europa her, brach die Macht des
seit 1462 und wurde zum eigentl. Begrün- Bojarenadels durch blutigen Terror und
der des russ. Nationalstaates und der za- Einrichtung der ↑ Opritschnina. 4) I. V.,
rist. Autokratie, unterwarf die Handels- 1666–1696; Halbbruder Peters I., seit
republik Nowgorod und einigte die russ. 1682 Zar, 1689 von der Regierung aus-
Teilfürstentümer unter Moskau, beseitigte geschaltet; Vater der späteren Zarin Anna.
1480 die Oberhoheit der Tataren, nannte 5) I. VI., 1740–1764, Sohn des Herzogs
sich „Herr von ganz Russland“ und nahm von Braunschweig-Wolfenbüttel, als noch
den zweiköpfigen byzantin. Adler ins Wap- nicht Einjähriger Nachfolger der Zarin
pen. 3) I. IV. Grosnyi, der „Schreckliche“ Anna unter Vormundschaft Birons, 1741
(richtiger: „der schicksalhaft Dräuende“), von der Zarin Elisabeth, der Tochter Peters
1530–1584; bestieg als Dreijähriger den d. Gr., verdrängt, in Schlüsselburg über
Thron, ließ sich zu Beginn der selbstän- 20 Jahre gefangen gehalten, schließlich auf
digen Regierung 1547 demonstrativ zum Befehl der Zarin Katharina II. erdrosselt
Zaren krönen, verband staatsmänn. Ge.

446
Jackson

Jackson, Andrew, US-ame­rik. korps Lützow, 1819 wegen seines Eintre-

J Politiker (Demokrat), 1767–


1845; genannt General „Old
Hicko­ry“, Präsident der USA
1829–1837; mit seiner Wahl setzte sich
tens für die dt. Einheit als Demagoge ver-
haftet und bis 1825 gerichtlich verfolgt;
1848 in der Frankfurter Nationalversamm­
lung, verlor dann wegen seiner antilibe-
das „Beutesystem“ durch (wonach alle ein- ralen, deutschtümelnden Haltung die ein-
flussreichen Staatsposten von Anhängern stige große Popularität. – Sein aus romanti­
der siegreichen Partei besetzt wurden). scher Verklärung der germanischen Vor-
Jacquerie, nach dem Spottnamen des frz. zeit und des „Volkstums“ (Begriff von ihm
Bauern Jacques Bonhomme („der gute geprägt) erwachsener extremer „teuton.“
Jakob“), der Bauernaufstand von 1358 Nationalismus beeinflusste besonders den
in Frankreich, hervorgerufen durch die radikalen Flügel der ↑ Burschenschaft.
übermäßige Belastung des Bauernstandes Jainismus (Dschinismus), altind. Religion
im ↑ Hundertjährigen Krieg und die Aus- in Opposition zum Brahmanismus (Ab-
saugung durch den Adel; grausam nieder­ lehnung des Veda) und zum Buddhismus;
geworfen. z. Z. Buddhas um 500 v. Chr. aus älteren
Jagello (Jagiello), Großfürst von Litauen, Glaubensvorstellungen entstanden; legen-
König von Polen, gest. 1434; regierte seit däre Gründer die 24 Tirthankara (Wegbe-
1377 in Litauen, trat zum Christentum reiter, Heilsfinder), unter ihnen Rishab-
über, vermählte sich 1386 mit Königin hanatha, Santinatha, Neminatha, Parsva­
↑ Hedwig von Polen und bestieg als Wla- natha, Parsha und Mahawira); nur Parsha
dislaw II. den poln. Thron; Sieger über den (um 750 v. Chr.) und der Prophet Maha-
↑ Dt. Orden bei Tannenberg (1410). wira (um 500 v. Chr.), der „Dschaina“ (der
Jagellonen, Dynastie des ↑ Jagello, Sieger), historisch nachweisbar. Mahawira
­regierten 1386–1572 in Polen-Litauen, galt als der eigentlicher Begründer des J.,
1471–1526 in Böhmen, 1490–1526 in der Mönche, Nonnen und Laiengläubige
Ungarn; beherrschte damit vorüberge- umfasste und seine Glaubens- und Sitten-
hend einen Länderblock von der Ostsee lehre in mehreren Hl. Schriften nieder-
bis zum Schwarzen Meer, der aber an in- legte. Höchstes Ziel: Befreiung der Seele
neren Gegensätzen (Machtansprüche des aus dem Kreislauf Geburt und Tod und
Adels) und äußeren Konflikten (mit Russ- aus aller Stofflichkeit, in die sie gebannt ist
land, der Türkei, Schweden und dem Dt. (je nach dem Grad der sittlichen Reinheit
Reich) zerbrach. in Gestalt von guten oder bösen Geistern,
Jagoda, Genrich Georgijewitsch, sowjet. Menschen, Tieren, Pflanzen); erst durch
Politiker, 1891–1938; Mitarbeiter Sta- zahlreiche Wiedergeburten und bessere Er-
lins, 1920–1922 Präsidiumsmitglied der kenntnis, tieferen Glauben und sittlicheren
Tscheka, 1924–1934 stellvertretender Vor­ Wandel und in härtester Zucht und Askese
sitzender der GPU. 1934–36 Volkskom- auf den sich folgenden Wiedergeburtsstu-
missar des Inneren; wurde 1937 verhaftet fen löst sich die Seele aus den Fesseln des
und ein Jahr später im 3. Moskauer Schau- Materiellen und steigt geläutert zum „Gip-
prozess zum Tode verurteilt. fel der Welt“, d. h. zum ewigen Glück, auf
Jahn, Friedrich Ludwig, der „Turnvater“, (ein Eingehen in Gott kennt der J. nicht,
1778–1852; begr. als Gymnasiallehrer in da Gott nicht existiert und Welt und Le-
Berlin den Turnunterricht als Wehrertüch- ben aus eigenen Kräften bewegt werden).
tigung gegen Napoleon, legte 1811 in der Zum rechten Glauben gehört die Vereh-
Hasenheide den ersten Turnplatz an, er- rung der 24 Tirthankara und der Glaube
fand Reck und Barren; 1813/14 im Frei- an das Wort des Propheten Mahawira und

447
Jakob

der Hl. Schriften; zum rechten Wandel ge- Jakobiner, bedeutendster politischer Klub
hören Schonung alles Lebenden (selbst des der ↑ Frz. Revolution, benannt nach sei-
Ungeziefers), Tierschutz und Pflege kran- nem Versammlungsort, dem (aufgeho-
ker und altersschwacher Tiere, Bekämp- benen) Dominikanerkloster St. Jakob in
fung des Unwahren, Unrechten, der Un- Paris; nach dem Ausscheiden der Gemä-
keuschheit und der Besitzgier. Der J., der ßigten (↑ Feuillants) Sammelpunkt der radi­
in 2 Richtungen vertreten ist – den Schwi- kalen Republikaner, die für den Sturz des
tamburas, den Weißgewandeten, und den Königtums und die Schreckensherrschaft
Digambaras, denen die Nacktheit Voraus- verantwortlich waren; der Pariser Haupt-
setzung für die Heiligkeit ist –, schuf be- klub wurde dabei von etwa 150 Klubs in
deutende Tempel, Tierhospitäler, Klöster den Provinzen unterstützt, als Führer gal-
und eine reiche religiöse Literatur. ten: Robes­pierre, Marat, d’Herbois, Bil-
Jakob, Name von Herrschern. Aragonien: laud-Varennes u. a. Nach dem Sturz Ro-
1) J. I., der Eroberer, König, 1208–1276; bespierres wurde der Klub 1794 aufgelöst;
regierte seit 1231, entriss den Mauren Verfolgung seiner Mitglieder. – Der „Ja-
die Balearen und Valencia. England und kobinismus“ als radikal-republikanische
Schottland: 2) J. I. 1566–1625; Sohn Ma- Gesinnung fand auch in anderen Ländern
ria Stuarts und Lord Darnleys, seit 1567 Eingang.
(als J. VI.) König von Schottland, bestieg Jakobiten, 1) die Mitglieder der syrisch-
1603 nach dem Tode Elisabeths I. auch monophysit. Kirche, benannt nach deren
den engl. Thron; Verfechter des absoluten Haupt, dem Mönch Jakob Baradai (gest.
Königtums, stützte sich auf die anglika- 978 n. Chr.). 2) Die Anhänger des 1688
nischen Staatskirche, geriet in Konflikt mit aus England vertriebenen Stuartkönigs
dem Parlament, den Presbyterianern und Jakob II. und seiner Söhne, besonders im
den Katholiken (Jesuitenverfolgung, Pul- schott. Adel; nach dem Scheitern ihrer Ver­
ververschwörung). 3) J. II., 1633–1701; suche, das Haus Stuart zurückzuführen,
zwei­ter Sohn Karls I., wurde 1672 Katho- bedeutungslos.
lik und musste deshalb trotz seiner Er- Jalta, Hafenstadt an der Krimküste; Febr.
folge gegen die Holländer den Oberbefehl 1945 Tagungsort der Konferenz zw. Roose-
über die Flotte niederlegen (↑ Testakte); velt, Churchill und Stalin zur Festlegung
bestieg 1685 den Thron, versuchte Abso- der Endstrategie des 2. Weltkrieges und
lutismus und Katholizismus wiederherzu- der Nachkriegspolitik: Teilung Deutsch-
stellen, wurde nach der Geburt eines kath. lands in Besatzungszonen, Abtretung von
Thronerben (aus 2. Ehe) in der unblutigen dt. Ostgebieten zugunsten eines neuen
„Glorreichen Revolution“ 1688 vom Parla­ (an seinen Ostgrenzen von der Sowjet-
ment gestürzt (Berufung Wilhelms von union um mehr als die Hälfte beschnitte-
Oranien) und floh nach Frankreich; ein nen) Polens (endgültige Grenzziehung der
Rückkehrversuch scheiterte 1690 in der Friedenskonferenz vorbehalten); Eintritt
Schlacht am Boyne (Irland). 4) J. III., „der der Sowjetunion in den Krieg gegen Japan
Prätendent“, 1688–1766; Sohn von 3), aufgrund eines Geheimabkommens über
nach dessen Tod von Ludwig XIV., Spa- die Äußere Mongolei und gegen territo­
nien und dem Papst anerkannt, unter- rialen Gewinn im Fernen Osten (S-Sacha-
nahm während des Span. Erbfolgekrieges lin und die Kurilen, Rückgabe von Port
vergebliche Versuche, die britische Krone Arthur); sowjet. Zustimmung zur Errich-
wiederzuerlangen, zog sich nach Italien zu­ tung der Vereinten Nationen.
rück und verzichtete 1744 zugunsten sei- Jamaika, westind. Inselstaat (Große An-
nes Sohnes Karl Eduard. tillen), 1494 von Kolumbus entdeckt, in

448
Japan

span. Besitz, 1655 von Engländern erobert Jansenius, Kornelius (Cornelis Jansen),
(Besitz 1670 im Frieden von Madrid be- niederländ. Theologe, 1585–1638; seit
stätigt); neue Verfassung 1944 mit Gou- 1636 Bischof von Ypern, Jesuitengegner,
verneur und zwei Kammern; 1957 zur durch sein Hauptwerk „Augustinus“ Be-
↑ Westindsichen Föderation, von der es gründer des ↑ Jansenismus.
sich 1961 nach Volksabstimmung als eige- Japan, Kaiserreich auf den jap. Inseln. –
ner Staat trennte. J. ist eine unabhängige, Über die jap. Vorgeschichte liegt wenig
parlamentarisch regierte Monarchie inner- gesichertes Wissen vor, Einwanderungszeit
halb des Commonwealth of Nations. und Rasse der Erstbesiedler unbekannt; in
Jamblichos von Chalkis (in Syrien), der Jungsteinzeit wahrscheinl. uralta­ische
griech.-syr. Philosoph, lehrte zu Beginn Bandkeramiken Fischer und Jäger. Um
des 4. Jh. n. Chr.; heidnischer Universal- 900 v. Chr. wurde W-Japan mit seiner hö-
gelehrter, galt als Wundertäter, begründete her entwickelten Kultur (Metall) Ausgangs­
(gestützt auf seinen Lehrer Porphyrios) punkt für die bäuerl. Besiedlung der üb-
den syrischen Neuplatonismus, bekämpfte rigen Inseln; Sippenstruktur unter Famili-
das Christentum. enoberhäuptern. Unter dem Druck des
Janiculus, einer der Hügel Roms, doch Festlandreiches der chinesischen Han-Dy-
nicht zu den „sieben Hügeln“ gezählt, da nastie (seit etwa 200 v. Chr., ↑ China) Staa-
auf dem rechten Tiberufer liegend; schon tenbildung auf den Inseln mit erblichen
in ältesten Zeiten befestigt. Königtü­mern; Einigung der Inselstaaten
Janitscharen (türk., neues Heer), Elite- im 1. Jh. v. Chr. im Reich von Yamato
truppe des Osman. Reiches, aufgestellt (Stadt bei Nara), mit Megalithgräbern,
um 1330 aus christlichen Gefangenen, die formreicher Keramik, Bewässerungsan­
zum Islam übertreten mussten, aufgefüllt lagen, Wasserspeicherung; S-Korea, das
durch den „Knabenzins“ der christlichen Brücke zur chin. Kultur wurde, war bereits
Reichsteile, entwickelt zu einem Soldaten­ ins Reich einbezogen; das Reich war Sip-
orden mit besonderen Vorrechten, im penstaat mit der Sippe des Tenno, des Kai-
17. Jh. 100 000 Mann stark; im Frieden sers, an der Spitze, der sich durch Landan-
als Polizei verwendet, nach zahlreichen nexionen eine starke Hausmacht schuf.
Aufständen 1826 aufgelöst und teilweise Allmähliche Übernahme der chin. Schrift,
niedergemacht. des chin. Konfuzianismus und des Bud-
Jansenismus, die von Kornelius ↑ Janse- dhismus (Mitte des 6. Jh., der den noch
nius ausgehende Bewegung in der kath. primitiven Schintoismus beeinflusste);
Kirche Frankreichs und der Niederlande Anfang des 7. Jh. erstes jap. Gesetzeswerk
im 17./18. Jh., verfocht die ungeminderte (die 17 Artikel des Regenten Schotoku),
augustinische Lehre von der Erbsünde das dem Tenno die bevorzugte Stellung si-
und der Gnade und näherte sich durch cherte, in Nara Bau des Horyu-ji, des ältes­
strikte Anerkennung der Prädestinations- ten erhaltenen Holzbautempels der Welt.
lehre dem Calvinismus; Hauptsitz Kloster 645 nach chin. Vorbild Taikwa-Reform: J.
Port Royal in Paris, Führer: Quesnel, Pas- wurde zentralist. Einheits- und Beamten-
cal, Arnauld u. a.; von den Päpsten als häre­ staat mit Nara als Hauptstadt, mit völliger
tisch verworfen und von der frz. Krone Neuordnung der polit. und sozialen Ver-
unterdrückt (1610 Zerstörung von Port hältnisse und agrar. Planwirtschaft (alles
Royal); Flucht der nicht zur Unterwerfung Land gehörte dem Tenno); Korea machte
bereiten Jansenisten nach Holland, wo sich unter Führung des Staates Silla selb-
sich der J. als (schismatische) Kirche von ständig; unter Schomu-Tenno (724–748)
Utrecht behauptete. die größte Machtfülle (Tempyo-Periode)

449
Japan

und Blüte des Buddhismus (erhaltene Bud­ erneuerten Macht des kaiserl. Hof­adels
dhastatuen, Provinztempel), der chin. Wis­ (60-jähriger Bürgerkrieg, 1332–1392) und
sen­schaften und chin. Dichtung (Kaifuso, den Ausbau der Landwirtschaft (Eisenge-
erste chin. geschriebene Gedichtsamm- räte, Verbesserung des Reisanbaus), des
lung Japans); erste eigene Gedichtsamm- Handels (Gold, Kupfer, Quecksilber nach
lungen und Geschichtsdarstellungen deu- China) und des Gewerbes (Handwerker-
ten auf Zunahme des Nationalgefühls; Ab- gilden, Tuchweberei, Schmiedehandwerk,
kehr von der Planwirtschaft und Rückkehr Papierherstellung, Porzellanmanufaktur,
zu privatem Landbesitz, dadurch Aufkom- Transportgewerbe, Geldwirtschaft); bald
men mäch­tiger Grundbesitzer; Verlegung danach Bauernunruhen (1428–1540) mit
der Kaiserresidenz nach Kyoto zur Stär- Erbfolgestreitigkeiten der großen Familien
kung der Zentralgewalt; Verschmelzung („Zeit der streitenden Mächte“, spätes
des Schintoismus mit dem Buddhismus; J. 15. Jh.) mit tiefgreifender Umschichtung
nur noch der Form nach absolutist. Mo- der Gesellschaft: Aufsteigen der Städte.
narchie, die Macht tatsächl. in den Hän- Aufblühen des milderen Zen-Buddhismus
den der landreichen Adelsfamilien, unter (Landschaftsmalerei in Tuschetechnik, il-
denen die Familie Fujiwara die Regent- lustrierte Volksbücher im Märchenstil, ge-
schaft errang; Ausbildung der jap. Silben- tanztes Theater, Gartenkunst). – Der Be-
schrift, Aufzeichnung großer Epen (Mu- ginn der neueren Zeit kündigte sich an
rasaki Schibuku schrieb das Genyi-Mono- durch die erste Berührung und Handels-
gatari, Sei Schiwagon das Makura-no-So- verbindung mit Europäern (1543 Lan-
thi). Aus den Großgrundbesitzern bildete dung der Portugiesen und Übernahme ih-
sich gegen Ende des 11. Jh. der Schwert­ rer Feuerwaffen); 1549 Beginn erfolg-
adel (Militäradel) der Samurais (Buke), die reicher christlicher Missions- und Sozial-
nach Bürgerkriegen den Hofadel (Kuge) arbeit durch den Jesuiten Franz Xavier
ablösten; die Macht ging von den Fujiwara und seine Mitbrüder; Einigung des in
auf die Taira, dann auf die Familie Mina- langjährigen Unruhen zerfallenen Reiches
moto über. Beginn des jap. Mittelalters, durch den Schogun Toyotomi Hideyoschi
der Feudalzeit, der Zeit des Lehenswesens 1590 und seiner Nachfolger; Entwaffnung
und der vom Militäradel gestellten Pro- der Bauern („Schwertjagden“), Entmach-
vinzbeamten (Schogune), denen alle Le- tung der Kaufmannsgilden, Kontrolle über
hensträger, Daimyos und Samurai unter- die Daimyos, Neuordnung des Grundbe-
stellt waren; den Minamoto folgte im sitzes; Ständegliederung in Samurais, Bau-
13. Jh. die Familie Hojo als Führer des ern, Handwerker, Kaufleute; Palastbauten
Schwertadels in der Kamakura-Zeit; Aus- mit erlesenen Wandschirmbildern, Han-
bildung eines volkstümlichen, leicht ver- delsfahrten ins Ausland, Gründung aus-
ständlichen Buddhismus und zahlreicher länd. Handelskontore in J. (Momoyama-
buddhist. Sekten, Blüte der Kriegsliteratur Kultur); doch bald danach Verbot der
(Hogen-Monogatari, Heike-Monogatari, christl. Religion (als nicht mit dem Feudal­
das Meisterwerk der klassischen jap. Lite- system in Einklang), grausame Christen-
ratur), hochentwickelte Bildhauer-, Bild- verfolgung und 1636 Abschließung des
rollen- und Porträtkunst; Schwächung des Reiches nach außen, um die einheimische
Lehens­wesens durch Landzersplitterung Wirtschaft vor der europ. Konkurrenz zu
(Erbteilungen, Verarmung der Samurais), schützen; nur wenige Häfen blieben offen.
Wiedererstarken des Feudalsystems erst In der Genroku-Zeit (1688–1703) Verbes-
durch die Siege über die einfallenden Mon­ serung der Land- und Geldwirtschaft,
golen (1274 und 1281), die Abwehr der Wiederaufleben der bürgerlichen Kultur

450
Japan

(realist. Bühnen- und Romankunst), doch vollziehende Gewalt, Kabinett nur bera-
Verarmung der Samurais und Wirtschafts- tend; 1890 erstes Parlament (doch kein
krisen im Feudalsystem, das trotz mehr- allg. Wahlrecht); 1894/95 Beginn der jap.
maliger Finanz- und Wirtschaftsreformen Expansion (rasche Bevölkerungsvermeh-
zu verfallen begann. Im 18. Jh. vergrö- rung, Suche nach Rohstoff- und Absatz-
ßerten Geldentwertung, Bestechungswe- märkten und Siedlungsland); Sieg über
sen und Hungerkatastrophen die allg. so- ↑ China, dessen Schwäche auch fernerhin
ziale Unsicherheit; allmähliches Eindrin- die jap. Expansionsrichtung bestimmte;
gen der europ. Wissenschaft, zunehmende 1895 Friede von Schimonoseki; Gewinn
Kritik am Feudalsystem und Protest gegen Formosas und der Pescadores-Inseln; die
die Niederhaltung des Bauernstandes, For- durch den Einspruch der europ. Groß-
derung nach Geistesfreiheit. Die auch mächte (Frankreich, Deutschland, Russ-
durch Reformen nicht gelösten Krisen wur­ land) entgangene weitere Beute (Port
den im 19. Jh. verstärkt durch den Druck Arthur, Korea) sicherte sich J., gedeckt
der europ. Mächte auf J. (Russland be- durch das Bündnis mit Großbritannien,
drohte die Nordinseln, Großbritannien im Waffengang gegen seinen gefährlichsten
zwang China im ↑ Opiumkrieg zur Öff- Rivalen, Russland (Russ.-Japan. Krieg
nung des Landes, die USA betrieben in 1904/05); dem Frieden von Portsmouth
jap. Gewässern Walfang); 1858 führte die 1905 (Port Arthur und südl. Hälfte von
1854 von dem amerik. Commodore Perry Sachalin an J., Protektorat über Korea)
mit einem Geschwader erzwungene Öff- folgte 1910 die Annexion Koreas und
nung jap. Häfen zum Handelsvertrag mit 1912 die Abgrenzung der Interessensphä-
den USA, dem Verträge mit Holland, ren in der Mandschurei gegenüber Russ-
Großbritannien, Frankreich und Russland land; für seine Teilnahme am 1. Weltkrieg
folgten. Nach vorübergehendem, durch auf Seiten der Entente erhielt J. das Man-
die Umstellung verursachtem wirtschaft- dat über die dt. Schutzgebiete in der Süd-
lichem Chaos und Attentaten auf die Frem­ see (Karolinen, Marianen, Marshallin-
den rasche Industrialisierung und Über- seln); die Intervention gegen das bolsche-
nahme westl. Produktionsmethoden. – wist. Russland (Besetzung Sibiriens) war
Die Neuzeit: 1867 Beseitigung der Scho- jedoch nicht von bleibendem Erfolg; auch
gunherrschaft (letzter Schogun Tokugawa die während des Krieges China abgezwun-
Kekki dankte ab) und Meijireform: Wie- genen Vorteile ließen sich nicht behaup-
derherstellung des Kaisertums (Kaiser ten, als sich Großbritannien und die USA
Mutsuhito, Titel: Dai Nippon Teikoku wieder dem Fernen Osten zuwenden
Tenno, „Kaiserl. Himmelssohn von Groß- konnten; die Machtposition J.s wurde
japan“), Verlegung der Hauptstadt nach 1921/22 auf der Washingtoner Konferenz
Edo (= Tokio), Abschaffung des Lehenswe- empfindlich geschwächt (Politik der „offe­
sens, Aufgliederung des Reiches in Provin- nen Tür“ in China, Beschränkung der jap.
zen und Regierungsbezirke mit zentrali- Seerüstung); das isolierte J. suchte Ver-
siertem Beamtenapparat, Einführung der ständigung mit der Sowjetunion über die
allg. Schulpflicht 1871, Abschaffung der Mandschurei und Sachalin (1925); wirt-
Samurai-Vorrechte 1872; doch behielten schaftliche Schwierigkeiten (Verlust von
die Samurais als Verwaltungsbeamte und Absatzmärkten an die europäischen Indus-
Wirtschaftsführer Bedeutung; 1881 Grün- triestaaten mit qualitativ überlegenen Pro-
dung der Liberalen, 1882 der Reformpar- dukten) bei wachsendem Bevölkerungs-
tei; 1889 Verfassung nach preußischem druck, soziale Unruhen (insbesondere
Maßstab, der Kaiser besaß unumschränkte nach der Erdbebenkatastrophe von 1923

451
Japan

mit 100 000 Toten), Widerstand der USA bruch Deutschlands, der sowjet. Kriegs­
gegen jap. Einwanderung (1924 Einwan- erklä­rung und dem Abwurf der ersten
derungsgesetz, von J. mit Boykott amerik. Atom­bomben (am 6. Aug. auf Hiroshima,
Waren beantwortet); nach jahrelangen 9. Aug. auf Nagasaki) kapitulierte J. am
Auseinandersetzungen Einführung des all- 14. Aug. 1945 bedingungslos (1,55 Mio.
gemeinen Wahlrechts für Männer (1925); Gefallene, 300 000 Bombenopfer); Verlust
weitere diplomatische Rückschläge auf der aller seit 1895 gewonnenen Gebiete, Zer-
Londoner Konferenz (1930) u. a. be­ schlagung des Kriegsapparates und des Ein­
günstigten das Aufkommen eines antipar- parteien­systems, Einleitung einer Reform
lamentar. militanten Nationalismus, der – des noch immer feudalen Agrar­systems zu-
un­terstützt von den Zaibatsu, den Kon- gunsten der rund 15 Mio. Pächter. Mit der
zerngewaltigen – durch großangelegte im- Verfassung von 1947 Einführung der „jap.
perialist. Unternehmungen der inneren Staatsverfassung“ nach amerik. Anwei-
Probleme Herr zu werden suchte; 1931/32 sungen; der Tenno (seit 1926 Hirohito) –
Besetzung der ↑ Mandschurei, Angriff auf früher als Gott verehrt – nur noch Symbol
Schanghai (missglückt), zugleich Abwer- der nationalen Einheit. Seit 1949 nach In-
tung des Yen und durch die niedrigeren flation und Lebensmittelnot beginnende
Löhne ermöglichtes Dumping japanischer Wirtschaftsstabilisierung. Mit der Locke-
Industriewaren auf allen Weltmärkten; der rung der amerik. Militärverwaltung re-
schroffe Führungsanspruch J.s in Ostasien staurative Tendenzen; der Friedensvertrag
bildete eine Parallele zur Entwicklung der von 1951 mit 49 Staaten – ohne Sowjet-
dt. Außenpolitik unter Hitler: 1933 als union und kommunist. China – gab J.
Protest gegen das Eingreifen des Völker- eine zum Teil noch eingeschränkte Souve-
bundes in der Mandschurei (Parteinahme ränität zurück; Verlust Formosas, der Ku-
für China) Austritt aus dem Völkerbund; rilen, Pescadores-Inseln, Koreas, halb
1934 Rüstungsfreiheit durch Kündigung Sachalins; im gleichen Jahr amerik.-jap.
des Washingtoner Flottenabkommens, Sicherheitsvertrag (1960 ratifiziert); 1952
1936 trat J. dem ↑ Antikominternpakt bei, Wiedererlangung der vollen Souveränität,
1937 begann es den Krieg gegen China 1956 Erklärung des Friedenszustandes mit
und brachte große Gebiete unter seine der UdSSR. 1972 Vertrag über die Rück-
Kontrolle, ohne sich entscheidend durch- gabe von Okinawa, 1974 Handelsabkom-
setzen zu können; Ziel: großostasiat. Wirt- men mit China, starke wirtschaftliche Be-
schaftsraum unter Führung J.s; 1940 mit ziehungen zur Sowjetunion, Bemühungen
Deutschland und Italien Dreimächtepakt um Friedensvertrag. 1977 ASEAN-Konfe-
zur „Neuordnung Europas und Ostasi- renz, durch die positive Beziehungen auch
ens“, 1941 Rückenfreiheit durch Neutra­ zu den kommunist. Staaten Indochinas
litätsvertrag mit der Sowjetunion; ohne hergestellt werden konnten. Die dominie-
Kriegserklärung 1941 Luftüberfall auf die rende politische Kraft J.s ist die Liberal-
amerik. Flotte in Pearl Harbor; Krieg ge- Demokratischen Partei (LDP), die seit den
gen die Alliierten, ↑Weltkrieg). Nach glän- 1950er Jahren die Regierungen stellt.
zenden Erfolgen (Eroberung Hongkongs, Innenpolitische Erschütterungen gab es
Singapurs, Burmas, der Philippinen, Nie- durch den Lockheed-Bestechungsskandal
derl.-Indiens u. a.) und Organisation der (1976/77), in den Regierungsmitglieder
„Ostasiat. Prosperitätsgemeinschaft“ unter verwickelt waren. Absolute Mehrheiten
der Parole „Asien den Asiaten“ erlag J. für die LDP bei den Wahlen 1986 und
nach erbitterten Kämpfen der Abnützungs­ 1990. Nach dem Tod Kaiser Hirohitos im
strategie der USA; nach dem Zusammen- Jan. 1989 wurde Kronprinz Akihito zum

452
Jefferson

Kaiser ausgerufen. Erst 1994 wurde erst- Jassy, Stadt in Rumänien, bekannt durch
mals ein Sozialdemokrat, Tomiichi Mura- den Frieden zwischen der Türkei und
yama, jap. Regierungschef, die LDP ging Russland 1792; Russland erhielt Gebiet
erstmals in die Opposition. Wie so viele zwischen Bug und Dnjestr (Gründung
Regierungsträger vor und nach ihm musste Odessas).
auch Murayama von seinem Amt zurück- Jaures, Jean, frz. Politiker, 1859–1914;
treten, in der Folgezeit übernahmen wie- Prof. der Philosophie, Führer der frz. Sozia­
der liberal-demokrat. Kräfte die Macht, listen, wahrte den gemäßigten Kurs der II.
blieben aber auf Koalitionspartner ange- ↑ Internationale gegen Lenin und Rosa
wiesen. Zu Beginn des neuen Jt.s bemüht Luxemburg, setzte sich gegen den Chauvi­
sich Japan weiterhin um eine Aussöhnung nismus ↑ Poincarés entschieden für die
und Normalisierung der Beziehungen mit Verständigung mit Deutschland und die
Korea und um eine Einigung mit Russland Erhaltung des Friedens ein; am Vorabend
über die Kurilen, ein nach wie vor beste- des Kriegsausbruchs 1914 von einem Na-
hender Konflikt, in dem es bereits eine tionalisten niedergeschossen.
Reihe von Absichtserklärungen gibt, je- Javamensch, ↑ Paläolithikum.
doch noch keine konkrete Lösung in Form Jeanne d’Arc, „Jungfrau von Orlé­ans“,
eines Friedensvertrages. Die sicherheitspo- frz. Nationalheldin, 1412–1431; lothrin-
litische Bindung an die USA wird weiter- gisches Bauernmädchen, führte aus göttl.
hin aufrechterhalten. Eingebung (und nicht aus Nationalismus
Jaroslaw I., der Weise, Großfürst des im modernen Sinne) die Franzosen zum
↑ Kiewer Reiches, um 978–1054; Sohn Kampf gegen die Engländer, entsetzte
Wladimirs I., regierte seit 1016 und ver- 1429 das belagerte Orléans und führte da-
einigte nach dem Tod seiner Brüder 1036 mit die entscheidende Wende im ↑ Hun-
das Reich der Waräger noch einmal in ei- dertjährigen Krieg herbei, ließ Karl VII. in
ner Hand; Städtegründer (Dorpat), Ver- Reims krönen; von dem Burgundern bei
bündeter Heinrichs II. gegen Polen (ers­ Compiegne gefangen, an die Engländer
tes dt.-russ. Bündnis 1017); unterhielt ausgeliefert und von diesen einem geistl.
kulturelle und dynast. Beziehungen zum Gericht überantwortet, am 30. Mai 1431
Abendland. (frz. Nationalfeiertag) als Zauberin und
Jaruzelski, Wojciech Witold, poln. Ge- Ketzerin in Rouen verbrannt (1456 Revi-
neral und Politiker, geb. 1923; seit 1949 sion des Urteils, 1920 heiliggesprochen).
Mitglied der Vereinigten Poln. Arbeiter- Jefferson, Thomas, nordamerik. Staats-
partei (PZPR), seit 1957 General, seit mann, Republikaner, 1743–1826; Gutsbe-
1968 Verteidigungsminister; 1. Sekretär sitzer, Verfasser der Unabhängigkeitserklä-
des ZK der PZPR 1981–89, 1981–85 Mi- rung von 1776; 1779–1782 Gouverneur
nisterpräsident, bis 1989/90 Staatspräsi- von Virginia, 1785–1789 Gesandter in
dent. 1981 Verhängung des Kriegsrechts, Paris, als Sekretär des Äußeren (= Außen-
danach Einleitung politischer und wirt- minister) Mitarbeiter Washingtons; 1801–
schaftlicher Reformen. J. deckte durch 1809 (3.) Präsident der USA, erwarb Loui­
vorsichtiges Taktieren den friedlichen siana von Frankreich und förderte die Er-
Übergang Polens von der Einparteienherr- schließung des Westens; als Verkünder der
schaft zur demokratischen Gesellschaft. ↑ Menschenrechte und der Volkssouverä-
2001 wurde Anklage gegen ihn erhoben: nität, als Wortführer der klassischen De-
Er soll für die blutige Niederschlagung der mokratie angelsächsischer Prägung („mög-
Danziger Arbeiterproteste 1970 mitver- lichst wenig Regierung“) und Gründer der
antwortlich sein. Demokrat. (damals „Republikan.“) Partei

453
Jelacic von Buzim

gegen ↑ Hamilton nimmt J. einen hervor- separatistische Widerstandsbewegung. Im


ragenden Platz im Geschichtsbewusstsein Sept. 1999 wurde der seit 1989 regierende
des amerikanischen Volkes ein. Ali Abdullah Saleh bei den ersten direkten
Jelacic von Buzim, Josef Graf, österr. Ge- Präsidentenwahlen trotz Wahlboykott der
neral, 1801–1851; bekämpfte 1849 die Opposition mit überwältigender Mehrheit
ungar. Revolution und betrieb die Nieder- wiedergewählt. 2003 Parlamentswahlen,
schlagung der Märzrevolution in Wien. erneut Proteste.
Jellicoe, John Rushworth, Viscount of Jemen (Demokratische Volksrepublik),
Scapa, britischer Admiral, 1859–1935; auf dem Gebiet des Protektorats Aden bil-
Chef der Grand Fleet in der Schlacht am deten die Briten ab 1962 als Vorbereitung
↑ Skagerrak 1916, danach 1. Seelord der zur Unabhängigkeit die Südarab. Födera­
Admiralität. tion; ab 1965 antibritische Unruhen, 1967
Jemen (Arabische Republik), Republik im Aus­rufung der Volksrepublik Südjemen,
SW Arabiens am Roten Meer, im Alter- die 1970 in Demokratische Volksrepublik
tum Arabia felix (= Glückliches Arabien) J. umbenannt wurde. 1986 blutige Ausei-
gen.; in vorchristl. Zeit Herrschaft der Sa- nandersetzungen und Umsturz in der De-
bäer mit der Hauptstadt Marib; abgelöst mokratische Volksrepublik J. Danach Ent-
durch die Fremdherrschaft der Himyari- schärfung der Gegensätze zwischen den
ben, dann der Äthiopier und Sassaniden; beiden jemenit. Staaten. 1990 Vereinigung
im 7. Jh. Islamisierung; in der Neuzeit os- zur Islam. Republik Jemen (vgl. ↑ Jemen
man. und ägypt. Oberhoheit, 1912 Ab- [Arabische Republik]).
wehr der Italiener; seit der Auflösung des Jena, 1806 Sieg Napoleons über Preußen
türk. Reiches 1918 unabhängiger Staat unter Hohenlohe (Doppelschlacht von J.
unter einem Imam (im Garantievertrag und Auerstedt, die zum Zusammenbruch
mit Großbritannien 1934 als „König“ titu- Preußens führte).
liert); Hauptstadt Sana. Nach der Nieder- Jenatsch, Jürg, Schweizer Freiheitskämp-
lage im Konflikt mit ↑ Ibn Saud Abtretung fer, 1596–1639; befreite 1637 Graubün-
eines Grenzstreifens und Bündnisvertrag; den von der österr.-span. Herrschaft; von
Mitglied der Arab. Liga; 1957 Aufnahme den anfangs verbündeten frz. Parteigän-
in die UN; 1958–1961 Assoziierung mit gern ermordet.
der Vereinigten Arab. Republik (Ägypten, Jenner, Edward, brit. Arzt, 1749–1823;
Syrien). 1962 Ausrufung der Republik, gilt als Entdecker der Schutzimpfung ge-
führte zu Bürgerkrieg zw. Royalisten und gen die Pocken, erste Impfung 1796.
Republikanern, 1970 Aufnahme der Ro- Jérez de la Frontera, span. Ort nördlich
yalisten in republikan. Regierung, 1990 von Cadiz gelegen; 711 siegten (nach der
Vereinigung mit Südjemen, Zusammen- Überlieferung) hier die Araber unter Tarik
schluss zur Islam. Republik J., deren erster über die Westgoten unter Roderich (Ende
Präsident Saleh wurde. Sana wurde zur des ↑ Westgotenreiches und darauf fol-
politischen, Aden zur wirtsch. Hauptstadt gende Islamisierung der iberischen Halb-
erklärt und 1991 Übergangsverfassung per insel bis 1492).
Referendum, de facto weiterhin Zweitei- Jericho, uralte Oasen-Stadtsiedlung in der
lung von Nord und Süd, getrennte Ver- Jordanebene, nordöstlich von Jerusalem,
waltungsstrukturen. Der zwei­te ↑ Golf- an einer reichen Süßwasserquelle; Ausgra-
krieg 1991 brachte schwere innenpoli- bungen 1907–1911, 1929–1936, und seit
tische Belastungen. Ab 1993 Koalitions­ 1956 am Ruinentempel Tell-es-Sultan; die
regierung, innenpolit. Stabilisierung, aber stadtähnliche Siedlung vor 7000 v. Chr. aus
ab 1994 im Südjemen Formierung einer primitivem Hüttendorf hervorgegangen;

454
Jerusalem

die älteste Kulturschicht zur Natufian- allmählich zu Mittelpunkten kleiner Rei-


Kultur des palästinens. Gebirges gehörend, che wurden, bes. seit dem l8. Jh.; 1882
mittel- und jungsteinzeitliche Jäger und wurde das J.-Land durch die Briten un-
Sammler (Wildschwein-, Auerochsen- und terworfen; Kultur: Vielgötterkult (Gott
Ga­zellenjagd, Fischerei); Rundhäuser; un- des Krieges, des Eisens, der Erde, des Ora-
geklärt, ob bereits Pflanzenanbau; Funde: kels, Schöpfergott und Flussgöttin), Ah-
Steingefäße, Mörser mit Stößel, steinerne nenkult, hochentwickelte religiöse Kunst
Schilfschneidemesser, Gemeinschaftsgrä- in Holz, Bronze, Gelbguss, Eisen; von ihr
ber ohne Metallbeigaben; Ahnenkult (mit abhängig das profane Kunstschaffen (Tür-
Lehm realist. übermodellierte abgebrannte und Pfosten-, Fries- und Behälterschnit-
Schädel mit Muscheln als Augen); schon zereien, ornamentale Gewebe; vermutlich
vor 6000 v. Chr. erste Mauerbefestigung mittelmeer. und westasiat. Einflüsse); zum
mit Rundhäusern und Rundtürmen. Um Jeruba-Kulturkreis gehört auch die Kultur
6000 Neuanlage der Stadt durch Kanaa- von ↑ Benin und ↑ Ife.
niter (?) mit stärkeren Mauern. Viereck- Jerusalem (ägypt. Urusalim, Stadt des
häuser auf Steinfundamenten, Stampf- Gottes Salem), heilige Stadt der Juden,
lehm- oder Luftziegelwänden; mit Neben- Christen und Mohammedaner, keilschrift-
gelassen, Kultnische, Vorhalle; auch jetzt lich als Burg 1400 v. Chr. erstmalig er-
keine Töpferwaren, keine Metalle, doch wähnt, um 1000 v. Chr. durch König Da-
Haustierhaltung. Später neue Stadtanlage vid den ↑ Kanaanitern entrissen und zur
in der Nähe, in römischer Zeit berühmt Hauptstadt erhoben; um 960 Tempelbau
durch ihre Rosenkulturen, beim Auf- Salomons (glanzvoller, fester Mittelpunkt
stand der Juden 70 n. Chr. zerstört; dann des jüd. Kults); mehrfach belagert, zer-
in kleinem Umfang wieder aufgebaut und stört und geplündert; 587 von Nebukad-
seit 325 n. Chr. Bischofsitz. nezar II. erobert (7 000 Grundbesitzer und
Jermak (Ermak), German Timofeje- 1 000 Handwerker in die „Babylon. Ge-
witsch, Kosakenataman, gest. 1584; zog fangenschaft“ verschleppt); 539 Rückkehr
erfolglos im Auftrag der Kaufmannsfami- der Verschleppten und Wiederaufbau der
lie Stroganow, die im Ural Salzbergwerke Stadt mit pers. Hilfe; 332 von Alexander
betrieb, gegen das Land Sibir (erst in den d. Gr. besetzt; 168 von Antiochus IV. von
folgenden Jahrzehnten schrittweise Beset- Syrien erobert (Schändung des Tempels,
zung Sibiriens). der von den ↑ Makkabäern wiederherge-
Jerôme, König von Westfalen, ↑ Bona- stellt wurde); 63 v. Chr. von Pompejus be-
parte. setzt und (nach der Glanzzeit unter den
Jeruba-(Yoruba-)Reich, Reich des Jeruba- Herodianern) 70 n. Chr. von ↑ Titus in
volkes (heute 4–5 Mio.) mit zahlreichen eine Ruinenstätte verwandelt; 133 n. Chr.
Sudannegerstämmen; mächtige Staats- röm. Militärkolonie ohne jüd. Einwohner
bildungen seit dem 11. Jh. unter einem Aelia capitolina; durch Konstantin d. Gr.
weltlichen und einem geistlichen König christl. Weihe- und Pilgerstätte (Hl. Grab);
(der Oni von ↑ Ife) mit zentralist. Aufbau: 637 durch ↑ Omar arabisch; Hauptziel der
Familienober­häupter, Bezirkshäuptlinge, Kreuzfahrer, die es 1099 einnahmen und
Stammeshäuptlinge, Könige; von früh an wieder christianisierten; Hauptstadt des
großer Einfluss der Kultgemeinschaften christl. Königreichs J.; 1187 von Sultan
(Bünde), unter denen der Ogboni-Bund Saladin erobert und seit 1244 ständig un-
mit zahlreichen Kulthäusern größten Ein- ter islam. Herrschaft, seit 1517 türkisch;
fluss errang; gegen die arabischen Sklaven- 1917 von den Briten besetzt, bis 1948 Sitz
jäger Anlage großer befestigter Städte, die der brit. Mandatsregierung für Palästina,

455
Jesdegerd

danach zw. dem Staat Israel und den Ara- und Russland unter Katharina II.) und
bern umkämpft, von den UN ohne Erfolg zur völligen Aufhebung des Ordens durch
neutralisiert: der Hauptteil blieb in jüd. Papst Klemens XIV. (1773); im Zuge der
Hand, doch die ganze Stadt als Hauptstadt Neuordnung der kirchlichen Verhältnisse
Israels beansprucht. Im Sechstagekrieg von nach der Befreiung des Kirchenstaates von
1967 Besetzung und Annexion von Ost- Pius VII. 1814 wiedereingesetzt. Das Jesui­
J. durch Israel. Der Status von Jerusalem tengesetz von 1872 (erwachsen aus dem
ist auch einer der Streitpunkte in den Ver- ↑ Kulturkampf ) verfügte für Deutschland
handlungen zwischen ↑ Israel und den Pa- erneut Ausweisung, die 1904 teilweise,
lästinensern. 1917 ganz aufgehoben wurde.
Jesdegerd, pers. Könige: 1) J. I., 399– Jesuitenstaat, rund 150 000 Einwohner
421; friedliebender Herrscher, der den Be- (christianisierte Indianer) zählendes Mis-
stand Persiens unter freundschaftl. Bezie- sionsgebiet, das von 1609 an von den Je-
hung zu Ostrom zu erhalten vermochte. suiten am Mittellauf von Uruguay und
2) J. III. (632–651 n. Chr.), letzter der Sas- Paraná als patriarchaler Gottesstaat ent-
sanidenkönige, erkämpfte sich den Thron, wickelt wurde und bis um 1770 bestand;
musste aber nach den Niederlagen bei Ka- plan- und gemeinwirtschlaftliche Lebens-
dissija (637) und Nehavend (642) dem formen mit Arbeitsverpflichtung, Einwoh-
Angriff des Islam weichen, wurde auf der nermiliz und Ausschließung aller Weißen
Flucht erschlagen; mit ihm ging das persi­ außer den Ordensmitgliedern; bewaffnete
sche Großreich unter, Vorderasien wurde Abwehr der Sklavenjäger, organisierter
Bestandteil des Kalifenreiches. Außenhandel zur Sicherung der Versor-
Jesuiten (Societas Jesu = Gesellschaft Je­su; gung; der J. unterstand direkt der span.
abgekürzt S. J.), kath. Orden (Weltpries­ bzw. portug. Krone, um ihn der Ausbeu-
terkleidung statt Mönchstracht), 1534 von tung durch Kolonisten zu entziehen; der
Ignatius von ↑ Loyola als Missionsorden Abtrennung einiger Bezirke durch Portu-
gegr., straff durchorganisiert, mit absolu- gal widersetzten sich die betroffenen Ein-
ter Herrschaft des Ordensgenerals; 1540 geborenen. Die Ausweisung der Jesuiten
durch Papst Paul III. bestätigt; rasche Aus- aus Spanien 1767 beendete auch ihre Tä-
breitung im 16. Jh. bis nach Asien, Afrika tigkeit in den Kolonien.
und Amerika (Gründung eines Missions- Jesus (aus hebr. Jehoschua, „Jahwe hilft“)
staates in Südamerika, ↑ Jesuitenstaat); Christus (griech., der mit Chrisam Ge-
nach Deutschland durch Herzog Wil- salbte, der Messias), Stifter des ↑ Christen-
helm IV. von Bayern um 1541 gerufen tums; nach christlicher Lehre der im A. T.
und durch Kaiser Ferdinand I. gefördert von den Propheten verheißene und zu
(1551 Kollegium in Wien); vor allem in seiner Zeit bald erwartete Messias, Sohn
der Volksseelsorge (Exerzitien) und in der Gottes, wahrer ewiger Gott und wahrer
Abwehr des Protestantismus (Gegenrefor- Mensch zugleich, Mittler zw. Gott und
mation) tätig; Gründung von Gymnasien, Menschen; Verkündigung eines Gottes
Universitäten und wissenschaftlichen In- der Liebe (im Gegensatz zum rächen­den
stituten mit dem Ziel der Durchdringung Judengott) und der Gotteskindschaft aller
des öffentlichen Lebens mit katholischem Menschen. Verheißung eines kommen­den
Geist; Erzieher und Berater von Fürsten Reiches Gottes und seiner Wiederkunft
(selbst im Fernen Osten); ihr wachsen- als Weltenrichter; Gebot der Gottes- und
der politischer Einfluss führte zu Auswei- Nächstenliebe und der Buße nach dem
sungen aus den meisten europäischen Län- göttl. Willen, Auftrag, die Botschaft vom
dern (außer Preußen unter Friedrich d. Gr. Gottesreich zu allen Völkern zu tragen.

456
Joachim

Geboren 8 oder 7 vor der christl. Zeitrech- neutem Sendungsauftrag an die Apos-
nung in Bethlehem in Judäa als Sohn der tel Himmelfahrt; in wenigen Jahrzehnten
„Jungfrau Maria“, Pflegesohn des Zimmer­ Verbreitung seiner Lehre von Palästina
manns Joseph aus dem Hause David, auf- aus ins Transjordanland, nach Syrien,
gewachsen in Nazareth in Galiläa; erstes Griechenland, Ägypten, Italien, Spanien,
Auftreten um 26/27 nach der Begegnung Nordafrika, Mesopotamien, Armenien,
mit dem Bußprediger Johannes, der Taufe Persien, ins Partherreich (Indien?), in die
durch ihn und vierzigtägigem Fasten in Balkanländer, nach Gallien und Germa-
der Wüste; Predigten in den Synagogen, nien. – Wichtigste Quellen aus der Zeit
auf Bergen, am See Genezareth vor großen vor 100 und im 2. Jh. über Leben, Per-
Volksscharen, aus deren Mitte er sein Jün- sönlichkeit und Lehre in den Evangelien,
gergefolge und aus ihm die zwölf Apostel der Apostelgeschichte, den Apostelbrie-
als Sendboten der Gottesherrschaft aus- fen, bei Flavius Josephus, Tacitus, Sueton,
wählte; Wanderpredigten außer in Gali- Plinius d. J., Klemens von Rom, Ignatius
läa in der Umgebung der phönik. Städte von Antiochien, Polykarp von Smyrna,
Tyrus und Sidon am Mittelmeer, in Cäsa- im Barnabasbrief, der Didache („Lehre
rea, Philippi, am Hermon, an der Straße der Zwölf Apostel“), der Bußschrift „Pas­
von Damaskus zum Meer, in Jerusalem; tor Hermae“, bei Papias von Hierapolis
verkündete die Erlösungs- und Auferste- und Justinus, dem Märtyrer aus Samaria
hungslehre und das neue Sittengesetz in (↑ Christen­tum).
volksnahem Predigtstil, bilderreich, in Jetztmensch, ↑ Paläolithikum.
Gleichnissen und Allegorien aus der Le- Jewish Agency, jüd. Institution in Paläs-
bensumwelt, in klar und bindend ausge- tina; 1922 als Interessenvertretung gegen-
sprochenen Geboten („Bergpredigt“) und über der brit. Mandatsmacht gegründet,
in entschiedener Ablehnung des Pharisäer­ seit Bestehen des Staates Israel (1948) als
tums (mit seiner kasuistischen Auslegung J. A. for Israel v. a. für die Einwanderung
des mosaischen Gesetzes), des Sadduzäer­ nach Israel aktiv.
tums, das die Überlieferung verneinte, Jimmu Tenno, der sagenhafte Gründer des
und der veräußerlichten und oft geheu- japanischen Kaiserhauses, herrschte nach
chelten Theologie der Schriftgelehrten. offizieller jap. Geschichtsauffassung seit
Im Jahr 30, in Voraussicht seines irdischen 660 v. Chr.
Untergangs, Aufbruch nach Jerusalem Joachim, Kurfürsten von Brandenburg:
und feierl. Einzug in die Stadt; unter der 1) J. I., Nestor, 1484–1535; regierte seit
Anklage, den Tempel zerstören zu wol- 1499, unterdrückte das Unwesen der
len, sowie aufrund der Selbstbezeichnung Raubritter, erlangte 1524 die Grafschaft
als Messias und Sohn Gottes, vom ↑ Ho- Ruppin und 1529 die Anerkennung der
hen Rat in der Amtszeit des Hohenprie- Anwartschaft auf Pommern; Gegner der
sters Kaiphas wegen Gotteslästerung zum Reformation und der Schmalkaldener, be-
Steinigungstod verurteilt; im Auftrag des zeichnete sich selbst als „princeps maxime
Landpflegers (Prokurators) Pontius Pilatus catholicus“ und stärkte entscheidend die
von Herodes Antipas verhört, durch den landesherrliche Gewalt; gründete 1506
Spruch des Pontius Pilatus als Aufwiegler die Universität Frankfurt/Oder, 1516 das
ausgepeitscht und als Schwerverbrecher Kammergericht Berlin; Reformen im In-
nach röm. Strafvollzug dem qualvollen nern, Aufnahme und Förderung des rö-
Kreuzestod überantwortet; Beisetzung im mischen Rechts. 2) J. II., Hektor, 1505–
Felsengrab und nach dem Zeugnis der 1571; Sohn von 1), regierte seit 1535,
Evangelisten Auferstehung und nach er- wurde 1539 ev., blieb aber Parteigänger

457
Jobst

des Kaisers, schloss 1537 Erbverbrüderung und der sächs. Kurstimme seinen Sohn
mit den schles. Herzögen, erwarb 1569 die Karl IV. zum Gegenkönig Ludwigs des
Anwartschaft auf Preußen. 3) J. Friedrich Bayern, fiel als Verbündeter Frankreichs
(1598–1608); geb. 1546, sicherte durch bei Crecy. – Brandenburg: 2) J. Cicero,
Hausvertrag (Gera 1599) die Unteilbar- 1455–1499; Sohn des Albrecht Achilles,
keit Brandenburgs und die Sekundoge­ den er seit 1476 in der Mark vertrat, seit
nitur Frankens. 1486 Kurfürst, bekämpfte die Raubritter.
Jobst (Iost, Jodocus), dt. (Mit-)König, 3) J. Sigismund, 1572–1619; seit 1608
1354–1411; aus dem Haus Luxemburg, Kurfürst; trat 1613 zum reformierten
Vetter des Königs Wenzel, 1375 mit der (calvin.) Glauben über, begr. die religiöse
Markgrafschaft Mähren belehnt, erhielt Toleranz in Brandenburg, setzte 1614 er-
von Wenzel Luxemburg und von Wenzels folgreich seine Erbansprüche auf ↑ Kleve-
Bruder Sigmund Brandenburg, die Lausitz Mark-Ravensberg durch (Grundstein der
und Teile Ungarns; 1410 (in zwiespältiger rhein. Provinzen) und erwarb 1618 das
Wahl zugleich mit Sigmund) zum König Herzogtum Preußen. – Burgund: 4) J.
gewählt; vermutl. vergiftet. ohne Furcht, 1371–1419; seit 1404 Her-
Jodl, Alfred, dt. Generaloberst, 1890– zog, Sohn Philipps des Kühnen, gewann
1946; seit 1938 Chef des Wehrmachtfüh- am frz. Hof Macht, unterstützt von den
rungsamtes (später Wehrmachtführungs- Pariser Zünften; ließ Ludwig von Orléans
stab) im OKW; unterschrieb am 7. Mai ermorden, beteiligte sich 1418/19 auf der
1945 in Reims die Gesamtkapitulation der Seite der Königin Isabella an der Doppel-
dt. Wehrmacht. Wegen Verbrechens ge- regierung in Frankreich, von Anhängern
gen den Frieden (Planung eines Angriffs- des gegner. Dauphins (Karl VII.) ermor-
krieges) und gegen die Menschlichkeit det. – England: 5) J. I. ohne Land, 1167–
(Kriegsgefangene) im Nürnberger Prozess 1216; machte seinem Bruder Richard Lö-
zum Tode verurteilt. wenherz den Thron streitig, König seit
Joffre, Joseph, frz. Marschall, 1852–1931; 1199, überwarf sich mit Frankreich (Mord
1914 Oberbefehlshaber des frz. Heeres, an Arthur von Bretagne), übertrug als Ver-
Sieger in der ↑ Marneschlacht, wurde im bündeter des Welfen Otto IV. den stauf.-
Dez. 1916 abgelöst, Vorsitzender des alli- welf. Gegensatz auf W-Europa (Welfen-
ierten Kriegsrats. England – Staufer-Frankreich) und verlor
Johann, vgl. auch ↑ Johannes. nach der Niederlage von ↑ Bouvines 1214
Johann, Name von Herrschern. Böhmen: im Frieden von Chinon die Bretagne und
1) J. von Luxemburg, 1296–1346; genannt die Normandie; unterlag auch im Kon-
der Blinde, Sohn Kaiser Heinrichs VII., flikt mit Papst Innozenz III. (Wahl und
heiratete die Tochter Wenzels III., 1310 Weihe des Erzbischofs von Canterbury
von den Ständen zum König und Erben Stephan Langton, Interdikt, Bannfluch
des Przemyslidenreiches erwählt; begrün- gegen Johann) und nahm angesichts dro-
dete die Herrschaft der Luxemburger im hender frz. Invasion England vom Papst
Osten; Parteigänger Ludwigs des Bayern, als Lehen; ließ sich von den aufständ.
beteiligt am Sieg über Friedrich den Schö- Baro­nen die ↑ Magna Charta libertatum
nen bei Mühldorf (1322), erhielt da- abnötigen; starb während der Verteidi-
für von Ludwig das Egerland, gewann in gung gegen den in England gelandeten
Kämpfen mit Polen 1327–1331 Schlesien; Kron­prinzen Ludwig; Vater ↑ Richards
weit ausgreifende Pläne (Erwerb Kärntens, von Cornwall. – Frankreich: 6) J. II., der
Schaffung eines Reiches in Italien) miss- Gute, 1319–1364; seit 1350 König, nach
langen; erhob 1346 mit den geistlichen der Schlacht von Maupertuis 1356 Gefan-

458
Johann

gener Eduards III. von England, musste England 1654, seitdem Einvernehmen


1360 den Frieden von ↑ Breti­gny schlie- mit England. 14) J. VI., 1769–1826; seit
ßen, schwächte das Königtum auch durch 1792 Regent, 1816 König, flüchtete 1807
die Vergebung Burgunds an seinen Sohn vor Napoleon nach Brasilien, kehrte 1821
Philipp den Kühnen (Begründer des Her- zurück, erkannte die aus der Revolution
zoghauses Burgund); starb in engl. Gefan- von 1820 hervorgegangene Verfassung an,
genschaft. – Österreich: 7) J., 1782–1859; konnte aber den Streit zw. Liberalen und
Erzherzog, jüngerer Sohn Leopolds II., Absolutisten nicht beilegen und musste
Feldherr in den Kriegen gegen Napoleon; die Unabhängigkeit Brasiliens und die
dank seiner Volkstümlichkeit (Heirat mit Kaiserwürde seines Sohnes Don Pedro
einer Postmeisterstochter) 1848 von der (den er als Regent zurückgelassen hatte)
↑ Frankfurter Nationalversammlung zum anerkennen. – Sachsen: 15) J. der Bestän-
Reichsverweser gewählt, konnte sich mit dige, 1468–1532; seit 1525 Kurfürst, aus
dem von ihm gebildeten Reichsministe- der Ernestin. Linie des Hauses Wettin,
rium nicht durchsetzen und trat 1849 zu- Anhänger der Reformation, übergab 1529
rück. 8) J. Nepomuk Salvator, geb. 1852, auf dem Speyrer Reichstag die Protestation
1911 für tot erklärt; Erzherzog, Sohn Le- und 1530 auf dem Reichstag die Augsbur-
opolds II. von Toskana, verzichtete 1889 ger Konfession, brachte den ↑ Schmal-
auf Titel und Rechte, nannte sich J. Orth, kald. Bund zustande. 16) J. Friedrich I.,
als Kapitän seit 1890 verschollen. Polen: der Großmütige, 1503–1554; Sohn von
9) J. II. Kasimir, 1609–1672; urspr. Kar- 15), seit 1532 Kurfürst, musste 1547 nach
dinal, 1648–1668 König, im Kampf gegen der Niederlage bei Mühlberg auf die Kur-
Schweden, Russland und Kosaken, verlor würde und Teile seines Landes zugunsten
1660 die Lehenshoheit über Preußen und seines Vetters Moritz (Albertin. Linie) ver-
Livland, 1667 die Ukraine; dankte ab. zichten, bis 1552 Gefangener des Kaisers.
10) J. III. Sobieski, 1629–1696; nach sei- 17) J. Georg I., 1585–1656; Albertiner,
nem Sieg über die ↑ Türken (1673) 1674 seit 1611 Kurfürst; im 30-jährigen Krieg
zum König gewählt; zog 1683 zur Ret- anfangs Verbündeter Ferdinands II., seit
tung Wiens erneut gegen die Türken und 1631 auf Seiten Gustav Adolfs, schloss
trug entscheidend zum Sieg am Kahlen- 1635 mit dem Kaiser den Sonderfrieden
berg bei. Portugal: 11) J. I., der Unechte, zu Prag und wurde dafür mit der Lausitz
1357–1433; seit 1385 König, verteidigte belehnt. 18) J. Georg III., 1647–1691;
den Thron gegen Kastilien, entriss den seit 1680 Kurfürst, nahm 1683 an der Be-
Mauren Ceuta, förderte die Entfaltung freiung Wiens von der Türkenbelagerung
bürgerlicher Kultur; Vater ↑ Heinrichs teil. 19) J., 1801–1873; seit 1854 König,
des Seefahrers. 12) J. II., 1455–1495; seit kämpfte 1866 gegen Preußen, verdankte
1481 König, festigte die Stellung des Kö- nach der Niederlage dem Eintreten Ös-
nigtums, förderte die atlant. Entdeckungs- terreichs, dass er Thron und Land behielt;
fahrten und schloss mit Spanien 1494 den übersetzte unter dem Namen „Philalethes“
Vertrag von ↑ Tordesillas zur Abgrenzung Dantes „Göttliche Komödie“.
der überseeischen Interessensphären: Ihm Johann, 24 Päpste: 1) J. I. (523–526); hl.,
verdankt das Kap der Guten Hoffnung unter Theoderich im Kerker. 2) J. VIII.,
seinen Namen. 13) J. IV., (1640–1656); (872–882); krönte Karl den Kahlen und
geb. 1604, erster König aus dem Haus Karl III. zu Kaisern. 3) J. X. (914–928);
Braganza; Beendigung der seit 1580 be- krönte 915 Berengar von Friaul zum Kaiser.
stehenden Personalunion mit Spanien; 4) J. XII. (955–964); Spross des römischen
Freundschafts- und Handelsvertrag mit Stadtadels (Sohn Alberichs II.), mit 18 Jah-

459
Johann Parricida

ren Papst (der erste, der bei seiner Erhe- Johann von Leiden (Jan Bockelson), Füh-
bung einen anderen Namen annahm), rief rer der ↑ Wiedertäufer in Münster, 1509–
Otto I. gegen Berengar II. zu Hilfe, krönte 1536; herrschte seit 1534 als „König von
ihn zum Kaiser, erkannte das sog. Otto- Zion“, nach Einnahme der Stadt durch bi-
num an (Bestätigungsrecht des Kaisers schöfliche Truppen hingerichtet.
bei Papstwahlen, in Kraft bis 1059), ver- Johann von Neumarkt, Vertreter des dt.
band sich 963 mit Ottos Gegnern; wurde Frühhumanismus, um 1310–1380; Bi-
963 abgesetzt. 5) J. XXII. (1316–1334); schof von Olmütz, Kanzler Karls IV., auf
Franzose, residierte in Avig­non, verfocht Italienreisen mit Petrarca befreundet, ver-
das Recht einer Entscheidungsgewalt des breitete den Humanismus in Böhmen, Be-
Papstes bei Doppelwahlen, entschied für gründer der (nach dem Vorbild Ciceros
Friedrich d. Schönen gegen Ludwig d. Bay­ gepflegten) Prager Kanzleisprache, auf der
ern, der ihm Nikolaus V. als Gegenpapst Luther die nhdt. Schriftsprache aufbaute.
entgegenstellte und sich trotz Bann und Johann von Salisbury, um 1115–1180;
Interdikt behauptete; wandte sich gegen geb. in England, seit 1136 in Frankreich
die Armutsziele der ihm Widerstand lei- als Lehrer an der Domschule zu Chartres,
stenden Franziskaner; verdient um die Re- dem berühmten Mittelpunkt klass. Stu-
form der päpstl. Verwaltung und die Mis- dien im frühen MA, Schüler ↑ Abä­lards;
sion im Nahen Osten. 6) J. XXIII. (1410– seine Berichte sind die beste Quelle für
1415); ver­sprach auf dem Konzil zu Kon- den Hochschulbetrieb des 12. Jh.
stanz, das er auf Drängen Kaiser Sigmunds Johanna, Name von Herrscherinnen.
einberief, abzu­danken, widerrief, wurde England: 1) J. („Jane“) Seymour, 1509–
abgesetzt und bis 1418 in Haft gehalten; 1537; dritte Gemahlin Heinrichs VIII.,
1419 Kardinal-Bischof von Tuskulum. Mutter Eduards VI.; starb nach dessen Ge-
7) J. XXIII. (Angelo Giuseppe Roncalli), burt. 2) J. Grey, ↑ Grey. – Kastilien: 3) J.
1881–1963; 1925 als apost. Beauftragter die Wahnsinnige, Tochter Ferdinands und
in Sofia, 1935 in Konstanti, 1944 Nuntius Isabellas von Spanien, 1479–1554; seit
in Paris, 1953 Kardinal und Patriarch von 1496 Gemahlin Philipps des Schönen, des
Venedig; 1958 zum Papst gewählt, „Pfarrer Sohnes Maximilians I., seit 1506 geistes-
der Welt“ genannt; 1961 in Fortsetzung krank, Mutter ↑ Karls V., der durch sie die
und Ergänzung der Sozialenzykliken „Re- span. Krone erbte, und ↑ Ferdinands I. Ne-
rum novarum“ Leos XIII. und „Quadrage- apel: 4) J. I., 1326–1382; kam nach dem
simo an­no“ Pius’ XI. Sozialrundschreiben Tod ihres Großvaters Robert des Weisen
„Mater et Magistra“: scharfe Verurteilung 1343 zur Herrschaft, wurde 1381 von ih-
soz. Ungerechtigkeit, Richtlinien für eine rem Adoptivsohn Karl von Durazzo gefan-
menschenwürdige Sozialordnung auf Basis gengesetzt und erdrosselt; von ihr erwar-
der kath. Soziallehre. Neuordnung der Va- ben die Päpste 1348 ↑ Avignon. 5) J. II.,
tikan-Verwaltung, größere Selbständigkeit 1371–1435; regierte seit 1414, mit ihr
der vatikan. Ämter, schärfere Trennung erlosch das Haus Anjou-Neapel. – Frank-
von Seelsorge und Verwaltung in der Ku- reich: 6) J. von Valois, 1464–1505; Toch-
rie; Einberufung des II. Vatikan. Konzils ter Ludwigs XI., Gemahlin Ludwigs XII.,
(Annäherung aller Christen, Dezentralisie­ trat nach Ungültigkeitserklärung (1498)
rung der kirchlicher Arbeit). ihrer Ehe in den von ihr gegr. Orden der
Johann Parricida (lat., Verwandtenmör- Annunziatinnen ein.
der), J. von Schwaben, 1290–1313; Neffe Johannes, Kaiser von Byzanz: 1) J. I. Tzi-
Kaiser Albrechts I., den er wegen nicht er- miskes (969–976); Armenier, Kaiser nach
füllter Erbansprüche 1308 ermordete. der Ermordung Nikephoros’ II. Phokas,

460
Johannes Paul II.

schlug 971 die Russen und machte Bul- einem der Freunde und Schüler des J.,
garien zur byzantin. Provinz; überbrückte der selbst schon 44 n. Chr. den Märtyrer-
durch Vermählung seiner Nichte Theo- tod erlitten hat). 3) Johannes Chrysos-
phanu mit ↑ Otto II. den Zwiespalt (süd­ tomos, Chrysostomos. 4) J. von Damas-
ital. Streitfrage) zw. Ostrom und dem kus (Chrysorrhoas oder Damascenos),
röm.-dt. Kaiserreich (Verzicht auf Bene- um 675–750; urspr. hoher Beamter des
vent, Capua und Salerno, aber Behaup- Kalifen, einer der bedeutendsten griech.
tung des Anspruchs auf Apulien und Kala- Kirchenlehrer, Verfasser eines dogmat.
brien) und erkannte gleichzeitig das röm.- Lehrbuches der Ostkirche („Quelle der
dt. Kaisertum an; 974/75 eroberte er Sy- Erkenntnis“). 5) J. von Gott, hl., 1495–
rien und die mesopotam. Länder zurück. 1550; aus dem von ihm 1540 in Granada
2) J. II. Komnenos (1118–1143); kämpfte gegründeten Krankenhaus entstand 1586
gegen Seldschuken und Petschenegen, mit der Orden der Barmherzigen Brüder (vom
dem Hl. Röm. Reich und Pisa verbündet. hl. J. von Gott). 6) J. vom Kreuz, San Juan
3) J. III. Dukas Vatatzes (1222–1254); de la Cruz, span. Mystiker, 1542–1591;
kraftvoller Herrscher des Teilreiches Ni- Reformator des Karmeliterordens, Begrün-
cäa, kämpfte um die Wiedervereinigung der eines bedeutenden mystischen Lehr-
mit dem ↑ Lat. Kaiserreich. 4) J. V. Palä- gebäudes. 7) J. von Nepomuk, Schutzpa­
ologos (1341–1391); musste Adrianopel tron Böhmens, 1340–1393; Domherr von
1361 den ↑ Türken überlassen; unter ihm St. Veit in Prag und Armenpfleger; Ver-
Verfall des Reiches und völlige Abhängig- trauter des Erzbischofs, in dessen Streit
keit von Osmanenherrschern. 5) J. VIII. mit König Wenzel IV. verwickelt, gefan-
Paläologos (1425–1448); Nachfolger Ma- gengenommen und an der Karlsbrücke in
nuels II., trat zum kath. Glauben über und Prag in der Moldau ertränkt.
suchte durch die Union von Florenz ver- Johannes Paul II., vorher Karol Wojtyla,
geblich, wirksame Hilfe des Westens gegen Papst seit 1978; 1920–2005, seit 1964
die Türken zu erlangen; zog sich dadurch Erzbischof von Krakau, 1967 zum Kar-
beim Volk den Vorwurf des Glaubensver- dinal ernannt. J. P., gebürtiger Pole, war
räters zu und versuchte den Abfall von der der erste nichtital. Papst seit Hadrian VI.
russ. Kirche, die sich als „Drittes Rom“ (1522/23); 1981 bei einem Attentat le-
und Hort des wahren Glaubens prokla- bensgefährl. verletzt, erholte sich jedoch
mierte. wieder. J. P. engagierte sich in seiner über
Johannes (Johann), Heilige: 1) J. der 26-jährigen Amtszeit auch für weltliche
Täufer, Bußprediger und Prophet am un- Belange, setzte sich für die Förderung
teren Jordan 27/28 n. Chr., vielleicht der von Frieden, Menschenrechten und De-
messian. Gemeinde von ↑ Qumran nahe mokratie ein und trug durch die Unter-
stehend; taufte ↑ Jesus, von Herodes An- stützung der Widerstandsbewegung zum
tipas eingekerkert und enthauptet. 2) J. friedl. Ende des Ostblocks und des Kalten
der Apostel und Evangelist, gest. um Krieges bei. Auf zahlr. Auslandsreisen in
100 n. Chr. zu Ephesus; Sohn eines Fi- über 120 Staaten versuchte er, die Völker-
schers, Schüler J. des Täufers, Lieblings- verständigung und den Dialog der Religio­
jünger und Vertrauter Jesu, wirkte in nen zu fördern, wurde aber für seinen auto­
Kleinasien, unter Domitian wegen Ver- ritären Führungsstil und seine Haltung zu
werfung des Kaiserkults nach Patmos ver- Themen wie z. B. Zölibat, Priesterweihe
bannt. „Evangelium“, „Briefe“, „Apoka­ der Frau, Empfängnisverhütung, Abtrei-
lypse“ (Johannes-Schriften werden von bung, Homosexualität sowie zur Öku-
einigen J. dem Presbyter zugeschrieben, mene heftig kritisiert.

461
Johannes Scotus Eriugena

Johannes Scotus Eriugena, bedeutender Jordanien, haschimid. Königreich in Paläs­


Vertreter der Frühscholastik, Mitte 9. Jh.; tina, bis 1918 (Zusammenbruch des Os-
irischer Herkunft, lehrte in Paris und Ox- man. Reiches) als Teilgebiet Syriens unter
ford, verschmolz die christl. Dogmatik mit der Herrschaft des türk. Sultans (Sandschak
neuplaton. Ideen; leitete den ↑ Universa- Jerusalem); 1918 mit ganz Palästina unter
lienstreit ein; wegen seiner pantheistisch- brit. Verwaltung und 1920 durch brit.-
spiritualistischen Tendenzen angefeindet. frz. Entscheid Trennung von Syrien; brit.
Johanniter, geistlicher Ritterorden, her- Mandat unter dem Haschimiden Abdallah
vorgegangen aus der 1070 gegr., 1113 vom Ibn AI-Hussein als Emir; 1922 Trennung
Papst anerkannten Brüderschaft des Hospi­ auch von Palästina, das „Nationalheim der
tals des hl. Johannes von Jerusalem (Hospi­ Juden“ wurde; 1928 erste Verfassung un-
taliter), nach dem Vorbild der Templer ter Einschränkung der brit. Rechte; 1946
zum Ritterorden umgestaltet; 1291 bei Ende des brit. Mandats, formelle Unab-
der Räumung Palästinas nach Zypern ver- hängigkeit („Transjordanien“), Emir Ab-
legt, 1310 nach Rhodos (Rhodiserritter), dallah wurde König; seit 1948 Krieg mit
nach erneuter Vertreibung durch die Tür- Israel, Altstadt Jerusalems wurde erobert;
ken 1530 nach Malta (Malteser), 1798 1949 Waffenstillstand, nach Einverleibung
von Napoleon vertrieben; im 19. Jh. als der besetzten rechtsjordan. Gebiete neuer
(kath. Malteser-)Adelsorden erneuert (Sitz Name: Jordanien; 1951 Ermordung Ab-
in Rom; meist Ehrenritter ohne Ordensge- dallahs. Nachfolger sein Sohn Talan, nach
lübde). – J. auch die seit dem 16. Jh. protes­ dessen Absetzung durch das Parlament
tant., 1811 säkularisierte Ballei Branden- 1951 sein Sohn Hussein I. König, konsti-
burg; 1812 als ev. Adelsorden neu gestif- tutionelle Verfassung; 1955 Mitglied der
tet, 1852 reorganisiert und in den Dienst UN; 1958 vorübergehend „Arab. Fördera-
der Krankenpflege gestellt. tion“ mit dem Irak; 1961 durch den Aus-
John Bull, spött. Bezeichnung der Englän­ tritt Syriens aus der Vereinigt. Arab. Repu-
der, nach einem satir. Roman von Arbuth- blik Ende der Einkreisung; Anlehnung an
not (1712), der auf den damals führenden Syrien, Irak, Saudi-Arabien. 1967 Aussöh-
Staatsmann John Bolingbroke anspielte. nung mit Ägypten, gemeinsame Gegner-
Johnson, Lyndon Baines, 1908–1973; schaft gegen Israel, Verlust Westjordaniens
amerik. Politiker, 1960 Vizepräs. unter im Sechstagekrieg von 1967. Erstarken der
J. F. Kennedy, nach der Ermordung Ken- Palästinaflüchtlinge innerhalb J.s, 1970
nedys als Präs. vereidigt und 1964 wieder- Zerschlagung und Vertreibung der palästi-
gewählt. Unter J. Eskalation des Vietnam­ nensischen Organisationen in J. Unterstüt-
krieges. J. verzichtete 1968 auf eine er- zung des Irak im ↑ Golfkrieg, was zu Span-
neute Präsidentschaftskandidatur. nungen und Abbruch der diplomatischen
Joinville, Jean, Sieur de, frz. Historiker, Beziehungen mit Syrien führte. 1988
1224–1317; Freund Ludwigs IX. des Hei- durch König Hussein Abtretung der von
ligen; begleitete ihn 1248–1254 auf dem Israel besetzten Gebiete am Westufer des
Kreuzzug und schrieb seine Geschichte. Jordan an die Palästinenser. Die PLO rief
Jom-Kippur-Krieg 1973, ↑ Israel. daraufhin den unabhängigen Staat Paläs-
Jordanes, Geschichtsschreiber, geb. um tina aus, den J. anerkannte. Eine wirtsch.
500 n. Chr., vermutlich Alane von Geburt, und polit. Wende brachte der Friedensver-
lebte bei den Goten und verfasste um 550 trag mit Israel, der nach mehrjährigen teil-
„Vom Ursprung und den Taten der Go- weise geheimen Ver­handlungen 1994 un-
ten“ als Auszug aus einer verlorenen Ge- terzeichnet werden konn­te. Die Jahre vor
schichte der Goten von Cassiodor. der Jt.-Wende waren von Bemühungen

462
Josephus

des mittlerweile dienstältesten arab. Staats­ folgekrieg; 1785 Fürstenbund) und erhielt
oberhaupts König Hussein II. geprägt, ledigl. das Innviertel, führte 1788 unglück-
eine endgültige Lösung für die Probleme lich Krieg gegen die Türken; neben Fried-
in Palästina zu finden. Nach seinem Tod rich d. Gr., den er bewunderte, Hauptver-
1999 trat sein Sohn König Abdullah II. treter des aufgeklärten Absolutismus und
Ibn al-Hussein seine Nachfolge an; seit radikaler Reformer: Abschaffung der Leib-
1999 neue Kredite vom IWF, Normali- eigenschaft und des Zunftzwanges, kon-
sierung des Verhältnisses zu Ägypten, Sy- fessionelle Toleranz, Pressefreiheit, Rechts-
rien und den Golfstaaten und gleichzeitig gleichheit; Aufhebung zahlreicher Klöster
starke Bindung insbesondere an Großbri- u. a.; auf dem Weg zu einem österr. Ein-
tannien und USA. heitsstaat, scheiterte aber mit seinem Zen-
Josefinismus (Josephinismus), im engeren tralismus und der Bevorzugung des dt.
Sinne die vom Geist der Aufklärung be- Elementes am Widerstand der Länder, mit
stimmte Kirchen- und Kulturpolitik Kaiser seinem Vorgehen gegen die Privilegien an
↑ Josephs II. von Österreich, im weiteren den Ständen und mit seinen staatskirch-
Sinne alle Bestrebungen des (bes. absolu- lichen Bestrebungen an der Kirche; die
tist.) Staates, die Fürsorge für die (diessei- von ihm verfochtenen Prinzipien bes. im
tig gemeinte) Glückseligkeit des Bürgers kirchlichen Bereich blieben als ↑ Josefi-
auf bisher von der Kirche beherrschte nismus lebendig. – Bayern: 3) J. Ferdi­
Bereiche (z. B. Schulwesen) auszudehnen nand, 1692–1699; Sohn Max Emanuels
und das Eigenleben wie die Selbständig- von Bayern und Margarete Theresias, der
keit der Kirche auf Angelegenheiten des Tochter Karls II. von Spanien; seine Er-
Rituals und Dogmas zu beschränken. nennung zum Universalerben der span.
Joseph, Sohn Jakobs, nach dem A. T. von Monarchie 1698 durch Karl II. führte zur
seinen Brüdern nach Ägypten verkauft, Auseinandersetzung zw. Bayern und Ös-
wo er zum hohen Staatsbeamten aufstieg, terreich im ↑ Span. Erbfolgekrieg. 4) J.
veranlasste Jakob zur Ansiedlung in Ägyp- Klemens, 1671–1723; Kurfürst von Köln
ten; geschichtlich vermutlich in engem seit 1683, auch Bischof von Regensburg,
Zusammenhang mit der im Gefolge der Lüttich, Hildesheim und Lille, Propst von
↑ Hyksosbewegung erfolgten Abwande- Berchtesgaden, als Verfechter der Erb-
rung israelit. Stämme nach Ägypten, die ansprüche Bayerns (↑ J. Ferdinand) mit
sich in der östl. Deltalandschaft Gosen an- seinem Bruder Max Emanuel von Bayern
sässig machten und nach 1200 v. Chr. un- 1706 geächtet; im Frieden zu Rastatt 1714
ter Moses und Aaron nach Israel zurück- wieder in sein Amt eingesetzt.
wanderten. Josephine, ↑ Beauharnais.
Joseph, Name von Herrschern. Hl. Röm. Josephus, Flavius, jüd. Geschichtsschrei-
Reich: 1) J. I., 1678–1711; Sohn Leo- ber um 37–um 97 n. Chr.; nahm am Auf-
polds I., regierte seit 1705; sein früher stand gegen die Römer teil, gefangen, nach
Tod brachte Österreich trotz der Siege im seiner Freilassung im Lager des Titus bei
↑ Span. Erbfolgekrieg (Prinz Eugen) um der Eroberung Jerusalems, später in Rom;
den Gewinn der Krone Spaniens. 2) J. II., seine Werke sollten die Römer und Grie-
1741–1790; 1764 röm. König, seit 1765 chen mit dem Judentum vertraut machen;
Mitregent seiner Mutter ↑ Maria There- „Jüdische Altertümer“, „Geschichte des
sia, seit 1780 Alleinherrscher; erwarb bei jüdischen Krieges“ (beide in griechischer
der 1. ↑ Poln. Teilung 1772 Ostgalizien, Sprache), „Gegen Apion“ (eine Verteidi-
1775 die Bukowina, versuchte vergeblich, gung gegen den Antisemitismus) sowie
Bayern zu gewinnen (1778/79 bayer. Erb- eine Autobiografie.

463
Jovianus

Jovianus, Flavius Claudius, röm. Kaiser Nebukadnezar erobert, 539 nach der Zer-
(363–364 n. Chr.); schloss einen schmach- störung des Babylonischen Reiches durch
vollen Frieden mit Persien (u. a. Preisgabe Kyros zu Persien, fortan Judäa genannt,
des christl. Armeniens); stellte durch Auf- unter Oberhoheit der Ptolemäer und Se-
hebung der Edikte Julians die Rechte der leukiden; größte Ausdehnung unter den
Christen wieder her. ↑ Makkabäern und (nach Eingliederung
Juan Carlos I., König von Spanien, geb. in den Machtbereich Roms 63 v. Chr.) un-
1938; seit 1962 mit Sophia von Griechen- ter Herodes I.; nach der Zerstörung Jeru-
land verheiratet; seit 1960 erster Thronan- salems 70 n. Chr. röm. Provinz; verbunden
wärter, seit 1969 Prinz von Spanien (auf mit der Geschichte ↑ Palästinas.
Vorschlag des Generals Franco zu des­sen Judas Makkabäus (Hammer), jüd. Feld-
Nachfolger gewählt); 1975 zum Kö­nig herr, seit 166 v. Chr. wegen des Verbots des
proklamiert; trug mit seiner Ableh­nung jüd. Kults Führer eines jüd. Aufstandes ge-
des Putsches rechter Militärs im Febr. 1981 gen den syr. König Antiochus IV., in dem
wesentlich zu dessen Scheitern bei. Er be- er 160 fiel; das Verbot 164 aufgehoben;
mühte sich um eine friedliche Lösung des Begründer der Dynastie der ↑ Makkabäer
Gibraltar-Konflikts und förderte maßgebl. oder Hasmonäer.
den Aufbau eines demokratischen Staates. Juden, seit der ↑ Babylon. Gefangenschaft
Juan d’Austria, span. Feldherr, 1547– (↑ Israel) Bezeichnung für die Angehöri-
1578; leibl. Sohn Kaiser Karls V. und gen des jüd. Volkstums und der jüd. Glau-
der Regensburger Bürgertochter Barbara bensgemeinschaft (des Judentums). – Im
Blomberg, vernichtete 1571 bei ↑ Lepanto Altertum: Nach der Rückkehr der Depor-
die türkische Flotte, stürmte 1573 Tunis, tierten (536 v. Chr.) in das unter pers.
1576 Statthalter der Niederlande. Oberhoheit gekommene Palästina („Ju-
Juarez, Benito, mexikan. Politiker, 1806– däa“) organisierten sich die J. zu einer reli-
1872; Indianer, 1858 Staatspräsident, er- giösen Gemeinde, einem theokrat. Staat
hielt vom Kongress 1861 diktatorischer unter dem Hohenpriester und später dem
Vollmachten, führte einschneidende Re- ↑ Hohen Rat (Synedrium); die Gemeinde
formen durch (Trennung von Staat und war durch den Jahweglauben, das „Gesetz
Kirche, Einziehung der Kirchengüter), Mosis“ (Thora) und das gemeinsame Kult-
setzte die Zahlungen an Auslandsgläubiger zentrum im neuen Tempel in Jerusalem
aus, behauptete sich gegen die frz.-span.- geeint und durch das Mischehenverbot
brit. Intervention und ließ 1867 den von und die jüd. Lebenseigenart von der Um-
Frankreich im Stich gelassenen Kaiser gebung abgehoben. Die J. gerieten in der
↑ Maximilian von Österreich erschießen. Folge unter die Herrschaft Alexanders
Juba, König von Numidien, kämpfte auf d. Gr. (Ende der pers. Herrschaft 332); die
Seiten des Pompejus gegen Cäsar, töte­te Samaritaner spalteten sich ab und errich-
sich nach der Niederlage bei Thapsus teten ein eigenes Kultzentrum auf dem
46 v. Chr. Berge Garizim. Nach Alexanders Tod wur-
Juda, urspr. das Gebiet des Stammes J. den die J. Untertanen der Nachfolge-
(südl. von Jerusalem); nach dem Zerfall staaten, der hellenist. Reiche der Ptole-
des von David begr. großpalästinens. Rei- mäer und Seleukiden; es begann die geis-
ches Israel (um 925 v. Chr. Tod Salomons) tig-theolog. Auseinandersetzung mit dem
das Südreich im Gegensatz zum Nord- ↑ Hellenismus bes. durch die Rabbis, die
reich ↑ Israel; wurde um 700 v. Chr. von Schriftgelehrten an den nach dem Exil
Assyrien abhängig, geriet nach 605 v. Chr. entstandenen Synagogen, die gegen die
in den Machtbereich Babylons, 587 von Gefahr der geistigen Überfremdung auf

464
Juden

Buchstaben und Gesetzestreue beharrten; Eroberung Jerusalems und Einäscherung


durch Abwanderung Bildung zahlreicher des Tempels durch ↑ Titus; Verschleppung
Diasporagemeinden im Neupers. Reich, von Hunderttausenden in die Gefangen-
vor allem aber in Babylon, das 2. jüd. schaft (↑ Qumran); J. verbreiteten sich im
Zentrum wurde, in Athen, wo die J. Ge- ganzen Römerreich (früheste bekannte Sy-
phyraier genannt wurden, und in Alexan­ nagoge in Form einer 3-schiffigen Basilika
dria, wo sie sich assimilierten, die griech. in ↑ Ostia bei Rom, 1961 entdeckt; Be-
Sprache übernahmen und die hl. Bücher gräbnisstätten in ↑ Katakomben); schon in
ins Griechische übersetzen ließen (↑ Sep- der frühen Kaiserzeit neben freier Entfal-
tuaginta, Bibel). 168 v. Chr. verbot der Se- tung lokale Verfolgungen. In Palästina er-
leukide Antiochos IV., Verehrer der griech. hob sich der jüdische Bevölkerungsrest
Götter (Zeusbild im Tempel zu Jerusa- 132 n. Chr. unter ↑ Bar Kochba (Bar Kos-
lem), den jüdischen Kult; Freiheitskampf sebah) erneut gegen die Römer (Kaiser
unter Führung des Priestergeschlechts der Hadrian); das seit 70 n. Chr. teilw. wieder
↑ Makkabäer (Hasmonäer), der 164 zur besiedelte Jerusalem wurde völlig dem
Neuweihe des Tempels und 141 zu einem Erdboden gleichgemacht, an seiner Stelle
erheblichen Maß an polit. Selbständigkeit entstand die Römerkolonie Aelia capito-
führte; Abwehr der Hellenisierungsgefahr, lina; Judäa wurde entvölkert. In Rom auch
doch Übernahme griech. Kulturgehalte. in der mittleren Kaiserzeit mehrmalige
Seit 161 v. Chr. standen die J. (Freund- Verfolgungen (wegen der Ablehnung des
schaftsgesandtschaft des Judas Makkabäus Kaiserkults durch die J. und der Weige-
nach Rom, Anerkennung des jüd. Staates rung, am Sabbat Dienst im Heer zu tun
durch Rom) in Berührung mit den Rö- oder vor Gericht zu erscheinen); unter
mern, doch schon 139 erste Judenverfol- Konstantin (Toleranzedikt) Gleichberech-
gung in Rom wegen der Sabbatfeier am tigung mit den Christen (der antijüdischen
Tag eines röm. Gottes. In Palästina Erobe- Theo­logie mancher Kirchenväter stand die
rung der samaritan. Gebiete und des Ost- Toleranz eines Chrysostomos, Augustinus
jordanlandes; innere, z. T. blutige Ausei- und Gregors d. Gr. gegenüber); im Osten
nandersetzungen zw. ↑ Pharisäern und wurden die J. unter Justinian (527–565)
↑ Sadduzäern, in deren Verlauf der zum den Ketzern gleichgestellt. – Im Mittelal-
Schiedsrichter gerufene Römer ↑ Pompe- ter: Bis zu den blutigen Pogromen durch
jus 63 v. Chr. Jerusalem eroberte (Schlei- die Kreuzfahrer lebten die J. im frühen
fung der Mauern); Ende der jüd. Selbstän- MA im allg. unbehelligt; sie waren neben
digkeit. Unter Cäsar Teilung des Landes in Syrern, Arabern und Friesen führend im
Statthalterschaften; 37 v. Chr. Bildung des Handel von Frankreich bis China tätig
von Rom abhängigen Königtums unter (Geld, Seide, Pelzwerk, Walten, Gewürze),
Herodes I. d. Gr. (37–4 v. Chr., glanzvolle viele J. waren Grundbesitzer, Steuerpäch-
Restaurierung des Tempels); 6 n. Chr. Un- ter, Handwerker, Gelehrte, Astrologen,
terstellung Judäas unter röm., von Syrien Ärzte, Diplomaten (unter Karl d. Gr.);
abhängige Landpfleger (Prokuratoren; un- auch am Hof der Kalifen (trotz Kopf-
ter dem Landpfleger Pontius Pilatus Kreu- steuer) und in den christlichen Ländern
zigung Christi und erste Judenchristenge- Spa­niens (León, Aragonien, Kastilien, Na-
meinden); 41 n. Chr. Erneuerung des Kö- varra) konnten sie sich trotz islam. und
nigtums unter Agrippa I. (41–44), dem christl. Bekehrungsdrucks wirtschaftlich
Enkel des Herodes, Tyrannei und Steuer- und kulturell verhältnismäßig frei entfal-
druck führten 66–72 zum allg. Aufstand ten; als Übersetzer antiker Schriftsteller
gegen die römische Besatzung; 70 n. Chr. waren sie Mitbegründer der arabischen

465
Juden

wissenschaftlichen Kultur. Große Leidens- nach Marokko, in die Berberei, Türkei,


zeit des Judentums während der Kreuz- nach Portugal, Italien und Sizilien aus. –
züge: beim Durchzug der Kreuzfahrer seit In der Neuzeit bestanden die unduld-
1096 entsetzl. Judenmassaker und Plünde- samen Judenordnungen noch lange Zeit
rungen in vielen Städten (unter Beteili- weiter; völlig unfrei waren die J. im Orient
gung des vielfach an Juden verschuldeten (außer der Türkei); in Italien und Spanien
Bürgertums) auch in Frankreich und Eng- blieben sie von der Inquisition bedroht,
land; Eingreifen des Kaisers, Bernhards verhältnismäßig tolerant waren Frank-
von Clairvaux und Abälards; Massenaus- reich, Holland und bald auch England; in
wanderungen nach Litauen, Polen, Gali- Deutschland blieben ihnen trotz Reforma-
zien und in andere Ostländer. Die Staufer- tion, Renaissance und der Judenschutz-
kaiser nahmen die J. als „Kaiserliche Kam- ordnung Karls V. die Zünfte und viele an-
merknechte“ gegen Abgaben in ihren dere Handelszweige weiterhin verschlos-
Schutz; dieses Judenregal wurde aber sen; trotzdem gelangten viele J. zu wiss.
schon bald Handelsobjekt und gegen Ent- Ansehen und wirtsch. Einfluss. Im späten
gelt an Fürsten, Bischöfe oder Städte abge- 16. Jh. Beginn der Emanzipation und all-
treten oder verpfändet; seit dem 12. Jh. mählicher sozialer Aufstieg; J. waren füh-
wurde vielerorts durch harte Beschlüsse rend am Geschäft der großen Messen bes.
von Konzilien und päpstl. Erlasse das für den Osthandel und den Handel mit
Wohnen in umgrenzten Stadtvierteln Spanien und Portugal beteiligt (Frankfurt:
(Gettos) gefordert und das Tragen von Ab- Buch-, Seiden- und Juwelenhandel); sie
zeichen (Judenhut) Pflicht; nur die J., die beherrschten Geldleihe und Pfandhandel;
sich taufen ließen, waren vollwertige Bür- im und nach dem 30-jährigen Krieg wur-
ger. Der Ausschluss aus Gilden und Zünf- den J. Industrielle, Heereslieferanten und
ten und vielen anderen Berufen führte die Finanziers geistlicher und weltlicher Fürs-
J. zum Klein-(Trödel-)Handel und zum ten, im Zeitalter des Absolutismus Geld-
Pfand und Zins bringenden Geldgeschäft, geber bei Großbauten (Schlösser, Fes­
da den Christen Zinsnehmen von der Kir- tungen) und dank ihrer internat. Bezie-
che verboten war („Jeder Gewinn an Geld hungen diplomat. Ratgeber (Hofjuden);
oder Waren aus reinem, mit keiner Arbeit sie waren unter Friedrich d. Gr. beim
verbundenem Geldgeschäft ist Wucher“); wirtsch. Aufbau Preußens beteiligt; trotz-
von diesem Verbot waren die J. nicht be- dem weiterhin abergläub. Vorstellungen
troffen, sie wurden dadurch ebenso unent- im Volk (1699 Vertreibung aus Lübeck);
behrlich wie wegen der behördlich geneh- die mehr als 1000-jährigen Vorurteile be-
migten hohen Zinsen verhasst; gegen die gannen erst seit der Aufklärung allmähl.
lästigen Gläubiger und die religiös „Ver- zu schwinden; Moses ↑ Mendelssohn,
stockten“ kam es im 14. und 15. Jh. fast in Dohm, ↑ Lessing kämpften für ihre geis-
allen europ. Ländern unter den verschie- tige und polit. Befreiung; Proklamierung
densten geglaubten oder konstruierten der Gleichberechtigung in den USA, in
Anklagen (Kreuzigung Christi, Ritual- Österreich (1782 Toleranzpatent Kaiser
morde, Brunnenvergiftungen, Hostien- Josephs II.), durch die frz. Nationalver-
schändungen, Scheintaufen) zu grausamen sammlung (1791), in Hessen 1808, Frank-
Ausschreitungen insbesondere in Hungers­ furt 1811, Baden 1808 und 1811, Preu-
not- und Katastrophenzeiten („Schwarzer ßen 1812, Mecklenburg 1813, Württem-
Tod“ 1347–1350); im spätmittelalterli­ berg 1828 sowie in Kurhessen 1833; 1848
chen Spanien wurden 1429 300 000 Juden und 1849 Bestätigung der Grundrechte,
ausgewiesen (↑ Maranen) und wanderten trotzdem blieben höhere Offiziers- und

466
Juden

Beamtenstellen J. praktisch verschlossen; und aus der Anwaltschaft („Gesetz zur


bis Ende des 19. Jh. war die Gleichberech- Wiederherstellung des Berufsbeamten-
tigung in allen europ. Staaten gewährt, au- tums“ mit dem sog. „Arierparagrafen“,
ßer in Rumänien und Russland, wo zahl- dem Nachweis von 4 nichtjüdischen Groß­
reiche Judenverfolgungen, Ausnahmege- eltern, der in der Folge für alle öffentlichen
setze und Beschränkungen der Freizügig- Positionen gefordert wurde [Presse, Funk
keit und Berufsausübung Zehntausende u. a.]; davon außer den Volljuden etwa
zur Auswanderung zwangen (nach Paläs- 750 000 „Mischlinge“ betroffen); 19. Sept.
tina, Großbritannien, Amerika, Argenti- 1935 Verbot der Ehen mit J. („Gesetz zum
nien, Australien); in Deutschland, Öster- Schutz des dt. Blutes und der dt. Ehre“),
reich, Frankreich, Russland begann in der Aberkennung der Reichsbürgerrechte,
2. Hälfte des 19. Jh. ein erneutes Aufflam- Verbot des Besuchs der öffentlichen Schu-
men der Judengegnerschaft: in Deutsch- len; die J. organisierten Hilfsstellen, er-
land bes. nach dem Zusammenbruch der richteten eigene Schulen, Krankenhäuser
Gründerjahre und unter dem Einfluss u. a.; 9./10. Nov. 1938 nach der Ermor-
Treitschkes, Stöckers, Richard Wagners, dung des dt. Botschaftsangestellten vom
seines Schwiegersohnes Houston Stewart Rath in Paris (Protesttat eines J.) organi-
Chamberlains u. a. (1879 prägte der ge- sierte ↑ Goebbels mit SA und SS und Pö-
taufte Jude W. Marr das Wort „Antisemi- belhaufen das Pogrom der „Kristallnacht“
tismus“), in Frankreich im Zusammen- (Einäscherung von 600 Synagogen, Demo­
hang mit der ↑ Dreyfus-Affäre, in Russ- lierung jüd. Wohnungen und Geschäfte);
land nach der Ermordung Alexanders II., ↑ Göring erpresste von den J. als „Buße“
in Österreich durch die antijüd. Propa- eine Sondersteuer von 1 Mrd. Mark; Be-
ganda Schönerers und Luegers; Bildung schlagnahme alles jüd. Eigentums, Aus-
von antisemit. Gruppen im dt. Reichstag. schaltung der J. aus dem Wirtschaftsleben.
Nach dem 1. Weltkrieg Wiederaufleben Die Herauslösung aus der „Volksgemein-
des Antisemitismus bes. im stalinist. Russ- schaft“ sollte durch Vertreibung ins Aus-
land (Zerstörung der kulturellen Einheit land vollendet werden; bis zum Welt-
der 3 Mio. russ. J.; Verbot der hebr. Spra- kriegsbeginn emigrierte halbe Million J.,
che, eigener Institutionen, des ↑ Zionis- 16 400 blieben zurück (Verständnislosig-
mus, der Auswanderung, erschwerter Zu- keit vieler Länder angesichts der jüd. Situa­
gang zu Staatsämtern und öffentlichen Bil- tion); Jan. 1939 wurde Heydrich, Chef des
dungsanstalten), in den arab. Ländern (ge- SS-Sicherheitsdienstes (SD) unter Himm-
gen die jüd. Einwanderung in Palästina) ler, Leiter des „Zentralamts für jüdische
und in „völkischen“ Kreisen Deutschlands Auswanderung“ mit dem „Judenreferat
(↑ Nationalsozialismus) und Österreichs. der Gestapo“ unter Adolf Eichmann, Sept.
Die systematische Verdrängung der J. aus 1939 beide ins „Reichssicherheitshaupt-
dem öffentl. Leben begann in Deutsch- amt“ eingegliedert. Nach dem Polenfeld-
land mit der Machtübernahme Hitlers zug Ende 1939 (3 Mio. poln. J.) Plan zu
1933 (↑ Drittes Reich), zunächst mit Ein- einem „Jüd. Siedlungsgebiet“ zw. Bug und
zelaktionen der SA, dann durch polit., San; nach dem Frankreich-Feldzug 1940
wirtschaftl., gesetzl., gesellschaftl. Maß- Plan zur Ansiedlung der J. im frz. Mada-
nahmen: im April 1933 auf Hitlers Wei- gaskar unter dt. Oberhoheit. Während der
sung von Julius Streicher organisierter Ju- Vorbereitungen zum Russlandfeldzug Ent-
denboykott in ganz Deutschland (SA-Pos- schluss Hitlers zur Vernichtung der europ.
ten vor Geschäften), am 7. April 1933 Ver- J. auf russ. Boden als Vorbereitung zur
drängung der J. aus den Beamtenstellen Auslieferung und „Liquidierung“ der J.

467
Judith

der ges. Welt nach dem erwarteten Sieg. Judith, 1) J., sagenhafte Frauengestalt des
Febr. 1941 Beginn der Deportationen zu- A. T.; rettet die Juden im Kampf gegen das
nächst in polnische Übergangslager oder Heer des Assyrers Nebukadnezar, dessen
Durchgangs-Konzentrationslager; im Juli Feldherrn Holofernes sie tötet. 2) J., Toch-
1941 Befehl Hitlers zur ↑ Endlösung der ter Welfs von Schwaben, zweite Gemah-
Judenfrage (radikale Ausrottung); im Sept. lin Kaiser Ludwigs des Frommen; gest.
1941 Befehl zum Tragen des Judensterns 843; hochgebildet, förderte Gelehrte und
und jüd. Vornamen; Dez. 1947 erstes Ver- Dichter (z. B. Walafried Strabo), übertraf
nichtungslager („Gaslager“) in Polen (Tö- ihren Gemahl an Tatkraft und bestimmte
tungslager in Treblinka, Maidanek, Belzec, ihn, das Reichserbgesetz von 817 zuguns-
Auschwitz-Birkenau, Sobibor u. a. folgten); ten ihres Sohnes Karls des Kahlen umzu­
Jan. 1942 nach der „Wannseekonferenz“ stoßen, dem außer Alemannien Nachbar-
Organisation der Vernichtungsaktion, die gebiete zugesprochen wurden (829); Folge
durch die von Himmler eingesetzten „Ein- war die Empörung der Söhne aus 1. Ehe
satzgruppen“ durchgeführt und bis Ende (Lothar I., Pippin und Ludwig der Dt.) ge-
1944 systematisch auf alle besetzten Ge- gen ihren Vater.
biete ausgedehnt wurde (außer in „Groß- Jud Süß, ↑ Süß-Oppenheimer.
deutschland“ in Polen, der Slowakei, in Jugendbewegung, neoromantische Be-
Holland, Belgien, Luxemburg, Frankreich, wegung bürgerl. Jugend, um die Jahrhun-
Norwegen, Italien, Griechenland, Ungarn, dertwende im deutschsprachigen Raum
Jugoslawien, Bulgarien, Rumänien); April gebildet; Ideen: Unterstützung der zeitge-
bis Juni 1943 Aufstand der J. des War- nöss. Kulturkritik (Nietzsche), Ablehnung
schauer Gettos (50 000 bis 100 000 Juden der Industriegesellschaft, Anhänger dörfl.
fielen oder verhungerten); die Zahl der J. Kultur, des romant. Vagantentums, des
in Europa ging durch die Massenerschie- einfachen Lebens, des radikalen Indivi-
ßungen, Massenverbrennungen, Dezimie- dualismus. Organisierte Anfänge bildeten
rung durch Überarbeitung und Aushunge- ab 1896/97 gymnasiale Wandergrup­pen
rung 1939–1945 von 10 Mio. auf 4,2 Mio. in Steglitz (Berlin); ab 1901 als „Wan-
zurück. – In der Geschichte der J. bedeu- dervogel“ („Österr. Wandervogel“ 1911);
tet die Leidenszeit unter dem National­ 1908 „Dt. Akademische Freischar“ (gegen
sozialismus eine Zäsur: Danach schien die völk. Schwärmerei); 1913 Freidt. Jugend
Diaspora- und Minoritätssituation weder auf dem Hohen Meißner (gegen studen-
Schutz noch menschenwürdige Existenz- tische Korporationen). Arbeiterjugendbe-
bedingungen zu bieten. Die Pioniergesell- wegung: 1908 „Zentralstelle für die ar-
schaft des jüdischen ↑ Palästina und der beitende Jugend Deutschlands“ (Zusam-
1948 nach UN-Beschluss gegründete Staat menschluss süddt. und norddt. Verbände);
↑ Israel gaben den J. die Möglichkeit der 1918 kommunist. „Freie Sozialist. Jugend
freien Selbstentfaltung und der Selbstbe- (FSJ)“ (ab 1920 „Kommunist. Jugend
stimmung. Dennoch entschied sich nur Deutschlands“ und ab 1925 „Kommunist.
ein Teil der J. für Übersiedlung, auch ver- Jugendverband Deutschlands“); 1922 So-
mag der Staat Israel keineswegs alle J. auf- zialdemokrat. „Sozialist. Arbeiterjugend“.
zunehmen. Bestimmend für die Ge- Seit 1923 bündische Jugend, bestehend
schichte der J. bleiben die Beziehungen aus: völk. Jugend, christl. Gruppen und
zwischen den in Israel Ansässigen und den politisch und konfessionell unabhängigen
J. in der Welt; die größte jüd. Gemeinde Bünden. Während des ↑ Nationalsozia-
der Diaspora befindet sich mit über 6 Mio. lismus war nur die Hitlerjugend zugelas-
Mitgliedern in den USA. sen. Nach 1945 Wiederbegründung vieler

468
Jugoslawien

Verbände; Arbeiterjugendverbände in der „Četnici“ unter General Mihailovic; kom-


Bundesrepublik Deutschland: „Sozialist. munist. „Nationale Befreiungsarmee“ un-
Jugend Deutschland – Die Falken“, „Na- ter Tito); 1944 Abzug der dt. Besatzung;
turfreundejugend“, „Sozialist. Dt. Arbei- 1945 Abschaffung der Monarchie unter
terjugend (SDAJ)“; in der DDR: „Freie Marschall Tito (erste „Volksdemokratie“);
Dt. Jugend (FDJ)“. autoritäre Staatsform unter Aufgliederung
Jugoslawien (Südslawien), die staatl. Ein- des Gesamtstaates in 6 föderative Teilrepu-
heit der Südslawen als Programm schon im bliken: Serbien, Kroatien, Slowe­nien, Bos-
19. Jh. entwickelt und vor dem 1. Weltkrieg nien-Herzegowina, Mazedoni­en, Monte-
bes. von Serbien propagandistisch vorbe- negro; innere Sowjetisierung (Volksaus-
reitet (großserb. Bewegung mit Spitze ge- schüsse, Arbeiterräte, Selbstverwaltungs-
gen Österreich-Ungarn); südslaw. Zusam- körperschaft); 1947 Friedensvertrag mit
menschluss bereits 1917 ausgerufen; nach Italien (Italien trat große Teile des Juli­
dem Zusammenbruch der Donaumonar- schen Venetiens und andere Gebiete ab).
chie 1918 verwirklicht im „Königreich Nach anfänglichem Anschluss an den sow-
der Serben, Kroaten und Slowenen“ (un- jet. Machtblock 1948 Auseinandersetzung
ter der Dynastie Karadordevic), gebildet Titos mit der ↑ Kominform (Ausschluss)
aus den Königreichen ↑ Serbien (als Kern) und Annäherung an den Westen. Span-
und Montenegro sowie den südslaw. Tei- nungen mit dem Vatikan und mit Italien
len der ehemals österr.-ungar. Monarchie, (wegen Triest; trotz des Gewinns ↑ Fiu­
Kroatien, Slawonien, Bosnien-Herzego- mes, des größeren Teils von Istrien u. a.
wina; 1921 Verfassung mit stark zentra- 1947). 1953 neue Verfassung, 1954 An-
list. Einschlag, der sich die Kroaten unter schluss von Triest-Land; Balkanpakt; 1955
Radic widersetzten. Fortgesetzt Staatskri- Besuch Bulganins und Chrutschschows in
sen (1926 Tod Pasics, des eigtl. Schöp- Belgrad, doch nur vorübergehende Nor-
fers J.s; 1928 Ermordung Radics); Ver- malisierung der Beziehungen zur UdSSR;
suche einer diktator. Zusammenfassung 1958 neues Parteiprogramm (Dezentra-
der Staatseinheit (offizielle Bezeichnung lisierung und gesellschaftliche Selbstver-
„J.“ seit 1929) durch König Alexander I.; waltung). Durch die Verfassung von 1963
außenpolit. Gegensatz zu Ungarn (Revi­ Umbenennung in Sozialist. Föderative Re-
sionsforderungen), Italien (Fiume, Triest), publik J.; durch Verfassungsreformen von
Bulgarien (Mazedonien); Stütze im ↑ Bal- 1967, 1969, 1971 und 1974 zunehmende
kanpakt, Anlehnung an Frankreich, 1934 Dezentralisierung, Ausbau des Grundge-
Attentat von Marseille, dem Alexander I. dankens der Selbstverwaltung. Nach dem
zum Opfer fiel; bis 1941 König Peter unter Tod Titos (Staatsoberhaupt 1945–1980)
Regentschaftsrat, geführt von Prinzregent und zunehmenden wirtsch. Problemen
Paul, der 1941 wegen seines Anschlusses steigende Konflikte in J. Die Auseinan-
an die Achsenmächte (Dreimächtepakt) dersetzungen in der autonomen Region
gestürzt wurde. April 1941 deutsch-ital. Kosovo zw. Serben und der dort lebenden
Einmarsch, Aufteilung J.s: Kroatien und alban. Mehrheit führten 1989 zum An-
Montenegro erklärten sich selbständig; schluss an Serbien und 1990 zu blutigen,
Mazedonien fiel an Bulgarien, Dalmatien bürgerkriegsähnlichen Unruhen. Die Be-
an Italien, Banat und Batschka an Ungarn; ziehungen zwischen den einzelnen Repu-
Reststaat unter der Schattenregierung Ne- bliken J.s verschlechterten sich, 1990 Ab-
dic (etwa in den Grenzen von 1912); da- trennung der slowen. Kommunisten vom
gegen starke Partisanenbewegung (königs- Bund der Kommunisten J.s; zunehmender
treue, von den Westmächten unterstützte Nationalismus in den Teilrepubliken des

469
Jugurtha

Vielvölkerstaates J. Im Juni 1991 Unab- goslawien. Am 4. Feb. 2003 wurde durch


hängigkeitserklärungen der jugoslaw. Teil- Verabschiedung der neuen Verfassung die
republiken Slowenien und Kroatien, da- Republik Jugoslawien durch den Staaten-
raufhin Intervention der jugoslaw. Armee: bund Serbien und Montenegro abgelöst.
in Slowenien schneller Sieg über die „Bun- Jugurtha, König von Numidien (118–
desarmee“, in Kroatien bricht ein Bürger- 104 v. Chr.); nach gewaltsamer Beseitigung
krieg aus. Im Sept. 1991 Unabhängigkeits- der Mitanwärter auf den Thron Allein-
erklärung Makedoniens, im März 1992 herrscher und gefährlicher Rivale Roms
folgte Bosnien-Herzegowina, wo es eben- in Afrika; kämpfte 111–105 v. Chr. gegen
falls zum Bürgerkrieg zwischen Bosniern die Römer, zunächst erfolgreich, doch 105
und Anhängern eines Groß-Serbiens kam. von ↑ Manus nach Rom gebracht, wo er
Im April 1992 Zusammenschluss Serbiens ermordet wurde.
und Montenegros zur „Föderativen Repu- Julia, einzige Tochter des Kaisers Augus-
blik Jugoslawien“ (FRJ), die aber wegen tus, 39 v. Chr.–14 n. Chr.; nacheinander
Unterstützung der serb. Bürgerkriegspar- ver­mählt mit Claudius Marcellus, Agrippa
teien in Kroatien und Bosnien-Herzego- und Tiberius, wegen ihres als skandalös be-
wina nicht völkerrechtl. anerkannt wurde, trachteten Lebenswandels von ihrem Vater
Wirtschafts- und Handelsembargo der 4 n. Chr. nach Pandataria verbannt.
UN gegen „Rest-Jugoslawien“. 1995 Be- Julianischer Kalender, ↑ Kalender.
endigung des militär. Konflikts in Bos- Julian(us), Flavius Claudius, genannt
nien-Herzegowina (Friedensabkommen Apostata (der Abtrünnige), röm. Kaiser,
von Dayton), Aufnahme von Verhand- 332–363 n. Chr.; von seinem Vetter Con-
lungen mit den ehem. Teilrep., Aussetzung stantius 355 zum Cäsar und Nachfolger
des Embargos. Seit Mitte der 1990er Jahre ernannt, festigte die Rheingrenze durch
in Serbien verstärkter Widerstand gegen Siege über Franken und Alemannen (357
Staatspräs. Miloševic, Massendemonstrati- Straßburg), 360 Paris von den Legionen
onen; bei Kommunalwahlen im Nov. 1996 zum Augustus ausgerufen; trotz christl.
Sieg des Oppositionsbündnis „Zajedno“ Erziehung Anhänger des heidn. Neuplato-
in mehren Städten, aber Wahlen wurden nismus, verkündete Glaubensfreiheit und
annulliert. 1998 erneute Eskalation im versuchte den heidn. Götterkult wieder
Kosovo: Die UÇK (alban. Befreiungsar- herzustellen, fiel 32-jährig im Krieg gegen
mee des Kosovo) proklamierte den „offe­ die Perser.
nen Kampf gegen die serb. Herrschaft“ Jülich, ehemals Grafschaft, 1356 Herzog-
und forderte volle Unabhängigkeit. Bru- tum, mit Berg, Ravensberg und Geldern
tale Maßnahmen der jugoslaw. Einheiten vereinigt, 1511 an Kleve-Mark; nach dem
(Zerstörung der alban. Dörfer) führten Aussterben der Herzöge von Kleve trafen
zur Flucht vieler Kosovo-Albaner nach 1609 Sachsen, Brandenburg und Pfalz-
Albanien und Makedonien. 1999 grif- Neuburg im J.-Kleveschen Erbfolgestreit
fen Truppen der NATO in den Konflikt aufeinander; im Vertrag von Xanten 1614
ein; seit 1999 Stationierung bewaffneter erhielt Brandenburg Kleve, Mark und Ra-
Friedenstruppen (KFOR). Im Okt. 2000 vensberg, Pfalz-Neuburg gewann J. und
trat Oppositionschef Vojislav Koštunica Berg; J. wurde 1777 bayerisch, 1815 zus.
die Nachfolge Miloševics als Staatspräsi- mit Berg preußisch.
dent an. Im März 2002 unterzeichneten Jülich-Klevescher Erbfolgestreit, ↑ Jülich.
Serbien und Montenegro ein Abkommen Julier (gens Julia), altrömisches Patrizier-
über die zukünftigen Beziehungen der bei- geschlecht, leitete seinen Ursprung von
den Teilrep. innerhalb der Bundesrep. Ju- Julius, dem Sohne des Äneas, her; das jul.-

470
Junta

claud. Kaiserhaus, von Julius Cäsar begr., steller des Vormärz, der u. a. Heine, Börne,
regierte auf Grund der Adoption des Au- Gutzkow angehörten; verfocht liberal-de-
gustus bis 68 n. Chr. mokrat. Ideale und neigte zu Atheismus
Juliresolution, das im Juli 1917 von der und Kosmopolitismus, lehnte die Dich-
Mehrheit des dt. Reichstages auf Betreiben tung der dt. Klassik und Romantik ab,
↑ Erzbergers beschlossene Friedensangebot wirkte bes. durch Journalistik; 1835 durch
an die Alliierten, forderte den „Verständi- Preußen und den Bundestag unterdrückt.
gungsfrieden“ und sprach den Verzicht auf Junges Italien, revolutionäre Gruppe der
den „Siegfrieden“ (Annexionen) aus. 30er Jahre des 19. Jh., für ein freies, einiges,
Julirevolution, 1830 in Paris, verursacht republikanisches Italien; Mittelpunkt die
durch die Restaurationsbestrebungen der von ↑ Mazzini im frz. Exil herausgegebene
Bourbonen, ausgelöst durch die Verfas- Zeitung „La Giovine Italia“ in loser Ver-
sungsänderungen unter Karl X. mit Hilfe bindung mit gesinnungsverwandten Krei-
Polignacs (Juliordonnanzen: Abänderung sen anderer Länder (Junges Deutschland,
des Wahlgesetzes, Aufhebung der Presse­ Junges Polen, Junges Europa).
freiheit); endete nach Straßenkämpfen mit Jung-Paläolithikum, ↑ Paläolithikum.
der Flucht Karls X. und der Errichtung Jungsteinzeit, ↑ Neolithikum.
des „Bürgerkönigtums“ Louis Philippes Jungtürken, nationaltürkische Bewegung,
von Orléans als „König der Franzosen“. suchte seit 1900 das von Innen verrottete,
– Auswirkung in Europa: Anstoß zur Re- von Abdul Hamid II. despot. regierte Os-
volution in Brüssel 1830 und Abtrennung man. Reich durch Schaffung eines Verfas-
↑ Belgiens von den Niederlanden als selb- sungs- und Rechtsstaates nach dem Mus­
ständiges Königreich; Auflehnung der Po- ter der westeurop. Demokratien vor dem
len gegen die Personalunion mit Russland; Verfall zu retten; sie erzwangen 1908 als
Unruhen in dt. Einzelstaaten, bes. in Sach- „Komitee für Einheit und Fortschritt“
sen, Hannover und Kurhessen, die liberale von Abdul Hamid eine Verfassung und
Verfassungen erhielten; allenthalben Auf- stürzten ihn 1909, konnten sich aber nicht
trieb der bürgerlich-liberalen Bewegung zur föderalist. Aufgliederung des Reiches
des Vormärz (↑ Hambacher Fest); erhöhtes entschließen, führten im 1. Weltkrieg die
Ansehen Frankreichs als Hort der Freiheit Türken an die Seite der Mittelmächte
und als Hoffnung der europ. Revolution (Führer: ↑ Enver Pascha, Talaat).
(Paris in den 30er Jahren des 19. Jh. Heer- Juniusbriefe, Serie von Briefen, die in
lager der revolutionären ↑ Emigranten bes. Großbritannien unter dem Decknamen
aus Deutschland, Italien und Polen). Junius zuerst 1769–1772 im „Public Ad-
Julius, drei Päpste: J. II. (1503–1513); vertiser“, dann in Buchform erschienen;
kühner Stratege und Politiker, erneuerte in ihnen wurden König, Minister, Beamte
und erweiterte den Kirchenstaat im Kampf und Parteien schonungslos, doch mit Geist
gegen Venedig (1508 Liga von Cambrai) und Sachkenntnis angegriffen und bloßge-
und Frankreich (1511 Hl. Liga), eröffnete stellt; die J. gelten als eine Glanzleistung
1512 das 5. Laterankonzil, förderte Kunst der polit., satir. Publizistik und wurden oft
und Wissenschaft der Renaissance (1506 nachgeahmt (vermutlicher Verfasser: Sir
Grundsteinlegung zum Neubau der Peters­ Philip Francis, 1740–1818).
kirche; Berufung Raffaels, Michelangelos Junta (span., Vereinigung), in Spanien und
und Bramantes). Lateinamerika Sonderausschuss zur Rege-
Junges Deutschland, Sammelbezeich- lung polit. Angelegenheiten; im 16. Jh. die
nung für die Gruppe unorganisierter, re- spanische J. bedeutend für den Fortgang
volutionär gesinnter Dichter und Schrift- und die Planung der Entdeckungsfahrten:

471
Justinian I.

bekannt die Große J., die im 17. Jh. unter den Thron rettete, stellte (vorübergehend)
Karl II. die ↑ Inquisition regelte, und die das römische Gesamtreich wieder her, in-
Zentral-J., die während der frz. Invasion dem er durch seine Feldherren ­ ↑ Belisar
1808–1813 für Ferdinand VII. regierte und ↑ Narses die Reiche der Vandalen
und den Widerstand Spaniens gegen Na- (534) und Ostgoten (554) vernichten ließ;
poleon organisierte. Bezeichnung J. wird beanspruchte absolute und alleinige Herr-
heute oft auf Militärregierungen in Latein- schaft über Staat und Kirche (Cäsaropa-
amerika angewandt. pismus), legte den Grundstein zur ↑ Ha-
Justinian I., oström. Kaiser (527–565); geb. gia Sophia (an Stelle der 532 niederge-
483, aus illyr. Bauernfamilie, vermählt mit brannten Kirche); ließ das röm. Recht im
Theodora, die ihm beim ↑ Nika­aufstand 532 ↑ Corpus Iuris kodifizieren.

472
Kaaba

Kaaba (arab., Würfel), ehr- ZK der KPdSU und 1930–1957 des Polit-

K würdigstes Heiligtum des Is-


lam in Mekka; mit Stoff über-
zogener Steinwürfel von etwa
12 m Höhe; an der östlichen Ecke ist der
büros; in den 30er Jahren an den großen
Säuberungen beteiligt, unterlag im Kampf
um die Stalin-Nachfolge Chruschtschow;
1957 aller Ämter enthoben, 1961 Partei-
mythenumsponnene „schwarze Stein“ (Me­ ausschluss.
teorit oder Lava) eingemauert, der von den Kairo, 640 n. Chr. durch den arab. Feld-
Moslems als heilig verehrt wird; die K. herrn Amru an der Stelle einer arab. Sied-
wurde 629/30 von Mohammed in Besitz lung gegenüber dem alten römischen Kas­
ge­nommen und „gereinigt“ (Entfernung tell Babylon gegr.; 969 baute ein Feldherr
der altarabischen Götzenbilder), seither der Fatimiden eine neue Stadt, Masr el
kultischer Mittelpunkt der neuen Welt­ Kahira („siegreiche Hauptstadt“) genannt,
religion (↑ Islam). 988 Gründung der arab. Universität Al Az-
Kabbala (hebr., Überlieferung), jüd. mys­ har, noch heute geistiger Mittelpunkt der
tische Religionsphilosophie (über die Fra- islam. Welt; seit 1260–1517 Sitz der Ka-
gen des Seins vor der Schöpfung), z. T. aus lifen, 1517 türkisch, 1798–1801 von den
vorchristl. Zeit; gnost.-neuplaton. beein- Franzosen besetzt, 1805 durch ↑ Mehe-
flusst; durch Zahlendeutung und Gebets- med Ali Sitz des fast unabhängigen türk.
konzentration Erfassung der letzten Ver- Statthalters; 1922 Residenz des Königs von
borgenheiten und der göttl. Dinge; myst. Ägypten; 1958–61 Hauptstadt der Verei-
Eingehen in Gott; die K. ausgebildet im 9. nigten Arab. Republik, heute Hauptstadt
bis 15. Jh. der Republik Ägypten. – 1943 Kairoer
Kabinett, Gemach, in dem im Zeitalter Konfe­renz zwischen Roosevelt, Churchill
des Absolutismus der Fürst über vertrauli­ und Tschiang Kaischek über die Kriegfüh-
che Staatsangelegenheiten zu beraten und rung gegen Japan.
zu entscheiden pflegte, daher K.politik; Kaiser, in der röm. Antike ↑ Cäsar, neben
selbstherrliche, oft undurchsichtige Poli- Augustus und Imperator Beiname und Ti-
tik eines Herrschers oder seiner Räte, ohne tel der Herrscher des röm. Weltreiches;
parlamentar. Kontrolle oder Mitwirkung, nach dessen Teilung (395 n. Chr.) erlosch
in der Außenpolitik soviel wie ↑ Geheimdi- das weström. Kaisertum 476; der ↑ Cäsa-
plomatie; K.kriege fast nur im Interesse der ropapismus des Oström. Reiches (Byzanz)
Dynastie (Hausmachtpolitik) meist mit bestand bis 1453 (Unterbrechung durch
stehenden Söldnerheeren geführt (ohne in- das ↑ Lateinische K.tum 1204–1261). Im
nere Anteilnahme der Völker). – Im 19./ Abendland wurde das römische K.tum 800
20. Jh. bezeichnet man mit K. das Sekreta- (Kaiserkrönung Karls d. Gr.) als höchste
riat eines Herrschers (z. B. Zivil-, Militär- weltl. Würde und als Schirmherrschaft über
K. in Preußen), auch die Gesamtheit der die Christenheit erneuert; seit der Krönung
Ministerien wird K. genannt. Ottos d. Gr. 962 blieb es den ↑ dt. Königen
Kádár, János, ungar. Politiker, 1912–1989; vorbehalten (auch ↑ Dt. Reich), die den
seit der Niederschlagung des ungar. Volks- K.titel mit der Krönung durch den Papst
aufstandes durch sowjet. Truppen 1956 erlangten, schließlich schon mit der Wahl
Ministerpräsident (bis 1958 und 1961–65) zum König (1508 nannte sich Maximili-
und 1. Sekretär des ZK der Ungar. Sozialist. an I. „erwählter röm. König“); 1530 wurde
Arbeiterpartei; im Mai 1988 abgesetzt. Karl V. in Bologna als letzter K. vom Papst
Kaganowitsch, Lasar Moissejewitsch, sow­ gekrönt. Seit 1438 hatte das Haus ↑ Habs-
jet. Politiker, 1893–1991; seit 1922/23 burg die dt. K.würde inne (mit kurzen Un-
Weggefährte Stalins, 1924–57 Mitglied des terbrechungen), das K.tum verlor jedoch in

473
Kaiserchronik

der Neuzeit seinen universalen und sakralen Kaiserchronik, das erste erhaltene Ge-
Charakter, dem es im hohen MA trotz der schichtswerk in dt. Sprache, in Versen, be-
Auseinandersetzungen mit dem Papsttum deutendste Geistlichendichtung des frühen
Ansehen und reale Macht verdankte. Au- MA, geschrieben für Laien, für ritterliche
ßer der päpstlichen Absage an die Staufer Kreise, der größere Teil verfasst von dem
waren es die nationalen und partikularen „Pfaffen Konrad“ am welf. Hof zu Regens-
Kräfte, die das abendländische K.tum zum burg, erschienen um 1150; die K. gibt –
Scheinkaisertum herabdrückten, das sich obwohl Fabel und Geschichte vermischt
nicht einmal mehr in dem ihm verblei- sind – wertvolle Einblicke in die Entwick-
benden Machtbereich (Deutschland und lung der höfischen Kultur und in die Kais-
Italien) durchsetzen konnte; das Schei- ergeschichte (welfenfreundlich) bis 1147.
tern Karls V. bewies dann, dass die abend- Kaiserkult, die von röm. Herrschern nach
länd. Universalmonar­chie nicht mehr zu orientalisch-hellenist. Vorbild (Alexander
verwirklichen war; aber erst 1806 legte d. Gr.) geforderte göttliche Verehrung ihrer
Franz II. die röm.-dt. K.krone nieder, Person; unter Augustus zunächst im Osten
nachdem er schon 1804 den Titel K. von des Reiches eingeführt; den Provinzstädten
Österreich angenommen hatte, um Na- wurden serienmäßig hergestellte Kaiserbüs­
poleon I. als dem K. (Empe­reur) der Fran- ten übersandt, die in den dazu bestimmten
zosen (Anspruch auf die Nachfolge Karls Heiligtümern (Augusteum) der Verehrung
d. Gr.) zuvorzukommen. Das frz. K.tum durch die Provinzialbeamten und Eingebo-
(Empire) fand sein Ende 1815 bei Water- renenbehörden und die Bevölkerung auf-
loo und nach seiner Erneuerung (1852) gestellt wurden; unter Domitian Anrede:
durch Napoleon III. 1870 bei Sedan. Das Dominus et Deus (Herr und Gott). Der
1871 begründete K.tum des kleindt. sog. K. galt als das Sinnbild der Treue zu Rom;
Zweiten Reiches (↑ Dt. Reich, Preußen) Juden und Christen verweigerten die Op-
endete im militär. Zusammenbruch 1918, fer im Augusteum (↑ Apotheose, Christen-
ebenso das österr. K.tum. Das autokrat. verfolgungen).
russ. K.tum, in Anknüpfung an die Tradi- Kaiserswerth, Insel bei Düsseldorf, Kaiser­
tion von Byzanz, 1721 mit der Annahme pfalz; Staatsstreich von K.: 1062 Entfüh-
des K.titels durch Peter d. Gr. geschaffen, rung des jungen Königs ↑ Heinrich IV.
erlosch mit der bolschewist. Revolution durch Erzbischof Anno von Köln (zusam-
1977. Von den K.reichen des Fernen Os- men mit Gottfried d. Bärtigen von Loth-
tens ragten ↑ China und ↑ Japan mit über ringen und Otto von Northeim); die Mut-
2000-jähriger Tradition hervor; das chines. ter und Regentin ↑ Agnes ging ins Kloster.
Kaisertum erlag 1911 der Revolution, das Kalabrien (lat. Calabria), bis ins frühe MA
jap. K.tum besteht noch heute, doch gab Name für die Landschaft im SO Italiens
der Tenno („Der Sohn des Himmels“) nach (später ↑ Apulien); das heutige K. im SW
der jap. Kapitulation 1945 in Abkehr von hieß in der Antike Bruttium, bewohnt von
der altjap. Auffassung von der Göttlichkeit den ↑ Bruttiern, an den Küsten von Grie-
seiner Person öffentl. die Erklärung ab, er chen (Rhegium, Croton u. a. ↑ Großgrie-
sei keineswegs göttl. Abkunft. Korea, Man- chenland).
dschukuo und Annam waren bis 1945 Kai- Kalach (Kalchu), am oberen Tigris, Haupt-
serreiche; den indischen K.titel führten bis stadt Assyriens (seit Assurnasirpal II.) im
1858 die Großmogule, 1876–1947 die Kö- 9./8. Jh. v. Chr., abgelöst von der Haupt-
nige von Großbritannien. Kurzen Bestand stadt Ninive und 612 v. Chr. zerstört; heute
hatte das K.tum in Brasilien (1822–1889) Ruinenstätte Nimrud mit Resten des ge-
und Mexiko (1864–1867). waltigen Königspalastes.

474
Kalifat

Kaledonien (lat. Caledonia), in der Anti­ke 12 (neu benannten) Monaten mit je 30 Ta-
(bei Tacitus) das nördl. Schottland (jenseits gen (= 3 Dekadenwochen), 5 Ergänzungs-
des Hadrianswalles), bewohnt von kelt. tage, alle 4 Jahre 1 Schalttag: Jahresbeginn
Kaledoniern, die sich seit dem 4. Jh. Pik- 22. Sept. (der Tag der Gründung der Repu-
ten nannten; durch die aus Irland einge- blik im Jahre 1792); ↑ Chronologie.
wanderten Skoten („Nova Scotia“) zurück­ Kalifat (arab. Chalifa, Stellvertreter, Nach-
gedrängt. folger), Amt und Würde des Kalifen als
Kalender (von lat. calendae, Monats- des weltlichen (nicht auch geistl.) Ober-
erster), Jahreseinteilung auf der Grundlage hauptes des Islams in der Nachfolge des
astronomischer Daten (Umlauf der Ge- Propheten Mohammed, mit dem Titel
stirne). Während die Altägypter das trop. Emir el Muminin, Befehlshaber der Gläu-
Sonnenjahr (zu 365 1/2 Tagen) zugrunde bigen, d. h. absoluter Herrscher der islam.
legten, rechneten Babylonier, Assyrer und Universalmonarchie. Das K. nahm mit der
andere semit. Völker nach Mondjahren (zu arab. Welteroberung (↑ Araber, Islam) sei-
354 Tagen mit Schaltmonaten). Die Rö- nen Ausgang in Medina, wo die ersten vier
mer zählten (wie die Griechen seit Solon „rechtgeleiteten“ Kalifen 632–661 n. Chr.
594 v. Chr.) ebenfalls nach Mondmonaten residierten. Mit der Ermordung ↑ Alis
(ursprüngl. 10, dann 12). Den von König spaltete sich die mohammedan. Welt; die
Numa Pompilius (6. Jh. v. Chr.) überkom- Schiiten sahen die rechtmäßige Nachfolge
menen altröm. K. (Mondjahr zu 355 Ta- des Propheten in Ali und seinen Nach-
gen) reformierte 46 v. Chr. Julius Cäsar: kommen (erloschen um 900) verkörpert
Sonnenjahr zu 365 Tagen, alle vier Jahre und erwarteten seither die Wiederkehr des
einen Schalttag, Jahresanfang 1. Jan. (statt Imam (als geistliches und weltliches Ober-
1. März); dieser Julian. K. behauptete sich haupt); die sunnit. Mehrheit anerkannte
das ganze MA hindurch, nur vom 1. Jan. das Kalifat der Omaijaden, die in Damas-
als Jahresanfang wurde örtlich abgegan- kus residierten und das K. erblich mach-
gen (Jahresanfang Weihnachten oder Epi- ten; 750 wurden sie von den Abbasiden
phaniastag, 6. Jan.); 1582 begann Papst vertrieben und begründeten 755 das un-
Gregor XIII., die Fehlerquellen des Julian. abhängige Emirat von Cordoba (Spanien,
Kalenders auszuschalten, und führte als 929 zum K. erhoben), aus dem sie von den
wichtige Neuerung den Ausfall des Schalt- Almoraviden, diese von den Almohaden
tages in den durch 400 nicht teilbaren Sä- verdrängt wurden; die Tradition dieses K.
kularjahren (z. B. 1700, 1800, 1900) ein; wahrte der Sultan von Marokko. Im Os-
Deutschland, Dänemark und die Nieder- ten verlegten die Abbasiden den Sitz des
lande übernahmen den Greogorian. K. K. nach Bagdad, das unter Almansor und
1700, England 1752, Schweden 1753, Bul- Harun Ar Raschid seine Glanzzeit erlebte.
garien 1916 und Russland 1923 (im Jahr Seit dem 9. Jh. verfiel die Macht des K.s; in
1900 bestand ein Rückstand von 13 Tagen den Provinzen rissen Statthalterdynastien
gegenüber dem übrigen Europa). Ein Stu- (Fatimiden, Aiubiden, Ghasnewiden u. a.)
dienkomitee des Völkerbundes versuchte, die Macht an sich. 1258 flüchteten die Ab-
die Veränderlichkeit des Osterdatums und basiden vor den Mongolen nach Ägypten,
die Ungleichheit der Monate zu beseitigen. ihr Scheinkalifat in Kairo wurde 1517 von
– Jüd. K.: Mondjahr zu 353 bis 385 Tagen, den siegreichen Türken neu belebt, die das
7 Schaltjahre in 19 Jahren. – Mohamme- K. mit der Sultanswürde verbanden und
dan. K.: Mondjahr mit 354 bis 355 Tagen, in der Dynastie Osman erblich machten.
11 Schaltjahre in 30 Jahren. – K. der Frz. In Dingen des Glaubens entschieden die
Revolution (1793–1805): Sonnenjahr mit Schriftgelehrten, Ulemas und Muftis, an

475
Kalinin

ihrer Spitze der Scheich el Islam. Parallel Kallias, griech. Politiker, Schwiegersohn
zum Verfall der osman. Macht und infolge Kimons; schloss 448 v. Chr. als Unterhänd-
der Unterdrückung der Araber durch die ler Athens in Susa mit Artaxerxes den K.-
Türken sank das Ansehen der Sultan-Ka- Frieden, wonach der ↑ Attische Seebund
lifen ständig (trotz panislamischer Propa- auf weitere Unterstützung der kleinasiat.
ganda; bes. unter Abdul Hamid II. ging Griechen verzichtete, Persien die Autono-
1914 der türk. Aufruf zum Hl. Krieg ins mie der Griechenstädte anerkannte und
Leere). 1924 schaffte die türk. Nationalver- seine Truppen drei Tagemärsche von der
sammlung das K. ab; der vom letzten Sul- kleinasiat. Küste entfernt hielt.
tan Mohammed V. zum Nachfolger im K. Kallisthenes, griech. Historiker, Neffe
ernannte König von Hedschas (↑ Hussein des Aristoteles, Jugendfreund Alexanders
Ibn Ali) musste nach seiner Vertreibung d. Gr., den er auf dem Feldzug gegen Per-
durch Ibn Saud abdanken; seither ist das sien begleitete und dessen Taten er verherr-
K. vakant; Versuche, es zu erneuern, schei- lichte; wegen seiner freimütigen Kritik an
terten am Widerstand der arab. Herrscher. der Übernahme oriental. Sitten (fußfällige
Kalinin, Michail Iwanowitsch, sowjet. Poli- Verehrung) 327 v. Chr. hingerichtet.
tiker, 1875–1946; Vertrauensmann Lenins Kalmarische Union, die von Königin
und Stalins während der Oktoberrevolu- ↑ Mar­garete zustande gebrachte, 1397 von
tion 1917; 1920–1946 Mitglied des Polit- den Reichsräten der drei skandinav. König-
büros der KPdSU, 1919–1946 nominelles reiche in Kalmar (Südschweden) beschlos-
Staatsoberhaupt der UdSSR. sene Vereinigung ↑ Dänemarks, ↑ Norwe­
Kalisch, Stadt im ehemal. Russisch-Polen; gens und ↑ Schwedens (jedes Land behielt
1813 Schutz- und Trutzbündnis zw. Russ- seine Gesetze); 1523 von Schweden (Gu-
land und Preußen (↑ Befreiungskriege). stav I. Wasa) gelöst.
Kalixtiner oder Utraquisten, die gemä- Kaltenbrunner, Ernst, österr. Jurist und
ßigte Richtung der ↑ Hussiten im Gegen- Politiker, 1903–1946; 1929 Anwalt in
satz zu den ↑ Taboriten; ihre Hauptforde- Linz, 1932 Beitritt zu NSDAP und SS,
rung war das Abendmahl in beiderlei Ge- 1934/35 wegen Hochverrats in Haft. K.
stalt (sub utraque specie), d. h. auch der leitete seit 1935 die gesamte österr. SS,
Laie nimmt den Kelch (calix), was ihnen wurde am 11. März 1938 als Staatssekretär
1433 in den Prager Kompaktaten unter ge- für öffentl. Sicherheit ins Kabinett Seyß-
wissen dogmatischen Auflagen zugestan- Inquart aufgenommen und war maßge-
den wurde. blisch beteiligt an der Organisation der
Kalixtus (Kallistus), Päpste: 1) K. II. Maßnahmen für den Anschluss Öster-
(1119–1124); vordem Graf Guido von reichs in den folgenden Tagen; baute da-
Burgund, legte 1122 durch Abschluss des nach die Gestapo in der nunmehrigen
↑ Wormser Konkordats mit ↑ Heinrich V. Ostmark auf und wurde bei Kriegsbeginn
den Investiturstreit bei, berief das 1. Late­ Höherer SS- und Polizeiführer Donau. Am
rankonzil ein. 2) K. III. (1455–1458); geb. 30. Jan. 1943 als Nachfolger Heydrichs als
1378, aus dem span. Hause Borgia, scha- Leiter des Reichssicherheitshauptamtes
dete dem päpstlichen Ansehen durch ↑ Ne- und als Chef der Sicherheitspolizei und
potismus. des SD eingesetzt, wurde K. der Motor der
Kalkutta, Hauptstadt der ind. Provinz Ben­ ↑ Endlösung der Judenfrage in den letzten
galen; 1690 neben dem Fort William gegr., beiden Kriegsjahren; als einer der Haupt-
Ausgangspunkt für die engl. Eroberung des kriegsverbrecher stand er in Nürnberg vor
Gangestales, 1772–1912 Sitz der (engl.) Gericht und wurde zum Tod durch den
Regierung Allindiens (↑ Indien). Strang verurteilt.

476
Kambodscha

Kalter Krieg, seit 1947 Bezeichnung für Sihanuk im Indochinakonflikt eine Annä-
den Ost-West-Konflikt, nichtkriegerische herung an Nordvietnam. 1970 Staatsstreich
Konfrontation zw. den Supermächten USA einer proamerik., antikommunist. Gruppe
und UdSSR einschließl. ihrer Bündnissys­ unter General Lon Nol. Im folgenden Bür-
teme (↑ NATO und ↑ Warschauer Pakt), gerkrieg siegten die Truppen der Roten
bildete sich nach dem 2. Weltkrieg heraus Khmer 1975 mit der Einnahme Phnom
und bestimmte bis zum Ende der 1980er Penhs, seitdem hermet. Abriegelung von
Jahre die internat. Politik. Durch „ideolog. der Außenwelt. Die nachfolgende, unter
Kriegsführung“, wirtsch. und militärischer ↑ Pol Pot errichtete Schreckensherrschaft
Druck sowie Isolierungs- und Eindäm- forderte etwa 1 Mio. Menschenleben; Sturz
mungspolitik wurde seitens beider Bünd- Pol Pots 1979 durch vietnames. Streitkräfte
nissysteme versucht, den Gegner zu schwä- und Exilkambodschaner; Bildung der viet-
chen. Die Konfrontation führte mehrfach namfreundlichen Regierung der Verei-
an den Rand eines Kriegsausbruchs (Ber- nigten Nationalen Front zur Rettung K.s
liner Blockade, Koreakrieg, Kubakrise von unter Heng Samrin; seither Guerillakrieg
1962); der Konflikt wurde durch direkte Pol Pots und Verbänden der Roten Kh-
und indirekte militär. Aktionen sowie Rüs­ mer; 1987 Versuch einer politischen Lö-
tungsexporte der beiden Supermächte in sung zwischen der 1982 gebildeten Exilre-
Regionalkonflikte (Afghanistan, Nicara- gierung Prinz Norodom Sihanuks und der
gua, Vietnam) getragen. Der polit. und kambodschan. Regierung, Einigung über
ökonomische Zusammenbruch des sozia- den Abzug der vietnamesischen Truppen,
list. Staatenbundes und als Folge die Auflö- der 1989 abgeschlossen wurde. 1991 Waf-
sung des Warschauer Paktes bedeuteten das fenstillstand aller beteiligten Bürgerkriegs-
Ende des K. K., seine Folgen sind aber noch parteien, Übergangsregierung unter Prinz
nicht überwunden: durch die Bündnispoli- Sihanuk, Sept. 1993 erstmals freie Wahlen
tik zusammengehaltene Konfliktherde sind seit über 20 Jahren. Eine neue Verfassung
in den letzten Jahren ausgebrochen (Jugos­ machte Kambodscha wieder zur konstitu-
lawien, Afrika). tionellen Monarchie, Sihanuk wurde zum
Kambodscha (Kampuchea), seit 1975 König gekrönt. Die Roten Khmer wandten
Volksrepublik in Südostasien, mit von In- sich gegen die Veränderungen und nahmen
dien geprägter Kultur, hervorgegangen aus ihren Kampf gegen die kambodschanische
dem Reich der ↑ Khmer, um 1600 unter Regierung erneut auf, erst 1996 konnte in
der Oberhoheit Thailands, um 1850 un- Phnom Penh ein Friedensabkommen un-
ter gleichzeitiger Herrschaft Annams und terzeichnet werden, ein kleiner Rest setzte
Thailands; 1863 Anerkennung der Ober- den Kampf weiter fort. Die Parlaments-
hoheit Frankreichs, doch 1867 (frz. Pro- wahlen im Juli 1998 gewann die sozialis-
tektorat) und 1884 Aufstände gegen die tische Volkspartei CPP von Hun Sen, der
frz. Herrschaft, 1887 in ↑ Indochina ein- erster Ministerpräsident einer Koalitions-
bezogen und 1904 um Gebiete von Laos regierung aus CPP und FUNCINPEC
und 1907 Thailands erweitert; 1913 erstes wurde. Im Dez. desselben Kapitulation der
beratendes Parlament; 1941 von Japanern letzten kämpfenden Einheiten der Roten
besetzt, 1946 nach Unabhängigkeitskrieg Khmer. Nachdem sich die politische Lage
wieder zu Frankreich, 1952 Staatsstreich beruhigt hatte, wurde Kambodscha als 10.
des Königs, Ermordung des frz. Hochkom- Mitglied in den südostasiatischen Staaten-
missars; 1954 Unabhängigkeitserklärung verbund ASEAN aufgenommen und nahm
und Ende der Zollunion mit Frankreich. wieder seinen Sitz in den Vereinten Natio­
1960 suchte der Staatspräsident Norodom nen ein.

477
Kambyses

Kambyses, Perserkönige aus der Dynastie zu Konflikten mit dem Nachbarland Nige-
der Achämeniden: 1) K. I. (um 600– ria wegen neu entdeckter Erdöl- und Erd-
559 v. Chr.); Vater Kyros‘ II., noch unter gasvorkommen im Golf von Guinea.
Oberherrschaft der Meder. 2) K. II. (529– Kamisarden, Bez. für die Hugenotten der
522); Enkel von 1), ließ seinen Bruder Bar- Cevennen und des Languedoc; erhoben
dija-Smerdis umbringen, unterwarf 525 sich nach der Aufhebung des Edikts von
Ägypten durch den Sieg bei Pelusion über Nantes (1685) in bewaffneten Aufständen
den Pharao Psammetich, tötete im Jähzorn 1702 (Cevennenkrieg), die 1710 von kö-
den hl. Apisstier und unterdrückte blutig nigl. Truppen niedergeschlagen wurden.
den folgenden Aufstand. K. starb auf dem Kammer, ursprünglich Bez. für fürstl. Pri-
Rückmarsch nach Persien, wo sich ein Ma- vatgemach, Gericht, Verwaltungsbehörde,
gier mit Erfolg für Smerdis ausgegeben und Schatzkammer; im Absolutismus Bez. für
zum König gemacht hatte; Darius I. setzte Finanzbehörde, die ein Kämmerer leitete;
sich als Nachfolger des K. durch. staatsrechtlich auch Bez. für das Parlament
Kamenew, Lew Borissowitsch, sowjet. Po- oder für dessen Teile, wenn es sich aus
litiker, 1883–1936; gab 1913/14 die „Pra- mehreren K.n zusammensetzt.
wda“ heraus, einer der engsten Mitarbei- Kampanien (lat. Campania), die frucht-
ter Lenins, 1917–1926 Mitgl. des ZK und bare und dichtbesiedelte Ebene am Golf
1919–1926 des Politbüros der KPdSU; von Neapel, der „Garten Italiens“; im Al-
nach Konflikt mit Stalin 1925/26 seiner tertum an der Küste von Griechen (Nea-
Partei- und Staatsämter enthoben, 1936 im polis, Cumae, ↑ Großgriechenland), im
1. Moskauer Schauprozess zum Tode verur- Innern von Oskern, um 520–420 v. Chr.
teilt und hingerichtet. unter etrusk. Herrschaft; im Verlauf der
Kamerun, seit 1960/61 Föderativrepublik Samniter-Kriege röm. Staatsgebiet, mit
in Westafrika; vermutlich schon 460 v. Chr. Rom durch die Via Appia verbunden, nach
von dem Karthager ↑ Hanno angesegelt; dem Abfall ↑ Capuas im 2. Pun. Krieg römi­
1868 von der Hamburger Reederei Woer- sches Domänengebiet, von Cäsar an Vetera­
mann für Deutschland erschlossen, 1884– nen verteilt.
1916 dt. Kolonie; 1916 Kolonialkrieg mit Kanaan (hebr., Tiefland), Land zw. Liba-
Briten und Franzosen; 1919 in größeres frz. non, Totem Meer, West- und Ostjordange-
und kleineres brit. Mandatsgebiet des Völ- biet; nach der Bibel nur das Land westl. des
kerbundes aufgeteilt, 1946 UN-Mandat, Jordans vor der Inbesitznahme durch die
1960 frz. Mandatsteil unabhängig; 1961 ↑ Juden, bewohnt von den semit. Kanaa-
nach Volksabstimmung brit. Süd-K. an K. näern (Kanaanitern, ↑ Amoriter), die auf
angegliedert (brit. Nord-K. zu Nigerien). ihren Wanderzügen seit 2100 v. Chr. auch
1972 Umwandlung des Staates in die Ver- nach Syrien und Mesopotamien vordran-
einigte Republik K. 1975 neue Verfassung, gen und hier mehrere Stadtstaaten gründe-
die die Stellung des Präsidenten stärkte, ten (bedeutend der Staat von Isin); in Pa-
1988 Umbenennung in Republik K. Ziel lästina wurden sie seit dem 13. Jh. von is-
der Innenpolitik ist die Angleichung der raelit. Nomadenstämmen unterworfen, die
beiden Landesteile. Nach dem relativen von den Kanaanäern den Ackerbau und
Wohlstand, zu dem der Erdölboom der z. T. auch den Fruchtbarkeitskult übernah-
1970er Jahre dem Land verholfen hatte, men (Verehrung des Baal, dessen Kult sich
brach die Wirtschaft durch Erschöpfung zeitweise mit dem Jahwekult vermischte);
der Erdölreserven Anfang der 1990er Jahre die Israeliten übernahmen auch die ka-
ein (1994 Auslandsverschuldung ca. 7 Mrd. naan. Sprache, das Hebräische, gegen ihre
US-Dollar). Mitte der 1990er Jahre kam es altaramäische Sprache und kehrten erst

478
Kang-hi

später wieder zum Aramäischen zurück; Brit. Kolumbien, 1873 Prinz-Edward-In-


um 1 000 restl. kanaan. Stadtstaaten Paläs- seln) zum Dominion of Canada vereinigt,
tinas dem Königreich Israel einverleibt, zu- dem mächtigsten und eigenwilligsten Do-
letzt unter König David (um 1007 bis um minion des ↑ Commonwealth; zw. den bei-
966) ↑ Jerusalem, das Hauptstadt und Kul- den Weltkriegen, in denen K. zum Mut-
turzentrum ↑ Israels wurde. terland stand (1917 und 1940 Einführung
Kanada, nach kurzzeitiger Besiedlung der allg. Wehrpflicht), baute K. seine Selb-
an der NO-Küste durch Wikinger um ständigkeit einschließl. des Rechtes auf ei-
1000 n. Chr. in der ersten Hälfte des 16. Jh. gene Außenpolitik aus (1926 Empire-Kon-
erforscht (↑ Cabot, Cartier), zum Besitz ferenz, 1931 Statut von Westminister); die
Frankreichs erklärt (Neu-Frankreich) und Bindungen an die USA verstärkten sich
von frz. Kolonisten erschlossen, die bis (seit dem 2. Weltkrieg gemeins. Verteidi-
Anfang des 18. Jh. nach Westen bis zum gungsrat). Innenpolitisch trat an die Stelle
Felsengebirge vordrangen; 1608 gründete des Gegensatzes zw. Anglo- und Frankoka-
Champlin Quebec, in der 2. Hälfte des nadiern (die sich die frz. Sprache und Kul-
17. Jh. förderte ↑ Colbert großzügig die tur bewahrten) die Parteirivalität zw. Libe-
Kolonisation; 1670 Gründung der – pri- ralen (im freihändler. agrar. Westen) und
vaten – Hudson’s Bay Company, der alles Konservativen (im schutzzöllner. industria­
Land zufiel, das zur Hudson Bay entwäs- lisierten Osten). Die Macht der Zentral-
serte; 1674 nahm die frz. Krone anstelle regierung erstarkte gegenüber den sich au-
der frz. Handelskompanie Neu-Frankreich tonom verwaltenden Provinzen, zu denen
in Verwaltung, doch scheiterte der Versuch, seit 1949 auch Neufundland gehört.
von den Großen Seen aus nach Süden die Kanarische Inseln, „Inseln der Seligen“,
Verbindung mit der ebenfalls frz. Kolo- Atlantiden, Hesperiden, Gorgonen-Inseln;
nie Louisiana herzustellen und damit die den Phönikern bekannt, im MA von den
↑ Neuengland-Kolonien in einen zusam- Arabern neu entdeckt; im 14. Jh. z. T. von
menhängenden frz. Block einzuklammern; Normannen besetzt; Ende 15. Jh. insges.
die Auseinandersetzungen mit England zu Spanien, Basis für Transatlantikfahrten
führten 1713 zum Verlust Neufundlands, nach Amerika; zahlreiche Ruinen, mythi­
Neuschottlands und der Hudson-Bay-Län- sches Kastenwesen.
der; 1763 fiel ganz Kanada an England, Kanem, einst machtvolles, um 750 n. Chr.
das K. beim Abfall der Neuenglandstaaten gegr., von den aus der Sahara eingewander­
(USA) zu behaupten verstand, bes. durch ten Kanembu beherrschtes Reich östlich
Entgegenkommen gegen die Katholiken des Tschadsees; im 11. Jh. islamisiert, er-
(1774 Quebec-Akte); 1812–1814 wurden streckte sich im 12. Jh. vom Oberen Nil
Angriffe der USA abgewiesen, 1840 Bericht bis zum Niger; im 15. Jh. wurde ein großer
des Generalgouverneurs Lord Durham Teil der Bevölkerung von Wüstenstämmen
(D.-Report) über die Notwendigkeit von verdrängt und gründete das Reich ↑ Bornu
Reformen im Sinne weitgehender Selbst- westlich des Tschadsees; über K. herrschte
verwaltung veröffentlicht; 1857 wurde der Araberstamm Auled Soliman, der 1902
Ottawa von der brit. Königin zur Haupt- von den Franzosen unterworfen wurde; K.
stadt erklärt, 1862 wurden die brit. Trup- wurde dem Frz. Kongo angegliedert.
pen abgezogen; 1867 wurde K. (Ontario, Kang-hi, Kaiser von China (1662–1722);
Quebec) mit den übrigen brit. Besitzungen zweiter Mandschu-Herrscher, aus der
in Nordamerika (Neuschottland, Neu- Tsing-Dynas­tie; aufgrund seiner Tatkraft
braunschweig; 1869 Gebiet der Hudson’s und Klugheit von seinen Zeitgenossen ge-
Bay Company als Provinz Manitoba, 1871 rühmt; ero­ber­te Formosa und brachte die

479
Kanonisches Recht

Westmongolen unter chin. Oberhoheit, heiten in einer den öffentlichen Frieden


schob dem russ. Vordringen am Amur ei- gefährdenden Weise im kirchl. Amt unter
nen Riegel vor, förderte großzügig Kunst Strafe stellte; der K. leitete den ↑ Kultur-
und Wissenschaft, zog christl. Missionare kampf ein; 1953 aufgehoben.
als Vermittler abendländ. Bildung an sei- Kanzleisprache, im 14./15. Jh. neben und
nen Hof, verschloss sich selbst der christl. nach dem Latein von den höf. Kanzleien
Lehre (bes. wegen des „Ritenstreites“ der für amtliche Schriftsätze verwendet (als es
Missionare); Errichtung eines orthodoxen, eine einheitliche dt. Schriftsprache noch
konfuzian. Systems (↑ China). nicht gab); wurde durch Luther, der sich
Kanonisches Recht (Jus canonicum), ka- der kursächs. K. bei der Bibelübersetzung
tholisches Kirchenrecht, nach den Cano­ bediente, zur Grundlage des Neuhoch-
nes gen. Rechtssatzungen, die erstmals im deutschen.
12./13. Jh. kodifiziert und durch Konzils- Kanzler, im MA urspr. (meist geistlicher)
beschlüsse und päpstliche Dekretalien er- Vorsteher einer Kanzlei (eines urspr. mit
gänzt wurden; seit 1918 im ↑ Codex Juris Schranken, lat. cancelli, umgebenen Ortes,
Canonici zusammengefasst; im MA von wo öffentliche Urkunden ausgefertigt wur-
großer Bedeutung auch für den weltlichen den), dann Titel des höchsten Beamten,
Bereich (z. B. kanon. Zinsverbot). Erz-K. des alten Dt. Reiches war der Erz-
Kant, Immanuel, dt. Philosoph, 1724– bischof von Mainz (↑ Erzämter); Bismarck
1804; Prof. an der Universität Königsberg, übernahm den Titel K. in die Verfassung
führte die von Christian Wolff in ein Sys­ des Norddt. Bundes und des neuen Dt.
tem gebrachte Philosophie der Aufklärung Reiches (1871), auch die Weimarer Ver-
auf ihren Höhepunkt und überwand sie fassung (1919) und das Bonner Grundge-
durch die Synthese aus Empirismus und setz (1949) behielten den K.-Titel bei (ent-
Rationalismus im Kritizismus als der Lehre spricht dem Ministerpräsidenten, Premier-
von den Möglichkeiten und Grenzen der minister anderer Länder).
menschl. Erkenntnis, dem sich das Wesen Kaperei, eine seit dem 15. Jh. übliche Form
der Welt, das „Ding an sich“, entzieht. der Seekriegführung, bei der Krieg füh-
Kantonsystem, Ergänzungssystem der ste- rende Mächte den Kapitänen von Privat-
henden Heere, durch das das Hoheitsge- schiffen schriftliche Vollmachten (Kaper-
biet eines Staates in Kantone (= Rekrutie­ briefe) ausstellten, die zur Zerstörung oder
rungsbezirke) für die einzelnen Regimen­ter Wegnahme feindl. oder neutralen Eigen-
aufgeteilt wurde und die Einwohner (bes. tums (Konterbande) berechtigten; manche
die nachgeb. Bauernsöhne) oft schon bei Kaperschiffe erteilten gegen Lösegeld sog.
Geburt in die Regimentslisten eingeschrie- „Billets de rançon“ oder „Ransom Bills“,
ben wurden; einzelne Gebietsteile wur­den die die Fortsetzung der Reise gewährleis­
aus wirtschaftspolitischen Gründen von teten; die K. wurde durch die Pariser See-
der Kantonpflicht befreit; berühmt das rechtsdeklaration von 1856 verboten.
preuß. Kantonreglement Friedrich Wil- Kapetinger, ↑ Capetinger.
helms I. von 1733; sprichwörtl. seine „un- Kapitalismus, in der wirtschaftsgeschichtl.
sicheren Kantonisten“, d. h. fahnenflüch- Entwicklung das durch ungehemmtes Ge-
tigen Rekruten. Das K. wurde auf einer winnstreben gekennzeichnete Wirtschafts-
neuen Grundlage seit der Frz. Revolution system, das im 19. Jh. seinen Höhepunkt
von der allgemeinen Wehrpflicht abgelöst. erreichte, und die daraus resultierende
Kanzelparagraf, Ende 1871 dem dt. Straf- Gesellschaftsordnung und Lebensform.
gesetzbuch eingefügter Paragraf (§ 130 a), Der K. setzt in jedem Fall eine hoch ent-
der die Behandlung staatlicher Angelegen- wickelte Geldwirtschaft voraus; kapitalist.

480
Kapitalismus

Tendenzen lassen sich bereits im Alter- während aus Spanien infolge des Mangels
tum nachweisen (Akkad, Phönikien, Röm. an bürgerlichem Erwerbssinn die riesigen
Reich), doch fehlten der auf Sklavenhal- Edelmetalleinfuhren (aus Amerika) wieder
tung beruhenden antiken Wirtschaftsord- abflossen. Für den Durchbruch des moder-
nung entscheidende Voraussetzungen und nen K., wie er sich seit der Mitte des 18. Jh.
Kennzeichen des K., bes. das unentwegte zuerst in England in Form der „Industriel­
Streben nach (kapitalist.) Verwertung von len Revolution“ vollzog, mussten außer den
Vermögen als oberstes wirtsch. Prinzip: genannten eine Reihe weiterer (im Bedeu-
Reichtümer werden entweder thesauriert tungsrang schwer abzuschätzender) Fak-
(gehortet) oder für eine luxuriöse Lebens- toren zusammenwirken; techn. Errungen-
haltung verwendet; gleiches galt auch für schaften (Dampfmaschine), Bevölkerungs-
das MA, dessen vom Christentum geprägte zuwachs, Ausbau des Verkehrswesens, In-
Wirtschaftsauffassung und -gesinnung tensivierung der Landwirtschaft und eine
(„standesgemäße Nahrung“, „gerechter genügende Zahl von Unternehmerpersön-
Preis“, kanonisches Zinsverbot, Wohltätig­ lichkeiten waren die Voraussetzun­gen für
keit als Attribut des Reichtums) einer ka- die gewerbl. Großproduktion in der ka-
pitalistischen Betätigungsweise umso we- pitalist. Produktionsstätte, der ↑ Fabrik;
niger Raum ließen, als konkrete feudale zugleich musste der Staat zu reglementie-
und genossenschaftl. Bindungen (bes. das ren aufhören und sich auf den Schutz der
Zunftwesen) für eine Regulierung des Er- Rechtssicherheit beschränken; ein selbstbe-
werbsstrebens sorgten; doch ging seit dem wusstes ↑ Bürgertum (Dritter Stand, Bour­
13. Jh. vom wirtsch. am weitesten fortge- geoisie) trat für die uneingeschränkte Ver-
schrittenen Italien (blühende Stadtrepu- wirklichung der Prinzipien des wirtschaft-
bliken Venedig, Genua, Florenz, Mailand) lichen ↑ Liberalismus (↑ Laissez-faire; Frei­
der sog. Früh-K. aus, der wesentliche Züge handel) ein (auf dem Festland in der Frz.
des eigentlichen (Hoch-)K. in sich ver- Revolution von 1789); auch die religös-
einigte, sich aber auf den Bereich des ri- ethische Wirtschaftsauffassung des ↑ Cal-
siko- und gewinnreichen (Fern-)Handels vinismus gehörte zu den treibenden Kräf-
(bes. mit Luxuswaren aus dem Orient) ten des K. Die Wirtschaft wurde aus dem
beschränkte und die (entscheidende) Pro- Religiösen ausgeklammert und behauptete
duktionssphäre ausließ; immerhin wurde in reiner Diesseitsbezogenheit rationalis-
das Haupthindernis, das kanonische Zins- tisch ihre „Eigengesetzlichkeit“ (wiss. for-
verbot, praktisch beseitigt; es entstanden muliert von der klass. engl. Nationalöko-
↑ Banken, Börsen sowie die Vorläufer der nomie); das Gesamtergebnis dieser Tatbe-
Aktiengesellschaften u. a.; erstmals ver- stände und Tendenzen ist der Hoch-K. des
band sich spekulativer Wagemut mit dem 19. Jh., eine freie Unternehmerwirtschaft,
„Geist der Rechenhaftigkeit“; mit dem die in freiem Wettbewerb in Massen für
wirtsch. Rückgang in der Lombardei, in einen anonymen Markt produzierte. Die
Flandern und Oberdeutschland (↑ Fugger) großen materiellen Leistungen des K. wur-
fand diese Entwicklung einen vorläufigen den auch von seinen Kritikern bejaht, doch
Abschluss; die wirtsch. Führung übernah- waren sich Sozialkonservative und Sozia-
men die großen atlant. See-, Kolonial- und listen der verschiedenen Richtungen in der
Handelsmächte, besonders England und Ablehnung der mit dem K. verbundenen
die Niederlande, die ihre Reichtümer aus Ansprüche auf gesellschaftliche Vorrechte
kolonialer Ausbeutung im Rahmen des pla- und krassen sozialen Ungerechtigkeit (ur-
nenden und erziehenden ↑ Merkantilismus spr. sogar unverhüllte üble Ausbeutung der
zu behaupten und zu nutzen verstanden, Fabrikarbeiter, Kinderarbeit) einig; grund-

481
Kapitol

sätzl.wurde dem K. (und seiner polit. Inte­ in durchlaufender Verbindung zw. der Kap-
ressenvertretung, den liberalen Parteien) kolonie und Ägypten (erweitert zur Formel:
„Mammonismus“ und schrankenloser Indi­ „Von Kapstadt nach Kairo, von Kairo nach
vidualismus vorgeworfen, während der So- Kalkutta!“), Hauptwidersacher: Frankreich
zialismus und sein Träger, das ↑ Proletariat (↑ Faschodakrise) und Deutschland (Dt.-
(Arbeiterbewegung), sich zum historisch Ostafrika); nach dem 1. Weltkrieg fast ver-
berufenen Widersacher und Überwinder wirklicht (Eingliederung Dt.-Ostafrikas,
des K. erklärten; schließlich wurde der K. Tanganjikas), doch im Rahmen des Un-
der Mit- oder Haupturheberschaft an den abhängigkeitsstrebens der Afrikaner nicht
imperialistischen Konflikten beschuldigt mehr aufrechtzuerhalten.
(Kampf um Absatz- und Kapitalmärk­te, Kapland, Kapkolonie (Entdeckungs- und
Rüstungsinteressen der Schwerindustrie). Siedlungsgeschichte ↑ Südafrika, Buren);
Der Spät-K. nach dem 1. Weltkrieg hat das seit 1814 endgültig britisch, erhielt im
Prinzip der freien Konkurrenz und freien 19. Jh. Selbstverwaltung und eigenes Parla­
Unternehmerinitiative zugunsten des be- ment; 1847–1852 Harry Smith Gouver-
herrschenden Einflusses von Kartellen, neur; Basis des engl. Imperialismus in S-
Trusts und Konzernen weitgehend aufge- Afrika (Cecil ↑ Rhodes); seit 1910 größte
geben; deren Leitung übernehmen „Mana- Provinz (Kap der Guten Hoffnung) der
ger“ (die keine eigentl. „Kapitalisten“ mehr neu gebildeten ↑ Südafrikan. Union.
sind); ein Großteil des Kapitals ist anonym Kapodistrias, Ioannes Antonios Graf, grie-
geworden, die ehemals freien Märk­te ent- chischer Politiker. 1776–1831; seit 1809
weder blockiert (Schutzzölle, Autarkie) oder Diplomat im russischen Dienst, vertrat
verteilt; auch staatl. Planbürokratie, drast. 1815 Alexander I. auf dem Wiener Kon-
sozialpolit. Gesetzgebungen und starke, ge- gress; 1827–1831 Regent Griechenlands.
schlossene Arbeiternehmerorganisa­tionen Kapp, Wolfgang, rechtsradikaler, alldt. Po-
(↑ Ge­werkschaften) ziehen der freien Wirt- litiker, 1858–1922; seit 1906 Generaldi-
schaftsweise des K. engere Grenzen; im rektor der Ostpreuß. Landschaft, Mitbe-
Grundgesetz der Bundesrepublik Deutsch- gründer (1917) und Führer der Vaterlands-
land wird das Eigentum an das Gemein- partei; der von ihm im März 1920 mithilfe
wohl gebunden. des Generals Lüttwitz (Marinebrigade Ehr­
Kapitol, 1) einer der sieben Hügel Roms, hardt) inszenierte und von Ludendorff
schließt das ↑ Forum Romanum nach NW unterstützte Putsch zur Herstellung einer
ab; die ein Kuppe trug in der Antike die rechtsradikalen Herrschaft führte zwar zur
Burg (Arx), die andere den (509 v. Chr. Besetzung der Regierungsgebäude in Ber-
erstmals vollendeten) Haupttempel Roms, lin, doch entzog sich die Reichsregierung
dem Staatsgott Jupiter und Juno und Mi- Ebert der Festnahme nach Stuttgart; der
nerva geweiht; von der steilen SW-Seite des Putsch brach trotz des Nichteingreifens
K., dem tarpej. Felsen, wurden zum Tode der Reichswehr infolge des Generalstreiks
verurteilte Staatsverbrecher hinabgestürzt. der Arbeiter und der Haltung der Beam-
– Um 1540 wurde das K. von Michel­angelo tenschaft rasch zusammen; K. floh nach
neu gestaltet. 2) In Washington Gebäude Schweden, stellte sich dann dem Reichsge-
des US-Kongresses (Baubeginn 1793). richt und starb in der Untersuchungshaft.
Kapitularien, ↑ Capitularia. Kappadokien, antike Landschaft im öst-
Kap-Kairo-Linie, Schlagwort zur Kenn- lichen Kleinasien, im 10. Jh. v. Chr. assy-
zeichnung des bes. von C. ↑ Rhodes um risch, seit 539 v. Chr. pers., seit 302 v. Chr.
1900 verfochtenen Programms des brit. unabhängig, nach wechselvollem Schicksal
↑ Imperialismus in Afrika; kolonialer Block 17 n. Chr. römische Provinz.

482
Kardinal

Kapstadt, Hauptstadt des ↑ Kaplandes, dernisierung der russ. Syntax, seine „Ge-
1652 gegr.; 1806 (1814) unter brit. Herr- schichte des russ. Staates“ (12 Bde.) hatte
schaft, seit 1910 Hauptstadt der Kappro- großen Einfluss.
vinz und Sitz des Parlaments der ↑ Südafri- Karavelle, großer span. Schiffstyp des 15.
kan. Union. und 16. Jh., Dreimaster mit Rahtakelung,
Kapuziner, einer der drei Hauptzweige des von Kolumbus, Vasco da Gama u. a. be-
Franziskanerordens, ben. nach der langen, nutzt; auch kleinere K.n mit Lateinsegeln.
spitzen Kapuze der Mönchstracht, begr. Kardelj, Edvard, jugoslaw. Politiker, 1910–
1525 von Matthäus von Bassio, um dem 1979; seit 1937 Mitglied des ZK, seit 1938
urspr. Armutsideal des hl. Franz von As- des Politbüros der illegalen KPJ; maßgeb-
sisi wieder Geltung zu verschaffen; 1528 lich an der Ausarbeitung der jugoslaw. Ver-
bestätigt von Papst Klemens VII., 1573 fassung 1946 beteiligt, seit 1974 Mitglied
in Frankreich, 1592 in Deutschland; seit des Staatspräsidiums.
1619 organisator. selbständig; bekannt bes. Kardinal (von lat. cardo, Türangel), in
durch seine Volksprediger. der röm.-kath. Kirche höchster Würden-
Karadorde, eigentl. Dorde Petrovic, gen. träger nach dem Papst, maßgeblich betei-
Kara (Kara Georg, der „Schwarze Georg“), ligt an der Regierung der Kirche, mit Sitz
serbischer Freiheitskämpfer, 1766–1817; und Stimme auf den Konzilien. Urspr. tru-
ursprünglich Schweinehirt, befreite 1804– gen alle an einer röm. Hauptkirche tätigen
1811 Serbien dreimal von den ↑ Türken, Geistlichen den Titel K.; im 11. Jh. wurde
bestieg als erster Fürst Serbiens 1808 den es Brauch, nur die 25 bzw. 28 leitenden
Thron, demütigte den aufsässigen Adel; Kleriker der röm. Hauptpfarrkirchen K. zu
1813 von den Türken vertrieben, auf Veran­ nennen; sie vereinten sich mit den 7, später
lassung seines Rivalen Milos ermordet; das 18 Regionaldiakonen und den 7 Bischöfen
Haus Karadordevic (Karageorgewitsch) re- aus den Kirchensprengeln der Umgebung
gierte mit zeitweiser Unterbrechung durch Roms zum Hl. K.kollegium, dem allein
die rivalisierende Dynastie Obrenovic bis seit 1059 das Recht der Papstwahl zukam;
zur Abschaffung des Königtums 1945 in seit dieser Zeit neben den Kurien-K. auch
Serbien/Jugoslawien; der Sohn K.s, Ale- ausländ. Bischöfe K.; damit erlangten die
xander Karadordevic, regierte 1842–1858. Kardinäle den Vorrang vor Patriarchen und
Karadordevic, serb. Fürstenhaus (Stamm- Erzbischöfen, sie trugen als Zeichen ihrer
vater ↑ Karadorde). Würde den cäsarischen Purpur, seit 1245
Karakorum, alte mongol. Stadt (Ruinen- (Innozenz IV.) den roten Hut. K. stehen
stätte) am Orchon, Residenz ↑ Dschingis im Fürstenrang, Vorsitzender ist als K.-De-
Khans, Sitz der ↑ Goldenen Horde; 1235– kan der Bischof von Ostia bei Rom; offi-
1260 n. Chr. Residenz der ↑ Mongolen- zielle Anrede nach byzantin. Zeremoniell
Khane. „Vir Illustrissimus“ (seit 1644 Eminentissi-
Karamanlis, Konstantin, griech. Politiker, mus); seit Sixtus V. (1586) war die Zahl der
1907–1998; 1955–63 mit Unterbrechung K.stellen auf 70 (darunter 6 K.-Bischöfe)
Ministerpräsident, 1963–1974 in Paris im begrenzt, die Begrenzung wurde 1958
Exil, 1974–1980 erneut Ministerpräsident, durch Papst Johannes XXIII. aufgehoben;
1980–85 und 1990–95 Staatspräsident; der größere Teil der vom Papst frei er-
versuchte Griechenland v. a. in den 1950er nannten Kardinäle residiert in Rom (Bür-
Jahren näher an Europa heranzuführen. ger der Vatikanstadt) und arbeitet in den
Karamsin, Nikolai Michailowitsch, russ. K.kongregationen (ständigen Ausschüssen)
Schriftsteller und Historiker, 1766–1826; maßgeblich an der Verwaltung der Kir-
seine Prosa war entscheidend für die Mo- che mit. 1971 verloren die Kardinäle mit

483
Kardinalstaatsekretär

Vollendung des 80. Lebensjahres das aktive könig ↑ Desiderius, der von Papst Hadri-
Papstwahlrecht und die Mitgliedschaft in an I. die Königssalbung der Söhne Karl-
den Behörden der römischen Kurie und im manns zu erzwingen suchte; Hilfeleistung
Vatikanstaat. für den Papst und Erneuerung des Schen-
Kardinalstaatssekretär, höchster Beamter kungsversprechens Pippins III.; K. wurde
des Vatikans, urspr. Ministerpräsident des König der Langobarden (774 Krönung mit
Kirchenstaates, nach dessen Aufhebung der Eisernen Krone) und Patricius Roma-
(1870) Leiter des päpstlichen Staatssekre- nus (Schutzherr der Römer); erweiterte
tariats für kirchenpolitische und auswärti­ge Zug um Zug seinen Machtbereich, unter-
Angelegenheiten der Kurie. Durch die Ku- warf 772–804 die Sachsen in schweren,
rienreform von 1967 wurde das päpstliche wechselvollen und blutigen Kämpfen (782
Staatssekretariat zur wichtigsten Kurien­ Blutbad von ↑ Verden) und christianisierte
behörde. sie gewaltsam, verhinderte damit ihren An-
Kardorff, Wilhelm von, dt. Politiker, schluss an ein germanisch-nord. Seereich;
1828–1908; Mitbegründer der ↑ Freikon- gründete nach Scheitern der Eroberung
servativen Partei, unterstützte Bismarcks des von den Omaijaden beherrschten Spa-
Politik im Reichstag, bes. als eifriger Für- niens (Rolandslied) die Span. Mark gegen
sprecher der Schutzzollgesetzgebung aktiv. die Mauren (Grenze: Ebro), setzte 788 den
Karelien, auton. Republik im NW Russ- Bayernherzog ↑ Tassilo ab und zog das Her­
lands an der finn. Grenze, westl. vom La- zogtum Bayern ein, vernichtete mit Hilfe
dogasee bis zum Weißen Meer, Haupt- seines Sohnes Pippin, dem er Italien über-
stadt: Petrozavodsk; Ost-K. seit 1721 russ.; tragen hatte, das Reich der Awaren und er-
1920 Karelische Autonome Sowjetrepu- richtete die Ostmark (798 wurde Salzburg
blik, 1940 durch die von Finnland abge- Erzbistum). Als Herr des entstehenden
tretenen Gebiete (bes. die hart umkämpfte Abendlandes ließ sich K. 800 in Rom zum
Karelische Landenge) zur Karelo-Finn. Kaiser krönen (Erneuerung des röm. Kaiser­
Sowjetrepublik erweitert. (500 000 Bewoh- tums im Westen) und verband seine polit.
ner nach Finnland umgesiedelt); 1947 im Führerstellung (enge Verbindung auch mit
Friedensvertrag von Paris Bestätigung der den Königreichen Asturien und England)
Grenzen von 1940. Ab 1956 wieder Status mit der Schutzherrschaft über die röm.-
einer autonomen Republik, die 1996 der kath. Christenheit, verständigte sich 812
russ. Föderation beitrat. mit Ostrom über die wechselseitige Aner-
Karien, Landschaft im SW Kleinasiens, im kennung; bemühte sich um Festigung der
Altertum von den nichtindogerman. Kar- zentralen Reichsgewalt durch Abschaffung
ern besiedelt, die als gefürchtete Seeräuber der Stammesherzogtümer und Errichtung
ihren Einfluss bis in die Ägäis ausdehnten, einer neuen ↑ Grafschaftsordnung, schließ-
vermutlich Frühbewohner Griechenlands, lich um die Sicherung der Reichs­einheit
die vor der griech. Kolonisation zurück- und Ausschaltung des Machtanspruchs der
weichen mussten. Päpste (Anweisung an den Erben des Rei-
Karl, Herrscher: Röm.-dt. Kaiser: 1) K. I., ches, Ludwig, sich selbst zu krönen); K. er-
der Große, Sohn Pippins III., des Sohnes kannte nicht, dass nur sei­ne kraftvolle Per-
↑ Karl Martells, 747–814; König der Fran- sönlichkeit das zusammengezwungene Uni­
ken seit 768 (Reichsteilung von St. Denis), versalreich vereint hielt, das nur durch eine
nach Karlmanns Tod 771 Alleinherrscher, geschulte Staatsverwaltung auf der (fehlen­
oberster Heerführer, Richter und Kirchen- den) Grundlage der Geldwirtschaft hätte
herr; Sieg über seinen bisherigen Verbünde­ erhalten werden können. Als Förderer von
ten und Schwiegervater, den Langobarden- Kunst und Wissenschaft war K. auch die

484
Karl

treibende Kraft der ↑ Karolingischen Re- bedeutendsten Herrscher des späten MA;
naissance. 2) K. II., der Kahle, 823–877; schuf im Kurfürstenkollegium, Fürstenrat
veranlasste durch (in Verbindung mit sei- und Städterat die Stützen des dt. Födera-
ner Mutter, der Welfin Judith, erhobene) tivstaates, hemmte die polit., förderte je-
Erbansprüche die Abänderung des Thron- doch die wirtsch. Entwicklung der Städte
folgegesetzes seines Vaters ↑ Ludwig des (Fernstraßen), löste das Papsttum aus der
Frommen von 817 und damit die Aufsplit- Abhängigkeit von Frankreich, bemühte
terung des Karolingerreiches; erhielt nach sich erfolgreich um Ausbau seiner Haus-
Kämpfen mit seinen Brüdern 843 (↑ Ver- macht Böhmen (1353 Oberpfalz, 1368
dun) den Westen (Frankreich), teilte sich Schlesien, 1373 Brandenburg. – 1364 Erb-
870 (↑ Mersen) mit Ludwig dem Deut- verbrüderung von Brünn mit Habsburg);
schen in das Reich Lothars II., nahm 875 machte Prag zur ständigen kaiserlichen Re-
Italien und wurde in Rom zum Kaiser ge- sidenz (1348 Gründung der nach ihm ben.
krönt (als einziger westfränkischer, d. h. Karls-Universität; Veitsdom, Hradschin)
frz. Herrscher); wurde beim Versuch, die und machte Böhmen zum bestverwalteten
Grenze bis zum Rhein vorzuschieben, 876 Land seiner Zeit (von Maximilian I. „Böh-
von Ludwig III. bei Andernach zurückge- mens Vater und des Hl. Röm. Reiches Erz-
schlagen. 3) K. III., der Dicke, 839–888; stiefvater“ genannt). 5) K. V., 1500–1558;
Sohn Ludwigs des Deutschen, regierte seit Sohn ↑ Johannas d. Wahnsinnigen von Spa-
876 in Alemannien (in Bayern regierte bis nien und ↑ Philipps von Burgund, dem er
880 sein Bruder Karlmann, in Mainfran- 1516 als Herzog folgte; als Enkel Fer-
ken, Thüringen und Sachsen bis 882 Lud- dinands von Aragón 1516 König von Spa-
wig III.), 881 zum Kaiser gekrönt; verei- nien; 1519 Nachfolger Maximilians I., sei-
nigte durch seine Wahl auch zum König nes Großvaters (väterlicherseits), im Be-
von Frankreich 885 und den auf das karo- reich der habsburgischen Hausmacht, da-
ling. Erbrecht begr. Erwerb fast aller üb- mit Erbe eines Riesenreiches, in dem „die
rigen Teilgebiete vorübergehend noch ein- Sonne nicht untergeht“ (span. Kolonien);
mal das Gesamtreich, wurde aber wegen im gleichen Jahr nach hartem Wahlkampf
seiner Unfähigkeit und nach dem schmach- mit Hilfe der ↑ Fugger und dank Friedrich
vollen Bündnis mit den im Westen einfal- des Weisen von Sachsen gegen Franz I. von
lenden ↑ Normannen 887 von den Großen Frankreich zum Kaiser gewählt (1530 als
(↑ Arnulf von Kärnten) auf dem Reichstag letzter dt. Kaiser vom Papst in Bologna ge-
zu Tribur zur Abdankung gezwungen; mit krönt); versuchte ein letztes Mal das christl.
ihm verlor das karoling. Kaisertum seine Universalreich des MA zu erneuern, wen-
Weltgeltung. 4) K. IV., 1316–1378; aus dete auch neuzeitliche (z. T. machiavellist.)
dem Haus Luxemburg, Sohn des Königs polit. Methoden an und scheiterte nach
Johann von Böhmen, 1346 von den Kur- 30-jährigem Ringen am Widerstand der
fürsten zu ↑ Rhense als Gegenkönig Lud- reformator. Bewegung, die auf seinen uner-
wigs des Bayern gewählt, fand erst nach schütterlichen Katholizismus prallte, der
dessen Tod 1347 Anerkennung; 1355 auf Stände, bes. der dt. Fürsten, und der äuße-
Einladung Innozenz’ VI. zum Kaiser ge- ren Feinde, voran Frankreich, mit dem sich
krönt, begnügte er sich, statt auf die alte außer den Türken zeitweise auch der Papst
Kaiserpolitik (Italien, Burgund) zurückzu- verbündete. – In Deutschland, wo er sich
greifen, mit nomineller Oberhoheit; erhob nur selten aufhielt, ließ K. sich von seinem
sich durch weltmännische Bildung und Bruder ↑ Ferdinand vertreten; persönlich
real­polit. Denken (Ausgleich mit den wandte er sich auf den Reichstagen von
↑ Kurfürsten 1356; ↑ Goldene Bulle) zum Worms (1521) und Augsburg (1530) ge-

485
Karl

gen die Reformation; aber erst nachdem er landen durchzusetzen und machte dafür
in vier Kriegen gegen den frz. König anderen Mächten erhebl. Zugeständnisse;
Franz I. (1521–26; 1526–29; 1536–38; trat nach dem ↑ Poln. Erbfolgekrieg 1738
1542–44) Mailand und Burgund be- Neapel und Sizilien an die span. Bourbo-
hauptet hatte (1525 Sieg von Pavia, 1527 nen ab und verlor 1739 auch die Erwer-
Sacco di Roma, 1529 Damenfriede von bungen von 1718 wieder an die Türken.
Cambrai, 1538 Waffenstillstand von Nizza, 7) K. VII. Albrecht, 1697–1745; aus dem
1544 Friede von Crepy), kämpfte er mit al- Hause Wittelsbach, seit 1726 Kurfürst von
ler Kraft gegen den Protestantismus und Bayern, Schwiegersohn Kaiser Josephs I.;
zerschlug den ↑ Schmalkald. Bund (1547 im ↑ Österr. Erbfolgekrieg 1742 von Maria
Schlacht bei Mühlberg); doch stieß er mit Theresias Gegnern zum Kaiser gewählt,
dem ↑ Interim (1548) bei beiden Konfessio­ militärisch abhängig von Frankreich, be-
nen auf Ablehnung, erlag 1552 einer Für- mächtigte sich vorübergehend Böhmens,
stenverschwörung unter Moritz von Sach- musste aber nach dem Ausscheiden Preu-
sen (im Bund mit Frankreich, das Toul, ßens (1742) und der frz. Niederlage bei
Metz und Verdun gewann) und musste im Dettingen fliehen und kehrte erst 1744 in
Passauer Vertrag (1552) alle Erfolge preis- seine Hauptstadt München zurück; mit
geben; während auf dem Reichstag zu ihm fanden die Versuche einer bayer. Groß-
Augsburg 1555 unter dem Vorsitz König machtpolitik ihr Ende. – Baden: 8) K.
Ferdinands der Religions- und Landfriede Friedrich, 1728–1811; seit 1738 Markgraf
Wirklichkeit wurde, kämpfte Karl V., der von B.-Durlach, erbte 1771 die Markgraf-
sich endgültig aus Deutschland zurückge- schaft B.-Baden, regierte aufgeklärt (1767
zogen hatte, vergeblich mit Frankreich um Abschaffung der Folter, 1787 Aufhebung
die Zurückgewinnung von Metz; 1556 der Leibeigenschaft); wurde bei der Neu-
dankte er ab und überließ das Reich und ordnung des Reiches von 1803 zum ↑ Kur-
die Kaiserwürde seinem Bruder Ferdinand, fürsten ernannt, als Mitglied des ↑ Rhein-
Spanien mit Italien und den Niederlanden bundes 1806 zum Großherzog erhoben;
seinem Sohn ↑ Philipp (II.). 6) K. VI., vergrößerte dank Napoleons I. Gunst sein
1685–1740; zweiter Sohn Leopolds I., Land. 9) K. Ludwig Friedrich, 1786–
habsburg. Anwärter auf den seit 1700 va- 1818, seit 1811 Großherzog, bis 1813 in
kanten Thron Spaniens, 1705–1711 als enger Anlehnung an Frankreich, gewährte
Gegner König Karls III. in Spanien, ohne die Verfassung von 1818. – Bayern: 10) K.
sich durchzusetzen, 1711 Kaiser, letzter Theodor, 1724–1799; aus der Linie Sulz-
Habsburger im Mannesstamm; gewann bach (↑ Pfalz), erbte als Kurfürst der Pfalz
durch den ↑ Span. Erbfolgekrieg Mailand, (seit 1742), nach dem Erlöschen der bayer.
Neapel, Sardinien und die südl. Nieder- Wittelsbacher (1777) Bayern, verdient um
lande, musste aber auf Spanien und dessen die Förderung von Kunst und Wissen-
überseeische Besitzungen zugunsten des schaft, scheiterte aber mit seinen polit. Plä-
Bourbonen Philipp V. verzichten; K. er- nen; verursachte durch den geplanten Ver-
warb nach den Siegen des Prinzen ↑ Eugen zicht auf Niederbayern zugunsten Öster-
1718 (Friede von Passarowitz) Teile von reichs den Bayerischen Erbfolgekrieg, der
Serbien, Bosnien und der Walachei, schloss 1779 mit der Abtretung des Innviertels an
1718 die ↑ Quadrupelallianz gegen Spa- ↑ Joseph II. endete; der geplante Austausch
nien (Sicherung Sardiniens gegen den Zu- ganz Bayerns gegen die Österr. Nieder-
griff Spaniens), suchte seit 1713 in der lande führte zur Gründung des ↑ Fürsten-
↑ Pragmat. Sanktion die Thronfolge seiner bundes. – Braunschweig: 11) K. Wilhelm
Tochter ↑ Maria Theresia in allen Erb­ Ferdinand, 1735–1806; Herzog seit 1780,

486
Karl

kommandierte die preuß. Armee 1787 in Länder als unerschrockener Verteidiger der
Holland, 1792–1794 gegen das revolutio- königlichen Rechte von Gottes Gnaden ge-
näre Frankreich (verantwortlich für das feiert. 15) K. II., 1630–1685, Sohn von
Manifest an die frz. Nation, das den Fana- 14); versuchte nach dessen Hinrichtung
tismus der ↑ Jakobiner steigerte) und noch- den Thron zu besteigen, wurde 1651 von
mals 1806; bei Auerstedt tödlich verwun- ↑ Cromwell geschlagen und erst 1660 von
det. 12) K. Friedrich August Wilhelm, einem royalist. Parlament aus dem Exil zu-
1804–1873; Herzog seit 1823, wegen sei- rückberufen (Restauration); verbündete
ner Willkür und Verschwendung 1830 zur sich mit Ludwig XIV. und kämpfte erfolg-
Flucht gezwungen und vom Bundestag ab- los gegen die Niederlande, geriet wie sein
gesetzt, vermachte als Emigrant und „Dia- Vater wegen seiner absolutist. und kath.
mantenherzog“ sein Vermögen der Stadt Neigungen (Berufung des Cabalministe­
Genf. – Burgund: 13) K. der Kühne, riums) mehrmals in Konflikt mit dem Par-
1433–1477; Sohn Philipps des Guten von lament, das gegen ihn die ↑ Testakte und
Frankreich, seit 1467 Herzog, suchte ein ↑ Habeas-Corpus-Akte durchsetzte und
großburgund. Reich zw. Nordsee und Mit- sich gegen die vorgesehene Thronfolge sei-
telmeer zu errichten, erzwang von Lud- nes katholischen Bruders Karl (später Ja-
wig XI. 1468 in Peronne den Besitz Flan­ kob II.) wehrte; unter ihm nahm die parla-
derns, vertrieb den Herzog von Lothringen mentar. Spaltung in ↑ Whigs und ↑ Tories
und fiel in die Schweiz ein, wurde 1476 ihren Ausgang; durch seine Heirat mit Ka-
von Schweizern und Lothringern bei Gran- tharina von Braganza wurde das jahrhun-
don und Murten besiegt (für die Entwick- dertelange polit.-wirtsch. Freundschafts-
lung des Heerwesens entscheidende Über- band zw. England und Portugal geknüpft.
legenheit des Fußvolkes über das Ritter- – Fränk. Reich: 16) K. Martell (der Ham-
heer) und fiel 1477 bei Nancy; sein Erbe mer), um 689–741; Sohn Pippins von He-
gelangte 1477 (Vermählung seiner Tochter ristall (des Mittleren), seit 714 Hausmeier
Maria mit Maximilian) an die ↑ Habs- und anstelle der schwachen Merowinger-
burger (↑ Burgund). – England: 14) K. I., könige Herrscher des Frankenreiches. das
1600–1649; Enkel Maria Stuarts, seit 1625 er wieder in einer Hand zusammenfasste
König von England, Schottland und Ir- und zur Großmacht erhob; machte durch
land, katholisch und absolutistisch gesinnt; den völligen Sieg über die Araber bei
versuchte mit seinen Günstlingen (Herzog ↑ Tours und Poitiers 732 ihrem Vordringen
von Buckingham, Erzbischof Laud und nach Norden ein Ende (Araber auf die
Lord Stafford) die Macht des Parlaments, span. Halbinsel beschränkt) und wurde
das zunehmend unter puritan. Einfluss ge- durch das Aufgebot gepanzerter Reiter (an-
raten war, zu brechen; regierte 11 Jahre stelle des Volksaufgebots) zum Begründer
ohne Parlament, musste es aber nach dem des auf der Gefolgspflicht von (adligen)
Aufstand der schott. ↑ Covenants wieder Vasallen beruhenden Heerwesens des MA;
einberufen (↑ Langes Parlament 1640– regierte seit 732 selbstherrlich und teilte
1653), geriet mit ihm in offenen Konflikt das Reich auf seine beiden Söhne auf. –
(relig. Gegensatz: Parlament wollte Presbyte­ Frankreich: 17) K. d. Gr. („Charlemagne“)
rialkirche, der König die Bischofskirche); und K. II., ↑ Röm.-dt. Kaiser. 18) K. III.,
floh nach den Niederlagen seines Heeres der Einfältige, 879–929; Sohn Ludwigs
bei Marston Moor (1644) und Naseby des Stammlers, regierte seit 898 unter an-
(1645) zu den Schotten; von diesen an die dauernden Kämpfen mit den Großen des
Puritaner ausgeliefert und auf Cromwells Reiches, wurde 911 (Erlöschen der ost-
Befehl hingerichtet; von Royalisten aller fränk. Karolinger mit Ludwig dem Kind)

487
Karl

mit der Wahl des Frankenherzogs Konrad auf das Erbe des Hauses Anjou; leitete
von der Thronfolge im ostfränk. (dt.) Reich durch den Angriff auf das Königreich Nea-
ausgeschlossen; schloss 911 einen Vertrag pel die Machtprobe Valois (↑ Bourbon) –
mit den ↑ Normannen unter Rollo (An- Habs­burg auf ital. Boden ein. 24) Karl IX.,
siedlung in der Normandie), wurde 923 1550–1574; Sohn Heinrichs II. und Katha­
abgesetzt und starb im Kerker. 19) K. IV., rinas von Medici, folgte 1560 seinem Bru-
der Schöne, 1294–1328; Sohn Philipps IV., der Franz II., übernahm nachträglich die
letzter Capetinger im Mannesstamm, re- Verantwortung für die ↑ Bartholomäus-
gierte seit 1322; um seine Nachfolge ent- nacht. 25) K. X., 1757–1836; Bruder Lud-
spann sich der Streit zw. der capeting. Sei- wigs XVI. und Ludwigs XVIII., Graf von
tenlinie Valois und dem engl. Königshaus Artois, nach 1789 Haupt der frz. Emi-
(Anjou-Plantagenet), der zum ↑ Hundert- granten, seit 1824 König; suchte sein reak-
jährigen Krieg führte. 20) K. V., der Weise, tionäres Regime durch Expansionspolitik
1337–1380; regierte seit 1356 während (Eroberung Algiers) zu stützen, wurde
der Gefangenschaft seines Vaters Johann II., durch die ↑ Julirevolution 1830 zur Ab-
des Guten, dem er 1364 auf den Thron dankung gezwungen. – Lothringen: 26) K.
folgte; erneuerte den Krieg gegen England Leopold, 1643–1690; Herzog, von Lud-
und eroberte durch die Siege seines Feld- wig XIV. aus Lothringen vertrieben, kai-
herrn ↑ Duguesclin fast alle engl. Besit- serl. Feldherr im Türkenkrieg von 1683/88,
zungen auf dem Festland. 21) K. VI., der Sieger von Wien und Mohács. 27) K. Ale-
Wahnsinnige, 1368–1422; regierte seit xander, 1712–1780; Enkel von 26), als ös-
1380; bis 1388 unter Regentschaft seiner terr. Oberbefehlshaber in den Schles. Krie-
Oheime, 1392 wahnsinnig; seine Gattin gen von Friedrich d. Gr. mehrfach geschla-
Isebeau von Bayern erkannte nach dem gen (Chotusitz, Hohenfriedberg, Soor,
engl. Sieg von ↑ Azincourt (1415) 1420 Prag), trat nach der Niederlage von Leuthen
(Frieden von Troyes) die Thronfolge des zurück. – Neapel: 28) K. I. von Anjou,
engl. Königs in Frankreich an. 22) K. VII., 1226–1285; Bruder des frz. Königs Lud-
„König von Bourges“, Sohn von 21), wig IX., 1265 von Papst Klemens IV. mit
1403–1461; regierte seit 1422, verlor weite Neapel und Sizilien belehnt, musste dieses
Gebiete an die Engländer und wurde nur Reich erst den letzten Hohenstaufen ent-
südl. der Loire anerkannt, doch nach dem reißen, besiegte 1266 ↑ Manfred bei Bene-
Auftreten der ↑ Jeanne d’Arc in Reims ge- vent, 1268 ↑ Konradin bei Tagliacozzo und
krönt und nach weiteren Siegen über die ließ ihn hinrichten; machte sich verhasst
Engländer (Ende des ↑ Hundertjährigen und verlor durch die ↑ Sizilian. Vesper
Krieges) wieder Herr ganz Frankreichs; si- 1282 Sizilien an Peter von Aragón. – Ös-
cherte durch die Pragmat. Sanktion von terreich: 29) K., 1771–1847; Erzherzog,
↑ Bourges 1438 die gallikan. Freiheiten Sohn Kaiser Leopolds II., Feldmarschall,
und durch die Ordonnanzen von Orléans führte seit 1796 mit wechselndem Erfolg
1439 die Einheit des Staates und die Macht die Rheinarmee, focht 1804/05 in Italien;
der Krone (einheitl. Reichssteuer zur Unter­ 1805 Kriegsminister, siegte 1809 bei As-
haltung eines stehenden Heeres); musste pern über Napoleon, legte nach seiner Nie-
sich weiterhin der Empörungen der Gro­ derlage bei Wagram das Kommando nie-
ßen erwehren. 23) K. VIII., 1470–1498; der. 30) K. I., 1887–1922; als Nachfolger
Sohn, seit 1483 Nachfolger Ludwigs XI., Franz Josephs 1916 letzter Habsburger auf
letz­ter Herrscher der älteren Linie des dem österr. Thron, Neffe des Erzherzogs
Hauses Valois (deren Nachfolge die Ne- ↑ Franz Ferdinand, vermählt mit Zita von
benlinie Orléans antrat); erhob Ansprüche Bourbon-Parma, versuchte vergebl. durch

488
Karl

einen Sonderfrieden den Untergang Öster- 1649 schwed. Thronfolger, 1654 König als
reich-Ungarns zu verhüten, entsagte 1918 Nachfolger ↑ Christines; siegte 1656 mit-
der Regierung, doch nicht dem Thron, des- hilfe des Gr. Kurfürsten bei Warschau über
sen er sich 1921 in Ungarn wieder zu be- die Polen und erkannte ihn als souverä­nen
mächtigen suchte, darauf von den Alliier- Herzog von Preußen an (Vertrag von La-
ten auf Madeira interniert; sein Sohn: Otto biau), gewann 1658 im Frieden von Roes­
von Habsburg. – Pfalz: 31) K. Ludwig, kilde von Dänemark u. a. Schonen und
1617–1680; aus der Linie Simmern, 1648 Bornholm, konnte sich jedoch gegen die
mit der wiedererrichteten Pfälzer Kurwür­de Koalition der Ostseemächte nicht behaup-
belehnt, förderte den Aufbau des im Drei- ten (1660 Friede von Oliva). 37) K. XI.,
ßigjährigen Krieg verwüsteten Landes, 1655–1697; König seit 1660 (bis 1672 un-
wahrte verhängnisvolle Neutralität im ter Regentschaft), kämpfte als Verbündeter
Krieg Ludwigs XIV. gegen Kaiser und Hol- Ludwigs XIV. gegen den Gr. Kurfürsten,
land; die Vermählung seiner Tochter Elisa- behielt trotz der Niederlage von Fehrbellin
beth Charlotte (↑ Liselotte) mit Philipp seine dt. Besitzungen; brach mithilfe der
von Orléans verfehlte ihren Zweck, führte niederen Stände die Macht des Adels
vielmehr zu Erbansprüchen Ludwigs XIV. (durch Einziehung der in ihren Händen
und zur Verwüstung der Pfalz. – Rumä- befindl. Krongüter) und regierte absolutis­
nien: 32) K. I. und K. II., ↑ Carol. – Sach- tisch. 38) K. XII., 1682–1718; Sohn von
sen-Weimar: 33) Karl August, 1757–1828; 37), regierte seit 1698, kämpfte zunächst
seit 1758 Herzog, zuerst unter der Regent- erfolgreich im ↑ Nord. Krieg (1700–1721)
schaft Anna Amalias, 1815 Großherzog; gegen Sachsen, Polen und Russland, siegte
von Wieland erzogen, Freund Goethes, 1700 bei Narwa über Peter d. Gr., stieß
den er als Minister berief, machte Weimar durch Polen nach Sachsen vor, zwang Au-
zur Heimstätte der dt. Klassik (seit 1776 gust II. zum Verzicht auf den poln. Thron
Herder Oberhofprediger, seit 1787 Schiller (1706 Friede von Altranstädt), ließ sich
in Weimar); suchte außenpolitisch Anleh- von Kosakenhetman Mazeppa vom Vor-
nung bei Preußen (trotz erzwungenem Bei- marsch auf Moskau abhalten und wurde in
tritt zum ↑ Rheinbund 1806–1813), ge- der Ukraine bei ↑ Poltawa 1709 vernich-
währte 1816 die erste dt. Verfassung. – Sar- tend geschlagen; rettete sich in die Türkei
dinien: 34) K. Albert, 1798–1849; regierte (Lager von Bender), die er zum Krieg ge-
seit 1831, gab 1848 eine Verfassung und gen Russland trieb (1711), weigerte sich
stellte sich an die Spitze der ital. National- nach Friedensschluss, die Türkei zu verlas-
bewegung gegen Österreich, dankte nach sen, wurde gefangen gesetzt, entfloh ver-
den Niederlagen von Custoza und Novara kleidet und gelangte in kühnem 16-tä-
1849 ab. – Schweden: 35) K. IX., 1550– gigem Ritt nach Stralsund, das er nach hel-
1622; Sohn Gustav I. Wasas, seit 1594 denhafter Verteidigung 1715 aufgeben
Reichsverweser, stürzte 1598 seinen kath. musste, versuchte Norwegen zu erobern
Neffen Sigismund, zugleich König von Po- und fiel vor der Grenzfestung Frederikshall,
len, und nahm 1604 den Königstitel an, seine Tapferkeit konnte den auch durch
bereitete trotz des unglücklichen Krieges Starrsinn verschuldeten Zusammenbruch
gegen Dänemark den Aufstieg Schwedens der Großmachtstellung Schwedens nicht
zur Großmacht unter seinem Sohn Gus­ verhindern. 39) K. XIII., 1748–1818; Kö-
tav II. Adolf vor. 36) K. X. Gustav, 1622– nig seit 1809, adoptierte den von den Stän-
1660; Sohn des Pfalzgrafen Johann Kasi- den zum Nachfolger erwählten Marschall
mir von Pfalz-Zweibrücken und Cathari- ↑ Bernadotte, wurde 1814 auch König von
nas, der Schwester Gustav II. Adolfs; seit Norwegen. 40) K. XIV., ↑ Bernadotte. –

489
Karlisten

Spanien: 41) K. I., als K. V. Röm.-dt. Kai- wurde Mönch und überließ seinem zwei-
ser. ↑ 5). 42) K. II., 1661–1700; König seit ten Bruder ↑ Pippin III., dem Vater Karls
1665, der letzte Habsburger der span. Li- d. Gr., die Alleinherrschaft im Franken-
nie, nach seinem Ableben brach der ↑ Span. reich. 2) K., Bruder Karls d. Gr., seit 768
Erbfolgekrieg aus. 43) K. III., 1716–1788; (Reichsteilung von St. Denis) Regent des
regierte seit 1759, vorher (seit 1738) König südöstl. Teiles des Frankenreiches, verbün-
von Neapel und Sizilien, überließ die In- dete sich 769 mit den Sachsen gegen Karl
nenpolitik seinem Minister Aranda und und den Langobardenkönig↑ Desiderius,
kämpfte im 7-jährigen Krieg und im ame- starb 771; Karl d. Gr. setzte sich in den Be-
rik. ↑ Unabhängigkeitskrieg mit Frank- sitz des Gesamtreiches. 3) K., Sohn Lud-
reich gegen England. 44) K. IV., 1748– wigs des Deutschen und dessen Nachfol-
1819; regierte seit 1788, beherrscht von ger in Bayern und der Ostmark, 877/879
seiner Gemahlin und deren Geliebtem Go- König von Italien; Vater des unehelichen
doy, dankte 1808 in Bayonne zugunsten ↑ Arnulf von Kärnten, gest. 880.
Napoleons I. ab. – Württemberg: 45) K. Karlowitz, Stadt an der westl. Theißmün-
Alexander, 1684–1737; Herzog seit 1733, dung, bekannt durch den Frieden von
als Prinz österr. Feldherr gegen Türken und 1699 (Ende des großen Türkenkrieges), in
Franzosen, regierte absolutist.; unter ihm dem die Türkei an Österreich Ungarn und
Misswirtschaft durch Süß-Oppenheimer. Siebenbürgen, an Russland Asow sowie
46) K. Eugen, 1728–1793; Herzog seit Gebiete an Polen und Venedig abtrat.
1737, bis 1745 unter Vormundschaft, Karlsbader Beschlüsse, Ergebnis einer
ahmte Versailles nach (Solitude, Hohen- 1819 von Metternich anlässlich der Ermor-
heim), geriet durch seinen Despotismus dung ↑ Kotzebues nach Karlsbad einberu-
und durch Steuererpressungen in Konflikt fenen Ministerkonferenz des Dt. Bundes
mit den Ständen, wurde schließl.zum pa- zur Unterdrückung liberaler und natio-
triarchal. Landesherrn („Karlsschule“). naler Bestrebungen: Auflösung der ↑ Bur-
Karlisten, span. Royalisten, die für die schenschaften, Verfolgung der ↑ „Dema-
Thronfolgeansprüche der Linie des Don gogen“, Überwachung der Hochschulen
↑ Carlos von Bourbon eintraten, der 1830 und der Presse durch eine Zentralunter-
von seinem Bruder Ferdinand VII. zu- suchungskommission; die K. B. erstickten
gunsten dessen Tochter Isabella (II.) von das öffentliche Leben des Vormärz; 1848
der Thronfolge ausgeschlossen wurde; sie wurden sie aufgehoben.
unterlagen in zwei blutigen Bürgerkrie- Karlstadt (Andreas Bodenstein), gen. nach
gen 1834–1839 und 1872–1876, spielten seinem Geburtsort in Unterfranken, Vor-
noch im Bürgerkrieg 1936–1939 als An- kämpfer der Reformation, um 1480–1541;
hänger eines absolutist. Regierungssystems führte 1519 neben Luther die ↑ Leipziger
auf Seiten ↑ Francos eine Rolle; auch heute Disputation mit ↑ Eck; als radikaler Bilder-
noch einflussreiche Gruppe innerhalb der stürmer von Luther und dem Kurfürsten
span. Monarchisten (Thronprätendenten- aus Wittenberg vertrieben; schürte in Süd-
frage nach dem Aussterben der männlichen deutschland den ↑ Bauernaufstand; 1534
Linie des Don Carlos I. [1937] ). von Zwingli als Prof. nach Basel berufen,
Karlmann, fränk.-karoling. Herrscher: Gegner Luthers in der Abendmahlslehre.
1) K. (741–747); fränk. Hausmeier, Sohn Karnak, Dorf in Oberägypten, erbaut an
↑ Karl Martells, 741 mit Austrasien be- der Stelle des alten ↑ Theben.
lehnt, dankte 747 nach Niederwerfung Kärnten, österr. Bundesland an der Drau
des durch seinem jüngsten Bruder Grifo (Haupstadt Klagenfurt), benannt nach den
angezettelten schwäbischen Aufstands ab, kelt. Karnern; in der Römerzeit Teil der

490
Karthago

Provinz Noricum, im 6. Jh. Einwanderung Zentralbau der Aachener Pfalzkapelle und


von Slowenen, im 8. Jh. unter bayer. und Pfalzbauten; Buchmalerei, Freskenmale-
fränk. Hoheit dt. Einwanderung; 976 Her- rei, Elfenbeinschnitzereien, Goldschmiede­
zogtum, 1335 an die Habsburger, 1849 arbeiten.
an österrisches Kronland. – 1920 Volks- Kartäuser, streng beschaul. Einsiedleror-
abstimmung, Ergebnis zugunsten Öster- den in Gemeinschaftsklöstern, gegr. 1084
reichs, doch Abtretung von Grenzstrichen von ↑ Bruno von Köln in der Wildnis von
an Jugoslawien und Italien. Chartreuse (Burgund); 1176 vom Papst
Karolinger, fränk. Herrschergeschlecht, bestätigt, Blüte bis 15. Jh., Sitz des Gene-
ben. nach ↑ Karl d. Gr.; Stammvater ↑ Ar- ralpriors 1903 nach Farneta bei Lucca (Ita-
nulf, Bischof von Metz; 687 Hausmeier der lien) verlegt.
Merowingerkönige, 751 Könige; 840/43 Karthago, Haupstadt des karthag. (pun.)
durch die Söhne Ludwigs des Frommen Land- und Seereiches, bei der heutigen
(des Enkels Karls d. Gr.) in drei Linien ge- Stadt Tunis; Ausgrabungen in den Rui-
spalten: 1) Lothringen (und Italien), erlo- nen der pun. Stadt seit 1853; zwei Hafen­
schen 875; 2) Ostfranken (Deutschland), becken für Handel- und Kriegsflotte mit
erloschen 911; 3) Westfranken (Frank- Arsenal; Wälle mit Kasematten und einge­
reich), abgesetzt 987. bauten Pferde- und Elefantenställen,
Karolingische Reform, Reformbewegung Hauptbefes­tigung die hochragende Byrsa;
der Kirche im Fränk. Reich seit Anfang des zahlreiche Tempel und Kapellen, verstreute
8. Jh.; zielte auf Neuordnung der Kirchen- Begräbnisplätze mit Mausoleen und Grab-
verfassung und des Lebens des Weltklerus kammern; Profanbauten: Agora, Senats-
durch eine Kanonikerregel und regelmä- saal, Säulengänge, planmäßig angelegte
ßige Synoden; Revision der liturg. und kir- Wohnviertel mit Hochhäusern, Abflusska-
chenrechtl. Texte. nälen, Treppenstraßen; in der Umgebung
Karolingische Renaissance, die Erneue­ ertragreiche Landwirtschaft, Getreide in
rung des Geisteslebens im Karolingerreich den Küs­tenebenen und in den Bergtälern;
seit der 2. Hälfte des 8. Jh.; besonders ge- Öl-, Feigen-, Granatapfel-, Mandelbaum-
fördert durch ↑ Karl d. Gr.; Anknüpfung und Dattelpalmenplantagen (über die
an spätantike und altchristliche Vorbilder; Landwirtschaft unterrichtet das in latei-
erste Ausformung einer umfassenden Kul- nischer Übersetzung vorliegende Werk des
tur des werdenden Abendlandes mit eige- Kartha­gers Mago) mit Sklavenarbeitern
nem Gepräge und dem Ziel allg. Volks- unter Groß­grundbesitzern; Schaf-, Rinder-
erziehung, Hebung des gesunkenen Bil- und Pferdeherden, Elefantenhaltung, Bie­
dungsstandes, Ausbildung der Geistlichen, nenzucht; Industrie: Marine- und Armee­
Reform der Klöster und der Liturgie, Pflege werkstätten, Werften, Waffenschmieden,
von Sprache und Volkstum (Heldenlieder- Eisen- und Kupferschmelzen, Bronze-
sammlung); Mittelpunkte die kaiserliche werkstätten, Woll- und Leinenwebereien,
„Hofakademie“ in Aachen (Alkuin, Ein- Terra­kottatöpfereien und Kunstwerkstät-
hart, Paulus Diakonus, Petrus von Pisa) ten (Hausgefäße, Vorratsvasen, Grabbei-
und die Klöster St. Gallen, Reichenau, gaben in Massenherstellung, tönerne Kult-
Murbach, Fulda, St. Emmeran, Freising, statuen und Masken), Glaswarenproduk-
Tegernsee, Mondsee, Trier u. a.; wirkungs- tion (Flaschen, Vasen, Schminkphiolen),
vollste Entfaltung in der Bau- und Klein- Münzwerkstätten; aus dem Phönikischen
kunst (Übernahme des spätantiken Stein- abgewandelte Schrift und Sprache (doch
baus), unter byzantinischen Einflüssen; ne- vom Schrifttum nichts erhalten), phönik.
ben (nicht erhaltenen) Langhausbasiliken Kalender, phönik. Maße, Gewichte; großer

491
Karthago

Einfluss der Priesterschaft, die in Notzeiten Wareneinfuhr untersagte und religiöse Re-
Menschenopfer darbrachte; die karthag. formen durchsetzte (neben den unbarm-
Religion stark mit nordafrikan., griech. herzigen Baal trat als Staatsgöttin Tanit);
und ägypt. Vorstellungen durchsetzt. – K. Förderung einer expansiveren und inten-
um 814 v. Chr. vom phönik. Tyros (Liba- siveren Landwirtschaft. Die Schwächung
non) aus gegründet, dessen Bewohner vor der athen. Seemacht und seines Seebundes
den Assyrern flohen; der bedeutendste nach dem Fehlschlag einer athen. Invasion
der zahlreichen phönik. Handelsplätze an auf Sizilien durch ↑ Alkibiades und nach
den Mittelmeerküsten; die ersten Jh. im der athen. Niederlage im ↑ Peloponne-
Dunkeln; K. unterwarf sich das numid. sischen Krieg (404) nützte K. aus, um die
Hinterland, gründete schon früh eigene griech. Stadtstaaten in Südsizilien zu beset-
Stützpunkte an der tunes., alger. und der zen. Syrakus rettete die Insel (↑ Agathokles
Syrte-Küste, in Andalusien (Spanien), auf von Syrakus versuchte ein Jh. später verge-
Malta, Sizilien, Sardinien, z. T. unter An- bens, K. auf afrikan. Boden niederzuwer-
eigung altphönik. Kolonialplätze; mit sehr fen); trotz machtpolit. Gegensätze, bes.
stark gewordener Flotte beanspruchte K. in der Nach-Alexander-Zeit, weitgehend
seit etwa 600 v. Chr. das Monopol auf den Übernahme griech. und hellenist.-ägypt.
Seehandel im W-Mittelmeer, dadurch zu- Kulturgutes. Der erneute kraftvolle Auf-
nehmende Rivalität zu den Handelsstäd- stieg und die Vorrangstellung im Mittel-
ten ↑ Großgriechenlands auf Sizilien; K., meer nach dem Verfall der etrusk. Macht
schon in dieser Zeit reiche Stadt, wurde in Italien und der großgriech. Stadtstaaten
von Königen, zuletzt aus der Dynastie der auf Sizilien führten zum Generalangriff auf
Magoniden, beherrscht, die im 6. Jh. jahr- den großgriech. Teil Siziliens und zum Zu-
zehntelang in Übersee um die Außenbesit- sammenprall mit Rom, das als macht- und
zungen, z. T. im Bund mit den Etruskern, handelspolit. Erbe der Großgriechenstädte
Krieg führten: K. setzte sich 525 auf Kor- auf Sizilien antrat. Im 1. ↑ Pun. Krieg Ver-
sika fest, 510 in Tripolitanien, 510 Expedi- lust ganz Siziliens (241 1. röm. Provinz,
tion des ↑ Hanno zur Umschiffung Afrikas nur Syrakus als Verbündeter Roms noch
(Kamerun wurde erreicht), um 500 Zerstö- autonom), Zerrüttung im Innern; K. trotz
rung des phönik.-griech. Handelsplatzes anfänglicher großer Siege Hannibals nach
Tartessos in Westspanien (Silber- und dem 2. Pun. Krieg der Gnade der Römer
Zinnmarkt). Um die gleiche Zeit Verbin- ausgeliefert, nach dem 3. Pun. Krieg wurde
dung mit den Persern, um gemeinsam die das karthag. Afrika die 2. römische Provinz;
Macht des griech. Mutterlandes im O-Mit- K. 146 völlig zerstört; die pun. Kultur lebte
telmeer zu zerschlagen (↑ Griechenland, weiter, Religion und Sprache erhielten sich
Perserkriege); K. wurde jedoch 480, im noch bis ins 4./5. Jh. n. Chr., bis in die Völ-
Jahr der Schlacht von Salamis, vor Himera kerwanderung (↑ Vandalen). – 44 v. Chr.
(Sizilien) durch die athen. Flotte geschla- Gründung von Neu-K. durch Cäsar, die
gen und vom O-Mittelmeer abgeschnitten. röm. Stadt mit monumentalen Bauten
– Folge der Niederlage: Sturz des König- überflügelte alle anderen afrikan. Städte,
tums (Ende der Magonidendynastie); die schon früh Bischofssitz (einflussreich Bi-
Macht ging auf den Geburts- und Gelda- schof Cyprian 248–258), Wirkungsstätte
del (Reeder, Großkaufleute und Plantagen- des hl. Augustinus; seit 439 Mittelpunkt
besitzer) über, der die 2 Sufeten (Konsuln) des Vandalenreiches; Neu-K. 679 von
stellte, durch einen Senat und den „Rat der Arabern endgültig zerstört; Alt- und Neu-
104 Richter“ eine harte Herrschaft aus- K. heute Vorort von Tunis, auf der Byrsa
übte, spartan. Lebensführung forderte, die Schulkloster der Weißen Väter.

492
Kastilien

Kartoffelkrieg, der böhm. Herbstfeld- Geschlecht der Piasten in Polen. 3) K. IV.,


zug Friedrichs d. Gr. gegen Österreich im 1427–1492; König seit 1447, zugleich
↑ Bayer. Erbfolgekrieg 1778, verlief ohne Großfürst von Litauen, Jagellone, führte
Kampfhandlungen (beide Armeen wurden 13 Jahre Krieg gegen den Dt. Orden (1457
durch Krankheiten dezimiert). Einnahme der Marienburg), der ihm 1466
Kasan, ab 1438 Hauptstadt eines von (↑ Thorner Frieden) mit der Oberlehens-
der ↑ Goldenen Horde abgefallenen Tata­ hoheit über Ostpreußen auch Westpreu-
ren-Khanats, 1552 von ↑ Iwan IV. (dem ßen überlassen musste.
Schrecklichen) erobert und dem russischen Kassander, Diadochenherrscher, um 355–
Reich einverleibt (1559 Gründung des be- 297 v. Chr.; Sohn des makedon. Feldherrn
rühmten Uspenskijklosters); heute Haupt- Antipatros, behauptete sich nach dessen
stadt der Tatar. Auton. Sowjetrepublik. Tod (319) als Herr Makedoniens und vorü­
Kaschmir-Konflikt, Streit zw. ↑ Indien und bergehend Griechenlands in Kämpfen ge-
Pakistan um das frühere ind. Fürstentum gen seinen Bruder Polyperchon, Antigonos
Dschammu und Kaschmir (hinduist. Min- und Demetrios Poliorketes; ließ Alexan-
derheit, mohammedan. Mehrheit), dessen ders d. Gr. Mutter Olympias und dessen
Maharadscha sich bei der Teilung Indiens Gattin Roxane umbringen, heiratete Ale-
1947 für keinen der neuen Staaten ent- xanders Schwester Thessalonike (nach ihr
schied; 1949 trat Indien den von Pakis­tan die von ihm begr. Stadt, das heutige Salo-
besetzten Gebietsteil an Pakistan ab; 1956 niki, benannt).
Dschammu und Kaschmir autonome Staa- Kassiten, nach der Auflösung des babylon.
ten Indiens mit Staatsoberhaupt (statt des Reiches ↑ Hammurabis aus dem NO ein-
Gouverneurs). 1975 erzielte Indien durch dringendes Gebirgsvolk, zunächst als Söld-
die Eingliederung des ind. Teils von Kasch- ner in babylon. Diensten; seit 1500 v. Chr.
mir in die Union eine De-facto-Lösung der Bildung eines Königreichs im NO des
Kaschmirfrage, Pakistan zog den anderen Landes, von dort aus Eroberung und Ver-
Teil des Landes an sich. einigung (1480) des von ↑ Hethitern ver-
Kasimir, Herrscher von Polen: 1) K. I., der heerten Babyloniens; Beginn einer fast
Erneuerer, 1016–1058; Herzog seit 1034, 600-jährigen Herrschaft, in dauernden
von Bretislaw von Böhmen 1037–1041 Kämpfen mit Assyrern und Persern; um
vertrieben, nach dessen Unterwerfung un- die Mitte des 14. Jh. freundschaftliche Ver-
ter Heinrich III. (Friede zu Regensburg bindung zu Ägypten (Amenophis IV. Ech-
1041) wieder eingesetzt, stellte aus anarch. naton); die politische Korrespondenz zw.
Zuständen die staatliche Ordnung wieder dem K.-König und dem ägyptischen Herr-
her. 2) K. III., der Große, 1310–1370; scher im ↑ Amarna-Fund erhalten (Keil-
König seit 1333, verzichtete auf Schlesien schrifttexte auf Tontafeln); K. von Alexan-
zugunsten Böhmens (1335 Vertrag von der d. Gr. 324/23 v. Chr. unterworfen, bald
Vysegrad), auf Pomerellen und das Kulmer in einem Teilreich wieder selbständig; um
Land zugunsten des ↑ Dt. Ordens, gewann Christi Geburt verschwunden.
dafür im Kampf mit Litauen den Haupt- Kastenwesen, ↑ Indien.
teil der Fürstentümer Halic (Galizien) und Kastilien, seit dem 8. Jh. aus einem den
Wolhynien sowie die Lehenshoheit über Mauren entrissenen Gebiet gebildete Graf-
Kujawien; ließ das poln. Recht kodifizie- schaft (ben. nach ihren zahlreichen Kas­
ren, förderte Handel und Gewerbe, be- tellen) im Königreich León-Asturien; 1029
schützte den Bauernstand, zog deutsche zu Navarra, 1037 mit León zum König-
Kolonisten ins Land, gründete die Univer- reich K. vereinigt, 1230 durch die (endgül-
sität Krakau (1364); mit ihm erlosch das tige) Wiedervereinigung mit León und den

493
Katakomben

siegreichen Kampf gegen die Mauren das nung für alle von der Kirchenlehre Ab-
bedeutendste span. Teilreich; nach Heirat weichenden), Name einer gnost.-manichä-
der Thronerbin ↑ Isabella mit ↑ Ferdinand ischen Sekte, die auf dem Weg über Bul-
von Aragonien seit 1479 im Königreich garien (↑ Bogomilen) und die Donaustraße
↑ Spanien aufgegangen. ins Abendland, seit dem 11. Jh. bes. in den
Katakomben, unterirdische Begräbnis- romanischen Süden vordrang; verwarfen
anlagen im 1.–4. Jh. in den Städten des das A. T., Sakramente, Eid, Ehe; bejahten
Mittel­meerraumes, oft weit verzweigte die Seelenwanderung, dualist. Lehre: gutes
Netze kilometerlanger Gänge in mehre- Prinzip als Schöpfer des Geistes, böses als
ren Stockwerken, in deren Seitenwänden Schöpfer der Materie; ↑ Albigenser.
die Grabkammern eingelassen waren, ver- Katharina, Herrscherinnenname. England:
schlossen durch beschriftete Tafeln, vor- 1) K. von Aragón, 1485–1536; Tochter
nehml. von Juden und Christen benutzt; Ferdinands des Katholischen von Spanien,
die K. als Begräbnisstätten zunächst unter Mutter Marias der Katholischen, 1509 als
staatlichem Schutz, dienten später viel- Witwe des Erbprinzen Arthur von Wales
fach auch als geheime Versammlungsorte mit Heinrich VIII. vermählt, der sich
und als Zufluchtsstätte verfolgter Christen. 1533 ohne die geforderte Einwilligung
– Die berühmten christl. Katakomben des Papstes von ihr scheiden ließ; Anlass
von Rom (außerhalb der Stadt), seit dem zur Abspaltung der ↑ Anglika­nischen Kir-
5. Jh. nicht mehr benutzt und über den che. 2) K. Howard, 1520–1542; 1540 mit
Märtyrergrüften oft durch Kirchen über- Heinrich VIII. (5. Gemahlin) vermählt und
baut, gerieten seit dem 8./9. Jh., seit den 1542 hingerichtet. 3) K. Parr, 1509–1548;
Plünderungen durch die Normannen (Ret- 1543 mit Heinrich VIII. (6. Gemahlin)
tung der Märtyrerreliquien in die Kirchen vermählt, überlebte den König und ver-
des ganzen Abendlandes) in Vergessenheit; suchte in den relig. Wirren zu vermitteln.
1573 neu entdeckt. Frankreich: 4) K. von Medici, 1519–1589;
Katalaunische Felder, nach dem kelti­ Gemahlin Heinrichs II., erlangte nach des-
schen Stamm der Katalaunen benannte sen Tod 1559 als Regentin für Karl IX.
Ebene um Châlons-sur-Marne in Frank- entscheidenden Einfluss auf die Staatsge-
reich; bei Troyes 451 n. Chr. Sieg des Aetius schäfte, fürchtete ihre Machtstellung an
mit westgot. Hilfe über die Hunnen unter den Admiral ↑ Coligny, den Führer der
König ↑ Attila; entscheidend für die Ein- Hugenotten, zu verlieren und bewog daher
dämmung bzw. Aufsplitterung der hunn. den schwächlichen König zum Blutbad der
Expansion. ↑ Bartholomäusnacht. – Russland: 5) K. I.,
Katalonien (Gothalonia), Landschaft im 1684–1727; litauische Bauernmagd, 1702
NO Spaniens, 415 westgotisch, 713 ara- mit einem schwed. Dragoner vermählt,
bisch, 801 fränkisch, seit 874 selbständige Geliebte des Fürsten Menschikow, dann
Grafschaft, seit 1137 mit Aragón vereinigt, Peters d. Gr., der sie (offiziell 1712) zu sei-
1979 autonome Region mit eigener Regie- ner Gemahlin machte; befreite 1711 Peter
rung; ↑ Barcelona. und das am Pruth in verzweifelter Lage
Katapult, ↑ Balliste. eingeschlossene russischen Heer durch Be-
Katar, Emirat am Pers. Golf; 1868 als selb- stechung des Großwesirs, nahm 1725 als
ständiges Scheichtum anerkannt, 1872– Nachfolgerin Peters mit Hilfe Menschi-
1913 unter osman. Herrschaft, 1916–1971 kows selbst den Thron ein. 6) K. II., die
brit. Protektorat, seit 1971 unabhängig. Große, 1729–1796; geb. Sophie Prinzessin
Katharer (von griechisch katharoi, die Rei- von Anhalt-Zerbst, 1745 mit Peter (III.)
nen, davon abgeleitet Ketzer als Bezeich- vermählt; übernahm nach dessen Sturz

494
Katholische Kirche

durch die Garden und nach seiner Er- am berühmtesten die K. von Chartres, die
mordung (mit ihrem Wissen?) 1762 selbst vor allem durch ↑ Johann von Salisbury
die Regierung unter Mitwirkung ihrer je- großen Ruf gewann.
weiligen Geliebten (u. a. Orlow, Potem- Katholische Kirche, Röm.kath. Kirche,
kin) und getrieben von der Sorge um die Röm. Kirche (von griech. katholen, das
Sicherung des Thrones; verband die Idee Ganze umfassend, allg.), nach kath. Lehre
des aufgeklärten Absolutismus mit kalter die unsichtbare, übernatürliche Gemein-
Berechnung und ließ sich von einer wir- schaft der Gottverbundenen und im en-
kungsvoll inszenierten „gesetzgebenden geren Sinne die sichtbare Gemeinschaft
Kom­mission aus allen Ständen“ zur „Mut- der getauften Gläubigen „unter Leitung
ter des Vaterlandes“ proklamieren; reorga- der gesetzmäßigen Hirten und bes. des ei-
nisierte die Verwaltung (40 Generalgouver- nen Stellvertreters Christi auf Erden, des
nements), förderte die innere Kolonisation Papstes“: der Name katholisch erstmals
(Ansiedlung der Wolgadeutschen) und das bei ↑ Ignatius von Antiochien (Anfang
Geistesleben (Gründung der Russ. Aka- 2. Jh.); Entfaltung schon im 1. Jh. in fast
demie), trieb eine ehrgeizige Außenpoli- allen röm. Provinzen, Lehrverkündigung
tik, gewann in zwei Türkenkriegen (1774 erleichtert durch die Weltsprache Grie-
Friede von Kütschük-Kainardschi; 1792 chisch (Koine, Sprache des N. T.); schon
Jassy) die nördl. Küstengebiete des Schwar- früh Bewusstsein, Weltreligion zu sein; im
zen Meeres, durch Absetzung des Tataren- 2./3. Jh. Hervortreten in die Öffentlich-
khans (1783) auch die Krim und in den keit, Verkündung eines neuen Mensch-
drei ↑ poln. Teilungen 1772–1795 große heitsideals, Kampf um Selbstbehauptung
Teile Ostpolens; K. gab sich als eifrige An- als antiheidn. religiöse Kraft im Römerim-
hängerin der Aufklärung (Briefwechsel mit perium, beginnende Märtyrerzeit (↑ Chris-
Voltaire, Montesquieu, Diderot u. a.), ihre tentum, Christenverfolgungen); in der
Regierungszeit war jedoch gekennzeichnet Auseinandersetzung mit Heidentum und
durch Hungersnöte, Aufstände, Verschär- Sekten Festigung der Lehre und Organi-
fung und Erweiterung der Leibeigenschaft sation (Zusammenschluss der Gemeinden,
und damit Vertiefung der Kluft zw. Adel Ausbildung der Hierarchie), Anfänge des
und Volk. röm. Primats. Entfaltung eines lat. theo-
Kathedersozialisten, von den Liberalen log. Schrifttums neben einem griech. ent-
geprägter Spottname für eine Gruppe von sprechend der nationalen Verschiedenheit
Nationalökonomen, die 1872 in Eise­nach in Ost und West; Grundlegung zentraler
zusammenkamen, um nach Lösungen für Dogmen; 4. Jh. letzte systemat. Christen-
die soziale Frage (Arbeiterfrage) zu suchen; verfolgungen; durch Befreiung unter Kon-
aus ihr ging der „Verein für Socialpolitik“ stantin rasche Verbreitung unter Ausnut-
hervor. – Die Bezeichnung K. ist sachl. zung der Kulturkräfte des Röm. Reiches;
unzutreffend, weil es sich bei den Mitglie- zugleich beginnende Vertiefung des Diffe-
dern weder ausschließlich um Professoren renzierungsprozesses gegenüber der griech.
noch um Anhänger des Sozialismus, son- Kirche, vor allem seit der Gründung Kon-
dern meist um Befürworter staatl. Sozial- stantinopels (330), des „Neuen Roms“; ge-
reformen handelte; darunter G. Schmoller, genüber dem Vorranganspruch der griech.
A. Wagner, L. Brentano. Kirche (größere Mitgliederzahl, Wirksam-
Kathedralschulen, die zur Ausbildung des keit der ersten Mönchs- und Nonnenk-
Diözesanklerus am Sitz einer Kathedrale löster im Osten, Ausbau des Patriarchats
gegr. hohen Schulen; im 12. Jh. Mittel- Konstantinopel) nachdrückliche Betonung
punkte klass. Studien und der Scholastik, des röm. Primats. In der Folge Vertiefung

495
Katzbach

der eigenen theolog. Gedankenwelt durch Umschichtung Bestrebungen zur Nationali­


die lateinischen Kirchenväter und -lehrer sierung und Demokratisierung der Kir-
(bes. Augustinus); Anfänge des abendländ. che, zunehmender Ruf nach Reformen „an
Mönchtums, Ausbildung von Sonderfor- Haupt und Gliedern“, Verzögern der Re-
men (gegenüber Ostrom) des kirchlichen formen führte zur Bildung neuer, von der
Lebens; erfolgreiche Missionierung schon röm.-kath. Kirche unabhängigen Kirchen-
vor dem Untergang des röm. Imperiums gemeinschaften (↑ Reformation), deren Be­
in den Außenprovinzen des Westens (Gal- kämpfung und Wiedergewinnung durch
lien, Spanien, Britannien), zunehmende die Gegenreformation und Restauration
Katholisierung auch bei den Völkern der (innerkirchliche Erneuerung in Fortset-
Völkerwanderung (Westgoten, Burgunder, zung früherer Reformbewegungen) vergeb-
Franken); entscheidend die Bekehrung der lich versucht wurde; Ende der Einheit der
Franken zum röm.-kath. Glauben (Chlod- abendländ. christl. Kirche besiegelt. Inner-
wig); Überleitung des röm. Christentums halb der kath. Kirche in der Folge zuneh-
aus der antik griech.-röm. in die mittel- mender Abbau der rein weltl. Posi­tionen
alterl. german.-roman. Welt (Abendländ. der Kirche (Ende der geistlichen Fürsten-
Kirche). Das Papsttum, seit den Wirren tümer, des Kirchenstaates); Erneuerung
der Völkerwanderung höchste anerkannte der theolog. Wissenschaft, Ausbau der
Ordnungsmacht, fühlte sich als Träger der Glaubenslehre durch neue Dogmen, Be-
Tradition auch des weltlichen Imperiums seitigung von Missbräuchen, Erschließung
Rom im Sinne eines christl.-staatlichen neuer großer Missionsgebiete durch die al-
Universalismus (in diesem Sinne Vergabe ten und neugegründeten Orden, Verstär-
der röm. Kaiserkrone an Karl d. Gr. 800); kung der Laienarbeit im kirchl. Bereich,
gleichzeitig aber zunehmende Entfrem- Wiedergewinnung des Ansehens des Papst-
dung der griech. (oström.) Kirche und des tums innerhalb und außerhalb der Kirche.
von ihr missionierten Slawenvolkes Osteu- Katzbach, Nebenfluss der Oder, bekannt
ropas bis zur endgültigen Trennung 1054 durch den Sieg Blüchers über die Franzosen
(↑ Humbert von Moyenmoutier). Die Ein- unter Macdonald 1813, eine der entschei-
beziehung der röm. Kirche in die Gesell- denden Schlachten der ↑ Befreiungskriege.
schaftsordnung des universalen weltlichen Katyn, sowjet. Ort am oberen Dnjepr im
Reiches des MA führte zu wechselseitiger Gebiet Smolensk, Russlan; bei K. ent-
Befruchtung, zugleich zu jahrhundertelan- deckten Soldaten der dt. Wehrmacht 1943
gen Spannungen (Eingriffe der weltlichen Massengräber mit über 4 000 Leichen poln.
Macht in kirchliche Hoheitsrechte, An- Offiziere, die 1939 in sowjet. Gefangen-
sprüche der Päpste über das rein Kirch- schaft geraten waren. 1989/90 veröffent-
liche hinaus auf die Führung in der uni- lichte Untersuchungen poln. und sowjet.
versalen christl. Welt): trotzdem und trotz Historiker bestätigten die Verantwortung
mehrmals wiederkehrender Verfallserschei- der sowjet. Regierung unter Stalin für den
nungen reiches innerkirchl. Leben (Ordens­ Massenmord.
gründungen, Blüte christl. Wissenschaft Kaunda, Kenneth, samb. Politiker, geb.
und Kunst, Predigt und Unterrichtswe­sen, 1924; seit der Unabhängigkeit Sambias
Liturgie, Missionsarbeit in W-, N- und O- 1964 Präsident des Landes, betrieb eine
Europa und im Fernen Osten (um 1350 Politik der Konfrontation mit Rhodesien,
Erzbistum Peking); gegen Zerfall und 1972 wandelte er Sambia in einen Einpar-
Missstände Reformbewegungen. Mit dem teienstaat um; 1988 zum 5. Mal wiederge-
Niedergang der beiden universalen Mächte wählt. K. trat nach einer Wahlniederlage
des MA und der sozialen und kulturellen bei einer Mehrparteienwahl 1991 zurück.

496
Kelten

Kaunitz, Wenzel Anton Graf von, seit 1764 denen Schriftdenkmäler (tönerne Zylinder,
Reichsfürst von K.-Rietberg, österr. Staats- Steintafeln mit Königsinschriften, tönerne
mann, 1711–1794; seit 1753 (bis 1792) Schreibtafeln, auf ihnen seit 2 000 auch li-
Staatskanzler, Meister der klass. Kabinett- terarische Texte) begann mit den Arbeiten
spolitik, unermüdlicher Wahrer der Interes­ des deutschen Gymnasiallehrers ↑ Grote-
sen der Großmacht Österreich, Seele der fend, 1802–1815.
Koalition gegen Friedrich d. Gr., Urheber Keitel, Wilhelm, dt. Generalfeldmarschall,
des „Umsturzes der Bündnisse“ 1756 (erst- 1882–1946; seit 1935 Chef des Wehr-
mals österr.-frz. Bündnis); Vertrauter Ma- machtamtes im Reichskriegsministerium,
ria Theresias; in der Innenpolitik Reformer 1938 Chef des neu geschaffenen Ober-
im Sinne der (gemäßigten) Aufklärung. kommandos der Wehrmacht; unterzeich-
Kautsky, Karl, österr. Politiker, 1854– nete 1940 die frz. Kapitulation in Compie-
1938; betrieb 1883 die Gründung der gne. K. galt als Bewunderer des Hitlerschen
Zeitschrift „Die Neue Zeit“, deren Leiter „Genies“ und führte dessen Befehle wider­
er 1891–1917 war, lebte 1885–1890 als spruchslos aus (Spitzname „Lakeitel“). Am
Mitarbeiter F. Engels’ in London, entwarf 8. Mai 1945 gehörte K. zu den Unter-
1891 das Erfurter Programm der SPD, zeichnern der dt. Kapitulation im sowjet.
wechselte 1917 zur USPD, kehrte aber Hauptquartier in Karlshorst; im Haupt-
1922 zur SPD zurück, an deren Heidelber- kriegsverbrecherprozess in Nürnberg zum
ger Programm er 1925 mitarbeitete; lebte Tod durch den Strang verurteilt.
seit 1924 in Wien, emigrierte 1938 nach Kellogg, Frank, nordamerik. Staatsmann,
Amsterdam. 1856–1937; Staatssekretär des Äußeren
Keilschrift, die mit einem Stichel keilför- 1925–1929, regte den nach ihm benann-
mig in Tontafeln, -prismen, -zylinder ge- ten, 1928 in Paris unterzeichneten Krieg-
ritzte Schrift der Sumerer (seit dem Ende sächtungspakt (Kellogg-Pakt) an, der die
des 4. Jt.) für Geschäftsvorfälle und Verwal­ Unterzeichnerstaaten (bis 1929 54, darun-
tungsdokumente; Schrift auch der Akka- ter sämtliche Großmächte) zum Verzicht
der, Assyrer, Elamiter, Churriter, Babylo- auf den Krieg als Mittel der Politik ver-
nier, Perser, z. T. auch der Ägypter, Syrer, pflichtete (Verteidigungskriege und Sank-
Hethiter, Chaldäer u. a.; aus der Zeit um tionskriege im Sinne des Völkerbundes
3000 v. Chr. rd. 1 000 K.-Tafeln und -Frag- ausgenommen). Friedensnobelpreis 1929.
mente erhalten; anfangs abstrakte Bildzei- Kelten oder Gallier (lat. Galli, griech. Ga-
chen, die allmählich verschleifen und ver- latoi, Keltoi), urspr. ↑ indogerm. Völker­
einfachen (unter Drehung um 30 Grad); je- gruppe der ↑ Urnenfelderkultur; Ausgangs­
des Zeichen bedeutete zunächst einen kon- raum wahrscheinl. NW-Frankreich, Mosel-
kreten Gegenstand oder Begriff, Zeichen­ gebiet, Hunsrück, Eifel; erste Erwähnung
kombinationen bedeuteten verwandte oder von K. auf der iber. Halbinsel um 600,
erweiterte Begriffe; um die Mitte des 3. Jt. der K. bei Marseille und in Österreich um
ohne Rücksicht auf die Bedeutung der Zei- 500, dann häufiger bei den antiken Schrift-
chen Umwandlung in phonet. Zeichen, die stellern; als kriegerisch und kühn gerühmt
den Aufbau einer Grammatik und Litera- und gefürchtet, doch aufgeschlossen für
tur ermöglichten; um 1500 v. Chr. bedeu- die Kulturerrungenschaften fremder Völ-
tende Literaturdenkmäler bes. aus dem su- ker („novarum rerum cupidi“); vermutl.
mer. Nippur; die K. wurde Verkehrsschrift blaue Augen und blondes Haar; ge­kleidet
im gesamten Nahen Osten; um 30 v. Chr. in Hosen, Leinenkittel, Woll­um­hang, oft
von der aramäischen Schrift verdrängt; mit Kapuze (moselländ. Treuerer); Haupt-
die Entzifferung der zahlreichen aufgefun- schmuck: Halsringe, Arm- und Fingerringe

497
Keltiberer

und Fibeln aus Gold, Bronze, Silber; gol- lag; sie waren Mitträger der späten ↑ Hall-
dene Trinkschalen und -hör­ner, Goldblech­ statt- und Hauptträger der ↑ Latène-Kultur
helme, Bronzehelme sowie Schildbuckel, (Verbreitung des Eisens), die sich zw. den
-trensen, -langhörner aus Bronze; Eisen- Ostalpen bis zum Ärmelkanal und im Sü-
schwerter und eiser­ne Pfeilspitzen, Mes- den bis zur Straße von Gibraltar erstreckte.
ser u. a.; zahlreiche Schatz- und Votiv- – Wanderzüge: Um 900 v. Chr. im nordal-
funde; Einführung der Drehsteinmühle pinen Raum (Süddeutschland, Böhmen,
und der Töpferscheibe in Mittel- und N- Schweiz, W-Mitteleuropa); im 7. Jh. nach
Europa. Kein einheitliches Reich, sondern Gallien, im 6. Jh. nach Spanien (↑ Kelti-
regionale, durch Pakte verbundene König- berer), im 5. Jh. nach Britannien und Ir-
reiche; siedelten a) entweder in Gehöften land, im 4. Jh. v. Chr. Ausbreitung über
der Großfamilien unter absoluter Gewalt die Lombardei und, die Etrusker über-
des Hausherrn, die Höfe mit Getreidespei- rennend, unter Brennus Plunderzüge ins
chern für Weizen und Gerste, Vorratsgru- Römerreich bis Apulien und Sizilien; um
ben, Ställen (Rinder, Schweine, Schafe), 390 Plünderung Roms (↑ Allia), Vordrin-
quadrat. Feldern, Rechteck- oder Rund- gen auf dem Balkan bis zum Peloponnes
häusern, die größeren Fürstenhäuser pali- (um 370); um 350 in ↑ Galizien; im 3. Jh.
sadenumwehrt; oder b) in früher Zeit in von Griechenland (Mazedonien) aus Ver-
Bergfestungen, u. a. Heuneburg (Württem- heerung Delphis (279), Übergang über
berg), Odilienberg (Elsass), St. Thomas (an die Dardanellen (278) und Niederlassung
der Aisne, Frankreich), Cite de Limes (an im ehemaligen Phrygien (mittlere Türkei),
der Seine, Frankreich), Castro de Britei- hier Galater gen. (an sie richtete nach Bil-
ros (Portugal), Old Oswestry (Wales), dung christl. Gemeinden Paulus die „Gala-
Cissburg Rings (Sussex), Uffington (Eng- terbriefe“); im Kampf gegen ihre Raubzüge
land), seit dem 2. Jh. v. Chr. auch in „op- bes. erfolgreich das Reich von ↑ Pergamon
pida“, gräbenumwehrten Festungssiedlun­ (Siegesdenkmäler in Pergamon: Friese
gen mit gewaltigen Steinmauern sowie, am Zeus- und Athene-Altar, „Sterbender
ausschließlich in Kriegszeiten, umwallten Gallier“); im 2. Jh. v. Chr. gewann Rom
Fluch­burgen ganzer Stämme mit genü- das ganze kelt. Pogebiet (Gallig cisalpina,
gend Weideland für Viehherden; die K. 192 v. Chr.); im 1. Jh. eroberte Cäsar ganz
waren Pferdezüchter und bekannt durch Gallien (Gallig transalpina, 58–51 v. Chr.);
ihre Reiterkämpfe (Pferdegöttin Epona); kelt. Belgen wanderten in Britannien ein,
sie trieben Fernhandel im Mittelmeerraum wohin ihnen Cäsar 55–54 vorübergehend
(Griechenland, Etrurien) und im Norden folgte; 52 v. Chr. besiegte er bei der kelt.
und Osten; Geld (weit verbreitete Bild- Festung Alesia den Keltenfürsten ↑ Ver-
münzen) und Tauschhandel; sie verehrten cingetorix; 43 n. Chr. besetzten die Römer
Natur- und Stammesgottheiten, den „sit- endgültig Britannien, Augustus eroberte
zenden Gott“, die „drei Matronen“, ver- den Alpenraum. Die Kelten im Kampf mit
ehrten hl. Säulen und hl. Bäume, errichte- Römern und den nachrückenden Germa-
ten von Pfosten getragene offene Tempel- nen aufgesogen oder fast ganz aufgerieben;
chen und kreisrunde oder vieleckige Tem- heute Reste u. a. in Wales, Schottland, Ir-
pel; die oft in Orden organisierten ↑ Drui­ land, Insel Man, Bretagne.
den waren ihre mächtigen Opferpriester, Keltiberer, die iberische Urbevölkerung
Zauberer, Ärzte und Richter; ihren Fürsten Spaniens, soweit sie sich mit zugewan-
bereiteten sie Gräber, in denen der Tote derten ↑ Kelten vermischt hatte; gerieten
auf einem Bauernwagen (in späterer Zeit 195 v. Chr. (Cato) und 179 (Gracchus)
auf zweirädrigen Streitwagen) aufgebahrt in Konflikt mit den Römern, erlitten

498
Kepler

133 v. Chr. vor Numantia durch Scipio Afri­ Partei (NDP, National Development Party)
canus entscheidende Niederlage und gin- Minister. Neben Armut, Korruption, Na-
gen nach dem Scheitern der Erhebungen turkatastrophen (1997 verheerendes Hoch­
unter Sertorius im 1. Jh v. Chr. mehr und wasser) ist AIDS in eines der größten Pro-
mehr in der röm. Kultur auf. bleme des Landes(2001 ca. 2,5 Mio. HIV-
Kemal Atatürk („Vater der Türken“), bis Infizierte).
1935 Mustafa Kemal Pascha, türk. Heer- Kennedy, 1) K., John Fitzgerald, amerik.
führer und Staatsmann, Schöpfer der mo- Politiker, 1917–1963; 1960 gegen R. Ni-
dernen Türkei, 1881–1938; an der Revo- xon knapp zum Präsidenten der USA ge-
lution der ↑ Jungtürken (1908) beteiligt, wählt. Innenpolit. versuchte er während
zeichnete sich im Tripolis-, Balkan- und seiner Präsidentschaft Programme zur Bür­
1. Weltkrieg (Gallipoli) aus; 1919 mit der ger­rechtsfrage, zur Verbesserung der Sozial­
Abrüstung in Anatolien beauftragt, organi- versicherung, Krankenversorgung, des Bil-
sierte statt dessen den nat. Widerstand ge- dungswesens und der Rassenfrage durch-
gen den Vertrag von Sevres, 1920 von der zusetzen. Sie scheiterten größtenteils an
von ihm einberufenen Nationalversamm- dem überwiegend konservativen Kongress.
lung in Ankara zum Regierungsoberhaupt Außenpolit. suchte K. eine neue Basis für
und Oberbefehlshaber bestimmt, vertrieb den Dialog mit der Dritten Welt (Allianz
1921/22 die Griechen aus Kleinasien (da- für den Fortschritt), entwickelte nach der
her „Ghasie“, der Siegreiche, genannt), Kuba-Krise (1961) die Beziehungen zur
setzte den Sultan ab, erreichte die Revi- UdSSR und setzte den Anfang für das ame-
sion des Friedensvertrages und gestaltete rik. Engagement in Vietnam. 1963 wurde
seit 1923 als Staatspräsident und Führer K. in Dallas ermordet. 2) K., Robert, Bru-
der Republikan. Volkspartei (Einparteien- der von J. F., 1925–1968; 1961–64 Justiz­
system) mit umwälzenden Reformen nach minister, erlag ebenfalls einem Attentat.
westeurop. Vorbild die türk. Republik zu Kenyatta, Jomo, kenianischer Politiker,
einem modernen Staatswesen um. 1891–1978; seit 1964 Staatspräsident
Kenia, Republik in Afrika, 1895 prokla- von Kenia, verfolgte eine Politik der West­
mierte die brit. Regierung das Protektorat orientierung.
Ostafrika, 1920 Umwandlung in Kronko- Kepler, Johannes, dt. Astronom, 1571–
lonie K. 1952–56 Aufstand der Maullau, 1630; gebürtiger Schwabe, ursprüngl. Leh-
bewirkte Selbstverwaltungszugeständnisse. rer in Graz, nach Beginn der Gegenreforma­
1963 erhielt K. die volle Unabhängigkeit tion kaiserlicher Hofastronom in Prag tätig
und ist seit 1964 als Republik im Com- (1599–1612), Schüler von Tycho ↑ Brahe,
monwealth of Nations. Seit 1982 förm- dann Professor in Linz und seit 1628 im
lich Einparteienstaat, bis 2001 regiert Dienste Wallensteins; begründete durch
durch die 1960 von Kenyatta gegründete die nach ihm benannten, teils empirisch,
KANU („Kenya African National Union“). teils spekulativ gefundenen drei Bewegungs­
Zu Beginn der 1990er Jahre nach anhal- gesetze der Planeten (Ellipsenbahn, Be-
tenden Protesten Wiedereinführung eines schleunigung bei zunehmender Sonnen-
Mehrparteiensystems, bei den ersten freien nähe sowie deren Berechnung) die neuere
Parlamentswahlen seit 26 Jahren konnten Astronomie. K. war durchdrungen von
sich die regierende KANU und Daniel dem Glauben, in der mathematischen Ge-
arap Moi als Staatspräs. knapp behaupten, setzmäßigkeit der Himmelsmechanik die
ebenso 1997 trotz Vorwürfen des Wahlbe­ göttliche Harmonie des Weltalls nachwei-
trugs. Im Juni 2001 Regierungsumbildung, sen zu können. Erfand ein astronomisches
erstmals Mitglieder einer oppositionellen Fernrohr.

499
Kerenski

Kerenski, Alexandr, russischer Staatsmann, zismus im ↑ Kulturkampf und Begründer


1881–1970; seit 1912 Führer der gemäßig­ einer kath. Sozialpolitik (Arbeitervereine),
ten Sozialisten (Sozialrevolutionäre); nach schrieb 1864 „Die Arbeiterfrage und das
dem Sturz des Zarismus 1917 Kriegsmini- Christentum“. 3) K., Klemens Freiherr
ster und Ministerpräsident, versuchte den von, dt. Diplomat, 1853–1900; Neffe von
russischen Sieg auf seiten der Entente zu 2), als Gesandter in Peking von den auf-
erzwingen (K.-Offensive im Juli 1917), ständ. Boxern ermordet (Anlass zum Ein-
wurde angesichts der Kriegsmüdigkeit des greifen der Großmächte; ↑ China).
Volkes von den Bolschewiki gestürzt; da- Ketzer (abgeleitet von ↑ Katharer) oder
nach im Exil, suchte vergeblich die russ. Häretiker, Irrgläubige oder Irrlehrer, im
Emigranten nach dem 2. Weltkrieg poli- MA bis in die Neuzeit Bezeichnung für die
tisch zusammenzufassen. Verkünder oder Anhänger von Irrlehren
Kesselhaube (Bassmet, Bekkenhaube), (aufgrund röm.-kath. kirchlicher Entschei-
der hochkegelige, geschlossene Ritterhelm dung); ihre Bekämpfung einst Hauptauf-
des 13. und 14. Jh. gabe der ↑ Inquisition.
Kesselring, Albert, dt. Generalfeldmar- Keynes, John Maynard, Baron K. of
schall, 1885–1960; 1936/37 Generalstabs- Tilton, britischer Volkswirtschaftler, 1883–
chef der Luftwaffe; 1939 Befehlshaber 1946; leitete 1919 die Delegation des brit.
Luftflotte 1, mit der K. am Polenfeldzug Schatzamtes bei der Friedenskonferenz in
teilnahm. Ab Jan. 1940 Befehlshaber Luft- Versailles, forderte später eine Revision der
flotte 2, die er im Westfeldzug komman- Versailler Verträge, da er die Reparations-
dierte und bis Dez. 1941 auch im Osten forderungen der Alliierten volkswirtsch.
befehligte. Seitdem als Oberbefehlshaber nicht für vertretbar hielt; 1909–1946 Mit-
Süd Führer der deutschen Luftstreitkräfte glied des Lehrkörpers des Kings College in
im Mittelmeerraum und Nordafrika. 1943 Cambridge; entwickelte im 2. Weltkrieg ei-
Wehrmachtbefehlshaber auf dem südlichen nen Plan für die Kriegsfinanzierung durch
Kriegsschauplatz. März-Mai 1945 Oberbe- Zwangssparen und für eine neue internat.
fehlshaber West. 1947 in Venedig von den Währungsordnung; sein Hauptwerk „Die
Briten zum Tode verurteilt; zu lebensläng- allgemeine Theorie der Beschäftigung, des
licher, dann zu 20-jähriger Haft begnadigt, Zinses und des Geldes“ (1936) hatte auf
1952 aus der Haft entlassen. das ökonomische Denken großen Einfluss,
Kesselsdorf in Sachsen, Schlacht bei K. seine Theorien wurden Grundlage der
am 15. Dez. 1745 endete mit dem Sieg der Wirtschaftspolitik in Marktwirtschaften
preuß. Armee unter Leopold von Dessau nach dem 2. Weltkrieg.
über die Sachsen und Österreich, führte KGB, Abk. für (russ.) Komitet gossudarst-
den Frieden von Dresden herbei und si- wennoi besopastnosti (Komitee für Staats-
cherte Preußen den Besitz Schlesiens. sicherheit), sowjetischer Geheimdienst,
Ketteler, altes westfäl. Adelsgeschlecht; da- gegr. 1954, Nachfolgeorganisation einer
raus: 1) K., Gotthard, Landmeister des Dt. Reihe von Staatssicherheitsbehörden, die
Ordens in Livland und Kurland, um 1517– seit den Anfängen der Russ. Revolution
1587; musste 1561 Livland an Polen abtre- einander ablösten (vgl. auch ↑ GPU). Zu
ten, behielt aber Kurland als weltl. Herzog- den Aufgaben des KGB gehörten die Un-
tum und poln. Kronlehen und machte es terdrückung antisowjet. Verhaltens, In-
protestantisch. 2) K., Wilhelm Emanuel haftierung von sicherheitsgefährdenden
Freiherr von, Kirchenfürst, 1811–1877; Personen, Spionageabwehr uns die Durch-
1848 Abgeordneter der Paulskirche, 1850 führung von Geheimoperationen. Formell
Erzbischof von Mainz, Führer des Katholi­ dem sowjetischen Ministerrat unterstellt,

500
Kiewer Reich

die Befehle aber erteilte das Politbüro der vergeblich um Annäherung an Russland
KP. 1992 wurde der KGB in das Ministe- bemüht, verantwortlich für den ↑ „Panther­
rium für Sicherheit umgewandelt. sprung“ nach Agadir (2. Marokkokrise)
Khan, mongol. Herrschertitel; in den mus- und das Marokko-Kongo-Abkommen von
lim. Nachfolgestaaten der Mongolei Titel 1911 mit Frankreich.
der regierenden Fürsten und in Persien Ti- Kiel, Friede von K. 1814: Auflösung der
tel hoher staatlicher Würdenträger. Personalunion Dänemark-Norwegen; Ent-
Khedive (pers., Gebieter), 1867–1914 Ti- schädigung Schwedens mit Norwegen für
tel des türk. Vizekönigs von Ägypten (bis das an Preußen abgetretene Vorpommern
1879 Ismail, 1892 Tewfik Pascha, bis 1914 und das an Russland verlorene Finnland.
sein Sohn Abbas II. Hilmi). – K. war seit 1242 Stadt, seit 1284 Mit-
Khmer, indochines. Volk im Westteil ↑ In- glied der Hanse; bedeutender Handels-
dochinas (in Kambodscha, zeitweise auch platz; im 18. Jh. Residenz der Herzöge
in Siam, Laos, Kotschinchina); um Chr. von Holstein-Gottorp; nach dem Dt.-Frz.
Geburt zum hinduist. Funan-Reich (Ma- Krieg 1871 Reichskriegshafen mit bedeu-
laya bis Kotschinchina) gehörend; seit dem tenden Hafenanlagen und Werften; die
6. Jh. eigenes Reich; um 1000 n. Chr. wurde Matrosenmeuterei in K. 1918 war Signal
der Buddhismus eingeführt und herr- zur Novemberrevolution; nach 1935 wie-
schende Religion; unter dem „Gottkönig“ der dt. Kriegshafen; Landeshauptstadt von
Jayavarman II. (802–869) „Goldenes Zeit- Schleswig-Holstein.
alter“; einer seiner Nachfolger erbaute im Kiewer Reich, erste Staatsbildung auf
10. Jh. die Tempelstadt ↑ Angkor, die polit. russ. Boden, um 880 n. Chr. von Norman-
und religiöses Zentrum wurde; Machthöhe­ nen (Warägern) von Nowgorod und Kiew
punkt unter Jayavarman VII. um 1200; spä­ mit dem Mittelpunkt Kiew begründet; die
ter An­griffe der Thaifürsten, Mongolen und Normannen zwangen die Unterworfenen
Siamesen; 1434 Aufgabe und Evakuierung zur Tributzahlung und betrieben Fernhan-
der durch Siamesen bedrohten Hauptstadt del nach Norden und Süden (mit Byzanz
Angkor und Verlegung nach Phnom Penh, 911 und 944 Handelsverträge), Osten und
der heutigen Hauptstadt von ↑ Kambod- Westen; allmähl. Aufbau einer Staatsorga-
scha; Niedergang des Reiches, jahrhunder- nisation, zunehmende Slawisierung der eu-
telanger Streit Siams und Annams um die rop. Herrenschicht; erster Fürst mit slaw.
Herrschaft. Namen Swjatoslaw (963–972); Annexion
Khomeini (Chomaini), Ruhollah, iran. der Länder der Chasaren, Wjatitschen und
Schiitenführer (Ajatollah) und Politiker, Wolgabulgaren im Osten, vorübergehende
um 1900 1989; als Wortführer der regie- Besetzung Donaubulgariens; 988/89 Über-
rungsfeindlichen Demonstrationen 1964 nahme des byzantin. Christentums, das
des Landes verwiesen, lebte seit 1974 in unter Wladimir (990–1015) Staatsreligion
Frankreich, führte von dort die islam. Op- wurde (Vermählung Wladimirs mit by-
position gegen den Schah; kehrte 1979 in zantin. Kaisertochter); Wladimir eroberte
den Iran zurück und war Führerfigur einer das Gebiet um Lemberg; dehnte das Reich
am schiit. Islam orientierten Umwälzung bis zur Ostsee aus; unter seinem Sohn Ja-
für die Errichtung einer „Islam. Republik“, roslaw dem Weisen (1010–1054) dynasti­
lehnte alle Friedenspläne für den Nahen sche Beziehungen zu zahlreichen europä-
Osten ab. ischen Fürstenhäusern und Ausdehnung
Kiderlen-Wächter, Alfred von, dt. Politi- nach Westen; Kiew war blühende Han-
ker, 1852–1912; seit 1908 Leiter des Aus- delsstadt und Zentrum ostslaw. orthodoxer
wärtigen Amts, seit 1910 als Staatssekretär Kultur (kirchliches Schrifttum, Annalistik,

501
Kilikien

Rechtsbücher, Klosterkultur). 1054 Tren- tor., vom Kult um ihn und seine Familie
nung der byzantin. von der röm. Kirche; geprägtes Regierungssystem; designierte
nach Wladimirs Tod zunehmender Verfall seinen seit 1964 mit zahlreichen wichtigen
der Reichseinheit, Bedrängung durch Step- Ämtern bedachten Sohn Kim Jong Il 1992
penvölker: unter seinem Enkel Wladimir II. zu seinem Nachfolger.
letztmals Einigung des K. R.es; in der Fol- Kimmerier, indogerman. Wandervolk,
gezeit Reichsauflösung, Ende der Handels- das um 900 v. Chr. über den Kaukasus in
beziehungen zu Byzanz nach Gründung Kleinasien einbrach; bei Homer sind die K.
des ↑ Lat. Kaisertums und Bildung neuer myth. Volk im hohen Norden, wo ewiges
russ. Machtzentren (↑ Russland). Dunkel herrscht; fälschlich auch mit den
Kilikien, Küstenland im südöstl. Klein- Kimbern gleichgesetzt. Drangen über den
asien, im Seeräuberkrieg des Pompejus Balkan zur Donau (Ungarn) vor, brach-
67 v. Chr. Sitz von Piraten. ten vorderasiat. Kulturelemente nach Mit-
Kimbern und Teutonen, nordgermanische teleuropa und gewannen Einfluss auf die
Stämme, die Kimbern auf der kimbrischen ↑ Hallstatt-Kultur; um 500 aus der Ge-
Halbinsel (Chersonesus Cimbrica) im dä- schichte verschwunden.
nischen Nordjütland, die Teutonen ver- Kimon, athen. Staatsmann und Feldherr,
mutlich ebenfalls in Jütland wohnend; Süd- um 510–449 v. Chr.; Sohn des Miltiades,
wanderung um 150 v. Chr. (durch Sturm- Seele des Angriffskriegs gegen die ↑ Perser,
fluten vertrieben?); besiegten 113 v. Chr. errang 468 den Sieg am Eurymedon (Pam-
in den Ostalpen bei Noreia die mit den phylien), Spartaner- und Aristokraten-
Norikern verbündeten Römer unter dem freund; 462–457 verbannt, starb an der
Konsul Papirius Carbo; wandten sich nach Spitze eines Unternehmens gegen Zypern.
Gallien, siegten 109 v. Chr. über M. Tunius Kinderkreuzzug, ↑ Kreuzzüge.
Silanus, 107 über L. Cassius Longinus; King, Martin Luther, 1929–1968, amerik.
nach völliger Vernichtung des Heeres des Bürgerrechtler, kämpfte als Baptistenpfar-
Servilius Caepio bei Arausio 106 v. Chr. rer in der Bürgerrechtsbewegung für fried-
(größte Niederlage der Römer seit Cannae) liche Rassenintegration und gewaltlosen
streiften sie nach Spanien und teilten sich Ungehorsam im Sinne Gandhis. K. erhielt
in zwei Marschsäulen: Die Kimbern gin- 1964 den Friedensnobelpreis, 1968 fiel er
gen von Österreich, die Teutonen von Süd- einem Attentat zum Opfer.
gallien aus über die Alpen; ↑ Marius schlug Kinkel, Gottfried, dt. Dichter und Kunst-
die Teutonen bei Aquae Sextiae 102 v. Chr. historiker, 1815–1882; wegen seiner Teil-
und Marius und Qu. Lutatulus Catulus nahme am bad.-pfälz. Aufstand 1849 zu
die Kimbern auf den Raudin. Feldern bei lebenslänglichem Zuchthaus verurteilt,
Vercellae 101 v. Chr.; der Rest der K. und 1850 von Carl Schurz befreit, floh nach
T. kehrte in die Heimat zurück, Splitter- Großbritannien; ab 1866 Prof. in Zürich.
gruppen siedelten vermutlich auch in Al- Kipper und Wipper, im 16. und 17. Jh.
pentälern. die (betrüger.) Münzherren, die Münzen
Kim Il Sung, nordkorean. Politiker und von vollem Metallgewicht einschmolzen
Marschall, 1912–1994; 1932–1945 Führer und daraus minderwertige prägten.
der „Korean. Revolutionären Volksarmee“ Kiptschak, ↑ Goldene Horde.
im Partisanenkrieg gegen Japan; seit 1946 Kirchenkampf, Bez. für die Auseinander-
Generalsekretär der kommunist. Korean. setzung zw. den christl. Kirchen und dem
Arbeiterpartei, 1948–1972 Ministerprä- NS-Staat; der Konflikt brach aus, als Hit-
sident, seit 1972 Staatspräsident der De- ler sich 1933 durch sein Eingreifen in die
mokrat. VR Korea. K. errichtete ein dikta- Kirchenwahlen mit den Zielen der Dt.

502
Kirchenstaat

Christen identifizierte. Daraufhin bildete teidigen konnte, sodass der Papst als „Erbe
sich innerhalb der ev. Kirche die ↑ Beken- der röm. Kaiser“ die Herrschaft über Rom
nende Kirche heraus; 1937 erreichte der übernahm und sich und die Stadt unter die
Kampf seinen Höhepunkt, als der nat.-soz. Schutzherrschaft der von ihm zu Hilfe ge-
Staat versuchte, sich des Verwaltungsap- rufenen Franken stellte; Pippin schenkte
parates des Dt. Ev. Kirchenbundes zu be- ihm 754 außer dem zurückeroberten röm.
mächtigen. Gebiet das Exarchat von Ravenna und die
Kirchenlehrer (lat. doctores ecclesiae), Pentapolis (Küstenstrich zw. Ancona und
kirchl. Ehrentitel für überragende geisti­ge, Rimini); Karl d. Gr. bestätigte und erwei-
um die Kirchenlehre verdiente und heilig­ terte die (sog. Pippinsche) Schenkung sei-
mäßig lebende große Schriftsteller; die früh­ nes Vaters; unter seiner wie unter Otto
christlichen wurden Kirchenväter genannt, d. Gr. Machtfülle war der Kirchenstaat
unter ihnen 4 morgenländische („griech.“): vom dt. Kaisertum abhängig, erkämpfte
Athanasius (gest. 373), Basilius d. Gr. (gest. sich jedoch im ↑ Investiturstreit die un-
379), Gregor von Nazianz (gest. 389), eingeschränkte Selbständigkeit, die auch
Johannes Chrysostomo (gest. 407); ihnen im Kampf gegen die Hohenstaufen nicht
folgten die 4 abendländ. („lat.“) Kirchen- wieder verlorenging. – Die Lehenshoheit
väter: Ambrosius (gest. 397), Hieronymus über Benevent und die unterital. ↑ Nor-
(gest. 420), Augustinus (gest. 430), Gre- mannenstaaten (aus denen das König-
gor d. Gr. (gest. 604). – Als Kirchenlehrer reich Neapel-Sizilien hervorging), die Er-
wurden anerkannt: Albertus Magnus (gest. weiterung um den größten Teil des Erbes
1280), Alfons von Liguori (gest. 1787), der Markgräfin ↑ Mathilde von Tuszien
Anselm von Canterbury (gest. 1100), An- („Mathildische Güter“) und die kraftvolle
tonius von Padua (gest. 1231), Beda Vene- Herrschaft Innozenz’ III. verhalfen dem K.
rabilis (gest. 735), Robert Bellarmin (gest. zu einer für die polit. Verhältnisse Italiens
1621), Bernhard von Clairvaux (gest. im MA ungewöhnlichen Machtentfaltung,
1153), Bonaventura (gest. 1274), Cyrill die nach einer Periode des Verfalls und der
von Alexandrien (gest. 444), Ephraim der Auflösung (bes. während des Aufenthaltes
Syrer (gest. 373), Franz von Sales (gest. der Päpste in ↑ Avignon) von Julius II. im
1622), Hilarius von Poitiers (gest. 367), Jo- Machtkampf des Renaissance-Zeitalters
hannes von Damaskus (gest. um 750), Jo- mit militär. wie diplomat. Mitteln erneuert
hannes vom Kreuz (gest. 1591), Isidor von wurde; Rückschlägen (durch den ↑ Sacco
Sevilla (gest. 636), Laurentius von Brindisi di Roma 1527 und durch den päpstlichen
(gest. 1619), Leo d. Gr. (gest. 461), Petrus ↑ Nepotismus) folgten neue Erwerbungen
Chrysologus (gest. 450), Petrus Darmani (u. a. 1597 Ferrara, 1631 Urbino). Im
(gest. 1072), Petrus Kanisius (gest. 1597), 18. Jh. setzte erneuter Machtschwund ein;
Thomas von Aquin (gest. 1274). die Gegnerschaft des Papsttums gegen das
Kirchenstaat (Patrimonium Petri), das revolutionäre Frankreich wie gegen Napo-
ehemalige weltl. Hoheitsgebiet der Päpste leons Gewaltpolitik führte dazu, dass der
in Mittelitalien; entstand mit der Heraus- K. durch die Ausrufung der Röm. Repu-
lösung des Papsttums aus der Abhängigkeit blik (1798) und schließlich durch die
vom Byzantin. (Oström.) Reich, das nach Gründung des Königreichs Italien 1808/09
der Zerschlagung der Gotenherrschaft in praktisch zu bestehen aufhörte. 1815 auf
Italien neben dem ↑ Exarchat von Ravenna dem Wiener Kongress völkerrechtlich
u. a. das ↑ Dukat von Rom als byzantin. wiederhergestellt, wurde der K. der libe-
Provinzen errichtet hatte, sie jedoch gegen ral-demokrat. wie der nationalstaatlichen
die Übergriffe der Langobarden nicht ver- Bewegung (Revolutionen 1831, 1848/49)

503
Kirchenväter

nur mit der Hilfe fremder Mächte Herr. ↑ Kapitalismus der Entscheidungskampf
Im Jahr 1860 eroberte Piemont-Sardinien zw. der (Unternehmer-)Bourgeoisie und
den K. bis auf Rom, das nach dem Abzug dem Proletariat, dessen Diktatur die klas-
der frz. Schutzbesatzung bei Ausbruch des senlose Gesellschaft vorbereiten soll.
Dt.-Frz. Krieges dem jungen ital. König- Klassenwahlsystem, Bez. für allg., aber
reich einverleibt wurde. Der Papst beharrte ungleiches Wahlsystem, das verschiedenen
als „Gefangener im Vatikan“ in Protest ge- Klassen unterschiedliche Erfolgschancen
gen die (durch Volksabstimmung herbeige- bei polit. Wahlen einräumt; vor allem in
führte) Auflösung des K. und schloss erst den konstitutionellen Verfassungen des
1929 in den ↑ Lateranverträgen Frieden 19. Jh. verankert.
mit dem ital. Staat (↑ Vatikanstadt). Klassik, Wertbegriff, Inbegriff kulturel-
Kirchenväter (patres ecclesiae), ↑ Kirchen- ler Hochblüte nach dem Maße der griech.
lehrer. Kultur im Zeitalter des Perikles (460–
Kirow, Sergei Miranowitsch, sowjet. Poli- 430 v. Chr.), doch nicht in Nachahmung,
tiker, 1886–1934; seit 1922 Mitgl. des ZK sondern in eigener nationaler Entfaltung;
und seit 1930 Mitglied des Politbüros der zeichnete sich aus durch das Streben nach
KPdSU, enger Mitarbeiter Stalins; seine Klarheit, Maß und Harmonie in festen
Ermordung löste die „Große Säuberung“ Regeln. – Bezeichnung auch für die Kul-
(1935–38) aus. turepoche unter dem Herrscher Augustus
Kisch, früheste Hauptstadt ↑ Sumers, (Octavian, 30 v.–14 n. Chr.), dann für die
180 km von Babylon entfernt. frz. Dichtung des 17. Jh. (Racine, Moliere,
Kissinger, Henry, amerik. Politiker, geb. Corneille) und vor allem für die Zeit der
1923; polit. Berater von Eisenhower und dt. Hochblüte von 1780–1830; die sprach-
Kennedy, 1969 Sonderberater Nixons für lichen Voraussetzungen schufen Lessing
Fragen der nationalen Sicherheit. K. be- (Klarheit), Klopstock (Empfindungstiefe),
reitete die chin.-amerik. Entspannung vor. Wieland (Leichtigkeit) und Herder (volks-
1973–1976 Außenminister. Friedensno- tümliche Kraft); Brücke zu den Griechen
belpreis 1973 für die diplomat. Vorberei- durch Winckelmann (Neuhumanismus);
tung des amerikanischen Rückzuges aus philosoph.-eth. Grundlage war die Frei-
Vietnam. heitsidee der Aufklärung und die Sitten-
Kitchener, Herbert, Earl of Khartum, lehre Kants (von Goethe naturhaft erlebt;
brit. Feldmarschall, 1850–1916; unterwarf „naiver“ Dichter), von Schiller theoretisch
1898 die ↑ Mahdisten im Sudan, been- sittlich geformt („sentimental.“ Dichter);
dete den Burenkrieg 1900–1902; 1914 als tiefe Verwurzelung in der griech. und röm.
Kriegsminister Schöpfer des Heeres, mit klass. Literatur und Überwindung der
dem Großbritannien in den 1. Weltkrieg nüchternen Gelehrsamkeit des vorherge-
eintrat; ging 1916 in Geheimmission nach henden Jh.; plast. Formgestaltung als sinn-
Russland auf einer Kreuzerfahrt unter. bildl. Ausdruck des Inhalts; Ausprägung
Klassenkampf, Kernbegriff und Programm des Humanitätsgedankens, Zurücktreten
der Lehre von Karl ↑ Marx (↑ Marxismus), der christl.-relig. Vertiefung hinter das neu
erstmals verkündet im ↑ „Kommunist. Ma- errichtete Menschheitsideal sittl. Erhaben-
nifest“, danach besteht eine permanente heit über das Schicksal; Fortschreiten vom
Kampfsituation im Verhältnis der „ausbeu- Erlebnis zu typisierender Ideengestaltung
tenden“ zu den „unterdrückten“ Klassen, und Sichtweise der Menschheitsgeschichte
ohne Möglichkeit eines friedlichen Aus- mit dem Blick des Menschheitsgedankens;
gleichs; der K. ist Grundtatsache und eigtl. höchste musi­kal. Ausprägung durch Beet­
Inhalt aller Geschichte, im Zeitalter des hoven (vgl. ↑ Humanismus, Renaissance).

504
Klemens

Klassizismus, Stilrichtung der Dichtung und gestaltete 508/507 v. Chr. die Verfas-


und der bildenden Kunst, die die antike sung des Solon in demokrat. Sinne um;
Einfachheit und Klarheit und die Bändi­ Beseitigung der Machtstellung des Adels
gung der Form in enger Anlehnung an in der Volksversammlung; Umorganisation
Griechen und Römer nachzuahmen ver- der Volkseinteilung; Einrichtung des Rates
suchte; vollendet ausgeprägt in der frz. der 500; sein Gegenspieler, der aristokrat.
Dich­tung des 17. Jh., neu angeregt durch gesinnte Isagoras, versuchte vergeblich, ihn
die Entdeckung von ↑ Pompeji und Hercu- mithilfe des Kleomenes zu stürzen.
laneum 1748; in der dt. Dichtung vorherr- Kleitos, Reitergeneral Alexanders d. Gr.,
schend durch ↑ Gottsched; in der 2. Hälfte dem er am Granikos das Leben rettete und
des 19. Jh. im Neuklassizismus, erwachsen der ihn dennoch (im Jähzorn) 328 v. Chr.
aus dem Bestreben, über die enge Bürger­ tötete.
lichkeit hinauszuwachsen (im Münchener Klemens (Clemens), 14 Päpste, darunter:
Dich­terkreis von 1862: Geibel, Leuthold, 1) K. I., (88–97?); in der kath. Überliefe-
Lingg, Bodenstedt), in der Baukunst des rung Schüler und zweiter Nachfolger des
19. Jh. vertreten durch Schinkel, Weinbren­ Apostels Petrus. 2) K. II., zuvor Bischof
ner, Klenze u. a.; Plastik: Rauh, Schadow, Suidger von Bamberg, 1046 unter Ein-
Canova u. a., in Frankreich im Empire-Stil fluss von Heinrich III. nach Absetzung der
(Percier und Fontaine) ausgeprägt; in der simonist. Päpste Gregor VI., Silvester III.
Malerei durch Mengs vertreten, aber bald und Benedikt IX. (Synode von ↑ Sutri) ge-
durch die Nazarener mit romantischen wählt, starb bereits 1047; als einziger Papst
Elementen vermischt. in Deutschland (Bamberg) beigesetzt.
Kleber, Jean Baptiste, 1753–1800; frz. 3) K. V., (1305–1314); frz. Herkunft, ver-
General, unterwarf 1793/94 die aufständ. legte unter dem Einfluss Philipps IV. von
↑ Vendée, 1799 Oberbefehlshaber in Ägyp- Frankreich 1309 die päpstliche Residenz
ten, schlug die Türken bei Heliopolis, von nach Avignon („Babylon. Gefangenschaft
einem Türken ermordet. der Päpste“); weitgehende Abhängigkeit
Kleindeutsche, in der Frage der dt. Ein- des Papsttums von Frankreich (Einbuße
heit im 19. Jh. (bes. 1848, 1866, 1871) der mittelalterl. Weltgeltung der Päpste)
Gegenspieler der ↑ Großdeutschen; ihr und hob auf Geheiß des Königs 1312
Programm eines („kleindeutschen“) Rei- den ↑ Tempelherrenorden auf. 4) K. VII.
ches, d. h. unter Ausschluss Österreichs, (1523–1534); aus dem Hause Medici,
wurde von Bismarck verwirklicht. seine Parteinahme für Frankreich (1526
Kleine Entente, ↑ Entente. Liga von Cognac) führte 1527 zur Plün-
Kleist, Friedrich, Graf von Nollendorf, derung Roms durch das kaiserliche Heer
preußischer General, 1762–1823; ent- (↑ Sacco di Roma); 1529 söhnte er sich mit
schied durch sein rechtzeitiges Eintreffen Karl V. im Frieden von Barcelona aus und
1813 die Schlacht bei Kulm-Nollendorf krönte ihn 1530 in Bologna; seine Weige-
und wurde dafür 1814 vom König in den rung, den engl. König Heinrich VIII. von
Grafenstand erhoben. seiner ersten Gattin, Katharina von Ara-
Kleisthenes, athenischer Staatsmann, En- gon, zu scheiden, führte (z. T. unter dem
kel des gleichnamigen Tyrannen von Si- Einfluss seiner Abhängigkeit von Karl V.
kyon, aus dem vom Tyrannen Peisistra- als dem Neffen Katharinas) zu dessen Tren-
tos aus Athen verbannten Geschlecht der nung von Rom. 5) K. XIII. (1758–1769);
↑ Alkmä­oniden; kehrte 510 v. Chr. mit verlieh 1758 Maria Theresia den Titel
spartan. Hilfe (Kleomenes) zum Sturz der „Apostol. Majestät“, der von den österrei-
Tyrannis (↑ Hippias) nach Athen zurück chischen Kaisern bis 1918 geführt wurde.

505
Kleomenes

6) K. XIV. (1769–1774); löste 1773, von als Patronus Rechtsschutz gewährte) und
den Bourbonen gedrängt, mit der Bulle sich dafür bei Wahlen für diesen einzuset-
„Dominicus ac redemptor“ den ↑ Jesuiten- zen und ihm im Krieg Gefolgschaft zu lei-
orden auf. sten hatte.
Kleomenes, Könige von Sparta: 1) K. I., Kloster (lat. claustrum, geschlossener Ort),
(525–488) unterstützte 510 v. Chr. ↑ Klei­ Gemeinschaft und Gemeinschaftshaus der
sthenes beim Sturz der Tyrannis in Athen, Ordensangehörigen, Wurzel im Eremiten-
danach ohne Erfolg die Gegner der De- tum des hl. Antonius d. Gr. (gest. 356) und
mokratie in Athen, 491 vertrieben; nach in den von Pachomius (gest. 346) zusam-
Rückkehr im Gefängnis 488 gestorben. mengefassten Ansiedlungen der ↑ Anacho-
2) K. II. (237–219 v. Chr.); siegreich im reten in Tabennisi am Rande der oberägypt.
Kampf gegen den Achäischen Bund; än- Wüste; in dieser Grundform (Zusammen-
derte durch Staatsstreich die spartan. Ver- schluss welt ab- und Gott zugewandter
fassung; unterlag 222 dem Antigonos von Eremiten) in der Ostkirche erhalten (Anla-
Makedonien. geschema: an der Umfassungsmauer anein-
Kleon, athen. Politiker, ursprünglich Ger- andergereihte Einzelklausen, in der Mitte
ber, bemächtigte sich 429 v. Chr. nach dem des Komplexes die Kirche); von kopt.
Tod des ↑ Perikles der Herrschaft und ver- Mönchen nach Südfrankreich verpflanzt;
schärfte die Kriegführung gegen Sparta; von hier durch St. Patrick um 432 nach Ir-
wurde 422 v. Chr. bei Amphipolis geschla- land, nach Abzug der röm. Legionen von
gen und fiel. der Donau unter Odoaker (vor 488) auch
Kleopatra, die letzte Königin von Ägyp- in Süddeutschland durch den hl. Severin
ten aus dem Geschlecht der Ptolemäer, angeregt; kraftvolle Glaubens- und Kultur­
69–30 v. Chr.; Schwester und Gattin Pto­ zentren die Gründungen der iroschott.
lemäus’ XIII., seit 52 v. Chr. Mitregentin, Mönche, bes. ↑ Columbans (K. Luxeuil
47 Alleinherrscherin durch Cäsar, der sie in Burgund, Bobbio in Oberitalien) und
zu seiner Geliebten machte und dem sie seines Schülers Gallus (St. Gallen). Vor-
Cäsarion gebar; nach Cäsars Ermordung bild für das eigtl. abendländ. Klosterwesen
Geliebte auch des Antonius, den sie völlig wurde jedoch Monte Cassino, die Grün-
beherrschte; versuchte nach der Schlacht dung ↑ Benedikts von Nursia um 530, des-
bei Aktium (31 v. Chr. Selbstmord des sen Regel sich auch in Süddeutschland mit
Antonius) vergeblich auch Oktavian (Au- dem Aufkommen der Domklöster durch-
gustus) an sich zu fesseln und nahm sich setzte, auch in den nach der bayer. Ein-
das Leben (durch Schlangenbiss). wanderung gegr. Klöstern St. Emmeran in
Kleve, ehemal.Grafschaft am Nieder­rhein, Regensburg, St. Stephan in Passau; von den
1417 zum Herzogtum erhoben (seit 1368 vielen Neugründungen überdauerten nur
mit Grafschaft Mark verbunden), im Erb- wenige (z. B. Tegernsee, Benediktbeuern)
gang 1521 vereint mit Jülich-Berg-Ravens- das 11. Jh. als Träger der Karolinger- und
berg; im Jülich-K.schen Erbfolgestreit 1614 Ottonenkultur (bedeutendste Erziehungs-
von Brandenburg erworben, doch bis 1672 stätten seit Karl d. Gr. die Klosterschulen);
von den Holländern besetzt; links­rheinisch Bildungszentren außer den genannten bes.
1795 und 1805 von Preußen an Frankreich Hirsau, Weißenburg, Lorch, Fulda, Hers-
abgetreten; der Rest teils 1805 zum Groß- feld, Gandersheim; z. T. gleichzeitig Träger
herzogtum Berg, teils 1810 von Napoleon der Christianisierung und Förderer der Ko-
eingezogen, 1814 zurück an Preußen. lonisation im Osten. Gemäß der selbst auf-
Klient, im antiken Rom Halbfreier, der zur erlegten Aufgabe, das umliegende Gebiet
Familie eines Patriziers gehörte (der ihm weithin zu kultivieren, sind die abendländ.

506
Knut

Klöster baulich umfassender angelegt und Ordensstaates (Förderung von Ackerbau,


reicher gegliedert als die Klöster des Os- Handel und Gewerbe).
tens; der um den Kreuzgang konzentrierten Knossos, antike Stadt auf ↑ Kreta, seit
„Klausur“, dem eigtl. Kern des K.s (Kir- etwa 2000 v. Chr. Handelsmittelpunkt in
che; Refektorium = Speisesaal, Dormito- der Ägäis mit Verbindungen nach Ägypten
rium = Schlafsaal; Kapitelsaal) sind Schul- und den westlichen Minelmeerländern;
, Hospital- und Wirtschaftsgebäude ange- Hauptstätte der kretisch-minoischen Kul-
gliedert; das Ganze bildete eine autarke, tur um 2000 bis etwa 1400 v. Chr.; mäch-
geschlossene Wirtschaftseinheit, war aber tige Paläste (in mehreren Bauperio­den,
auch imstande, den Bedarf an bestimmten gemächerreiche Wohnflügel, Viereckhof
Fernhandelswaren (bes. für kult. Zwecke) von 100 mal 100 m, errichtet aus sonnen-
durch den Absatz überschüssiger (bes. getrockneten Ziegelsteinen), hochentwi­
handwerklicher) Produkte auf dem Markt ckelte Töpferkunst, monumentale Fresken,
auszugleichen; vorbildlich in rationaler Bronzewaffen und zweirädrige Schlachtwa-
Wirtschaftsgestaltung wurden die Klöster gen, Götterkult in heiligen Hainen, groß
der Zisterzienser. Großzügige Gründungs- angelegte Theater. – Um 1400 v. Chr. Zer-
privilegien, überragende Leistungen oder störung der Paläste, Übergang der Vor-
enge Bindungen an das Königtum sicher- herrschaft in der Ägäis auf die Griechen.
ten vielen Abteien die Reichsunmittelbar- Seit 1900 aufschlussreiche Ausgrabungen,
keit. – Von gesamtabendländ. Bedeutung eingeleitet durch Evans; 3 000 Tonschrift­
im hohen MA, bes. für den Machtkampf tafeln.
zw. Papsttum und Kaisertum, war die vom Knox, John, schott. Reformator, 1505–
K. ↑ Cluny ausgehende Erneuerungsbewe- 1572; urspr. kath. Priester, predigte seit
gung (gegen Verweltlichung und Verwilde- 1542 gegen das Papsttum, flüchtete vor
rung), die auch nach Deutschland über- Maria der Katholischen nach Genf, trat in
griff, wo Hirsau zum Mittelpunkt der Re- enge Verbindung mit Calvin, kehrte 1559
formklöster wurde. – Der im späten MA nach Schottland zurück und setzte dort,
einsetzende innere Verfall des K.wesens gestützt auf die breiten Massen, die An-
wurde durch die Aufhebung vieler Klöster nahme der calvinist. Lehre und der Presby­
im Zeitalter der Reformation beschleu- terialverfassung durch; unversöhnl. Gegner
nigt; Die bes. im 18./19. Jh. fortschrei- Maria Stuarts.
tende Säkularisierung (Verweltlichung) Knut, Könige von Dänemark: 1) K. der
änderte weit­hin die Struktur des K.wesens. Große, um 995–1035; regierte seit 1018,
– Außer­halb des Christentums K. auch im schon 1016 König von England (Kern sei-
Buddhismus, Lamaismus (bes. Tibet), Tao- nes nordischen Großreiches) und seit 1028
ismus (China) und Islam (Derwischorden). auch von Norwegen, sicherte sich den Be-
In neuerer Zeit auch protestant. k.-ähnliche sitz Schleswigs durch die Vermählung sei-
Gemeinschaften; über einzelne Orden vgl. ner Tochter mit dem deutschen Kaisersohn
die Stichwörter der Ordensnamen. Heinrich (1035), schloss die Christianisie-
Knipperdolling, Bernhard, mit ↑ Johann rung Dänemarks ab, teilte das Reich unter
von Leiden Führer der ↑ Wiedertäufer zu seinen Söhnen auf. 2) K. VI., 1163–1202;
Münster; 1534 Bürgermeister, 1536 hin- regierte seit 1182, unterwarf 1185 Meck-
gerichtet. lenburg und Pommern und nannte sich
Kniprode, Winrich von, Hochmeister des seither „König der Dänen und Slawen“;
↑ Dt. Ordens (1351–1382); unterstützte sein Sohn Herzog Waldemar entriss den
die Hanse, schlug 1370 die Litauer bei Ru- Schauenburgern Holstein mit den Städten
dau; unter ihm Höhepunkt der Macht des Lübeck und Hamburg.

507
Koalitionsfreiheit

Koalitionsfreiheit, das Recht, sich zu Ar- armeen in Schwaben/Schweiz durch Erz-


beitnehmer-/Arbeitgeberverbänden zu ver­ herzog Karl und in Italien durch die Rus-
einigen; im Zeitalter des beginnenden In- sen unter Suworow; nach der Niederlage
dustrialismus (Anfang 19. Jh.) umkämpft, Korsakows bei Zürich, dem Rückzug Suwo­
da in den meisten Ländern seit dem 18. Jh. rows nach Russland, dem Austritt Russ-
Koalitionsverbote (zum Schutz der Unter- lands, der staatlichen Umformung Frank-
nehmer) in Kraft waren, die aufzuheben reichs zur Militärdiktatur unter Napoleon
auch die liberal-individualistische Gesetz- und den Niederlagen der Österreicher bei
gebung nach der Frz. Revolution nicht ge- Marengo und Hohenlinden (1800) Frie-
neigt war; Aufhebung des Koalitionsver- den von Luneville (1801); Abtretung des
botes zuerst in England 1824; in Deutsch- linken Rheinufers an Frankreich und Frie-
land (Gewerbeordnung des Norddt. Bun­ den von Amiens (1802 Rückgabe der von
des) 1869; seither verfassungsmäßig ga­ran­ England besetzten Kolonien bis auf Ceylon
tiert (doch auch als Freiheit vom Koaliti- und Trinidad). – 3. K.-Krieg (1805); Ver-
onszwang); Voraussetzung für die Entfal- such Russlands, Österreichs, Schwedens
tung der ↑ Gewerkschaftsbewegung. und Großbritanniens zur Wiederherstel-
Koalitionskriege, allgemein Kriege meh- lung des europ. ↑ Gleichgewichts; begann
rerer Verbündeter gegen einen gemein- mit der Vernichtung der frz.-span. Flotte
samen Gegner; im Besonderen die Kriege bei Trafalgar durch Nelson, aber gleichzei-
der europäischen Mächte (einschließlich tig auch mit dem Anschluss der süddt. Staa-
Englands) gegen die ↑ Frz. Revolution ten an Napoleon, endete nach der Kapitu-
und Napoleon I., 1792–1805; 1. K.-Krieg lation von Ulm, der Besetzung Wiens und
(1792–1797) zw. den alten Monarchien der entscheidenden Niederlage des österr.-
und der neu gebildeten Frz. Republik, ge- russ. Hauptheeres bei Austerlitz mit dem
führt als Kampf um Prinzipien („Krieg den Frieden von Preßburg 1805 (Abtretung des
Palästen, Friede den Hütten!“), im entschei- venezian. Gebietes an Italien, Tirols und
denden Stadium um die Existenz der frz. Vorarlbergs an Bayern und Entschädigung
Nation (Anlass zum Jakobinerterror) und Österreichs mit Salzburg-Berchtesgaden).
schließlich um die Rheingrenze; begann – Preußen, das seit 1795 (Separatfrieden
mit dem Vormarsch der Verbündeten und von Basel) abseits gestanden hatte, musste
ihrem überraschenden Rückzug nach der 1806/07, nahezu auf sich allein gestellt,
Kanonade von Valmy 1792 (Goethe: „Von Napoleon entgegentreten und erlag.
hier und heute geht eine neue Epoche der Koblenz, Stadt an der Mündung der Mo-
Weltgeschichte aus“), endete nach Verbün- sel in den Rhein; unter Tiberius als Kastell
dung fast ganz Westeuropas, der ↑ Levée en zum Schutz der Flussübergänge angelegt
masse Carnots, nach wechselvollen Kämp- (röm. Name: Confluentes), im 5. Jh. me-
fen und nach dem Ausscheiden Preußens rowing. Königshof zunächst in Reichsbe-
(Sonderfrieden zu ↑ Basel 1795) mit dem sitz, 1018 durch Schenkung an das Erzstift
siegreichen Vordringen Bonapartes in Ita- Trier, seit der 2. Hälfte des 15. Jh. erzbi-
lien, mit dem Verzicht Österreichs auf Bel- schöfliche Residenz, im 17./18. Jh. zur Fes-
gien und das Herzogtum Mailand (Friede tung ausgebaut, 1815–1832 einschließ-
von ↑ Campo Formio 1797). 2. K.-Krieg lich der umliegenden Höhen (v. a. Ehren-
(1799–1801/02), ein Werk des brit. Mi- breitstein) neu befestigt; 1920–22 als Fes-
nisterpräsidenten ↑ Pitt (d. J.), ausgelöst tung aufgehoben.
durch den Angriff Neapels auf die von Koch, Robert, Mediziner, 1843–1910; Be-
Frankreich geschaffene Röm. Republik, gründer der modernen Bakteriologie, ent-
eingeleitet mit Erfolgen der Koalitons­ deckte 1882 den Tuberkelbazillus, 1883

508
Kolchose

den Erreger der asiatischen Cholera; bahn- dung der ↑ Dampfmaschine (zum Antrieb
brechende Forschungen bes. über trop. der Pumpen) ermöglicht, die ihrerseits
Krankheiten (Chininvorbeugung und -be- den Bedarf an Gewerbekohle sprunghaft
handlung bei Malaria); 1905 Nobelpreis. steigerte: „Industrielle Revolution“; Ent-
Kogge, Schiffstyp des späten MA, beson- stehung der „schwarzen Reviere“ und, in
ders der Hanse; dickbäuchig und hochbor- Ver­bindung mit dem ↑ Eisen, der Schwer-
dig, mit hohen Aufbauten (Kastellen) be- industriezentren. Reichtum an Kohlevor-
sonders am Heck; auch als Kriegsschiff ver- räten (in geeigneter Abbaulage) einer der
wendet (Fredekogge); berühmt die „Bunte maßgeblichsten Faktoren für die Rang-
Kuh“, mit der die Hamburger die Vitalien- ordnung der Industriemächte. England
brüder (Sieg über Klaus Störtebeker 1401) als führender K.-produzent 1895 von den
aushoben. USA überflügelt, bis zum 1. Weltkrieg auch
Kohl, Helmut, dt. Politiker, geb. 1930; von Deutschland (einschließl. der Braun-
1959–76 Mitglied des Landtages, 1969–76 kohlenförderung). Seit dem 1. Weltkrieg
Ministerpräs. in Rheinland-Pfalz; 1969–73 nur unwesentliche Erhöhung der Förde-
stellvertretender Bundesvorsitzender der rung; Monopol der K. als Kraftquelle ge-
CDU, seit 1973 Bundesvorsitzender; 1976 brochen durch ↑ Erdöl, Naturgas, Wasser-
Kanzlerkandidat der CDU/CSU und (bis kraftstrom, sowie die Atomenergie.
1982) Vorsitzender der CDU/CSU-Bun- Kohorte, ↑ Legion.
destagsfraktion; 1982 nach erfolgreichem Koine (griech., die Gemeinsame), einheitl.
konstruktivem Misstrauensvotum gegen Literatur- und Gelehrtensprache seit der
Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) Nach-Alexander-Zeit (bis ins 6. Jh. n. Chr.)
zu dessen Nachfolger gewählt; 1983 und im Bereich der hellenist. Welt, klass. att.
1987 im Amt bestätigt. Nach der Wieder- „Hochgriechisch“ (gegenüber den gespro-
vereinigung am 3. Okt. 1990 „Kanzler der chenen regionalen Dialekten) mit ion.
deutschen Einheit“, 1998 durch G. Schrö- Eigen­tümlichkeiten; in K. wurden die
der (SPD) abgelöst. Im Nov. 1999 Ermitt- ersten Bibelhandschriften niedergeschrie-
lungsverfahren im Zusammenhang mit der ben (einer der Gründe für ihre schnelle,
CDU-Parteispendenaffäre, im März 2001 umfassende Verbreitung).
eingestellt. Kokarde, im 18. Jh. in Frankreich militär.
Kohle, erster Nachweis der Verwendung als Feldabzeichen; seit der Frz. Revolution Ab-
Brennstoff und Farbrohstoff für Schwarz zeichen in den Nationalfarben, auch Ho-
im Jungpaläolithikum, in vorgeschichtli­ heitszeichen an Militärflugzeugen.
cher Zeit in England zu Schmuckzwecken Kolberg, seit 1648 bei Brandenburg-Preu-
(Jett) benutzt; Heizwert auch in der Antike ßen; oftmals belagert, bes. 1806 durch die
bekannt, doch kein systematischer Abbau Franzosen, von Gneisenau und Nettelbeck
(da auch in den Mittelmeerländern damals trotz anhaltender Beschießung mit Erfolg
noch genügend Holz vorhanden war); im verteidigt; im 2. Weltkrieg von den Russen
MA zu gewerblichen Zwecken überwie- genommen und weitgehend zerstört, seit
gend in Meilern gewonnene Holz-Kohle 1945 unter poln. Verwaltung.
verwendet (auch zur Verhüttung von Er- Kolchose, landwirtschaftl. Großbetrieb in
zen; Hauptkraftquellen im übrigen Was- der UdSSR auf genossenschaftl. Basis; nach
ser und Wind); Abbau von Steinkohle zu 1917 anfangs freiwilliger, seit 1928 zwangs-
Heiz- und Gewerbezwecken wohl zuerst in weiser Zusammenschluss von bäuerlichen
China, in Europa zuerst in England Mitte Einzelbetrieben, ab 1950 aufgrund der
15. Jh., im Ruhrgebiet seit etwa 1600; Ab- Versorgungskrisen nach dem 2. Weltkrieg
bau tiefliegender Flöze erst durch die Erfin- Zusammenfassung der K. zu Sowchosen.

509
Kolin

Genossenschaftsgesetz 1988 erlaubte die (zunächst in der „Richerzeche“, einer Vor-


freie Bildung von Genossenschaften sowie stufe der Gilde) und Anschluss an die Lon-
private Hofwirtschaft und ermöglichte die doner Hanse; seit der Mitte des 13. Jh.
Pacht von landwirtsch. Grund. Seit 1992 verstärkte sich der Drang nach Selbstän-
Reorganisation der Kolchosen und Sow- digkeit durch das Eingreifen der Zünfte;
chosen sowie Privatisierung des Kollektiv- 1288 nach der Schlacht bei Worringen
besitzes. gegen den Erzbischof Freie Reichsstadt;
Kolin, Schlachtort in Böhmen, 1757 erste vor allem seit der Übertragung der Reli-
Niederlage Friedrichs d. Gr. durch die Ös- quien der Hl. Drei Könige von Mailand
terreicher im Siebenjährigen Krieg. nach Köln (Massenwallfahrten) – als de-
Kollaboration, allg. Zusammenarbeit mit ren Grabkirche 1248 anstelle des aus dem
einer feindlichen Besatzungsmacht, im en- 9. Jh. stammenden alten Domes der neue
geren Sinne Unterstützung und Unterstüt- hochgot. Dom begonnen wurde –, starker
zer der dt. Behörden in den von der Wehr- Wirtschaftsaufschwung; Überlandverkehr,
macht im 2. Weltkrieg eroberten Gebiete, Rhein- und Seeschifffahrt bis Flandern,
insbes. in Frankreich. England, Norwegen und Russland; 1521
Kollektivierung, ↑ Sowjetunion. Errichtung einer eigenen Gildenhalle (Dt.
Kollektivschuld, rechtl. Schuld einer Ge- Halle) in London für die Wahrnehmung
meinschaft (etwa eines Volkes) für die Ver- des Auslandshandels; Hochblüte der Gold-
brechen einzelner ihrer Glieder; der nach schmiedekunst (Dreikönigsschrein), der
1945 erhobene Vorwurf einer K. des dt. Ma­lerei (Kölner Malerschule), der Wissen-
Volkes für die nat.-soz. Verbrechen wurde schaft (Kloster- und Stiftsschulen, Univer-
im rechtl. Sinne weitgehend fallen gelassen, sität seit 1388; Lehrtätigkeit von Albertus
da er nicht mehr dem modernen Rechts- Magnus, Thomas von Aquin, Wirksamkeit
denken entspricht, das nur eine Rechts- von Duns Scotus und Meister Eckart). In
schuld des einzelnen Täters kennt. der Reformationszeit missglückter Versuch
Köln (Colonia Agrippensis, Agrippina), Hermanns von Wied und später Gerhards
gegr. durch Marcus Vipsanius Agrippa als Truchseß von Waldburg, die Reformation
Standlager und als Siedlung für die Ubier einzuführen; im 30-jährigen Krieg Nieder-
(Ara Ubiorum), die, von den Sueben be- gang der Stadt; die volkreichste dt. Stadt
drängt, vom rechts- zum linksrhein. Ufer des MA war im 18. Jh. arme Provinzstadt;
übergesiedelt waren; bis ins 4. Jh. einer der 1794 von Franzosen besetzt, 1797 Aufhe-
wichtigsten, zuletzt neben Koblenz der bung der Universität, 1803 Beseitigung
einzige röm. Stützpunkt am Rhein; Stadt des Kurstaates, 1815 preußisch; Wieder-
hohen Wohlstandes, Ausgangspunkt meh- aufstieg im 19./20. Jh. (1888 Vollendung
rerer Fernstraßen, um 400 von den Fran- des Doms); katastrophale Zerstörung im
ken erobert, 511 bei Austrien (Austrasien), 2. Weltkrieg. – Das Erzstift K. aus meh-
785 Erhebung des Bistums zum Erzbistum reren gesonderten Teilen bestehend, zeit-
durch Karl d. Gr.; nach Normannenüber- weilig auch die Grafschaft Recklinghausen
fällen 923 zum Reich Heinrichs I., unter und das Herzogtum Westfalen umfassend
Otto d. Gr. Mittelpunkt eines Landester- (aus dem Erbe des geächteten Heinrich
ritoriums (Erzbistum Köln, Reichsfürsten- des Löwen), geht als Bistum bis ins 4. Jh.
tum); die Rechte der Landesherren, die spä- zurück; als Erzbistum zugeordnet die Bis-
ter die Kurfürstenwürde bekleideten und tümer Lüttich, Minden, Utrecht, Münster
zeitweise Erzkanzler für Italien waren, seit und Osnabrück (in neuer Zeit die Bistümer
dem 12. Jh. eingeengt durch die Ansprüche Trier, Münster, Paderborn, Essen); Säku-
und den Zusammenschluss der Kaufherren larisierung des Erzstiftes 1801, seit 1821

510
Kolonien

wieder Erzbistum. Namhafte Erzbischöfe: eroberte Kroatien und Dalmatien, warf


Hildebold (8. Jh., Erzkaplan Karls d. Gr.), 1096 die Kreuzfahrer zurück, kämpfte ge-
Bruno (10. Jh., Bruder Ottos I., Herzog gen Kaiser Heinrich V. und verhalf seinem
von Lothringen), Pilgrim (11. Jh., Kanzler Land zu bedeutender Machtentfaltung in
Heinrichs II.), Anno II. (11. Jh., Vormund Osteuropa.
Heinrichs IV. und Reichsverweser), Rein- Kolonien (lat.), histor. Begriff mit wech-
ald von Dassel (12. Jh., Erzkanzler Fried- selnder Bedeutung. 1) Im Altertum: Seit
richs I.), Philipp von Heinsberg (12. Jh., etwa 1200 v. Chr. gründeten die in der
seitdem Herzöge von Westfalen und En- Seefahrt wie im Handel gleich tüchtigen
gern), Konrad von Hochstaden (13. Jh., ↑ Phöniker („überseeische“) K., d. h. Nie-
Dombau), Maximilian Heinrich (17. Jh., derlassungen an Küstenplätzen, die zum
Schöpfer des Köln. Landrechts), Klemens Anknüpfen neuer Handelsbeziehungen
August von Droste zu Vischering (19. Jh., günstig erschienen (bes. an der N-Küste
↑ Kölner Kirchenstreit). Afrikas); die berühmteste dieser Grün-
Kölner Kirchenstreit, Konflikt zw. dem dungen war ↑ Karthago. – Ein Werk von
preuß. Staat und den Erzbischöfen der Jh. war die große Kolonisation der Mittel-
1821 errichteten Erzbistümer Köln und meerküsten durch die drei griech. Haupt-
Gnesen-Posen, bes. in der Frage der kon- stämme, bes. die Ionier (↑ Griechenland),
fessionellen Mischehen; 1830 Breve Papst in Form von Siedlungs-K. von der Krim
Pius’ VIII.: Mischehen nur geduldet, wenn bis S-Frankreich, bes. an der W-Küste
kath. Kindererziehung gesichert war; 1834 Kleinasiens und an den Küsten Siziliens
nach Verhandlungen mit dem Staat (der und Unteritaliens (↑ Großgriechenland),
die Einsegnung von Mischehen in jedem darunter kraftvolle und reiche Gemeinwe-
Fall forderte) in der „Berliner Erklärung“ sen wie Syrakus und Milet; die griech. K.
des Kölner Erzbischofs Graf Spiegel Ab- nächst Athen bedeutendste Heimstätten
gehen vom Breve, doch Weigerung des der griech. Kultur; als Handelsmetropolen,
neuen Erzbischofs Klemens August, Frei- als Brennpunkte machtpolit. Auseinander-
herr von Droste zu Vischering, Mische- setzungen (bes. im Ringen Griechenlands
hen einsegnen zu lassen; 1837 Absetzung mit Persien, Roms mit Karthago) sind sie
des Erzbischofs (Festungshaft in Minden), aus der Geschichte des Mittelmeerraumes
Verwahrung der Kurie gegen die Eingriffe nicht wegzudenken. Davon unterschie-
des preuß. Staates; Erwachen der kath.-po- den sind die K. der Römer (die in ihren
lit. Bewegung unter Führung von ↑ Görres Fähigkeiten als Seefahrer und Händler vie-
(„Histor.-polit. Zeitschrift“; Streitschrift len Mittelmeervölkern nachstehen): nach
„Athanasius“), 1839 Ausdehnung des Kon- militärpolit. Gesichtspunkten angelegte
flikts auf Posen-Gnesen; Beendigung des Siedlungen auf Gemeindeland (ager publi-
Streites 1840/41 durch Eingreifen König cus) außerhalb Roms, das mit ihnen seine
Friedrich Wilhelms IV.: Freilassung von Herrschaft sicherte; zu Bewohnern wurden
Klemens August, Ablösung als Erzbischof Soldaten, nachgeborene landlose Söhne
durch Weihbischof Geissel (der im Prin- usw. bestimmt, die das röm. Bürgerrecht
zip nicht anders eingestellt war); Folge des behielten; die Gründung solcher Militär-
Streites: Erstarken des polit. Katholizismus K. blieb zunächst auf Italien beschränkt
(1844 Massenwallfahrt zum Hl. Rock in trotz gewaltiger Ausdehnung des röm.
Trier; 1848 erste Generalversammlung der Herrschaftsbereiches. 123 v. Chr. schlug
kath. Vereine in Mainz). der Agrarrevolutionär Gaius Sempronius
Koloman (ungar. Kálmán), König von Un- ↑ Gracchus die Gründung einer K. (colo-
garn (1095–1116); aus dem Hause Arpad, nia Junonia) auf den Trümmern Karthagos

511
Kolonien

vor; doch erst Cäsar, noch nachdrücklicher Sklavenhandel) wie bedeutsam durch glän-
Augustus förderten die Ansiedlung von zende zivilisator. Leistungen; zunächst wa-
Veteranen auch in den Provinzen des Rei- ren K. lediglich Quellen leicht errungenen
ches, dessen Romanisierung erst dadurch Reichtums (Spaniens „Silberflotten“ aus
möglich wurde; vielfach gingen aus die- der Neuen Welt); auch nach Abdankung
sen röm. coloniae neue Städte hervor; in der im 16. Jh. dank ihren Konquista-
der späten Kaiserzeit spielten sie eine große doren führenden Kolonialmächte Spanien
Rolle bei der Behauptung gefährdeter Pro- und Portugal änderte sich an den koloni-
vinzen. 2) Im MA: Die Besitzungen der alen Methoden zunächst wenig; die staat-
führenden ital. Stadtrepubliken Venedig lich privilegierten kolonialen ↑ Handels-
und Genua im östl. Mittelmeer ließen kompanien der Niederlande, Frankreichs
sich mit den Handels-K. der Phöniker und Englands setzten die Ausnutzung der
und Griechen vergleichen, doch lagen ih- Schätze der K. und der Arbeitskraft der
rem Erwerb (keine Neugründungen) aus- Eingeborenen fort (Plantagenwirtschaft);
schließlich Handelsinteressen und keine mit der Steigerung der gewerblichen Pro-
kolonisator. Idee zugrunde; im Gegensatz duktion in den „Mutterländern“ wuchs die
dazu bedeutete die sog. dt. ↑ Ostkolonisa- Bedeutung der K. als Rohstofflieferanten
tion die kulturelle und wirtsch. Erschlie- und Absatzmärkte; politische Rechte wur-
ßung weiter Räume (nur z. T. mit gewalt- den den K. auch nicht zugestanden, als das
samer Unterwerfung der meist slaw. Vor- vielfach missbrauchte Kolonialmonopol
bevölkerung verbunden), getragen von dt. der Handelskompanien beseitigt und von
Territorialfürsten, der Hanse, Ritter- und Staats wegen eine geordnete Kolonialver-
Mönchsorden, Bauern und Kaufleuten, waltung eingerichtet wurde; doch setzte
oft angeregt und gefördert von den einhei- die Gründung von Siedlungs-K. (nach
mischen Herrschern; doch sind die zahl- dem Vorbild der Holländer im Kapland)
reichen Neugründungen von Städten und eine neue Entwicklung in Gang; die wei-
Dörfern keine K. im eigentlichen Sinne ßen Siedler begannen sich gegen die polit.
(vom „Mutterland“ oder der „Mutterstadt“ Bevormundung und die wirtsch. Ausbeu-
räumlich getrennte Herrschaftsbereiche), tung durch das Mutterland zu wehren; die
sondern gliederten sich organisch in die absolutist. merkantilistischer Behandlung
selbständige polit. Ordnung ein, die auf der K. (Verbot eigener gewerblicher Pro-
dem Kolonialboden bestand oder erwuchs. duktion; Besteuerung durch das Mutter-
3) In der Neuzeit war die auf die großen land) führte für England zum Verlust N-
↑ Entdeckungen folgende „Eroberung der Amerikas (1776–1783; außer Kanada);
Erde“ durch die europ. Seemächte, die da- Mitte des 19. Jh. gewährte England den
mit zu „Kolonialmächten“ wurden, der al- weißen Siedlungs-K. (Kanada, Australien
les bestimmende Vorgang, der im Zeitalter usw.) den Status von ↑ Dominions; Frank-
des ↑ Imperialismus (2. Hälfte des 19. Jh.) reich und Italien versuchten eine andere,
seinen Höhepunkt erreichte und dessen vorbeugende Lösung, indem sie ihre Sied-
Abschluss durch die Unabhängigkeitsbe- lungs-K. in N-Afrika als Teile des Mutter-
wegung der „Kolonialvölker“ im 20. Jh. landes betrachteten; bis zum 1. Weltkrieg
eine polit. Weltwende bedeutete. Die Ge- war die „Aufteilung der Erde“ an die Kolo-
schichte dieses europ. Kolonialismus, d. h. nialmächte (neben den europ. Staaten seit
der Inbesitznahme überseeischer Gebiete etwa 1900 auch Japan und die USA) in un-
und der Beherrschung der Eingeborenen- terschiedl. Formen („Schutzgebiet“, „Pro-
bevölkerung war getrübt durch viele Grau- tektorat“, „Pachtgebiet“, „Einfluss­sphäre“)
samkeiten (z. B. Ausrottung der Indianer, praktisch abgeschlossen; auch Deutschland

512
Kolumbus

war daran (gleichsam in letzter Stunde) 1858 (neues Staatsgrundgesetz) nach dem
be­teiligt (↑ Deutsche Kolonien). Die be- Vorbild des nordamerikanischen Föderativ­
reits von den ↑ Physiokraten vorausgesagte systems umgestaltet zu einem Staatenbund
rückläufige Bewegung kam im 19. Jh. im von 8 Republiken, die indes bereits 1861
Abfall der südamerikanischen K. von Spa- (Unionsvertrag) sich als „Vereinigte Staa-
nien zum Ausdruck; ihr entscheidendes Sta­ ten von Kolumbien“ konstituierten; 1886
dium bahn­te sich nach dem 1. Weltkrieg wurde durch eine neue zentralist. Verfas-
an und führte nach dem 2. Weltkrieg zu sung die Republik Kolumbien geschaffen,
bereits weit fortgeschrittener Auflösung von der sich 1903 Panama löste. K. zählt
der alten Kolonialsysteme (England al- zu den Mitbegründern der UN (1945),
lein gestand 1945–1961 600 Mio. Bewoh- schloss 1952 militär. Beistandspakt mit
nern seiner K. die Unabhängigkeit zu); in den USA und beteiligte sich als einziger la-
den noch verbliebenen Gebieten suchten teinamerik. Staat am Koreakrieg. Die an-
die Kolonialmächte durch Reformen eine gespannte innenpolit. Lage führte ab 1948
Neuordnung zu erreichen. – Zur territoria­ zum Bürgerkrieg. 1952 übernahm das Mi-
len Kolonialgeschichte ↑ Afrika, Amerika, litär die Macht; es wurde 1958 von einer
Asien, Australien, Indien, Indochina u. a. Regierung der nationalen Front abgelöst.
Kolosseum, das größte Amphitheater (ca. Seit den 60er Jahren wechselnde Regie-
50 000 Plätze) Roms (Name von der Kolos- rungen, aufgrund der Armut immer wie-
salstatue Neros); durch die Flavier Vespa- der Aufstände, Gründung von Guerilla-
sian und Titus zwischen 70 und 80 n. Chr. Bewegungen. Terror und Gegenterror so-
errichtet. wie eine finanzkräftige Rauschgiftmafia
Kolping, Adolf, kath. Priester, Volkserzie- beherrschen das Land. 1974 erste freie Prä-
her, 1813–1865; gründete 1846 den ersten sidentenwahl, 1988 auch erstmals Direkt-
katholischen Gesellenverein in Elberfeld wahl der Bürgermeister. 1991 Verhängung
zur Ertüchtigung im Beruf und zur Förde- des Ausnahmezustandes; neue Verfassung,
rung eines gesunden christlichen Familien- die die zentrale Macht einschränkte, den
lebens; Gesellenvereine außer in Deutsch- Provinzgouverneuren mehr Macht gab. In
land in der Schweiz, in Frankreich, Bel- den 90ern Fortschritte im Kampf gegen die
gien, Holland, Italien, N- und S-Afrika. Drogenmafia, 1998 Abkommen mit Boli-
Kolumbien, in vorkolumbischer Zeit Sitz vien, Ecuador, Peru und Venezuela über
der Kultur der Chibcha-Staaten, die 1536– engere wirtsch. Zusammenarbeit und koor­
1541 von den span. Konquistadoren ver- dinierte Bekämpfung des Drogenhandels.
nichtet wurden; 1549 Gründung der Au- Im Feb. 2002 erklärte die Regierung große
diencia Neu-Granada (Hauptstadt Bo- Teile der entmilitar. Guerilla-Zone im Sü-
gotá), benannt nach der Heimat des span. den zum Kriegsgebiet. Im Mai 2002 Wahl
Eroberers Gonzalo Jimenez de Quesada, A. Uribes zum Präs.; leitete Friedensprozess
1718 Vizekönigreich Neu-Granada; der mit den Paramilitärs ein, der aber zu schei-
Aufstand 1810 führte zur Befreiung von tern droht. K. ist bis heute weltweit füh-
der spanischen Herrschaft (1819), der Be­ render Exporteur von Heroin und Kokain.
freier ↑ Bolivar wurde 1819 zum Präsiden­ Kolumbus, Christoph (italienisch Christo-
ten Groß-Kolumbiens gewählt, dem auch foro Colombo, spanisch Christóbal Colón),
Venezuela, Ecuador und Panama ange- (2.) Entdecker Amerikas, 1451–1506; geh.
hörten; der Föderativstaat verfiel 1830 der in Genua oder Mallorca, fasste, von christl.
Auflösung, Ecuador und Venezuela wur- Missionsgedanken erfüllt, vom Abenteuer
den selbständige Republiken; die „Verei- der Seefahrt gelockt und im Banne des Flo-
nigten Staaten von Neu-Granada“ wurden rentiner Kosmografen Toscanelli und der

513
Kominform

geograf. Vorstellungen der „Imago mundi“ Kommune (frz., Gemeinde), im MA die


des Kardinals Pierre d’Ailly (1350–1420), ital. Stadtrepublik. Die K. von Paris: wäh-
den Plan einer Fahrt nach Indien auf dem rend der ↑ Frz. Revolution der von den Ra-
westl. Weg der Erdkugel, fand aber erst dikalen beherrschte Gemeinderat. – Die
1492 (nach der Befreiung Spaniens von Pariser K. März bis Mai 1871, nach der
den Arabern) nachhaltige Unterstützung Belagerung der Stadt durch die Deutschen
durch die span. Krone; er landete, den 1870/71 die Revolutionsregierung der so-
Umfang der Erde unterschätzend, nach zialist. Arbeiterschaft; die K. konnte sich
über 2-monatiger Fahrt im Okt. 1492 auf außerhalb der Stadt nicht durchsetzen und
einer Bahama-Insel (Guanahani) und be- wurde im Mai 1871 von den Truppen der
rührte die Antilleninseln, Kuba und Hai­ti; bürgerlich-republikan. Regierung Thiers’
auf zwei weiteren Fahrten zw. 1493–1500 in blutigen Straßenkämpfen niedergewor-
ent­deckte er weitere mittelamerik. Inseln fen.
(Dominica, Maria Galante, Guadeloupe, Kommunismus (lat. communis, gemein-
Antigua, Puerto Rico, Jamaika) und das sam), allgemein alle Vorstellungen von ei-
südamerik. Festland (Trinidad, Orinoko- ner durch Gütergemeinschaft und gemein­
mündung); wurde Statthalter der neuen schaftl. Lebensführung bestimmten Gesell­
Gebiete; 1500 der Erpressung und Be- schaft; bezeichnet seit dem 19. Jh. Leh-
stechlichkeit beschuldigt und in Ketten ren und Bewegungen mit dem Ziel einer
nach Spanien geführt; 1502 rehabilitiert, klassenlosen und herrschaftsfreien Gesell-
unternahm er eine 4. Reise, die zur Entde- schaft ohne Privateigentum an Produk-
ckung des mittelamerik. Festlandes führte; tionsmitteln und steht im 20. Jh. für das
fiel nach seiner Rückkehr erneut in Un- in der Sowjetunion und anderen Ländern
gnade und starb verlassen und verbittert; auf der Grundlage des Marxismus-Leni-
seine Leiche wurde in die Kathedrale auf nismus errichtete bürokrat. Herrschaftssy-
San Salvador überführt (heute in Sevilla); stem. – Als Theorie spielte der K. bereits in
im Glauben, den begehrten westl. Seeweg den Utopien der Antike und des MA eine
nach O- und Ind.-Asien gefunden zu ha- Rolle (Platons „Staat“; Campanellas „Son-
ben, hielt K. die neuen Landgebiete für In- nenstaat“). Praktisch verwirklicht wurde er
dien und nannte die Einwohner „Indianer“ (örtlich wie zeitlich begrenzt) unter Beru-
(↑ Amerika). fung auf das Evangelium von einigen Sek-
Kominform, ↑ Internationale. ten des MA (Katharer, Albigenser), später
Komintern, ↑ Internationale. von den ↑ Wiedertäufern (bes. in Münster
Komitadschie (türk., von Komitee), im 1533–35) und den Böhm. (Mähr.) Brü-
19., Anfang 20. Jh. balkanischen Aufstän- dern. – Die moderne kommunist. Bewe-
dische, die gegen die türk. Herrschaft Gue- gung des 19. Jh. ist Produkt der Entwick-
rillakrieg führten; besonders die Freischär- lung der Industrie und wesentl. geprägt
ler in ↑ Mazedonien. durch den Marxismus. Bedeutendster
Komitien, die röm. Volksversammlung zur Theo­retiker war Karl ↑ Marx, der 1847
Entgegennahme von Bekannt­ma­chungen zus. mit Friedrich ↑ Engels das ↑ „Kommu-
(Contiones), zur Abhaltung von best. Wah­ nist. Manifest“ verfasste, das bedeutendste
len und Abstimmungen (Comitia nach Ku­ Dokument des zum organisierten Klassen-
rien [Geschlechterverbänden], ↑ Zenturien kampf aufgerufenen Proletariats, das den
oder ↑ Tribus); die Volksversammlung in K. letztendlich verwirklichen sollte. Unter
der Kaiserzeit fast bedeutungslos. K. verstanden Marx und Engels den realen
Kommende (lateinisch commendare, an- Weg zur Überwindung der durch Ausbeu-
vertrauen), ↑ Komtur. tung und Entfremdung gekennzeichne-

514
Kommunistische Partei der Sowjetunion

ten bürgerlich-kapitalist. Gesellschaft zu- initiierten Neuordnung der Beziehungen


gunsten einer die allseitige menschliche zu den sozialist. Staaten O- und SO-Euro-
Selbstverwirklichung ermöglichenden pas (Absage an die Breschnew-Doktrin der
kommunist. Zukunft. Die Trennung der begrenzten Souveränität der Staaten des so-
(im heutigen Wortsinn) kommunist. Par- zialist. Lagers) wuchs der Druck der Völ-
teien von ihren sozialistischen Mutter- ker auf die Regierungen und kommunist.
parteien (in Deutschland „Mehrheitsso- Parteien dieser Länder. Schwere Erschütte-
zialisten“ der SPD) bahnte sich während rungen und Revolutionen trafen die kom-
des 1. Weltkrieges an, als die Radikalen munist.-sozialist. Regime und beendeten
das Ende des Krieges mit den Mitteln von die sich am sowjetischen Modell orientie-
Streik und Sabotage zu erzwingen suchten rende Vorherrschaft der kommunist. Par-
und die Politik der Gesamtpartei (Bewilli- teien in Gesellschaft und Regierung. Nach
gung der Kriegskredite, „Burgfriede“ usw.) Polen (1988) kam es 1989 zu unblutigen
als „Verrat an der internationalen Arbei- Revolutionen in der CSSR und der DDR,
terklasse“ bezeichneten. – In Deutschland zur blutigen Niederschlagung der Demo-
scheiterte 1918 die Novemberrevolution, kratiebewegung in China, und zur blutigen
in der der von Karl Liebknecht und Rosa Revolution in Rumänien. Die wirtsch. und
Luxemburg geführte ↑ Spartakusbund eine polit. Entwicklung in der UdSSR führte
prägende Rolle spielte; dagegen setzte sich im Aug. 1991 zum Verbot der KPdSU
in Russland 1917 in der Oktoberrevolu- (↑ Kommunistische Partei der Sowjet-
tion der ↑ Bolschewismus unter Führung union) und damit zum Eingeständnis des
↑ Lenins durch; die ↑ KPdSU wurde da- Scheiterns des K. in diesem Land. Heute
mit zum Vorbild, bald auch zur Führerin bestehen kommunistische Gesellschafts­
aller anderen kommunist. Parteien (auch systeme u. a. in der Volksrepublik China,
der 1919 aus dem Spartakusbund her- in Nordkorea und Kuba.
vorgegangenen ↑ KPD) und Moskau zum Kommunistische Partei der Sowjetunion,
Zentrum des Weltkommunismus (↑ Inter­ Abk. KPdSU, einzige Partei in der Sow-
nationale), der unter ↑ Stalin (auch ↑ Stali­ jetunion; ging aus der 1898 gegründeten
nismus) in immer stärkere Abhängigkeit Sozialdemokrat. Arbeiterpartei Russlands
von den Zielsetzungen der sowjetischen (SDAPR), die sich 1903 in Bolschewiki
Politik geriet. – Nach 1945 Ausbreitung und Menschewiki spaltete, hervor. Die ab
des K.; die unter polit.-militär. Einfluss 1912 formell selbständige SDAPB war die
der Sowjetunion geratenen Länder und führende Kraft der ↑ Oktoberrevolution
auch diejenigen, in denen der K. aus eige- 1917 und übte ab 1918 die Macht allein
ner Kraft siegte (wie Jugoslawien, China, aus; nach dem Tod Lenins (1924) von Sta-
N-Korea, N-Vietnam), übernahmen das lin als Generalsekretär geführt. Ihm gelang
sowjet. Modell. Mit der Entstalinisierung es nach und nach, die alte Führungsschicht
(1956) verstärkten sich schon vorher vor- (Trotzki, Kamenew, Sinowjew, Bucharm
handene Differenzierungen (Jugoslawien) u. a.) auszuschalten und später zu liqui-
im K.; es bildeten sich ein Polyzentrismus, dieren und die KPdSU (umbenannt 1925)
nationale reformkommunist. Ansätze im in sein Machtinstrument umzuwandeln.
Welt-K. heraus; dazu gehören der ungar. – Mit dem 20. Parteitag 1956 wurde un-
Volksaufstand 1956, der Bruch Chinas ter Chruschtschow ein Prozess der Ent-
mit der Sowjetunion (1962/63), der „Pra- stalinisierung eingeleitet, der aber unter
ger Frühling“ (1968) und die Entwicklung Breschnew (ab 1964) abgebrochen wurde.
des „Euro-K.“ (in Italien und Frankreich). Mit ↑ Gorbatschow (ab 1985) wurde eine
– Mit der von ↑ Gorbatschow (ab 1985) Demokratisierung der KPdSU begonnen;

515
Kommunistische Partei Deutschlands

1990 verzichtete die KPdSU auf das Ein- Kompass, Erfindung und erste Anwen-
parteiensystem und ihre in der Verfassung dung nicht sicher zu belegen, Ursprungs-
festgeschriebene führende Rolle, 1991 Ver- land aber (sicher) China (um 120 n. Chr.);
bot der Partei. ↑ Albertus Magnus schrieb die Erfindung
Kommunistische Partei Deutschlands, des K. Aristoteles zu, in dessen Schriften
Abk. KPD, 1919 aus einer Verbindung die Erwähnung des K. vermutl. durch arab.
des Spartakusbundes und der USPD, einer Kommentatoren Eingang gefunden hatte.
Abspaltung der SPD, hervorgegangen; ver- – In Europa seit etwa 1200 bekannt; seit
lor schon 1919 durch die Ermordung Rosa dem 13./14. Jh. allgemein in Gebrauch,
↑ Luxemburgs und Karl ↑ Liebknechts ihre löste der K. die Schifffahrt von den Küsten,
führenden Persönlichkeiten. 1920 durch ermöglichte die Hochseeschifffahrt und
Ver­einigung mit dem linken Flügel der wurde ein unerlässliches Hilfsmittel bei
USPD Massenpartei; ab 1925–1932 unter den ↑ Entdeckungen.
Führung von Ernst Thälmann deutl. Erhö- Komsomol (Wsessojusny Leninski kom-
hung der Mitglieder- und Wählerzahl. Die munistitscheski sojus molodjoschi, Lenin-
KPD verfolgte mit der These vom „Sozial­ scher Kommunistischer Allunions-Jugend-
faschismus“ eine gegen SPD und NSDAP verband), staatliche Jugendorganisation der
gleichermaßen gerichtete Politik, die erst UdSSR (Pflichtmitgliedschaft für 14–28-
1934 zugunsten der Volksfrontpolitik auf- Jährige), 1918 gegr., ca. 36 Mio. Mitglieder
gegeben wurde. Ab 1933 (bes. nach dem (1979); eng mit der kommunist. Partei ver-
Reichstagsbrand) verfolgt, verboten. Viele bunden. Mit dem Ende der Sowjetunion
Mitglieder kamen im Widerstand gegen 1991 wurde auch der K. aufgelöst.
Hitler um, fielen teilweise auch im Exil sta- Komtur (lat., Verwalter), bei ↑ Ritterorden,
linist. Säuberungen zum Opfer. Nach 1945 insbes. beim ↑ Dt. Orden, Verwalter eines
wurde die KPD neu aufgebaut; in der SBZ Bezirks, einer Komturei, mehrere Komtu-
mit der SPD zur SED vereinigt. In den reien bildeten eine Provinz (↑ Ballei).
Westzonen sinkende Bedeutung der KPD. Kondottieri, ↑ Condottieri.
Nach Verbot 1956 setzte die KPD ihre Tä- Konferenz über Sicherheit und Zusam-
tigkeit illegal bis zur Gründung der DKP menarbeit in Europa, Abk. KSZE, 1973
(↑ Deutsche Kommunist. Partei)1968 fort. in Helsinki eröffnete Konferenz von 35 Au-
Kommunistisches Manifest, 1847 und ßenministern europ. Staaten sowie Kana-
1848 von ↑ Marx und ↑ Engels im Auftrag das und der USA; neben Fragen der Sicher-
des Londoner „Bundes der Kommunisten“ heit ging es um wirtsch. und wiss.-techn.
verfasste Flugschrift, in der die Grundsätze Zusammenarbeit; 2. Phase der KSZE von
des dialekt. Materialismus und seine An- 1973–75 in Genf; das Gipfeltreffen in
wendung auf die Gesellschaft (↑ Marxis- Helsinki 1975 bildete die 3. Phase, die dort
mus) verkündet wurden, bes. der Klassen- unterzeichnete Schlussakte enthält jedoch
kampf im internat. Rahmen (Schlusssatz: lediglich Absichtserklärungen; 1977/1978
„Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“). die Belgrader Nachfolgekonferenz v. a. be-
– Das K. M. galt bis zum 1. Weltkrieg als schäftigt mit Menschenrechtsverletzungen
Hauptprogrammschrift der sozialist. Par- in den kommunist. Staaten; die Nachfolge-
teien (außer der brit. Labour Party). konferenz von Madrid 1980–83 war über-
Komnenen, byzantinisches Herrscherge- schattet von verschärften Ost-West-Span-
schlecht aus der Militäraristokratie, regier- nungen (Afghanistan, Kriegsrecht in Po-
ten als Kaiser 1057–59 und 1081–1185 in len). Die 3. KSZE-Nachfolgekonferenz in
Byzanz (↑ Alexios Komnenos, Manuel I.), Wien (1986/89) stand unter Einfluss des
1204–1462 in Trapezunt. einsetzenden Öffnungsprozess der UdSSR

516
Kongo

unter Gorbatschow; es wurden Vereinba­ im Süden Dandefluss; in vorportugiesische


rungen über freie Religionsausübung, Aus- Zeit mehrere Lehnsstaaten (Sonjo, Bamba,
wanderungsfragen etc. getroffen. 1990 Pem­ba, Batta, Pango, Sundi) unter einem
wurde auf dem Pariser KSZE-Gipfel die König mit entwickeltem Beamtentum und
ideolog. und militär. Konfrontation der hoher Stellung der Königinmutter; Haupt-
Militärbündnisse NATO und Warschauer stadt und Residenz Ambassi, von dem Por-
Pakt (↑ Kalter Krieg) für beendet erklärt tugiesen Diego Cao 1483–84 entdeckt;
und die Charta von Paris für ein neues Eu- das Reich damals auch nordwärts über den
ropa unterzeichnet. Seit dem 1. Jan. 1995 Kongo ausgreifend; 1490 portug. Gesandt-
lautet die offiz. Bez. ↑ Organisation für Si- schaft bei König Mani-Kongo, der König
cherheit und Zusammenarbeit in Europa wurde 1492 Christ („Don Juao da Silva“)
(OSZE). und seitdem Christianisierung der Bevöl-
Konföderierte (Staaten), die 1861 von der kerung; Hauptstadt Ambassi in Sao Salva-
nordamerik. Union abgefallenen elf Staa- dor umbenannt, zahlreiche Klöster (Jesu-
ten des Südens, die die Sklavenhaltung be- iten und Kapuziner), Kirchen und Schu-
jahten, unter Jefferson Davis als Präsident; len; seit1521 der Sohn des Königs, Alfonso
im ↑ Sezessionskrieg geschlagen und zum Henrique, erster schwarzer Bischof; 1534–
Wiederanschluss an die USA gezwungen. 46 Terrorherrschaft der Dschagga-Kanni-
Konfuzius (chin. Kungfutse oder Kungtse), balen; nach ihrer Vertreibung erneutes Auf-
chin. Philosoph („Meister Kung“) und blühen einer äußerlichen christl. Kultur;
Staatsmann, um 551–um 479 v. Chr.; adli- 1638 nach schweren Kämpfen Ausweisung
ger Herkunft, aus Schantung in N-China, der Europäer; Bischofssitz nach Sao Paolo
Minister, dann Wanderprediger, in strenger de Loanda verlegt; Reich brach 1687 in in-
Anlehnung an die überkommenen Sitten neren Kämpfen zusammen; Reststaaten im
und (von ihm gesammelten) hl. Schriften 18. Jh. von heidn. Stämmen beherrscht;
seines Volkes Begründer einer konserva- 1882 Wiederzulassung der Europäer, doch
tiven, prakt.-moral. und dem chinesischen nur noch Schattenkönigtum; Aufgehen in
Wesen angepassten Staats- und Sittenlehre Portug.-Angola.
(niedergeschrieben nach den Erfahrungen Kongo, seit 1960 selbständige präsidiale
seines Lebens); von weitreichendem Ein- Republik (Republique du Congo), frühere
fluss (seit dem 1. Jh. v. Chr. Staatsphiloso- frz. Besitzung Mittel-Kongo, in der Union
phie); Grundlage der staatlichen und ge- Zentralafrikan. Republiken (mit Zentral­
sellschaftlichen Ordnung waren die Auto­ afrikan. Republik, Tschad); Hauptstadt
rität der Familie (patriarchalische Idee und Brazzaville. 1963 Sturz der Regierung des
Pietätsgedanke), Ahnendienst und Opfer ersten Präsidenten Youlou, 1969 Macht-
für den Kaiser; Ablehnung des Aberglau- übernahme durch nationalen Revolutions­
bens und der Weltflucht (K. war seit dem rat, K. wurde Volksrepublik; enge Beziehun­
2. Jh. v. Chr. chin. Nationalheiliger, später gen zu Kuba, China und der Sowjetunion.
mit Tempelkult). Der so zur Religion wei- 1990 unter Präsident Nguesso Einführung
terentwickelte Konfuzianismus hielt sich eines Mehrparteiensystems, 1992 freie
trotz staatlicher Bekämpfung in Auseinan- Wahlen, Sieg der Opposition (Präs. P. Lis-
dersetzungen mit dem ↑ Buddhismus und souba), erste demokrat. Verfassung. Seit
↑ Taoismus bis zur Gegenwart. den 90ern schwere Unruhen und Kämpfe
Kongo, altes Königreich in Zentralafrika zw. linken und rechten Privatmilizen sowie
(südlich der heutigen Kongo-Republik); Regierungstruppen, 1997 militär. Rücker-
Grenzen sind im Norden der Kongo, im oberung der Macht durch Nguesso, weiter-
Osten Kuangofluss, im Westen Atlantik, hin blutige Unruhen und Kämpfe.

517
Kongo, Demokratische Republik

Kongo, Demokrat. Republik, aus dem gungen bzw. Rebellenorganisationen gegen


ehemal. ↑ Kongostaat und der belg. Kolo­ Kabila, die z. T. mit den Nachbarstaaten
nie K. entstanden, seit 1952 Unabhängig- Uganda, Ruanda und Burundi verbündet
keitsbewegung unter Führung des Stadt- waren. Kabila hingegen erhielt Unterstüt-
verordneten von Leopoldville und Führers zung von Angola, Simbabwe und Namibia.
der Abako-Partei, Joseph Kasawubu; 1959 Erneut bürgerkriegsähnl. Zustände, im Juli
Unabhängigkeitszusage von Belgien; 1960 1999 Friedensverhandlungen in Lusaka
verwirklicht: Republik mit 6 Provinzen (Sambia), weiter gewalttätige Auseinander-
(Äquator, Kasai, Katanga, Kiwu, Leopold- setzungen zw. Rebellen und Regierungsein-
ville, Ostprovinz); erster Staatspräsident heiten. Ab Ende März 2001 Stationierung
Kasawubu, erster Ministerpräs. Lumumba von UN-Einheiten, im Juli 2002 Friedens-
(1961 ermordet), Nachfolger Adula; Ge- vertrag zw. Kongo und Ruanda, mit dem
genregierung in Stanleyville (Ostprovinz); wesentl. Punkte des Friedensabkommens
Unabhängigkeitserklärung Katangas, das von Lusaka von 1999 umgesetzt werden
ei­gene Währung einführte; Eingreifen der sollen. Die innenpolit. Lage ist jedoch wei-
UN; 1961 Konferenz von Tananarive (Ma- ter instabil, die wirtsch. Lage katastrophal.
dagaskar): K. wurde Konföderation, doch Kongostaat, gegr. 1881 von Leopold II.,
weiterhin Kämpfe zw. zentralist. und föde- König der Belgier, der als Erster die großen
rativen Parteien und Stämmen. 1971 Um- wirtsch. Möglichkeiten des Kongogebietes
benennung in „Zaire“ durch Präs. ↑ Mo- erkannte (1876 Gründung der „Associa-
butu im Zuge einer Kampagne für afrikan. tion Internationale du Congo“); Leopold
„Authentizität“. Ab Mitte der 70er wach- ließ ↑ Stanley, den Erforscher des Kongo-
sender Widerstand gegen das autokratische Flusses, mit den Eingeborenen verhandeln;
Regime Mobutu. 1977 Umsturzversuch nach dem von England unterstützten Pro-
der „Kongolesische Nationale Befreiungs- test Portugals erste Versuche der Erschlie-
front“, wurde mit Hilfe belg., marokkan. ßung von Westen aus; auf der Kongokon-
und frz. Truppen niedergeschlagen. In den ferenz von Berlin 1884/85 auf Anraten Bis-
80er Jahren versuchten Rebellenverbände marcks Errichtung eines „Unabhängigen
unter der Führung von Laurent Désiré Ka- Kongostaates“ (Kongoakte 1885) unter
bila erneut, Mobutu zu stürzen. Während- Staatshoheit des belgischen Königs, der
dessen stürzten wirtsch. Missmanagement auf eigene Rechnung kolonisierte (1892
und Folgen der Korruption das Land in Angliederung Katangas); 1908 nach den
immer tiefere Armut. 1993 erklärte sich britischen Anklagen gegen die Raubwirt-
die rohstoffreiche Provinz Shabe erneut schaft („Kongo-Greuel“) Unterstellung un-
(zum zweiten Mal seit 1960) unabhängig. ter die Obhut der belg. Regierung als Kolo-
Ende 1996 eroberte die „Allianz der De- nie („Belgisch-Kongo“), Entwicklung zum
mokrat. Kräfte zur Befreiung von Kongo- größten Rohstoffreservoir Aftikas (Uran,
Zaire“ (AFDL) unter L. D. Kabila große Kobalt, Edelmetalle) mit dem Zentrum
Teile des Landes, Mitte 1997 Flucht Mo- Katanga (↑ Kongo, Demokrat. Republik).
butos; Rebellenführer Kabila ernannte Kongregationalisten, ↑ Independenten.
sich zum neuen Staatspräs. und benannte Kongresspolen, das auf dem Wiener Kon-
das Land erneut in „Demokrat. Republik gress 1815 nach Auflösung des Herzog-
Kongo“ um. Kabila kündigte zunächst eine tums Warschau gebildete Königreich Polen
neue Verfassung und demokrat. Wahlen an, in Personalunion mit Russland; umfasste
verbot jedoch wenig später alle polit. Par- das polnische Kernland ohne die östl. Ge-
teien und stärkte seine eigene Machtfülle, biete und ohne Posen und Galizien, an-
daher Bildung neuer oppositioneller Bewe- fangs unter der großzügigen Verfassung

518
König

Alexanders I.; nach dessen Tod Beschnei- digkeit, den Römern bei Unterhandlungen
dung der nationalen Freiheiten durch Niko­ einen repräsentativen Partner entgegenzu-
laus I., Steigerung der poln. Unzufrieden- stellen. In der fränkischen Zeit, in der Zeit
heit; durch die frz. Julirevolution ausgelö- weitreichender Eroberungen und lose ver-
ste poln. Erhebung (missglücktes Attentat bundener Stämme, verkörperte der K. den
auf den Vizekönig Konstantin) und Wahl Einheitsgedanken (Titel: Rex Francorum,
einer Nationalregierung; 1831 Niederwer- K. der Franken). Unter Karl d. Gr. trat
fung des Aufstandes durch die russ. Ge- zum K.s-amt das universale des röm. Kai-
nerale Diebitsch und Pasklevitsch (Erobe- sers, die antike Vorstellung vom Herrscher
rung Warschaus); poln. Emigrantenstrom wirkte nun auch auf das K.-tum: Der K.
nach W-Europa (Polenenthusiasmus unter wurde zum Träger der höchsten Staatsge-
den dt. Patrioten des Vormärz), Eingliede- walt, sein Amt war göttlichen Rechtes (gra-
rung K.-Polens als russ. Provinz und Russi- tia dei = von Gottes Gnaden); Verankerung
fizierungspolitik. der Machtstellung im Krongut (aus Lande-
König (ahdt. Kuning, engl. King), Herr- roberungen), Begrenzung durch das beste-
schertitel; an Würde, Rang und Bereich hende Volksrecht und durch Zugeständ-
(nicht immer an Machtstellung) dem Kai- nisse an die Aristokratie (daher kein Abso-
ser nachgeordnet; in altgerman. Zeit vor- lutismus); auch bei Erbfolge blieb zumin-
wiegend bei den Ostgermanen Name und dest der Schein des Wahlrechts durch die
Amt des Oberhaupts eines Gaus oder eines Großen gewahrt. Zeichen des K.s: langes,
Gauverbandes (bei den Ostgermanen stär- wallendes Haar, bei den Merowingern der
kere Ausbildung des polit. Einheitsbe- Speer, bei den Karolingern Krone, Kreuz,
wusstseins, des Staatsgedankens); bei den Zepter, Schwert; der K. regierte kraft des
Westgermanen bildete meist ein Verwal- K.bannes (↑ Bann). – Im Verlauf des MA
tungskörper der Fürsten die Gau- oder wieder stärkeres Betonen des Wahlrechts
Stammesspitze; nur in Zeiten der Gefahr von Volk und Fürsten, bes. beim Ausster-
erhoben sie vorübergehend einen der ih- ben eines Herrscherhauses, wobei oft Sei-
ren zum K. mit dem Titel eines Herzogs tenlinien oder den vom letzten Herrscher
(Cäsar wusste vom K.s-Titel bei den West- Designierten (mit dem Titel „röm. K.“)
germanen nichts; Übernahme des Titels der Vorzug gegeben wurde bzw. gegeben
im Westen wohl in Anlehnung an den ost- werden musste; zeitweise war der Wahlakt
german. Brauch); Wahl des K.s meist aus bloße Form; seit Heinrich IV. Anspruch
höchster Adelsfamilie, wobei nach dem auf freie K.wahl und Prüfung der Wür-
Tod des K.s das Landthing den Nachfol- digkeit des Kandiloten durch den Papst
ger im Allgemeinen aus der gleichen Fami- wechselnd mit dem Anspruch der Könige
lie wählte und „auf den Schild erhob“, um auf reine Erbfolge ohne Wahl und päpstli­
ihn den Stammesangehörigen vorzustellen; che Zustimmung (Erbmonarchie). Von der
der K. war Heerführer und oberster Rich- Kaisergewalt unterschied sich die K.gewalt
ter, verhandelte mit Nachbarstämmen, nur durch den Umfang des Herrschafts-
mit den Römern, mit den Göttern (viel- bereiches; die meisten dt. Könige des MA
fach entwickelte sich das K.s-amt aus dem anerkannten jedoch das Recht der Päpste,
Oberpriesteramt, das Priesteramt wurde Kaisertitel und Kaiserrechte zu verleihen
dann getrenntes Amt); er war der Ei- (über die Weiterentwicklung des Wahl-
niger der verschiedenen Stammesgruppen rechts ↑ Kurfürsten). – Das K.tum anderer
zu Stam­meseinheiten (unter Beseitigung Völker nicht ohne Weiteres dem dt. K.tum
bishe­riger Stammesführer); fördernd auf gleichartig; es ging auf verschiedene Wur-
die Erhebung zu K.en wirkte die Notwen- zeln zurück (bei Nomadenvölkern auf das

519
Königgrätz

Hirtenamt, in Ägypten, China, Israel auf ort der Kurfürsten: 1308 Vorwahl Hein-
Priester-, Heerführeramt); seit dem 18. Jh. richs VII., 1346 Vorwahl Karls IV., 1400
bedurfte die Anerkennung als König im Wahl Ruprechts von der Pfalz; seit 1376
Allgemeinen internationaler Zustimmung. (auf Veranlassung Kaiser Karls IV.) fester
Königgrätz, Festung in Böhmen, 1866 im Quaderbau auf Schwibbögen, 1624 er-
↑ Dt. Krieg entscheidender Sieg der Preu- neuert, 1794 durch Franzosen zerstört und
ßen (Stabschef Moltke) über die Öster­ 1843 rekonstruiert.
reicher und Sachsen unter Benedek; mili­ Konklave (lat., verschlossenes Gemach),
tärische Vollstreckung der Bismarckschen Ort in Rom, wo die Kardinäle unter stren­
Politik, Österreich aus dem zu einigenden ger Abriegelung von der Außenwelt zur
Deutschland zugunsten der Führerstellung Papst­wahl zusammentraten und den sie
Preußens auszuschalten. – Im Ausland, be­ erst nach erfolgter Wahl verlassen durften;
sonders Frankreich, wurde die Schlacht auch Bezeichnung des wählenden Kardinal­
nach dem Dorf Sadowa benannt (frz. politi­ kollegiums selbst; Vorschrift des abgeschlos­
sches Schlagwort „Rache für Sadowa“). senen Wahlorts seit dem Konzil zu Lyon
Königsberg in Preußen, 1255 vom ↑ Dt. 1274 (↑ Kardinäle).
Orden gegr., nach König Ottokar II. von Konkordat (lat., Vereinbarung), Staatsver-
Böhmen benannt, bedeutende Handels- trag mit der katholischen Kirche (Papst)
stadt, seit 1457 Residenz des Hochmeis- zur Rege­lung der wechselseitigen Bezie-
ters des ↑ Dt. Ordens, 1525 der Herzöge hungen; z. B. 1122 Wormser K. zw. Kai-
von Preußen; 1544 Universität; 1618 zu ser Heinrich V. und Kalixtus II. (Beendi-
Brandenburg, 1701 preuß. Krönungsstadt gung des Investiturstreits), 1448 Wiener
(Friedrichs III., der als Friedrich I. den Kö- K. zwischen Friedrich III. und Nikolaus V.
nigstitel annahm), 1813 Ausgangspunkt (anstelle der vertagten Kirchenreformen),
der preuß. Erhebung gegen Napoleon I.; 1801 K. (Konvention) zw. Napoleon und
1843 Festung (l. Ranges); 1945 von den Pius VII. (Wiederherstellung der kirchl.
Russen besetzt und nach Austreibung der Rechte, doch Wahrung staatlicher Ober-
Deutschen in Kaliningrad umbenannt (Be- aufsicht; in Kraft bis 1905); 1817 K. zw.
zirkshauptstadt). Bayern und Pius VII. (Bistumseinteilung),
Königsboten, von Karl d. Gr. eingesetzte 1821 zw. Preußen und Pius VII. (Errich-
Sendboten, die (je ein geistl. und ein weltl.) tung der Erzbistümer Köln und Gnesen-
das Land durchreisten, die Regierungstä- Posen, jedoch ohne Zugeständnis eigener
tigkeit der Bischöfe und Grafen überprüf- Einkünfte); 1924 Bayern, 1929 Preußen,
ten und anschließend dem König Bericht 1933 Dt. Reich mit Pius XI. (Regelung der
erstatteten (↑ Missus). Stellung der Geistlichkeit, ihrer Vorbildung
Königsmarck, altes märk. Adelsgeschlecht, und Anstellung, des Religionsunterrichts
daraus: 1) K., Maria Aurora Gräfin von, u. a.); K.e erlangten mit ihrer Verkündung
Geliebte Augusts des Starken, 1662–1728; Gesetzeskraft. Zu den wichtigsten K.en ge-
Mutter des Marschalls Moritz von Sachsen. hören die Lateranverträge zw. dem Heili-
2) K., Hans Christoph Graf von, schwed. gen Stuhl und Mussolini von 1929 (seit
Feldmarschall, 1600–1663; Großvater von 1947 in der ital. Verfassung).
1), gefürchteter Draufgänger im 30-jäh- Konkordienformel (Eintrachtsformel),
rigen Krieg, eroberte 1648 Prag, 1658– 1577 von einem Theologenkonvent ver-
1660 in poln. Gefangenschaft. fasste Bekenntnisschrift des Luthertums
Königsstuhl, Bauwerk über dem Links­ zur Bereinigung der dogmat. Streitigkeiten
rhein. Städtchen Rhens bei Koblenz (urspr. seit dem Tode Luthers, im Sinne der stren-
am Rheinufer), ehemals Versammlungs- gen Lutheranhänger gegen die Richtung

520
Konrad

Melanchthons; das 1580 erschienene Kon- zung der ersten Reichsministerialen, die
kordienbuch enthielt außer der K. auch Zusicherung der Erblichkeit der Lehen für
die übrigen grundlegenden Bekenntnis- den Kleinadel und Förderung der Städte
schriften der luther. Kirche. (Münz- und Marktrechte) wurden Ansatz-
Konnetable, ↑ Connetable. punkte zu einer neuen polit.-sozialen Ord-
Konon, athenischer Flottenführer, gestor- nung; seine Politik verband Italien mit dem
ben 392 v. Chr.; 407 v. Chr. Nachfolger des Reich; beigesetzt in dem von ihm erbauten
Alkibiades in der Flottenführung, entkam Dom zu Speyer. 3) K. III., um 1094–1152;
bei Aigospotamoi 406, erhielt den Ober- der erste Staufer, Enkel Heinrichs IV., 1127
befehl über die persische Flotte, mit der Gegenkönig Kaiser Lo­thars III. in Italien,
er 394 bei Knidos die Spartaner besiegte; 1138 zum König ge­wählt, nahm dem auf-
stellte die von Sparta geschleiften „Langen sässigen Welfenherzog Heinrich dem Stol-
Mauern“ Athens wieder her. zen Bayern (Ausgangspunkt des stauf.-welf.
Konquistadoren (span., Eroberer), die Er- Gegensatzes); unternahm auf Anregung
oberer der mittel- und südamerik. Länder Bernhards von Clairvaux erfolglos (Nieder-
im Zeitalter der Entdeckungen des 16. Jh. lage bei Doryläum 1147) den 2. Kreuzzug
(u. a. Cortes, Pizarro, Quesada); ihre Erobe­ (1147/49), bestimmte unter Umgehung
rungsfahrten waren private Unternehmun­ seines minder­jährigen Sohnes seinen Nef-
gen mit königl. Sanktion und gekennzeich- fen Friedrich von Schwaben (Barbarossa)
net durch Abenteuerlust und durch Jagd zum Nachfol­ger. 4) K. IV., 1228–1254;
nach Edelmetallen. Sohn Kaiser Friedrichs II., Vater Konra-
Konrad, Herrscher. Dt. Kaiser und Könige: dins, 1237 anstelle seines abgesetzten Bru-
1) K. I. (911–918); Herzog der Franken, ders Heinrich zum König gewählt, Regent
nach Aussterben der ostfränk. Karolinger Deutschlands; im Kampf mit den Gegen-
911 in Forchheim zum König gewählt, königen Heinrich Raspe und Wilhelm von
scheiterte bei dem Versuch, mithilfe kirchl. Holland; 1250 Thronnachfolger seines Va-
Gewalten die Stammes­herzöge zu schwä- ters, starb bei der Behauptung sei­nes si-
chen; ihm gelang es nicht, das Reich vor zil. Erbes. – Lothrin­gen: 5) K. der Rote,
den Ungarn zu schützen; K. schlug daher Schwiegersohn Ottos I., 944 mit Lothrin-
seinen großen Widersacher, den mächtigen gen belehnt, vermittelte 950 den Frieden
Sachsenherzog Heinrich, zum Nachfolger mit Frankreich, empörte sich 953 mit sei-
vor. 2) K. II., der Salier, um 990–1039; nem Schwager Liudolf von Schwaben gegen
nach dem Erlöschen des Mannesstammes Otto, 954 abgesetzt; im Kampf gegen die
im sächs. Kaiserhaus 1024 zum König ge- Ungarn einer der heldenmütigs­ten Streiter,
wählt, schloss 1025 Freundschaftsvertrag fiel 955 auf dem Lechfeld. – Masowien:
mit ↑ Knut d. Gr. von Dänemark (Eider- 6) K., Herzog (1206–1247); wandte sich
grenze), 1027 in Rom zum Kaiser gekrönt; im Kampf gegen die heidn. Preußen 1226
warf die Aufstände seines Stiefsohnes Ernst Hilfe suchend an den ↑ Dt. Orden unter
von Schwaben nieder, verlor an die Un- Hermann von Salza, versprach die Schen-
garn das Gebiet zw. Fischa und Leitha, kung des von den Preußen bes. gefährdeten
zwang Mieszko II. von Polen 1031 zur Kulmer Landes (Keimzelle des Ordens-
Rückgabe der Lausitz und des Milzener- staates). – Rheinpfalz: 7) K. (1155–1195);
landes und zur Ablegung des Königstitels, von seinem Stiefbruder Kaiser Friedrich I.
erwarb 1032–1034 als Erbe Rudolfs III. nach Verlegung des bedeutendsten Pfalz-
Burgund; seine Neigung, sich gegen die grafenamtes von Lothringen an den Rhein
weltlichen und geistlichen Großen auf die als erster „Pfalzgraf bei Rhein“ eingesetzt
unteren Schichten zu stützen, die Einset- (seither Landesname Rheinpfalz).

521
Konrad

Konrad, 1) K. von Hochstaden, Erzbi- im polit. Bereich mit Ehrfurcht vor der Tra-
schof von Köln, ↑ Hochstaden. 2) K. von dition, treue Anhänglichkeit an Dynastie,
Marburg, Dominikaner und Ketzerrichter, althergebrachte Frömmigkeit, Pflichtge-
Beichtvater der hl. Elisabeth, 1233 von fühl, patriarchal.-herrschaftl. Bewusstsein
Rittern erschlagen. 3) K. („Pfaffe K.“), „oben“, Geist der Unterordnung „unten“.
mhdt. Dichter aus dem Kreis um Heinrich Sein ideolog. Rüstzeug entnahm der K.,
den Stolzen, gest. 1139; dichtete nach frz. der sich in Mittel- und W-Europa in der
Vorlage das „Rolandslied“ und gilt als Mit- 1. Hälfte des 19. Jh. als Gegenbewegung
arbeiter an der „Kaiserchronik“. (Reaktion) nach der Aufklärung, der Frz.
Konradin (ital., kleiner Konrad), Herzog Revolution und dem liberalen Reformer-
von Schwaben, 1252–1268; Sohn Kon- tum entwickelte, der Restaurationsepoche
rads IV., letzter Staufer, folgte 1267 dem nach dem ↑ Wiener Kongress und dem
Ruf der Ghibellinen nach Italien zur Er- Schrifttum ihrer führenden Publizisten
oberung seines sizil. Erbes; 1268 bei Taglia­ (Müller, Haller, Gentz); das Programm des
cozzo von Karl von Anjou geschlagen und ultraroyalist. preuß. K. entwarf Julius Stahl
in Neapel hingerichtet. („Autorität statt Majorität!“); die zur glei-
Konradiner, fränkisches Grafengeschlecht chen Zeit konstituierte Konservative Partei
in der Lahn-Rhein-Gegend (Stammburg dominierte zunächst trotz zahlenmäßiger
Weilburg), besiegte im Kampf um die Unterlegenheit und stützte den Bund von
Herzogsgewalt in Franken mit Hilfe Her- „Thron und Altar“, verbündete sich 1862
zog Arnulfs von Bayern 906 die Baben- mit Bismarck während des preuß. Verfas-
berger, wurde nach der Hinrichtung des sungskonflikts, spaltete sich aber 1866 in
Babenbergers Adalbert durch Erzbischof Deutschkonservative und Freikonservati­ve
↑ Hatto von Mainz fränk. Herzogshaus (Anhänger der Politik Bismarcks, seit 1871
und stellte als mächtigstes dt. Geschlecht auf Reichsebene als Dt. Reichspartei): Die
911 mit ↑ Konrad I. den ersten dt. König; Deutschkonservativen gerieten 1872 wegen
verstrickte sich in heftige Machtkämpfe lib. Wirtschaftsgesetzgebung und Kultur-
mit den Sachsen und trat gemäß der Verfü- kampf in Konflikt mit Bismarck, söhnten
gung Konrads I. die Königsgewalt an deren sich 1876 mit ihm aus und unterstützten
Herzog Heinrich ab. ihn von da an vorbehaltlos (Schutzzollge-
Konservatismus (Konservativismus; lat. setzgebung, Hee­resvorlagen, Kolonialpoli-
con­servare, erhalten), vertreten von den tik usw.); bekämpften Caprivi, arbeiteten
Kräf­ten der Beharrung unter nachdrückl. eng mit Bülow zus. („Bülowblock“), pro-
Wertschätzung und Rechtfertigung der pagierten im 1. Weltkrieg „Durchhalten!“,
überkommenen sozialen und polit. Ord- konstituierten sich in der Weimarer Repu-
nung, oft auch im Kampf um die Wieder- blik als ↑ Deutschnat. Volkspartei. Nach
herstellung dieser vielfach durch die tat- 1945 unterblieb eine Wiederbelebung.
sächl. Entwicklung bereits überwundenen Konsistorium, in spätröm. Zeit ein unter
alten Ordnung („Restauration“, „Reak- Kaiser Hadrian um 120 n. Chr. gegr. Ge-
tion“); der K. verwarf den optimist. Fort- heimer Staatsrat (seine Mitglieder von den
schrittsglauben der Liberalen und Sozialis­ röm. Kaisern ernannt), neu organisiert un-
ten sowie ihre Neigung zu rationalistischen ter Kaiser Konstantin 320 n. Chr. – In der
Doktrinen und Neukonstruktionen von kath. Kirche Kardinalsversammlung unter
Staat und Gesellschaft; er stützte sich auf Vorsitz des Papstes, heute ohne Funktion;
die (von der deutschen Romantik begrün- in der ev. Kirche die Behörden zur Organi-
dete) Auffassung vom organischen Wachs- sation und Leitung der kirchlichen Verwal-
tum des Staates, pflegte die Gefühlswerte tung (auf Landesebene).

522
Konstanzer Konzil

Konstantin, Name von Herrschern. Röm. lungen von Auszügen aus heute verschol-
Kaiser: 1) K. I., der Große (Flavius Vale- lenen Schriften („Liber Cerimoniarum“,
rius Constantinus), um 280–337 n. Chr.; „De Cerimoniis aulae Byzantinae“, „Über
geb. in Nisch, Sohn des Constantius Chlo- die Themata“); wichtige Quellen zur Kul-
rus, 306 vom Heer als Cäsar in Gallien turgeschichte und für die militär. und ver-
und Britannien ausgerufen, 307 Augustus, waltungstechn. Einteilung des Reiches z. Z.
unternahm 307–310 Feldzüge gegen die Justinians. 7) K. IX. Monomachos (1042–
Franken; trat 312 den Marsch nach Ita- 1055); musste das Reich gegen Petschene-
lien an und wurde nach Sieg über Maxen- gen, Kumanen, Seldschuken und Norman-
tius (312) im Westen und Licinius (323) nen verteidigen; in seiner Regierzungszeit
im Osten Alleinherrscher im Gesamtreich; endgültige Trennung der orthodoxen von
gewährte 313 (im Toleranzedikt von Mai- der röm. Kirche (Morgenländ. Schisma
land) dem Christentum neben den ande- von 1054, ↑ Ostkirche). K. XI. Paläolo-
ren Religionen kaiserlichen Schutz (bald gos (1448–1453); letzter Kaiser, fiel 1453
Entfaltung zur Staatsreligion), führte das bei der Eroberung Konstantinopels durch
Reformwerk Diokletians zu Ende, ver- die Türken. – Griechenland: 8) K., 1868–
legte aber die Hauptstadt 326 nach Byzanz 1923; Schwager Kaiser Wilhelms II., re-
(Konstantinopel, christl. Ostrom), berief gierte seit 1913, musste 1917 wegen sei-
das Konzil von Nizäa (325) gegen den Aria­ ner neutralen Haltung dem Thron entsa-
nismus ein und ließ sich kurz vor seinem gen, 1920 zurückberufen, dankte 1922 zu-
Tod noch taufen. 2) K. II., Sohn von 1), gunsten seines Sohnes Georg II. endgültig
Kaiser des Westens seit 337, fiel 340 im ab. 9) K. II., geb. 1940; 1964–73 König
Krieg gegen seinen Bruder ↑ Constans. von Griechenland, lebte nach dem Militär-
– Byzantin. Kaiser: 3) K. IV., Pogonatos putsch von 1967 im Exil, wurde 1973 von
(der Bärtige), regierte 668–685; wehrte der griech. Militärdiktatur für abgesetzt
674–678 die Araber von Konstantinopel er­klärt. Eine Volksabstimmung bestätigte
ab, musste 680 die Reichsgründung der 1974 die Abschaffung der Monarchie.
Bulgaren anerkennen. 4) K. V. Kopro- Konstantinische Schenkung, angeblich
nymos (der Unflätige), als Bilderfeind von von Kaiser Konstantin d. Gr. ausgestellte
den Anhängern des Bilderdienstes so be- Schenkungsurkunde, in der er den Primat
nannt (741–775); Höhepunkt des fanat. des Papstes (Silvester I.) anerkannte und
Kampfes zw. Ikonoklasten und Ikonodu- ihm und seinen Nachfolgern die Herr-
len; 754 Verbot des Bilderdienstes durch schaft über Rom und das weström. Reich
das Konzil von Hiereia (Vernichtung der zusprach; spielte während des ganzen MA
Bilder); K. als Herrscher sehr bedeutend, eine bedeutsame Rolle und beeinflusste das
kämpfte mit Glück gegen die Araber und Verhältnis zw. den dt. Königen bzw. Kai-
schlug die Bulgaren zurück. 5) K. VI., Por- sern und dem Papsttum; von dem ital.
phyrogenetos (der Purpurgeborene), Kai- Humanisten Laurentius Valla und von Ni-
ser 780–797, unmündig, unter der Re- kolaus von Kues im 15. Jh. als Fälschung
gentschaft seiner Mutter Irene, versuchte erkannt (erst Mitte 8. Jh. oder 804/05 in
789 einen Aufstand gegen sie, 797 von ihr Reims, wohl zur Abwehr byzantin. An-
gestürzt und geblendet. 6) K. VII. Porphy- sprüche, entstanden).
rogenetos (912–959); Sohn Leos VI. und Konstantinopel, ↑ Byzanz.
dessen 4. Frau Zoe; überließ die Regie- Konstanzer Konzil, 1414–1418, zugleich
rungsgeschäfte anderen (Romanos Lekape- Reichsversammlung; sie beschäftigte sich
nos, ab 919 Mitkaiser), bekannt besonders 1) mit der „causa fidei“, der Verteidigung
durch die von ihm veranlassten Samm- des reinen Glaubens gegen alle Ketzer und

523
Konstituante

verurteilte ↑ Hus; 2) mit der „causa unio- Rückfälle in den Absolutismus verteidigt
nis“, der Wiederherstellung der kirchlichen werden (Verfassungskonflikte, z. B. 1837
Einheit, und wählte nach der Absetzung in Hannover, 1850 in Hessen). Auch das
der drei bisherigen Päpste 1417 Martin V. dt. Kaiserreich von 1871 war eine konsti-
(neue Form der Abstimmung: nach Natio­ tutionelle Monarchie (doch ohne Minis­
nen); 3) mit der „causa reformationis“, der terverantwortlichkeit und mit ernanntem
Reform der Kirche an Haupt und Glie- Reichskanzler als höchstem Beamten), aber
dern; doch wurde in diesem wichtigsten kein parlamentar. System, das sich erst ge-
Punkt wenig erreicht, ebenso scheiterte die gen Ende des 1. Weltkriegs durchzusetzen
Reichsreform, an der Kaiser Sigmund ge- begann und in der Weimarer Verfassung
legen war. – Auf dem K. K. erreichte die 1919 verankert wurde; dazu ↑ Demokra-
Konziliaridee (Konzil dem Papst überge- tie, Liberalismus, Parlament, Grundrechte,
ordnet) ihren Höhepunkt. Charta.
Konstituante (frz. Constituante), aus den Konsul (Consul, von lat. consulere, sich
↑ Generalständen hervorgegangene verfas- beraten), in der röm. Republik die beiden
sunggebende frz. Nationalversammlung, höchsten Staatsbeamten, Träger der voll-
1789–1791 (↑ Frz. Revolution). Allg. jede ziehenden Gewalt, durch die ↑ Komitien
verfassunggebende Versammlung (Vorpar- jedes Jahr neu gewählt, im Kriegsfall täg-
lament), die bei Gründung eines neuen lich einander ablösende Führer des Heeres;
Staatswesens oder bei Wechsel des politi­ ausgestattet mit bes. Ehrenrechten: Sitz im
schen Systems zusammentritt und sich „kurul. Stuhl“ vor dem Senat, Begleitung
nach Schaffung der Verfassung wieder auf- von 12 Liktoren, Toga praetexta und Bez.
löst (z. B. Frankfurter Nationalversamm- des Jahres mit ihren Namen; Amtstitel seit
lung 1848, Parlamentar. Rat 1949). 449 v. Chr. (vorher Prätor); seit 366 v. Chr.
Konstitutionalismus, Regierungsform, bei (Licin. Gesetz) einer der beiden K.n aus
der die Gewalt des Monarchen durch eine der Plebs gewählt; Machtbereich allmäh-
Verfassung (Konstitution) beschränkt wird lich eingeschränkt, in der Kaiserzeit Se-
(Garantie der politischen Grundrechte des natsvorsitzende mit nur noch bescheidenen
einzelnen Staatsbürgers; Mitwirkung des Befugnissen, seit Diokletian ohne jede Be-
Volkes an der Gesetzgebung, parlamentar. deutung, Titel im 6. Jh. aufgehoben. – In
Kontrolle der Exekutive). – Der K. wurde Frankreich nach Napoleons Staatsstreich
zuerst in England verwirklicht (1689 ↑ Bill vom 9. Nov. 1799 Konsulatsverfassung (Na­
of Rights) und war seit der Frz. Revolution poleon Erster Konsul: Gewalt über Heer,
Hauptziel der liberal-demokrat. Bewegung äußere Politik, Flotte und Finanzen, Mit-
auf dem Festland (Revolutionen 1830 und konsuln Lebrun und Cambaceres) bis zur
1848); in seiner Fortentwicklung führte Errichtung des Kaiserreiches 1804.
er zur parlamentarischen Republik (doch Kontinentalkongress, Bez. für den Dele-
in der Praxis Machtstellung eines Staats- giertenkongress der 13 brit. Kolonien in
präsidenten mitunter stärker als die eines N-Amerika 1774 und 1775–1789, der in
Monarchen; z. B. US-Präsident gegen­über Philadelphia tagte; gab entscheidende An-
dem König von Großbritannien); die ein- stöße zur Ausarbeitung einer Staatenbund-
flussreichsten Theoretiker sind ↑ Locke und verfassung, beschloss die Unionsgründung,
Montesquieu. – In Deutschland wurde nahm die Unabhängigkeitserklärung an.
die konstitutionelle Monarchie zuerst in Kontinentalsperre, Kampfmittel Napole-
eini­gen mittel- und süddt. Einzelstaaten ons I. nach dem Scheitern militärischer Ak-
nach den Befreiungskriegen verwirklicht tionen zur Niederzwingung Großbritanni-
(z. B. Bayern 1818) und musste z. T. gegen ens (Niederlage der frz. Flotte bei Trafalgar

524
Konzentrationslager

1805); Unterbindung der brit. Handelsbe- eines Klosters; 2) in der Frz. Revolution
ziehungen mit dem Festland, um das von als „National-K.“ die 1792 auf die Gesetz-
der Ausfuhr seiner Industriewaren abhän- gebende Versammlung folgende neu ge-
gige Großbritannien im Lebensnerv zu wählte Volksvertretung, die von den Radi­
treffen; 1806 von Berlin aus in die Wege kalen beherrscht wurde und durch ihre
geleitet und fortan die Politik Napoleons Aus­schüsse (z. B. der Wohlfahrtsausschuss
bestimmend: Übereinkunft mit Russland mit Danton an der Spitze) auch die Exe-
durch den Vorschlag einer europ. Herr- kutive ausübte, 1795 aufgelöst (Nachfolge:
schaftsteilung 1807, Angliederung der sich Direktorialregierung).
der Sperrung ihrer Häfen widersetzenden Konzentrationslager (KZ, amtlich KL),
Länder an Frankreich (Portugal 1807/08, ursprünglich Internierungslager zuerst im
Toskana und Kirchenstaat 1809, Holland nordamerikanischen Sezessionskrieg und
und norddt. Küstengebiete bis Lübeck im Burenkrieg; zum System erhoben im
1810); von Großbritannien 1807 mit der ↑ Dritten Reich. Sofort nach der „Macht-
Blockade Frankreichs, der Wegnahme der ergreifung“ 1933 wurden von der SA zahl-
für die Sperrung der Ostsee unerlässlichen reiche „Schutzhaftlager“ für polit. Gegner
dänischen Flotte und der Besetzung Hel- eingerichtet. Im Zuge der Konsolidierung
golands beantwortet; Anlass zu Schmuggel des NS-Staates wurden diese „wilden“ KZs
großen Stils und wirtsch. Chaos; 1812 we- durch offizielle Lager in SS-Regie abgelöst.
gen finanzieller und wirtsch. Schädigung Die bekanntesten waren Dachau, Oranien­
von Zar Alexander I. durchbrochen (An- burg (späterer Name Sachsenhausen), Bu-
lass zum russ. Feldzug, dessen Scheitern chenwald, Groß-Rosen, Flossen­bürg, Ra-
den Sturz Napoleons in die Wege leitete). vensbrück, Mauthausen. Ursprünglich ge-
– Wirtsch. Folgen der K.: rasche Erholung dacht als Umerziehungslager (aus denen
des schwer, doch nicht entscheidend getrof- man nach guter Führung auch entlassen
fenen Großbritanniens (Teuerung infolge wer­den konnte), wandelten sich die KZs
der Sperre der osteurop. Getreideausfuhr), rasch zu den Instrumenten einer aggressi­
nach 1815 auf Betreiben der an der Fort- ven Rassen- und Bevölkerungspolitik: In
dauer hoher Preise interessierten Grund- den KZs wurden neben tatsächlichen und
besitzer Einführung der Kornzölle (auf­ vermeintl. Regimegegnern auch Homo-
gehoben 1846; ↑ Anti-Corn-Law-League); sexuelle, Asoziale, Kriegsgefangene, Sinti
Überschwemmung des europ. Marktes mit und Roma sowie Juden interniert und zu
brit. Waren, damit Vernichtung eines Teiles lebenslanger Arbeitssklaverei gezwungen,
der durch die K. vor der überlegenen brit. wobei die Lebensverhältnisse in den La-
Konkurrenz vorübergehend geschützten gern so beschaffen waren, dass ein Groß-
festländ. Industrie; wichtiger die Behaup- teil der Insassen innerhalb weniger Monate
tung der schon lebensfähigen, neu geschaf- aufgrund von Seuchen, Hunger, Entkräf-
fenen Industriezweige. tung oder wegen der Misshandlungen zu-
Kontrollrat, Alliierter, gemäß dem Pots- grunde ging. Höchste Perfektion zeigte die­
damer Abkommen im Juni 1945 in Berlin ses System der „Vernichtung durch Arbeit“
als oberste gemeinsame Kontrollbehörde in den Lagern ↑ Auschwitz und Maidanek
der vier Besatzungsmächte eingesetzt, zu- im besetzten Polen, wo das KZ kombi-
ständig in Angelegenheiten, die Deutsch- niert war mit einem ↑ Vernichtungslager.
land als Ganzes betrafen; im Frühjahr 1948 Die Gesamtzahl der Häftlinge in dt. KZs
nach dem Austritt der UdSSR lahmgelegt. wird auf 7,2 Mio. geschätzt, von denen bei
Konvent (von lat. conventus, Zusam­men­ Kriegsende nur noch ca. 500 000 am Le-
kunft), 1) Versammlung der Mitglieder ben waren.

525
Konzil

Konzil (lat. concilium), Zusammenkunft havn bedeutender Handelsplatz wurde,


(Synode) der Würdenträger der kath. Kir- kam 1416 zur dänischen Krone; 1728 und
che zur Fassung von gesamtkirchlichen Be- 1795 durch Feuer sowie 1807 durch Bom-
schlüssen, bes. in Sachen des Glaubens und bardement der Briten teilweise zerstört.
der Sitten; die allg. (ökumen.) K.e hervor- Kopernikus (eigtl. Kohpernigk), Niko-
gegangenen aus dem Apostel-Konzil zu Je- laus, Begründer der modernen Astrono-
rusalem und den Versammlungen der Bi- mie, 1473–1543; Sohn einer begüterten dt.
schöfe seit dem 2. Jh.; vom 4.–11. Jh. oft Kaufmannsfamilie in Thorn, genoß umfas-
von den Kaisern einberufen, später unter sende Ausbildung (medizin. Studien in
cluniazens. Einfluss nur noch vom Papst. Italien), praktizierte als Arzt in Heilsberg,
Die ersten 7 K.e (bis Ende 8. Jh.) wurden fand seit 1512 als Domherr in Frauenburg
auch von der griech.-orthodoxen Ostkir- (zeitweise auch Generaladministrator des
che anerkannt. – Die Reformkonzile des Bistums Ermland in Allenstein) Muße für
15. Jh., die sich mit den kirchlichen Miss- sein Lebenswerk. Auf der Suche nach einer
ständen beschäftigten, suchten vergeblich, einleuchtenden Erklärung für die kompli-
sich als höchste Vertretung der gesamten zierten Himmelserscheinungen und nach
Christenheit und oberste Autorität der Kir- gründlichem Studium der griech. Quel-
che über den Papst zu stellen; die konziliare lenschriften über das Ptolemäische Welt-
Idee (K.-Theorie, Konziliarismus), begrün- system wandte er sich der Frage zu, ob
det von Konrad von Gelnhausen und Jo- die Erdkugel ruht oder ob sie sich bewegt
hannes Gerson, beide Lehrer an der Uni- (die Bewegung war schon im Altertum von
versität Paris Ende 14. Jh., verfochten u. a. Hicetas, Philolaos, Herakleidos, Ponti-
von Marsilius von Padua, Pierre d’Ailly, auf cos, Ekphantos und Aristarch bejaht wor-
der 5. Lateransynode (1512–1517) verwor- den), und bewies eine dreifache Bewegung
fen (Konzilbeschlüsse mussten vom Papst der Erde: 1) ihre tägliche Umdrehung um
bestätigt werden; gegen Entscheidungen sich selbst (dadurch erklärt sich die schein-
des Papstes gab es keine Berufung an das bare tägliche Umdrehung des Fixsternhim-
allgemeine Konzil). Bis 1870 fanden 20 mels); 2) ihren Bahnkreisumschwung um
von der kath. Kirche anerkannte ökumen. die Sonne (dadurch lassen sich die schein-
(allg.) K.e statt, darunter: 325 Nizäa (ge- baren Schleifenbahnen der Planeten erklä-
gen den Arianismus); 431 Ephesus (gegen ren); 3) ihre Deklinationsbewegung um
den Nestorianismus); 451 Chalcedon (ge- die Pole der Ekliptik im Laufe eines Jahres.
gen den Monophysitismus); 1123 Lateran Die Sonne steht nach K. im ungefähren
(Beendigung des Investiturstreits); 1179 Weltmittelpunkt, der Fixsternhimmel ist
Lateran (Neuordnung der Papstwahl, Re- unbeweglich, die Planeten (auch die Erde
formdekrete); 1414–18 Konstanz (Been- ist ein Planet) umkreisen die Sonne, der
digung des abendländ. Schismas); 1545– Mond umkreist die Erde; diese astronom.
1563 Trient (Erneuerung der Kirche un- Lehre (Kopernikan. Weltsystem) erstmals
ter dem Antrieb der Reformation); 1869– niederlegt vor 1514 im „Commentario-
1870 Vatikan I. (Unfehlbarkeit des Papstes lus“, erweitert in dem Werk „De revolutio-
in Lehrentscheidungen); 1962 Vatikan II., nibus orbium Coelestium libri sex“ 1543,
einberufen durch Johannes XXIII. Neben dessen erstes gedrucktes Exemplar K. auf
den ökumen. K.en versammeln sich auch dem Sterbebett in Empfang nahm; K. löste
National- und Provinzkonzile. die Anschauung vom Sternenhimmel aus
Kopenhagen, Hauptstadt Dänemarks; der Ichbezogenheit des Beschauers; seine
seit dem 11. Jh. bestehender Hafen, des- Lehre in der Folge weiterentwickelt und,
sen Stadt unter dem Namen Köpmands- bes. durch Kepler, berichtigt.

526
Korea

Kopp, Georg von, dt. kath. Bischof, 1837– Korea (TaiHan, jap. Tschosen), in vorge-
1914; seit 1887 Fürstbischof von Bres- schichtl. Zeit Beziehungen zu Alt-Japan,
lau, 1893 Kardinal; ab 1884 Mitglied des doch seit dem 2. Jh. v. Chr. Anlage chin.
preuß. Staatsrates, ab 1886 des preuß. Her- Ko­lonien auf korean. Boden und 4 Jh. lang
renhauses; maßgeblich an der Beendigung Über­gewicht Chinas; der im 1. Jh. v. Chr.
des ↑ Kulturkampfes beteiligt; suchte den im Norden gegr. Nutonen-Staat Kori (Ko-
Katholizismus in das Reich zu integrieren, ryo) gab dem Land den Namen Korea; von
lehnte die Zentrumspartei als allei­nigen 313–618 n. Chr. teilten sich 3 Reiche von
polit. Repräsentanten des Katholizis­mus Bauern, Kriegern und Beamten die Halb-
ab, sprach sich für Arbeitervereine aus. insel; der Buddhismus erfasste das Nord-
Kopten (aus griech. aigyptioi), leibliche reich Kori, dann den SW-Staat Päkche und
Nachkommen der Alt-Ägypter, durch re- den SO-Staat Silla, von dort über eine jap.
ligiöse Absonderung auch in arab. und Kolonie an der SW-Küste Japan. 668–935
türk. Zeit vor Vermischung weitgehend ge- stand K. in polit. und kultureller Abhän-
schützt (die K. sind christl. Monophysiten gigkeit von China (Tangkultur), unter
mit einer aus dem Alt-Ägyptischen entwi­ der Vorherrschaft Sillas, das sich die bei-
ckelten Kirchensprache und abgewandel- den anderen Reiche einverleibte; Residenz
ter griech. Schrift); theolog. Literatur bes. Kyongdschu; Bau von buddhist. Steinpa-
im 3. bis 8. Jh. (Bibelübersetzungen, apo- goden, buddhist. Bronzeskulpturen und
kryphe Evangelien, Leben der Märtyrer, Bronzeglocken in chin. Stil; um 800 ei-
Urkundentexte); altchristl., von syr. und gene korean. Silbenschrift. Die Nachfolge
später ägypt. Kultur beeinflusste Kunst übernahm 935–1392 das Reich Kori (Ko-
(Wand- und Ikonenmalerei, Ornamentge- ryo), Lehensstaat mit polit. Machtstellung
webe, Mehrkuppelkirchen mit Bauplastik, der Klosterfestungen, wo jeder 3. Koreaner
große Klöster in Unter- und Oberägyp- dienen musste; nichtchin. Kulturleistungen
ten); sie waren kirchlich dem Patriarchen in dieser Zeit: korean. Porzellan und Sela-
von Alexandrien (Sitz Kairo) unterstellt. don-Steingut, 1045 Blockdruck der 6500
Koran (arab. alkoran. das oft zu Lesende), Bände des „Tripitaka“, 1160 ältestes Ge-
hl. Schrift des Islam, Werk der Weltlite- schichtswerk das Samakuk-sagüi. Von 1259
ratur, enthält die Offenbarungen Allahs, an stand K. zeitweise unter der Herrschaft
wie sie dessen Prophet Mohammed von der Mongolen Chinas. – 1398–1910 Herr-
610–632 (bis zu seinem Tode) in Mekka schaft der Yi-Dynastie (immer noch unter
und Medina zuteil und von ihm dem Volke chin. Protektorat), Zusammenbruch der
in arab. Sprache verkündet wurden; diese Klostermacht; neue Blüte der Kultur unter
Aussprüche, anfangs fast nur mündl. über- König Setsong (1414–50): Kunst, Wissen-
liefert, wurden im Auftrag des Schwieger- schaft, Volksdichtung, korean. Romane,
vaters Mohammeds, Abu Bekr, gesammelt, Romanübersetzungen aus dem Chine-
um 653 von Othman redigiert und im Ye- sischen; eigene Buchstabenschrift mit 28,
men-Dialekt niedergeschrieben; der K. ent- später 35 Zeichen, Erfindung des Lettern-
hält auch Religionsgut des Judentums und buchdrucks (noch vor Gutenberg); Ver-
des Christentums; er ist unterteilt in 114 wüstung Koreas durch die Japaner 1592–
Suren (Kapitel); in der orthodox-islamit. 98 (Kaiser Hideyoschi); 1627 Einfall der
Welt ist er bis heute mit seinen bürgerlich- Mandschuren; 1640–1882 Abschließung
moral. Vorschriften auch höchste und un- ganz K.s nach außen unter Bewahrung des
antastbare Rechtsquelle; ergänzt durch spä- alten Kulturzustandes und Ständewesens
teres Gewohnheitsrecht und Überlieferung (Adelige, Literaten, Handwerker, Kauf-
(Sunna, Hadith; ↑ Islam). leute, Arbeiter, Bauern und Sklaven); 1882

527
Koreischiten

erster Auslandsvertrag (USA erzwangen Roh Tae Woo. Die Entwicklung zur De-
Öffnung von Häfen), im Innern seitdem mokratie wurde mit den Parlamentswahlen
prochin. und projap. Gruppen. Das Ein- 1988 fortgesetzt. Anfang der 90er Jahre
greifen Chinas führte zum chinesisch-jap. wurden beide koreanische Staaten Mitglied
Krieg 1894/95 (Frieden von Schimonoseki: der UN und einigten sich auf einen ge-
China gab K. auf; der König von K. nahm genseitigen Nichtangriffspakt. 1993 Kim
1897 den Kaisertitel an); gegen Japan An- Young Sam («Demokratischen Freiheits-
lehnung K.s an Russland, die Gegensätze partei» DLP) erstes ziviles Staatsoberhaupt
führten 1904/05 zum russ.-jap. Krieg und von Süd-K. seit 1960, leitete Wirtschafts-
der Beseitigung des russ. Einflusses; Japan reformen ein. Ab Mitte der 90er Jahren er-
annektierte 1910 K., das bis 1945 Teil des neut Zunahme der Spannungen zw. Nord-
jap. Kaiserreiches blieb. Nach der Kapitu- und Süd-K. (Süden befürchtete Angriff aus
lation Japans 1945 „für 5 Jahre“ zwei Be- dem Norden). Im Süden 1998 erstmals Zi-
satzungszonen (UdSSR und USA) mit dem vilist als Präsident (Kim Dae Jung); im Juni
38. Breitengrad als Demarkationslinie; die 2000 histor. Staatsbesuch Kim Dae Jungs
UdSSR machte 1948 die N-Zone zur Ko- in Nord-K., Versöhnungskurs beider Re-
rean. Volksrepublik, die USA bildeten im gierungen; erstmals konnten S-Koreaner
Süden 1948 die Republik Korea mit dem ihre Verwandten im anderen Landesteil be-
Ziel der Wiedervereinigung; nach dem suchen (2000 Friedensnobelpreis für Kim
Einfall nordkorean. Truppen in Süd-K. Dae Jung). Seit 2002 Präsident Roh Moo
Eingreifen der UN und später der Chine- Hyun.
sen; 1953 Waffenstillstand: 38. Breitengrad Koreischiten, altarab. Stamm, Hüter der
wurde Grenze der beiden Teilstaaten (die ↑ Kaaba in Mekka z. Z. Mohammeds, der
ohne Handels- und Postverbindung blie- dem Stamm der K. angehörte.
ben; Grenze durch UN-Truppen gesichert); Korfanty, Wojciech, poln. Politiker, 1873–
N-Korea schloss 1961 Freundschafts- und 1939; 1903–1912 und 1918 Abgeordneter
Wirtschaftspakt mit der UdSSR; Staats- des dt. Reichstages, betrieb 1918 die Los-
präsident mit diktator. Vollmacht ist seit lösung Posens vom Reich, kämpfte 1919–
1972 Kim Il Sung, nach seinem Tod seit 1921 als Führer poln. Freischärler für die
1994 sein Sohn Kim Jong Il, Bemühungen Vereinigung Oberschlesiens mit Polen.
um Normalisierung der Beziehungen zum Korinth, in der Argolis am ↑ Isthmos von
Süden. S-Korea lehnte sich an die USA; K., in der Antike bed. Handelsstadt; dor.
nach Militärputsch (1961) Offiziersregie- Gründung des 9. Jh. v. Chr., wirtsch. und
rung. Von 1963 bis zu seiner Ermordung kulturelle Blüte seit etwa 600 v. Chr., bes.
1979 war Park Chung Hee Staatspräsi- unter dem Tyrannen Periandros (korinth.
dent. Unter Park 1973 Aufgabe des Allein- Vasen, korinth. Erz); im ↑ Peloponnes.
vertretungsanspruchs für ganz K. und Zu- Krieg wegen Handelsinteressen mit Sparta
stimmung zu getrennter Aufnahme beider gegen Athen verbündet, doch im ↑ Korinth.
korean. Teilstaaten in die UN. Nach Stu- Krieg bei den gegen Sparta Verbündeten;
dentenunruhen 1985 Schritte zur Libera- Kolonien in der Ägäis sowie auf Kerkyra
lisierung, Freilassung der seit den Unruhen (Korfu); 146 v. Chr. durch die Römer aus
1980 verhafteten Oppositionspolitiker. Handelsneid zerstört, 44 v. Chr. von Cäsar
1987 Forderung nach Verfassungsreform, neu gegründet, 50 n. Chr. erste Christen­
die sich nach Unruhen und dem Druck gemeinde in Griechenland (Paulus).
der internat. Öffentlichkeit im Vorfeld der Korinthischer Krieg, 395–387 v. Chr.; von
Olymp. Spiele 1988 durchsetzte. Bei der einer Koalition zw. Athen, Theben, Ko-
Präsidentschaftswahl 1987 siegte General rinth und Argos mit pers. Hilfe und Geld

528
Kossuth

gegen die Hegemonie Spartas (Sieg des Sporen erbeuteten, daher „Sporenschlacht“,
Agesilaos über die Perser bei Sardes 395) Flandern blieb selbständig.
geführt; spielte sich zu Lande überwiegend Korvette, schnelles Kriegsschiff der Se-
in Korinth ab und endete nach wechsel- gelschiffszeit, ausgestattet mit drei Masten
vollem Verlauf (Koroneia 394; entschei- und mittlerer Bestückung; Vorläufer des
dender Seesieg des ↑ Konon bei Knidos) kleinen Kreuzers.
mit dem sog. ↑ Antalkidasfrieden. Kosaken, urspr. russ. und ukrain. Bauern,
Koroneia, Stadt in Alt-Griechenland bei die den Bojaren, Steuereintreibern oder ih-
Messene, bekannt durch den Freiheits- ren Gläubigern entflohen, gründeten seit
kampf der Böotier gegen die Herrschaft dem 15. Jh. auf dem „freien Feld“, d. h.
Athens 447 v. Chr. und den Sieg der Spar- den vom Zaren noch nicht kontrollierten
taner unter Agesilaos über die Thebaner Gebieten der südruss. Steppe, eigene mili-
und deren Verbündete 394 v. Chr. tär.-demokrat. Gemeinwesen unter selbst-
Korridor, ↑ Poln. Korridor. gewählten Oberhäuptern (Ataman; Het-
Korsakow, Alexander Iwanowitsch, russ. man); behaupteten ihre Selbständigkeit
Heerführer im 2. ↑ Koalitionskrieg, 1753– auch nach Anerkennung der Oberhoheit
1840; seine Niederlage bei Zürich 1799 des Zaren; bis Ende des 18. Jh. in die regu-
führte zum Rückzug der russ. Truppen und lären Streitkräfte eingereiht, als zarentreue
zum Austritt Russlands aus der Koalition Elitekavallerie mit Vorliebe zur Niederwer-
gegen Frankreich. fung von Aufständen verwendet.
Korsika, in vorgeschichtl. Zeit ungedeu- Kosciuszko, Thaddäus, poln. National-
tete Kultur („Filitosa-Kultur“) mit Kult- held, 1746–1817; im nordamerikan. ↑ Un-
und Grabplätzen, bis 4 m hohen Menhi- abhängigkeitskrieg Adjutant Washingtons,
ren, menschengestaltigen Figurensteinen; leitete 1794 den poln. Nationalaufstand
in der Bronzezeit durch Funde belegte Be- gegen das russ. Regime nach der 2. poln.
ziehungen zu ↑ Kreta; 1400–1200 v. Chr. Teilung, erließ ein Manifest gegen Zaris-
Invasion eines fremden Volkes; Bau von mus und Preußentum, bei Maziejowize
Kuppeltürmen als Opferstätten oder Mau- 1794 von den Russen und Preußen besiegt,
soleen; seit 1200 keine frühgeschichtl. Spu- später in den USA, Frankreich und der
ren mehr; Besiedlung durch vorindoger- Schweiz; beigesetzt im Dom zu Krakau.
man. Ligurer, griech. Kolonisten, Etrusker, Kossäer, ↑ Kassiten.
seit dem 5. Jh. v. Chr. karthag. Besitz, nach Kossuth, Ludwig, ungar. Politiker, 1802–
dem 1. Pun. Krieg 238 v. Chr. von den Rö- 1894; proklamierte als Mitglied (Finanz-
mern annektiert; seit 456 von Vandalen minister) des von Österreich 1848 zuge-
heimgesucht, seit 533 byzant., 754 frän- standenen nationalen Ministeriums und
kisch, im 9. Jh. von den Arabern besetzt, Führer der liberalen Opposition die selb-
im 10. Jh. in kleine Reiche zersplittert, seit ständige ungar. Republik; 1849 nach der
Ende des 13. Jh. Herrschaft Genuas, gegen Entthronung der Habsburger Reichsver-
die 1729 ein Aufstand ausbrach (1736 Ba- weser; zog sich durch die Vorherrschafts-
ron Neuhof zum König ausgerufen, bereits bestrebungen der Ungarn die Feindschaft
1738 vertrieben); 1755 neuer Aufstand, der Kroaten zu, wurde nach großen An-
danach Verkauf der Insel durch Genua an fangserfolgen (Einnahme von Pest) von
Frankreich 1768. den Österreichern mithilfe russ. Verbände
Kortrijk (frz. Courtrai) in Westflandern; besiegt und von Görgey zur Niederlegung
1302 vernichtende Niederlage eines frz. der Diktatur gezwungen; im Exil in Eng-
Ritterheeres durch die Weber von Gent land und Italien weiterhin Verfechter der
und Brügge, die einige hundert goldene ungar. Unabhängigkeit.

529
Kossygin

Kossygin, Alexei, sowjet. Politiker, 1904– Klassen; mit der Verhaftung Moltkes durch
1980; seit 1927 Mitglied der KPdSU, seit die Gestapo 1944 war der K. K. praktisch
1940 des Zentralkomitees. Nach dem Sturz zerschlagen.
↑ Chruschtschows 1964 dessen Nachfolger Kreiseinteilung, im Rahmen der dt.
als Vorsitzender des Ministerrats. Reichsreform unter Kaiser Maximilian I.
Kotzebue, August von, dt. Dichter, 1761– 1512 zur ↑ Landfriedenssicherung vorge-
1819; Verfasser von über 200 zeitgebun- nommene Einteilung des Hl. Röm. Rei-
denen, wirkungsvollen Bühnenstücken, ches in 10 Kreise (ohne Böhmen und Eid-
lebte zeitweise in Russland als höherer Ver- genossenschaft): Bayer., Burgund., Fränk.,
waltungsbeamter; übermittelte angeblich Kurrhein., Ober- oder Kursächs., Nieder-
an Russland Berichte über die Burschen- sächs., Oberrhein., Österr., Schwäb. und
schaftsbewegung und zog sich den Hass Niederrhein.-Westfäl. K.
der Studenten zu; seine Ermordung durch Kreisky, Bruno, österr. Politiker, 1911–
den Burschenschafter Sand 1819 verur- 1990; 1959–66 Außenminister, seit 1967
sachte die ↑ Karlsbader Beschlüsse. Vorsitzender der SPÖ, seit 1970 Bundes-
KPD, Abk. für ↑ Kommunistische Partei kanzler. Trat 1983 als Bundeskanzler und
Deutschlands. Vorsitzender der SPÖ zurück.
KPdSU, Abk. für ↑ Kommunistische Partei Kreml (tatarisch, Burg), der befestigte
der Sowjetunion. Stadtteil russ. Städte, am berühmtesten der
Kraftwagen, ↑ Automobil. K. von Moskau, in seinen frühesten Anla-
Krakau, um 700 Slawenburg, 1000 Bistum, gen (seit dem 11. Jh.) mehrfach zerstört,
1290–1305 zu Böhmen, 1257 Magdebur- seit dem Metropoliten Peter (gest. 1326)
ger Stadtrecht; Mitglied der Hanse, 1364 Symbol (Viereck der Kathedralen) für den
Universität (Jagellonen); 1320–1610 poln. Anspruch Moskaus, als Zentrum der ↑ Ost-
Hauptstadt, Krönungsstadt bis 1764; 1795 kirche zu gelten; unter Iwan III. seit 1470
(3. poln. Teilung) zu Österreich, 1809 zum großzügig neugestaltet und auf die heu-
Großherzogtum Warschau, 1815–1846 tige Ausdehnung erweitert (Berufung des
Freistaat, dann bis 1918 österreichisch, da- Architekten Aristoteles aus Pisa), seither
nach polnisch. Residenz der Zaren bis Peter d. Gr.; 1812
Kramar, Karel, tschech. Politiker, 1860– von Napoleon eingenommen und von den
1937; wirkte als Führer der Jungtsche- Russen teilweise durch Brand zerstört; seit
chen im österr. Reichsrat und böhmischen 1918 Sitz der Sowjetregierung (übertragen
Landtag für die tschechische Selbständig- auch zur Bezeichnung der sowjetruss. Po-
keit: 1918–1919 erster Ministerpräsient litik); besteht aus der sog. Zarenburg, der
der Tschechoslowakei, dann Vorsitzender Krönungskirche mit der Roten Treppe,
der natio­nalist., antikommunist. National­ einer Vielzahl weiterer Kirchen, Palästen,
demo­krat. Partei. ehemaligen Klöstern, Kasernen, etc.; um-
Kreisauer Kreis, nach dem Gut Kreisau geben von einer Mauer mit 5 Toren (be-
(Niederschlesien) des Grafen Moltke be- rühmt das Erlösertor).
nannter Widerstandskreis gegen die nat.- Kreta (Kandia), besiedelt bereits am Ende
soz. Herrschaft; im K. K. trafen sich seit der Steinzeit (um 3300 v. Chr.), eine Früh-
1940 Vertreter aller gesellschaftlichen und kultur (frühminoische Kultur) erkenn-
polit. Richtungen überwiegend aus der bar beim Übergang zur Bronzezeit um
jüngeren, für Reformen aufgeschlossenen 2600 v. Chr., deren Träger von dem Entde-
Generation; ihnen ging es nicht primär um cker von Knossos, Evans (um 1900), Mi-
eine aktive Politik des Staatsstreichs, son- noer genannt wurden; Nichtindogerma-
dern um den sozialen Ausgleich zw. den nen und Nichtsemiten mit undeutbarer

530
Kreuzzüge

Sprache; ihre lebensfrohe, schöpfer., doch flachen Lande Herrenhäuser, in den Bergen
oriental. beeinflusste Kultur um 2000 voll hl. Höhlen; Stützpunkte des kret. Handels
entwickelt sichtbar, in der Zeit der „Äl- auf Rhodos, in Kleinasien und Ägypten
teren Paläste“ (um 2000 bis um 1700, mit- (Gesandtschaftsaustausch); stärkste Beein­
telmino. Kultur) in Knossos und Phaistos, flussung der Lebensweh der altgriech. Für-
wo Priesterkönige unter der Oberhoheit stensitze von Mykene und Tiryns und zu-
von Knossos ein Seereich beherrschten, nehmende Beeinflussung der kret. durch
das Handelsverbindungen zu Ägypten, Sy- die kriegen myken. Kultur (kret.-myken.
rien, Alt-Griechenland (↑ Mykene), Spa- Mischkultur); Entwicklung der „Linear-
nien unterhielt; die „Alten Paläste“ offen, schrift A“ zur „Linearschrift B“, die entzif-
unbefestigt (geschützt durch die Flotte), fert ist und die griech. Sprache dieser Zeit
nach einheitl. Plan angelegt; „Kerames“- (auch des Festlandes, Mykenes und Tiryns’)
Vasenmalerei aus den königlichen Töpfe- wiedergibt; sie beweist, dass eingewan-
reien von Knossos und Phaistos mit Spira- derte Griechen schon vor 1420 in Knossos
len und stilisierten Pflanzenmustern; Aus- wohnten (Söldner?, Leibgarde?); um 1420
bildung einer vielleicht von ägypt. Hiero- Bruch mit Mykene und um 1400 plötz-
glyphen abgeleiteten Bilderschrift. – Um liche Zerstörung sämtlicher minoischer Pa-
1700 Zerstörung der „Älteren Paläste“ läste; Griechen wurden Herren der Insel,
durch Invasion oder Aufstände (?). – Zeit Kreta um 1200 griech. Kolonie; seit 1100
der „Jüngeren Paläste“ (spätminoische Kul- von Dorern erobert; seitdem etwa 20 sich
tur, 16. Jh. bis 1400), in neuer, ebenfalls befehdende Kleinstaaten, die 69–67 v. Chr.
unbefestigter, großartiger Architektur und von den Römern unterworfen wurden; K.
mit neuen Kunstformen; Ablösung der kam bei der Reichsteilung 395 n. Chr. zum
Bilderschrift durch die „Linearschrift A“; Oström. Reich (Byzanz), 823–961 ara-
die „Paläste“ um 1580 durch Erdbeben, bisch, dann wieder byzantinisch, seit 1212
die kret. Flotte durch Flutwelle vernich- unter Herrschaft Venedigs, 1699 nach 15-
tet; bald da­nach umfassender Wiederauf- jährigem Kampf von den Türken erobert,
bau und Neu­bau an vielen Plätzen Kretas: 1898 selbständig, 1913 endgültig zu Grie-
Knossos, Phaistos, Hagia Triada u. a.; An- chenland; im 2. Weltkrieg Mai 1941 von
lage großer Städte und Häfen; die „Jün- dt. Fallschirmtruppen erobert und besetzt,
geren Paläste“ breit und kunstvoll geplant; wieder geräumt 1944.
der Palast von Knossos in der Größe des Kreuzzüge, die Züge der abendländ. Chris­
Buckingham-Palastes, die anschließende tenheit (Kreuzfahrer oder -ritter) zur Be-
Stadt mit etwa 80 000 Einwohnern; die freiung der hl. Stätten vom Islam und Ein-
mehrstöckigen, weitläufigen Paläste mit beziehung des Hl. Grabes in das christl.
Abflüssen, Badezimmern, Toiletten, Licht- Herrschaftsgebiet; veranlasst durch das Vor-
und Luftschächten, Senk- und Abfallgru- dringen der seldschuk. Türken (seit 1071;
ben waren zugl. Wirtschaftszentren (Spei- Pilgerfahrten erschwert) und den Hilferuf
cher für Öl, Wein, Getreide, Werkstätten); des von ihnen bedrohten byzantin. Kaisers
im Innern Thronsaal, Hauskapellen (Ver- Alexios Komnenos, getragen von Glaubens­
ehrung der „großen Herrin“, einer Frucht- eifer (cluniazens. Bewegung; ↑ Peter von
barkeits- und Muttergöttin als oberster Amiens) und ritterl. Kampfgeist, gefördert
Gottheit; Kult der Palastgötter; Stierkult, von erstarktem Papsttum (Päpste als ober-
die Doppelaxt als Kultzeichen); lebensähn- ste Kriegsherren); mit der Idee vom „Hl.
liche Figuren-, Blumen-, Tierwandfresken Krieg“ verbanden sich Abenteu­erlust und
und Vasenmalereien, Elfenbeinfigürchen, Anreiz, weltl. Vorteile zu erlangen (Abga­
getriebene Goldschmiedearbeiten; auf dem ben- und Schuldenstundung bzw. -erlass),

531
Kriegsschuldfrage

neben großzügiger Ablassgewährung in der geriet der frz. König Ludwig IX., der Hei-
Stunde des Opfertodes; ein anderer An- lige, nach der Eroberung Damiettes (1249)
trieb ging von Handelsinteressen (bes. Ve- mit seinem Heer 1250 in ägypt. Gefangen-
nedigs) im östlichen Mittelmeer aus. – Der schaft (Freilassung gegen Lösegeld) und
1. K. (1096–1099) normann. und lothring. musste sich mit der Befestigung der christl.
Ritter führte zur Eroberung von Jerusalem Stützpunkte an der Küste (Akkon) begnü-
(1099), das christl. Königreich unter Gott- gen. – Völlig erfolglos war der 7. K. Lud-
fried von Bouillon bzw. Balduin wurde und wigs IX., der vor Tunis einer Seuche erlag
zur Errichtung der christl. Lehensstaaten (1270). – 1291 fiel Akkon in die Hände
Antiochia, Edessa, Tripolis. – Die Rücker- der Mamelucken, die Christen räumten
oberung Edessas durch die Seldschuken ihre letzten Stützpunkte Sidon, Tyrus, Bei-
veranlasste den 2. K. (1147–1149), der rut. – In ihrer eigtl. Zielsetzung erwiesen
bes. von ↑ Bernhard von Clairvaux gepre- sich die K. als Fehlschlag (nicht zuletzt
digt wurde; Niederlage der Heere des dt. infolge der nationalen Eifersucht und Un­
Königs Konrad III. und Ludwigs VII. von einigkeit der Führer dieses abendländ. Ge-
Frankreich schon in Kleinasien (Folge: meinschaftsunternehmens); doch führten
schwerer Prestigeverlust des Papsttums). – sie zur Ausprägung ritterlicher Ideale, die
Der 3. K. (1189–1192) galt der Rückerobe­ insbesondere von den geistlichen Ritteror-
rung Jerusalems, das 1187 in die Hände den (Templer, Johanniter, Deutschherren)
des Sultans Saladin von Ägypten gefallen zur verpflichtenden Tradition für die fol-
war, er endete nach dem Tod Kaiser Fried- genden Jahrhunderte wurden; Gewinn war
rich Barbarossas (ertrunken im Fluss Sa- auch die Erweiterung des abendländ. Welt-
leph 1190) und der Einnahme von Akkon bildes: Aus der Begegnung mit dem Orient
(1191) durch den engl. König Richard Lö- ergaben sich mannigfache kulturelle und
wenherz und den frz. König Philipp II. Au- geistige Anregungen (bes. durch arab. Wis-
gust (die den Seeweg benutzt hatten) mit senschaft, Kunst und Dichtung); das Be-
dreijährigem Waffenstillstand, in dem Sala­ kanntwerden mit den Gütern des Orients
din friedlichen Pilgern den Besuch der hl. (bes. Gewürzen) und die Erweiterung der
Stätten in Jerusalem zugestand. Der 4. K. Handelsbeziehungen führten zum wirt-
(1201–1204), zu dem Papst Innozenz III. schaftl. Aufschwung der großen ital. Han-
aufgerufen hatte, war gegen Ägypten ge- delsstädte (Frühkapitalismus), bes. Vene-
plant, doch wandten sich die frz. Teilneh- digs (das sich zudem das Monopol für die
mer im Interesse Venedigs gegen Byzanz Überfahrt nach dem Hl. Land gesichert
und errichteten dort 1204 das ↑ Lat. Kai- hatte); neben der Belebung des dt. Fern-
sertum, daneben zahlreiche Kleinfürsten- handels verhängnisvoll die Einschleppung
tümer in Griechenland. – In religiöser der Pest und Lepra ins Abendland, die wei-
Schwärmerei erfolgte 1212 der Kinder- tere Entfremdung des enttäuschten Byzanz
K.: Tausende dt. und frz. Kinder (Kna- und der Ostreiche; Zunahme der Christen-
ben und Mädchen) kamen um, teils vor feindlichkeit des Islam. – K. im weiteren
der Einschiffung, teils durch Schiffbruch, Sinne wurden auch gegen heidnische Völ-
viele Kinder von Betrügern in die Sklaverei ker (z. B. die heidn. Preußen), die Mauren
verkauft. – Als Führer des 5. K. (1228/29) in Spanien (↑ Spanien, Rekonquista) oder
wählte Kaiser Friedrich II. den Seeweg und gegen Ketzer in Europa (z. B. Albigenser
gewann durch Unterhandeln mit dem Sul- und Hussiten) unternommen.
tan von Ägypten noch einmal Jerusalem, Kriegsschuldfrage, eines der brennendsten
das 1244 der Christenheit endgültig ver- polit. Themen in der Weimarer Republik;
lorenging. – Auf dem 6. K. (1248–1254) durch Unterschrift unter den ↑ Versailler

532
Krone

Friedensvertrag hatte das Dt. Reich die im Schwarzen Meer und trat die Donau-
dt. Alleinschuld am Ausbruch des 1. Welt- mündung ab. – Im Innern musste Russ-
krieges anerkannt, daraus leiteten die Sie- land das despot. System Nikolaus’ I., eine
germächte das Recht auf Reparationen und der Ursachen der Niederlage, liquidieren
auf wehrpolit. Restriktionen ab; die einsei- (1861 ↑ Bauernbefreiung). – Als europ.
tige Schuldzuweisung wurde bes. wegen Großmacht trat Russland wieder hinter
der wirtsch. Konsequenzen von der dt. Be- Frankreich zurück; da auch Österreich sich
völkerung mehrheitlich als Kriegsschuld- Russland feindlich zeigte, brachte der K.
lüge empfunden; den Nationalsozialisten den endgültigen Zusammenbruch der Po-
lieferte die K. wirkungsvolle Munition litik der ↑ Heiligen Allianz und leitete den
gegen die Weimarer Republik, Hitler zog russisch-österr. Gegensatz auf dem Balkan
1937 die deutsche Unterschrift unter den ein, der später zum 1. Weltkrieg führte.
Versailler Vertrag zurück, ohne im Ausland Kristallnacht, ↑ Reichskristallnacht.
auf ernsthaften Protest zu stoßen. Kritias, athen. Staatsmann, Philosoph und
Krim, in der Antike taur. Chersones, im 6. Dichter, Schüler des Sokrates; 404 v. Chr.
und 5. Jh. v. Chr. von Griechen kolonisiert; Haupt der von Sparta eingesetzten oligar-
seit dem 5. Jh. selbständiges bosporan. chischen Regierung der 30 Tyrannen, fiel
Reich (nach dem kimmerischen Bosporus, 403 v. Chr. bei Munichia gegen Thrasybul.
der Straße von Kertsch, benannt), das von Kroatien, ehem. Teilrepublik Jugoslawiens;
Mithradates VI. von Pontus unterworfen seit 1102 in Personalunion mit Ungarn, der
wurde und seit 47 v. Chr. zum Röm. Reich größte Teil des Landes ging im 16. Jh. an
gehörte; im 3. Jh. n. Chr. gotisch (Reste der die Türken verloren. K. kam 1699 erneut
Goten bis ins späte MA, sog. Krimgoten), zu Ungarn, gehörte 1809–1814 zu den il-
dann unter wechselnder Herrschaft (Hun- lyr. Provinzen Napoleons, nach 1848/49
nen, Chasaren, Byzanz, Waräger, Tataren), wurden K. und Slawonien eigenes österr.
seit 1475 unter türk. Oberhoheit; 1774 Kronland, 1867 aber wieder mit Ungarn
nach dem ↑ russsich-türk. Krieg selbstän- vereinigt; im 1. Weltkrieg schlossen sich
dig; 1783 von Katharina d. Gr. Russland die Kroaten den Kämpfen für einen süd-
einverleibt (letzter Khan „pensioniert“); slaw. Nationalstaat an, 1941–45 existierte
Hauptkriegsschauplatz im ↑ K.krieg. 1946 der Staat K., 1946 wurden K., Slawonien
Bevölkerung (Tataren) deportiert; Sowjet- und Dalmatien zur Volksrepublik K. verei-
republik K. aufgehoben; 1954 Eingliede- nigt und kamen zu ↑ Jugoslawien. 1991 er-
rung in die Ukrain. Sowjetrepublik. klärte K. seine Unabhängigkeit, daraufhin
Krimkrieg, 1853–1856, Kampf Großbri- Intervention der jugoslawischen Armee,
tanniens und Frankreichs (später auch Sar- Bürgerkrieg. 1994 Normalisierungsvertrag
diniens) als Verbündete der Türkei gegen mit Restjugoslawien, Dez. 1995 Friedens-
Russland (Herrschaftsstreben nach dem schluss von Dayton, 1996 zweites Norma­li­
Schwarzen Meer und zu den Meerengen); sierungsabkommen und Aufnahme in den
ausgelöst durch die von Zar Niko­laus I. er- Europarat.
hobene Forderung nach russ. Protektorat Krone (lat. corona), 1) seit dem MA Zei-
über die hl. Stätten in Jerusalem und die chen fürstl. Würde (Vorläufer ↑ Diadem),
dortigen griech.-orthodoxen Christen; K. anfangs ein mit Edelsteinen besetzter Me-
benannt nach dem Hauptkriegsschauplatz, tallreif (↑ Eiserne Krone), dann reich ver-
der strateg. wichtigen Krim; nach einjähri- ziert und durch Bügel nach oben geschlos-
ger verlustreicher Belagerung fiel Sewasto- sen; berühmt die dt. Kaiserkrone aus dem
pol, Russland wich zurück, verzichtete im 11. Jh. (seit 1945 mit den übrigen Reichs-
Pariser Frieden 1856 auf eine Kriegsflotte insignien wieder in Wien verwahrt), die

533
Kronstadt

ungar. Stephans-, die böhm. Wenzels-K. 962–1452 in Rom durch den Papst, des-
u. a. – In der ↑ Heraldik waren Königs-, sen sakramentaler Krönungsakt (bis Inno-
Herzogs-, Grafenkronen mit neun, Frei- zenz III.) erst die volle Kaisergewalt ver-
herrnkronen mit sieben und Adelskronen briefte (dieser päpstliche Anspruch ange-
mit fünf Zacken versehen, Uradelsfamilien fochten vom ↑ Kurverein zu Rhense 1338);
waren mit Blätterkronen ausgezeichnet. der K. vorausgehend Fußkuss beim Papst
– Vielfach wird K. übertragen gebraucht, und Empfang der niederen Priesterweihen.
z. B. „die (frz.) Krone im Kampf gegen Karl V. wurde 1530 als letzter dt. Kaiser
die großen Vasallen“. 2) Goldmünze, in vom Papst in Bologna gekrönt; seit 1558
Deutschland 1857–1871, in Österreich(- (Ferdinand I.) bis 1792 auch die Kaiser-K.
Ungarn) 1892–1924; Währungseinheit in (meist mit der Königs-K. verbunden) in
den skandinav. Ländern seit 1875/1877, Frankfurt/Main. In Preußen war Königs-
in Portugal 1854–1911, in England 1526– berg Krönungsort, in Frankreich Reims, in
1663, seitdem Silbermünze (1 Crown = England London.
5 Shilling). Kropotkin, Peter Alexejewusch, Fürst,
Kronstadt, russischer Kriegshafen am Fin- russ. Anarchokommunist, 1842–1921; ur-
nischen Meerbusen; leistete der Flotte der spr. Offizier, dann Geograf und For­schungs­
Westmächte bei ihrem Angriff auf Peters- reisender, seit 1871 Anhänger ↑ Bakunins,
burg 1854 (↑ Krimkrieg) erfolgreich Wi- in Russland und Frankreich eingekerkert
derstand; 1891 Schauplatz des frz. Flotten- nach seiner Ausweisung (1886) in Lon-
besuches, der nach der Nichtverlängerung don, führender Theoretiker des ↑ Anar-
des russ.-dt. Rückversicherungsvertrages chismus vor dem 1. Weltkrieg; kehrte 1917
die frz.-russ. Militärkonvention (1892) in nach Russland zurück, doch für ein aktives
die Wege leitete; 1904/05 und 1917 Herd Eingreifen in die Revolution zu alt; lehnte
der Russischen Revolution; 1921 erneut die bolschewistische „Diktatur des Proleta­
Matrosenaufstand (Unzufriedenheit mit riats“ ab.
dem Sowjetregime). Krösus (Kroisos), letzter König von Lydien
Krönung, feierl. Zeremonie beim Amtsan- (560–546 v. Chr.); eroberte 560 Ephesos,
tritt eines Herrschers; in Form der Salbung belagerte vergeblich Milet und verbündete
erstmals bei Pippin 754 durchgeführt, seit sich mit verschiedenen Griechenstaaten,
dem 9. Jh. nach oströmischem Vorbild er- 547 v. Chr. in seiner Hauptstadt Sandes
gänzt durch die Aufsetzung der Krone vom pers. Großkönig gefangen genommen,
(Karl d. Gr.); Krönungsort der dt. Könige begnadigt und im Besitz seines sprichwört-
813–1531 der Kaiserdom zu Aachen, seit lich riesigen Privatvermögens belassen.
1562 (Maximilian II.) der „Römer“ zu Krüger, Paulus, gen. „Ohm Krüger“, süd-
Frankfurt/Main; Sitz des Königs der Stuhl afrikan. Staatsmann, 1825–1904; Verteidi-
Karls d. Gr.: nach der Salbung Ausstattung ger der Unabhängigkeit der Buren gegen
mit Schwert, Armspangen, Königsmantel, die Engländer, 1883–1902 Präsident der
Siegelring, Zepter, Reichsapfel, Hl. Lanze Südafrikan. Republik (Transvaal), Gegner
und Krone (↑ Reichsinsignien) durch den der imperialist. Politik Cecil ↑ Rhodes’,
Erzbischof von Köln; Gebet, Sequenzen besuchte 1884 Kaiser Wilhelm und Bis-
und Tedeum, dann Huldigung und feier- marck; bereiste während des Burenkrieges
licher Hofdienst der vornehmsten Fürsten 1900 ohne Erfolg Europa, um Hilfe zu fin-
beim König (Krönungsmahl); nun erst (in den. Gründete 1898 den Krüger-National-
Verbindung mit der Investitur) Anrecht park. – K.depesche, 1896 Telegramm Kai-
auf Ausübung königlicher Handlungen. ser Wilhelms II. an den Burenpräsidenten
– Krönung der deutschen Kaiser 800 und Krügen, den er zur Abwehr des Jameson-

534
Kuba

Einfalls beglückwünschte (urspr. auch Ent- Kuba, sozialist. Republik; 1492 von Ko-
sendung von dt. Marinetruppen und Über- lumbus entdeckt und Juana genannt, seit
nahme des Protektorats über die Burenre- 1511 für Spanien besiedelt und Sklaven-
publiken geplant); die Depesche, wohl von „Einfuhr“. 1544 waren alle Indianer aus-
Staatssekretär Marschall angeregt, vom gerottet; im 18. Jh. erste Zuckerrohrpflan-
Reichskanzler Hohenlohe gebilligt, wurde zungen; 1762 von Briten erobert, 1763 an
in Deutschland begrüßt, verursachte Ver- Spanien zurückgegeben (Tausch gegen das
stimmung in Großbritannien. span. Florida); seit 1773 Zentrale des spa-
Krupp, Großunternehmerfamilie der Stah- nischen Sklavenhandels; 1812, 1844, 1848
lindustrie, Stammsitz Essen; die Werke von Aufstände gegen die spanische Herrschaft,
Friedrich Krupp (1787–1826) 1811 ge- 1868–78 erfolgloser Unabhängigkeitskrieg;
gründet, von Alfred Krupp (1812–1887) 1895 neuer Aufstand, Explosion des US-
auf Grundlage der Tiegelstahlherstellung Schlachtschiffes „Maine“ im Hafen von
zum damals größten Schwerindus­trie­ Havanna führte zum Krieg USA – Spanien
unternehmen der Welt ausgebaut; Eisen­ (1898 Frieden von Paris: Spanien verzich-
bahnräder, 1847 erstes Gussstahl-Kano- tete auf K., Insel offiziell unabhängig, doch
nenrohr (technisches Verfahren von Jacob durften bei Unruhen die USA intervenie-
Meyer); unter Friedrich Alfred K. (1854– ren). Einbeziehung der kuban. Wirtschaft
1902) Erwerb der Kieler Germania-Werft in die Wirtschaft der USA (Zucker-Mono-
und Aufnahme der Panzerplattenproduk- kultur); 1906–1909 und 1917–1919 Ver-
tion; unter K. von Bohlen und Halbach, waltung durch die USA; 1934 Verzicht der
Schwiegersohn von Friedrich Alfred, „Waf- USA auf Einmischungsrecht; Armee-Ober-
fenschmiede des Reiches“ (im 1. Weltkrieg befehlshaber Batista durch Wahl 1940–44
über 100 000 Beschäftigte); nach 1918 und 1952 durch Staatsstreich Diktator
Umstellung auf Friedensproduktion; unter (1954 durch manipulierte Wahl bestä-
Hitler Wiederaufnahme der Rüstungspro- tigt); seit 1956 Rebellion Fidel ↑ Castros;
duktion, seit 1940 Hauptwerk zum großen 1959 Rücktritt und Flucht Batistas, Castro
Teil zerstört; nach dem 2. Weltkrieg weitge- Minis­terpräsident; 1960 Enteignung von
hende „Entflechtung“ (Demontagen, Ent­ USA-Unternehmungen; 1961 Abbruch
eignungen); 1945–51 Alfried K. von Boh- der diplomat. Beziehungen und erfolg-
len und Halbach in Haft; Krupp-Konzern loser Invasionsversuch von Exil-Kubanern,
unter alliierter Kontrolle, Demontagen; K. Castro proklamierte K. als „sozia­listischen
verzichtete auf Rüstungsproduktion (Hüt- Staat“, bekannte sich zum Marxismus-Le-
tenwerke, Hochseeschiffe, Lokomotiven ninismus. Die USA behaupteten den Mari-
u. a.); 1967 konnten Liquiditätsschwie- nestützpunkt Guatanamo. 1962 führte die
rigkeiten nur mithilfe einer Bundesbürg- Installation sowjet. Mittelstreckenraketen
schaft gemeistert werden, Umwandlung auf K. zu Spannungen zw. den USA und der
der Obergesellschaft in eine GmbH. 1974 UdSSR (Kubakrise). Mit Zusammenbruch
übernahm die iran. Regierung eine Sperr- der UdSSR geriet die Wirtschaft K.s durch
minorität von 25,04 % des Aktienkapitals den Subventionsausfall in eine schwere
der Friedrich Krupp Hüttenwerke AG. Krise, Notstandsprogramm mit Kürzung
KSZE, Abk. für ↑ Konferenz über Sicher- der Lebensmittelzuteilungen, Stromsper-
heit und Zusammenarbeit in Europa. ren u. a. Einsparungsmaßnahmen, gleich-
Ktesiphon, antike Stadt am Tigris, Haupt- zeitig vorsichtige Liberalisierung der Wirt-
stadt des ↑ Partherreiches (Arsakiden) und schaft, Ausbau des Tourismus (der Mitte
des Neupers. Reiches (des Reiches der Sas- der 1990er Jahre die Zuckerrohrindustrie
saniden). als bedeutendsten Devisenbringer überflü-

535
Kublai Khan

gelte). 1998 besuchte der Papst Johannes politischen Bewegung des Katholizismus
Paul II. K., im Jahr 2000 wurde das US- seit dem 1. Vatikankonzil von 1869/70 an-
Embargo gelockert. dererseits; von innen- und außenpolit. Er-
Kublai Khan (Hubhai), Mongolenherr- wägungen bestimmt (Polenfrage; Freund-
scher, 1215–1294; Enkel des ↑ Dschingis schaft mit Italien, das sich gleichfalls mit
Khan, seit 1260 Großkhan der Mongolen, der Kurie in Konflikt befand); unterstützt
1280 Kaiser von ↑ China (Begründer der und ermuntert von den liberalen Parteien,
Yüan-Dynastie). versuchten Bismarck und der preuß. Kul-
Ku-Klux-Klan, rassistischer Geheimbund turminister Falk, die Kompetenzen des
im Süden der USA; 1866/67 gegr., suchte Staates gegenüber der kath. Kirche zu er-
anfangs durch Terror die Herrschaft der weitern und den kirchlichen Einfluss bes.
Weißen über die Schwarzen zu erhalten, im Schulwesen zu schwächen; die Rechte
wurde 1869 aufgelöst, 1871 durch Bun- und Ansprüche der Kirche verfocht die
desgesetz unterdrückt; 1915 wieder gegr., katholische Zentrumspartei unter Führung
terrorisierte unter dem Symbol des Flam- Windthorsts, mit ihr sympathisierten die
menkreuzes rass., religiöse und ethn. Min- Konservativen; der Konflikt begann mit der
derheiten; lebte nach 1960 mit rassist. Aufhebung der kath. Abteilung im preuß.
Zielen wieder auf. Ende der 1980er Jahre Kultusministerium 1871, verschärfte sich
15 Organisationen mit ca. 5 000 Mitglie- mit dem ↑ Kanzelparagrafen (1871) und
dern, u. a. „Knights of the Ku Klux Klan“. der Ausweitung aufs Reichsgebiet (1872
In den 1990er Jahren bildeten sich Verbin- Seelsorge- und Niederlassungsverbot für
dungen zu verschiedenen rechsextremen die Jesuiten u. a. in ganz Deutschland);
und neo­faschist. Organisationen. Seit 1995 der K. erreichte seinen Höhepunkt 1873
bekämpft der Ku-Klux-Klan schwarze Kir- in den ↑ Maigesetzen; 1874/75 wurde die
chengemeinden durch Brandanschläge auf Zivilehe eingeführt; 1875 alle Orden und
deren Kirchen. ordensähnlichen Genossenschaften auf-
Kulak, sowjet. Bez. für einen Mittel- und gehoben außer den krankenpflegerischen
Großbauern, der nicht mehr in die Dorf- (diese unter Staatsaufsicht); am geschlosse­
gemeinschaft integriert war und familien­ nen passiven Widerstand von Geistlichkeit
fremde Arbeitskräfte beschäftigte; seit und katholischer Bevölkerung erlahm­te der
1928 systematisch liquidiert (Vermögens- Vorstoß des Staates; nach dem Tode Papst
verlust, Deportation). Pius’ IX. und dem Amtsantritt Leos XIII.
Kulmer Handfeste, von Hermann von 1878 kam eine Annäherung zustande, bis
Salza, dem Hochmeister des ↑ Dt. Ordens, 1887 wurden die meisten Kampfgesetze
1233 für Kulm und Thorn erlassene Städ- rückgängig gemacht (Jesuitengesetz 1917
teordnung, die zum Vorbild für weitere aufgehoben); die obligator. Zivilehe und
Städtegründungen im Ordensland wurde; die staatl. Schulaufsicht blieben bestehen.
die K. H. beruht auf dem ↑ Magdeburger – Die Vergiftung der polit. Atmosphäre
Stadtrecht. durch den Weltanschauungskampf und das
Kulturkampf, Kampf zw. Staat und Kir- Misstrauen des kath. Bevölkerungsteils ge-
che, nach einem erstmals von dem radi- gen die preußisch-protestant.Reichsspitze
kalliberal gesinnten Arzt ↑ Virchow ge- wirkten lange fort. – Zu einem Kultur-
brauchten Ausdruck für den Konflikt des kampf kam es auch in Baden und Hessen
preuß. Staates mit der kath. Kirche seit (ebenfalls in den 1970er/80er Jahren); auch
1872, erwachsen aus dem Gegensatz der in Italien, Frankreich (um die Jahrhundert-
durch das Kaisertum erstarkten preußisch- wende), Mexiko (1920er Jahre), im Drit-
protestant. Staatsgewalt einerseits und der ten Reich, im bolschewist. Russland.

536
Kurden

Kulturrevolution, Bestandteil und Zielset- sätze“ Sun Yat-sens: „Nationales Eigenle-


zung kommunist. Kulturpolitik, in der die ben, Demokratie, Existenzsicherung für
Kultur nicht nur in künstler. und ästhet. jedermann“; 1923 von dem Sowjetrussen
Tätigkeit besteht, sondern die gesamte Le- Borodin reorganisiert, nach Sun Yat-sens
bensweise umfasst; in diesem Sinne zielte Tod unter Führung ↑ Tschiang Kai-scheks,
die K. auf die Herausbildung eines neuen, der mit dem kommunist. Flügel der Par-
sozialist. Menschen. 1965 versuchte Mao tei brach und sie allmählich zum Kampf-
Tse-tung mit der Großen Proletar. K. instrument gegen den Kommunismus und
(1969 beendet) in der Volksrepublik China zur Grundlage seines eigenen Regierungs-
die verkrustete Partei- und Staatsbürokra- systems (Einparteienherrschaft als „Vor-
tie aufzubrechen; die K. schuf aber durch mundschaftsperiode“) machte, das nach
blinden, linksradikalen Aktionismus (Ter- dem 2. Weltkrieg zusammenbrach und sich
ror der „Roten Garden“) bürgerkriegsähnl. nur noch auf ↑ Taiwan hielt (↑ China).
Zustände, denen eine große Anzahl Men- Kurden, Volk ohne eigenen Staat, aber mit
schen zum Opfer fiel. eigener Sprache und Kultur, in W-Asien;
Kumran, ↑ Qumran. K. (insges. 15–20 Mio.) leben in der Türkei
Kun, Bela, ungarischer Politiker, 1886– (ca. 50 %), im Iran (ca. 25 %), im Irak (ca.
1939(?); organisierte die ungar. KP und 20 %), in Syrien (3–4 %), in der UdSSR
proklamierte 1919 die ungar. Räterepu- (12 %) als Ackerbauern und Halbnoma-
blik, in deren Regierung er das Volkskom- den. Dez. 1945–Dez. 1946 existierte unter
missariat des Äußeren innehatte; floh nach sowjet. Besatzung auf iran. Territorium der
deren Zusammenbruch nach Österreich, K.-Staat „Volksrepublik von Mahabad“;
dann in die UdSSR, dort 1937 verhaftet. 1961–70 behaupteten die K. im Irak eine
Kunaxa, Dorf in Mesopotamien (nördl. gewisse Autonomie (geschützt durch eigene
von Babylon), wo 401 v. Chr. der pers. Truppen). 1974 legte die irak. Regierung
Prinz Kyros (der Jüngere) im Aufstand einen Autonomiestatus vor, den die K. ab-
gegen seinen Bruder Artaxerxes II. Mne- lehnten, der aber dennoch von irak. Seite
mon fiel; seine siegreichen griech. Söld- verkündet wurde; die Folge waren krieger.
ner schlugen sich zum Schwarzen Meer Auseinandersetzungen und Tausende kurd.
durch, der Führer ihre Nachhut, ↑ Xeno- Flüchtlinge. Nach iran.-irak. Grenzabkom-
phon, schilderte diesen Rückmarsch in der men im Gebiet des Schah Al Arab stellte
↑ Anabasis. die irak. Regierung den K. im Irak ein Ulti­
Kunersdorf bei Frankfurt/Oder, 1769 matum (bis 1. April 1975): Aufgabe des
größ­te Niederlage Friedrichs d. Gr. im ↑ 7- Widerstandes oder Auswande­rung in den
jäh­rigen Krieg durch die verbündeten Ös- Iran; die Mehrheit der K. entschied sich für
terreicher und Russen unter Laudon und die Aufgabe des Widerstan­des, eine Min-
Soltikow; die Sieger konnten sich über die derheit setzte in einer bewaffneten kurd.
Nutzung des Erfolges nicht einig werden. Separatistenbewegung den Kampf um Au-
Kunigunde, hl., dt. Kaiserin, gest. 1033; tonomie fort, der jetzt auch auf Syrien, Iran
Tochter des Grafen Siegfried von Luxem- und die Türkei übergriff. Die irak. Armee
burg, 998 mit Kaiser Heinrich II. vermählt, ging seit 1988 mit allen militär. Mitteln ge-
mit ihm im Bamberger Dom begraben. gen K. im Norden des Landes vor (u. a. mit
Kuomintang („Nationale Volkspartei“), chem. Waffen) und betrieb die Zwangsum-
jungchin. Partei als geheime Bewegung siedlung von 250 000 K. in Internierungs-
1905 von ↑ Sun Yat-sen gegr., Trägerin der zentren. Nach dem 1. ↑ Golfkrieg Errich-
Revolution 1911, bes. stark in S-China; im tung einer UN-Schutzzone im N-Irak, Tei-
Programm festgelegt auf die „Drei Grund- lautonomie. Auch in der Türkei Auseinan-

537
Kurfürsten

dersetzungen zw. staatl. Sicherheitstruppen diese Zusammensetzung des K.kollegiums


und der militanten kurdischen Unabhän- z. T. von Zufall bestimmt und umstritten
gigkeitsbewegung PKK, die für einen un- (z. B. Kurwürde des Böhmenkönigs nicht
abhängigen kurdischen Staat im Südosten in Übereinstimmung mit dem „Sachsen­
der Türkei eintritt. Als Folge dieser seit spiegel“), dennoch in der Folge von Dauer;
1993 verschärften Kämpfe anhaltende Mi- bedeutsam für die Reichspolitik: Wahlmo-
gration türk. K. Nach Aufruf ihres 1999 nopol in den Händen weniger Fürsten und
verhafteten Führers Öcalan, Auflösung der dessen Ausnutzung oft im Interesse eigener
PKK-Kampfverbände und Umwandlung (Hausmacht-)Politik sowie die Verhinde-
in eine politische Partei, 2004 Aufhebung rung eines starken Königtums, Zwang zu
des Waffenstillstandes. Zugeständnissen des Thronanwärters in
Kurfürsten, im Hl. Röm. Reich die Fürsten, den „Wahlkapitulationen“, Bestechlichkeit
die das Recht hatten, den König zu ­„küren“ (die Wahl wurde für Anwärter vielfach zur
(wählen), und auf die Reichspolitik maß- Geldfrage, z. B. für Karl V., der sich gegen
geblichen Einfluss ausübten; ihre Sonder- Franz I. von Frankreich nur mit Hilfe ei-
stellung beruhte nicht auf formeller Ein- ner 800 000 Gulden-Anleihe der ↑ Fugger
setzung durch einen einmaligen Rechts- durchsetzen konnte). In Reichsangelegen-
vorgang, sondern entwickelte sich gewohn- heiten bildeten die K. vielfach eine Neben-
heitsrechtlich und etappenweise; abschlie- regierung, in Zeiten des ↑ Interregnums
ßend jeweils reichsgesetzlich verankert; waren sie praktisch Träger der Reichsge-
Ansatzpunkt war das zähe Festhalten der walt. Nach der Wahl Rudolfs von Habs-
Fürsten am freien Wahlrecht (so 1077 an- burg (1273) erster Vorstoß zur Anerken-
lässlich der Wahl Rudolfs von Schwaben nung als Regierungsorgan neben der Kö-
zum Gegenkönig ohne Rücksicht auf das nigsgewalt in den „Willebriefen“ von 1279
Geblütsrecht) im Gegensatz zur Entwick- (Zustimmung in Reichsangelegenheiten
lung in Frankreich und England; es kam bes. hinsichtlich des Reichsguts); seit Adolf
zum Sieg des Wahlrechts über das von ei- von Nassau (1292) auch Anspruch auf Be-
nigen Königen angestrebte Erbrecht 1125 aufsichtigung und Absetzung des Königs.
(Lothar von Supplinburg) und 1138 (Kon- Die Überspannung des päpstlichen Ent-
rad III.), endgültig 1246/47 (Heinrich scheidungs- und Bestätigungsrechts durch
Raspe, Wilhelm von Holland); beim glei- Bonifaz VIII. und Johannes XXII. führte
chen Anlass erstmals Auftreten einer zah- 1338 zur Aberkennung jeglichen päpst-
lenmäßig beschränkten Wählergruppe aus lichen Einflusses auf die Wahl durch den
vorwiegend geistlichen Fürsten unter dem ↑ Kurverein zu Rhense; endgültig bestä-
Einfluss des Papsttums (bes. Innozenz’ III. tigt und durch weitgehende Privilegien ge-
und Innozenz’ IV.), das im Kampf mit stärkt wurde die Sonderstellung der K., die
den Staufern die „zur Wahl berechtigten“ sich außer in Kurvereinen auch auf dem
dt. Fürsten zur Aufstellung von Gegenkö- Reichstag als eigene Körperschaft (K.bank)
nigen veranlasste. Schon 1257 (Doppel- konstituierten, 1356 durch die ↑ Goldene
wahl Richards von Cornwall und Alfons’ Bulle Karls IV.; die darin festgesetzte Rege-
von Kastilien) trat unter Ausschluss der lung blieb weiter in Kraft, obwohl der (zu-
übrigen Fürsten das eigtl. siebenköpfige nehmend bedeutungslosere) mit dem Kö-
K.kollegium in Erscheinung, bestehend aus nigstitel verbundene Kaisertitel praktisch
den Inhabern der ↑ Erzämter (Pfalzgraf bei im Hause Habsburg erbl. geworden war;
Rhein, Herzog von Sachsen, Markgraf von nur unwesentl. geändert durch die Übertra-
Brandenburg, König von Böhmen und die gung der Pfälzer Kur auf Bayern 1623 und
Erzbischöfe von Mainz, Köln und Trier); die (erneute) Belehnung der Pfalz mit einer

538
Kynoskephalai

8. (1648) und Hannovers mit einer 9. Kur- Kurpfalz, ↑ Pfalz.


würde (1692). Die 1803 mit dem ↑ Reichs- Kursachsen, ↑ Sachsen.
deputationshauptschluss geschaffene Neu- Kurvereine, im alten Dt. Reich Vereini-
ordnung (Ausscheiden von Köln und Trier, gungen der ↑ Kurfürsten zur Wahrung ge-
Übertragung der Mainzer Kurstimme auf meinsamer Belange; besonders wichtig der
Regensburg, Verleihung neuer Kurwür- K. zu Rhense (nahe Koblenz), 1338, der
den an Baden, Hessen-Kassel, Württem- Partei nahm für Kaiser Ludwig den Bayern
berg und Salzburg) blieb ohne Wirkung gegen Papst Johann XXII. (in Avignon), er-
infolge der Gründung des ↑ Rheinbundes klärte, dass ein von den Kurfürsten (oder
und der Niederlegung der dt. Kaiserkrone ihrer Mehrheit) gewählter König nicht der
durch Franz II. (1806), der Kurtitel verlor päpstlichen Bestätigung bedürfe, und be-
seine Bedeutung, der Kurfürst von Hessen ließ dem Papst nur das Recht der Übertra-
führte ihn noch bis 1866. gung des Kaisertitels und die Durchfüh-
Kurhessen, ↑ Hessen. rung der Kaiserkrönung.
Kurie (lat. curia), 1) in Alt-Rom kleinste Kütschük Kainardschi, Friede von, setzte
Abstimmungseinheit der Volksversamm- dem ↑ Russisch-Türkischen Krieg 1768–
lung, Geschlechterverband aus zehn gentes 1774 ein Ende.
(Familien), je 10 K.n bildeten eine der drei Kuwait, arab. Emirat am Pers. Golf, unter
tribus (Gemeinde); K. auch das Versamm- brit. Protektorat seit 1901; Erschließung
lungslokal, besonders des Senats. 2) Im von Erdölquellen, deren Reichtum 1961
MA (seit dem 11. Jh.) der päpstl. Hof, den Irak zu Protektoratsansprüchen ver-
schließlich die Gesamtheit der päpstlichen anlasste; Eingreifen Großbritanniens bei-
Regierungs-, Verwaltungs- und Gerichtsor- gelegt durch Schutzzusage der Arab. Liga.
gane mit dem Sitz (seit 1376) im ↑ Vati- 1967 und 1973 Grenzstreitigkeiten mit
kan; Aufgaben der Kongregationen: Schutz dem Irak. Aug. 1990 Besetzung durch irak.
der Glauben- und Sittenlehre, Besetzung Truppen, Einsetzung einer Marionetten­
der Bistümer, Verbindung zu den mit Rom regierung.
vereinigten, orientalischen Kirchen, Glau- Kyaxares, König der Meder (625–585
bensverbreitung, Missionsarbeit, Ordnung v. Chr.); Begründer der medischen Groß­
der Liturgie, Ordensfragen, kirchliche Stu- machtstellung, vertrieb die Skythen und
dien. ver­nichtete im Bund mit Babylonien das
Kurland, histor. Landschaft in Lettland; im assyrische Reich, unterwarf u. a. Armenien,
frühen MA Siedlungsgebiet der Kuren, im lieferte dem Lyderkönig Alyattes 585 v. Chr.
13. Jh. vom Dt. Orden erobert und chris- die unentschiedene Schlacht am Halys (der
tianisiert, kam 1795 an Russland; bis 1915 zum Grenzfluss wurde).
eines der Ostsee-Gouvernements, seither Kykladenkultur, prähistorische Kultur der
zu Lettland. Kykladen; Blüte in der frühen Bronzezeit
Kurlande, Erblande eines Kurfürsten, die (3. Jt. v. Chr.); ihre Erzeugnisse (besonders
mit der Kurwürde verbunden waren und die kunstvollen Arbeiten aus Kykladen-
für die durch die ↑ Goldene Bulle von Marmor) fanden durch Seehandel wei­te
1356 die Unteilbarkeit und Primogenitur Verbreitung.
(Erstgeburtsrecht) festgelegt wurden. Kynoskephalai, Bergzug in Thessalien, auf
Kurmark, Hauptteil der ehemaligen Mark dem 364 v. Chr. Pelopidas im Kampf ge-
Brandenburg (ohne Gebiete der Neumark gen den Tyrannen Alexander von Pherä fiel
östl. der Oder); die Bez. geht zurück auf und im Jahr 197 v. Chr. Philipp V. von Ma-
die Verleihung der Kurwürde an den Mark- kedonien dem römischen Konsul T. Flami-
grafen von Brandenburg. nius erlag.

539
Kyrene

Kyrene, antike Hauptstadt der nordafrika- Kyros (Cyrus; pers. Kurusch), pers. Herr-
nischen Kyrenaika, um 630 v. Chr. von Do- scher aus dem Geschlecht der Achäme-
rern aus Thera als Kolonie gegr.; blühende niden: 1) K. II., der Große (der Ältere),
Handelsstadt (Waren aus Innerafrika); Sitz Begründer des pers. Großreiches (559–
einer von Aristippos begründeten Philoso- 529 v. Chr.); befreite Persien von der Ober-
phenschule, Heimat auch von Kalkmachos herrschaft des Mederkönigs Astyages und
und Eratosthenes. eroberte 550 dessen Hauptstadt Ekbatana,
Kyrillische Schrift, die von Bulgaren, Rus­ unterwarf 547 die Lyder unter ↑ Krösos
sen und Serben gebrauchte slaw. Schrift und weitere kleinasiatische Gebiete, darun-
(Kyrilliza); die Überlieferung, dass sie von ter die Griechenstädte an der W-Küste, ver-
den Aposteln Kyrillos und Methodios im nichtete 539 das Chaldäerreich und entließ
9. Jh. n. Chr. aus der griech. Buchstaben- nach der Eroberung Babylons die ↑ Juden
schrift entwickelt worden sei, trifft nicht zu; in die Heimat; ihnen wie den anderen un-
sie entstand erst im 10. Jh. in Bulgarien als terworfenen Völkern wurde Religionsfrei-
Kirchenschrift für altbulgarische Sprach- heit gewährt; K. fiel im Kampf gegen die
denkmäler; in Russland 1918 vereinfacht. Massageten der ostiran. Steppe; von seinen
Kyrillos (Kiril, eigtl. Konstantin), Apostel Taten kündete sein monumentales Grab-
der Slawen, 827–869; predigte mit seinem mal in der Residenz Pasargadä; seine Herr-
Bruder Methodios 863–867 das Christen­ schertugenden verherrlichte Xenophon im
tum in Mähren, übersetzte die heiligen Bü­ Erziehungsroman „Kyropädie“. 2) K. der
cher ins Slawische und entwickelte aus dem Jüngere, Sohn des Darius II., Statthalter
Griechischen eine eigene Kirchenschrift Kleinasiens, empörte sich gegen seinen äl-
(Glagoliza), die im 10. Jh. durch die ↑ Ky- teren Bruder Artaxerxes II. Mnemon und
rillische Schrift (Kyrilliza) ersetzt wurde. fiel 401 v. Chr. bei ↑ Kunaxa.

540
Labour Party

Labour Party, die Arbeiter- Lachaise, François de, frz. Jesuit, 1624–

L partei Englands; Anfänge in


den 1890er Jahren, Parla-
mentsfraktion erst 1906; Pro-
gramm maßgeblich von der Gesellschaft
1709; 1675 Beichtvater Ludwig XIV.,
nutzte seinen Einfluss zur Bekämpfung
der ↑ Jansenisten und ↑ Hugenotten; aus
seinem Landgut bei Paris (Geschenk des
der ↑ Fabier geprägt; enge Zusammenar- König) wurde später der Friedhof Pere-
beit mit der starken Gewerkschaftsbewe- Lachaise.
gung; die Gewerkschaften (Trade Unions) Lacretelle, Dominique de (d. J.), frz. Jour-
gehörten geschlossen der Partei an; eigener nalist und Historiker, 1766–1855; redi-
Weg außerhalb der marxist. Internationale gierte mit ↑ Ducos das „Journal des de-
(evolutionäre statt revolutionäre Lösung bats“, leitete 1795 den Royalistenaufstand,
der Arbeiterfrage). Zw. den beiden Welt- stellte sich dann in den Dienst Napoleons.
kriegen verdrängte die L. die Liberalen als Lactantius, Lucius Cälius Firmianus, Kir-
parlamentar. Gegner der Konservativen chenschriftsteller, Zeitgenosse Konstantins
im brit. Zweiparteiensystem und wurde d. Gr. aus Afrika, Lehrer der Beredsamkeit
1924 erstmals Regierungspartei. Nach („Cicero christianus“), gest. nach 317.
dem 2. Weltkrieg fast 5 Mio. Mitglieder, Lacy, Franz Moritz Graf von, österr. Feld-
12 Mio. Wähler. Seit 1945 Programm soz. marschall, 1725–1801; Sohn des russischen
Reformen (Verstaatlichung der wichtigsten Feldherrn Peter Graf von L., im 7-jährigen
Industrien, staatl. Gesundheitsdienst). Die Krieg Generalquartiermeister Dauns; er-
L. stellte mehrere Regierungen nach 1945; folgreicher, vorsichtiger Stratege (Planung
zwischen 1979 und 1997 in der Oppo- des Überfalls von Hochkirch), wie Daun
sition, kam 1997 mit Tony Blair als Pre- Rivale des Draufgängers Laudon; später
mierminister wieder an die Macht („New als Präsident des Hofkriegsrates um die Re­
Labour“); Blair wurde 2001 und 2005 im organisation der Armee bemüht.
Amt bestätigt. Ladislaus, Könige von Ungarn: 1) I., der
Labrador, Halbinsel im Norden Kanadas, Heilige (1077–1095); vollendete die Chris-
um 1000 von den Normannen angesegelt; tianisierung Ungarns, unterwarf die Kroa-
1497 von John Cabot neu entdeckt, 1610– ten. 2) L. IV. (1272–1290); geb. 1262, mit
1611 von ↑ Hudson erforscht. Rudolf von Habsburg gegen Ottokar von
Labyrinth, Bauwerke mit vielen verschlun­ Böhmen verbündet. 3) L. V., Posthumus
genen Gängen, in denen Unkundigen sich (1440–1457); Sohn Kaiser Albrechts II.,
verirrten. Den in die­ser Art angelegten erst nach dessen plötzlichem Tod (1439)
Felsenpalast des ­ Königs Minus auf Kreta geboren (daher „Posthumus“ gen.), 1453
(Sage von Minotaurus, Theseus, Ariadne) auch König von Böhmen.
schmückte das dem Donnergott heilige Lafayette, Marie Joseph de Mutier, Mar-
Zeichen der Doppelaxt „Labrys“, die dem quis de, frz. General, Patriot und Revo-
Bau den Namen gab; ihn übertrugen die lutionär, 1757–1834; kämpfte freiwillig
griech. Reisenden auch auf den ägypt. Fel- unter Washington für die nordamerik.
senpalast am Nordostrand des Möris-Sees Unabhängigkeit, setzte sich für Menschen-
(vermutlich unter König Amenemhet III. rechte, Demokratie, Verfassung ein; 1789
(um 1825 v. Chr.↑ erbaut); eine andere Er- populärster Mann Frankreichs, Komman-
klärung leitet den Namen von dem ägypt. dant der Nationalgarde, floh 1792 vor den
L. ab, das in der Landessprache „Lopcru- Jakobinern, wurde von den Österreichern
hupt“ (Palast am See-Eingang) hieß; eine eingekerkert (bis 1797), stellte sich 1815
dritte Deutung führt das Wort L. auf La- den Bourbonen, 1830 Louis Philippe zur
mares (griech. = Amenemhet) zurück. Verfügung.

541
Lagarde

Lagarde, Paul de (eigentlich Bötticher), L. operativ wie taktisch seine alte Bedeu-
dt. Orientalist, 1827–1891; Textkritik des tung, sowohl im Bewegungskrieg, in dem
A. T.; bekämpfte als kulturpolitischer Publi­ die Truppe nur noch biwakierte, wie im
zist Liberalismus, Materialismus und jü- Stellungskrieg mit seinen durchlaufenden
dischen Einfluss im Bismarckreich; für eine Frontlinien; auch ließ die Entwicklung der
nationale Religion. Artillerie, dann der Luftwaffe solche Trup-
Lagasch, ↑ Sumerer. penballungen nicht mehr zu; Ausnahme
Lager, kriegsmäßige Truppenunterkunft, das weiträumige Übungslager im Frieden
bes. bei den Römern wichtiger Bestand- oder in der Etappe.
teil der Kriegskunst; sie errichteten auf Laharpe, Frederic Cesar, Schweizer Politi-
Märschen „castra aestiva“ (Sommer-L.) als ker, 1754–1838; Vertreter der Aufklärung,
Operationsstützpunkte und während län- Erzieher und Berater des Zaren Alexand-
gerer Feldzüge oder an gefährdeten Grenz- er I., Mitbegründer der ↑ Helvetischen Re-
punkten „castra hiberna“ (Winter-L.); das publik von 1798, wurde gestürzt und ging
röm. L. war quadratisch angelegt, von Wall nach Frankreich ins Exil.
und Graben umgeben und hatte auf jeder La Hogue, Reede von L. H. vor Cher-
Seite ein Tor; das Haupttor „porta prae- bourg, 1692 Seesieg der Engländer über
toria“, führte zum Feldherrnzelt, gegen­ die Franzosen; seitdem Frankreich als See-
über war die „porta decumana“, rechts die macht hinter England.
„porta dextra“, links die „porta sinistra“; Laienspiegel, populäres Rechtsbuch in dt.
das Sommer-L. bestand aus Zelten oder Sprache, von Ulrich Tengler verfasst und
Laubhütten, das Winter-L. aus Baracken erstmals 1509 gedruckt, vermittelte die
oder Steingebäuden. – Die L.baukunst Kenntnis röm. wie dt. Rechtsquellen.
wandernder Barbarenvölker (Germanen, Laissez faire, laissez aller (frz., Lasst es lau-
Hunnen usw.) beschränkte sich auf die An- fen, lasst es gehen!), Forderung der ↑ Phy-
lage von Wagenburgen; auch die Hussiten, siokraten, Prinzip des Wirtschaftsliberalis-
die aufständ. Bauern von 1525 und noch mus (↑ Manchestertum): Das freie Spiel
die Baren verschanzten sich hinter neben- der Kräfte, das von sich aus zu wirtschaftl.
einander gestellten Wagen. Die Lands- Harmonie führte, sollte nicht durch Staats-
knechte errichteten aus Zelten Gassen-L., eingriffe gestört werden (↑ Liberalismus).
mit Appellplätzen; aufgestellt nach Trup- Laizismus, Bez. für Bestrebungen bes. im
pengattungen, je nach militär. Lage befe- Frankreich des l9. Jh., durch die Trennung
stigt und geschützt (Schanzen). – Im 17. von Staat und Kirche die Geistlichkeit aus
und 18. Jh. wurde die Unterbringung der dem öffentlichen Leben fernzuhalten.
kostspieligen stehenden Heere in möglichst Lakedämon oder Lakonien, Landschaft im
unangreifbaren L.n um so wichtiger, als die südöstl. Peloponnes, nach der dor. Wande-
Entscheidung unter Vermeidung mehrerer rung von den Spartanern unterworfen und
verlustreicher offener Feldschlachten durch besetzt. Lakedämonier hießen urspr. die
Manövrieren und Abwarten in einem zeit- griech. vordorischen Bewohner der Rand­
lich und örtlich günstigen Angriff gesucht gebiete L.s (die späteren Periöken), dann
wurde; klass. Beispiel für ein unvorsichtig aber auch die Spartiaten selbst („lako­nisch“,
bezogenes Feld-L. lieferte Friedrich d. Gr. wortkarg wie die L.), nicht aber die nicht-
bei Hochkirch (1758); hingegen bewahrte griech. Ureinwohner (spätere Heloten).
er seine geschwächte Armee im „Hungerla- Lälius, römische Feldherren und Staatsmän­
ger“ von Bunzelwitz vor der Vernichtung ner: 1) L., Gajus, Freund des älteren Sci-
durch den überlegenen Gegner. Für die pio, an dessen Feldzügen gegen Karthago
Massenheere des 19. und 20. Jh. verlor das führend beteiligt, 190 v. Chr. zugleich mit

542
Landau

Scipio Konsul. 2) L., Gajus, genannt Sa­ Lambert, 1) L. von Avignon, Franz, Refor-
piens (der Weise), Sohn von 1), Freund des mator Hessens, 1486–1530; urspr. Franzis-
Scipio Ämilianus, half Karthago erobern, kanermönch in Avignon, seit 1527 an der
140 v. Chr. Konsul; befreundet mit dem Universität Marburg; seine demokrat. Kir-
Komödiendichter Terenz. chenverfassung (1527) wurde von Luther
Lamaismus (tibet., Lama =der Obere), verworfen und daher vom Landgraf Phi-
Sonderform des im 7. Jh. n. Chr. nach Ti- lipp nicht angenommen. 2) L. von Hers-
bet eingeführten ↑ Buddhismus, gekenn- feld, ↑ Lamprecht.
zeichnet durch Zutaten aus dem alttibe- Lamettrie, Julien Offray de, frz. Philosoph,
tan. Ritual (Gebetsmühlen) und strenge 1709–1751; zog als Arzt die äußersten
Hierarchie; entscheidende Ausprägung im Konsequenzen aus der Philosophie der
15. Jh. durch Tsong-kha-pa, mannigfaltige Aufklärung: Materialismus und Atheismus
Kult- und asket. Lebensformen; zahlreiche (der Mensch als Maschine); seine Schriften
Klöster (bis zu 4 000 Mönche); religiöses wurden verbrannt, er selbst verfolgt; Fried-
Ziel: verbesserte Wiedergeburt oder Nir- rich d. Gr. gewährte ihm Asyl und machte
wana, die Lamas gelten als Wiederverkör- ihn zu seinem Vorlesen
perung göttlicher Wesen. Neben dem Da- Lamischer Krieg (Hellenischer Krieg), die
lai-Lama in Lhasa, der zugleich weltliches Erhebung der verbündeten griech. Staaten
Oberhaupt von Tibet ist, steht gleichran- gegen die makedon. Herrschaft nach dem
gig der Pantschen-rinpo-tscha oder Taschi- Tod Alexanders 323 v. Chr.; nach Anfangs-
Lama in Taschi-tun-po als vornehmlich re- erfolgen (Sieg bei Lamia) wurden die durch
ligiöses Oberhaupt; der L., von Rotchina inneren Hader geschwächten Griechen
bekämpft, ist auch in der Nordmongolei von Antipatros wieder unterworfen (ent-
und in Nordchina verbreitet. scheidend die Niederlage der athen. Flotte
Lamarck, Jean Baptiste de, frz. Naturfor- bei Amorgos 322; Schlacht bei Krannon
scher, 1744–1829; Begründer einer Ent- 322 v. Chr.), zuletzt fiel Athen, das Haupt
wicklungslehre für die Tierwelt; L.s Haupt- der Erhebung.
these besagte, dass die Höherentwicklung Lamprecht von Hersfeld, Chronist und
durch den Vervollkommnungstrieb und Geschichtsschreiber, starb um 1080 im
durch den Gebrauch der Organe (Stufen- Kloster Hersfeld; im ↑ Investiturstreit Par-
leiter der Tiere) erfolgtte. teigänger des Papsttums, verfasste in glän-
La Marmors, Alfonso Marchese di, ital. zendem Stil subjektiv gefärbte, doch als
General und Politiker, 1804–1878; schloss Quelle wertvolle „Annales“ (von der Er-
als Außenminister von Piemont-Sardinien schaffung der Welt bis 1077).
1866 das Bündnis mit Preußen gegen Ös- Lancaster, 1) auch Lancashire, engl. Graf-
terreich, trat nach der Niederlage von Cu- schaft an der Irischen See. 2) Herzogs-Ti-
stoza als Chef des Stabes zurück. tel, von Eduard III. seinem Sohn John von
Lamartine, Alphonse de, frz. Dichter und Gaunt (geb. in Gent) verliehen, seither
Diplomat, 1790–1869; Hauptvertreter der Titel einer Nebenlinie des Hauses ↑ An-
romantischen Lyrik, 1848 Außenminister jou-Plantagenet; das Haus L. stellte 1399–
der Provisorischen Regierung, als Schöpfer 1461 die engl. Könige (Heinrich IV., V.,
der 2. Republik gefeiert. VI.) und wurde in den ↑ Rosenkriegen fast
Lambert, John, engl. General des Bürger- völlig ausgerottet.
krieges unter Cromwell, 1619–1683; ar- Landau in der Pfalz, 1268 erstmals ur-
beitete 1654 die Protektoratsverfassung kundlich genannt, seit 1274 Reichsstadt,
aus, als Gegner der Restauration zum Tode 1521 zur (habsburgischen) Landvogtei des
verurteilt, begnadigt. Unterelsass, mit dieser 1648 der frz. Krone

543
Landesherrschaft

unterstellt, 1678 von Ludwig XIV. besetzt, dem Mittelpunkt der Erde (17. Jh. v. Chr.);
1688 von Vauban befestigt, 1815 an Ös- der Grieche ↑ Anaximander (6. Jh. v. Chr.)
terreich, 1816 zu Bayern; bis 1867 Festung stellte die Erde auf einer Erztafel dar. Die
des Dt. Bundes. wiss. Kartografie begann um 200 v. Chr.
Landesherrschaft, im MA die höchste mit ↑ Eratosthenes, der in Ägypten die
Gewalt nach der des Kaisers; entstand aus erste Gradmessung durchführte; Weltkarte
öffentl. und privaten Rechten der Landes- mit Einteilung in Vierecke. Älteste Atlas­
herren und wurde 1220 und 1231/32 in sammlung um 125 n. Chr. durch Ptole-
den Fürstenprivilegien Kaiser Friedrichs II. mäus, Gradnetz mit geograf. Breiten und
vom Reich anerkannt, die Goldene Bulle Längen; ohne Projektion dagegen die Stra-
1356 steigerte noch die L. der Kurfürsten; ßenkarten der Römer, angefertigt zu mili-
die L. bestimmte die dt. staatliche Ent- tär. Zwecken aufgrund von Streckenmes-
wicklung bis ins 17./18. Jh. sungen, in O-W-Richtung verzerrt (u. a.
Landfriede, im dt. MA der öffentl. Friede die nicht erhalten gebliebene Weltkarte des
(Pax terrae) anstelle der unaufhörl. Fehden Agrippa 12 v. Chr.); späte Kopie einer röm.
und der allg. Rechtsunsicherheit (Raubrit- Routenkarte von etwa 370 n. Chr., die sog.
terwesen u. a.), zugleich eine Rechtsinstitu­ Peutingersche Tafel aus dem 13. Jh. (von
tion (Constitutio pacis) zur Schaffung und Markus Welser veröffentlicht 1520); ähn-
zum Schutz dieses Zustandes; wie der Vor- lich auch die Mönchskarten des MA (Rad-
läufer, der so genannte ↑ Gottesfrieden, karten, Erde als Scheibe, vom Weltstrom
blieben zeitlich oder räumlich begrenzt umflossen, Osten mit Paradies oben, Je-
die Reichsfriedenskonstitutionen mehre- rusalem in der Mitte); unabhängig davon
rer Kaiser, landesherrliche Friedensord- die Seekarten (besser: Segelhandbücher)
nungen oder Landfriedensbündnisse von der Italiener und Katalanen (seit 1300,
Fürsten und Städten untereinander; erst Portulan- oder Rumbenkarten), verfertigt
unter Maximilian I. wurde auf dem Reichs- mithilfe des Kompasses und für das Segeln
tag von Worms 1495 mit Zustimmung al- mit dem Kompass; noch die Weltkarte des
ler Reichsstände der Ewige L. als Reichsge- Fra Mauro in Venedig (1453) und der Be-
setz verkündet (Reichsreform); jede Fehde haimsche Weltapfel (Globus) von 1492
wurde als Landfriedensbruch geahndet; enthielten sämtliche Irrtümer des Ptole-
durch die endgültige Beseitigung des Feh- mäus, dessen Karten seit 1475 im Druck
derechts im ganzen Reich, die Befriedung vervielfältigt wurden (um 1460 erste Kar-
des Gesamtvolkes, wurde das Reich zu ei- tendrucke überhaupt); aus den zusammen-
ner Rechtsgemeinschaft. gesetzten Portolani (Schifferkarten) ergab
Landgraf, im MA Titel, der ↑ Grafen aus- sich allmählich ein getreues Abbild der Erde
zeichnete, z. B. in Thüringen und Hessen (1504 Carta marina von Portugal); großar-
(L. von Hessen-Homburg bis 1866). tigste Leistung dieser Zeit: Gerhard Merca-
Landkarten, in ihrer Entwicklung ab- tors Weltkarte 1569 (Zylinderentwurf mit
hängig von der Erweiterung der geograf. vergrößerten Breiten), 1594 stellte Merca-
Kenntnisse; älteste erhaltene L. geritzte ba- tor den ersten „Atlas“ (so von ihm benannt)
bylon. Tontäfelchenkarte, um 3800 v. Chr. aus eigenen Karten zusammen; Beginn der
für das Gebiet von Libanon bis Persien; um Landvermessungen (1554–68 in Bayern,
1500 v. Chr. ältester Stadtplan auf Tontafel 1600 in Sachsen, 1619–35 in Württem-
(Nippur, maßstabgerecht und beschriftet); berg); die besten Karten des 17. Jh. lieferte
um 1250 v. Chr. Papyrusplan nub. Gold- Holland; As­tronomen in Frankreich (De-
minen mit Gebirgsdarstellung; erste Welt- lisle, d’Anville) verarbeiteten diese nieder-
karte bei den Chaldäern, mit Babylon als ländischen Beobachtungen und schufen

544
Landsknechte

die Voraussetzungen für die moderne krit. volle Hochzeit Herzog Georgs mit Hedwig
Kartografie mit mathematisch begründe- von Polen (heute alle drei Jahre Volksfest),
ten, flächentreuen Netzen; mit der trigono- 1503–1505 L.er Erbfolgekrieg; im 30-jäh-
metrischen Vermessung Frankreichs 1750– rigen Krieg nahm Gustav Adolf L. ein.
1792 durch Jacques und Cesar Cassini be- 1809 erstürmten es die Franzosen (Sieg
gann das Zeitalter der systemat. topograf. Napoleons über Erzherzog Karl), 1802
Aufnahmen. Universität (1826 nach München verlegt).
Landrecht, 1) im MA das in den einzel- Die im 15. Jh. erbaute St. Martins-Kirche
nen Ländern gültige Recht, das die Land- eine der kühnsten got. Hallenbauten.
gerichte unter Königsbann oder als über- Landsknechte, d. h. die Knechte aus dem
kommenes Volksrecht ausübten; dem L. (dt. Vater-)Land, im Gegensatz zu den
als dem allg. Recht eines Stammesterrito- ausländ. (Schweizer) Knechten (Reisläu-
riums gegenüber standen die Sonderrechte fern), die zu Fuß und in geschlossenen
wie Stadt-, Hof- oder Lehensrecht (Gül- Truppenkörpern kämpfenden Söldner des
tigkeit: Stadtrecht brach Landrecht, Land- 15.–17. Jh.; die von den Schweizer Ur-
recht brach gemeines Recht). 2) In der kantonen bewiesene Überlegenheit des
Neuzeit das auf Veranlassung des Landes- Fußvolks über die schwerfälligen Ritter-
herrn in einem Gesetzbuch zusammenge- heere kennzeichnete den Beginn der Neu-
fasste bürgerliche Recht innerhalb eines dt. zeit im Kriegswesen, noch bevor sich die
Staates, z. B. das Allgemeine L. von Preu- Feuerwaffen durchsetzten; nach dem Vor-
ßen (1794), 1900 bis auf geringe Reste bild der Schweizer warb Maximilian I. in
vom BGB abgelöst. Deutschland das erste Heer aus L.n an und
Landsassen, im MA die unterste Stufe der wurde damit von der Waffenhilfe des Adels
freien Bauern, die dem Grundherrn Ab- wie vom Zulauf der begehrten Schweizer
gaben oder Pachtzins entrichteten, doch Knechte unabhängig; vom Kaiser bestallte
nicht seiner Gerichtsbarkeit unterstanden Feldobristen ließen mit eigenem Geld die
(im Gegensatz zu abhäng. Hintersassen). Werbetrommel rühren, das Krieg führen
Landsgemeinde, eine aus den german. wurde zum finanziellen Unternehmen,
Gaugerichten hervorgegangene, alljährl. das erst durch Beute rentabel wurde; nach
Versammlung aller stimmberechtigten der Musterung, der Ausgabe des Hand­
Landeseinwohner (Abstimmung über Lan- geldes und dem Verlesen des Artikel­briefes,
desangelegenheiten durch Handheben, d. h. der Disziplinarordnung, wurden die
Wahl der Behörden); in den Schweizer mit Langschwert, Hellebarde, später der
Kantonen Glarus, Unterwalden und Ap- Haken­büchse bewaffne­ten L. in Fähnlein
penzell seit etwa 1300 in Gebrauch; die L., (un­ter einem Hauptmann) eingeteilt; 10–
aus der sich auch das Referendum (Volks- 16 Fähnlein bildeten ein Regiment, meh-
abstimmung) entwickelt hatte, war somit rere Regimenter die Gemeine oder den
eine Einrichtung der unmittelbaren Demo- Haufen; die schwache Seite der L. war ihre
kratie, wie die Antike sie gekannt hatte, im Disziplinlosigkeit trotz barbar. Strafen, be-
Gegensatz zur repräsentativen Demokratie günstigt durch den Riesentross jedes Hau-
(Vertretungskörperschaften) der Neuzeit fens; Meutereien wegen Soldrückständen
(↑ Parlamentarismus). waren nicht selten, die entlassenen L. oft
Landshut, Hauptstadt Niederbayerns, eine Landplage. Nach dem 30-jährigen
gegr. 1204 durch Herzog Ludwig I., der Krieg ersetzte der absolutist. Staat das ver-
auch die (1961 durch Brand z. T. zerstörte) wilderte L.wesen durch das gedrillte ste-
Burg Trausnitz erbaute; 1255–1503 war L. hende Heer; die größten dt. L.führer wa-
Residenz der Linie Bayern-L.; 1475 prunk- ren Frundsberg und Wallenstein.

545
Landsmannschaften

Landsmannschaften, studentische Verbin­ 1888 alle Wehrpflichtigen vom 17. bis 45.
dungen nach den Herkunftsgauen der Stu- Lebensjahr; 1935 für die Jahrgänge der
denten, so alt wie die Universitäten selbst; über 45-Jährigen neu eingerichtet.
die L. nannten sich urspr. „Nationen“ oder Landtag, in den dt. Einzelstaaten bis zum
„Nationalkollegien“, ihr Zweck war genos- 19. Jh. die Versammlung der ↑ Landstände,
senschaftlicher Schutz in der Fremde und seither die in den Verfassungen veran-
gegenseitige Hilfe, später Pflege der Gesel- kerten Volksvertretungen (↑ Parlamente)
ligkeit und Überlieferung alter Studenten- als höchste gesetzgebende Körperschaften
bräuche; in den L. herrschte eine besondere der Länder (in den Freien Hansestädten
Rangordnung, das Duell galt als Rechts- Bürgerschaft gen.), hervorgegangen aus
satzung, Trinkgelage und allerhand Aus- Wahlen nach allg., gleichem oder einem
wüchse veranlassten das Einschreiten der Zensuswahlrecht (in Preußen Dreiklassen-
Behörden gegen die L. Im 19. Jh. hielten wahlrecht). In den größeren Staaten (z. B.
die L. im Gegensatz zu den betont poli- Preußen) bestand der L. aus zwei Kam-
tischen und um die Einheit aller Studenten mern: der 1. Kammer (Herrenhaus) und
bemühten ↑ Burschenschaften an ihren al- der gewählten 2. Kammer (Abgeordneten-
ten Idealen und Traditionen fest, jetzt in haus). 1934 wurden die L.e abgeschafft,
Form der Corps farbentragender, schla- 1945/46 neu geschaffen.
gender Verbindungen mit strengem Kom- Landvogt, im 13.–15. Jh. im Hl. Röm.
ment (Bräuche und Regeln, z. B. des „Knei- Reich vom König in einem reichsunmit-
pens“), zusammengefasst im Kösener SC; telbaren Gebiet (Landvogtei) eingesetzter
1935/36 aufgelöst, nach 1945 teilweise re- Statthalter mit landesherrlichen Befugnis-
stauriert. Abgesondert hatten sich die „wil- sen (z. B. Landvogtei im Elsass, 1648 von
den L.“, die den aristokrat. Geist der Corps Habsburg an Frankreich abgetreten).
ablehnten, zusammengeschlossen im Co- Landwehr, urspr, die allgemeine Landes-
burger Landsmannschaften-Convent, seit bewaffnung, d. h. das Aufgebot aller Wehr-
1908 in der Dt. Landsmannschaft. fähigen des Landes; durch die stehenden
Landstände, im MA die Vertretung der Heere bedeutungslos geworden, aber in
Stände (meist drei Kurien: Prälaten, Rit- den Napoleonischen Kriegen mit ihrem
ter, Städte) gegenüber dem Landesherrn; ungewöhnlichen Bedarf an Truppen auf-
wichtigstes Recht: Steuerbewilligung; vom grund der allgemeinen Wehrpflicht (↑ Car-
Absolutismus entweder mit Gewalt oder not; Levée en masse) in neuen Formen or-
durch Korrumpierung (Bevorzugung eines ganisiert; Mobilisierung der Volkskraft in
Standes, meist des Adels, durch Privilegien Preußen nach dem Tilsiter Frieden (1807)
zu Ungunsten der anderen) entmachtet; durch Scharnhorst und Boyen; nach der
im 19. Jh. durch die gewählten Volksver- preuß. L.-Ordnung von 1814 umfasste die
tretungen ersetzt. In Mecklenburg hielten L. alle ausgebildeten Wehrpflichtigen bis
sich die L. bis 1918 (↑ Ständewesen). zum 39. Lebensjahr in zwei Aufgeboten,
Landstuhl, Burg in der bayer. Rheinpfalz, blieb im Frieden bis auf kleine Stämme be-
seit 1507 im Besitz Franz von Sickingens, urlaubt und bildete im Kriegsfall mit den
1523 eingenommen, ↑ Sickingen wurde Linienregimentern das Feldheer; nach dem
tödlich verwundet. Willen ihres Schöpfers Boyen sollte die L.
Landsturm, das „letzte Aufgebot“ aller eine mehr auf patriot. Begeisterung statt
waffenfähigen, nicht gedienten Männer auf das Regiment gegründete Nationalmi-
zur Verteidigung der Heimat; erstmals auf- liz bürgerlich-demokratischer Prägung sein
geboten in den ↑ Befreiungskriegen; um- (Offizierswahl), sie erregte damit den Arg-
fasste im Dt. Reich nach dem Gesetz von wohn des aktiven Offizierskorps. Roons

546
Langes Parlament

heftig umstrittene Heeresreform (1862) hervorgegangen der Zoll (Fingerbreite), die


stärkte das Linienheer auf Kosten der für Elle (Ellbogen bis Spitze des Mittelfingers),
politisch unzuverlässig gehaltenen L; 1935 Klafter (Armspanne), Handbreit, Fuß;
erneut eingerichtet. für größere Entfernungen Tagesmarsch
Landzwang (Obsessio viarum), im MA (­rasta bei den Germanen), Pferde- oder
ein Verbrechen, das darin bestand, dass ein Kamel­ritt, Rufweite, Speerwurf, Steinwurf,
Untertan von seinem gewöhnlichen Aufent­ Trommelruf, Kultschrei; in der Weiter­
haltsort entwich, sich mit Landstreichern entwicklung Maßsysteme durch Ableitung
oder sonstigen gemeingefährlichen Genos­ größerer Maßeinheiten aus kleineren (Fuß-
sen zusammentat und mit Fehde- oder Meile); erstes nachweisbares Normalmaß
Brandbriefen drohte, um die Bedrohten zu aus dem 3. Jt. v. Chr. (zwei babylonische
zwingen, seine Forderungen oder Ansprü- Steinfiguren mit den in Babylon geltenden
che anzuerkennen; in der ↑ Carolina wurde Normalmaßen auf dem Schoß); in Euro­pa
L. durch Tod mit dem Schwert gesühnt. mit der Entwicklung des über die Grenzen
Lanfranc, Erzbischof zu Canterbury, Scho- reichenden Handels beginnende Verein-
lastiker, um 1000–1089; urspr. Jurist in heitlichung (besonders seit dem 14. Jh.);
Pavia. Prior von Bec (Normandie), Gegner nach Messungen der frz. Akademie (vierter
Berengars von Tours in der Abendmahls- Teil des Erdumfangs; 1792–99) Niederle-
frage; Abt in Caen, Berater ↑ Wilhelms des gung eines Normalmaßes (Urmeter; der
Eroberers; nach der Eroberung Englands zehnmillionste Teil des Viertels eines Erd-
(1066) sicherte er sich seinen bischöfl. Pri- meridians) aus Platin und Iridium im frz.
mat durch gefälschte Urkunden. Staatsarchiv (1799); Anerkennung des Me-
Lange, Helene, Führerin der dt. ↑ Frauen­ ters: Griechenland 1836, Frankreich 1840,
bewegung, 1848–1930; trat erfolgreich für Deutschland 1872; in der Folge Nachprü-
die Gleichberechtigung der Frau im Bil- fungen des Urmeters von 1799, das sich
dungswesen ein, förderte bes. die Lehrerin- als ungenau erwies und inzwischen in den
nenausbildung und das höhere Mädchen- „Pavillon von Breteuil“ verbracht wurde;
schulwesen. heute wird die Maßkontrolle mithilfe von
Langemark (Langemarck), Ortschaft in Wellenlängen durchgeführt.
W-Flandern; wurde im Okt. 1914 von Langer Marsch, der rd. 12 500 km lange
aus akadem. Nachwuchs bestehenden dt. Zug der chin. Roten Armee 1934/35 durch
Freiwilligenregimentern gestürmt, diente 11 Provinzen von Kiangsi nach Yenan; auf
da­nach der Propaganda als Sinnbild der Druck der Nationalregierung in Kiangsi
Einsatzbereitschaft der dt. Jugend; in L. verließen rd. 90 000 Kommunisten unter
befindet sich eine Gedenkstätte mit 45 000 Führung Mao Tse-tungs das Gebiet. Ob-
Kriegsgräbern. wohl nur 7 000 Mann das Ziel in Yenan er-
Lange Mauern, zw. Athen und seinem Ha- reichten, wurde der L. M. zum Symbol für
fen Piräus, um 489 v. Chr. von Themisto- eine lang dauernde, aber doch erfolgreiche
kles begonnen und 460 v. Chr. von Perikles Revolution.
vollendet; boten Raum für die Aufnahme Langes Parlament, einberufen 1640 am
der ganzen att. Bevölkerung und der Her- Vorabend des englischen Bürgerkrieges von
den; Unterkünfte in Laubhütten und Zel- Karl I., der Geld zum Krieg gegen die auf-
ten; 404 v. Chr. von den siegreichen Sparta- ständischen Schotten brauchte. Das L. P.
nern unter Lysander niedergerissen. war beherrscht von Puritanern und Inde-
Längenmaße, schon in prähistor. Zeit der pendenten, führte Krieg gegen den König,
Mensch vermutlich zum „Maß aller Dinge“ tagte nach der Ausstoßung der gemäßig­
genommen; aus menschlichen Maßen sind ten Presbyterianer als „Rumpfparlament“

547
Langobarden

weiter und wurde im Jahre 1653 von nach dem Sturz der Schreckensherrschaft
↑ Cromwell aufgelöst; 1659 neu einberu- erneut Mitglied der höchsten Körper-
fen, rief es Karl II. auf den Thron zurück schaften, von Napoleon wie Ludwig XVIII.
und löste sich 1660 auf. geehrt, doch allzeit Verfechter der konstitu­
Langobarden, westgerman. Stamm, ­urspr. tionellen Rechte.
links der Unterelbe, 4–6 n. Chr. von Tibe­ Laon, frz. Stadt an der Aisne, im 5. Jh.
rius unterworfen, unterstützten Armi- als gall. Festung Laudanum gen., 515 Bi-
nius gegen Marbod, nahmen am Mar- schofssitz, im 10. Jh. Residenz und letzter
komannenkrieg gegen Mark Aurel teil Besitz der Karolingerkönige; 1419 von den
(165–180 n. Chr.); traten erneut in die Engländern und 1594 von König Hein-
Geschichte ein nach der Auflösung des rich IV. genommen. 1814 Schlacht bei L.
Reiches ­ Attilas, schlugen in Mähren die (Sieg Blüchers über Napoleon). – Kathe-
Heruler, ihre bisherigen Tributherren, be- drale vollendet 1226.
herrschten das linke Donauufer (um 500), Laos, seit 1975 Volksrepublik, früher Lane
wurden zum arian. Christentum bekehrt, Xang genannt („Land der Millionen Ele-
vernichteten das benachbarte Gepiden- fanten“), einst von den ↑ Khmer bewohnt,
reich, drangen über die Alpen und ero- die auch das spätere Kambodscha-Reich
berten unter Albuin 568 Nord- und Mit- gründeten; große Staatenbildung im Reich
telitalien (nach ihnen benannt die „Lan- Lantschang (1353–1707); L. im 19. Jh.
gobardei“ = Lombardei mit der Haupt- Beute Siams; 1879–95 von Auguste ­ Pavie
stadt Pavia). Das L.-Reich musste sich bereist; 1893 erzwungene Protektorats-
noch lange mit Byzanz ausei­nandersetzen, herrschaft Frankreichs, dem General-Gou-
dem der Rest Italiens gehörte, gleichzeitig verneur ↑ Indochinas unterstellt; 1946 Zu­
wurde es für die kath. Kirche gewonnen; sammenfassung von Nord- u. Süd-L. zum
seine Verfassung trug im Gegensatz zu an- Einheitsstaat, assoziierter Staat der Frz.
deren Germanenreichen viele rein german. Union mit 11 Provinzen, Residenz Luang
Züge und sicherte für zwei Jh. den inneren Prabang, Verwaltungshauptstadt Vienti-
Frieden. Als der L.-König Desiderius die ane; 1954 unabhängig. Im Verlauf des Viet-
Unabhängigkeit des von Byzanz aufgege- namkrieges territoriale Erfolge der kom-
benen und von den Päpsten beanspruchten munistisch orientierten Pathet-Lao-Bewe-
Roms bedrohte, rief der Papst die Franken gung. Kämpfe zw. neutralist. Regierung
zu Hilfe; 774 eroberte ↑ Karl d. Gr. Pavia und Pathet-Lao. 1973 Friedensvertrag zwi-
und vereinigte das L.-Reich mit dem frän- schen der Regierung und den Pathet-Lao,
kischen. Bildung einer Koalitionsregierung. 1975
Langobardisches Recht, die Gesetze der Machtübernahme durch „Revolutionsre-
langobard. Könige von Rothari (636–652) gierung der Pathet-Lao“, Ausrufung der
bis Aistulf (749–756), die auch unter fränk. Demokrat. Volksrepublik L.; weitere Ver-
Herrschaft gültig blieben; im 10. bis 12. Jh. schlechterung der wirtsch. Lage durch sozi-
auf der Rechtsschule von Pavia gesammelt alist. Planwirtschaft, Flucht Intellektueller,
und kommentiert. Oppsitioneller und buddhistischen Wür-
Lanjuinais, Jean Denis Graf, frz. Politi- denträger vor den Umerziehungslagern
ker, 1753–1827; 1789 Abgeordneter der der Kommunisten. Grenzstreitigkeiten
Nationalversammlung, Experte für Verfas- mit Thailand, 1988 Waffenstillstand. 1991
sungsfragen, als liberaler Jansenist insbes. neue Verfassung, die den Führungsan-
für das Verhältnis Staat – Kirche; als giron- spruch der Regierungspartei LRVP fest-
dist. Mitglied des Konvents entschiedener schrieb, jedoch Sozialismus nicht mehr als
Gegner des Jakobinismus, 1793 geächtet; Staatsziel nannte und das Recht auf freie

548
Lasalle

Religionsausübung zusicherte; auch vor- La Rochefoucauld, altes frz. Adelsge-


sichtige wirtschaftl. Liberalisie­rung; 1996 schlecht. 1) L. R., François VI., Herzog
Abschluss eines Kooperationsabkommens von, 1613–1680; Teilnehmer der Fronde-
mit der EU, ab 1997 ASEAN-Mitglied. Unruhen, Schriftsteller und Schöngeist;
Laotse, Lau-tsi (chines., Alter Meister), seine „Maximen“ über das von Genuss-
eigtl. Li-Po-Yang, Philosoph und religiö­ sucht und Eigenliebe gelenkte menschl.
ser Reformer, neben ↑ Konfuzius die be- Handeln gelten als klass. Werk der frz.
deutendste Persönlichkeit in der Geistes- Prosa. 2) L. R., François Alexandre Frede-
geschichte Chinas; lebte vermutlich in der ric, Herzog von, 1747–1827; Philanthrop,
2. Hälfte des 4. Jh. v. Chr., war Reichsge- setzte sich für humanes Gefängniswesen
schichtsschreiber am kaiserlichen Hof und ein, gründete 1815 die erste Sparkasse in
zog sich angesichts großer Not und sitt- Frankreich.
lichen Verfalls in die Einsamkeit zurück, Larochejacquelein, altes Geschlecht der
um zu meditieren; die polit. und bürger- Vendée, berühmt durch Königstreue: 1) L.,
lichen Tugendideale des Konfuzius verach- Henri Duverger, Graf von, 1772–1794,
tete er; im Taoteh-king (etwa: „Buch von Royalist, Oberbefehlshaber der aufständ.
der Gottheit und der Tugend“) lehrt er in- Vendéer, fiel bei Nouaillé. 2) L., Louis
dividuelle Selbstbesinnung und allg. Men- Duverger, Marquis de, Bruder von 1),
schenliebe, das Heil läge im Einswerden 1777–1815; stellte sich 1813 an die Spitze
mit dem allwaltenden Tao (verstanden als der Royalisten in der Vendée, fiel während
ein pantheist. Weltwesen) und die Tugend der „Hundert Tage“ bei einem Landungs-
im „Sein“ statt im „Handeln“. – Der spä- versuch in Frankreich.
tere ↑ Taoismus hat nur mehr wenig mit Lascaux, 1940 entdeckte Höhle bei Mon-
ihm gemein. tignac im südfrz. Dep. Dordogne; Decken
La Perouse, Jean François de Galaup, Graf und Wände mit jungpaläolith. Malereien
von, frz. Seefahrer, 1741–1788; von Lud- bedeckt. Dargestellt sind Wildpferde, Ur-
wig XVI. mit zwei Fregatten zu einer Welt- rinder, Hirsche und Steinböcke, auch Wi-
umseglung ausgeschickt, machte wichtige sente, Wildkatzen und Maskentänzer.
naut.-geogr. Entdeckungen (die nach ihm Laskaris, byzantin. Geschlecht, nach dem
benannte Straße zwischen Jesso und Sacha- Fall Konstantinopels nach Italien geflohen,
lin), seit 1788 verschollen. griech. Gelehrte der Renaissance in Italien.
Laplace, Pierre Simon Marquis de, frz. 1) L., Konstantin, gest. nach 1500; Haus-
Mathematiker und Astronom, 1749–1827; lehrer der Sforza in Mailand, Günstling des
unter Napoleon Innenminister und Kanz- Kardinals Bessarion in Rom, Lehrer der
ler des Senats, setzte sich für die Wieder- griech. Sprache in Neapel und Messina;
einführung des Gregorianischen Kalenders seine „Griechische Grammatik“ ist das
(anstelle der revolutionären Zeitrechnung) erste in Griechisch gedruckte Buch (1476).
ein. L. zählt zu den größten Astronomen 2) L., Andreas Johannes, Bruder oder Vet-
aller Zeiten; in seinem Hauptwerk, der ter von 1), um 1445–1535; sammelte im
„Himmelsmechanik“, löste er Kernpro- Auftrag Lorenzos von Medici (des Präch-
bleme der theoretischen Astronomie; die tigen) alte Handschriften und Kunstwerke
von ihm vertretene (und ähnlich schon in Griechenland, kam als päpstl. Diplomat
von Kant entwickelte) Nebeltheorie über an den Hof Franz’ I. von Frankreich.
die Entstehung des Planetensystems galt Lassalle, Ferdinand, dt. sozialist. Politi-
etwa ein Jahrhundert lang. ker, 1825–1864; glänzend gebildet (bedeu-
La-Plata-Staaten, Argentinien, Uruguay, tendes philosoph. Werk über Heraklit) und
Paraguay (im Stromgebiet des La Plata). genialer Agitator, mehrmals wegen polit.

549
Latein

Delikte verurteilt, 1848 radikaler Demo- wurde das L. vom Französischen erstmals
krat, in Verbindung mit Marx; im preuß. im Frieden von Rastatt (1714) verdrängt;
Verfassungskonflikt (1862) Scharfmacher im Dt. Reich wurde Deutsch 1717 mit
der Opposition; vom liberalen Bürgertum dem L. gleichberechtigt; die erste Vorle-
enttäuscht, wandte sich L. der Arbeiter- sung an einer dt. Universität in dt. Sprache
schaft zu und gründete 1863 in Leipzig statt L. hielt ↑ Thomasius 1687.
den Allgemeinen Deutschen Arbeiterver- Lateinamerika (Iberoamerika), Mittel-
ein; das von ihm entworfene Programm und Südamerika, das von den romanischen
verband politisch demokrat. Forderungen Völkern (der iber. Halbinsel) kolonisiert
mit sozialistischen; mithilfe des allg. und wurde und dessen Bevölkerung eine vom
gleichen Wahlrechts sollte die Arbeiter- Latein abgeleitete Sprache spricht: vorwie-
frage durch Bildung staatlich unterstützter gend Spanisch, daneben auch Portugiesisch
Produktivgenossenschaften gelöst werden; (↑ Amerika).
L. hatte mehrere Unterredungen mit Bis- Lateinamerikanische Freihandelszone,
marck, beide sahen im bürgerlichen ↑ Libe­ Zusammenschluss lateinamerik. Staaten
ralismus den Hauptfeind, auch sympathi- zur Verbesserung der wirtsch. Kooperation,
sierte L. mit Bismarcks Politik zur Lösung 1960 in Montevideo als „Latin American
der deutschen Frage; von Marx und seinen Free Trade Association“ (LAFTA) gegr.;
Anhängern wurde L.s „Staatssozialismus“ Mitglieder: Argentinien, Bolivien, Brasi-
scharf abgelehnt. L. fiel in einem Duell we- lien, Chile, Ecuador, Kolumbien, Mexiko,
gen privater Ehrenhändel; die „Lassallea- Paraguay, Peru, Uruguay und Venezuela.
ner“ vereinigten sich 1875 mit den „Eise­ 1980 durch die ALADI (↑ Lateinamerik.
nachern“ Bebels (↑ Sozialdemokratie). Integrationsvereinigung) abgelöst.
Latein, Sprache der Römer, urspr. der Lati- Lateinisches Kaisertum, in Konstantino-
ner, breitete sich seit dem 3. Jh. v. Chr. über pel 1204 von den Kreuzfahrern mit vene-
ganz Italien aus und wurde zur Verkehrs- zian. Hilfe begründet, bestand bis 1261
und Amtssprache des römischen Welt- (↑ Byzantin. Reich).
reiches (neben der griechischen ↑ Koine); Latene-Kultur, nach dem typ. Waffen-
das „klassische L.“ (Cicero), eine kunst- fund im Neuenburger See bei La Tene in
volle, streng gesetzmäßige Schriftsprache, der Schweiz benannte europ. Kultur seit
schied sich von der ungepflegten Sprache 500–400 v. Chr. bis in die röm. Kaiserzeit;
des Volkes, dem „Vulgär-L.“, das in der auf die ↑ Hallstattzeit (= Ältere ↑ Eisenzeit)
späten Kaiserzeit auch in die Literatur ein- folgende und z. T. mit ihrer Spätentwick-
drang; aus ihm entwickelten sich in den lung einhergehende eigenständige Zivili-
westl. Provinzen (Gallien, Spanien) die sation (= Jüngere ↑ Eisenzeit); Ausgangs-
↑ roman. Sprachen. Die kath. Kirche be- gebiet ist der Kernraum der ↑ Kelten, die
diente sich des L.s als Amts- und Litur- neben anderen Völkern auch ihre Haupt-
giesprache; als „Mittel-L.“ war es v. a. die träger waren; mit den Kelten sich über W-
Sprache der scholastisch Gebildeten, in der , Mittel- und SO-Europa ausbreitend und
allein bis in die Neuzeit hinein Gelehrte, auf O-Spanien, N- und Mittelitalien und
Geistliche, Juristen und Diplomaten sich Kleinasien ausstrahlend; in dieser Zeit Ei-
verständigten; Humanismus und Renais- sengebrauch auch im Norden; erste krie-
sance führten zu einer vorübergehenden ger. Zusammenstöße der Kelten und Ger-
Erneuerung des klass. L.s; mit Hohn manen mit dem röm. Weltreich, mit Etrus-
wandten sich die Humanisten gegen das kern und Griechen. Trotz starker Kultur-
„Küchen-L.“ des ungebildeten niederen einflüsse aus dem Süden Ausprägung eines
Klerus; als Sprache der internat. Verträge eigenen (La-Tene-)Stils mit kleinfigürl.

550
Lauriongebirge

Plastik, Münzprägung, hoch entwickelter lange Kriegsdienste der Feldarbeit ent-


Gold- und Bronzekunst und dank der von wöhnten Kleinbauern nach Rom als Prole-
den Kelten erfundenen und mit ihnen tariat); die L. wurden zumeist von Sklaven
verschwindenden Töpferscheibe (Wieder- als den billigsten Arbeitskräften (Kriegs-
erfindung erst in der Völkerwanderungs- gefangene) bewirtschaftet; statt Ge­treide,
zeit) eigentüml. strengere Keramikformen; das reichl. aus den Provinzen eingeführt
dank des Eisens wirksamere Waffenausrüst­ wurde, baute man mit größerem Gewinn
ung (Hiebschwerter, von Pferden gezogene Öl und Wein an (Plantagenwirtschaft nach
Streitwagen); Eigenformen in der Her- karthag. Muster); in der späten Kaiserzeit
stellung von gegossenen Bronze- oder ge- verwandelten sich die L. infolge Getreide­
schmiedeten Eisenfibeln mit figürl. Dar- mangels wieder in „Getreidefabriken“, be-
stellungen, Korallenperlen, Schmelzfluss- trieben von Pächtern (Kolonen), die sich
einlagen und Drahtschlingenornamentik auf Dauer als nutzbringender erwiesen als
(über das Leben in der L.-K. ↑ Kelten). die unrentabel wirtschaftenden Sklaven.
Lateran, Palast in Rom, um 320 dem Bi- Latiner, altital. Völkerschaft↑ ­indogerman.
schof von Rom geschenkt; bis 1308 Resi- Abstammung, Bewohner der Landschaft
denz der Päpste, die nach der Rückkehr Latium, Ebene südl. des Tiber zw. Albaner-
aus Avignon 1378 im Vatikan residierten; bergen und dem Tyrrhen. Meer; Vorort des
der brandzerstörte L. wurde 1586 z. T. wie- L.-Bundes: Albalonga; Rom ging aus einer
der aufgebaut und diente seit Gregor XVI. latin. Siedlung hervor; um 600–500 v. Chr.
als Museum; nach dem Garantiegesetz von unter etrusk. Herrschaft; 338 Auflösung
1871 (erneuert 1929) war der L. exterrito- des L.-Bundes, die latin. Städte wurden
rial; hier die Bischofskirche des Papstes. röm. Bundesgenossen mit Vorrechten.
Laterankonzilien, fünf in der Basilika des Laudon, Gideon Ernst Freiherr von, österr.
Lateran abgehaltene ökumenische Kirchen­ Feldmarschall, 1717–1790; zuerst in russ.
versammlungen: 1123 (Bestätigung des Diensten, von Friedrich d. Gr. abgewie­sen,
Wormser Konkordats), 1139, 1179 (Ord- in der österr. Armee Karriere erst durch Er-
nung der Papstwahl), 1215 (Ketzerbe- folge im 7-jährigen Krieg; entschied die
kämpfung) und 1512–1517. Schlacht von Kunersdorf, nahm Schweid-
Lateranverträge, 1929 im Lateran ge- nitz, blieb trotzdem hinter Daun und Lacy
schlossener Friede zw. dem Hl. Stuhl und zurückgesetzt; 1789 verdrängte er die Tür-
dem ital. Staat; Anerkennung der „Vatikan- ken aus Kroatien und eroberte Belgrad.
stadt“, Teil Roms nördl. des Tiber mit Pe- Laurentiuschronik, ältestes erhaltenes
terskirche, Vatikanpalast, vatikan. Gärten Werk der altruss. Chronistik; 1377 im Klos­
(Kirchenstaat im Kleinen) als souveränes, ter in Nischni Nowgorod kopierte Perga-
neutrales Gebiet; der Papst anerkannte menthandschrift nach Vorlage von 1305.
Rom als Hauptstadt des ital. Staates; zu- Lauriongebirge, an der Südspitze Attikas,
gleich Konkordat über den Katholizis- berühmt im Altertum wegen seines Silber-
mus als Staatsreligion Italiens; die Abma- reichtums; urspr. bekam jeder athen. Bür-
chungen wurden in der ital. Verfassung ger von der jährl. Ausbeute 10 Drachmen,
von 1947 bestätigt (↑ Kirchenstaat). später (Themistokles) wurde der Gewinn
Latifundien (lat. Latifundium, Landgut), für Staatsaufgaben (Flottenbau) verwendet;
röm. Großgrundbesitz der senator. Fami- seit dem 4. Jh. v. Chr. verringerte sich der
lien, später auch von Neureichen; entstan- Ertrag der Minen, um Chr. Geburt waren
den durch Aneignung oder Ankauf des Ge- die Gruben stillgelegt; das insgesamt ge-
meindelandes (ager publicus), Bauernlegen wonnene Silber wird auf etwa 9,4 Mio. kg
und Landflucht (Abwanderung der durch geschätzt.

551
Lausanne

Lausanne, am Genfer See, häufig interna- von ihm entwickelten „Physiogno­mischen


tionaler Konferenzort – 1) 1912 Friede zw. Fragmente“ (über die Charakterdeutung
Italien und der Türkei (Abtretung Tripo- aus den Gesichtszügen).
litaniens). 2) 1923 Orientfrieden zw. der Lavoisier, Antoine Laurent, frz. Chemiker,
Türkei und Griechenland sowie den Alli­ 1743–1794; verwandte seine Einkünfte als
ierten, Revision des Diktates von Sevres Generalsteuerpächter zu wiss. Arbeiten, die
(1920); türk. Oberhoheit über die entfes­ zur Grundlage der modernen ↑ Chemie
tigten Meerengen neben anderen Zuge- wurden; trotz seiner Verdienste um Frank-
ständnissen (Mossulgrenze). 3) 1932 Ab- reich (als Leiter der königl. Pulverfabriken;
kommen zw. Deutschland und den Sieger- Kommissar des Nationalschatzes) wurde er
staaten des 1. Weltkrieges; die dt. Reparati- von den Jakobinern guillotiniert.
onsschulden wurden bis auf eine einmalige Law, John, schott. Wirtschaftstheore­tiker
Abfindung von 3 Mrd. Mark gestrichen. und Finanzmann, 1671–1729; erwarb als
Lausitzer Kultur, ↑ Urnenfelderkultur. Spieler ein Vermögen und fand in Frank-
Laval, Pierre, frz. Politiker, 1883–1945; reich, das durch den Span. Erbfolgekrieg fi-
mehrmals Ministerpräsident und Außen- nanziell erschöpft war, ein Experimentier-
minister, bezog 1935 Italien in die „Stresa- feld für seine kreditpolit. Theorien; 1718
front“ gegen Deutschland ein, ging seit wurde seine Privatbank zur frz. Staatsbank
1940 als Chef der Vichy-Regierung eng erhoben und mit der „Indischen Kompa-
mit Deutschland zusammen, 1945 als nie“ (Ausbeutung des Mississippigebietes)
Haupt der Kollaboration erschossen. verbunden; Papiergeld galt als alleiniges
Lavalloisien, nach Lavallois, einem Vorort Zahlungsmittel; Ausgabe von Aktien, L.
von Paris, benannte Kulturstufe des ↑ Pa- allmähl. Finanzdiktator; der Spekulati-
läolithikums, in seiner typ. Werkzeugtech- onswut und dem abenteuerl. Kursanstieg
nik bis ins Mittel- und Jungpaläolithikum folgten schon 1720 Kurssturz, Inflation,
nachwirkend; neben den selt. Faustkeilen Staatsbankrott, Elend breiter Schichten
charakteristisch die etwa ­fingerlangen, dün- und Flucht L.s; immerhin hatte L. die frz.
nen, scharfen Handspitzen, die als Messer, Staatsschuld um die Hälfte verringert. L.
Stichel, Fellschaber, Speerspitzen verwen- starb in Venedig in ärml. Verhältnissen.
det wurden; die Abschläge ­ wurden durch Lawrence, Thomas Edward, brit. Oberst
Schlag mit einem Schlegel auf eine vorbe- und Organisator des arab. Aufstands im
reitete Stelle des Feuersteinknollens gewon- 1. Weltkrieg, 1888–1935; vor dem Krieg
nen und sorgsam an den Rändern durch Archäologe, nach Kriegsbeginn politischer
Abhiebe geschärft: verbreitet vor allem in Agent in Ägypten, leitete 1918 den Klein-
Norddeutschland, England, Afrika. krieg der Araber hinter der türk. Front in
Lavater, Johann Kaspar, Schweizer protes- Syrien; als Großbritannien nach dem Krieg
tant. Geistlicher und Dichter, 1741–1801: die den Arabern gemachten Versprechen
Stürmer und Dränger, dann asketisch- nicht einlöste, meldete sich L. als einfacher
mystischer Schwärmer, Gegner der Aufklä- Soldat zur Luftwaffe nach Indien. Werke:
rungsphilosophie und des Jakobinis­mus, „Die sieben Säulen der Weisheit“ (Auszug:
1799 in der Helvetischen Republik als „Aufstand in der Wüste“).
Konterrevolutionär verhaftet, wurde 1800 Layard, Austen Henry, brit. Diplomat und
in seiner Vaterstadt Zürich tödlich verwun- Archäologe, 1817–1892; grub Ninive und
det, als er verwundeten Soldaten helfen Babylon aus, entdeckte 1848 die Tontafel­
wollte. L. stand mit den größten Geistern bibliothek ↑ Assurbanipals; gewann als
seiner Zeit in Verbindung (Goethe, Ha- Bot­schafter in Konstantinopel Zypern für
mann), in ganz Europa berühmt durch die Großbritannien (1878).

552
Legaten

Layton-Bericht, 1931 (Weltwirtschafts- des Juniaufstands, Emigrant in London,


krise) der Endbericht des internat. Sach- versuchte mit Mazzini u. a. die europ.-
verständigenausschusses unter Vorsitz des demokrat. Revolution zu organisieren;
Briten Layton befürwortete finanzielle Un- Frankreich verdankte ihm das allg., gleiche
terstützung Deutschlands, das nach Ab- Wahlrecht.
lauf des Hoover-Moratoriums (einjähriges Lee, Robert Edmund, amerik. Gene-
Aussetzen aller internat. Verpflichtungen) ral, 1807–1870; Oberbefehlshaber der
noch nicht zahlungsfähig war. Südstaaten und fähigster Heerführer des
Lebensborn, eingetragener Verein im ↑ Sezes­sionskrieges; persönlich Gegner der
Rahmen des Rasse- und Siedlungshaupt- Sezession, entschied sich aus Anhänglich-
amtes der ↑ SS; gegr. Dez. 1935; die Sat- keit an seine Heimat Virginia für den Sü-
zung des L. trug jedem SS-Mann auf, min- den und schlug ein Angebot Lincolns aus;
destens vier Kinder zu zeugen, ob ehelich leistete dem überlegenen Norden jahrelang
oder nicht spielte dabei keine Rolle; in erfolgreichen Widerstand.
den Heimen des L. sollten die Kinder zur Le Duc Tho, vietnames. Politiker, 1911–
Welt kommen; bis 1944 wurden insges. 1990; 1930 Mitbegründer der Kommu-
13 Heime unterhalten, in denen rd. 11 000 nist. Partei Indonesiens; 1963–65 Außen-
Kinder geboren wurden; L. besorgte Ge- minister Nordvietnams; 1968–1973 Ver-
burtsurkunden, regelte den Unterhalt und teter Nordvietnams in den Pariser Ver-
warb Adoptiveltern. handlungen (Friedensgespräche), L. wurde
Lebrun, Charles François, frz. Politiker, 1973 deshalb für den Friedensnobelpreis
1739–1824; unterstützte als Präsident des vorgeschlagen (zus. mit H. Kissinger),
Rates der Fünfhundert (1796–1799) Napo­ lehnte ihn jedoch ab. Im Rahmen der viet-
leon Bonapartes Staatsstreich, begr. 1804 names. Reformpolitik der 80er Jahre trat
als Großschatzmeister den Rechnungshof, L. als Mitglied des Politbüros der Kommu-
1810–1813 Statthalter von Holland. nist. Partei Vietnams zurück.
Lechfeld, Ebene nordwestlich von Augs- Leeuwenhoek, Antonie van, niederländ.
burg (nicht auf dem heutigen „Lechfeld“), Naturforscher, 1632–1723; bis zum 22. Le-
wo Otto d. Gr. 955 die Ungarn nach ihrer bensjahr Angestellter in einer Tuchhand-
vergebl. Belagerung Augsburgs so vernich- lung, trieb systemlos Studien mit selbst ge-
tend schlug, dass sie ihre Raubzüge nach bauten Mikroskopen, entdeckte dabei die
Deutschland einstellten; in der Schlacht roten Blutkörperchen, die Spermatozoen
fiel Ottos Schwiegersohn Konrad der Rote. und lnfusorien.
Seit der Schlacht wurde König Otto „der Lefebvre, Francois Joseph, frz. Marschall,
Große“ genannt; der Sieg auch mitentschei­ 1755–1820; seit 1793 General der frz. Re-
dend für die Machtstellung des dt. König- volutionsarmee, unterstützte als Gouver-
tums gegenüber den Territorialfürsten. neur von Paris 1799 den Staatsstreich Na-
Leclerc d’Ostin, Charles Victoire Emma- poleon Bonapartes, unterdrückte 1809 den
nuel, frz. General, 1722–1802; Gemahl Tiroler Freiheitskampf.
Pauline Bonapartes, tat sich beim Staats- Lefort, Franz Jakob, Günstling Peters
streich ↑ Napoleons am 18. Brumaire her- d. Gr., 1656–1699; Großadmiral, Heerfüh-
vor, befehligte das Expeditionskorps auf rer und Ratgeber des Zaren, leitete 1697
↑ Haiti. die russ. Gesandtschaft, in deren Gefolge
Ledru-Rollin, Alexandre Auguste, frz. Poli- ↑ Peter d. Gr. inkognito Europa bereiste.
tiker und Revolutionär, 1807–1874; 1848 Legaten, 1) bei den Römern Gesandte
als Innenminister radikalstes Mitglied der (meist Senatoren) mit bes. Auftrag; auch
Provisor. Regierung; 1849 an der Spitze die Stellvertreter der Provinzstatthalter; in

553
Legion

der Kaiserzeit die Statthalter der kaiserl. fremder Heere fochten, z. B. die poln. L.
Provinzen sowie die Kommandeure der Dombrowskis unter Napoleon gegen Öster­
Legionen. 2) Im MA die bevollmächtig- reich, die ungarische L. General Klapkas
ten Gesandten der Päpste mit Sonderauf- 1866 auf Seiten Preußens, die dt. L. Con-
trägen, in ihrer Befugnis den Bischöfen zu- dor im ↑ span. Bürgerkrieg, die span. L. an
mindest gleichgestellt: heute als Nuntien der Ostfront im 2. Weltkrieg u. a. (↑ Frem-
und Internuntien oder bei bes. Anlässen denlegion).
repräsent. Vertreter des Vatikans. Legislative (frz.), die gesetzgebende Ge-
Legion, 1) Grundeinheit des röm. Heeres, walt, auch gesetzgebende Versammlung; in
urspr. Gesamtverband der ausgehobenen der Demokratie das Gegengewicht gegen
Mannschaft, zu dem jeder der drei röm. die Exekutive (ausführende Gewalt); muss
Tribus 1 000 Mann zu Fuß und 100 Rei- vom Volk gewählt sein (John Locke).
ter stellte; in der starren, 6 Mann tiefen Legitimisten, Anhänger des Prinzips der
Schlachtphalanx kämpften die Schwer­ Legitimität (Gesetz- oder Rechtmäßigkeit
bewaffneten der 1. Vermögensklasse in den einer Regierung), des „Gottesgnadentums“
beiden vorderen Gliedern; in der repuli- der Monarchen als unabhängig vom Volks-
kan. Zeit wurden (zunächst) jährlich vier willen; die L. verfochten die Thronansprü-
Legionen aufgestellt und die Zahl der Fuß- che der durch Revolution oder Gewalt-
soldaten auf 4200 erhöht; 3 000 Schwer- maßnahmen (z. B. der Absetzung durch
bewaffnete in drei Treffen (1 200 Hastati, Napoleon) von ihrem erblichen Thron ver-
1 200 Principes und 600 Triarier) und jagten Fürsten; auf dem Wiener Kongress
1 200 Leichtbewaffnete (Velites): die Kern- vertrat ↑ Talleyrand das Legitimitätsprin-
truppe war mit Wurfspeer (pilum), Kurz- zip, noch entschiedener in der Folgezeit
schwert, eisernem Schild und Helm aus- ↑ Metternich.
gerüstet; die alte Phalanx wurde gelockert Legnano, Stadt nahe Mailand; 1176 ent-
durch Gliederung in beweglichere Ma- scheidende Niederlage Kaiser Friedrichs I.
nipel, jeder der 30 Manipel bestand aus gegen die lombard. Städte und damit
zwei Zenturien; die L. wurde von einem Scheitern der stauf. Italienpolitik.
der 6 Militärtribunen geführt, die einan- Lehensgericht oder Mannengericht, im
der ablösten. Unter ↑ Marius wurde aus mittelalterl. Gericht, das unter dem Vorsitz
dem Bürgerheer ein Berufsheer; die Reite- des Lehensherrn in Lehensangelegenheiten
rei aus röm. Bürgern und die Velites wur- Recht sprach. Schöffen konnten nur Man-
den abgeschafft, die Stärke der L. auf 6 000 nen sein, deren Lehen nach dem gleichen
Mann gebracht, die Bewaffnung verein- Recht erteilt war wie das des Klägers oder
heitlicht und je drei Manipel zu einer Ko- Beklagten.
horte zusammengefasst, die L. erhielt ein Lehenswesen, in Verbindung mit der
eigenes Feldzeichen, den Adler; mit un- ↑ Grundherrschaft Grundlage der eu-
terstellten ausländ. Hilfstruppen erreichte rop. Heeresverfassung, Staats- und Ge-
die L. im Krieg eine Effektivstärke von sellschaftsordnung im MA. – Die fränk.
10 000 Mann, doch wurden die Verluste Könige standen anfangs vor der Aufgabe,
nicht immer durch Ersatz ausgeglichen. die Verwaltung ihres Reiches zu organisie-
In der Kaiserzeit lagen die L.en in festen ren und den fränk. Adel darin einzubauen;
(Grenz-)Garnisonen, erhielten Nummern die ohnehin im Rückgang begriffene spät­
und Namen. 23 n. Chr. verfügte das Röm. antike Geldwirtschaft erlag endgültig
Reich über 25 L.en. 2) In der Neuzeit (seit mit der Blockade des westl. Mittelmeeres
den Napoleon. Kriegen) Freiwilligenkorps durch die Araber (7. Jh.); Verwaltungs-
unterschiedl. Stärke, die meist im Rahmen und Kriegsdienste konnten nicht mehr mit

554
Leibeigenschaft

Geld entlohnt werden, sondern nur mit das betroffene Lehen nicht einziehen, im
Bodenerträgnissen; wer Kriegs-, Hof- oder Gegensatz zu den großen Lehensherren;
andere Dienste leistete, wurde deshalb mit diese vergrößerten ihre Gebiete ständig
der Nutznießung am Boden in Form eines und verwandelten sie unter Aneignung der
„Lehens“ entschädigt (lat. feudum; auch Königsrechte (begünstigt durch kaiserliche
beneficium, Wohltat), der Belehnung mit Privilegien, z. B. das Statutum in favorem
Boden aus den königlichen Domänen. Die principum Friedrichs II. 1232) in Territo-
spätröm. Einrichtung der Landleihe (Her- rien mit eigenem Hoheitsrecht („Landes-
gabe von Boden unter wechselseitigen Ver- herrlichkeit“, ↑ Fürsten), innerhalb dieser
pflichtungen, bereits von der Kirche geübt, werdenden modernen Staaten nahmen
im Frankenreich als eine Form gesetzlichen das aufkommende Söldnerheer und Berufs­
Besitzrechts anerkannt) verband sich in beamtentum dem Lehenswesen prakt. alle
Gallien mit dem kelt. Begriff der (einsei- Bedeutung; formell wurde es erst später ab-
tigen) ↑ Vasallität; der german. Beitrag war geschafft (England 1660, Frankreich 1789,
die beiderseitige Gefolgschaftstreue, erst Deutsches Reich 1806; im Lauf des l9. Jh.
dieses persönliche Verhältnis zw. Lehens- in den dt. Einzelstaaten; die meisten Lehen
herr und Gefolgsmann verwandelte die wurden Allode = volles Eigentum). – Auch
dingliche Rechtsbeziehung der Landleihe außerhalb der abendländ. Entwicklung
in das persönliche Lehensverhältnis; feier- lässt sich das Lehenswesen als Kennzeichen
liche Belehnung vor dem Lehensgericht, eines MA nachweisen, z. B. in Ägypten
Ausbildung eines spezif. Lehensrechtes, (2. Hälfte des Alten Reiches), in Japan.
Be­strafung der Felonie (Treubruch wie Leibeigenschaft, ein in der dt. Agrarver-
z. B. Nichterscheinen zum Aufgebot); die fassung des MA begründetes Verhältnis
großen Lehensherren (Kronvasallen) schu- persönl. Unfreiheit und soz. Abhängigkeit
fen sich ihrerseits durch Lehensvergabe eine (unterschiedliche Stufung), hervorgegan-
Lehensgefolgschaft; es entwickel­te sich eine gen aus der Rechtslage des Standes der Un-
Lehenspyramide, deren Spitze der König freien (meist Kriegsgefangenen) bei Ger-
und deren Basis die Unterlehensträger, die manen und Slawen; zum Unterschied von
Masse des königl. Reiter(= Ritter-)heeres den dinglichen Beziehungen der ↑ Grund-
bildeten, die Rangfolge wurde festgelegt herrschaft, deren Hintersassen, Grundhol-
durch die ↑ Heerschildordnung und ent- den oder Hörige rechts- und vermögensfä-
schied damit auch über die Zugehörigkeit hig waren, galten die eigtl. Leibeigenen (Ei-
zum höheren oder niederen ↑ Adel. Folge: genleute, Hausgesinde, z. T. Liten) als in je-
unübersichtliche Herrschaftsverhältnisse, der Beziehung, auch persönlich, für unfrei;
schwacher Staat, bes. an der Spitze (Kö- in Westdeutschland blieb von der L. schon
nig), kein einheitl. Reichsuntertanenver- im hohen MA nicht viel mehr übrig als der
band (charakteristisch für die Verhältnisse Leihzins und Frondienste; dagegen bildete
in Deutschland im Gegensatz zu Frank- sich auf dem Kolonialboden Ost­elbiens
reich, wo die Krone sich allmählich gegen seit dem 16. Jh. mit der ↑ Gutsherrschaft
die eigenmächtigen Vasallen durchsetzte). die drückendere ↑ Erbunter­tänigkeit aus.
Die lehensstaatliche Entwicklung führte in Echte L. im Sinne totaler Unfreiheit und
der Folge zum Leihezwang, zur Verpflich- Rechtlosigkeit hielt sich bis in die Neuzeit
tung des Lehensherrn, ein Lehen beim Tod uneingeschränkt in Osteuropa, besonders
des Lehensmannes ungeteilt dessen Erstge- Russland. Die Aufhebung der L. in ihren
borenem zu verleihen, d. h. die Lehen wur- versch. Formen (↑ Bauernbefreiung) setzte
den erblich; der König durfte schließlich im 18. Jh. ein und wurde im 19. Jh. abge-
auch beim Aussterben eines Geschlechts schlossen; in Preußen die schroffste Form

555
Leibniz

1773, die dominierende Erbuntertänigkeit USA wichtig erschien (besonders Groß-


1807 (ergänzt 1811 und 1816 durch die britannien, UdSSR, China), wobei vorerst
Regulierungsedikte) von Stein und Har- keine Barzahlung verlangt wurde; von den
denberg, in Österreich 1848, in Russland 50 Mrd. Dollar der bis 1946 in dieser Form
1861; persönl. frei wurden alle Bauern, gewährten Unterstützungen wurde nur ein
dinglich frei und Eigentümer des von ih- Bruchteil zurück­erstattet.
nen bebauten Bodens nur die spannfähigen Leipzig, das „Lipzk“ (vom slaw. lipa, Linde)
Bauern, die die Eigentumsrechte der Guts- der wendischen Sorben, Fischersiedlung in
herren und die Frondienste durch Boden- der Elster-Pleiße-Niederung; als befestigter
abtretungen ablösen mussten; die übrigen Ort urkundlich 1015 erstmals gen., 1134
wurden freie Landarbeiter oder wanderten zum Haus Wettin, um 1160 Stadtrecht; im
in die Industrie ab. 13./14. Jh. Schutzbrief für reisende Kauf-
Leibniz, Gottfried Wilhelm Freiherr von, leute und andere Privilegien, die seine
universaler Gelehrter und Denker der Ba- Messen begünstigten (bestätigt und erwei-
rockzeit, 1646–1716; Philosoph, Natur- tert von Kaiser Maximilian I.); 1409 Uni-
wissenschaftler und Mathematiker; entwi- versität (nach Auszug der dt. Professoren
ckelte unabhängig von Newton die Dif- und Studenten aus ↑ Prag); 1485 an die
ferential- und Integralrechnung; bedeu- ↑ albertin. Linie. Seit dem 16. Jh. Entwick-
tender Jurist, Historiker, Theologe, Sprach- lung zum Zentrum des dt. Buchhandels
forscher, Diplomat; stand in persönl. Kon- und Weltmarkt des Pelzwarenhandels, kul-
takt oder in Briefwechsel mit den großen turelle Bedeutung durch J. S. Bach, Tho-
Gelehrten und den Fürstenhöfen Europas, manerchor und Gewandhaus, Thomasius,
seit 1676 Bibliothekar in hannoverschen Gottsched, Gellert u. a. – Empfindliche
Diensten. Sein Patriotismus erhob sich zu Rückschläge im 30-jährigen Krieg, 7-jäh-
den Menschheitsidealen Frieden und Hu- rigen Krieg; 1813 ↑ Völkerschlacht (1913
manität, seine protestant. Gläubigkeit zu Denkmalsweihe). – 1839 erste große dt.
Toleranz und dem Bemühen, die beiden Eisenbahnlinie L.–Dresden. 1879–1945
großen Konfessionen wieder zusammen- Sitz des Reichsgerichts. 1989 und Anfang
zuführen. Sein Versuch, Ludwig XIV. von 1990 Schauplatz großer Kundgebungen
Europa auf ein ägypt. Unternehmen abzu- gegen das SED-Regime und für die dt.
lenken, blieb ohne Erfolg; dafür wurden Einheit („Montagsdemonstrationen“).
seine Pläne für die Gründung einer Akade- Leipziger Disputation, 1519 in der Plei-
mie der Wissenschaften nach frz. Vorbild ßenburg zw. Dr. ↑ Eck und Karlstadt,
in Berlin (1700, erster Präsident L.) und schließlich zw. Eck und Luther, der im Ver-
Petersburg (1711) ausgeführt. lauf der Disputation mit Eck das Bekennt-
Leif Erikson, Sohn Eriks des Roten, des nis zu den Grundgedanken von Hus aus-
Entdeckers von Grönland, geriet um 1000 sprach („Auch das Konzil kann irren“).
auf der Grönlandfahrt zu weit nach Süden Lemnos, Insel in der nördl. Ägäis, 1456–
und landete, Grönland suchend, an der 1912 türkisch, dann griech., 1915 Stütz-
Küste von Nordamerika. punkt der Entente gegen ↑ Gallipoli.
Leih- und Pachtgesetz der USA, im Lenin (eigtl. Uljanow), Wladimir Iljitsch,
2. Weltkrieg, „Lend and Lease Bill“, in Theoretiker und Organisator der Bolsche-
Kraft seit 1941; bevollmächtigte den Prä- wistischen Revolution, erster Machthaber
sidenten zu unbeschränkten Rüstungsauf- der Sowjetunion, 1870–1924; entstammte
trägen und der Überlassung von Kriegs- russisch-tatar. Beamtenadel, schloss sich
material an die Staaten, deren Verteidi- schon früh der revolutionären Bewegung
gung für die militärischen Sicherheit der an, studierte in der sibir. Verbannung und

556
Leo

im Exil den ↑ Marxismus und entwickelte der Catilinarischen Verschwörung betei-


ihn weiter, bestimmte die Doktrin und ligt, 63 v. Chr. hingerichtet. 2) L., Publius
die Taktik der Bolschewiki als der „Partei Cornelius und Lucius Cornelius, Partei-
neuen Typus“, eines geschlossenen Kaders gänger des Pompejus.
disziplinierter, der Parteizentrale ergebener, Leo (lat., der Löwe), byzantin. (oström.)
ideologisch geschulter Berufsrevolutionäre Kaiser: 1) L. I., der Große (457–474);
als Sturmtrupp des revolutionären Proleta- Thraker, brach die Macht der german. Söld-
riats; kehrte 1917 mithilfe der dt. Obersten ner, führte Kriege gegen die Vandalen, be-
Heeresleitung aus dem Züricher Exil im mühte sich vergebens, Ost- und Westrom
plombierten Eisenbahnwagen nach Russ- wieder zu vereinigen. 2) L. III., fälschlich
land zurück, organisierte die ↑ Oktober- „Isaurier“ gen. (717–741); schlug die Ara-
revolution und als Vorsitzender des Rates ber zurück, reformierte Heer und Verwal-
der Volkskommissare den Widerstand ge- tung, ging gegen die Bilderverehrung vor
gen die zarist. Generale und die ausländ. (↑ Bilderstreit), deshalb vom Papst ge-
Intervention im russ. Bürgerkrieg; sein bannt. 3) L. IV., der Chasar (775–780);
„Kriegskommunismus“, die unorganisierte mäßigte unter dem Einfluss seiner Ge-
Landverteilung an die Bauern und der mahlin ↑ Irene die Verfolgung der Bildver-
überstürzte Versuch einer Industrialisie- ehrer. 4) L. V., der Armenier (813–820);
rung Russlands führten zum Wirtschafts- schlug die Araber, Bilderfeind, ermordet.
chaos; 1922 entschloss er sich daher zur 5) L. VI., der Weise (886–912); vermochte
NEP (Neuen Ökonomischen Politik) mit das Reich nicht gegen äußere Feinde zu
gewissem Spielraum für freie wirtschaft- verteidigen, brachte die byzantin. Gesetz-
liche Betätigung; sein Glaube an Weltre- bücher zum Abschluss.
volution und Weltkommunismus blieb je- Leo, 13 Päpste, darunter: 1) L. I., der Große
doch unerschüttert. Sein Leichnam wurde (440–461); setzte den Primat (Vorrangstel-
konserviert im L.-Mausoleum zu Mos- lung) Roms gegen die Bischöfe des Wes-
kau aufgebahrt. Die von L. in zahlreichen tens durch, bewog Attila zum Abzug und
Schriften geschaffene Ideologie, gedacht als den Vandalenkönig Geiserich, der Rom er-
folgerichtige Weiterentwicklung des Mar- obert hatte, zur Mäßigung. 2) L. III. (795–
xismus im Zeitalter des „Imperialismus als 816); krönte 800 Karl d. Gr. zum Kaiser.
des höchsten Stadiums des Kapitalismus“ 3) L. IV. (847–855); befestigte die ↑ Leos-
wurde insbesondere durch ↑ Stalin als „Le- tadt in Rom; seine Flotte besiegte die Sa-
ninismus“ zusammengefasst und kanoni- razenen bei Ostia (849). 4) L. IX. (1049–
siert. Die direkte Berufung auf L. erfuhr 1054), vordem Graf Bruno von Egisheim,
nach dem Tod Stalins durch ↑ Chruscht- einer der wenigen dt. Päpste des MA, för-
schow eine Neubelebung mit vielen Revi- derte die Reformbewegung von ↑ Cluny,
sionen. In der Sowjetunion dient seit dem bekämpfte durch Reformsynoden Simo-
Amtsantritt ↑ Gorbatschows 1985 die Be- nie und Priesterehe, schuf die Grundlagen
rufung auf L. zur Abgrenzung gegen die der Kurie in der heutigen Form, wurde von
Stalinzeit und die sog. Stagnationsperiode den Normannen gefangen genommen; un-
unter Breschnew und als theoret. Grund- ter ihm begann der Bruch mit der Ost-
lage für die ↑ Perestroika. kirche (1054 Schisma). 5) L. X., (1513–
Leningrad, von 1924 bis 1991 offiz. Name 1521); vordem Giovanni de Medici, führte
von St. ↑ Petersburg. als Förderer der Künste (Raffael, Michelan-
Lentulus, Beiname einer Familie des gelo) die ↑ Renaissance in Rom auf ihren
altröm. Patriziergeschlechtes der Cornelier: Höhepunkt, begünstigte das Ablasssystem,
1) L. Sura, Publius Cornelius, führend an um Gelder für den Bau der Peterskirche zu

557
León

bekommen; nahm das Auftreten Luthers Leone, Giovanni, italienischer Politiker,


nicht ernst, schloss 1516 mit Franz I. das 1908–2001; 1963–68 Ministerpräsident,
Konkordat von Bologna. 6) L. XII. (1823– 1971–78 Staatspräsident.
1829); trieb Restaurationspolitik, unter- Leonidas (I.), König der Spartaner, griech.
drückte die Geheimgesellschaften (Carbo- Nationalheld, verteidigte 480 v. Chr. den
nari, Freimaurer), begünstigte die Jesuiten, Engpass der Thermopylen gegen die Per-
schloss mehrere Konkordate ab. 7) L. XIII. ser, denen nach zweitägigem vergeblichen
(1878–1903), schloss mit dem preuß. Staat Frontalangriff durch den Verrat des ↑ Ephi-
Frieden im Kulturkampf, blieb Bismarck altes die Umgehung gelang; L. kämpfte mit
freundlich gesonnen, konnte aber die Be- 300 Spartanern und 700 Thespiern weiter
ziehungen mit Italien (↑ Kirchenstaat) bis zum Untergang.
nicht bessern; sein Versuch, Frankreich Leopold, Name von Herrschern. Dt. Kai-
zum Verbündeten zu gewinnen, schlug ser: 1) L. I. (1658–1705), geb. 1640; pas-
fehl; berühmt wurde seine Enzyklika „Re- sive Herrschernatur mit wiss. und mus.
rum novarum“ (1891) über die soz. Frage; Neigungen, am gleichzeitigen Aufstieg Ös-
der Geschichtsforschung leistete er durch terreichs zur europ. Großmacht durch die
die Öffnung des vatikan. Archivs einen un- Siege seiner Feldherrn (Prinz Eugen) über
schätzbaren Dienst. Franzosen und Türken ohne wesentlichen
León, historische Landschaft in NW-Spa- Anteil. 2) L. II. (1790–1792); geb. 1747,
nien, 717 arabisch. um 755 von Alfons I. Sohn Maria Theresias, 1765 bis zur Thron-
von ↑ Asturien erobert; Grenze gegen die besteigung Großherzog von Toskana,
Araber unter Alfons III. um 900 bis zum baute vorsichtig die radikalen Reformen
Duero vorgeschoben; mit der gleichzei- seines Bruders und Vorgängers Joseph II.
tigen Verlegung der Residenz nach L. ab, schloss 1791 Frieden mit den Tür-
(Stadt) nahm das Königreich Asturien den ken (Sistowa), verbündete sich mit Preu-
Namen L. an, seit 1037 mit ↑ Kastilien ver- ßen zur Abwehr der Frz. Revolution. An-
einigt (↑ Spanien). halt-Dessau: 3) L. I., der „Alte Dessauer“,
Leonardo da Vinci, ital. Künstler und Uni- Fürst (1693–1747), geb. 1676, strenger
versalgelehrter, 1452–1519; Schüler Ver- Landesvater, Feldherr im Dienst Preu-
rocchios in Florenz, 1482–1499 als Archi- ßens, Exerziermeister der preuß. Armee,
tekt, Bildhauer, Bewässerungs- und Kriegs- die er zusammen mit Friedrich Wilhelm I.
ingenieur am Hof des Mailänder Herzogs zur bestgedrillten und schlagkräftigsten
Lodovico Sforza, 1516 auf Einladung Europas machte (Einführung des Gleich-
Franz’ I. in Frankreich (Schloss Cloux bei schritts, des eisernen Ladestocks); tat sich
Amboise). In der Vielseitigkeit seiner geis- außer durch die Eroberung Rügens (1715)
tigen und künstlerischen Begabung ent- in den Schlachten von Höchstädt, Turin
sprach L. dem Renaissance-Ideal der uni- und Kesselsdorf hervor. – Belgien: 4) L. I.
versalen Persönlichkeit; es gab kaum ein (1831–1865); geb. 1790, aus dem Haus
Gebiet, auf dem er nicht schöpferisch oder Sachsen-Coburg, während der Napoleon.
als Anreger hervortrat, doch ist ebenso Kriege General in russischen Diensten;
charakteristisch für ihn, dass er sich übli- war in 1. Ehe vermählt mit der britischen
cherweise mit Entwürfen und Fragmenten Thronerbin Charlotte, die frühzeitig starb;
begnügte und sich nur wenig um die Aus- nachdem er vom belg. Nationalkongress
arbeitung oder Auswertung seiner Einge- zum König der Belgier gewählt worden
bungen kümmerte; er war der erste Euro- war, festigte er durch seine überlegene Per-
päer, der sich bewusst und intensiv mit der sönlichkeit den jungen belgischen Staat.
Natur beschäftigte. 5) L. II., König (1865–1909); geb. 1835,

558
Leszczinsky

kaufmännisch begabt und afrikabegeistert, Leptis Magna, Leptis Maior, phönik. See­
Begründer der belgischen Kolonialpoli- handelsstadt in Libyen (Kleine Syrte), Vater­
tik, organisierte den ↑ Kongostaat. – Ho- stadt des röm. Kaisers ↑ Septimius Severus,
henzollern: 6) L., Fürst (H.-Sigmaringen), der sie mit prächtigen Bauten schmückte,
1835–1905; seine (später zurückgezogene) im 4. Jh. von Libyern, im 7. Jh. von Ara-
Kandidatur für den span. Thron gab den bern zerstört, später unter Dünen begraben
äußeren Anlass zum ↑ Dt.-Frz. Krieg. – (eindrucksvolle Ruinen seit 1920 von den
Österreich. 7) L. I., Herzog (1310–1326); Italienern freigelegt).
geb. 1290, unterlag 1315 den Schweizer Lerma, Francisco Gomez de Sandoval y
Eidgenossen bei ↑ Morgarten, kämpfte für Royas, Herzog von, span. Kardinal und
seinen Bruder Friedrich den Schönen ge- Politiker, 1550–1624; Günstling und seit
gen Ludwig den Bayern. 8) L. III., Herzog 1598 allmächtiger Minister Philipps III.,
(1365–1386), geb. 1351, Neffe von 7), fiel unter seinem korrupten Regime beschleu-
bei ↑ Sempach. nigte sich der Verfall der Großmacht Spa-
Leostadt (Civitas Leonina), röm. Stadt- nien im Innern (1609–1611 Vertreibung
teil um St. Peter, auf dem antiken Ager der Morisken) wie im Äußeren, woran auch
vaticanus, von Papst Leo IV. um 850 mit sein Sturz (1618) nichts mehr änderte.
Mauern umgeben, seither Zufluchtsstätte Lesbos, griech. Mytilene, größte Insel im
der Päpste, im 14. Jh. zerstört, im 15. Jh. Ägäischen Meer, in der Antike mächtig
wieder aufgebaut, in der Renaissance der durch reiche Handelsstädte, die auch einen
prächtigste Teil Roms. Teil des kleinasiat. Festlandes beherrschten;
Leowigild (Löwenheld), letzter König der von den Persern unterworfen; 476 v. Chr.
Westgoten, arianischen Glaubens (567– im Athen. Seebund; Heimat der mus.
586), vertrieb die Byzantiner aus Cordoba, Künste (Dichterin Sappho); später unter
hielt die Katholiken nieder und unterwarf makedon., röm., byzantin., genues. Herr-
die Sueben; sein Sohn und Nachfolger schaft, 1462 von den Türken erobert. Bei
↑ Rekkared trat zum Katholizismus über. L. 1690 und 1698 Seesiege der Venezianer,
Lepanto (Naupaktos), Hafenstadt am Golf 1821 der Griechen über die Türken.
von Korinth; 1571 entscheidender Seesieg Lesotho, Königreich in SO-Afrika; um
der span.-venezian.-päpstlichen Flotte un- 1830 als Basutoland gebildet, seit 1868
ter Don Juan d’Austria über die ↑ Türken brit. Protektorat, erhielt 1959 innere Auto­
(letzte Galeerenschlacht in der Geschichte nomie, seit 1966 unabhängig innerhalb des
des Seekriegs). Commonwealth.
Lepidus, Marcus Ämilius, röm. Politiker, Lesseps, Ferdinand Vicomte de, frz. Diplo­
gest. 13 v. Chr.; 46 v. Chr. Konsul, 43 v. Chr. mat und Ingenieur, 1805–1894; Planer
Triumvirat mit Antonius und Oktavian, und Erbauer des ↑ Suezkanals; verschaffte
wurde von beiden ausgeschaltet. sich 1854 die Konzession des Vizekönigs
Lepra (Aussatz), von Kreuzfahrern aus dem Said Pascha, gewann die europ. Finanzwelt
Orient nach Europa eingeschleppt, wütete und führte sein Projekt 1859–1869 trotz
bis zum 16. Jh.; da es damals kein Heilmit- brit. Gegenmanöver durch. 1879 begann
tel gegen L. gab, wurden die Kranken aus er mit Vorarbeiten zum Bau des ↑ Panama­
jeder Gemeinschaft entfernt und vor die kanals, scheiterte aber, wurde an seinem
Städte verbannt, wo sie in Heimen von Al- Lebensende in den Panamaskandal verwi-
mosen leben mussten; im MA wurden Er- ckelt (↑ Panamakanal).
krankte schon relativ früh in solchen Le- Leszczinsky, Stanislaus, 1677–1766; letz-
prosenheimen und abgeschlossenen Wohn­ ter Spross einer angesehenen poln. Adelsfa-
siedlungen gepflegt. milie, 1704–1709 König von Polen, 1733

559
L‘état c‘est moi

mithilfe seines Schwiegervaters Ludwig XV. rasche Umorientierung des Landes hin zu


von Frankreich wiedergewählt, im Poln. einer freien Marktwirtschaft. März 2004
Erbfolgekrieg (1733–1735) zum zwei- Beitritt zur NATO, Mai 2004 Beitritt zur
ten Mal verjagt und mit dem Herzogtum EU. In der Außenpolitik enge Zusammen-
Lothringen abgefunden, das nach seinem arbeit mit Estland und Litauen .
Tod an Frankreich fiel. Lettow-Vorbeck, Paul von, dt. General,
L’état c’est moi, (frz., „Der Staat bin 1870–1964; verteidigte im 1. Weltkrieg
ich!“), Leitsatz des ↑ Absolutismus im Stil Dt.-Ostafrika und hielt sich gegen zehn-
Ludwigs XIV., der mit der Hundepeitsche fache Übermacht bis zum ­Waffenstillstand.
in der Hand dieses Wort vor dem wider- Lettres de cachet (frz., „versiegelte
spenstigen Parlament von Paris gesprochen Brie­fe“), die geheimen Verhaftungsbefehle
haben soll; das Gegenteil war die Maxime der frz. Könige, um missliebige Personen
des aufgeklärten Absolutismus Friedrichs ohne ordentl. Prozess auszuweisen oder ins
d. Gr.: „Ich bin der erste Diener meines Gefängnis zu setzen; im Gegensatz zu den
Staates.“ Lettres patentes, den „offenen Briefen“, auf
Le Tellier, Michel, frz. Staatsmann, 1603– Papier statt Pergament geschrieben und
1685; Staatssekretär des Kardinals Maza- von einem Minister statt vom König un-
rin und Berater Ludwigs XIV., Vater und terzeichnet; durch Dekret der Nationalver-
Amtsvorgänger des Kriegsministers ↑ Lou- sammlung vom 23. Juni 1789 beseitigt.
vois, mitverantwortlich für die Aufhebung Leuktra, in der Antike Ort in Böotien, süd-
des ↑ Ediktes von Nantes (1685). westl. von Theben; hier siegte 371 v. Chr.
Lettland, gebildet aus Kurland, Semgallen der Thebaner Epaminondas über die Spar-
und dem südl. Teil von Livland, ehedem taner unter Anwendung der sog. „schiefen
vom Dt. Orden beherrscht und daher pro- Schlachtordnung“ (starker, angreifender
testantisch (im Gegensatz zu Litauen, das linker, schwächerer rechter Flügel) und
zum kath. Polen gehörte); seit 1721 (Liv- brach damit die Vorherrschaft Spartas.
land) und 1795 (Kurland) russ. Provinzen; Leuschner, 1) L., Bruno, dt. Politiker,
1918 aus dem russ. Staatsverband ausge- 1910–1965; seit 1931 Mitglied der KPD,
schieden; Unabhängigkeitsproklamation, 1936–1945 in Haft, 1952–1961 Vorsitzen-
mithilfe reichs- und baltendt. Truppen Ab- der der staatlichen Plankommission in der
wehr der Bolschewisten (1920 Friede von DDR, 1955–1965 stellvertretender Minis-
Riga); mit brit. Unterstützung Sieg über terpräsident, 1960–63 Mitglied des Staats-
die baltendt. Herrenschicht; 1921 Aner- rates. 2) L., Wilhelm, dt. Gewerkschafter
kennung als souveräner Staat, 1932 Nicht- und Politiker, 1890–1944; trat 1909 der
angriffspakt mit der UdSSR, 1939 mit Gewerkschaft bei, 1924–1933 SPD-MdL
Deutschland. Im gleichen Jahr aufgezwun- in Hessen, 1928–1933 hess. Innenminis­
gener Beistandspakt und 1940 (endgültig ter, seit 1932 Vorstandsmitglied des Allg.
1945) sowjet. Einmarsch, Eingliederung Dt. Gewerkschaftsbundes, 1933–34 im
in die UdSSR als Lettische Sozialistische KZ; wurde 1944 zum Tode verurteilt.
Volksrepublik. Zunehmende Unabhän- Leuthen, schles. Dorf westl. Breslau; 1757
gigkeitsbestrebungen L.s im Zuge der mit Sieg Friedrichs d. Gr. über die fast dreifach
der Umgestaltung in der UdSSR aufkom- überlegene österr. Armee unter Prinz Karl
menden Nationalitätenkonflikte ab 1987. von Lothringen.
Bei den Parlamentswahlen 1990 Mehr- Levante, urspr. in Süditalien Bezeichnung
heit der für die Unabhängigkeit L.s eintre- des Ostwindes und des Ostens als Him-
tenden „Volksfront“, im Juni 1990 Unab- melsrichtung; übertragen auf die klein­asiat.
hängigkeitserklärung. In den 90er Jahren und ägypt. Küsten des Mittelmeeres.

560
Libanon

Levée en masse (frz., Aufgebot in Mas- Reichsorganisationsleiter der NSDAP. Im


sen), zur Verteidigung des bedrohten Va- Mai 1933, nach Beseitigung der freien Ge-
terlandes aufgrund der allg. Wehrpflicht für werkschaften, Leiter der Deutschen Ar-
die Waffenfähigen aller Jahrgänge (↑ Land- beitsfront. Gleichzeitig begann L. mit der
sturm, Landwehr) erstmals organisiert von Gründung und dem Aufbau der Organisa-
↑ Carnot, um das revolutionäre Frankreich tion „Kraft durch Freude“. Außerdem un-
vor der drohenden Vernichtung durch die terstanden ihm die gesamte Parteischulung
Koalitionsheere zu retten; Carnots Werk sowie die Leitung der Ordensburgen; be-
revolutionierte die gesamte Kriegführung; ging wenige Tage vor Beginn des Nürnber-
die „Nation in Waffen“, das Aufgebot von ger Kriegsverbrecherprozesses Selbstmord.
Massenheeren, deren Kampfgeist mehr Libanon, Freistaat im Norden Palästinas,
vom nationalen Enthusiasmus als vom mi- im 3. Jt. v. Chr. Einwanderung semit., um
litär. Reglement bestimmt wurde, führte 2 000 kanaanäischer Stämme; im 2. und
zu den gewaltigen Blutopfern des 1. und 1. Jt. Mutterland der phönik. Handelsko-
2. Weltkrieges. lonien; später unter babylon., assyr., pers.,
Lex (lat., Gesetz; Mehrzahl: Leges), in Alt- griech., parth. Herrschaft, 17 n. Chr. röm.,
Rom die in den Bürgerversammlungen dann byzant., arab., türk.; 1840 unter dem
durch Abstimmung gefassten Beschlüsse, Druck der Westmächte getrennte Regie-
benannt zumeist nach den Geschlechter- rung der Drusen und christl. Maroniten;
namen der vorschlagenden Beamten (meist 1860 grausamer Aufstand der Drusen und
der Volkstribunen); Reste dieser Gesetz- Eingreifen Frankreichs (1862); Abtren-
gebung durch das Volk erhielten sich bis nung von Syrien, autonomer Paschalik
Nerva; berühmte Leges waren die des ↑ Li- unter Kontrolle der Westmächte (christl.
cinius (und Sextinus), die Lex Hortensia Gouverneur); 1920 unter frz. Protektorat
(287 v. Chr., Beteiligung der Plebs an der gestellt; 1925/26 erneuter Aufstand der
Verteilung des Gemeindelandes) und die Drusen von Frankreich niedergeworfen;
Lex Julia et Poppäa (unter Augustus, Sit- 1936 Beginn des Rückzugs der frz. Besat-
ten- und Ehegesetzgebung). zung, 1946 freie Republik mit Abzug der
Lex Regia, dänisches Staatsgrundgesetz frz. Truppen; 1958 schwere Unruhen, Ein-
von 1665, das den Absolutismus für Däne- greifen amerik. Truppen auf Ersuchen des
mark verfassungsmäßig festlegte. Staatspräsidenten. Der L. konnte sich 1967
Lex Romana Visigothorum (Breviarium aus dem 3. israel.-arab. Krieg heraushal-
Alarici), das Recht der Römer (im Gegen- ten. Zunehmende Aktivitäten palästinens.
satz zur Lex Barbarorum), eine Sammlung Guerillaorganisationen von libanes. Gebiet
aus röm. Rechtsquellen, die König Ala- aus bewirkten israel. Vergeltungsschläge.
rich II. für seine röm. Untertanen aufzeich- 1973 kam es zu Auseinandersetzungen zw.
nen ließ (506 n. Chr.). der libanes. Armee und den Fedajin, 1975
Lex Visigothorum, Gesetze der Westgo- Bürgerkrieg zw. Christen (Anhänger der
ten, aufgezeichnet um 654, stark vom röm. Phalange-Partei) und Muslimen (vorwie-
Recht beeinflusst, gültig für Germanen gend palästinens. Freischärler), ab 1976
und Römer, daher entscheidend für die Eingreifen der syr. Armee gegen die Palä-
endgültige Überwindung des Gegensatzes stinenser; der Versuch, durch eine arab. In-
beider Völker. terventionsstreitmacht die Kämpfe zu be-
Ley, Robert, dt. nat.-soz. Politiker, 1890– enden, scheiterte; 1978 massiver Eingriff
1945; 1925 Eintritt in die NSDAP und Israels zugunsten der christl. Milizen. Da-
Gauleiter Rheinland, war ab 1930 Mit- nach auf Ersuchen der libanes. Regierung
glied des Reichstages und ab Nov. 1932 Stationierung einer UN-Friedenstruppe.

561
Liberalismus

Seit 1985 Besetzung einer 15 km breiten faltung. – Der L. hat seine Wurzeln in
„Sicherheitszone“ im Süd-L. durch israel. der ↑ Aufklärungsphilosophie des 18. Jh.
Truppen. Eine Lösung der Konflikte im (John ↑ Locke, J.-J.↑ Rousseau, ↑ Voltaire,
L. gelang erst 1989: Friedensplan, Macht- ↑ Montesquieu, Adam ↑ Smith u. a.), die
beschneidung des maronitischen Staats- als oberste Autorität die Vernunft des freien
präs. zugunsten des muslim. Ministerprä- Individuums einsetzte und damit die über-
sidenten. Syrien verblieb mit rund 40 000 kommene Staats- und Gesellschaftsord-
Soldaten als „Ordnungsmacht“ im L. 1992 nung (Feudalaristokratie, Gottesgnaden-
Parlamentswahlen, Kabinett je zur Hälfte tum, Macht der Kirche) in ihren Grund-
aus Muslimen und Christen, Regierungs- lagen unterhöhlte; liberale Prinzipien – in
chef R. al-Hariri (Sunnit), Staatspräsident England im Rahmen einer organischen
der pro-syrische Elias Hrawi (1989–1998, Verfassungsentwicklung wirksam (↑ Bill
dann Emile Lahoud). In den 1990er Jahren of Rights) – kamen bereits im nordame-
im Süden wiederholt Kämpfe zw. der His- rik. Unabhängigkeitskampf und in der Frz.
bollah-Miliz, der Volksfront zur Befreiung Revolution zum Durchbruch, doch da-
Palästinas und der mit Israel verbündeten tierte der L. als polit. Bewegung im Rah-
Südlibanes. Armee. 2000 Abzug der israel. men programmatisch festgelegter Parteien
Truppen, durch eine Friedenstruppe der (zuerst in Spanien: „Los liberales“) erst seit
UN (UNIFIL) ersetzt. Währenddessen ge- dem Restaurationszeitalter nach 1815, als
lang durch Wirtschaftsreformen und aus- er die nach der Frz. Revolution und den
länd. Finanzhilfe wirtschaftl. Aufschwung. Napoleon. Kriegen wiedererstarkten alten
2005 tödl. Attentat auf den ehem. Regie- Gewalten zum Kampf stellte und sich da-
rungschef R. al-Hariri, nach Protesten bei mit den nationalstaatlichen Gedanken
Rücktritt der prosyr. Regierung und nach und der demokrat. Idee verband (er war
internat. Druck Ende April gemäß der mit ihr nicht wesensgleich: Demokratie
UN-Resolution 1559 Abzug der letzten fragte nach dem Träger der Staatsgewalt,
syr. Truppen aus dem L. L. nach den Grenzen der Staatsgewalt, sein
Liberalismus (von lat. liber, frei), geistige Ideal: ein Staat, der den Bürger nur eben
und polit. Bewegung, deren Hauptanliegen schützt und sonst unbehelligt lässt). Nach
die Freiheit des Individuums war; oberster den (bürgerlich-liberalen) Revolutionen
polit. Programmpunkt des L. war die Siche- von 1830 und 1848 und nach Eroberung
rung der Menschenrechte (Grundrechte) der öffentlichen Meinung (Pressefreiheit)
durch Verwirklichung des verfassungsmä- erlebte der L. – nicht zufällig gleichzeitig
ßig (konstitutionell) verankerten Rechts- mit dem ↑ Kapitalismus – seine Blüte um
staates; Erziehung des Untertanen zum die Mitte des 19. Jh. Der traditionelle L.
Staatsbürger. In der Wirtschaft forderte er in Großbritannien beeinflusste maßgeb-
das freie Erwerbsstreben im freien Markt lich die Außenpolitik (Gladstone), doch
und den Freihandel (↑ Laissez faire; Man- schied sich um diese Zeit vom älteren, be-
chestertum); im religiösen bzw. kirchenpo- tont nationalen und sozial reaktionären
lit. Bereich bestand er auf Glaubensfreiheit L. eine radikale Richtung mit konsequent
und Toleranz, scheute aber im Widerstand fortschrittlichen, kosmopolit., pazifist. und
gegen den „Klerikalismus“ auch nicht vor sozialen Tendenzen, ohne sich durchsetzen
dem Kulturkampf zurück (Trennung von zu können. Bereits um die Jahrhundert-
Staat und Kirche, staatliche statt geistliche wende verlor der L. erheblich an Boden
Schulaufsicht u. a.); Träger des L. war das zugunsten des Sozialismus und Konserva-
Bürgertum (Bourgeoisie; Dritter Stand), tismus (liberale Prinzipien wirkten auch
schon im Hinblick auf seine wirtsch. Ent- außerhalb der liberalen Parteien weiter;

562
Libyen

Neo-Liberalismus); 1947 wurde in Ox- Libyen, in altägypt. Zeit das Gebiet westl.
ford eine liberale Internationale (Liberale des Niltals, bewohnt von den Libyern, ha-
Weltunion) zur Neubelebung des L. gegr. mit. Nomaden, später Berber hinzukom-
– Zur Geschichte des L. in Preußen bzw. mend; bei den Griechen Name für das
Deutschland ↑ Fortschrittspartei, ↑ Natio- ganze (damals bekannte) Afrika; im enge­
nalliberale, ↑ Freisinnige. ren Sinne nur die Kyrenaika (oder Barka);
Liberia, der erste (nominell) freie (daher 75 v. Chr. röm. Provinz (Kyrene), bei der
der Name) Staat der Schwarzen auf afrikan. Reichsteilung zu Ostrom, um 643 von den
Boden, verdankte seine Entstehung einem Arabern erobert, als Teil des Kalifats von
amerik. Kolonisationsverein, der 1822/23 Kairo 1517 türk., 1714 auch Tripolis (Ber-
Land an der Küste Westafrikas aufkaufte berstaat) Teil des Osman. Reiches, beide
und freigelassene Sklaven aus den USA Gebiete 1911/12 von Italien besetzt und
dort ansiedelte (Asyl Monrovia); 1847 vom Sultan für „autonom“ erklärt, d. h. ab-
selbständige Republik mit Verfassung nach getreten; zäher Widerstand des orthodox-
dem Vorbild der USA; 1908 unter inter- mohammedan. Ordens der türkenfreund-
nationaler Finanzaufsicht, 1919 Finanzko- lichen Senussi (entstanden Mitte 19. Jh.),
lonie der USA; dynastische Familienclans die im 1. Weltkrieg mit dt.-türk. Unter-
hielten seit der Gründung die Schlüssel- stützung gegen die Italiener kämpften, erst
positionen im Staat besetzt; Vorherrschaft vom faschist. Regime 1923–1931 (Grazi-
der afro-amerikanischen Siedler endete erst ani) unterworfen; 1934 Zusammenschluss
1980, als Präs. Tolbert in einem Militär- von Tripolitanien und der Kyrenaika, ver-
putsch von Sergeant S. Doe gestürzt wurde, stärkte Ansiedlung ital. Kolonisten; mit der
es begann eine Zeit polit. Instabilität; die Eroberung L.s durch die Briten 1942/43
schon vorher bestehenden sozialen Gegen­ neue Phase der Unabhängigkeitsbewe-
sätze und die herrschende Korruption ver- gung, die nach Kriegsende von der Arab.
schärften sich noch. 1984 neue Verfassung, Liga unterstützt wurde; Demonstrationen
im Folgejahr Wahlen, bei denen Doe als gegen die im Bevin-Sforza-Plan vorgese-
Präsident offiz. bestätigt wurde. Abhän- hene (auf 10 Jahre befristete) Rückkehr
gigkeit von den USA verstärkte sich wei- der Italiener; 1949 Unabhängigkeitspro-
ter. Ende der 80er Jahre eskalierten die klamation, 1951 selbständiges Königreich
sozialen und ökonomischen Spannungen. L. unter König Idris I. es Senussi (Bundes-
1990 nach Putsch der National Patriotic staaten Tripolis, Barka [Kyrenaika], Fessan
Front von Charles Taylor Bürgerkrieg (bis in der Sahara); seit 1958 Erschließung gro-
1995), 1997 Wahl Taylors zum Präsidenten ßer, ergiebiger Erdölquellen. 1969 Militär-
(bis 2003, seither G. Bryant). Seit 1999 an- putsch unter Führung Gaddafis; seitdem in
haltende Kämpfe gegen Rebellen, die auch L. Politik der Islamisierung und des pan-
Grenzkonflikte mit Truppen aus Guinea arab. Natio­nalismus, Verstaatlichung aus-
zur Folge hatten. Die Rolle L.s in den Bür- länd. Erdölgesellschaften, 1969 Absetzung
gerkriegswirren im Dreiländereck zwischen des Königs, L. wurde Republik, Regierung
Guinea, Sierra Leone und L. bleibt unklar, durch Revolutionären Führungsrat, Staats-
ebenso wie die weitere politische Entwick- oberhaupt Oberst ↑ Gaddafi. Versuche der
lung des Landes. Fusion mit Ägypten 1973 und mit Tune-
Liberté, Egalité, Fraternité (frz., Freiheit, sien 1974 scheiterten. 1976 wurde L. in
Gleichheit, Brüderlichkeit), Parole der Frz. eine Arab. Volksrepublik auf der Grund-
Revolution, 1793 formuliert und ausgege- lage des Korans umgewandelt. Das Land
ben vom Club der ↑ Cordeliers; offizielle geriet durch seine unnachgiebige Haltung
Losung der 2. Republik 1848–1852. im Nahostkonflikt unter den arabischen

563
Lichnowsky

Ländern, von denen viele für eine friedl. Licinius, 1) L. Stolo, Gajus, röm. Volkstri-
Lösung plädierten, allmähl. in die Isola- bun, aus berühmtem plebej. Geschlecht,
tion. Nach dem Scheitern seiner panarab. setzte 367 v. Chr. zusammen mit seinem
Ziele änderte Muamar al-Gaddafi seine Kollegen Lucius Sextius die Licinisch-
Ausrichtung hin auf schwarzafrik. Nati- Sextischen Gesetze durch, wonach einer
onen mit überwiegend muslim. Bevölke- der beiden Konsuln immer aus der Ober-
rung und unterstützte neben den radikalen schicht der Plebs kommen sollte (bis dahin
Palästinensern gezielt terrorist. Organisa- nur Konsuln aus dem Patriziat); nicht ver-
tion z. B. in Uganda, Niger und Somalia. bürgt sind ein im gleichen Zusammenhang
Für die eigene Bevölkerung baute die li- gen. Ackergesetz (gegen den Grundbesitz)
bysche Staatsführung ein gut funktionie- und ein Schuldentilgungsgesetz. 2) L., Va-
rendes Sozialsystem mit einer umfassenden lerius Licinianus, röm. Kaiser, seit dem
Gesundheits- und Altersversorgung auf. Tod des Galerius 311 n. Chr. Herr der
Als libysche Truppen 1980 in den Bür- östl. Reichshälfte, verfügte zus. mit seinem
gerkrieg im Tschad eingriffen kam es zum Schwager Konstantin (d. Gr.) das Toleranz­
Konflikt mit Frankreich und den USA, edikt von Mailand, 324 von Konstantin
1986 Luftangriffe auf Tripolis. 1992 Luft- besiegt und getötet.
verkehrs- und Handelsembargo der UN, Lidice, tschech. Bergarbeitersiedlung bei
daraufhin 1993 offizielle Abkehr Libyens Kladno westl. von Prag; wurde auf Befehl
vom Terrorismus. Hitlers am 9. Juni 1942 von dt. Polizei und
Innenpolit. wachsender Widerstand gegen SD umstellt, 198 Männer wurden ermor-
Gaddafi, 1994 Rückzug aus dem Tschad det, Frauen und Kinder kamen ins KZ; die
und Friedensvertrag, 1998 Aussetzung des Aktion, die mit der völligen Zerstörung
Handelsembargos, im Gegenzug Auslie- von L. endete, wurde von der NS-Führung
ferung der beiden mutmaßlichen Locker- als Vergeltung für das Attentat auf ↑ Heyd-
bie-Attentäter (Bombenattentat auf ein rich ausgegeben, obwohl eine Verbindung
US-amerik. Passagierflugzeug 1988) an der Täter zu L. nicht erwiesen war.
den Internat. Gerichtshof. 2001 Entschä- Liebig, Justus Freiherr von, größter dt. Che-
digungszahlungen L.s an die Angehörigen miker des 19. Jh., 1803–1873; mit 21 Jah-
der Lockerbie-Opfer, seither verstärkte Be- ren Prof., machte Gießen und München zu
mühungen um Normalisierung der Bezie- den europäischen Zentralen des Chemiestu­
hungen zur westl. Welt. diums (Unterricht in Laboratorien), revo-
Lichnowsky, einflussreiche fürstliche Fami­ lutionierte durch seine Agrikultur­chemie
lie polnischer Herkunft mit großen Besit- (Düngerlehre) den Ackerbau.
zungen in Preußen und Österreich, daraus: Liebknecht, führende Linkssozialisten und
1) L., Felix, Fürst, konservativer Politiker, bedeutendste Agitatoren des Marxismus
1814–1848; Mitglied der Frankfurter Na- in Deutschland: 1) L., Wilhelm, 1826–
tionalversammlung, Wortführer der äuße­ 1900; beteiligte sich 1848 am bad. Auf-
ren Rechten, wurde während des Septem- stand, kam im Londoner Exil mit Marx
beraufstandes ermor­det. 2) L., Max, Fürst, zusammen, gründete 1869 zus. mit ↑ Be-
dt. Diplomat, 1860–1928; Neffe von 1), bel die Sozialdemokratische Arbeiterpartei
als Botschafter in London 1912–14 bis und beeinflusste sie nachhaltig im Sinne
zum Äußersten für dt.-brit. Verständigung; des Marxismus; Mitglied des Reichstags,
wegen eines gegen seinen Willen veröffent- Redakteur des Zentralorgans „Vorwärts“,
lichten Buches („Meine Londoner Mis- mehrfach wegen Hochverratsdelikten ver-
sion“) aus dem preußischen Herrenhaus urteilt. 2) L., Karl, 1871–1919; Sohn von
ausgeschlossen. 1), stimmte 1914 im Reichstag als Einzel-

564
Lilienthal

gänger gegen die Kriegskredite und grün- den Schmalkaldischen Bund. – 1576 Hei-
dete 1916 den ↑ Spartakusbund (aus dem lige L. der frz. Katholiken gegen die Hu-
die KPD hervorging), zu Zuchthaus ver- genotten, daraus 1588 L. der Sechzehner,
urteilt, durch die Revolution befreit, 1919 kämpfte mit spanischer Hilfe gegen Hein-
mit Rosa ↑ Luxemburg von rechtsradikalen rich III. und Heinrich IV. – 1609 Katho-
Offizieren ermordet. lische L. unter Führung Bayerns gegen
Liechtenstein, erbliches Fürstentum (zw. die protestantische Union, 1613 Beitritt
Vorarlberg und Schweiz gelegen), entstan- des Kaisers, 1618 mit eigenem Heer unter
den 1719 durch Vereinigung der Herr- Tilly, 1635 aufgelöst.
schaften Vaduz und Schellenberg, Er- Ligurien, historische Landschaft Nordita­
hebung zum reichsunmittelbaren Fürs- liens, in der Antike bewohnt von den
tentum; 1806–14 Mitglied des Rhein- vor­indogermanischen, später mit Indo­
bundes, 1815–66 des Dt. Bundes, dann germanen ver­mischten Ligurern, im 3. und
selbständig in enger Anlehnung an Ös- 2. Jh. v. Chr. von den Römern unterworfen,
terreich (Zoll- und Währungsunion bis in den Westalpen erst unter Augustus; die
1918); nach dem 1. Weltkrieg Zoll- und ligur. Söldner Roms waren als gute Krieger,
Währungsunion mit der Schweiz (die L. insbes. Schleuderer, gefürchtet.
auch nach außen vertritt); Einkammerpar- Ligurische Republik, Name der Republik
lament; Hauptstadt Vaduz. ↑ Genua (nach den alten, im Hinterland
Liegnitz, seit dem 12. Jh. Residenz der pias­ siedelnden Ligurern) von 1797, als sie unter
tischen Herzöge von L., mit dem Ausster- dem Druck Napoleons ihre aristokrat. Ver-
ben 1675 zu Österreich, im 1. Schles. Krieg fassung durch eine demokrat. ersetzte, bis
von Preußen erobert und im 7-jährigen 1805, als sie Frankreich einverleibt wurde.
Krieg behauptet. – Bei L. (Wahlstatt) über- Likendeeler, auch ↑ Vitalienbrüder ge-
rannten 1241 Mongolen ein schles. Ritter- nannt, Brüderschaft der Freibeuter in Ost-
und Bauernheer und schlug 1760 Friedrich und Nordsee im 13./14. Jh., teilten sich in
d. Gr. die Österreicher unter Laudon. ihren Raub zu gleichen (niederdt. „liken“)
Liga (ital., Bündnis) oder (frz.) Ligue, Fürs­ Teilen.
tenbündnisse des 15.–17. Jh. Im 17. Jh. Liktoren, in Alt-Rom Amtsdiener der hö-
gleichbedeutend mit Allianz; u. a.: 1465 L. heren Magistratsbeamten, je nach deren
du bien public (frz., L. des Gemeinwohls), Rang 6 bis 24; vollstreckten die Leib- und
Zu­sammenschluss der frz. Feudalherren Todesstrafen und trugen als Schutz- und
gegen die Machtansprüche ihres Königs Ehreneskorte der Prätoren, Konsuln und
Ludwig XI. – 1508 L. von Cambrai, zur Diktatoren diesen auf der Schulter die
Demütigung Venedigs abgeschlossen zwi- ↑ Fasces voraus (Rutenbündel, im Krieg
schen Ludwig XII. von Frankreich, Papst mit dem Beil).
Julius II., Kaiser Maximilian I., Ferdinand Lilie, wegen ihres christl. Symbolgehaltes
von Aragón und einigen ital. Staaten. – im MA als Wappenbild verwendet, seit
1511 Heilige L. des Papstes (daher die Bez. 1179 von den frz. Königen; das L.-Banner
„Heilig“), Spaniens und Venedigs gegen die der Bourbonen wurde in der Frz. Revolu-
Italienpolitik des Kaisers und Frankreichs, tion durch die ↑ Trikolore ersetzt.
1512 durch den Beitritt Englands und des Lilienthal, Otto, dt. Pionier der Luftfahrt,
Kaisers selbst erweitert, 1513 aufgelöst – 1848–1896; wirkte als Ingenieur und Er-
1526 L. von Cognac, gegen Karl V.; um- finder (z. B. des Steinbaukastens) auf ver-
fasste Frankreich, England; Mailand, Vene- schiedenen Gebieten der Technik, stu-
dig und den Papst. – 1538/39 Katholische dierte intensiv den Vogelflug und konstru-
oder Heilige L. der dt. kath. Fürsten gegen ierte nach dessen Vorbild einen Gleitflieger,

565
Lilybäon

führte 1891 den ersten Gleitflug durch. L. Forth ausdehnte, wurde der ↑ Hadrians-
stürzte bei einem späteren Versuch, der ihn wall (122 n. Chr.) unter Zurücknahme der
Luftsprünge von bis zu 350 m Weite ma- Grenze weiter südl. (zw. Solvaybucht und
chen ließ, tödlich ab. Tynemündung) angelegt; Antonius rückte
Lilybäon, karthag. Hafen und Festung an den Grenzwall 143 wieder nach Norden
der Westspitze Siziliens, 396 v. Chr. gegr., (zw. Clyde und Forth) vor; unter Septimius
trotzte im 1. Pun. Krieg 10 Jahre lang der Severus Rückzug zum Hadrianswall, der
röm. Blockade, 241 durch Vertrag röm. erneuert werden musste; ähnl. Grenzwälle
Liman von Senders, Otto, preuß. Gene- auch gegen arab. und Saharastämme.
ral und türk. Marschall, 1855–1929; Lei- Lincoln, eine der ältesten Städte Englands;
ter der dt. Militärmission in der Türkei seit schon zur Römerzeit von Bedeutung, Resi-
1913, verteidigte als Armeeführer 1915/16 denz der angelsächs. Könige von Mercia.
die Dardanellen, 1918 Oberbefehlshaber Lincoln, Abraham, nordamerik. Politiker,
der Heeresgruppe F (Palästina). 1809–1865; (16.) Präsident der USA und
Limburger Chronik (lat. Fasti limpurgen­ Führer der Nordstaaten im ↑ Sezessions-
ses), in dt. Sprache um 1400 von dem kai- krieg, volkstümlichste Persönlichkeit der
serlichen Notar Tilemann Elhen von Wolf- amerik. Geschichte (neben Washington)
hagen verfasst, schildert den Zeitraum von und Idealgestalt der amerik. Demokratie;
1336–1398, wichtige, ergiebige Quelle vor Sohn einer ländlichen Quäkerfamilie im
allem der Kulturgeschichte. Staat Kentucky, wuchs in bescheidenen
Limes (lat., Grenze), befestigte Grenzlinie Verhältnissen auf, machte sich in Spring-
des Röm. Reiches; am bekanntesten der field (Illinois) einen Namen als Advokat,
Obergerman.-Rät. Limes zw. Rhein (südl. wurde Abgeordneter der Republikaner, zu-
von Bonn) und Donau (südwestl. von Re- nächst im Staat Illinois, um 1860 mit den
gensburg), erweitert durch Niederrhein- Stimmen aller Nichtsklavenstaaten zum
wall und Unter-Donau-Limes; sein Verlauf Präsidenten gewählt; seine anfänglich be-
in Südwestdeutschland bezog große Teile dächtige und gemäßigte Haltung gegen-
des heutigen Hessen, Baden-Württem- über den Sklavenhalterstaaten wandelte
bergs (↑ Dekumatenland) und Bayerns in sich nach dem Abfall der Südstaaten zur
das Römerreich ein; angelegt von den Fla- unerschütterlichen Entschlossenheit, die
vier-Kaisern, mehrfach verstärkt und in Einheit der Union und die Prinzipien der
seiner Linienführung geändert (Abschluss Demokratie zu verteidigen; diese Festigkeit
wohl unter Caracalla); der L. bestand aus bewahrte er selbst in den kritischen Situati-
einem festen Erdwall mit einem Palisaden­ onen des Sezessionskrieges; kurz nach dem
graben davor, der Rätische L. in der Spät- Sieg Politik der Versöhnung; nach seiner
zeit aus einer Steinmauer (Reste im Volks- zweiten Wahl zum Präsidenten von einem
mund „Teufelsmauer“, „Heidenmauer“ ge- Fanatiker (Südstaatler) erschossen; nach
nannt); auf einer Länge von etwa 550 km seinem Tod Politik der Rache.
verteilten sich über 1 000 Wachtürme mit Lindbergh, Charles Augustus, amerikani­
Signalanlagen, in 100 Garnison-Kastellen scher Flieger, 1902–1974; überquerte als
war die Besatzung untergebracht, der L. erster im Alleinflug am 20./21. Mai1927
war wohl eher befestigte Demarkations- als den Atlantischen Ozean von New York
starre Verteidigungslinie; um 260 wurde nach Paris in 33,5 Std.
er in Obergermanien von den Alemannen Linné, Karl von, schwed. Naturforscher
überrannt und aufgegeben, um 400 in Rä- und Schöpfer eines Systems der Botanik,
tien. L. auch in Britannien: Während Agri­ 1707–1778; erster Präsident der schwedi­
cola die röm. Herrschaft bis zum Firth of schen Akademie der Wissenschaften in

566
Litauen

Stockholm, fasste alle damals bekannten List, Friedrich, deutscher Nationalökonom,


Tiere und Pflanzen in einer künstl. Ord- 1789–1846; arbeitete sich vom Schreiber
nung zusammen und gab ihnen die noch zum Prof. für Staatskunde an der Universi-
heute gebräuchl. wiss. Benennung; unter- tät Tübingen empor, wurde in die Kammer
schied bei der Namensgebung zw. Gattung gewählt, wegen seiner unbequemen Kritik
und Art (binäre Nomenklatur), erkannte an Missständen zu Festung verurteilt, auf
die geschlechtl. Fortpflanzung der Pflan- eigenen Antrag zur Auswanderung nach
zen, hielt die Arten für unveränderlich. Amerika entlassen; erwarb sich dort ein
Lin Piao (Lin Biao), chines. Politiker, Vermögen, verlor es wieder, ließ sich 1833
1907–1971; 1946 Oberkommandierender zum amerik. Konsul in Leipzig ernennen,
der Roten Armee, 1959 Verteidigungsmi- hatte mit der Herausgabe wirtschafts- und
nister, 1968 stellvertretender Parteivorsit- verkehrspolit. Zeitschriften keinen blei-
zender. 1971 versuchte L. P. einen Staats- benden Erfolg und machte schließlich aus
streich gegen Mao Tse-tung; bei dem Ver- Not seinem Leben in Kufstein ein Ende;
such, sich in die UdSSR abzusetzen, kam er in seiner Bedeutung als vorausschauender
bei einem Flugzeugabsturz ums Leben. Planer eines dt. Eisenbahnnetzes, als Vor-
Lippe, nach dem gleichnamigen Fluss be- kämpfer der dt. Zolleinheit und Fürspre-
nannte, im 10. Jh. entstandene Herrschaft, cher von Erziehungszöllen für die junge dt.
1529 Reichsgrafschaft, 1720 Reichsfürs­ Industrie wurde L. von seinen Zeitgenos-
tentum (Hauptlinie L.-Detmold; wichtigs­te sen verkannt; der herrschenden Lehre von
Seitenlinie Schaumburg-L., die 1640 nach Adam ↑ Smith setzte er sein „Nationales
dem Aussterben der Schauenburger Gra- System der polit. Ökonomie“ entgegen,
fen Bückeburg erbte); 1807 Mitglied des in dem er anstelle der Erzielung möglichst
Rheinbundes, 1815 des Dt. Bundes, 1866 vieler Tauschwerte die Entfaltung der na-
des Norddt. Bundes, 1918 Freistaat, 1933 tionalen Produktivität forderte; als letztes
(mit Schaumburg-L.) unter Reichsstatt­ Ziel schwebte ihm ein Wirtschaftsgroß-
halter; 1947 zu Nordrhein-Westfalen. raum Europa vor (ähnliche Gedanken-
Liselotte von der Pfalz, eigtl. Elisabeth gänge bei K. L. Freiherr von ↑ Bruck).
Charlotte, Herzogin von Orléans, 1652– Lister, Joseph Lord, brit. Chirurg, 1827–
1722; Tochter des Kurfürsten Karl Lud- 1912; begründete die Methode der anti-
wig, gegen ihren Willen mit Philipp von sept. Wundbehandlung.
Orléans vermählt; berühmt wurden ihre Litauen, nach Zusammenbruch des russ.
freimütigen, urwüchsigen Briefe über die Reiches von ↑ Kiew Mitte des 13. Jh. selb-
Zustände am Hof von Versailles; ihre Erb- ständiges Großfürstentum, im Kampf mit
ansprüche nahm ihr Schwager Ludwig XIV. dem Dt. Orden; 15. Jh. Großlitauisches
(entgegen den mit dieser typisch dynast. Reich zwischen Düna und Schwarzem
Heirat pfälzischerseits verbundenen Ab- Meer, nach der (kath.) Taufe Jagellos und
sichten) zum Vorwand, in die Pfalz einzu- seiner Heirat mit der poln. Thronerbin
fallen. Hedwig in Personalunion mit ↑ Polen, seit
Lissabon, Hauptstadt Portugals; vermutl. 1569 in Realunion; verlor seine südl. Pro-
eine phönik. Gründung, seit 407 unter ala- vinzen an Russland und Polen, fiel bei der
nischer, seit 585 unter westgot. und seit zweiten Teilung Polens 1795 zum größeren
715 unter arab. Herrschaft; der portug. Teil, 1814 mit dem Rest an Russland, be-
König Alfons III. machte L. 1260 zur Re- teiligte sich an den poln. Aufständen 1830
sidenz, 1807/08 von frz. Truppen besetzt; und 1863; 1918 selbständig; schloss 1920
beim Erdbeben 1755 wurde mehr als ein Frieden mit der UdSSR, verlor 1920 durch
Drittel von L. zerstört. poln. Gewaltstreich Wilna, schaltete 1922

567
Liten

durch Bodenreformgesetz die alte poln. Liudolfinger, sächs. Herrschergeschlecht,


Herrenschicht aus, erhielt 1923 das Memel­ benannt nach Herzog Liudolf (844–866),
gebiet, wurde 1938 von Polen zur Anerken- erlangte mit dessen Urenkel Heinrich I. die
nung der Wilnagrenze und zur Aufnahme dt. Königswürde und mit Otto I. die Kai-
diplomat. Beziehungen gezwungen; 1939 serkrone, starb 1024 mit Heinrich II. im
Rückgabe des Memelgebietes an Deutsch- Mannesstamme aus.
land; 1940 Litauische Sozialist. Sowjetrepu­ Liutizen, slaw. Stamm in Mecklenburg,
blik der UdSSR, Deportation und Liquida­ Pommern und in der Mark; im 12. Jh. von
tion v. a. der litauischen Intelligenz, später Albrecht dem Bären und Heinrich dem
auch der Juden. Seit 1987 wachsende Un- Löwen unterworfen.
abhängigkeitsbestrebungen in L. im Zuge Liutprand, 1) L., König der Langobar-
der Umgestaltung in der UdSSR. 1990 den (712–744); brachte die abgefallenen
Wahlsieg der für die Unabhängigkeit L.s Herzogtümer Benevent und Spoleto wie-
eintretenden, im „Sajudis“ zusammenge- der unter seine Herrschaft, ließ aus religi-
schlossenen Kräfte. Der Sajudis-Vorsit- ösen Bedenken und auf Bitten des Papstes
zende Landsbergis wurde Präsident L.s. Im von der begonnenen Eroberung des röm.
März 1990 Erklärung der Unabhängigkeit (päpstlichen) Dukats (Rom und Ravenna)
der Republik L. März 2004 Beitritt zur ab. 2) L. von Cremona, Geschichtsschrei-
NATO, Mai 2004 Beitritt zur EU. In der ber Ottos d. Gr., um 920–um 972; aus
Außenpolitik enge Zusammenarbeit mit langobard. Adel, im Dienst Berengars von
Estland und Lettland („Baltischer Rat“). Ivrea, dann Ottos d. Gr., 2 Mal Gesandter
Liten (laeo, lassi, aldii), bei einigen ger- in Byzanz. – „De rebus gestis Ottonis“ (Die
man. Stämmen Zwischenschicht der Teil- Taten Kaiser Ottos d. Gr.).
freien (Minderfreien), die sich vermutl. bei Livia Drusilla, 3. Gemahlin des Oktavian
der Unterwerfung ganzer Nachbarstämme (später Augustus), 58 v. Chr.–29 n. Chr.;
gebildet hatte; innerhalb der ↑ Grundherr- ließ sich von ihrem ersten Ehemann Tibe­
schaft des MA rechts- und vermögensfähig, rius Claudius scheiden und ihre beiden
wehrwürdig, doch zu Zinsen und Fronden Söhne Tiberius und Drusus von Augustus
verpflichtet, schließl. (territorial verschie- adoptieren; trieb skrupellose, wenn auch
den) schollenpflichtig, (in Ost­elbien) erb- nicht erwiesenermaßen verbrechen Fami-
untertänig. – „Gesessene“ L. besaßen einen lienpolitik, beeinflusste nachhaltig die Re-
Hof im Gegensatz zu den „ungesessenen“ gierung des Augustus, verlor unter dem
L. (nachgeb. Söhne, Handwerker usw.). misstrauischen Tiberius ihren Einfluss.
Litwinow, Maxim, sowjet. Politiker, 1876– Livingstone, David, brit. Missionar und
1951; seit 1921 stellvertr. Volkskom­missar Afrikaforscher, 1813–1873; bekämpfte
der auswärtigen Angelegenheiten, 1930– den Sklavenhandel der Araber, entdeckte
1939 Volkskommissar des Äußeren; betrieb die Viktoriafälle des Sambesi, erforschte
Zusammenarbeit mit den westl. Demokra- mit dem zu seiner Rettung ausgesandten
tien, eine Politik der kollektiven Sicherheit ↑ Stanley das Gebiet um den Tanganjika-
und die Aufnahme der UdSSR in den Völ- See, immer auf der Suche nach den Nil-
kerbund (1934); 1939 von Molotow abge- quellen.
löst, nach Kriegseintritt der UdSSR 1941– Livius, Titus, überragender römischer Ge-
1943 Botschafter in den USA. schichtsschreiber, 59 v. Chr.–17. n. Chr.;
Liudolf (oder Ludolf ), Herzog von Schwa- lebte meist in Rom, trotz seiner republika-
ben um 930–957; empörte sich gegen sei- nischen Gesinnung mit Augustus befreun-
nen Vater Otto d. Gr. und verlor dabei sein det; schrieb die Geschichte Roms in einem
Herzogtum. Riesenwerk von 142 Bänden (von denen

568
Löbe

nur 35 erhalten sind), unkritisch seinen schlossen ihre Geschäfte mit Vorliebe in
Quellen gegenüber (Legenden der Königs- L.s Räumen ab; daraus entwickelte sich die
zeit), aber lebendig in der Darstellung, um Seeversicherungsgesellschaft New Lloyd;
seinen Zeitgenossen das Bild einer großen, im 19. Jh. nahmen Versicherungs- und
vom Standpunkt des Republikaners glück- Seehandelsgesellschaften, Reedereien und
licheren Vergangenheit vorzuhalten. (Handels-)Zeitungen verschiedener Län-
Livland, histor. Landschaft im Baltikum, der den Namen Lloyd an.
bewohnt von den finn.-ugr. Liven; 12. Jh. Lloyd George, David, brit. liberaler Staats-
unterworfen, vornehmlich vom Schwert- mann, Führer Großbritanniens im 1. und
brüderorden; nach dem Zusammenbruch 2. Weltkrieg, 1863–1945; begann seine
der Ordensmacht um 1560 polnisch, 1621 polit. Laufbahn als Waliser Nationalist und
schwedisch, 1721 (Friede von Nystad) rus- Radikalliberaler, seit 1890 Parlamentsmit-
sisch, bis 1918 russ. Ostseeprovinz, dann glied, erregte Aufsehen durch den Rede­
geteilt zw. ↑ Estland und ↑ Lettland. feldzug gegen den ↑ Burenkrieg, stellte
Livorno, ital. Stadt an der ligur. Küste; bis sein großes demagog. Talent in den Dienst
zur Zerstörung des Hafens von Pisa ohne des sog. sozialen Liberalismus; 1905–1908
Bedeutung, 1421 florentinisch und von Handelsminister. 1908–1915 Schatzkanz-
Cosimo I. (Medici) zum ersten Freihafen ler, setzte 1900 eine Sozialgesetzgebung
des Mittelmeeres erklärt, von Ferdinand I., nach dt. Muster durch, forderte durch sein
Großherzog von Toskana, zur Stadt erho- Budget von 1909 mit radikaler Besteuerung
ben und zum Zufluchtsort für alle Ver- der Besitzenden den Widerstand des Ober-
folgten (Juden, Protestanten) gemacht; hauses heraus, der 1911 zur Beschränkung
1944 Sitz des alliierten Hauptquartiers in des Vetorechtes des Oberhauses führte;
Italien. übernahm im 1. Weltkrieg das neugegr.
Livre (Pfund), frz. Silbermünze altgalli­ Munitionsministerium, dann als Nachfol-
schen Ursprungs (Libra Gallica zu 20 So- ger Kitcheners das Kriegsministerium, ver-
lidi = 20 Sous); Grundeinheit des frz. Rech- drängte 1916 Asquith als Premierminister,
nungs- und Münzwesens war der in Tours kämpfte um die Zusammenfassung aller
geprägte Livre tournois, abgelöst 1796 Kräfte zur Niederwerfung Deutschlands;
vom gleichwertigen Franc; L. war zugleich in Versailles verkündete er die deutsche
Name des alten frz. (Gewichts-)Pfundes Kriegsschuld und forderte angemessene Re­
(entspricht  489 g). parationszahlungen. widersetzte sich aber
Lizentiat (lat. licentia, die Erlaubnis), an den frz. Forderungen nach Zerstückelung
den Universitäten des MA der zweite aka- Deutschlands; mit der irischen ↑ Sinn Fein
demische Grad (nach dem Baccalaureus), schloss er Frieden (1921 Freistaat Irland)
verbunden mit der Erlaubnis, kleinere Vor- scheiterte dann 1922 mit seiner Orient­
lesungen zu halten; dem L. stand die Pro- politik (der Unterstützung Griechenlands
motion noch bevor; in der Neuzeit wird gegen die Türken).
der L.-Grad noch von einigen (protestant.) Löbe, Paul, dt. Politiker, 1875–1967;
theolog. Fakultäten neben dem Dr. theol. war 1920–1933 Mitglied des Reichstages
verliehen (Lic. theol.). für die SPD, 1920–24 und 1925–1932
Lloyd, Edward, Besitzer eines Kaffeehauses Reichstagspräsident, 1933 sowie 1944 in
in London um 1700; gab für seine Gäste Haft; trat nach 1945 als Gegner der Ver-
aus Handels- und Schifffahrtskreisen ein einigung von SPD und KPD auf, wurde
wöchentlich erscheinendes Handelsblatt Mitglied des Parlamentar. Rates, bis 1953
heraus, für das sich bes. die Vertreter des MdB, seit 1954 Leiter des „Kuratoriums
Seeversicherungswesens interessierten; sie Unteilbares Deutschland“.

569
Lobkowitz

Lobkowitz, Wenzel Eusebius Fürst von, der Übereinkunft der Individuen über ge-
österr. Staatsmann, 1609–1677; versuchte meinsame Ordnungsgesetze entstanden;
als leitender Minister Leopolds I. seit 1669 seine Aufgabe ist Schutz der individuellen
den Absolutismus nach dem Vorbild Lud- Freiheit, die Staatsgewalt ist deshalb nicht
wigs XIV. in Österreich zu verwirklichen, absolut, sondern in die gesetzgebende (le-
trieb frankreichfreundliche Politik, 1673 gislative) und die ausführende (exekutive)
wegen Hochverrats angeklagt. Gewalt geschieden; L.s Beurteilung des
Locarnovertrag, als Ergebnis der Verstän- Christentums als einer vernunftgemäßen
digungsbemühungen Stresemanns und Religion mündet in die Forderung nach
Briands abgeschlossen 1925 in Locarno, Toleranz, seine Traktate über die bürger-
sollte den Eintritt Deutschlands in den liche Regierung mit den naturrechtlichen
Völkerbund und eine dauerhafte Befrie- Freiheitsgrundsätzen empfehlen die kon-
dung Europas einleiten („Geist von Lo- stitutionelle Monarchie (mit Volksvertre-
carno“, statt „Erbfeindschaft“, Entspan- tung); L.s Ansatz, der Klassiker des ↑ Li-
nung, Verständigung und Zusammenarbeit beralismus, wurde durch ↑ Rousseau fort-
zw. Deutschland und Frankreich); Kern gesetzt; seine Ideen beeinflussten den nord­
des Vertragswerkes war der Sicherheitspakt amerik. Unabhängigkeitskampf und die
zw. Deutschland, Frankreich und Belgien frz. Aufklärungsphilosophie.
und den Garantiemächten Großbritan- Lodz, Stadt in Polen; 1423 mit Magde-
nien und Italien; darin wurden die dt.-frz. burger Recht ausgestattet; 1793–1807 zu
und die dt.-belg. Grenze als unverletzlich Preußen, dann zum Herzogtum Warschau,
anerkannt; im Westpakt verpflichtete sich seit 1815 zu Russland (Kongresspolen); im
Deutschland, gegen Frankreich und Belgien 19. Jh. Zentrum der Textilindustrie; 1892
keinen Angriffskrieg zu führen, sondern L.er Aufstand, erster allg. Streik in Polen;
sich jeweils Schiedsverfahren zu unterwer- 24. Juni 1905 Arbeiteraufstand im Gefolge
fen; das geplante „Ost-Locarno“ kam nicht der Russ. Revolution; unter dt. Besetzung
zustande, lediglich Schiedsverträge zw. 1939–1945 als Lizzmannstadt zum Reichs-
Deutschland und Polen, Deutschland und gau Wartheland; im Getto von L. kamen
der Tschechoslowakei; Deutschland erhielt ca. 300 000 Juden ums Leben.
ferner die Zusage der beschleunigten Räu- Logografen (griech., Geschichtenschrei-
mung des Rheinlands: 1936 wurde der L. ber), die ältesten altgriech., ion. Historiker,
von Hitler einseitig gekündigt. Geografen und Ethnologen; unter ihnen
Locke, John, engl. Philosoph, Führer der ragt hervor ↑ Hekataios.
Aufklärung; 1632–1704; studierte in Ox- Lokatoren, im MA die vom Landes- oder
ford Medizin, fiel mit seinem Gönner, dem Grundherrn mit einer Dorf- oder Städte-
Großkanzler Shaftesbury, bei Jakob II. in gründung beauftragten Unternehmer; ver-
Ungnade und kehrte erst nach Jakobs Ab- teilten das Land an angeworbene Siedler.
setzung aus Frankreich und Holland nach Lokomotive, erste L. auf Schienen 1804
England zurück. L. begründete den Empi­ (Trevithick), seitdem mehrere Konstruk­
rismus, wonach es keine geistige Autori- tionen, erste betriebssichere L. 1825 durch
tät außer der eigenen Erfahrung gibt (also Stephenson (↑ Eisenbahn).
keine eingeborenen Ideen, wie z. B. bei Lollarden (Lollharden, Unkrautsäer), Bez.
Descartes); L. zeichnete ein rein individua­ für die als Ketzer verfolgten Anhänger
list. Menschenbild, forderte Freiheit der ↑ Wiclifs.
Persönlichkeit, die kraft ihrer Natur auch Lombardei, der nach den ↑ Langobar-
frei von objektiven Moralgesetzen ist; alle den benannte westliche Teil der Poebene
Menschen sind gleich, der Staat ist aus mit Pavia, der ehemalige Hauptstadt des

570
Londoner Konferenzen

Langobardenreiches, als Mittelpunkt; seit Lomonossow, Michail, russ. Universalge-


Otto d. Gr. („Rex Francorum Langobardo- lehrter, „Vater der russ. Schriftsprache“, die
rum“) als Reichslehen in der Hand Beren- er in seiner „Grammatik“ vom Kirchensla-
gars III. (952); im 12. Jh. Schauplatz hefti­ wischen trennte, 1711–1765; Schüler von
ger Kämpfe zw. den reichen, mächtigen Christian Wolff und der Bergschule Frei-
Kommunen (Mailand, Pavia, Cremona), berg, Prof. der Philosophie, Dichter und
die nach Unabhängigkeit strebten und im Künstler, entwarf eine Korpuskellehre vom
Lombard. Bund (1167) zusammengeschlos­ Aufbau der Materie, die die Theorie von
sen waren, und den Hohenstaufen; durch den Molekülen vorwegnahm, erkannte
den Konstanzer Frieden (1183) zw. Fried- in der Bewegung der Teilchen das Wesen
rich Barbarossa und dem Lombard. Bund der Wärme und lehrte die Erhaltung von
Rechte der Städte geschmälert; im 14– Stoff und Bewegung; 1761 entdeckte er die
16. Jh. beherrscht von einheimischen Dy- Atmo­sphäre der Venus.
nastien (im Osten von Venedig), zusammen­ London, schon zur Römerzeit bedeutende
gefasst unter den Herzögen von ↑ Mailand; Kolonie, erstmals bei Tacitus erwähnt (Lon­
1535 span. Statthalterschaft, 1714 als Teil dinium: kelt. Name von umstrittener Be-
des span. Erbes und erneut 1815 zu Öster­ deutung); nach dem Einfall der ↑ Angel-
reich (Lombard.-Venezian. Königreich); sachsen einer der drei ältesten Bischofssitze
1859 durch den Frieden von Zürich an und Hauptstadt der Könige von Essex. von
Napoleon III. abgetreten, der das Land an ↑ Wilhelm dem Eroberer (Erbauer des To-
Sardinien (↑ Italien) übergab. wers) reich privilegiert, erhielt unter Johann
Lombardgeschäft (nach den lombard. ohne Land eine Verfassung (1191, gewähl-
Wechslerstuben oder Leihhäusern), die im ter Mayor an der Spitze); ließ sich von ihm
12. Jh. aufkommende Beleihung existenter in der ↑ Magna Charta (1215) seine Privi­
Warenmengen oder Liegenschaften durch legien bestätigen, bewahrte seine Unab-
Wechsler, später Banken (L.banken). hängigkeit gegen die Könige, die außerhalb
Lomé-Abkommen, Konvention von Lomé, der City in Westminster residierten, stellte
Abkommen von 66 Entwicklungsländern gegen die spanische Armada (1588) schon
aus Afrika, der Karibik und dem Pazifik, 20 000 Bewaffnete; im Bürgerkrieg wich-
den sog. AKP-Staaten, mit den Staaten der tigster Stützpunkt des Parlaments, entwi-
EG; in dem 1975 unterzeichneten, 1981 ckelte sich trotz Pest (1665: 68 000 Op-
und 1985 erweiterten Abkommen ver- fer) und Feuersbrunst (1666 über 13 000
zichten die EG-Staaten im industriellen Häuser zu 2/3 zerstört), zur größten Stadt
und landwirtschaftl. Bereich vollständig Europas (1688: 530 000 Einwohner; nach
bzw. weitgehend auf Gegenpräferenzen bei 1700: 700 000 Einwohner) und zum Mit-
Handelsabkommen. telpunkt des brit. Welthandels und des in-
Loménie de Brienne, Etienne Charles de, ternat. Bankwesens; 1851 erste Weltaus-
frz. Kardinal und Politiker, 1727–1794; stellung. Im 2. Weltkrieg durch dt. Luft-
Erzbischof von Toulouse, dann von Sens, angriffe und V-Geschosse teilweise zerstört
hob bei der Ordensreform Klöster auf, nach (Parlamentsgebäude).
dem Sturz ↑ Calonnes Ge­neralkontrolleur Londoner Konferenzen, Protokolle und
der Finanzen; scheiterte am Widerstand Verträge, u. a.: 1830 L.er Protokoll der
der Notabeln gegen seine Steuerreform, Schutzmächte (Russland, Großbritannien
wurde 1788 nach dem Staatsbankrott von und Frankreich) über Griechenland, das
↑ Necker abgelöst, verzichtete 1791 auf die zu einem unabhängigen Königreich unter
Kardinalswürde, starb während der Schre- dem bayer. Prinzen Otto erklärt wurde. –
ckensherrschaft im Gefängnis. 1839 L.er Protokoll der Großmächte über

571
Lorchakrieg

Belgien, dessen Unabhängigkeit und Neu- land-Frage, Bruch zw. den USA und der
tralität garantiert wurden. – 1852 L.er Pro- UdSSR. 1949 L.er Zehnmächtepakt; Sta-
tokoll, in dem die Thronfolge für die dän. tut des ↑ Europarats. – 1953 L.er Schulden­
Gesamtmonarchie dem Hause Glücksburg abkommen; völkerrechtliche Regelung der
zugesprochen wurde (Schleswig-Holstein- Anerkennung und Tilgung der dt. Aus-
Frage). 1867 L.er Vertrag über Luxemburg, landsschulden seit dem 1. Weltkrieg durch
das für neutral erklärt wurde. – 1871 L.er die Bundesrepublik Deutschland. – 1954
Konferenz zur Revision des Pariser Frie- L.er Neunmächtekonferenz: Ende des Be-
dens (1856): Die russ. Flotte erhielt wie- satzungsregimes der westdt. Bundesrepu-
der Zugang zum Schwarzen Meer. – 1909 blik, die dem ↑ Brüsseler Pakt beitrat.
L.er Seerechtsdeklaration der großen See- Lorchakrieg, 1857–1860 geführt von Groß­
mächte, regelte Fragen der Blockade, Kon- britannien und Frankreich gegen das vom
terbande, Zerstörung neutraler Prisen; bei Bürgerkrieg (Taipingaufstand 1850–1866)
Ausbruch des 1. Weltkrieges noch nicht ra- zerrüttete ↑ China; Anlass: Missbrauch der
tifiziert. – 1912/13 L.er Konferenz zur Bei- brit. Flagge durch die chines. Dschunke
legung des Balkankonfliktes, ohne Erfolg. „Lorcha“; beendet nach der Einnahme von
– 1914 L.er Vertrag zw. Großbritannien, Peking (als Repressalie Zerstörung des kai-
Frankreich und Russland, die sich verpflich- serlichen Sommerpalastes durch die Fran-
teten, keinen Separatfrieden zu schließen; zosen) durch den Vertrag von Tientsin, der
später Beitritt Italiens, Japans, der USA den europ. Großmächten weitgehende Pri-
u. a. – 1915 L.er Vertrag zwischen den vilegien einräumte: Gesandtschaften der
Alli­ierten und Italien: Eintritt Italiens in europäischen Mächte in Peking, Konsular­
den Krieg, Anerkennung der ital. Ansprü- gerichtsbarkeit für Nichtchinesen, Freizü-
che an Österreich. – 1921 L.er Konferenz gigkeit der christl. Missionen und Förde-
über die Reparationsregelung: Deutsch- rung des europ. Handels.
land lehn­te die alliierten Forderungen (226 Lorsch in Hessen, im MA fürstl. Reichs-
Mrd. Goldmark) ab, wurde aber zur An- abtei (Laurissa), hervorgegangen aus einem
nahme des L.er Ultimatums (132 Mrd.) 763 gegr. Benediktinerkloster, Grabstätte
gezwungen. – 1924 L.er Abkommen in der ostkaroling. (dt.) Könige, 1340 in Prä-
Reparationsfrage; Annahme des ↑ Dawes- monstratenserpropstei umgewandelt; 1463
Planes. – 1926 L.er Empirekonferenz, der an die Pfalz verpfändet, 1563 aufgehoben,
die Südafrikan. Union fernblieb. – 1930 1621 Zerstörung durch span. Truppen (er-
L.er Flottenkonferenz, Fünfmächtevertrag halten: die Torhalle); bedeutend für die
zw. Großbritannien, USA, Frankreich, Ita- mittelalterl. Kultur (L.er Codex, L.er An-
lien, Japan: Aussetzen des Schlachtschiff- nalen); Grabkapelle Ludwigs des Deut-
baus, Beschränkungen für Boote; Drei- schen, erbaut 876–882 (nach dem Nibe-
mächtevertrag zw. Großbritannien, USA lungenlied wurde das Kloster von der Kö-
und Japan: Festsetzung der Tonnageziffern; nigin Ute gegründet und Siegfried in L.
1934 von Japan gekündigt. – 1930/31 bestattet).
L.er Round-Table-Konferenz über ↑ In- Loskauf, gesetzl. geregelte Befreiung von
dien, Teilnahme Gandhis, kurz vor Er- der Militärdienstpflicht gegen Zahlung ei-
folg gescheitert: Beginn eines neuen Feld- ner bestimmten Summe, von Napoleon I.
zugs des Ungehorsams in Indien. – 1936 eingeführt, um den für Wirtschaft und
L.er Flottenkonferenz, Japans Forderungen Wissenschaft wichtigen Nachwuchs zu
nach gleicher Flottenstärke abgelehnt, Be- schonen; übl. in Frankreich vor allem unter
ginn des Wettrüstens zur See. – 1947 L.er Napoleon III., in Russland (bis 1873), in
Konferenz der Alliierten über die Deutsch- den süddt. Staaten (bis 1871), in Belgien

572
Louisdor

(bis 1914); mit Einführung der allg. Wehr- trag von Mersen (870) die Osthälfte beim
pflicht (anstatt der Auslosung) abgeschafft; ostfränk. Reich, durch den Vertrag von Ri-
die Sonderstellung der Gebildeten wurde bemont (880) auch die Westhälfte; unter
in Deutschland durch die Einführung des seinem ersten Herzog, Reginar von Hen-
„Einjährigen“ gewahrt. negau, 911–925 beim westfränk. Reich,
Lothar, Name von Herrschern. Fränki­sche von Heinrich I. wieder unterworfen; von
Könige und dt. Kaiser: 1) L. I. (817–855); Otto d. Gr. 959 geteilt in Nieder-L., das
geb. 795; von seinem Vater Ludwig d. From- spätere Brabant, und Ober-L. (mit Nancy
men 817 zum Nachfolger und Mitregen­ten und Metz), dem allein der Name L. ver-
bestimmt, ab 823 Kaiser; empörte sich mit blieb und mit dem 1048 der Graf Gerhard
seinen Brüdern Ludwig und Karl gegen von Elsass (gest. 1070) belehnt wurde; seit-
seinen Vater (↑ Ludwig I.), beanspruchte her als Herzogtum L. bis 1738 unter Herr-
nach dessen Tod das Gesamt­reich, wurde schern dieses Hauses; 1431 mit dem frz.
nach einer Niederlage durch seine Brü- Kronlehen Bar verbunden, 1475–77 von
der Ludwig und Karl (Fontenoy 841) im Karl dem Kühnen von ↑ Burgund erobert,
Vertrag von ↑ Verdun 843 auf das Mittel- 1478 durch Sieg über Karl den Kühnen bei
reich zw. Maas und Nordsee, Burgund und Nancy als Herzogtum L. erneuert; im 16.–
Italien beschränkt. 2) L. II., fränk. König 18. Jh. mehrfach von Frankreich besetzt;
(855–869); Sohn von 1), erhielt bei dessen 1738 von seinem letzten Herzog, Franz
Tod das Gebiet zw. Scheide, Maas, Rhein Stephan, Gemahl der Kaiserin Maria The-
und Saone (das nach ihm benannte Lothari resia, im Austausch gegen das Großherzog-
regnum = Lotharingien); nach seinem Tod tum Toskana an König Stanislaus ↑ Lesz-
Aufteilung Lotharin­giens im Vertrag von czinsky abgetreten, mit dessen Tod 1766
↑ Mersen. 3) L. III. von Sachsen-Supplin- vertragsgemäß zu Frankreich; 1871–1918
burg (1125–1137); geb. 1075; nach dem nochmals dt. Reichsland und Hauptmotiv
Aussterben der Billunger von König Hein- der Politik frz. Revanchistenkreise (↑ El-
rich V. zum Herzog von Sachsen erhoben, sass-Lothringen).
bekämpfte den König im ↑ Investiturstreit; Louis Ferdinand, Prinz von Preußen,
mithilfe kirchl. Kreise zum König gewählt, 1772–1806; Führer der antifrz. Kriegspar-
setzte er sich gegen den stauf. Gegenkönig tei, gefallen bei Saalfeld.
Konrad durch, 1133 zum Kaiser gekrönt; Louis Philippe von Orléans, „Bürgerkö-
stellte die dt. Oberherrschaft in den slaw. nig“ von Frankreich, 1773–1850; Sohn
Gebieten wieder her, belehnte Albrecht den des Herzogs Philippe „Egalité“, Liebling
Bären mit der Nordmark (1134). – Frank- breiter bürgerlicher Schichten und darum
reich: 4) L. (954–986), von Hugo d. Gr. nach der ↑ Julirevolution 1830 zum Kö-
als König eingesetzt, mündig erst 960; nig gewählt; verschloss sich aber demokrat.
überfiel Otto II., in Aachen (978), wurde Forderungen und verscherzte sich dadurch
geschlagen und musste allen Ansprüchen die Sympathien des Volkes (maßgebend
auf Lothringen entsagen, mit seinem Sohn die Interessen der Kapitalisten); Attentat
Ludwig V. (987 gest.) erlosch die Linie der 1835, wurde in der ↑ Februarrevolution
frz. Karolinger. – Italien: 5) L. (945–960); 1848 vom Thron gejagt.
Sohn König Hugos, mit dem er seit 931 Louisdor, frz. Goldmünze, 1640 unter
den Titel eines Königs von Italien führte, Ludwig XIII. erstmals geprägt. Der L. be-
beseitigt von Berengar von Ivrea. saß zunächst den Wert von 10, später von
Lothringen (Lotharingia), selbständiges 24 ↑ Livres. In Deutschland wurden die
Territorium (zw. Burgund und der Rhein- goldenen Fünftalerstücke („Pistolen“) als
mündung) seit ↑ Lothar II.; nach dem Ver- L. bezeichnet.

573
Louvois

Louvois, François Michel Le Tellier, Mar- sich; die Gefährten stellten sich 1538 dem
quis de L., frz. Staatsmann, 1641–1691; Papst zur Verfügung, der 1540 die „Gesell-
1668 Kriegsminister, energisch bis zur Ge- schaft Jesu“ als Orden (eigtl. als Kongrega-
walttätigkeit, reorganisierte die frz. Armee tion) bestätigte; Ignatius 1541 zum ersten
und machte sie zum geeigneten Instru- Ordensgeneral gewählt; formte den Orden
ment der Eroberungspolitik Ludwigs XIV.; zu einer auf der Grundlage seines Exerzi­
durchkreuzte als Einpeitscher dieser Politik tienbuches (geistliche Übungen) und durch
die wirtschaftspolit. Pläne ↑ Colberts und wiss. Durchbildung geistig geschulten Elite
trug so zum Ruin Frankreichs wie zur Ver- des erneuerten Katholizismus; Aktivierung
wüstung der Nachbarstaaten (Niederlande, des Religiösen, der Missionsarbeit und der
Pfalz) bei. allg. christl. Volksbildung, vor allem in der
Louvre (frz., vermutl. von Luverie = Wolfs- Zeit der Gegenreformation (zur Wieder-
jägerplatz), Palast entlang der Seine in herstellung der religiösen Einheit).
Paris, als Bau wie als Museum gleich be- Lübeck, urspr. (im 11. Jh.) Niederlas-
rühmt; ehemals Burg der frz. Könige, in sung von Kaufleuten; gegr. 1143 von Graf
seiner heutigen Gestalt begonnen 1546 Adolf II. von Holstein, seit 1157 von Hein-
von Lescot, erweitert unter Heinrich IV., rich dem Löwen großzügig gefördert, nach
Ludwig XIII. und Ludwig XIV., abge- seinem Sturz 1181 unter kaiserl. Schutz;
schlossen (mit den beiden Seitenflügeln nach Abschüttlung der Dänenherrschaft
und der Verbindung zu den ↑ Tuilerien, 1226 Freie Reichsstadt, seit dem Sieg über
„Neuer L.“) unter Napoleon I. und Napo- Dänemark (Bornhöved 1227) Ausgangs-
leon III.; das 1793 gegr. Museum umfasste punkt der dt. Ostkolonisation über See
zunächst die Sammlungen der frz. Könige (Städtegründungen, Siedlernachschub für
(Franz I., Ludwig XIV.), die Kunstschätze den Dt. Orden); seit Anfang 14. Jh. Vor-
der aufgehobenen Klöster und die Kriegs- ort und Hauptkontor der ↑ Hanse, Mittel-
beute Napoleons I., im 19. Jh. wurde es zu punkt des nordeurop. Handels zw. Brügge
einer der reichhaltigsten und wertvollsten und Nowgorod, trotzte dem mächtigen
Sammlungen der Welt ausgebaut; in den Dänenkönig Waldemar IV. (Friede von
übrigen Räumen heute Behörden. Stralsund 1370) und überstand innere Un-
Lowe, Hudson, brit. General und Kolo- ruhen (1406–1416 Aufstände der demo-
nialbeamter, 1769–1844; bewachte 1815– krat. Bürger gegen den patriz. Rat); 1530
1821 als Gouverneur von St. Helena den reformiert und vom Führer der demokrat.
verbannten ↑ Napoleon und seine Gefähr- Opposition, Jürgen Wullenweber, in ein
ten mit pedant. Strenge. außenpolit. Abenteuer gegen die skandi-
Löwenbund, ↑ Ritterbünde. nav. Reiche verwickelt; mit dem polit. Zu-
Loyola, Ignatius von (eigtl. Don Inigo sammenbruch von 1535 Beginn auch des
Onaz y de Loyola), bask. Edelmann, Stif- wirtsch. Abstiegs; 1815 Freie Stadt im Dt.
ter des ↑ Jesuitenordens (Gesellschaft Jesu), Bund; 1866 Beitritt zum Norddt. Bund.
um 1491–1556; als span. Ritter schwer ver- Mittelalterlicher Stadtkern im 2. Weltkrieg
wundet, wandelte sich auf dem Krankenla- durch Luftangriff zerstört.
ger zum myst. durchglühten, zur Mitarbeit Lübisches Recht, das Recht der Stadt ↑ Lü-
aufgerufenen (Bejahung des freien Willens beck im MA, wichtigstes dt. Stadtrecht ne-
im Heilswerk) Ritter im Dienste Jesu (da- ben dem Magdeburger Recht; im Ostsee-
her: Jesuiten); Ziel: die Welt für Christus raum bis Nowgorod verbreitet in mehr
gewinnen; pilgerte 1523 nach Jerusalem, als 100 Städten; als „Mutterstadt“ war Lü-
sammelte seit 1528 an der Universität Paris beck Oberhof für die „Tochterstädte“, die
Gesinnungsgefährten für die Mission um Schöffensprüche einholen konnten.

574
Ludwig

Lübke, Heinrich, dt. Politiker, 1894–1972; im Reichstag; unter dem Einfluss seiner
seit 1945 Mitglied der CDU, 1953–59 Mi- 2. Frau (Mathilde von Kemnitz) Kampf-
nister für Ernährung, Landwirtschaft und bund gegen die „überstaatlichen Mächte“
Forsten, 1959–69 Bundespräsident. (kath. Kirche, Jesuiten, Juden, Freimaurer)
Lubliner Union, Umwandlung der Personal­ und Tannenbergbund (german. Religions-
union des Großfürstentums ↑ Litauen mit bund).
Kronpolen in eine Realunion, beschlossen Lüderitz, Adolf, dt. Kolonialpionier,
auf dem Reichstag von L. 1569. 1834–1886; Bremer Großkaufmann, er-
Lucrezia Borgia, ↑ Borgia. warb 1883 den Hafen Angra-Pequena in
Lucullus, Lucius Licinius, röm. Feldherr der nach ihm benannten L.-Bucht und
und Schöngeist, um 114–57 v. Chr.; als gab damit den Anstoß zur Gründung der
Feldherr und sorgsamer Verwaltungsmann ersten dt. Kolonie (1884 Schutzgebiet L.-
in Kleinasien reich geworden, gab er sich Land, nachmals Dt. Südwest-Afrika); er-
als Privatmann in Rom „lukullischen“ Ge- trank bei einer Forschungsfahrt in der
nüssen hin, zog Gelehrte und Philosophen Mündung des Oranje.
in seine Paläste, legte eine Bibliothek an, Ludmilla, Herzogin von Böhmen und Hei-
deren Benutzung der Öffentlichkeit frei- lige, um 860–921 (?); Gemahlin des ersten
stand; ihm wird auch die Verpflanzung des christl. Böhmenherzogs Bořiwoj, Groß-
Kirschbaumes von Kleinasien nach Europa mutter des hl. Wenzel; wurde von Mitglie-
(Italien) zugeschrieben. dern der heidn. Partei ermordet.
Ludendorff, Erich, preuß. General, 1865– Ludwig, Name von Herrschern. Röm. und
1937; hervorgegangen aus der Schule dt. Kaiser: 1) L. I., der Fromme (814–
Schlieffens, vor dem 1. Weltkrieg General­ 840); geb. 778, 3. Sohn Karls d. Gr., nach
stabsoffizier; nahm im Handstreich bei dem Tod seiner beiden Brüder 813 von sei-
Kriegsbeginn die Zitadelle von Lüttich, nem Vater zum Mitkaiser und Nachfolger
brachte 1914 als Stabschef Hindenburgs designiert, ließ sich selbst ohne päpstliche
mit diesem die „russ. Dampfwalze“ zum Mitwirkung krönen, von geistlichen Rat-
Stehen (Tannenberg); wurde 1916 zum gebern umgeben, von Papst Stephan IV. in
ersten Generalquartiermeister ernannt Reims 816 nochmals gekrönt (zum Zei-
und über­nahm mit ↑ Hindenburg als des- chen, dass das Kaisertum eine vom Papst-
sen nächster Mitarbeiter die Führung des tum verliehene Würde darstellte); teilte
dt. Heeres, suchte den dt. „Siegwillen“ zu 817 durch „ordinatio imperii“ (Gliederung
stärken und erstmals den „totalen Krieg“ des Reiches und Erbfolgeordnung) wie ein
zu führen (Hindenburgprogramm der Rüs­ Grundherr sein Reich unter seine Söhne
tung, Hilfsdienstgesetz); verhängnisvoll Ludwig, Lothar (Mitkaiser und Nachfol-
durch seinen Einfluss auf die Politik (Sturz ger) und Pippin; änderte aber zugunsten
Bethmann Hollwegs); zu spät machte die seines Sohnes Karl aus der 2. Ehe mit der
Oberste Heeresleitung (L.) im Sept. 1918 Welfin Judith 823 und 829 die Teilung ab,
das Waffenstillstandsangebot an die Alliier- sodass es zur Empörung der drei älteren
ten (trotzdem L. später Propagandist der Brüder gegen den Vater kam, der auf dem
↑ Dolchstoßlegende); Ende Okt. 1918 we- ↑ Lügenfeld bei Colmar besiegt und ge-
gen seiner unnachgiebigen Haltung in der demütigt wurde (öffentliche Kirchenbuße)
Frage der Waffenstillstandsbedingungen und nur durch die Uneinigkeit der Sieger
entlassen, ging während der Revolution den Thron behaupten konnte; nach seinem
nach Schweden, wurde rechtsradikaler Poli- Tod Bruderkrieg und Reichsteilung durch
tiker, beteiligte sich 1923 am Hitlerputsch, den Vertrag von ↑ Verdun 843. 2) L. II.
1924–1928 Mitglied der NS-Fraktion (855–875); geb. um 822, Enkel von 1),

575
Ludwig

ältester Sohn und (seit 850) Mitregent Lo- Ribemont). 7) L. IV., das Kind (900–911);
thars I.; erhielt 855 Italien, musste als Kai- geb. 893, Sohn Arnulfs von Kärnten, un-
ser auf die Oberherrschaft über die anderen mündig (Regentschaft des Erzbischofs
fränk. Reiche verzichten, letzter Karolinger Hatto von Mainz) und machtlos (Ungarn­
in Italien. 3) L. III., der Blinde (901–905); einfälle und Machtkämpfe der erneuerten
geb. vor 885, Enkel von 2), Sohn König Stam­mesherzogtümer); letzter Karolinger
Bosos von Niederburgund, 900 in Pavia in Deutschland. – Baden: 8) L. Wilhelm I.,
zum König, 901 in Rom zum Kaiser ge- „Der Türken-Louis“, Markgraf von Baden-
krönt; 905 von Berengar von Ivrea in Ve- Baden (1677–1707); geb. 1655, diente mit
rona überfallen und geblendet, starb 928 Auszeichnung im kaiserlichen Heer (1683
im Elend. 4) L. IV., der Bayer (1314– Kahlenberg), erfocht als Oberkommandie-
1347); geb. 1283, Herzog von Oberbay­ render in Ungarn glanzvolle Siege (1691
ern, 1314 von der Mehrzahl der Kurfürsten Szalankamen), kämpfte weniger glücklich
zum dt. König gewählt, behielt über den gegen die Franzosen am Oberrhein im
Gegenkönig Friedrich von Österreich die ↑ Pfälzischen und ↑ Span. Erbfolgekrieg. –
Oberhand (1322 Schlacht bei Mühldorf ), Bayern: 9) L. I., König (1825–1848); geb.
anerkannte ihn jedoch als Mitkönig, um 1786, gest. 1868, erregte durch romant.
freie Hand gegen den in frz. Machtsphäre Patriotismus, liberale Gesinnung und die
befindlichen Papst in Avignon zu haben; aus Begeisterung für die Antike hervorge-
ließ sich 1328 in Rom von einem Laien gangene Unterstützung des griech. Frei-
zum Kaiser krönen, setzte einen Gegen- heitskampfes Metternichs Bedenken; för-
papst ein, bemühte sich dann aber um Aus- derte großzügig Künste und Wissen-
söhnung und Lösung des Bannes trotz Un- schaften (Bauten Klenzes u. a. in München,
terstützung seiner antipäpstlichen Politik Befreiungshalle bei Kelheim, Walhalla bei
durch bedeutende Scholastiker (Occam, Regensburg), verlor aber durch die reaktio-
Marsilius von Padua) und den ↑ Kurverein näre Wendung seines Regimes seit den
zu Rhense (1338); trieb rücksichtslose 1830er Jahren an Beliebtheit, forderte mit
Hausmachtpolitik (Brandenburg, Nieder- dem Lola ↑ Montez-Skandal die Empö-
bayern, Tirol, Kärnten, Holland, Zeeland rung des Volkes heraus und dankte ab
und Hennegau) und forderte damit die (Nachfolger sein Sohn Maximilian II.).
Wahl eines Gegenkaisers (1346 Karl IV.) 10) L. II., König (1864–1885); geb. 1845,
heraus. Ostfränk. Könige: 5) L., der Deut- Enkel von 9), schwärmer. Verehrer Richard
sche (843–876); geb. um 804, dritter Sohn Wagners, trug 1870 in einem (von Bis-
von 1), erhielt 817 Bayern, kämpfte um marck aufgesetzten) Schreiben an die dt.
Erweiterung seines Erbes gegen seinen Va- Fürsten Wilhelm I. von Preußen die Kai-
ter, dann gegen seinen Bruder Lothar (I.); serkrone an; hielt gegen die kath.-konser-
erhielt 843 (Vertrag von ↑ Verdun) das östl. vative Kammermehrheit an liberalen Mini-
Reichsdrittel, das ostfränkische, später Dt. sterien fest, verriet aber autokratsiche Nei-
Reich (daher sein Beiname) und zwang gungen, stürzte sich durch phantastische
nach dem Tod Lothars II. Karl den Kahlen Schlossbauten (Neuschwanstein, Linder-
zur Teilung Lothringens (870 Vertrag von hof, Herrenchiemsee) in Schulden, wurde
↑ Mersen). 6) L. III., der Jüngere (879– für geisteskrank befunden und abgesetzt;
882); zweiter Sohn von 5), erhielt 865 fand den Tod (Mord?) im Starnberger See.
Franken, Thüringen und Sachsen, schlug 11) L. III., König (1913–1918); geb. 1845,
876 Karl den Kahlen zurück und nahm im gest. 1921, ältester Sohn des Prinzregenten
Gegenzug dessen Enkeln die westfränk. Luitpold, 1912 Regent, 1913 König an-
Hälfte Lothringens ab (880 Vertrag von stelle seines geisteskranken Vetters Otto;

576
Ludwig

durch die Novemberrevolution zur Abdan- Picardie als erledigte Lehen ein, erwarb
kung gezwungen. – Frankreich. Könige: 1481 Anjou. 18) L. XII. (1498–1515);
12) L. I., der Fromme, König von Aquita- geb. 1462, aus dem Haus Orléans, erhob
nien ↑ 1). 13) L. III., westfränk. König Erbansprüche auf Mailand und Neapel,
(879–882), Enkel Karls des Kahlen; siegte wurde aber nach Anfangserfolgen von der
über die Normannen bei Saucourt (↑ Lud- Heiligen Liga und den Eidgenossen 1513
wigslied). 14) L. VI., der Dicke (1108– aus Italien vertrieben und in Flandern von
1137); Capetinger, Sohn Philipps I., stärk­te Kaiser Maximilian I. und Heinrich VIII.
Ansehen und Macht der Krone gegen die vor England geschlagen („Sporenschlacht“
selbstherrlichen Vasallen, gestützt auf die bei Guinegate); erwarb durch Heirat die
nordfrz. Städte. 15) L. VII., der Jüngere Bretagne für Frankreich. 19) L. XIII.
(1137–1180); Sohn von 14), nahm am ge- (1610–1643); geb. 1601, Sohn Hein-
scheiterten 2. Kreuzzug teil; ließ sich von richs IV., bis 1614 unter der Vormund-
seiner sittenlosen Gattin Eleonore von Poi- schaft seiner Mutter ↑ Maria von Medici,
tou (Poitiers) scheiden und führte langwie- berief 1624 ↑ Richelieu und ließ den all-
rige Kriege gegen König Heinrich Planta- mächtigen Kardinal zum Wohle Frank-
genet-Anjou (König von England), dem reichs gewähren. 20) L. XIV., der „Sonnen-
durch die Heirat mit Eleonore das aquita- könig“ (1643–1715); geb. 1638, Sohn von
nische Erbe zufiel und dem damit über die 19), 1651 mündig, übernahm erst 1661
Hälfte Frankreichs als frz. Kronlehen ge- nach dem Tod des Kardinals ↑ Mazarin die
hörte. 16) L. IX., der Heilige (1226– Regierung, vereinigte die ministerielle All-
1270); geb. 1214, Enkel von 15), bedeu- gewalt der beiden großen Kardinäle mit
tendster Herrscher Frankreichs im MA, bis der königlichen Würde „von Gottes Gna-
1236 unter Vormundschaft seiner Mutter den“ zum klass. Absolutismus (bezeich-
Blanca von Kastilien, setzte Ordnung, nend der legendäre Ausspruch L.s: „L’Etat
Friede und Recht an die Stelle der Willkür c’est moi!“), doch den Byzantinismus ver-
der feudalen Gewalten, legte die festen achtend („Könige sind nur Menschen, die
Grundlagen eines mächtigen Königtums andere Menschen lenken sollen“); berief in
(im Gegensatz zu Deutschland Vergröße- alle Ressorts befähigte Mitarbeiter (Le Tel-
rung der Krondomänen, straffe Zentral­ lier, Colbert, Lyonne, Louvois, Vauban),
verwaltung am Hof ); sicherte sich im Frie- erhob Frankreich zur ersten Großmacht
den von Paris (1259) die Lehnshuldigung Europas, wurde in seinem Herrscherstil
des engl. Königs (für Guyenne) und den (Hofstaat von etwa 4 000 Personen) und
engl. Verzicht auf die Normandie; erlag auf dem von ihm erweiterten Prunkschloss
seinem zweiten Kreuzzug vor Tunis einer Versailles zum abgött. Vorbild der meisten
Seuche (in Karthago begraben); durch ihn europ. Fürsten; trieb mit der Aufhebung
rückte Frankreich nach dem Tod des Stau- des ↑ Ediktes von Nantes einige hundert-
fern Friedrich II. zur ersten Macht Europas tausend ↑ Hugenotten aus dem Land und
auf. 17) L. XI. (1461–1483); geb. 1423, führte Frankreich durch überspannte
Sohn Karls VII., grausamer und heimtücki­ Machtpolitik in zahlreichen Eroberungs-
scher, gewandter und erfolgreicher Macht- kriegen gegen fast ganz Europa schließlich
politiker auf dem Weg zum frz. Absolutis- an den Rand des Abgrunds (↑ Reunionen,
mus und Zentralismus; verbündete sich Pfälzer Erbfolgekrieg). 21) L. XV., der
mit den Eidgenossen gegen Karl den „Vielgeliebte“ (1715–1774); geb. 1710,
Kühnen von Burgund und ließ sie im Urenkel von 20), bereits 1723 für mündig
Stich, zog nach dem Tod Karls 1477 das erklärt, überließ die Staatsgeschäfte jedoch
Herzogtum Burgund (Bourgogne) und die dem Kardinal Fleury bis zu dessen Tod

577
Ludwigslied

1743; setzte die Großmachtpolitik seines Ludwigslied, ahdt. epische Dichtung, in


Vorgängers im Poln., Österr. Erbfolge- und rheinfränk. Mundart, ältestes histor. Lied
im 7-jährigen Krieg fort, bezahlte sie mit der Deutschen; verherrlichte den Sieg des
dem Verlust der frz. Hegemonie und des westfränk. Königs Ludwig III. (Frankreich)
frz. Kolonialbesitzes in Nordamerika und über die Normannen (881 Schlacht bei
Indien und brachte die Krone durch seine Saucourt), verfasst (vermutlich) von einem
haltlose Schuld- und Mätressenwirtschaft fränkischen Geistlichen.
(Pompadour, Dubarry) um ihr letztes An- Lueger, Karl, österr. Politiker, 1844–1910,
sehen. 22) L. XVI., August (1774–1793); gewann die kleinbürgerlichen Massen Wi-
geb. 1754, Enkel von 21), 1770 vermählt ens für die Christlich-soziale Partei und ihr
mit Marie Antoinette von Österreich; be- demokratisch-antisemitisches Programm;
schritt redlichen, aber schwachen Willens 1897–1910 Bürgermeister von Wien,
den Weg der Reformen (Malesherbes, Tur- modernisierte die Stadtverwaltung und
got, Necker), konnte sich aber gegen die schaffte dort vorbildl. Sozialeinrichtungen,
Aristokratie wie gegen die Parlamente nicht trat im Reichsrat gegen die ungar. ↑ Ab-
durchsetzen; musste angesichts des Staats- trennungsbewegung und für den Bestand
bankrotts die ↑ Generalstände einberufen, der Donaumonarchie ein.
beugte sich der daraus hervorgegangenen Luftfahrt, schon früh Wunschtraum des
Nationalversammlung, siedelte auf Wunsch Menschen, daher einbezogen in die Mytho­
des Volkes von Versailles nach Paris über, logie (griechische Sagen von Dädalus und
versuchte vergebl. ins Ausland zu fliehen; Ikarus, von Bellerophontes, der auf den
schwor den Eid auf die Verfassung, wurde Olymp flog); mit der Entwicklung der
nach seiner Absetzung 1793 vom Natio- Naturwissenschaften wurde das Problem
nalkonvent mit einer Stimme Mehrheit als der Luftfahrt Gegenstand zunächst theo-
Staatsfeind „Louis Capet“ zum Tode verur- ret. Überlegungen; Entwurf einer Flugma-
teilt und guillotiniert. 23) L. XVII., geb. schine von Leonardo da Vinci, 1670 Plan
1785, Sohn von 22), 1793 von den Emi- des Franzosen Francesco de Lana-Terzi, ein
granten zum König ausgerufen, vom Kon- Schiff durch luftleere Kupferhohlkugeln
vent einem jakobinischen Schuster zur Er- zum Aufstieg zu bringen; praktisch setzte
ziehung übergeben und von diesem kör- die Geschichte der L. 1783 ein, zunächst
perlich und seelisch zugrunde gerichtet, nach dem Prinzip „leichter als Luft“;
starb 1795. 24) L. XVIII. (1814–1824); Heißluftballon der Brüder Montgolfier
geb. 1755, Bruder von 22), 1791–1814 (Montgolfiere, erster bemannter Aufstieg
Haupt der royalistischen Emigranten, er- in Paris), 1783 Wasserstoffgasballon von
klärte sich 1795 zum König, bestieg den Charles (Charliere; 40 km-Fahrt von Paris
Thron nach Napoleons Sturz, bemühte aus) und Leuchtgasballon von Minckelaers
sich um ein liberales, versöhnliches Re- (Heverlé bei Löwen); bereits in den Napo-
gime, ohne aber der reaktionären Kräfte leon. Kriegen wurde der Einsatz von Bal-
Herr zu werden. 25) L. Philipp, ↑ Louis lontruppen erprobt, von einiger Bedeu-
Philippe. – Ungarn: 26) L. I., der Große, tung für die Kriegführung wurde das Bal-
König (1342–1382); geb. 1326, aus dem lonwesen jedoch erst 1870/71 bei der Be-
Haus Anjou, König von Ungarn und (seit lagerung von Paris; das Problem der Lenk-
1370) von Polen, vergrößerte im Kampf barmachung, das in der ersten Hälfte des
gegen Litauer, Serben, Venedig und Kaiser 19. Jh. zu zahlreichen Vorschlägen führte,
Karl IV. sein Reich, das schließlich von der erwies sich als das Problem des geeigneten
Ostsee bis zum Schwarzen und Adriati­ Antriebs­motors (1852 versuchte es Giffard
schen Meer reichte. mit einer Dampfmaschine, 1884 Renard

578
Luftfahrt

und Krebs schon erfolgreicher mit einem Bleriot den Ärmelkanal; 1912 erste Luft-
Elektromotor); mit dem Diesel- und dem post mit Flugzeugen (Deutschland); 1913
Ottomotor (1874 erstmals mit Benzin be- zeigte Pegoud den ersten Looping; Pio-
trieben) begann um 1900 das Zeitalter der niere des Motorflugs waren in Deutsch-
Luftschiffe; 1901 umkreiste Santos Du- land Euler und Grade, in Österreich Etrich
mont mit einem Lenkluftschiff den Eiffel- (Taube); der 1. Weltkrieg brachte die ersten
turm, aber die ersten wirklich brauchbaren Fliegerangriffe mit Bomben und erste Luft-
Luftschiffe waren ein Werk des Grafen schlachten und beschleunigte die Entwick-
↑ Zeppelin, der die Überlegenheit des star- lung; 1915 erstes Ganzmetallflugzeug (Jun-
ren Luftschiffs (mit Gerüsten für die Hülle) kers); 1918/19 wurden 15 000 dt. Flug-
über das halbstarre oder unstarre (1895 zeuge ausgeliefert und zerstört; 1926 über-
Parseval) bewies (1900 erster Flug eines flog Byrd den Nordpol, 1927 Lindbergh
Zeppelins, 1908 Katastrophe des „LZ 4“ den Atlantik von Westen nach Osten, 1928
bei Echterdingen, darauf Nationalspende Köhl, Fitzmaurice und von Hünefeld von
von 6 Mio. Mark für Neubauten); während Osten nach Westen; es begann der Aus-
des 1. Weltkrieges wurden die Erfahrungen bau des internat. Luftverkehrs (Passagiere,
der Luftschiffbau Zeppelin GmbH Fried- Fracht, Post), die Erforschung unerschlos-
richshafen mit denen der Schütte-Lanz- sener Gebiete aus der Luft, Luftvermessung,
Luftschiffe vereinigt (Schütte, zuvor Prof. Luftarchäologie; 1935 erreichte Piccard die
für theoretischen Schiffsbau an der Techn. Stratosphäre; 1939 erster Flug mit Turbo-
Hochschule Danzig, baute zusammen mit Strahltriebwerk (Heinkel); im 2. Weltkrieg
dem Mannheimer Großindustriellen Lanz Luftlandeunternehmungen (1940 Eben
seit 1910 120 Luftschiffe); 1917 flog ein Emael, 1941 Kreta, 1944 Arnheim); 1941
dt. Militärluftschiff von Bulgarien nach erstes schwanzloses Flugzeug (Messersch-
Khartum und zurück (6757 km); bis 1926 mitt); Massen-Zerstörungsflüge außerhalb
durften Luftschiffe in Deutschland nur zu der Frontgebiete (Warschau, Rotterdam,
Reparationszwecken gebaut werden (1924 Köln, Coventry, London, Hamburg, Dres-
überquerte „LZ 126“ unter Eckener den den u. a.); in allen Krieg führenden Län-
Atlantik zur Übergabe als Reparationsgut dern gewaltiger Ausbau der Luftfahrtin-
an die USA); 1929 umfuhr „Graf Zeppe- dustrie sowie der Luftverteidigungsanla-
lin“ unter Eckener als erstes Luftschiff die gen (Abwehrgeschütze, Luftmess- und Ra-
Erde; nicht die Katastrophe des LZ „Hin- dar-Ortung, Warndienst, Luftschutz) und
denburg“ (ausgebrannt bei der Landung der Flugtechnik (automat. Navigation,
in Lakehurst 1937), sondern die rapiden Nachrichten- und Wetterdienst, Luftauf-
Fortschritte in der Entwicklung des Flug- klärung). Nach dem Krieg 1947 Durch-
zeugs ließen bis Beginn des 2. Weltkrieges bruch durch die „Schallmauer“ (Bell X-1),
den Bau von Luftschiffen als überholt er- 1949 erstes Staustrahltriebwerk (Leduc),
scheinen, doch nach 1945 Wiederauf­leben 1952 Turbostrahltriebwerk mit Raketen-
in den „Blimps“. – Luftfahrzeuge nach antrieb (USA); 1954 1. Passagierflug über
dem Prinzip „schwerer als Luft“ waren eine Nordpolarroute; Ausdehnung des Zivil-
Errungenschaft erst des 20. Jh.; wertvolle luftverkehrs über ges. Welt, Überrundung
Vorarbeit leisteten Drachenflugversuche der Schifffahrt auf dem N-Atlantik; Wett-
durch ↑ Lilienthal mit einem Gleitflie- rüsten der Großmächte mit techn. Wei-
ger (1890–1896); 1903 erhoben sich die terentwicklung der Militär- (und Zivil-)
Brüder Wright (USA) mit ihrem Doppel- L. Mit der brit.-frz. Gemeinschaftsproduk-
decker (12 PS, Benzinmotor) für 12 sec. tion „Concorde“ Überschallgeschwindig-
in die Luft, 1909 überflog der Franzose keit auch im Bereich der Zivil-L.

579
Lugalsagesi

Lugalsagesi Ensi (Priesterfürst) von Luitpold, Prinzregent von Bayern, 1821–


Um­ma um 2300 v. Chr., versuchte eine 1912; dritter Sohn Ludwigs I., übernahm
Res­tau­ration des ↑ Sumererreiches, ge- 1886 die Regentschaft für die geistesge-
wann Lagasch, Uruk (Residenz), Ur, Lassa störten Könige Ludwig II. und Otto.
und Nippur, herrschte vom Pers. Golf bis Lukanien, histor. Landschaft am Tarentin.
zur syr. Küste; wurde von ↑ Sargon, dem Golf, seit 700 v. Chr. durch seine griech.
Begründer der Dynastie Akkad, gestürzt Küstensiedlungen Teil ↑ Großgriechen-
(2250) und in einem Käfig vor dem Tem- lands; um 400 v. Chr. von den aus Sam-
peltor in Nippur zur Schau gestellt. nium einwandernden oskischen Lukanern
Lügenfeld, bei Colmar im Elsass, Krongut erobert, die im Bund mit Rom gegen die
Kaiser ↑ Ludwigs des Frommen, dessen Va- griech. Küstenstädte und König Pyrrhus
sallen hier 833 zu seinen aufständ. Söhnen von Epirus Krieg führten und anschließend
überliefen. von den Römern unterworfen wurden.
Luise, Name von Herrscherinnen: 1) L., Lukas, Evangelist, Arzt in Antiochia, viel-
Königin von Preußen, 1776–1810; Prin- leicht auch Maler (Schutzpatron der Ärzte
zessin von Mecklenburg-Strelitz, seit 1793 und Maler, Lukasgilden), Reisegefährte
Gattin Friedrich Wilhelms III.; wegen ihrer des Apostels Paulos, verfasste 63 n. Chr.
Güte und Schlichtheit vom Volk verehrt, das 3. (L.-)Evangelium und die Apostelge-
auf Seiten der Patrioten, demütigte sich schichte (Symbol: der Stier); ↑ Bibel.
1807 vergebens vor Napoleon I., um bes- Lullus, Raimundus (Ramon Lull), Theo-
sere Friedensbedingungen zu erreichen; be- loge, Missionar, „Vater der katalan. Litera-
einflusste die preußische Politik zugunsten tur“, 1235–1315; geb. auf Mallorca, ver-
der Stein-Hardenbergschen Reformen suchte die Araber und Juden Nordafrikas
und des Bündnisses mit Russland. 2) L. zum Christentum zu bekehren, starb (nach
von Savoyen, Herzogin von Angouleme, der Legende) an den Folgen einer Steini-
1476–1531; Gattin Karls von Orléans, gung; als Universalwissenschaftler und Leh-
Mutter Franz’ I., führte die Regentschaft rer der Philosophie entwickelte er die Ars
während der Feldzüge ihres Sohnes, trieb magna („Große Kunst“), ein halb myst.,
Herzog Karl von Bourbon, der nach dem halb rationalist. System, durch Kombina-
Tod ihres Gatten ihr Heiratsangebot ausge- tion alle erdenklichen Wahrheiten abzulei-
schlagen hatte, durch ihre Rachsucht zum ten (u. a. von Leibniz wieder aufgegriffen).
Abfall von Frankreich, brachte (nach der Lumière, Auguste, 1862–1954, und Louis
Gefangennahme Franz’ I. in der Schlacht Jean, 1864–1948; frz. Phototechniker,
von Pavia 1525) die Liga von Cognac ge- gründeten in Lyon eine Fabrik für fotograf.
gen Karl V. zustande und schloss 1529 mit Platten, erfanden 1894 einen technisch
Margarete von Österreich den Damenfrie- brauchbaren Kinematografen (1896 erste
den von ↑ Cambrai. 3) L. Ulrike, Köni- Filmvorführung in Paris) und 1903 eine
gin von Schweden, 1720–1782; Schwester Methode der Farbfhotografie.
Friedrichs d. Gr., bestimmte ihren Gatten Lumumba, Patrice, kongoles. Staatsmann,
Adolf Friedrich (aus dem Haus Holstein- 1925–1961; 1960 erster Ministerpräsident
Gottorp) zu vergeblichem Widerstand der Demokrat. Republik Kongo (heute
gegen die Selbstherrlichkeit der schwed. Zaire), abgesetzt und ermordet, 1966 von
Reichsstände, die sich mit der Teilnahme der Regierung Mobutu zum National-
Schwedens am 7-jährigen Krieg gegen helden erklärt.
Preußen rächten; gründeten 1753 aus eige­ Lunatscharski, Anatoli Wassiljewitsch,
nen Mitteln die Schwed. Akademie der sowjetischer Staatsmann und Schriftsteller,
Wissenschaften. 1875–1933; ab 1895 Mitglied der Sozial-

580
Luther

demokrat. Arbeiterpartei Russlands, lebte Lunten, mit Bleizucker u. a. getränkte


1906–1917 in der Emigration in Italien, Hanfstricke, langsam glimmend, zum Ge-
Frankreich und der Schweiz, Kontakt zu brauch als Zündmittel für Gewehr und Ge-
Lenin; nach der Oktoberrevolution 1917 schützladungen um einen Stock, den Lun-
Volkskommissar für das Bildungswesen tenspieß, gewickelt; bei Handfeuerwaffen
(bis 1929); bedeutender Theoretiker prole- war das Luntenschloss bis ins 17. Jh. ge-
tarischer Literatur und Verfasser von Ideen­ bräuchlich, Geschütze wurden bis Ende
dramen. 18. Jh. mit L. abgefeuert.
Lund (lat. Londinum Gothorum, Lon- Lusitania, brit. Passagierdampfer, 1915 auf
dora), schwed. Stadt in der Landschaft der Fahrt von New York nach Großbritan-
Schonen; um 1060 Bistum, 1104–1536 nien mit Munition an Bord von einem dt.
Erzbistum und (an Stelle Bremens) Metro- U-Boot versenkt, wobei fast 1 200 Passa-
pole des Nordens; Huldigungsort der dän. giere ertranken, darunter 139 Amerikaner,
Könige, durch die Reformation verfallen, die trotz Warnung des dt. Botschafters in
1658 an Schweden abgetreten, allmähl. den USA das Schiff benutzten; Folge: Auf-
Wiederaufstieg zum Bildungszentrum S- trieb der deutschfeindlichen Stimmung
Schwedens durch die Gründung der Uni- in den USA, scharfer Notenwechsel mit
versität 1668. Deutschland, das daraufhin den U-Boot-
Lüneburg, 1) ehemal. Fürstentum im Nie- Krieg einschränkte.
dersächs. Kreis; erster Besitz der Welfen Lustrum, im alten Rom das feierliche
(Heinrich der Löwe) in Sachsen; seit der Sühne- und Reinigungsopfer vor jeder
Teilung des Herzogtums Braunschweig-L. Kulthandlung, nach Blutvergießen, Be-
1269 selbständiges Fürstentum, 1705 mit gräbnis, Wochenbett und vor allem am
dem Kurfürstentum Hannover (Kalenberg) Ende eines Zensus für das gesamte Volk
vereinigt; von der Linie Neu-L. (seit 1546) (Steuereinschätzung) dargebracht, in der
stammte die in Großbritannien sowie die Regel also alle fünf Jahre; darum bezeich-
bis 1866 in Hannover regierende welf. Dy- net man mit L. auch den Zeitraum von
nastie ab. 2) Stadt an der schiffbaren Ilme- fünf Jahren.
nau; 795 geschichtl. als Hliuni bezeugt, Lutatius Catulus, 1) L. C., Gajus, röm.
Burg der Billunger auf dem Kalkberg, Feldherr, 241 v. Chr. Konsul, besiegte die
durch Privilegien Monopol­stellung in der karthag. Flotte unter Hanno in der den
Salzgewinnung und im Salzhandel, blühte 1. Pun. Krieg entscheidenden Seeschlacht
seit der Zerstörung Bardowieks (1189) auf; bei den Ägat. Inseln. 2) L. C., Quintus,
2. Hälfte des 14. Jh. einflussreiches Mit- röm. Feldherr, besiegte gemeinsam mit
glied der Hanse; 1267–1369 Residenz der Marius 101 v. Chr. die ↑ Kimbern bei Ver-
Herzöge von L., ältere Linie. cellae; später als Parteigänger Sullas ver-
Luneville (im ehemal. Herzogtum Loth­ folgt, beging Selbstmord.
ringen); 1801 Friede zw. dem Hl. Röm. Luther, 1) L., Hans, dt. Politiker, 1879–
Reich und Frankreich auf der Grundlage 1962; 1923/25 Reichsfinanzminister
des Friedens von ↑ Campoformio; alle (Stabilisierung der Mark zusammen mit
linksrheinischen Gebiete fielen an Frank- Schacht; Dawesplan), 1925/26 Reichs-
reich, die davon betroffenen dt. Fürsten kanzler (Locarno), 1933–37 Botschafter in
sollten rechtsrheinisch entschädigt werden den USA. 2) L., Martin, dt. Reformator,
(↑ Reichsdeputationshauptschluss). Begründer des (luther.) Protestantismus,
Luns, Joseph, niederländischer Politiker, 1483–1546; geb. in Eisleben als Sohn eines
1911–2002; 1956–1971 Außenminister, Bergmanns, harte Jugend- und Schulzeit
1971–1984 Generalsekretär der NATO. (Kurrendesänger), beendete das Studium

581
Lutter am Barenberge

der Rechte an der Universität Erfurt 1505 „hochdt.“ Sprache seines Heimatraumes
als Magister und trat – aufgrund des Gelüb- und stellte damit die dt. „Muttersprache“
des während eines Gewitters – im gleichen ebenbürtig neben Latein, Griechisch, He-
Jahr in das Erfurter Augustinerkloster ein; bräisch; 1522 vertrieb er die Schwarm-
1508 von seinem Ordensprovinzial an die geister und Wiedertäufer aus Wittenberg
neugegr. Universität Wittenberg gesandt, (↑ Karlstadt); 1525 heiratete er die ehema-
promovierte L. 1512 zum Doktor der The- lige Nonne Katharina von Bora; Verqui-
ologie und blieb Prof. in Wittenberg bis ckung seiner religiösen Anliegen mit welt-
zu seinem Tod; quälendes Sündenbewusst- lichen Belangen lehnte L. ab; so 1523 das
sein, Zweifel an der Theologie der Scho- Zusammengehen mit der Reichsritterschaft
lastik („Mönchstheologie“), dem Men- (Hutten); 1525 Absage an die soziale Re-
schenbild des Humanismus, an den sakra- volution (Schrift „Wider die räuberischen
mentalen Heilsmitteln der Kirche und Ver- Bauern“) und Auseinandersetzung mit
senkung in die Paulin. Briefe führten ihn dem rationalist. Humanismus des Erasmus
zum entscheidenden religiösen Erlebnis: von Rotterdam (Schrift „Vom geknechte-
Rechtfertigung des Menschen nicht durch ten Willen“, d. h. Verneinung der Willens-
sich und seine Werke, sondern „Sola gratia, freiheit); die werdende „protestant.“ Kirche
sola fide“, allein aus der Gnade Gottes, al- gestaltete er in engster Zusammenarbeit
lein aus dem Glauben; am 31. Okt. 1517 mit dem Landesfürstentum (1526 „Deut-
schlug er als Grundlage und Herausfor- sche Messe“, 1529 Katechismus); kirchen-
derung zu einer religiös-wiss. Diskussion polit. Gründe führten neben dem Streit
seine 95 (latein.) Thesen über Sünde und um die Abendmahlslehre zum Bruch mit
Buße (insbes. gegen ↑ Tetzel gerichtet) an ↑ Zwingli bei dem Marburger Religionsge-
die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg; spräch 1529; auch in den folgenden Jahren
an einen Bruch mit Rom dachte er dabei verteidigte L. die Reinheit seiner Lehre in
nicht; 1518 verweigerte er unter Berufung Traktaten und Polemiken, vollendete die
auf das Evangelium in Augsburg vor dem Übersetzung der Bibel und begründete das
Kardinallegaten Cajetan den Widerruf, protestant. Kirchenlied; sprachschöpferisch
lehnte den Vermittlungsversuch des päpst- auch in seinen Predigten, Briefen, etc. – Im
lichen Kammerherrn von Miltitz ab; 1519 Gegensatz zu Zwingli und Calvin lehnte L.
wurde er in der Leipziger Disputation mit staatliche Zwangsmittel und eine Veranke-
Dr. Eck zu schärferem Widerspruch veran- rung der Kirchenzucht in weltlicher Ge-
lasst, schrieb 1520 seine drei reformator. setzgebung ab; Gründung der Kirche allein
Schriften („An den christlichen Adel deut- auf die Verkündigung des Evangeliums
scher Nation“, „Von der babylonischen und die Gewissheit von der Gnade Gottes.
Gefangenschaft der Kirche“, „Von der – L. wurde in der Schlosskirche zu Witten-
Freiheit eines Christenmenschen“), ver- berg begraben.
brannte des „Papsts Bücher“: die päpstliche Lutter am Barenberge, Flecken in Braun-
Bann(androhungs)bulle und das Corpus schweig bei Salzgitter; 1626 Sieg des Liga-
Iuris Canonici (das kanon. Recht); 1521 feldherrn Tilly über Christian IV. von Dä-
kehrte er vom Wormser Reichstag, wo er nemark, dessen Einmischung im 30-jäh-
seine Lehre vor Karl V. verteidigt hatte, in rigen Krieg damit ihr Ende fand.
Bann und Acht zurück und wurde von sei- Lützelburger, Luxemburger, ↑ Luxem-
nem Beschützer, dem sächs. Kurfürsten burg.
Friedrich dem Weisen, auf die Wartburg in Lützen, an der Straße Leipzig-Weißenfels;
Sicherheit gebracht; hier übersetzte er – in 1632 Schauplatz der Hauptschlacht des
10 Monaten – das Neue Testament in die 30-jährigen Krieges zw. Gustav Adolf und

582
Luxusgesetze

Wallenstein; die Schweden verloren ihren frieden 1659 den südl. Teil (Diedenhofen,
König, behaupteten aber unter Bernhard Montmédy) an Frankreich, 1715–1796
von Weimar das Schlachtfeld; auf kaiser- wieder österreichisch, 1795 von Frankreich
licher Seite fiel Pappenheim. erobert, 1815 zum Großherzogtum erho-
Lützow, Adolf Freiherr von, preuß. Frei- ben und dem König der Vereinigten Nie-
korpsführer, 1782–1834; schloss sich derlande als Entschädigung für seine nas-
1806 Schill an, stellte 1813 die „Schwarze sauischen Erblande zugesprochen; Stadt L.
Schar“ auf (einfache schwarze Uniform mit zur Festung des Dt. Bundes erklärt (Preu-
schwarzem Totenkopftschako), zu der sich ßen hatte das Besatzungsrecht); 1830 an
Jahn, Friesen, Körner u. a. meldeten und Belgien angegliedert, 1839 mit dem dt.
die sich durch Verwegenheit auszeichnete. Ostteil wieder in Personalunion mit den
Luxembourg, Palais de, Schloss in Paris, Niederlanden (bis 1890), 1842 dem deut-
1615–1620 für Maria de Medici von de schen Zollverein angeschlossen, 1867 nach
Brosse erbaut, benannt nach dem Vorbe- dem Versuch Napoleons III., es durch Kauf
sitzer des Grundstücks, dem Herzog von zu erwerben, und Bismarcks Einspruch
Luxembourg-Piney; wurde während der (L.ische Frage) durch die Londoner Kon-
Frz. Revolution als Gefängnis, seit 1879 als ferenz für neutral erklärt (unbewaffnete
Sitz des Senats genutzt. Neutralität; doch bis 1919 im dt. Zollver-
Luxembourg, François Henri de Mont- band); 1914–1918 und 1940–44 von dt.
morency-Boutteville, Herzog von, Mar- Truppen besetzt, 1944 (erweitert 1947, in
schall von Frankreich, 1628–1695; Schüler Kraft 1948) in Zollunion mit Belgien und
Condes, an den Eroberungen Ludwigs XIV. den Niederlanden (Benelux), gab 1949
maßgeblich beteiligt, wegen seiner Gegner­ seine Neutralität auf (Verfassungsände-
schaft zu Louvois vorübergehend kaltge- rung, Gründungsmitglied von NATO und
stellt; vom Volk „Tapezierer von Notre EWG). Stadt Luxemburg wurde offiz. Sitz
Dame“ gen., weil er diese Kirche mit Fah- des Europäischen Gerichtshofes (EuGH).
nentrophäen füllte; in den Giftmischerpro- 1997 war das schuldenfreie Luxemburg
zess der Voissin von 1679 verwickelt und das erste EU-Land, das alle Kriterien für
darum Held einer Volkssage, in der er wie den Beitritt zur Europäischen Währungs-
Faust einen Pakt mit dem Teufel schließt. union erfüllte. Im Okt. 2000 übernahm
Luxemburg (früher Lützelburg), alte dt. Henri II. von Luxemburg offiziell das Amt
Grafschaft im Burgundischen Kreis; urspr. des Staatsoberhauptes von seinem Vater
zu Austrien gehörend, dann zum Herzog- Jean I. und wurde neuer Monarch des Groß­
tum Lothringen; im 13. Jh. vereinigt mit herzogtums.
Limburg, Namur und Arlon; dieser 2. Li- Luxemburg, Rosa, dt. revolutionäre Sozia­
nie entstammten die L.ischen Kaiser, be- listin, 1870–1919; entstammte jüdisch-
ginnend mit Heinrich VII. (1308–1313); polnischer Kaufmannsfamilie, Theoretike­
ihre Hausmachtpolitik führte zum Erwerb rin und Agitatorin des Linken, streng mar-
Böhmens, der Lausitz, Brandenburgs und xist. und internat. Flügels der Sozialdemo-
Brabants; Kaiser Karl IV., ebenfalls L.er kratie, 1907–1914 Dozentin an der Parte-
(1347–1378), erhob L. 1354 zum Her- ischule der SPD; gründete 1916 zus. mit
zogtum. Nach dem Erlöschen des L.schen Karl Liebknecht den Spartakusbund, zu
Herrscherhauses (Wenzel 1378–1400; Sig- Zuchthaus verurteilt, von Rechtsradikalen
mund 1410–1437) wurde L. 1443 mit ermordet.
Burgund vereinigt, fiel nach dem Tod Karls Luxusgesetze (Aufwandsgesetze), in der
des Kühnen 1477 an die österr., 1555 an Antike in Sparta, Athen (317 v. Chr. ­Gesetz
die span. Habsburger, verlor im Pyrenäen- des Demetrios von Phaleron gegen Gräber-

583
Lyautey

luxus) in Rom erlassen; im MA „Kleider- Lyon, das Lugdunum (keltisch, Rabenhü-


ordnungen“ gegen Kleider- und Pelzluxus gel) der Gallier, erhielt 43 v. Chr. eine rö-
nach dem Grundsatz der „standes­gemäßen mische Kolonie zum Nachbarn; unter Au-
Nahrung“; im 18. Jh. Teil der merkantili- gustus Knotenpunkt im Straßennetz Galli-
stischen Zoll- und Steuerpolitik (gegen Ein- ens, im 2. Jh. Sitz eines Bistums, im 5. Jh.
fuhr von Luxuswaren aus dem Ausland). Hauptstadt eines Burgunderreiches, 534
Lyautey, Hubert, Marschall von Frank- von den Franken erobert; 879 zum König-
reich, frz. Kolonialimperialist, 1854–1934; reich Arelat (Niederburgund), mit diesem
Generalresident, eigtl. Eroberer Marokkos 930 zu Hochburgund und 1083 an das Dt.
1912–25, das er souverän verwaltete. Reich; Freie Reichsstadt (und Erzbistum),
Lydien, urspr. Mäonien, erstand als selb- unterstellte sich 1307 der frz. Krone, seit
ständiges Reich im Westen Kleinasiens Franz I. Stadt der Seidenfabrikation (Mes-
(Hauptstadt Sardes) nach dem Zusammen- sen), 1560 hugenottisch, durch die Nieder-
bruch Phrygiens um 680 v. Chr. unter der metzelung (1572) und Austreibung (1685)
Dynastie der Mermnaden; wirtschaftlich der Hugenotten in der Entwicklung zu-
stark durch seine Goldschätze, den Ge- rückgeworfen; 1793 als aufständisch vom
werbefleiß seiner Bewohner (Färbereien) Nationalkonvent geächtet, belagert und
und den einträglichen Zwischenhandel dem jakobinischen Terror ausgeliefert
zw. den griechischen Küstenstädten und (grausame Massenexekutionen); seit den
dem Zweistromland; kämpfte unter König Seidenweberaufständen (1830–1834) so-
Gyges (gefallen um 652) gegen die Grie- zialer Unruheherd und Hort der radikalen
chenstädte und die Kimmerier, erreichte Demokratie.
seinen größten Aufschwung unter Alyattes Lysander, spartan. Feldherr und Sieger im
(585 unentschiedene Schlacht am Halys ↑ Peloponnes. Krieg (Aigospotamoi 405),
gegen die Meder); griff unter Kroisos (Krö- eroberte 404 Athen; gefallen 395 v. Chr.
sus) Persien an und wurde 546 von Kyros Lysias, einer der zehn att. Redner, um 440–
erobert, seither pers. Satrapie. 357 v. Chr.; trug zum Sturz der ↑ Dreißig
Lykurgos, 1) L., nach der antiken Über- Tyrannen bei. Verfasser von trefflichen Ge-
lieferung der Gesetzgeber Spartas (um richtsreden in att. Sprache.
800 v. Chr.); als Schöpfer der spartan. Ver- Lysimachos, Feldherr Alexanders d. Gr.,
fassung (nach kretischem Vorbild) angese- nach dessen Tod Statthalter von Thrakien,
hen, ihm wurden in der Folgezeit göttliche legte sich 306 v. Chr. den Königstitel zu,
Ehren erwiesen. 2) L., einer der zehn at- gewann in den Diadochenkämpfen Make-
tischen Redner, Schüler Platons, um 390– donien, den Balkan bis zur Donau, Klein-
325 v. Chr., neben ↑ Demosthenes führen- asien bis zum Taurus fiel 281 im Kampf ge-
der Vertreter der Patriotenpartei; trat als gen Seleukos.
Leiter des Finanzwesens 338–327 v. Chr. Lyttonbericht der Völkerbundskommis-
für straffe Staatsverwaltung ein. sion zur Untersuchung des chrin.-jap.
Lynch, John Mary, irischer Politiker, 1917– Konfliktes 1932 (Vorsitzender der Earl of
1999; setzte sich als Premiermin. (1966– L.); erklärte das jap. Vorgehen in der Man-
1973) bes. für die Wiedervereinigung der dschurei für unrechtmäßig, enthielt trotz-
beiden Teile Irlands und den Beitritt Ir- dem für Japan günstige Vorschläge (auto-
lands zur EG ein; 1973–77 Oppositions- nome Mandschurei unter chin. Oberho-
führer, 1977–79 erneut Premierminister. heit, doch jap. Kontrolle).

584
Mabillon

Mabillon, Jean, frz. Benedi­ 1765–1840; aus schottischer Emigranten-

M ktiner, Mauriner, ­ Begründer


der wissenschaftlichen Diplo-
matik (Urkundenlehre) und
Mitbegründer der modernen Geschichts-
familie (Stuart-Anhänger), kämpfte auf
allen Schauplätzen der Napoleon. Kriege,
entschied den Sieg von Wagram (1809),
von Blücher an der Kaubach geschlagen
wissenschaft, 1632–1707; lebte in Paris, (1813).
beschäftigte sich im Interesse seines Or- MacDonald, James Ramsay, brit. Arbeiter-
dens mit Urkundenforschung, suchte im führer und Staatsmann, 1866–1937; Mit-
Auftrag Colberts burgund. und dt. Archive begründer der ↑ Labour-Party, 1906–1918
auf, verfasste die erste krit. Geschichte des und seit 1922 im Unterhaus, 1914 gegen
Benediktinerordens; seine Urkundenlehre die Kriegserklärung an Deutschland; 1924
wurde zum Fundament der modernen Premierminister (1. Labour-Kabinett), für
Quellenkritik. Revision des Versailler Vertrags und Selb-
Macao, 1557 gepachtete portug. Handels- ständigkeit Indiens, 1929–1935 nochmals
niederlassung an der Südküste↑ Chinas, an der Spitze der Regierung; trennte sich
ehemals wichtiger Stützpunkt des europ. 1931 von der Labour-Mehrheit zugunsten
Handels und der Mission in China und eines Koalitionskabinetts und stürzte die
Japan; verlor 1843 seine Monopolstellung Partei in eine schwere Krise.
durch die Anlage des benachbarten Hong- Macedonien, ↑ Makedonien.
kong (brit. Kronkolonie); 1845 zum Frei- Mäcenas, Gajus Cilnius, röm. Ritter, Po-
hafen erklärt, Zentrale des Opiumschmug- litiker, Diplomat und Schriftsteller, gest.
gels und (bis 1873) des Handels mit Kulis; 8 v. Chr.; leistete Oktavian (Augustus) wich­
seit dem Sieg Mao Tse-tungs letzte europä- tige Dienste, blieb auch nach den Trium­
ische Niederlassung auf dem chinesischem viratskriegen Vertrauter des Augustus, ohne
Festland. ein Amt zu bekleiden; Epikuräer, reich, im
MacArthur, Douglas, amerik. General, Besitz von Kunstsammlungen, nahm sich
1880–1964; 1930–1934 Stabschef der US- bedrängter junger Dichter (Vergil, Horaz,
Armee, 1942–1945 Oberkommandieren- Properz) an und verknüpfte seinen Namen
der der Alliierten im pazif. Raum, leitete mit dem Ruf eines Freundes und Gönners
die große Gegenoffensive, die zur Rück­ der Künstler und Gelehrten („Mäzen“).
eroberung der Philippinen führte; nach der Machiavelli, Niccolò, Staatsmann, Ge-
Kapitulation ↑ Japans ­Oberbefehlshaber der schichtsschreiber und bed. Staatsdenker
Besatzungstruppen, von entscheiden­dem der Renaissance in Italien, 1469–1527; ge-
Einfluss bei der politischen und sozialen mäß seiner Familientradition im höheren
Umgestaltung Japans zu einem demokrat. Staatsdienst der Republik Florenz; lernte
Staat; nach Ausbruch des Korea­konfliktes in diplomat. Mission die wichtigsten Fürs­
als Befürworter eines energischeren Vorge- tenhöfe kennen, 1494 Staatssekretär, nach
hens gegen China 1951 abberufen. Rückehr der ↑ Medici abgesetzt, verhaftet
Macbeth, schottischer Feldherr, ermordete und verbannt; nach der Wahl Giovannis de
1040 König Duncan I. und bestieg den Medici zum Papst (Leo X.) wieder in Flo-
Thron; wurde von Siward, dem Feldherrn renz, doch nur in untergeordneter Stellung
Malcolms, Sohn des Duncan, 1054 besiegt und vorwiegend literarisch tätig. Aus seiner
und fiel 1057 im Kampf gegen Malcolm; Vertrautheit mit der heidn.-röm. Antike
sagenumwobene Gestalt, Hauptfigur in (Livius) und aus nüchterner Beobachtung
Shakespeares gleichnamiger Tragödie. der polit. Wirklichkeit seiner Zeit gelangte
Macdonald, Alexandre Etiénne, Herzog M. zu einer realistischen Geschichtsbe-
von Tarent und Marschall von Frankreich, trachtung (Macht des Staates) und schrieb

585
Machu Picchu

im vorzüglichem ital. Prosastil eine Ge- stadt Tananarive, urspr. von afrikan. oder
schichte von Florenz; mit dem Hauptwerk melanes. Neger- und von Pygmäenstäm-
„Il Principe“ (Der Fürst) wurde er zum men bewohnt, in nachchristlicher Zeit (bis
verrufenen Theoretiker des modernen, rein 16. Jh.) Einwanderungswellen von Indone-
weltlichen Machtstaates, der sich gemäß sien her; im MA Königreich Mogadischo;
der „Staatsnotwendigkeit“ eine eigene Mo- schon früh Handel mit Arabern, Persern,
ral, die „Staatsräson“, schafft. Indern, seit 1506 mit Portugiesen, die Hä-
Machu Picchu, Ruinenstadt der Inka im fen und städtische Stützpunkte anlegten;
südl. Zentral-Peru; 1911 entdeckt, umfasst im 18. Jh. matriarchal. Königreich, im
Tempel, Opferstätten, Sonnenwarte und 19. Jh. Königreich der Hovas; 1883–1895
Häuser für etwa 10 000 Menschen; zu den Besetzung durch Frankreich und 1896 mit
Besonderheiten gehört der Tempelbau Tor- Nachbarinseln frz. Kolonie; 1897 Verban-
reón, ein Turm, dessen Mauern einen hl. nung der letzten Königin Ranavalona II.
Felsen umschließen. und radikale Französisierung (Frz. neben
Mackensen, August von, dt. Generalfeld­ Malgache Umgangssprache, Kriegshafen
marschall, 1849–1945; im 1. Weltkrieg Ar- Diego Suarez); 1942–45 Besetzung durch
meeführer in Polen und Galizien (1914/15, Großbritannien, 1947 nach blutigem Ein-
Durchbruchsschlacht v. Gorlice-Tarnow); geborenenaufstand wieder frz.; 1961 un-
Heeresgruppenführer auf dem Balkan abhängiger Staatenbund mit 6 Provinzen.
1915/16 (Niederwerfung Serbiens und Ru­ 1963 Assoziierungsvertrag mit der EWG.
mäniens). 1972 schwere Unruhen, Verhängung des
Mac-Mahon, Maurice Comte de, frz. Heer- Kriegsrechts, Aufhebung der Verfassung,
führer und Staatsmann, 1808–1893; zeich- Regierung durch Dekrete unter Gene-
nete sich 1855 vor Sewastopol, 1859 bei ral Romanantsoa. 1975 Regierungsüber-
Magenta und Solferino aus, zum Herzog nahme durch Militärrat aus Offizieren aller
von Magenta und Marschall von Frank- 6 Provinzen, wenig später wurde eine neue
reich ernannt; 1870 bei Wörth geschlagen; Verfassung durch Referendum angenom-
mit der Entsetzung von Metz beauftragt, in men; Präsident des Obersten Revolutions-
Sedan eingeschlossen; verwundet und zur rates wurde Didier Ratsiraka (von 1975
Kapitulation gezwungen; warf 1871 die bis 1993), der Madagaskar zur „Demokra-
Pariser Kommune nieder, 1873 mit den tischen Republik“ erklärte. Verstaatlichung
Stimmen der antirepublikan. Parteien zum der Betriebe und Einführung eines Einpar-
Präsidenten der Republik gewählt, begüns- teiensystems, zunehmender Widerstand
tigte vergeblich die Wiedereinsetzung der führt Ende der 80er Jahre zum Zusammen-
Bourbonen und dankte 1879 ab. schluss oppositioneller Kräfte; nach dem
Macmillan, Harold, brit. Politiker, 1894– Ende der Sowjetunion Wiedereinführung
1986; 1955 Außenminister, 1955–57 des Mehrparteiensystems (1992). 1993 de-
Schatzkanzler, 1957–63 Premierminister; mokrat. Wahl des Staatspräs. A. Zafy (vom
M. bemühte sich um Beitritt Großbritan- ehem. Oppositionsbündnis „Forces Vi-
niens zur EWG. ves“). Hauptproblem des Landes zu diesem
Macrinus, Marcus Opellius, röm. Kaiser Zeitpunkt waren die Armut weiter Teile
(217–218), geb. 164, unter Caracalla Prä- der Bevölkerung und eine drohende Hun-
torianerpräfekt und Verschwörer; von sei- gersnot. 1996 Amtsenhebung Zafys, Nach-
nem Nachfolger Elagabal geschlagen, auf folger erneut der aus dem Exil zurückge-
der Flucht getötet. kehrte Ratsiraka. Nach den Präsident-
Madagaskar, Inselfreistaat (Madegassische schaftswahlen 2001 Massenproteste, wg.
Republik) im Indischen Ozean, Haupt- vermuteter Wahlmanipulation. Nach Neu-

586
Magdeburg

auszählung der Stimmen im April 2002 er- und gegen die staatliche Ordnung gerich-
klärte das Verfassungsgericht den Opposi- tete Terror der M. hatte starken Rückhalt
tionskandidaten Marc Ravalomanana zum im Volk und wurde erst 1926/29 entschei-
Sieger; Ratsiraka verkündete jedoch, er dend geschwächt. Sizilian. Einwanderer
werde das Ergebnis nicht anerkennen. übertrugen die M. in die USA (Cosa No-
Made in Germany (engl., verfertigt in stra). Heute befindet sich der harte Kern
Deutschland), Herkunftsbezeichnung, die der M. wieder in S-Italien.
nach dem brit. Markenschutzgesetz von Magdalenenberg, große Stadt der ↑ Kel-
1887 alle in Deutschland produzierten ten in Kärnten mit weitreichenden Han-
und nach Großbritannien eingeführten delsverbindungen bes. nach Aquileja an
Waren tragen mussten. der Adria; reiche Funde: Händlerquartiere,
Madison, James, 4. Präsident der USA Gewerbebetriebe, Haus- und Arbeitsgeräte,
(1809–1817); 1751–1836; Republikaner, zahlreiche Wandinschriften und Schrift-
unter seinem Vorgänger Jefferson Staats- tafeln im „norischen“ Alphabet; älteste
sekretär des Äußeren 1801–1809, erklärte Wandmalereien Österreichs; kelt. Name
1812 England wegen der Schädigung des der Stadt unbekannt.
amerik. Handels und unter dem Druck der Magdalénien, nach dem Fundort Abri La
Kriegspartei den Krieg und führte ihn mit Madeleine in der Dordogne (S-Frankreich)
leidlichem Erfolg bis zum Friedensschluss benannte Kultur, die letzte des Jung- ↑ Pa-
von Gent 1814 (Status quo). läolithikums gegen Ende der 4. Eiszeit, um
Madrid, seit dem 8. Jh. als Majerta (ara- 20 000 bis um 12 000 v. Chr.; Fundorte
bisch Medschellit) bekannt, wechselte im in Spanien, Frankreich, S-England, Bel-
10./11. Jh. als Grenzfeste zw. dem maur. gien, Rheinland-Westfalen, S-Deutsch-
und dem christl. Spanien mehrmals den land, Tschechische Republik, Slowakei, S-
Besitzer; fiel 1083 in die Hand Alfons’ VI. Polen, S-Russland; Zeitalter einer allmäh-
von Kastilien, des Eroberers des maur. Kö- lichen Klimaerwärmung (Verschwinden
nigreichs Toledo; seit dem Tod Ferdinands des Mammuts), Träger des M. waren zum
des Katholischen Sitz der Regierung für die ↑ Cromagnon-Menschentyp gehörende
vereinigten span. Königsreiche, bevorzugte Rentierjäger (Rentierjägerkultur). Neben
Residenz Karls I. (Karls V.; 1526 Friede Steinwerkzeu­gen vielfältige Knochenwerk-
von M. zw. Karl V. und Franz I. von Frank- zeuge; eindrucks­volle geritzte oder gemalte
reich); von Philipp II. 1561 statt Toledo Jagd- und Tierbilder auf Platten, Knochen,
zum Regierungssitz der Monarchie erklärt, Stoßzähnen oder auf den Wänden der
endgültig erst 1606; 1808 Schauplatz eines Kulthöhlen; plast. Arbeiten in Bein, Lehm
blutigen Aufstands gegen die frz. Besatzung und Stein; verfeinertes Haus-, Waffen- und
(wofür die Stadt in der Anrede des Kanz- Jagdgerät (Nähnadeln aus Knochen, Har-
leistils „die heroische“ genannt wurde); im punen, Angeln, Pfeil und Bogen, „Kom-
span. Bürgerkrieg von den Republikanern mandostäbe“ als Zauberstäbe).
1936–1939 zäh verteidigt. Magdeburg, 1) 937 Stiftung eines Be-
Mafia (Maffia), Geheimbund auf Sizilien, nediktinerklosters, 968 unter Otto d. Gr.
entsprechend der Camorra Neapels; ent- Errichtung des Erzbistums, Otto d. Gr.
standen aus der um 1800 von der Regie- im Dom zu M. beigesetzt; M. wurde Aus-
rung aufgestellten „Compagnie d’armi“, ei- gangspunkt für die Christianisierung der
ner Art Ordnungspolizei, die selbst z. T. aus Gebiete östl. der Elbe- und Saale-Linie und
Gewalttätigen zusammengesetzt war und für die dt. Ostkolonisation; Residenz der
1860 von Garibaldi aufgelöst wurde; der Erzbischöfe war Giebichenstein bei Halle,
vornehmlich gegen die Großgrundbesitzer schließlich Halle; Erzbischof Albrecht V.,

587
Madgeburger Stadtrecht

dessen Geldnöte das Ablassgeschäft beson- suchte mit fünf Schiffen die Molukken
ders begünstigt hatten, wurde der Refor- (Gewürzinseln) auf dem Westweg zu errei-
mation nicht Herr und verließ 1541 das chen, durchfuhr 1520 als Erster die nach
Stift; um 1560 trat der letzte vom Papst be- ihm benannte M.-Straße, durchquerte den
stätigte Erzbischof offen zur luther. Lehre Stillen Ozean und erkannte, dass der Erd-
über; erst 1680 wurde das Erzstift säkula- umfang fast doppelt so groß ist, wie bis
risiert und als erbliches Herzogtum dem dahin angenommen; M. entdeckte 1521
Haus Brandenburg als Ersatz für Vorpom- die Philippinen und fiel im Kampf gegen
mern übergeben. 2) Die Stadt M., 805 die Eingeborenen; nur eines seiner Schiffe
von Karl d. Gr. zum Grenzhandelsplatz kehrte nach Spanien zurück und vollen-
bestimmt, entwickelte sich trotz wieder- dete damit die erste Weltumseglung.
holter Zerstörung (923/24 Slaweneinfall) Magenta, Stadt in der Lombardei; 1859
zu einem der bedeutendsten Handelsplätze Sieg der mit Piemont-Sardinien verbün-
des MA, trat der Hanse bei und erhielt im deten Franzosen unter Napoleon III. und
14. Jh. das Stapelrecht für die Elbschiff- MacMahon über die Österreicher, die die
fahrt, erkämpfte sich von den Erzbischö- Lombardei räumen mussten.
fen weitgehende Unabhängigkeit, zählte Maghreb (arab., Westen), Bezeichnung für
um 1500 40 000 Einwohner; M., ein Boll- die nordafrikan. Länder westl. von Libyen
werk des Protestantismus, verweigerte die (Tunesien, Algerien, Marokko) als kultu-
Annahme des Augsburger Interims, unter- relle, wirtsch., staatliche Förderation, seit
warf sich dem mit der Vollstreckung der 1961 als Ausweg aus der Algerienkrise und
Reichsacht beauftragten Kurfürsten Mo- zugleich als Gegenzug gegen Nassers groß-
ritz von Sachsen erst nach zweijährigem arab. Reichspläne („Vom Atlantik bis zum
Widerstand gegen das Zugeständnis der Ind. Ozean“) angestrebt.
Religionsfreiheit; wurde 1631 nach hel- Magier (griech. mageia, Zauberei), urspr.
denhaftem Widerstand von Tilly erobert die angesehenen und einflussreichen Pries-
und geriet in Brand (Ursache umstritten; ter der Meder und Perser, die sich außer
Brandstifter vermutlich Falkenberg); kam mit kultischen Handlungen (Bekämpfung
1680 mit dem Erzstift M. zu Brandenburg, der Geister und der Dämonen durch Be-
1807 bzw. 1814 zum Königreich Westfa- schwörung und Gebet) und den Wissen-
len, 1815 Hauptstadt der preuß. Provinz schaften (Astronomie, Medizin) auch mit
Sachsen; im 2. Weltkrieg stark zerstört. Traumdeutung und Wahrsagen befassten;
Magdeburger Stadtrecht, Stadtrechts- in römischer Zeit allg. Bezeichnung für die
buch, Darstellung nach Art der Rechts- herum­ziehenden Wahrsager, Astrologen
spiegel, Sammlung von altsächs. Gewohn- und Gaukler (Kleinasiens); im MA die ver-
heitsrecht und Magdeburger Stadtgesetzen, meintlich der Zauberei, der Beschwörung
1188 kodifiziert; wurde von zahlreichen guter oder böser Geister („weißer“ oder
(meist im Zuge der Ostkolonisation neu „schwarzer“ Magie) Kundigen.
gegründeten) Städten des Ostens von Ol- Maginot, André, frz. Politiker, 1877–
mütz bis Königsberg übernommen, für die 1932; baute als Kriegsminister (seit 1929)
der Magdeburger Schöppenstuhl oberste die nach ihm benannte Befestigungslinie
Rechtsinstanz war (Magdeburger Schöp- (M.-Linie) an der frz. Ostgrenze, die zu-
pensprüche). nächst für unüberwindlich gehalten wurde
Magellan (portug. Magalhães), Fernando und im frz. Heer den defensiven „M.-
de, portug. Seefahrer und Entdecker, um Geist“ aufkommen ließ.
1480–1521; fühlte sich von Portugal zu- Magister (lat., Vorsteher, Leiter), bei den
rückgesetzt und trat in span. Dienste, ver- Römern Amtstitel (z. B. M. admissionum =

588
Mago

(kaiserlicher] Zeremonienmeister, M. cen- Magna Charta libertatum (lat., der große


sus = Leiter des Finanz- und Steuerwesens, Brief der Freiheiten) von 1215, Staatsgrund­
M. pagorum = Dorfschulze, M. navis = gesetz Englands, eines der bedeutendsten
Schiffsführer, M. militum = Reichsfeld- Dokumente der politischen Geschichte
herr). – Im MA akadem. Würde, verbun- Europas; die M. ist ein lehensrechtlicher
den mit Lehrberechtigung (↑ Lizentiat); Vertrag zw. der Krone und ihren Vasallen,
hervorgegangen aus dem urspr. auf die sie- den die Barone und Prälaten König Johann
ben freien Künste beschränkten Universi- ohne Land aufzwangen, um seine über-
tätsbetrieb; daher M. artium liberalium = kommenen Pflichten und ihre Rechte ver-
M. der freien Künste; mit Ausbildung des brieft zu sehen; in den wichtigsten Artikeln
Fakultätswesens auf die philosoph. (oder erkannte der König das Widerstand- und
Artisten-)Fakultät beschränkt; später ab- das Steuerbewilligungsrecht der Barone an;
geschafft und vom Doktorgrad abgelöst; er musste seine Regierungshandlungen von
1960 als akadem. Grad nach engl und einem baronalen Ausschuss auf ihre Recht-
amerik. Vorbild wieder eingeführt. mäßigkeit prüfen lassen und durfte ohne
Magistrat, in der röm. Antike Staatsamt, Zustimmung der Versammlung der Kron-
auch der Träger des Amtes; unterschieden vasallen keine Steuern erheben; aus diesen
in immer wiederkehrende, ständige M.e Abmachungen entwickelte sich das engl.
und M.e, die nur unter besonderen, außer- Parlament; ferner begründete die M. den
ordentlichen Umständen wirksam wurden engl. Rechtsstaat: Kein Freier durfte ohne
(ordinarii und extraordinarii), beide mit rechtmäßiges Urteil seiner ­Standesgenossen
hohen und niederen Rangstufen; ordent- gefangengesetzt oder sonst bestraft werden;
liche Ämter waren die M.e der Konsuln, die M. wurde im MA mehrmals bestätigt,
Militärtribunen, Zensoren, Prätoren, Ädi- ihre Kernartikel gingen 1689 in die ↑ De-
len, Quästoren, Volkstribunen; außeror- claration of Rights über.
dentliche die M.e des Diktators, des Magis­ Magna Graecia oder Graecia Magna,
ter equitum und Praefectus urbi, der Zwei-, ↑ Groß-Griechenland.
Drei-, Vier-, Fünfmänner („Duumvirat“, Magnesia, Stadt in Lydien am Sipylos;
„Triumvirat“ usw.); die höheren waren an- 190 v. Chr. glänzender Sieg der zahlen-
fangs den Patriziern vorbehalten (Wahl in mäßig in der Minderheit stehenden Rö-
den Zenturiatskomitien), zu den niederen mer über König Antiochus III. d. Gr. von
hatten alle Plebejer Zutritt (von den Tribus Syrien, der die Erklärung des Flamini-
ernannt); im allg. konnten die Ämter nur nus bei den Isthmischen Spielen, dass alle
in einer bestimmten Reihenfolge angetre- Griechen­städte, einschließlich der von An-
ten werden; die oberen M.e waren durch tiochus eroberten Dardanellenstädte, frei
die Sella curulis und Begleitung durch wären nicht anerkannte.
↑ Liktoren ausgezeichnet (daher M. cu- Magnus der Billunger, Herzog von Sach-
rules), unter den Kaisern Fortdauer, aber sen, letzter Billunger, gest. 1106; erbitter­
unter Einschränkung der Machtbefugnisse; ter Gegner des Erzbischofs Adalbert von
neue Ämter kamen hinzu. – Im dt. Verwal- Bremen, beteiligte sich an den Aufständen
tungsrecht der neuesten Zeit vielfach der gegen Kaiser Heinrich IV., schließlich ver-
Gemeindevorstand einer Stadt; im Frz. söhnt, kämpfte gegen die Liutizen, einen
(magistrature) die allg. Landesverwaltung slaw. Grenzstamm; nach seinem Tod fiel
(Dienststelle der Departementspräfekten), das Herzogtum an ↑ Lothar von Supplin-
im Rechtswesen Richter und Staatsanwälte; burg.
in England (magistrate) der amtliche Poli- Mago, 1) M., Sohn des Hamilkar Bar-
zeirichter der Städte (kleine Strafsachen). kas, jüngster Bruder Hannibals, 250–

589
Magyaren

203 v. Chr.; landete 205 v. Chr. zur Entlas­ er in 17 Feldzügen das islamisierte ↑ Indien


tung von Hannibal in Ligurien, wurde heimsuchte; an seinem Hof der Dichter
203 v. Chr. geschlagen und tödlich verwun- Firdusi und der Gelehrte al-Birum.
det. 2) M., Agrarschriftsteller, ↑ Karthago. Mähren (tschech. Morava), das Gebiet der
Magyaren, Begründer des ungar. Staates; March; Mitte 4. Jh. v. Chr. kelt. Siedlungs-
ugro-finnische Völkerschaft (ein Reiter- gebiet, dann von Germanenstämmen, um
volk, verschmolzen mit germ., turkotatar. Chr. Geburt von Quaden besetzt, seit dem
und slaw. Völkern) mit einer türk. Ober- 6. Jh. von Slawen in Besitz genommen,
schicht; aus ihren Wohnsitzen in der südl. rückte als Vasallenstaat des Karolinger-
Ukraine von den Petschenegen vertrieben, reiches zur führenden slaw. Macht auf; er-
zogen sie nach unglücklichen Kriegen ge- kämpfte sich unter den Herzögen Rastislaw
gen die Bulgaren um 805 von der unteren (846–896) und Swatopluk (Zwentibold,
Donau nach Pannonien, vernichteten das 869–894) fast völlige Unabhängigkeit von
↑ Mährische Reich; unternahmen Raub- den ostfränk. Königen, wurde von den by-
züge bis nach Konstantinopel und Frank- zant. Slawenaposteln Konstantin (Cyrill)
reich, wurden nach der Niederlage auf dem und Methodius christianisiert, doch für
Lechfeld (955) allmähl. sesshaft und zum die weström. Kirche zurückgewonnen; ge-
Christentum bekehrt (↑ Ungarn). riet mit dem östl. Teil unter die Herrschaft
Mahdi, der von den schiitischen Moham- der ↑ Magyaren, mit dem westl. Teil, dem
medanern erwartete Sendbote Allahs, der eigentlichen Mähren, zum Herzogtum
das Werk Mohammeds vollenden und Böhmen (1020 vereinigt); 1182 von Kaiser
Frieden und Gerechtigkeit auf ewig her- Friedrich I. zur Markgrafschaft bestimmt
stellen soll; um 1880 gab sich der Ägypter und als Reichslehen vergeben, doch 1197
Mohammed Achmed im ↑ Sudan für den wieder in Abhängigkeit von Böhmen, teilte
M. aus, sammelte als Haupt der arab. Skla- seitdem das Schicksal ↑ Böhmens, 1859
venhändler eine fanatisierte Gefolgschaft, nochmals reichsunmittelbares Kronland
machte sich zum Herrn von Kordofan, der Habsburger Monarchie, erhielt 1905
schlug ein ägypt. Heer und eroberte Khar- durch den vorbildlichen Mährischen Aus-
tum; erst nach seinem Tod (1885) warfen gleich weitgehende Autonomie; 1918 Teil
die Engländer unter Kitchener 1898/99 der Tschechoslowakei, seit 1993 seit 1993
den Mahdistenaufstand nieder und befrie- Teil der Tschechischen Republik.
deten den Sudan (↑ Islam). Mährische (oder Böhmische) Brüder
Mahmud II., Sultan der Osmanen (1808– („Unitas Etatrum“), aus der hussitischen
1839), geb. 1785, suchte sich als absolu- Bewegung hervorgegangene, 1457 gegrün-
ter Herrscher durchzusetzen und das türk. dete Sekte, als vermeintliche ↑ Taboriten
Reich nach europ. Vorbild zu reformieren; verfolgt, sagten sich von den gemäßigten
brach den Widerstand der ↑ Janitscharen ↑ Kalixtinern los, lebten in strenger Kirch-
und Statthalter, reorganisierte Heer (Be- enzucht, hielten sich an die Bergpredigt,
rufung preuß. Offiziere, darunter Moltke) verweigerten Eid und Kriegsdienst, wur-
und Verwaltung, konnte aber den Verfall den im Schmalkaldischen und vollends im
der osman. Macht nicht aufhalten (Verlust 30-jährigen Krieg aus Böhmen und Mäh-
Bessarabiens 1812, Griechenlands 1829, ren vertrieben oder in die katholische Kir-
Syriens 1833). che zurückgeführt; das Ideal ihrer Brüder-
Mahmud der Große (von Ghasni), Türke, gemeinde wurde im 18. Jh. von Graf ↑ Zin-
Begründer der Dynastie der Ghasnewi- zendorf wieder aufgegriffen.
den, 997–1030; beherrschte ein macht- Maidanek (Lublin-M.), nat.-soz. KZ;
volles Reich in W-Turkestan, von wo aus wurde im Okt. 1941 als Kriegsgefange-

590
Mainz

nenlager der Waffen-SS am südwestlichen Herrn von N- und Mittelitalien machte


Stadtrand von Lublin errichtet, war auf und den Bau des Domes, einer der präch-
Anordnung Heinrich Himmlers für 25 000 tigsten Kirchen der Welt, begann; von der
bis 50 000 Häftlinge bestimmt, bei denen Verwandtschaft mit den Visconti leiteten
es sich zumeist um jüdische Menschen han- die frz. Könige Erbansprüche ab; nach dem
delte; spätestens vom Okt. 1942 an wurde Aussterben der Visconti kam die Condot-
im Lager eine Vergasungsanlage in Betrieb tiere-Familie Sforza zur Macht (seit 1450),
genommen, nach gerichtlicher Feststellung damit wurde M. zum Schauplatz des euro-
wurden in M. etwa 200 000 Menschen (ab- päischen Machtkampfes Valois–Habsburg;
solute Mindestzahl) bis zum Herbst 1943 1500 Mailand von König Ludwig XII. von
vergast. Der M.-Prozess gegen führende Frankreich besetzt; 1535 und 1556 zu Spa-
Funktionäre des Vernichtungslagers war nien; 1714–1859 österreichisch.
das bisher längste Verfahren der dt. Justiz- Mailänder Toleranzedikt, zugunsten der
geschichte (1975–1981). Christen 313 von ↑ Konstantin d. Gr. erlas-
Maifeier, Weltfeiertag der Arbeiter, wird sen; in zwei Ausfertigungen für Bithymen
seit Beschluss des Pariser Kongresses der und Palästina überliefert; proklamierte
II. ↑ Internationale von 1889 als Demons- volle Religionsfreiheit im Röm. Reich (er-
tration der sozialist. Forderungen begangen hob das Christentum nicht zur Staatsreli-
(↑ Gewerkschaften). gion), also auch für die Heiden; bestimmte
Maigesetze, 1873 in Preußen erlassen, mit die Rückgabe des beschlagnahmten christl.
Bestimmungen über die Vorbildung und Eigentums, vor allem der Kirchengebäude,
Anstellung der röm.-kath. Geistlichen und ohne Entschädigung.
die kirchliche Disziplinargewalt (↑ Kultur- Maimonides, Moses, bedeutendster jüd.
kampf ). Gelehrter und Philosoph des MA, 1135–
Mailand, Hauptstadt der Lombardei; im 1204; aus angesehener Rabbinerfamilie in
4. Jh. v. Chr. von Kelten (Galliern) gegr. Cordoba, wanderte nach Nordafrika aus,
und 222 v. Chr. von den Römern (Gnaeus um dem Glaubenszwang zu entgehen,
Cornelius Scipio) erobert (Mediolanum). wurde Leibarzt des Sultans von Ägypten
293–404 n. Chr. eine der Residenzen der und Rabbiner von Kairo; begründete aus
Kaiser Westroms; das Erzbistum M. stand dem Talmud eine jüd. Philosophie, be-
(namentlich unter ↑ Ambrosius) an 2. Stelle schäftigte und bestimmte mit religions-
hinter Rom; 569–774 stand M. unter lan- philosoph. Werken („Führer der Unschlüs-
gobard., dann unter fränk. und seit Otto sigen“, „Wiederholung der Gesetze“) das
d. Gr. unter dt. Herrschaft, entwickelte jüd. Denken auf Jahrhunderte und be-
sich zur reichsten und mächtigsten Stadt einflusste mit seiner aristotel. Philosophie
der Lombardei und kämpfte als Haupt des auch die christl. Scholastik.
Lombard. Städte­bundes um Unabhängig- Mainz, 1) M., ehemals dt. Erzstift und
keit, vor allem gegen Friedrich I.; wurde Kurfürstentum, im MA Mittelpunkt der
1162 völlig zerstört, erholte sich aber und kath. Kirche in Deutschland; 745 Erzbis-
erlangte 1183 bei Anerkennung des Kaisers tum unter Bonifatius, dem Metropoliten
als oberstem Lehensherrn prakt. Unabhän- von Germanien, im 10. Jh. mit dem Amt
gigkeit; nach dem Machtkampf zw. den des dt. Erzkanzlers verbunden, im 11. Jh.
Geschlechtern der Visconti und della Torre Kurfürstentum, oft mit bedeutenden Kir-
erreichte M. den Höhepunkt seiner Macht chenfürsten (Hrabanus Maurus, Hatto I.,
unter Giangaleazzo (Johann Galeazzo) Vis- Willigis) besetzt, hatte bis zum 15. Jh. an
conti (1385–1402), der 1395 von Kaiser der Gestaltung der Reichspolitik bedeu-
Wenzel den Herzogstitel erkaufte, sich zum tenden Anteil (der Erzbischof von M. lei-

591
Majestätsbrief

tete die Verhandlungen des Reichstags Majordomus (maior domus), ↑ Haus-


und des ↑ Kurfürstenkollegiums); verlor meier.
um 1460 durch einen Krieg zw. den Gra- Majorianus, Julius Valerius, einer der letz-
fen von Isenburg und Nassau, die beide ten Kaiser des Weström. Reiches (457–
das Erzstift beanspruchten, an Macht und 461), kämpfte gegen die Vandalen ohne
Reichtum, wurde im 30-jährigen Krieg be- Erfolg und wurde von Ricimer, der ihn auf
sonders in Mitleidenschaft gezogen (von den Thron erhob, ermordet.
Schweden und Franzosen besetzt), be- Makarios III., eigtl. Michail Christodulos
hauptete an eigenem Gebiet bis 1803 u. a. Muskos, griech.-orthodoxer Theologe und
das Fürstentum Aschaffenburg und Erfurt zypr. Politiker, 1913–1977; seit 1950 Erz-
mit dem Eichsfeld; durch den ↑ Reichsde- bischof von Zypern, Führer der griech. Zy-
putationshauptschluss säkularisiert; letzter prioten, 1956–57 von der brit. Kolonial-
Erzbischof Kurfürst ↑ Dalberg. – 2) M., macht auf die Seychellen verbannt; wurde
Residenz der Erzbischöfe und Kurfürsten; 1960 Staatspräsident, musste im Juli 1974
ehemalige Stadt der Kelten, das Mogontia­ nach einem Putsch der zypr. Nationalgarde
cum der Römer, 19 v. Chr., durch Drusus ins Ausland fliehen, kehrte im Dez. 1974
zum Kastell ausgebaut; Hauptort Ober- in sein Amt zurück.
Germaniens, im MA eine der bedeu- Makedonien, im Altertum Ausgangs- und
tendsten Städte Deutschlands, Schauplatz Kernland eines Weltreiches; urspr. vom
vieler Reichstage und Kirchenversamm- Meer abgeschlossenes Gebirgsland zw.
lungen, empörte sich wiederholt gegen die Thessalien, Thrakien, Epirus und Illyrien,
Herrschaft des Erzbischofs; 1254–1462 am Rand der Mittelmeerkulturen; bewohnt
Freie Reichsstadt, 1254 Gründungsort und von thrakisch-illyrischen Stämmen mit ei-
Mitglied des Rhein. Städtebundes; 1477– ner dünnen griech. Oberschicht (Adel), die
1803 (seit 1946 erneut) Universitätsstadt, etwa seit dem 6. Jh. unter der Dynastie der
in der Mitte des 15. Jh. Wirkungsstätte Argeaden zum makedon. Staatsvolk zu-
↑ Gutenbergs; wiederholt von Frankreich sammenwuchsen, von den Griechen aber
besetzt und 1801 abgetreten, 1816 zu Hes- trotz der sprachlichen Verwandtschaft als
sen-Darmstadt, bis 1866 Festung des Dt. Barbaren angesehen wurden; das Heer-
Bundes, 1871 Reichsfestung; Altstadt im königtum des militär. tüchtigen Hirten-
2. Weltkrieg durch Luftangriffe zerstört; und Bauernvolkes setzte sich in schweren
Dom aus dem 11.–13. Jh. eines der be- Kämpfen gegen die Stammesfürsten durch,
deutendsten roman. Baudenkmäler; 1950 geriet von der pers. Oberhoheit unter
Hauptstadt des Landes Rheinland-Pfalz. griech. und vollzog unter Archelaos (413–
Majestätsbrief, Urkunde, in der die dt. 399) den kulturellen Anschluss an Grie-
Kaiser die von ihnen erteilten Privilegien chenland und erreichte den Zugang zum
verbrieften; von besonderer Bedeutung Meer; nach gefährlichen inneren Wirren
der M. Rudolfs II. von 1609, in dem den erhob Philipp II., eine der größten Herr-
protestant. Ständen Böhmens die gleichen schergestalten der Antike, unter geschickter
Rechte zugesichert wurden wie den Katho- Ausnutzung der pers.-griech. Auseinander-
liken; seine Nichteinhaltung durch Kaiser setzung M. zur Großmacht, zur Vormacht
Matthias führte zum Ausbruch des 30-jäh- auf dem Balkan und zur stärksten Militär-
rigen Krieges. macht des Altertums vor Rom (unwider-
Majorat, mittelalterl. Erbfolgeordnung, stehliche makedon. Phalanx aus den „Ge-
die dem Ältesten der Nachkommen das fährten zu Fuß“, in enger takt. Zusam-
Vorrecht gab (Gegensatz Minorat, bei dem menarbeit mit den Reitergeschwadern des
das Erbe dem Jüngsten zufiel). Adels, den „Gefährten des Königs“); nach

592
Malaysia

der Aufnahme in die delphische ↑ Amphi- entsprachen sich in ihrer inneren Gesetz-
ktyonie übernahm M. die Führung des po- mäßigkeit.
lit. zerrissenen Griechentums (338 v. Chr. Malatesta, Adelsgeschlecht in der Roma-
Schlacht von Chaironea) und schloss es gna, im 13.–15. Jh. Herren von Rimini;
(mit Ausnahme Spartas) zum Korinth. am berühmtesten darunter ­Sigismondo M.,
Bund zus. (M. selbst Schutzmacht außer- 1417–1468; Condottiere und Humanist,
halb des Bundes, doch Philipp Hegemon, Renaissancefürst ähnlich Cesare Borgia;
Bundesfeldherr); den von der Bundesver- Pandolfo M. veräußerte 1503 Rimini an
sammlung beschlossenen „Hl. Krieg“ ge- Venedig.
gen Persien erweiterte Philipps Sohn ↑ Ale- Malaysia, monarchistischer Staatenbund
xander d. Gr. zum Eroberungskrieg bis zum in SO-Asien, umfasst den Südteil der
Indus; von weltgeschichtlicher Bedeutung; Halbinsel Malakka sowie den Nordteil der
ohne Makedonien, ohne Philipp, ohne Insel Borneo; Entwicklung während des
Alexander keine Weltkultur des ↑ Hel- 7.–14. Jh. im Rahmen der Geschichte der
lenismus; aus den ↑ Diadochenkämpfen indones. Großreiche Sriwijaja und Maja-
ging M. als eines der hellenist. Teilreiche pahit, die Stadt Malakka (heute Melaka)
hervor, das unter den Antigoniden bes. ge- bedeutender Umschlagplatz des West-
gen den Achäischen und Ätolischen Bund Ost-Handels, Ausbreitung des Islam über
nochmals um die Vorherrschaft in Grie- die gesamte Halbinsel Malakka. Die Stadt
chenland kämpfte, doch 168 v. Chr. nach Malakka wurde 1511 von den Portugiesen
der Niederlage bei Pydna von den Römern erobert und fiel 1641 nach langen wech-
zerschlagen und 148 v. Chr. zur röm. Pro- selvollen Kämpfen in niederländ. Hand;
vinz gemacht wurde. – Seit 395 n. Chr. Teil ständige krieger. Auseinandersetzungen zw.
des Oström. Reiches, im MA von Bulgaren den Herrschern des Malakkareiches (Resi-
und Serben, seit dem 14. Jh. von den Tür- denz zuletzt Johore) und den Fürsten der
ken beherrscht: ↑ Mazedonien. angrenzenden Staaten, 1786 pachtete die
Makedonische Kaiser, Dynastie Ostroms, brit. Ostind. Kompanie die dem Festland
von Basilius bis Theodora (867–1056); die vorgelagerte Insel Penang, 1795 besetzte
bedeutendsten ↑ Basilios I., Leo VI., Kon- Großbritannien die Halbinsel Malakka;
stantin VII., Nikephoros II., Basilios II. in der folgenden Zeit Aufbau eines brit.
Makkabäer (auch Hasmonäer genannt), Herrschafts- bzw. Einflussgebiets, beste-
heldenhaftes jüd. Priestergeschlecht, seit hend aus 1) den Straits Settlements auf den
167 v. Chr. an der Spitze des jüd. Freiheits- beiden Seiten der Straße von Malakka (seit
kampfes gegen die Syrer, benannt nach 1867 brit. Kronkolonie) einschließlich
Judas M. (hebr. Makkab, der Hammer), der Kronkolonie Singapur (1819 von der
behauptete sich als herrschende Dynastie Ostind. Kompanie erworben); 2) den vier
bis um 40 v. Chr.; die Geschichte der M. Föderierten Malayenstaaten (Perak, Pen-
(176–104) in den „Büchern der M.“ über- ang, Negri Sembilan, Selangor) unter ein-
liefert; ↑ Juden. heimischen Sultanen, 1874–1895 durch
Makrokosmos und Mikrokosmos „Schutzverträge“ unter brit. Herrschaft,
(griech.), die große (Universum) und die 1895 zum Malaiischen Staatenbund un-
kleine Welt (Mensch, Individuum) in der ter britischer Oberherrschaft zusammen-
von der griech. Philosophie überkom- geschlossen; 3) den fünf nichtföderierten
menen Vorstellungsweise des ausgehenden nördl. Malayenstaaten (Johore, Kedah,
MA, bes. bei ↑ Paracelsus; das Weltall als Kelantan, Perlis, Trenganu). Bis 1909 un-
lebender Organismus im Großen und der ter der Oberhoheit Siams, das seine Rechte
Mensch als All im Kleinen; beide Welten an England abtrat; 1942–1945 von den Ja-

593
Malenkow

panern besetzt, kräftiger Auftrieb der Na- Malesherbes, Chrétien de, frz. Staats-
tionalbewegung; 1946 Zusammenschluss mann, 1721–1794; scheiterte 1774–76 als
aller Teilgebiete zur Malaiischen Union Minister des Innern bei dem Versuch, zu-
unter brit. Generalgouverneur, mit ma- sammen mit Turgot die Monarchie durch
laiischem Legislativ- und Exekutivrat und Reformen zu retten, verteidigte 1792/93
dem Rat der Sultane; Protest der Sultane Ludwig XVI. vor dem Konvent; guilloti-
und der Nationalbewegung, darauf 1949 niert.
Umwandlung der Union in die Malaiische Mali, unabhängige Republik (seit 1960) in
Föderation (ohne Straits Settlements) unter Westafrika, am S-Rand der Sahara, Haupt-
einem brit. „Hochkommissar“; doch schon stadt Bamako; Anschluss an die 1958 von
seit 1948 kommunist.-nationalist. Bürger- Ghana und Guinea gegr. Union Afrikan.
krieg (unter maßgeblicher Beteiligung der Republiken mit geplanter koordinierter
Volksrepublik China) gegen die Briten; Außen-, Finanz- und Wirtschaftspolitik.
1957 Souveränitätserklärung als Malai- 1968 Putsch der Armee, Verfassung wurde
ischer Bund (konstitutionelle Monarchie), außer Kraft gesetzt, Offiziersjunta unter
erster Premierminister Tunku ↑ Abdul Oberst Moussa Traoré regierte durch De-
Rahman; Hauptstadt Kuala Lumpur; 1963 krete; 1974 neue Verfassung mit Einpar-
Proklamation der Federation of M. unter teienregime. Anhaltend schlechte wirtsch.
Eingliederung eines Teiles des ehemaligen Lage führte immer wieder zu Protesten
Brit.-Nordborneo und Singapurs. 1965 und Unruhen, 1991 Sturz Traorés durch
trat Singapur aus und gehört seitdem als „Rat der Nationalen Versöhnung“, Über-
souveräner Staat dem Commonwealth an. gangspräs. Oberstleutnant Amadou Touré,
1970 nach blutigen Rassenunruhen Rück- 1992 neue Verfassung (Präsidialrepublik,
tritt Abdul Rahmans; neue Regierung (Par- Staatspräsident seit Mai 2002 A. Touré).
teienbündnis „Nationale Front“) beschloss Mali-Reich, im W-Sudan am oberen Niger,
Bevorzugung des malaiischen Bevölke- südwestl. Timbuktu, Königreich der Man-
rungsanteils. „New Economic Policy“ legte dingo; seit dem 11. Jh. n. Chr. machtvoller
Grundstein für den rasanten Wirtschafts- Staat, im 14. Jh. von dem Araber Ibn Bat-
aufschwung Malaysias in den nächsten tuta bereist und von ihm als friedliches,
Jahrzehnten; weiterhin Spannungen zw. rechtssicheres, wohlgeordnetes Land be-
Malaien und Chinesen sowie zunehmende schrieben; bedeutender Herrscher Mansa
Ausbreitung des islam. Fundamentalismus. Musa, der glanzvolle Pilgerfahrt nach
1998 aufgrund der Asienkrise Einführung Mekka unternahm und wegen seiner Gold-
von radikalen Sparmaßnahmen. Das regie- geschenke auch in Europa bekannt wurde;
rende Parteienbündnis „Nationale Front“ Ausdehnung des Reiches bis in die libysche
(inges. 14 Parteien), errang bei den Parla- Oasenstadt Agades (Transsaharahandel);
mentswahlen im März 2004 erneut die ab- um 1500 Aufgehen im Songhai-Reich; seit
solute Mehrheit. 1893 frz. besetzt.
Malenkow, Georgi Maximilianowitsch, Malinowski, Rodion Jakowlewitsch, sow-
sowjet. Politiker, 1902–1988; seit 1920 jet. Marschall, 1898–1967; war im Winter
Mitglied der KPdSU, seit 1938 persön- 1942/43 Befehlshaber an der Donfront,
licher Sekretär von Stalin, 1953–55 Minis- 1945 in Fernost; seit 1956 Mitgl. des ZK
terpräsident; musste aufgrund von wirtsch. der KPdSU, seit 1957 Verteidigungsmini-
Missständen 1955 von seinem Amt zu- ster.
rücktreten; 1957 von allen übrigen Äm- Mallinckrodt, Hermann von, kath.-kon-
tern enthoben, 1961 aus der KPdSU aus- servativer Politiker aus Westfalen, 1821–
geschlossen. 1874; machte sich im preuß. Abgeordne-

594
Mamelucken

tenhaus und im Reichstag zum Sprecher autonomer Verfassung; Ansiedlung neuer


der „Ultramontanen“, an der Gründung Industrien und Ausbau des Handelshafens
der ↑ Zentrumspartei maßgeblich betei- als Ersatz für den Verlust der Marinewerk-
ligt; im Kulturkampf erbitterter Gegner stätten. 1964 wurde M. unabhängiges Mit-
Bismarcks. glied des brit. Commonwealth und 1974
Malplaquet, östl. von Valenciennes, hier eine unabhängige parlamentar. Republik.
schlugen 1709 in der wichtigsten Schlacht 2004 Beitritt zur EU.
des ↑ Span. Erbfolgekrieges die verbünde- Malteser, ↑ Johanniter, Malta.
ten Kaiserlichen unter Prinz Eugen und die Malthus, Thomas Robert, einer der bedeu-
Engländer unter dem Herzog von Marlbo- tendsten Vertreter der von Adam ↑ Smith
rough die Franzosen unter Villars. ausgehenden sog. klassischen Nationalöko-
Malta, Mittelmeerinsel südlich von Sizi- nomie, 1766–1834; lehrte am Kollegium
lien; bedeutende jungsteinzeitliche Kultur der Ostind. Kompanie zu Haileybury, ent-
seit dem 4. Jt. v. Chr. mit großartig geglie- wickelte sich unter dem Eindruck der Zu-
derten, z. T. unterird. Tempeln, gemalten nahme des Proletariats und der steigenden
Wand- und Deckenornamenten, Orakel- Armeelasten zum Spezialisten der Bevöl-
räumen, Gebeinkammern, Steinstatuet- kerungslehre, beeinflusste mit seinen Auf-
ten; verzweigte, in den Fels gemeißelte sehen erregenden und heftig umstrittenen
Wagenfahrrinnen für den Wassertransport Theorien (↑ Malthusianismus) die Ausei-
zu hochgelegenen Äckern; eigenständige, nandersetzungen um die Lösung der sozi-
noch nicht aufgehellte Kultur, doch Bezie- alen Frageim 19. Jh.
hungen zu Kreta und Ägypten; kurze Zeit Malthusianismus, die von ↑ Malthus ver-
bronzezeitliche Kunst; um 400 v. Chr. kar- fochtene Lehre, wonach die Bevölkerung
thag.-phönik. Stützpunkt (Sperre im Mit- sich in geometr. Reihe (Vervielfachung
telmeer und Sprungbrett nach ↑ Großgrie- durch Multiplikation) vermehren würde,
chenland); 218 römisch; durch den Apos- die Unterhaltsmittel (Nahrung) aber nur
tel ↑ Paulus erste Christengemeinde; in in arithmet. Reihe (Steigerung durch Addi-
der Völkerwanderungszeit vandalisch, ost- tion) zunähmen; der notwendige Ausgleich
gotisch, byzantinisch; 870 arabisch, 1090 vollzöge sich naturgesetzlich (Massensterb-
normannisch und bis 1530 mit Sizilien ver- lichkeit durch Not und Mangel) und wäre
bunden; 1530 Sitz des von Rhodos vertrie- nicht Aufgabe des Staates; die Rettung läge
benen ↑ Johanniter(Rhodiser-)Ordens, der in der Verantwortlichkeit des Einzelnen:
sich jetzt Malteserritterorden nannte und Beschränkung der Kinderzahl durch mo-
den Schutz des Mittelmeers gegen Türken ral. Enthaltsamkeit, erhöhtes ­ Heiratsalter,
und nordafrikan. Piraten übernahm; 1566 sofern der Nachkommenschaft keine genü-
Gründung der Festungshauptstadt La Va- genden Lebensgrundlagen gesichert wer-
letta; Besitztümer in ganz Europa; 1798 den könnten.
Überrumpelung durch Napoleon (auf sei- Mamelucken (arab., gekaufte Sklaven),
nem Kriegszug nach Ägypten), 1800 von urspr. die aus gekauften Kriegsgefangenen
Großbritannien besetzt und seit 1814 brit. formierte Leibwache oriental. Herrscher,
Kronkolonie unter Gouverneuren; Flot- bildeten dank militär. Tüchtigkeit einen
tenbasis auf dem Weg nach Indien; im Staat im Staate, rissen in Ägypten 1254 die
2. Weltkrieg schwer umkämpft. 1947 Bil- Macht an sich, stellten in dem Mongolen-
dung einer gesetzgebenden Versammlung besieger Baibars einen der bedeutendsten
und halbautonome Verfassung; Anschluss Herrscher des ↑ Islam; blieben auch nach
an Großbritannien scheiterte, Verfassung der Unterwerfung durch die Türken 1517
außer Kraft gesetzt (1958); Zusicherung die eigentlichen Herrscher des Landes,

595
Mamertiner

wurden erst von Napoleon I. (Pyramiden- Befristung („B-Mandate“) oder zur Mit-
schlacht 1798) geschlagen und von ↑ Me- verwaltung („C-Mandate“).
hemed Ali endgültig entmachtet. Mandela, Nelson, südafrikan. Politiker,
Mamertiner („Söhne des Mars“), ital. geb. 1918; aus Häuptlingsfamilie, promi-
Söldner des Agathokles von Syrakus, be- nentester Führer der südafrikanischen Be-
mächtigten sich nach ihrer Entlassung um freiungsbewegung „African National Con-
290 v. Chr. der Stadt Messana (Messina), gress“ (ANC). M. organisierte u. a. die
wurden von Hieron II. angegriffen und ga- „Kampagne zur Nichtbeachtung der Apart-
ben durch ihre Hilferufe an Karthago wie heidgesetze“. 1958 Heirat mit Winnie
an die Römer den Anstoß zum Ausbruch N. Madikizela (bis 1996). Im Dez. 1961
des 1. ↑ Punischen Krieges. wurde unter entscheidender Beteiligung
Mamertinischer Kerker, Carcer Mamer- M.s Umkhonto We Sizwe („Speer der Na-
tinus. tion“) gegründet, der bewaffnete Flügel des
Mammäa, röm. Kaiserin, Gemahlin des ANC. M. wurde im Aug. 1962 mit sieben
Gessius Marcianus, Mutter des ↑ Alexan- weiteren führenden ANC-Mitgliedern ver-
der Severus, regierte nach dem Tod ihres haftet, der Aufwiegelung afrikan. Arbeiter
Neffen Elagabal 222–235 n. Chr. neben ih- gegen die republikan. Verfassung und des
rem Sohn. Verlassens Südafrikas ohne gültigen Reise-
Manchestertum (-schule oder -doktrin), pass angeklagt, mit den anderen 1964 für
die entschiedenste Ausprägung des Wirt- schuldig befunden und zu lebenslangem
schaftsliberalismus (↑ Laissez faire); for- Zuchthaus verurteilt. Seit Aug. 1962 unun-
derte Freihandel und freien Wettbewerb terbrochen in Haft (20 Jahre auf der Sträf-
ohne jede Einschränkung durch den Staat; lingsinsel Robben Island vor Kapstadt, ab
ihren Namen hatte sie von der britischen 1982 in Pollsmore bei Kapstadt), wurde M.
Industriestadt M., deren Textilfabrikanten im Febr. 1990 nach dem Ende der ↑ Apart-
die Hauptinteressenten an der Aufhebung heid entlassen. 1993 Friedensnobelpreis
der britischen Kornzölle waren und 1839 (gemeinsam mit F. W. de Klerk); 1994 zum
in der vordersten Reihe der ↑ Anti-Corn- ersten schwarzen Staatsoberhaupt und Re-
Law-League standen, weil billiges Getreide gierungschef Südafrikas gewählt (bis 1999,
niedrige Löhne bedeutete; ihr Hauptwort- Nachfolger T. M. Mbeki).
führer war ↑ Cobden. Mandschurei, nördl. Teil Chinas, Land
Manching, bei Ingolstadt (Bayern), Haupt- der Mandschus, eines um 1600 aus dem
stadt und Fürstensitz eines Stammes der Zusammenschluss tungus. Stämme ent-
↑ Kelten (Vindeliker?), mit großem, 8 km standenen krieger. Volkes, das auch chin.
langem Ringwall und Holzbauten im In- und mongol. Elemente aufweist; die Man-
nern; nachgewiesen Werkstätten keltischer dschus eroberten Korea und ↑ China, er-
Kunsthandwerker (Armringe, Glasperlen- hoben 1644 ihren Fürsten auf den chin.
schmuck, Bronzegeräte, Münzprägung); Thron (Mandschu- oder Tsing-Dynastie)
die Keltenstadt 15 v. Chr. von den Römern und erhielten sich bei zahlenmäßiger Un-
unterworfen und zerstört. terlegenheit die Herrschaft über das Rie-
Mandat, eine im Geist des Völkerbundes senreich durch eine ausgeklügelte, starre
geschaffene Art Kolonialverwaltung; erst- Beamtenhierarchie; ihre Heimat, die M.,
mals angewandt nach dem 1. Weltkrieg auf sank indes zur chin. Provinz herab (wie
die früheren dt. Kolonien; der Völkerbund schon z. Z. des Mongolenherrschers Kublai
übertrug die Verwaltung der Mandatsge- Khan im 13. Jh.) und wurde zum Haupt-
biete der Mandatsmacht entweder für be- schauplatz der Auseinandersetzung des
schränkte Zeit („A-Mandate) oder ohne russ. mit dem jap. Imperialismus: 1859

596
Manilius Capitolinus

Amurgebiet, 1860 östl. Küstenprovinz rus- Mani, Stifter des ↑ Manichäismus, um


sisch, 1896–1903 Bau der Ostchinesischen 215–273 n. Chr.; wirkte im Sassaniden-
Bahn als Verlängerungsweg der ­Transsibir. reich, wurde von den Magiern als Vertre-
Bahn, 1900 russ. Besetzung anlässlich des tern der Staatsreligion verfolgt, genoss eine
Boxeraufstandes, 1904 japanischer Angriff, Zeitlang königliche Gunst, fiel in Ungnade
im Frieden von Portsmouth 1905 Teilung und wurde (der unsicheren, widerspruchs-
in russ. und jap. Interessensphäre; nach dem vollen Überlieferung nach) in Babylon ge-
1. Weltkrieg wurde die M. Haupt­objekt der kreuzigt (neuerdings wird er statt als „Pro-
jap. Wirtschaftsexpansion, 1931/32 mili- phet“ als „Theosoph“ bezeichnet).
tär. besetzt und 1934 als „unabhängiges“ Manichäismus, die von ↑ Mani ­ gestiftete
Kaiserreich Mandschukuo jap. Protekto- Religion, Verschmelzung der christlichen
rat; auf der Konferenz von ↑ Jalta wurde Lehre mit der des Zarathustra (Parsismus
die M. praktisch der UdSSR ausgeliefert, oder Lichtreligion); der M. übernahm von
staatsrechtlich jedoch wieder Bestandteil Mani ausgewählte und gedeutete Teile des
Chinas; nach der Vertreibung der Truppen N. T., lehrte Selbsterlösung, die Befreiung
der chin. Nationalregierung selbständiger der Lichtseelen von der Materie als dem
Staat des „Nordöstl. Volksrats“; 1952 nach Prinzip des Bösen durch Erkenntnis (Gno-
Verzicht der UdSSR auf ihre Sonderrechte sis) und strenge Askese (für die „Vollkom-
volle Angliederung an China. menen“; Einhaltung der Zehn Gebote für
Manegold von Lautenbach, Propst des die „Hörer“); der M. entfaltete eine rege
Augustinerstifts Marbach, um 1030–1103; Missionstätigkeit und verbreitete sich von
Theoretiker des Investiturstreites, einer der Persien aus bis nach Indien und Spanien;
ersten Vertreter der Lehre von der Volks- wurde seit dem 4. Jh. im christlichen Wes-
souveränität. ten als Ketzerei und in Persien von Staats
Manetho, Priester und Tempelschreiber zu wegen unterdrückt.
Theben in Ägypten, schrieb um 280 v. Chr. Manin, Daniele, ital. Patriot und Freiheits-
in griech. Sprache die Geschichte Ägyptens kämpfer, 1804–1857; jüd. Advokat in Ve-
von den ältesten (mythischen) Zeiten bis nedig, gründete die „Società Italiana“ zur
zur makedon. Eroberung (Einteilung der wirtsch. Verschmelzung Lombardo-Vene-
geschichtlichen Zeit in 30 Königsdynas­ tiens, stellte sich 1848 an die Spitze des
tien); von seinem Werk sind nur Bruch- Aufstands in Venedig, ließ sich zum Dik-
stücke erhalten. tator ausrufen, organisierte den Wider-
Manfred, König von Sizilien (1258–1266); stand gegen die Österreicher und ging bei
geb. 1232, natürlicher Sohn Kaiser Fried- der Übergabe der Stadt 1849 nach Paris ins
richs II., 1254 Regent für Konradin, 1258 Exil, von wo aus er seine Landsleute zum
zum König ausgerufen, doch vom Papst, Anschluss an Sardinien aufrief.
den er nicht als Lehensherrn anerkannte, Manlius Capitolinus, Marcus, Konsul
mit dem Bann belegt, fiel bei Benevent ge- 392 v. Chr., angeblich Retter des Kapitols
gen den vom Papst gerufenen ↑ Karl von vor den ↑ Galliern (Kelten) unter ↑ Bren-
Anjou. nus 387 v. Chr.; der nächtliche Überra-
Manhattan, Strominsel zw. Hudson und schungsangriff der Gallier, die das Kapitol
East River, auf der 1613/14 ein holländ. erkletterten, misslang, da Manlius durch
Handelsplatz angelegt und die im Ganzen das Schnattern der Gänse alarmiert wurde;
von Peter Minuit 1626 für 24 Dollar den wegen seines Eintretens für die Plebejer
M.-Indianern abgekauft wurde; auf ihr (zinsfreie Geldvorschüsse) des Hochverrats
entstand ↑ Neu-Amsterdam, das spätere angeklagt und vom Tarpeischen Felsen hi-
New York. nabgestürzt (384).

597
Mannerheim

Mannerheim, Carl Gustav Freiherr von, seit 1328 unter der Herrschaft der Gon-
finn. Marschall und Nationalheld, 1867– zaga, 1433 zur Markgrafschaft und 1530
1951; im 1. Weltkrieg russ. General, 1918 von Karl V. zum Herzogtum erhoben; fiel
Führer der Weißen Garde und mit dt. Hilfe nach dem Erlöschen der ital. Hauptlinie
Befreier Finnlands von den Bolschewisten, und dem Mantuanischen Erbfolgekrieg
1919 Reichsverweser, 1939/40 und 1941– 1628–1631 an die von Richelieu unter-
44 Oberbefehlshaber im Kampf gegen die stützte frz. Nebenlinie Gonzaga-Nevers;
Sowjetunion („M.-Linie“ auf der Karel. 1708 von Kaiser Joseph I. eingezogen und
Landenge); 1944/45 Staatspräsident. 1785 mit Mailand zur österr. Lombardei
Manteuffel, weitverzweigtes pommersches vereinigt; 1797 von den Franzosen erobert,
Adelsgeschlecht, das insbesondere in Preu- 1814 zurück an Österreich; sicherte als
ßen und Sachsen zu politischem Einfluss eine der stärksten Festungen Europas, ge-
gelangte. 1) M., Otto Theodor Freiherr schützt durch die Stromarme und Sümpfe
von, preußischer Staatsmann, 1805–1882; des Mincio, die österr. Herrschaft in Ober-
hatte 1848 als Innenminister an der Ver- italien bis 1866. – 1810 wurde in Mantua
tagung der Preußischen Nationalversamm­ Andreas Hofer erschossen.
lung und an der oktroyierten Verfassung Manuel, Name von Herrschern. – Kaiser
wesentlichen Anteil, schloss als Minister- von Byzanz: 1) M. I. Kominenos (1143–
präsident und Außenminister 1850 den 1180), geb. 1122; abendländ. eingestellt
Vertrag von Olmütz ab, regierte bis 1858 mit ritterlich-romant. Zügen, wehrte die
mithilfe und zugunsten reaktionärer Kräfte. Normannen ab, wurde der Serben, Ungarn
2) M., Edwin Freiherr von, preuß. Gene­ und der latein. Kreuzfahrerstaaten Herr,
ralfeldmarschall, 1809–1885; als Chef des mit wechselnden Erfolgen auch der vor-
Militärkabinetts seit 1857 reaktionärer dringenden Türken; doch scheiterte sein
Umtriebe verdächtigt, 1865 Gouverneur Versuch, in Italien Fuß zu fassen und mit-
von Schleswig, 1866 Oberbefehlshaber hilfe des Papsttums die Kaiserkrone zu er-
der Mainarmee, 1870 der Nordarmee in ringen, am Widerstand Kaiser Friedrichs I.
Frankreich, 1871 der Südarmee; bis 1873 und Venedigs; seit 1180 Niedergang des
der Okkupationsarmee; 1879 Statthalter ↑ Byzantin. Reiches. 2) M. II. Palaiologos
in Elsass-L., erfolglos im Bemühen, die Be- (1391–1425); von den Türken schwer be-
völkerung für Deutschland zu gewinnen. drängt, unternahm nach der Niederlage
Mantinea, eine der bedeutendsten Städte des Kreuzheeres bei Nikopolis 1396 eine
des alten Arkadien; 385 v. Chr. von den vierjährige Reise nach Westeuropa, ohne
Spartanern zerstört, 223 v. Chr. von den nachhaltige Hilfe zu erlangen, verteidigte
Makedoniern erobert, ihre Bewohner in das von Murad II. 1422 erstmals belagerte
die Sklaverei abgeführt; bei M. siegte Epa- ↑ Konstantinopel nur dank innertürk.
minondas 362 v. Chr. zum zweiten Mal Schwäche mit Erfolg. – Könige von Por-
entscheidend über die Spartaner, doch be- tugal: 3) M. I., der Große (1495–1521);
deutete sein Schlachtentod das Ende der geb. 1469, erhob dank der Entdeckungen
kurzen Hegemonie ↑ Thebens. und Eroberungen (Brasilien, Ostindien)
Mantua, im Osten der Lombardei, teilte ↑ Portugal zur führenden Kolonial- und
bis zur Einverleibung in das geeinigte Ita- Seemacht und neben Spanien zum wich-
lien (1866) im Wesentlichen deren Schick- tigsten Handelsland Europas (Hafen Lis-
sal, doch als selbständiges Staatswesen; 951 sabon). 4) M. II. (1908–1910); aus dem
dt. Königslehen, 1115 nach dem Tod der Haus Braganza-Koburg, letzter König vor
Markgräfin Mathilde Freie Reichsstadt, Ausrufung der Republik; zur Abdankung
schloss sich dem Lombard. Städtebund an, gezwungen.

598
Marathen

Manufaktur (lat. manufactum, mit der „Eintritt in das Zeitalter des Kommunis-
Hand gemacht), eine in der Antike und mus“, Abschaffung des Privateigentums,
im Spät-MA entwickelte Form des gewerb­ reglementierte Volkskommunen, gelenkte
lichen Großbetriebs mit arbeitsteiliger Massenversorgung der Bevölkerung („Je-
Massenfertigung, doch überwiegend ohne der nach seinen Bedürfnissen“); Militari-
Maschinen; Vorstufe zur modernen ↑ Fa- sierung des gesamten Volkes; 1959 Rück-
brik, erlangte größere Bedeutung erst z. Z. tritt vom Amt des Staatspräsidenten; seit-
des ↑ Merkantilismus durch ­staatliche För- dem Parteiführer. 1965/66 leitete M. die
derung und Reglementierung (Lieferung „Große Proletarische Kulturrevolution“
von Arbeitskräften aus den Zucht- und ein, 1969 wurde er in der Parteiführung be-
Arbeitshäusern, Aufträge für Hof und Ar- stätigt. Fraktionskämpfe führten 1971 zum
mee); in den beiden wichtigsten ­ Zweigen Tod ↑ Lin Piaos. Die von M. entwickelte
erhalten in den Staatlichen Porzellan-M.en Interpretation des Marxismus-Leninismus,
und im Begriff der M.-Ware (d. h. Tex- der Maoismus, beeinflusste vor allem die
tilien); große M.en beschäftigten in der Staaten der Dritten Welt. Nach seinem
Antike mehrere hundert Arbeiter (griech. Tod Unruhen und Machtkämpfe um die
Vasenproduktion im 5./6. Jh. v. Chr.); im Nachfolge, erst Ausschaltung engster Mit-
18. Jh. mehrere tausend. arbeiter, später wurden Maos Parteifreunde
Manutius, Aldus, der Ältere, ital. Humanist rehabilitiert; mittlerweile grundsätzliche
und Buchdrucker, 1449–1515; besorg­te in Revision maoistischer Politik.
seiner Werkstatt zu Venedig wiss. redigierte Maquis, nach 1940 in Frankreich Bez. für
Ausgaben ant. Autoren, die ersten Drucke Partisanengruppen, die in unzugänglichen
in griech. Lettern sowie in Antiqua- und Gebieten Zuflucht suchten und später in
der von ihm entwickelten Kursivschrift (an­ der allg. frz. Widerstandsbewegung auf-
stelle der got.); seine Drucke wurden als gingen.
„Aldinen“ hoch geschätzt. Maranen (span. marannos), die getauften
Mao Tse-tung (Mao Zedong), Führer des Juden und Mauren der iber. Halbinsel im
kommunist. ↑ China, 1893–1976; nach 15. Jh.; hingen innerlich meist ihrem alten
dem Ausschluss der Kommunisten aus der Glauben an; in großer Zahl Opfer der In-
Kuomintang (Nationalen Volkspartei) 1927 quisition und der Zwangsausweisung.
Führer der kommunist. Opposition gegen Marat, Jean Paul, eines der radikalsten
die Nationalregierung Tschiang-Kaischeks Häupter der ↑ Frz. Revolution, 1743–
und Machthaber in zwei südchineschen 1793; gebürtiger Schweizer, Arzt, hasste
Provinzen; verlegte 1934 durch den „Lan- die Gesellschaft und hetzte den Pöbel von
gen Marsch“ quer durch China sein Re- Paris in seinem Blatt „Ami du peuple“
gime in die Provinz Yünan, organisierte die (Volksfreund) zu Gewalttaten auf; Haupt-
Volksarmee, kämpfte gegen die Japaner, verantwortlicher für die Septembermorde,
setzte 1948 den Bürgerkrieg mit der Erobe- gehörte zum Klub der Cordeliers und im
rung Nordchinas fort, stellte Anfang 1949 Konvent zur Bergpartei, setzte die Vernich-
Tschiang-Kaischek ein Ultimatum und tung der Girondisten durch; von Charlotte
vertrieb bis Ende 1949 dessen Truppen Corday im Bad erdolcht und daher (zu-
vom Festland; 1950 in Moskau Abschluss nächst) als Märtyrer der Revolution ver-
des „Freundschaftsvertrags“ zw. der neuen herrlicht.
Chin. Volksrepublik und der UdSSR; 1954 Marathen, Mahratten, Bevölkerungsgrup­pe
Staatspräsident; 1958 Versuch der Umwäl- im westl. Dekhan in Vorderindien, vermut-
zung der überlieferten Sozialordnung Chi- lich aus der dravidischen Vorbevölkerung
nas unter Ausschaltung aller Traditionen: hervorgegangenes Hinduvolk, im letzten

599
Marathon

Drittel des 17. Jh. emporgestiegen; zeich- der Finanzen durch die Stände; M. selbst,
nete sich durch Unabhängigkeitssinn und der die Jacques (↑ Jacquerie) unterstützte
Eroberungslust aus; von den Briten in zwei und engl. Truppen in die Hauptstadt ein-
Kriegen (1775–1782; 1802–1805) unter- ließ, wurde 1368 nach einem erfolgreichen
worfen (↑ Indien). Volksaufstand gegen die Engländer von
Marathon, Dorf an der Ostküste von At- einem Genossen erschlagen.
tika, berühmt durch den Sieg der Athener Marcellus, Marcus Claudius, röm. Feld-
unter Miltiades über das zehnfach über- herr im 2. ↑ Pun. Krieg, wegen seiner Er-
legene Perserheer (unter Datis und Arta- folge gegen Hannibal „Schwert Roms“
phernes) 490 v. Chr.; nach der Überliefe- genannt; eroberte 212 v. Chr. Syrakus, fiel
rung brachte der Krieger Diomedon die 208 bei Venusia in einem von Hannibal
Siegesnachricht vom Schlachtfeld nach angelegten Hinterhalt.
Athen und brach auf dem Marktplatz tot Marchais, Georges, frz. Politiker, 1920–
zusammen, sein Lauf gab dem modernen 1997; war anfangs Facharbeiter und Ge-
Marathonlauf den Namen. werkschaftssekretär, seit 1961 im ZK der
Marbod, erster german. Reichsgründer, frz. KP, 1972–1994 deren Generalsekretär.
führte 8 v. Chr. die ↑ Markomannen vom Marchand, Thomas, frz. Kolonialoffizier,
Main nach Böhmen, schloss sie mit ande- Urheber der ↑ Faschodakrise, 1863–1934;
ren Stämmen zu einem Reich zusammen stieß von Frz.-Kongo in zweijährigem
und unterhielt ein großes stehendes Heer, Marsch quer durch Zentralafrika zum obe-
um die Römer abzuwehren, unterstützte ren Nil vor, um zwischen den west- und
aber die Erhebung des ↑ Arminius nicht; ostafrikanischen Besitzungen Frankreichs
vom Herzog zum König erhoben, wurde eine Verbindung herzustellen, hisste 1898
er nach einer unentschiedenen Schlacht über Faschoda die Trikolore, musste sich
gegen Arminius seines aufsässigen Adels aber auf Befehl seiner Regierung zurück-
nicht Herr und flüchtete zu den Römern, ziehen.
starb in Ravenna (41 n. Chr.?). Marchfeld, Ebene in Niederösterreich an
Marburger Religionsgespräch 1529 zw. der Mündung der March, Schlachtfeld:
Luther und Zwingli, auf Veranlassung von 1) 1260 bei Groissenbrunn Sieg Ottokars
Landgraf Philipp von Hessen, der aus po- von Böhmen über Bela IV. von Ungarn;
lit. Gründen die reformat. Bekenntnisse die Steiermark fiel an die Krone Böhmen.
vereinigen wollte; führte zur Einigung bis 2) 1278 bei Dürnkrut Niederlage Ottokars
auf den entscheidenden Punkt der Abend- durch Rudolf von Habsburg, der damit die
mahlslehre („das ist“ – „das bedeutet“). habsburg. Hausmacht um Österreich und
Marceau, François, frz. republikan. Gene- die Steiermark erweiterte (Ottokar auf der
ral, 1769–1796; besiegte 1793 die Aufstän- Flucht erschlagen). 3) 1809, ↑ Aspern.
dischen der ↑ Vendee; stieß mit der Arden- Marcianus, Flavius, Kaiser von Byzanz
nenarmee über den Rhein vor und besetzte (450–457); der erste vom Patriarchen von
Koblenz; fiel 26-jährig bei Altenkirchen; Byzanz gekrönte Kaiser unter Aufrechter-
Grabmal in Koblenz-Lützel, traditionelle haltung der Souveränität des Staates über
Ehrenstätte der frz. Nation. die Kirche; verweigerte den Hunnen die
Marcel, Etienne, frz. Kaufmann, 1316– Weiterzahlung des Tributs und unterstützte
1368; z. Z. der wirtsch. Not unter der Westrom bei der Abwehr der Hunnen.
Regierung Johanns II. Führer der Bürger- Marcion, erfolgreicher Sektenstifter und
schaft von Paris im Kampf gegen den Ab- für die Entwicklung der röm. Kirche ge-
solutismus der Krone, Vorsteher der Kauf- fährlichster Religionsstifter des 2. Jh., gest.
mannschaft von Paris, forderte Kontrolle um 170; Bischofssohn aus Sinope (Klein-

600
Margarete

asien), verwandelte die ägypt. ↑ Gnosis redigierte die Bulletins (Heeresberichte),


zur praktischen Askese und Sache des ein- 1811–1813 Außenminister.
fachen Glaubens, verwarf den jüd. Gott des Margarete, Name von Herrscherinnen:
A. T. und stellte einen Kanon auf, der nur 1) M. von Anjou, 1429–1482; seit 1445
Teile des Lukasevangeliums und der Pau- als Gemahlin des schwachsinnigen Hein-
lin. Briefe umfasste; die Gegenkirche der rich VI. Königin von England, in den ↑ Ro­
Marcioniten hielt sich bis Ende des 4. Jh. senkriegen das Haupt der Partei Lancaster
Marconi, Guglielmo, ital. Physiker, Erfin- (Rote Rose), 1471 in der Schlacht von
der der drahtlosen Telegrafie, 1874–1937; Tewkesbury von Eduard IV. gefangen ge-
verwertete 1895–97 die theoretischen und nommen. 2) M., Königin von Dänemark,
praktischen Vorarbeiten der Wellentech- Norwegen und Schweden (1387–1412);
nik (Hertzsche Wellen; Antenne) zur ers- die „Semiramis des Nordens“; geb. 1353,
ten Zeichenübermittlung auf drahtlosem Tochter Waldemars IV., Gemahlin Haa-
Wege und revolutionierte damit das Nach- kons VI. von Norwegen, ließ ihren un-
richtenwesen; 1901 telegrafierte er über mündigen Sohn Olaf zum König von Dä-
den Atlantik; 1909 Nobelpreis. nemark wählen, regierte für ihn nach Haa-
Marco Polo, venezian. Weltreisender, kons Tod auch in Norwegen (1380–1814
1254–1323; weilte 1272–1295 am Hof Union zw. Dänemark und Norwegen),
des Großkhans Kublai in Peking; sein Rei- gewann nach seinem Tod (1387) durch
sebericht vermittelte dem Abendland die Vertreibung Albrechts von Mecklenburg
ersten sachlich fundierten Kenntnisse aus auch die schwed. Krone (1389) und si-
dem Fernen Osten. cherte die Vereinigung der drei Reiche in
Marcos, Ferdinando, philippin. Politiker, der ↑ Kalmar. Union von 1397. 3) M. von
1917–1989; war 1960–64 Vorsitzender Österreich, Generalstatthalterin der Nie-
der Liberalen Partei, 1965–1986 Staats- derlande (1507–1530); geb. 1480, Toch-
präsident; verfolgte seit 1972 (Kriegsrecht) ter Maximilians I. und der Maria von Bur-
einen diktator. Kurs, wurde im Febr. 1986 gund, vermittelte 1508 den Abschluss der
gestürzt und floh ins Exil. ↑ Liga von Cambrai und schloss für Karl V.
Mardonios, pers. Feldherr, Schwieger- den Damenfrieden von Cambrai 1529;
sohn Darius’ I., leitete 492 v. Chr. den ge- als kluge Regentin erwarb sie die Sympa-
scheiterten Feldzug zur Sicherung thrak. thie des Bürgertums gegen den Adel. 4) M.
Gebiete, 480 v. Chr. Oberbefehlshaber des von Parma, Statthalterin der Niederlande
Landheeres gegen ↑ Griechenland, fiel 479 (1559–1567), geb. 1522, natürliche Toch-
bei Platää. ter Karls V., in 2. Ehe mit Ottavio Farnese,
Marduk, Hauptgottheit von Babylonien Herzog von Parma, vermählt, zog sich von
(urspr. sumer.), Stadtgott von Babylonien, der Statthalterschaft zurück, als ↑ Alba
als Herr der Götter und Weltenschöpfer mit Sondervollmachten zur Bekämpfung
verehrt; ihm wurde der „Turm zu Babel“ der Abfallbewegung erschien, starb 1586.
errichtet (↑ Babylonien). 5) M. Maultasch, Gräfin von Tirol, 1318–
Marengo, Vorort von Alessandria (Lom- 1369; Erbtochter Heinrichs von Kärnten,
bardei); 1800 Sieg Napoleons (Verdienst in (geschiedener) 1. Ehe vermählt mit dem
seiner Unterführer) über die Österreicher Luxemburger Johann Heinrich, seit 1342
unter Melas. in 2. Ehe mit dem Sohn Kaiser Ludwigs
Manet, Hugues Bernard, Herzog von Bas- des Bayern, Ludwig d. Ä. von Branden-
sano, frz. Diplomat, Mitarbeiter Napo­ burg; nach dessen Tod überließ sie Tirol
leons I., 1763–1839; seit 1804 Staatssekre­ Herzog Rudolf von Österreich (1363).
tär und ständiger Begleiter des Kaisers, 6) M. von Valois, letzter Spross des Hauses

601
Mari

Valois, 1553–1615, heiratete 1572 in der Regentin für ihren Sohn Ludwig XIII.,
↑ Bartholomäusnacht Heinrich (IV.) von machte sich durch Misswirtschaft und In-
Navarra, 1599 geschieden. trigen verhasst, brachte 1624 Richelieu
Mari, Ruinenstätte am mittleren Euphrat, ins Ministerium, um ihren Einfluss zu si-
von ↑ Hammurabi zerstörter Königspalast; chern, wurde aber von Richelieu aus der
kulturhistor. aufschlussreicher Tontafel- Politik ausgeschaltet, 1630 gefangen ge-
fund (über 20 000 Tafeln). setzt, Flucht ins Ausland. 5) M. There-
Maria, Name von Herrscherinnen. Röm. sia, Königin von Frankreich, 1638–1683;
Reich: 1) M. Theresia (1740–1780); geb. Tochter Philipps IV. von Spanien, 1660
1717, älteste Tochter Karls VI., seit 1736 mit Ludwig XIV. vermählt, ihr Verzicht
vermählt mit Franz Stephan von Lothrin- auf das span. Erbe wurde von Ludwig XIV.
gen, Großherzog von Toskana (1745 als nicht anerkannt. 6) M. Antoinette, Köni-
Franz I. zum Kaiser gekrönt); übernahm erst gin von Frankreich, 1755–1793; Tochter
23-jährig an einem kritischen Wendepunkt Maria Theresias, 1770 mit dem Dauphin,
der österr. Geschichte pflichtbewusst die dem späteren Ludwig XVI., vermählt, als
Regierung, verteidigte die trotz der ↑ Prag- Österreicherin in Paris verhasst und ver-
mat. Sanktion gefährdete Thronfolge mit leumdet (↑ Halsbandaffäre), suchte wäh-
Mut und Umsicht gegen eine überlegene rend der ↑ Frz. Revolution den König zu
Koalition (↑ Österr. Erbfolgekrieg), konnte entschiedenem Auftreten zu bewegen und
aber das von Preußen besetzte Schlesien die Monarchie mit allen Mitteln zu retten
trotz größter Anstrengungen nicht zurück- („Madame Veto“), bewahrte in der Gefan-
erobern (1. und 2. ↑ Schles. Krieg, ↑ 7-jäh- genschaft vor ihren Richtern und auf dem
riger Krieg); stellte als „Mutter des Landes“ Schafott königliche Haltung. 7) M. Luise,
im Geiste des aufgeklärten Absolutismus Kaiserin der Franzosen, 1791–1847; Toch-
das Ansehen des bei ihrem Regierungsan- ter Franz’ II. von Österreich, 1810 mit Na-
tritt der Auflösung nahen Reiches durch poleon I. vermählt (nach dessen Trennung
Reformen im Heer-, Verwaltungs- und Fi- von Josephine); Mutter des „Herzogs von
nanzwesen wieder her und schuf damit den Reichstadt“, nach Napoleons Sturz mit
modernen selbständigen österr. Gesamt- dem Herzogtum Parma abgefunden, seit
staat. – Burgund: 2) M., Herzogin von B., 1822 in morganatischer Ehe mit dem Gra-
1457–1482; Erbtochter Karls des Kühnen, fen Neipperg. – Schottland: 8) M. Stuart,
vermählt 1477 mit ↑ Maximilian (I.), wo- Königin von Schottland (1558–1567),
durch die Freigrafschaft Burgund und die 1542–1587; Tochter Jakobs V. und der
Niederlande an Habsburg fielen. – Eng- Maria Guise, 1558 mit Franz II. von
land: 3) M. die Katholische, Königin aus Frankreich vermählt, erhob als Urenke­lin
dem Haus Tudor (1553–1558); geb. 1516, Heinrichs VII. beim Tod Marias der Ka-
Tochter Heinrichs VIII., vermählt mit Phi- tholischen Ansprüche auf den englischen
lipp II. von Spanien, versuchte England Thron; übernahm nach dem Tod ihres Ge-
gewaltsam zum Katholizismus zurück- mahls (1560) und ihrer Mutter 1561 die
zuführen, verstärkte dadurch und durch Regierung in Schottland, brachte durch
Hinrichtungen von Protestanten den Wi- die Heirat mit ihrem katholischen Vetter
derstand; verhasst durch ihre Bindung an Lord Darnley 1565 die schottisch prote-
das katholische Spanien, auch „die Blutige“ stantischen Großen gegen sich auf, ver-
genannt. – Frankreich: 4) M. von Medici, mählte sich nach unglücklicher Ehe 1567
Königin in Frankreich, 1573–1642; Toch- mit Darnleys Mörder Bothwell, wurde
ter des Großherzogs Franz I. von Toskana, vom aufständischen (überwiegend calvi-
1600 Gemahlin Heinrichs IV., 1610–1614 nistischen) Adel zur Abdankung zuguns-

602
Marius

ten ihres Sohnes Jakob VI. (des späteren setzt und bis zur Verwahrlosung ausgebeu-
Königs Jakob I. von England und Schott- tet; 1899 an Deutschland verkauft (Guam
land) gezwungen; floh 1568 nach England, schon 1898 an die USA abgetreten), 1914
bat Königin Elisabeth um Hilfe, wurde von Japan besetzt, seit 1920 jap. Mandat,
des Gattenmordes angeklagt, doch nicht 1944 von den USA erobert, seit 1945 Treu-
verurteilt, hielt an ihrem Thronrecht fest, handgebiet (Mandat) der UN. 1975 Asso-
darin von den engl. Katholiken wie vom ziierungsvertrag zw. den USA und den
Papst, Frankreich und Spanien unterstützt; M.; in einem Referendum stimmten 1975
1584 der Teilnahme an einer Verschwö- 75 % der Stimmberechtigten für den An-
rung gegen das Leben Elisabeths angeklagt, schluss der M. an die USA.
zum Tode verurteilt und nach langem Mariatheresientaler, aus Silber für den
Schwanken Elisabeths 1587 enthauptet. Afrikahandel 1780 mit dem Bild Maria
– Spanien: 9) M. Christina, Tochter Kö- Theresias in Österreich geprägt, in NO-
nig Franz’ I. von Sizilien, 1806–1878; 4. Afrika und Teilen des Sudan (in verschied.
Gemahlin Ferdinands VII., Mutter Isabel- Gebieten als allein gültiges Zahlungsmit-
las (II.), für die sie 1833–1840 die Regent- tel) bis zum Ende des 19. Jh. verbreitet, in
schaft führte, bekämpft von ihrem Schwa- Abessinien bis 1945 gültig.
ger ↑ Carlos und den Karlisten; ihre An- Marienburg, an der Nogat, in Westpreu-
hänger nannten sich „Christinos“. 10) M. ßen, Schloss des ↑ Dt. Ritterordens, größte
Luise, Königin von Spanien, 1751–1819; Ordensburg Europas; begonnen 1274,
Tochter des Herzogs von Parma, Gemah- seit 1309 Ordenshaupthaus und Sitz des
lin Karls IV., Geliebte Godoys, der mit Hochmeisters; 1410 von Heinrich von
ihrer Hilfe unumschränkt regierte, nach Plauen gegen das polnisch-litauische Heer
schmutzigen Hofintrigen 1808 mitsamt verteidigt, 1457 von den nicht entlohnten
ihrem Gatten und Sohn von Napoleon Söldnern des Ordens an Polen verkauft,
in Bay onne zur Abdankung gezwungen. nach dem Frieden von Thorn (1466) Sitz
– Ungarn: 11) M., Königin von Ungarn, polnischer Starosten, 1772 (1. Teilung Po-
1505–1558; Schwester Karls V., 1522 mit lens) zu Preußen. Anfang des 19. Jh. zum
Ludwig II. von Ungarn vermählt, nach Abbruch bestimmt, doch dank des erwa-
dessen Tod (1526) Statthalterin der Nie- chenden Interesses für das Mittelalter (Ro-
derlande 1531–1555 und wertvolle Stütze mantik) gerettet und restauriert, 1945 im
der Politik ihres Bruders. Kampf und 1960 durch Brand zum großen
Mariana, Juan de, Jesuit, span. Theologe, Teil zerstört.
Politiker und Historiker, 1535–1624; Er- Mariette, Auguste Ferdinand François,
zieher des Königs Philipp III., Verfasser frz. Ägyptologe, 1821–1881; Beamter
eines Aufsehen erregenden Fürstenspiegels des ­Louvre, leitete bedeutende Ausgrabun­
(„De rege et regis institutione“), in dem er gen (Abydos, Memphis) und Pyramiden­
die Gewalt des Königs auf die ihm über- öffnungen (Sakkara); begründete das be-
tragene Volkssouveränität zurückführt rühmte Bulak-Museum in Kairo.
und das Widerstandsrecht in der Monar- Marignano (jetzt Melegnano) in der Lom-
chie darlegt und schließlich den unter be- bardei, 1515 Sieg des frz. Königs Franz I.
stimmten Voraussetzungen berechtigten über die Eidgenossen: Das Herzogtum
Tyrannenmord verteidigt. Mailand wurde frz., die schweizer. Aus-
Marianen (früher Ladronen, Diebsinseln), dehnungspolitik scheiterte und der militär.
Inselgruppe im NW des Stillen Ozeans; Nimbus der Eidgenossen zerfiel.
1521 von ↑ Magellan entdeckt, um 1668 Marius, Gajus, röm. Feldherr und Staats-
von span. Seefahrern wiederentdeckt, be- mann, 156–86 v. Chr., diente sich im Heer

603
Mark

empor, 107 von der Volkspartei (Populares) ten 3) die Marken des Reiches, insbes. im
erstmals zum Konsul gewählt, beendete Osten, milit. gesicherte Grenzgebiete von
siegreich den Jugurthinischen Krieg, ver- großer polit. Bedeutung; bereits Karl d. Gr.
nichtete nach Heeresreform (↑ Legion) die errichtete M.en: bayer. Ostmark, dän. M.,
↑ Kimbern und Teutonen 102/101, verlor span. M. u. a. (ähnlich die österr. ↑ Militär-
durch Unterstützung der Staatspartei (Op- grenze zum Schutz gegen die Türken).
timaten) im Kampf um die Agrarreform Mark Aurel (Marcus Aurelius Antoninus),
an Einfluss und Anhang; 88 dennoch mit röm. (Adoptiv-)Kaiser (161–180 n. Chr.),
dem Oberbefehl gegen Mithradates beauf- geb. 121; der „Philosoph auf dem Thron“,
tragt, aber von Sulla, dem Kandidaten des Anhänger der ↑ Stoa; schrieb im ­Feldlager
Senats, vor Rom geschlagen und geächtet „Selbstbetrachtungen“ über die Pflichten
(Beginn der Bürgerkriege); bei Sullas Ab- des Herrschers nieder, teilte angesichts
marsch nach dem Osten zurückgerufen, der Bedrohung des Reiches (Parther im
wütete er zusammen mit Cinna gegen die Osten, Markomannen an der Donau) die
Optimatenpartei, starb aber schon in den Herrschaft bis 169 mit seinem Stiefbruder
ersten Tagen seines 7. Konsulats. L. Verus und seit 176 mit seinem laster-
Mark (Brandenburg), ↑ Brandenburg. haften Sohn Commodus und durchbrach
Mark, Grafschaft im Westfäl. Kreis, bei- damit den Grundsatz der „Adoption der
derseits der Ruhr; 1160 durch Erbteilung Besten“; erhielt den Bestand des Reiches
der Grafen von Berg begründet, 1368 mit nach außen, konnte aber trotz Tatkraft
dem Herzogtum Kleve vereinigt, im ↑ Jü- und kluger Gesetzgebung die innere Aus-
lich-Kleveschen Erbfolgestreit 1609–1614 höhlung nicht verhüten (Pest, Hungers-
umstritten, 1666 endgültig zu Branden- nöte, Wirtschaftsverfall, Vordringen orien-
burg. talischer Kulte).
Mark, 1) Münzeinheit (urspr. Marke = Zei- Markgenossenschaft, im dt. MA die bäu-
chen, später Silberbarren von bestimmtem erliche Siedlungsgemeinschaft eines be-
Gewicht, dann Silbermünze), entstanden grenzten Bereiches (der Feldmark), später
aus dem röm. Pfund, das bei den Franken auch im Zusammenschluss mehrerer Ge-
von 11 auf 8 Unzen verringert wurde; um meinden; genossenschaftlich waren nur
einer weiteren Schmälerung vorzubeugen, die Wirtschaftsform (Saatwechsel) und die
drückte man den Metallbarren einen Stem- Nutzung des Gemeinlandes, der gemeinen
pel, eine „Marke“, auf (1042); als Norm Mark (Allmende); M. bedeutete also nicht
galt die Kölnische M. (234 g) bis zur Ein- Agrarkommunismus.
führung des metrischen Systems im 19. Jh.; Markgraf, seit Karl d. Gr. zur Verteidi-
der Geldwert der M. ergab sich aus der gung und Verwaltung eines Grenzlandes
Ausprägung von Silberpfennigen, die nach (↑ Mark) eingesetzter Graf, mit erhöhten
einjährigem Umlauf im Kurs herabgesetzt Machtbefugnissen, die denen eines Her-
wurden; schließlich wurde die Geldmark zogs gleichkamen; beim Heeresaufgebot
eine Währungseinheit, die mit der alten ursprünglich im Gefolge der Herzöge, er-
Gewichtsmark nichts mehr zu tun hatte; langten mehrere M.en im 12. Jh. Reichs-
1873 erhielt sie den Wert von 25/69 g unmittelbarkeit (Brandenburg, Österr.)
Feingold, 1924 wurde sie als Reichsmark und wurden bei Auflösung der alten Her-
vom Goldgewicht gelöst. 2) (Land-)Mark, zogtümer Reichsfürsten; später war M.
Markung, abgegrenztes Land (ahdt. Marka nur noch Titel, in Italien (Marquese) und
für Grenze, Lehnwort aus dem Slaw.); „ge- Frankreich (Marquis) bloßer Adelstitel.
meine Mark“, Allmende; gegenüber die- Markomannen (Mark Grenzmauer gegen
sem agrargeschichtlichen Begriff bedeu- die Kelten), germ. Volksstamm (Einzel-

604
Marokko

stamm der Sueben), wichen um 8 v. Chr. 1722; nach wechselvoller Karriere bei Aus-
vor dem Zugriff der Römer aus dem Main- bruch des ↑ Span. Erbfolgekrieges 1701
gebiet nach Böhmen (das von den kel- Oberbefehlshaber der engl. Armee in den
tischen Bojern geräumt war) aus, bildeten Niederlanden; erfocht als Waffengefährte
unter ↑ Marbod ein mächtiges Reich, das des Prinzen ↑ Eugen glanzvolle Siege
nur kurzen Bestand hatte, wurden im (Blindheim, Höchstädt 1704, Ramillies
2. Jh. n. Chr. von wandernden Stämmen, 1706; doch unentschiedene Schlacht bei
insbes. den Goten, verdrängt und über- Malplaquet 1709); nach der Thronbestei-
schritten die Donau; von Mark Aurel in gung der Königin Anna, die von seiner Ge-
wechselvollen Kämpfen (M.-Kriege 166– mahlin beherrscht wurde, der mächtigste
180 n. Chr.) zurückgeworfen, ließen sie Mann Englands; nach der Regierungs­
sich im 3./4. Jh. in ↑ Bayern nieder. übernahme durch die kriegsmüden ↑ Tor-
Markt (von lat. mercatus, Kaufhandel, fies entmachtet, 1712 abgesetzt.
Markt), ständiger Handelsplatz, im MA Marmont, Auguste, Herzog von Ragusa,
Voraussetzung für die Entstehung einer Marschall von Frankreich, 1774–1852,
lebensfähigen Stadt und als städtebilden- Waffengefährte Napoleons I. auf fast al-
der Faktor wichtiger als z. B. die Burg; len Feldzügen, blieb 1815 und 1830 den
bildete sich auf der Grundlage von Privi- Bourbonen treu.
legien: M.frieden (Schutz für die Besucher Marneschlacht, 1) Sept. 1914, von den
des M.es gegen Fehden usw.) und M.recht Frz. „Wunder an der Marne“ genannt,
(ursprünglich Königsregal, dann auch von verwandelte infolge Versagens der dt.
Fürsten verliehenes Recht, einen M. an- Heeresleitung den kriegsentscheidenden
zulegen); unter dem Einfluss der Händ- Vormarsch auf Paris in einen verfrüht be-
lergilden wurde das M.recht schließlich fohlenen Rückzug; darauf Erstarrung der
zu einem Komplex der marktregelnden Fronten im Stellungskrieg. 2) Mai 1918,
Rechtsvorschriften erweitert, mit zahlr. letzter dt. Vorstoß über die Aisne bis zur
Sonderprivilegien zugunsten des einheimi­ Marne, ohne dass der entscheid. Durch-
schen Handels (z. B. Stapelzwang) und bruch gelang.
Hauptteil des Stadtrechts. Marnix, Philipp van, Herr von Mont-
Markus, Evangelist, aus Jerusalem stam- Sainte Aldegonde, niederländ. Schriftstel-
mend, Begleiter des Paulus, zweimal in ler und Staatsmann, 1540–1598; Schüler
Rom (vielleicht als Begleiter des Petrus, Calvins in Genf, an der Reformation und
dessen Predigten er vermutlich dem von am Befreiungskampf der ↑ Niederlande
ihm geschriebenen Evangelium zugrunde führend beteiligt, übergab als Bürgermeis­
legte): Haupt der ersten Christengemeinde ter von Antwerpen 1585 die Stadt nach 13-
von Alexandrien (?); Schutzpatron Vene- monatiger Belagerung den Spaniern.
digs (M.dom; Wappen: M.löwe). Marodeur (frz. maraud, Lump, Strolch),
Markward von Armweiler, bed. Reichs- Soldat, der unter dem Vorwand „marode“,
ministeriale der Hohenstaufen, um 1140– d. h. erschöpft oder krank zu sein, hinter
1202; Reichs-Truchseß und Erzieher der weiterziehenden Armee zurückbleibt
Hein­richs VI., 1195 Statthalter der Mark und sich als Plünderer selbständig macht;
­Ancona, Herzog der Romagna und von Ra- das Marodieren war besonders im 30-jäh-
venna, Vormund Friedrichs II., Regent in rigen Krieg in der Übung und wurde zur
Sizilien, Führer der dt. Partei in Italien; Ver- allg. Landplage.
treter des stauf. Universalreichsgedankens. Marokko (arab. Maghreb el Aksa, äußers­
Marlborough, John Churchill, ­ Herzog ter Westen des von Arabern besetzten Ge-
von, engl. Feldherr und Politiker 1650– bietes), Königr. in NW-Afrika; im Alter­

605
Maroniten

tum Hauptteil Mauretaniens (Maureta- nisch-Marokko und Tanger zur Souveräni-


nia Tingitana), von Berbern bewohnt, tät führte; erster König der seit 1927 re-
42–429 n. Chr. unter römischer, 429 un- gierende Sultan Ben Jussuf, seit 1955 Kö-
ter vandalischer, 530 unter byzantintischer nig Mohammed V., der als „Mitarbeiter
Herrschaft, um 700 von den Arabern er- der Befreiung“ de Gaulle unterstützt hatte,
obert und islamisiert; unter arab., berber. zeitweise aber verbannt war; sein Nachfol-
Herrschern; 808 Gründung von Fes, 1062 ger 1961 König Hassan II.; 1962 neue Ver-
(unter den Almoraviden) von Marrakesch; fassung, parlamentar. Monarchie, de facto
im 12./13. Jh. Almohaden; M. Basis für die gesamte polit. Macht beim König, Nieder-
maur. Eroberung der iber. Halbinsel und schlagung oppositioneller Bewegungen.
(nach der Rekonquista) für ausgedehntes 1975 Streitigkeiten mit Mauretanien we-
Seeräuberwesen; die europ. Intervention gen Gebietsansprüchen auf ehemalig Spa-
setzte ein, als M. 1844 den aufständischen nisch-Sahara (bed. Phosphatvorkommen),
↑ Abd El Kader unterstützte; die ersten schließl. Aufteilung zw. beiden Staaten.
Gebietsverluste (Tetuan) erlitt M. im Krieg Im selben Jahr rief die Volksfront POLI-
gegen Spanien 1859/60; 1880 regelte die SARIO („Frente Popular para la Liberatión
M.-Konferenz in Madrid die Schutzrechte de Saqiya al-Hamra y del Río de Oro“,
der europ. Mächte; 1904 erklärte Frank- von Algerien und Libyen unterstützt)
reich in der Entente cordiale mit England eine „Demokrat. Arab. Republik Sahara“
sein Desinteresse an Ägypten und erhielt (UNO-Bezeichnung: West-Sahara) aus,
dafür freie Hand in Marokko (außer dem was zu jahrelangen Kämpfen mit marok-
Spanien vorbehaltenen Küstenstreifen); die kan. Truppen führte; Waffenstillstand erst
„friedl. Durchdringung“ M.s durch Frank- Anfang der 90er Jahre, über die Zukunft
reich stieß auf den Widerstand Deutsch- des Gebietes soll ein Referendum entschei-
lands (1905 Staatsbesuch Wilhelms II. in den. Innenpolit. zunehmender Wider-
Tanger; dt. Wirtschaftsinteressen); diese stand gegen Hassan II. und Forderungen
1. M.-Krise wurde 1906 auf der ­Konferenz nach Demokratisierung, 1992 neue Ver-
von Algeciras beigelegt („Politik der of- fassung, mehr Vollmachten für Parlament,
fenen Tür“ in M. aufrecht erhalten, dt. aber weiter Führungsrolle des autoritären
Prestigeerfolg mit außenpolit. Isolierung Regenten. 1999 Tod Hassans II., neuer Re-
bezahlt); die Besetzung der Hauptstadt Fes gent sein Sohn Mohammed VI., versprach
durch Frankreich beantwortete Deutsch- weitreichende Reformen, aber de facto seit-
land mit der Entsendung des Kanonen- her keine großen Veränderungen.
bootes „Panther“ („Panthersprung nach Maroniten, christl. Sekte in Syrien und
Agadir“); in der 2. M.-Krise (1911) setzte Libanon, benannt nach Maron (um 400);
Frankreich seine Ansprüche auf M. mit behauptete als freies Bergvolk im Libanon
brit. Hilfe durch und trat dafür Gebiete im unter der Herrschaft des Islam polit. und
Kongo an Deutschland ab; 1912 wurde M. kirchliche Unabhängigkeit, seit dem 12. Jh.
durch Vertrag mit dem Sultan frz. Protek- mit der röm.-kath. Kirche uniert, unter ei-
torat; die praktische Eroberung (↑ Lyautey) genem Patriarchen, mit syr. Liturgie, im
erlitt schwere Rückschläge durch den Auf- 19. Jh. von den Drusen dezimiert.
stand ↑ Abd El Krims 1925, den Spanien Marschall (mhdt. marah = Pferd, Schalk =
(seit 1912 im Besitz des Rif ) und Frank- Knecht; frz. marechal = Hufschmied), ur-
reich nur mit vereinten Kräften niederwer- sprünglich Aufseher über die Pferde (Stall-
fen konnten; seit dem 2. Weltkrieg starke meister), im Frankenreich schon höherer
nationalarab. Unabhängigkeitsbewegung, Hofbeamter, seit Otto d. Gr. Inhaber eines
die 1956 unter Einbeziehung von Spa- der Erzämter (Reichserzmarschall war der

606
Marsilius von Padua

Kurfürst von Sachsen), daneben gab es 1586 von Karl V. vergeblich belagert; in
Hofmarschälle für die Überwachung der den Hugenottenkriegen die hartnäckigste
Hofhaltung; seit Ausgang des MA setzte der an der kathol. Liga beteiligten Städte;
sich die Bezeichnung M. für den Oberbe- 1793 nach einem Aufstand für die Gironde
fehlshaber (Feldmarschall) durch (zuerst dem Pariser Schreckensregiment unterwor-
im Dt. Orden Titel für Oberst in einem fen; im 19./20. Jh. Tor Frankreichs nach
Reiterregiment); in Frankreich seit dem Nordafrika und (seit dem Bau des Suezka-
13. Jh. die Heerführer des Königs (M. von nals) nach Madagaskar und Indochina.
Frankreich), in ihrer Zahl begrenzt. Marsfeld (lat. Campus Martius), im anti-
Marschall von Bieberstein, Adolf Her- ken Rom Exerzierplatz für die röm. Miliz
mann Freiherr von, dt. Diplomat, 1842– und Versammlungsplatz für die Zenturiat-
1912; Staatsanwalt, Gesandter Badens in komitien (lat. comitia centuriata); zw. Ti-
Berlin und Bundesratsbevollmächtigter; als berbogen und Via Flaminia gelegen. – M.
konservativer Reichstagsabgeordneter zwar (frz. Champ de Mars), Paradeplatz in Paris;
Verfechter der Bismarckschen Schutzzoll- 17. Juli 1791 Zusammenstoß zw. Feuillants
und Sozialpolitik, wurde zum Gegner des und Jakobinern.
innenpolitischen Kurses Bismarcks, zu des- Marshall, George Catlett, amerik. General
sen Sturz er entscheidend beitrug; 1890 als und Politiker, 1880–1959; im 2. Weltkrieg
Nachfolger Herbert Bismarcks Staatssekre- Chef des Generalstabs, an der strategischen
tär des Auswärtigen, in der Außenpolitik Planung der Operationen gegen die Achsen­
noch unerfahren und von ↑ Holstein, der mächte maßgeblich beteiligt, 1945–47
„grauen Eminenz“, abhängig. Persönlich Sonderbotschafter in China, suchte vergeb­
Verfechter des Vorrangs der Wirtschaftspo- lich zwischen der Nationalregierung und
litik; 1897–1912 Botschafter in Konstan- den Kommunisten zu vermitteln; 1947–49
tinopel (↑ Bagdadbahn) und 1912 kurze Staatssekretär für Auswärtiges; Urheber des
Zeit Botschafter in London, wo er die bis- ↑ M.-Plans; erhielt 1953 mit A. Schweitzer
her gescheiterte Verständigung mit Eng- den Friedensnobelpreis.
land (↑ Haldane) betreiben wollte. Marshall-Plan, benannt nach dem Staats-
Marseillaise, Frankreichs Nationalhymne, sekretär ↑ Marshall, European Recovery
als „Lied der Rheinarmee“ 1792 in Straß- Program (abgekürzt ERP, Hilfsprogramm
burg von Leutnant Rouget de Lisle geschaf- für Europa), 1947 von den USA vorge-
fen, benannt nach jenen Freiwilligen aus bracht, seit 1948 in Kraft für 16 Länder;
Marseille, die beim Marsch durch Paris auf befristet zunächst bis 1952 mit dem Ziel,
dem Weg zur Front das Lied sangen und es durch Wirtschaftshilfe in Höhe von etwa
mit einem Schlag berühmt machten. 20 Mrd. Dollar (in Form von Zuschüssen
Marseille, Frankreichs zweitgrößte Stadt, oder Maschinen- und Rohstofflieferungen)
der bedeutendste Mittelmeerhafen, zählt das europ. Dollardefizit auszugleichen und
zu den ältesten Städten Europas; gegründet inzwischen die Produktion so zu steigern,
um 600 v. Chr. als Handelsniederlassung dass Europa wirtschaftlich wieder auf ei-
(Massalia oder Massdia) von ionischen genen Füßen stand; Teilnahme am M. an
Phokäern aus Kleinasien (↑ Griechenland), gewisse Auflagen der USA gebunden, be-
Zentrum der griechischen Kultur im west- stimmender Einfluss auf die Wirtschaft der
lichen Mittelmeerbecken, Rivalin Kartha- Hilfsempfänger; M. seit 1948 Kernstück
gos; 49 v. Chr. von Cäsar erobert; während der USA-Politik; seit 1952 Zuwendungen
der Völkerwanderung unter wechselnder gekürzt.
Germanenherrschaft, im MA bei Burgund Marsilius von Padua, Staatstheoretiker
und Arelat, 1481 Frankreich einverleibt, und Publizist, um 1275 (1280)–1343;

607
Marsischer Krieg

1316 am Papsthof zu Avignon, später wie- Martin von Troppau, Geschichtsschreiber


der in Paris, vollendete 1324 seine Auf- des 13. Jh., Dominikaner, schrieb im Auf-
sehen erregende Schrift „Defensor pacis“ trag und im Sinne des Papstes ein Kom-
(Verteidiger des Friedens), wurde von der pendium der Weltgeschichte, das bis 1277
Kurie exkommuniziert und floh 1326 nach reichte; weit verbreitet und angesehen,
München an den Hof Ludwigs des Bayern, wertvoll nur durch die von anderen beige-
unterstützte den Kaiser im Kampf gegen fügten Fortsetzungen.
das Papsttum um die weltliche Vorherr- Martyrologium (Verzeichnis der Bekenner),
schaft; M. vertrat in der genannten Schrift entstanden seit dem 3. Jh. aus dem litur-
die Lehre von der Volkssouveränität (Trä- gischen Kalender mit Angaben der Lebens­
ger der Staatsgewalt ist das Volk) und die verhältnisse und des Todestages der Märty-
konziliare Idee: Der Papst war nur erwähl­ rer, Quelle für die Entwicklung des Früh-
tes Oberhaupt des Klerus, seine weltliche christentums; seit der Zeit Karls d. Gr.
Macht war ungerechtfertigt, seine geistliche wurden zahlreiche Martyrologien zusam-
Autorität der des allgemeinen Konzils als mengestellt, auch für einzelne Länder und
der Vertretung aller Gläubigen untergeord- Orden; Baronius fertigte 1586 das umfas-
net; diese Theorie von großer ­Bedeutung in sende M. universale an.
der Entwicklung zur Reformation. Marwitz, Friedrich August Ludwig von
Marsischer Krieg, ↑ Bundesgenossenkrieg. der, preuß. General und Politiker, 1777–
Mars la Tour und Vionville, Dörfer westl. 1837; Rittergutsbesitzer, Gegner der libe­
von Metz; 1870 blutige Schlacht, in der ralen Reformen, besonders der ↑ Bauern-
die Armee Bazaines in die Festung Metz befreiung, verfocht eine Reform aus organ.
zurückgeworfen wurde. Staats- und ständischem Gemeinschafts-
Marstonmoor, Dorf in der engl. Graf- denken. Kritiker des individualist. Zeit-
schaft York, 1644 im Bürgerkrieg durch geistes (Ablehnung nicht nur der Berliner
das Eingreifen Cromwells entscheidende Aufklärung Nicolais, sondern auch der
Niederlage des königlichen Heeres unter Philosophie Kants und Fichtes) und des
Ruprecht von der Pfalz gegen die Truppen Absolutismus als dessen Nährboden (ni-
des Parlaments. vellierter Untertanenverband); hinterließ
Martin V. (Otto Colonna), Papst (1417– wertvolle Tagebücher.
1431); geb. 1368, auf dem Konzil von Marx, Karl, dt. sozialistischer Theoreti-
Konstanz gewählt, beendete das ↑ Schisma, ker, 1818–1883; zusammen mit Friedrich
stellte die päpstl. Autorität wieder her; un- ↑ Engels Begründer des wiss. Sozialismus
zureichende Kirchenreformversuche (die (↑ Marxismus); geboren zu Trier, studierte
Hauptaufgabe des Konstanzer Konzils da- Philosophie in Berlin, Linkshegelianer,
mit nicht gelöst); Wiederaufbau der Rui- 1842/43 Redakteur der liberalen „Rhei-
nen der Lateranbasilika; erster Vertreter des nischen Zeitung“, siedelte 1843 nach Paris
Renaissance-Papsttums; starb noch vor der über, seit 1844 mit Engels eng befreundet;
Eröffnung des von ihm nach Basel einbe- 1845 auf Betreiben der preuß. Regierung
rufenen Konzils. ausgewiesen, ging nach Brüssel, trat 1847
Martin von Tours, hl., 316–400; gebo- dem „Bund der Kommunisten“ bei, in des-
ren in Pannonien (heute Ungarn), teilte sen Auftrag er mit Engels 1847 das ↑ „Kom-
nach der Legende als Soldat im römischen munistische Manifest“ verfasste; 1848 auch
Heer seinen Mantel mit einem Bettler; 375 aus Brüssel ausgewiesen; 1848/49 Redak-
vom Volk zum Bischof von Tours erho- teur der „Neuen Rheinischen Zeitung“ in
ben, christianisierte Gallien; Schutzpatron Köln, emigrierte nach dem Scheitern der
Frankreichs. Revolution, lebte bis zu seinem Tod meist

608
Marxismus

in bitterer Armut in London, wo sein öko- Kapitalisten einen „Mehrwert“ eintragen;


nom. Hauptwerk „Das Kapital“ entstand; die kapitalist. Konkurrenz erzwingt lau-
führender Kopf der 1864 gegründeten fend technische Fortschritte, die aber zur
„l. ↑ Internationalen“. ständigen Freisetzung von Arbeitskräften
Marxismus („Wiss. Sozialismus“), geschlos­ und zur Bildung einer „industriellen Re-
senes System natur- und geschichtsphilo­ servearmee“ führen, die ihrerseits auf die
soph., nationalökonomisch und polit.-so- Löhne der Beschäftigten drückt (Verelen-
ziolog. Theorien, begründet durch Karl dung); der Gegensatz zw. Beschränkung
↑ Marx und Friedrich ↑ Engels, die, ge- der Massenkaufkraft durch Ausbeutung ei-
stützt auf die dialekt. Methode ↑ Hegels, nerseits und konkurrenzbedingter Ausdeh-
die materialististische Philosophie Feuer- nung der Produktion andererseits entlädt
bachs und die ökonom. Lehren Ricardos, sich in periodischen Überproduktionskri-
die Weltanschauung des dialekt. und ­histor. sen von steigender Wucht, die zur Bildung
↑ Materialismus entwickelten; danach ist von Monopolen führen sowie zur impe-
die Materie das eigentlich Wirkliche und rialist. Suche nach immer neuen Absatz-
Primäre, das Ursprüngliche (der „Unter- märkten und dadurch u. a. auch zur Ent-
bau“), das Ideelle ist als „Überbau“ von fesselung von Rüstungskonjunkturen und
ihr abgeleitet und von ihr abhängig (das Kriegen; die Macht des Staates spielt bei
ökonom.-gesellschaftliche „Sein schafft alledem keine neutrale Rolle, sondern ist
das Bewusstsein“); Natur und Gesellschaft das Unterdrückungsinstrument der herr-
folgen in ihrer Entwicklung einheitlichen schenden Klasse; die wachsenden Wider-
Gesetzmäßigkeiten; geschichtlicher Ablauf sprüche der kapitalist. Produktionsweise
in Gegensätzen und Widersprüchen, die in und Politik drängen das internationale
Wechselwirkung einander steigern, bis sie Proletariat auf den Weg der Revolution
durch heftigen (gesellschaftlich) revolutio- und der Umwandlung der Gesellschaft in
nären Umschlag einen neuen, höheren Zu- eine klassenlose; dazu ist notwendig: Er-
stand herbeiführen (Umschlag der Quan- oberung der staatlichen Macht und de-
tität in eine neue Qualität als notwendige ren Benutzung zur Niederhaltung der ge-
Folge dieser „Dialektik“). – Auf dieser er- stürzten Ausbeuter (vorübergehende Dik-
kenntnistheoret. Grundlage baut die ge- tatur des Proletariats), Inbesitznahme und
schichtsphilosoph. Deutung und national­ Vergesellschaftung der Produktionsmittel
ökonomische Theorie des M. auf: Die öko- und deren planmäßige Lenkung durch die
nom. Produktionsweise (­Produktivkräfte, Arbeitenden selbst, womit jedem Aufleben
Produktionsverhältnisse) bestimmt die einer neuen Ausbeuterklasse der ­materielle
histor. Bewusstseinsformen (Religion, Boden entzogen ist. In einer Mischung
Recht usw.); die Ungleichheit, eine Folge von Wissenschaftlichkeit und Chiliasmus
der Besitzverhältnisse hinsichtlich der Pro- wurde der M. zur offiziellen Lehre der
duktionsmittel, ist seit Auflösung der kom- meisten sozialistischen Parteien des 19. Jh.
munistische „Urgesellschaft“ die Wurzel und gleichzeitig für die dem Christentum
des permanenten Klassenkampfes, des ei- entfremdeten Arbeitermassen zu einer Art
gentlichen Inhalts der Geschichte; der Ka- Ersatzreligion; im Kampf um Bewahrung
pitalismus gründet sich nach der marxist. und werkgetreue Weiterbildung des M.
Theorie wie alle vorangegangenen Klassen- mussten sich in der dt. Sozialdemokratie
gesellschaften auf das Privateigentum an um die Jahrhundertwende die orthodoxen
den gesellschaftlichen Produktionsmitteln, Anhänger mit den sog. „Revisionisten“
die durch Ausbeutung von Lohnarbeitern oder „Reformisten“ unter Führung ↑ Bern-
(Proletariat) betrieben werden und den steins auseinandersetzen. Weltgeschicht-

609
Märzfeld

lich bedeutsam wurde die Übernahme und reiches gemäß dem Nationalitätsprinzip,
Weiterentwicklung des M. durch die russ. schloss im Mai 1918 mit den Führern der
Sozialdemokratie, deren „Mehrheit“ (Bol- Slowaken den Pittsburger Vertrag über die
schewiki) unter Führung ↑ Lenins 1917 Errichtung eines gemeinsamen Staates,
an die Macht gelangte und den „M.-Lenin­ 1918 Präsident des tschechoslowak. Nati-
ismus“ zur offiziellen Weltanschauung er- onalrates in Paris, dann der neu gegründe­
hob, während sich in der praktischen Po- ten Republik (bis 1935); bestimmte mit
litik der westeurop. Arbeiterparteien der Beneš den polit. Kurs der ÖSR (außenpo-
weniger doktrinäre „Reformismus“ durch- lit. Westorientierung, Kleine Entente; in-
setzte (↑ Bolschewismus). nenpolit. Unterdrückung der nationalen
Märzfeld, jährliche Volks- und Heerver- Minderheiten). 2) M., Jan, Sohn von 1),
sammlung der Franken, auf gall. Boden 1888–1948; Diplomat, 1931–1945 im
schon im 6. Jh. von der gelegentlichen Ver- Exil, nach dem Sieg der Alliierten Außen-
sammlung der Großen um den König ab- minister, kam nach dem kommunist.
gelöst, in Austrasien noch von den Karolin­ Staatsstreich unter ungeklärten Umstän-
gern beibehalten, doch 755 in den Mai, den ums Leben.
von Karl d. Gr. sogar in den Hochsommer Massalia oder Massilia, ↑ Marseille.
verlegt, schließlich nur noch Versammlung Masséna, Andre, Marschall von Frank-
des (berittenen) Adels (Panzerreiter). reich, Fürst von Eßling; 1758–1817; 1800
Märzrevolution, die zweite Welle der re- Oberbefehlshaber in Italien, 1810 in Por-
volutionären Erhebungen 1848, ausgelöst tugal, von Wellington geschlagen und ab-
durch die frz. Februarrevolution (Sturz berufen.
Louis Philippes), führte in Berlin zu Stra- Massinissa, König von Numidien, um
ßenkämpfen (Rückzug der Truppen) und 238–148 v. Chr.; zunächst Herrscher von
Zugeständnissen des Königs (Preuß. Na- Ostnumidien und auf Seiten ↑ Kartha-
tionalversammlung), in den Hauptstädten gos, wegen seiner Reiterei begehrter Bun-
fast aller dt. Bundesstaaten zu Reformen desgenosse; trat bei Wendung des Kriegs-
(liberale Verfassungen) und in Deutsch- glücks zu den Römern über, sein Einsatz
land zur Wahl der (Frankfurter) National- schlachtentscheidend bei Zama (202), mit
versammlung, in Wien zum Sturz Metter- Westnumidien belohnt; reizte durch seine
nichs, in Mailand und Venedig zum Ab- Übergriffe Karthago erneut zum Krieg
zug der Österreicher; ein großer Teil der und lieferte damit den Römern den Vor-
„Märzerrungenschaften“ wurde in der Fol- wand zur Vernichtung Karthagos im 3. Pu-
gezeit rückgängig gemacht. nischen Krieg.
Masaniello (Tommaso Aniello), Haupt- Masuren, 1) Sept. 1914 Schlacht an den
rädelsführer des Volksaufstands in Neapel Masurischen Seen (Sieg Hindenburgs über
gegen die Spanier 1647; geb. 1623; Obst- die russ. Njemenarmee, die sich der Ver-
händler, hetzte die Masse gegen die span. nichtung durch Flucht auf russ. Gebiet
Steuererheber, machte sich zum Herrn der entziehen konnte). 2) Febr. 1915 Winter-
Stadt, unterwarf sich dem Vizekönig und schlacht in den M. (Vernichtung der russ.
wurde ermordet. 10. Armee).
Masaryk, 1) M., Tomas Garrigue, Schöp- Materialismus, philosophische Lehrmei-
fer des tschechoslow. Staates, 1850–1937; nung und Weltanschauung, anerkennt als
Professor der Philosophie in Prag, Sozio- alleinige Urgrundlage alles Wirklichen die
loge, Positivist, demokrat. Nationalist, be- Materie (den Stoff, die körperliche Masse)
trieb im 1. Weltkrieg als Emigrant mithilfe und erklärt alle Lebensvorgänge als Pro-
der Alliierten die Auflösung des Habsburger­ dukte oder Erscheinungsformen der Ma-

610
Mathilde

terie, der ihr eigenen Kräfte und Gesetze; Archimedes, Erathosthenes, Hipparchos,
leugnet insbes. die Unabhängigkeit, Ur- Nikomedes, Ptolemäus, Diokles), Arith-
sprünglichkeit und Eigengesetzlichkeit metik und Algebra (Euklid, Nikoma-
alles Geistigen und Seelischen, sieht viel- chos und Diophantos); das antike Wissen
mehr in den Ideen, Erfahrungen und Emp- wurde im MA bes. durch die Araber und
findungen nur Ableitungen oder Spiege- jüd. Gelehrte weiter gepflegt und überlie-
lungen der objektiven Realität der Materie; fert; von den Arabern übernahm Leonardo
der philosoph. M. gliedert sich in verschie- Fibonacci (Leonhard von Pisa) um 1200
dene Schulen, beginnend mit der Atomi- das indische (arabische) Zahlensystem mit
stik des Demokrit und Leukipp, erreichte der Zahl Null; im Zeitalter des Humanis-
seinen Höhepunkt im Gefolge der Aufklä- mus Förderung durch die Deutschen Pur-
rungsphilosophie (Hobbes, Hofbach, La bach, Regiomontanus und Mich. Stifel; die
Mettrie, Feuerbach); die radikalste Aus- Franzosen Ramus und Vieta; die Italiener
prägung erreichte er im 19. Jh. im Vulgär- Tartaglia, Cardano, Bombeni; um 1614
M. Karl Vogts („Köhlerglaube und Wis- stellte Lord Napier die erste Logarithmen-
senschaft“; „Der Mensch ist, was er isst“). tafel auf, weiterentwickelt durch Briggs;
Als ideolog. geistige Waffe aufstrebender mathe­mat. Astronomie, Geometrie, Alge-
Klassen richtete er sich insbesondere ge- bra und Zahlentheorie wurden im 17. Jh.
gen die Kirchen und die alten Staats- oder durch Kepler, Fermat, Pascal (1641 Ad-
Gesellschaftsideen, ebnete durch die Leug- diermaschine), Descartes, Huygens, Gali-
nung des (von der Materie nicht ableit- lei weiterentwickelt; um 1680 Begründung
baren) Naturrechts den Weg zum moder- der Infinitesimalrechnung durch Newton
nen Machtstaat; als historischer M. wurde und Leibniz; darauf beruhend die Him-
er zum philosophischen Grundpfeiler des melsmechanik (Laplace); ebenfalls noch
↑ Marxismus. In der jüngsten Vergangen- im 17. Jh. Wahrscheinlichkeits- und Vari-
heit entwickelte sich in der Sowjetunion ationsrechnung (Jakob Bernoulli); wegwei-
der dialektische Materialismus („Diamat“), sende Arbeiten auf allen Gebieten durch
die nach dem Vorbild der Hegelschen Dia- Euler (1707–1783) und ↑ Gauß (1777–
lektik erweiterte monistische Weltanschau- 1855), mit dem auch die mehrdimensio-
ung des Kommunismus („Marxismus-Le- nale Geometrie begann, die von Lobat-
ninismus“, „Stalinismus“). schewskij, Bolyai und Riemann gefördert
Mathematik (griech. mathema, Wissen- und in der Mathematik der Relativitäts-
schaft), ursprüngl. Wissenschaft und Lehre theorie (Minkowski, Einstein) mit der An-
vom Rechnen mit Zahlen, heute Wissen- nahme des Weltraums als eines endlichen
schaft von den Zahl-, Lage- und Raum- gekrümmten Raum-Zeit-Kontinuums gip-
größen und von den Rechenoperationen; felte; im 20. Jh. Mengenlehre (Cantor), to-
bereits in ältesten Zeiten durch Ägypter polog. Geometrie (Poincaré), Grundlagen-
(Vermessen von Flächen und Berechnen forschung (Hilbert), Logistik (mathemat.
von Pyramiden), Babylonier (Sexagesimal- Logik: Freese, Whitehead, Russel); neueste
system mit der Grundeinheit 60), Mayas, Entwicklung: Elektronen-Rechenmaschi-
Inder und Chinesen (Vorausberechnung nen und „Logikmaschinen“.
astronom. Ereignisse) entwickelt; in Ägyp- Mathilde, Name von Herrscherinnen:
ten um 1600 v. Chr. (Papyrus Rhind) be- 1) M., dt. Königin, um 890–968; sächs.
reits ein Lehrbuch der M.; Entwicklung Grafentochter aus dem Geschlecht Wi-
zur Wissenschaft durch die Griechen, vor dukinds, 909 mit Heinrich (I.) vermählt;
allem Geometrie (Thales, Pythagoras, Pla- Mutter Ottos d. Gr., als Heilige verehrt.
ton, in der hellenistischen Zeit Euklid, 2) M., Markgräfin von Tuszien, 1046–

611
Mathy

1115; Tochter des Markgrafen Bonifaz von Rudolf II., ließ sich von ihm 1608 Mäh-
Tuszien (gest. 1069) und der Beatrix von ren, Ungarn und Österreich abtreten,
Lothringen, im Besitz vieler Eigentümer 1611 Böhmen; konnte sich im Reich nicht
und Reichslehen in Nord- und Mittelitalien durchsetzen, sicherte seinem Vetter Erz-
(„Mathildische Güter“); Anhängerin der herzog Ferdinand (II.) die Kaiserkrone.
kirchlichen Reformbewegung, selbstlose 2) M. I. Corvinus (der Große), König von
und verlässlichste Stütze der päpstl. Politik Ungarn (1458–1490); geb. 1443, Sohn des
im ↑ Investiturstreit, nahm Gregor VII. auf Johann Hunyadi, machte sich durch ein
ihrem Schloss Canossa auf, wurde 1077 Söldnerheer von der Lebensgefolgschaft
zur Vermittlerin zw. Heinrich IV. und dem unabhängig, vertrieb die Türken aus Bos-
Papst; verbunden durch (politische) Ehen nien, gewann im Kampf gegen den hussi-
1) mit Gottfried II. dem Buckligen von Lo­ tischen Böhmenkönig Podiebrad Mähren,
thringen; 2) 1089 in Scheinehe mit dem Schlesien und die Lausitz, führte Krieg
25 Jahre jüngeren päpstl. gesinnten Welf II. gegen den Polenkönig und gegen Kai-
(V.) von Bayern, dem Bruder Heinrichs des ser Friedrich III., dem er 1485 Wien ent-
Schwarzen. Schenkte (1078) ihr Eigengut riss; förderte Künste und Wissenschaften
der röm. Kurie zu Obereigentum, setzte (Gründung von Bibliotheken, Sammlung
später (1111) gezwungen König Hein- von altgriech. Kulturdenkmälern, Grün-
rich V. zum Erben ein; starb kinderlos; um dung der Universität Preßburg) und leitete
die „M.schen Güter“ entbrannte wegen der Reformen ein, die wegen seiner dauernden
unklaren Erbbestimmungen ein langwie- Kriege nicht ausreiften.
riger Streit zw. Kaiser und Papst. Mauerbrecher, in der Antike, im MA und
Mathy, Karl, Bad. Politiker, 1807–1868; in der frühen Neuzeit gegen Beschuss abge-
im Vormärz Führer der liberalen Opposi- sicherter Rammbock zur ­ Zertrümmerung
tion in der Bad. Kammer, 1848 gemäßigtes von Befestigungsmauern; Baumstämme
Mitglied der Paulskirche, 1864 Bad. Han- mit Eisenspitze, unter Schutz- und Brand-
delsminister, Anhänger der preuß. Lösung dach an die Mauern herangeschoben
der dt. Frage. („Widder“).
Matteotti, Giacomo, ital. Sozialistenfüh- Maulbronn, ehemalige Zisterzienserabtei
rer, 1885–1924; kündigte als Kammermit­ in Württemberg, urspr. in Eckenweiher
glied Enthüllungen über faschistische Kor- (nördl. Pforzheim) gegr. und 1147 nach
ruption an, wurde in einem Automobil ent­ Maulbronn (nördl. von Eckenweiher) ver-
führt und auf barbarische Weise ermordet legt, Muster einer vollständig erhaltenen
(Racheakt der Faschisten). Klosteranlage, in der sich die Entwick-
Matthäus, Evangelist, einer der zwölf Jün- lung der Baukunst von der Romanik bis
ger Jesu, zuvor Zolleinnehmer, wirkte nach zur Spätgotik spiegelt. – Im Bauernkrieg
Christi Tod als Apostel in entlegenen Ge- 1525 Verlust der Bibliothek; 1557/58 von
bieten und starb als Märtyrer; nach kath. Herzog Christoph aufgehoben und in eine
Überlieferung Verfasser des M.-Evangeli- ev. Schule zur Vorbereitung auf das The-
ums, das in den 50er Jahren n. Chr. ent- ologiestudium umgewandelt; 1564 M.er
stand und sich in Aramäisch an die Juden Disputation (Religionsgespräch) zwischen
richtete, um sie zu überzeugen, dass Chris­ württemberg. (luth.) und pfälz. (calvin.)
tus der im A. T. verheißene Messias gewe- Theologen; da Einigung scheiterte, wurde
sen sei (M.’ Attribut ist der Engel). die Trennung der dt. Calvinisten vom Lu-
Matthias, Name von Herrschern: 1) M., thertum endgültig.
dt. Kaiser (1612–1619); geb. 1557, re- Mauren, urspr. die Berberstämme ↑ Mau-
gierte seit 1606 für seinen Bruder, Kaiser retaniens, sie vermischten sich seit dem

612
Mauthausen

7. Jh. mit den arabischen Eroberern des zum Senegal zu schweren Unruhen, gleich-
Landes; der Name M. geht auf die seit zeitig verschärfte sich Konflikt zw. hellhäu-
711 von Nordafrika nach Spanien vor- tiger Maurenoberschicht und unterdrück­
dringenden Araber (oder Sarazenen) über ter schwarzer Minderheit. Anfang der 90er
(span. Moros); unter der Maurenherrschaft Jahre demokratische Reformen, 1991 neue
ist die Kultur der Iberischen Halbinsel der Verfassung, aber bis heute de facto keine
des übrigen Europas auf manchen Gebie- echte Mehrparteiendemokratie.
ten (Medizin, Mathematik, Astronomie) Maurikios I., Kaiser von Byzanz (582–
weit überlegen (Baukunst: Alhambra); der 602); verteidigte das Reich mit Erfolg ge-
Zerfall des Kalifats von Cordoba in Teil- gen Perser (591 Eroberungen in Persisch-
reiche begünstigte die christliche ↑ Recon- Armenien) und Awaren, suchte vergeblich
quista (Rückeroberung); nach dem Fall Italien den Langobarden zu entreißen;
von Granada 1492, ihres letzten Besitzes, durch einen Aufstand des Heeres (Phokas)
kehrten viele M. nach Nordafrika zurück, gestürzt und ermordet.
die Zurückbleibenden traten (äußerlich) Maurya-Reich (↑ Indien), 320–220 v. Chr.,
zum Christentum über und wurden als nach Alexanders Indienzug im Osten des
↑ Maranen oder Moriscos später zum über- Seleukidenreiches in Indien von Tschand-
wiegenden Teil vertrieben (als Herren des ragupta, einem ehemaligen Offizier Alexan-
Landes vertraten die M. selbst den Gedan- ders, unter Zusammenfassung vieler Fürs-
ken der Toleranz). tentümer gegr., umfasste N-Indien vom
Mauretanien, Staat im NW Afrikas am Arab. Meer bis zum Golf von Bengalen;
Atlantik; benannt nach den ↑ Mauren; im unter Kaiser ↑ Aschoka (272–231 v. Chr.),
Altertum die im Osten an Numidien gren- dem Enkel Tschandraguptas, fast ganz In-
zende röm. Provinz Mauretania; von Cäsar dien und Afghanistan umfassend, unter
unterworfen, 42 n. Chr. röm. Provinz und Aschoka von seiner Hauptstadt Patalipu-
geteilt in M. Tingitana mit Tingis (Tanger) tra aus buddhist. Missionierung auch in
und M. Cäsarienses mit Hauptstadt Cä- fremden Ländern, bes. auf Ceylon, das ein
sarea; seit 647 in der Gewalt der Araber; Brennpunkt des Buddhismus wird. Das
1903 frz. Protektorat, 1920 Kolonie in Frz. erste ind. Großreich wurde nach Aschokas
Westafrika; 1960 gegen den Widerspruch Tod Beute der über den Hindukusch aus
Marokkos souveräne „Islamische Republik N-Afghanistan einfallenden Baktrier.
M.“. 1970 Freundschaftsvertrag zw. M. Mausoleum (griech.), urspr. das Grabmal
und Marokko, in dem beide Staaten sich des Königs Mausolos, des pers. Satrapen
gegenseitige territoriale Integrität zusicher- von Karien (377–353 v. Chr.), bei Halikar-
ten. Annexion des südl. Teils der ehema- nassos, ausgeführt von griech. Architekten
ligen span. Westsahara (vgl. auch ↑ Ma- und Bildhauern, zählt zu den Sieben Welt-
rokko); polit. und militär. Konflikte mit wundern der Antike; später nannte man je-
der Befreiungsbewegung FPOLISARIO, des monumentale Grabmal M.
die auf diesen Teil der ehemals span. West- Mauthausen, nat.-soz. KZ; im Aug. 1938
sahara (auch auf den nördl. Teil) Anspruch rd. 20 km östl. von Linz errichtet, gegen
erhebt. 1979 Friedensvertrag zw. M. und Kriegsende befanden sich rd. 50 000 Häft-
der FPOLISARIO und polit. Anerkennung linge im Lager; die Gesamtzahl der in M.
von deren Ansprüchen, Rückzug aus der und seinen Nebenlagern ermordeten und
West-Sahara (daraufhin Annexion durch verstorbenen Menschen lässt sich nicht
Marokko). Innenpolit. Militärregierung, mehr genau feststellen, in den geführten
zahlreiche Putsche und Putschversuche; Totenbüchern sind rd. 71 000 Todesfälle
1989 führten Streitigkeiten an der Grenze vermerkt.

613
Mawrokordatos

Mawrokordatos, Alexandros Fürst, griech. Erbreich Spanien an das habsburg. Haus;


Politiker 1791–1865; war nach der Unab- erhob schließlich Habsburg zur Welt-
hängigkeitserklärung Griechenlands 1822 macht, zugleich Erbverbrüderung mit Un-
mehrfach Ministerpräsident und Gesand- garn und Böhmen; weniger glücklich in
ter, trug entscheidend zur Modernisierung seiner Auseinandersetzung mit Frankreich
des Landes bei. um den Besitz der ital. Halbinsel, in sei-
Max, Prinz von Baden, letzter Kanzler des ner Regierungszeit wurde die Schweiz fak-
dt. Kaiserreichs, 1867–1929; anfangs Ver- tisch reichsunabhängig; wenig Geschick
fechter des sogenannten „ethischen Im- in seinen Verhandlungen mit den Reichs-
perialismus“, 3. Okt. 1918 als Nachfolger ständen über eine sinnvolle Reichsreform
Hertlings Reichskanzler, machte am 5. Okt. (Ewiger Landfriede 1495, Reichskam-
1918 unter dem Druck der Obersten Hee- mergericht 1497, Reichskreise, Gemeiner
resleitung das dt. Waffenstillstandsangebot Pfennig [allg. Steuer]); M. durchaus volks-
auf der Grundlage der 14 Punkte Wilsons, tümlicher Herrscher, galt als „der letzte
erzwang am 26. Okt. die Entlassung Lu- Ritter“ und gleichzeitig als „der Vater der
dendorffs, suchte durch Verfassungsände- Landsknechte“. 2) M. II., Sohn und Nach-
rung (parlamentarische Regierungsform) folger Ferdinands I., 1527–1576; seit 1564
die Re­volution zu verhü­ten, drängte ge- Kaiser, stark zum Luthertum neigend, ge-
mäß Wilsons Forderung Wilhelm II. zur währte in seinen Erbländern Niederösterr.
Abdankung, übertrug bei Ausbruch der und Böhmen weitgehende Religionsfrei-
Revolution die Regierungsgeschäfte an den heit, kämpfte vergeblich gegen die gewalt-
Vorsitzender der SPD, Friedrich ↑ Ebert. sam durchgeführte Rekatholisierung Phi-
Maxentius, Marcus Aurelius ­ Valerius, lipps II. bes. in den Niederlanden an, er-
röm. Kaiser (306–312); Sohn des ↑ Maxi­ möglichte dem Reich über ein Jahrzehnt
mian(us), von den Prätorianern zum Au- hinaus polit. Ruhe und Frieden; seine
gustus erhoben, an der Milv. Brücke von Tochter Anna Gemahlin Philipps II. Bay-
seinem Mitkaiser ↑ Konstantin geschlagen, ern: 3) M. I., Kurfürst von Bayern, 1573–
ertrank auf der Flucht im Tiber. 1651; bedeutendster Reichsfürst z. Z. der
Maximian (Marcus Aurelius Valerius Gegenreformation, Herzog 1597–1623,
Maximianus Herculius), römischer ­Kaiser seit 1623 Kurfürst; Begründer der Rechts-
(285–305); Illyrer, zunächst Mitregent des einheit Bayerns (Codex Maximilianeus),
Diokletian, von diesem zum Cäsar und Vertreter unumschränkter Fürstengewalt,
Augustus erhoben, Herr der westl. Reichs- gründete 1609 die Kath. ↑ Liga; fühlte sich
hälfte (Residenz Mailand), erhielt bei der von Wallenstein in seiner Macht und sei-
Neugliederung (Tetrarchie) 293 Italien ner Einflusssphäre bedroht und bewirkte
und Afrika, dankte 305 zusammen mit bei Ferdinand II. W.s Absetzung; be-
Diokletian ab; endete 310 als Verschwörer wahrte durch Treue und Ausdauer Habs-
gegen seinen Schwiegersohn Konstantin in burg vor dem Zusammenbruch; Erbauer
Gallien. der Münchner Residenz. 4) M. II. Ema-
Maximilian, Name von Herrschern. Hl. nuel, Kurfürst von Bayern, 1662–1726;
Röm. Reich: 1) M. I., Sohn Friedrichs III., Sohn und seit 1679 Nachfolger Ferdinand
1459–1519; seit 1486 König und 1493 Marias, nahm 1683–1688 an den Türken-
Kaiser; gewann 1477 durch seine Heirat kriegen teil (1688 Erstürmung Belgrads);
mit Maria von Burgund (Tochter Karls 1691 Statthalter in den Niederlanden,
d. Kühnen) die Niederlande, brachte durch kämpfte im Span. Erbfolgekrieg auf Seiten
Vermählung seines Sohnes Philipp mit der Ludwigs XIV., zog 1703 nach Tirol, wurde
span. Erbtochter Johanna 1504 Krone und nach der Niederlage bei ↑ Höchstädt 1704

614
Maya

geächtet, musste fliehen, besaß aber die Rückzug der Franzosen schutzlos, wurde er
Neigung des Bayer. Volkes (Sendlinger auf Veranlassung des mexikan. Präsidenten
Bauernschlacht 1705); durfte schließlich Juarez 1867 erschossen.
1714 (Friede von Rastatt) nach Bayern Maximinus, Gajus Julius Verus, genannt
zurückkehren. 5) M. III. Joseph, Kurfürst M. Thrax (Thraker), als erster Germane
von Bayern, 1727–1777; seit 1745 Kur- 235 n. Chr. auf den röm. Kaiserthron er-
fürst, beendete die Auseinandersetzungen hoben; vormals röm. Statthalter am Rhein,
mit Österreich (Maria Theresia) durch drang durch geschickte Ausnutzung der
den Frieden von Füssen 1745, brach mit gegnerischen Taktik bis zur Elbe vor, wurde
dem königlichen Absolutismus und verhalf 238 n. Chr. wegen seiner Härte von seinen
Bayern durch Sparsamkeit und Pflege des Soldaten ermordet.
Rechtes (Kreittmayr) und der Wissenschaft Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung
(Gründung der Münchner Akademie der der Wissenschaften, Abk.: MPG, 1948 ge-
Wissenschaften 1759) zu Frieden und Auf- gründete dt. unabhängige Forschungs­gesell­
bau; mit ihm erlosch die Linie Ludwigs des schaft, Nachfolgeorganisation der 1911
Bayern; Nachfolger wurde ↑ Karl Theo- gegründeten ↑ Kaiser-Wilhelm-Gesell-
dor aus der Pfälzer Linie. 6) M. I. Joseph, schaft zur Förderung der Wissenschaften
1756–1825; seit 1799 Kurfürst und 1806 (KWG); juristischer Sitz ist in Berlin, Ver-
König; nach dem Frieden von Luneville waltungssitz in München. Dazu gehören
(1801) Bundesgenosse Frankreichs, ­erhielt 80 Max-­Planck-Institute. Zum Arbeitspro-
im Zuge der ↑ Mediatisierung und ↑ Säku- gramm gehören neben hauptsächlich na-
larisierung für Bayern die Bistümer Würz- turwiss. und technolog. auch geisteswiss.
burg, Bamberg, Augsburg, Freising, 13 Ab- Forschungsaufgaben. Die gemeinnützige
teien und 15 Städte in Schwaben und Fran- Organisation finanziert sich größtenteils
ken; 1806 nach dem Beitritt zum ↑ Rhein- aus staatlichen Mitteln.
bund mit Zustimmung Österreichs und Maya, altamerik., indianisches Kulturvolk,
Napoleons König von Bayern, unter seinem dessen Herkunft rätselhaft und umstritten
Minister ↑ Montgelas Umgestaltung der ist (man zählt 18 M.sprachen); seine neo-
inneren Verhältnisse Bayerns (Begründung lithische Steinzeitkultur (nur Steinwerk-
des modernen Staates); 1818 neue Ver- zeuge) ist bei den mittelamerik. die höchst­
fassung: Ausgangspunkt einer geordneten entwickelte, mit wahrscheinlicher Verbin-
staatl. Entwicklung. 7) M. II. Joseph, Kö- dung zur La Venta-Kultur im inneren Win-
nig von Bayern (1848–1864), geb. 1811, kel des Mexikan. Golfs (↑ Mexiko); bis
Sohn Ludwigs I., nach dessen Abdankung heute über 120 Ruinenplätze ermittelt und
1848 König, aktiver Vertreter der Trias­idee z. T. durchforscht. – Nach dem wechseln-
(Direktorium von Österreich, Preußen und den Siedlungsraum Einteilung in die M.
Bayern als Vertretung der deutschen Klein- des Hochlands und des „Zentralgebietes“
und Mittelstaaten), Gegner der preuß. (Peten) von Guatemala und die M. der
Unionspolitik, bemühte sich 1849 um eine Halbinsel Yucatán. Das klimatisch gemä-
Annäherung der dt. Fürsten und förderte ßigte Hochland und das „Zentralgebiet“
die verfassungsmäßige Neugestaltung Bay­ waren der Raum des „alten Reiches“ (um
erns sowie Kunst und Wissenschaften. – 300–etwa 900 n. Chr.), dem eine bis ins
Österreich: 8) M. Ferdinand Joseph, Erz- 4. Jh. v. Chr. zurückreichende archaische
herzog, 1832–1867; auf Betreiben Napole- Kulturstufe voranging; das „Alte Reich“
ons III. Kaiser von Mexiko (1864), konnte kein Einheitsstaat, sondern ein Nebenei-
sich aber in die fremden Verhältnisse nicht nander von oft konkurrierenden theokrat.
einfühlen; nach der Niederlage und dem regierten Territorien, deren Mittelpunkt

615
Mayer

mehrere blühende städt. Kultzentren in- baus der Mais, außerdem Baumwolle, Ta-
mitten weilerartiger Bauernsiedlungen wa- bak und Kakao; Ansätze zu einem größeren
ren (Ruinen El Baul, Guatemala, Copán staatlichen Zusammenschluss durch die
(Honduras, Quirigula, Tikal, Uaxactum, Liga (Bund) von Mayapän 11./12. Jh., der
Bonampak, Piedras Negas, Palenque); an- die Cocom (Hauptstadt Mayapán), die Xin
fangs kraftvoll geprägte Keramik noch (Stadt Uxmal) und die Itza (Stadt Chichén
ohne Töpferscheibe, aber auch schon ele- Itzá) angehörten; um 1200 Zerstörung von
gante Menschenfiguren in Ton; dann Aus- Mayapán und Vorherrschaft der M. von
bau der Städte mit ausgedehnten Tempel- Uxmal, die den nach dem Fall von Tulla
bezirken, Tempelpyramiden, Säulen und aus dem Hochland von ↑ Mexiko weichen­
Steinstelen mit astronomischen Angaben, den Tolteken Raum gaben; seitdem Über-
steinerne und keramische Rundplastiken, lagerung der M.-Kultur und -Kunst durch
wuchernde Fassadenplastik an Tempeln die krieger. toltek. Kultur; um diese Zeit –
und öffentlichen Gebäuden; Entwicklung Ende des „Neuen Reiches“ – errichteten die
einer (noch nicht restlos entzifferten) Bil- Cocom von Mayapán dank der Waffenhi-
derschrift, eines Rechensystems mit der lfe der Tolteken eine tyrannische Hegemo-
Zahl 20 als Grundzahl und der Null als nie im nördl. Yucatán und gewannen die
Rechenwert, der Sternkunde und Kalen- Oberherrschaft (Einführung des mexikan.
derwissenschaft. Hochblüte des „Alten Menschenopferkults); erst 1441 ­ gelang
Reiches“ und klassischer Maya-Kultur von den unterdrückten M.-Stämmen unter
730–900 n. Chr.; reiche Ornamentplastik, Führung der Xiu die Beseitigung der Tol-
jadegeschnitzte Kleinfiguren, farbige Texti- teken, Mayapán wurde zerstört, 1480 und
lien, farbenreiche Freskomalereien (in Bon- 1515 Dezimierung der M. durch Seuchen,
ampak), neue großartige Tempelstädte mit viele kehrten ins Hochland von Guatemala
Hochaltären, glatt gepflasterten Prozession­ zurück; auf Yucatán verfielen die meisten
straßen und Palästen. – Schon seit etwa Städte. Erste Berührung mit Euro­päern
600 n. Chr. erfolgte spärliche Besiedlung fand in 1502 statt, als Kolumbus ein M.-
der tropischen Halbinsel Yucatán am Golf Schiff sichtete; seit 1511 Feindseligkeiten
von Mexiko; nach 900 folgte der größte und langwierige Kämpfe mit den eindrin-
Teil der Hochland-M. in jahrzehntelangen genden Spaniern, 1524 Pedro de Alvarado
Schüben diesen Vorsiedlern, die Hoch- besetzte das Hochland, 1527–41 Spanier
landstädte verödeten; Ursache der Abwan- eroberten Yucatán; 1546 letzte große Auf-
derung, die 400 km weiter nach N. führte, stände, geleitet von der Priesterschaft, blu-
ist ungeklärt (Erschöpfung des Bodens? tig niedergeschlagen (Diego de Landa, seit
Dürreperioden?). Yucatán war Raum des 1558 Erzbischof von Yucatán, ließ die M-
„Neuen Reiches“ mit neuen Städten nach Dokumente verbrennen); ein letzter klei-
alten Plänen, doch weniger ­ monumental ner M.-Staat der Itzá hielt sich bis 1697.
(Ruinen in Rio Bec, Hochob, Labna, Sa- Mayer, Robert, Arzt und Physiker aus
yil, Uxmal, Kabath, Tulum, Mayapán, Heilbronn, 1814–1878; formulierte das
Chichén Itzá); die Kultur des „Neuen Rei- Gesetz der Erhaltung der Energie und das
ches“ war Nachblüte, doch auch jetzt ein- mechan. Wärmeäquivalent.
zigartige Bauschöpfungen und Bildwerke Mazarin (Mazarini), Jules, frz. Staats-
(„Renaissance“ der alten M.-Kunst); neben mann, ital. Abstammung (aus den Abruz-
den Fürsten und dem Adel vor allem be- zen), 1602–1661; Nuntius in Paris, seit
deutend die Klasse der schrift- und stern- 1641 Kardinal, Vertrauensmann und 1642
kundigen Priester; Volk von Bauern und Nachfolger Richelieus; leitete während der
Handwerkern; im Mittelpunkt des Acker- Minderjährigkeit Ludwigs XIV. als erster

616
Mazzini

Minister die Regierung, erfolgreicher Ver- Bulgariens im 2. Balkankrieg endete mit


fechter des Absolutismus gegen Hochadel dem gleichen Misserfolg wie 1915–1919;
und Parlament. Jugoslawien errichtete in dem seit dem
Mazedonien (Makedonien), das Herzland 2. Weltkrieg ihm zugesprochenen Teil Ma-
und strategische Schlüsselbastion des ↑ Bal- zedoniens 1945 die autonome „Mazedon.
kans, seit Mitte des 19. Jh. polit. „Pulver- Volksrepublik“. Ende der 80er Jahre, als
fass“, durch die Unabhängigkeitsbewegung sich der Zerfall Jugoslawiens abzeichnete,
seiner (national gemischten) Bevölkerung Einführung eines Mehrparteiensystems,
gegen die türk. Herrschaft und durch die 1991 Unabhängigkeitserklärung der „Re-
einander ausschließenden Ansprüche Bul- publika Makedonija“ (Namens- und Flag-
gariens, Griechenlands und Serbiens Herd genstreit mit Griechenland, das territoriale
ununterbrochener Konflikte, in die auch Ansprüche auf die griechische Region Ma-
die europ. Großmächte eingriffen; 1878 im kedonien befürchtete, 1993 Einigung, von
Frieden von San Stefano Bulgarien zuge- der UN als „Ehemalige jugoslawische Re-
sprochen, auf dem ↑ Berliner Kongress an publik Makedonien“ anerkannt). Wegen
die Türkei zurückgegeben; doch wachsende Spannungen zw. Makedoniern und der al-
Unruhe im Innern; 1893 wurde unter der ban. Minderheit (überwiegend in der Pro-
Parole „M. den Mazedoniern“ eine ge- vinz Illyria) seit 1993 Stationierung einer
heime Innere Mazedon. Revolutionäre Or- UN-Friedenstruppe, ab 1998 einer NATO-
ganisation (IMRO) gegründet, die die bul- Schutztruppe; dennoch wiederholt bewaff-
gar. Ansprüche und Interventionen ebenso nete Auseinandersetzungen zw. makedon.
ablehnte wie die der Serben und Griechen; Sicherheitskräften und alban. Extremisten.
die IMRO strebte ein autonomes M. in- Mai 2001 Bildung einer Regierung der
nerhalb einer Balkanföderation an; mit- „Nationalen Einheit“, der auch Mitgl. der
hilfe ihrer Miliz, den Komitadschi, machte alban. „Partei für Demokratischen Wohl-
sie sich praktisch zur Herrin des Landes, stand“ (PDP) angehörten. 2001 Selbstau-
1902/03 Aufstand, der niedergeschlagen flösung der alban. Befreiungs­armee UÇK;
wurde; Russland und Österreich verpflich- Verfassungsänderungen zugunsten der Al-
teten die Türkei zu Reformen; gleichwohl baner: Anerkennung der alban. Sprache
weiter anarch. Zustände. – Der um M. ge- als zweite Amtssprache, begrenzte lokale
führte 1. ↑ Balkankrieg (1912) endete mit Selbstverwaltung.
der Aufteilung des Landes unter Bulga- Mazeppa, Iwan Stepanowitsch, bedeu-
rien, Serbien und Griechenland; darüber tender ukrainischer Kosakenführer (Het-
kam es zum 2. Balkankrieg, in dem Bul- man) zur  Zeit des Nordischen Krieges. um
garien seinen Anteil bis auf ein Restgebiet 1640–1709; schloss sich 1708 an Karl XII.
an Serbien und Griechenland verlor; Bul- an, als dieser in der Ukraine Winterquar-
garien trat daher im 1. Weltkrieg auf die tiere bezog; nach der schwedischen Nieder-
Seite der Mittelmächte und besetzte ganz lage bei Poltawa starb M. auf der Flucht in
M., musste aber im Frieden von Neuilly Bender an Erschöpfung und wurde als gro-
1919 alles bis auf einen kleinen Grenz- ßer Wohltäter der Kirche in der Kathedrale
streifen wieder herausgeben. Die mazedon. in Galatz beigesetzt; seinen Landsleuten
Frage belastete weiterhin die Balkanpolitik galt er als Vorkämpfer der Freiheit.
(Ausweisung von über 100 000 bulgarien- Mazzini, Giuseppe, ital. Freiheitskämp-
freundlichen Mazedoniern; Wiedererste- fer, Berufsrevolutionär und „Carbonaro“,
hen der IMRO, Kette unübersichtlicher 1805–1872; gründete in Marseille 1832
innerer Machtkämpfe und zahlreicher po- den Geheimbund ↑ „Junges Italien“ mit
lit. Morde); der erneute Annexionsversuch dem Ziel der Errichtung einer ital. Repu-

617
McCarthy

blik gegen Österreich, Sardinien und den Oberherrschaft im 30-jährigen Krieg (Wal-
Papst und verfocht in der internationalen lenstein 1629, Gustav Adolf 1631) und
Geheimverbindung „Junges Europa“ 1834 z. Z. Napoleons (Rheinbund 1806–1813)
eine neue europ. Ordnung auf Grund des durch seine Landstände vereint, die an der
demokrat. nationalen Prinzips; Mitkämp- altständ. Verfassung bis 1918 festhielten
fer ↑ Garibaldis. (seit 1815 Großherzogtum); 1919/20 de-
McCarthy, 1) M., Joseph Raymond, mokrat. Verfassung für M.-Schwerin und
amerik. Politiker, 1909–1957; 1947–54 M.-Strelitz, 1934 zwangsweise vereint;
Senator für Wisconsin; als Vorsitzender nach 1945 um Vorpommern vergrößert,
eines Untersuchungsausschusses war M. Land der Dt. Demokrat. Republik (1952
1950–54 treibende Kraft einer antikom- aufgelöst und in 3 Bezirke gegliedert), seit
munist., nationalist. und antisemit. Vorur- 1990 Teil des Bundeslandes Mecklenburg-
teile auslösenden Verfolgungswelle („Mc- Vorpommern.
Carthyism“). Im Dez. 1954 rügte der Se- Meder, Indoiranier, Reitervolk, erstmalig
nat sein Vorgehen und löste ihn vom Aus- um 836 v. Chr. als sesshaft im Westiran in
schussvorsitz ab. 2) M., Eugene Joseph, assyrischen Inschriften erwähnt, Aufstieg
amerik. Politiker (Demokrat. Partei), geb. seit dem 8. Jh., Mitte 7. Jh. Abwehr der
1916; 1948–1958 Mitglied des Repräsen- eingebrochenen Skythen; stürzten (614–
tantenhauses, 1958–1971 Senator für Min- 612, ↑ Assur, Ninive) im Verein mit den
nesota; 1968 Nominierung zum Präsident- Babyloniern (Bund des Mederkönigs Kya­
schaftskandidaten, unterlag aber auf dem xares mit dem Chaldäer Nabupolassar) die
Parteitag dem Vizepräsidenten Humphrey. Assyrer, dehnten ihre Herrschaft bis ↑ Ly-
McCloy, John Jay, amerik. Politiker, 1895– dien aus (590–585 v. Chr.), wurden dann
1989; war 1947–1949 Präs. der Weltbank, aber am 28. Mai 585 v. Chr. (absolut siche­
1949–1952 amerik. Hoher Kommissar für res Datum, Sonnenfinsternis!) vom Lyder-
Deutschland, 1961–62 Sonderbeauftragter könig Alyattes am Halys geschlagen, Ha-
Präsident Kennedys für Abrüstungsfragen. lys wurde Grenze; schließlich wurden sie
McKinley, William, Präsident der USA 546 v. Chr. von den ↑ Persern besiegt, mit
(1897–1901); geb. 1843, Republikaner, denen sie verschmolzen; die Perser wurden
erklärte 1898 wegen ↑ Kuba Spanien den daher von den Griechen irrtüml. als Meder
Krieg und leitete damit den Aufstieg der bezeichnet.
USA zur Weltmacht ein; wurde von Anar- Mediatisierung (lat., mittelbar). Einbe-
chisten ermordet. ziehung reichsunmittelbarer Herrschaften,
Mecklenburg (benannt nach der Burg M. wie Reichsstädte, Reichsgrafschaften usw.,
südl. Wismar), schon früh von Germanen in größere Staatsverbände; ausgeführt
(Warnen) bewohnt, im 7. Jh. von wendi­ durch den Reichsdeputationshauptschluss
schen Stämmen (Abodriten und Liutizen) 1803; vergeblicher Versuch, das alte Reich
besiedelt, um 1160 von Heinrich dem durch Beseitigung der alten Lehensverfas-
Löwen kolonisiert und dem Christentum sung zu retten.
erschlossen; 1180–1227 unter dän. Ober- Medici, Fürsten von Florenz (1434–1737),
herrschaft (nach dem Sturz Heinrichs des bürgerlicher Herkunft, bedeutende Förde-
Löwen bis zur Schlacht von ↑ Bornhöved); rer der Kunst und Wissenschaft z. Z. der
unter Heinrich Burwy I. (gest. 1227), dem ital. Renaissance: 1) Giovanni de M., um
Sohn Pribislaws und Schwiegersohn Hein- 1400; Begründer des Reichtums und der
richs des Löwen, Ansiedlung Deutscher in Macht der M. 2) Cosimo der Alte, 1389–
neuen Dörfern und Städten; trotz verschie- 1464; Stifter der Platonischen Akademie,
dener Teilungen (1621, 1701) und fremder Förderer Brunelleschis, Donatellos und des

618
Medizin

ital. Humanismus. 3) Lorenzo il Magni- MA durch die Araber (im 9. Jh. Al Kindi,
fico, 1469–92; bedeutendster M., verhalf im 10. und 11. Jh. Rhazes und Avicenna);
Florenz zu höchster Blüte und förderte Bot- ihre Kenntnisse über Spanien nach Mittel-
ticelli und Michelangelo. 4) und 5) Päpste europa vermittelt (u. a. durch Konstantin
aus dem Hause M.: Leo X. (1513–1521); den Afrikaner, gest. 1087), vor allem in der
Sohn Lorenzos, großer Förderer der Kunst, Hohen Schule von Montpellier gepflegt,
und Klemens VII. (1523–34), Neffe Lo- aber auf dem Konzil von Tours 1163 durch
renzos. 6) ↑ Katharina und 7) ↑ Maria von das Verbot der Anatomie (Zerstörung des
M., Königinnen von Frankreich (↑ Flo- zur Auferstehung bestimmten Leibes) in
renz). ihrer Entwicklung gehemmt; Neuauf-
Medina, Oase und Stadt im Hedschas, schwung durch Kaiser Friedrich II. (Grün-
Saudi-Arabien; wichtigster Wallfahrtsort dung der medizin. Fakultät zu Salerno und
der Muslime nach Mekka, nahm Moham- Genehmigung von Sektionen), Mondini
med nach seiner Auswanderung aus Mekka (der 1315 entgegen dem erlassenen Verbot
auf. M. war die erste Stadt, die sich zum in Bologna menschliche Leichen sezierte)
Islam bekannte. und Karl VI. von Frankreich (im Edikt von
Medische Mauer, Befestigungswerk im 1385 wurde der Universität Montpellier
Norden Babyloniens, das zwischen Eu- erlaubt, pro Jahr eine Leiche zu sezieren);
phrat und Tigris das Land gegen Meder 1404 in Wien durch Marsilius Galliati von
und Skythen sichern sollte; durch Kö- Padua in ihrer anatomischen Untergliede-
nig Nebukadnezar II. zwischen 605 und rung als Lehrfach eingeführt, in dem Werk
562 v. Chr. erbaut. des Andreas Vesalius wiss. niedergelegt und
Medizin (Heilkunde), bei den ältesten von Fallopia (gest. 1562) und Eustachio
Völkern meist Geheimwissenschaft (Ma- (gest. 1574) als moderne Anatomie be-
gie) der Priester, bei den Griechen vor- gründet. Weitere Förderung der M. durch
wiegend in den Tempeln des Asklepios ge- die Schule des ↑ Paracelsus (gest. 1541);
pflegt; erste wiss. Grundlegung und Befrei- Beginn der Physiologie mit William Har-
ung von Vorurteilen im 5. Jh. v. Chr. durch vey (1578–1657), der den Blutkreislauf er-
↑ Hippokrates; eine aufkommende Zweig- forschte; naturnahe M. von Thomas Syden-
richtung, die Anatomie, vor allem im Zeit- ham (1624–1689) gepflegt; allg. wiss. Ent-
alter des Hellenismus in Alexandrien von wicklung, Sammlung von Erfahrungen
Erasistratos (um 260 v. Chr.) und ↑ Hero- und fortschrittliche Forschungsarbeit wäh-
philos (um 300 v. Chr.) ausgeübt; Samm- rend der ↑ Aufklärung; in der Folge Ausbil-
lung prakt. Erfahrungen durch die em- dung, Entwicklung der Spezialkenntnisse
pir. Schule 280 v. Chr., theoretische Pflege und Unterabteilungen der Medizin: Er-
durch die methodische Schule, begründet forschung der Einflüsse der äußeren Reize
von ↑ Asklepiades von Bithymen, unter auf das Leben (John Brown 1735–1788),
Führung Themisons von Laodikeia (Syrien, Begründung der Homöopathie (Samuel
1. Jh. v. Chr.), rühmlich angewandt durch Hahnemann 1755–1843), Förderung der
den röm. Arzt. ↑ Celsus (30 v.–38 n. Chr.); allg. Anatomie (Bichat 1801), Begründung
im 1. Jh. n. Chr. traf die eklekt. Schule (So- der Bakteriologie (↑ Pasteur 1862 und Ro-
ranus u. a.) eine Auswahl der bisherigen bert ↑ Koch 1890) und der Röntgenologie
Erfahrungen und Theorien; das medizin. (Röntgen, seit 1895); im 20. Jh. mächtige
Wissen der Zeit schließlich systematisch Entwicklung der Biochemie (Vitamine,
zusammengefasst von dem letzten großen Hormone, Fermente) und der Chemo-
Arzt der Antike ↑ Galenos (200 n. Chr.). – therapie (begründet von ↑ Ehrlich; neuer-
Fortbildung und Überlieferung der M. im dings u. a. Sulfonamide und Antibiotika);

619
Meerengenabkommen

in den 70er Jahren gewann die Röntgeno­ Mongolenfürsten ↑ Timur das Reich wie-
logie (technisch verfeinerte und ­ausgebaute der her. 2) M. II. (1451–1481); durch die
Strahlenkunde) an Bedeutung für Dia- Eroberung ↑ Konstantinopels 1453 Wen-
gnose und Therapie. dung in der Geschichte des Abendlandes:
Meerengenabkommen, Bezeichnung für Ende des Oström. (Byzantin.) Reiches, Ab-
den 1936 zw. Großbritannien, Frankreich, riegelung Europas nach Osten, Anbruch
Japan, der UdSSR, Türkei, Bulgarien, Ru- des Zeitalters der Entdeckungen durch die
mänien, Griechenland und Jugoslawien in notwendige Erforschung eines Seeweges
Montreux geschlossenen Vertrag über die nach Indien. 3) M. IV. (1645–1683); Sohn
Durchfahrtsrechte durch Bosporus und und Nachfolger Ibrahims, gest. 1687; un-
Dardanellen; das M. übertrug alle Hoheits- ter seiner Herrschaft erlitten die Türken die
rechte auf die Türkei. entscheidende Niederlage vor Wien 1683.
Megalith-Kultur (Megalithikum), ­ Kultur 4) M. Ali (1769–1849) erhielt nach Un-
der sogeannten „Großgräberleute“, d. h. terwerfung der oberen Nilländer (1820–
nicht mit Einzel-, sondern mit Familien- 22) die erbliche türk. Statthalterschaft über
oder Sippengräbern, in der Jungsteinzeit. Ägypten und begründete die moderne Ent-
Dass sich die M.-K. Ende des 4. Jh. vom wicklung ↑ Ägyptens.
Osten des Mittelmeerraumes (Syrien, Pa- Meidschi-Reformen, jap. Reformen der
lästina) allmählich über das ganze Mittel- Meidschi-Ära 1868–1911/12; setzten den
meer (Griechenland, Italien, Sardinien, Kaiser wieder als Regierungsspitze ein,
Sizilien, Malta) verbreitet habe, dann sollten Japan den Anschluss an die moder-
über N- und O-Afrika bis zum Sudan, nen europ. Industrienationen sichern.
über Frankreich, die Bretagne, Deutsch- Meier, im MA Bez. für einen Verwaltungs-
land, England, Irland, Skandinavien, über beamten, der im Auftrag des Grundherrn
Kleinasien, Arabien, den Kaukasus, Iran, die abhängigen Bauernstellen beaufsichti-
Indien, Indonesien, China bis zum Stil- gte und deren Abgaben einzog; der M. be-
len Ozean, ist Hypothese; das Aufkommen wirtschaftete den Fronhof.
von Großgräbern deutet auf eine Abwand- Meile (von milliarium [lapis milliaris], Mei-
lung in der Todesvorstellung des Menschen lenstein, der alle 1 000 Schritte auf den rö-
hin; der Tote lebte weiter, er vermochte als mischen Fernstraßen stand); röm. Meile =
Schutzgeist oder störend in die Welt der 1480 m; dt. Meile = 7420 m; engl. Meile =
Lebenden hineinzuwirken; deshalb gab 1609,3 m; Seemeile (nautische M.) =
man den Ahnen, die zurückkehren konn- 60. Teil eines Meridiangrades = 1852 m.
ten (im Traum), kostbare Grabbeigaben Meir, Golda, israelische Politikerin, 1898–
mit und hielt durch Opfer mit ihnen in 1978; seit 1923 in der israelischen Gewerk-
dem zugänglichen Grab Kontakt; manche schaft tätig, 1949–1956 Ministerin für Ar-
Forscher nennen diese Vorstellungen „erste beit und soziale Sicherheit, 1956–1965
Weltreligion“ und bringen ihre Verbreitung Außenministerin, 1969–1974 als Nachfol-
mit dem Beginn der Hochseeschifffahrt in gerin ↑ Eschkols israelische Ministerpräsi-
Verbindung (dokumentiert in skandinav., dentin.
oberägypt., chines. Felszeichnungen). Meißen, 1) Kreisstadt im Bezirk Dres-
Megerle, ↑ Abraham a Santa Clara. den; entstand aus der Siedlung Misni unter
Mehemed (Mohammed), Sultane in der der 929 von König Heinrich I. gegr. Burg.
Türkei: 1) M. I. (1413–1421); musste 2) Bistum, 968 unter Kaiser Otto d. Gr.
nach der Niederlage seines Vaters bei An- errichtet, 1581 als Folge der Reformation
gora (1402) die Oberherrschaft der Mon- aufgehoben, 1921 neugegr., wurde 1980 in
golen anerkennen, stellte nach dem Tod des Bistum Dresden-M. umbenannt.

620
Memphis

Meißnerformel, von der Freidt. Jugend Melos (Milo), griech. Insel, einst zum Kre-
1913 auf dem Hohen Meißner formulierte terreich gehörig, Fundstätte der „Venus
programmat. Erklärung; die darin enthal- von Milo“ (Aphroditestatue).
tenen Absichten wurden Grundlage für die Memelland, Bez. für den nördlich der
gesamte bünd. Jugend. Memel und der Ruß gelegenen Teil Ost-
Mekka, heilige Stadt des ↑ Islam in Süd- preußens; wurde 1919 im Versailler-Ver-
arabien, als Markt der Wüstenstämme trag an die Alliierten abgetreten und von
schon im 2. Jh. n. Chr. bekannt, Geburts- frz. Truppen besetzt, 1923 von Litauen an-
stadt Mohammeds (geb. 571 n. Chr.); 630 nektiert, die Nationalsozialisten erzwangen
Ausgangspunkt des Islam, seit dem 16. Jh. 1939 die Rückgabe des Gebietes; 1944/45
unter türk. Herrschaft; 1926–1932 Regie- räumte der größte Teil der Bevölkerung das
rungssitz des arab. Königreichs Hedschas M., das im Jan. 1945 der 1944 konstituier-
(↑ Kaaba, Islam, Mohammed). ten Sozialist. Sowjetrepublik Litauen ange-
Mélac, Ezechiel Graf von, frz. General; schlossen wurde.
1689 Feldmarschall, verwüstete im Auf- Memminger Artikel, ↑ Zwölf Artikel.
trag Ludwigs XIV. 1689 die Pfalz, brannte Memnonsäulen, 18 m hohe ­ Sitzstatuen
Mannheim und Heidelberg nieder; fiel bei des ägyptischen Pharaos Amenhotep
Malplaquet 1709. (Ame­nophis) III., 1380 v. Chr. erbaut; im
Melanchthon (Schwarzerd), Philipp, dt. 1. Jh. v. Chr. ihrer Herkunft nach verkannt
Reformator und Humanist, Theologe und und fälschlich als Darstellungen des sagen-
Pädagoge („Praeceptor Germaniae“ ge- haften Helden Memnon gedeutet; beim
nannt), 1497–1560; 1514 Magister, 1518 Erdbeben 27 v. Chr. wurde einer der Ko-
Prof. zu Wittenberg, Freund Luthers und losse beschädigt und brüchig; früher er-
sein Gehilfe; gab der neuen Lehre die wis- tönte angeblich bei Sonnenaufgang ein
senschaftliche Grundlage durch Einbezie- melodischer „Gesang“, der viele Touristen
hung aristotel. und ciceron. philosoph. Ge- anzog; erst nach einer Restaurierung ver-
danken, verfasste die erste Kirchenordnung stummte die tönende Statue.
des Protestantismus; in der Gnaden-, Frei- Memoiren, schriftliche Erinnerungen (per­
heits- und Abendmahlslehre zum Teil von sönliche Eindrücke, Erlebnisse), Denkwür­
Luther abweichend; Beihilfe zu Luthers digkeiten bedeutender Menschen, zugleich
Bibelübersetzung; suchte zw. Lutheranern Kommentare zur Zeitgeschichte und als
und Calvinisten zu vermitteln, verfasste Geschichtsquellen wertvoll; im Mittel-
u. a. die „Augsburger Apologie“; Herausge- punkt steht die Selbstdarstellung: in der An-
ber röm. und griech. Klassiker. tike u. a. Xenophon, Cäsar, im MA Marco
Melbourne, William Lamb., Viscount, Polo, Eberhard Windekke; in Frankreich
1779–1848; brit. Staatsmann und Berater aus dem 13. Jh. Geoffroy de Villehardouin;
der Königin Victoria; anfangs Anhänger zahlreiche M. aus den Revolutionsjahren
der ↑ Tories, dann anerkannter Führer der bis zu Napoleon; in Deutschland aus äl-
↑ Whigs, Vertreter einer gemäßigten Parla- terer Zeit berühmt die M. des Götz von
mentsreform; leitete 1834 und 1835–1841 Berlichingen, aus neuerer Zeit die Fried-
die brit. Staatsgeschäfte. richs des Großen und Otto von Bismarcks
Melissos, griech. Philosoph von der Insel („Gedanken und Erinnerungen“).
Samos, Schüler des Parmenides, lebte um Memphis (Weiße Burg), altägypt., Haupt-
440 v. Chr.; vertrat mit den Eleaten die An- stadt am Nil an der Spitze des Deltas süd-
schauung, dass das Sein und nicht das Wer- lich von Kairo, wurde um 2850 v. Chr. zum
den das beherrschende Prinzip der Welt sei; kulturellen und religiösen Mittelpunkt
Vater der Dialektik. Ägyptens; später hinter Theben zurück-

621
Mendel

tretend; seit 525 Sitz der pers. Statthalter, Krieg gegen Italien (1895/96) und stellte
in der Römerzeit neben Alexandria volk- durch den Sieg von Adua die Unabhängig-
reichste Stadt des Niltals; Niedergang seit keit wieder her; wirtsch. Aufschwung des
dem 4. Jh. n. Chr., Abwanderung der Be- Landes durch industrielle Entwicklung.
völkerung im MA; Trümmerstätte; bedeu- Menenius Agrippa, nach der Überliefe-
tend durch die Toten- und Pyramidenstadt rung röm. Patrizier, vermittelte in der Aus-
Sakkara. einandersetzung zw. den Plebejern und
Mendel, Gregor, Augustinerabt in Brünn, dem Senat 496 v. Chr. und bewegte die
Naturwissenschaftler, 1822–1884; gewann Plebejer gegen das Zugeständnis des Volks-
aufgrund von Kreuzungsversuchen an Erb- tribunats zur Rückkehr in die Stadt (Fabel
sen, Bohnen und Habichtskräutern Ein- von dem Streit zw. dem Körper und dem
blick in die Gesetze der Vererbung und Magen).
wurde zum Begründer der modernen Ver- Menes, sagenhafter erster ägypt. König,
erbungslehre; seine Forschungen erst um wahrer Name vermutlich Narmer, galt als
1900 durch Correns, Tschermak und de Begründer des „Alten Reiches“ durch die
Vries in ihrer Tragweite erkannt und wei- Vereinigung Unter- und Oberägyptens
terentwickelt („Mendelsche Regeln“). und die Eroberung des gesamten Nildeltas;
Mendelejew, Dimitrij Iwanowitsch, Che- angeblich Gründer der Stadt ↑ Memphis.
miker aus Tobolsk, Prof. in Petersburg, Menno Simons, dt. täuferischer Theologe,
1834–1907; entdeckte 1869 unabhängig 1496–1561; urspr. kath. Geistlicher, un-
von Lothar Meyer das Periodische System ter dem Einfluss der Gedanken Wiclifs,
der Elemente. stellte in enger Anlehnung an die Bergpre-
Mendelssohn, Moses, philosoph. Schrift- digt eigene Grundsätze auf, die den von
steller der Aufklärung, 1729–1786; be- ihm gegr. Mennonitengemeinden ihre re-
müht um die wissenschaftliche Bildung ligiöse Richtlinien gaben: schlichtes Leben
und Gleichberechtigung des ↑ Judentums, nach der Bibel, Ablehnung des Krieges und
im geistigen Austausch mit Lessing, Kant, Eides, ausschließlich Erwachsenentaufe;
Nicolai, Herder, Hamann; vertrat Toleranz heute in USA, Kanada, Mexiko, Paraguay
und die Idee vom „Glück durch Humani- und in Europa zahlreiche Gemeinden.
tät“; formsicherer Stilist und bedeutender Menschenrechte, im Sinne des Natur-
Übersetzer alttestamentarischer Schriften. rechts die angeborenen, natürlichen, un-
Mendoza, 1) M., Antonio de, erfolg- veräußerlichen Freiheitsrechte, die dem
reicher span. Kolonialpolitiker, um 1490– Einzelnen als Individuum der öffentlichen
1552; Nachfolger von Cortés, 1536 ers- Gewalt, dem Staat gegenüber zustehen; sie
ter Vizekönig von Mexiko (Neuspanien), fordern ein menschenwürdiges, freies Da-
dann 2. Vizekönig von Peru; erleichterte sein des Einzelnen, unter Berücksichtigung
die Lebensverhältnisse der Eingeborenen der für den Bestand der Gesellschaft, des
(Indianer); gest. in Lima. 2) M., Don Pe- Staates notwendigen Einschränkungen
dro, unternahm 1534 auf eigene Kosten (durch positive Gesetze, Staatsformen
Entdeckungsreise nach Paraguay, befuhr usw.); von der Aufklärung im Geist der
den La Plata-Strom und gründete 1535 in Naturrechtsgrundgesetze des MA (Got-
Argentinien Buenos Aires. teskindschaft) und des 16. und 17. Jh.
Menelik II. (Menilek), Kaiser von ↑ Äthio- gefordert; Ansätze bereits in der ↑ Magna
pien, 1844–1913; 1865 König von Schoa, Charta von 1215; der ↑ Habeas-Corpus-
1889 mit Unterstützung Italiens Kaiser, Akte 1679 und der ↑ Bill of Rights 1689
schloss Vertrag mit Italien, das Protektorat in England, deutlicher in der Verfassung
beanspruchte, kündigte den Vertrag, führte von Virginia in den USA 1776; 1776 auf

622
Merian

dem Kontinentalkongress in Philadel- Weltkarte in winkeltreuer Projektion (Mer-


phia erstmals konkret formuliert und in catorprojektion) an, die den Seefahrern die
der Frz. Revolution in die „Erklärung der genaue Festlegung und Verfolgung der
Menschen- und Bürgerrechte“ (Freiheit, Kursrichtung ermöglichte; gab Himmels-,
Gleichheit, Brüderlichkeit) von 1789 auf- Erd- und Seekarten und Himmelskugeln
genommen; klass. Formulierung durch heraus; gest. als Kosmograf des Herzogs
Talleyrand: „Alle Menschen sind gleich; es von Jülich in Duisburg (↑ Landkarten).
gibt unter ihnen nur den einzigen Unter- Mercier, Desire, Kardinal, 1851–1926;
schied des persönlichen Verdienstes. Die seit 1906 Erzbischof von Mecheln, philo-
Auszeichnungen, die eine Stellung, ein sophischer Vertreter der Neuscholastik und
Amt mit sich bringen, sind zufällig und vo- Sozialpolitiker, trat im 1. Weltkrieg für
rübergehend, jeder hat ein Anrecht darauf, die Rechte des besetzten Belgien ein und
sie zu erringen. Das Volk ist die Quelle der wurde zum Nationalhelden; bemühte sich
gesamten polit. Gewalt, ihm allein gebührt um die Vereinigung der anglikan. Hochkir-
die Souveränität; was das Volk will, ist Ge- che mit Rom (Mechelner Unionsgespräche
setz, und nichts kann Gesetz sein ohne sei- 1921–1925).
nen Willen. Da das ganze Volk diese Sou- Mercy, 1) M., Franz Freiherr von, Gene-
veränität nicht ausüben kann, so wählt es ral im 30-jährigen Krieg, 1590–1645; aus
seine Vertreter, die im Namen des Volkes Lothringen, in bayer., kaiserlichen und lo-
uneingeschränkte Gewalt haben.“ Die theo­ thring. Diensten, 1643 Feldmarschall, fiel
retischen Auseinandersetzungen um die bei Allenheim (Nördlingen). 2) M., Flori-
M., die in ihrem Umfang umstritten blie- mund Claudius Graf von, Enkel von 1),
ben, setzten sich in den Verfassungskämp- kaiserlicher Feldherr, 1733 Generalfeld-
fen des 19. Jh. fort (↑ Grundrechte). marschall, mehrfach gegen die Türken er-
Menschewiki (von russ. menschinstwo, folgreich, Eroberer Siziliens, fiel bei Parma
Minderheit), die Anhänger der gemäßigten 1734.
Richtung in der sozialdemokratischen Par- Merenphtah, ägypt. Pharao der 19. Dy-
tei Russlands bis zum Sieg des ↑ Bolsche- nastie, Nachfolger des großen Ramses II.;
wismus. unter M. verließen die Israeliten Ägypten
Menschikow, Alexander Danilowitsch, und griffen um 1200 v. Chr. indogerman.
russ. Fürst, Feldmarschall, 1673–1729; ↑ Seevölker das Delta an.
stieg aus bescheidenen Verhältnissen auf, Merian, 1) M., Matthäus, der Altere,
machte sich durch erfolgreiche Kriegs- Kupferstecher, 1593–1650; geb. in Basel,
züge verdient und begleitete Peter d. Gr. seit 1634 in Frankfurt/Main., bedeutend
nach Westeuropa; einflussreich unter Pe- durch seine kunst- und kulturgeschicht-
ter d. Gr. und Katharina I., leitete für den lich unschätzbaren dt. und ausländische
minderjährigen Peter II. die Regierungsge- Städtebilder (z. T. in Zusammenarbeit mit
schäfte, wurde 1727 gestürzt und nach Si- Zeder, Frankfurt), lieferte Bildbeiträge zu
birien verbannt. mehreren großen Geschichtswerken (Mit-
Mentuhotep II., ägypt. Pharao der 11. Dy- arbeit am „Theatrum Europaeum“, dem
nastie, um 2000 v. Chr.; eroberte Nord­ Bilddokument zum 30-jährigen Krieg); die
ägypten und verhalf dem erneut geeinten Reihe seiner Städtebilder wurde nach sei-
Gesamtägypten mit der Hauptstadt The- nem Tod von seinen Söhnen Matthäus M.
ben (Karnak-Luxor) zu kultureller Blüte. d. J. und Kaspar M. fortgesetzt. 2) M., Ma-
Mercator (Kremer), Gerhard, flandrischer ria Sibylla, Tochter von 1), 1647–1717;
Geograf und Kupferstecher im Dienst berühmt durch naturgeschichtliche und
Karls V., 1512–1594; fertigte 1569 eine naturbeschreibende Tafelwerke.

623
Merkantilismus

Merkantilismus (Merkantilsystem; abge- Arbeitskräfte, Erziehung zur Arbeitsamkeit


leitet von lat. mercari, Handel treiben), und bes. eine aktive „Peuplierungs-“, d. h.
von Adam Smith geprägter Begriff zur Bevölkerungspolitik (Kinderprämien; Auf-
Kennzeichnung des von ihm bekämpften nahme von Emigranten, z. B. der Hugenot-
Wirtschaftssystems des 16.–18. Jh., in ten in Brandenburg; Berufung von Sied-
dessen Mittelpunkt der Handel als allei- lern, eine Folge davon die „zweite Ostkolo-
nige Quelle von Reichtum und Wohlfahrt nisation“). Die Ausprägung des M. war in
stand; in Deutschland von den ↑ Kame- den einzelnen Staaten verschieden, als sein
ralisten vertreten, von Friedrich ↑ List als berümtester Vertreter galt ↑ Colbert (Col-
„Industriesystem“ bezeichnet. – Der M. bertismus), praktisch waren alle bedeu-
war die Reglementswirtschaft des sich seit tenden Herrscher des 17./18. Jh. Merkan-
dem 16. Jh. konsolidierenden modernen tilisten (Cromwell, Peter d. Gr., Friedrich
Territorialstaats mit zentralisierter Verwal- d. Gr., Maria Theresia). – In der 2. Hälfte
tung, Berufsbeamtentum und stehendem des 18. Jh. wurde der M. vom ↑ physiokrat.
Heer; die damit verbundene Steigerung des System und radikal vom Wirtschaftslibe-
Geldbedarfs (Ausgaben für Sold, Bewaff- ralismus verdrängt, der seinerseits in der
nung, Uniformierung, Festungsbau usw.) 2. Hälfte des 19. Jh. dem sog. „Neo-M.“
verstärkte sich durch die Luxusansprü- (Etatismus) weichen musste (Hochschutz-
che an den Höfen der absolutist. Fürsten zollgesetzgebung, Subventionierung der
(„Klein-Versailles-Bauten“ fast überall in Exportindustrie).
Europa im 17. Jh.), doch traten neben diese Merowinger (Name abgeleitet von Me-
auf Entfaltung der fürstlichen Macht ge- rovech), ältestes fränk. Königsgeschlecht;
richteten Tendenzen die Ideale des „Wohl- erster bekannter M. um 430 Chlodjo; der
fahrtsstaates“, von Staats wegen Sicherung M. ↑ Chlodwig (482–511) begründete
der „Nahrung“ für alle Untertanen; der das ↑ Frankenreich; blutige Bruderzwiste
M. knüpfte daher einerseits an die Wirt- im Herrscherhaus (Höhepunkt 584 unter
schaftsreglementierung der städt. Obrig- ↑ Fredegunde und ↑ Brunhilde) ermögli-
keiten im MA an, erweiterte sie aber nicht chten den ↑ Hausmeiern den machtpolit.
nur räumlich, sondern wandte sich z. B. Aufstieg; als ihr erfolgreichster Vertreter
auch der bisher sich selbst überlassenen wurde Pippin II. der Mittlere, Hausmeier
Landwirtschaft zu. – Zu den auf Geldbe- von Austrasien, durch seinen Sieg über
schaffung zielenden Maßnahmen gehörten den Hausmeier von Neustrien bei Tertry
Ausbau des Steuer- und Zollsystems, Stei- 687 zum tatsächlichen Herrn des Gesamt­
gerung der Edelmetall-(bes. Silber-)förde- reiches (Beginn der Arnulfinger-Karolin-
rung, daneben zweifelhafte Experimente ger-Herrschaft).
mit abenteuerlichen „Goldmachern“ (↑ Al- Mersen (Meerssen) bei Maastricht; Vertrag
chemie) und die Notenbankgründung von von M. 870: Lotharingien wurde nach dem
John ↑ Law; im gleichen Sinne bemühte Tod Lothars II. aufgeteilt, Karl d. Kahle er-
man sich um aktive Handelsbilanz durch hielt die Westhälfte, Ludwig der Deutsche
Drosselung der Einfuhr (bes. von Luxus- den Ostteil mit Aachen und Metz und den
waren) und Erhöhung der Ausfuhr (bes. größeren Teil Frieslands.
von veredelten Fertigwaren); Steuerauf- Merwan, Kalifen: 1) M. I. aus der Dynas-
kommen wie Exporthandel konnten nur tie der Omaijaden (684/85 n. Chr.); rettete
bei gleichzeitiger Stärkung der produktiven das Kalifenreich vor drohendem Zerfall.
Kräfte in der Gesamtwirtschaft wachsen; 2) M. II. aus der Dynastie der Omaijaden
auf dieser Linie lagen die Gründung von (744–750 n. Chr.); befriedete und befes­
↑ Manufakturen, Beschaffung landwirtsch. tigte das Kalifenreich; nach seiner Nieder-

624
Mesopotamien

lage am Fluss Zab (750) und seinem Tod ornamenten (Strichelung, abstrakte Ritz-
auf der Flucht nach Ägypten ging das Kali- oder Schachbrettmuster), zu gleicher Zeit
fat auf die ↑ Abbasiden über. in Ostspanien Felszeichnungen mit bogen-
Mesolithikum (griech., meson, mittel, bewaffneten Jägern, Frauen in weitschwin-
griech.-lat. lithikum, Steinzeit), Mittel- genden Röcken und Jagdgetier; kult. Tanz-
steinzeit, die Zeit nach dem Ende der Ver- masken und Kopfaufsätze aus Hirschschä-
eisung, auf das ↑ Paläolithikum folgend; deln; Bestattungsplätze in der Nähe der
in Europa von etwa 8000 bis Ende des Siedlungen; die Toten in gestreckter Lage
5. Jt. v. Chr.: entscheidend die Erwärmung oder in Hockstellung mit Waffen und Ge-
zum gemäßigten Klima (um 8000 Präbo- rät als Grabbeigaben und oftmals Totem-
real, um 7000 Boreal, um 5000 Atlanti- pfählen als Grabmal. – Das M. außerhalb
kum = starke Erwärmung) und das dadurch Europas: 10000–4000 v. Chr. in Ägypten
ermöglichte Vordringen des Waldes in die und Mesopotamien; in der gleichen Zeit
frühere, spätaltsteinzeitliche Steppe und die in Nordafrika (Capsien: Felsmalerei, Stein-
eisfrei gewordenen nördl. Gebiete; nachei- mühlen, Steinmesser); in Palästina (Na-
nander Bewaldung durch Birke und Kiefer, toufien: Statuetten, Sicheln, Harpunen,
Eichenmischwald (Eiche, Erle, Ulme, Ha- Kultur von ↑ Jericho: Töpferei, Hausbau,
sel), Buche, Fichte; gleichzeitig nach Ver- bemalte Lehmböden); 4000–2000 v. Chr.
schwinden eiszeitlicher Tiere (Mammut, im Vorderen Orient (Ghasullien- und Me-
Ren) Einwanderung der Tierwelt des ge- giddu-Kultur: Freskenmalerei, Kanalbau,
mischten Klimas (Ur, Hirsch, Reh, Wild- erste Verwendung von Kupfer, erste stadt-
schwein, Rotfuchs, Fischotter) und Ände- ähnliche Siedlungen).
rung der Jagdtechnik (die nomadisierende Mesopotamien (griech. he mese ton po-
Steppenjagd wurde zur Standwildjagd); tamon chora, Mittelland der Ströme),
im Gegensatz zu Vorderasien noch kaum Zwischenstromland; im engeren Sinne
Ackerbau und ganz selten Haustierhal- die Ebene zw. Mittel-Euphrat und Mit-
tung. Das reiche Vorhandensein von Holz tel-Tigris, im weiteren Sinne („Zweistrom-
änderte auch das Handwerksgerät; Auf- land“) das ganze Euphrat- und Tigrisgebiet
kommen des in Hirschgeweihstücke oder (ohne den Stromoberlauf im armen. Ge-
Holz geschäfteten Steinbeils zum Baumfäl- birge) als Völker-, Staaten- und Kultur-
len, hölzerne Behälter, Schlitten; die zahl- raum, etwa 350 000 km2 umfassend, meist
reichen Seen der Moränenlandschaft stei- waldloses Steppenland mit Steppen- und
gerten den Fischfang mit Reusen, bastge- Sandwüs­ten und natürlichen oder künst-
flochtenen Netzen, Fischspeeren; an der lich geschaffenen Oasen, Kerngebiet Vor-
Küste neben Fisch- auch Muschelnahrung derasiens; Umgrenzung: im Osten Ge-
(Muschelschalenhaufen erhalten); die aus birgsmauern des Iran, im Süden Pers. Golf
dem Süden vordringenden neuen Volks- und nordarab. Wüste, im Westen Syrien,
gruppen brachten das Schlagfeuerzeug mit Kleinasien, im Norden mesopotam. Wüste
(Schwefelkies, Flint, Baumschwamm); cha- und armen. Gebirge; neben dem Nil- und
rakteristisch Schneide- und Schlagwerk- Industal früheste Stätte des Aufstiegs der
zeug und Waffen mit winzigen, geformten, Menschheit zur Höhe geschichtlicher Zivi-
eingekitteten Feuersteinsplittern (Mikro- lisation; der NW Ober-M.s wurde erst seit
lithen); Unterkünfte besonders an den Seen etwa 2 000 von einem histor. deutlicher
und Flüssen in Schilf- oder Holzhütten, hervortretenden Volk besiedelt, den aus
unter Schutzdächern, im Gebirge in Höh- Aserbeidschan (Churrum) einbrechenden
len; um 7000 Paddel-Einbäume; um 6000 Churritern, die einen großräumigen Staat
erste gebrannte Tontöpfe, später mit Zier- im Norden gründeten und ihre Sprache,

625
Messalina

das Churritische, in Keilschrifttexten vere- Messkirch (Mößkirch), Stadt bei Kon-


wigten; 1450–1350 bestand hier das Reich stanz in Baden; bekannt durch den Sieg
der ↑ Mitanni, das im Neupers. Reich auf- der Franzosen unter Moreau über die Ös-
ging; Hauptschauplatz der mesopotam. terreicher (1800).
Geschichte war jedoch ↑ Babylonien. Metallikum, Bez. für die Hauptstufen der
Messalina, Valeria, Tochter des Konsuls Metallkulturen nach der steinzeitlichen
Marcus Valerius Messale, 3. Gemahlin des Kupferzeit, dem Chalkolithikum: 1) das
Kaisers Claudius, Mutter des Britannicus; Früh-M. um 1800 bis um 800 v. Chr., es
berüchtigt wegen ihrer Zügellosigkeit und entspricht der ↑ Bronzezeit und wird un-
Günstlingswirtschaft; 48 n. Chr. auf Anwei­ tergliedert in Früh-M. I um 1800 bis um
sung des Claudius hingerichtet. 1500, Früh-M. II um 1500 bis um 1300,
Messe, 1) seit dem 4. Jh. Bezeichnung für Früh-M. III um 1300 bis um 800. 2) das
liturg. Feiern, benannt nach der „Entlas- Mittel-M., um 800 bis um 500–400, ent-
sung“ der Gläubigen. 2) in regelmäßigem spricht der Älteren Eisenzeit (↑ Hallstatt-
Turnus am selben Ort stattfindende Schau- Zeit). 3) das Spät-M., um 500–400 bis in
veranstaltung mit Marktcharakter, auf der die frühe röm. Kaiserzeit, entspricht der
sich Wirtschaftszweige präsentieren; im jüngsten Eisenzeit (↑ Latene-Kultur).
11. Jh. entstanden aus in Verbindung mit Metauro (Metaurus), mittelital. Fluss ent-
Kirchenfesten abgehaltenen Warenmessen, lang der Via Flaminia; bekannt durch den
die reinen Tauschcharakter besaßen und Sieg der Römer Marcus Livius und Gaius
deren Besucher unter dem Schutz des Kö- Claudius Nero 207 v. Chr. über Hasdrubal,
nigs und der Kirche standen; als erste dt. der Hannibal nach Italien gefolgt war und
Städte erhielten Frankfurt/Main 1240 und in der Schlacht (bei Sena Gallica) den Tod
Leipzig 1268 M.-Privilegien; im 19. Jh. er- fand (↑ Pun. Kriege).
folgte der Übergang von der Waren- zur Metaxas, Ioannis, griech. General und
Mustermesse. Politiker, 1871–1941; 1915–17 Chef des
Messenien, Landschaft im SW der griech. Generalstabs; 1917–1920 im Exil, ebenso
Halbinsel Peloponnes, heute als Messenia 1923 nach misslungenem Militärputsch;
griech. Provinz; um 700 v. Chr. von den 1928–1936 mehrmals Minister; seit
Spartanern in den ↑ Messen. Kriegen (740– April 1936 Ministerpräsident mit diktator.
720, 660–640, 464–455 v. Chr.) erobert, Vollmachten; 1938 zum Regierungschef
Teilauswanderung der Messener nach Ita- auf Lebenszeit ernannt. M. stand 1940 an
lien (Gründung von Messina); die Zurück- der Spitze des griech. Widerstandes gegen
gebliebenen wurden zu Heloten; nach dem den ital. Vormarsch.
Fall Spartas (370 Gründung der Stadt Mes- Metellus, röm. Plebejergeschlecht: 1) M.,
sene mit den Resten der Bevölkerung. Quintus Cäcilius Macedonicus, 143–
Messenische Kriege, ↑ Messenien; der 142 v. Chr. Konsul, 115 gest.; siegreiche
M. K. von 464–455 v. Chr. bildete den Feldzüge nach Makedonien, Griechenland,
Auftakt zum ersten ↑ Peloponnes. Krieg Spanien; rief 175 v. Chr. griech. Baumeister
(457–451 v. Chr.). nach Rom. 2) M., Quintus Cäcilius Nu-
Messina, Hauptstadt der Provinz M., Ita- midicus, Feldherr gegen ↑ Jugurtha 109–
lien; im 8. Jh. v. Chr. als griech. Kolonie 107 v. Chr.; 100 verbannt.
gegr., 396 v. Chr. von den Karthagern zer- Methodisten, eine aus der anglikanischen
stört, 831 von den Arabern, 1061 von den Hochkirche hervorgegangene Religionsge-
Normannen erobert, im 15. Jh. unter span. meinschaft mit protestant. Lehrgut; 1729
Herrschaft; 1908 zu 90 % bei einem Erd- gegr. von John Wesley (1703–1791) und
beben zerstört. Georg Whitfield, seit der Generalkonfe-

626
Mexiko

renz 1744 Gründung der „Internationalen die Ideen der Frz. Revolution sowie alle
methodist. Gesellschaft“; 1947 Zusammen­ liberalen Strömungen (Karlsbader Be-
fassung der versch. Gemeinden (größte schlüsse 1819); ausschlaggebender Staats-
Ausbreitung in Amerika); allg. Hilfsbereit- mann bei der Neuordnung Europas nach
schaft (Heilsarmee) und umfassende Mis- 1815 (Wiener Kongress); bedacht auf gutes
sionstätigkeit. Einvernehmen im Dreibund Österreich,
Methuenvertrag, von dem brit. Gesand- Preußen und Russland (Hl. Allianz), aber
ten Methuen 1703 mit Portugal abge- auch auf das „gerechte Gleichgewicht“ der
schlossener Handelsvertrag, der einen gere- Mitte (Österreich und Preußen als Mittel-
gelten Warenaustausch zw. beiden Ländern staaten); Ausgleich der nationalen Interes-
ermöglichen sollte, für Portugal die Gefahr sen durch Kongresse der führenden Staats-
der Abhängigkeit mit sich brachte und da- männer (Aachen 1818, Troppau 1820,
her 1836 aufgehoben wurde. Laibach 1821, Verona 1822), konzen-
Metöken (griech., Mitbewohner), die un- trierte die österr. Macht auf den Osten und
ter Gemeindeschutz wohnenden Fremden war leitender Kopf des österr. Vielvölker-
Athens; bezahlten ein jährliches Schutz- staates; durch die Wiener Revolution von
geld; hatten kein Mitbestimmungsrecht in 1848 zum Rücktritt gezwungen; später als
Gemeindeangelegenheiten, dagegen volle Berater Franz Josephs nochmals von polit.
Kriegsdienstpflicht. Einfluss; starb (mehr abgelehnt als in seiner
Metropolen (griech.), Mutter(Haupt- Bedeutung gewürdigt) in Wien. – Gegen-
)städte: die Weltstädte der Antike, von de- über der völligen Verurteilung als Politi-
nen aus viele Kolonien gegründet wurden; ker durch Stein, Pertz, Gervinus, Droysen,
zu den M. des 6. Jh. n. Chr. zählten u. a. Treitschke, Zwiedineck-Südenhorst steht
Rom, Byzanz, Alexandria, Antiochia und die sachlichere Beurteilung durch On-
Jerusalem. cken, Delbrück, Lenz, Fournier und eine
Metropoliten, in der altchristl. Kirche die Revision des M.-Bildes durch Srbik 1926,
Bischöfe der fünf Metropolen (Mutter- der, die Innenpolitik M.s ablehnend, seine
städte) des Römerimperiums: Rom, By- Leistung für die Sicherung des allg. Frie-
zanz, Alexandria, Antiochia und Jerusalem; dens (nach dem „Weltkrieg“ Napoleons)
später die mit Pallium und Kreuz ausge- und die Erhaltung des ständig bedrohten
zeichneten Erzbischöfe, die den Suffragan- europ. Gleichgewichts hervorhob.
bischöfen übergeordnet waren. Mexiko, mittelamerik. Bundesstaat, prä-
Metternich, Klemens Wenzeslaus Lothar sidiale Republik mit 29 Einzelstaaten; in
Nepomuk Graf von, seit 1813 Fürst von vorkolumb. Zeit im Raum M. (viermal
M.-Winneburg, 1773–1859; geb. in Ko- so groß wie Spanien) außer der Kultur
blenz, Studium in Straßburg und Mainz; des ↑ Maya-Reiches von Yucatán bedeu-
führender österr. Staatsmann z. Z. der tende indian. Hochkulturen, die in ihren
Restauration, gewandter Diplomat, ent- archa­ischen Vorstufen bis rd. 1500 v. Chr.
stammte einem rhein. Adelsgeschlecht, ge- nachweisbar sind. Ältester Menschenfund
langte vom Gesandten- (1801–1809) und aus der Zeit von 10 000 bis 8000 v. Chr.
Außenministerposten (1809–1821) ins (Skelett von Tepexpán); Ackerbau seit etwa
Staatskanzleramt (1821–1848) der österr. 2000 v. Chr.; im Westen am Pazifik die ar-
Monarchie; letzter entschiedener Reprä- chaische Kultur von Colima und Nayarit
sentant und Verfechter der überlieferten (um 600 n. Chr.) mit lebensvollen Tonfi-
Regierungsfarmen (legitime Monarchie, guren; im Süden ebenfalls am Pazifik, in
aufgeklärter ↑ Absolutismus) und der tra- der Provinz Oaxaca, die Kultur der Zapo-
ditionellen Rechtsordnung, bekämpfte teken (1. Jh. n. Chr.) mit dem Kulturzen-

627
Mexiko

trum Monte Albán; große Wandgemälde falls aus dem Norden kommenden Chi-
in Grabkammern, bizarre tönerne Grab- chimeken, unter ihnen der indian. Stamm
gefäße mit dem Jaguar-Gott, ­ Steinreliefs der Azteken, die 1370 auf der Insel des
(„Fries der Tanzenden“); die zapotek. Kul- Mexiko-Sees die Tempel-, Palast- und Re-
tur wurde um 1000 von den Mixteken sidenzstadt Tenochtitlán (= Mexiko-City)
z. T. übernommen. Im Osten an der At- gegründet und das ganze Hochtal unter-
lantikseite, am Golf von Mexiko, die Ta- worfen haben; erster aztek. König Itzcoatl;
jin-Kultur im Staat Vera Cruz (seit dem die Großstadt Tenochtitlán wurde mithilfe
5. Jh. n. Chr.); Stufenpyramiden mit Ni- der Tributzahlungen großartig ausgebaut
schenfassaden, kult. Ballspielplätzen und mit Tempeln vieler Götter, u. a. Kult des
Ballspielerplastiken und Menschenopfer- einst wiederkehrenden Quetzalcoatl; rei-
darstellungen; an der südl. Golfküste die che Figurenplastik, Türkismosaiken, Gold-
reiche La Venta-Kultur, zurückgehend bis arbeiten, farben- und motivreiche Bilder-
ins 6. Jh. v. Chr.; um 1200 n. Chr. von der handschriften mit mytholog. und histor.
Olmeken-Kultur abgelöst; reife Jade- und Inhalt; Künstler aus Cholula bestimmten
Nephrit-Kleinplastiken mit ­maskenartigen das Kunstschaffen im Reich der Azteken;
„ostasiat.“ Gesichtern. Der bedeutendste bis 1525 von ↑ Cortés unterworfen (letzter
Kulturkreis war der des Hochtals von Me- König Montezuma); die Politik der Erobe-
xiko mit Mexico City als Mittelpunkt; hier rer vernichtete die alte Kultur und unter-
schon seit 1500 v. Chr. archaische Kul- band die nationalstaatliche Entwicklung.
turen mit Feldbau und Töpferei; in der – M. wurde 1533 spanisches Vizekönig-
Nähe von Mexiko-Stadt früheste Großar- reich Neuspanien, von hier aus Angliede-
chitektur (Rundpyramide von Cuicuilco, rung von Texas, Neumexiko, Kalifornien;
3. Jh. n. Chr.) und zahlreiche Tonfiguren; Vorherrschaft des Großgrundbesitzes, Ver-
vom 3.–9. Jh. n. Chr. hier die Kultur von elendung der India­ner und Mestizen; Aus-
Teotihuacan mit der Sonnenpyramide beutung des Silberreichtums durch Spa-
(220 mal 220 mal 60 m) und anderen Groß- nien; seit Beginn des 19. Jh. Aufstände
pyramiden; hervorragende Steinbearbei- und Selbständigkeitsbestrebungen; 1821
tung (kult. Steinmasken); Tempel des weiß- Abschüttlung der spanischen Fremdherr-
gesichtigen Priesterkönigs Quetzalcoatl schaft (unter Führung Iturbides, der bis
mit phantast. Kopfplastiken, vielfigurigen 1824 als Kaiser Augustin I. regierte); 1824
Wandgemälden (Fruchtbarkeitssymbole), Annahme einer republikanischen Verfas-
bemalte Keramik; vom 5.–7. Jh. n. Chr. be- sung nach dem Vorbild der USA, trotzdem
einflusste die Tajin-Kultur ganz Mexiko; anarchischer Zustände und anhaltende
im 9./10. Jh. gewaltsames Ende durch den Eingriffe von außen (USA, Napoleon III.,
Einfall der siegreichen Tolteken aus dem Kaiser ↑ Maximilian); 1836 Verlust von Te-
Norden. 856 Gründung ihrer Hauptstadt xas und Zersplitterung und Bürgerkriege;
Tulla mit reich geschmückten Steinbau- Beginn sozialer Reformen zuerst durch Be-
werken, deren Gebälk von Atlanten getra­ nito Juarez (bis 1872) und durch den Dik-
gen wurde; Adler und Jaguare als Fassaden­ tator Porfirio Diaz (1876–1910), der mit
schmuck, Darstellung von heroischen ausländ. Kapital die Wirtschaft zu heben
Kriegstaten; Wissenschaft der Kalenderbe- suchte; nach dessen Sturz 1911 wieder Un-
rechnung; um 1000 n. Chr. soll der Pries­ ruhen bis zur Festlegung einer neuen, ar-
terkönig Quetzalcoatl nach Yucatán aus- beiterfreundlichen Verfassung (1917) mit
gewandert sein, wo sein Kult in der Maya­ dem Ziel der Lösung vom Einfluss fremden
stadt Chichén Itzá sichtbar wurde; um Kapitals und der eigenen Auswertung der
1168 Zerstörung von Tulla durch die eben- Bodenschätze; 1924 radikale Enteignung

628
Michelsberger Kultur

des Großgrundbesitzes; 1924–28 Kultur- Michael, oström. Kaiser: 1) M. I., Rhan-


kampf gegen den Einfluss der kath. Kir- gabe (811–813); beseitigte 811 n. Chr. als
che; 1938 Enteignung aller ausländ. Erd- Großmeister des Palastes den legitimen
ölgesellschaften; starker Aufschwung durch Herrscher, erkannte das abendländ. Kai-
die Kriegswirtschaft im 2. Weltkrieg; 1946 sertum Karls d. Gr. an, um einen Rück-
neues ­ Sozialprogramm und weiterer Aus- halt gegen die Bulgaren zu finden; wegen
bau der Industrie dank der Wirtschafts- der Ränke seiner herrschsüchtigen Gattin
hilfe der Vereinigten ­Staaten und der Sow- Prokopia von den empörten Truppen ab-
jetunion. 1965 unter Präsident Diaz Ordaz gesetzt, ging 813 ins Kloster. 2) M. II., der
(1964–1971) Aufnahme diplomat. Bezie- Stammler, (820–829), erst byzantin. Feld-
hungen zu Kuba, 1970 wurde Echeverria herr, wurde von Kaiser Leo V., dem Arme-
Alvarez Präsident von M. Ihm folgte 1976 nier, wegen Hochverrats ins Gefängnis ge-
J. López-Portillo y Pacheco. 1979 erfolgte worfen und zum Tode verurteilt; befreit,
eine polit. Reform, die zum ersten Mal folgte er 820 dem von Vendoriem ermor-
Linksparteien zuließ. Damit entwickelte deten Leo V. auf den Thron, bekämpfte
Mexiko sein polit. System mehr in Rich- entschieden den Bilderdienst, machte By-
tung westl. Demokratievorstellungen. In zanz zu einer Stätte der Wissenschaften
den 1970er Jahren Entdeckung neuer Erd- und Künste. 3) M. III., der Trunkenbold
öllagerstätten, daher umfangreiche Inves­ (842–867); Enkel von 2), seit 842 unter
titionen, die auf ausländischen Krediten Vormundschaft seiner Mutter Theodora
basierten. Anfang der 1980er Jahre durch Kaiser, verhalf der Orthodoxie durch Aus-
Verfall der Weltmarktpreise für Rohöl rottung der Bilderstürmer zum Sieg (843
schwere Einbußen für Mexikos Wirtschaft, Ende des seit 726 wütenden ↑ Bilderstreits)
die auch rigoroses Sparprogramm nicht be- und zu breiter Missionstätigkeit; von Basi-
seitigen konnte. 1994 im Bundesstaat Chi- lios, den er großzügig begünstigte und zum
apa Aufstand linksgerichteter Indios (Za- Mitkaiser erhoben hatte, 867 ermordet.
patistische Befreiungsfront EZLN, kurz 4) M. VIII. (1259–1282); erst Kaiser des
Zapatisten), die soziale Verbesserungen selbständigen byzantin. Teilreiches Nizäa,
und die rechtliche Gleichstellung der in- machte 1261 mit der Eroberung Konstan-
dianischen Ureinwohner forderten. Re- tinopels dem ↑ Lateinischen Kaisertum ein
gierung schlug den Aufstand mit Waffen- Ende, gründete die bedeutende Dynastie
gewalt nieder, der Konflikt schwelte aber der Paläologen und stellte das ↑ Byzanti-
weiter. Verfassungsänderung 1996 veran- nische Reich vor der endgültigen Auflö-
kerte das Selbstbestimmungsrecht der In- sung nochmals in großartigem Umfang
dios und die Anerkennung ihrer Sprachen, wieder her.
daraufhin Waffenstillstandsabkommen. Michelsberger Kultur, einer der mittel-
1997 erneutes Aufflammen der Unruhen. und westeuropäischen Kulturkreise des
Im selben Jahr verlor die seit den 1930er Neolithikums (Jungsteinzeit), um 2000–
Jahren fast ununterbrochen regierende 1600 v. Chr., benannt nach M. in Baden,
PRI (Partido Revolucionario Institucio- Hauptverbreitungsgebiet Rheintal von Ba­
nal) erstmals ihre Parlamentsmehrheit; im sel bis Köln; verwandt mit der Pfahlbaukul-
Dez. 2000 Wahl Vicente Fox Quesadas von tur im Bodensee und Alpenvorland; Land-
der bürgerlichen Partei der Nationalen Ak- pfahlbauten auf Höhen, Fluchtbur­­gen;
tion (PAN) zum neuen Staatspräsidenten, in der Keramik: einfache Fässervasen mit
Abzug der Regierungstruppen aus der Pro- Spitzboden; charakterisierende Leitform:
vinz Chiapas und Bemühungen um einen ein wenig verziertes, in spitzer Form zulau-
Friedensschluss mit den Zapatisten. fendes Tongefäß, der sog. ­Tulpenbecher.

629
Micoquien

Micoquien, Kulturstufe der Altsteinzeit Miki, Takeo, jap. Politiker, 1907–1988; seit
(↑ Paläolithikum), benannt nach der Fund- 1947 mehrfach Minister, 1966–68 Außen-
stätte La Micoque (Dordogne, Südfrank- minister, 1974–76 Ministerpräsident.
reich), mit typischen Faustkeilen, die meist Miklas, Wilhelm, österr. Politiker, 1872–
dicken Griffwulst hatten und dolchartig 1956; österr. Bundespräsident 1928–1938,
spitz ausliefen, daneben Feuersteinspitzen, trat 1938 zurück, weil er sich zur Unter-
-schaben -bohrer; dem ↑ Acheuleen ver- zeichnung des Anschlusspaktes (Deutsch-
wandte Mischkultur, die auf Wanderungen land-Österreich) nicht berechtigt fühlte.
von Jägervölkern hindeutet; verbreitet in Mikojan, 1) M., Anastas Iwanowitsch,
N- und Mitteleuropa, Palästina, Syrien, sowjet. Politiker armen. Herkunft, 1895–
Indien, Afrika. 1978; enger Mitarbeiter Stalins, 1935–
Midas (assyr. Mita), sagenumwobener Kö- 1966 Mitglied des Politbüros der KPdSU,
nig der thrak. Phryger, brachte die See- 1955–1964 einer der 1. stellvertretenden
herrschaft im Ägäischen Meer für kurze Ministerpräsidenten, 1964–65 Vorsitzen-
Zeit an ↑ Phrygien, wurde in wechselreiche der des Präsidiums des Obersten Sowjets.
Kämpfe mit den Assyrern (Sargon II.) ver- 2) M., Artjom Iwanowitsch, sowjet. Flug-
wickelt, gab sich selbst den Tod; zählte zu zeugkonstrukteur, Bruder von 1), 1905–
den Stiftern des Apolloheiligtums in Del- 1970; konstruierte gemeinsam mit M. I.
phi und lebte in der griech. Sage als wun- Gurewitsch 1939/40 das Jagdflugzeug
dersame Gestalt fort, die alles Berührte in MiG 1 (Mikojan-Gurewitsch).
Gold verwandelte. Milan I. Obrenovic, König von Serbien,
Mieszko (Miseko), poln. Fürsten: 1) M. I., 1854–1901, seit 1868 Fürst; erlangte nach
Gründer des poln. Fürstengeschlechtes der dem Russ.Türk. Krieg die volle Unabhän-
Piasten (um 960–992), normann. Her- gigkeit Serbiens, bedeutenden Gebietszu-
kunft; wurde 963 vom Markgrafen Gero wachs und 1882 die Erhebung Serbiens
an der mittleren Elbe unterworfen und zum Königreich, dessen Führung er unter
zur Zinszahlung an Kaiser Otto I. für das Druck innenpolit. Gegnerschaft 1889 sei-
Land zw. Oder und Warthe verpflichtet; nem Sohn Alexander überlassen musste;
Taufe 966; errichtete 968 das Missions- 1900 ausgewiesen.
bistum Posen und trat in den Kreis der Milet, Stadt an der Westküste Kleinasiens,
christl. Fürsten des Abendlandes; 983 ge- bedeutendste der 12 ionischen Kolonien,
meinsamer dt.-poln. Kriegszug gegen die 494 v. Chr. von den Persern zerstört und
Wenden. 2) M. II., (1025–1034); Zerfall unter pers. Oberhoheit; 412 v. Chr. ver-
der poln. Machtstellung, die Boleslav I. geblicher Ansturm der Athener; Geburts-
begründet hatte: Revolution, Verlust Pom- ort der Philosophen Thales, Anaximander,
merns, der Lausitz und anderer Gebiete. Anaximenes.
Miguel, Dom, Usurpator Portugals, Sohn Militärgrenze (in der bes. Bedeutung
König Johannes’ VI. und Bruder Kaiser von ↑ Mark, Grenzmark), österr. Schutz-
Pedros I. von Brasilien, 1802–1866; besei- zone gegen die Türkeneinfälle, zw. Adriat.
tigte 1824 als Leiter einer Verschwörung Meer und Siebenbürgen; seit dem 16. Jh.
die Verfassung und setzte sich 1828 an die durch Ansiedlung von privilegierten, aus
Spitze der Regierung; musste wegen seiner türk. Hoheitsgebiet geflüchteten Serben
absolutist. Herrschaftsansprüche abdanken und „Grenzern“ gesichert; Verleihung von
und 1834 zugunsten seines aus Brasilien Land- und Steuerfreiheit, Staatszuschüsse
zurückgekehrten Bruders Pedro auf den für Befestigungsanlagen, dagegen Ver-
Thron verzichten; ging nach Deutschland pflichtung zum Grenzschutz; Oberkom-
ins Exil. mando in der Hand des Erzherzogs Karl II.

630
Minoriten

(1564–1590), der Innerösterreich, Steier- Milton, John, engl. Schriftseller, 1608–74;


mark, Kärnten, Krain, Triest und Istrien Propagandist der Pressefreiheit, gegen reli-
– mit Residenz in Graz – innehatte; dort giöse Unduldsamkeit, unter Cromwell Se-
seit 1578 selbständiger Hofkriegsrat; neue kretär des Staatsrats, Verteidiger der „an-
Festung Karlstadt in Kroatien. 1851 wurde geborenen Freiheit des Volkes“; sein Epos
die M. als eigenes Kronland von Ungarn „The paradise lost“ (1667) gehört der Welt-
losgelöst, die siebenbürg. M. mit Ungarn literatur an.
vereinigt; 1873 Aufhebung. Milvische Brücke (Pons Milvius), Tiber-
Militärtribunen (Tribuni militum), in der brücke in Rom oberhalb der Engelsburg;
römische Republik Stabsoffiziere, meist aus Sieg ↑ Konstantins d. Gr. über Maxentius
dem Ritterstand, Kommandeure der Legio­ 312 n. Chr.; Schlacht zw. dem Gotenkönig
nen (je sechs), wurden von den Konsuln Witigis und dem byzantin. Feldherrn Beli-
bestimmt oder vom Volk gewählt; teilten sar 539 n. Chr.
sich in das Kommando und wechselten alle Mine (griech. Mna, akkadisch manu), Be-
zwei Monate ab; seit Cäsar ging das Kom- zeichnung für die älteste Gewichts- und
mando der Legion auf die Legaten über, Rechnungsmünzeinheit im Orient (seit
die M. wurden so zu Leitern der Militär- dem 7. Jh. v. Chr.); griech. M. = 60 Drach-
kanzlei. men; 60 M.n = 1 Talent.
Mill, 1) M., James, brit. Historiker und Ministerialen (von lat. minister, Diener,
Psychologe, 1773–1836; Vertreter der auf Dienstmann), im MA Beamte, die im un-
Erfahrung (Gefühl) aufgebauten Psycholo- mittelbaren Dienst eines Herrn standen
gie und Verfasser einer Geschichte Brit.-In- und bestimmte Aufgaben zu erfüllen hat-
diens. 2) M., John Stuart, brit. Philosoph ten; man nannte sie „vassi ad ministerium“
und Nationalökonom, 1806–73; Sohn von oder „ministeriales“; M. waren u. a. der
1), im brit. Kolonialdienst (Indien), dann Truchseß, der Marschall, der Mundschenk
Parlamentarier; in seinen volkswirtsch. und der Kämmerer im persönlichen Dienst
Ideen an Ricardo und A. ↑ Smith anknüp- am Königshof oder in der Hofverwaltung
fend, für humanitäre Ethik im Wirtschafts- eines Herrn; die M. waren Unfreie in eh-
leben; Verfechter eines gemäßigten Sozia- renvoller Stellung, seltener Freie; soweit
lismus; als Philosoph sah er in der Erfah- sie unfrei waren, war ihre Freizügigkeit be-
rung den zuverlässigsten Ausgangspunkt schränkt, sie konnten mitsamt dem Hof-
aller Erkenntnis; neben ↑ Comte Haupt- gut veräußert oder getauscht werden; der
vertreter des Positivismus. Herr übernahm die Vertretung bei Ge-
Milner, Alfred Viscount, brit. Politiker, richt; durch Hofdienst, Beamtendienst
1854–1925; war 1897 Oberkommissar für und Kriegsdienst errangen sie im Laufe
Südafrika und Gouverneur, hatte großen der Zeit Privilegien, erhielten Dienstlehen,
Einfluss auf den Ausbruch des Buren- die auch Edelleute in ihren Stand führten;
krieges, 1918/19 Kriegsminister, 1919– durch Angleichung an den Geburtsadel
1921 Kolonialminister. entwickelten sich die M. zum Lehensadel
Miltiades, athen. Feldherr und Staats- und freien Ritterstand. – Bedeutende Rolle
mann, um 540–um 489; Sohn des Kimon, als Stütze des Königtums gegen dt. Terri-
aus altem Adel, einer der zehn Strategen in torialherren seit Konrad II. und besonders
Athen, Sieger von ↑ Marathon 490 v. Chr., unter den Staufern.
Misserfolg im Rachefeldzug gegen die ab- Minoische Kultur, ↑ Kreta.
trünnigen Inseln bei Paros; wurde zur Be- Minoriten (von lat. fratres minorum, min-
zahlung des Feldzuges verurteilt und starb dere Brüder), Zweig der Franziskaner, die
angeblich im Gefängnis. sog. schwarzen F.; in der Regierungszeit

631
Mitios

Ludwigs des Bayern von großem Einfluss Missus (mittellat., Gesandter), unter den
auf die Auseinandersetzung zw. dem Kaiser Karolingern der Königsbote, der im Auf-
und Papst Johann XXII. trag des Königs die Provinzen bereiste
Mitios, sagenhafter König auf ↑ Kreta, und die Verwaltung kontrollierte; sein
vermutlich auf einen histor. Herrscher zu- amtlicher Titel „Minnas dominicus“ oder
rückgehend, der um 1400 v. Chr. in Knos- „Minnas regis“; die Königsboten waren
sos residierte und als Schöpfer einer bedeu- mit weitreichenden Vollmachten ausge-
tenden Seemacht und einer umfassenden stattet und durch dreifaches ↑ Wergeld
Gesetzgebung galt. geschützt; durch die Schaffung der Missi
Mir, Bez. für die russ. bäuerliche Dorf- gelang es Karl d. Gr., das gesamte Reichs-
bzw. Landgemeinde als Gesamtheit und als gebiet unter eine streng zusammenfassende
Körperschaft; nach der Bauernbefreiung Ordnung zu bringen; die Amtstätigkeit der
1861 noch feste Institution, wurde der M. M. erstreckte sich auf ein Jahr; die M. hat-
durch die Agrargesetze 1907 erst langsam, ten das Recht, alle Streitfälle, in denen sie
durch die Agrarrevolution 1917 endültig selbst eine Entscheidung fällen wollten, vor
abgeschafft. ihre Gerichte zu ziehen, sie erstatteten über
Mirabeau, Gabriel Honore de Riqueti, ihre Amtstätigkeit ausführlich Bericht an
Graf, frz. Staatsmann der Revolutions- die königliche Hofkanzlei.
zeit, 1749–1791; stark beeindruckt von Mitanni-Reich, der bedeutendste der
der Persönlichkeit und dem Staatssystem Churriter-Staaten, etwa 1530–1350 v. Chr.;
Friedrichs d. Gr.; trat als Wortführer des durch wandernde inneriranische Stämme
3. Standes 1789 für die konstitutionelle mit indoarischer Führerschaft gegründet,
Monarchie unter schärfster Ablehnung des reichte vom Kaukasus bis zum Mittelmeer
Despotismus ein; 1790 Präsident des Jako- bei Alexandrette; übte nachhaltigen Ein-
binerklubs, 1791 der Nationalversamm- fluss auf die Staatsform und Kultur Ägyp-
lung; sein Tod besiegelte das Schicksal der tens aus. 1420 v. Chr. Sieg über die Hethi-
frz. Krone, die zu retten allein seine starke ter, von denen sie um 1365 unterworfen
Persönlichkeit und seine Beredsamkeit im- wurden.
stande gewesen wäre. Mithra (Mithras), der pers. Lichtgott (lat.
Miron, Cristea, rumän. Bischof und Poli- Sol invictus, unbesiegte Sonne), Mittel-
tiker, 1868–1939; seit 1909 Bischof von punkt eines myst. Kults, der seit der Arsa-
Caransebes, seit 1919 Erzbischof von Bu- kidenherrschaft im Iran (247 v. Chr.) mehr
karest, wurde 1925 Patriarch, 1938/39 Mi- und mehr auf Mesopotamien und von dort
nisterpräsident, Befürworter der Königs- auf das Römerreich übergriff; M. meist
diktatur König Karls II. dargestellt als Überwinder des Urstiers, aus
Mirza, Iskander, pakistan. General und dessen vergossenem Blut sich alles Leben
Politiker, 1899–1969; wurde 1948 erster entfaltet; die Szene wurde Sinnbild für den
Verteidigungsminister Pakistans und 1956 Kampf des Lichtes wider die Dämonen der
erster Staatspräsident der Islam. Republik Finsternis (daher Mithra Beschützer von
Pakistan; lebte nach seiner Entmachtung Vertrag, Eid, Wahrheit) und die Geburt
1958 im Exil. des M. selber; aus dem M.-Glauben ent-
Missolunghi (Mesolongion), griech. Fes- wickelten sich reiche Kultgebräuche und
tung bei Patras in Ätolien, umkämpft im die M.-Mysterien im Dunkel von Höhlen,
griech. Unabhängigkeitskrieg 1825/26; die das Dunkel der ird. Welt symbolisieren;
Sterbeort des britischen Dichters und Vor- zahlreiche M.-Heiligtümer im nachchristl.
kämpfers für die griechische Freiheit Lord Rom und in den Standlagern der röm. Le-
Byron. gionen (in Deutschland Trier, Osterbur-

632
Mittellatein

ken, Saalburg, Heddernheim, Dieburg); Reichsidee); 1453 (Fall Konstantinopels,


im 2./3. Jh. n. Chr. stand der M.-Kult im Übertragung des altgriech. Erbes nach Ita-
röm. Imperium gleichrangig neben dem lien); 1492 (Entdeckung Amerikas, einer
Christentum; Versuche, beide Religions- „Neuen Welt“); 1517 (Beginn der Refor-
systeme zu verbinden (Julian Apostata), mation) u. a.; je nach der Abgrenzung auch
schlugen fehl (377 wurde das letzte M.- verschiedene Sinndeutungen des MA; allen
Heiligtum in Rom geschlossen). gemeinsam die Kennzeichnung als Epoche,
Mithradates (Mithridates), die Könige in der abendländ. (insbesondere german.)
von Ponton: 1) M. V. Euergetes (150– Volkstum, Christentum und antikes Erbe
121 v. Chr.); Bundesgenosse der Römer zu einer universalen Kultureinheit eigener
im 3. Pun. Krieg; in Sinope ermordet. Prägung verschmolzen sind.
2) M. VI. Eupator (121–63 v. Chr.); erhob Mitteldeutscher Handelsverein, 1828 als
das kleine Ponton an der nordöstl. Küste Gegengründung zum Preuß. Zollverband
Kleinasiens zum Großreich, eroberte Klein- (1828) entstanden; umfasste Hannover,
asien, Thrakien, Makedonien und Grie- Braunschweig, Kurhessen, Thüringen und
chenland, geriet in Auseinandersetzungen Sachsen; wurde nach polit.en Unruhen in
mit den Römern in den vier sog. Mithra- Kurhessen durch teilweisen Anschluss an
datischen Kriegen 88–63 v. Chr., M. wurde den Preuß. Zollverband 1831 auseinander
von Sulla und später von Pompeius besiegt gerissen.
und gab sich den Tod. Mittelhochdeutsch (Mhdt.), die Weiter-
Mitra, Kopfbedeckung, die von Bischöfen bildung der ahdt. Dialekte, etwa von der
und Äbten bei liturg. Handlungen getra- Kreuzzugszeit (100) an, bis zum Beginn
gen wird (Inful), meist durch Stickereien der Reformation (um 1500); noch keine
und Edelsteine geschmückt, in dieser Form von den Mundarten verschiedene Gemein-
trat die M. zuerst im 10. Jh. auf; die M. war sprache, aber in den Schriften Vermeidung
entweder aus schwerem Goldstoff oder aus von auffallenden mundartlichen Eigen-
einfachem weißen Stoff. heiten (vor allem in Reimen); im 12. Jh.
Mittelalter, Name von ↑ Nikolaus von vorwiegend die mittelfränk. Literaturspra-
Kues geprägt (Media aetas, ­ Zwischenzeit che, im 13. Jh. die mhdt. „Dichtersprache“
zwischen Antike und Neu-Antike = Renais- (höfische Diktion), im 14. Jh. bedeutender
sance); in seiner Abgrenzung gegen Alter- Einfluss der ostmitteldt. Kanzleisprache
tum und Neuzeit umstritten, zudem gül- (bes. Prag) und der ostmitteldt. Durch-
tig nur für das westl. Abendland (der Os- schnittssprache (Mittelpunkt Erfurt); da-
ten, Byzanz, kannte kein MA); Beginn im rauf aufgebaut die Sprache der spätmittel-
Allg. mit dem Ende des Weström. Reiches alterl. Kanzleien (besonders in Kursach-
476 n. Chr. oder mit dem Einbruch der sen), von Luther zur Grundlage genom-
Hunnen 375 angesetzt (Hauptanstoß der men und zur neuhochdeutschen Schrift-
Völkerwanderung und beginnende Vor- sprache ausgebaut.
herrschaft der Germanen in Europa); in Mittellatein, Fortbildung der klass. latein.
Italien begann das MA mit der Landnahme Sprache etwa von der Völkerwanderung
der Langobarden um 570; andere datie- (um 400) bis zum Beginn des Humanis-
ren das MA vom Einbruch des Islam um mus (um 1400); Sprache der Kirche, Ver-
700 n. Chr. an (völliger Zusammenbruch waltung, Wissenschaft; weithin auch Um-
der antiken Mittelmeerkultur). – Für das gangssprache, ermöglichte die Verständi-
Ende des MA werden ebenfalls verschie- gung in ganz Europa; das M. in der Form
dene Zeitpunkte angegeben: 1300 (Be- des Vulgärlateins eine der Grundlagen der
ginn der Nationalstaaten, Ende der alten ↑ roman. Sprachen; Rückkehr zum klass.

633
Mittelmächte

Latein erst seit dem Humanismus und der „Mixteca-Puebla-Kultur“ im zentralen Me-
Renaissance. xiko; im 15. Jh. Verlagerung auf die Mix-
Mittelmächte, im 1. Weltkrieg infolge der teca Alta und Mixteca Baja; hier leben bis
↑ „Einkreisungspolitik“ der Alliierten ein- heute ca. 186 000 M.
geklammerten Staaten: Deutschland und Mobutu, Sese Seko, zair. Politiker, 1930–
Österreich-Ungarn, dann auch Bulgarien 1997; wurde nach Gründung der Demo-
und die Türkei („Vierbund“). krat. Republik ↑ Kongo 1960 zum General­
Mittelmeer (mare mediterraneum), das stabschef ernannt, putschte noch im sel-
Völker verbindende Meer der Kulturen des ben Jahr und übernahm die Macht; nach
Altertums und des Mittelalters bis 1492, der Wiedereinsetzung von Staatspräsident
im besonderen das verbindende Becken Kasawubu 1961 putschte M. 1965 erneut
des Römerimperiums; im MA unter­teilt und ernannte sich zum Staatspräsidenten,
in die Machtbereiche der islam.-saraze- regiert seit 1967 als Vorsitzender der Ein-
nischen Herrschaft, der roman.-german. heitspartei MPR in einem Einparteiensys­
Staaten und des Oström. Reiches; Quelle tem. 1997 trat M. zurück, nachdem sich
der Macht und des Reichtums für Vene- breiter Widerstand gegen seine Art der
dig und andere oberital. Handelsstädte; in Amtsführung (bes. seine persönl. Berei-
der neuesten Zeit, vor allem seit der Eröff- cherung bei glz. Armut der Bevölkerung)
nung des Suezkanals (1869), umkämpftes regte. Die Staatsführung übernahm Re-
Interessengebiet der Weltpolitik (M. wer- bellenführer Laurent Kabila.
den heute auch andere, von Festländern Moçambique, Staat in SO-Afrika; seit
umschlossene Weltmeerteile genannt, z. B. dem 10. Jh. unter arab. Besetzung, 1498
Arktisches M. um den Nordpol, die Ost- landete Vasco da Gama an der Küste von
see, das Mare Balticum). M., die seit dem 16. Jh. von den Portugie-
Mittel-Paläolithikum, ↑ Paläolithikum. sen schrittweise besetzt wurde. 1951 wurde
Mittelsteinzeit, ↑ Mesolithikum. M. portug. Überseeprovinz; seit 1964
Mittlerer Osten, Mittelost, ↑ Naher Os- führte die 1962 gegr. Befreiungsbewegung
ten. FRELIMO einen Partisanenkrieg gegen
Mitterrand, François, frz. Politiker, 1916– die portug. Kolonialmacht. Nach der Re-
1996; 1947–57 mehrfach Minister, Bemü- volution in Portugal im April 1974 erhielt
hungen um Einigung der ­nichtkommunist. auch M. die Unabhängigkeit im Juni 1975,
Linksparteien, seit 1971 Vorsitzender der seitdem ist M. sozialistische Volksrepublik
neu konstituierten Sozialistischen Partei, mit der FRELIMO als Einheitspartei.
1974 knappe Wahlniederlage bei den Prä- Moche-Kultur, nach dem peruan. Ort
sidentschaftswahlen. 1981–1995 Staats- Moche benannte Kultur, die 200–800 exis­
präsident, führte das gaullistische Erbe tierte und berühmt ist für ihre kunstvollen
der Festigung der frz. Weltmachtrolle bei Plastiken, ihre Weberei, Holz- und Mu-
gleichzeitiger Förderung des europ. Eini- schelarbeiten sowie Wandmalereien.
gungsprozesses unter besonderer Berück- Möckern, 1) Ort bei Magdeburg, Schlach-
sichtigung eines freundschaftlichen Ver- tenort von 1813, Sieg Yorcks über die
hältnisses zu Deutschland fort. Franzosen unter Vizekönig Eugen von Ita-
Mixteken, Indianerstamm in den mexikan. lien. 2) M., nördl. Vorort von Leipzig und
Staaten Oaxaca und Puebla, in voreurop. Kampfplatz von 1813 (Völkerschlacht);
Zeit durch Kunsthandwerk berühmt; Ur- Sieg Blüchers über Marschall Marmont.
sprünge unbekannt, nachweisbar ab 8. Jh. Modlin (Nowo-Georgiewsk), Weichselfe-
in der Mixteca Alta (Oaxaca); drangen um stung im NW von Warschau; 1807–1812
800 nach Norden vor und begründeten die von Napoleon angelegt; im 1. Weltkrieg

634
Mohammedaner

1915 und 1939 im Polenfeldzug von den kaiserlichen Truppen unter Ludwig von
Deutschen erobert. Baden, dem „Türken-Louis“, und Karl von
Moeller van den Bruck, Arthur, dt. polit. Lothringen über Soliman III.
Schriftsteller, 1876–1925; lieferte mit sei- Mohammed (Muhammed), Begründer
ner Theorie von der Einheit von Preußen- der mohammed. Glaubenslehre (↑ Islam)
tum, Reichsmetaphysik, Gemeinschafts­ und der islam. Machtentfaltung, geb. um
idee und der Nähe des dt. Volkes zu den 570 in Mekka, gest. 623 in Medina; arab.
Völkern des Ostens den Nationalsozialisten Kaufmann im Dienst der reichen Kauf-
das antidemokrat. Schlagwort vom „Drit- mannswitwe Chadidscha, seiner späteren
ten Reich“ (nach seinem gleichnamigen (15 Jahre älteren) ersten Frau; auf Karawa-
Buch von 1923); beging 1925 Selbstmord. nenreisen stark von der z. T. entstellt über-
Mogulreich (Name abgeleitet von Mon- kommenen jüd. und christl. Glaubenslehre
gole), ind. Großreich mit von Persien be- beeindruckt, auch durch Traumvisionen
einflusster Kultur, gegr. durch den Mo- und entscheidend durch die Offenbarung
hammedaner Muhammed ↑ Babur (1504– auf dem Berg Hira (um 610) bestimmt,
1530), einen Nachkommen Timur Lenks empfand er mehr und mehr den Mangel
und Dschingis Khans; Hauptstadt Delhi, seines eigenen Volkes an sittlich-religiösen
später Agra; umspannte unter seinem En- und staatspolit. Grundsätzen; trat nach
kel ↑ Akbar d. Gr. (1556–1605) fast ganz Jahren gründlichen Erwägens als Prophet
Indien; Akbars Reich an der Westküste be- unter das Volk; seine Lehre, ganz auf die
schnitten durch das portug. Vizekönigtum Eigenart und Mentalität des arab. und ori-
Goa, das den europ. Handel mit Indien ental. Menschen insgesamt abgestimmt,
beherrschte; zu Akbars Lebzeiten Grün- erweckte die Missgunst der altheidn. Prie-
dung der ↑ Ostind. Kompanien, 1600 sterdynastie von Mekka; M. entzog sich ih-
durch England und 1602 durch Holland rer Verfolgung durch Flucht (↑ Hedschra)
(Franzosen folgten 1664); Verfall des Rei- nach Medina (622); baute dort – als Ge-
ches im 17. und 18 Jh., Auflösung in zahl- setzgeber und Politiker – seine religiös-po-
reiche Nachfolgestaaten (Staat der Hindu- lit. Erkenntnisse zur Religion und Staats-
Reformsekte der Sikhs in Nordindien und doktrin aus, gewann mehr und mehr an
im Pandschab, der Rajputenstaaten Zen- Einfluss bei den arab. Stämmen, eroberte
tralindiens; Reiche der Marathenfürsten im Heiligen Krieg 630 Mekka, beseitigte
im Dekhan); um die Mitte des 18. Jh. nach den alten Vielgötterkult und fasste durch
dem Zusammenbruch der frz. Handels- seine Lehre bis zu seinem Tod (632) die
kompanie Ausdehnung des brit. Kolonial- arab. Wüstenstämme zu einer geschlos-
besitzes (Unterwerfung Bengalens, der Ma- senen, fanatischen Kampfgruppe für eine
rathenstaaten, Nagpurs, Kaschmirs, Sinds, weltumspannende Idee zus. (↑ Araber, Ka-
des Pandschab, des südl. Burma und des lifat); Erbin seines Werks war seine Tochter
Sikh-Reiches); die letzten Mogulherrscher ↑ Fatima, die Frau ↑ Alis.
„Staatspensionäre“ Englands; Ende der no- Mohammed, Sultane der Türkei, ↑ Mehe-
minellen Mogulherrschaft 1858 (Bildung med.
des brit. Vizekönigtums Indien). Mohammedaner, veraltend für Moslems
Mohács, Stadt im ungar. Komitat Nara- oder Muslimen, Anhänger des ↑ Islam;
nya und berühmter Kampfplatz im Tür- spalteten sich unter Abu Bekr (632–34)
kenkrieg; 1526 Niederlage und Tod Lud- in die strenggläubigen ↑ Sunniten und die
wigs II., des letzten Ungarnkönigs, durch sektiererischen ↑ Schiiten (vorwiegend in
die Türken, die das Land eroberten und Persien) und darüber hinaus in zahlreiche
verwüsteten; 1687 entscheidender Sieg der (politisch beeinflusste oder rein religiöse)

635
Mohendscho-Daro

Unter­gruppen; seit dem 18. Jh. Wieder- preuß. Heer auf; seit 1836 mit der Hee-
vereinigungsbestrebungen unter Anregung resreform in der ↑ Türkei betraut, gab als
der ↑ Wahhabiten. Generalstabschef Wilhelms I. durch seine
Mohendscho-Daro, ↑ Induskultur. Schlachtenpläne den Feldzügen gegen Ös-
Molay, Jakob von, letzter Großmeister des terreich bei Königgrätz (1866) und gegen
Templerordens, um 1243–1314; Philipp Frankreich (1870/71) den entscheidenden
der Schöne von Frankreich ließ ihn bei der Verlauf. 2) M., Helmuth von, preuß. Ge-
Aufhebung des Ordens nach einem Inqui- neral, 1848–1916; Neffe von 1), seit 1906
sitionsverfahren verbrennen. Chef des Generalstabs der Armee, wurde
Moldau, Landschaft in Rumänien zw. Sie- nach der Marneschlacht im Sept. 1914
benbürgen und Bessarabien, wie das Ge- durch E. von Falkenhayn ersetzt. 3) M.,
biet der Walachei mit romanisierter Bevöl- Helmuth James Graf von, dt. Jurist und
kerung; im 13. Jh. Außenbezirk des ungar. Widerstandskämpfer, 1907–1945; Groß-
Reiches, 1241–1345 unter Mongolenherr- neffe von 1), arbeitete 1939–1944 in der
schaft, 1365 selbständiges Fürstentum; un- völkerrechtlichen Abteilung des Oberkom-
ter Stephan d. Gr. (1457–1504) völlig un- mandos der Wehrmacht; Begründer des
abhängig, dann den Türken tributpflichtig; ↑ Kreisauer Kreises, wurde im Jan. 1944
nach dem russ.-türk. Krieg 1829–1834 un- verhaftet, zum Tode verurteilt und hinge-
ter russ. Verwaltung; 1862 wurde aus der richtet.
M. und der Walachei der Staat Rumänien Molukken (Gewürzinseln), zu den Sun­da­
gebildet. inseln gehörige indonesische Inselgruppe
Molinos, Miguel de, span. Mystiker und östl. von Celebes; die Gewürzinseln jahr-
bekanntester Verkünder des ↑ Quietismus, zehntelang Ziel von Flottenausfahrten aus
geb. 1640, wirkte seit 1664 in Rom, wurde portugies. und span. Häfen und Anlass zu
1687 als Ketzer verurteilt und in ein Do- zahlreichen Entdeckungen; 1512 von Por-
minikanerkloster gebracht, wo er 1696 tugiesen aufgesucht, seit 1521 spanische
starb. und portugiesische Niederlassungen, An-
Molotow, Wjatscheslaw, eigtl. W. Skrjabin, fang 17. Jh. durch Holländer erobert. (Die
sowjet. Politiker, 1890–1986; seit 1906 Bedeutung des Gewürzhandels mit Pfeffer,
Kommunist, Mitbegründer der „Prawda“, Senfkörnern, Nelken, Muskatnüssen lag in
seit 1926 Mitglied des Politbüros und Ver- der andersartigen Speisenzubereitung jener
trauter Stalins; löste am 4. Mai 1939 Litwi- Zeit; später wurden sie vor allem unent-
now als Außenminister ab und war maß- behrlich für die Lebensmittelkonservierung
geblich am Zustandekommen des Hitler- der Schiffs- und Feldzugsverpflegung.)
Stalin-Pakts beteiligt, der das Schicksal Po- Mommsen, Theodor, dt. Geschichtsschrei-
lens und des Baltikums besiegelte und Hit- ber und Altertumsforscher aus Schleswig,
ler den Rücken für seine militär. Pläne frei 1817–1903; Prof. in Leipzig, Zürich, Bres-
machte. 1956 als Außenminister abgelöst, lau und Berlin; als Demokrat 1850 gezwun­
1957 aller Ämter enthoben, als Botschafter gen, den Leipziger Lehrstuhl zu verlassen;
in die Mongolei abgeschoben. gilt als einer der besten Kenner und Dar-
Moltke, 1) M., Helmuth Graf von, 1800– steller der altröm. Geschichte („Römische
1891; preuß. Generalfeldmarschall und Geschichte“, 1854–1885) und des römi­
Heeresreformer unter Berücksichtigung schen Staatsrechts; war beteiligt an der He-
der modernen Verkehrstechnik (Eisen- rausgabe des ↑ Corpus inscriptionum lati-
bahn, Telegraf ) und unter dem Gesichts- narum und der ↑ Monumenta Germaniae
punkt des Einsatzes von Massenheeren; historica; 1902 mit dem Nobelpreis für Li-
baute den ↑ Generalstab und mit Roon das teratur ausgezeichnet.

636
Mongolen

Mömpelgard (Montbéliard), an der bur- Mongolei, früher Tartarei, Große Tar-


gundischen Pforte, südwestl. Belfort, im tarei genannt; seit dem 17. Jh. unter chin.
MA Reichsgrafschaft an der Grenze zwi- Oberhoheit, doch auch von Russland be-
schen Burgund und Deutschland (Sund- ansprucht, während der chin. Revolution
gau), seit 1397 in württembergischem Be- 1911 Unabhängigkeitserklärung, 1912
sitz, von Graf Ulrich von Württemberg in unter russ. Protektorat, 1918/19 wieder
Kämpfen mit Karl dem Kühnen behauptet; chin.; 1920 jap. Einmarsch in die Äußere
kulturelle und geistige Blüte unter Herzog M.; 1920/21 von russ. Weißgardisten und
Eberhard mit dem Barte; 1534 Einfüh- 1921 und 1925 von Sowjettruppen besetzt;
rung der Reformation; wiederholt (1674, seit 1924 selbständige Volksrepublik in
1723, 1792) von Frankreich besetzt, dem Anlehnung an die UdSSR, 1946 und 1950
es im Frieden von Luneville 1801 zugeteilt auch von China als unabhängig anerkannt
wurde. (Äußere M., zw. Wüste Gobi und Sibirien);
Monaco, erbliches Fürstentum an der konstituierte sich seitdem als kommunist.
frz. Riviera; im Altertum phönik. Kolo- Volksrepublik, Hauptstadt Ulan-Bator;
nie, dann röm.; seit 968 unter den genues. 1961 Aufnahme in die UN. Die Innere M.
Grimaldi und seit 1641 Fürstentum unter zw. Wüste Gobi und Mandschurei ist noch
frz. Schutz; 1795 an Frankreich, 1814 den heute chin. Provinz.
Grimaldi zurückgegeben und unter dem Mongolen, Steppenvölker Zentralasiens,
Schutz Sardiniens (bis 1861); 1865 Zoll- Nomaden mit ausgreifendem Wander-
union mit Frankreich; 1887 Bistum; 1911 hirtentum, im 11. Jh. erstmals von den
konstitutionelle Verfassung; seit 1949 Fürst Chinesen mit diesem Namen bezeichnet,
Rainier III. doch bereits vorher, beim Hunneneinfall
Monarchie (griech., Alleinherrschaft, Ein- in Europa, am Horizont der abendländ.
zelherrschaft), Staatsform, bei der eine ein- Geschichte auftauchend; setzten die West-
zige Person von Fürstenrang Träger und züge der asiat. Hunnen und Türkenvölker
Repräsentant der Staatsgewalt wurde, im in Bewegung, einigten sich 1206 unter
Sinne des ↑ Absolutismus mit uneinge- ↑ Dschingis Khan, eroberten ganz Vorder­
schränkter Regierungsgewalt; im Sinne asien und Teile Chinas und drangen nach
des ↑ Konstitutionalismus unter Berück- Aufspaltung in Teilhorden unter den Söh-
sichtigung des Willens des Volkes und un- nen des Großkhans bis Syrien (Hulagu)
ter Mitheranziehung von Vertretern des und Mitteleuropa (Batu) vor; die Verluste
Volkes (Zustimmung der Stände, des Par- im Kampf gegen ein dt. Ritterheer unter
laments) bei Regierungsentscheiden; die Heinrich von Schlesien bei Liegnitz 1241
M. ist entweder Erbmonarchie nach einer und der Tod des Großkhans bewegten Batu
bestehenden Erbfolgeordnung oder Wahl- zur Umkehr; im Osten eroberten die M.
monarchie; im Gegensatz zur M. stand unter Kublai Khan fast zur gleichen Zeit
die republikan. Idee, meist (nicht immer) ganz ↑ China, doch vermochten sie keinen
in Verbindung mit der ↑ Demokratie, die umfassenden staatlichen Einfluss auf Asien
auch in der M. möglich ist. Entartete M. = zu gewinnen; nur die ↑ Goldene Horde be-
Despotismus, vor allem im Orient, oft in stimmte noch auf Jahrhunderte hinaus we-
Russland und auch in anderen Staaten. sentlich die Geschicke ↑ Russlands; einige
Mönchslatein oder Küchenlatein, schlech­ Stämme unter ↑ Timur errichteten vorüber­
tes, mittelalterliches, oft verballhorntes La- gehend ein mongolisches Reich in Turkes­
tein; auch eine Spottbezeichnung der Hu- tan; 1368 war der Großteil des Steppen-
manisten. volkes wieder auf die urspr. mongol. Ge-
Mönchstum, ↑ Kloster. biete Inneasiens (Tschagatai) beschränkt;

637
Monnet

von hier aus erhoben sich die M. nochmals im Besitz der brit. Südafrik. Gesellschaft;
zu weltgeschichtl. Bedeutung durch Grün- 1923 zu Südrhodesien.
dung des ↑ Großmogul-Reiches (1526) Monophysiten (griech., Eine-Natur-Be-
unter Babur in ↑ Indien, das unter Akbar kenner, zum Unterschied von den ortho-
seinen Höhepunkt erreichte; das mongol. doxen Dyophysiten, Bekennern der zwei
Kernvolk zerfiel seit dem 16. Jh. mehr und Naturen Christi), Anhänger der Lehre des
mehr in Teilfürstentümer, die bis Ende des Archimandriten Eutyches, wonach Chris-
17. Jh. in China aufgingen und im Laufe tus nur Gott gewesen und seine mensch-
der neueren Geschichte Anschluss an Russ- liche Natur (nur Scheinleib) in der göttl.
land suchten (↑ Mongolei). wie „ein Tropfen Milch in einem Ozean“
Monnet, Jean, frz. Wirtschaftspolitiker, aufgegangen sei; vor allem im Orient seit
1888–1979; war 1919–1923 stellvertre- dem 4./5. Jh. weit verbreitet; anerkannt
tender Generalsekretär des Völkerbundes, durch das „Encyklion“ (476) des Gegen-
erstellte 1946–1950 als Leiter des Pla- kaisers Basiliskos, das „Henotikon“ (482)
nungsamtes Modernisierungsprogramme des Kaisers Zeno und seit 527 gefördert
für die frz. Wirtschaft; 1952–55 Vorsitzen- von Theodora, der Gemahlin Justinians I.;
der der Hohen Behörde der Montanunion, verdammt auf dem Konzil zu Chalce-
1955 Begründer des 1975 wieder aufge- don (451) und Konstantinopel (553); die
lösten „Aktionskomitees für die Vereinig- Schwächung Ostroms im Streit um diese
ten Staaten von Europa“, 1976 zum ersten Frage (sog. christologischer Streit) trug we-
„Ehrenbürger von Europa“ ernannt. sentlich zur raschen Eroberung Ägyptens
Monomotapa-Reich (Monomotapa, Herr und Syriens durch die Mohammedaner
der Bergwerke), mittelalterliches und bei; heute sind die M. noch in Armenien,
frühneuzeitliches afrikanisches Königreich Ägypten, Abessinien (Kopten) und Syrien
in Südrhodesien (Anfänge im Dunkel) (Sekte der Jakobiten) vertreten.
mit Zentralsitz in Simbabwe und (bisher Monotheleten (griech., die einen Willen
nachgewiesen) 500 Siedlungszentren von Bekennenden), seit dem 7. Jh. Anhänger
z. T. stadtähnlichem Charakter; Grund- eines christlichen Bekenntnisses, die trotz
lage des Reichtums der Goldbergbau bis der zweifachen, göttlichen und mensch-
in 100 m Tiefe; Tauschhandel vor allem lichen Natur Christi, nur an einen, den
mit den Arabern und Persern, Äthiopiern göttlichen Willen in Christus glaubten und
(Gold, Sklaven, Elfenbein, Gewürze, ori- das Vorhandensein eines menschlichen
entalische Waren, Eisen und Salz); Simb- Willens Christi leugneten (Lehre, die von
abwe blühende Residenzstadt des ­ Königs, Kaiser Heraklios 638 zur Aussöhnung mit
des „Großen Löwen“, mit monolithischer den ↑ Monophysiten verkündet wurde).
Ringmauer (ohne ­ Mörtel), ellipt. Tempel, Monroe, James, 1758–1831; 5. Präsident
zweistöckigen ­ Steinhäusern, Wehr- und der USA (1817–1825), Republikaner, ver-
Kulttürmen; die Bewohner Ackerbauern, kündete 1823 die Doktrin „Amerika den
Viehzüchter, Bergleute; Niedergang der Amerikanern“ (= Monroe-Doktrin), die
Goldförderung im 16. Jh., 1607 Abtre- die Einmischung europ. Staaten in die An-
tung der Bergwerke an die Portugiesen, das gelegenheiten unabhängiger amerik. Staa-
Land wurde 1629 portug. Schutzgebiet, ten oder den Erwerb amerik. Gebiete oder
die Könige bzw. Kaiser portug. Vasallen; die Kolonisierung zurückwies; die USA
Ausdehnung des Bergbaus auf Kupfer, Ei- lehnten entsprechend auch für sich das
sen, Zinn, Blei; portug. Großfarmen; seit gleiche in Bezug auf Europa ab; auf die M.-
dem 17. Jh. Einwanderung von Indern; Doktrin berief sich im 1. und 2. Weltkrieg
Untergang des Reiches im 18. Jh., 1889/90 der Isolationismus; sie begründete auch das

638
Montesquieu

Fernbleiben der Vereinigten Staaten vom Montenegro (ital., Schwarzes Bergland),


↑ Völkerbund; der Beitritt zu den Verein- Teilrepublik Jugoslawiens; im Altertum
ten Nationen und die Nachkriegspolitik von Illyrern bewohnt; 168 v. Chr. von den
der USA kennzeichneten die Wende in den Römern erobert und der Provinz Dalma-
amerik. Auslandsbeziehungen. tien zugeteilt; im MA Einwanderung von
Monsieur, bis 1789 Titel des ältesten Bru- Südslawen (Serben), zeitweise byzanti-
ders des regierenden frz. Königs. nisch, serbisch, venezianisch; 1528 unter
Montagnards oder „Bergpartei“, die in der türk. Oberhoheit und z. T. islamisiert; die
„montagne“ (Berg) höher plazierten Abge- theokrat. Landesherrschaft übten in ziem-
ordneten der radikalen Partei im Konvent licher Unabhängigkeit die Bischöfe von Ce-
von 1791 (↑ Bergpartei). tinje aus, die seit 1697 einen Neffen jeweils
Montanismus, christl. Sekte, um 160– zum Nachfolger bestimmten; unter Danilo
200 n. Chr., benannt nach Montanus, der (1851–1860) wurde M. erbliches Fürsten-
sich als Gottesgesandter, als Prophet aus- tum, unter Nikita (1860–1918) König-
gab, das baldige 1000-jährige Reich vor- reich (seit 1905); Nikita kämpfte mehr-
hersagte und strenge Bußvorbereitungen mals gegen die Türken, erlangte Zugang
forderte; der M. war in Kleinasien, Nord- zum Meer und eröffnete 1912 den Balkan-
afrika, Gallien, Italien verbreitet; die Be- krieg gegen die Türken; M. im 1. Weltkrieg
wegung verebbte, als die Voraussagen sich von Deutschland und Österreich besetzt,
nicht erfüllten. entschloss sich 1918 zum Anschluss an das
Montan-Union, ↑ Europäische Gemein- Königreich der Serben, Kroaten und Slo-
schaften. wenen; 1945 zu Jugoslawien, seit 1992 mit
Monte Albán, bedeutende Kultstätte der Serbien zur neu gegründeten Republik Ju-
präkolumbian. Zapotheken im mexikan. goslawien; seit 1996 auf Unabhängigkeits-
Bundesstaat Oaxaca; die ältesten Bauten kurs. 2003 Verfassungsänderung und Ab-
sind auf 700 v. Chr. datiert, seine Blütezeit lösung der Bundesrep. Jugoslawien durch
erlebte M. etwa 300–500 n. Chr., um 900 den Staatenbund Serbien und Montene-
wurde der Ort verlassen; M. blühte noch- gro. Im März 2003 wählte das serb.-mon-
mals um 1300 auf und wurde von den tenegrin. Parlament Svetozar Marovic zum
Mixteken als Nekropole benutzt. ersten Präsidenten des Staatenbunds. Bei
Monte Cassino, der Mons Casinus über den Präsidentschaftswahlen in der Teilre-
dem Volturnotal nördl. von Capua, 529 publik Montenegro im Mai 2003 gewann
erstes Benediktinerkloster durch ↑ Bene- Filip Vujanovic.
dikt von Nursia gegründet, Mutterkloster Montes, im mittelalterl. Italien Bezeich-
des Benediktinerordens; 581 von Lango- nung für Kapitalgesellschaften zum Zwe-
barden, 884 von Sarazenen zerstört, 1322 cke gemeinsamer Finanzierung und zur
Bistum, 1943–1944 während der Schlacht Aufbringung von Anleihen unter Umge-
um M. weitgehend verwüstet, seit 1945 hung des kirchlichen Zinsverbotes; Auf-
nach dem alten Plan modernisiert wieder kommen im 13. Jh., Vorläufer der Banken.
aufgebaut. Montes pietatis (lat., Berge des Mitleids),
Montecuccoli, Raimund Graf von, 1609– Darlehenskassen, Leihanstalten des MA,
1680, dt. Reichsfürst und Herzog von gegr. gegen den Zinswucher der Montes;
Melfi, österr. Feldherr, seit 1658 Feldmar- ihnen wurde später die Erhebung geringer
schall; siegte über die Türken bei St. Gott- Zinsen kirchlich zugestanden.
hard an der Raab (1664), führte mit we- Montesquieu, Charles Baron, philos.-
nig Erfolg die Kaiserarmee am Rhein gegen polit. Schriftsteller der frz. Aufklärung,
Turenne (1672–1675). 1689–1755; geistiger Anhänger und Ver-

639
Montez

fechter der „demokrat.“ Monarchie, der das der dt. Einigung und des konstitutionellen
Wohl des Volkes und die Freiheit der Bür- Staates; seit 1806 Minister des Innern;
ger höchstes Ideal war; Prinzip der Gewal- musste 1817 der Opposition weichen.
tenteilung als Bestandteil der Verfassung, Montgolfier, Jacques Etienne, 1745–1799,
das er (irrtümlich) in England in reiner und Joseph Michael, 1740–1810; brachten
Form verwirklicht glaubte (gesetz­gebende, 1783 den ersten Luftballon mithilfe von
ausführende, richterliche Gewalt); gemä- Heißluft, die aus einem unter dem offenen
ßigter Befürworter polit. Reformen, doch Ballon hängenden Feuerbecken ständig die
Wegbereiter der Ideen der Frz. Revolution; Hülle füllte, zum Steigen (Montgolfiere);
Hauptwerk: „De L’esprit des lois“ 1748 Joseph Michael erfand 1777 auch den Fall-
(Ideal des freiheitl. Staates). schirm.
Montez, Lola, span. Tänzerin und Aben- Montgomery, 1) M., Bernhard Law,
teurerin, 1820–1861; seit 1846 Geliebte 1887–1976; erfolgreichster Feldmarschall
des bayer. Königs ↑ Ludwig I., gab Anlass des brit. Heeres im 2. Weltkrieg, siegte
zu innenpolit. Konflikten; im Zuge der 1942 als Führer der 8. brit. Armee über das
Unruhen 1848 ausgewiesen; der Skandal dt. Afrikakorps Rommels (daher Viscount
war einer der Gründe für die Abdankung von Alamein), genannt „Wüstenratte“ ge-
des Königs 1848. genüber dem „Wüstenfuchs“ Rommel;
Montezuma (Moctezuma), letzter Herr- 1946 Chef des brit. Empire-Generalstabs
scher des mexikanischen ↑ Aztekenreiches, und 1951–1958 stellvertretender NATO-
1480–1520; huldigte den span. ­Eroberern Oberbefehlshaber. 2) M., Gabriele de, frz.
(Cortes) und Kaiser Karl V.; die nachgie- Ritter in der schott. Leibgarde des frz. Kö-
bige Haltung M.s und die Raubgier der nigs; erstach 1559 Heinrich II. im Turnier,
Spanier führten zur Empörung der Azte- floh nach England, kämpfte später auf Sei-
ken, in deren Verlauf M. getötet wurde. ten der Hugenotten, wurde gefangen und
Montfort, frz. Adelsgeschlecht; spielte als 1573 enthauptet.
eine der führenden Familien der capeting. Montmorency, 1) M., Anne de, frz. Poli-
Krondomäne eine bedeutende Rolle in der tiker, 1493–1567; Marschall und Conne-
frz. und engl. Geschichte v. a. des Hoch- table von Frankreich, Haupt der kath. Mi-
MA. Bedeutende Vertreter: 1) M., Si- litärpartei gegen die Hugenotten. 2) M.,
mon IV., Graf von, um 1160–1218; Füh- Henri II., Herzog von, 1595–1632; 1612
rer des Kreuzzuges gegen die ­ ↑ Albigenser, Admiral, 1630 Marschall, rebellierte zu-
brachte große Teile des Adelsbesitzes im gunsten des Herzogs von Orléans und
Languedoc an sich. 2) M., Simon, Graf wurde unter Richelieu enthauptet.
von Leicester, nach Geburt und Erziehung Montpellier, Stadt in der Provence, be-
Franzose, trat 1229 in den Dienst des engl. rühmte Pflegestätte der Medizin im MA;
Königs (Heinrich III.), schlug im Kampf medizin. Fakultät gegr. um 1280; Kon-
um die Rechte des niederen Adels und der zile vor M. zw. 1162 und 1258; 1349 an
Städte 1264 den König bei Lewes, fiel 1265 die Krone Frankreichs; 1538 Bistumssitz;
bei Evesham; einer der bedeutendsten Vor- 1622 Friede zu M., beendete den 9. ↑ Hu-
kämpfer für die parlamentar. Verfassung genottenkrieg.
Englands. Monumenta Germaniae historica (Abk.
Montgelas, Maximilian Graf von, 1759– MGH), die vom Freiherrn vom Stein an-
1838; bayer. Staatsmann unter Maximi- geregte, von G. H. Pertz 1819 begonnene
lian I. Joseph, Schöpfer des mod. Staates und von anderen Historikern (Waitz, Gie-
Bayern im Anschluss an die Säkularisation sebrecht usw.) fortgesetzte kritische Samm-
(1803) im Geiste der Aufklärung; Gegner lung mittelalterl. Geschichtsquellen, An-

640
Moritaten

nalen, Chroniken, Diplomata (Urkunden), Mooren seit 1797 Auffindung von Bohlen-
Briefe, Altertümer u. a., soweit sie die dt. wegen, Knüppel- und Pfahldämmen, bis
Geschichte erzählen und erläutern; wich- zu 3 m breiten bohlenbelegten Fahrstraßen
tigstes, umfassendstes und zuverlässigstes („Moor-“, „Hünenbrücken“), von der jün-
histor. Quellenwerk; z. T. in 2. verbesserter geren Steinzeit bis ins MA: Reste von Han-
Auflage; in Auswahl auch als Schulausga- delsstraßen oder Moordurchquerungen zu
ben. abgeschnittenen Weiden, Äckern, Jagdge-
Moorfunde, vorgeschichtliche Funde, die bieten, Fischgewässern. Von dem Moorgeo­
in Mooren oder vermoorten Seen zutage logen Lennart von Post wurde die Pollen­
treten, wo auch Dinge aus vergänglichem analyse entwickelt: Die jährlich ausstreuen-
Material (Leichen von Mensch und Tier, den Pollen von Bäumen, Gräsern, Kräutern
Horn, Gebälk, Wollgewebe, Leder) durch konservieren im Moor und ermöglichen
Luftabschluss und chem. Einwirkung von durch ihre Jahresschichtung Datierung von
Moorsubstanzen oft überraschend gut eingelagerten prähistor. Gegenständen und
konserviert blieben (wie etwa im Sand der auch der Entwicklung der Vegetation zu
ägypt. Wüste oder im Eis Sibiriens); M. seit verschiedenen Zeiten der Nacheiszeit (z. B.
Jahrhunderten bekannt, aber erst im 19. Jh. Verbreitung der Waldbäume).
Beginn zuverlässiger Datierung; bisher More, Thomas ↑ Morus.
465 Reste menschlicher Körper (Moorlei- Morganen, Berghöhe bei Zug am Ägeri-
chen) ermittelt, die im Moor verunglückt, see, 1315 Sieg der Schweizer (Waldstätten)
kult. geopfert oder nach Rechtsspruch über die Österreicher, dadurch Sicherung
durch Versenkung hingerichtet wurden, der Freiheit gegenüber den Habsburgern;
z. T. mumienhaft und mit Bekleidung er- entscheidende Niederlage des Ritterheeres,
halten; daneben aufschlussreiche Funde das der wendigen Taktik der Fußtruppen
von Hausgerät, Waffen, Werkzeug. Weihe- nicht mehr gewachsen war.
und Opfergaben, Münzen, Siedlungsres­ Morgenland oder Orient, im Altertum die
ten, Moorwegen und Straßen; berühmt östlich von Italien gelegene Reichshälfte;
wurden: M. von Thorsberg in Schlesw.- nach der Reichsteilung des Diokletian
Holstein (seit 1856); Opferdepotfunde aus und Theo­dosius (305 bzw. 395) die oströ-
dem nord. Mesolithikum; Opferteich von mischen Reichsgebiete, die von Byzanz aus
Meiendorf bei Hamburg aus der Bronze- verwaltet wurden. – Morgenländische Kir-
und Eisenzeit; M. von Nydam in Nord- che = ↑ griech.-orthodoxe Kirche; Morgen-
schleswig (1863): Eisenwaffen, Schmuck, länd. Reich = ↑ Byzantin. Reich.
Gerät aus dem 3. bis 5. nachchristl. Jh. und Morgenthau-Plan, auf der Konferenz von
zwei als Weihegaben versenkte seetüchtige Quebec 1943 zw. Roosevelt und Churchill
Boote für Besatzungen bis zu 40 Mann; vereinbart; ausgearbeitet von dem ­amerik.
dänisches Ejsböl-Großmoor (seit 1955): Finanzminister H. Morgenthau; sah die Zu­
zahlreiche unbrauchbar gemachte Waffen sammendrängung von rd. 60 Mio. Deut-
und Waffenteile, den Göttern geopferte schen auf einen Gebietsstreifen zw. Rhein
Trophäen von besiegten Feinden aus der und Oder und die Zurückverwandlung
Völkerwanderungszeit (300–500 n. Chr.); Deutschlands in ein reines Agrarland vor;
Federsee-M. in Oberschwaben (seit 1919), 1946 als Prinzip aufgegeben.
wo erstmals ganze vorgeschichtliche Holz- Moritaten, Aufsehen erregende, das Volk
häuser, Moordörfer seit der mittleren Stein- erregende Ereignisse, Naturkatastrophen,
zeit zutage traten; im nordeurop. Morä- polit. Vorfälle, auch ans Verbrecherische
nengebiet mehr als 1 000 Moorwohnplätze grenzende Abenteuer, von umherziehen-
nachgewiesen; in Oldenburg und anderen den Schaustellern auf Jahrmärkten, auf der

641
Moritz

Kirchweih usw. dem Volk in urwüchsiger, Mornay, Philippe de, gen. P. Duples-
balladenartiger Form vorgetragen, bildlich sis-Mornay, frz. Publizist und Politiker,
und textlich geschildert; seit der Erfin- 1549–1623; seit 1576 engster Mitarbeiter
dung des Buchdrucks überliefert in kul- von Heinrich von Navarra, zählte zu den
turgeschichtlich wertvollen sogenannten geistigen Führern der Hugenotten, 1589–
Einblattdrucken; im 18. Jh. entwickelt zur 1621 Gouverneur von Saumur; förderte
Literaturgattung des volkstümlichen Bän- den Ausgleich zw. Katholiken und Protes­
kelsangs, mit moral. Nutzanwendung, von tanten sowie das Zustandekommen des
Einfluss bis in die neueste Zeit. ↑ Ediktes von Nantes.
Moritz, Fürsten. Niederlande: 1) M., Prinz Moro, Aldo, ital. Politiker, 1916–1978;
von Oranien, Graf von Nassau, Sohn des seit 1948 Parlamentsabgeordneter der De-
ermordeten Wilhelm I. von Oranien, seit mocrazia Cristiana (DC), 1963–68 und
1585 Statthalter von Holland und Feldherr 1974–76 Ministerpräsident, galt als Ver-
im Befreiungskampf der ↑ Niederlande. – treter des linken Flügels der DC, 1976
Sachsen: 2) M. von Sachsen, 1521–1553; zum Präsidenten des Nationalrats der DC
Herzog (1541–47) und Kurfürst (1547– gewählt; wurde im März 1978 von Mitglie-
53), seit 1546 Verbündeter Karls V. und dern der terrorist. Roten Brigaden entführt
Reichsfeldherr, verschaffte durch seinen und später erschossen.
Abfall vom ↑ Schmalkald. Bund der Alber- Morosini, venezianischer Gesandter in
tin. Linie in Sachsen die Kurwürde; 1551 Flandern, schrieb 1429 über den Prozess
verbündet mit den protestant. Fürsten ge- der Jungfrau von Orléans; bedeutsam die
gen Karls Machtpolitik; Bund mit Frank- Sammlung seiner Briefe.
reich (Vertrag mit Heinrich II. zu Cham- Morus, Thomas (More), engl. Humanist
bord 1552) und Auslieferung von Metz, und Staatsmann aus London, 1478–1535;
Toul und Verdun an Frankreich; fiel im 1886 selig-, 1935 als Märtyrer heiligge-
Kampf gegen Albrecht Alcibiades 1553. sprochen, Lord-Kanzler Heinrichs VIII.;
3) M., Graf von Sachsen, 1696–1750; Gegner der Reformation, legte 1532 seine
natürlicher Sohn Augusts des Starken von Ämter nieder, versagte die polit. Anerken-
Sachsen und der Aurora von Königsmarck, nung der Legitimität von Anna Boleyn und
seit 1720 als Marschall in frz. Kriegsdienst. deren Nachkommen und des Oberhirten-
– Hessen-Kassel 4) M., der Gelehrte, tums des Königs über die von Rom gelöste
1572–1632; seit 1592 Landgraf, dichtete Kirche Englands (Verweigerung des Supre-
und komponierte, gründete die erste feste matseides), wurde 1535 enthauptet; be-
Bühne Deutschlands. rühmt als Verfasser der „Utopia“ (griech.,
Mormonen („Heilige der letzten Tage“), „Nirgendwo“ – „Nirgendhin“), einer kri-
religiöse Freikirche, von Joseph Smith 1835 tischen und satirischen, von sozialen Ge-
gegr.; Mischung von myst., chiliast., sozia- danken getragenen Schrift über einen
list. Ideen; Quelle des Glaubens ist u. a. die Idealstaat auf Erden (1516, nach dem Vor-
Mormonische Bibel, angebl.im 4. Jh. von bild der Politeia Platons); Begründung der
dem jüd. Helden Mormon verfasst; das Utopie als lit. Gattung.
Buch enthält zahlr. Zukunftsprophezei- Moses (ägypt., Sohn, wie in Thutmosis),
ungen. – Die Mormonen gründeten in den Führer jener Israeliten (Josephsstämme),
USA mehrere Städte und vertraten anfangs die sich bei der Einwanderung israelit.
auch das Prinzip der Vielweiberei; größte Stämme nach Palästina um 1400 v. Chr. im
Ausbreitung im Mormonenstaat am Salz- östl., fruchtbaren Nildelta (Land Tscho-
see von Utah (Hauptstadt Salt Lake City); sen) niedergelassen hatten und in der Zeit
Utah seit 1895 im Verband der USA. des Pharao Ramses II. (1301–1234) Ägyp-

642
Moustérien

ten wieder verließen, um ebenfalls in Pa- ministerkonferenzen zur Vorbesprechung


lästina, dem „Gelobten Land“, zu siedeln; der Organisation der Vereinten Natio-
Verkünder des einen Gottes Jahwe und nen und zur Beratung der Nachkriegspro-
des mosaischen Offenbarungsgesetzes, bleme. – Bedeutende Bauwerke: Maria-
der moral. Vorschriften in den Zehn Ge- Himmelfahrts-Kathedrale 1326 (Holz-,
boten als sittlich-religiöser Lebensgrund- 1479 Steinbau), Michaelskathedrale 1333,
lage, der Satzungen für den Gottesdienst, Kremlkathedrale 1489, Basiliuskathedrale;
der Rechtsordnung für das politisch-sozi- 1470 Neugestaltung des ↑ Kreml, Erweite-
ale und rechtlich-bürgerliche Leben des rung auf die heutige Ausdehnung.
Volkes ↑ Israel. Moslem, Moslim, Muslim (arab., Gotter-
Mösien (Moesia), seit dem 1. Jh. v. Chr. gebene), veraltet Muselmane, Mohamme-
von den Römern unterworfene Provinz daner, Anhänger des ↑ Islam.
südl. der unteren Donau bis zum Schwar- Mosley, Sir Oswald Ernald, brit. Faschi-
zen Meer, um 85 n. Chr. von Domitian in stenführer, 1896–1980; 1918 konservati-
Moesia superior (Serbien) und Moesia in- ver Abgeordneter, 1924 Abgeordneter der
ferior (Bulgarien und Rumänien) unter- Labour Party; 1930 Minister ohne Porte-
teilt; in der Völkerwanderung von Germa- feuille, 1931 nach dem Vorbild Hitlers
nen überflutet, im 7. Jh. von Bulgaren und Gründung der antisemit. brit. Faschisten-
Slawen besetzt. union, nach anfänglich großem Zulauf seit
Moskau, 1) Gebiet Moskau, früheres russ. 1934 ohne Einfluss.
Großfürstentum (seit 1328), Jaroslaw, Ko- Mossadegh, Mohammad, iran. Politiker,
stroma, Wladimir, Kaluga, Tula umfas- um 1880–1967; war 1920 Justiz-, 1921 Fi-
send, Kernland des späteren ↑ Russland. nanz-, 1922 Außenminister, wurde als Ver-
2) Hauptstadt der UdSSR; bis 1147 zu- treter liberaler Reformen von Schah Resa
rückzuverfolgen, seit 1263 Fürstentum, Pahlawi 1923 vorübergehend inhaftiert,
seit 1328 dauernde Residenz der Groß- 1951 Ministerpräsident, nach Macht-
fürsten (und Übersiedlung des Metropo- kämpfen mit Schah Mohammad Resa
liten nach M.); 1382 von Tataren niederge- Pahlawi 1953 entmachtet und zu drei Jah-
brannt; erlangte erneut größte Bedeutung ren Haft verurteilt.
durch den Aufstieg und die Ausweitung Mountbatten, Louis, Earl of Burma, brit.
des Großfürstentums (Permer Land 1473, Admiral, 1900–1979; war 1943–46 Ober-
Nowgorod 1478, Pelymsches Land 1483, befehlshaber der alliierten Streitkräfte in
Wjatka 1489, Kasan 1552, Tribut der si- SO-Asien, 1947 letzter Vizekönig von
bir. Fürsten 1555); blieb trotz der Verle- Indien, 1952–54 Oberbefehlshaber der
gung der Residenz nach Petersburg unter NATO-Streitkräfte im Mittelmeer, 1959–
Peter d. Gr. 1703 (bis 1918) wegen seiner 1965 Chef des brit. Verteidigungsstabes;
Lage in der Reichsmitte und an der Kreu- wurde Opfer eines Attentates der IRA.
zung bedeutender Straßen und als religi- Moustérien, nach den Funden auf den
öses Zentrum (Amtssitz des Patriarchen, Felsterrassen bei Le Moustier im ­Vizeretal
das „Zweite Byzanz“, das „Dritte Rom“ – (Dordogne, Südfrankreich) benannte Kul-
in Erwartung eines dritten 1000-jährigen turstufe der letzten Zwischeneiszeit (Riss
Reiches) Mittelpunkt und Herz Russlands; – Würm) und des Beginns der letzten
im Winterfeldzug Napoleons 1812 zwang (Würm-) Eiszeit; Zeit des Neandertalers;
die verbrannte, verödete Stadt zum Rück- verbreitet außer in Frankreich in Belgien,
zug der Invasionsarmee. Seit 1918 Sitz der S- und Mitteldeutschland, Österreich,
Sowjetregierung, seit 1922 Hauptstadt der Tschech. Rep., Slowakei, Polen, Ungarn,
UdSSR. – 1943 und 1946 in M. Außen- Nordbalkan, Italien, im Nahen Osten,

643
Muawlja

N-Afrika (hier Aterien genannt); hoch- men; 1322 Sieg Ludwigs des Bayern über
entwickelte mittel- und z. T. jungpaläo- den Gegenkönig Friedrich den Schönen
lithischenWerkzeugtechnik in Form von von Österreich.
scharfen, schmalen Handspitzen, die durch Mühlhausen, bis in das Jahr 1802 thüring.
Abschläge aus Feuersteinknollen und wei- Reichsstadt; Hauptagitationsherd Thomas
tere feine Bearbeitung gewonnen wurden ↑ Müntzers im ↑ Bauernkrieg und Ort sei-
(Messer, Fellschaber, Speerspitzen, Sägen, ner Hinrichtung.
Bohrer); sie dienten vor allem zur Anferti­ Muisca-Kultur, seit etwa 1200 nachweis-
gung von Knochenwerkzeugen der Jäger bare Hochkultur in Zentral-Kolumbien;
(↑ Paläolithikum). die Muisca wurden 1538 von den Spaniern
Muawlja, Kalif und Begründer der Dy- unterworfen, aus dem Opferzeremoniell
nastie der ↑ Omaijaden, seit 661–680 des Kaziken von Guatavita rührt die Sage
Herrscher des islam. Gesamtreiches; von vom Dorado her.
Persien nicht als legitimer Nachfolger Mo- Müller, 1) M., Adam, Staatsphilosoph,
hammeds anerkannt; aus dieser Ablehnung 1779–1829; im österr. Staatsdienst; nach
erwuchs der Gegensatz zw. ↑ Sunniten und ihm ist der Staat organisch-natürlich ge-
↑ Schiiten; die von ihm zur Eroberung wachsen, nicht künstlich von den Men-
Konstantinopels ausgesandte Flotte wurde schen gemacht, wie es die Vertragstheo-
nach 4-jährigem Kampf abgewiesen. rie der Aufklärung behauptete; er umfasst
Mubarak, Mohammed Hosni, ägypt. Po- das gesamte Leben, getragen von Ständen
litiker, geb. 1928; war 1972–75 Ober- („Elemente der Staatskunst“, 1809). 2) M.,
befehlshaber der Luftwaffe, 1975–1981 Hermann, dt. Sozialist, 1876–1931;
Vizepräsident, 1979 fungierte er bei den 1919/20 Reichsaußenminister. 1920 und
Friedensgesprächen mit Israel als Sonder- 1928–1930 Reichskanzler; unterzeichnete
botschafter. Nach der Ermordung Sadats als Reichsaußenminister mit Bell nach der
1981 zum Staatspräsidenten gewählt, bei unter Vorbehalten gegebenen Zustimmung
den Wahlen 1987 bestätigt, ebenso 1993 der Nationalversammlung in Weimar den
und 1999. Mubarak unterstützt die Bemü- Vertrag von Versailles. 3) M., Johannes
hungen der Friedenspolitik im Nahostkon- von, dt. Geschichtsschreiber, 1752–1809;
flikt. hinterließ in seinen „Geschichten der
Mucius, Gajus M. Cordus (Scaevola), rö- schweiz. Eidgenossenschaft“ (1786–1808)
mische Sagengestalt; soll zum Beweis sei- das umfassendste Geschichtswerk der
ner Furchtlosigkeit seine rechte Hand Schweiz, das Schiller als Quellengrundlage
verbrannt haben, wurde deshalb Scaevola seines „Wilhelm Tell“ diente.
(Linkshand) genannt, die Aktion soll die Mumien, künstlich konservierte Leichen
Beendigung der Belagerung Roms durch zur Erhaltung des äußeren Bildes des Men-
den Etruskerkönig Porsenna (507 v. Chr.) schen über den Tod hinaus; die Konservie-
erreicht haben. rung zur bleibenden Verehrung oder im
Multi (arab., Entscheidender), zur Gemein­ Sinne eines besonderen Jenseitsglaubens
schaft der Ulemas (arab., Theologen) gehö- gepflegt; in Ägypten erfolgt die Mumifi-
render Gesetzesgelehrter und Interpret des zierung (künstliche Trocknung unter An-
Koran; fertigt die Fetwas (Auszüge aus dem wendung von festem Natron meist nach
Gesetz) aus, die den richterlichen Urteilen Entfernung der Eingeweide und Füllung
zugrunde liegen. der Körperhöhlen mit Harz oder harzge-
Muhammed, ↑ Mohammed. tränktem Leinen) aus dem Gedanken he-
Mühldorf, Stadt am Inn; 1257 Sieg der raus, dass das Leben nach dem Tode an die
Bayernherzöge über Ottokar II. von Böh- Erhaltung des Leibes gebunden sei (daher

644
Mundschenk

auch Schutz gegen Grabberaubung durch begründet (Akademie der Wissenschaften


Felsen- und Pyramidengräber, Nahrung als 1759), sein künftiger Ausbau durch Ab-
Grabbeigabe u. a.); früheste Mumienfunde bruch der Mauern vorbereitet (1795); seit
aus dem 3. Jt. v. Chr.; aufschlussreich für 1806 Königs-Residenz und seit 1821 Sitz
die Erforschung des Totenkults und der des Erzbischofs (bis dahin Freising), Aus-
Kultur, bes. durch die porträtähnlichen bau zur Kunststadt unter Ludwig I. 1825
Überdeckungen und realistischen Porträt- bis 1848, Sammelpunkt bed. Künstler
plastiken des Toten, später durch die Mu- (Klenze, Gärtner, Cornelius, Kaulbach,
mienbildnisse (enkaustische Porträts auf Rauch, Thorwaldsen, Schwanthaler); 1826
Leinwand oder Holz). Verlegung der Universität Landshut nach
Mummius, Lucius, röm. Feldherr plebe- M.; seit 1870 zugleich mit der kulturellen
jischer Herkunft, eroberte und zerstörte Weiterentwicklung (Musik: Strauß, Reger,
146 v. Chr. die blühende Handelsstadt Ko- Pfitzner) Industrialisierung und Aufstieg
rinth, deren Schätze er in Rom ausstellen zur Großstadt; 1919 vorübergehend Sitz
ließ; machte Griechenland unter dem Na- einer Räterepublik, 1923 Hitlerputsch,
men Achaia zur röm. Provinz. nach 1933 „Hauptstadt der Bewegung“,
München, Hauptstadt von Bayern, an der im Weltkrieg in großen Teilen zerstört,
Isar; hervorgegangen aus einer Brücken­ nach 1945 Wiederaufbau. – 1938 ↑ Mün-
zollstelle an der alten Salzstraße Salzburg­ chener Konferenz.
Augsburg; nach der Übernahme des bay­ Münchener Konferenz und Münchener
erischen Herzogtums zerstörte Heinrich Abkommen vom 29./30. Sept. 1938 zw.
der Löwe die Isarbrücke bei Oberföh- Hitler, Mussolini, Daladier (Frankreich)
ring samt der Zollstelle der Freisinger Bi- und Chamberlain (England) anlässlich
schöfe und verlegte den Markt nach Mün- der sudetendt. Krise; in letzter Stunde auf
chen („Munichen“, Siedlung Tegernseer brit. Bitte angeregt von Mussolini; voraus-
Mönche); den darüber entbrannten Streit gegangen mehrere Vermittlungsversuche
zw. dem Herzog und den Freisinger Bi- (Lord Runciman in Prag, Chamberlain
schöfen schlichtete Kaiser Friedrich Bar- – Hitler in Berchtesgaden und Godes-
barossa durch seinen 1158 zu Augsburg berg); unter der ultimativen Drohung des
besiegelten Spruch (das eigentliche Ge- Einmarsches Hitlers in die Tschechoslo-
burtsdatum M.s), der die Aufhebung von wakei weitgehende Zugeständnisse (gegen
Markt, Münze und Brücke zu Föhring be- den ausdrückl. Verzicht Hitlers auf wei-
stätigte. Unter Ludwig II. (1253–1294) tere territoriale Ansprüche in Europa); Zu-
Residenz des wittelsbachischen Teilreiches stimmung zur Angliederung des Sudeten-
(„Alte Residenz“), 1294 Stadtrechte; Blüte- landes an Deutschland, Selbständigkeit
zeit unter Albrecht III. (1438–1460); unter der Rest-Tschechoslowakei unter Garan-
Albrecht IV. (1465–1508) Erhebung zur tie der Großmächte, Aufgabe des Systems
Hauptstadt Bayern-Landshuts, seit 1545 der kollektiven Sicherheit; Abschluss ei-
(statt Landshut) Residenzstadt Bayerns; ner deutsch-britischen Nichtangriffserklä-
nach Blütezeit im 16. Jh. (Albrecht V. und rung; Bruch des M. A. durch die Errich-
Maximilian I.; Bau des Residenzschlosses) tung des Protektorats Böhmen und Mäh-
im 30-jährigen Krieg von Schweden be- ren (März 1939).
setzt; langsame Erholung (Heranziehung Mundschenk, Schenk, in der Karolinger-
ital. Künstler); 1705 vor M. Niederlage der zeit als princeps pincernarum verantwort-
bayer. Bauern durch die österr. Truppen lich für die Kellereien des Hofes, dann mit
(Sendlinger Mordweihnacht); M.s wiss. ernährungswirtsch. Aufgaben betraut, eines
Bedeutung durch Maximilian III. Joseph der vier wichtigsten Hofämter; später von

645
Munizipium

hoher Rangordnung bei den Krönungsze- thüring. Bauern in Verbindung, wurde


remonien der dt. Könige (von Herzögen nach der Niederlage der Bauern bei Fran-
ausgeübt, aber nicht dauernd an ein Her- kenhausen (1525) in Mühlhausen hinge-
zogtum gebunden); zeitweise erbliches richtet.
Hofamt (↑ Erzämter). Münzen (lat. moneta), meist scheibenför­
Munizipium (lat.), die römische Bürger- miges Zahlungsmittel, beidseitig ­ geprägt
gemeinde mit Selbstverwaltung und rö- (Vorderseite: Avers, Rückseite: Revers)
misches Bürgerrecht ihrer Bewohner, meist durch Bild (stumme oder anepigraf. M.)
als Militärkolonie angelegt und von den oder Schrift (monepigraf. M.) oder beides.
Kolonisten oder den von ihrer Volksver- Gesetzlich festgelegte Münzmetalle wa-
sammlung gewählten Beamten verwaltet; ren zunächst Gold, Silber, Elektron; seit
die Erinnerung an diese röm.-antike Tra- dem 5. Jh. v. Chr. Kupfer, Bronze; im
dition lebte im 11. Jh. auf dem klass. Bo- 19. Jh. Nickel und Nickellegierungen;
den des Imperiums, zuerst in Italien, dann im 20. Jh. auch Aluminiumbronze, Tom-
in Frankreich und am Rhein wieder auf; bak, Leichtmetalle, Stahl, aber auch Zink
im Zusammenhang damit entwickelten (Notgeld), Neusilber, Eisen. Die Prägung
sich in der Folgezeit die Kämpfe um das der M. (Verarbeitung von Münzrohlin-
Stadtregiment bzw. um die Unabhängig- gen zu M.) geschieht durch Münzstem-
keit der Städte von der Herrschaft des Lan- pel in Münzstätten. Die M. wurde erfun-
desherrn. den im 7. Jh. v. Chr. in Kleinasien (bildlose
Münster, ehemaliges Hochstift, Bistum Elektron-M.); zunächst Sonderform der
und Stadt in Westfalen, 791 durch Karl Tauschware Edelmetall; beförderte den
d. Gr. dem Bischof Liudger angewiesen; Handel; lange Zeit wichtigstes Zahlungs-
1186 im Besitz der Stadtrechte, 1277 Mit- mittel. Ein stabiles Münzwesen setzt eine
regierung der Bürger, um 1280 Hanse- sichere Währung voraus, ebenso dem Be-
mitglied, 1532 Reformation; 1534–1535 dürfnis des Verkehrs angepasste Wertstufen
↑ Wiedertäuferregiment (Johann von ↑ Lei­ (Münzsystem), Tausch- und Wechselmög-
den hingerichtet); 1661 unter bischöflicher lichkeiten ohne Verlust und feste, gesetzl.
Herrschaft, seit 1719 beim Bistum Köln, Normierung. Ein solches Münzwesen exis-
1803 säkularisiert und 1815 an Preußen; tierte erst im 19./20. Jh. Der Wert der M.
1902 Erneuerung der 1773 gegr. Univer- wird bestimmt durch ihren Materialwert
sität. 1648 Abschluss des ↑ Westfälischen (Metall-, Realwert), den Nennwert, den
Friedens. Kurs- oder Verkehrswert, den Tauschwert
Munt (ahdt., Schutzgewalt); die aus al- (Kaufkraft) und Seltenheits- oder Samm-
tem Sippenrecht hervorgegangene Haus- lerwert. Im 20. Jh. wurde durch das Kre-
herrengewalt innerhalb der Familie (über dit- oder Zeichengeldprinzip die M. vom
Frauen, Kinder oder Gebrechliche) nach Papiergeld verdrängt (M. gibt es nur noch
altgerm. Recht; „ohne Munt“ waren z. B. im Kleinverkehr). Unterschieden werden:
alleinstehende Frauen und Kinder, ihnen Kurs-M. (für den gewöhnl. Umlauf im
bestellte das Gesetz einen „Vormund“, die Inland), Handels-M. (für internat. Han-
„Munt“ bedeutete Vollbesitz der bürger- delsverkehr), Denk-M. (auch Gedenk-M.,
lichen Rechte. offizielles Zahlungsmittel mit Bildern be-
Müntzer (Münzer), Thomas, protestant. stimmter Personen und Ereignisse), Kurant-
Theologe und Revolutionär, 1489–1525; M. (urspr. alle kursierenden M., seit 17. Jh.
fanatischer religiöser Reformator mit dem die Silbermünzsorten als eigentl. Münz-
Ziel eines demokrat.-kommunist. Gottes- metall), Scheide-M. (auch Schiedgeld, M.
staates; trat 1525 mit den aufständischen mit kleinem Nennwert für täglichen Zah-

646
Museion

lungsverkehr), Pseudo-M. (Schein-M., nur ten, sprengte den Rat der 500. Führer der
für Sammler). Urspr. konnten M. auch Konsulargarde, heiratete 1800 die jüngste
ungeprägte Werteinheiten bezeichnen, Schwester Napoleons, Karoline; 1804
so: Ideal-M. (Werteinheit im Bankver- Marschall, sei 1808 als Joachim I. König
kehr; stand für eine bestimmte Edelmetall- von Neapel; Führer der Reiterei im russ.
menge), Rechnungs-M. (Gegenwert einer Feldzug 1812; nach 1813 Bündnis mit Ös-
nicht mehr ausgeprägten M.), Zähl-M. (im terreich, dann wieder auf Napoleons Seite,
älteren Geldverkehr nicht ausgeprägte M., wurde bei dem Versuch Neapel zurück zu
die durch eine bestimmte Zahl kleinerer gewinnen 1815 erschossen.
Geldstücke definiert waren). Gelochte M. Muratori, Lodovico Antonio, ital. Ge-
(am Rand oder in der Mitte) sind über- schichtsforscher aus Vignola, 1672–1750;
wiegend Schmuckstücke; dennoch werden wirkte an der Mailänder Bibliothek und
zur Unterscheidung auch Scheide-M. mit seit 1700 an der Bibliothek zu Modena.
einem Loch in der Mitte geprägt. Begründer der wichtigsten Sammlung ital.
Münzhoheit, Bez. für das Hoheitsrecht Geschichtsquellen (1723): „Rerum italica-
des Staates, das Münzwesen in seiner Ge- rum scriptores“.
samtheit zu regeln; die M. fiel nach dem Murawjow-Amurski, Nikolai Nikolaje-
Untergang des Hl. Röm. Reichs 1806 an witsch, russ. General und Politiker, 1809–
die souveränen Fürsten und Städte, 1867 1881; war 1847–1861 Generalgouverneur
übernahm der Norddt. Bund die uneinge- von O-Sibirien, gewann das Amurgebiet
schränkte M., 1871 zog das Dt. Reich die für Russland.
M. an sich. Murner, Thomas, Satiriker aus dem Elsass,
Münzstätte, Bez. für den Ort, an dem sich Franziskaner und Prediger, 1475–1537;
eine Fabrik für Münzprägung befindet; als Dichter bekannt durch seine „Narren-
bis ins 16. Jh. besaßen zahlreiche Münz- beschwörung“ und die „Schelmenzunft“,
stände mehrere M.n, deren Zahl aber von stand seit 1520 in scharfer Auseinander-
der Reichsmünzordnung wegen der besse- setzung mit der Lehre Luthers („Streit-
ren Überwachung drastisch eingeschränkt schriften“), musste in die Schweiz flüchten;
werden sollte; kostspielige Prägemaschinen erhielt wieder eine Pfarrstelle in seinem
reduzierten die Zahl der M.n in der Folge- Geburtsort Oberehnheim; seine Dich-
zeit deutlich. tungen vorzügliche Quelle der Kultur- und
Murad, türk. Sultane: 1) M. I., 3. Sultan Sittengeschichte der Zeit.
der Türken (1359–1389); vernichtete das Murten, Stadt im Schweizer Kanton Frei-
serb. Reich in der Schlacht auf dem ↑ Am- burg; Sieg der Eidgenossen über Karl den
selfeld 1389. in der er fiel. 2) M. II., Neu- Kühnen von Burgund 1476.
begründer des Osman. Reiches (1421– Museion (griech., Tempel der Musen), Be-
1451), eroberte die Außenprovinzen des zeichnung für Gelehrtenschulen und For-
↑ Byzantin. Reiches und schlug die Ungarn schungsstätten (Kunst und Wissenschaft)
in der zweiten Schlacht auf dem Amselfeld im Altertum, bes. berühmt das M. von
(1448) zurück. 3) M. III., türk. Sultan seit Alexandria, ein Gebäudekomplex mit Bi-
1574, 1546–95; unter seiner Herrschaft bliothek (700 000 Papyrusrollen), Hoch-
wenig erfolgreiche Kämpfe gegen Habs- schule und größte Forschungsstätte der
burg. Alten Welt; durch Ptolemäus II. (285–
Murat, Joachim, 1767–1815; Sohn eines 247 v. Chr.) und Ptolemäus III. (246–
Gastwirts (Le beau Sabreur), Adjutant 222 v. Chr.) gefördert und ausgebaut; Mit-
Napoleons auf dem ital. Feldzug, toll- telpunkt des Hellenismus, Sitz vieler be-
kühner Reitergeneral Napoleons in Ägyp- rühmter Gelehrter, mit Werkstätten zur

647
Muselmanen

Buchvervielfältigung; die große Bibliothek terrechtliche Kulturperiode wird jedoch in


bei der Besetzung Alexandriens durch Cä- ihrer angeblich zwingenden Allgemeingül-
sar 48 v. Chr. verbrannt. tigkeit bestritten.
Muselmanen, veraltet für Moslems, Mus- Muzorewa, Abel, simbabw. Politiker, geb.
limen, ↑ Islam. 1925; 1968–1979 Bischof der Vereinigten
Mussolini, Benito, ital. Politiker, 1883– Methodistenkirche; 1979/80 Premierminis­
1945; 1912–1914 Leiter der sozialistischen ter von Simbabwe (erster schwarzer Regie-
Zeitung „Avanti“, 1914 Verleger des „Po- rungschef des Landes).
polo d’Italia“ in Mailand, gründete im Myanmar (bis 1989 Burma oder Birma),
März 1919 die Faschist. Partei und wurde ehemaliges Königreich in Hinterindien;
zum „Duce“ (= Führer) gewählt; marschierte um 500–800 Invasion von Wandervölkern
im Okt. 1922 an der Spitze der Schwarz- aus Tibet und Südchina; um 1600 Jesuiten­
hemden nach Rom, im Nov. 1922 Regie- mission, Handelsverbindungen mit den
rungschef; errichtete die faschist. Diktatur Niederlanden; 1826–1886 von den Eng-
seiner Partei; betrieb mit Nachdruck In- ländern gebietsweise erobert und an Bri-
dustrialisierung und Aufrüstung; 1929 Ab- tisch-Indien angegliedert, 1937 losgelöst
schluss der ↑ Lateranverträge mit der Kurie; und eigene Kronkolonie; 1942 von den Ja-
1935/36 Einfall in Abessinien (bis 1941); panern erobert und 1943 für unabhängig
1939 Besetzung Albaniens, 1939 Bündnis erklärt, 1945 von Lord Mountbatten zu-
mit Deutschland und Japan (Achse); 1940 rückerobert; 1948 selbständig als „Birman.
Kriegserklärung an Frankreich, 1941 An- Union“ (Verfassung von 1947) mit Auto-
griff auf Griechenland; 1943 Kapitulation nomie für die Grenzvölker: 1948 Austritt
Badoglios. M. auf dem Gran Sasso in Haft, aus dem brit. Commonwealth, doch Mili-
von Deutschen befreit; im April 1945 auf tärbündnis mit England; 1949 Bürgerkrieg
der Flucht in die Schweiz von ital. Partisa- gegen Kommunisten und separatist. Natio­
nen erschossen (↑ Faschismus). nalkaren; 1954 Eintritt in die Föderation
Mustafa, türk. Heerführer: 1) M. II., Burma, Indien, Pakistan, Indonesien und
1664–1703, Sultan seit 1695; Niederlage Ceylon; 1955 Wirtschaftsabkommen mit
bei Zenta gegen Prinz Eugen (1697), nach der Sowjetunion; 1958 Militärregierung,
dem Frieden von Karlowitz (1699) gestürzt 1961 Grenzvertrag mit China. 1962 Re-
und vergiftet. 2) M. Kara, türk. Großwesir gierungssturz, Regierung durch Revoluti-
unter Sultan Mehemed IV. seit 1676, bela- onsrat, Verfassung von 1947 wurde außer
gerte 1683 Wien und wurde nach seiner Kraft gesetzt, nach kommunist. Vorbild
Niederlage in Belgrad 1683 erdrosselt. gegliederte neu gegr. Staatspartei, Abbruch
Mutterrecht, Matriarchat, Gynaikokra- ausländ. Handelsbeziehungen. 1974 neue
tie (Frauenherrschaft), im Gegensatz zum sozialist. Verfassung. 1989 nach längeren
Vaterrecht (Patriarchat) die von der Mut- Unruhen Militärregierung ­ unter General
ter her bestimmte Ordnung der ­ Familie; Saw Maung. Umbenennung in „Union von
eine von ↑ Bachofen 1861 aufgestellte Myanmar“, Privatisierung von Staatsbetrie-
Theo­rie, begründet vor allem auf die recht- ben. 1990 freie Wahlen, aber nach über-
lichen Zustände bei den alten Lykern, über wältigendem Sieg der Demokratiebewe-
die Herodot deutlich berichtete; erhärtet gung („National League for Democracy“,
durch Vergleiche mit ähnlichen Einrich- NLD) unter Aung San Suu Kyi Weigerung
tungen der Lokrer, Karer, Kreter usw. sowie der Militärs, das Wahlergebnis anzuerken-
durch entsprechende Deutung mythischer nen; Nationalversammlung wurde nie ein-
Überlieferungen; die an den Anfang aller berufen, Aung San Suu Kyi bis 1995 und
geschichtlichen Entwicklung gestellte mut- erneut seit 2003 unter Hausarrest (Frie-

648
Mysterien

densnobelpreis 1991). Die totalitäre Herr- loi), von denen der fälschlich als „Schatz-
schaft des Regimes hält weiter an, seit 1992 haus des Atreus“ und in ↑ Orchomenos
unter Staatschef General Than Shwe; auch nachgebildete Grabbau von einer 14,5 m
Proteste und Sanktionen des westl. Aus- großen, mörtellos gefügten Steinkuppel
landes gegen die Politik der Militärjunta überwölbt ist (größte Kuppel bis zum Bau
blieben weitgehend wirkungslos. des röm. ↑ Pantheons); Machtausdehnung
Mykale, Vorgebirge an der kleinasiat. über ägäische Inseln, Zypern, Kleinasien
Küste gegenüber von Samos; Seesieg der und nach 1400 auch über Kreta und des-
Athener über die Perser 479 v. Chr. (Ver- sen Besiedlung durch myken. Pelopon-
nichtung der gesamten pers. Seemacht). nesier, Ausstrahlung der myken. Kultur
Mykene, altgriech. Burg und Stadt am auch in den Balkan (Serbien, Rumänien),
Rand der peloponnes. Landschaft Argo- Handelskontakte mit Süditalien; um 1200
lis, 15 km vom Meer entfernt; Ausgrabung vermutlich Kriegszug zu den Dardanel-
durch Schliemann (seit 1874): gesamtge- len (Trojanischer Krieg?), bald nach 1200
schichtlich hoch bedeutsam, da sie den An- Erstarrung der Kultur und um 1150 Zer-
fang der antiken europ. Geschichte, der bis störung M.s durch das rivalisierende (do-
dahin um etwa 800 v. Chr. angesetzt wor- rische?) Argos. Seitdem war M. eine kleine
den war, um über 1 000 Jahre zurückver- Stadt, deren Bürger bei den Thermopylen
legte. – M. unter den im 2. Jt. von indoger- 480 und bei Platää 479 mitkämpften; 478
man. Frühgriechen erbauten Herrensitzen ging der Ort unter; M. war in der Antike
schon um 1800 v. Chr. die bedeutendste, vielbesuchte Ruinenstätte.
zunächst kleine Burg mit einem heizbaren Mykerinos, altägypt. König der 4. Dynas-
Viereckhaus (Megaron); mit dem Beginn tie, um 2740 v. Chr.; Erbauer der M.-Pyra-
der Beziehungen zu ↑ Kreta (kretisch-my- mide bei Giseh.
kenische Kultur) im 16. Jh. palastartig Mylius-Erichsen, Ludwig, dän. Polarfor-
ausgebaut und im kret.-minoischen Stil, scher, 1872–1907; erforschte 1902–1904
doch krieger. ausgestattet; wohl schon in und 1906/07 die Kultur des Eskimos im
dieser Zeit Mittelpunkt eines machtvollen NW Grönlands; nach ihm benannt die
und reichen ostpeloponnes. Königreichs nordost-grönländ. Halbinsel M.-E.-Land.
(sagen­hafte Könige: Perseus, Pelops, Atreus Mysterien, bei den Griechen und Römern
und Agamemnon, der nach Homer der und anderen Völkern Geheimkulte und
Heerfüh­rer aller Griechen im Trojanischen geheimnisumwobene religiöse Feiern mit
Krieg ist); am Burgfelsen aus dem 16. Jh. symbol. und allegor. Handlungen unter
Schachtgräber der Könige, von Schliemann Verwendung von Wahrzeichen der gött-
mit unversehrten Goldschätzen ausgegra- lichen Gegenwart (Attribute der Gotthei­
ben (Schmuck, Totenmasken, Geräte, Waf- ten: Spiegel, Kreisel, Schlangen, Blumen-
fen, z. T. Importware aus Kreta); während korb, Fackel); die Kulthandlungen bestan­
des vorübergehenden Machtniedergangs den in Reinigungen, Opfern, öffentlichen
der kret. Seemacht (um 1580) Plünde- Bußübungen, Prozessionen; die M. waren
rung von Knossos, Seefahrt bis nach Ägyp- nur den Eingeweihten (Mysten) ­zugänglich,
ten (Hilfeleistung bei der Vertreibung der die durch den Mystagogos (Führer der
↑ Hyksos); Blütezeit M.s um 1500–1350: Mys­ten) in feierlicher Weihe aufgenom-
Bau der größeren Palastanlage auf dem men wurden (Vorweihe, Schweigegelübde,
Burggelände mit zyklop. Mauerring und Vollendung, Anschauung); M. oft getrennt
dem Löwentor (Nachbildung in ↑ Tiryns), für Frauen und Männer; bekannte M. der
der frühesten griech. Großplastik; nahe bei Antike waren die orphischen, samothra-
der Palastburg neun Kuppelgräber (Tho- kischen, dionysischen und eleusischen, in

649
Mystik

hellenist. Zeit die des Mithras, der Isis und Mythologie (griech. mythos, Erzählung,
der Kybele. Rede), Lehre von den Mythen, Berichten,
Mystik (griech. mystikos, geheim, den Ge- die sich um ein göttliches Wesen bewegen;
weihten heilig), das Bestreben, Gott un- zum Unterschied von der Sage, die von
mittelbar zu erschauen durch Versenkung den Menschen der Frühzeit, den Heroen
in sein Wesen und durch innere Betrach- eines Landes, Städtegründungen, Wan-
tung, Erleuchtung und Liebe; Weg zur derungen erzählt, befasste sich die Mythe
Gotteserkenntnis, die nicht in erster Linie mit den Gottheiten, der Götterlehre, den
durch Glauben oder Wissen erlangt wurde Dämonen, der Welt- und Erderschaffung
(„Gott wird soweit begriffen, als er geliebt und geheimnisvollen Naturvorgängen;
wird“); in diesem Sinne konnte die Lehre entsprechend ist die vergleichende M. die
der ↑ Neuplatoniker mystisch genannt Wissenschaft von der Entstehung, Entfal-
werden; im MA war die M. vor allem eine tung und dem Vergleich der Mythen der
Reaktion auf die einseitige Verstandes- und verschiedenen Völker; ihre Quellen sind
Wissensbildung der scholast. Erfassung die allgemeinen historischen Zeugnisse
Gottes durch den Verstand; im 12. Jh. Be- der Vergangenheit, insbesondere auch die
ginn mit Bernhard von Clairvaux, Hoch- Mythen­sammlungen, die aus dem Alter-
blüte in Deutschland; Meister Eckart, tum zahlreich erhalten sind.
Tauler, Seuse, Ruysbroeck.

650
Nabatäer-Staat

Nabatäer-Staat in Transjor- Nagy, 1) N., Ferenc, ungar. Politiker,

N danien, Hauptstadt ↑ Petra,


be­nannt nach dem nordöstl.
des Roten Meeres beheimate­
ten arab. Handels- und Hirtenstamm der
1903–1979; war 1939–1942 MdR für die
„Partei der Kleinen Landwirte“, 1945 Par-
lamentspräsident, 1946 Ministerpräsident;
musste 1947 das Land verlassen, weil ihn
Nabatäer; um 400 v. Chr. entstanden, Blüte die kommunistische Partei der Staatsver-
um 200 v. Chr.; 106 n. Chr. von Trajan un- schwörung beschuldigte. 2) N., Imre, un-
terworfen, Teil der röm. Provinz Arabia. gar. Politiker, 1896–1958; seit 1944 in ZK
Nabis, Tyrann Spartas (207–192 v. Chr.), und Politbüro der ungar. KP, 1953 zum
vom römischen Konsul Flamininus, der Ministerpräsidenten gewählt, 1955 aus al-
im Anschluss an den 2. Makedon. Krieg len Ämtern entlassen, 1956 wieder Minis-
die griechischen Staaten für „frei“ erklärte, terpräsident und Führer des ungar. Volks-
195 v. Chr. besiegt und 192 v. Chr. von äto- aufstandes, nach dessen Niederschlagung
lischen Truppen erschlagen. von sowjet. Truppen verschleppt und 1958
Nabupolassar, babylon. König aus dem nach Geheimverfahren hingerichtet, 1989
aramäischen Stamm der Chaldäer (um rehabilitiert.
600 v. Chr.); Vater Nebukadnezars II., zer- Naher Osten, Nahost, Bez. für den Vorde-
störte 614 v. Chr. Assur und 612 v. Chr. im ren Orient, umfasst etwa die Gebiete: östl.
Verein mit den Medern (Kyaxares) Ninive, Nordafrika, Türkei, Israel und die arab.
machte der Gewaltherrschaft der Assyrer Länder Vorderasiens (Mittlerer Osten,
ein Ende und verhalf der mesopotam. Kul- Mit­telost: Persien, Afghanistan, Indien, Pa­
tur zu einer letzten Nachblüte durch die kistan, Burma; Ferner Osten: Ostasien, be-
Gründung des sog. ↑ Neubabylon. Reiches sonders China, Japan, Hinterindien).
(Kanal-, Brücken-, Tempelbauten), das von Nahostkonflikt, ↑ Palästina und >>Israel.
625–538 Bestand hatte; sein Sohn ↑ Nebu- Naissus, antike Stadt in Obermösien (bei
kadnezar setzte sein Werk fort. Nisch): vernichtender Sieg des röm. Kai-
Nachfolgestaaten, i. e. S. die 1919 aus der sers Claudius II. Gotikus über die ver-
zerschlagenen österr.-ungar. Donaumonar- einten got. Völker unter dem Oberkönig
chie gebildeten neuen Klein- und Mittel- Kniwa 269 n. Chr. und Abwehr ihres An-
staaten: Österreich, Ungarn, Tschechoslo- griffes auf Italien.
wakei und (mit Teilen ihres Staatsgebietes) Namibia, Land im südl. Afrika; war von
Polen und Jugoslawien. 1884–1918 dt. Schutzgebiet unter der
Nachtigal, Gustav, Arzt, einer der bedeu- Bez. Dt.-Südwestafrika, kam 1919/20 als
tendsten dt. Afrikaforscher, 1834–1885; C-Mandat unter Verwaltung der Südafri-
große Verdienste um die Erschließung Ti- kan. Union (später Republik Südafrika),
bestis, des mittleren und östlichen Sudan, die auch in N. Apartheidsgesetze ein-
Wadais, Bornus und Dafurs (1869–1874), führte: 1971 erklärte der Internat. Ge-
nahm durch geschickte Unterhandlungen richtshof die Präsenz der Republik Süd-
↑ Togo und ↑ Kamerun für Deutschland in afrika in N. für illegal. 1975 modifizierte
Besitz (1884). die Rep. Südafrika ihre N.-Politik, baute
Nadir, Schah von Persien (1736–1747); die Apartheidsgesetze ab und versprach
dehnte den Machtbereich Persiens bis zum die Unabhängigkeit, die bei der sog. Turn-
Indus, Euphrat und ans Kasp. Meer aus; hallenkonferenz in Windhuk vorbereitet
eroberte ↑ Delhi und gewann den Reichs- wurde; Dez. 1978 siegte in von der UNO
schatz der Großmogule für seine Erobe- nicht anerkannten Wahlen die „Demokra-
rungen; wegen seiner Härte und rel. Re- tische Turnhallenallianz“ (DTA), der Mini-
formversuche (Sunnitenfreund) ermordet. sterrat trat 1983 wegen der Einmischung

651
Nancy

Südafrikas zurück, 1985 wurde ein neuer, Nansen, Fridtjof, norweg. Forscher, Wis-
weiterhin von der UNO nicht anerkannter senschaftler der Zoologie und Meereskunde,
Ministerrat eingesetzt; 1988 stimmte Süd- Staatsmann, 1861–1930, durchquerte als
afrika im Rahmen eines Friedens mit An- erster 1888 Grönland in O-W-Richtung,
gola und Kuba der Unabhängigkeit N.s zu erreichte 1893/96 mit der „Fram“ und mit
(im Gegenzug wurden kuban. Truppen aus Schlitten 86,4° Nord, wirkte als Professor
Angola abgezogen). Bei den ersten inter- in Oslo 1897–1916 und als Gesandter in
nat. anerkannten Wahlen 1989 gewann die London 1906–1908; setzte sich nach 1918
South West African People’s Organization für die Heimkehr der im Osten zurückge-
(SWAPO) die absolute Mehrheit. 1990 haltenen dt. Kriegsgefangenen ein, leitete
wurde die Unabhängigkeit der Republik N. 1921–1923 die Maßnahmen gegen die
ausgerufen. Erster Staatspräsident und Re- russ. Hungersnot und bemühte sich um
gierungschef Samuel Nujoma (SWAPO). humane Durchführung des Bevölkerungs-
Um die wirtsch. Abhängigkeit von Süd- austauschs nach dem griech.-türk. Krieg
afrika zu reduzieren, wurde 1993 eigene 1922/23 (1,2 Mio. Griechen der Türkei ge-
Währung eingeführt (Namibia-Dollar). gen 600 000 Türken Griechenlands). Ein
Ab 1994 per Gesetz schrittweise Übergabe von N. angeregter Pass des Völkerbundes
von Land an schwarze Farmer (zu diesem für Staatenlose, Emigranten und Flücht-
Zeitpunkt rund 50 % des Landes im Be- linge („Nansenpass“) wurde von 31 Staaten
sitz von Weißen [rund 6 % der Bev.]). Die anerkannt; 1922 Friedensnobelpreis.
von Nujoma verfolgte Politik der „Recon- Nantes, ↑ Edikt von, von König Hein-
ciliation“ (Versöhnung) ermöglichte weit- rich IV. 1598 erlassen, gestattete den ↑ Hu-
gehend ein friedliches Miteinander in Na- genotten freie Religionsausübung; die
mibia. Im Dez. 1999 erneut Wahlsieg der Aufhebung des Edikts durch Ludwig XIV.
regierenden SWAPO, Nujoma wurde im 1685 war Anlass zu den Hugenottenaus-
Amt bestätigt. wanderungen. Nantes 1793 Schauplatz der
Nancy, seit dem 12. Jh. Residenz der Her­ Massenertränkungen (Noyaden, ↑ Carrier).
zöge von Oberlothringen, alte Hauptstadt Napoleon, frz. Kaiser: 1) N. I., Bona-
Lothringens an der Meurthe; 1477 Sieg der parte, Kaiser der Franzosen, 1769–1821;
Eidgenossen und Renée von Lothringen erstrebte nach dem Vorbild des karoling.
über ↑ Karl den Kühnen von Burgund; die Frankenreiches die Neuerrichtung eines
Vernichtung der Großmachtpläne Karls abendländ. Großreiches mit Frankreich
enthob Frankreich einer großen Gefahr, als Mittelpunkt und Ordnungsmacht und
schuf aber auch durch Streit um das bur- einem abhängigen Staatensystem, ver-
gund. Erbe (↑ Burgund) einen der Aus- suchte die Wiederbelebung eines Cäsaren-
gangspunkte der Jh. währenden Feind- tums im Stil spätröm. Kaiser; betrieb in
schaft zw. Habsburg und Frankreich. Nachfolge Ludwigs XIV. die Vernichtung
Nanking, das alte Kin-Ling im Königreich des alten Dt. Reiches und die Schwächung
Tschu, 1368–1421 Residenz der chin. Kai- seiner Führungsmächte Österreich und
ser (Ming-Dynastie), N. = Südhauptstadt, Preußen und bekämpfte als Vollender der
Peking = Nordhauptstadt; N. 1911/12 Sitz Frz. Revolution („Robespierre zu Pferde“)
der revolut. Regierung, 1927 durch Trup- das konservative England, schuf trotz Fehl-
pen der Kuomintang erobert und von 1928 schlags seiner Großreichpläne die Grund-
an Reichshauptstadt; 1937–1945 von Ja- lagen für die staatliche Neuordnung in Eu-
pan besetzt. – Friede von N. 1842: ↑ China ropa im 19./20. Jh., weckte aber auch die
trat Hongkong an England ab und öffnete nationalen Bewegungen in den europ. Völ-
seine Häfen dem europ.-amerik. Handel. kern und die imperialist. Bestrebungen der

652
Napoleon

Folgezeit, ermöglichte andererseits die Aus- der Seeniederlage gegen England bei ↑ Tra-
breitung der Freiheitsideen der Frz. Revo- falgar und siegreicher Dreikaiserschlacht
lution. – Geb. 15. Aug. 1769 in Ajaccio auf bei Austerlitz 1805 Friede zu Preßburg
Korsika als Sohn eines Advokaten (Korsika mit Österreich (Abtretung der letzten ös-
seit 1768 frz.), zunächst fanat. Feind Frank- terr. Besitzungen in Italien); Schutz- und
reichs, als Persönlichkeit ehrgeizig, kaltblü- Trutzbündnis Frankreich-Preußen (Ver-
tig, willensstark, rücksichtslos und schließ- trag zu Schönbrunn). 1806 Errichtung des
lich maßlos in seiner krieger., imperialist. ↑ Rheinbundes außerhalb des Dt. Reiches
Außenpolitik. – Nach schnellem militär. (16 süd- und westdeutsche Fürsten unter
Aufstieg (Kriegsschule in Brienne [1779]) N. Protektorat). Nach Neutralitätsverlet-
kors. Freischärlerführer, erfolgreicher Artil- zung preuß. Gebietes (Durchmarsch Ber-
lerieoffizier bei der Belagerung von Toulon nadottes durch das damals preuß. Ans-
und beim Pariser Sektionenaufstand (dem bach) Krieg gegen Preußen und Russland
Sturm auf die Tuilerien am 5. Okt. 1795), (Sieg bei Jena und Auerstädt 1806 über
Oberbefehlshaber in Italien gegen Öster- Preußen, bei Friedland 1807 über Russen);
reich, den Verbündeten Preußens im 1. Koa­ Friede von Tilsit 1807 (Verlust aller preuß.
litionskrieg, gegen Sardinien und den Kir- Gebiete westl. der Elbe), zur Sicherung der
chenstaat; Gründung der Cisalpin., Ligur., Eroberungen Einsetzung von Verwandten
Tiberin. Republik (einschließlich Roms; als Könige und Großherzöge in Neapel,
Papst Pius VII. Gefangener in Frankreich); Holland, Berg, Westfalen u. a.; Freund-
1797 Friede zu Campo Formio mit Öster­ schaftspakt mit Zar Alexander I. von Russ-
reich: Belgien und linkes Rheinufer an land zur Unterstützung der ↑ Kontinen-
Frankreich; Schweiz wurde von Frankreich talsperre gegen England; seit 1807 Ok-
abhängige Helvet. Republik; Feldzug nach kupation Portugals und Spaniens, 1808
Ägypten 1798/99 als Vorstufe zur Beseiti- Feldzug gegen Spanien, 1809 Krieg gegen
gung der brit. Herrschaft in Indien ohne Österreich (Niederlage bei Aspern, Sieg bei
nachhaltigen Erfolg (Seeniederlage bei Wagram) und Friede von Schönbrunn mit
Abukir). Nach Rückkehr Staatsstreich am weiteren österr. Gebietsabtretungen. 1810:
18. Brumaire (9. Nov.) 1799 im krit. Au- Nach Scheidung von Josephine Beauhar-
genblick rettete der Bruder Lucien Bona- nais Heirat mit ↑ Marie Luise, der Tochter
parte geschickt die Situation; N. 1. Konsul Kaiser Franz’ I. von Österreich; N. erzwang
auf zehn Jahre (Konsulatsverfassung nach die Wahl seines Marschalls Bernadotte zum
N.s Wünschen), Frieden und Konkordat Kronprinzen von Schweden; Vereinigung
mit der Kirche, Code N. als umfassende des Kirchenstaates mit Frankreich, erneute
Kodifikation des frz. Rechts, 2. Koaliti- Gefangensetzung des Papstes. 1811/12 Hö-
onskrieg (England, Russland, Türkei u. a., hepunkt der Machtstellung N.s: Das Na-
ohne Preußen) endete 1801 mit dem Frie- poleon. Reich umfasste den ganzen europ.
den von Luneville und der Sanktionie- Raum zw. Nordsee und Adria, Ostsee und
rung der frz. Machtposition. 1802 durch Ebro; N.s Satrapen herrschten in Italien,
Volksabstimmung Konsul auf Lebenszeit. Spanien, Neapel, Westfalen, Schweden,
1803 im ↑ Reichsdeputationshauptschluss in den Rheinbundstaaten und im Groß-
Neuordnung des dt. Raumes („Flurberei- herzogtum Warschau; Vasallenstaaten wa-
nigung“). 1804 Abschluss der Revolutions- ren Dänemark, Bayern, Sachsen; Preußen
epoche durch allg. Volksabstimmung und war unterjocht, Österreich zwangsverbün-
Kaiserkrönung in Notre-Dame zu Paris. det; Russland in den Krieg mit der Türkei
3. Koalitionskrieg (England, Österreich, verwickelt; nur England leistete hartnäckig
Russland, Schweden; ohne Preußen). Nach Widerstand. 1812 Umschwung: Feldzug

653
Naramsin

nach Russland, Vordringen der „Großen Krieg gegen Preußen (Sedan 1870), geriet
Armee“ bis Moskau, nach dessen Brand in preuß. Gefangenschaft (Schloss Wil-
Verlust der Armee beim Rückzug. 1813 helmshöhe bei Kassel); starb in England.
nach Erneuerung des Bündnisses Russland- Naramsin, bed. Herrscher der ­Dynastie von
Preußen zu Kalisch, dem später Österreich, ↑ Akkad (2500 v. Chr.), Enkel ­↑ Sargons, er-
England und Bayern beitraten, Beginn der weiterte unter Ausnutzung der Metallwaf-
↑ Befreiungskriege; nach teilweise erfolg- fen durch Unterwerfung von Elam, Syrien,
reichen Gefechten entscheidende Nieder- Zypern und Persiens das Reich von Akkad
lage bei Leipzig (Völkerschlacht), Rückzug auf das Doppelte seines Umfangs.
über den Rhein, Ende des Rheinbunds, Narcissus, Freigelassener, kaiserlicher Ge-
Verfolgung bis Paris. 1814 Abdankung heimschreiber unter Caligula und Clau-
und Abfindung mit dem Fürstentum Elba. dius; von großem Einfluss am Kaiserhof
– 1815 Rückkehr nach Frankreich zur (Sturz der Kaiserin Messalina).
„Herrschaft der hundert Tage“; Ächtung Narodna Odbrana (serb., Nationale Ver-
durch Wiener Kongress, nach Niederlage teidigung), 1908 gegr. serb. Nationalisten-
bei Belle-Alliance (Waterloo) Gefangen- bund, der die Vereinigung der südslaw. Ge-
nahme durch die Engländer und Verban- biete erstrebte; stand im Zusammenhang
nung auf die brit. Insel St. Helena, dort mit der Ermordung ↑ Franz Ferdinands in
1821 gestorben. 1840 Überführung der Sarajewo (1914).
Gebeine nach Paris (Grab im Invaliden- Narses, armen. Eunuch, nach der Abbe-
dom). 2) N. (II.), 1811–1832; Sohn N.s I. rufung Belisars (Misstrauen Kaiser Justi-
und Marie Luises, schon als Kind „König nians I.) 548 zum byzantin. Feldherrn er-
von Rom“, 1822 Herzog von Reichstadt, nannt, besiegte den Ostgotenkönig Toti­la
lebte seit 1814 am Wiener Hof; durch die in der Entscheidungsschlacht bei Tadinae
Geste der Überführung seiner Leiche von (552 n. Chr.) und den letzten Ostgoten­
Wien nach Paris im 2. Weltkrieg wollte könig Teja an den Hängen des Vesuvs
Hitler die Franzosen seinen Plänen geneigt (553 n. Chr.); byzantin. Statthalter (↑ Ex-
machen. 3) N. III., Kaiser der Franzosen, arch) in Italien, bei Justin II. in Ungnade
1808–1873; Sohn König Ludwig Bona- gefallen, abberufen (567), rächte sich an
partes von Holland; in Augsburg erzogen, Byzanz, indem er (vermutl.) die ↑ Lango-
Publizist in der Schweiz; nach der Teil- barden nach Italien rief.
nahme am Straßburger Militärputsch 1836 Narwa, estn. Stadt am Finnischen Meerbu-
in Amerika; 2. Putschversuch in Boulogne sen; 1250 gegr., von 1346–1558 einer der
1840, Flucht nach England; bekämpfte das Mittelpunkte des deutschen Ordenslandes;
frz. Bürgerkönigtum Louis Philippes. Nach von 1581–1706 schwedisch, später unter
der Februarrevolution 1848 als Staatspräsi- russ. Herrschaft. – Bei N. Sieg ↑ Karls XII.
dent berufen; 1851 Staatsstreich, ließ sich von Schweden über Peter d. Gr. von Russ-
auf 10 Jahre zum Präsidenten wählen; 1852 land (1700).
zum Kaiser gewählt; unterstützte 1854 die Naseby, Dorf in der englischen Grafschaft
Türkei gegen Russland (↑ Krimkrieg), um North­ampton, Schauplatz des Kampfes
als Schiedsrichter in Europa Einfluss zu und Sieges der Parlamentstruppen unter
gewinnen, förderte die ital. Freiheitsbewe- Fairfax und ↑ Cromwell über die Königli­
gung gegen Österreich (↑ Plombieres), um chen unter Karl I. (1645); Wendepunkt im
Savoyen und Nizza zu annektieren, erlebte Bürgerkrieg (↑ England).
außenpolit. Fehlschläge (1867 ↑ Maximi- Nasriden, die letzte arab. Dynastie in Gra-
lian in Mexiko erschossen, Gründung des nada (1231–1492), unter der die mauri­
Norddt. Bundes), verstrickte sich in den sche Kultur noch einmal aufblühte.

654
Nationalliberale Partei

Nassau, an der Lahn, Stammsitz der Gra- seine Position, ohne dass N. seine Rolle
fen von Laurenburg, die seit 1160 der Li- als Symbol der politischen und geistigen
nie Laurenburg den Namen gaben; 1255 Einheit der ges. arabischen Welt einbüßte
trennte sich das Adelsgeschlecht in die wal- (↑ Ägypten).
ramsche (südl. der Lahn) und otton. Linie Nationale Volksarmee, Abk. NVA, Streit-
(nördl. der Lahn) mit gemeinsamer Burg; kräfte der DDR; entstanden aus der 1948
aus der walramschen Linie ging ↑ Adolf aufgebauten „Kasernierten Volkspolizei“,
von N., dt. König, hervor; 1890 Adolf von seit 1956 unter dem Namen NVA; 1962
N. als Erbe Wilhelms III. der Niederlande wurde die allg. Wehrpflicht vom 18. bis
Großherzog von Luxemburg. Aus der ot- 50. Lebensjahr eingeführt. Personalstärke
ton. Linie stammte ↑ Wilhelm I., später ungefähr 162 000 Mann.
Statthalter der Niederlande (seit 1574, Nationalgarde, aus der Volksbewaffnung
gest. 1584 durch Meuchelmord), gründete von 1789 in Frankreich gebildete Bürger-
die Linie Nassau-Oranien, die seit 1815 garde, 1797 durchorganisiert, 1827 auf-
das niederländ. Könighaus stellt; die Ge- gelöst, 1830 neu organisiert, 1852 einge-
biete der walramschen Linie, im 19. Jh. schränkt; seit 1862 Reserve für gediente,
als Herzogtum N. zusammengeschlossen, über 30 Jahre alte Soldaten (Mobilgarde).
1806 Mitglied des ↑ Rheinbundes; 1815 Nationalkomitee „Freies Deutschland“,
(vermehrt durch die otton. Gebiete) Mit- von dt. kommunist. Emigranten, Über-
glied des Dt. Bundes; 1866 auf Seiten Ös- läufern und Kriegsgefangenen am 7. März
terreichs, nach der österr. Niederlage von 1943 in Krosnogard bei Moskau gegr. Or-
Preußen annektiert. ganisation (u. a. Pieck, Ulbricht, J. E. Be-
Nasser, Gamal Abd el, ägypt. Offizier und cker, Generalfeldmarschall Paulus, General
Politiker, 1918–1970; 1954 als „starker von Seydlitz-Kurzbach); gab eine eigene
Mann“ Nachfolger Nagibs, dessen Politik Zeitung heraus und betrieb einen Radio­
der innen- und außenpolit. Fes­tigung er sender; rief zum Sturz Hitlers auf und
fortsetzte; Anlehnung an die Sowjetunion, strebte ein freies demokratisches Deutsch-
Waffenkäufe in der Tschechoslowakei, ris­ land in den Grenzen von 1937 an. Nach
kierte, nachdem der amerik. Außenminis­ Kriegsende ohne Einfluss, Nov. 1945 auf-
ter Dulles sein Kredit­gesuch zurückgewie- gelöst. Einige Mitglieder wie die Gene-
sen hatte, die Verstaatlichung der (inter- rale V. Müller, von Lenski und Kodes wa-
nationalen und privaten) Suez-Kanal-Ge- ren maßgeblich am Aufbau der Nationalen
sellschaft (1956) mit Erfolg, da die von Volksarmee der DDR beteiligt.
Israel, England und Frankreich angesetzte Nationalkonvent, ↑ Konvent.
militär. Intervention unter dem Druck der Nationalliberale Partei, entstand 1866
Vereinten Nationen und der öffentlichen zunächst in Preußen durch die Abspal-
Meinung abgebrochen wurde; begründete tung des rechten Flügels der ↑ Fortschritt-
1958 mit Syrien und dem assoziierten Je- spartei, der sich hinter Bismarcks Politik
men den Bundesstaat „Vereinigte Arab. stellte (Indemnitätsvorlage); im Reichstag
Republik“ (bis 1961); 1961 Auflösung des bis 1879 stärkste Partei, verwurzelt im na-
Parlaments, neue Verfassung durch den tional gesinnten, gemäßigt liberalen mitt-
„Nationalkongress der völk. Kräfte“: Ver- leren Bürgertum, ging mit Bismarck zu-
staatlichung des Grundbesitzes, Industria­ sammen, dessen stärkste Stütze im ↑ Kul-
lisierung, Agrarreform; doch Fehlschlag turkampf; konnte aber ihre liberalen und
der panarab. Bewegung unter Kairos Füh- konstitutionellen Prinzipien nicht durch-
rung. Der für N. erfolglose 3. israel.-arab. setzen, wurde von Bismarck schließlich
Krieg von 1967 schwächte vorübergehend zur Spaltung getrieben und entscheidend

655
Nationalsozialer Verein

geschwächt (Sozialistengesetz, Übergang ↑ Alldeutschen Wiens. Der N. entstand in


vom Freihandel zum Schutzzoll, Abbau den Wirren der militär. und wirtsch. Kata-
des Kulturkampfes); nach der „Sezession“ strophe von 1818/19 und der Spartakisten-
ihres freihändler. Flügels unter Bamberger aufstände in vielen Reichsgebieten; er war
1880 trieb sie nach rechts ab (80er Jahre: Sammelbecken existenzlos gewordener Sol-
„Kartell“ mit den Konservativen; „Bülow- daten, national Enttäuschter, wirtsch. Ge-
block“); 1918 zerfallen, Kern von der ↑ Dt. scheiterter, Deklassierter der alten Gesell-
Volkspartei aufgenommen. – Bedeutendste schaftsschicht und Freikorpskämpfern und
Parteiführer: Lasker, Bennigsen, Miquel. wurde gefördert durch die falsche Politik
Nationalsozialer Verein, durch Friedrich der Sieger (Bruch der Wilsonschen Ver-
↑ Naumann 1896 gegründet mit dem Ziel, sprechungen, Versailler Vertrag), durch die
die sozialdemokrat. Arbeiterschaft an den Spaltung der Arbeiterschaft (1. Jan. 1919
Staat heranzuführen und beide zu gegen- Gründung der revolutionären „Kommu-
seitigem Verständnis zu bringen. nist. Arbeiterpartei Deutschlands“ und
Nationalsozialismus, die nach dem Zu- Zusammenschluss mit den „Unabhängigen
sammenbruch des dt. Kaiserreiches 1919 Sozialisten“ [USPD] 1920), durch das
von München ausgehende, seit 1921 von noch fehlende republikan. Selbstbewusst-
Adolf ↑ Hitler geführte totalitäre, anti­ sein weiter Kreise, die ständige Furcht vor
demokrat., antisemit., imperialist. Kampf- dem Fortgang des kommunist. Terrors und
bewegung, die den Anspruch erhob, Welt- die noch bestehende Unerfahrenheit der
anschauung zu sein. Geistige Wegbereiter 1918 an die Macht gelangten demokrat.
bzw. zeitgenöss. Ideologen: Joseph Arthur Parteien. Die erste Organisation der Natio-
Gobineau (Rassenlehre), Heinrich von nalsozialisten war zunächst nur eine unter
Treitschke (Idee des Machtstaates), Fried- zahlreichen nationalist. Gruppen der ersten
rich Nietzsche (Vision vom „Herren- Nachkriegszeit, die sich vor allem in dem
menschen“), Houston Stuart Chamberlain die Monarchie erstrebenden Bayern
(„Arischer Geist“), Paul de Lagarde (Art­ sammelten; zu ihnen zählte die Anfang
eigenes Christentum), Oswald Spengler 1919 von Karl Harrer und Anton Drexler
(Geschichte als Triumph des Willens zur gegr. und von Dietrich Eckart geistig be-
Macht), Ernst Niekisch (Staatsvergottung), herrschte antirepublikanische, antisemit.
Moeller van den Bruck (Synthese von Sozia­ „Deutsche Arbeiterpartei“ in München,
lismus und Nationalismus in einem antise- der Hitler (in dieser Zeit wie Röhm, Esser,
mit. eingestellten „Dritten Reich“), Hans Feder in der polit. Aufklärungsarbeit der
Günther („Nord. Rassenbiologie“), Wil- bayer. Reichswehr tätig) als 70. Mitglied
helm Stapel (Deutschland, Mutter aller beitrat, ab Jan. 1920 als „Werbeobmann“;
Völker), Adolf Bartels (Rassenkampf ), Ja- als solcher verkündete Hitler am 24. Feb.
kob Wilhelm Hauer (Deutsche Gott- 1920 im Hofbräuhaus München das zu-
schau), Dietrich Eckart (Kampf den „No- sammen mit Feder, Eckart und Drexler
vemberverbrechern“), Gottfried Feder entworfene 25-Punkte-Programm der „Dt.
(„Brechung der Zinsknechtschaft“), Walter Arbeiterpartei“, in dem neben sozialen Re-
Darre (Mythos von „Blut und Boden“), Al- formen Aufhebung der Verträge von Ver-
fred Rosenberg (Rassenhass und Antichri- sailles und Saint Germain, Wehrpflicht für
stentum) u. a.; Hitler war in seinen Anfän- alle, Entfernung der Ausländer aus
gen mitbestimmt durch den Antisemitis- Deutschland, Verbot nichtdt. Einwande-
mus und Antimarxismus der Österreicher rung, Aberkennung der Staatsbürgerschaft
Karl ↑ Lueger und Georg von Schönerer aller Nicht-„Deutschblutigen“, vor allem
(„Los von Rom“) und die Ideologie der der Juden, und die Ersetzung des röm.

656
Nationalsozialismus

durch das dt. Recht gefordert wurden. Strasser u. a.): während der Haft schrieb
Übernahme des Namens und des Haken- Hitler den 1. Teil seines Buches „Mein
kreuzsymbols der gleichgerichteten österr. Kampf“ (l. Band erschien 1925, 2. Band
„Nat.-soz. Arbeiterpartei“; neuer Partei- 1927, eine Fortsetzung verfasste Hitler
name: „Nat.-soz. Dt. Arbeiterpartei“ (NS- 1928, veröffentlichte sie aber nicht; unter
DAP), der „Völk. Beobachter“ wurde Zen- dem Titel „Das zweite Buch Hitlers“ er-
tralorgan; 1921 erste Ortsgruppe außer- schien das Nachlasswerk 1961); in „Mein
halb Bayerns (Hannover), Übernahme der Kampf“, als „Bibel des N.“ bezeichnet, ent-
Parteiführung („1. Vorsitzender“) durch warf Hitler aus völlig unzureichender
Hitler und Gründung der Sturmabteilung Kenntnis und in demagog. Manipulierung
(SA), erste „Saalschlachten“ mit polit. Geg- oder Verfälschung der Geschichte und
nern. Nov. 1922 Verbot der NSDAP in ohne Auslandserfahrungen ein verzerrtes
Preußen, trotzdem unter Ausnutzung der Bild der Welt und vor allem der jüngsten
Notlage des Reiches (Besetzung der Nie- Vergangenheit: Verherrlichung des Faschis-
derrheinhäfen und des Ruhrgebietes durch mus, Kampfansage an Juden, Liberale,
die Franzosen, Reparationsforderung in Marxisten, Gewerkschaften, Pazifisten; zy-
Höhe von 132 Mrd. Goldmark, passiver nische Verächtlichmachung der Masse, des
Widerstand) Entfesselung der polit. und Volkswillens (Ablehnung des Parlamenta-
nationalist. Leidenschaften (↑ „Dolchstoß- rismus) und der Humanität („Mischung
legende“, „Novemberverbrecher“, „über- aus Dummheit und Feigheit“); dem polit.
staatliche Mächte“, „Die Juden sind unser Gegner muss „Gewalt beharrlich und rück-
Unglück“). Während 1923 die Reichsre- sichtslos“ entgegengesetzt werden, das
gierung innen- und außenpolit. im ver- Schwert ist „Träger, Verkünder und Ver-
zweifelten Kampf um die Reichseinheit breiter der neuen Lehre“, Hitler rief, über-
stand (Aufruhr in Sachsen, Konflikt Bayern zeugt von der „Unfehlbarkeit“ seiner Welt-
– Reich mit der Gefahr eines „Marsches auf anschauung, zur „Zersetzung des bestehen-
Berlin“) und die Stabilisierung der Wäh- den Zustandes“ (des „Systems von Wei-
rung und Wirtschaft vorbereitete, erklärte mar“) unter „Anwendung selbst brutalster
Hitler von München aus am 8. Nov. die Waffen“ auf, auch das Christentum müsse
Reichsregierung für abgesetzt, ernannte sich unter das Joch der absoluten Staatsidee
sich zum Reichskanzler und bildete mit beugen; er predigte den Expansionskrieg
General Ludendorff und führenden Reichs- gegen Russland zur Erweiterung des „dt.
wehroffizieren (die sich anderntags gegen Lebensraumes“, die Niederzwingung der
Hitler entschieden) eine „provisor. Natio- „minderwertigen Rasse“ der Slawen und
nalregierung“; nach dem Misslingen des die Niederwerfung Frankreichs als konti-
„Marsches zur Feldherrnhalle“ (9. Nov.) nentaler Großmacht. Hitler wurde im
und des geplanten „Marsches auf Berlin“ Dez. 1924 vorzeitig mit Bewährungsfrist
wurde Hitler verhaftet und nach dem Ver- aus der Haft entlassen und sicherte „lega-
bot der NSDAP und der KPD im Reich les“ Verhalten zu. Straffer Neuaufbau
und der Übergabe der vollziehenden („Führerprinzip“) der NSDAP, deren
Reichsgewalt an General von Seeckt, den schlagkräftigen Apparat Otto Strasser orga-
Chef der Heeresleitung, zu 5 Jahren Fes­ nisierte; der Literat und Demagoge Joseph
tungshaft (Landsberg) verurteilt; die An- ↑ Goebbels übernahm die Leitung der Pro-
hänger der NSDAP spalteten sich in rivali- paganda, der ehemalige Hauptmann Ernst
sierende Gruppen („Großdt. Volksgemein- Röhm machte die SA zur terrorisierenden
schaft“ mit Rosenberg, Streicher, Bouhler; Parteiarmee, Heinrich ↑ Himmler rekru-
„Völk. Block“ mit Ludendorff, Gregor tierte aus der SA die Prätorianergarde der

657
Nationalsozialismus

Schutzstaffel (SS), Julius Streicher begann Stimmen); da es im Reichstag an einer ent-


in seiner Zeitschrift „Der Stürmer“ die er- schlossenen Kooperation der verfassungs-
barmungslose Hetze gegen die Juden. Die treuen Parteien fehlte und die Reichswehr
Partei wurde trotz des über Hitler ver- dem N. gegenüber eine unklare Haltung
hängten Redeverbots, unter der Tarnung einnahm, bildete Reichskanzler Heinrich
der „Legalität“ und unter Ausnutzung der ↑ Brüning im Okt. 1931 zur Verhütung der
freiheitlichen Ordnung der Weimarer Re- drohenden Rechtsdiktatur das erste vom
publik „Staat im Staate“ und gewann wei- Parlament tolerierte, auf Hindenburgs Au-
tere Mitglieder vor allem aus den durch die torität gestützte Präsidialkabinett, das eine
↑ Inflation verarmten Mittelstandsschich­ auf lange Sicht angelegte Verfassungsre-
ten, die durch Versprechungen, Aufmär- form zur Behebung der Staatskrise an-
sche, Massenveranstaltungen fasziniert und strebte; Einschränkung der Versammlungs-
durch die gewalttätigen politischen Aus­ und Pressefreiheit, gegen Brünings Notver-
einandersetzungen verängstigt waren. 1926 ordnungen und gegen die Weimarer Repu-
Gründung der Hitler-Jugend (HJ), Beginn blik Bildung der ↑ Harzburger Front (Na­
der Propaganda in Norddeutschland durch tionalsozialisten, Deutschnationale, „Va­
den zum Gauleiter von Berlin ernannten terländische Verbände“); die Regierung er-
J. Goebbels, Konzentration der SA in der ließ Uniformverbot; Gründung der repu-
Obersten SA-Führung in München. Trotz blikan. Abwehrorganisation der ↑ „Eiser­
innenpolit. und außenpolit. Beruhigung nen Front“ (SPD, Gewerkschaften, Arbei-
(Gustav ↑ Stresemann führte Deutschland tersportverbände, „Reichsbanner“) gegen
in die Gesellschaft der großen Nationen N. und Kommunismus; weitere Zunahme
zurück [Aufnahme in den Völkerbund], der Arbeitslosigkeit (Ende 1931 4,5 Mio.),
Wirtschaftskredite der USA für den Wie- der Bauernverschuldung und Mittelstands-
deraufbau, Revision der Reparationspoli- not; große Teile der Arbeiterschaft wand-
tik) gewann die NSDAP bei der Reichs- ten sich dem N. zu; bei der Reichspräsi-
tagswahl 1928 12 Mandate (809 000 Stim- dentenwahl (2. Wahlgang) am 10. März
men); das Redeverbot über Hitler wurde in 1932 stimmten nach dem Einsatz aller
Preußen aufgehoben. 1929 Beginn der Un- Mittel der Massenbeeinflussung 13,4 Mio.
terwanderung der Betriebe durch die Nat.- für Hitler (53 % für Hindenburg); Brüning
soz. Betriebszellenorganisation (NSBO); verbot SA und SS (13. April); durch seine
Pakt mit Deutschnationalen, Stahlhelm Siedlungspolitik im Osten verlor Brüning
und Reichslandbund gegen den ↑ Young- als angeblicher „Agrarbolschewist“ das Ver-
Plan; in mehreren dt. Ländern Beteiligung trauen des durch Intrigen beeinflussten
an der Regierung. 1930: Alfred Rosenberg, Reichspräs. und trat zurück (30. Mai). Der
Hauptschriftleiter des „Völk. Beobachters“, von dem Leiter des polit. Ministeramts im
veröffentlichte als Kampfansage an die Reichswehrministerium, Kurt von Schlei-
geistigen und relig. Traditionen des Abend- cher, vorgeschobene neue Reichskanzler
landes den „Mythos des 20. Jh.“. Die pro- und Vertrauensmann Hindenburgs, Franz
pagandist. Ausnutzung der Notlage des von Papen (2. Präsidialkabinett ab 1. Juni),
Volkes aufgrund der 1929 beginnenden hob SA- und SS-Verbot auf; am 20. Juli
Weltwirtschaftskrise, die einsetzende Mas- Staatsstreich Papens gegen die demokra-
senarbeitslosigkeit (2 Mio. Arbeitslose An- tische Regierung Preußens und seine Er-
fang 1930) machten die NSDAP bei den nennung zum Generalstaatskommissar in
Reichstagswahlen vom 14. Sept. 1930 nach Preußen (Lahmlegung des ↑ Reichsrats, des
der SPD (143 Abgeordnete) zur zweitstärks­ Länderorgans); trotzdem blieb er ohne Un-
ten Partei (107 Abgeordnete für 6,4 Mio. terstützung durch die NSDAP, die nach

658
Nationalwerkstätten

Auflösung des Reichstages bei der Wahl am Nationalverein, Dt., gegr. 1859 als Zusam­
31. Juli 230 von 608 Mandaten gewann menschluss der sog. „Gothaer“, d. h. der
(3,7 Mio. Stimmen); KPD und NSDAP Anhänger der kleindt. Lösung der dt. Frage
verfügten mit 319 von 608 Mandaten über (nationale Einigung unter preuß. Führung,
die absolute Mehrheit; Hitler forderte die doch im konstitutionellen Geist); Sitz in
Regierungsübernahme durch die NSDAP, Coburg, erfolgreich nur ihre Werbung für
Papen eine auf die Reichswehr gestützte die Bundesreformidee; 1867 aufgelöst.
autoritäre Regierung (beide Forderungen Nationalversammlung, Dt., 1) N. von
von Schleicher und Hindenburg abge- 1848/49; angeregt durch die Pariser Feb­
lehnt). Misstrauensvotum gegen Papen ruarrevolution 1848 und Antrag im hess.
und Auflösung des Reichstags am 15. Sept. Landtag; März 1848 Vorparlament in
Bei der Neuwahl am 6. Nov. verlor die Frankfurt/Main, am 18. Mai 1848 als „Ver-
­NSDAP bei 196 Abgeordneten 2 Mio. fassunggebende Nationalversammlung“ in
Stimmen und bei der Landtagswahl in der Paulskirche (Frankfurt/Main) eröff-
Thüringen 50 % ihrer Mandate; Krise der net, am 21. Dez. Grundrechte verkündet.
NSDAP durch enorme Verschuldung und Bedeutung für den Augenblick gering, es
durch Bildung einer Fronde des Reichsorga­ mangelte an polit. Überlieferung, der Plan
nisationsleiters der NSDAP, Gregor Stras- zur Reichserneuerung scheiterte an der
ser, und mehrerer Gauleiter gegen Hitler; Unmöglichkeit, die Dynastien ins Reich
Schleicher, der das 3. Präsidialkabinett bil- einzugliedern; am 18. Juni 1849 wurde
dete (ab 3. Dez.), suchte Hitler außerparla- das nach Stuttgart geflüchtete Rumpfpar-
mentarisch mithilfe der nat.-soz. Fron- lament aufgelöst; die spätere Reichsverfas-
deure, der Reichswehr, der Gewerkschaften sung griff in vielen Grundgedanken auf die
und der staatszugewandten Parteien zu Verfassungsvorlage von 1848 zurück. 2) N.
überspielen und durch weitere Reichs- von Weimar, als verfassunggebende Ver-
tagsauflösungen und Wahlen weitere Ver- sammlung gewählt am 19. Jan. 1919, eröff-
luste der NSDAP zu erzielen; Papen ver- net am 6. Feb., tagte bis 6. Juni 1920 (vorü-
mittelte Hitler die Finanz- und Wahlhilfe bergehend in Berlin und Stuttgart), wählte
der Industrie und Banken und sicherte ihm am 11. Feb. 1919 Friedrich ↑ Ebert zum
die Unterstützung durch die Deutschnatio­ Reichspräsidenten, beschloss am 11. Aug.
nalen; Gregor Strasser gab den Kampf auf 1919 die ↑ „Weimarer Verfassung“.
und verließ die NSDAP; die Zahl der Ar- Nationalversammlung, Frz.: 1) erstmals
beitslosen stieg trotz des Abklingens der 1789 vom Bürgerstand unter Beitritt der
Weltwirtschaftskrise auf 6 Mio. (Ende beiden anderen Stände gegen Ludwig XVI.
1932); der in seiner Isolierung allen Ein- konstituiert und zur Verfassunggebenden
flüssen zugängliche, überalterte Reichsprä- Versammlung erklärt; schaffte das Feudal-
sident durchschaute die Diktaturpläne system ab, proklamierte die allgemeinen
Hitlers nicht, der dank der vermittelten ↑ Menschenrechte. 2) Im Gefolge der Feb­
Wahlhilfe unter ungeheurem Propaganda- ruarrevolution 1848 zur Festlegung einer
aufwand bei der Wahl in Lippe (15. Jan. neuen Verfassung berufen. 3) 1871 ange-
1933) wieder Stimmen gewann; Papen sichts der dt. Gefahr für Paris gewählt und
überredete Hindenburg zur Entlassung mit den Vorbereitungen zu Friedensver-
Schleichers und zur Ernennung Hitlers handlungen beauftragt (↑ Frankreich).
zum Reichskanzler (30. Jan. 1933), der Nationalwerkstätten, nach der Februarre-
bald nach der „Machtübernahme“ der an- volution 1848 in Paris von L. ↑ Blanc ein-
geschlagenen Weimarer Republik den To- gerichtete Arbeitsstätten zur Beschäftigung
desstoß versetzte (↑ Drittes Reich). der Arbeitslosen, noch 1848 aufgehoben.

659
NATO

NATO, ↑ Nordatlantikpakt. u. a. Von der Aufklärung des 18. Jh. ratio­


Naturalwirtschaft, Wirtschaftsform, bei nal abgeleitet, bedeutet Naturrecht „Ver-
der der Schwerpunkt auf der Erzeugung nunftrecht“. Um die Wende des 18./19. Jh.
von Naturalien (landwirtschaftl. Produk- wurde das N. durch die histor. Rechtsschule
tion) ruht – daher auch als „Land- und Na- (↑ Savigny) vorübergehend in den Hinter-
turalwirtschaft“ bezeichnet. N. kennt kei- grund gedrängt (Sieg des Historismus).
nen oder nur beschränkten Geldumlauf, Nauclerus, Johannes, eigtl. Verge bzw.
sie ist gegründet auf dem Tauschhandel. Vergenhans („Fährmann“), Humanist und
Träger sind die Grundherren. Wirtschafts- Geschichtsschreiber, 1425–1510; war Mit-
system in ältesten Zeiten, in der Frühzeit begründer und 1477/78 erster Rektor der
der Mittelmeerkulturen und nach dem Universität Tübingen; als sein Hauptwerk
Untergang des Römerimperiums im Früh- gilt eine bis ins Jahr 1500 reichende Welt-
MA bis etwa 13. Jh. (↑ Geld). chronik.
Natürliche Grenzen, Begriff und polit. Naukratis, griech. Handelskolonie im Nil-
Zielrichtung zuerst bei Cäsar (58 v. Chr.), delta am Kanob. Nilarm, gegr. 610 v. Chr.
als er versuchte, dem röm. Imperium na- unter Psammetich I.; vom ägypt. Pharao
türliche Verteidigungslinien zu geben (Ge- Amasis II. als Stützpunkt gegen Babylon
birge, Wüsten, Meere, Ströme); das spätere durch Handelsmonopol begünstigt.
Frankreich übernahm die Forderung bes. Naumachie, künstl. Seeschlacht zur Macht­
hinsichtlich seiner O- und N-Grenze, in- demonstration und Volksbelustigung, erst­
dem es Rhein und Scheide zu erreichen mals von Cäsar 46 v. Chr. veranstaltet, dann
trachtete, bes. unter Richelieu (1624– v. a. unter Augustus (2 v. Chr.) und Tibe-
1642), Ludwig XIV. (1661–1715) und Na- rius; Kaiser Claudius ließ eine N. auf dem
poleon I. (1800–1814); Forderung nach N. Fucinersee spielen, in der 19 000 Mann auf
formuliert in einem Aufruf des Revoluti- mehr als 100 Kriegsschiffen kämpften.
onsgenerals Dumouriez April 1792. Naumann, Friedrich, protestant. Theologe
Naturrecht, im Gegensatz zum „gesetz- und christl.-sozialer Politiker, 1860–1919;
ten“, geschichtlichen, positiven Recht das setzte sich für aktive Sozialarbeit der ev.
„natürliche“ Recht, das „Recht, das mit Kirche ein; forderte Synthese: Nationalis-
uns geboren ist“ (Goethe, Schülerszene mus, Demokratie, soz. Denken; Programm
im Faust I). Das „ideale“ Recht, verankert einer mitteleuropischen Wirtschaftseinheit;
in der Natur, erkannt durch die Vernunft, Gründer des ↑ Nationalsozialen Vereins
verwirklicht in der Sitte. N. bereits von 1896, 1918 Mitbegründer und 1919 Füh-
den antiken Philosophen (Sokrates, Plato, rer der ↑ Demokrat. Partei; formulierte die
Aristoteles) begrifflich erfasst, ausgebaut Grundrechte in der Weimarer Verfassung.
durch die Stoa. Im MA religiös begründet, Navarino, griech. Hafen im SW von Mo-
N. daher gleich göttliches Recht, von der rea, Sieg der brit.frz.-russ. Flotte über die
Scholastik (Thomas von Aquin) durch die ägypt.-türk. (1827), Entscheidungsschlacht
Moraltheologie untermauert: In der christl. im griech. Freiheitskampf.
universalen Ordnung („ordo“) sind Natur- Navarra, seit dem 10. Jh. Königreich im
recht und Heilsordnung verknüpft. Im 17. Westen der Pyrenäen, kam 1285 zu Frank-
und 18. Jh. die naturrechtlichen Gedanken reich; 1445 zu Aragonien, seit 1512 in
weiterentwickelt von Bodin, Althusius, Ober- und Nieder-N. geteilt, Nieder-N.
Grotius, Pufendorf u. a.; als naturrecht- und Béarn seit 1521 selbständig; 1548
lich gelten: die Idee der Volkssouveräni- durch Heirat an die Bourbonen; 1589 be-
tät, die Vertragstheorie (Lehre ↑ Rousseaus stieg Heinrich IV. von N. den Thron Frank-
vom Staatsvertrag), die ↑ Menschenrechte reichs, N. seitdem endgültig frz.

660
Nelson

Navigationsakte, engl. Gesetz zum Schutz Umfahrung Afrikas durch die ↑ Phöniker
der Schifffahrt gegen den niederländ. Zwi- vom Roten Meer bis Gibraltar statt.
schenhandel (Hollands Widerstand gegen Necker, Jacques, frz. Staatsmann, 1732–
engl. Faktoreien), von Cromwell 1651 er- 1804; Bankier aus Genf, vertrat das merkan­
lassen, 1849 aufgehoben. tilist. Wirtschaftssystem, dann staatssozia­
Naxos, größte Kykladeninsel, 734 v. Chr. list. Grundsätze, mehrmals als Minister
als ion. Kolonie gegr.; 490 v. Chr. Perseran- be­rufen; finanzierte den Krieg in Nord-
griff unter Datis und Artaphernes. amerika (↑ Unabhängigkeitskrieg); legte
Nazca, Stadt in Peru; die nach N. benannte 1781 frisierten Bericht über die frz. Staats-
vorkolumbian. N.-Kultur entwickelte sich finanzen vor und setzte damit seinen Nach-
um 200 v. Chr., wurde berühmt durch Ton- folger außerstande, den Staatsbankrott zu
gefäße, Textilien und Goldschmuck, ver- verhindern; veranlasste 1789 die Berufung
lor im 8. Jh. n. Chr. an Bedeutung. In der der ↑ Generalstände und sicherte dem Bür-
Wüste um N. sind Tierbilder (bis 122 m gerstand erhöhte Stimmenzahl; seine Ent-
Durchmesser) und kilometerlange Linien­ lassung veranlasste den Bastillesturm; Vater
systeme eingezeichnet, deren Herkunft der Madame de ↑ Staël.
und Bedeutung noch unbekannt sind. Negus, Titel der Könige und Unterkönige
Neandertaler, ↑ Paläolithikum. von Äthiopien, als Kaisertitel Negus-Ne-
Neapel (griech., Neustadt). Gründung gesti (äthiop. Negusa Nagast = König der
(↑ Großgriechenland) chalkid. Kolonisten Könige).
aus dem älteren Cumae in Kampanien Nehru, Jawaharlal, gen. Pandit N., ind.
(um 600). Athener vergrößerten die neue Politiker, 1889–1964; seit 1920 Mitarbei-
Kolonie 326 v. Chr.; 89 v. Chr. erhielt N. ter Gandhis (aber von europ. Gewandt-
röm. Bürgerrecht; 536 n. Chr. von Belisar heit), ab 1923 Generalsekretär des In-
den Goten entrissen, errang im 7. Jh. all- dian National Congress, 1929–1936 des-
mählich Autonomie; 1130 durch die Nor- sen Präsident (forderte Dominionverfas-
mannen erobert; seither Hauptplatz des sung), seit 1933 Führer der (regierenden)
„Königreichs beider Sizilien“ (↑ Sizilien), Kongresspartei und einer der Vorkämpfer
1224 Gründung der Universität durch der Ungehorsam­keitsbewegung; achtmal
Friedrich II. in brit. Haft; 1946 von den Briten mit
Nebukadnezar, Könige Babylons: N. II., der Bildung einer Inte­rimsregierung be-
Sohn ↑ Nabopolassars (605–562 v. Chr.); traut, 1947 erster ind. Ministerpräs. und
besiegte Pharao Necho von Ägypten 605 Außenminister, 1953–1955 auch Vertei-
bei Karkemisch, zerstörte 587 Jerusalem, digungsminister; einer der Weltführer der
führte die Einwohner in die sog. ↑ Babylon. „Neutralis­ten“ zw. West- und Ostblock;
Gefangenschaft; belagerte Tyrus 13 Jahre för­derte die In­dus­trialisierung und Mo-
lang und eroberte es >73 v. Chr.; baute den dernisierung Indiens (Agrarreform, Zen-
großen Marduk-Tempel, schützte Babylon tralisierung der Verwaltung), Verfechter
durch die „Medische Mauer“ zw. Euphrat der „nat. Integration“ (Gründung des „Na-
und Tigris. tional Integration Council“); Konflikte mit
Necho, ägypt. Pharao der 26. Dynastie der Pakistan wegen ↑ Kaschmir, mit Rotchina
Saiten (610–595 v. Chr.); Sohn Psamme- wegen der Grenzziehung im Himalaja, mit
tichs I., drang 606 v. Chr. in Palästina und Portugal wegen der Enklaven Goa, Damao
Syrien ein, verlor 605 v. Chr. die Schlacht und Diu (Annexion 1961).
von Karkemisch gegen ↑ Nebukadnezar II.; Nelson, Horatio Viscount, brit. Admiral,
begann den Kanalbau vom Nil zum Roten 1758–1805; besiegte die frz. Flotte in der
Meer; unter ihm fand vermutlich die erste Seeschlacht bei Abukir 1798, erhob die

661
Nenni

brit. Flotte zur größten Seemacht, sicherte rung von Nahrungs- und Nutzpflanzen
die brit. Herrschaft im Mittelmeer und in (Weizen, Gerste, Hirse, Erbse, Bohne,
Vorderindien, vernichtete 1801 die dän. Mohn, Apfel, Birne, Küchenkräuter,
Flotte bei Kopenhagen und die Hauptflot- Flachs) und verbesserter Ackerbautech-
ten der Franzosen und Spanier bei Trafalgar nik (Pflug, Wagen mit Scheibenrädern).
1805; in der Schlacht tödlich verwundet. Neben dem Ackerbau ausgedehnte Wei-
Nenni, Pietro, ital. Politiker, 1891–1980; dewirtschaft (Hirtentum). Gebrannte Ke-
ab 1908 Zusammenarbeit mit Mussolini; ramik (noch ohne Töpferscheibe) wurde
1914/15 Kriegsfreiwilliger; 1921 Bruch zur Blüte gebracht, ihre regional verschie-
mit Mussolini und Mitglied der Sozialist. denen Formen wurden zu Leittypen für die
Partei; 1926 Emigration nach Frankreich, Vorgeschichtsforschung; erste Erzeugnisse
1936–38 Span. Bürgerkrieg; 1945–47 stell- der Spinn-, Web- und Flechttechnik, erste
vertretender Ministerpräsident; 1946/47 Metallverarbeitung (Gold, Kupfer); zu Be-
Außenminister; 1947 (nach der Spaltung ginn der Hochkulturen Anfänge der Bil-
der Partei) Vorsitzender der PSI; 1963– derschrift. Der Mensch breitete sich über
1968 stellvertretender Ministerpräsident, alle Räume der Alten Welt aus, drang wei-
1968/69 Außenminister, 1966–1969 Prä- ter auf dem nordamerikan. Festland vor
sident der Vereinigten Sozialist. Partei, die (↑ Amerika) und beschaffte sich in weit-
1969 gegen seinen Widerstand zerfiel. reichenden Handelsbeziehungen Waren
Neofaschismus, im engeren Sinne Bez. (bes. Steingerätrohstoffe, auch Kupfer und
für polit. Bewegung in Italien, die von An- Gold) aus fernen Ländern. Frühest sicht-
hängern des ↑ Faschismus nach Mussoli- bare neolith. Kulturen im Zweistromland
nis Sturz getragen wird; im weiteren Sinne (Quahat Jarmo in Kurdistan, 7. Jt., mit
Sammelbegriff für rechtsradikale Bewe- stadtähnlicher Siedlung, Rechteckhäusern,
gungen, die nach dem Zusammenbruch Getreideanbau, Haustieren) und Palästina
faschist. und nat.-soz. Systeme deren Ideo­ (↑ Jericho); Übergreifen des Bauerntums
logie wiederbeleben wollen. auf Ägypten (Oase Fajum), Nordafrika,
Neolithikum (griech. neon = neu, jung, Iran, Afghanistan, Pakistan (Indusgebiet);
griech.-lat. lithicum = Steinzeit), Jungstein­ bäuerliche Kultur seit Ende des 6. Jt. in
zeit, die auf das ↑ Mesolithikum folgende Mitteleuropa; hier Ausbildung großer Kul-
letzte nacheiszeitl. Kulturstufe der Stein- turkreise: 1) Donaukulturkreis: Ackerbau
zeit, bis in die ersten zivilisierten Hochkul- auf Lössboden (von der Burgund. Pforte
turen in Europa, Afrika, Asien, Amerika bis in die Ukraine), große Dörfer, Keramik
reichend, allmählich abgelöst von der Kul- mit Spiral-, Mäander- und bandartigen
tur der ↑ Bronzezeit, Beginn 7./6. Jt. v. Chr. Mustern (Bandkeramik), seit dem 3. Jt.
im Nahen Osten, im 5. Jt. in Mittel­europa. auch mit farbigen Ornamenten, üppi­ge
Die zunehmende Besiedlungsdichte, Ein- Frauen­figuren als Fruchtbarkeitssymbole
engung des freien Jagdraumes durch Bewal- und Muttergottheiten. 2) Westeuropä­i­
dung (↑ Mesolithikum) und Bewältigung scher Kulturkreis (von Spanien bis Eng-
schwierigerer Techniken dank des höher land reichend): Hauptleistung sind große
entwickelten Intellekts führten zur Boden- Kultbauten (↑ Stonehenge in England;
ständigkeit und Sesshaftigkeit, zum Bauern­ Megalith-Kultur), Grabbauten in Form
tum in Dorf- und Hofgemeinschaften mit von ↑ Dolmen, Großsteingräbern für ganze
Eigenwirtschaft, zur vermehrten Zähmung Sippen und Ganggräbern, einzelne oder
von Wildtieren und Züchtung von Haus- gruppierte Steinsäulen (Menhire), man-
nutztieren (Rind, Schaf, Ziege, Schwein), cherorts in abstrakter Menschengestalt ge-
zum Anbau, zur Auswahl und Verbesse- formt; Pfahlbauten an See- und Flussufern.

662
Nepomuk

3) Nord. Kulturkreis (Norddeutschland, 1950 demokratische Reformen; 1952 bera-


Dänemark, Skandinavien, Baltikum), auch tende, 1954 gesetzgebende Versammlung;
hier, vom Westen übernommen, Groß- 1959 Parlament mit 2 Kammern und allg.
steingräber (Dolmen, Ganggräber); cha- Wahlrecht; 1960 Parlamentsauflösung und
rakterist. Keramik: tönerne Becher mit autoritäres Regime des Königs Mahendra
trichterförmigem Hals (Trichterbecher- Bir Birka (König seit 1955) mit zentra-
kultur), die sich zu Kragenflaschen entwi- list. Verwaltung und Annäherung an die
ckelten, Holzgefäße mit Kerbschnittdeko- Volksrepublik China. 1972 kam Birendra
ration; die Trichterbecherkultur breitete Bir Bikram Schah auf den Thron; eine Ver-
sich auch in den Raum der Donaukul- fassungsänderung (1975) ermöglichte ihm
tur aus, das Großsteingrab wurde seit der eine bessere Parlamentskontrolle; 1979
Mitte des 3. Jt. vom Einzelgrab abgelöst. brachte das Referendum über das Regie-
4) Italischer Kulturkreis, über Italien, Si- rungssystem eine Mehrheit für das beste-
zilien, Malta, verbreitet, vom Balkan, von hende Panchayat-System (konstitutionelle
W-Europa, zum Teil auch von N-Afrika Monarchie); 1981 Wahl eines Parlaments
und dem Orient beeinflusst; Grabstichke- (erstmals seit 1959). Außenpolitischer
ramik, Erd- und Fruchtbarkeitskulte, spä- Kurs auf Annähe­rung zur Volksrepublik
ter bäuerl. Dorfleben, bemalte oder farb- China führte zu Spannungen mit Indien
gestempelte Keramik, tönerne Menschen- (wirtsch. Druck, Schließung von Grenz-
und Tierfiguren, Pfahlbauten an den ober- übergängen 1989), von dem N. wirtsch.
italien. Seen. – Über den Vorderen Orient abhängig ist; Folgen waren Versorgungs-
und die Straßen von Tunis und Gibraltar schwierigkeiten und Lebensmittelknapp-
bestanden im N. kulturelle Wechselbezie- heit. 1990 nach großem innenpolitischem
hungen zu N-Afrika (hier Ackerbau seit Druck Aufhebung des Parteienverbots und
dem 5. Jt.); gegen Ende des N. verbreitete neue Verfassung, Umwandlung in eine par-
sich, wohl vom Norden ausstrahlend, die lamentar. Monarchie mit eingeschränkter
↑ Schnurkeramik über weite Gebiete Euro- Macht des Königs. 1991 Wahlsieg der Ne-
pas und, im Übergang zur Bronzezeit, von pales. Kongresspartei (NCP), zweitstärk-
Spanien her die ↑ Glockenbecherkultur, ste Kraft kommunis­tische Parteienbündnis
die in England und Italien, im Rhein-Do- (Communist Party of Nepal/United Mar-
nau-Gebiet bis tief nach Mitteleuropa, bis xist-Leninists, CPN-UML), aber Vielzahl
zum Balkan und in der Ukraine nachzu- weiterer Parteien. 1991–1999 unterschied-
weisen ist. lichste Koalitio­nen. Im Juni 2001 Massa-
Nemours, Edikt von, Juli 1585 vom frz. ker im nepalesischen Königshaus, bei dem
König Heinrich III. erlassen; verbot den König Birendra und ein Großteil seiner Fa-
reformierten Kult und verwies die refor- milie ums Leben kamen, angeblich durch
mierten Priester des Landes; den Protes- Amoklauf des Kronprinzen. Nachfolger
tanten wurde freigestellt, den Glauben zu wurde der jüngere Bruder des Königs, Gya-
wechseln oder zu emigrieren. nendra Bir Bikram Shah Dev, der als kon-
Nepal (Sri Nepala Sackar), buddhistisches servativ und reformfeindlich gilt. Weiter-
und hinduistisches Königreich auf der Süd­ hin z. T. bewaffnete Auseiandersetzungen
seite des Himalaja zw. Indien und Tibet, zw. Konservativen und Kommunisten.
Hauptstadt Katmandu, gegründet 1769 Nepomuk, Johann (von Pomuk), Domherr
von einem eingewanderten Fürsten der in Prag, hl., um 1350–1393, wegen seines
Gurkhas, die herrschende Schicht blie- Eintretens für die Rechte der Kirche in der
ben; 1846–1951 erbliches Ministerpräsi- Moldau ertränkt; Brückenheiliger; Schutz-
dentenamt in Händen der Familie Randa; patron Böhmens, der Tschechen.

663
Nepos

Nepos, Cornelius, röm. Schriftsteller, um Nestorchronik, anonyme russische Chro-


100–25 v. Chr.; geb. in Oberitalien, lebte nik; schildert die Geschichte des Kiewer
im Kreis des röm. Ritters Atticus zu Rom Reiches und Nowgorods bis 1118, vermutl.
als Freund Ciceros und Catulls; sein Haupt- stammt eine Fassung von dem Mönch Nes­
werk: „Libri de viris illustribus“, anekdo- tor; die N. gilt als Hauptwerk der altost-
tenreich, aber als histor. Quelle wertvoll. slaw. Geschichtsschreibung.
Nepotismus (ital. nepote, Neffe), Bezeich- Nestorianer, nach ↑ Nestorius benannte
nung für ein System der Vergebung von christl. Nationalkirche im Orient, ver-
Ämtern an Verwandte, bes. im Regime ver- dammt auf dem Konzil von Ephesus (431);
schiedener Päpste des MA zur Stärkung der der Nestorianismus breitete sich bis 498
polit. Stellung des Papsttums gegenüber auch auf die pers. Kirche aus, später auch
den Machtansprüchen des stadtröm. Adels. in China; heute Gemeinden noch im Irak.
Nero, Lucius Domitius, röm. Kaiser, 37– Nestorius, aus Syrien, Mönch und Presby-
68 n. Chr.; Sohn des C. Domitius Aheno- ter aus Antiochia, 428–431 Patriarch von
barbus und Agrippina, die als nachmalige Konstantinopel; lehrte die Trennung der
Gemahlin des Kaisers Claudius die Adop- zwei Naturen und zwei Personen in Chris­
tion ihres Sohnes L. Domitius durchsetzte; tus (Diophysitismus im Gegensatz zur
erzogen von Seneca (den er 65 zum Selbst- Lehre der ↑ Monophysiten) und nannte
mord zwang), seit 54 röm. Kaiser mit dem Maria „Christusgebärerin“ statt „Gottes-
Titel Nero Claudius Drusus Germanicus gebärerin“; 431 auf dem Konzil zu Ephe­
Caesar, entartete nach gu­tem Anfang; ließ sus zum Ketzer erklärt, verfolgt und um
Britannicus, den Sohn des Claudius, ver- 450 gestorben; noch in der Verbannung,
giften, seine Mutter, seine Gattin Octavia, vor seinem Tod, siegte auf dem Konzil von
die Tochter des Claudius, und den Prätori- Chalcedon (451) die ihm nahe stehende
anerpräfekt Burrus ermorden; regierte ab- Richtung.
solutist. und rücksichtslos gegenüber den Nettelbeck, Joachim, 1733–1824; See-
Staatsfinanzen, begann 64 nach dem Brand mann, ab 1782 Bürgerrepräsentant in Kol-
Roms die Christen als angebl. Brandstifter berg, besonders verdient um die Verteidi-
zu verfolgen und grausam hinzurichten gung der Stadt 1807.
(1. Christenverfolgung); prunkvoller Wie- Neu-Amsterdam, 1614 von Holländern
deraufbau der Stadt (Domus aurea); trotz auf der Insel Manhattan an der Hudson-
seiner Erfolge in den Außenprovinzen we- mündung angelegte Siedlung, das spätere
gen Verschwendung und Ausschweifung ↑ New York.
vom Senat zum Reichsfeind erklärt; ließ Neubabylonisches Reich (oder Chaldä.
sich von einem Freigelassenen töten. Königreich), 625–538 v. Chr.; der Zeitab-
Nerva, Marcus Coccejus, röm. Senator schnitt nach Niedergang des assyrischen
aus plebej. Familie, nach Ermordung des Großreiches und Epoche einer Nachblüte
↑ Domitian röm. Kaiser (96–98 n. Chr.); der mesopotam. Kultur (↑ Babylon, Nebu-
geb. um 35 n. Chr., gerecht und milde, kadnezar).
adop­tierte den tatkräftigen ↑ Trajanus und Neuengland, das nordöstl. des Hudson
schuf Einrichtungen zur Versorgung armer gelegene, 1606 von Jakob I. der Plymouth-
Bürgerkinder. Gesellschaft verliehene Gebiet; umfasste
Nesselrode, Karl Wassiljewitsch Graf, auch das gesamte engl. Kolonialgebiet
eigtl. Karl Robert Graf von N., russ. Poli­ südl. von Kanada; die N.-Kolonien führten
tiker, 1780–1862; stammte aus dt. Adel, 1775–1783 den Freiheitskampf gegen das
1816–1856 Außenminister, ab 1828 auch Mutterland England (↑ Unabhängigkeits-
Vize- und ab 1845 Staatskanzler. krieg).

664
Neuseeland

Neues Reich, ↑ Ägypten, Maya. beim ↑ Deutschen Orden (1402–1455),


Neues Testament, ↑ Bibel. unter Johann von Küstrin (1535–1571)
Neue Welt, im Gegensatz zur Alten Welt vo­rü­bergehend selbständig; nach 1945
(Europa, Asien, Afrika) das neuentdeckte durch die ↑ Oder-Neiße-Linie polnisches
Amerika; bis zur Feststellung seines Fest- Verwaltungs­gebiet.
landcharakters „Neue Inseln“ genannt. Neuplatonismus, die letzte philosophische
Neufundland, Insel an der Küste Labra- Schule und geistige Bewegung der ausge-
dors, um 1000 durch Wikinger entdeckt, henden Antike, suchte im 3. Jh. n. Chr. die
1498 wiederentdeckt, 1583 englisch, seit Ideenwelt der griechischen Philosophen
1639 frz. Niederlassung, 1713 engl. Kolo- (Plato, auch Aristoteles, Stoiker u. a.) und
nie, 1855 Dominion mit Selbstverwaltung; der orientalischen Religionen der ↑ Gnosis
1949 an Kanada als Provinz angegliedert. anzupassen, Hauptausbildung durch ↑ Plo-
Neugrenada, früherer Name des südame- tin (204–270 n. Chr.); trotz seiner Gegner-
rik. Staates ↑ Kolumbien. schaft zum Christentum von großem Ein-
Neuguinea, Insel nördlich von Australien fluss auf das christliche Denken, bes. auf
gelegen, 1526 entdeckt; 1828 Westteil von die ↑ Mystik.
den Niederländern (Niederländ.-N.), 1884 Neurath, Konstantin Freiherr von, dt. Po-
Südostteil von den Engländern (Brit.-N.) litiker, 1873–1956; seit 1908 im diplomat.
und Nordostteil von den Deutschen in Be- Dienst; seit 1932 Reichsaußenminister un-
sitz genommen (Schutzgebiet Kaiser-Wil- ter Papen, Schleicher und Hitler, bis 1938
helm-Land, Dt.-N., 1921–1949 australi­ ↑ Ribbentrop seinen Platz einnahm. N.
sches Mandatsgebiet des Völkerbunds, seit wurde Präsident des Geheimen Kabinetts-
1946 der UN). Seit 1946 gemeinsame Ver- rates. Am 18. März 1939 wurde N. Reichs-
waltung des ehemaligen Brit.-N. und des protektor von Böhmen und Mähren, ließ
Treuhandgebietes durch Australien. 1973 sich 1941 beurlauben und trat offiziell im
erlangte das Gebiet als Papua-N. innere Aug. 1943 zurück. Im Nürnberger Prozess
Autonomie und 1975 die volle Unabhän- wurde N. zu 15 Jahren Gefängnis verur-
gigkeit. – Niederländ.-N., 1942–1949 Nie- teilt; 1954 aus gesundheitlichen Gründen
derländisch-Indien angeschlossen, wurde vorzeitig entlassen.
bei der Gründung Indonesiens unter dem Neuschottland, Halbinsel der Landschaft
Namen Irian Kolonie der Niederlande mit ↑ Akadien. 1497 entdeckt, 1603 franzö-
der Zusage späterer Unabhängigkeit (von sisch, 1713 britisch.
Indonesien beansprucht) und 1961 von Neuseeland (New Zealand), parlamentar.
Indonesien zur Provinz West-Irian prokla- Monarchie im brit. Commonwealth; große
miert, gehört seit 1963 zu Indonesien, seit Inselgruppe im Stillen Ozean, 1642 durch
1969 als Provinz Irian Jaya. den Holländer Tasman entdeckt, 1769
Neuhochdeutsch, die mit dem 16. Jh. Landung von James Cook und Inbesitz-
(↑ Luthers Bibelübersetzung 1525) begin- nahme für England (Ansiedlung von Wal-
nende Periode der dt. Sprache. fängern und Händlern); 1808 Sträflings-
Neuholland, der ehemalige, von Tasman kolonie Tasmanien; 1840 brit. Kronko-
1644 geprägte Name für ↑ Australien. lonie, aber erst 1871 befriedet; 1907 brit.
Neuilly-sur-Seine, Vorstadt von Paris; Dominion; 1931 Unabhängigkeit durch
1919 Abschluss des Friedensvertrages zw. Westminsterstatut; 1944 Zusammenge-
den Alliierten und ↑ Bulgarien. hen mit Australien; 1951 Partner des AN-
Neumark, nordöstl. Teil der Mark Bran- ZUS-Pakts, 1954 Mitglied der SEATO;
denburg zw. Oder und Warthe, Hauptstadt Staatsoberhaupt ist die englische Königin,
Küstrin, 1260 brandenburgisch, zeitweise vertreten durch einen Generalgouverneur;

665
Neuß

Einkammer-Parlament und Repräsentan- Kreditgewährung, Reform des Bankwesens


tenhaus mit 97 Abgeordneten der Labour und Hebung des Bundeskredits durch spar­
Party und der National Party; Hauptstadt sames Budget, Belebung des Außenhan-
Wellington. 1986 Bruch mit den USA we- dels, Aufhebung der Prohibition, Bekämp-
gen der Weige­rung von Premier­min. Lange, fung der wilden Börsenspekulationen u. a.
atomar bewaffnete US-Schiffe in neusee­ – Fortgesetzt von Truman im „Fair Deal“.
länd. Häfen einlaufen zu lassen. 1987 er- Newton, Isaac, einer der größten Physiker,
klärte N. sein Territorium zur kernwaffen- Mathematiker und Astronomen (Englän-
freien Zone und wurde aufgrund dieser der), 1643–1727; Begründer der neueren
Haltung 1986–1994 aus dem­ANZUS- mathemat. Wissenschaften, 1703 Präsi-
Pakt ausgeschlossen. 1990 neuer Regie- dent der Royal Society London; schloss die
rungschef Jim Bolger (NP), 1997 Jenny Dynamik (Bewegungs-, Beschleunigungs-
Shipley (NP), 1999 Wahlsieg der Labour lehre; „Newtonsche Dynamik“) ab, be-
Party, neue Regierungschefin Helen Clark. rechnete die Abhängigkeit der Schallaus-
Neuß, Stadt am Niederrhein, bed. Ausgra- breitung von Druck und Dichte der Luft,
bungen aus röm. Zeit; durch Kaiser Au- leitete die Keplerschen Planetengesetze aus
gustus 13 v. Chr. nach Verlegung gall. Trup- der Gravitation ab (Erkenntnis des gesetz-
pen Mittelpunkt des Aufmarsches gegen mäßigen Zusammenhaltes des gesamten
Germanien und Ausbau zur Legions­festung Kosmos durch die Massenanziehung) und
mit Pachtgütern in der Umgebung und ge- begründete die Infinitesimalrechnung.
trennter Bürgersiedlung; überlebte die röm. New York, auf der Halbinsel Manhattan,
Besatzungszeit als blühende Stadt; seit 1074 1614 von Holländern als Neu-Amsterdam
im Besitz des Erzbischofs von Köln. gegr., 1664 engl. und nach dem Herzog
Neustrien oder Westfrancien, im frühen von York, dem König Karl II. von England
MA westl. Teil des ↑ Frankenreiches; durch die Kolonie geschenkt hatte, N. Y. genannt;
das merowing. Erbteilungsprinzip wieder- 1683 legislative Provinzversammlung,
holt selbständig, 687 nach der Schlacht bei 1765 Kongress, 1776 von Engländern er-
Tertry dem Machtbereich der Arnulfinger obert, 1783 an die USA abgetreten, 1788
eingefügt; 719 Vereinigung N.s mit Bur- Konstitution der Union, heute eines der
gund, erste Ansätze nationaler Abtrennung; Zentren der Weltpolitik, Weltwirtschaft,
durch die Verträge von ↑ Verdun (843) und der Kultur und Wissenschaft der USA und
↑ Mersen (870) als Westfranken (Kernland der gesamten westl. Welt.
N.) selbständig (↑ Deutschland). Ney, Michel, Herzog von Elchingen, Fürst
New Deal (Neuer Plan; eigtl. Neuvertei- von der Moskwa, frz. Marschall, 1769–
lung der Spielkarten), die 1933 von Roose- 1815; geadelt mit den Namen seiner Siege:
velt eingeleitete staatsinterventionist. Re- Elchingen 1805 (über Österreich), Boro-
form der Wirtschaft der USA, umfasste dino an der Moskwa 1812 (über die Rus-
z. T. einschneidende gesetzgeber. Maßnah- sen); stimmte 1814 als Pair in der Volks-
men mit planwirtschaftlichem Charakter vertretung entscheidend für die Absetzung
und zielte auf endgültige Überwindung Napoleons, schloss sich ihm 1815 nach
der großen Wirtschaftskrise von 1929 und seiner Rückkehr von Elba wieder an; 1815
Entfaltung der nationalen Produktivkräfte, von den Bourbonen erschossen.
verbunden mit dem Bemühen um soziale Ngô Dien Diêm, vietnamesischer Politi-
Gerechtigkeit; Bekämpfung der Arbeitslo- ker, 1901–1963; Führer der katholischen
sigkeit durch staatliche Bauvorhaben u. a., Minderheit und Gegner der japanischen
Sicherung von Minimallöhnen, Sanie- Herrschaft, 1954–55 Ministerpräsident
rung der Landwirtschaft durch großzügige in S-Vietnam, rief 1955 die Republik aus

666
Nicaragua

und regierte sie mit diktatorischen Mitteln; Ausnahmezustand (Dez. 1978 aufgeho-


wurde 1963 durch einen Militärputsch ge- ben, Juni 1979 erneut verhängt); Jan. 1978
stürzt und ermordet. Generalstreik, der von allen (auch bürger-
Nguyên Cao Ky, vietnames. General und lich-liberalen) oppositionellen Gruppen
Politiker, geb. 1930; war 1965–67 Mi- getragen wurde und sich zum Bürgerkrieg
nisterpräsident und 1967–1971 Vizeprä- ausweitete; im Juli 1979 musste der Dik-
sident der Republik (Süd-)Vietnam, ging tator Somoza N. verlassen; aus den Oppo-
1975 ins Exil in die USA. sitionsgruppen wurde eine Junta des nat.
Nguyên Van Thieu, südvietnames. Ge- Wiederaufbaus gebildet. Unter US-Präsi-
neral und Politiker, 1923–2001; bis 1954 dent Reagan wurde die wirtsch. Unterstüt-
kämpfte N. auf frz. Seite gegen die Viet- zung für Norden, gestrichen; die USA un-
minh-Streitkräfte; 1963 am Sturz des terstützten die Contras (gegen die Regie-
Staatspräsidenten Diem beteiligt, 1965– rung operierende Freischärler) mit Geld
1975 Staatsoberhaupt. N. weigerte sich, und Waffen; im März 1982 verhängte die
die im Pariser Waffenstillstandsabkommen Regierungsjunta den Ausnahmezustand
1973 vorgeschlagene Lösung des Vietnam- über N.; seit 1982 Verhandlungen zw. N.
konflikts zu akzeptieren, seit seinem Rück- und den USA über die Verbesserung der
tritt 1975 lebte er in den USA. gegenseitigen Beziehungen (u. a. Nicht­
Nicäa ↑ Nizäa. angriffspakt). 1985 wurde Daniel ↑ Ortega
Nicaragua, mittelamerik. präsidiale Re- Saavedra zum Präsidenten von N. gewählt;
publik zw. Honduras und Costa Rica, die USA verhängten ein Handelsembargo
Hauptstadt Managua; 1502 von Kolum- gegen N.; Aug. 1987 unterzeichneten die
bus entdeckt und bis 1524 von Spaniern fünf Präsidenten der mittelamerik. Staaten
erobert; gehörte bis 1521 zum General- einen Friedensplan für die Region; 1988
kapitanat Guatemala, 1523–1839 zu den Waffenstillstand zw. FSNL und Contras;
„Vereinigten Staaten Mittelamerikas“; Febr. 1989 Gipfelkonferenz der fünf mittel­
1839 selbständige Republik; im 19. Jh. amerik. Staaten, auf der sich der nicara-
Konkurrenzkampf Englands und der USA guan. Präsident Ortega zu einem „Demo-
um das Vorrecht beim Bau eines Kanals kratisierungs- und Versöhnungsprozess“ in
durch die Landenge von N.; stete Revo- N. verpflichtete; Febr. 1990 allg. Wahlen,
lutionen führten 1911/12 zur Besetzung die mit einem Sieg der zur sandinist. Re-
und Finanzkontrolle durch die USA, die gierung oppositionellen UNO (Nationale
bis 1933 in N. blieben. Als Befehlshaber Oppositionsunion; Wahlbündnis aus 14
der Nationalgarde setzten die USA A. So- kon­servativen, liberalen, christl.-sozialen,
moza Garcia ein, der 1936 Präsident von sozialist., sozialdemokrat. und kommuni-
N. wurde (1956 ermordet); 1950 Verfas- stischen Parteien und Gruppierungen) en-
sung mit Zweikammer-Parlament. 1972 deten. Neue Regierungschefin wurde die
setzte Präsident L. A. Somoza die Verfas- Verlegerin Violeta Chamorro, daraufhin
sung außer Kraft, um eine verfassungsge- Aufhebung des Handelsembargos durch
bende Versammlung zu wählen, die die die USA, Reformen: wirtsch. Wiederauf-
Wiederwahl des Präsidenten legalisieren bauprogramm, Reduktion der Regierungs-
sollte. 1972–74 übte eine Junta die Re- truppen von ca. 100 000 auf 15 000 Mann.
gierungsgewalt aus, seit 1974 war Somoza 1996 Wahlsieg des rechtsliberalen Partei-
wieder Präsident; noch 1974 verhängte er enbündnisses „Alianza Liberal“ (AL), wirt-
wegen erfolgreicher Aktionen der FSLN schaftlicher Aufschwung durch Naturkata-
(Befreiungsbewegung „Frente Sandinista strophen behindert; 2001 erneuter Sieg der
de Liberaciön Nacional“, 1962 gegr.) den AL bei den Parlamentswahlen, aber neuer

667
Niebuhr

Präsident Enrique Bolaños Geyer (Partido richtung Egmonts und Hoorns 1568).
Liberal Constitucionalista, PLC); seine Die südl. (kath.-roman.) Gebiete durch
Ziele sind v. a. die Bekämpfung der Kor- ↑ Farnese (Statthalter seit 1578) mit Spa-
ruption und die Konsolidierung der De- nien versöhnt (Span. Niederlande im en-
mokratie. geren Sinne), die 7 nördl. (meist calvinist.-
Niebuhr, Barthold Georg, dt. Geschichts- nieder­dt.) Provinzen Holland, Seeland, Ut-
forscher und Philologe, 1776–1831; Be- recht, Geldern, Overijssel, Friesland, Gro-
gründer der krit. Geschichtsbetrachtung; ningen zur ↑ Utrechter Union (1579) unter
bes. durch seine „Röm. Geschichte“. Wilhelm (1584 ermordet) und Moritz von
Niederburgund (Arelat), 877 entstandenes Oranien zusammengeschlossen; die Nord-
Königreich, 934 mit Hochburgund vereint, provinzen fanden eine Stütze an England
1033 an das Hl. Röm. Reich, kam im Lauf (Armada 1588), erklärten 1581 als Repu-
des MA fast vollständig in frz. Besitz. blik der Vereinten Niederlande ihre Unab-
Niederlande, ehemals habsburg.-span.- hängigkeit von Spanien und behaupteten
österr. Besitz im fläm.-niederfränk.-fries. sich im Waffenstillstand 1609 und im
Volksbereich; im modern-staatlichen Sinne Westfäl. Frieden 1648. Mit der Unabhän-
seit 1848 konstitutionelle Erbmonarchie gigkeit (Hauptstadt Amsterdam) erlangten
mit parlamentar. Regierung, unzutreffend die Nordprovinzen bedeutenden Ein-
auch Holland genannt; urspr. Stamm- fluss auf Handel und Kolonisation, wur-
land der Bataver und Friesen, während den im 17. Jh. größte See- und Handels-
der Völkerwanderung von Niederfranken macht Europas (Indienhandel, ↑ Ostind.
und Sachsen besiedelt, 843 (↑ Verdun) Kompanie), gründeten reiche Kolonien in
dem (mittleren) Reich Lothars, 870–880 Afrika (Kapland), Asien (Malai. Archipel,
(↑ Mersen; Ribemont) dem ostfränk. Reich Indonesien, Ceylon) und Amerika (Gua-
zugeteilt; zerfiel im MA in eine Reihe selb- yana, New York). wurden geistiger Mittel-
ständiger weltlicher und geistlicher Territo- punkt polit. freiheitlichen Denkens (Auf-
rien (z. B. Brabant, Flandern, Holland, Zee- klärung; Descartes, Spinoza, Grotius) und
land, Hennegau, Artois, Limburg, Geld- hoher künstler. Entfaltung (Rembrandt).
ern, die Bistümer Lüttich und Utrecht). Nach Abtrennung von Teilgebieten an
Im 14./15. Jh. größtenteils unter burgund. Frankreich kamen die span. verbliebenen
Oberhoheit wiedervereinigt: mit ↑ Maria Südl. N. zu Österreich (↑ Span. Erbfolge-
von Burgund (Gemahlin Maximilians I.) krieg), die unabhängigen Nördl. N. verlo-
1477 an Habsburg (Burgund. Kreis), 1556 ren ihre Machtstellung zur See an England
an den span. Habsburger Philipp II., der (Seekriege 1667/68, 1672–78, 1688–97,
die Wirtschaftskraft der Länder (Antwer- 1702–13), gerieten nach wechselvollen
pen Mittelpunkt des Welthandels) zur Sa- Kämpfen (1795–1813 Exil Wilhelms V. in
nierung seines zerrütteten Staatshaushalts England) 1797 als Batav. Republik in die
in übersteigertem Maße heranzog, die volle Abhängigkeit Napoleons, 1810 unter die
staatliche Eingliederung anstrebte und mit Herrschaft Frankreichs. Auf dem Wiener
Härte die Gegenreformation betrieb; da- Kongress wurden sie mit den 1794 von
her 1568 Ausbruch des Aufstands der auf Revolutionstruppen eroberten und Frank-
religiöse (Calvinismus), staatliche (Stände­ reich angegliederten Südl. (Österr.) Nie-
versammlung seit 1465) und wirtsch. derlanden zum Königreich der Vereinten
(Auflehnung gegen Steuergesetze, Verbot Niederlande wiedervereinigt (Wilhelm I.
des Handels mit England) Freiheit be- König); gegen den Zusammenschluss er-
dachten ↑ Generalstaaten; allg. Erhebung hoben sich 1830 die Südl. N. (wirtsch. und
durch das schroffe Vorgehen ↑ Albas (Hin- religiöse Gegensätze) und bildeten 1831

668
Niger

das selbständige Königreich ↑ Belgien. Die gund) zu Habsburg kam und 1555 an die
Nördl. N. wurden Königreich unter Wil- span. Linie überging. Im engeren Sinne
helm I.; unter Wilhelm II. (1840–49) libe- der nach dem Freiheitskampf und Abfall
rale Verfassung (1848); unter Wilhelm III. der 7 Nordprovinzen 1568(1609)–1648 in
(1849–1890) wurde die seit 1815 beste- span. Besitz verbliebene südl. Teil bis zum
hende Personalunion mit Luxemburg ge- Ende des Span. Erbfolgekrieges (1714 Ab-
löst (1890); 1890–1948 Königin Wilhel- tretung an Österreich).
mine; 1940–1944 von Hitler besetzt und Niederländisch-Indien, die Inseln des Ma-
dt. Zivilverwaltung; Niederländ.-Indien lai. Archipels, seit Anfang des 17. Jh. von
(Indonesien) 1942 von Japan erobert, Niederländern kolonisiert: Amboina (Mo-
1945 unabhängig und 1950–1956 in der lukken) 1605, Celebes und Java 1607, Ba-
Niederländ.-Indones. Union mit den N. tavia 1619, Malakka um 1640, Ceylon
verbunden; 1958 Beitritt zur ↑ Benelux; 1658; Hauptstützpunkte der Niederländ.-
1949 zur ↑ NATO; seit 1948 Königin Ju- Ostind. Kompanie (1602–1795); Ceylon
liane, seit 1980 Königin Beatrix. – Seit der wurde 1802 brit. Besitz (bis 1948). – N.-I.
Befreiung der N. von dt. Besatzung (1944– 1942 durch Japaner besetzt, zunehmende
45) durch die Alliierten regierten fortwäh- Selbständigkeitsbewegung, 1943 Unabhän­
rend Koalitionskabinette das Land. Dabei gigkeitserklärung; nach 1945 Kämpfe zw.
lösten sich (insbes. in den 60er Jahren) die indones. und brit.-niederländisch. Trup-
festen konfessionellen Bindungen der In- pen; die Konferenz im Haag 1949 aner-
nenpolitik. Für sozialen Sprengstoff sorgte kannte die Republik der Vereinten Staaten
die hohe Einwanderungsquote aus ehema- von ↑ Indonesien.
ligen Kolonien der N. (so: Süd­molukker; Niederländisch-Ostindische Kompanie,
Einwanderung aus Surinam u. a.). In den ↑ Ostind. Kompanie.
1980er Jahren hatte die Friedensbewegung Niederländisch-Westindische Kompanie,
gegen Atomwaffen starke Wirkungen auf 1621 gegr.; 1676 erneuert, Ende des 18. Jh.
die Innen- und Außenpolitik. Ende der Verfall, 1796 aufgelöst; ihr verdankten die
80er Jahre wurde die innenpolit. Debatte Niederlande die Besitzungen in Mittel-
durch einen nationalen Umweltschutzplan und Südamerika.
bestimmt, der bis zum Jahr 2010 verschie- Niedersachsen, seit 1946 Land der Bun-
dene Maßnahmen zur Verringerung der desrepublik Deutschland, gebildet auf-
Umweltbelastung vorsieht. grund einer Verordnung der brit. Militär-
Niederlande, Österreichische, die 1714 regierung aus der ehemal. preuß. Provinz
im Anschluss an den ↑ Span. Erbfolgekrieg Hannover und den Gebieten der ehemali­
von Spanien an Österreich abgetrete­nen gen Freistaaten Braunschweig, Oldenburg
↑ Span. Niederlande (im engeren Sinne Bel­ und Schaumburg-Lippe, 1947 erweitert
gien), verkleinert um die 1659, 1668 und um Teile des Landgebietes Bremen; Haupt-
1678 an Frankreich gefallenen Teile (Ar- stadt Hannover; Verfassung von 1951
tois, Gebiete Flanderns, des Hennegaus); (↑ Deutschland, Bundesrepublik).
nach den österr. Niederlagen im 1. Koali- Niger, präsidiale Republik in Zentral­
tionskrieg 1794 an Frankreich; 1815 Teil afri­ka zwischen Niger und Sahara, Haupt-
des neu errichteten Vereinigten König- stadt Nia­mey, ehemaliger Teil von Frz.-
reichs der Niederlande, 1830 Kerngebiet Westafrika. 1960 Proklamation der Unab-
des selbständigen Königreichs ↑ Belgien. hängigkeit, bis 1974 prowestliche Außen-
Niederlande, Spanische, im weiteren politik, 1974 Militärputsch, Regierung des
Sin­ne der spanisch-niederländ. Besitz, der provisorischen Obersten Militärrates durch
1477 durch Erbschaft (↑ Maria von Bur- Dekrete. Die Militärregierung widerstand

669
Nigeria

zwei Putschversuchen (1975, 1976); sie Afrikas, Hauptstadt Lagos. – Einst Ge-
wur­de ab 1976 durch Zivilisten verstärkt. biet mehrerer bedeutender, z. T. mittelal-
Die Dürrekatastrophe Anfang der 1980er terl. Eingeborenenreiche mit ausgeprägten
Jahre (Sahelzone) hatte negative Auswirkun­ Stammeskulturen und oft hochentwickelter
gen auf die Ökonomie, die durch Uran- Zivilisation (weitläufige Städte mit Königs-
Exporte (1977: 70 % des Exports von residenzen, Fernhandel bis zum Mittel-
N.) ausgeglichen werden; ab 1980 Span- meer, Kulturausstrahlung bis nach Ägyp-
nungen mit Libyen. 1987 General Ali Saï- ten). Kulturträger sind die Stämme der
bou nach dem Tod von Seyni Kountché Joruba (Residenz Ife, Provinzstädte Esie,
neuer Staatschef (bis 1993), leitete demo- Owo, Ughoton), der Nupe (Jebba, Kano,
krat. Reformen ein und gab Ausarbeitung Jada), der Beni (Benin), der Ibo (Onit-
einer neuen Verfassung in Auftrag; zuvor sha, Awka, Orlu, Bende), der Igo (Braß),
gegr. „Mouvement National de la Societé der Ibibo (Eket), der Igala (Idah), der Afo
de Développement“ (MNSD) wurde Ein- (Onda), der Jukun (Wukari) u. a. Die nige-
heitspartei. Zu Beginn der der 90er Jahre rian. Kunst (Bronze-, Holz-, Tonplastiken,
bewaffnete Auseinandersetzungen zw. Re- Bronzereliefs, Portalschnitzerei, Tanzmas-
gierungstruppen und „Tuareg-Befreiungs- kenbildnerei, Stadtarchitektur) von z. T.
front von Aïr und Azawad“ (FLAA), die klassischer Reife; Ausdruck einer dynam.
Hilfsmaßnahmen gegen die anhaltende Lebensphilosophie, die das ganze Univer-
Dürre forderte, Einigung erst 1995. 1992 sum als ein fortgesetztes Werden auffasst,
neue demokrat. Verfassung, die Niger zur das mithilfe von Kulthandlungen vom
parlamentar. Präsidialrepublik erklärte. Menschen beeinflusst werden kann. Nige-
Bei den ersten freien Parlamentswahlen rian. Kunstwerke schon im 16. Jh. von Por-
seit 1974 Sieg des Bündnis AFC (Alli- tugiesen gesammelt, seit dem 18. Jh. auch
ance des Forces de Changement, „Allianz in der afrikan. Abteilung des Brit. Muse-
der Kräfte des Wandels“), ehem. Einheits- ums; 1897 gelangten Tausende nigerian.
partei MNSD stärkste Oppositionspartei. Bronzen nach Europa; nach dem 2. Welt-
1995 nach Bruch der AFC-Koalition Neu- krieg Gründung der „Nigerian. Bundes­
wahlen, Mehrheit der Stimmen für MNSD, abteilung für Altertümer“ mit Museen in
neuer Regierungschef Hama Amadou. Im Lagos, Gos, Ife, Oron, Kano, Benin, Esie
Jan. 1996 erneuter Militärputsch, Aufhe- und eines Forschungsinstitutes der Uni-
bung der Verfassung und Verbot polit. Par- versität Ibadan. – Kolonialgeschichte N.s:
teien, Oberst Ibrahim Maïnasara Präsident Küste 1473 von Portugiesen entdeckt, die
eines „Nationalen Heilrates“. Verfassungs- Eingeborenen schon bald Objekt des por-
änderung im Mai 1996: Ausweitung der tug. und brit. Sklavenhandels; 1861 be-
Befugnisse des Staatspräsidenten, Wieder- setzten Engländer Lagos, das 1866 dem
zulassung politischer Parteien. Wahlen im britischen Statthalter von Sierra Leone
selben Jahr wurden von der Opposition unterstellt und 1874–1886 Teilgebiet der
boykottiert, Sieg der MNSD; 1999 Ermor- Goldküs­te wurde, dann eigene Kolonie
dung Präs. Maïnasaras. Bei im Nov. 1999 und 1900 Schutzgebiet; 1886–1899 Be-
abgehaltenen Präsidentschaftswahlen Sieg wirtschaftung Nord-N.s durch die Kö-
der MNSD mit M. Tandja, ebenso bei den niglich Brit. Nigergesellschaft, aus der
Parlamentswahlen, Regierungschef erneut 1899 das Schutzgebiet Nord-N. erwuchs,
Hama Amadou. 1901–1903 wurden die letzten Eingebo-
Nigeria, ehemal. brit. Kolonie am Golf von renenreiche im Hinterland unterworfen
Guinea und im Binnenland, seit 1963 re- und 1914 Lagos, Süd- und Nord-N. brit.
publikan. Bundesstaat, volkreichster Staat Kolonie und Schutzgebiet; 1952 erhielt

670
Nikias

N. eine Verfassung und Selbstverwaltung. Nika-Aufstand, 532, Revolte der Hippo-


1961 Erweiterung durch den Nordteil drom-Parteien in Konstantinopel gegen
des brit. UN-Treuhandgebietes Kamerun. Kaiser ↑ Justinian I.; während der Kaiser
1966 Militärputsch, Auflösung des Parla- im Norden, Westen und Osten im Grenz-
ments, Regierung durch Obersten Militär- kampf stand, wurde er von dem Aufstand
rat, 1967 Bürgerkrieg nach Sezession der überrascht: Die Erbitterung über den
Ostregion Biafra, 1970 Rückkehr Biafras hohen Steuerdruck führte zur Einigung der
in die Föderation nach militär. Unterwer- beiden großen Parteien, der „Grünen“ und
fung. 1975 und 1976 erneut Putsche des der „Blauen“ (die der Kaiser bisher begüns­
Militärs. 1977 Wahl einer Verfassungge- tigt hatte); sie versammelten sich im Circus
benden Versammlung und Verabschiedung und verkündeten unter der Devise „Nika!
einer neuen Verfassung 1978; Zulassung Siege!“ den Volksaufstand gegen den ver-
polit. Parteien und ab 1979 Wahlen zu den hassten Kaiser; er war bereit zu kapitulieren
einzelstaatlichen Parlamenten und zum und zu fliehen. Kaiserin Theodora bewog
Bundesparlament. Im Dez. 1980 blutige ihn zum Bleiben („Purpur ist das schönste
Zusammenstöße zw. der Polizei und der Leichentuch“); Justinian ließ den Aufstand
Muslimsekte Yan Izala. 1983 Auflösung in blutigem Gemetzel niederschlagen.
des Parlaments durch Putsch; 1985 erneu- Nikephoros, oströmische Kaiser: 1) N. I.,
ter Putsch und Errichtung eines Militär- stürzte Kaiserin Irene 802, kämpfte mit
regimes unter General Sani Abacha. Die wenig Glück gegen Araber (Harun Ar Ra-
Unterdrückung der Opposition rief an- schid) und fiel 811 beim Angriff der Bul-
lässlich der Hinrichtung des Schriftstellers garen. 2) N. II. Phokas, eroberte als Ge-
Ken Saro-Wiwa weltweite Empörung her- neral des Kaisers Romanos II. 961 Kreta,
vor. Unter Präsident Abdulsalam Abuba- kämpfte in Asien, wurde nach dem Tod
kar (1998/99) allmähl. Demokratisierung; Romanos’ II. 963 zum Kaiser ausgerufen
1999 freie Wahlen, Staatspräs. wurde Olu- und mit Theophano, der Witwe des Kai-
segun Obasanjo, der schon in den 1970er sers, vermählt; neue Glanzzeit: Mithilfe ei-
Jahren als General für drei Jahre an der ner guten Armee (Armenier, Slawen und
Macht war, stärkste Partei die reformorien- Russen) gewann er die kilik. Festungen
tierte PDP (Demokratische Volkspartei). zu­rück, ebenso Zypern, Antiochia; wegen
Im Mai 1999 neue Verfassung, die u. a. Überspannung der Steuern vom Volk und
der Bevölkerung des Nigerdeltas eine Be- als Gegner neuer Klostergründungen vom
teiligung an den staatl. Öleinnahmen zu- Klerus gehasst, wurde er unter Mitwirkung
sagte, was die jahrzehntelangen Auseinan- der Kaiserin Opfer einer Verschwörung;
dersetzungen aber nicht beendete. Zudem der Mörder Johannes Tzimiskes wurde sein
anhaltende Fehde zwischen den christl. Nachfolger (↑ Byzantin. Reich).
Yoruba und den islam. Haussa, Mitte 2000 Niketas Akominatos, byzantinischer Ge-
erneute Eskalation, als in einigen nördl. schichtsschreiber, gest. 1216; am Hof des
Bundesstaaten – gegen die Verordnungen Theodoros Laskaris, floh 1204 nach Nizäa
der Regierung – die islam. Scharia als gülti­ und verfasste die „Geschichte der griech.
ges Recht eingeführt wurde. Kaiser“ (1180–1206).
Nihavent (Nehavend), persischer Schlach- Nikias, athen. Staatsmann und Feldherr
tenort, Sieg der Araber über den Perser- (Gegner Kleons), schloss 421 v. Chr. im
könig Jesdegerd III. 642 n. Chr., Bezwin- ↑ Peloponnes. Krieg den sog. Frieden des
gung der Außenprovinzen. Übergang des Nikias zw. Athen und Sparta; in dem von
pers. Großreiches an das arab. Kalifenreich Alkibiades eingeleiteten sizil. Feldzug fand
(↑ Persien). er 413 v. Chr. bei Syrakus den Tod.

671
Nikolaus

Nikolaus, Name von Herrschern. Monte- 1277–1280; gegen Rudolf von Habsburg
negro: 1) N. I. („Nikita“), 1841–1921; die und Karl von Anjou Erkämpfung der terri-
polit. Verhältnisse seines Landes wurden torialen Unabhängigkeit des Kirchenstaates
nach den Türkenkriegen (1876–1878) ge- und Roms. 4) N. V., 1447–1455; erster
regelt; seit 1910 König von Montenegro, Ver­treter des christl. Humanismus und der
1912/13 erfolgreich in den Balkankriegen, christl. Renaissance in Rom, die schon in
nach der Besetzung Montenegros durch ↑ Avignon eingesetzt hatte; Neuordnung
Österreich 1916 Flucht nach Frankreich. des päpstl. Stellenbesetzungsrechtes in
– Russland: 2) N. Pawlowitsch, 1796– Deutschland (Wiener Konkordat 1448, bis
1855; seit 1825 Kaiser, streng absolutist. 1803 in Geltung); Beendigung des Schis-
Regime, erfolgreich gegen Persien (1826– mas, letzte Kaiserkrönung durch den Papst
1828) und Türkei (1828–1829), verleibte in Rom (1452, Friedrich III.); Kreuzzugs-
1831 Polen in Russland ein; Niederlage im plan gegen die Türken, die 1453 Konstan-
↑ Krimkrieg (1853–56). 3) N. II. Alexand- tinopel eroberten (Untergang des ↑ Byzan-
rowitsch, 1868–1918, Kaiser seit 1894; tin. Reiches); Musenhof in Rom, Grün-
Misserfolg im Japan. Krieg (1904/05); Re- dung der Vatikan. Bibliothek.
volution und Zugeständnis der konstituti- Nikolaus Damascenos, griech. Historiker
onellen Verfassung von 1905, Bündnis mit im 1. Jh. n. Chr.; lebte bei Herodes und
Frankreich 1907, oberster Kriegsherr im Kaiser Augustus; Hauptwerk eine „Welt­
1. Weltkrieg; dankte 1917 ab: 1918 zusam- geschichte“ in 144 Büchern.
men mit seiner Familie in Jekaterinburg er- Nikolaus von Kues (Cusanus), Kirchen-
schossen. 4) N. (Nikolai) Nikolajewitsch, politiker, Philosoph, Naturwissenschaftler,
Sohn des russ. Großfürsten Nikolai und 1401–1464; Studium in Deventer (Brüder
Enkel Nikolaus’ I., 1856–1929; 1914/15 vom gemeinsamen Leben), Heidelberg,
Oberbefehlshaber der russ. Streitkräfte, Padua, Köln; als Vertreter des Bischofs von
dann Statthalter im Kaukasus, 1919 Flucht Trier auf dem ↑ Baseler Konzil, legte dort
nach Frankreich. seine Schrift „De concordantia Dei“ vor
Nikolaus, Päpste: 1) N. I., 858–867; Herr- (tiefgründiger, umfassender Versuch, die
schernatur, unerbittlicher Verfechter der mittelalterliche Idee des Universums mit
höchstrichterlichen Stellung des Papst- der ↑ konziliaren Idee in Einklang zu brin-
tums innerhalb der Kirche (Primat) ge- gen und das Reich neu zu ordnen; Nach-
gen das Staatskirchentum der Franken weis, dass die „Konstantin. Schenkung“
und Byzantiner; sein Kampf um das Mis- eine Fälschung ist); trat unter dem Ein-
sionsgebiet Bulgarien und der Streit mit druck des Konzilverlaufs auf die Seite des
dem Patriarchen ↑ Photius von Konstanti- Papstes, von ihm zu Verhandlungen mit
nopel vertieften die Kluft zur griech. Kir- den dt. Fürsten beauftragt, 1448 Kardinal,
che. 2) N. II., 1058–1061; in Siena unter Bischof von Brixen; Visitator für Deutsch-
Umgehung des bisherigen Wahlmodus ge- land (Reformarbeit), von ihm gingen Vor-
wählt, dementsprechend Papstwahldekret schläge zur Kalenderreform aus; als Philo-
von 1059: Beschränkung des Wahlrechts soph beeinflusst von Meister Eckhart und
auf die Kardinalbischöfe (Zustimmung Wilhelm von Ockham, Wegbereiter der
von Klerus und Volk erst nach der Wahl, Philosophie der Neuzeit, verfolgte auch
[formales] Zustimmungsrecht des dt. Kö- mathemat. Gedankengänge (Problem des
nigs); Rückhalt bei den Normannen (Be- unendlich Großen und Kleinen) und trieb
lehnung ↑ Robert Guiscards mit Apulien, naturwiss. und astronom. Studien; in sei-
Kalabrien und Sizilien gegen Vasalleneid ner Heimat Kues an der Mosel gründete er
und ein Schutzversprechen). 3) N. III., ein heute noch bestehendes Hospital.

672
Nizäa

Nikolsburg, Abschlussort des Waffenstill- Nimwegen (Nijmegen), niederländ. Stadt;


stands zw. Österreich und Preußen nach seit der Karolingerzeit Pfalz und seit 1230
der Schlacht bei Königgrätz 1866 (↑ Dt. Reichsstadt, war Mitglied der Hanse,
Krieg). 1678/79 Abschluss des Friedens von N.
Nikomedes, Könige von Bithymen (in Ninive, assyrische Großstadt am Ober-
Kleinasien): 1) N. I., rief 277 n. Chr. die lauf des Tigris, durch König Sanherib
Galater (Kelten) ins Land und gründete (705–681 v. Chr.) zur Hauptstadt erho-
↑ Nikomedia. 2) N. IV., Philopator, Ver- ben und mit Tempeln und Palastbauten
bündeter der Römer gegen ↑ Mithradates, geschmückt, 612 v. Chr. durch Babylonier
vererbte sein Reich den Römern (gest. und Meder zerstört; 627 n. Chr. Sieg des
74 v. Chr.). oström. Kaisers Heraklius über die Per-
Nikomedia, Hauptstadt von Bithymen, ser; in den Ruinen von N. Ausgrabungen
heute Ismid; 264 v. Chr. erbaut; hier vergif- seit 1820 durch den Engländer Rich, 1843
tete sich 182 v. Chr. Hannibal; vorüberge- erste Funde (Botta); neue Ausgrabungen
hend (um 300 und 325 n. Chr.) Residenz 1873–1885 durch G. Smith und Rassam
der röm. Kaiser Diokletian und Konstan- (Fund einer großen Tontafelbibliothek).
tin d. Gr., der sich hier taufen ließ; 303 ei- Nippur (Niffer), sumer. und altbabylon.
ner der Schauplätze der Diokletian. ↑ Chri- Stadt am Euphrat, im 3. Jt. v. Chr. Kult-
stenverfolgung. zentrum (Tempel des sumer. Gottes Enlil);
Nikon, bedeutendster Patriarch der russ. Fundort Tausender sumer. Keilschrifttexte.
Kirche, 1606–1681; 1652 zum Patriarchen Nithard, Enkel Karls d. Gr., Geschichts-
gewählt, ließ er eine Revision des liturg. schreiber, Politiker und Feldherr Ludwigs
Schrifttums vornehmen und Eigenheiten d. Frommen und Karls d. Kahlen (gest.
des russ. Rituals zugunsten des byzantin. 844); 4 Bücher der Geschichte der Kämpfe
ausmerzen, zog sich dadurch den Hass des Ludwigs des Frommen mit seinen Söhnen.
Volkes zu, trieb die Altgläubigen zur Ab- Nixon, Richard Milhous, amerik. Politiker,
spaltung (↑ Raskol), verlor durch Verleum- 1913–1994; 1953 Vizepräsident unter Ei-
dungen die Rückendeckung bei Zar Alexei senhower, 1968–1974 US-Präs. Außenpo-
Michailowitsch und musste 1658 abdan- lit. leitete N. die Normalisierung der Be-
ken; seine Reformen blieben in Kraft; N. ziehungen zu China ein, verhandelte mit
wurde verbannt und 1681 rehabilitiert. der Sowjetunion und beendete den Viet-
Nikopolis, Städtename: 1) N. in Mösien namkrieg; innenpolit. stürzte er die USA
(Bulgarien), Bischofssitz ↑ Wulfilas; um- durch die Watergate-Affäre in eine Krise
kämpfter Schlachtenort: 1396 Sieg des und musste 1974 zurücktreten, um einer
Sultans Bajasid über ein frz.-ungar. Kreuz- Amtsenthebung zuvorzukommen.
zugsheer unter König Sigmund von Un- Nizäa (auch Nicäa) in Bithymen, heute
garn; 1598 Sieg des Walachenfürsten Mi- Ruinenstadt in Kleinasien; Ende des 4. Jh.
chael des Tapferen (1593–1601) über die gegr., 1080 von Seldschuken-Söldnern des
Türken; 1810 Eroberung durch die Rus- byzantin. Kaisers Nikephoros III. Bota-
sen; 1829 Sieg über eine türk. Flotte durch neiates besetzt und zur Hauptstadt ihres
die Russen, 1877 Sieg der Russen über die Reiches Rum gemacht; 1097 von Kreuz-
Türken. 2) N. in Epirus, von Augustus fahrern (Gottfried von Bouillon) erobert;
zum Andenken an seinen Sieg bei ↑ Ak- unter Theodor Laskaris (1204–1222) selb-
tium gegründet. ständiges Kaiserreich neben dem ↑ Latein.
Nîmes, frz. Stadt; geht auf eine kelt. Sied- Kaiserreich (bis 1267); 1326 von den Tür-
lung zurück, die 121 v. Chr. römisch wurde; ken erobert; Tagungsort großer Konzilien
seit dem 4. Jh. kath. Bischofssitz. (↑ Nizäa, Konzilien).

673
Nizäa

Nizäa, Konzilien, 1) 324/25 1. Allg. Kon- gang zu den kurul. Ämtern hatten; Gegner
zil, einberufen von Kaiser Konstantin, Ver- der demokrat. und sozialreformer. Volks-
werfung der Lehren des Arius, Erhebung partei (Populares).
des Glaubenssatzes von der Wesensgleich- Nofretete, ägypt. Königin, teilte und för-
heit Christi mit Gott-Vater (Ausbildung derte den traditionsfeindlichen Aton-(Son-
des Dogmas von der Trinität); nieder- nen-) Glauben Amenophis’ IV. (Echnaton,
gelegt im Symbolum Nicaenum (Nizäi­ um 1350 v. Chr.) und siedelte mit ihm in
sches Glaubensbekenntnis, das Credo der das neue Kultzentrum Amarna in Mit-
Messe), auf dem Konzil von Konstantino- telägypten über; sie überlebte Echnaton;
pel 381 ergänzt und anerkannt. 2) 7. All- ihr Ende liegt im Dunkel; ihre 1912 in
gemeines Konzil von N. 787, einberufen Amarna ausgegrabene Büste ist heute im
von der oström. Kaiserin Irene; Wieder­ Ägypt. Museum in Berlin.
anerkennung der Bilderverehrung. Nogaret, Wilhelm von, frz. Staatsmann,
Nkrumah, Kwame, ghanaischer Politiker, um 1260–1313; Freund der mit dem
1909–1972; 1951 erster Ministerpräsident Papsttum verfeindeten Colonna, Kanz-
der Goldküste und Ghanas nach dessen ler (1296–1304 und 1307–1313) unter
Unabhängigkeit 1957, seit 1960 Staatsprä- Philipp IV. dem Schönen; beteiligt an den
sident. N. galt als geistiger Führer des afri- Auseinandersetzungen mit den Päpsten
kan. Sozialismus. 1964 führte er das Ein- Bonifaz VIII. und Klemens V. und an den
parteiensystem in Ghana ein und schaltete Prozessen gegen den Templerorden (Jakob
oppositionelle Poliker aus. 1966 wurde er von ↑ Molay); überfiel 1303 Papst Boni-
durch einen Militärputsch gestürzt, danach faz in Anagni, um ihn in Frankreich vor
Asyl in Guinea. ein Konzil zu stellen, vom nachfolgenden
NKWD, Abk. für russ. Narodnyj Komis- Papst Benedikt XI. exkommuniziert, von
sariat Wnutrennych Del („Volkskom- Papst Klemens V. entbannt.
missariat für Innere Angelegenheiten“); Nola, Stadt in Kampanien, im NO von
1934 geschaffenes Ministerium, dem die Neapel, 313 v. Chr. röm.; 215 v. Chr. er­folg­
GPU angegliedert wurde, diente zur polit. loser Angriff Hannibals im 2. ↑ Pun. Krieg;
Überwachung, als Nachrichtendienst und 91–88 v. Chr. hartnäckiger Einsatz N.s im
war zuständig für polit. Justiz und Grenz- italien. ↑ Bundesgenossenkrieg; 14 n. Chr.
schutz, war Instrument des stalinist. Ter- starb Augustus Oktavian in N.; 1460 Sieg
rors z. Z. der Großen Tschistka; aus dem Johannes’ von Anjou über Ferdinand von
NKWD entstand 1941 der ↑ KGB. Aragonien.
Nobel, Alfred, Chemiker und Industriel- Nomaden, schweifende Hirtenvölker, die
ler, 1833–1896; erfand 1864 das Dynamit zur Ernährung ihrer Herden wechselnde
und stiftete testamentar. den Nobelpreis, Weideplätze aufsuchten; als Eroberer und
einen seit 1901 jährlich durch die schwed. Gründer mächtiger Reiche von größtem
Akademie der Wissenschaften verteilten Einfluss auf die Entwicklung des Morgen-
Geldbetrag von etwa 140 000 Kronen aus landes (↑ Mongolen, Türken, Araber); von
den Zinsen des Nobelschen Vermögens für griech. „nomades“ leiteten die Römer die
hervorragende Leistungen in Physik, Che- Bezeichnung Numidier für die Berbervöl-
mie, Medizin, Literatur und im Dienst des ker Nordafrikas ab.
Friedens (Friedensnobelpreis durch nor- Nominalismus (von lat. nomen, Namen),
weg. Kommission verliehen). Richtung innerhalb der Scholastik: Die all-
Nobilität (Optimates, boni viri), seit dem gemeinen Begriffe oder „Universalien“ sind
3. Jh. v. Chr. patriz. und angesehene plebej. nicht Wirklichkeiten, nicht das eigtl. Sei-
Mitglieder der röm. Senatspartei, die Zu- ende, sondern nur Worte oder Namen, die

674
Nordatlantikpakt

der menschliche Verstand aus einer Anzahl lens. 2004 wurde der Beitritt der ost­europ.
gleichartiger Wirklichkeiten bildet; die Staaten Bulgarien, Estland, Lettland, Li-
Wirklichkeit besteht nur aus erfahrbaren tauen, Rumänien, Slowakei und Slowe-
Einzeldingen; Hauptvertreter des Nomi- nien vollzogen; Kandidaten für die Auf-
nalismus sind Roscellin und Abälard (11. nahme sind Albanien, Kroatien und Make-
und 12. Jh.), Ockham im 13. Jh., der den donien. – Oberstes Gremium der NATO
N. in ein System brachte (↑ Realisten); der ist der Nordatlantikrat, der auf Ebene der
↑ Universalienstreit bewegte das späte MA, Regierungschefs, der Außen-, der Verteidi-
berührte entscheidend die Lehre von der gungsminister oder der Ständigen Vertreter
Kirche und vom Reich (als vorgegebene tagt und in dem jeder Mitgliedsstaat ver-
oder als abgeleitete Begriffe) und gab den treten ist. Vorsitz führt ein Generalsekretär.
nationalstaatlichen und nationalkirchl. Be- Aufgabe des NATO-Rates ist es, die Mit-
wegungen Auftrieb. glieder bei der Ausführung des Vertrages zu
Nordalbingia, das im NO der Elbe gele- unterstützen. Oberstes militär. Organ ist
gene und von Nordalbinger Sachsen be- der Militärausschuss, dem die Stabschefs
wohnte Land, 804 unter Karl d. Gr. be- der Mitgliedstaaten angehören, tritt zwei-
setzt und christianisiert, 936 durch Otto I. mal jährlich zusammen und erarbeitet die
bis Jütland erobert, 1035 als Lehen (Mark Richtlinien der gemeinsamen Militärak-
Schleswig) an Dänemark abgetreten. tionen. Zwischen diesen Tagungen führt
Nordatlantikpakt (NATO = North Atlan- der Ständige Militärausschuss die Arbeit
tic Treaty Organization), aus dem Vertrag weiter. – Die Bundesrepublik unterstellt
von ↑ Dünkirchen (↑ Europ. Bewegung) bereits in Friedenszeiten die Bundeswehr
und dem ↑ Brüsseler Pakt (WEU) hervor- dem NATO-Oberkommando, ebenso in-
gegangenes westl. Verteidigungsbündnis, tegrieren die USA, Frankreich, Großbri-
das „im Glauben an die Ziele und Grund- tannien und andere Verbündete ihre Trup-
sätze der Vereinten Nationen und ihrem pen, soweit sie in der Bundesrepublik sta-
Wunsch, mit allen Völkern im Frieden zu tioniert sind. 1966 verließ Frankreich mi-
leben“ entschlossen ist, „die Freiheit des litär., nicht jedoch polit. die NATO. An
gemeinsamen Erbes und die Zivilisation der Südostflanke der NATO kam es 1974
ihrer Völker zu gewährleisten, die auf den zu einer Krise, Griechenland kündigte als
Grundsätzen der Demokratie, der Freiheit Reaktion auf das Eingreifen des NATO-
der Person und der Herrschaft des Rechts Partners Türkei in Zypern die militär. Mit-
beruhen“. Die Mitglieder verpflichten sich, gliedschaft auf. Das Problem an der Süd-
„sich in ihren internationalen Beziehungen flanke blieb auch nach der beabsichtigten
jeder Gewaltandrohung oder Gewaltan- Rückkehr Griechenlands wegen der Span-
wendung zu enthalten, die mit den Zie- nungen zw. Griechenland und Türkei (Zy-
len der Vereinten Nationen nicht vereinbar pern-Problem) bestehen. Trotz internat.
ist“. Nach Vorverhandlungen Unterzeich- Entspannung und Friedensverhandlungen
nung und Ratifizierung des Paktes 1949 (SALT-Abkommen, KSZE-Prozess u. a.)
durch die USA, Kanada, Belgien, Däne- basierte die militärische Konzeption der N.
mark, Frankreich, Großbritannien, Island, bis zur Wende in Osteuropa auf atomarer
Italien, Luxemburg, die Niederlande, Nor- Abschreckung und militär. US-Präsenz in
wegen, Portugal; 1952 Beitritt Griechen- W-Europa. Durch die polit. und gesell-
lands und der Türkei, 1955 der Bundesre- schaftlichen Veränderungen in den ehem.
publik Deutschland, 1982 Spaniens, nach sozialist. Staaten O-Europas, die Auflösung
Ende des ↑ Warschauer Pakts 1999 Un- des Warschauer Paktes und durch die Wie-
garns, der Tschechischen Republik und Po- dervereinigung Deutschlands wurde diese

675
Norddeutscher Bund

Militärdoktrin allerdings in Frage gestellt; brit. Truppen und zur vorübergehenden


eine direkte Bedrohung durch den Ost- direkten Kontrolle N.s durch die brit.
block besteht nun nicht mehr. Daher seit Regierung. 1973 kam es auf Druck und
1991 Transformation der Allianz und ihrer Vermittlung der brit. Regierung zu einer
Ziele in mehreren Bereichen: 1) Auswei- neuen Verfassung, die auf kath.-protestant.
tung der NATO nach Mittel- und Osteu- Machtteilung beruht; der Plan eines gesam-
ropa (beinhaltet die vertiefte Zusammen- tir. Rates wurde von kath. und protestant.
arbeit im NATO-Kooperationsrat NACC Extremisten bekämpft. Seit 1974 bestehen
sowie im Nato-Russland-Rat); 2) Mandats­ polizeiliche Sondervollmachten der 10 000
übernahme für friedenserhaltende Missio­ brit. Soldaten (seit 1969 in N.) zur Be-
nen von OSZE und UN auch außerhalb kämpfung der IRA (Irish Republican Army,
des Bündnisgebiets (z.B. im Bosnienkrieg), kathol.-ir. Untergrundbewegung; Forde-
was eine Abwendung der NATO von den rung: Autonomie von N.; parlamentar.
Strukturen eines reinen Verteidigungs- Vertretung ist die Partei Sinn Fein, die in
bündnisses bedeutet; 3) „Europäisierung“ nordir. Bezirksräten vertreten ist), die 1988
der Allianz durch die verstärkte Koopera- durch eine Gesetzesnovelle bestätigt und
tion mit der WEU und der Aufstellung der verschärft wurden (z. B. Zugriff auf IRA-
Combined Joint Task Forces. Konten u. a.). Zwischen 1968 und 1988
Norddeutscher Bund, nach dem Krieg zw. forderte der N.-Konflikt ca. 2 700 Todes-
Preußen und Österreich (1866) am 5. Juli opfer. Ab Feb. 1996 Allparteiengspräche,
1866 anstelle des ↑ Dt. Bundes von Bis- die schließl. 1998 zum Abschluss eines
marck unter Ausschaltung ­ ↑ Österreichs Friedensabkommens (Karfreitagsabkom-
gegr., bestand bis 18. Jan. 1871; das Bun- men) führten. Im Nov. 1999 stimmte die
desvolk wurde vom ↑ Reichstag, die 22 Ein- protestant. Ulster Unionist Party (UUP)
zelstaaten nördl. des Mains wurden vom einer gemeinsamen Regierung mit der
↑ Bundesrat vertreten; Bismarck war Bun- IRA-nahen Sinn Fein zu, allerdings unter
deskanzler, der König von Preußen Bundes­ der Voraussetzung einer Waffenabgabe der
präsident; Vorstufe des späteren Bismarck- IRA. Nordirland erhielt einen Monat spä-
Reiches (↑ Deutschland, Preußen). ter die Selbstverwaltung zurück, 10-köp-
Nordgau, ↑ Oberpfalz. fige Exekutive aus kath. und protestant.
Nordgermanen, die ursprünglich in Skan- Politikern unter Führung David Trimbles
dinavien ansässigen und teilweise von dort von der UUP. Da die IRA die Abgabe ihrer
ausgewanderten Stämme der ↑ Germanen. Waffen verweigerte, kam es im Juli 2001
Nordirland, der nach der 1920 nach mehr- zum Rücktritt Trimbles und der UUP-Mi-
jährigem blutigem Bürgerkrieg durch das nister. Daraufhin begann die IRA mit ihrer
brit. Parlament verfügten Teilung ↑ Irlands Entwaffnung, im Nov. 2001 wurde Trimble
bei Großbritannien verbleibende Nordost- erneut zum Chef der nordir. Regionalregie-
teil der Insel Irland, 8 Grafschaften um- rung gewählt. Aber weiterhin gewalttätige
fassend; 1921 Zubilligung eines eigenen Zusammenstöße zw. Protestanten und Ka-
Parlaments mit Senat und Unterhaus und tholiken, daher ab Okt. 2002 Verwaltung
eigener Regierung unter einem Minister- wieder direkt von London aus.
präsidenten; die vollziehende Gewalt wird Mai 2003 Friedensplan der brit. Regierung
durch den Königlichen Gouverneur ausge- für Nordirland, der bei Gewaltverzicht der
übt, N. entsendet 12 Abgeordnete ins brit. IRA eine Verringerung sowohl der mili-
Unterhaus. Auseinandersetzungen zw. Pro- tär. Stützpunkte als auch der Zahl der brit.
testanten (ca. 64 % der Bevölkerung) und Soldaten in Aussicht stellte. Bei Wahl im
Katholiken führten zum massiven Einsatz Nov. 2003 starke Zuwächse der radikalen

676
Normandie

Parteien: Stärkste Partei im neuen Regio- der Mark ↑ Geros, seit 965 abgetrennt und
nalparlament wurde die Democratic Unio­ als N. bezeichnet; durch Slawenaufstände
nist Party (DUP) des Protestanten Ian (1011 und unter Heinrich IV.) verheert,
Paisley, die das Karfreitags-Abkommen seit dem 14. Jh. Altmark genannt.
von 1998 ablehnt, stärkste Kraft im kath. Nordrhein-Westfalen, Land der Bundes-
Lager Sinn Fein. Damit ist die Lösung des republik Deutschland, 1946 durch Verord­
Nordirland-Konflikts erneut in weite Ferne nung der brit. Militärregierung aus dem
gerückt. nördlicher Teil der ehemal. preuß. Provinz
Nordischer Krieg, 1700–1721, zwischen Rheinland (Regierungsbezirke Aachen,
Schweden (unter Karl XII.) und einer Koa- Köln, Düsseldorf; der südl. Teil zum Land
lition aus Russland, Polen, Sachsen, Däne- Rheinland-Pfalz und Saarland) und aus
mark, Preußen und Hannover (unter Füh- Westfalen gebildet; 1947 durch den ehemal.
rung Peters d. Gr.); Ursache war die Jugend Freistaat Lippe-Detmold erweitert; 6 Regie-
des neuen Schwedenkönigs (15 Jahre) und rungsbezirke, Landeshauptstadt Düsseldorf
der Versuch der Gegenseite, das Überge- (↑ Deutschland, Bundesrepublik).
wicht Schwedens in Nordeuropa zu bre- Noreia, am Neumarkter Sattel, Römerla-
chen; anfangs Erfolge der Schweden (Sieg ger in Kärnten; Hauptstadt der Noriker,
bei Narwa 1700, Absetzung des Polenkö- bekannt durch den Sieg der ↑ Kimbern,
nigs August II. und Wahl des Stanislaus Teutonen und Ambronen über die Römer
Leszezinski); entscheidende Niederlage unter Gn. Papirius Carbo 113 v. Chr.
Karls bei Poltawa 1709; große Gebiets- Norfolk, englischer Herzogtitel: 1) N.,
verluste der Schweden (Vorpommern, Tho­mas Howard, Herzog von, Günstling
Livland, Estland und Karelien) und Ver- Heinrichs VIII. von England, 1473–1554;
lust ihrer Vormachtstellung im Norden an 1546 nach einem Verschwörungsversuch
Russland. seines Sohnes vom König im Tower ge-
Nordischer Rat, Organisation der nordi­ fangen gesetzt. 2) N., Thomas Howard,
schen Staaten Dänemark, Island, Norwe- Enkel von 1), 1536–1572; versuchte als
gen, Schweden zur zwischenstaatl. Zusam- mächtigster Adliger Englands im Einver-
menarbeit bei der Lösung kultureller, wirt- nehmen mit Philipp II. und dem Papst
schaftlicher und sozialpolitischer Fragen ↑ Maria Stuart den englischen Thron zu
(Aufhebung des Passzwanges, Freizügigkeit sichern; wurde wegen einer Verschwörung
der Arbeitskräfte); 1951 gegründet, Sitz 1572 hingerichtet.
Kopenhagen. Noricum, römsiche Provinz zw. Rätien und
Nördlingen, Stadt im bayer. Schwaben. Pannonien (heute Kärnten, Steiermark,
bis 1803 Freie Reichsstadt, seitdem Bayer.; Salzburg); 16 v. Chr. unter Drusus, dem
Schlacht bei N. 1634, Niederlage Bern- Stiefsohn Oktavians, errichtet; benannt
hards von Weimar und Horns (Gefangen- nach den kelt. Norikern; weit berühmt das
nahme Horns) durch Piccolomini, Gallas nor. Eisen (kelt. ↑ Latene-Kultur).
und Johannes von Werth im ↑ 30-jährigen Noriker, ↑ Noricum, Noreia.
Krieg; Folge: enger Anschluss der süddt. Normandie, Landschaft und ehemaliges
Protestanten an Frankreich, das aktiv in Reich an der Nordküste Frankreichs, 911
die Kämpfe eingriff; 1645 Sieg der Fran- als frz. Lehen an die ↑ Normannen (unter
zosen bei N. (Schlacht von Alerheim) über Führung Rollos) abgetreten; 1066 wurde
die bayer. Truppen unter Mercy. Wilhelm II. Herzog der N., zugleich Kö-
Nordmark, Grenzmark gegen die Slawen nig der englischen Insel, seit 1204 war die
im Havelgebiet, Teil der von Heinrich I. N. wieder frz. Kronbesitz; bedeutende nor-
928 errichteten Altmark, später Nordteil mann. Bauten.

677
Normannen

Normannen (Wikinger), Sammelname besonders Kurlands, befestigte Siedlungen


(„Nordmannen“) für Skandinavier, Dänen, in Ostpreußen, von dort um 860 Herr-
Norweger und Südschweden, die im An- schaftsgründung in Nowgorod und Kiew
schluss an die german. ↑ Völkerwanderung und um 880 Zusammenfassung beider
(ohne ihre nördl. Siedlungsgebiete aufzu- Herrschaften zum ↑ Kiewer Reich (dem
geben) seit dem 8. Jh. n. Chr. weite Vor- ersten russ. Staat ↑ Rurik, Russland); bis
stöße nach W-, S-, O-Europa und über das um 1000 reger Handelsverkehr zw. Schwe-
Meer unternahmen. Dänen und Norweger den, Russland und Byzanz durch wage-
bevorzugten westl. und südl. Stoßrichtung, mutige Krieger-Kaufleute, die mit Schif-
Schweden die östl. (Waräger). Auf besegel- fen regelmäßig die gefahrvolle Fahrt von
ten Ruderbooten (Langbooten) anfangs Pi- den großen Handelsplätzen des Nordens
raten- und Raubzüge mit unbestimmtem (↑ Haithabu) bis zum Schwarzen Meer un-
Ziel, später (um 800) bes. zu den Küsten ternahmen; enge Beziehungen der Waräger
des angelsächs. Britannien, Angriffe auch auch zu der islam. Welt (bei Ausgrabungen
auf die Küsten des Frankenreiches (Schutz- in Schweden und Gotland u. a. mehr als
maßnahmen Karls d. Gr.); Landnahme 100 000 islam. Silbermünzen aus der N.-
normann. Siedler auf den Färöer-, Shel- Zeit gefunden); seit 950 Slawisierung der
ley- und Orkneyinseln, Herrschaftsgrün- russ. Waräger. – Die im 8. Jh. begonnene
dung in Irland; nach 870 Festsetzung in Missionierung verschmolz im Westen und
Northumberland, anschl. Eroberung des Süden die N. allmählich mit dem christl.
ganzen Angellandes (↑ England); nach Tei- Abendland; um 910 endeten die Angriffe
lung und Schwächung des Frankenreiches auf Frankreich, nachdem die N. große
(843 Vertrag von ↑ Verdun) Anlage von be- Gebiete an der unteren Seine (die spätere
festigten Lagern an den Mündungen der ↑ Normandie) als Lehen erhalten hatten;
großen europ. Ströme, von dort aus in je- im 10. Jh. ließen die England-Invasionen
dem Frühjahr Beutezüge auf Elbe, Weser, aus Skandinavien nach (1066 letzter Ero-
Rhein, Mosel, Maas, Garonne, Seine u. a.; berungszug gegen England durch Wilhelm
Plünderung von Hamburg (völlige Zer- den Eroberer aus der Normandie); auch in
störung), Paris, Rouen, Nantes, Aachen, England und Frankreich gingen die Nach-
Köln; Leid und Not der Bevölkerung, kommen der normann. Eroberer in der
Lahmlegung des Wirtschaftslebens; weitere einheim. Bevölkerung auf. – Von großer
Eroberungen in England. – Seit der Mitte Bedeutung wurde für das MA die nor-
des 9. Jh. drangen starke N.-Flotten auch mann. Reichsgründung in Unter­italien,
im Mittelmeer bis Spanien und Afrika vor; wo sich seit der Vernichtung des Lango-
gleichzeitig Entdeckungsfahrten nach Nor- bardenreiches durch Karl d. Gr. (774) im
den und über das „Westmeer“; Ende des Raum von Salerno, Capua und Neapel
9. Jh. Umrundung des Nordkaps und der kleine langobard. Herzogtümer erhalten
Halbinsel Kola; Niederlassungen auf Is- hatten und im Kampf gegen Byzantiner
land; ↑ Erik der Rote siedelte um 984 auf und Sarazenen standen; normann. Ritter
Grönland, sein Sohn ↑ Leif Erikson drang aus der Normandie kamen dem 1016 von
bis Labrador und Neufundland vor und den Sarazenen angegriffenen Salerno zu
entdeckte ↑ Vinland (↑ Entdeckungen). Hilfe, zogen Verstärkungen aus der Nor-
– Während von Dänemark und Norwegen mandie nach, traten in die Dienste einiger
die N. gegen Westen und Süden vorbra- langobard. Herzöge und erhielten Lebens-
chen, begannen von Schweden aus die N. grafschaften zur Belohnung; der mit Besitz
(Waräger) die Eroberung des Ostraumes: bei Neapel belehnte Normanne Rainulf be-
über Gotland Besetzung des Baltikums, mächtigte sich 1030 des langobard. Capua,

678
Norwegen

der Normanne ↑ Robert Guiscard eroberte Flucht 1982 in Malaysia eine Exilregie-
Kalabrien, machte sich 1057 zum Herrn rung, führte 1988/89 die drei kambod-
von Apulien, anerkannte die Oberhoheit schan. Widerstandsgruppen (Dreierallianz
des Papstes über diese Besitzungen, leistete aus Anhängern von N. S., Roten Khmer
1059 den Lehenseid an Papst Nikolaus X. und Anhängern des bürgerlichen Politi-
und entriss 1061–1072 den größten Teil kers Son Sann), schlug im Mai 1989 eine
Siziliens den Arabern; Guiscards Bruder Koalition der Dreierallianz mit dem von
Roger I. schloss 1091 die Eroberung Sizi- Vietnam gestützten Hun Sen vor. Nach
liens ab; Begründer der eigtl. normann.-si- Unterzeichnung des Friedensabkommens
zilian. Dynastie wurde sein Sohn Roger II., in Paris kehrte er 1991 als Vorsitzender
der die letzten langobard. Herrschaften in des Obersten Nationalrats zurück, 1993
Unteritalien unterwarf und sich 1130 un- zum Staatspräsidenten gewählt und nach
ter Anerkennung der päpstlichen Lehens- Unterzeichnung der Verfassung als König
hoheit durch Papst Anaklet II. zum König vereidigt. 2004 dankte er aus gesundheit-
von Sizilien krönen ließ: Errichtung eines lichen Gründen ab.
glanzvollen und mächtigen südital.-sizi- North, Frederik Lord, Graf von Guilford,
lian. Reiches, gestützt auf den normann. 1733–1792; brit. Staatsmann, seit 1770
Adel und (unter Ablehnung des mittelal- Premier, beschwor durch Nachgiebigkeit
terl. Lehenswesens) auf ein zentralist. or- gegenüber dem halsstarrigen Georg III.
ganisiertes Beamtentum; Rechtshochschu- den Kampf mit den nordamerik. Kolonien
len in Neapel und Amalfi, medizin. Hoch- herauf, der zu ihrem Abfall führte; trat
schule in Salerno, Dome und Burgen im 1782 zurück.
normann. Baustil; 1194 erbten die Staufer Northcliffe, Alfred Harmsworth, Vis-
das N.-Reich (Grundlage der Kaisermacht count (1917), brit. Journalist und Verle-
↑ Friedrichs II.); nach dem Niedergang der ger, 1865–1922; gründete 1896 die „Daily
Staufer wurde ↑ Karl I. von Anjou 1265 Mail“, erwarb 1908 die „Times“ und an-
vom Papst mit dem Reich Neapel-Sizilien dere Zeitungen, im 1. Weltkrieg einer der
belehnt, kurz danach Teilung in ein König- einflussreichsten Propagandisten auf Seiten
reich Neapel und ein Königreich Sizilien der Westmächte (Vertreter der Greuelpro-
(Ende des alten N-Reiches); die N. waren paganda als Kampfmittel in Krieg).
zu dieser Zeit durch Vermischung in der Northumberland, die nördl. des Humber
einheim. Bevölkerung aufgegangen. gelegene nördlichste Grafschaft der engl.
Norodom Sihanuk, Prinz Samdech Prea, Insel, bis 1066 angelsächs. Teilkönigreich.
kambodschan. Politiker und König (1941– Northwest Territory, erstes nat. Territo-
1955), geb. 1922; bestieg 1947 den Thron, rium der USA, umfasste das Gebiet zw.
dankte 1955 zugunsten seines Vaters N. Ohio, Mississippi und den Großen Seen;
Sumarit ab, gründete 1955 die „Volkssozi- 1763 von Frankreich an Großbritannien,
alist. Partei“ und wurde nach dem Tod des 1783 an die USA abgetreten; aus dem N. T.
Vaters 1960 Staatspräsident; sein Versuch, entstanden die amerik. Bundesstaaten Ohio
Kambodscha aus dem Vietnamkrieg he- (1803), Indiana (1816), Illinois (1818),
rauszuhalten, scheiterte. 1970 nach seinem Michigan (1837) und Wisconsin (1848).
Sturz durch Lon Nol in Peking im Exil. Norwegen, Königreich an der Westküste
Nach dem Sieg der Roten Khmer Rück- Skandinaviens; heute konstitutionelle Erb-
kehr und Bestätigung als Staatschef, 1976 monarchie. Die Geschichte der skandinav.
Rücktritt von allen Ämtern; trat 1979 in- Reiche ist in sich eng verschlungen, insbes.
ternat. gegen die vietnamesische Invasion in der älteren Zeit; bis ins 9. Jh. n. Chr. in
Kambodschas auf; bildete nach erneuter Teilkönigreiche zersplittert, unter Harald I.

679
Noske

Schönhaar (um 865–930) geeint (um 872); mals 1986–1989 und 1990–1996). 1994
Seefahrten der norweg. ↑ Normannen; Be- erneute Ablehnung des EU-Beitritts (N.
ginn der Kolonisation Islands (874); um zu diesem Zeitpunkt nach Saudi-Arabien
900 erstes Großkönigreich unter Harald I. zweitbedeutendster Erdölexporteur, Entde-
Harfagr; 984 Besiedlung Grönlands durch ckung neuer Erdgasvorkommen); erst seit
Erik den Roten; um 1000 Christianisie- Anfang des neuen Jahrtausends mehren
rung Norwegens durch Olaf Trygvasson, sich Stimmen für EU-Beitritt, bei Wahlen
endgültig durch Olaf den Heiligen (1015– im März 2000 Sieg der EU-freundlichen
1030). 1028 wurde N. von ↑ Knut d. Gr. Sozialdemokraten, aber seit Sept. 2001
von Dänemark erobert, wieder selbstän- konservativ-liberale Koalition, unterstützt
dig unter Magnus dem Guten (1035); um von der rechtsextremen Fortschrittspartei.
1100 Erwerb der Hebriden, der Orkney- Ziele der neuen Regierung sind Reformen
und Shetlandinseln, 1261 Grönlands, 1262 im Sektor Soziales, Gesundheit und Bil-
Islands; durch die ↑ Kalmar. Union 1397 dung (auch unter Einbezug der Einnah-
mit Schweden und Dänemark vereinigt men aus der Ölförderung), Steuersen-
(mit Schweden bis 1523); in der Folge zeit- kungen und Privatisierungen.
weise zur dän. Provinz herabgedrückt unter Noske, Gustav, dt. Politiker, 1868–1946,
Verlust von Grenzgebieten an Schweden; seit 1902 Leiter der „Volksstimme“ in
1536 Einführung der Reformation durch Chemnitz, 1906–18 MdR für die SPD. Im
König Christian III.; 1814 (Kieler Friede) Nov. 1918 wurde er Gouverneur von Kiel
durch den schwed. Kronprinzen ↑ Berna- und („Einer muss ja der Bluthund wer-
dotte von Dänemark getrennt, mit Schwe- den“) bekämpfte den revolutionären Auf-
den vereinigt und während des 19. Jh. in stand der Marine. Seit dem 29. Dez. 1918
Personalunion mit Schweden; 1905 Auflö- im Rat der Volksbeauftragten. Als Oberbe-
sung der Union (Volksabstimmung) und fehlshaber der regierungstreuen Truppen
selbständige konstitutionelle Monarchie schlug er den Berliner Spartakusaufstand
(ebenfalls durch Volksabstimmung) unter im Jan. 1919 blutig nieder, was ihm harte
Haakon VII. (Prinz Karl von Dänemark); Kritik aus der Arbeiterschaft einbrachte.
im 1. Weltkrieg blieb N. neutral; 1920 Im Febr. 1919 wurde N. Reichswehrmini-
Erwerb Spitzbergens, 1940–1945 von dt. ster, musste aber nach dem ↑ Kapp-Putsch
Truppen besetzt; 1945 Rückkehr des Kö- auf Druck von Legien und Wels von sei-
nigs und der Regierung; 1949 unter Ab- nem Amt zurücktreten. 1920–33 Ober-
lehnung eines Nichtangriffspaktes mit der präsident von Hannover bis zu Absetzung
Sowjetunion und Aufgabe der Neutralität durch die Nationalsozialisten.
Beitritt zum ↑ Nordatlantikpakt. Nachfol- Notabelnversammlungen in Frankreich,
ger des 1957 verstorbenen Haakon VII. ist seit dem 15. Jh. als Ersatz für die Versamm-
dessen Sohn Olaf V. – 1960 Anschluss an lung der Reichsstände (Etats généraux) ein-
die EFTA (Europ. Freihandelsassoziation); gerichtete, von der Krone einberufene Ver-
Ende der 1960er Jahre Entdeckung von sammlung ausgezeichneter Männer mit
Erdölvorkommen vor der norweg. Küste, bestimmten Titeln, Rang und Vermögen,
führte zu großem Wohlstand. 1972 Ableh- die aber lediglich gefügige Kreaturen des
nung des EG-Beitritts durch eine Volksab- Königs waren und ohne Einfluss auf die Fi-
stimmung; 1973 schloss N. einen Freihan- nanzen; von 1627–1787 nicht mehr einbe-
delsvertrag mit der EG ab. 1981 wurde mit rufen; in der Zwangslage vor der Frz. Re-
Gro Harlem Brundtland zum ersten Mal volution zwei N. zur Vorbereitung der Ta-
eine Frau norwegische Ministerpräsidentin gung der Etats généraux (1787 und 1788)
(allerdings nur bis Ende des Jahres, noch- zum letzten Mal tagend.

680
Numidien

Notgeld, Geldersatz, der in Krisenzeiten größte und wichtigste Stadt Russlands im


wegen eines Mangels an Zahlungsmitteln 14. und 15. Jh. (Stadtrepublik mit 400 000
vom Staat oder größeren Unternehmern Einwohnern, Handelsniederlassungen in
ausgegeben wird; wurde bereits im 15. Jh. vie­len Städten des Ostens); Zar Iwan III.
als Löhnung für Soldaten eingeführt, we- vernichtete 1471 das N.er-Heer. 1478
gen der Inflation besonders 1918–1923 in En­de der Unabhängigkeit; Moskau erhielt
Deutschland verbreitet. dadurch Zugang zur Ostsee, Aufhebung
Notverordnungen, nach § 48 („Diktatur- des „Peterhofs“ 1494. 1727 Hauptstadt
paragraf“) der Weimarer Verfassung Anord- eines Gouvernements; während des Beste-
nungen des Reichspräsidenten mit Geset- hens der Sowjetunion eines ihrer Gebiete,
zeskraft, die auf Verlangen der Reichstags- heute Gebietshauptstadt in Russland.
mehrheit zurückgenommen werden muss- Nubien („Goldland“), Bezeichnung für
ten. Durch N. konnte der Reichspräsident das Niltal zwischen Assuan im Norden
mit der Reichswehr gegen verfassungswid- und dem Katarakt nördlich von Khartum
rig verfahrende Landesregierungen vorge- (die Grenze zwischen Unter- und Ober-
hen und Grundrechte außer Kraft setzen. nubien liegt beim 2. Katarakt); seit etwa
In der Krise der ↑ Weimarer Republik seit 2500 v. Chr. Vorstöße der Pharaonen und
1930 wurden die N. zum Ersatz für die Handelsverkehr mit Ägypten (Diorit, Gold,
Gesetzgebung des blockierten Reichstags. Söldner, Elfenbein, Vieh); 1950 v. Chr. (seit
Die Präsidialkabinette Brüning, Papen und Sesostris I.) Anlage ägypt. Festungen zum
Schleicher regierten nach Verlust auch der Schutz des Nilverkehrs; in der Hyksoszeit
Tolerierungsmehrheit weitgehend mit N. (um 1600 v. Chr.) vorübergehend wieder
Die N. ebneten auch den Weg zur Dikta- selbständig. Um 700 (25. Dynastie) bis um
tur Hitlers, der mit der „Notverordnung 650 v. Chr. herrschte ein nub. Königsge-
des Reichspräs. zum Schutz von Volk und schlecht über Ägypten, vertrieben von den
Staat“ (Reichstagsbrandverordnung) vom Assyrern. Seit dem 6. Jh. n. Chr. christl.
28. Feb. 1933 die Liquidierung der Repu- Kulturzentren. Im 14. Jh, unter arab.
blik einleitete. Oberherrschaft, 1826 wieder zu Ägypten;
Novemberrevolution, die Revolution von 1900 der Norden zu Ägypten, der Süden
1918 in ↑ Deutschland. zum anglo-ägypt. ↑ Sudan.
Novotny, Antonin, tschechoslowak. Poli- Numantia, Stadt in Spanien am Oberlauf
tiker, 1904–1975; 1941–45 Haft im KZ des Duero, Vorort der keltiberischen Are-
Mauthausen; 1953 stellvertretender Minis- vaker; 133 v. Chr. nach langer Belagerung
terpräsident und Erster Sekretär der KPČ. durch ↑ Scipio Africanus d. J. erobert und
1957 Staatspräsident. 1968 musste N. we- zerstört. – Ausgrabungen 1905–1912.
gen des Scheiterns seiner Wirtschaftspoli- Numa Pompilius, nach der Sage der 2. Kö-
tik seine Ämter an A. Dubček (1. KPČ-Se- nig Roms (um 600 v. Chr.); ordnete das
kretär) und an L. Svoboda (Staatspräsident) Priesterwesen; der Kult des ↑ Janus wird
abgeben. auf ihn zurückgeführt.
Nowgorod, am Ilmensee, im 9./10. Jh. Numidien, von den Numidiern (berber.
durch ↑ Normannen (Waräger) gegr. Han- Nomaden) bewohntes Land Nordafrikas
delsplatz, im 11. Jh. Beginn der Selbstän- (Tunis, Ostalgerien), im Altertum unter
digkeit (↑ Kiewer Reich); im 11.-14. Jh. verschiedenen Stammesfürsten; die Nu-
Vordringen über den Ural und Handelsbe- midier stellten lange Zeit ↑ Karthago die
ziehungen mit Lübeck; im 13. Jh. Blütezeit: Söldner (Reiter); 207 v. Chr. mit Rom ver-
Hansekontor, Gründung des „Peterhofs“; bündet, nach der Niederlage der ↑ Kar-
im 14. Jh. Vordringen in das Permer Land, thager (202 v. Chr.) von den Römern an

681
Numismatik

↑ Massinissa abgetreten, der die Teilreiche grafschaft unter den Hohenzollern, 1219
vereinigte und vergebens Karthago zu be- Reichsfreiheit, 1256 Mitglied des Rhei-
setzen suchte; wegen Thronstreitigkeiten nischen Städtebundes, seit 1348 Mitregie-
111 v. Chr. von den Römern angegriffen, rung der Zünfte, 1424 Aufbewahrungsort
107 v. Chr. Niederwerfung des Königs der Reichskleinodien, seit dem 14. und
↑ Jugurtha durch den röm. Konsul C. Ma- 15. Jh. Mittelpunkt als Markt und Wall-
nus, 106 v. Chr. durch Sulla endgültig be- fahrtsort; 1427 nach der Belehnung des
setzt und befriedet; 46 v. Chr. nach der Burggrafen Friedrich VI. von Hohenzol-
Schlacht von Thapsus röm. Provinz (Nu- lern mit der Mark Brandenburg (durch
midia propria) und Abtretung des Wes­ Kaiser Sigmund) kaufte der Rat die Burg;
tens an Mauretanien; erster Präfekt von 1524 wurde die Reformation eingeführt;
N. der Geschichtsschreiber ↑ Sallust; im 1609 in der protestant. ↑ Union; 1631
13. Jh. n. Chr. Überflutung durch die „Hi- von Gustav Adolf besetzt; 1806 an Bayern.
lalische Wanderung“ unter Beni Hilal und – Burg von N. erbaut unter dem Burg-
Beni Soleiman und Flucht der Berber in grafen Konrad II. (1024–1039), Lorenzkir-
die Berge; neuer Entwicklungsabschnitt che 1274–1477, Sebalduskirche vollendet
seit der frz. Kolonisation (↑ Algerien, No- 1377, Frauenkirche 1355–66, Spitalkirche
maden). 1333–1341, Nassauer Haus 1350, Peller-
Numismatik (Münzkunde), Hilfswissen- haus 1605, Schöner Brunnen 1385–1396.
schaft der Geschichtsforschung; techn. – Reichstage 1355 (Goldene Bulle ratifi-
N.: Erforschung der Münzwerte, ihrer ziert), 1523, 1524. – Von Hitler 1933 zur
Kaufkraft (absoluter Wert) und des Münz- „Stadt der Reichsparteitage“ erklärt (sog.
rechts der verschiedenen Völker; die quel- Nürnberger Parteitage 1927, 1929, 1933–
lenkundl. N. gibt Aufschluss über Datie- 1938). 1945–49 fanden in N. die Prozesse
rung, Ortskunde, Völkerbewegungen, ge- gegen dt. Kriegsverbrecher statt.
schichtl. Vorgänge, Wirtschaftsleben (in- Nürnberger Religionsfrieden von 1532,
ternat. Handelsbeziehungen), Religions-, Zugeständnis freier Religionsausübung an
Kunst- und Geistesgeschichte; große Be- die Protestanten durch Kaiser Karl V. unter
deutung haben Münzfunde in der archäo­ dem Druck der Türkengefahr.
log. Forschung; sie sind vielfach die ein- Nydam, Moor auf der Halbinsel Sunde-
zigen Anhaltspunkte für die Datierung witt in Dänemark; in ihm wurden 1863/64
ausgegrabener Kulturreste. Beginn der N. und 1880 zwei seegängige Ruderboote ge­
zunächst für die Zeit der Antike und des funden, die aus dem 2. bis 5. Jh. n. Chr.
MA im 16. Jh. (Renaissance); im 18. Jh. stammen; das erhaltene „Nydamboot“ ist
war die N. noch vorwiegend Liebhaberei, 22,84 m lang und fasst 40 Mann (ausge-
zur Wissenschaft wurde sie Anfang des stellt in Schloss Gottorp, Schleswig).
19. Jh.; Begründer der N. als Wissenschaft Nyerere, Julius Kambarager, tansan. Poli-
ist H. Grote (1802–1895). tiker, 1922–1999; zunächst Ministerprä-
Nuntius (lat., Gesandter), röm.-kath. Titu- sident von Tanganijka, 1964–1985 Staats-
larerzbischof, beauftragt mit der diplomat. präsident Tansanias. N. betrieb seit 1967
Vertretung der Kurie bei vielen Staatsregie- eine sozialist. Politik mit umfassendem
rungen; steht im Botschafterrang und ist Verstaatlichungsprogramm. Ziel war es,
nach einer Bestimmung des Wiener Kon- in Tansania eine auf Gemeineigentum
gresses Doyen des Diplomat. Korps (Amts- und auf afrikanischen Traditionen aufbau-
sitz: Nuntiatur). ende Wirtschaftsordnung einzurichten.
Nürnberg, urkundl. im MA 1050 erstmals Das Projekt misslang; Nyerere trat deshalb
erwähnt; 1062 Stadt, 1192–1427 Burg- 1985 zurück.

682
OAS

OAS, Abk. für ↑ Organization Ockham (Occam), Wilhelm von, Philo-

O of American States.
Oberpfalz, 976 nach der Ab-
setzung des Herzogs Hein-
rich des Zänkers von Bayern durch König
soph der Spätscholastik, Franziskaner, um
1290–1349; lehrte in Paris; um 1325 in
Avignon gefangen gesetzt; floh 1328 nach
München, ergriff im Streit zw. Papst und
Otto II. wurde der „Nordgau“ Bayerns als Kaiser die Partei Ludwigs des Bayern; ent-
eigene Mark abgetrennt und dem Gra- schiedener Kampf gegen die Verweltli-
fen Berchtold von Schweinfurt übertra- chung der Kirche, einer der namhaftesten
gen; seit 1329 der Rheinpfalz angeschlos- Vertreter des ↑ Nominalismus, der die
sen und zur Unterscheidung Oberpfalz Allgemeinbegriffe jedoch als Begriffe des
genannt; der nördl. Teil 1356 von Rup- Geistes (nicht als bloße Namen) aner-
recht I. (1353–1390) an Böhmen (Kaiser kannte.
Karl IV.) als Gegenleistung für die erteilte Octavianus, Gajus, ↑ Augustus.
Kurwürde abgetreten, bis 1401 böhm.; die Odal, nord.-germanische Bezeichnung für
gesamte Oberpfalz seit 1623 bei Bayern. unantastbaren, von keinerlei Dienstbar-
Oberschlesien, seit 1807 Teil der preu- keit belasteten bäuerlichen Grundbesitz,
ßischen Provinz ↑ Schlesien; obwohl 1912 der von Geschlecht zu Geschlecht vererbt
bei der letzten Reichstagwahl 70 % der Be- wurde und nicht Eigentum eines Einzel-
völkerung für dt. Parteien gestimmt hat- nen, sondern der gesamten Sippe war; das
ten, wurde O. 1919 vom neugegr. pol- Odalrecht war eine der Grundlagen der
nischen Staat beansprucht und im Ver- sich entwickelnden adeligen Oberschicht.
sailler Vertrag Polen zugesprochen; briti­ Oder-Neiße-Linie, Staatsgrenze zw. der
sche Vermittlung ermöglichte die Volksab- DDR und Polen, geht von der Insel Use-
stimmung im März 1921 unter Kontrolle dom westl. von Swinemünde aus, durch-
einer internationalen Kommission, ob- quert das Stettiner Haff und den Neu-
wohl die Polen unter Korfanty die Abstim- warper See, stößt auf die West-Oder, folgt
mung gewaltsam zu verhindern suchten; ihr und dann der Oder bis zum Zusam-
nach hartem Abstimmungskampf (dt. Vor- menfluss mit der westl. (Lausitzer) Neiße
kämpfer waren Prälat Ulitzka, Lu­kaschek, und führt die Neiße entlang zur tschecho-
Urbanek) entschieden sich 707 143 Ober- slowak. Grenze. – Exilpolen forderten be-
schlesier für Deutschland (478 418 für Po- reits seit 1939 die Abtrennung dt. Ostge-
len). Deutschland forderte die Wiederan- biete als Entschädigung für die erzwungene
gliederung, Polen Teilung des Landes und Abtretung der poln. Ostgebiete jenseits der
das oberschles. Industriegebiet, das vor- Curzonlinie an die UdSSR durch das Ab-
wiegend dt. abgestimmt hatte. Der Völ- kommen Hitler–Stalin bzw. Ribbentrop–
kerbundsrat verfügte die Teilung. Polen Molotow (1939; „Vierte Teilung Polens“).
erhielt das Industriegebiet mit vier Fünf- Stalin schlug 1941 und 1943 auf der Kon-
teln der oberschles. Industrie und fast al- ferenz von ↑ Teheran (Stalin, Roosevelt,
len Kohlenlagern; 1922 im dt.-poln. Ab- Churchill) die Oder als Grenze vor; auf
kommen unterzeichnet. 1941 nach dem der Konferenz von Jalta (Feb. 1945; Stalin,
Polenfeldzug Errichtung der dt. Provinz Roosevelt, Churchill) wurden Oder und
O., nach dem 2. Weltkrieg fiel O. wieder Lausitzer Neiße als Grenzlinie und die Um-
an Polen. siedlung der dt. Bevölkerung vereinbart.
Obervolta, alter Name (bis Aug. 1984) Polen übernahm schon im März 1945 von
von ↑ Burkina Faso. der Roten Armee die Verwaltung und be-
Obrenovic, serb. Fürstenhaus, Rivalen der gann mit Verfolgungen und Vertreibungen
↑ Karadordevic. der Deutschen; Danzig wurde im gleichen

683
Odilo

Monat Polen einverleibt (Woiwodschaft Bayern als selbständiges Lehen.. 2) O.,


Gdansk). Auf der Potsdamer Konferenz Abt von Cluny (992/94–1048); setzte die
(Juni–Aug. 1945; Stalin, Truman, Chur- von Abt ↑ Odo eingeleitete cluniazensische
chill) wurde der De-facto-Zustand sankti- Klosterreform fort.
oniert (Churchill versuchte vergebens, die Odo, 1) O. von Cluny, 878–942; seit
östl. Neiße als Grenze durchzusetzen); der 927 Abt, erkannte, dass der durch Saraze­
poln. Verwaltung blieben unterstellt der neneinfälle, Mangel und Not eingetrete­ne
Südteil Ostpreußens, die Osthälfte Pom- geistige Tiefstand der Klöster nur durch
merns mit Stettin und Umgebung, Teile strikteste Einhaltung der Benediktiner-
der Provinz Brandenburg sowie die 1949 regel zu heben sei; führte straffe Zucht,
wiederbesetzten Teile der Provinz Posen, Schweigegesetz und strengste Askese ein
Westpreußen, Danzig, Nieder- und Ober- und wurde zum Begründer der das ganze
schlesien; das nördl. Ostpreußen mit Kö- Abendland umfassenden cluniazens. Be-
nigsberg und Gumbinnen beanspruchte wegung (↑ Cluny). 2) O., König von
die UdSSR, die das Gebiet der Russ. So- Westfranken, verteidigte als Graf von Pa-
zialist. Föderativen Sowjetrepublik zuteilte ris 886 die Stadt gegen die ↑ Norman-
(„Oblast Kaliningrad“); die dt. Ostgebiete nen, 887 nach Abdankung des Karolingers
jenseits der O. waren unter Zerschlagung ↑ Karl des Dicken als erster ↑ Capetinger
der früheren Verwaltungsstruktur in zehn König Westfrankens (bis 898).
Woiwodschaften (Provinzen) gegliedert: Odoaker (Odowakar), Rugierfürst und
Stettin, Köslin, Grünberg, Breslau, Op- westgerman. Heerführer; drang siegreich
peln, Allenstein, Bialystok, Danzig, Katto­ in Italien ein, wurde Führer der german.
witz, Posen, z. T. unter Einbeziehung alt- Söldnertruppen und forderte 475 ein Drit-
polnischen Gebietsteile; sie unterstanden tel allen ital. Grundbesitzes; 476 von seinen
bis 1949 einem eigenen Ministerium un- Söldnern zum König von Italien ausgeru-
ter Leitung von Wladislaw Gomulka. Die fen, setzte O. den letzten weström. Kaiser
Anerkennung der O. durch die DDR er- ↑ Romulus Augustulus ab und machte da-
folgte 1950. Die amtliche Politik der BRD mit dem Weström. Reich (476) ein Ende;
hielt bis Ende der 60er Jahre an der Ab- geriet durch großzügige Ansiedlung und
lehnung der Endgültigkeit der O. ohne Bevorzugung der Germanen in Gegen-
Friedensvertrag fest, sie bestätigte die O. satz zu den röm. Bürgern Italiens und zu
als unverletzliche Staatsgrenze Polens im Ostrom, verlor 489 gegen Theoderich die
Dt.-Sowjet. Vertrag, im Dt.-Poln. Vertrag Schlacht bei Aquileia und wurde von ihm
von 1970 und durch die Schlussakte der nach der Übergabe des drei Jahre lang be-
KSZE 1975. Im Zusammenhang mit der lagerten Ravennas („Rabenschlacht“) 493
Annäherung der beiden dt. Staaten geriet wahrscheinlich ermordet.
die O. erneut in die politische Diskus- Okinawa, japanische Insel; Entscheidungs-
sion, wurde jedoch durch die Bundesrepu- schlacht zw. Amerikanern und Japanern
blik Deutschland im deutsch-polnischen im 2. ↑ Weltkrieg (März–Juni 1945).
Grenzvertrag vom 14. Nov. 1990 endgül- Oktavia, Gemahlin des Nero, Tochter des
tig anerkannt. Claudius und der Messauna, 62 n. Chr. auf
Odilo, 1) O., Herzog von Bayern (737– Befehl Neros umgebracht.
748); nahm am Aufstand seines Schwagers Oktavian, ↑ Augustus.
Grifo (des Halbbruders Pippins und Karl- Oktoberrevolutionen, 1) in Österreich
manns) teil, von den Franken unter Pippin 1848: führte zur Abdankung Kaiser ↑ Fer-
am Lech 742 besiegt; O. musste die fränki­ dinands I. und brachte ↑ Franz Joseph auf
sche Oberhoheit anerkennen und erhielt den Thron; Metternich wurde gestürzt

684
Olbricht

und fand in Schwarzenberg einen gleich- wurden 1947 auf den Kirchenkonferenzen
gesinnten Nachfolger; Rettung des Viel- von Oxford und Edinburgh gefasst, 1938
völkerstaates durch das schlagkräftige wurde ein vorläufiger Ausschuss einge-
Heer unter Radetzky und Windischgrätz, setzt; 1948 fand in Amsterdam die kons­
aber keine entscheidende staatl. Wendung; tituierende (erste) Vollversammlung des
keine Lösung des Nationalitätenproblems Welt­kirchenrates statt unter Teilnahme
(↑ Österreich). 2) In Russland 1917: Sturz von 148 Kirchen: Bildung eines Zentral-
der ↑ Kerenski-Regierung und umfassende rats in Genf unter Leitung eines General-
politisch-soziale Umwälzung der russ. sekretärs, die Vollversammlung bestand
Gesellschaft durch die Bolschewiki unter aus den Delegierten der Mitgliedskirchen,
Lenin. von denen ein Drittel Laien sein sollten;
Ökumenischer Rat der Kirchen (Weltkir- 12 Mitglieder bildeten den Exekutivaus-
chenrat), Organisation von 250 protestant., schuss, Ratskommissionen behandelten
anglikan., orthodoxen und altkath., nicht- theologische und praktische Fragen; 1954
röm. Kirchen aus etwa 60 Ländern, die ge- 2. Vollversammlung in Evanston bei Chi-
eint sind im Glauben, „dass Christus Gott cago unter Teilnahme von 162 Kirchen;
und Erlöser ist“; hervorgegangen aus der 1961 in Neu-Delhi 3. Vollversammlung
Ökumen. Bewegung des 19. und 20. Jh. (Aufnahme der Russisch-orthodoxen Kir-
Vorstufen: 1846 Ev. Allianz (Vereini­gung che und der orthodoxen Kirchen Rumä-
ev. Christen aller Länder); 1855 Welt- niens, Bulgariens, Polens und 18 Kirchen
bund christl. junger Männer, 1867 Lam- Afrikas, Asiens, Amerikas; Vereinigung des
beth-Konferenz der Anglikan. Bischöfe Ökumen. Rates mit dem Internationalen
der Welt, 1874/75 Bonner Unionskonfe- Missionsrat, der 38 internationalen Missi-
renzen (Altkath., Anglikan., Orthodoxe), onsorganisationen umfasste). Die 4. Voll-
1877 Weltbund der Reformierten (Presby- versammlung fand 1968 im schwed. Upp-
terian.) Kirchen, 1881 Ökumen. Metho- sala, die 5. Vollversammlung 1975 in Nai-
distenkonferenz, 1886 Chicago-Lambeth- robi statt.
Quadrilateral der Anglikan. Kirche, 1891 Olaf, Könige von Norwegen: 1) O. Tryg-
Internationale der Kongregationalisten, vasson, als Thronerbe von Jarl Haakon
1893 Weltbund christl. junger Mädchen, vertrieben, unternahm zahlreiche Raub-
1895 Christl. Studenten-Weltbund, 1897 züge, gewann sein Reich wieder zurück
1. Weltmissionskonferenz, London, 1903 (995–1000) und führte das Christentum
dt. Ev. Kirchenausschuss, 1905 Nordame- in ↑ Norwegen ein. 2) O. der Dicke (der
rik. Kirchenbund und Weltvereinigung der Heilige), seit 1016 König, vollendete mit
Baptisten, 1910 2. Weltmissionskonferenz, Härte die Christianisierung Norwegens;
Edinburgh, 1914 Weltbund für Freund- wurde 1028 von ↑ Knut d. Gr. von Däne-
schaftsarbeit der Kirchen, 1921 Internat. mark vertrieben, fiel 1030.
Missionsrat der Kirchen, 1923 Luther. Olbricht, Friedrich, dt. General, 1888–
Welt-Konvent (1947 zum Luther. Welt- 1944; seit 1940 Chef des Allgemeinen
bund erweitert), Eisenach, 1925 Weltkon- Heeresamtes im OKH. Seit 1943 war
ferenz für prakt. Christentum, Stockholm, O. führend im Widerstand tätig; nach
1927 Weltkonferenz für Glauben und Kir- dem gescheiterten Attentat auf Hitler am
chenverfassung, Lausanne, 1930 Ökume- ↑ Zwanzigsten Juli 1944 wurde er gemein-
nischer Rat für prakt. Christentum, Stock- sam mit Stauffenberg und zwei weiteren
holm. Die Beschlüsse zur Schaffung eines Offizieren noch am Abend des gleichen
Ökumen. Rates (Weltkirchenrates) als Tages im Hof des Reichskriegsministeri-
künftigem Organ der ökumen. Bewegung ums erschossen.

685
Oldenburg

Oldenburg, urspr. Wohnsitz der german. Olmützer Punktation (Vertrag), 1850,


Chauken; später Grafschaft unter sächs. Bereinigung des durch den Verfassungs-
Lehenshoheit, nach dem Sturz Heinrichs bruch des Kurfürsten von Hessen-Kassel
des Löwen 1180 Erlangung der Reichs- hervorgerufenen Konflikts zw. Preußen
freiheit; dauernde Kämpfe mit Bremen, und Österreich; demütigend für Preußen,
Lübeck, Hamburg und den ↑ Stedingern das nach dem kurzen Gefecht von Bron-
(Schlacht bei Altenesch 1234) und Ost- zen seine Truppen zurückgezogen hatte,
friesland; 1777 Herzogtum; 1813 An- Schleswig-Holstein an Dänemark auslie-
schluss Lübecks; 1806 durch Napoleon fern, der uneingeschränkten Herrschaft
besetzt, seit 1808 im Rheinbund, 1810 des hess. Kurfürsten zustimmen und die
durch Frankreich annektiert, 1815 Groß- Bestrebungen zur Einigung Deutschlands
herzogtum, 1849 erste Verfassung; seit (Auflösung der Union und des Erfurter
1864 Preußen nahestehend; heute Teil­ Parlaments) vorerst aufgeben musste.
gebiet des Landes ↑ Niedersachsen. Olympia, Tempelort in Elis am Alpheios
Oleg, altruss. Fürst, gest. 912; seit 879 mit dem Hl. Hain des Zeus, der Altis und
Herrscher in Nowgorod, eroberte 880 dem Zeustempel mit dem Zeus des ↑ Phi-
Kiew, unterwarf die ostslaw. und finni­ dias als Mittelpunkt; das Stadion und die
schen Stämme des Wolga-Oka-Gebietes Palästra waren Schauplatz der seit dem
und legte dadurch den Grundstein für das 8. Jh. v. Chr. von allen griech. Stämmen
Reich der Rurikiden. gefeierten Olymp. Spiele; im hl. Bezirk das
Olga, altruss. Fürstin, hl., um 890–969; Leonidaion (Unterkunft der Ehrengäste)
Gemahlin des Großfürsten Igor von Kiew, und Schatzhäuser mit den Weihegaben der
regierte nach dessen Tod 945 für ihren Staaten; O. 1875–1891 und später durch
minderjährigen Sohn, scheiterte bei dem Ausgrabungen auf Kosten des Dt. Reiches
Versuch, ihr Land zu christianisieren; Hei- freigelegt; bedeutendste Funde: Hermes
lige der russ.-orthodoxen Kirche. des Praxiteles, Nike des Paionios, Kultbild
Oligarchie (zu griech. oligarichia, Herr- der Hera aus dem Heratempel in O.; 1961
schaft der wenigen), Bez. für die selbst- Wiederherstellung des Stadions.
herrliche Herrschaft einer kleinen Gruppe Olympias, Gemahlin des makedon. Kö-
oder Familie; von Aristoteles in der Staats- nigs Philipp II., Mutter Alexanders d. Gr.;
theorie als eine Verfallsform der Aristo- ging, von ihrem Gemahl verstoßen, beglei-
kratie beschrieben, da polit. Gewalt nicht tet von Alexander, zu den Molossern, nach
aufgrund staatsmännischer Fähigkeiten, der Ermordung Philipps (336) bekämpfte
sondern wegen der gesellschaftlischen Her­ sie während der ↑ Diadochenkriege den
kunft, des Reichtums oder der Zugehörig- Halbbruder Alexanders, Philippos Arrhi­
keit zu einer polit. Clique ausgeübt wird. daios, richtete ihn, seine Gemahlin und
Oliva, ehemaliges Dorf mit Zisterzienser- zahl­reiche Makedonen hin (317); in ei­
abtei bei Danzig; im Frieden von O. 1660 nem Rachefeldzug des Kassandros wurde
Beendigung des ↑ Schwedisch-Polnischen O. von der Heeresversammlung zum Tode
Krieges. verurteilt und gesteinigt (316).
Ollenhauer, Erich, dt. Politiker, 1901– Olympische Spiele, die berühmtesten der
1963; seit 1933 Mitglied des Parteivor- vier griechischen Nationalspiele, sportli­
standes der SPD. Als Partei- und Opposi- che und künst­lerische Wettkämpfe beim
tionsführer nach dem Tod K. Schumachers Zeus­tempel zu ↑ Olympia; seit dem Jahr
(1952) setzte er dessen Politik fort, trat für 776 v. Chr. wurden Siegerlisten geführt,
die Umwandlung der SPD in eine Volks- seitdem wurden die O. mit Unterbrechun­
partei („Godesberger Programm“) ein. gen alle vier Jahre bis 393 n. Chr. gefeiert;

686
Opritschnina

teilnahmeberechtigt waren alle frei gebore- den. Seit 755 unabhängiges Kalifat der O.
nen Griechen, später auch Römer. Ablauf in Cordoba, das nach 1031 zerfiel und sich
der Spiele: 1. Tag: Pferde- und Wagenren- in zahlreiche selbständige Emirate auflöste
nen, 2. Tag: Fünfkampf (Laufen, Springen, (↑ Islam, Araber).
Ringen, Diskus- und Speerwurf ). 3. Tag: Omar I., zweiter Kalif (634–644), Sitz in
Op­fer und Prozession, 4. Tag: Wettläu­fe, Medina; leitete den Siegeszug des Islam
5. Tag. Ring-, Faust-, gemischte Kämpfe. ein, besiegte 634 die Oströmer bei Jar-
Die Vierjahresfrist zw. den Spielen (Olym- muk, eroberte im gleichen Jahr Damaskus
piade) wurde Einheit der griech. Zeitrech- und in den folgenden Jahren Jerusalem,
nung. Die O. wurden 393 n. Chr. durch Palästina, Syrien, Phönikien und Ägypten;
Kaiser Theodosius aufgehoben. – Wieder- 644 ermordet.
belebung der O. durch Baron de Couber- Omdurman, Stadt im Sudan, Schlachten-
tin, der 1894 das Komitee für die ↑ O. der ort von 1898, Niederlage der ↑ Mahdisten
Neuzeit gründete. durch die Truppen Lord Kitcheners; Auf-
Olympische Spiele der Neuzeit, 1894 lösung der Mahdistenherrschaft.
von Pierre Baron de Coubertin initiiert. Opiumkrieg, 1840–1842 zw. China und
1896 erstmals in Athen ausgetragen (da- England; entfesselt, als China versuchte,
nach alle 4 Jahre); seit 1924 auch Olymp. die Einfuhr des Opiums zu unterbinden;
Winterspiele; Leitung der O. liegt beim tatsächl. Grund Erzwingung europ. Han-
Internationalen Olymischen Komitee delsniederlassungen in ↑ China; endete
(IOC), das mit den Nationalen Olymp. mit brit. Sieg, Aufhebung des Opiumver-
Komitees zusammenarbeitet. Olymp. Re- bots, Abtretung Hongkongs an England.
gel: Amateurstatus ohne Altersbegren- Oppidum, ursprüngliche Bezeichnung für
zung; Olymp. Rin­ge: fünf ineinander grei- altitalische Burgen und zur Verteidigung
fende Ringe (blau, gelb, schwarz, grün, günstig gelegene stadtähnliche Siedlungen,
rot) symbolisieren den internat. Charakter in der röm. Zeit auch Bez. für große kelt.
der Spiele (5 Kontinente); Olymp. Feuer: Stadtanlagen des 2. und 1. Jh. v. Chr.; fan-
wird bei Eröffnung entzündet. Die moder- den Verbreitung von Frankreich bis zum
nen O. wurden nicht selten durch wirtsch. Karpatenbecken.
und polit. Interessen überschattet (1980 Opritschnina (russisches Sondergebiet),
Boykott der Spiele in Moskau durch die das von ↑ Iwan IV. („dem Schrecklichen“)
USA und andere westl. Staaten wegen des durch Staatsstreich 1665 aus dem Gesamt-
Krieges in Afghanistan, 1984 dafür Boy- staatsgebiet des russischen Reiches heraus-
kott der Spiele in Los Angeles durch die gelöste Gebiet, das unmittelbar dem Zaren
Sowjetunion und andere östl. Länder). unterstand, im Gegensatz zum (zunächst
Olynthischer Bund, Verteidigungsbünd- größeren) Rest, der „Semschtschina“, die
nis der Stadt Olynthos an der Südküste zwar unter Oberhoheit des Zaren, doch
Makedoniens mit einigen anderen Grie- als autonom einem Bojarenrat überlas-
chenstädten des Nordens, um 390 v. Chr. sen blieb. Die Opritschnina umfasste an-
gegr.; 379 v. Chr. durch Sparta vorüber­ fangs militär- und wirtschaftspolitische
gehend und 348 von Philipp von Make- besonders wichtige Gebiete und wurde
donien endgültig aufgelöst (Olynthos dem weiter ausgedehnt; hier rottete Iwan den
Erdboden gleichgemacht). ↑ Bojarenadel aus; auf dem konfiszierten
Omaijaden, erste arabische Kalifendynas­ Boden der O. siedelte Iwan einen neuen
tie, nach ihrem Ahnherrn Omaija ibn Abd zarentreuen Dienstadel an oder errichtete
Schems benannt; 661–750 Kalifat der O. Eigendomänen. Ziel des Unternehmens:
zu Damaskus, abgelöst von den Abbasi- Verwirklichung der Autokratie.

687
Optimaten

Optimaten (lat., die Besten), in der Spät- Orden (lat. ordo), 1) kath. klösterliche
zeit der röm. Republik Name der aristo- Gemeinschaft, basiert auf drei Gelübden
krat. konservativen Partei im Gegensatz zu (Gehorsam, Armut, Keuschheit) und ei-
den Popularen (Volkspartei); der Kampf ner festen Lebensordnung, wird geleitet
der beiden Parteien begann 133 v. Chr. mit durch den Oberen. Im weiteren Sinne sind
der ↑ Gracchenrevolution und endete mit O. Vereinigungen mit bestimmten Zielen
dem Ende der Republik 31 v. Chr. und festen Regeln. Dabei wurde der Be-
Orakel, antike Kultstätte, an der die griff O. im Verlauf der Jh. von der Vereini-
Stimme eines Gottes durch den Mund der gung selbst auf ihr Abzeichen übertragen.
Priester oder der Priesterinnen die Zukunft Weltliche O. entstanden im hohen MA als
verkündete: Spruch-O. (Delphi: aus einer geistliche Ritterorden (Templer-, Johan-
Felsspalte aufsteigende Dämpfe bewegten niter-O., Dt. O.); seit dem 14. Jh. Ent-
die Seherin Pythia zu dunklen Aussprü- wicklung der O. auf nationaler Grund-
chen, die von Priestern in Verse gefasst lage mit Großmeister (Ordensherr) und
und meist mehrdeutig formuliert wur- begrenzter Mitgliederzahl (sog. Hof-O.):
den); Traum-O. (Tempelschlaf, Traum- z. B. Hosenband-O. in England 1348, O.
vision); Zeichen-O. (Eichenhain zu Do- vom Goldenen Vlies in Burgund 1429; ab
dona: aus dem Rauschen der Blätter deu- 17./18. Jh. militär. Verdienst- und Tap-
teten Priester den Willen der Gottheit). ferkeits-O. (O. des hl. Ludwig in Frankr.
Bedeutende O.-Stätten: Meroe, Ammon- 1693, preuß. Pour le Mérite 1740); 2) Ver-
heiligtum von Siwa in Ägypten, Zeustem- dienstorden: Die Frz. Revolution bewirkte
pel zu Elis und auf Kreta, Apolltempel auf die Schaffung von Verdienst-O. (Ehren-
Delos, Kolophon, Präneste; aufgezeichnet legion in Frankr. 1802); daneben gibt es
sind O. in den Sibyllin. Büchern. Haus-O. (Verdienste um das regierende
Oranienburg (KZ), ↑ Sachsenhausen. Haus), Damen-O., O. für künstler. oder
Oranier, dt.-niederl. Herrschergeschlecht, wiss. Verdienste u. a. Außer der Schweiz
benannt nach dem Fürstentum Orange, und Israel verleihen heute alle Staaten O.
das 1530 als Erbschaft an die Fürsten von Das Dt. Reich hatte bis 1918 keine eigenen
↑ Nassau-Dillenburg kam; durch das zähe O. (es gab nur die O. der Bundesstaaten),
Eintreten für ihren holländ. Besitz (Brech) auch die Weimarer Republik verlieh keine
wurden die Oranier Vorkämpfer für die O.; in der nat.-soz. Zeit wurden der Dt.
Freiheit der ↑ Niederlande und 1572– Adlerorden und der Dt. Nationalorden für
1795 (mit Unterbrechungen) Generalstatt­ Kunst und Wiss. verliehen. Ehrenzeichen
halter der Niederlande; die ältere Linie und Medaillen (volkstüml. O. genannt)
starb 1702 aus, die jüngere (seit 1815 Kö- gelten nicht als Orden. In der Neuzeit
nige der Niederlande) erlosch 1890 im werden O. per Gesetz oder Verordnung
Mannesstamm, mit Wilhelm III. bestiegen mit Vergabestatuten geschaffen, z. T. ver-
die O. 1689 den engl. Thron (bis 1702); bunden mit materiellen oder ideellen Vor-
↑ England. teilen (Nobilitierungen, Ehrensold, Frei-
Oranjefreistaat, seit 1834 von ↑ Buren fahrten). O. werden seit dem 19. Jh. in
besiedelt, Freistaat seit 1842, zeitweise von fünf Klassen geteilt: Großkreuz, Großoffi-
England annektiert; Teilnahme am ↑ Bu- zier bzw. Großkomtur (Komtur 1. Klasse),
renkrieg; 1902 brit. Kronkolonie, 1907 Komtur bzw. Kommandeur, Offizier, Rit-
Selbstverwaltung; seit 1910 Prov. der ter; sie werden an einer Schärpe getra-
↑ Südafrikan. Union. gen; Insignien sind: O.zeichen, O.stern,
Ordalien (mittellat., vom altangelsächs. O.band, eine Kette und eine bes. O.tracht
ordal, Urteil), Gottesurteil. (O.ornat). In der BR Deutschland ist das

688
Organization of American States

O.wesen durch ein Gesetz (26. Juli 1957) „Europ. Wirtschaftsrats“ (OEEC); Mit-
geregelt: Der Bundespräsident stiftet oder gliedsländer: Australien, Belgien, Däne-
verleiht (oder ermächtigt z. B. die Bun- mark, Deutschland, Finnland, Frankreich,
desländer dazu) O. und Ehrenzeichen für Griechenland, Großbritannien, Irland,
bes. Verdienste; O. des Bundes ist der Ver- Is­land, Italien, Japan, Kanada, Korea,
dienst-O. der Bundesrepublik Deutsch- Luxem­burg, Mexiko, Neuseeland, Nieder-
land; genehmigt ist der O. Pour le Mérite lande, Norwegen, Österreich, Polen, Por-
für Wiss. und Künste; Ehrenzeichen: Dt. tugal, Schweden, Schweiz, Slowakei, Spa-
Sportabzeichen, Ehrenzeichen des DRK; nien, Tschechische Republik, Türkei, Un-
O. und Ehrenzeichen aus der nat.-soz. garn, USA. Sitz der OECD ist Paris; Or-
Zeit dürfen nur ohne nat.-soz. Emblem ge­ gane: Ministerrat unter wechselndem Vor-
tragen werden. sitz, Exekutivausschuss, Generalsekretariat
Ordschonikidse, Grigori Konstantino- unter einem Generalsekretär, Ausschüsse
witsch, sowjet. Politiker, 1886–1937; seit für Sonderfragen (Entwicklungshilfe, wis-
1903 Bolschewik, gliederte 1920/21 im senschaftliche Forschung, Produktivitäts-
Auftrag Stalins Armenien und Georgien Probleme u. a.); keine Rechtsetzungsbe-
mithilfe der Roten Armee in das bolsche- fugnisse, gibt aber einen Katalog mit In-
wist. Regierungssystem ein; 1930–37 Mit- formationen und Empfehlungen heraus.
glied des Politbüros der KPdSU. Aufgaben und Leistungen der OECD sind
Orenburg, sowjet. Stadt am Ural-Fluss; u. a. die Koordinierung der Innen- und
1735 als Festung gegr., 1755–1920 Mit- Außen­wirtschaftspolitik der Mitglieds-
telpunkt des Orenburger Kosakenheeres, staaten sowie der Währungspolitik, der
hieß 1938–1957 Tschkalow. Beihilfen für Entwicklungsländer und die
Organisation für Sicherheit und Zusam- Verkehrs- und Umweltpolitik der Länder.
menarbeit in Europa, seit 1995 Bez. für Organization of American States, Abk.:
die KSZE (↑ Konferenz für Sicherheit OAS, kollekt. Sicherheitspakt der nord-,
und Zusammenarbeit in Europa); derzeit mittel- und südamerikan. Staaten; 1948
55 Mitgliedstaaten. Aufgabenbereiche sind aus der Akte von Chapultepec als Nach-
Rüstungskontrolle (durch das „Forum für folger der 1910 gegr. Panamerikanischen
Sicherheitskooperation“, Sitz: Wien) und Union (↑ Panamerika) hervorgegangen.
verstärkt präventive Diplomatie; 1995 Ziele: Förderung der kulturellen, wirtsch.
entstand im Rahmen der Konfliktverhü- und polit. Zusammenarbeit, Friedenssi-
tung ein Vergleichs- und Schiedsgerichts- cherung, Verteidigungsbündnis sowie Be-
hof mit Sitz in Genf. Darüber hinaus un- kämpfung der Armut. Finanzierung durch
terhält die OSZE sog. Langzeitmissionen, Beitragszahlungen der Mitgliedsstaaten;
die der Prävention, Bewältigung oder wichtigstes Organ Exekutivrat aus Außen-
Nachsorge von Konflikten in versch. Staa- ministern der Mitgliedsstaaten. Wichtige
ten bzw. Regionen dienen. Die OSZE hält Konferenzen: Panama (1956, Entwick-
alle zwei Jahre ein Gipfeltreffen ab. lungshilfe), Deklaration von Chile (1959,
Organisation für wirtschaftliche Zusam- Garantie der Freiheit von Diktaturen jeder
menarbeit und Entwicklung (OECD = Form), San Jose (1960, Verurteilung der
Organization for Economic Cooperation Dominikan. Republik als Aggressor ge-
and Development), der 1960 auf der „At- gen Venezuela), 1962 Punta del Este (Aus-
lantischen Wirtschaftskonferenz“ in Paris schluss Kubas und Boykottmaßnahmen,
gegründeter „Atlantischer Wirtschafts- 1975 wieder aufgehoben). Ab 1964 Koo-
rat“, Nachfolgeorganisation des 1948 zur peration auch auf militär. Ebene. 1965/66
wirtschaftlichen Gesundung Europas gegr. Intervention in der Dominikan. Repu-

689
Orient

blik. Zur Förderung der wirtsch. Entwick- Herzogtum seinem jüngeren Bruder Phi-
lung Lateinamerikas 1967/69 Gründung lipp (1640–1701), dem Begründer der
eines gemeinsamen lateinamerikanischen neuen Linie der O.; sein Sohn Philipp II.
Marktes, der Sistema Económico Latino- war 1715–1723 Regent für den minder-
americano (SELA, ohne die USA). jährigen Ludwig XV., sein Urenkel „Phi-
Orient, im Gegensatz zum Okzident lippe Egalité“ beteiligte sich maßgeblich
(↑ Abendland) das Morgenland (Vorder­ an der Revolution von 1789, stimmte für
asien, Ägypten, Herrschaftsgebiet des Is- die Hinrichtung Ludwigs XVI. und wurde
lam); ↑ Naher Osten. später selbst hingerichtet; 1830 wurde der
Orientalische Frage, eines der Hauptpro- Sohn Philippes als Louis Philippe („Bür-
bleme der Großmachtpolitik des 19. und gerkönig“) auf den frz. Thron erhoben (bis
20. Jh., im Zusammenhang mit dem Ver- 1848).
fall des Osman. Reiches und dem Schick- Orlow, Alexei und Grigori, russ. Grafen,
sal der dem Osman. Reich unterstehenden Hauptführer der russ. Palastrevolution
christlichen Bevölkerungsteile; machtpo- von 1762; Alexei (1737–1808) erdrosselte
litisch bezogen auf die Meerengen (vor 1762 Peter III., Grigori (1734–1783) war
allem die Dardanellen), den Suez-Kanal, der Günstling Katharinas II.
die Ölzentren des Nahen und Mittleren Orosius, Paulus, röm. Geschichtsschreiber
Ostens (Persien, Irak) und der Abschlie- aus Spanien, um 400 n. Chr.; verfasste auf
ßung oriental. Staaten vor europ. Beein- Veranlassung des hl. Augustinus die weit
flussung. verbreitete Kirchengeschichte „Gegen die
Oriflamme (frz.), seit Ludwig VI. (12. Jh.) Heiden“.
fünfzipfliges Banner von rotem Seiden- Orsini, römisches Adelsgeschlecht, das mit
tuch, das an einem Querstab befestigt Papst Cölestin II. 1191 in die Geschichte
war (Feldzeichen der Könige Frankreichs); eintrat und die Partei der Guelfen gegen
der Schaft war mit Goldblech beschla- die Colonna ergriff.
gen, daher der Name (flammatum = Feld- Ortega Saavedra, Daniel, nicaraguan.
zeichen, aureum = golden: Auriflamme = Offizier und Politiker, geb. 1945; 1963
Goldfah­ne); die O. ging in der unglückl. Eintritt in die FSLN (Frente Sandinista
Schlacht von Azincourt 1415 verloren. de Liberación Nacional); 1967–1974 als
Origenes (Adamantinos, der Stählerne), einer der Kommandeure der sandinisti­
alexandr. Kirchenlehrer, 185–254 n. Chr.; schen Befreiungsfront inhaftiert, danach
203–232 Lehrer an der Katechetenschule Exil in Kuba; Rückkehr nach Nicaragua
in Alexandria, Begründer der systemat. kurz vor dem Sturz des Diktators So-
Theologie des Ostens; von der griech. Phi- moza, an dem er entscheidend beteiligt
losophie beeinflusst; Vertreter der allegor. war; 1979–84 Oberbefehlshaber der Ar-
Schrifterklärung; lehrte vermutlich die mee und als Koordinator der nicaraguan.
Präexistenz der Seelen (gefallener Geister) Junta Regierungschef; 1985–1990 Staats-
und die Heiligung aller Verdammten; starb präsident; seit 1991 Generalsekretär der
an den Folgen der Folterung während der FSLN.(↑ Nicaragua).
Decischen Christenverfolgung. Ortega y Gasset, José, span. Kulturphilo-
Orléans, frz. Herzogs- und Königshaus, soph und Soziologe, 1883–1955; 1911–
Nebenlinie der Valois, begr. durch Lud- 1953 Prof. in Madrid (seit dem Span. Bür-
wig von O. (gest. 1407), seit 1498 in der gerkrieg bis 1948 im Ausland lebend), re-
Hauptlinie Könige von Frankreich (1515 publikan. Politiker; beeinflusst von Hegel,
erloschen), die Nebenlinie Angouleme er- Nietzsche, Dilthey, Scheler, vertrat O. den
losch 1589; Ludwig XIV. verlieh Titel und „Perspektivismus“, die Auffassung, dass es

690
Orter

weder dem Einzelnen noch einem Volk, Ossietzky, Carl von, dt. Publizist, 1889–
weder einer Zeit noch einer philosoph. 1938; seit 1927 Herausgeber der Zeit-
Lehre möglich ist, Wahrheit allgemeingül- schrift „Die Weltbühne“. Nachdem er in
tig zu erfassen, sondern immer nur aus der einem Artikel die geheime Aufrüstung der
Perspektive des jeweiligen Standortes. Aus Reichswehr aufgedeckt hatte, wurde O.
dieser Einsicht bekämpfte O. jeden To- 1931 im sog. Weltbühne-Prozess wegen
talitarismus, bejahte das individuelle Le- „Landesverrats und Verrats militär. Ge-
bensgefühl und Weltbild und forderte ein heimnisse“ zu 18 Monaten Gefängnis ver-
neues Europa der Vernünftigen und Tole- urteilt, von den Nationalsozialisten nach
ranten. – Hauptwerk: „Aufstand der Mas- dem Reichstagsbrand im KZ Sonnenberg,
sen“, 1931. danach im KZ Papenburg interniert. 1936
Orthodox (griech., rechtgläubig), urspr. erhielt O. den Friedensnobelpreis, dessen
Bezeichnung für die röm.-kath. und die Annahme ihm aber die Machthaber unter­
byzantin. christl. Kirche; später wurde die sagten. Der tuberkulosekranke O. starb in
westl. als kath. Kirche bezeichnet (↑ Ost- einer Berliner Klinik an den Folgen der
kirche, Byzantin. Reich, Griech.-Ortho- KZ-Haft.
doxe Kirche). Ostasien, polit. und kulturgeschichtliche
Osiander, Andreas, 1498–1552; luth. Re- Bezeichnung für den Bereich der Länder
formator in Nürnberg seit 1522, geriet mit chines., japan., korean. sprechender
später in Gegensatz zu Luther, 1549 Pro- Bevölkerung (ohne die Binnenländer Sin-
fessor in Königsberg; schrieb die Vorrede kiang, Innere Mongolei, doch mit Formo­sa
zum Hauptwerk des Kopernikus. und Hainan).
Ocker, indogerman. Sprachgruppe in Mit- Ostblock, während des O-W-Konflikts
tel- und Unteritalien, dem Lateinischen ge­prägte und bis zum Zusammenbruch
und Umbrischen verwandt (Sabiner, Sam- der kommunist. organisierten Staaten ge-
niten u. a.) bräuchl. Bezeichnung für alle europ. und
Osman I. (Othman), der Siegreiche, Grün- asiat. Staaten, die nach dem 2. Weltkrieg
der des Osman. (türk.) Reiches, 1259– unter sowjet. Hegemonie gerieten und ihre
1326; seit 1300 Sultan, eroberte die bis- Staats- und Gesellschaftsordnung nach
herigen türk. Kleinstaaten Kleinasiens und sowjet. Vorbild umgestalteten. Dazu ge-
sicherte seinem Stamm der Kay unter dem hörten die ab 1949 im COMECON und
Namen Osmanen die Führung im Kampf ab 1955 Warschauer Pakt-Staaten UdSSR,
gegen Byzanz (↑ Türken). Bulgarien, ČSSR, Polen, Rumänien, Un-
Osmanisches Reich, ↑ Türkei. garn, DDR (bis 1968 auch Albanien).
Osnabrück, 1) niedersächs. Kreisstadt; Orter, Hans, dt. General, 1887–1945;
entstand im 12./13. Jh. aus einer Siedlung, seit Okt. 1933 in der Abwehrabteilung des
die sich um 900 neben dem Bischofssitz Reichswehrministeriums, seit 1939 Abtei-
entwickelt hatte, Mitglied der Hanse; in lungschef im „Amt Ausland/Abwehr“ im
O. wurden seit 1643 Verhandlungen ge- OKW. O. war der „techn. Mittelpunkt“
führt, die zum ↑ Westfälischen Frieden der Widerstandsbewegung, der z. B. Ver-
führten. 2) Bistum; wurde vor 803 errich- bindungen zwischen militär. und zivilen
tet, erstreckte sich im MA vom Emsland Widerstandsgruppen herstellte. Schon
bis an die Hunte, Gebietsverluste durch 1939/40 hatte O. Holländer und Norwe-
die Reformation; nach 1650 regierte ab- ger vor geplanten deutschen Angriffen ge-
wechselnd ein evangelischer und ein katho­ warnt. Am 21. Juli 1944 verhaftet, wurde
lischer Bischof, 1803–1815 kam das Fürst- O. im April 1945 gemeinsam mit seinem
bistum an Hannover. ehemaligen Chef ↑ Canaris hingerichtet.

691
Osterbotschaft

Osterbotschaft, Erlass Kaiser Wilhelms II. vergeben (bis 1246); 996 erstmals urkund-
vom 7. April 1917; die O. kündigte die liche Bezeichnung „regio vulgo Ostarichi“
Reform des preuß. Dreiklassenwahlrechts („Mark Österreich“); 1044 um das Land
und andere Verfassungsreformen für die zw. Fischa und Leitha erweitert. 1139
Zeit nach dem militär. Sieg an; der Er- wurde Markgraf Leopold IV. – nach dem
lass kam auf Betreiben des Reichskanzlers Sturz Heinrichs des Stolzen von Bayern –
Bethmann Hollweg zustande. mit dem Herzogtum Bayern belehnt; 1156
Osterinsel, 1722 am Ostertag von hol- durch Barbarossa als Entschädigung für
länd. Seefahrern entdeckte Insel im nördl. die Lostrennung des seit 1139 mit Ö. ver-
Pazifik ca. 3 700 km westl. der chilen. einigten Bayern zum Herzogtum erhoben
Küste mit zahlreichen steinernen Zeug- (Privilegium minus: Reichsfürstentum mit
nissen einer vorgeschichtl., noch vor dem männlicher und weiblicher Erbfolge). Be-
12. Jh. n. Chr. sich entfaltenden Inselkul- gründung der eigenstaatlichen Geschichte,
tur (mächtige Steinplastiken mit menschl. die nur nach dem Aussterben der Baben-
Gesichtern, Terrassenbauten, Zeugnisse ei­ berger (1246) durch die unmittelbare Ein-
nes Vogelkults, geritzte, noch nicht entzif- beziehung in den Reichsbesitz durch
ferte Schrift); die Ursprünge dieser Kultur Friedrich II. und die Inbesitznahme durch
und Beziehungen zu den präkolumb. Kul- Ottokar von Böhmen bis 1278 (Sieg Ru-
turen Südamerikas sind umstritten. dolfs von Habsburg auf dem Marchfeld)
Österreich, zur Vorgeschichte des österr. unterbrochen wurde (1246–1278 „Inter-
Raumes vgl. die Stichwörter der ↑ Vorge- regnum“). Nach Verwaltung durch König
schichte. In der Römerzeit Gebiet der Pro- Rudolf erfolgte 1282 die Zuweisung Ö.s
vinzen Rätien (Graubünden und Tirol), an seine Söhne Rudolf II. und Albrecht I.
Noricum (Alpengebiet östl. des Inns), und (Kärnten und Krain an die Grafen von
Pannonien (mittlere Donau). Hauptorte: Görz und Tirol); Beginn der Herrschaft
Aguntum bei Lienz, Virunum nördl. Kla- des Hauses ↑ Habsburg, das 1483–1740
genfurt, Iuvavum (Salzburg), Ovilava und im Erbhaus Lothringen bis 1806 auch
(Wels), Lanreacum (Lorch), Veldidena bei das Kaiseramt innehatte (mit Unterbre-
Innsbruck, Carnuntum (Petronell-Alten- chung 1742–1745) und seit 1453 den
burg) und Vindobona (Wien). Seit dem Erzherzogtitel führte; nach der Niederlage
6. Jh. Besiedlung durch Bayern (im Süden bei Morganen (1315) Abtrennung der
bis zur Etsch, im Osten bis zum Wiener Waldstätte Schwyz, Uri und Unterwalden
Wald), Slawen und Awaren; seit 700 (↑ Schweiz); Vergrößerung des österr.
Christianisierung (Klöster Mondsee und Kernlandes andererseits um Kärnten,
Kremsmünster). Die eigtl. Geschichte des Krain (1335), Tirol (1363) und den Breis-
dt.-österr. Raumes begann Ende des 8. Jh. gau („Vorderösterreich“, 1368); 1364 Erb-
mit der von Karl d. Gr. gegr. Ostmark zw. verbrüderungsvertrag mit den Luxembur-
Enns und Raab und dem Einfluss des gern; 1382 Erwerb von Triest, gleichzeitig
Frankenreiches (Kolonisierung; Bistümer (durch Kauf ) von Vorarlberg; die Schwei-
Salzburg und Passau); gegen die slaw. Awa- zer behaupteten in neuen Kämpfen
ren in Niederösterreich. Gründung der (Schlachten von Sempach 1386, Näfels
Awar. Mark; nach der Niederlage des 1388) ihre Selbständigkeit. Im Innern
Markgrafen Luitpold (Bayern) 907 von wurde Ö. vorübergehend geschwächt
den Ungarn verwüstet, nach der Schlacht durch wiederholte Länderteilungen (1379,
auf dem Lechfeld (955) erneut besiedelt, 1396, 1400, 1458) und Aufstände in Böh-
die Marken wurden durch Otto I. erneu- men und Ungarn unter Gregor von ↑ Po-
ert; 976 von Otto II. an die Babenberger diebrad (1453–1471 König von Böhmen)

692
Österreich

und ↑ Matthias Corvinus d. Gr. von Un- Stände (↑ 30-jähriger Krieg) gegen den
garn. Gleichwohl blieb die Größe des „Winterkönig“ von Böhmen, Friedrich V.
Hauses Habsburg ungeschmälert, Fried- von der Pfalz, behauptete. 1648 Verlust
rich V. (als dt. König Friedrich III.), der der Besitzungen im Elsass an Frankreich
1453 ein Privilegium unterzeichnete, gab und der Lausitz an Kursachsen. Im Innern
seinem Glauben an Ö.s Sendung Aus- Aufbau eines absolutist.-aristokrat. Herr-
druck in der Devise A.E.I.O.U. („Austriae schaftssystems, nach außen Abwehr der
est imperare orbi universo“, „Ö.s Bestim- Türkengefahr: Bereits 1471 Türkeneinfall
mung ist es, die Welt zu beherrschen“ oder in das Sauntal, 1529 Besetzung Ofens
„Alles Erdreich ist Ö. untertan“). – Nach durch die Türkei und 1. Belagerung ­Wiens,
1477 erhob sich Ö. durch die Heirat Ma- 1541 2. Eroberung Ofens (das 145 Jahre
ximilians I. mit Maria, der Erbin von Bur- besetzt blieb) durch die Türken, weitere
gund, und durch die Heirat seines Sohnes Türkenkriege 1566, 1593–1606, 1663/64;
Philipps des Schönen mit Johanna, der Er- der Türkenkrieg von 1663–1699 brachte
bin Spaniens, Neapels und des span. Kolo- die erste Entlastung; nach der Verteidi-
nialbesitzes („span. Heirat“ 1496) sowie gung und dem Entsatz von Wien 1683
durch die Erbverbindung der Enkelkinder und der siegreichen Beendigung des
Maximilians, Ferdinand und Maria, mit Krieges erlangte Ö. den neuzeitlichen Ge-
den Erben von Böhmen bzw. Ungarn bietsumfang (Erwerb Siebenbürgens 1696,
(Erbvertrag von Wien 1515) zur führen- Friede von ↑ Karlowitz 1699). Nach dem
den Macht des Abendlandes. Die Kernlän- Erlöschen der span. Habsburger (1700)
der (Ö., Steiermark, Kärnten, Krain, Tirol krieger. Auseinandersetzungen (↑ Span.
und die vorderösterr. Gebiete) standen seit Erbfolgekrieg 1701–1714) mit Frank-
1521 (Vertrag von Worms: Karl V. über- reich, das das span. Erbe beanspruchte
trug die Regierung der Erblande seinem und sich mit Bayern verbündete; im Frie-
Bruder Ferdinand), seit 1526 auch Böh- den von Rastatt 1714 erzwungener Ver-
men (mit Mähren, Schlesien und der Lau- zicht auf die span. Krone, die an die Bour-
sitz) und Teile Ungarns unter der Verwal- bonen fiel; Ö. erhielt jedoch die Span.
tung des Erzherzogs Ferdinand (seit 1531 Niederlande, Mailand, Neapel, Mantua
dt. König). Nach der Abdankung Karls V. und Sardinien, das Karl VI. gegen Sizilien
als Kaiser Abtrennung Spaniens und seiner an Piemont-Savoyen abtrat. Nach dem
Nebenländer (1556); Teilung des Hauses Türkenkrieg von 1716–18 (Prinz ↑ Eugen)
Habsburg in eine span. und in eine österr. Vergrößerung um das Banat, das nördl.
Linie, die Trägerin der Kaiserkrone wurde: Serbien (bis 1739) und das westl. Rumä-
Ferdinand wurde 1558 dt. Kaiser; nach nien (bis 1739) (Friede von Passarowitz
dem Tod Ferdinands (1564) Ländertei- 1718); 1735 Verlust Siziliens und Neapels
lung unter dessen drei Söhne: Maximi­ an die span. Bourbonen. Nach Durchset-
lian II., zugleich König von Böhmen und zung der ↑ Pragmat. Sanktion baute
Ungarn, erhielt Ö., Karl III. die Steier- Karls VI. Tochter ↑ Maria Theresia (1740–
mark, Erzherzog Ferdinand II. Tirol und 1780) Ö. zum modernen Staat aus, der
die Vorlande. Wiedervereinigung der Län- sich im Kampf um den Besitz Schlesiens
der nach dem Tod von Maximilians Söh- (↑ Österr. Erbfolgekrieg, 7-jähriger Krieg)
nen Rudolf II. (1612) und Matthias (1619) in Gegensatz (Dualismus) zu Preußen wei-
unter dem Sohn des Erzherzogs Karl ter verselbständigte und 1772 (1. Poln.
Friedrich II., der Ö. zum Hauptglied der Teilung) Galizien, 1775 die Bukowina
katholischen ↑ Liga erhob und Böhmen und 1779 das bayer. Innviertel erwarb.
nach dem Aufstand der protestantischen Maria Theresias Gemahl Franz Stephan

693
Österreich

von Lothringen wurde als Franz I. 1745 in den Dt. Zollverein; Rückschläge durch
zum Kaiser Ö.s gewählt (Stammvater des die österr. Haltung im ↑ Krimkrieg (1853–
Hauses Habsburg-Lothringen). Mit Jo­ 1856, Einbuße der Freundschaft mit Russ-
seph II. (1780–1790, seit 1765 Mitregent land), die Niederlage im ital. Einigungs-
Maria Theresias) Einzug des aufgekärten krieg (↑ Magenta, Solferino 1859): Verlust
Absolutismus und Versuch der Bildung der Lombardei und damit der Vormacht-
eines zentralist. Einheitsstaates (Aufhe- stellung in Italien. Versuch zu inneren Re-
bung ständischer Selbstverwaltung, der formen, Bildung des ↑ Reichsrats; nach
Leib­eigenschaft u. a.). Durch die Auswir- Verständigung mit Preußen in der Schles-
kungen der ↑ Frz. Revolution in die Vertei­ wig-Holstein-Frage (↑ Dänemark) Vertie-
digung. seines staatl. Bestandes gedrängt, fung des Gegensatzes zu Preußen durch
verlor Ö. in den Koalitionskriegen die Ös- die Frage der dt. Einheit; der Machtkampf
terr. Niederlande und die Lombardei, ge- führte 1866 zum ↑ Dt. Krieg (↑ Bismarck):
wann Venetien, Istrien, Dalmatien, 1803 Ö. schied aus dem Dt. Bund und verlor
Trient und Brixen; im Kampf gegen Napo- auch die Vorherrschaft in Deutschland;
leon Verlust der dt. Kaiserwürde 1806 (seit Abtretung Venetiens; Preußen gründete
1804 nannte sich Franz II. „Kaiser von ohne Ö. den ↑ Norddt. Bund. Neubeginn
Ö.“); auf dem ↑ Wiener Kongress sicherte und Neuorientierung: Das innere Reichs-
sich Ö. den Besitz von Tirol, Salzburg, gefüge wurde organisator. gestärkt durch
dem Innviertel, den „Illyr. Provinzen“ den von Beust eingeleiteten Ausgleich mit
(Kärnten, Krain, Küstenländer), Venetien Ungarn (Verfassungsreform von 1867):
und die Lombardei, verlor aber die ↑ Ös- Proklamation der Österr.-Ungar. Monar-
terr. Niederlande. Ö. wurde als Mitglied chie (Doppelmonarchie). Kaiser Franz
der Hl. Allianz Hauptträger der ↑ Metter- Joseph wurde König von Ungarn; in der
nichschen Politik der Restauration und Außenpolitik Verlagerung des Schwerge-
des Dt. Bundes, geriet 1848 in die Wellen wichts nach Südosten, vorübergehende
der Märzrevolution (Sturz Metternichs, Überbrückung des österr.-russ. Gegen-
Abdankung Ferdinands I. zugunsten Franz satzes im ↑ Dreikaiserbündnis 1872, er-
Josephs I.), konnte sich aber der Selbstän- neute Verschärfung des Gegensatzes durch
digkeitsbestrebungen der Tschechen unter die österr. und russ. Balkanpolitik; auf
Palacky, der Ungarn (Kossuth) und der dem ↑ Berliner Kongress 1878 sicherte
Italiener dank Windischgrätz und Ra- sich Ö. das Anrecht auf die bisher türk.
detzky erwehren und sich 1849 als strenger Provinzen Bosnien und die Herzegowina,
Einheitsstaat (außer Oberitalien) durch Ö. verbündete sich mit dem Dt. Reich
Fürst Schwarzenberg erneut innen- und (↑ Zweibund 1879), erließ fortschrittliche
außenpolit. festigen; administratives Re- Sozialgesetze (1879–1893), konnte aber
gime Franz Josephs (Poizeiregiment, Zen- die nationalist. Bewegungen in den Län-
sur); zunehmende nationalistische Bewe- dern nicht mehr eindämmen (im Reichs-
gungen der Ungarn, Slawen, Kroaten, rat waren 8 Nationen, 17 Länder und
Tschechen und galiz. Polen; Aufhebung 27 Parteien vertreten; Gesetzgebung zu-
der freiheitlichen Verfassung von 1848; nehmend durch Verordnungen, erst 1907
1850 Wiederherstellung des ↑ Dt. Bundes, allg. freies Wahlrecht); 1882 Erweiterung
letzter Höhepunkt der österr. Macht; des Zweibundes durch den Beitritt Italiens
durch die ↑ Olmützer Punktation 1850 zum ↑ Dreibund; 1887/88 drohender
verzichtete Preußen auf seine Unionspoli- Krieg mit Russland in der bulgar. Krise;
tik, doch verhinderte es den Ausbau der weitere Verschärfung durch die panslawist.
Bundesverfassung und die Aufnahme Ö.s russ. Balkanpolitik nach der Niederlage

694
Österreich

Russlands im Russ.-Jap. Krieg (1904/05), noch heute in Geltung ist (Staatsorgane:


die förmliche Annexion Bosniens und der Bundespräsident, Bundesregierung; Ge-
Herzegowina durch Ö. 1908 und das Ein- setzgebung durch Nationalrat [Parlament
treten Ö.s für die Unabhängigkeit ↑ Alba- und ↑ Bundesrat [Länderkammer], Bun-
niens 1913. Die Ermordung des Thronfol- desgerichtshof ). Das junge Staatsgebilde
gers ↑ Franz Ferdinand durch großserb. („Rumpfstaat“) stand mehrmals vor dem
Nationalisten führte Ö. in den ↑ Weltkrieg Zusammenbruch (soziale Spannungen,
von 1914–1918, in den Zusammenbruch Parteienkämpfe, Wirtschaftsverfall, Parti-
des Vielvölkerstaates und das Ende des ös- kularismus, außenpolit. Druck: Abtretung
terreichischen Kaisertums (↑ Österreich, Ödenburgs, der Hauptstadt des Burgen-
Bundesrepublik). landes, an Ungarn); erst unter der ersten
Österreich (freiheitl.-demokrat.) Bundes­ Regierung Ignaz Seipel (1921–1924) all-
republik, Kerngebiet der ehemaligen Ös- mähliche Konsolidierung durch internat.
terr.-Ungarischen Monarchie und neben Kredite und Stabilisierung der Währung
der Tschechoslowakei, Ungarn, Jugosla- (Schilling statt Kronen) unter Finanzkon-
wien, Polen, Rumänien einer ihrer sog. trolle des Völkerbundes (bis 1929). Trotz-
„Nachfolge-(Sukzessions-)Staaten“; nach dem zunehmende Spannungen im Innern:
dem Zusammenbruch 1918 völkerrechtl. Marxisten – Antimarxisten, marxist. Wien
sanktioniert durch das Friedensdiktat von – konservatives Land. Unter der zweiten
St. Germain 1919. – Am 30. Okt. 1918 Regierung Seipel (1926–1929) Bildung
gründete die Provisor. Nationalversamm- paramilitär. Kampforganisationen (Repu-
lung den Bundesstaat „Deutsch-Ö.“ und blikan. Schutzbund gegen Heimwehr und
erließ im Nov. 1918 nach dem Regie- Frontkämpferorganisation); der drohende
rungsverzicht Kaiser Karls das Gesetz über Bürgerkrieg führte zur Verfassungsreform
die Staatsform; „Deutsch-Ö.“ (mit den dt. vom 7. Dez. 1929 (Stärkung der Macht
Einwohnern Ö.s, der Alpenländer und des Bundespräsidenten) und zum Anti-
den von Deutschen besiedelten Gebieten terrorgesetz. Trotzdem und trotz Friedens-
Böhmens, Mährens, Schlesiens) ist ein Be- schlüssen mit Ungarn und Italien weitere
standteil der Dt. Republik, d. h. des Dt. innenpolit. Radikalisierung, bes. seit Be-
Reiches. Nach den Wahlen im Feb. 1919 ginn der Weltwirtschaftskrise (1930/31,
bestätigte das Parlament im März den An- Bankenkrach, hoffnungslose Finanzlage);
schluss an Deutschland. In St. Germain Anwachsen der nat.-soz. Bewegung. 1932–
wurde sowohl der Name „Deutsch-Ö.“ wie 1934 Kabinett Dollfuß: unter Verzicht auf
der Anschluss an Deutschland untersagt. Zollunion mit Deutschland Völkerbund-
Ö. verlor außer den Gebieten der Nachfol- anleihe; März 1933 gegen die innenpolit.
gestaaten die sudetendt. Gebiete, Süd­tirol Bedrohung, die Einmischungsakte Hitlers
bis zum Brenner, die Küstenländer von und die dauernde Parlamentskrise Staats-
Triest, Istrien und Teile von Kärnten und streich durch Dollfuß: Aufhebung der
Krain; das von Jugoslawien beanspruchte Verfassung mit Berufung auf ein Kriegs­
Kärnten blieb jedoch aufgrund einer Ab- ermächtigungsgesetz von 1917, Einrich-
stimmung bei Ö.; Ö. musste die Verant- tung einer berufsständ., beratenden Volks-
wortung für den Kriegsausbruch und un- vertretung, Gründung der antimarxist.
tragbare Reparationen übernehmen. Am Vaterländischen Front, 1934 Verbot al-
1.Okt. 1920 erhielt Ö. seine föderalist. ler Parteien und der nat.-soz. Organisa-
Bundesverfassung, die in der reformierten tionen, autoritäres, polizeistaatlichen Re-
Fassung von 1929 und aufgrund des Verfas- gime. 25. Juli 1934 von Hitler inszenierter
sungsüberleitungsgesetzes vom 1. Mai1945 nat.-soz. Putsch, Ermordung von Dollfuß;

695
Österreich

durch das Eingreifen Mussolinis wich Hit- gung mit Italien über „Südtirol-Paket“ mit
ler zurück; von Papen wurde Sonderbot- Zugeständnissen Italiens, das der Provinz
schafter in Wien, Kurt von Schuschnigg Bozen größere administr., kulturelle und
Bundeskanzler (1934–1938); Schuschnigg wirtsch. Befugnisse gewährte. 1971 Un-
suchte Bereinigung des Verhältnisses zum terzeichnung mehrerer Abkommen zum
nat.-soz. Deutschland (Schuschnigg bei „Südtirolpaket“ durch Ö. und Italien.
Hitler in Berchtesgaden; der Rechtsradi- 1972 Handelsvertrag mit der EG (ab 1977
kale Seyß-Inquart wurde österr. Innenmi- völliger Freihandel mit den EG-Staaten);
nister, freie Betätigung der Nationalsozia- Anschluss an das europ. Währungssystem.
listen); durch Schuschnigg verfügte Volks- Ö. spielte in den 70er Jahren eine Vermitt-
abstimmung unter Hitler-Drohung nicht lerrolle im Nahost-Konflikt. 1983 wurde
durchgeführt, zunehmender nat.-soz. Ter- die bis dahin langjährige absolute Parla-
ror zur Vorbereitung des Einmarsches; mentsmehrheit der SPÖ (Sozialist. Par-
Schuschnigg durch Seyß-Inquart ersetzt. tei Ö.s) gebrochen, Bundeskanzler Bruno
12. März 1938 Einmarsch dt. Truppen, Kreisky trat zurück, 1983–1986 Koalition
„um jeder Bürgerkriegsgefahr zu begeg- von SPÖ und FPÖ (Freiheitliche Partei
nen“, 13. März Anschluss an das Dt. Reich Ö.s) unter Bundeskanzler Sinowatz. 1986
(„Wiedervereinigung“ in einer Volksab- innenpolitische Auseinandersetzungen um
stimmung bestätigt) und dann völker- Bun­despräsident Kurt ↑ Waldheim, der
rechtlich anerkannte Einführung der Gau- seine Vergangenheit als Wehrmachtsof-
verfassung des ↑ „Dritten Reiches“, dessen fizier nur unter öffentlichem Druck ein-
Schicksal Ö. in der Folge teilte. – Nach räumte. Rücktritt Sinowatz’, 1987 große
Kriegsende 1945 Wiederherstellung der Koalition (SPÖ und ÖVP = Österrei-
Unabhängigkeit Ö.s aufgrund der Mos- chische Volkspartei) unter Bundeskanz-
kauer Deklaration von 1943; Ö. in 4 Be- ler Vranitzky, 1992 Wahl Thomas Klestils
satzungszonen unter einer Alliierten (ÖVP) zum Bundespräsidenten; Rechts-
Kommission aufgegliedert: Sowjet. Besat- ruck innerhalb der FPÖ unter Jörg Haider
zungszone: Burgenland, Niederö., Oberö. löste heftige innenpolitische Kontrover-
nördl. der Donau; Brit. Besatzungszone: sen aus, bei Natio­nalratswahlen 1994 nur
Steiermark, Kärnten, Osttirol; Frz. Be- knappe Mehrheit für Regierungskoalition,
satzungszone: Nordtirol, Vorarlberg; US- die 1997 von Viktor Klima (SPÖ) weiter-
Besatzungszone: Oberö. südl. der Donau, geführt wurde. 1995 erfolgte der schon
Salzburg; Wien wurde Vier-Sektoren- 1989 beantragte EU-Beitritt (unter der
Stadt. Die Erdölfelder und die Donau- Bedingung, dass die im Staatsvertrag von
dampfschifffahrt übernahm die sowjet. 1955 festgeschriebene Neutralität nicht
Besatzungsmacht; weitgehende Demon- angetastet wird) und Beitritt zur NATO-
tagen. 1947 Hilfe durch den ↑ Marshall- “Partnerschaft für den Frieden“. Nach Na-
plan und Währungsreform; seit 1949 Ab- tionalratswahlen 2000 Koalition aus ÖVP
bau der Zonengrenzen, seit 1953 kräftiger und FPÖ unter Kanzler Schüssel (ÖVP),
Wirtschaftsaufbau; 15. Mai 1955 Österr. große innen- und außenpolitische Tur-
Staatsvertrag: Abzug der Besatzung inner- bulenzen (u. a. Boykottmaßnahmen der
halb 90 Tagen. Ö. wurde unter Garantie EU). Im Sept. 2002 Rücktritt der Regie-
der Mächte souverän, verpflichtete sich rung Schüssel, nach Neuwahlen erneute
zur Neutralität und zu polit. und wirtsch. ÖVP/FPÖ-Koalition unter Schüssel, aber
Unabhängigkeit; Aufnahme in die UN, Ö. mit deutlich gestärkter ÖVP. Im Jahr 2004
wurde Mitglied der EFTA; 1960/62 Süd- Wahl Heinz Fischers (SPÖ) zum Bundes-
tirol-Konflikt mit Italien. 1969 Verständi- präsidenten.

696
Ostindische Kompanien

Österreichischer Erbfolgekrieg, 1740– übernahm im 1. Jh. n. Chr. als Portus Au-


1748; veranlasst durch die Anfechtung gusti auch die Aufgaben des Rom-Hafens
der Pragmat. Sanktion und die daraus Puteoli bei Neapel und wurde glanzvoll
sich ergebenden Gebietsforderungen und ausgebaut (Forum, Thermen, Tempel der
Erbschaftsansprüche Karl Alberts von kapitolin. Dreiheit Jupiter, Juno, Minerva,
Bayern aufgrund eines Testaments Fer- Theater, Mithras-Kultstätte, antike jüd.
dinands I.; Beginn der Kampfhandlungen Synagoge, Gräberstraße, Speicher; umfas-
nach dem Sieg Friedrichs d. Gr. bei Moll- sende Ausgrabungen, „Zweites Pompeji“);
witz (1741 im 1. ↑ Schlesischen Krieg); hier schrieb Augustinus einen Teil seiner
Bayern, Frankreich und Spanien (später „Confessiones“, hier starb seine Mutter
auch Sachsen und erneut Preußen) ge- Monica; nach der Gotenherrschaft allmäh-
gen Maria Theresia, Eindringen in Ober- liche Versandung und Zerfall zu Ruinen.
österreich und Böhmen, 1741 Proklama- Ostindien, Vorder- und Hinterindien und
tion Karl Alberts zum König in Prag und der Malai. Archipel; ↑ Indien.
Krönung zum dt. Kaiser 1742; Hilfe für Ostindische Kompanien, Handelskompa-
Maria Theresia durch Ungarn und Groß- nien (z. T. unter Staatskontrolle); ehemals
britannien; 1745 Frieden von Füssen mit wichtigste Träger des Handels zw. Indien,
Bayern (Verzicht des Sohnes Karl Alberts Indonesien und Europa, mehrmals zu po-
auf die Erban­sprüche) und 1748 Frieden lit. Machtgebilden aufsteigend. Die Hol-
von ↑ Aachen mit allen Gegnern: Aner- länd. O., 1594 gegr., konzentrierte ihre
kennung der Pragmatischen Sanktion für Arbeit vornehml. auf die Inseln, trieb von
Österreich und des Besitzrechtes Preußens dort aus Handel bis China und Japan, ihre
an Schlesien. Besitzungen gingen im 18. Jh. (bis auf
Österreich-Ungarn, österr.-ungar. Doppel­ Ceylon und Indonesien) durch Kauf an
monarchie (Personal- und Realunion) un- Großbritannien über. Die Brit. O. („Privi-
ter Kaiser Franz Joseph I. 1867 (bis 1918), legierte Ostind. Handelskompanie“), gegr.
↑ Österreich. 1600, organisiert 1612, seit 1624 auch mit
Ostfränkisches Reich, entwickelte sich polit. Hoheitsrechten ausgestattet; 1612
aus dem östl. Teil des Fränkischen Reiches erste Faktorei in Surate, 1639 Anlage des
nach der Reichsteilung durch den Vertrag Forts von Madras, 1640 erste Handels-
von ↑ Verdun (843); bestand als solches bis schiffe in Bengalen; weitreichende Han-
911 und bildete die Grundlage für das spä- delsverträge mit eingeborenen Fürsten.
tere Röm. Reich Dt. Nation (Austrasien). Nach Gründung der Frz. O., die Teile Ben-
Ostgebiete, Deutsche, ↑ Oder-Neiße-Li- galens (1674) und vorübergehend Madras
nie. in Besitz nahm, Konkurrenzkämpfe mit
Ostgermanen, die im Zuge der Ostbewe­ der Brit. O., nach Siegen der Franzosen
gung der Germanen lange Zeit östlich gewannen die Engländer unter ↑ Clive die
der Oder verbleibenden german. Stämme Oberhand und zwangen die Frz. O. nach
(Goten, Gepiden, Vandalen, Burgunder, dem Sieg bei Plassey (1757) zur Auflösung
Rugier); ↑ Germanen. ihrer Kompanie (1770); 1773 wurde die
Ostgoten, ↑ Goten. Brit. O. einem Generalgouverneur unter-
Ostia (O. antica), zweiter Hafen Alt-Roms stellt; Warren Hastings erweiterte das Ge-
an der einstigen Tibermündung, um biet der Kompanie den Ganges aufwärts;
335 v. Chr. gegründete, Truppenverschif- die Kompanie wurde mehr und mehr Ko-
fungsplatz für Überseeunternehmungen, lonialmacht, der in zahlreichen Kriegen
Getreidehafen für sardin. Getreide; die Unterwerfung ↑ Indiens gelang, die
67 v. Chr. Flottenstation gegen Seeräuber, Verwaltung Indiens wurde 1858 der brit.

697
Ostkirche

Krone übertragen. – Außerdem bestanden ständiger Spannungen und Auseinander-


eine Zeitlang eine Schwedische O., gegr. setzungen um Primatsansprüche, Fröm-
1731, eine Dänische, Österreichische und migkeits- und Kultformen (Bildervereh-
Preußische O. rung), Missionsgebiete (Bulgarien, Russ-
Ostkirche, Griech. Kirche, Morgenländ. land) und Diözesangrenzen blieb die Ein-
Kirche, Oriental. Kirchen; Bezeichnungen heit äußerlich fast ein Jt. bestehen (1054
für die seit dem Großen Schisma 1054 gegenseitige Bannung); die Trennung im
entstandenen, von Rom unabhängigen „Großen Schisma“ wurde endgültig seit
christl. Kirchen vor allem in Osteuropa, der Plünderung Konstantinopels durch
meist Landes- oder Nationalkirchen, auto- die Kreuzfahrer (1204; ↑ Lat. Kaisertum).
kephal (mit eigenen Oberhäuptern), doch – Als kräftigster Zweig der Ostkirche ent-
geeinigt in dem Glauben, dass „Christus faltete sich die Russ. Kirche, die um 990
Gott und Erlöser ist“. Selbstbezeichnung: von Byzanz aus gegründet wurde (↑ Kie-
„Eine ungeteilte Kirche Christi“. Gliede- wer Reich) und in Kirchen- und Kloster-
rung in die Patriarchate Konstantinopel, bau, in der Ikonen- und Wandmalerei zu
Antiochien, Alexandrien, Jerusalem, Ru- eigenen Ausprägungen gelangte. Zunächst
mänien, Serbien und Montenegro (Serb. noch unter byzantin. Kirchenführern ste-
Kirche), Bulgarien (Sonderstellung); die hend, russifizierte sie seit dem 13. Jh. ihre
Erzbistümer Griechenland, Zypern, Alba­ Hierarchie; seit 1328 war Moskau als neue
nien, Sinai-Kloster; das Katholikat Geor- Residenz der Großfürsten kirchl. Zentrum;
gien; mehrere Exarchate in Mittel- und 1448 machte sich die Russ. Kirche von By-
Westeuropa, Amerika, Australien, im Fer- zanz unabhängig; seit der Eroberung Kon-
nen Osten und selbständige Gliedkirchen stantinopels durch die Türken (1453) be-
in der Diaspora und in den Emigranten- anspruchte Moskau als „Drittes Rom“ die
zentren. Als einstiges Oberhaupt der Kir- Führerstellung innerhalb der gesamten
che in der Kaiserstadt Byzanz (↑ Byzantin. Ostkirche, wurde 1589 Patriarchat, geriet
Reich) genoss der Patriarch von Konstan- aber seit Peter d. Gr. (Verwestlichung und
tinopel eine Ehrenstellung, er war auch Verweltlichung) in staatliche Bevormun-
der Vorkämpfer der Einheitsbewegung. dung: 1700–1917 Verwaisung des Patriar-
– Die Sonderentwicklung der Ostkir- chats, die Kirchenleitung übernahm 1721
che innerhalb der Gesamtkirche setzte der Heilige Synod; die russ. Zaren bean-
zunehmend ein seit der Verlegung des spruchten seitdem die Schutzherrschaft
röm. Reichsmittelpunktes nach Byzanz- über alle Christen der orthodoxen Kirchen
Konstantinopel durch Kaiser Konstan- und verquickten diesen Anspruch mit re-
tin (330) und erstarkte seit dem Unter- alpolit. Zielsetzungen (Balkan, Türkei,
gang des Weström. Reiches 476; Byzanz Vorderer Orient); 1917 Wiederherstel-
als das „Zweite (Neue) Rom“ widersetzte lung des Patriarchats (bis 1925); Bildung
sich dem Primatsanspruch der röm. Päpste russ. Emigrantenkirchen, Spaltungen im
und folgte, meist in völliger Abhängigkeit Innern; 1943 (im 2. Weltkrieg) erneut Er-
vom byzantin. Kaisertum, der griech.-by- richtung des Patriarchats. 1961 auf der
zantin. Kulturentwicklung, während die 3. Vollversammlung des Weltkirchenrats
„lateinische“ Kirche sich durch die Bin- Aufnahme der Russ. Kirche in den ↑ Öku-
dung an das Fränk. Reich an das Kaiser- men. Rat der Kirchen, zugl. mit den ortho­
tum des Westens anlehnte, doch insges. doxen Kirchen Rumäniens, Polens, Bul-
ihre Unabhängigkeit behauptete und sich gariens und 18 Gliedkirchen Asiens, Afri-
freier, weltzugewandter entfaltete. Trotz kas, Amerikas. – Die kirchliche Lehre der
der unterschiedlichen Lebenswelten und zahlreichen orthodoxen Kirchen fußte auf

698
Ostkolonisation

Bibel und Tradition und stützte sich auf der Gründung des Fränk. Reiches Ansätze
die Lehrentscheidungen der gesamtchristl. zu einer Gegenbewegung zur bisherigen
Konzilien von Nizäa 325, Konstantinopel Westwanderung der Germanen und zum
381, Ephesus 431, Chalcedon 451, Kon- vereinzelten Vordringen slaw. Völker nach
stantinopel 553 und 680/81 und Nizäa Westen, die sich in den von den Germanen
787; sie war zusammengefasst im Glau- während der Völkerwanderung großenteils
bensbekenntnis des Nicaeno-Konstanti­no­ verlassenen Räumen seit dem 6. Jh. in spo-
politanum: Kirchensprachen waren Alt­ rad. Siedlungen festsetzten. Um 631 erster
griechisch bei Griechen (↑ Griech.-Ortho­ Zusammenstoß zw. dem Merowinger Da-
doxe Kirche) und Albanern, Kirchensla- gobert I. und ↑ Samo, dem Gründer eines
wisch bei Russen, Ukrainern, Bulgaren großslaw. Reiches; die bayer. O. begann
und Südslawen, Arab. bei Syrern und unter Tassilo III. (748–788) und erstreckte
Arabern. Bischöfe, Erzbischöfe, Metropo- sich bis Kärnten. Nach Vernichtung des
liten, Patriarchen waren gleichberechtigt, Awarenreiches 795–796 durch Pippin von
oberste Instanzen der Nationalkirchen wa- Italien, dem Sohn Karls d. Gr., waren die
ren die Bischofssynoden; gegenüber der Grenzen des Fränk. Reiches im SO bis
röm.-kath. Kirche bestanden außer in der zum Donauknie vorgeschoben; Niederös­
Primats- und Unfehlbarkeitslehre Unter- terreich war von Bayern aus besiedelt und
schiede in der Dreifaltigkeits-, Gnaden-, die Slawen hier und in Kärnten nach Os-
Freiheits- und Rechtfertigungslehre; Bil- ten zurückgedrängt; die Missionierung des
der (Ikonen) waren irdische Verkörpe- Gebiets zw. Raab und Donau wurde von
rungen der himml. Welt; als Sakramente Salzburg, Aquileja und Passau aus einge-
waren anerkannt: Eucharistie, Taufe, Fir- leitet (Klöster Altaich, Kremsmünster und
mung, Buße und Beichte, Priesteramt (Bi- Innichen im Pustertal); militär. und polit.
schöfe, Priester, Diakone), Ehe, Kranken- Sicherung durch die Marken unter Mark-
ölung; das Mönchstum trug mehr myst. grafen; an die Mark Friaul, die awar. Mark
als in die Welt wirkenden Charakter. – und die bayer. Ostmark (jenseits der Enns,
Zur Ostkirche im weiteren Sinne gehörten 796) schloss sich nördl. die böhm., sorb.
auch die ↑ Nestorianer, ↑ Monophysiten, und dän. Mark an. Wechselvolle Grenz-
Jakobiten, ↑ Kopten und die Abessin. und kämpfe bes. zw. Ludwig dem Dt. und
Armen. Kirche. – Die Panorthodoxe Kon- dem Großmähr. Reich unter Rastislaw
ferenz auf Rhodos (1961), das erste Tref- und Swatopluk (Vordringen der Slawen
fen der Gesamtheit der orthodoxen Kir- bis zum Thüringer Wald, bis Bamberg,
chen seit dem 12. Jh., vom Ökumen. Pa- Forchheim, Regensburg); nach Auflösung
triarchen Athenagoras von Konstantinopel des Mähr. Reiches. 895 Anschluss Böh-
zur Vorbereitung einer Panorthodoxen Sy- mens an das Ostfränk. Reich Arnulfs von
node einberufen, legte ein Bekenntnis zur Kärnten (887–899); 895 wurde Luitpold
Einheit der orthodoxen Mitgliedskirchen von Bayern Markgraf der Ostmark, er
ab und brachte eine Annäherung an die bis fiel 907 in der Schlacht bei der Ennsburg
dahin als Häretiker abseits stehenden Ar- (erster Ungarneinfall; Verlust der Ost-
menier, Kopten u. a. mark). 929 Huldigung des Przemysliden
Ostkolonisation, dt., im MA die Expan- Wenzel vor Heinrich I. (zu Prag), 950 Un-
sion des dt. Machtbereiches, Kulturein- terwerfung ↑ Boleslaws, des Bruders und
flusses und Siedlungsraumes im SO bis Nachfolgers Wenzels, durch Otto d. Gr.,
zur Leitha, im Osten von der Saale/Elbe Böhmen wurde Bestandteil des Dt. Rei-
bis zur Weichsel und im NO an die Küsten ches; um 973 Gründung des Erzbistums
der Ostsee bis zum Finn. Meerbusen. – Mit Prag. – Im Südosten nach den Niederlagen

699
Ostkolonisation

der Ungarn (933 Riade, 955 Augsburg), dung Polen – Böhmen verhindert; erfolg-
nach ihrer Sesshaftmachung und Chris- lose Expansionsversuche Mieszkos II. von
tianisierung (975 Anschluss an die dt. Polen bis zur Saale 1031 (Herausgabe der
Kirche, 1001 Gründung des Erzbistums Lausitz); zur Wahrung der Selbständigkeit
Gran) und der Wiederherstellung der Ost- Polens übernahm Heinrich III. die Schutz-
mark (Österreich) fortschreitende Koloni- herrschaft über Kasimir (gegen die Über-
sation bis zur Raab; im 12./13. Jh. bestan- griffe Bretislaws von Böhmen, der 1041
den geschlossene dt. Siedlungsgebiete auch seinem Plan eines christlich großslaw. Rei-
im Innern des ungar. Reiches (Siebenbür- ches entsagen und sein Vasallenverhältnis
gen, Zips). – Im Norden seit dem 10. Jh. anerkennen musste); die Lehenshoheit
kriegen Auseinandersetzungen zw. Sach- des Reiches 1157 über Polen wurde nach
sen und Sorben (Wenden), Abodriten, dem gescheiterten Plan eines slaw. Groß-
Wagriern an der Elbe; durch Heinrich I. reiches unter Führung Boleslaws III., der
928 Eroberung von Brennabor (Ansatz sich gleichfalls unterwerfen musste, be-
zur späteren Mark Brandenburg), Grün- kräftigt; damit war von Reichs wegen die
dung von Meißen und Tributpflicht der machtpolit. Voraussetzung für die Entfal-
Elbslawen. – Mit Otto I. begann die Ost- tung der dt. O. im Oder-Weichsel-Raum
kolonisation im Auftrag des Reiches; seit gegeben (Höhepunkt wie in Ungarn und
936 stand Hermann Billung als Markgraf Böhmen ebenfalls im 12./13. Jh.); Träger
der unteren Elbe im Kampf gegen Wag- des Kolonisationswerkes in diesem Ab-
ner (im östl. Holstein), Abodriten und Re- schnitt waren jedoch nicht Kaiser und
darier (Mecklenburg); südl. anschließend Reich unmittelbar, sondern dt. und slaw.
an der mittleren Elbe seit 937 Markgraf Fürsten, dt. Ritter- und Mönchsorden und
Gero gegen Wilzen, Heveller und Sorben; die Hanse; entsprechend verschiedenartig
Gründung der Bistümer Havelberg (946), war die Motivierung: Streben nach Aus-
Brandenburg (949), Posen (966) und bau ihrer Hausmacht durch die Fürsten,
Magdeburg (968); die Oder wurde Ost- planvolle Innenkolonisation durch die als
grenze des Reiches. Nach schweren Kämp- tüchtig geschätzten Bauern, Kreuzfahrer-
fen Geros mit Mieszko (seit 960 Herrscher und Missionierungsgeist der Orden, Han-
eines poln. Reiches) wurde das Land zw. delsinteressen der Hanse. Die O. wurde
Oder und Warthe tributpflichtig; nach ein Gemeinschaftswerk aller dt. Stämme;
Geros Tod (965) Aufteilung seiner Mark Siedler waren vor allem nachgeborene
in erst sechs, schließlich drei Teile: die Bauernsöhne, Anreiz zur Kolonisation bot
Nordmark (später Brandenburg), die eigtl. ihnen neben der Aussicht auf eigenen Bo-
Ostmark (mit der Lausitz) und die Mark den die günstige personal- und güterrecht-
Meißen. Schwerer Rückschlag durch den liche Stellung des Bauern auf Kolonial­
großen Slawenaufstand 983 (Überfall der boden. Geschichtlich bedeutsam wurden
Liutizen auf die Bistümer Havelberg und im Rahmen der O. folgende Ereignisse:
Brandenburg); Begrenzung des Einflusses 1) Einsetzung der Wettiner in der Mark
der dt. Kirche (Magdeburg) durch die zu- Meißen (1123), der Askanier in der Nord-
nehmend selbständiger werdende poln. mark (1134), der Schauenburger in der
Kirche (Gründung des Erzbistums Gne- Grafschaft Holstein (1110); neben ihnen
sen 1000 durch Otto III.); Verständigung betrieb auch der Welfe Heinrich der Löwe,
Heinrichs II. mit Boleslaw I. von Polen im Herzog von Sachsen, die Expansion nach
Frieden von Bautzen 1018 (der Anspruch dem Osten; 2) Loslösung und Verselb-
Polens auf die Lausitz als Reichslehen ständigung der westl. Teilfürstentümer Po-
wurde anerkannt), doch wurde die Verbin- lens, bes. in Pommern und Schlesien, die

700
Otto

dadurch dem dt. Einfluss weit geöffnet Memelgebietes und Isolierung vom übr.
wurden und den Siedlungsboden über Deutschland durch den ↑ Poln. Korridor;
Brandenburg-Mecklenburg hinaus nach Juli 1920 Abstimmung im Süden (97 %
Osten erweiterten; 3) Berufung des ↑ Dt. für Deutschland); Nord-O. mit Königs-
Ordens unter Hermann von Salza durch berg wurde 1945 von der UdSSR, Süd-O.
Herzog Konrad von Masowien zum Kampf 1945 von Polen annektiert. Mit der Aner­
gegen die heidn. Preußen 1226, Gründung kennung der Unverletzlichkeit der poln.
des Ordensstaates seit 1230; Bekehrung und der sowjet. Westgrenze im Dt.-Poln.
und Kolonisation Livlands schon 1184 und im Dt.-Sowjet. Vertrag bestätigte die
von Albrecht von Appeldern eingeleitet Bundesrepublik Deutschland unter Bun-
(Gründung des 1237 mit dem Dt. Or- deskanzler Willy Brandt den Verlust O.s.
den vereinigten ↑ Schwertbrüderordens); Ostrakismus, (griech., Scherbengericht),
4) Teilnahme des ↑ Zisterzienserordens am von Kleisthenes um 510 v. Chr. in Athen
Kolonisationswerk, besonders in Branden- zum Schutz der Demokratie gegen Dikta-
burg; 5) Städtegründungen nach dt. (v. a. turgelüste Einzelner eingeführt: Volksge-
Magdeburger) Stadtrecht. Im 14. Jh. all- richt, bei dem Tonscherben mit dem Na-
mähliches Auslaufen der großen O. (1351 men des zu Verbannenden versehen wur-
„Schwarzer Tod“ in Deutschland), macht- den; hatte der betreffende Bürger 6 000
polit. Verschiebung im Weichselraum zu- oder mehr Stimmen gegen sich, musste er
gunsten der neuen poln.-litau. Großmacht die Vaterstadt für zehn (später für fünf )
unter den ↑ Jagellonen seit 1396, Nieder- Jahre verlassen; in Kraft bis 417 v. Chr.
gang der Macht des Dt. Ordens und der Oströmisches Reich, ↑ Byzantin. Reich.
Hanse; nach dem 2. Thorner Frieden 1466, Otho, Marcus Salvius, röm. Kaiser, geb.
der Umwandlung des Rest-Ordensstaates 32 n. Chr.; nach dem Tod seines Freundes
in ein protestant. weltl. Herzogtum 1525 Nero und nach der Absetzung Galbas
und dem Anschluss Livlands an Polen 68/69 von den Prätorianern zum Kaiser
1561 Ausbildung der staatl. Verhältnisse erhoben, gab sich 69 nach der Niederlage
der Neuzeit im Osten (Polen, Branden- durch die Truppen des Vitellius den Tod.
burg-Preußen, Pommern u. a.). Ergebnis Ottheinrich, eigtl. Otto Heinrich, Pfalz-
der O.: Vergrößerung des Reichsgebietes graf bei Rhein und Kurfürst von der
um nahezu zwei Drittel; Verlagerung des Pfalz, 1502–1559; erhielt 1556 nach dem
polit. Schwerpunkts in den Osten (Füh- Tod seines Onkels Friedrich II. die Kur­
rungsmacht Preußen) als Grundlage für pfalz; reformierte die Universität Heidel-
die Machtentfaltung Deutschlands in der berg im protestant.-humanist. Geist und
Neuzeit; Erweiterung der Er­nährungsbasis gründete die ↑ Palatina; ließ 1556–1559
und des Lebensraumes; gleichzeitig Ent- den „Ottheinrichsbau“ des Heidelberger
wicklung der ostelb. ↑ Gutsherrschaft. Schlosses errichten.
– Die sog. „O.“ im Rahmen der Bevöl- Otto, Name von Herrschern. Dt. Kaiser:
kerungspolitik des ↑ Merkantilismus im 1) Otto I., der Große, 912–973; seit 936
17./18. Jh. (Ansiedlung von vertriebenen dt. König, baute die von seinem Vater
Salzburgern in Ostpreußen, von „Schwa- (Hein­rich I.) begründete sächs. Vorherr-
ben“ im Banat usw.) trug zur Festigung schaft zur führenden Macht des Abend-
der gegebenen Machtverhältnisse bei. landes aus, kämpfte in den ersten Jahren
Ostmark, ↑ Österreich. mehrere Verschwörungen seiner nächsten
Ostpreußen, 1815–1945 preußischen Pro­ Verwandten nieder (Aufstand in Loth-
vinz, 1914 von den Russen besetzt, 1915 ringen 939); übertrug 936/37 die elb.
befreit; 1919 Abtretung des Soldauer und Mark gegen die Slawen Hermann Billung,

701
Otto

die an der Saale Gero (↑ Ostkoloni­sation); der (Bayern fiel an Otto von Schwaben,
errang 951 durch seine Heirat mit Adel- die Ostmark an die Babenberger); 978 be-
heid, der Gemahlin des 950 verstorbenen wog er durch einen Feldzug gegen Frank-
Königs Lothar von Italien, die langobard. reich Lothar zum Verzicht auf Lothringen,
Krone; warf 953–955 den Ludolfinger- kämpfte 980–83 gegen den Ansturm der
Aufstand nieder und den in enger Ver- Sarazenen auf Italien (982 Niederlage bei
bindung damit stehenden Ungarnsturm Cotrone, 983 wurde ein Großteil des kai-
(Lechfeld 955), verteilte die Herzogtümer serlichen Heeres bei Rossano vernichtet);
an seine nächsten Verwandten; von ihnen starb in Rom und wurde in der Peterskir-
enttäuscht, versicherte er sich im Kampf che beigesetzt. 3) O. III., 980–1002; seit
gegen Italien (Papst Johann XII., Beren- 983 von seiner Mutter Theophanu und
gar II.) der Hilfe der geistlichen Fürsten, 991 von der Großmutter Adelheid in der
die er durch Verleihung weltlicher Herr- Regentschaft vertreten; 996 zum Kaiser ge-
schaftsrechte an die Krone band; die krönt. Byzantin. Erziehung (Theophanu),
Reichskirche wurde in die Verfassung des gelehrte Unterweisung (Gerbert, größter
Reiches eingeordnet. O. zwang das neu- Mathematiker und Astronom seiner Zeit)
gegr. Poln. Reich (↑ Mieszko) zur Aner- und religiöse Schwärmerei (Adalbert von
kennung der dt. Oberhoheit, erneuerte Prag) bestimmten seine gegensätzl. innere
962 die karoling. Kaiserwürde (Ottoni- Einstellung: byzantin. Hofzeremoniell, clu­
anum: Bestätigung des Kirchenstaates, niazens. Askese, Plan eines theokrat. Welt-
Vollzug des formellen Krönungsaktes reiches mit Rom als Mittelpunkt, Errich-
durch den von ihm eingesetzten Papst Jo- tung des Erzbistums Gnesen 1000; Otto
hannes XII.: „Machst du mich zum Papst, residierte zuletzt in Rom nach wechsel-
mache ich dich zum Kaiser“); ordnete 965 vollen Kämpfen mit dem Papst und den
erneut die Verhältnisse in der Ostmark, er- röm. Patriziern und starb im Kampf um
zielte eine innere Verständigung mit dem die Behauptung seiner Macht 1002; bei-
Oström. Reich durch Vermählung seines gesetzt in Aachen. 4) O. IV., 1174–1218;
Sohnes Otto mit Theo­phanu von Byzanz, Sohn Heinrichs des Löwen, seit 1198 Ge-
ließ 967 Otto II. zum Kaiser krönen, er- genkönig Philipps von Schwaben; zeigte
richtete 968 das Bistum Magdeburg als sich den Bestrebungen des Papstes In-
Missionsmetropole für den ganzen Osten nozenz III., den Kirchenstaat zu vergrö-
und unterstellte ihm die Bistümer Bran- ßern, Sizilien vom kaiserlichen Italien zu
denburg, Havelberg, Meißen, Merseburg, trennen und die Wahl des dt. Königs zu
Schaumburg, Hamburg-Bremen, Ripen, bestimmen, geneigt und wurde nach der
Aarhus, Schleswig und Oldenburg; O. Ermordung Philipps (durch Otto von
starb 973 in seiner Pfalz Memleben und Wittelsbach 1208) 1209 zum Kaiser ge-
wurde im Magdeburger Dom beigesetzt. krönt; überwarf sich aber mit dem Papst
2) O. II., 955–983; 961 zum König er- (Versuch der Eroberung Siziliens), der im
nannt; 967 zum Mitkaiser gekrönt, folgte Einvernehmen mit den dt. Fürsten 1211
973 seinem Vater Otto I. auf dem Thron, Friedrich II. zum dt. König bestimmte; in
nahm 974 den aufständ. Heinrich den der Entscheidungsschlacht von Bouvines
Zänker von Bayern in Haft, kämpfte 975 1214 besiegt; starb 1218 völlig verges-
gegen Boleslaw II. und Mieszko von Po- sen auf der Harzburg. – Fürsten: Bayern:
len, gewann die Mark Schleswig zurück 5) O. von Northeim, sächs. Adliger, von
und brachte die Länder bis zur Oder zum der Kaiserinwitwe Agnes 1061 als Her-
Reich; 976 kämpfte O. den Aufstand des zog von Bayern eingesetzt; wegen der Be-
entkommenen Heinrichs des Zänkers nie- teiligung an einem Aufstand 1070 von

702
Oudenaarde

Heinrich IV. seines Herzogtums enthoben; ria de duabus civitatibus“ (Problem des


1073 an der Spitze des sächs. Aufstandes; Weltreiches und Gottesstaates in dualist.
1075 Niederlage bei Homburg, kämpfte Schau); die „Gesta Friderici imperato-
weiter auf Seiten des Gegenkönigs Rudolf ris“ bilden die wichtigste Quelle zur Ge-
von Rheinfelden, gest. 1083. 6) O. I. von schichte Friedrichs I.
Wittelsbach, 1120–1183; treuer Anhän- Ottokar II. Przemysl, Sohn König Wenzels,
ger Friedrichs I. und eifriger Vorkämpfer 1233–1278; seit 1253 König von Böh­men,
für die stauf. Politik in Italien, rettete das gliederte nach dem Aussterben der Baben-
Heer des Kaisers beim Durchzug durch berger (1246) Mähren, Österreich und Stei-
die Veroneser Klause und wurde für seine ermark und 1269 Kärnten und Krain an
Verdienste nach dem Sturz Heinrichs des Böhmen an, versagte Rudolf von Habsburg
Löwen 1180 mit dem um die Steiermark die Anerkennung, wurde geächtet; unter-
verkleinerten Herzogtum Bayern belehnt, warf sich 1276 und hul­digte Rudolf; wurde
starb 1183. 7) O. von Wittelsbach, Pfalz- nach erneutem Abfall 1278 bei Dürnkrut
graf, Neffe von 6), ermordete am 21. Juni am Marchfeld besiegt und getötet.
1208 aus Privatrache König Philipp von Ottokar von Steiermark, steirischer Ge-
Schwaben; 1209 getötet; seine Burg dem schichtsschreiber, um 1320; schrieb neben
Erdboden gleichgemacht. 8) O. II. der Er- einer verlorengegangenen Kaiserchronik
lauchte (1231–1253); Herzog von Bayern, eine Reimchronik, Quelle für die Reichs-
brachte 1225 durch Heirat die Pfalzgraf- geschichte ab 1250 und die Geschichte der
schaft am Rhein zum Bayer.-wittelsbach. österr. Länder 1246–1309.
Besitz; treuer Verbündeter Konrads IV. Ottomanisches Reich, ↑ Türkei.
9) O. I., König von Bayern (1886–1913); Ottonische Renaissance, Zeit römisch-
Bruder Ludwigs II., wurde wegen Geistes- griech. Beeinflussung, die durch Heirat
krankheit von Prinzregent Luitpold bis Ottos II. mit der byzantinischen Prinzes-
1912, danach von Ludwig III. vertreten; sin Theo­phanu (970) begann und dem
lebte isoliert auf Schloss Fürstenried, wo Tod Ottos III. 1002 endete; Grundhaltung
er 1916 starb. – Griechenland: 10) O. I., nicht die ausschließl. Nachahmung der
1815–1867; zweiter Sohn Ludwigs I. von Antike wie in der ↑ Karoling. Renaissance,
Bayern, 1832 auf der Londoner ­Konferenz sondern die Verschmelzung von Antike,
zum König bestimmt, trat 1835 die Regie­ Christentum und Deutschtum, wenn auch
rung in Griechenland an, ging 1862 ins in latein. Ausdrucksform; Ausdruck dieser
Exil, 1867 gestorben. – Pfalz: 11) O. Kunst- und Kulturrichtung in der Dich-
Heinrich, Kurfürst von der Pfalz, ↑ Ott­ tung: das Werk der Nonne Hroswitha von
heinrich. Gandersheim, bildende Kunst: die Minia-
Otto, August Nikolaus, Ingenieur, 1832– turmalerei der Reichenauer Schule, Relief-
1891; Erfinder des Viertaktmotors (Otto- plastik der Hildesheimer Bronzetüren, Ar-
motor, 1876), den er aus einer Leuchtgas- chitektur: St. Michael in Hildesheim.
kraftmaschine entwickelte. Otto-Peters, Luise, dt. Schriftstellerin und
Otto von Freising, Sohn Herzog Leo- Journalistin, 1819–1895; Vorkämpferin
polds III. von Österreich und Stiefbru- der Frauenemanzipation, propagierte die
der Konrads III., Bischof von Freising, sozialen und demokrat. Forderungen der
um 1111/1114–1158; stand dem Kaiser- Revolution von 1848; 1865 Mitbegründe-
haus (Friedrich I.) sehr nahe, auch treuer rin des Allg. Dt. Frauenvereins.
Gefolgsmann der Kirche; seine Einstel- Oudenaarde, Stadt in Ostflandern; 1708
lung ausgeprägt in dem geschichtsphilo- Sieg Marlboroughs und Prinz Eugens über
sophischen Werk „Chronicon sive histo- das Heer Ludwigs XIV.

703
Owen

Owen, Robert, britischer Sozialpolitiker und Medizin. – O. war Ausgangspunkt


und Unternehmer, 1771–1858: besaß zw. der Oxford-Bewegung 1833–1845, einer
1790 und 1829 mehrere Baumwollspin- anglikan. Erneuerungsbewegung, die eine
nereien, in denen er eine Vielzahl sozia­ Kirchenreform zw. dem röm. Katholizis-
ler Reformen einführte (Begrenzung der mus und dem anglikan. Protestantismus
Ar­beitszeit auf 10,5 Stunden täglich, Ar- erstrebte und das kirchl. Leben Englands
beitsverbot für Kinder unter 10 Jahren, nachhaltig beeinflusste.
Einfüh­rung von Pensionskassen u. a.); gilt Ozeanien, Inseln und Inselgruppen im
als Weg­­bereiter der engl. Genossenschafts- Pazifik zw. Amerika, den Philippinen und
und Gewerkschaftsbewegung. Australien (im weiteren Sinne auch Neu-
Oxenstierna, Axel Graf von, 1583–1654: seeland); Landfläche: über 1 Mio. km2,
seit 1612 Reichskanzler ↑ Gustaf Adolfs, Meeresgebiet: ca. 70 Mio. km2; Untertei­
nach dessen Tod (1632) Mitvormund und lung in: Melanesien (Neuguinea, Bismarck­
engster Berater der Königin ↑ Christine archipel, Salomoninseln, Neukaledonien,
und Leiter der schwed. Politik im 30-jäh- Loyalty-Inseln, Santa-Cruz-Inseln, Neue
rigen Krieg, gewann 1633 im sog. Heil- Hebriden, Fidschiinseln), Mikronesien
bronner Bund die protestant. süddt. Staa- (Karolinen, Marianen, Marshall-Inseln.
ten für Schweden, trat mit Richelieu in Gilbert-Inseln, Nauru), Polynesien (Sa-
Verbindung (aktiver Eintritt Frankreichs moa-, Tonga-, Tokelau-, Phönix-, Ellice-,
in den Krieg); einer der maßgeblichen Cook-Inseln, Line-Islands, Frz.-Polyne-
Staatsmänner beim Friedensschluss 1648. sien, Iles Wallis, Iles de Horn, Hawaii-In-
Oxford, Stadt an der Themse, Burg von seln, Osterinsel). Vor über 10 000 Jahren:
Wilhelm dem Eroberer erbaut; zweitältes­te altsteinzeitl. Jäger und Sammler; vor ca.
engl. Universität seit 1263, berühmt durch 5 000 Jahren: Bodenbauer, Walzenbeilkul-
die grauen Mönche (Franziskaner), deren tur; ab 1513 Entdeckung einzelner Inseln:
namhafteste Mitglieder Roger Bacon, Duns u. a. 1513 Marianen, 1526 Neuguinea,
Scotus und Wilhelm von Ockham waren; 1567 Salomoninseln, 1606 Neue Hebri-
Pflege der Philosophie, Naturwissenschaft den, 1722 Osterinsel, 1778 Hawaii.

704
Pacht- und Leihgesetz

Pacht- und Leihgesetz (im Paine, Thomas, brit.-amerik. polit. Schrift-

P März 1941 in den Vereinigten


Staaten von Amerika in Kraft
getreten), siehe auch ↑ Leih-
und Pacht­gesetz.
steller, 1737–1809: stellte im Gegensatz zu
Burkes Konservativismus in seiner radi-
kalen Schrift „Menschenrechte“ (1792) in
Verteidigung der Frz. Revolution die These
Paderborn, Stadt und Erzbistum (seit 806) auf, dass jede vererbte Regierungsgewalt
in Westfalen; z. Z. Karls d. Gr. als „Paderae (Erbmonarchie) zu verwerfen sei und die
fontes“ wahrscheinlich Königspfalz, in der Herrschaftsausübung nur den Vertretern
Karl d. Gr. 777 den ersten Reichstag mit des Volkes zustände; 1774–1790 und seit
den Sachsen abhielt; im späten MA Mit- 1802 wieder in den USA, seit 1792 Mit-
glied der ↑ Hanse; 1514–1819 katholische glied des Konvents in Paris.
Universität; 1803 durch den Reichsdepu- Pairs (engl. Peers, von lat. pares, die Glei-
tationshauptschluss an Preußen. chen), in England die Familienhäupter des
Paderewski, Ignaz, poln. Staatsmann und Hochadels (Herzöge, Marquis, Earls, Vis-
Pianist; 1860–1941; leitete 1919–21 als counts, Barone). – Im MA in Frankreich
Ministerpräsident und Außenminister die Vasallen, die nach german. Rechtsanschau-
poln. Staatsgeschäfte, trat 1940 im frz. Exil ung das Privileg hatten, dass nur ihresglei-
für Polen ein. chen über sie zu Gericht sitzen durften.
Padua, röm. Municipium Patavium (röm. Pakistan („Land der Reinen“), unab-
seit 215 v. Chr.); 610 durch Langobarden hängige Republik in Vorderindien; 1947
erobert, 774 diesen durch Karl d. Gr. ent- (gleichzeitig mit der Freigabe durch Groß-
rissen, von Otto d. Gr. zur Freien Stadt er- britannien) Aufteilung ↑ Indiens in die
klärt; 1164 im Lombard. Städtebund, 1222 Ind. Union = Bharat (Hindus) und P. (Mo-
Gründung der Universität (beherrschte im hammedaner). Mitglied des Common-
15. und 16. Jh. die geistige Welt und war wealth; 1954 Beitritt zum Südostasienpakt
lange Mittelpunkt der Auseinandersetzun­ (SEATO), Bündnis mit den USA, 1956
gen zw. der aristotel. Philosophie und den neue Verfassung als „Islam. Republik P.“.
neuzeitl. wiss. Bestrebungen); im 14. Jh. Der seit 1947 schwebende Streit mit In-
unter eigenen Fürsten (Carrara), seit 1405 dien um ↑ Kaschmir 1957 vom Weltsicher-
venezianisch, 1797 durch Franzosen besetzt heitsrat dahin entschieden, dass Kaschmir
und bis 1805 zu Österreich; kam 1866 mit nicht mit Indien vereint wurde; 1958
Venetien endgültig an Italien. Staatsstreich der Armee (Ayub Khan): Be-
Paestum, Ruinenstadt im westl. Unterita- seitigung der nicht mehr arbeitsfähigen
lien am Golf von Salerno; um 530 v. Chr. demokrat. Institutionen und Kampf ge-
gegr., griech., dor. Kolonie „Poseidonia“ gen separatist. Bestrebungen in Ostpakis­
(↑ Großgriechenland); aus der Blütezeit tan. 1969 Rücktritt Ayub Khans unter
u. a. erhalten die Tempel des Poseidon und dem Druck der Opposition und Forde-
der Demeter, die den Sarazenensturm des rung nach Wahlen. Bei den Wahlen 1970
9. Jh. überstanden hatten. erhielt die „Volkspartei“ des ehemaligen
Page, junger Adeliger, der im MA zur Un- Außenministers ↑ Bhutto die Mehrheit der
terweisung in Brauch und Sitte, Zucht und Stimmen in West-P., während die auf Ost-
ritterlichen Formen für mehrere Jahre im P. beschränkte Awami-Liga Scheich ↑ Rah-
persönlichen Dienst an einem fremdem mans hier fast alle Sitze erhielt. Die Forde-
Hof weilte und zu standesgemäßen Aufga- rungen der Awami-Liga nach weitgehender
ben herangezogen wurde; seit dem 30-jäh- Autonomie in Ost-P. führten zu schweren
rigen Krieg sind P. nur noch an Fürstenhö- Unruhen in Ost-P. und dem Einschreiten
fen üblich. von Truppen der Zentralregierung. 1971

705
Palacky

erklärte Ost-P. seine Unabhängigkeit als Volkes“ (1836–1867), vertrat als Politiker
↑ Bangladesch. Die indische Unterstützung nationale und konfessionelle Gleichberech­
Bangladeschs im folgenden Bürgerkrieg tigung aller Glieder des österr. Vielvölker-
führte zum Krieg zw. Indien und P. Nach staates (1848 im Frankfurter Parlament,
der Kapitulation der pakistan. Truppen im 1861 im Herrenhaus Böhmens, 1867 auf
Dez. 1971 Sezession Bangladeschs. 1974 dem Slawenkongress in Moskau).
wurde Bangladesch von P. unter Präsident Paladin (von lat. Palatini, Palastbewoh-
Bhutto anerkannt. 1977 Bhutto durch ner), Angehöriger der Leibwache der
Militärputsch gestürzt. General M. Ziaul oström. Kaiser; Paladine hießen auch die
Haq übernahm die Macht. Bhutto wurde sagenumwobenen Gefolgsleute Karls d. Gr.
der Anstiftung zum Mord angeklagt und (12 nach der Apostelzahl).
zum Tode verurteilt. Trotz zahlreicher Pro- Palais Royal, königl. Palast in Paris, gegen­
teste wurde das Urteil 1979 vollstreckt. über dem Louvre, durch Kardinal Riche-
1988 fiel Ziaul Haq einem Attentat zum lieu erbaut (1629–1634); seit dem Tod
Opfer. Die noch von ihm in Aussicht ge- Lud­wigs XIII. im Besitz der Linie Orléans;
stellten Wahlen gewann im Nov. 1988 die Philipp von Orléans ließ 1781–1786 den
Pakistan Peoples Party mit Benazir Bhutto Garten mit Arkaden umgeben, in Revolu-
als Kandidatin, die, als gewählte Minister- tionszeiten Treffpunkt der Radikalen.
präsidentin die erste Frau war, die einen Paläoanthropinen, ↑ Paläolithikum.
islamischen Staat regierte (bis 1990, er- Paläografie (griechisch), Hilfswissenschaft
neut 1993–1997), 1990 wurde Mian Na- der Geschichte, befasst sich mit der Ent-
waz Sharif von der „Islamischen Demokra- zifferung, Datierung, Lokalisierung, Echt-
tischen Allianz“ (IDA) neuer Premier des heitskritik der Handschriften und Schrift-
Landes (bis 1993, erneut 1997–1999). So- arten des Altertums und MA.
wohl Indien als auch P. erklärten sich 1998 Paläolithikum (von griech. palaion = alt
zu Atommächten. Im Okt. 1999 Militär- und griechisch-lat. lithicum = Steinzeit),
putsch, General Pervez Musharraf setzte Altsteinzeit nach den in der Hauptsache
die Verfassung außer Kraft und erklärte bearbeiteten und benutzten Steingeräten;
sich zunächst zum „Exekutivchef“, 2001 früheste und längste Epoche der Stein-
zum Staatspräsidenten. 2002 Verfassungs- zeit, mit der ↑ Eiszeit und den Zwischen-
änderung, Ausweitung der Befugnisse des eiszeiten (Warmzeiten) zusammenfallend
Staatspräsidenten (Verlängerung der Amts- und von den nacheiszeitlichen Epochen,
zeit, Präsident darf das Parlament auflösen, dem ↑ Mesolithikum (Mittlere Steinzeit)
„Nationaler Sicherheitsrat“ überwacht die und dem ↑ Neolithikum (Jungsteinzeit),
Regierung). Nach den Wahlen 2002 über- deutlich abgehoben. Im P. entwickelte
gab Musharraf die Regierungsgeschäfte an sich der aus tiermenschlichen Vorformen
die neue Regierung unter Zafarullah Ja- entstammende Mensch vom Urmenschen
mali. Durch die Zusammenarbeit mit den bis zum Jetztmenschen, dem Homo sa-
USA im Kampf gegen den Terror (P. hatte piens sapiens (ungewiss ist, ob Werkzeug
zuvor das Taliban-Regime unterstützt) ver- benutzende Menschen schon im Tertiär
besserte sich das seit den Nukleartests Ende gelebt haben). Zu Beginn der Eiszeit und
der 1990er Jahre gespannte Verhältnis bei- des P.s ging der Mensch aufrecht, wodurch
der Länder, aber weiterhin bewaffnete Aus­ seine Hände zum Schaffen frei geworden
einandersetzungen in der Kaschmirregion. waren und das Gehirn sich fortentwi-
Palacky, Franz, tschech. Historiker, 1798– ckeln konnte; er trat als intelligentes We-
1876; 1839 böhmischer Landeshistorio- sen mit Ichbewusstsein auf und bewältigte
graf; Verfasser der „Geschichte des tschech. mit Werkzeugen das Leben in meist har-

706
Paläolithikum

ter Umwelt. Die geistige Welt des Eiszeit- u. a. folgende paläolithische Kulturstufen,
menschen wurde erschlossen aus der vom die teils nacheinander, teils miteinander
groben Schlaggerät sich entwickelnden, oder vermischt bestanden, teils auch in das
sich verfeinernden, technisch und for- Mesolithikum und Neolithikum übergrif-
mal ausreichenden Werkzeugherstellung fen: ↑ Abbevillien, Acheuleen, Micoquien,
(Faustkeile, Klingen), aus der Beschaffung Clactonien, Lavalloisien mit Sonderfor-
der Werkzeugstoffe (Feuerstein, Obsidian, men im außereurop. Bereich. 2) Zeit der
Quarz, Quarzit, Basalt) oft von entlegenen Altmenschen (Paläoanthropinen), um
Fundstellen, aus der Nutzung des Feuers, 100 000 bis um 40 000: Epoche der Ne-
aus „klugen“ Jagdmethoden, aus Bestat- andertalervorfahren (u. a. Skelettreste von
tungsformen (Schädelkult, Grabbeigaben), Ehringsdorf bei Weimar, Swanscombe an
Belegen des Schmuckbedürfnisses (Kör- der Themse, Fontechevaude in Frankreich,
perfärbung) und, in der letzten Eiszeit, Berg Karmel in Palästina, Tesik Tas in Us-
ersten Kunstschöpfungen. Der frühes­te bekistan, Saccopastore in Rom, Monte
Mensch bevorzugte See-, Teich- und Fluss­ Circio bei Rom); in den Ostalpen und
ufer als Wohnplätze, haus­te in Gruben, Gebirgen der Schweiz und Frankreichs.
in Höh­leneingängen, unter Felsvorsprün- Kult des Höhlenbären (Bärenbeisetzung in
gen (Abris); er war Jäger auf Groß- und Steinkisten). In der letzten Warmzeit und
Kleinwild (auch Robben), Vögel und Fi- in der ersten Hälfte der letzten Eiszeit lebte
sche und Sammler (Wildfrüchte, Voge- in Mittel-, S-, SO-, O-Europa, im Vorde-
leier, Esswurzeln, Pflanzentriebe u. a.). ren Orient, in Afrika (Blüte der Faustkeil-
– 1) Zeit der Urmenschen (Archanthropi- kultur) und in Ostasien der völlig aufrecht
nen) um 600 000 bis um 100 000 v. Chr.; gehende Neandertaler (erster Fund 1856
früheste bekannte Menschen: in Ostasien: im Abraum einer Höhle im Neandertal
der Pekingmensch (nach dem Fundort bei bei Düsseldorf, bis heute 400 Individuen
Peking, auch China­mensch = Sinanthro- entdeckt); er war Träger der ↑ Mousterien-
pus genannt), Reste von 40 Menschen aus Kultur, durch eine niedrige Stirn, vorsprin-
der Zeit um 500 000 mit zahlreichen gro- gende, knochige Augenwülste und Kinnlo-
ben Steingeräten aus Quarz und Quarzit sigkeit gekennzeichnet, besaß aber das Ge-
und Feuerstellen; ihm verwandt der Java- hirnvolumen des heutigen Menschen; lebte
mensch, um 400 000 (erster fossiler Rest in der Steppe und im Wald, formte Waf-
am ostjav. Fluss Solo, daher auch Solo- fen und Geräte aus Stein, Holz, Knochen,
mensch genannt), mehrere Fundorte, Ge- färbte sich den Körper, barg sich in Erd-
räteherstellung ist anzunehmen, doch bis- höhlen, Wohngruben, unter Felsdächern,
her keine Funde. Beide Urmenschentypen stellte den Tieren mit Schlingen, primi-
mit länglichem Schädel, mächtigen Au- tiven Waffen und Feuerbränden nach;
genwülsten, dicken Schädelknochen, vor- in der Warmzeit Jagd auf Waldelefanten,
stehenden Kiefern; in Europa: der Heidel- wärmeliebende Nashörner, Braunbären,
berger Mensch (Entdeckung 1907 beim Riesenhirsche, Löwen, Wildkatzen; in der
Dorf Mauer an der Elsenz, in der Nähe Kaltzeit (letzte Eiszeit) auf zottige Mam-
Heidelbergs), 500 000–400 000 Jahre alt, mute, wollhaarige Nashörner, Rentiere,
als „erster greifbarer Europäer“ bezeich- Höhlenbären, Wildpferde, Moschusoch-
net, doch bisher keine Spuren seiner Tätig- sen, Eisfüchse; er setzte seine Toten oder
keit. Die folgenden Jahrhunderttausende Schädel von Toten in Gruben oder Stein-
sind menschengeschichtlich noch kaum kammern bei und gab ihnen Werkzeuge
erschlossen. Der Urmensch durchlebte bis und Opfergaben mit. Um 40 000 versch-
in die letzte Zwischeneiszeit (um 100 000) wand der Neandertaler (Ausrottung?) ohne

707
Paläologen

erkennbare Nachkommen und ohne dass Palästina, urspr. Bez. für das Gebiet der
man bis heute weiß, ob er mit anderen Philister; im griech.-lat. Sprachgebrauch für
Menschenrassen Verbindung gehabt hatte. „Hl. Land“ („Land Israel“) der jüd.-christl.
3) Zeit der Jetztmenschen (Neanthropi- Tradition, etwa das Gebiet der Staaten Is-
nen), der Menschen mit ausgebildetem rael und Jordanien (ohne die Wüstenregion
Verstand (homo sapiens diluvialis), Schöp- im NO und SO). Wechselhaftes polit. und
fer der jungpaläolithischen Kulturen ↑ Au- ethnograf. Schicksal, sodass keine präzise
rignacien, Solutréen, Magda­lenien; Vor- territorriale Begrenzung möglich ist. P. ist
herrschen der sorgsam gearbeiteten, mit religiös-nationaler Bezugspunkt der Juden,
Stein geschliffenen oder gehobelten finger- aber es gibt auch einen christl. und islam.
langen Steinklingen als Messer, Harpunen, Anspruch auf die hl. Stätten (insbes. Jeru-
Speerspitzen, Fellschaber, Kratzer, Sägen, salem als „Hl. Stadt“). 1988 wurde von der
zur Bearbeitung von Knochen-, Geweih- PLO der unabhängige Staat Palästina in
und Holzgeräten (Wurf- und Stoßlanzen, den von Israel besetzten Gebieten (Gaza-
Speerschleudern, Schießbogen, Pfeilen); streifen, Westjordanien) ausgerufen. – Die
Bau von festen Häusern und Jagdlagerzel- Vorgeschichte P.s geht in die Anfänge der
ten; Nähkunst mit knöchernen Nähnadeln Faustkeilkultur zurück. In der Antike war
und Sehnen und Lederstreifen; Ausbildung P. Teil des südsyr. Gebiets, dennoch blie-
der Stammeskunst (↑ Eiszeitkunst). Die ben alte Stammesstrukturen bestimmend;
jungpaläolith. Menschen hoben sich deut- so im Süden philistäische Küstenstädte, im
lich vom Neandertaler ab, waren ohne Au- Norden phönik. Städte, im Zentrum die
genwülste, besaßen hohe Stirn, zurücktre- Samaritaner, im Innern Galiläa und Judäa.
tenden Unterkiefer, vorspringendes Kinn; Ca. 445 v. Chr. wurde Jerusalem und Um-
ihr Hirn war ebenso entwickelt wie das des gebung (ein Teil von Judäa) als halbauto-
modernen Menschen; sie waren umher- nomer Tempelstaat vom Perserkönig kon-
schweifende Jäger, lebten im Verband; der stituiert, 301 fiel es an die Ptolemäer, 198–
zeitlich früheste Fund ist der Mensch von 195 an die Seleukiden, 167 nach Bürger-
Steinheim in Württemberg (jedoch ohne krieg und Aufstand der Makkabäer wieder
Kulturreste); bereits entwickelter stellen unter die Kontrolle Jerusalems; 63 eroberte
sich die Menschen von La Chapelle-aux- Pompejus Jerusalem, danach Herodes I.
Saints (Frankreich), Spy (Belgien) und Ba- d. Gr., der Judäa nach NO ausweitete; ab
nolas (Spanien) dar; voll herangebildet tritt 6 n. Chr. unter röm. Prokuratoren; wach-
uns der jungpaläolithische Jetztmensch in sender Gegensatz zw. Juden und Nichtju-
den Funden von Combe Capelle, Grimaldi den, der 66 zum 1. jüd.-röm. Krieg führte
(Kindergrotten), Chancelade und Cro- mit dem Ergebnis einer selbständigen, er-
Magnon (alle in Frankreich), Brünn und weiterten Provinz Judäa; 132–135 unter
Pred­most (Tschechoslowakei), Oberkassel Bar Kochba Änderung des Provinz­namens
(bei Bonn), in der Ofnet-Höhle (Bayern), in Syria Palaestina; im 4. Jh. durch Auf-
in Palästina, China, auf Java, in Afrika, in stieg des Christentums Veränderungen in
Nordostasien und in Nordamerika (↑ Ame- den Bevölkerungsmehrheiten; ab 634 arabi­
rika) entgegen (↑ Mesolithikum). sche Eroberung, sodass Christen und Ju-
Paläologen, letzte byzantin. Kaiserdynas­ den zu Minderheiten wurden; seit 878 war
tie (1261–1453); von Michael VIII. be- P. Teil von Ägypten; 1099 eroberten die
gründet; der letzte P., Konstantin XI., fiel Kreuzfahrer Jerusalem; seit 1291 Mame-
bei der Eroberung Konstantinopels; Ne- luckenherrschaft; nach 1517 Teil des os-
benlinien im Peloponnes bis 1460 und in man. Reiches. Seit 1882 begann die osteu-
Monferrat bis 1533 (↑ Byzantin. Reich). rop. jüd. P.besiedlung; seit 1897 Forderung

708
Palästina

des Zionismus nach einer „öffentl.-rechtl. für die Anerkennung Israels; 1988/89 trat
gesicherten Heimstätte“ in P. für das jüd. die UNO-Vollversammlung für eine inter-
Volk; seit 1905 wachsende jüd. Immigra- nat. Friedenskonferenz ein; 1989 forderte
tion nach P.; nach brit. Eroberung von P. die UNO alle 159 Mitgliedsstaaten auf, di­
(1917/18) verstärkte zionist. Aufbauphase plomat., wirtschaftlich und kulturell auf
durch die ↑ Balfour-Deklaration und erster Israel einzuwirken (u. a. Boykott), um die
Widerstand der arab. Bevölkerung. 1922 israel. Haltung zur P.frage zu verändern.
erhielt Großbritannien für P. das Völker- Israel lehnt den Rückzug aus den besetz-
bundmandat; wachsende Spannungen zw. ten Gebieten und Verhandlungen mit der
Arabern und Juden führten 1936–1939 zur PLO ab. 1994 Einführung der palästinens.
bürgerkriegsähnlichen Zuspitzung (wegen Selbstverwaltung im Gazastreifen und in
Forderung nach einem unabhängigen arab. Teilen des Westjordanlandes. Strittig sind
Staat P.). Am 29. Nov. 1947 brachte Groß- v. a. das Rückkehrrecht der palästinens.
britannien die P.frage vor die UNO-Voll- Flüchtlinge und die Teilung Jerusalems.
versammlung: Empfehlung einer Zweitei- Fort- und Rückschritte im Friedensprozess
lung P.s bei wirtsch. Einheit und internatio­ wechseln einander ab. 1999 trotz Vermitt-
nalem Status Jerusalems blieb ohne Wir- lung der USA keine Einigung zw. dem is-
kung. Nach Erlöschen des brit. Mandats rael. Ministerpräs. Barak und Arafat, we-
für P. und Abzug brit. Truppen am 15. Mai nig später Ausbruch der Al-Aksa-Intifada,
1948 Ausrufung des Staates Israel, verbun- Welle von Selbstmordattentaten. Im Juni
den mit dem Beginn einer bis heute unge- 2002 begann Israel im Westjordanland
lösten Flüchtlingsproblematik und der pa- mit dem Bau eines mehrere 100 km langen
lästinens. Befreiungsbewegung (Dachorga- Schutzzauns, dessen Verlauf palästinensi­
nisation ↑ PLO, „Palestine Liberation Orga­ sche Gebietsrechte verletzt. Für Jan. 2003
nization“). 1948/49 1. Israel.-arab. Krieg angesetzte Präsidentschaftswahlen wurden
mit Neuaufteilung der Region (Gebiets- von der Autonomiebehörde abgesagt, da
ausweitung für Israel, Ost-P. an Jordanien, in den besetzten palästinens. Autonomie­
Gazastreifen an Ägypten); dami Vertiefung zonen keine ordnungsgemäße Durchfüh-
der Spannungen in Nahost und Internatio- rung von Wahlen mögl. sei. Im März 2003
nalisierung der P.frage (Ost-West-Konflikt, Schaffung eines Ministerpräsidentenamts,
Suez­krise 1956, Energiekrise 1973, terro­ Arafat ernannte seinen designierten Nach-
rist. Aktivitäten von Teilen der palästinen- folger Mahmud Abbas, der vom Parlament
sischen Befreiungsbewegung in aller Welt). im April mit absoluter Mehrheit zum ersten
Juni 1967 Sechstagekrieg; März 1979 ägyp- palästinensischen Ministerpräsidenten ge-
tisch-israel. Friedensvertrag, der ohne Wir- wählt wurde, trat bereits im Sept. 2003
kung blieb. Seit Dez. 1987 in den besetz- wieder zurück, u. a. wegen des Macht-
ten Gebieten Aufstand der Palästinenser kampfes mit Palästinenserpräsident Arafat.
(Intifada); seit 1988 Deklaration des auto­ Nachfolger wurde Ex-Parlamentspräsident
nomen Staates P. (Hauptstadt Jerusalem) Ahmed Kurei, ein Arafat-Vertrauter. 2003
durch die PLO, der bis 1989 von 80 Staa- Zustimmung Israels zu internat. Friedens-
ten anerkannt wurde. Nachdem J. ↑ Arafat plan, der den Palästinensern einen eigenen,
für die PLO das Existenzrecht Israels ak- unabhängigen Staat zugesteht: Nach dem
zeptiert hatte, kam es zu Gesprächen der von der EU, der UN, Russland und den
USA mit der PLO (seit 1988) trotz israel. USA entworfenen Plan sollen Gewalttaten
Proteste. Die UNO hat in verschiedenen eingestellt und die militär. Präsenz der is-
Resolutionen zur P.frage Stellung bezogen: rael. Armee im Westjordanland sowie im
1967 für einen Gewaltverzicht und 1973 Gazastreifen verringert werden. April 2004

709
Palatin

Plan Israels für – nur teilweisen – Rückzug Staats- und Regierungschef Kuniwo Na-
aus den besetzten Gebieten im Westjordan­ kamura (seit 1993) wurde 1996 im Amt
land, damit Bruch der Friedensvereinbarun­ bestätigt, bemühte sich um ausländ. Inves­
gen, internationale Kritik. Nach dem Tod toren zum ökolog. Ausbau der Tourismus-
Arafats im Nov. 2004 Nachfolger Mahmud branche des hoch verschuldeten Landes.
Abbas; Hoffnung auf neue Verhandlungen Im Jan. 2001 wurde Thomas Remengesau
mit Israel. neuer Staats- und Regierungschef.
Palatin, der am frühesten besiedelte der Palenque, Ruinenstadt der Mayakultur im
„sieben“ Hügel Roms, erlangte Bedeutung Norden des mexikan. Bundesstaats Chia-
durch die von Oktavian Augustus und sei- pas; zw. 300 und 830 bewohnt, enthält be-
nen Nachfolgern errichteten schlossartigen deutende Stuckreliefs sowie die Grabkam-
Bauten; vom Namen des P. abgeleitet die mer des „Tempels der Inschriften“.
Bezeichnung Palast, Palais, Palas (Haupt- Palermo, in der Antike Panormus, von
gebäude der Burg) und Pfalz (Königshof ). Phönikern gegr. und Machnath Chosch-
Palatina (bibliotheca), die von Pfalzgraf bim (Lager der Buntwirker) genannt, im
↑ Ottheinrich begr. Bibliothek in Heidel­ 1. Pun. Krieg umkämpfte Festung der Kar-
berg, 1622 als Geschenk Maximilians von thager, von den Römern erobert und röm.
Bay­ern zum Vatikan; 1816 in ihren dt. Tei- Kolonie; im frühen MA byzantinisch, sara-
len an Heidelberg zurückgegeben (unter zenisch; 1072 von den ↑ Normannen un-
den Handschriften u. a. die Maness. Lie- ter Robert Guiscard erstürmt, Mittelpunkt
derhandschrift, Otfrieds Evangelienbuch). der normann. Herrschaft; seit 1190 im Be-
Palau (Belau), Inselstaat im Pazifik nörd- sitz der Hohenstaufenkaiser und Residenz
lich von Papua-Neuguinea, 1543 entdeckt, Friedrichs II. (1215–1250); nach der Nie-
1696 span., 1899 von Deutschland durch derlage und dem Tod ↑ Manfreds (1266 bei
Kauf von Spanien erworben; ab 1920 jap. Benevent) Einzug der Franzosen unter Karl
Mandat, 1945 unter amerikanischer Treu- von Anjou, 1282 Ort der ↑ Sizilian. Ves-
handschaft. 1978 Votum der Bürger von per und Anschluss P.s an Aragonien; 1676
Palau gegen Beteiligung an der Föderation Seesieg der frz. über die span.-niederländ.
Mikronesien und für Unabhängigkeit. P. Flotte; 1860 von Garibaldi dem ital. Staat
kämpfte lange Jahre um seine volle Souve- einverleibt. In der Kathedrale die Gräber
ränität, v. a. um das Recht, der Protektions- Friedrichs II., Heinrichs VI., der Kaiserin
macht USA die Stationierung von Atom- Konstanze, König Rogers II.
waffen zu untersagen. 1981 erhielt die Re- Palimpsest (griech., wieder abgekratzt und
publik P. innere Autonomie, blieb jedoch dadurch für neue Beschriftung brauchbar).
durch eine Reihe von Verträgen weiterhin Handschrift (Pergament, Papyrus, Papier),
eng an die USA gebunden. 1994 kam es deren urspr. Schrift ausgekratzt, abgewischt
auf amerik. Druck zu einem freien Assozi- wurde, um das Schreibmaterial neu zu ver-
ierungsvertrag mit den USA, damit wurde wenden; mod. Verfahren ermöglichten es
das Land endgültig aus der UN-Treuhand- oft, die Ersttexte wieder lesbar zu machen.
verwaltung entlassen, allerdings um den Palladium (griech.), in der griech. Antike
Preis, dass die Verfassungsbestimmung ein für heilig gehaltenes Schutzbild (meist
über P. als atomwaffenfreie Zone gestrichen der Athene), das die Stadt unbezwingbar
werden musste; die USA blieben weiterhin machen sollte.
für die Verteidigung und Außenpolitik der Pallas, freigelassener Günstling des röm.
Republik zuständig. Im Gegenzug ver- Kaisers Claudius, Finanzmann, förderte
pflichteten sich die USA bis 2009 zu Inves- die Heirat mit Agrippina und die Adoption
titionen in Höhe von 480 Mio. US-Dollar. Neros, der ihn 59 n. Chr. töten ließ.

710
Panama-Kanal

Pallium (lat.), mantelähnl. Oberkleid der Flibustier Henry Morgan zerstört, 1673 an
Römer, in der christl. Kirche Teil des bi- anderer Stelle wieder erbaut; bis 1903 war
schöfl., bes. des erzbischöfl. Ornats, das der das Land P. meist Teil Kolumbiens, seither
Papst verlieh, dreiteiliges, breites Band, mit Republik; 1903 erzwungene Abtretung der
Kreuzen bestickt, das über Schulter und Kanalzone (Exterritorialität) an die USA;
Brust fiel. 1941 Errichtung von Stützpunkten durch
Palm, Johann Philipp, Buchhändler in die USA, die z. T. 1947 wieder geräumt
Nürnberg, 1766–1806; verlegte die Schrift wurden (↑ Panama-Kanal). 1960 wurde
„Deutschland in seiner tiefen Erniedri- P.s nominelle Souveränität anerkannt. Seit
gung“, wurde verhaftet und wegen der Ver- 1960 wiederholt antiamerik. Unruhen,
heimlichung des Verfassers (wahrscheinl. 1968 Sturz der Regierung durch National-
Yelin von Winterhausen) 1806 auf Befehl garde. Diese entwickelte sich immer stärker
Napoleons in Braunau erschossen. zu dem entscheidenden inneren Machtfak-
Palme, Olof, schwed. Politiker, 1927– tor; zw. 1983 und 1988 setzte sie mehrfach
1986; seit 1963 Minister in verschiedenen Staatspräsidenten ab bzw. wieder ein. 1988
Ressorts, 1969–76 Ministerpräsident, seit erzwang General Noriega, verwickelt in
1969 Vorsitzender der Sozialdemokrat. Drogenhandel und Wahlfälschungen, seine
Partei; 1982–86 erneut Ministerpräsident, Wahl zum Staatspräsidenten. Die USA ver-
fiel einem Mordanschlag zum Opfer; ein hängten Sanktionen, die sie mangels Wirk-
der Tat Verdächtiger wurde 1989 nach Pro- samkeit wieder zurückzogen. Schließlich
zess freigesprochen. sorgte der militär. Einsatz der USA in P.
Palmerston, John Temple, Viscount, brit. 1989 für Rücktritt und Verhaftung Norie-
Politiker, 1784–1865; nahm großen Ein- gas. 1990 Wiederherstellung der Demokra-
fluss auf die Neutralitätserklärung Belgiens tie, 1994 Wahl Ernesto Gonzalez Revillas
(1839); Gegner des Despotismus, spielte zum Präsidenten; sein Nachfolger wurde
eine bedeutende diplomat. Rolle im Krim- 1999 Mireya Moscoso. Im selben Jahr ge-
krieg, im ital. Freiheitskampf und weniger mäß der Vereinbarung von 1977 Rückgabe
glücklich in der dt.-dän. Auseinanderset- des Panama-Kanals und Abzug der US-
zung (1864). Ministerium P.: 1855–1858 Truppen von den Militärstützpunkten.
und 1859–1865. Panama-Erklärung, Vereinbarung zw. den
Palmyra, verkehrswichtige Karawanenstadt südamerik. Staaten und den USA (1939),
in Syrien, Stapelplatz für den Handel nach wonach die Panamazone 300 Seemeilen im
dem Orient, von den Römern im Kampf Umkreis neutralisiert wurde.
gegen die ↑ Parther gefördert; wurde un- Panama-Kanal, 1879 Plan einer Kanalver-
ter ↑ Zenobia zur Hauptstadt eines kurz- bindung zw. Atlantik und Pazifik; Baube-
lebigen, von Rom unabhängigen Groß- ginn schon 1881 unter Ferdinand ↑ Les-
reiches, zu dem zeitweise auch Ägypten ge- seps aufgrund eines durch Lesseps zu nied-
hörte; nach der Niederlage 272 n. Chr. von rig geschätzten Kostenvoranschlags durch
Kaiser Aurelian erobert, nach erneutem eine Aktiengesellschaft; 1889 Einstellung
Aufstand 273 zerstört; neben ↑ Baalbek be- der Arbeit nach Verausgabung von rund
deutendste Ruinenstadt des hellenist. Os- 1400 Mio. Francs und Vollendung von
tens (berühmte Säulenstraße, Agora, Ther- etwa einem Drittel; Bankrott der Aktien-
men, Tempel des Sonnengottes), Grab- gesellschaft, Gerichtsverhandlung gegen
türme und -kammern). Lesseps. Der Kanal wurde nach Abschluss
Panama, 1501 durch Kolumbus entdeckt eines Vertrages zw. den USA, die die Kon-
und bald danach Kolonie in Mittelame- zession sowie das Kanalgebiet erwarben,
rika; 1519 Stadt P. gegr., 1672 durch den und Panama 1903 von den USA bis 1914

711
Panamerika

vollendet. 1936 sicherten sich die USA die dhist., im 2. Jh. hellenobaktr., im 1. Jh. in-
Verteidigung des Kanals, 1951 Bildung der doskytische Herrscher, seit 712 n. Chr. un-
eigenen Kanalzonenregierung. 1978 wurde ter mohammedan.-arab. Herrschaft, 1100–
ein Grundsatzabkommen mit den USA 1186 unter den Ghasnawiden, 1419–1849
über einen neuen Kanalvertrag unterzeich- Herrschaft der Sikhs; 1845–1849 von
net; danach wurde der P.-K. 1999 in die Großbritannien erobert; 1948 Teilgebiet
volle Souveränität Panamas übergeben. ↑ Pakistans (↑ Indien). Der pakistan. Teil
Panamerika, Bestrebungen seit ↑ Bolivar, des P. wurde 1970 zur Provinz Punjab zu-
die süd- und mittelamerik. Staaten und spä- sammengefasst, auf ind. Seite besteht der
ter auch die USA zu gemeinsamem wirtsch. Bundesstaat Punjab.
und polit. Handeln zu einigen. 1. P.-Konfe- Panduren, bewaffnete Leibdiener der Edel-
renz 1889 in Washington (Gründung des leute in Kroatien und Serbien; im 17. und
„Bureaus der amerik. Republiken“ = Pan- 18. Jh. auch Kriegsvolk aus Südungarn in-
amerikan. Union) Teilnehmerstaaten: Ar- nerhalb der österreichischen Armee.
gentinien, Bolivien, Brasilien, Chile, Ko- Panem et circenses (lat., Brot und Spiele,
lumbien, Costa Rica, Ecuador, El Salvador, d. h. freie Getreidezuteilung und Unterhal-
Guatemala, Haiti, Honduras, Mexiko, Ni- tung durch Zirkusspiele), Forderung der
caragua, Panama, Paraguay, Peru, die USA, Massen der Stadt Rom in der späten röm.
Uruguay, Venezuela; weitere Konferenzen Kaiserzeit, später geflügeltes Wort (der röm.
in Mexiko (1901), Rio de Janeiro (1906), Stadtbürger war durch die ­Sklavenwirtschaft
Buenos Aires (1910, „Panamerik. Union“), oft unbeschäftigt und suchte Sensationen).
Santiago de Chile (1923), Havanna (1928, Paneuropa-Konferenz in Berlin 1930, an-
Anerkennung eines urteilsfähigen Schieds- geregt von Briand; Europa-Memorandum
gerichts für inneramerik. Streitfälle), Lima an 26 Staaten; Grundgedanke: Zusammen-
(1938, gemeinsame Abwehr gegen mög- schluss Europas zu einem (föderativen)
liche Angriffe), Panama (1939, Neutralität Staatenbund (↑ Europ. Bewegungen).
sämtlicher amerik. Küstengewässer inner- Panhellenismus, ­ Einigungsbestrebun­gen
halb 300 Seemeilen, Kanada ausgenom- der griechischen Stämme und Völker, ins-
men), Havanna (1940, Stellungnahme bes. im Zeitalter Alexanders d. Gr. (336–
gegen die Achsenmächte), Mexiko (1945, 323 v. Chr.); auch geistige Strömung im
wirtsch. Einheit, jährl. Außenministerkon- Oström. Reich (seit 198 n. Chr.).
ferenz), Chapultepec und Rio de Janeiro Pannonien, röm. Provinz in Illyricum,
(1943, Beistandspakt der amerik. Staaten etwa dem heutigen Niederösterreich und
einschließl. Argentiniens). Konferenz 1948 Ungarn rechts der mittleren Donau ent-
in Bogotá führte zur Gründung der OAS sprechend, urspr. von Illyrern besiedelt,
(↑ Organization of American States), die um 12 v. Chr. von den Römern unterwor-
1954 die Aufgaben der Panamerikanischen fen, um 6 n. Chr. röm. Provinz, 397 unter
Union übernahm. der Herrschaft Alarichs; nach dem Unter-
Panathenäen, größtes und ältestes Fest gang Westroms (476) unter der Herrschaft
Alt-Athens zu Ehren Athener; die klei- der Westgoten und Langobarden (527);
nen P. jährlich, die großen alle 4 Jahre mit seit 568 von den Awaren und um 894 von
Sportspielen und musischen Wettkämpfen, den Ungarn besiedelt.
Aufzügen gefeiert. Panslawismus, Gemeinschaftsbewusstsein
Pandekten, ↑ Corpus Juris Civilis. des „Allslawentums“, geistige, kulturpolit.,
Pandschab („Fünfstromland“; griech. pen- polit., religiöse Bewegung; Ausgangsideen:
tapotamoi, persisch pandschab), nordind. die Kulturphilosophie Herders, die Dich-
Landschaft; im 4. und 3. Jh. v. Chr. bud- tungen des Tschechen Jan Kollar und des

712
Papen

Russen Dostojewski, die Ideen der Slawo- seit Anfang des 16. Jh. nur noch für Spezial­
philen in Russland; Ziel: Vereinheitlichung truppen verwendet (↑ Panzerwagen).
der slaw. Kultur und Vereinigung aller Sla- Panzerwagen (Tank), Panzer, um
wen unter Führung des russ. Zaren. Von 1910/11 von dem österreichischen Of-
Russland polit. aktiviert zur Erreichung fizier Burstyn konstruiertes geländegän-
imperialist. panruss. Ziele: Zugang zum giges, gepanzertes Motorfahrzeug mit ein-
Atlant. Ozean, zum Mittelmeer und Ver- gebautem Geschütz; bis 1916 in England
bindung mit Indien. Auswirkungen: Be- weiterentwickelt und in der Tankschlacht
drohung des Habsburgerreiches, Erhebung von Cambrai (Nov. 1917) erstmals in Mas-
von Serbien und Montenegro (mit Unter- sen eingesetzt; 1918 durch die Amerikaner
stützung Russlands) gegen die türk. Ober- Herstellung in Serienproduktion und seit-
hoheit (russ.-türk. Krieg 1877/78), dro- her eines der entscheidenden Kampfmittel
hender Konflikt zw. Russland und Öster- der modernen Kriegstechnik, besonders in
reich-Großbritannien (bereinigt durch Bis- den großen umfassenden P.-Schlachten des
marck auf dem ↑ Berliner Kongress 1878). 2. ↑ Weltkrieges.
Auseinandersetzung Österreichs mit seinen Paoli, Pasquale, kors. Freiheitsheld, 1726–
slaw. Unterländern (N-Balkan) sowie mit 1807; suchte seit 1755 Korsika von Frank-
Russland. Die Wirkungskraft des P. wurde reich unabhängig zu machen, emigrierte
gehemmt durch die Gegensätze Russland- 1769 nach London.
Polen, Russland-Ukraine. Nach anfäng- Papandreou, 1) P., Andreas, griechischer
licher Ablehnung durch die Sowjetunion Politiker und Wirtschaftswissenschaftler,
Neuentfachung des panslaw. Gedankens 1919–1996; lebte 1940–1960 im Exil in
im 2. Weltkrieg und in der Nachkriegszeit den USA, 1965 Minister für wirtsch. Zu-
(Widerstand v. a. durch Jugoslawien). sammenarbeit in der Regierung seines Va-
Pantheon, 1) mächtiger Kuppelbau in ters Jeorijos P., 1967 nach dem Militär-
Rom, nach einer Inschrift durch Gene- putsch zeitweilig in Haft, danach im Exil;
ral Agrippa, dem Schwiegersohn des Au- gründete 1974 nach dem Sturz der Dikta-
gustus, als Vorhalle zu seinen Thermen er- tur die „Panhellen. Sozialist. Bewegung“, P.
baut, unter Hadrian um 120 n. Chr. Tem- war 1981–1989 sowie 1993–1996 Minis-
pel, der allen Göttern geweiht war; seit terpräsident seines Landes. 2) P., Jeorijos,
609 christl. Kirche Santa Maria Rotonda. griech. Politiker, Vater von 1), 1888–1968;
2) Ehrenhalle in Paris, urspr. als Kirche 1944–45 Ministerpräsident, danach ver-
Sainte-Gene­viève durch Soufflot 1764– schiedentlich Minister, 1963 und 1964/65
1790 erbaut; während der Frz. Revolution Ministerpräsident, 1967 unter Hausarrest.
Begräbnisstätte berühmter Franzosen. Papen, Franz von, dt. Politiker, 1879–
Panthersprung nach Agadir, 1911 Ent- 1969; 1915–1917 Militärattache in USA,
sendung des dt. Kanonenbootes „Panther“ 1918 Generalstabschef in Palästina, 1921–
nach dem marokkan. Hafen Agadir als De- 1932 Landtagsabgeordneter des Zentrums,
monstration gegen ↑ Marokko. 1932 Reichskanzler ohne Unterstützung
Panzer, Harnisch, Teil der Ritterrüstung, des Zentrums, Vertrauensmann Hinden-
die im 13./14. Jh., bes. im 15. Jh. im Ge- burgs, Sturz des Kabinetts Schleicher;
brauch war und den älteren Kettenpanzer 1932/33 Reichskommissar in Preußen,
verdrängte; die Verstärkung der Panzerplat- 1933/34 Vizekanzler, 1934–1938 Gesand-
ten wurde durch die Erhöhung der Durch- ter (Botschafter) in Wien; 1939–1945 Bot-
schlagskraft der Geschosse (zunächst der schafter in Ankara; Angeklagter im Nürn-
Armbrustbolzen) nötig: Panzer-Harnische berger Prozess, freigesprochen (↑ Drittes
erreichten ein Gewicht von 60 bis 90 kg; Reich, Nationalsozialismus).

713
Papier

Papier, nach chin. Überlieferung erstmals Papst (von griech. pappas, Vater; lat. papa),
105 n. Chr. durch den kaiserl. Hofbeamten der Bischof von Rom, nach kath. Auffas-
Ts’ai Lun hergestellt, ins Abendland erst sung als Nachfolger des Apostels ↑ Petrus
1 000 Jahre später über den Orient und Stellvertreter Christi auf Erden und Ober-
N-Afrika gelangt; erste Papiermühle in haupt der Röm.-kath. Kirche, oberste Au-
Deutschland von Ulman Stromer bei Nürn­ torität in Fragen des Glaubens und des
berg errichtet. In Holland seit Ende des kirchl. Rechtes, später auch Landesherr
17. Jh. die Zylindermahlmaschine in Ge- des ↑ Kirchenstaates (dessen Territorialge-
brauch, die als „Holländisch Geschirr“ mit schichte mit der Geschichte des Papsttums
vielen Veränderungen bis heute verwendet als Idee und Institution eng verbunden
wird. Bis Mitte des 19. Jh. waren Hadern war). Der Primat (Vorrang) des Bischofs
(Lumpen) prakt. der einzige P.-Rohstoff, von Rom („Bischof der Bischöfe“) grün-
danach v. a. der durch chem. Aufschluss dete sich auch auf die überragende Rolle
von Holz gewonnene Zellstoff, ferner Alt- Roms als des Mittelpunktes des Imperium
papier, neuerdings auch Chemiefasern. Romanum, fand ersten sichtbaren Aus-
Papiergeld, Kassenscheine oder Bankan- druck, als sich im Jahr 96 die Gemeinde
weisungen mit gesetzl. Zahlungskraft, be- von Korinth an den röm. Bischof mit der
reits von den Karthagern im 4. Jh. v. Chr. Bitte um Klärung in einer Glaubensfrage
verwendet; im MA meist nur Notgeld in wandte (Antwort des Papstes im „Klemen-
belagerten Städten; durch die Frz. Revolu- sbrief“), setzte sich schließlich in einer Jh.
tion (↑ Assignaten) als Zahlungsmittel ein- währenden Auseinandersetzung mit den
geführt, seither im allg. Gebrauch und mehr cäsaropapistischen Ansprüchen der Kaiser
und mehr das Münzgeld ­verdrängend. und den Hoheitsansprüchen der Bischöfe
Papinianus, Aemilius, um 146–212 n. Chr.; (Metropoliten bzw. Patriarchen) von Mai-
einflussreicher Rechtsgelehrter und Berater land, Ravenna, Alexandria, Konstantinopel
der Kaiser ↑ Septimius Severus und ↑ Cara­ und Jerusalem durch; das Konzil von Sar-
calla. 203 Präfekt der Prätorianer, unter dica 343 (unter Papst Julius I.) anerkannte
Caracalla hingerichtet. den Bischof in Rom als oberste Instanz in
Papirius, altröm. patriz. und plebej. Ge- Personalfragen; 445 ließ sich Papst Leo I.
schlecht: 1) P. Cursor, 5 Mal Konsul Roms d. Gr. seine Dekretalien von Kaiser Valen-
und Diktator im Samniterkrieg, um 350– tinian III. als rechtskräftig anerkennen und
270 v. Chr. 2) P. Carpo, Gajus, Freund der entschied 451 auf dem 4. ökumen. Konzil
Gracchen, Volkstribun 131 v. Chr., wurde von Chalcedon den Glaubensstreit (↑ Mo-
129 v. Chr. für den Mörder Scipios d. J. ge- nophysitismus) kraft seiner Autorität unter
halten, gest. 119. 3) P. Carbo, röm. Prätor Berufung auf Petrus. Die kath. Kirche an-
des Jahres 89 v. Chr., Anhänger der Volks- erkennt bis heute 265 rechtmäßige Päpste
partei und Genosse des ↑ Cinna, römischer (vgl. auch ↑ Kath. Kirche).
Konsul der Jahre 85, 84 und 82 v. Chr., Papstwahl, wählbar grundsätzl. jeder Ka-
führte Krieg gegen Sulla, gest. 80 v. Chr. tholik, auch Laien; erstes Wahlgesetz von
Pappenheim, Gottfried Heinrich Graf Symmachus (498–514), wonach Wahlab-
von, kaiserlicher Reitergeneral im 30-jäh- machungen im Einvernehmen mit dem
rigen Krieg, 1594–1632; richtete mit sei- regierenden Papst (Designierung) zu er-
nen Kürassieren, den „Pappenheimern“, in folgen hatten; die Wahl erfolgte urspr. wie
Magdeburg, das er 1631 zus. mit Tilly er- jede Bischofswahl durch Klerus und Volk
stürmte, ein Blutbad an und trieb dadurch (von Rom); seit Konstantin Mitwirkung
Sachsen zum Bündnis mit Schweden; 1632 und Einflussnahme der röm., byzantin.
bei Lützen tödlich verwundet. und später der röm.-dt. Kaiser; dagegen

714
Paraguay

und vor allem gegen die Ansprüche der rö- Polen, den Balkanländern, 1526 Stadtarzt
mischen Adelsgeschlechter Bestrebungen in Basel und Professor, später Arzt in Salz-
zur Ausschaltung der Wahlberechtigung burg, eigenwillige Einzelpersönlichkeit,
der Laien; Nikolaus II., dessen Wahl sich in versuchte Leben und Natur aus sich selbst
Siena unter Verletzung der bisher üblichen zu erklären (einheitlich schaffende Lebens-
Formen vollzog, erließ 1059 ein Wahlde- kraft), sah im Mikrokosmos nur ein Abbild
kret, das nur den ↑ Kardinälen das Wahl- des Makrokosmos (Astrologie): Dreiheit
recht zugestand (der übrige Klerus und das des Menschseins: sichtbarer Elementarleib,
Volk stimmten der erfolgten Wahl lediglich unsichtbarer Astralleib, göttliche Seele. Als
zu); Papst Alexander III. ließ auf dem Late- Arzt wies er der Heilkunst – unter Über-
rankonzil 1179 2/3-Mehrheit als erforder- windung der Lehre ↑ Galens – neue Wege
lich festlegen; 1274 unter Gregor X. wurde (aufgebaut auf den chem. und physikal.
auf dem 2. Konzil von Lyon die Konklave- Grundlagen des Körpers). P. verfasste seine
ordnung erlassen: Wahl außer in Notfällen Hauptschriften und medizin. Vorlesungen
nur im ↑ Konklave unter Ausschaltung je- als erster in dt. Sprache, er wurde in seinem
der Beeinflussung durch die Öffentlich- Denken und in seiner persönl. Haltung
keit; 1904 durch Beseitigung des Veto- Wegbereiter der dt. geistigen Renaissance.
rechts weltl. Fürs­ten (Ablehnung misslie- Paraguay, urspr. das gesamte Gebiet zw.
biger Kandi­daten) durch das Wahldekret La Plata und den Anden; 1515 entdeckt,
Pius’ X., 1945 Papstwahlrecht neu kodifi- 1536/37 durch Spanier unterworfen; seit
ziert durch Pius XII. Wahlberechtigt sind 1586 von Jesuiten missioniert und als theo-
seit 1971 alle Kardinäle, die das 80. Lebens­ krat. Staat (↑ Jesuitenstaat) aufgebaut; 1750
jahr noch nicht vollendet haben. Abtretung eines Teiles an Brasilien, 1787
Papua-Neuguinea, Staat in Ozeanien; ent- Ausweisung der Jesuiten; 1811 selbständig;
stand aus dem ehemal. austral. Territorium 1864–1870 verlustreiche Kriege (500 000
Papua und dem Treuhandgebiet ↑ Neugui- Tote) gegen die Nachbarstaaten Argenti-
nea, erlangte im Sept. 1975 die Unabhän- nien, Brasilien und Uruguay, 1932–1935
gigkeit. Krieg mit Bolivien (↑ Gran-Chaco-Kon-
Papyrus (griechisch), Schreibstoff, herge- flikt); 1940 Diktatur, 1947 Bürgerkrieg,
stellt aus dem Mark der schilfartigen Pa- demokrat. Verfassung, seit 1954 autori-
pyrus-Staude, die am Ufer des Nils wächst; täre Militärregierung unter Staatspräsident
wurde einseitig auf waagerecht laufenden Stroessner (Colorado-Partei), 1967 neue
Streifen beschriftet; zum Schreiben diente Verfassung. Außenpolit. enge Anlehnung
ein schräg geschnittener Rohrhalm; im an die USA. Ab 1968 fanden Wahlen statt,
5. Jh. n. Chr. endgültig vom Pergament an denen sich auch Oppositionsparteien
verdrängt; mit der Entzifferung und Erfor- beteiligen, aber nicht durchsetzen konnten.
schung der reichen Funde (bes. aus Ägyp- Bis 1988 war A. Stroessner Staatspräsident.
ten) befasst sich die Wissenschaft der P.- Durch einen Militärputsch gelang es Gene-
Kunde (Papyrologie). ral A. Rodriguez, Stroessner zu stürzen und
Paracelsus, eigtl. Theophrastus Bomba- ins Exil abzuschieben. Rodriguez leitete
stus von Hohenheim (schwäb. Adel), Arzt, Demokratisierung ein. 1992 neue demo-
Botaniker, Chemiker, Theosoph, aus Ma- krat. Verfassung, die u. a. eine unmittelbare
ria Einsiedeln (Schweiz), 1493–1541; Re- Wiederwahl des Staatspräsidenten verbot.
formator der Medizin (Doktorexamen in Bei den ersten demokratischen Wahlen
Ferrara), von hoher eth. Haltung; 1517– 1993 setzte sich die konservative Colo-
1525 Wander- und Lehrjahre in Spanien, rado-Partei erneut gegenüber den anderen
Portugal, Schweden, Preußen, Litauen, Parteien durch, ihr Vertreter Juan Carlos

715
Paris

Wasmosy Monti wurde neuer Staats- und frz. Herrschaft). 3) 1856: Beendigung des
Regierungschef. Seither gewählte Staats- ↑ Krimkrieges gegen Russland. 4) 1898:
präsidenten stets von der Colorado-Partei, Abschluss des ↑ spanisch-amerikanischen
aber weiterhin Unruhen und Widerstand Krieges. 5) 1918–1920: Pariser „Vorort-
gegen die Regierung. verträge“ zw. den Alliierten und Deutsch-
Paris, Hauptstadt und kulturelles Zentrum land (Versailles), Österreich (St. Germain),
Frankreichs an der Seine, benannt nach Ungarn (Trianon), Bulgarien (Neuilly), der
dem kelt. Stamm der Parisier, das alte Lute­ Türkei (Sevres). 6) 1946/1947: Friedens­
tia Parisforum („Stadt im Moor“) der Rö- schlüsse aller Krieg führenden Staaten mit
mer, das Kaiser Julian Apostata 356 n. Chr. Italien, Ungarn, Rumänien, Bulgarien und
zum Mittelpunkt der gall. Provinzverwal- Finnland.
tung ausbaute; Kernzelle der Stadt war die Pariser Verträge, 1955, ↑ Deutschland,
Cité-Insel in der Seine; 486 fränkisch, 507 Bundesrepublik.
Hauptstadt des fränk. Gesamtreiches (spä- Parkes, Sir Henry, austral. Politiker brit.
ter von Neustrien), unter Karl d. Gr. Sitz Herkunft, 1815–1896; ging im Jahr 1839
des Grafen von Paris, im 9. Jh. wiederholt nach Aus­tralien, gründete dort 1850 die
von ↑ Normannen belagert und geplündert radikalliberale Zeitschrift „The Empire“;
(841, 845, 855, 861; 885–886 vergebliche 1872–75, 1878–1882 und 1887–89 Pre-
13-monatige Belagerung). Seit 987 durch mierminister; gilt als einer der Väter des
Hugo Capet zur Hauptstadt Frankreichs Austral. Bundes.
erhoben, um 1200 Entwicklung der Uni- Parlament (von mittellat. parlare, spre-
versität (↑ Sorbonne, in enger Anlehnung chen), die gewählte Volksvertretung, nach
an die Mittelmeerkultur „Mutter der Uni- der Theorie der Gewaltenteilung Träger
versitäten“, geistige Hochburg der Scho- der gesetzgebenden Gewalt (↑ Legislative),
lastik); 1302 Sitz des Parlaments; 1348 zugleich Kontrollorgan der ausführenden
von der Pest heimgesucht; 1420 lieferten Gewalt (der ↑ Exekutive, d. h. der Regie-
die Zünfte die Stadt den Engländern aus, rung und Verwaltung), in parlamentar. Sys­
1429 vergeblicher Angriff ↑ Jeanne d’Arcs, temen (↑ Parlamentarismus) der Exekutive
1436 Eroberung durch ↑ Dunois; um übergeordnet, in extremen Fällen Inhaber
1470 erste Buchdruckerei (aus Deutsch- aller drei Gewalten (d. h. selbst Regierung
land an die Sorbonne verpflichtete Buch- und oberste richterliche Autorität; „parla-
drucker); 1572 Schauplatz der „Bluthoch- mentar. Diktatur“); vielfach in Ober- und
zeit“ (↑ Bartholomäusnacht); 1593 durch Unterhaus (P. im engeren Sinne) gegliedert.
Heinrich IV. belagert; 1622 Erzbistum. Offizielle Bezeichnung nach Ort und Zeit
1789–1795 Mittelpunkt der Frz. Revolu- unterschiedlich: „Reichstag“, „Landtag“, 1.
tion. Großzügiger Ausbau unter Napole- und 2. „Kammer“, „Abgeordnetenhaus“,
on I. bis 1814; 1830 Schauplatz der ↑ Juli- „Reichsrat“, „Bundestag“, „Kongress“,
und 1848 der ↑ Februarrevolution; vom „Cor­tes“, „Storting“, „Duma“, „Knesset“
Sept. 1870 bis Jan. 1871 Belagerung durch u. a. Die Einrichtung des P.s ist neben sei-
die Deutschen und ↑ Kommuneaufstand; ner Aufgabe als Garant der ↑ Menschen-
1940–1944 dt. Besetzung. oder ↑ Grundrechte Hauptbestandteil des
Pariser Frieden, 1) 1763 zw. England, modernen Verfassungsstaates (↑ Konstituti-
Portugal und Frankreich/Spanien: Ende onalismus). Geschichte des P.s eng mit der
des 7-jährigen See- und Kolonialkrieges. Entwicklung der ↑ Demokratie verbunden:
2) 1814 und 1815: Ende des napoleo- Wandlung der „unmittelbaren“ (heute nur
nischen Imperiums. Festlegung der frz. noch in der schweizerischen Landsge-
Grenzen (Elsass-Lothringen blieb unter meinde [Referendum] lebendig) zur „mit-

716
Parlament

telbaren“ Demokratie, d. h. zur Ausübung steigenden Finanzbedarf (daher Einbezie-


der dem Volk zustehenden polit. Rechte hung der Städte als wichtigste Steuerzahler
durch gewählte Vertreter (Repräsentativsy- unerlässlich); schließlich auch Aneignung
stem). Keine gradlinige Entwicklung: Die der bisher vom König ausgehenden Gesetz-
german. Volksversammlung (Entscheidung gebungsinitiative (aus den „Gravamina“ he-
über Krieg und Frieden, über Abänderung raus) und Forderung nach Rechenschafts-
der Volksrechte) wurde im MA nicht von bericht über Verwendung der bewilligten
gewählter Körperschaft als Vertretung al- Gelder (Rechnungslegung). Nach dem 30-
ler Gemeinfreien abgelöst, sondern es jährigen Krieg Absterben dieser Instituti-
entwickelte sich im Zusammenhang mit onen; bei prakt. Souveränität der Reichs-
der Ausbildung des ↑ Lehenswesens und stände war der Reichstag nur ein Schatten-
der ständischen Ordnung die Ständever- gebilde; in den Einzelterritorien Entmach-
sammlung, gebildet aus Vertretern der drei tung der Landstände durch den ↑ Abso-
Stände Adel, Geistlichkeit und Städte; im lutismus (nur in Einzelfällen misslungen,
Rahmen des Gesamtreiches als „Reichs- z. B. in Württemberg, wo die Tradition der
stände“ (= Reichstag) und innerhalb der dt. Ständevertretung noch im 19. Jh. lebendig
Einzelterritorien als „Landstände“ (= Land- war); im 19. Jh. statt (z. T. versuchter) Neu-
tag) bezeichnet, entsprechend in Frank- belebung dieser Körperschaftsvertretungen
reich: ↑ „Etats generaux“ (aus denen sich Schaffung der modernen P.e (bei prakt.
1789 die ↑ Nationalversammlung konsti- gleichen Befugnissen) durch geschriebene
tuierte) und „Etats provinciales“ (dagegen Verfassungen (z. T. kampflos zugestanden,
sind frz. „Parlamente“ Gerichtshöfe, an z. T. in Revolutionen erkämpft) in Anleh-
der Spitze das P. von Paris, das die Gesetze nung an die Ideen (Volkssouveränität usw.)
des Königs zu registrieren hatte, um ih- und Errungenschaften der ↑ Frz. Revo-
nen Rechtskraft zu verleihen, und bes. mit lution und in Übereinstimmung mit den
Ludwig XIV. in schwere Konflikte geriet). Forderungen des ↑ Liberalismus. Entschei-
– Im dt. Ständestaat des MA Wahrung der dender Unterschied zur Ständeversamm-
Rechte und Interessen nur des betroffenen lung: P. jetzt Vertretung des gesamten
Standes (Bauernschaft mit Ausnahme we- Staatsvolkes („freies Mandat“ statt Standes-
niger Landstände daher ohne Vertretung, interessenwahrung), bezirksweise gewählt
ebenso die nicht am Stadtregiment betei- von polit. grundsätzlich gleichberechtigten
ligten städt. Schichten, z. B. die Zünfte); Staatsbürgern (abgeschwächt z. B. in Preu-
Beratung innerhalb der Stände, Abstim- ßen durch das ↑ Dreiklassenwahlrecht).
mung nach Ständen (also nur 3 Stimmen); Rechte, Befugnisse und Pflichten verfas-
Erweiterung der Befugnisse (über die alt- sungsmäßig garantiert bzw. abgegrenzt.
germ. Volksrechte hinaus) durch das wich- Als letzte Großmacht folgte Russland erst
tige Steuerbewilligungsrecht (Steuern wa- 1905 mit Einrichtung eines P.s (↑ Duma).
ren vorher – in der Zeit der ↑ Naturalwirt- – Abweichend von der festländ. Entwick-
schaft – unbekannt), gekoppelt mit dem lung, bewundert und vielfach nachgeahmt,
Recht auf Beschwerden (= Gravamina) des die Ausgestaltung des P.s in ↑ England, an-
ganzen Standes (Anliegen Einzelner = Pe- knüpfend an das in der ↑ Magna Charta
tition). Gemeinsames Vorgehen aller drei von 1215 verbriefte Widerstandsrecht:
Stände gegen den König (Herzog usw.) ab- neben dem „House of Lords“ (Herren-
geleitet vom Recht auf Widerstand (gegen haus, Vertretung der Großen) das „House
einen Herrscher, der das Recht verletzte). of Commons“ (Haus der Gemeinen), das
Allmähl. auch Recht auf regelmäßige Ein- keine Stände repräsentierte, sondern aus
berufung (Periodizität), begründet durch den gewählten Vertretern der Selbstverwal-

717
Parlamentarischer Rat

tungsbezirke (neben den Städten die Graf- das Budgetrecht beschnitten war, wie im
schaften mit einem unabhängigen Frie- zarist. Russland, bestand nur „Scheinkon-
densrichter an der Spitze – ohne Parallele stitutionalismus“). Nach dem 1. Weltkrieg
auf dem Festland) bestand; setzte gegen Verwirklichung des P. in den meisten de-
das Gottesgnadentum und den Absolutis- mokrat. Staaten Europas, z. B. auch in der
mus der Stuarts (bes. Jakobs I. und Karls I.) Weimarer Republik, doch infolge negativer
siegreich die ↑ Volkssouveränität durch und Auswirkungen (durch häufige Misstrauens-
verwirklichte in der „Glorious Revolution“ anträge keine dauerhafte Regierungsarbeit
von 1688 mit der ↑ „Bill of Rights“ den möglich) nach dem 2. Weltkrieg Sicher-
ersten Verfassungsstaat und das erste parla- heitsklauseln gegen übertrieben häufigen
mentar. System im modernen Sinne. Zum Kabinettswechsel (↑ Grundgesetz). – Nach
wirkungsmächtigsten Künder dieses engl. dem Krieg auch Zusammenarbeit der Par-
Systems als Vorbild und Norm auch für lamentarier verschiedener nationaler Parla-
das europ. Festland wurde ↑ Montesquieu mente, um bestimmte gemeinsame polit.,
(↑ Konstitutionalismus). wirtsch. oder militär. Programme zu ver-
Parlamentarischer Rat, ↑ Deutschland, wirklichen (NATO-Rat, Interparlamenta­r.
Bundesrepublik. Konferenz, Vollversammlung der UN, Be-
Parlamentarismus oder parlamentar. ratende Versammlung des Europarats, Ver-
System: Der P. ist an sich noch nicht mit sammlung der Westeurop. Union, Parla-
dem Bestehen eines ↑ Parlaments gegeben, mentar. Versammlung des Nord. Rates und
sondern nur in den Ländern, in denen die von Benelux, Gemein.Versammlung der
Regierung unmittelbar vom „Vertrauen“ Montanunion, Europ. Parlament u. a.).
des Parlaments abhängig ist und bei einem Parma, Stadt und Provinz in Norditalien;
parlamentar. „Misstrauensvotum“ zurück- Stützpunkt des Lombard. Städtebundes
treten muss (d. h. P. ist nicht wesensgleich im Kampf gegen die Hohenstaufen, seit
mit Demokratie; z. B. in der „Präsidialde- 1512 im Besitz des Kirchenstaates. 1545
mokratie“ der USA starke Stellung des vom als Herzogtum an die Farnese (bis 1731),
Volk in mittelbarer Wahl auf Zeit gewähl- 1735 zu Österreich; 1801 mit Toskana als
ten Präsidenten gegenüber dem Kongress, Königreich Etrurien von Napoleon an die
der Berufung oder Entlassung von Staatsse- span. Bourbonen verliehen. 1815 an Marie
kretären gegen den Willen des Präsidenten Loui­se (Gemahlin Napoleons); 1860 An-
nicht erzwingen kann). – Der klass. P. ist schluss an Sardinien und Bestandteil des
vom engl. parl. System entwickelt, das sich ital. Königreichs.
das Recht der Ministeranklage sicherte, aus Paros, Kykladeninsel im Ägäischen Meer;
dem sich die Verantwortlichkeit der Regie- aus dem Altertum erhalten eine Marmor-
rung (Ministerverantwortlichkeit) gegen- tafel mit Geschichtsdatum (264 v. Chr.),
über dem Parlament entwickelte. In der kulturgeschichtlicher Quelle. 1651 ­Seesieg
Verfassung der dt. Staaten im 19. Jh. war der Venezianer unter Mocenigo über die
die Ministerverantwortlichkeit ebensowe- Türken.
nig verankert wie in der von Bismarck ge- Parr, Katharina, sechste Gemahlin Hein-
prägten Reichsverfassung von 1871 (keine richs VIII. von England, 1509–1548; über-
Reichsminister, Berufung des Reichskanz- lebte als Einzige den König, war bemüht,
lers durch den Kaiser, der Staatssekretäre die harten kirchl. Neuerungen zu mildern.
durch den Kanzler), doch hatten die Par- Parseval, August von, Offizier aus Franken­
lamente durch das Budget­recht einen effi- thal (Pfalz), 1861–1942; konstruierte das
zienten Hebel um eine unliebsame Regie- unstarre Luftschiff und erfand den moder-
rung unter Druck zu setzen (dort, wo auch nen Fesselballon (↑ Luftfahrt).

718
Partei

Partei, organisierter Zusammenschluss von und das mehrheitsfördernde Wahlsystem


Bürgern mit gemeinsamen polit. Vorstel- fast völlig auf die regionale bzw. kom-
lungen über gesellschaftliche Gestaltung munale Ebene begrenzt (Rathaus-P.). Die
zur Erlangung der polit. Herrschaft, ihrer wichtigsten parteipolit. Richtungen gibt es
Behauptung oder Kontrolle; wichtigste im Wesentlichen schon seit dem Vormärz:
Kennzeichen sind Organisationsstruktur, Konservatismus (Beharrungs-P.), Liberalis-
ein hohes Durchsetzungsinteresse in be- mus und Sozialismus (Bewegungs-P.), seit
zug auf programmat. Ziele (P.-Programm, den europ. Revolutionen (1848/49) als P.
Wahlplattform u. a.) und Bereitschaft zur der Rechten, der Mitte (Zentrismus) und
Übernahme staatlicher Leitungsfunktio­nen. der Linken. Mit Herausbildung der Arbei-
Politische P.en im weiteren Sinne gibt es terbewegung entstanden proletar. Arbei-
bereits seit der Antike; das heutige P.wesen ter-P.en (Klassen-P.); als Reaktion auf die
existiert erst mit dem Parlamentarismus; republikan. Bewegungen bildeten sich mo-
im 18. Jh. Tories und Whigs als brit. Frak- narchist. P.en; soziale Degradierung insbes.
tionen, im 19. Jh. nach der Amerik. (1776) des Kleinbürgertums bewirkten militante
und Frz. Revolution (1789) auch in den Interessens-P.en, eine Grundlage faschist.
USA und Europa als Ausdruck bürgerl. Bewegungen; konfessionelle P.en entstan-
Befreiung vom Feudalismus. Es gibt ver- den als Resonanz auf den Liberalismus;
schiedene P.typen: zunächst bei einge- in multinat. Staaten entstanden polit. P.en
schränktem Wahlrecht bürgerl. Honora- nach ethn., regionalen, sprachlichen Merk-
tioren- oder Repräsentations-(Patronage-) malen; im 20. Jh. entstanden mit dem Fort-
P.en, die durch die Parlamentsfraktionen schreiten der wiss.-techn. Revolution und
oder zeitweilige Wahlkomitees bestimmt der Naturzerstörung ökolog. P.en (Grüne
waren (auch WählerP.); im letzten Drit- P.). – Die modernen polit. P.en haben in
tel des 19. Jh. entstand aufgrund wach- der Regel feste organisator. Strukturen (au-
sender Wählermassen die Massen-P., ver- ßer in den USA: offene P.en ohne förm-
bunden mit der Herausbildung bürokrat. liche Mitgliedschaft); sie sind geschlossene
P.organisationen; nach dem 1. Weltkrieg Organisationen (geschlossene P.) mit förm-
Entwicklung zu demokrat. oder totalitären lichem Beitritt, Aktivitäten, Mitgliedsbei-
Integrations-P.en, die durch hohe Mitglie- trägen, Statut (legt die P.strukturen fest),
derzahlen als Mitglieder-P. wirkten und Verpflichtung auf ein P.programm (Pro-
einen starken (bei totalitären Parteien be- gramm-P.) oder auf Plattformen (Platt-
stimmenden) Einfluss auf Leben und Welt- form-P.). Basis-Organisationsformen sind:
anschauung ihrer Mitglieder zu erlangen Komitees (Honoratioren-P.), Ortsvereine
versuchten (Weltanschauungs-P.); in den (demokrat. Integrations-P.), Zellen (Kom-
westl. Staaten seit dem 2. Weltkrieg starke munist. P.) und Milizen (faschist. P.); diese
Tendenz zur Volks-P., bei Minderung der Organisationen sind (in der Bundesrepu-
sozialen Differenzen und Entideologisie- blik Deutschland) im Kreis-, Lande- und
rung; die Volks-P.en streben weiter nach Bundesverband zusammengefasst; obers­
sozial und weltanschaulich gebundenen tes Organ ist der P.tag, dessen Geschäfte
Stammwählern, zugleich aber auch nach vom P.vorstand erledigt werden. Prinzip
dem Wählerpotential konkurrierender P.en; der Willensbildung in der P. ist die inner-
daraus resultiert ein bestimmter Zwang zur parteiliche Demokratie. Die Finanzierung
vorparlamentarischen Integration sich wi- der P. (P.enfinanzierung) geschieht mithilfe
dersprechender wirtschaftl. und sozialer In- von Mitgliedsbeiträgen (Beitrags-P.), Mit-
teressen (Interessenintegrations-P.); kleine gliederspenden (Spenden-P.), außerpartei-
P.en (Splitter-P.) sind durch die Volks-P.en lichen Spenden, öffentlichen Mittel (z. B.

719
Parthenon

Wahlkampfkostenpauschale) und Einnah- Pasargadae, pers. Königsstadt nordöstl.


men aus Vermögen. In der Bundesrepu- von Persepolis, 556 v. Chr. von Kyros gegr.;
blik Deutschland regelt das GG (Art. 21) hier Grabmal ↑ Kyros’ II. (gest. 520).
die staatsrechtliche Stellung der P.ea; sie Pascal, Blaise, frz. Mathematiker, Phy-
wirken bei der „polit. Willensbildung des siker, Philosoph, 1623–1662; baute als
Volkes“ mit, können sich frei gründen; ihre Mathematiker die Kombinationslehre,
evtl. Verfassungswidrigkeit wird durch das die Wahrscheinlichkeitsrechnung und die
Bundesverfassungsgericht festgestellt; über Geometrie aus (Kegelschnitte, Pascalsches
die Finanzen muss öffentlich Rechenschaft Dreieck, Rechenmaschine); als Physiker
abgelegt werden. stellte er Untersuchungen über die Druck-
Parthenon (griech., Jungfrauengemach), fortpflanzung in Flüssigkeiten, über den
Tempel der jungfräulichen Athene auf der Luftdruck (Barometer als Gerät zu Hö-
Akropolis, 447–432 v. Chr. erbaut; im MA henmessungen) an; als Philosoph und re-
Kirche, 1460 Moschee, heute Ruine. ligiöser Schriftsteller dem ↑ Jansenismus
Parthenopeische Republik, 1799 nach der nahestehend; verteidigte aus der Erkennt-
Eroberung Neapels und der Vertreibung nis, dass dem wiss. Forschen Grenzen ge-
des Königs auf Befehl Napoleons errichtet zogen seien und eine rationale Begründung
(benannt nach Parthenope, dem alten Na- des Glaubens nicht möglich sei, den Of-
men von Neapel); nach der Zurückerobe- fenbarungsglauben und die Erfassung der
rung durch die Bourbonenpartei und dem religiösen Wahrheiten durch die „Logik
siegreichen Vordringen der Österreicher in des Herzens“; wandte sich gegen den Wis-
Norditalien im gleichen Jahr aufgehoben. senschaftsbetrieb der theolog. Fakultät der
Parther, nordiran. Volk, aus den nördl. Universität Paris und gegen die Lehrweise
Steppen in den Iran eingebrochene Stämme der Jesuiten; führte seit 1654 ein asket. Le-
(Parner, Daker, vermischt mit Skythen); ben (Mystik).
gründeten unter Arsakes (Dynastie der Ar- Paschalis, Päpste: 1) P. I. (817–824);
sakiden) um 247 v. Chr. im Raum der se- krönte Lothar I. 823 zum Kaiser und fes-
leukid. Satrapie Chorasan ein selbständiges tigte den Kirchenstaat nach Erneuerung
Reich (Partherreich; eigene Zeitrechnung, der Schen­kungsurkunde Pippins. 2) P. II.
sog. parthische Ära ab 247); besetzten 160 (1099–1118); mönch.-asket., weltfremd,
unter Mithradates I. Medien, eroberten unterlag im Kampf mit König Heinrich V.,
141 Babylon; durch den Sieg des Phraates der mit starker Heeresmacht erschien; un-
über Antiochus VII. Sidetes (129 v. Chr.) durchführbarer Lösungsversuch in der In-
ganz Mesopotamien in ihrer Hand (Zu- vestiturfrage, wurde vom König gefangen
sammenbruch des Seleukidenreiches und gesetzt und zum Vertrag von Ponte Mam-
zugleich des Hellenismus im kontinentalen molo (Investiturrecht des Königs hinsicht-
Asien); das Partherreich wurde zum ge- lich der weltlichen Besitzungen durch Ring
fürchteten, stärksten Gegner Roms im Os- und Stab vor der Weihe) gezwungen sowie
ten; Partherkriege: Niederlage des Crassus anschließend zur Kaiserkrönung (1111);
bei Carrhae 53 v. Chr. und des Antonius P II. widerrief 1116 das Investiturprivileg,
36 v. Chr.; unter Tiberius und Trajan (40 musste 1117 zu den ↑ Normannen fliehen
und 114–117 n. Chr.) von den Römern ge- und starb, nach Rom zurückgekehrt, in Be-
schlagen. Ktesiphon 197 n. Chr. von Seve- drängnis (1118).
rus erobert; um 220 n. Chr. Aufstand der Pašic, Nikola, 1846–1926; Hauptvertreter
Neuperser unter Ardaschir und 227 Unter- der großserbischen Einheitsbewegung; seit
werfung des parth. Arsakidenreiches durch 1891 mehrmals serb. bzw. jugoslaw. Minis­
die Sassanidenherrscher. terpräsident.

720
Patriziat

Pasquino, legendärer, da spottsüchtiger Städtebundes im Kampf mit den Staufern


Schuhflicker in Rom, der seine Schmähun­ um die Anerkennung der bürgerlichstädt.
gen in Versform öffentl. anschlug; nach Freiheit (bes. in Mailand und Parma).
ihm wurde die vorwiegend im 16. Jh. übl. Pathet Lao, Bez. für die kommunistisch ge-
Schmähschrift „Pasquill“ genannt. führte laot. Guerillabewegung „Vereinig­te
Passarowitz, Friede von, 1718; beendete Volksfront“; kämpfte ab 1945 erfolgreich
den 2. ↑ Türkenkrieg. gegen die frz. Kolonialmacht; seit 1975 un-
Passau, von den Kelten um 450 v. Chr. als eingeschränkte Kontrolle über Laos, allein
Naturfestung gegr., unter den Römern im bestimmende polit. Kraft (seit Zusammen-
1. Jh. n. Chr. Castellum Boiodorum; seit schluss mit der Volkspartei Bez. Laot. Re-
dem 3. Jh. Kastell Batava (nach der batav. volutionäre Volkspartei, LPRP).
Legion, die nach P. verlegt worden war); Patriarchen (griech., Erzväter), zunächst
erlangte Bedeutung als Bischofssitz (vom die Stammväter des jüd. Volkes (Abraham,
Bistum P. aus wurde die spätere Ostmark Isaak, Jakob), später die Vorsteher des jüd.
bis zur Raab kolonisiert; ↑ Ostkolonisa- Synedrions; in der christl. Kirche hießen
tion) und Hauptumschlagplatz des Salz- anfangs alle Bischöfe P., seit dem 5. Jh.
handels über den „Goldenen Steig“ nach nur die Metropoliten von Rom, Konstan-
Böhmen; kam durch den Reichsdeputa­ tinopel, Alexandria, Antiochia und Jeru-
tionshauptschluss 1803 zu Bayern. salem; der P. von Konstantinopel nannte
Passauer Vertrag, 1552 zw. Ferdinand I. sich seit 587 Ökumen. (Allg.) P. und er-
(als Beauftragtem Karls V.) und dem Kur- hob sich zum Oberhaupt der ↑ Ost-Kirche;
fürsten ↑ Moritz von Sachsen geschlossen; der P. von Rom galt ihm als Oberhaupt der
Moritz, der Kaiser Karl V. bekriegt und zur West-Kirche. Die Bischöfe von Aquileja,
Flucht genötigt hatte, erzwang von Ferdi­ Ravenna und Mailand behielten den Titel
nand das Zugeständnis freier Religionsaus- P. im MA. Das 1589 gegr. Allruss. Patri-
übung der Protestanten bis zum nächsten archat ↑ Moskau wurde 1721 durch Peter
Reichstag; damit war der Weg zum ↑ Augs- d. Gr. in den Hl. Synod umgewandelt mit
burger Religionsfrieden geebnet. dem Zaren als Oberhaupt (1943 Wieder­
Pasteur, Louis, frz. Chemiker und Physio- errichtung des Patriarchats); ↑ Ostkirche.
loge, 1822–1895; seit 1867 an der Pari­ser Patrick (Patricius), Waliser, Missionar Ir-
Sorbonne, deutete 1862 die Gärung durch lands, um 388–461; Patron ↑ Irlands.
die Tätigkeit von Mikroben (Widerlegung Patrimonium Petri (lat., Erbgut des Pet­
der Urzeugung aus dem Schlamm); ent- rus), das von den Päpsten im Namen der
deckte, dass Mikroben durch Erhitzung oströmischen Kaiser verwaltete mittelitalie­
abgetötet werden können (Pasteurisieren) nische Gebiet mit Rom als Mittelpunkt;
und dass die Erreger bestimmter Infek- ↑ Kirchenstaat, ↑ Pippinsche Schenkung.
tionskrankheiten durch künstlich abge- Patristik, ↑ Patrologie.
schwächte Bakterien in ihrer Entfaltung Patriziat (von lateinisch pater, Vater, Vor-
gehindert werden (Erweiterung der Schutz- stand der Familie), der Stand der Patrizier.
impfung auf zahlreiche Krankheiten). Im ant. Rom die Mitglieder der adeli­gen
Pataria, kirchliche Reformbewegeng des Geschlechter (urspr. 300 Familien), dann
11. Jh., benannt nach der Pataria, dem Mai- alle wirkl. frei geborenen Bürger, seit der
länder Trödelmarkt; vertrat die Grundsätze Aufnahme der Plebejer ins römische Bür-
der Bewegung von ↑ Cluny, wurde nach gerrecht eigener Stand. Dem P. waren be-
Entwicklung zur Volkspartei Parteigänge- stimmte Ämter vorbehalten (privatrecht-
rin des Papsttums im ↑ Investiturstreit mit lich waren jedoch die Plebejer ihm gleich-
dem Kaiser; Hauptstütze des Lombard. gestellt). Im dt. MA bezeichneten sich die

721
Patrizius

vornehmen ratsfähigen Geschlechter der auf Rom zum Frieden gezwungen (1557).
Städte selbst als P. im Gegensatz zu und im 3) P. VI., 1897–1978; seit 1963 Papst.
Kampf gegen die Zünfte. Zahlreiche Reisen sollten Frieden und Ver-
Patrizius (lat. patricius), seit Konstantin söhnung in Kirche und Welt dienen: 1964
d. Gr. ein persönlicher, nicht vererbbarer nach Israel und nach Indien, 1968 nach
hoher Ehrentitel; später wurde dem Statt- Südamerika. Enzykliken: 1967 über die so-
halter von Ravenna als dem Vertreter des ziale Frage („Populorum progressio“) und
byzantin. Kaisers der Titel P. verliehen; über den priesterlichen Zölibat, 1968 über
der P. war der Schutzherr Roms. Seit Pip- Fragen der Ehe und Geburtenregelung
pin führten die Frankenkönige als Schutz- („Humanae vitae“).
herren der Päpste den Titel Patrizias, spä- Paul I., 1754–1801; seit 1796 Kaiser von
ter wurde er auf die Kaiser übertragen. Aus Russland, Sohn Katharinas II., unter der
dem Patriziat leiteten die Kaiser das Recht strengen und von Argwohn getragenen Er-
ab, die Papstwahl mit zu bestimmen. ziehung durch seine Mutter zur Verbitte-
Patrologie, Patristik (griech., Vaterlehre), rung und Willkür gebracht; beteiligte sich
histor. Theologie, die sich mit Leben und am 2. Koalitionskrieg gegen Frankreich;
Werk der Kirchenväter beschäftigte (Er- von Gardeoffizieren ermordet.
mittlung der kirchl.Traditionsgrundlagen). Paulskirche, Rundkirchenbau in Frank-
Patron, bei den Römern Schutzherr einer furt/Main, 1833 erbaut; durch Luftan-
Anzahl von ↑ Klienten, meist ein Land be- griffe im 2. Weltkrieg weitgehend zerstört,
sitzender ↑ Patrizier, der eine Reihe von bis 1948 wieder aufgebaut; Tagungsort der
Kleinbauern, Handwerkern u. a. als Ge- ↑ Nationalversammlung von 1848 und Be-
folgsleute unter Schutz nahm. Patronus zeichnung für diese; Eröffnung 18. Mai;
(causae) hieß bei den röm. Gerichten auch bes. Vertreter des Gelehrtenstandes (Arndt,
derjenige, der einen Beklagten vor dem Dahlmann, J. Grimm, Uhland, Döllinger
Tribunal verteidigte. – In der kath. Kirche u. a.); Präsident war Heinrich von Gagern;
Schutzheiliger eines Einzelnen oder einer durch die Nationalversammlung Ausschal-
Kirche, Diözese u. a. tung des Dt. Bundestages, Wahl Erzher-
Patronat (Patronatsrecht), Rechtsbezie- zog Johanns zum Reichsverweser, Erklä-
hung zw. kath. oder ev. Amtskirche und rung der Grundrechte; Freiheit der Person
einem Stifter (Patron) einer Kirche, eines und Gleichheit des Rechtes, Pressefreiheit,
Benefiziums; gilt auch für den Rechts- Religionsfreiheit; Wahl Wilhelms IV. von
nachfolger des Stifters. Wichtigstes Recht Preußen zum erblichen Kaiser, von diesem
des P.s liegt im Vorschlagsrecht des Patrons nicht angenommen.
für die Besetzung des P.s, es ist begründet Paulus (jüd. Name Saulus), Apostel; ge-
im mittelalterl. Eigenkirchenwesen. Das P. boren in der griechischen Stadt Tarsus in
kann so auch von Laien (Laien-P.) ausge- Kilikien, Sohn eines Zelttuchmachers und
übt werden. Heute ist das P. im Allg. auf selbst Zeltmacher, römischer Bürger; Weg-
die subsidiäre Baulast beschränkt. bereiter der christl. Weltkirche, erfasste am
Paul, Päpste: 1) P. III. (Alessandro Farnese) frühesten die Bestimmung des Christen-
(1534–1549); bestätigte 1540 den Orden tums als Weltreligion, indem er sie von
der Jesuiten, eröffnete 1545 das ↑ Tridenti- der jüd. Nationalreligion löste; erkannte
ner Konzil. 2) P. IV. (1555–1559); stiftete in einer göttl. Offenbarung („Damaskus-
den Theatinerorden und gab den ersten In- Erlebnis“) seine Berufung zur Heidenmis-
dex (1559) heraus; im Bündnis mit Frank- sion; erste Missions­fahrt nach Zypern und
reich gegen Philipp II. von Spanien sah er Kleinasien; erreichte auf dem Apostelkon-
sich durch den drohenden Angriff Albas vent, dass die Heidenchristen nicht dem

722
Peel

jüdischen Gesetz unterworfen wurden; barden erobert, 774 in fränk. Hand; 951
danach Missionsarbeit im Westen (Grie- Krönung Ottos I d. Gr. mit der Eisernen
chenland, Korinth, Makedonien, hellenist. Krone; im 12. und 13. Jh. Ghibellinen-
Kerngebiete); in Jerusalem verfolgt und ge- stadt, 1356 mit Mailand vereinigt. 1714 an
fangen, wurde er 61 nach Rom gebracht, Österreich, 1859 an Italien. Schlacht von
aber wieder freigelassen; vermutl. weitere P. zw. Franzosen und Kaiserlichen 1525,
Missionsreisen durch das westl. und östl. Gefangennahme Franz’ I. von Frankreich.
Römerreich; erneut gefangen gesetzt und Päzmäny, Peter, ungar. Kirchenfürst und
in Rom enthauptet. Schriftsteller, 1570–1637; 1587 Jesuit,
Paulus Diaconus, geb. um 730, lango- 1616 Erzbischof von Gran, 1629 Kardinal;
bard. Geschichtsschreiber, lebte am Hof erfolgreicher Führer der Gegenreformation
Karls d. Gr. (782–786), zog sich später in und bemüht um die innere Erneuerung der
das Kloster Monte Cassino zurück; hier kath. Kirche in Ungarn.
schrieb er gelehrte Historienbücher, setzte Pearl Harbor, Kriegshafen auf Hawaii;
die Geschichte des Eutropius als „Historia 7. Dez. 1941 überraschender und vernicht-
Romana“ fort und verfasste Kommentare ender Angriff der Japaner auf die amerik.
zur Regel St. Benedikts; unvollendet blieb Pazifikflotte; 8 Schlachtschiffe, 3 Kreuzer
seine „Historia Langobardorum“. und mehrere leichte Einheiten völlig zer-
Pausanias, 1) P., spartan. Feldherr und stört oder schwer beschädigt, 177 Flug-
Oberbefehlshaber bei Platää 479 v. Chr. zeuge vernichtet, rd. 3 000 amerik. Gefal-
(Sieg über die Perser), ließ sich angebl. auf lene und Verwundete; unmittelbare Folgen:
Verhandlungen mit dem Perserkönig Xer­ Kriegserklärung der USA und Großbritan-
xes ein, wurde abberufen, des Hochverrats niens an Japan, Deutschlands und Italiens
bezichtigt und 471 zum Tode verurteilt an die USA (↑ Weltkrieg, Zweiter).
(lebendig in den Athene-Tempel in Sparta Pedro, Name von Herrschern: 1) P. I.,
eingemauert). 2) P., griech. Reiseschriftstel­ 1798–1834, Sohn König Johanns VI. von
ler, schrieb zw. 160 und 180 n. Chr. Reise- Portugal, 1821 Regent, 1822 Kaiser in Bra-
beschreibungen mit bed. kunst- und kul- silien, dankte 1831 ab, kehrte zurück, ver-
turhistor. Aufschlüssen über Griechenland. drängte seinen Bruder ↑ Miguel und über-
Pavelic, Ante, kroat. Politiker, 1889–1959; nahm die Regentschaft in Portugal als P. IV.
Rechtsanwalt, 1934 an der Ermordung Kö- 2) P. II., 1825–1891, seit 1831 Kaiser von
nig Alexanders I. von Jugoslawien beteiligt, Brasilien, 1889 gestürzt (wegen Aufhebung
dann im italien. Exil, wurde 1941 als auto­ des Sklavenhandels).
ritärer Staatsführer in das selbständig ge- Peel, Robert, brit. Politiker, 1788–1850;
wordene Kroatien zurückgerufen, regierte Fabrikantensohn aus Lancashire, früh in
mithilfe der faschist. Ustascha, floh 1945 der Reihe der herrschenden Torries, Wort-
nach Italien, dann nach Südamerika. führer von Landadel, Geistlichkeit und brit.
Pavesa (Setztartsche), mannshoher, eisen­ Oberschicht in Irland, 1821 Innenmi­nister;
beschlagener Schild, von Schildknappen Reform des Strafgesetzes, gründe­te die brit.
getragen; wurde mit seiner unteren Spitze Sicherheitspolizei (heute volkstüml. nach
in die Erde gerammt; die Schildreihe bil- seinem Vornamen „Bobbies“); gewährte
dete eine durchgehende Schutzwand. den brit. Katholiken Gleichberech­tigung,
Pavia, südl. Mailand, das Ticinum der Rö- begr. die Konservative Partei; nahm 1832
mer, ehemal. Municipium, durch die Hun- im „Manifest von Tamworth“ die Parla-
nen 452 zerstört, fiel 490 an die Ostgoten, mentsreform an; Vorkämpfer für Freihan-
die hier einen Königspalast bauten; 572 del und die Aufhebung der Getreidezölle;
nach dreijähriger Belagerung von Lango- Premierminister 1834/35, 1841–46.

723
Peer

Peer, in Großbritannien Bez. für Angehö- Pelagius, brit. oder irischer Mönch, Grün-
rige des Hochadels; die P.s bilden seit Tei- der der nach ihm benannten Lehre; 410
lung des brit. Parlaments Anfang des 14. Jh. Prediger in Rom und Karthago, gest. um
das Oberhaus und führen den Titel Lord, 420 in Palästina.
mit Erreichen des 21. Lebensjahres hat ein Pelasger, nicht klar zu bestimmende Ur-
P. Sitz und Stimme im Oberhaus; der seit einwohner von Hellas, vermutlich nicht-
1341 geltende eigene Gerichtsstand der P.s indogerman. Abstammung, durch die ein-
bei schweren Verbrechen wurde 1948 ab- gewanderten Hellenen unterworfen und in
geschafft. ihnen aufgegangen.
Peisistratiden, athen. Tyrannengeschlecht Pella, alte Hauptstadt Makedoniens seit
(560–510 v. Chr.); benannt nach seinem König Archelaos (413–399 v. Chr.), Ge-
Be­gründer Peisistratos (560–527), einem burtsort ↑ Alexanders d. Gr.; reiche Resi-
klugen Politiker und Förderer des Handels denz mit prunkvollen Gebäuden, Schatz-
und der Künste; gefolgt von seinen Söhnen kammern und Tempeln; unter röm. Herr-
Hipparchos und Hippias (527–510); Hip- schaft Provinzhauptstadt Nordgriechen-
pias 510 mit Unterstützung der Spartaner lands, früh christianisiert und Bischofssitz,
aus Athen vertrieben, floh zu den Persern im 1. Jh. n. Chr. zerstört (Einzelheiten un-
und bewegte sie zur Einmischung in die bekannt); seit 1957 Ausgrabungen zahl-
griech. Politik (Mitanlass zu den ↑ Perser- reicher Gebäude, z. T. mit schönen Mosa-
kriegen). iken und Säulengängen, zahlreiche Funde
Peking (Beijing), oftmals Hauptstadt chi- von Bronzemünzen und Weihefiguren.
nesischer Reiche; 1215 von den Mongolen Pelopidas, thebanischer Staatsmann und
unter Dschingis Khan erobert; seit Kub- Feldherr, befreite seine Vaterstadt Theben
lai Khan (128(>–1294) bis 1368 Residenz durch Handstreich von der spartan. Herr-
der Mongolendynastie (Yüan-Dynas­tie); schaft 379 v. Chr.; stellte 369 mit ↑ Epami-
1368–1644 Sitz der Ming-Dynastie (Him- nondas den messen. Staat mit Ausschluss
melsaltar 1420, Minggräber), 1644–1911 Spartas wieder her, fiel im Kampf um die
der Mandschus, (Ts’ing-Dynastie); im Vorherrschaft Thebens 364 v. Chr. bei Ky-
↑ Lorchakrieg 1866 von den britisch-frz. noskephalai in Thessalien.
Truppen besetzt (Sommerpalast geplün- Peloponnes, südl. Halbinsel Griechen-
dert und zerstört); 1928 von Tschiang Kai- lands, stark zerklüftet, zu staatl. Sonderbil-
schek genommen, als Hauptstadt vorüber- dungen einladend; Urbevölkerung von den
gehend von ↑ Nanking abgelöst (in dieser Dorern verdrängt; seit dem 7. Jh. v. Chr.
Zeit Peiping genannt); 1937–1945 von Ja- von Spartanern fast ganz unterworfen
pan besetzt; seit 1949 wieder Hauptstadt (↑ Messen. Kriege); Ausgangsgebiet steter
der chin. Volksrepublik. Auseinandersetzungen mit dem Ioniertum;
Pekingmensch, ↑ Paläolithikum. 168 v. Chr. röm.; Einfallsgebiet der Heer-
Pelagianismus, christl. theol. Richtung, züge der Völkerwanderung; Ausbildung
nach ihrem Gründer ↑ Pelagius benannt, kleiner Fürstentümer im MA; seit 1458–
vom hl. Augustinus bekämpft und 431 im 1460 bis auf wenige Küs­tenplätze türk.,
Konzil von Ephesus verdammt; lebte in 1685/99–1718 zu Venedig, seit 1825 türk.
veränderter Form in Gallien weiter (Semi- und später Griechenland eingegliedert.
Pelagianismus) bis ins MA; Grundzüge Peloponnesischer Bund, unter Oberhoheit
sind die Nichtanerkennung der Erbsünde, Spartas um 450 v. Chr. gegr., Gegenmacht
die einseitige Betonung der Willensfreiheit zur athen. Seeherrschaft; 446/445 v. Chr.
des Menschen und die Vervollkommnung Abschluss eines 30-jährigen Friedens (↑ Pe-
durch gute Werke (Askese). rikles, Griechenland).

724
Pergament

Peloponnesischer Krieg, zw. dem Pelo- Indianern, Zuflucht für religiös Verfolgte
ponnesischen Bund und dem ↑ Attischen (bes. die englischen Quäker), starke Ein-
Seebund unter der Führung Athens (431– wanderung aus Deutschland (Mennoniten,
404 v. Chr.); anfangs durch die Einfälle Gründung von Germantown).
und Verwüstungen der Spartaner in Attika Pentapolis (griech., Fünfstädte): 1) im Al-
als Zermürbungskrieg geführt, vorüberge- tertum die 5 griech. Städte in der Barka
hender Friede des ↑ Nikias (421); athen. oder Kyrenaika (Nordafrika), u. a. Cyre­ne,
Fehlaktion der Sizil. Feldzüge (415–413) Apollonia, Berenike. 2) im MA die fünf
unter Alkibiades; Abkommen Spartas mit adriat. Küstenstädte von Rimini bis An-
Persien (↑ Lysander), Athen 404 zur Über- cona, urspr. dem byzant. Exarchat unter-
gabe und zum Eintritt in den spartan. stellt, dann Teil des Kirchenstaates.
Bund gezwungen; Folge des P. K.es war Perdikkas, 1) P. I., König von Makedo-
eine allumfassende Schwächung Griechen- nien, vereinigte um 680 v. Chr. die nord-
lands und seiner politischen, wirtschaft- griech. Stämme und begründete den make­
lichen und kulturellen Grundlagen. don. Staat. 2) P., Vertrauter und Feldherr
Peltasten, ungepanzerte, mit der Pelte, Alexanders d. Gr., nach dem Tod des Kö-
einem mit Leder bezogenen Rundschild, nigs Verweser des Gesamtreiches (323–
und einem 2 m langen Wurfspieß bewaff- 321) und um die Erhaltung der Reichsein-
nete Fußsoldaten, die in Griechenland heit bemüht; im Kampf gegen die Reichs-
im 4. Jh. v. Chr. den Hauptbestandteil des feldherren und Ptolemäus, den Satrapen
Heeres bildeten. von Ägypten, von meuternden Soldaten
Pelusium, im Osten des Nildeltas, Schlach- erstochen.
tenort, wo 525 v. Chr. der ägypt. Pharao Perestroika (russ. für „Umbau“, „Umge-
Psammetich III. den Persern des Königs staltung“), vom sowjet. Staatspräsidenten
Kambyses unterlag; Ende des ägypt. Rei- Michail ↑ Gorbatschow geprägtes poli-
ches, Ägypten wurde pers. Provinz. tisches Schlagwort für Absicht und Ziel-
Penaten, die guten Hausgeister der Rö- setzung der gegenwärtigen Parteiführung,
mer; ihr Heiligtum stand im Atrium meist durch grundlegende Änderungen in Insti-
neben dem Herd oder über einem „ewigen tutionen und Machtapparaten Stil und In-
Licht“; die Penaten wurden durch kleine halte der Politik zu verändern, zu beschleu-
Puppenfiguren dargestellt. Die Staats-P., nigen und durchschaubarer zu machen.
auf die die Beamten den Staatseid leisteten, Pérez, Antonio, span. Politiker, um 1540–
wurden im Tempel der Vesta verehrt. 1611; seit 1568 Sekretär Philipps II., seit
Peninsularkrieg, ↑ Spanien. 1573 Führer der albafeindlichen Friedens-
Penn, William, Gründer Pennsylvaniens, partei, wurde 1578 gestürzt und 1579 ver-
1644–1718; trat als Führer der ↑ Quäker haftet, konnte 1590 nach England fliehen
für seine verfolgten Glaubensgenossen bei und leitete von dort die Propaganda gegen
der Regierung Karls II. von England ein Philipp II.; 1591 erschien sein Hauptwerk
und erhielt 1681 die Erlaubnis zur Grün- „Relaciones“.
dung Pennsylvaniens; setzte die Religions- Pergament, ungegerbte, mit Kalk und Blei-
freiheit durch und trat für Gleichberech- weiß bearbeitete Tierhaut (von Schaf, Kalb
tigung und den Gedanken eines Völker- oder Ziege), benannt nach der Stadt Per-
bundes ein. gamon, die seit der Mitte des 3. Jh. v. Chr.
Pennsylvania, Staat der USA, von Wil- mit diesem Produkt die ägypt. Monopol-
liam ↑ Penn 1681/82 gegründete englische stellung in der Papyrus-Erzeugung brach;
Kolonie mit Glaubensfreiheit für alle Be- seither, bes. im MA, als Schreibstoff ver-
kenntnisse und Toleranz gegenüber den wendet (↑ Papier).

725
Pergamon

Pergamon, altgriech. Stadt in Kleinasien, schaltete den Einfluss des ↑ Areo­pag aus,
frühe Gründung, bedeutend erst nach dem herrschte als Stratege fast monarch.; nach
Tod Alexanders d. Gr.; nach dem Kelten- außen strebte er die Hegemonie Athens
einfall gründete Philhetairos um 280 v. Chr. im Att. Seebund (Bundeskasse nach Athen
das Pergamen. Reich, das bis 133 v. Chr. überführt) an; in fast passiver Kriegführung
seine Selbständigkeit bewahrte, dann ins erreichte er die Beendigung des Krieges
röm. Weltreich eingegliedert wurde; be- mit Sparta und den Abschluss des 30-jäh-
rühmtes hellenist. Kulturzentrum (Perga- rigen „Peri­kleischen Friedens“ (446/45)
men. Bibliothek um 180 v. Chr., zur glei- unter Verzicht auf Hegemonie zu Lande,
chen Zeit Erbauung des Zeusaltars von P., aber Ausbau der Führungsstellung Athens
eines Meisterwerkes der hellenist. Plastik, als See- und Handelsmacht (starke Flotte,
1929 vom P.-Museum in Berlin erworben, Unterordnung der Bundesgenossen); nach
1945 von Berlin nach Moskau verbracht, dem Einfall der Spartaner in Attika (Be-
1958 zurückgegeben). ginn des ↑ Peloponnes. Kriegs 431) zu
Periandros, Tyrann von Korinth (um 627– Lande de­fensiv, Gegenschlag zur See; Aus-
586 v. Chr.), förderte die griech. Kolonisa- bruch der Pest; Demütigung durch polit.
tion im Westen (Sizilien, Kerkyra und il- Gegner; 430 Rücktritt, wieder eingesetzt.
lyr. Küste); unter ihm Blüte des Handels P. starb 429 an der Pest, hatte aber Athen
und der Kultur Korinths; einer der ↑ Sie- für die kommende entscheidende Auseinan­
ben Weisen. dersetzung mit Sparta entsch. gerüstet.
Perikleisches Zeitalter, gekennzeichnet Periöken (griech., Umwohner), Angehö-
durch die Erhebung Athens zur ersten rige der um Sparta siedelnden freien Ge-
Wirtschaftsmacht Griechenlands Mitte meinden, polit. rechtlos, aber persönlich
bis Ende des 5. Jh. v. Chr. und die durch frei, mit freiem Eigentum; militärpflichtig.
Perikles ermöglichte großartige Entfal- Perón, Juan, argentin. Politiker, 1895–
tung von Kunst und Wissenschaft; Aus- 1974; 1943 nach dem Sturz des Präsiden­
bau des heiligen Berges der Akropolis zum ten Castillo wurde P. Kriegs- und Arbeits-
Göttersitz (Parthenon, Erechtheion, Pro- minister, 1946 wurde er als Kandidat der
pyläen, Niketempel, Theseion), Bau des Arbeiterpartei zum Präsidenten gewählt
Odeions (Theaterstätte) und des Lykeions und entwickelte sein umstrittenes Sozial-
(Bildungsstätte für die Jugend); Künstler: programm (Peronismus). 1955 Rücktritt
Phidias, Myron, Polyklet (Bildhauer), Po- und Flucht nach Spanien; durch seine An-
lygnot (Maler), Iktinos, Mnesikles (Bau- hänger behielt P. Einfluss auf die argentin.
meister); Philosophen: Anaxagoras, Pro- Politik und wurde 1973 zum Präsidenten
tagoras; Geschichtsschreiber: Herodot; gewählt, konnte aber seine frühere Macht-
Dichter: Äschylos, Sophokles, Pindar; As- stellung nicht erlangen. Seine Frau Isabel
tronom: Meton; die Bau- und Kunstent- (eigentl. María Estela ) P. wurde 1974 nach
faltung ermöglicht durch kluges Finanzwe- dem Tod ihres Mannes Präsidentin von Ar-
sen (Zölle, Silberbergbau, Goldbergwerke, gentinien. Ihre auf die peronistische Rechte
Bundessteuer). gestützte Politik konnte die wirtsch. und
Perikles, athen. Politiker, 499–429 v. Chr.; sozialen Schwierigkeiten des Landes nicht
Alkmäonide, Schüler bed. Philosophen, bewältigen; 1976 wurde sie durch eine Mi-
aus­gezeichnet in Kriegszügen; gelangte litärjunta gestürzt.
nach ↑ Kimons Tod im Bund mit den Péronne, Festungsstadt an der Somme, ab
Volksmassen an die Spitze des att. Staates 1435 burgund., 1468 Friede von P., den
(↑ Athen), gewann – als glänzender Red- Karl d. Kühne König Ludwig XI. aufzwang,
ner – die Massen für die Staatsgeschäfte, um Flandern vom frz. Einfluss zu befreien.

726
Perser

Persepolis, eine der drei Hauptstädte des gegen Griechenland (Darius und Xerxes I.,
alten Perserreiches, nordöstl. von der heu- 485–465) auf Europa überzugreifen, und
tigen Stadt Schiras gelegen; wurde von durch die darauffolgenden Thronstreitig-
Darius I. um 515 v. Chr. als prunkvolle keiten; 395 Angriffe der Perser auf Milet,
Residenz erbaut, von Alexander d. Gr. Ephesus, Halikarnass, Phokäa und Kolo-
332 v. Chr. als Sühne für das zerstörte phon. Gegenstoß der Griechen gegen die
Athen niedergebrannt, nach den amerik. P. durch den Feldzug ↑ Alexanders d. Gr.
Ausgrabungen der jüngsten Zeit eine der und 331 Eroberung des P.reiches; nach
großartigsten Ruinenstädte. Alexanders Tod Eingliederung in das ma-
Perser (Persien, Iran), indoiran. (indoger- kedon. ↑ Seleukidenreich (Indien bis Mit-
man.) Reitervolk, drang vor der Mitte des telmeer). 247 v. Chr. Losreißen eines Teil-
2. Jt. ins Hochland von Iran östl. des Tigris gebietes: Gründung des nordiran. ↑ Par-
ein, überlagerte die Urbevölkerung und er- therreiches an der Südostküste des Kasp.
richtete als schöpfer. Staatsvolk (Heerkö- Meeres; das Partherreich griff beherrschend
nigtum und Kriegeradel) ein iran. Groß- auf das Zweistromland über und wurde
reich. Auf der Grundlage einer gegen Ende zum großen und gefährlichen Widersacher
der Besiedlungszeit aufkommenden neuen des Römerreiches bis in die röm. Spätzeit;
Religion (↑ Zarathustra, der sich gegen den 224 n. Chr. Sturz der in Parthien herr-
blutigen Opferkult des arischen Lichtgot- schenden Arsakiden durch Ardaschir und
tes Mithras wandte, erbliches Priestertum unter Erneuerung der Lehre Zarathustras
der Magier, religiöses Gesetzbuch: Ave- und Wiederaufleben des Mithraskultes
sta) entwickelte sich eine hohe Kultur; Begründung der ↑ Sassanidenherrschaft
um 600 Vordringen nach Elam und eine (227): zweites pers. Großreich (1. Neupers.
Zeitlang (bis 550) unter Oberherrschaft Reich); nach dem Tod Kaiser Julians ge-
der ebenfalls iran. Meder; mit ihnen zus. lang durch Nachgiebigkeit des Nachfolgers
Angriff auf den Gewaltstaat der Assyrer ↑ Jovianus 363 n. Chr. die Rückgewinnung
und Zerstörung seiner Hauptstadt Ninive von Mesopotamien; 562 50-jähriger Friede
(612). Wechsel der Dynastie von den Me- mit Byzanz, 567 Sieg über die Hunnen
dern auf die Perser; unter König Kyros II. und größte Machtentfaltung bis Klein-
d. Gr., dem Achämeniden (559–529), Ver- asien, Syrien und Nordägypten. Nach der
einigung von Medien und Persien zum Niederlage von Nihawend wurde P. 642
Großpersischen Reich; in den folgenden dem mohammedan. Kalifenreich einge-
Jahren Eingliederung von Lydien (546), gliedert (Ende des Neupers. Reiches der
der griech. Kleinstaaten Kleinasiens (545) Sassaniden). Vom 9.–11. Jh. Höhepunkt
und Babyloniens (nach der Schlacht bei der pers. Kultur; im 11. Jh. von den Sel-
Opis 539); großzügig-tolerante Regierung dschuken und im 13. Jh. von den Horden
(Rückführung der Juden aus der ↑ „Ba- ↑ Dschingis Khans überflutet, seit 1380 im
bylon. Gefangenschaft“); unter Kyros’ Reich ↑ Timurs; 1393–1501 unter Mo-
Nachfolger Kambyses (529–522) Einglie- gulsultanen. – Neuer Aufstieg der P. unter
derung von Phönikien, Zypern, Samos den Satsawiden (1502–1722) im 2. (natio-
und Eroberung Ägyptens (525 Schlacht nalstaatlichen) Neupers. Reich; Übergang
bei Pelusium); Darius I. (521–485) teilte zum schiit. Zweig des Islam (Gegensatz zu
das Reich neu ein (20 Statthalterschaften) den sunnit. Türken); der große Schah Ab-
und erweiterte es bis zum Kaukasus und bas I. (1586–1628) gab dem Reich größten
Indus unter Einschluss von ↑ Gandhara Glanz und machte Isfahan zur blühenden
und Sind. Entscheidende Machteinbuße Hauptstadt; nach seinem Tod Thronfol-
durch den Versuch, in den ↑ Perserkriegen gekampf und Bürgerkriege; 1737–1747

727
Perserkriege

stand P. unter dem erfolgreichen Usurpator der Mündung des Eurymedon (465) und
↑ Nadir Kuli Khan; nach seiner Ermordung bei Salamis auf Zypern (449); 448 ↑ „Kal-
verlor P. sein Ostgebiet ↑ Afghanistan, das liasfriede“: Verzicht Persiens auf die See-
unabhängiges Königreich wurde; 1763 herrschaft im Ägäischen Meer und auf die
brit. Niederlassungen, 1804–1813 Kämpfe Oberhoheit über die Griechenstädte in
gegen die Russen; seit der Mitte des 19. Jh. Kleinasien.
wurde das geschwächte und verarmte P. Perseus, letzter König von Makedonien
Objekt der Interessenkämpfe zw. Russland, (179–168 v. Chr.), Sohn und Nachfolger
Großbritannien und der Türkei; 1907 un- Philipps V., versuchte die makedon. Vor-
ter formeller Zuerkennung der Integrität herrschaft über Griechenland wiederher-
Abgrenzung brit.-russ. Interessensphären zustellen; wurde 168 v. Chr. bei Pydna von
(„Einflusszonen“), im gleichen Jahr er- den Römern besiegt und starb 167 v. Chr.
hielt Persien eine Verfassung. Der Süden in röm. Gefangenschaft.
wurde 1913 von Briten, der Norden von Pertinax, Publius Helvius, 126–193 n. Chr;
Russen besetzt; im 1. Weltkrieg blieb P. unter Commodus Präfekt von Rom und
neutral, war aber weiterhin von brit. und erfolgreicher Heerführer, wurde 193 von
russ. Truppen besetzt; 1917 zog Russland den Prätorianern zum röm. Kaiser erhoben
sich zurück; 1919 folgte Großbritannien. und wenige Monate später von Prätoria-
Bis 1925 herrschte in P. die Dynastie der nern erschlagen
Kadscharen, 1925 Staatsstreich des Kriegs- Pertz, Georg Heinrich, dt. Historiker,
ministers und Führers der nationalen Re- 1795–1876; von Stein mit der Leitung der
formbewegung ↑ Resa Khan Pahlawi, der Herausgabe der ↑ „Monumenta Germaniae
erblicher Schah wurde, 1935 Umbenen- historica“ beauftragt (1823–1875).
nung in ↑ Iran (Arya-Land). Peru, vor der Entdeckung zum hochent-
Perserkriege, die weltgeschichtlich ent­ wickelten monarch. Kulturstaat der ↑ Inka
schei­dungsvollste Auseinandersetzung zw. in Südamerika gehörend; 1531–1533 von
Asien und Europa im Altertum (490– den Spaniern unter ↑ Pizarro erobert und
448 v. Chr.); ausgelöst durch den Ionier­ nach dessen Tod als selbständiges Teilgebiet
aufstand und die Zerstörung der Stadt mit der neu gegr. Hauptstadt Lima in das
Eretria (490) durch die Perser; Abwehr span. Kolonialreich aufgenommen (sehr
des ersten pers. Angriffskrieges durch den ertragreich durch seine Silbergruben); er-
Sieg der Athener unter Miltiades bei Mara- reichte als Vizekönigtum den Vorrang vor
thon (490) und Rückkehr der Perser nach Mexiko (Vizekönig von P. mit Sitz in Lima
Asien; 480 zweiter Perserzug unter Xerxes war Gouverneur aller span. Besitzungen
auf dem Landweg von Norden her; Samm- in Südamerika); 1567 Einverleibung Pa-
lung des griech. Heeres unter dem Schutz namas, 1821 Unabhängigkeitserklärung,
der heldenhaften Verteidigung der Thermo­ 1825 Abtrennung Boliviens, innere Wir-
pylen durch den Spartanerkönig Leonidas, ren, die im Zusammenwirken mit dem
Sieg der von Themistokles erbauten athen. Verlust des Salpeterkrieges gegen Chile
Flotte über die pers. Flotte in der Meer- (1879–1883) den Ruin des Landes herbei-
enge von Salamis (480); Sieg des griech. führten; nur langsame Erholung mithilfe
Landheeres unter Pausanias über die Perser ausländischen Kapitals, Militärdiktaturen,
unter Mardonios bei Platää 479; anschlie- Staatsstreiche, Grenzstreitigkeiten, bes. mit
ßend Angriffskrieg der Griechen: Sieg über Ecuador und Chile; Mitglied der UN und
die Perser bei Mykale (Kleinasien), Errich- der OAS. 1968 führte die Verstaatlichung
tung des 1. ↑ Att. Seebundes (477) unter einer amerikanischen Erdölgesellschaft zu
Führung Athens, Niederlage der Perser an einem Konflikt mit den USA. Die seit 1968

728
Pétain

bestehende Militärregierung bemühte sich der aus dem Orient eingeschleppten P. im


um eine Landreform und um sozialpolit. übervölkerten Athen, Ausbreitung auf ganz
Reformen. 1973 Verstaatlichung der größ- Attika, schwerste Menschenverluste (u. a.
ten amerikanischen Bergbaugesellschaft. P. ↑ Perikles), etwa ein Drittel der gesamten
war und ist ein von sozialpolit. Unruhen att. Bevölkerung; um 170 n. Chr. wütete
tief zerrissenes Land, innenpolit. gekenn- die P. im Osten des Röm. Reiches, im 6. Jh.
zeichnet durch die Kämpfe gegen rechten in Byzanz, um 630 in Persien; erste große
und linken Terror, insbes. gegen die Gue- P.-Epidemien in Europa ab 1347, einge-
rillabewegung „Leuchtender Pfad“ und schleppt aus Ostasien, von Indien aus fast
durch die Wirtschaftspolitik. 1985 gewann alle europ. Länder bis Island erfassend, in 3
die APRA Parlaments- und Präsident- Jahren ein Drittel bis die Hälfte aller Men-
schaftswahlen und stellte seitdem auch den schen dahinraffend (20 bis 30 Mio. Tote),
Präsidenten A. Garcia Perez. April 1990 schwerste Lähmung von Wirtschaft und
Wahlsieg des liberalen Bündnisses „Cam- Verkehr, Pessimismus und Hoffnungslo-
bio 90“ unter Führung des Agrarwissen- sigkeit verbreitend; Neuausbruch zu Be-
schaftlers A. Fujimori. Nach Ankündigung ginn des 16. Jh. (Geißlerzüge, Judenver-
eines rigorosen Sparprogramms zum Ab- folgungen, Totentänze, Pestgelübde), 1630
bau der Staatsverschuldung landesweite P. in Italien, 1665 in London, nach 1720
Proteste, 1992 Auflösung des Parlaments in Frankreich, um 1895 in China und Ja-
und vorübergehende Außer-Kraft-Setzung pan, ab 1896 in ganz Indien (rd. 15 Mio.
der Verfassung, Neuwahlen im Nov. 1992 Tote); im 20. Jh. Abklingen der P.-Epide-
wurden von der Opposition boykottiert. mien durch weltweite sanitäre Schutzmaß-
Im selben Jahr Verhaftung des Führers der nahmen und Entdeckung eines P.-Serums
Guerillaorganisation „Leuchtender Pfad“, (1894); an die schreckliche Pestzeit des
daraufhin neue Terrorwelle. 1993 Verfas- MA erinnern vielfach noch die P.säulen,
sungsänderung: Erweiterung der Macht- P.kreuze, P.altäre und P.spiele (Passions-
befugnisse des Präsidenten. 1995 aufgrund spiele).
der wirtsch. Erfolge (Wachstumsraten von Pestalozzi, Johann Heinrich, Pädagoge
12 %, drast. Senkung der Inflationsrate) aus Zürich, 1746–1827; wirkte als Erzie-
Wiederwahl Fujimoris. Im April 2000 her und Schulgründer in Neuhof, Stans,
trat er (entgegen den Verfassungsbestim- Burgdorf und Iferten; wurde zum Anre-
mungen) erneut zur Wahl an, verfehlte ger vieler sozialpädagog. Bestrebungen des
aber die nötige Mehrheit. Fujimoris Kon- 19. Jh. P. war erfüllt vom tiefen Glauben an
trahent Alejandro Toledo rief daraufhin das Gute im Menschen und an die Kräfte
zum Boykott der Stichwahl auf; nach an- des Volkes, dem er als Menschenfreund vor
haltenden Unruhen und Streiks legte Fuji­ allem helfen wollte; sah in der Familie die
mori schließlich sein Amt nieder (2001 Grundlage persönlicher Entfaltung und in
Mord­anklage und Exil in Japan). Bei Neu- der allg. Menschenbildung die Vorbedin-
wahlen 2001 Sieg A. Toledos. gung für alle Berufsschulung; seine päda-
Pest („Schwarzer Tod“), epidemsich auftre­ gog. Grundsätze fanden dichter. Ausdruck
tende, durch Bazillen übertragene Krank- in dem Erziehungsroman „Lienhard und
heit in versch. Erscheinungsformen (Beu- Gertrud“ (1781).
lenpest und Lungenpest), seit dem Alter- Pétain, Henri Philippe, Marschall von
tum bekannt, meist durch Nagetiere (Rat- Frankreich, 1856–1951; 1916 Verteidiger
ten, Mäuse) übertragen; seit der Antike oft von ↑ Verdun, 1917 Oberbefehlshaber des
wiederkehrende P.-Epidemien; 430 v. Chr. frz. Heeres; 1934 Kriegsminister im Kabi-
während des Kriegs gegen Sparta Ausbruch nett Doumergue und 1940 im Kabinett

729
Peter

Reynaud, Chef der Vichy-Regierung bis westl. Zivilisation, die er nach seiner Rück-
1944, 1944/45 in Deutschland; nach seiner kehr systemat. in Russland einzuführen be-
Rückkehr nach Frankreich wegen Kollabo- gann; siegte im ↑ Nord. Krieg über Schwe-
ration (Zusammenarbeit mit dem Feind) den (Karl XII.) und begründete dadurch
zum Tode verurteilt, starb, zu lebenslängl. die russ. Vormachtstellung im NO Europas
Haft begnadigt, auf der Insel Yeu. mit dem neu errichteten Mittelpunkt Pe-
Peter, Name von Herrschern: Aragonien: tersburg („Fenster nach Europa“); umwäl-
1) P. I. (1094–1104); bekämpfte die Mau- zende Reformen im Innern: Merkantilpoli-
ren. 2) P. II. (1196–1213); besiegte im tik, nach außen Anschluss an den Westen;
Bund mit Alfons VIII. von Kastilien die Gründung von Druckereien, Europäisie-
marokkan. Almohaden unter Mohammed rung der Mode, Errichtung von Schulen,
en-Nasir in der blutigen Schlacht von Na- Einsetzung eines Senats und von 10 Kol-
vas de Tolosa 1212; ergriff in den Albigen­ legien als oberste Regierungsinstanzen,
serkriegen Partei für den Grafen ↑ Rai- Abschaffung des Patriarchats von Moskau
mund VI. von Toulouse und fiel 1213 bei und Bildung des unter seiner Hoheit ste-
Muret. 3) P. III. (1276–1285); nahm teil henden Heiligen Synods (↑ Ostkirche),
am Aufstand der sizilian. Bevölkerung ge- Rechtsanspruch des Herrschers, selbst sei-
gen die Gewaltherrschaft Karls von Anjou nen Nachfolger zu ernennen, Gründung
(↑ Sizilian. Vesper), wurde als Schwieger- der Akademie der Wissenschaften in Pe-
sohn des Staufers Manfred 1282 zum legi- tersburg; territoriale Gewinne waren Liv-
timen König von Sizilien erhoben. – Jugos- land, Ka­relien, Estland, Ingermanland, die
lawien: 4) P. I., 1844–1921; aus dem Haus Provinzen Gilan, Mansanderan, Astrachan
Karadordevic; nach der gewaltsamen Aus- am Kaspischen Meer; sein Ruhm jedoch
tilgung der Dynastie Obrenovic 1903 zum überschattet von despotischen Grausam-
König von Serbien gewählt, schloss sich keiten (Folterung und Hinrichtung sei-
eng an Russland an und gründete 1918 das nes eigenen Sohnes Alexej 1718). 8) P. II.
Königreich Jugoslawien. 5) P. II., 1923– Alexejewitsch, 1715–1730; seit 1727 Zar,
1970; seit 1934 (Tod seines Vaters Alexan- Nachfolger Katharinas I. und letzter Ro-
der durch Attentat) König, bis 1941 vertre- manow in männlicher Linie. 9) P. III. Fjo-
ten durch den Prinzen Paul, floh 1941 nach dorowitsch, 1728–1762; Großneffe Pe-
Palästina und wurde 1945 trotz seines Ein- ters d. Gr., Herzog von Holstein-Gottorp,
spruchs von der Nationalversammlung bei 1742 zum Thronfolger Russlands ernannt,
der Gründung der Republik Jugoslawien vermählte sich 1745 mit Sophie von An-
des Thrones enthoben. – Kastilien: 6) P. I., halt-Zerbst, der späteren Kaiserin Kathari-
der Grausame (1350–1369); kämpfte mit na II.; nach dem Tod seiner Tante Elisabeth
seinem Halbbruder Heinrich (II.) von 1762 Zar, rettete die aussichtslose Position
Trastamare erbittert um die Krone, 1366 Preußens im 7-jährigen Krieg durch sein
vertrieben, von dem „Schwarzen Prinzen“ Bündnis mit Friedrich d. Gr., zog sich aber
(dem engl. Thronfolger Eduard) nach dem die Feindschaft der Altrussen zu, wurde auf
Sieg bei Najera 1367 wieder in den Besitz Veranlassung seiner Gemahlin durch eine
seiner Herrschaft gebracht; nach der Nie- Palastrevolution abgesetzt, gefangen und
derlage bei Montiel (1369) gegen Frank- erdrosselt. – Ungarn: 10) P. von Ungarn
reich von Heinrich getötet. – Russland: (1038–1041 und 1044–1046); Sohn Ma-
7) P. I., der Große 1672–1725; folgte rias (Tochter Stephans d. Hl.) und Otto
1682 seinem Bruder Fjodor III. als Zar, seit Orseolos (Doge von Venedig), wegen sei-
1721 mit dem Titel „Kaiser aller Reußen“; ner Hinneigung zu Italien von den Ungarn
studierte 1697/98 auf Auslandsreisen die vertrieben, floh zu Heinrich III., wurde

730
Petrus

von diesem als Vasall des Reiches wieder Deutschen belagert. – Petersburger Konven­
in Ungarn eingesetzt, 1046 aber von den tion 1868: Vertrag über den Ausschluss der
Ungarn gestürzt und geblendet; Ungarn Verwendung von Sprengstoffen aus Hand-
wurde wieder unabhängiges Königreich. feuerwaffen im Krieg, unterzeichnet von
Peter von Amiens, Eremit und Kreuzzugs- allen europäischen Staaten und den USA.
prediger, 1050–1115; drängte durch seine Peterspfennig, Abgabe an die Kurie, einge-
Schilderung der mohammedan. Christen- führt von dem angelsächs. König Ina (725)
verfolgung in Palästina Papst Urban II. mit dem Zweck, Herbergen für engl. Rom-
zum Aufruf für den Kreuzzug; eilte in reli­ pilger zu schaffen; erneuert durch König
giöser Begeisterung mit bunt zusammen- Äthelwolf (885); seit dem 10. Jh. auch in
gewürfelten Scharen dem Heer Gottfrieds Dänemark und Polen und seit dem 12. Jh.
von Bouillon voraus; erlag mit seiner Heer- in Skandinavien und Island erhoben; abge-
schar den Seldschuken und rettete sich schafft in der Reformation; P. in der heu-
zum Hauptheer. tigen Bedeutung: die seit Pius IX. (1859)
Peter von Castelnau, päpstl. Legat, im eingeführte freiwillige Spende an den Papst
Auftrag des Grafen Raimund von Toulouse zur Finanzierung kirchlicher Aufgaben.
ermordet (1208); sein Tod wurde Anlass Peterwardein, Festung in Südslawien;
zum Interdikt und Kreuzzug gegen die ↑ Al- 1528 türkisch, 1688 von Max Emanuel von
bigenser (Albigenserkriege 1205–1229). Bayern zurückerobert, 1716 nach erneutem
Peters, Carl, dt. Kolonialpolitiker, 1856– Vordringen der Türken Schlacht und Sieg
1918; gründete 1884 die Dt.-Ostafrikan. des österr. Heeres unter Prinz Eugen.
Gesellschaft, die auf seine Initiative ohne Petition of Rights, Forderung des engl.
Unterstützung des Reiches Usagara, Use- Parlaments auf Zustimmungsrecht für Be-
gula, Nguru und Ukami erwarb (1885 als steuerung und auf Abschaffung der „will-
Kolonie Dt.-Ostafrika unter den Schutz kürlichen Verhaftung ohne Angabe des
des Reiches gestellt); wurde 1897 der Re- Grundes“; von Karl I. gegen Bewilligung
gierungsgeschäfte in Ostafrika enthoben, von Kriegsbeihilfen 1628 anerkannt (Decla­
er­fuhr aber 1914 in Deutschland seine ration of Rights).
Rechtfertigung. Petitionsrecht, verfassungsmäßiges Recht
Petersberger Abkommen, am 22. Nov. neuzeitlicher Verfassungsstaaten, das jedem
1949 im Hotel Petersberg bei Königswin- einzelnen Staatsbürger die Möglichkeit ge-
ter geschlossenes Abkommen zw. der Bun- währleistet, mit Bitten oder Beschwerden
desrepublik Deutschland und den Hohen an das Parlament heranzutreten.
Kommissaren der drei westl. Besatzungs- Petra, Hauptstadt des ↑ Nabatäerreiches,
mächte; regelte u. a. die Wiederaufnahme Handelsplatz, bes. für Weihrauch; bedeu-
von Handels- und Konsularbeziehungen tende Ruinenstätte in Südjordanien.
der Bundesrepublik Deutschland mit den Petrus, Apostel, urspr. Simon, Fischer aus
westl. Ländern sowie die Genehmigung Kapharnaum, Jünger Jesu. der ihn Ke-
des Marshallplanabkommens. phas (= griech. Petros, der Fels) nannte;
Petersburg, (ab 1914 Petrograd, 1924– mit Johannes und Jakobus an der Spitze
1991 Leningrad), zweitgrößte Stadt Russ­ der Urgemeinde; Missionsreisen u. a. nach
lands an der Mündung der Newa in die Antiochia, Korinth; mehrmals verhaftet.
Ostsee; 1703 durch Peter d. Gr. gegründet Nach kath. Überlieferung war Petras von
(„Fenster nach Europa“) und in den Newa­ Christus beauftragt, die Herde zu leiten;
sümpfen aufgebaut, bis 1918 Hauptstadt ihm wurde die Schlüsselgewalt übertra-
Russlands, 1917 Schauplatz der Oktober- gen, er galt als der erste Bischof der röm.
revolution; 1941–1943 vergeblich von den Chris­tengemeinde und stand im Papstka-

731
Petrus

tolog der röm. Kirche an erster Stelle (auf Peutinger, Konrad, Humanist und Alter-
diese Überlieferung und die Vererbung sei- tumsforscher aus Augsburg, 1465–1547;
ner Würde auf seine Nachfolger stützte sich mit einer Welserin verheiratet, Stadtschrei-
der Primat-Anspruch der Päpste); P. erlitt ber in Augsburg, viele Jahre Ratssyndikus
nach der Überlieferung unter Nero 64 oder Kaiser Maximilians, geschult in römischer
67 n. Chr. durch Kreuzigung den Märty- Recht und humanist. Gelehrsamkeit; der
rertod. Die Tradition über P. als 1. Bischof Kreis um P. war einer der bedeutendsten
von Rom seit dem 14. Jh. vielfach bestrit- Mittelpunkte der Renaissance in Deutsch-
ten, von den protestant. Kirchen als histor. land; P. sammelte die röm. Inschriften des
nicht beweisbar abgelehnt. Über der über- alten Augsburg; er wurde bekannt durch
lieferten Grabstätte auf einem Friedhof die P.schen Tafeln, 1520 veröffentlicht, die
am Fuß des Vatikanhügels erbaute Kaiser einzig erhaltene Kopie einer röm. Straßen-
Konstantin 324 die älteste, errichteten seit karte, die die Welt von den Brit. Inseln bis
1506 die Päpste die heutige Peterskirche. China abbildet.
Petrus, 1) P., Bischof von Pavia und Kanz- Pfahlbauten, auf Pfahlrosten errichtete
ler Ottos II., 983/984 Papst Johann XIV. Holzhäuser des ↑ Neolithikums und der
2) P. d’Ailly, Kirchenpolitiker, Philosoph Bronzezeit, meist im Wasser stehend zum
aus Nordfrankreich, 1350–1420; Kanzler Schutz gegen Überfälle, wilde Tiere; Vor-
der Universität Paris (1389), 1393 Bischof kommen in der Schweiz, in Österreich,
von Cambrai, 1411 Kardinal; als Philosoph Frankreich, Deutschland; Seepfahlbauten
Anhänger der Nominalisten; Haupt der mit Wällen umgeben im bronzezeitlichen
kath. Reformpartei in Konstanz und Pisa, Italien (↑ Terramare-Kultur).
erfolgreich an der Überwindung des Schis- Pfahlbürger, außerhalb der mittelalter-
mas beteiligt; Verfechter der konziliaren lichen Städte wohnende Bürger, genossen
Idee. 3) P. von Alcantara, 1499–1562; Er- den Schutz der Stadt, unterstanden ihrer
neuerer des Franziskanerordens in Spanien, Gerichtsbarkeit, waren zum Waffendienst
Gründer des Seitenzweiges der Alcan­tariner der Stadt verpflichtet; die Aufnahme bäuer-
(Minoriten mit strengsten Ordensregeln). licher Hinterrassen als P. bedeutete gleich-
4) P. Damiani, ↑ Damiani. 5) P. Lombar- zeitig eine Schmälerung der Herrschafts-
dur, Scholastiker, um 1150, unterbaute die rechte des Adels und der Kirche und wurde
kirchliche Lehre durch Zitate aus den Kir- durch das Fürstengesetz von 1231 (Statu-
chenvätern, sein Sentenzen­werk wurde ein tur in Favorem principum) unterbunden.
vielbenutztes relig. Schulbuch. 6) P. Vene- Pfalz (lat. palatium, Palast); da die meisten
rabilis („Der Ehrwürdige“), 1094–1156; dt. Herrscher des MA keine feste P.esidenz
Klosterreformer, Abt von Cluny, Schrift- unterhielten und ihren Amtssitz und Hof je
steller, Übersetzer des Koran. 7) P. de Vi- nach dem Schwerpunkt der Verwaltungs-
nea, Hofrichter Kaiser Friedrichs II., später arbeit und der polit. Vorgänge (oft auch
auch Reichssiegelbewahrer, 1248 wegen aus Gründen der naturalwirtsch. Finanzie-
Untreue verhaftet; nach Blendung Selbst- rung des Hofwesens) wechselten, dienten
mord. 8) P. Waldus, ↑ Waldenser. zahlreiche königliche und kaiserliche Pfal-
Petschenegen, krieger. türk. Nomaden- zen zur Unterbringung des Hofstaates und
volk, drang von seinem Stammland nördl. der Hofämter; berühmte Pfalzen: Speyer,
des Kasp. Meeres nach Westen vor, vertrieb Worms, Ingelheim, Mainz, Köln, Aachen,
ca. 900 n. Chr. die Ungarn aus Bess­arabien, Frankfurt/Main, Nirwegen, Gelnhausen,
wurde in der Walachei sesshaft, verheerte Quedlinburg, Magdeburg; mit den Pfalzen
um 1059 Thrakien und wurde 1091–1122 waren in der Regel Königsgüter zur Bewirt-
von den Byzantinern völlig aufgerieben. schaftung verbunden (↑ Domänen); mit

732
Pfalzgraf

der Herausbildung der Hausmacht, in de- im ↑ Pfälzer Erbfolgekrieg); seit Karl The-
ren Grenzen sich die dt. Könige und Kaiser odor Regierung der Sulzbacher Linie, die
meist aufhielten, wurden die P.en überflüs- 1777 die Erbschaft der bayer. Linie, die
sig; viele von ihnen wurden Ausgangszellen mit Maximilian Joseph ausgestorben war,
von Stadtgründungen. antrat: Wiedervereinigung der Wittels-
Pfalz am Rhein, Pfalzgrafschaft bzw. Kur- bachschen Lande, die nach Karl Theodors
fürstentum am Mittelrhein; in der Rö- Tod an die Linie Zweibrücken-Birkenfeld
merzeit Teil von Germania superior, dann (Karl August, Max Joseph) kamen. 1803
Teilgebiet des alten Stammesherzogtums wurde die Pfalz von Bayern abgetrennt
Franken, nach dessen Zerfall (939) bes. be- (der rechts­rhein. Teil, die eigentliche „Kur-
vorzugtes Stammgebiet der Salier (Dom zu pfalz“, kam zu Baden und Hessen); durch
Speyer 1030), entwickelte sich im Verein Übereinkunft mit Österreich wurde 1815
mit dem Gebiet der lothring. Pfalzgrafen ein Teil der linksrhein. P. an Bayern zurück­
zur Pfalzgrafschaft bei Rhein unter dem gegeben. Nach dem 1. Weltkrieg bis 1930
Staufer Konrad (1155–1195, Stiefbruder frz. Besatzung; nach 1945 auf Veranlas-
Barbarossas); 1214 durch Friedrich II. an sung Frankreichs zum Regierungsbezirk
die bayer. Wittelsbacher (Ludwig I.) ver- des Landes Rheinland-Pfalz erklärt. – Über
liehen, im Hausvertrag von Pavia (1329) die einzelnen Linien ↑ Wittelsbach.
als selbständiges Fürstentum zus. mit den Pfälzer Erbfolgekrieg (3. Raubkrieg Lud-
nördl. Teilen von Bayern abgetrennt; un- wigs XIV.), 1688–1697; brach aus nach
ter Ruprecht I. 1356 nach Abtretung eines dem Erlöschen der Linie Simmern 1685,
Teiles der Oberpfalz an Böhmen von als Ludwig XIV. für seine Schwägerin Eli-
Karl IV. mit der Kurwürde belehnt; 1410 sabeth Charlotte das Erbe beanspruchte;
Aufteilung des Fürstentums in Pfalz, Neu- 1689 Besetzung und planmäßige Verwüs­
markt, Simmern-Zweibrücken und Mos- tung der Pfalz durch die Franzosen unter
bach; die Kurwürde blieb vorläufig bei Mélac auf Befehl Louvois’; Bildung einer
der Heidelberger Linie (Heidelberg-Kur- Gegenallianz (Kaiser, Reichsfürsten, Spa-
pfalz), einflussreichen Reichsfürsten, die nien, Schweden, England und Holland);
den Aufbau des Landes und die Wissen- nach der Vernichtung der frz. Flotte bei La
schaften förderten und Vermittler wäh- Hogue (1692) Verzicht Ludwigs XIV. auf
rend der Reformationszeit waren; nach die sog. ↑ Reunionen mit Ausnahme des
dem Tod Ott(o)Heinrichs wurde die Linie Elsass einschließlich Straßburgs im Frieden
Simmern führend (1559–1685) Versuch von ↑ Rijswijk 1697.
einer Vereinigung der protest. Mächte ge- Pfalzgraf (lat. Comes palatinus), zuerst
gen Habsburg (Friedrich IV.), Streben nach königlicher oder kaiserlicher Verwalter ei-
der Vormachtstellung ins Deutschland ner ↑ Pfalz (Palatium), später Reichsfürst,
(Friedrich V.) doch Niederlage des „Win- seit den Karolingern Vorsitzer des Königs-
terkönigs“ bei Prag 1620 und Vertreibung gerichts in Abwesenheit des Königs und
aus seinen Erblanden. 1623 Belehnung Vermittler zw. Volk und König, seit Otto
Maximilians I. mit der Kurwürde und der d. Gr. als selbständiger Lebensträger in den
Rhein- und Oberpfalz auf dem Fürsten- Stammesherzogtümern eingesetzt als Ge-
tag zu Regensburg; 1648 Rheinpfalz (ohne gengewicht gegen die Herzöge zur Wah-
Oberpfalz) sowie achte  Kurwürde an Karl rung des fiskal. Interesses des Reiches; im
Ludwig zurückgegeben; 1685–1777 un- 13. Jh. Mitbefugte bei der Königswahl (vor
ter den Kurfürsten der Neuburger und allem P. bei Rhein und P. von Sachsen);
Sulz­bacher Linie; Verwüstung der Pfalz seit dem 13. Jh. entwickelte sich der P. bei
durch die Truppen Ludwigs XIV. (1689 Rhein (früher der P. von Lothringen) zum

733
Pfefferkorn

ersten weltlichen Fürsten des Reiches, der Phaistos, minoische Ruinenstadt im südl.
bei Erledigung des Thrones bis zur Neu- Mittelkreta; war schon im Neolithikum
wahl das Königsamt zu vertreten hatte. besiedelt, besaß seit 1800 v. Chr. einen Pa-
Pfefferkorn, Johannes, dt. Schriftsteller, last, der nach einem Erdbeben 1500 v. Chr.
1469–1523; getaufter Jude, 1505–1521 neu errichtet wurde, die Palastanlage wurde
in Köln tätig, glaubte durch Verdam- nach dem Schema von ↑ Knossos gebaut;
mung und Verbrennung jüd. Bücher und zu den bedeutendsten Funden zählen der
Schriften (außer der Bibel) die Juden zum ↑ Diskos von Phaistos und Keramiken z. T.
Christentum bekehren zu können; ver- auch aus myken. Zeit.
folgte dieses Ziel mit äußerstem Fanatis- Phalanx (griech., Balken), gerade ausge-
mus, geriet mit den Humanisten unter richtete Truppenaufstellung, Schlachtreihe;
Führung ↑ Reuchlins in Streit, verfocht in der Antike das in mehreren Linien hin-
seine Ziele in zahlreichen Streitschriften. tereinander locker aufgestellte Fußvolk; die
Pfennig (Ableitung von Pfanne = pfannen­ gefürchtete makedon. P. Alexanders d. Gr.
förmig, entweder von Schmelzpfanne oder stand in der Linie Mann an Mann dicht
von Pfand), früher Silbermünze (zum Wert gedrängt und ihre ersten Reihen waren mit
von 1/12 Schilling, 1/240 Mark); Abwer- dem Langspieß, der Sarissa, ausgerüstet.
tung im Laufe des Spät-MA (Mitte des Phanarioten, Bezeichnung für die Bewoh-
13. Jh. 1 Mark = 600, Mitte des 14. Jh. = ner meist griech. Herkunft des Stadtteils
960, um 1400 = 1 200 bis 1 400 P.) durch Phanar in Konstantinopel bzw. Istanbul;
geringeres Gewicht und Kupferbeigabe die Oberschicht der P. entwickelte sich aus
(„schwarzer P.“); seit dem 16. Jh. nur noch dem byzantin. Adel und besaß seit dem
Kupferpfenning: 12 P. = 1 Groschen, 288 16. Jh. bedeutende Ämter bei der Hohen
(schwere) bzw. 432 (leichte) P. – 1 Thaler, Pforte; nach Beginn des griech. Freiheits-
jedoch mit landschaftl. Unterschieden. kampfes 1821 verloren die P. an Einfluss.
Pferdmenges, Robert, dt. Bankier und Po- Pharao (ägypt., „Großes Haus“), Königs­
litiker, 1880–1962; 1931–1954 Teilhaber titel im alten Ägypten bis in die röm. Kaiser­
des Bankhauses Salomon Oppenheim jr. zeit; im A. T. stets für die ägypt. Herrscher
in Köln, erhielt 1944 Berufsverbot; 1949 verwandt (↑ Ägypten).
Mitbegründer der CDU im Rheinland, Pharisäer (hebr. peruschim), gesonderte
1949–1962 MdB; Berater und Vertrauter relig.-polit. Partei der Juden ab Ende des
Konrad ↑ Adenauers. 2. Jh. v. Chr., Schriftgelehrte genannt; stan­
Pfründe (aus ahdt. pfruonta = Lebensun- den in relig. und polit. Gegner­schaft zum
terhalt, mittellat. praebenda), ein zur Nutz- jüd. Priestertum, vertraten eine äußerl.
nießung und Sicherung des Einkommens Buchstabenmoral in kleinl. Abhängigkeit
verliehenes Gut oder Recht, das meist mit vom Mosaischen Gesetz, verstrick­ten sich
einem geistlichen Amt verbunden war. in Auseinandersetzungen mit dem sad­duzä.
Pfund, 1) urspr. röm. Gewichtsbez.; ein P. Tempeladel, wurden von Jesus als Heuch-
war 327,45 g schwer, wurde in der karoling. ler entlarvt, nutzten ihren Einfluss auf das
Münzordnung des MA durch sog. Karls- Volk, um seinem Ansehen zu schaden.
pfund ersetzt, entsprach dem Sollgewicht Pharnakes, König des bosporan. Rei-
von 240 Pfennigen. 2) vom Dt. Zollverein ches (63–47 v. Chr.), Sohn des Mithrada­
1857 eingeführtes Einheitenzeichen (metr. tes VI., verriet seinen Vater und erhielt des-
P.); heute gesetzl. nicht mehr zu­lässige Bez. sen Reich durch die Römer, eroberte 48
für ein Gewicht von 500 g. 3) Währungs- Kappadokien, wurde bei Zela (47 v. Chr.)
einheit u. a. in England, Irland, Ägypten, durch Cäsar geschlagen und aus Pontus
Libyen, Sudan, Syrien und der Türkei. vertrieben.

734
Philipp

Pharos, Insel an der Kknob. Nilmün- Philipp, Name von Herrschern. Burgund:
dung; hier wurde unter Ptolemäos Philadel­ 1) Ph. II., der Kühne, Sohn König Jo-
phos II. (285–247 v. Chr.) der Leuchtturm hanns des Guten von Frankreich, 1342–
erbaut, den die Antike zu den 7 Weltwun- 1404; 1363 mit dem Herzogtum Burgund
dern zählte; bestand bis zum 12. Jh. n. Chr. belehnt; vereinte Burgund, Flandern (das
Pharsalos, Ort an der Südgrenze der nord- er durch Heirat erworben hatte), Artois
ostgriech. Landschaft Thessalien, südlich und die Franche-Comte zu einem starken
von Larissa; 48 v. Chr. entscheidender Sieg Pufferstaat zw. Frankreich und Deutsch-
Cäsars über Pompejus. land. 2) Ph. III., der Gute, 1396–1467;
Phidias (griech. Pheidias), bed. griech. Herzog seit 1419, erhob durch geschickte
Bildhauer, Athener, Freund des ↑ Perikles Politik in der Zeit der Auseinandersetzung
und Miterbauer des ↑ Parthenon, um 500– zw. England und Frankreich und durch
431 v. Chr.; in Gold und Elfenbein gearbei- reichen Gebietszuwachs (Hennegau, Bra-
tete Kunstwerke waren der Zeus in Olym- bant, Picardie und Luxemburg) Burgund
pia, die Athene Parthenos im Parthenon zur polit. Großmacht und seinen Hof zum
und in Bronze die Riesenstatue der Athene Mittelpunkt der Kultur von Hochburgund
Promachos (↑ Akropolis); P. wurde ver- („Herbst des MA“). – Hl. Röm. Reich:
dächtigt, bei seiner Arbeit Gold unterschla- 3) Ph. von Schwaben, geb. um 1180 als
gen zu haben, und starb im Gefängnis. jüngster Sohn Friedrich Barbarossas, seit
Philanthropismus (griech., Menschen- 1196 Herzog von Schwaben, ließ sich
freundlichkeit), weltanschaulich-aufklärer., auf Drängen der dt. Fürsten nach Hein-
v. a. pädagog. Richtung des 18. Jh.; 1774 richs VI. Tod 1198 zum dt. König wählen;
von ↑ Basedow in dem in Dessau gegr. Phi- bekämpfte im Bund mit Frankreich den
lanthropinum verwirklicht, richtete die ge- von England unterstützten welfischen Ge-
samte Erziehung auf natürl. und von Ver- genkönig Otto IV., wurde von Papst Inno-
nunft getragene Ausbildung des Menschen zenz III. 1201 gebannt, setzte sich aber ge-
aus (ähnlich der antik-griech. Paideia = har- gen Otto durch; 1208 von dem Pfalzgrafen
mon. Formung des Menschen); Vorrang der ↑ Otto von Wittelsbach aus Privatrache
Erziehung vor der Unterrichtung; Anschau- in Bamberg ermordet (Philipp hatte dem
ungsunterricht, Kindertümlichkeit, Werk- Pfalzgrafen die Hand seiner Tochter ver-
unterricht, Weltbürgertum; der P. lehnte weigert). – Frankreich: 4) Ph. II. August,
kirchl. Bindungen der Erziehung ab. 1165–1223; folgte 1180 seinem Vater
Philhellenen, die Griechenfreunde in ver- Ludwig VII. als König von Frankreich,
schiedenen europ. Ländern, die sich seit nahm 1190 am Kreuzzug teil, siegte im
1825 zur Unterstützung des griechischen Verein mit Friedrich II. 1214 bei ↑ Bou-
Freiheitskampfes gegen die Türken zu- vines über Otto IV. und festigte dadurch
sammenschlossen und ↑ Griechenland mit die Stellung Frankreichs gegenüber Eng-
Geld­zuwendungen, Kriegsmaterial und land, dessen Einfluss auf die Besitzungen
Freiwilligenkorps unterstützten; namhafte in Frankreich (Normandie und Bretagne)
Vertreter: König Ludwig I. von Bayern, der er durch erfolgreichen Kampf gegen Jo-
Dichter Wilhelm Müller (genannt „Grie- hann Ohneland 1203–1208 schon weit-
chenmüller“) und der brit. Dichter Lord gehend ausgeschaltet hatte. 5) Ph. III.,
Byron; das P.korps unter dem württem- der Kühne, 1245–1285; König seit 1270,
berg. General Normann wurde 1826 bei vergrößer­te die capetingische Hausmacht
Missolunghi von den Türken aufgerieben, und begründete die Umgestaltung Frank-
Normann und Byron starben für die Frei- reichs zu einem Einheitsstaat. 6) Ph. IV.,
heit Griechenlands. der Schöne, 1268–1314; König seit 1285,

735
Philipp

brachte das Papsttum in seine Abhängig- dem Oberbefehl über die griech. Streit-
keit durch die erzwungene Übersiedlung kräfte betraut; von seinem Leibwächter
der Päpste nach Avignon („Babylon. Ge- kurz vor Beginn des von ihm vorbereiteten
fangenschaft“), löste nach grausamen Ge- gesamtgriech. Angriffskrieges gegen die Per-
richtsverfahren den Templerorden auf, be- ser ermordet. 11) Ph. V. (221–179 v. Chr.);
mächtigte sich des riesigen Vermögens des Sohn Demetrius’ II., wurde von den Rö-
Ordens und errichtete als erster ein stehen- mern bei Kynoskephalai geschlagen, be-
des königl. Heer als Instrument absoluter vor seine griech.-makedon. Großmacht-
Königsgewalt. 7) Ph. VI., 1293–1350; kam pläne reifen konnten. – Orléans: 12) Ph.
1328 als erster Herrscher der capeting. Sei- Egalité, ↑ Orléans. – Spanien: 13) Ph. II.,
tenlinie der Valois auf den frz. Thron; seine 1527–1598; Sohn Karls V., wie sein Vater
Erhebung wurde von Eduard III. von Eng- 40 Jahre regierend, übernahm 1556 nach
land, der das legitime Anrecht seiner Mut- der Abdankung Karls V. als König Spanien
ter Isabella auf die frz. Thronfolge verfocht, mit den amerik. Kolonien, die Freigraf-
nicht anerkannt; Beginn des ↑ „Hundert- schaft Burgund, die Niederlande, Mailand,
jährigen Krieges“, in der ersten Auseinan­ Neapel; er gewann 1580 Portugal (in Per-
dersetzung unterlag Ph. VI. bei Crecy im sonalunion) dazu, verlor die Niederlande;
Jahr 1346. – Hessen: 8) Ph. I., der Groß- durch frühe Todesfälle seiner Gemahlinnen
mütige, 1504–1567; 1509–1518 Land- vier Mal vermählt: mit Maria von Portugal
graf, kämpfte 1522/23 erfolglos gegen ↑ Si- (1543), Maria Tudor von England (1554),
ckingen, führte 1526 die Reformation in Elisabeth von Frankreich (1559), Anna von
Hessen ein, gründet­e 1527 die Universität Habsburg (1570). P. war Glaubenskämp-
Marburg (erste ev. Hochschule); seine Be- fer für die Erhaltung und Ausdehnung des
mühungen um Vermittlung und Einigung Katholizismus in Spanien gegen den Islam
zw. Luther und Zwingli (Marburger Reli­ (Moriskenkämpfe 1568–1570 unter Don
gionsgespräche 1529) scheiterten; P. schloss Juan d’Austria), im Mittelmeer gegen die
mit den protestantischen Fürsten und Türken („Ewige Liga“; Seesieg bei Lepanto
Reichsstädten den ↑ Schmalkald. Bund; 1571), in den Niederlanden gegen den
geriet nach der Schlacht bei Mühlberg in siegreichen Protestantismus und die Selb-
kaiserliche Haft (1547), wurde 1552 von ständigkeitsbewegung (Entsendung Albas
Moritz von Sachsen befreit und zog sich verstärkte die Opposition; 1581 Abfall der
von der großen Politik zurück; sein Ver- in der ↑ Utrechter Union (1579 vereinig­
hältnis zur Reformation war belastet durch ten Nordprovinzen); in Frankreich gegen
die Doppelehe mit Margarete von der Sale. die Hugenotten („Kath. Liga“), in England
– Kastilien: 9) Ph. I., der Schöne, 1478– gegen Elisabeth I. nach der Hinrichtung
1506, Sohn Maximilians I., Vater Karls V. Maria Stuarts (Entsendung der Armada,
und Ferdinands I., wurde als Gemahl Jo- die 1588 in der Kanalschlacht vernich-
hannas der Wahnsinnigen, der Erbtochter tet wurde; Niedergang der span. Seeherr-
Kastiliens, nach dem Tod Isabellas (1504) schaft). P.s weitgreifende Unternehmungen
König von Kastilien und erwarb dadurch und kostspielige Bauten (Escorial) zerrüt-
Spanien für das Haus Habsburg. – Make- teten die Finanzen Spaniens. 14) Ph. IV.,
donien: 10) Ph. II. (359–336 v. Chr.); Va- 1605–1665; seit 1621 König, Enkel von
ter Alexanders d. Gr., Schöpfer der Groß- 13), überließ die Regierungsgeschäfte sei-
macht ↑ Makedonien, unterwarf Thrakien nem Günstling Olivarez, verstrickte sich in
351/40, wurde nach dem Sieg bei Chairo- Kriege mit den Niederlanden (bis 1648),
nea (338), den er klug und maßvoll unter ohne den Niedergang der span. Macht auf-
Schonung der Besiegten ausnutzte, mit halten zu können. 15) Ph. V., 1683–1746,

736
Philippinen

Enkel Ludwigs XIV. von Frankreich (P. von nach dem span. Kronprinzen Philipp (II.)
Anjou); gelangte 1701 mit Unterstützung benannt und Teil des span. Vizekönigtums
Ludwigs XIV. als erster Herrscher des span. Mexiko wurde; anschließend Christianisie-
Bourbonen-Hauses nach dem Aussterben rung; Ende des 16. Jh. Eroberungsversuche
der span. Habsburger auf den span. Thron, der Holländer, Portugiesen, Chinesen, Ja-
den er erst nach Ausgang des ↑ Span. Erb- paner; 1762–1764 Besetzung durch die
folgekrieges behaupten konnte (1714). Briten; in den 70er Jahren des 19. Jh. Auf-
Philipp von Heinsberg, Erzbischof von stände gegen die span. Kolonialherrschaft,
Köln, gest. 1191; als Parteigänger Rainalds aufständ. Filipinos unterstützten die Ame-
von Dassel 1167 Reichskanzler und dessen rikaner im span.-amerik. Krieg; 1898 Ab-
Nachfolger in Köln, nahm am 5. Romzug tretung der P. an die USA, die ihrerseits
Barbarossas teil, bekämpfte, nach Deutsch- gegen Eingeborenenrebellionen zu kämp-
land zurückgekehrt, Heinrich den Löwen fen hatten; 1916 weitgehende Autonomie
und wurde 1180 Herzog in dem Westteil unter amerik. Oberhoheit; 1941 Angriffs-
des bisherigen Herzogtums Sachsen (West- krieg der Japaner, Besetzung bis Anfang
falen); stellte sich vorübergehend anlässlich 1942 (Fall der letzten P.-Festung Corregi-
des Trierer Bischofsstreites (zwiespältige dor); 1944/45 Rückeroberung durch die
Wahl) an der Spitze einer Fürstenopposi- US-Truppen unter MacArthur („lnsel-
tion auf die päpstliche Seite (1186); später sprung“); 1946 Gewährung der vollen Un-
zuverlässiger Parteigänger des Kaisers. abhängigkeit (Republik); 1954 Mitglied
Philippi, Stadt in Makedonien, nordwest- der ↑ SEATO; militär. Stützpunkt der
lich der Insel Thasos, 358 v. Chr. durch Phi- USA. Der 1965 gewählte Präsident Mar-
lipp II. von Makedonien gegr.; Sieg des Ok- cos verhängte 1972 nach inneren Unruhen
tavian, Antonius und Lepidus über Brutus das Kriegsrecht und ließ sich 1973 nach
und Cassius 42 v. Chr.; 53 n. Chr. gründete manipulierter Volksabstimmung mit un-
der Apostel Paulus hier eine christliche Ge- begrenzten Vollmachten auf unbestimmte
meinde und schrieb 63 n. Chr. den „Brief Zeit wiederwählen. Nach dem Vietnam-
an die Philipper“. krieg außenpolit. stärkere Hinwendung an
Philippika, die Reden des Demosthenes asiat. Nachbarn. Auch nach Verfassungsän-
gegen Philipp II. von Makedonien (vor derungen wurde Marcos 1981 wieder zum
338 v. Chr.); später auch die Reden des Präsidenten gewählt. Der Oppositionsfüh-
↑ Cicero gegen Antonius (nach 44 v. Chr.); rer B. Aquino wurde durch das Militär er-
sprichwörtlich für Kampfreden. mordet, dadurch Verschärfung der innen-
Philippinen, Inselgruppe im Pazifik (Malai. polit. Spannungen. Corazón ↑ Aquino,
Archipel), malai. Bevölkerung ­ vermischt Witwe des ermordeten Oppositionsfüh-
mit ostasiatischen Elementen und Weißen. rers, erklärte sich nach den vorgezogenen
Besiedlung bereits in der Steinzeit durch Wahlen im Feb. 1986 zur Wahlsiegerin,
Pygmäenstämme, die aus Hinterindien ver- nachdem international den Marcos-An-
drängt waren; machtpolit. und kulturelles hängern Wahlbetrug nachgewiesen wer-
Einflussgebiet der großen vorderind. Rei- den konnte. Das Militär stellte sich nach
che (seit dem 6. Jh. n. Chr.); Blütezeit der und nach auf die Seite von C. Aquino. Die
ind. Kultur auf den P. im 12. und 14. Jh.: USA entzogen Marcos die Unterstützung
Anfang 15. Jh. Handels- und Eroberungs- und flogen ihn schließlich außer Landes;
ziel der chin. Ming-Dynastie, Schiffsver- Aquino wurde von den meisten Staaten als
kehr zw. China und den P.; islam. Missio- Präsidentin anerkannt. Die wirtsch. und
nierung von Indien aus, 1521 Entdeckung polit. Probleme des Landes führten immer
der Inselgruppe durch Magellan, die später wieder zu Putschversuchen. Im Feb. 1987

737
Philippus Arabs

nach Referendum neue Verfassung. 1992 Haifa (Länder Syrien, Libanon, N-Israel)
Abzug der US-Truppen. 1996 Abkommen westlich des Libanon in Besitz nahm; kein
mit den Rebellen im Süden, das jedoch von Einheitsreich, sondern Stadtstaaten an der
der radikalen Splittergruppe MILF (Moro hafenreichen Mittelmeerküste, in der Re-
Islamic Liberation Front) im folgenden gel mit Königen an der Spitze. Städte:
Jahr aufgekündigt wurde, neuer Bürger- Ugarit (im 13. Jh. v. Chr. untergegangen),
krieg auf Mindanao. 2001 Wahl Gloria Arades, Marathos, Simyra, Arka (Cäsarea),
Arroy­os zur Präsidentin, Friedensabkom- Orthosia, Tripolis, Botry, Byblos, Berytos
men mit der MILF. (Beirut), Laodikea, Sidon, Tyros, Akko;
Philippus Arabs (Marcus Julius Philip- um 2000 zeitweise im Reich Akkad-Sumer,
pus), röm. Kaiser (244–249) arab. Her- um 1750 v. Chr. von den Hyksos überrollt,
kunft; kämpfte gegen die Germanen an der seit 1740 Flottenstützpunkte der ägypt.
unteren Donau, fiel gegen Decius in der Pharaonen, 1500–1450 im ägypt. Welt-
Schlacht bei Verona. reich, um 1500 Übernahme der fortent-
Philister, indogermanisches Volk, das um wickelten ägypt. Hieroglyphen- und der
1200 v. Chr. in der palästinens. Küsten- kanaanä. Buchstabenschrift und Verein-
ebene landete und nach dem „Seevölker- fachung zur phönik. Alphabetschrift (um
sturm“ (↑ Seevölker) dort zurückblieb; 1500 phönik. Sinai-Inschrift, im 15. Jh.
wurde nach vorübergehender Oberhoheit Tontafelschriften in Ugarit); 1400–1360
über die Israeliten (900 v. Chr.) von deren war Phönikien umkämpft von Ägyptern,
König David besiegt, verlor später seine Hethitern, Mitannern, Amoritern, 1350–
Bedeutung und geriet in die Abhängigkeit 1300 wieder ägyptisch, um 1200 von den
der großen asiat. Weltreiche (↑ Israel). ↑ Seevölkern bedrängt. Bis in diese Zeit
Philopömen (Philopoimen) aus Megalo- (auch in den Perioden der Fremdherr-
polis, griech. Staatsmann und Feldherr, der schaft) neben Kreta bedeutende Handels-,
„letzte Hellene“, 253–183 v. Chr.; besiegte See- und Seepiratenmacht im Ostmittel-
als Führer des Achäischen Bundes die Spar- meer. Nach dem Zusammenbruch der
taner bei Mantinea (207 v. Chr.); geriet bei kret. Macht, des Hethiterreiches und der
einem Aufstand der Messenier 183 in Ge- Befreiung von der ägypt. Herrschaft um
fangenschaft und wurde gezwungen, den 1200 Ausbau größerer Flotten (Galeeren
Giftbecher zu trinken. aus dem Zedernholz des Libanon mit Ru-
Philotas, Sohn des Feldherrn Parmenion, dersklaven). Übergreifen der Handels-
Freund Alexanders d. Gr., 330 v. Chr. we- fahrten auf das gesamte Mittelmeer und
gen angebl. Verschwörung hingerichtet. Anlage zahlreicher Faktoreien auf Inseln
Phokas, bzyantin. Kaiser (602–610); an und Halbinseln entlang der Handelswege
der Spitze meuternder Truppen Nachfol- von Syrien bis Andalusien: Zypern, Me-
ger von Maurikios; richtete ein Schreckens­ los, Rhodos, Sardinien, Sizilien (Palermo);
regiment auf. in Spanien: Cadiz, Tartessos, Malaga; auf
Phöniker, Phönizier, Phoiniker (= Purpur­ afrik. Boden: Utica, Biserta, Lepqy (Leptis
händler), Selbstbezeichnung: Kanaanäer Magna); vermutlich schon früh Ausfahrten
oder Sidonier, griech. Name Phoinikes zu den Azoren und nach Madeira; Aus-
(Homer), römischer Name Phoenices oder fuhrgüter: Zedernholz, Möbel, Glaswaren
Poeni (= Punier), semit. Handelsvolk der und Fayencen, Baumwollgewebe, Purpur,
Antike, den Hebräern verwandt, das seit Schmuck, Waffen, steinerne Sarkophage;
2 000 v. Chr. vermutlich mit der 1. kanaa- Zwischenhandelswaren: Gold, Silber, Kup-
näischen Wanderung den Küstenstrich zw. fer, Zinn, Eisen, Gewürze, Getreide, Wein,
der Orontesmündung und dem heutigen Vasen, Papyrus, Elfenbein, Sklaven. Noch

738
Physiokratismus

vor 1000 Vermittlung der phönik. Buch- geschlagen und 695 v. Chr. von den Kim-
stabenschrift an Israeliten und Griechen, meriern besiegt; dadurch büßten die P. die
die sie durch die fehlenden Vokalzeichen Seeherrschaft in der Ägäis ein, gerieten un-
ergänzten. Um 1000 übernahm Tyros die ter pers. (546), hellen. und 130 v. Chr. un-
Führung über die phönik. Städte. König ter röm. Herrschaft. Durch religiöse Kulte
Hiram von Tyros entsandte phönik. Holz- (vor allem der Kybele) wirkten sie auf die
baumeister nach Jerusalem, die am Tem- Griechen.
pel Salomons mitbauten. Im 9. Jh. begann Phrygische Mütze, die Schiffermütze der
die Bedrohung durch Assyrien, und viele kleinasiat. Griechen im Altertum; Symbol
P. verließen ihre Heimat und gründeten der Freiheit in der Frz. Revolution.
um 814 v. Chr. beim heutigen Tunis die Physiokratismus (griechisch, Herrschaft
Handelsstadt Karthago (Kart Chadascht = der Natur), Volkswirtschafts- und Gesell-
Neue Hauptstadt), die nach dem Verlust schaftslehre des 18. Jh., hauptsächlich in
der phönik. Seegeltung an die Griechen Frankreich; erwachsen aus der Opposition
führende phönik. (pun.) Seemacht wurde. der wirtsch. tätigen Schichten gegen die
701 wurde Phönikien außer Tyros von As- Reglementierung des Erwerbslebens durch
syrien, nach dem Zerfall Assyriens 586 von den ↑ Merkantilismus und das Drohnen-
den Chaldäern, 538 ganz Phönikien von dasein der privilegierten Stände (Protest
den Persern abhängig, die durch die Erobe- der gehemmten Landwirtschaft gegen die
rung die phönik. Flotte in die Hand beka- Bevorzugung der Industrie durch Mer-
men und sie gegen Griechenland einsetzten kantilismus, Polizeistaat, Erschwerung der
(↑ Perserkriege). 332 Eroberung durch Ale- Getreideausfuhr, das Feudalsystem usw.),
xander d. Gr.; das Phönikertum ging im in engem Zusammenhang mit der geistes-
hellen. Weltreich auf und verschwand um geschichtlichen Entwicklung; Herrschaft
146 aus der Geschichte. Das Land wurde der Vernunft, Naturrechtslehre, Glaube
63 v. Chr. römisch. An Bauresten sind nur an die „natürliche Harmonie“ einer Ge-
Grabbauten und Reste von Totenstädten sellschaft freier Individuen und die daraus
erhalten. Die phönik. Kunst war nur sel- abgeleiteten Emanzipationsbestrebungen
ten (mit Ausnahme der karthag.) zu Eigen- der ↑ Aufklärung. Aus dieser Grundhal-
schöpfungen gelangt (↑ Entdeckungen). tung heraus bildete sich als eigtl. Kern des
Photios, hl., Patriarch von Byzanz und Ge- P. die Erkenntnis, dass die natürliche und
lehrter von hohem Rang unter Kaiser Basi- einzige Quelle allen Reichtums der Boden
lios, 815–898; einer der größten Kirchen- und der Bauer der einzig produktive Stand
gelehrten der griech.-orthodoxen Kirche. seien. Das der „natürlichen Ordnung“ ge-
Die Auseinandersetzungen mit Papst Ni- mäße Recht auf Arbeit und das Recht auf
kolaus I. um die Besetzung des Patriarchen- Eigentum müßten darum vor allem in der
stuhles von Konstantinopel vertieften die Landwirtschaft garantiert und alles müßte
Kluft zwischen Ost- und Westkirche. beseitigt werden, was der freien Entfaltung
Phrygier, indogermanisches thrak. Volk, der produktiven Kräfte im Wege stände.
das um 1200 v. Chr. vom Bosporus her in Die Physiokraten verfochten daher das
Kleinasien eindrang und hier zum Sturz Prinzip des ↑ „Laissez faire“: freies Eigen-
der Hethiterherrschaft beitrug; die Assyrer tum am Boden, Freiheit des Handels, der
wehrten 1100 v. Chr. ihren Angriff ab und Konkurrenz usw., Abbau auch der Bin-
nannten die P. „Muschki“; um 800 v. Chr. nenzölle, der Frondienste usw. – Physio-
gründeten die P. ein Reich mit Gordion als krat. Gedankengänge vertraten u. a. schon
Hauptstadt; 720 v. Chr. drang ihr König ↑ Montesquieu, der ältere Mirabeau (später
Midas gegen Kilikien vor, wurde zurück- auch sein berühmter Sohn); Hauptvertreter

739
Piacenza

des P. war ↑ Quesnay, dessen Hauptwerke Weltbild auf der Grundlage der Vereini-
1756–1760 erschienen; um die praktische gung christlicher, antiker und jüd. Kultur-
Verwirklichung bemühte sich Turgot, der werte; Gegner der Astrologie.
Minister Ludwigs XV. – Erfolgreicher als Pieck, Wilhelm, dt. Politiker, 1876–1960;
der P. in der Begründung des Wirtschafts- urspr. Sozialdemokrat, dann Mitbegründer
liberalismus wurde die aus den anders ge- der Kommunist. Partei und des Komitees
arteten Verhältnissen Großbritanniens er- „Freies Deutschland“, Führer der KPD
wachsene sog. „klass.“ Nationalökonomie und SED; 1939–1945 in der Sowjetunion;
(Adam ↑ Smith). 1946–1954 mit O. Grotewohl Vorsitzen-
Piacenza, Stadt in der Lombardei, als der der SED, seit 1949 (mit geringem po-
Grenzwehr gegen die Gallier 219 v. Chr. lit. Einfluss) Präsident der DDR.
gegründet, Colonia Placentia benannt; Pierro Pierleone, der spätere Gegenpapst
218 v. Chr. durch Hannibal und die Gallier ↑ Anaklet II.
zerstört; 1095 und 1132 Sitz von Konzilien Pietismus (lat. pietas, Frömmigkeit), Glau-
(unter Papst Urban II. und Innozenz II.), bensbewegung, erstrebte wahre Herzens-
Mitglied des Lombard. Städtebundes im frömmigkeit und werktätiges Christentum
Kampf gegen die Staufer; ging 1337 in den gegenüber dem toten Buchstabenglauben
Besitz der Visconti von Mailand und 1545 der Orthodoxie, entwickelte sich in Groß-
in den der Farnese von Parma über (bis britannien, Frankreich und Deutschland
1860); im Österr. Erbfolgekrieg Schauplatz in der 2. Hälfte des 17. Jh., versuchte dem
eines Sieges der Österreicher über die Fran- Bedürfnis des Volkes nach Verinnerlichung
zosen und Spanier (1746). gerecht zu werden; Gründung verschie-
Piasten, Herrschergeschlecht in Polen, ge- dener pietist. Gemeinschaften, aber ohne
langte mit ↑ Mieszko I. 960 zur Herrschaft, klösterliche Entsagung: Collegia pietatis,
regierte in Polen bis 1370, in Masowien bis Herrnhuter; 1688 begann ↑ Francke mit
1526 und in Schlesien bis 1675. Bibelkollegien im Sinne des P. in Leipzig
Piccolomini, Äneas Sylvius, ↑ Pius II. und gründete 1694 die berühmte Stiftung
Piccolomini, Octavio, Herzog von Amalfi für Waisen in Halle; durch Spener wurde
(1639), kaiserlicher Feldherr im 30-jäh- der P. in die luther. Kirche eingeführt.
rigen Krieg, 1599–1656; richtete 1634 Pigafetta, Francesco Antonio, ital. Welt-
eine Denkschrift an Kaiser Ferdinand II., reisender und Verfasser einer Reisebeschrei-
um ihn vor Wallenstein zu warnen; un- bung, 1491–1534; begleitete 1519–1522
terlag als Feldherr Ferdinands III. in der ↑ Magellan auf seiner Weltumseglung.
Schlacht bei Breitenfeld 1642 den Schwe- Pikten, Ureinwohner Schottlands kelt. Ab-
den unter Torstenson. stammung, seit 450 n. Chr. durch die An-
Pichegru, Charles, frz. General, 1761– gelsachsen zurückgeworfen, ab 500 christl.,
1804; Lehrer Napoleons auf der Kriegs- im 9. Jh. in den Scoten aufgegangen.
schule, eroberte 1795 Holland, verschwor Piktenwall (Hadrianswall), 122 n. Chr. an­
sich zusammen mit dem Parteigänger der gelegte Erdbefestigung mit Türmen und
Bourbonen Cadoudal 1804 gegen Napo- Standlagern zw. Solwaybucht und Tyne-
leon, wurde überführt und nach seiner Ver- Mündung in Nordengland.
urteilung im Gefängnis tot aufgefunden. Pilgerväter (Pilgrimväter), in England
Pico della Mirandola, Giovanni, ital. Hu- ihres Glaubens wegen unterdrückte ↑ Puri­
manist und Gelehrter, Philosoph und Red- taner, dic 1620 mit ihren Familien und
ner aus dem Gelehrtenkreis um Lorenzo Priestern auf der „Mayflower“ nach Nord-
von Medici, 1463–1494; Anhänger ↑ Savo­ amerika auswanderten, in Massachusetts
narolas, bemühte sich um ein neues relig. landeten und Neu-Plymouth gründeten.

740
Pippin

Pilgrim, Bischof von Passau (972–991); und Begga, Tochter Pippins); Hausmeier
baute die Diözese Passau nach den Ungarn­ Austrasiens unter Dagobert I., machte sich
einfällen wieder auf, maßgeblich beteiligt zum eigentl. Herrscher des Reiches und
an der Kolonisation der Ostmark; im Nibe­ begr. die spätere führende Stellung seines
lungenlied ist ihm ein Denkmal gesetzt (P. Hauses. 2) P. II., der Mittlere von Heristal
empfängt Kriemhild auf ihrer Reise zu Et- (687–714); Sohn der Begga und Enkel von
zel in Passau). 1), besiegte als Hausmeier Austrasiens den
Pilsudski, Jósef Klemens, Marschall von neustr. Hausmeier Berthar in der Schlacht
Polen, 1867–1935; Mitbegründer der Pol- bei Tertri (687) und machte sich zum
nischen Sozialist. Partei 1892 und der poln. Herrscher des vereinten Frankenreiches,
Legion 1908, kämpfte 1914–1916 gegen kämpfte zur Sicherung seines Reiches ge-
die Russen, 1917/18 gegen Deutschland, gen Alemannen und Friesen und begüns-
in Deutschland interniert, 1918–1922 tigte die Missionierung. Sein Nachfolger
poln. Staatspräsident, 1922/23 General- wurde der uneheliche Sohn Karl ↑ Martell.
stabschef; seit 1926 Kriegsminister und 3) P. III., der Kleine, 714–768: erhielt nach
Diktator, unterzeichnete 1934 den Nicht- dem Tod seines Vaters Karl Martell 741
angriffspakt mit Deutschland. Neustrien, erhob in Übereinstimmung mit
Pincius, einer der 7 Hügel Roms (im Nor- seinem Bruder Karlmann (Austrasien) den
den), in alter Zeit der Hügel der Gärten, Merowinger Childebert III. zum Scheinkö-
seit dem 1. Jh. v. Chr. mit Villen (Pompejus, nig, um das aufständ. Bayern, Schwaben
Lucullus, Sallust, Nepos, Atticus) bebaut; und Aquitanien unter Führung Grifos, des
seit der Kaiserzeit meist im Besitz der Cäsa- benachteiligten dritten Sohnes Karl Mar-
ren. lm Palatium Pincianum hatte ↑ Belisar tells, als Empörer zu brandmarken; wurde
während der Belagerung Roms durch die nach Grifos Tod und Karlmanns Abdan-
Goten sein Hauptquartier (538/39). kung (747) Alleinherrscher, verbannte 751
Pinochet Ugarte, Augusto, chilen. Gene- mit Wissen des Papstes Zacharias den Me-
ral und Politiker, geb. 1915; im Sept. 1973 rowinger Childerich III. und dessen Sohn
Führer des blutigen Militärputsches gegen ins Kloster, machte sich selbst zum König
die demokratisch gewählte Regierung von der Franken, erbat sich zur Legitimierung
Präsident S. ↑ Allende Gossens, errichtete seines Königtums (754) die Zustimmung
nach 1974 als Präsident eine brutale Mili­ des um Hilfe gegen die Langobarden fle-
tärdiktatur; im Okt. 1988 sprachen sich henden Papstes Stephan II. (Begründung
54,7 % der Chilenen gegen eine weitere des Schiedsrichteramtes der Päpste bei der
8-jährige Amtszeit P.s aus; nach dem offi- dt. Königswahl); P. schenkte dafür der Ku-
ziellen Machtwechsel im März 1990 wurde rie in der sog. P.schen Schenkung das Ex-
er Oberbefehlshaber des Heeres und Sena­ archat Ravenna, Rom und Tei­le des von
tor auf Lebenszeit (verbunden mit par- ihm unterworfenen Langobar­den­reiches
lamentar. Immunität, die 2000 aufgeho- (Be­ginn des Kirchenstaates), kämpfte 760–
ben wurde). Der Ex-General wurde 1998 768 gegen den Islam in Spanien, vermachte
in England verhaftet; 2000 in Chile An- das Reich seinen beiden Söhnen Karlmann
klage wegen Verbrechen während der Mili­ und Karl (später ↑ Karl d. Gr.). 4) P., zwei-
tärherrschaft, Einstellung des Verfahrens ter Sohn Karls d. Gr., ab 781 König der
2002 aufgrund seiner Demenz. Langobarden, unterstützte Karl d. Gr. im
Pippin, karoling. Hausmeier und Könige. Feldzug gegen die Awaren (Unterwerfung
Austrasien: 1) P. I., der Ältere, gest. 639, von Krain, Istrien und Kroatien), starb vor
zus. mit ↑ Arnulf Stammvater der Karolin- seinem Vater 810 in Venedig. – Aquita-
ger (Stammeltern: Ansigisel, Sohn Arnulfs, nien: 5) P., Sohn Ludwigs des Frommen,

741
Pippinsche Schenkung

803–838; seit 817 König von Aquitanien hauses und verachtete den intriganten Adel
unter der Oberhoheit seines älteren Bru- der Zeit, schuf schlagkräftige Kriegs- und
ders Lothar I., verstrickte sich in wechsel- Handelsflotte, Heimatmiliz und Konti-
volle Kämpfe mit seinem Vater und seinen nentalheer; unterstützte Friedrich d. Gr.
Brüdern um Mehrung seines Reichsan- im 7-jährigen Krieg mit dem Ziel, „Ka-
teils, starb 838 vor vollzogener endgültiger nada in Deutschland zu erobern“; verhalf
Reichsteilung. zum Sieg von Minden (1759) und zum
Pippinsche Schenkung, ↑ Pippin III., der Seesieg bei Quiberon (1759) über die
Kleine, Kirchenstaat. Franzosen, führte eine Handelsblockade
Piräus (griech. Peiraieus), Hafenstadt, etwa gegen Frankreich durch und entwarf die
8 km südöstl. von Athen, durch Themisto- strateg. Pläne zur Eroberung Nordameri-
kles 493 v. Chr. ausgebaut, 479–404 v. Chr. kas: Sieg bei Louisburg 1758 und bei Fort
mit Athen durch die „Langen Mauern“ ver­ Duquesne 1758 (in der Folge umbenannt
bunden, die nach der Kapitulation unter in Pittsburgh), Eroberung Quebecs 1759
Perikles mit rechtwinkligen Straßen aus- und Montreals 1760; P. erwarb von Spa-
gestattet wurden; 347–323 v. Chr. Bau des nien Kuba und (vorübergehend) die Phi-
Arsenals des Philon (durch Sulla 86 v. Chr. lippinen und verhinderte die Landung der
zerstört). Franzosen in England; er war Gegner der
Pisa, Stadt nahe der Arnomündung in Ita- amerik. Unabhängigkeit. 2) P., William,
lien, Siedlung der Etrusker, von den Rö- der Jüngere, Earl of Chatham, 1759–
mern 180 v. Chr. kolonisiert und Pisae ge- 1806; 1784–1801 und 1804/05 Minister-
nannt; seit der Zerstörung Amalfis (1137) präsident, seit 1793 genialer Gegenspieler
führende Seestadt neben Venedig, gelangte Frankreichs, überwand erfolgreich die von
durch den Zwischenhandel mit Erzeug- Napoleon verhängte ↑ Kontinentalsperre
nissen des Orients (seit den Kreuzzügen) und brachte die Wirtschaft zu hoher Blüte;
zu hoher Blüte; erlitt 1284 entscheidende seiner Initiative verdankte Großbritannien
Niederlage gegen Genua; seit 1399 im Be- die Vereinigung des ir. und großbrit. Parla-
sitz Mailands, seit 1406 unter der Herr- ments (1800) und damit den Zusammen-
schaft von Florenz, mit dem es nach vorü- schluss beider Länder zum „United King-
bergehender Selbständigkeit (1494–1509) dom“ (1802).
bis 1860 den Mittelpunkt des Großherzog- Pius, Päpste, bes. der neueren Zeit: 1) P. II.
tums Toskana bildete; seit 1860 bei Italien. (Enea Silvio Piccolomini), 1405–1464;
– Konzil von P. 1409 (zur Beseitigung des seit 1442 Rat und Geheimschreiber Fried-
Schismas); die Universität P. (gegr. 1343) richs III., 1456 Kardinal, seit 1458 Papst,
wurde berühmt durch Galilei (1589–92 von staatsmännischer Einsicht, umfassen­
Professor in P.). der Bildung und hohem Kunstsinn; be-
Pisistratos, ↑ Peisistratiden. kannt auch als Dichter („Euryalus und Lu-
Pistoia, röm. Pistoria, Stadt bei Florenz; crezia“) und als Gelehrter (Beschreibung
Niederlage der Flüchtlinge der röm. Adels- Deutschlands: „Germania“). 2) P. IV. (Gio­
verschwörung (62 v. Chr.), in der auch de- vanni Angeli Medici), 1499–1565; 1556
ren Anführer ↑ Catilina fiel. Kardinal und seit 1559 Papst, veranlasste
Pitt, brit. Staatsmänner: 1) P., William, 1562 die Schlusssitzung des ↑ Tridentiner
der Ältere, Earl of Chatham, 1708–1778; Konzils. 3) P. V., 1504–1572; Dominika-
wegen seiner vorzügl. Rednergabe „Great ner, seit 1557 Kardinal, Vorkämpfer der
Commoner“ (= Großer Abgeordneter) ge- Gegenreformation, seit 1566 Papst, fes-
nannt. 1757 führender Minister Englands, tigte den kath. Glauben durch den Cate-
regierte mit Unterstützung des Unter- chismus Romanus, durch Neuausgaben

742
Planck

des Breviers und des Missale; belegte 1570 1857–1939; ab 1921 Kardinal, seit 1922
die engl. Königin Elisabeth mit dem Bann Papst, von umfassender Bildung, kraftvolle
und entsandte Jesuiten zur Missionierung Führung der Kirche, Förderer der inneren
nach England; Parteinahme für Maria Stu- und äußeren Mission und der Verständi-
art; 1712 heiliggesprochen. 4) P. VI. (Gi- gung zw. Staat und Kirche (Konkordate).
ovanni Angeli Braschi), 1717–1799; seit 9) P. XII. (Eugenio Pacelli), 1876–1958;
1775 Papst, versuchte durch persönliche 1920–1929 Nuntius in München und
Vorsprache in Wien 1782 Kaiser Joseph II. Berlin, 1929 Kardinal in Rom, 1930 un-
zur Zurücknahme seiner kirchenpolit. ter P. XI. Kardinalstaatssekretär („Außen-
Verordnungen zu veranlassen, trat auf die minister“), seit 1939 Papst; Vorkämpfer
Seite der Gegner Napoleons; geriet nach für die Verteidigung des Christentums und
der Besetzung des Kirchenstaates und der der abendländ. Kultur; schlug Brücken zw.
Ausrufung Roms zur Republik (1798) in Kirchenlehre und moderner Wissenschaft;
frz. Gefangenschaft, in der er 1799 starb. 1950 Verkündigung des Dogmas von der
5) P. VII. (Gregor Barn. Chiaramonti), Himmelfahrt Marias.
1740–1823; Benediktinermönch, 1785 Pizarro, Francisco, span. Konquistador,
Kardinal, seit 1800 Papst, Bemühungen 1478–1541; ehemal. Schweinehirt aus Kas­
um Rechristianisierung des durch die Re- tilien; unternahm 1531 von Panama aus
volution weithin entchristlichten Frank- seinen Eroberungszug gegen das Inkareich
reichs; 1801 Konkordat mit Napoleon, von Peru, nahm dessen König Atahualpa
1804 Krönung Napoleons zum Kaiser; gefangen und ließ ihn nach Erpressung
1809 Bann gegen Napoleon (nach der An- eines riesigen Lösegeldes hinrichten, ver-
nexion des Kirchenstaates), bis 1814 in nichtete die Inkakaste, gründete die neue
frz. Gefangenschaft; setzte auf dem Wie- Hauptstadt Lima; kämpfte gegen seinen
ner Kongress die Wiedererrichtung des Nebenbuhler Almagro, den er töten ließ;
Kirchenstaates durch; Wiederzulassung 1541 von dessen Freunden ermordet.
des durch Klemens XIV. 1773 aufgeho- Plaeidia, Galla, Halbschwester des röm.
benen Jesuitenordens. 6) P. IX. (Graf Ma- (weström.) Kaisers Honorius, 392–450;
stai-Ferreti), 1792–1878; 1840 Kardinal, 410 von Alarich weggeführt, von dem
seit 1846 Papst, musste wegen seiner neu- Westgotenkönig Athaulf 414 zur Gattin
tralen Haltung im ital. Freiheitskampf ge- erwählt, nach dessen Tod an den röm. Kai-
gen Österreich vorübergehend Rom ver- serhof zurückgeschickt, 417 neuvermählt
lassen, konnte die Auflösung des Kirchen- mit Constantius, Mutter des späteren Kai-
staates nicht verhindern, verhalf aber dem sers Valentinian III.
Papalsystem (Dogma der Unfehlbarkeit Planck, Max, dt. Physiker, 1858–1947;
des Papstes) zum Sieg; wurde durch Bis- 1883 Prof. für theoret. Physik an der Uni-
marck zum ↑ Kulturkampf gezwungen, der versität Kiel, 1889 Prof. in Berlin, 1930
erst unter Leo XIII. beendet wurde. P. IX. Präsident der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft
verkündete auch das Dogma der Unbe- zur Förderung der Wissenschaften, 1945 in
fleckten Empfängnis Mariä (1854). 7) P. X. Göttingen; Hauptforschungsgebiete Strah-
(Giuseppe Sarto), 1835–1914; 1893 Kar- lungstheorie und Thermodynamik; die Be-
dinal, seit 1903 Papst, Friedensfürst der gründung der Quantentheorie durch P. be-
Kirche, der sich ganz dem inneren Ausbau deutete den Anbruch einer neuen Epoche
des kirchlichen Lebens widmete und mit der Naturforschung; P. widerlegte die An-
christlichen Mitteln dem unchristlichen nahme von der Stetigkeit aller ursächlichen
Zeitgeist entgegenzuwirken sich bemühte; Zustände: Alle Energie (Wärme, Licht,
heiliggesprochen. 8) P. XI. (Achille Ratti), Elektrizität) tritt nie kontinuierlich, stetig

743
Plantagenet

und in beliebiger Menge auf, sondern im- Guten, Wahren und Schönen, die die Welt
mer nur in Quanten, bestimmten vollen einer höchstmögl. Vervollkommnung ent-
Beträgen: Energie tritt also ruckweise auf; gegenführen sollten. Platons Lehre selbst
das Energiequantum richtet sich nach der war dem MA im Gegensatz zur Philoso-
Strahlungsfrequenz; Umsturz der bisheri­ phie des Aristoteles wenig bekannt, sein
gen Auffassung vom Naturgeschehen. P. be­ Werk wurde erst zu neuem Leben erweckt
jahte die strenge Gültigkeit des Kausalitäts­ im ↑ Humanismus, bes. durch die von Co-
prinzips, obwohl es experimentell nicht simo von Medici in Florenz gegründete
beweisbar sei, und bejahte ebenso die Wil- Gelehrtenschule (Platon. Akademie).
lensfreiheit des Menschen. Plebejer, Plebs (lat., Volk, Menge), in Alt-
Plantagenet, nach seinem Wappen (mit Rom die Gesamtbürgerschaft mit Aus-
dem Gins­terzweig, planta genista) benann- nahme der Patrizier; die P. errangen erst
tes frz. Herrschergeschlecht aus ↑ Anjou, in 200-jährigem Kampf gegen die Patri-
das 1154–1399 und in den Nebenlinien zier die polit. Gleichberechtigung; seit
Lancaster und York bis 1485 den engl. etwa 150 v. Chr. wurden sie gleichgesetzt
Thron innehatte. mit dem 3. Stand (= die nicht zur Nobi-
Plassey, Schlacht von, 1757; Sieg der lität [Amts- und Geburtsadel] und zur
Briten unter ↑ Clive in Bengalen, ermög- Großkaufmannschaft [Ritter] gehörenden
lichte die Angliederung von Bengalen, des Volksschichten); ↑ Römische Geschichte.
ersten unmittelbar von Großbritannien be- Pleistozän, ↑ Eiszeit.
herrschten Gebietes in ↑ Indien. Plewna, Stadt in Bulgarien, entschei-
Platää, antike Stadt in der mittelgriech. dender Sieg der Russen über die Türken
Landschaft Böotien südl. von Theben; unter Osman Nuri Pascha 1877, der die
Schauplatz des Sieges der Griechen unter Befreiung Bulgariens und die Abtretung
Pausanias über die Perser des Mardonios der Kaukasusländer und Armeniens zur
(479 v. Chr.). Folge hatte; von der Schlacht bei P. an da-
Platon, griech. Philosoph, 427–347 v. Chr.; tierte die feindselige Spannung zw. Russ-
Neffe des ↑ Kritias, Schüler des Sokrates land und Österreich.
und Lehrer des Aristoteles, nach dem Tod Plinius der Ältere (Gajus P. Secundus),
des Sokrates (399) in Megara, wiederholt röm. Historiker und Schriftsteller, 23–
in Sizilien, gründete um 387 in Athen die 79 n. Chr.; Verfasser einer Enzyklopädie:
Akademie, kleidete seine Philosophie in die „Naturalis historia“ (Naturgeschichte), die
Form des Dialogs; im Brennpunkt seines das naturkundliche Wissen des MA weit-
Philosophierens stand die Ethik, die Lehre hin beeinflusste; P. kam beim Ausbruch des
von der Tugend unter Ablehnung der Rhe- Vesuvs (79) um.
torik; P. entwickelte aus den polit. Erfah- Plinius der Jüngere, röm. Politiker und
rungen der griech. Polisverfassung und Schriftsteller, Neffe und Adoptivsohn Pli-
eigenen, schöpferischen Ideen eine neue nius’ d. Ä., 61–um 113 n. Chr.; Statthal-
Staatslehre (Politeia), nach der der Philo- ter in Bithymen unter Trajan; in seinen
soph oder König die Befähigung zur polit. „Briefen“ auch Erwähnung der „christiani“
Führung besaß, der Krieger die Erziehung (Christen), Erlebnisbericht über den Vesu-
des Volkes zur Tugend und Tapferkeit ge- vausbruch und den Tod seines Onkels.
währleistete und der Gewerbe Treibende PLO, Abk. für Palestine Liberation Orga-
den Bestand des Staates aufrechterhielt; nization, palästinensische Befreiungsorga­
als höchste Prinzipien in seinem Idealstaat nisation; von A. Schukeiri 1964 unter dem
galten Pflichterfüllung und Gerechtig- Patronat der arab. Staaten gegr., seit 1969
keitssinn, ausgerichtet auf die „Ideen“ des Rahmenorganisation der meisten polit.

744
Poitiers

und militär. Organisationen der Palästi- Plutokratie (abgeleitet von griech. plutos,
nenser, Vorsitzender des Exekutivrates des Reichtum); Herrschaft der Reichen, die das
Nationalrates der PLO war von 1967 bis Staatsleben durch die Macht und den Ein-
zu seinem Tod 2004 Jassir ↑ Arafat, sein fluss ihres Geldes und Besitzes bestimmen.
Nachfolger ist Mahmud Abbas. Die PLO Plymouth, engl. Hafenstadt am Kanal;
verfolgte zunächst das polit. Ziel, den Staat 1652 Sieg de Ruyters über die engl. Flotte
Israel zu beseitigen und einen arab., ganz unter Askyn; Holland wurde durch den
↑ Palästina umfassenden Staat zu gründen. Sieg eine Zeitlang Beherrscher des Ärmel-
Sie wird seit 1974 von allen arab. Staaten kanals.
als einzige legitime Vertreterin des palästi- Pnyx, Anhöhe zw. dem Hügel der Nym-
nens. Volkes anerkannt; 1975 wurde die phen und dem Museion in Athen, wo in al-
PLO zum UN-Sicherheitsrat zugelassen ten Zeiten die Ratsversammlung der Athe-
und 1976 als Vollmitglied in die Arab. Liga ner abgehalten wurde.
aufgenommen. 1988 Deklaration des auto­ Podestá (ital.), Titel der kaiserlichen Vögte
nomen Staates Palästina durch die PLO. und Statthalter in den lombardischen Städ-
Friedliche Annäherung zwischen Palästina ten des MA.
und Israel führte 1994 zur Vergabe des Podgorny, Nikolai, sowjet. Staatsmann,
Friedensnobelpreises an den PLO-Vorsit- 1903–1983; seit 1930 Mitglied der
zenden Arafat (zusammen mit S. Peres und KPdSU, 1956 des Zentralkomitees und
I. Rabin). 1996 offizielle Aufgabe des Ziels 1960 des Politbüros; 1965–1977 Vorsitzen­
der Vernichtung Israels. Im gleichen Jahr der des Präsidiums des Obersten Sowjets
errang die PLO bzw. ihre Kernorganisa- (Staatsoberhaupt).
tion Al-Fatah bei den Wahlen zum Palästi- Podiebrad, Georg von, König von Böh-
nenserrat in den palästinens. Autonomie- men, 1420–1471; kämpfte 1438 als Führer
gebieten den Sieg. Seit 1998 immer wieder der gemäßigten Hussiten gegen Österreich
Verhandlungen mit ↑ Israel über Rückgabe und eroberte 1448 Prag, wurde 1458 zum
besetzter Gebiete. böhm. König gewählt und 1462 gebannt.
Plombières (Bad in den Vogesen), 1858 Poincaré, Raymond, frz. Staatsmann,
Zusammenkunft des Grafen Cavour, des 1860–1934; Staatspräsident 1913–1920;
Ministerpräsidenten von Piemont-Sar- 1912, 1922–24 und 1926–29 Minister-
dinien, mit Kaiser Napoleon III.; es kam präsident; verstärkte und baute die Kriegs-
zu einer mündlichen Absprache über den macht Frankreichs aus (3-jährige Dienst-
Krieg gegen Österreich: Sardinien sollte zeit, Bündnisverträge mit Russland); klam-
dabei Ve­netien, die Lombardei, Modena merte sich nach dem 1. Weltkrieg starr an
und Rom erhalten, Napoleon Savoyen und die Bestimmungen des ↑ Versailler Vertra­
eventuell Nizza. ges, veranlasste die Besetzung des Ruhr-
Plutarch, griechischer Schriftsteller 46– gebiets und nahm erst gegen Ende seiner
125 n. Chr.; Lehrer des späteren Kaisers Ha­ Amtszeit eine versöhnlichere Haltung ge-
drian, Prokurator in Griechenland, Priester genüber Deutschland ein.
des Delphischen Apollo, schrieb volkstüm- Poitiers, Stadt südl. Tours; im 3. Jh.
liche philosophische Betrachtungen (mora- Bistum, 412 westgot., 507 fränkisch,
lia) und Lebensbeschreibungen berühmter, Hauptstadt Poitous; 732 Schlacht bei P.
polit. und erzieherisch vorbildlicher Römer gegen die Araber und Sieg Karl Martells
und Griechen, die er einander vergleichend (Rettung des Abendlandes); 1356 auf dem
gegenüberstellte; seine Darstellungen sind Felde Maupertuis (nahe P. gelegen) Sieg
reizvoll aufgrund ihrer Farbigkeit und Dra- der Engländer über die Franzosen (unter
matik. Johann II., dem Guten).

745
Polen

Polen, westslaw. Volk und gleichnamiger (Heirat der Thronerbin Jadwiga mit dem
Staat in Osteuropa. Das Gebiet schon früh litauischen Großfürsten Jagaila) stand Po-
im Besitz der Ostgermanen, nach der Völ- len in Personalunion mit Litauen: Herr-
kerwanderung um 600 n. Chr. von Slawen schaft der Dynastie der litauischen Jagello-
besiedelt und unter dem ↑ Piasten Miesz- nen in Polen, unter Einschluss Weißruss-
ko I. 960 Gründung eines ersten poln. lands und der Ukraine; die Polen und Li-
Staates, der von Markgraf Gero 963 zur tauer siegten über den Dt. Orden bei
Anerkennung der dt. Oberherrschaft unter ↑ Tannenberg (1410) und wurden stärkste
Otto I. gezwungen und seit 968 vom neu- Macht im europ. Osten; im 2. Thorner
gegr. Erzbistum Magdeburg aus christiani- Frieden (1466) erhielt P.-Litauen Ermland
siert wurde. Die Erhebung Gnesens zum und Westpreußen mit Danzig und Marien-
unabhängigen poln. Erzbistum (Otto III.) burg. 1525 wurde Preußen poln. Lehens-
stärkte die polit. Unabhängigkeitsbestre- herzogtum. Den Reformationsversuchen
bungen; unter Boleslaw I. Chrobry (992– trat seit der Mitte des 16. Jh. die Gegenre-
1025) Großmachtpolitik in Auseinander- formation entgegen. 1561 gewann P. auch
setzung mit Heinrich II.; Ertrotzung der Livland und die Lehenshoheit über Kur-
Belehnung mit der Lausitz (Frieden von land. 1569 wurde die Personalverbindung
Bautzen 1018) und Annahme des Königs- Polen-Litauen zur Realunion ausgebaut.
titels. Nach dem Sieg Konrads II. über den Nach dem Aussterben der Jagellonen 1578
ins deutsche Gebiet zw. Elbe und Saale ein- wurde P.-Litauen Wahlreich, gleichzeitig
gebrochenen Mieszko II. (Merseburg 1033) fortschreitende innere Machtzersplitterung
und nach der Abtretung der Niederlausitz und Niedergang durch die Herrschaft des
an die dt. Ostmark, des Culmer Landes an Adels; Wahl von Kandidaten aus fremden
die Mark Meißen und (vorübergehend) Herrscherhäusern: 1587–1668 Könige aus
Pommerns an Dänemark wurde das ver- dem kath. Zweig des schwed. Hauses Wasa
kleinerte Polen wieder der dt. Oberherr- (1629 Livland fiel an Schweden, Verlust
schaft unterstellt; der fortschreitende Zer- der poln. Lehenshoheit über Ostpreußen,
fall und die Bedrohung des weiteren Be- 1667 Ukraine fiel an Russland), 1697–
standes (Einbruch des Böhmenherzogs 1763 Herrschaft der sächs. Kurfürsten
Bretislaw) wurde durch das Eingreifen Kai- (↑ Poln. Erbfolgekrieg) und Verlust von
ser Heinrichs III. eingedämmt (1041). Seit weiteren Gebieten an Preußen, Schweden
der Teilung unter Boleslaw III. (1138) und Russland unter August II. von Sachsen
weitgehende Zersplitterung und Macht- im ↑ Nord. Krieg; zunehmender russ. Ein-
einbuße, Einschreiten Friedrichs I. (1157) fluss durch die Wahl des von Russland
und die Abzweigung Schlesiens (1163) an geförderten Königskandidaten Stanislaus
eine fürstliche Seitenlinie unter dt. Herr- Poniatowski (1764–1795): schrankenlose
schaft (Kasimir III. d. Gr. wurde 1335 zum Will­kürherrschaft der Schlachta (= Adel),
Verzicht auf die Oberhoheit über Schlesien machtloses Wahlkönigtum, Ausbeutung
gezwungen, die an Böhmen überging); der Bauern und handlungsunfähige staatli-
1181 Angliederung Pommerns an Deutsch- che Institutionen (Sejm) besiegelten den
land, um 1230 wurde Westpreußen von Niedergang des Landes und seine Wehr­
Konrad von Masowien dem Schutz des losigkeit, die auch durch vaterländisch ge-
↑ Dt. Ordens unterstellt, 1309 wurde Pom- sinnte Männer wie Kosciuszko (1746–
merellen an den Dt. Orden abgetreten. Die 1817) nicht mehr aufgehalten werden
↑ Ostkolonisation griff mehr und mehr auf konnten; schließlich 1772, 1793 und 1795
poln. Gebiete über (die Siedler oft von Aufteilung Polens zwischen Preußen, Ös-
poln. Fürsten ins Land gerufen). Seit 1386 terreich und Russland („Poln. Teilungen“);

746
Polen

vorübergehende Wiedervereinigung der den Korridor und auf ↑ Danzig Einmarsch


preuß. und österr. Teilgebiete durch Napo- dt. Truppen in P. (Beginn des 2. ↑ Welt-
leon (1807) im Großherzogtum Warschau; krieges, 1. Sept. 1939), schneller Zusam-
doch auf dem Wiener Kongress 1815 er- menbruch des poln. Widerstandes, (5.) Tei-
neute (4.) Teilung Polens: Das Großher- lung P.s zw. der Sowjetunion und Deutsch-
zogtum wurde Königreich P. („Kongresspo- land (Sowjetunion erhielt P. bis zum Bug;
len“), das mit dem Russ. Reich verbunden Posen, Westpreußen und Danzig wurden
wurde; Preußen behielt Westpreußen und „Reichsgaue“, Ostpreußen und Schlesien
Posen, Österreich behielt Galizien. Nach wurden um poln. Grenzgebiete erweitert,
vergebl. Aufstandsversuchen der „Kongress­ das verbleibende Rumpfpolen wurde „Ge-
polen“ 1830/31 völlige Eingliederung in neralgouvernement“). Bildung einer natio-
Russland (Verlust der 1818 gegebenen Ver- nalpoln. Exilregierung in London. Nach
fassung) und nach dem Aufstand von Ausbruch des sowjet.-dt. Krieges Beset-
1862/63 schroffe Russifizierung auf der ei- zung auch des sowjet. gewordenen Teiles
nen, Widerstandswille und Unabhängig- durch die dt. Truppen, Terrorisierung der
keitskampf auf der anderen Seite; Grün- poln. Bevölkerung und Judenprogrome;
dung der nationalpoln. Sozialist. Partei zunehmende Widerstandsbewegung gegen
durch Jósef ↑ Pilsudski u. a.; Rückkehrbe- die dt. Besatzung und Verwaltung. Nach
wegung bei den Minderheitspolen in dem dt. Zusammenbruch Wiedererrich-
Deutschland und Österreich. Im 1. Welt- tung des poln. Staates mit „volksdemo-
krieg Proklamierung eines „Königreichs krat.“ Regierungsform („Polnische Volksre-
Polen“ durch die Deutschen. Nach dem publik“) mit der westl. Grenze an der
1. Weltkrieg 1918 durch Pilsudski Ausru- ↑ Oder-Neiße und östl. Grenze entlang der
fung der Republik, eines unabhängigen ↑ Curzonlinie (Grodno-Brest); Ausweisung
Freistaats mit Westpreußen (↑ Poln. Korri- der noch verbliebenen dt. Bevölkerung.
dor), der Provinz Posen, Vorrechten in 1955 wurde P. Mitglied des Warschauer
Danzig und (trotz dt. Abstimmungssieges) Paktes; 1956 Entstalinisierung und Pose­
mit dem Industriegebiet Oberschlesiens. ner Aufstand. 1970 schloss die dt. Bundes-
Entgegen der Minderheitengarantie völlige regierung mit P. den Warschauer Vertrag,
Unterdrückung des Deutschtums. Aus- Anerkennung der Oder-Neiße-Linie als
wanderungswelle ins Dt. Reich. 1926– poln. Staatsgrenze. Als Folge von Preis­
1935 unter der seit 1926 autoritären Füh- erhöhungen kam es 1970 zu schweren Un-
rung Pilsudskis Bemühungen um Verstän- ruhen, ↑ Gomulka musste zurücktreten,
digung mit Deutschland (1934 dt.-poln. ↑ Gierek wurde sein Nachfolger als Erster
Nichtangriffs- und Wirtschaftsabkom- Sekretär des ZK. 1975 Abkommen mit der
men); 1938 erhielt P. bei der Zerschlagung BRD über Einräumung eines zinsgünstigen
der Tschechoslowakei das nach dem Kredites. Pauschalierung von Rentenan-
1. Weltkrieg an die Tschechoslowakei gefal- sprüchen, Entschädigung poln. KZ-Opfer
lene Gebiet von Teschen. Der Korridor und die Ausreise von Deutschstämmigen.
(der dauerndes Streitgebiet zwischen P. und Wirtsch. Probleme führten zu mehreren
Deutschland war) wurde 1939 angesichts Regierungsumbildungen. 1980 kam es in
dt. Drohungen von Großbritannien garan- einer Reihe von Betrieben zu Arbeitsnie-
tiert; im gleichen Jahr Kündigung des dt.- derlegungen bis hin zu Streiks in ganzen
poln. Nichtangriffspaktes durch Hitler und Regionen und Betriebsbesetzungen (in
Vertrag mit der Sowjetunion über Auftei- Danzig die Werften unter Führung von L.
lung P.s in Interessengebiete. Nach der Ab- ↑ Walesa). Aus anfänglich wirtsch. und so-
lehnung der deutschen Forderungen auf zialen Forderungen erwuchsen bald polit.,

747
Polignac

z. B. Zulassung freier Gewerkschaften. Die lierung der Wahlen, Abänderung des Wahl­
kommunist. Regierung musste schließlich gesetzes und Beseitigung der Pressefrei-
das Recht zur Gründung freier Gewerk- heit), die zum Ausbruch der Julirevolution
schaften, das Streikrecht u. a. polit. Rechte von 1830 führten.
zugestehen. Gierek wurde durch Kania er- Polis, Stadtstaat, die im klass. Griechen-
setzt, der Ministerpräsident Babiuch durch land vorherrschende Form staatl. Zusam-
Pinkowski. Die ↑ Solidarnosc („Solidari- menschlusses anstelle der lockeren Stam-
tät“) wurde im Sept. 1980 als Dachverband messtaaten der Einwanderungszeit (↑ Grie-
der freien Gewerkschaften gegründet. Die chenland), die sich allerdings bei einigen
erstreikten Rechte mussten durch weitere Stämmen (Makedonen, Thessalier, Arka-
Streiks abgesichert und durchgesetzt wer- der u. a.) behaupteten. Die P. war urspr.
den. Im Zuge dieser Auseinandersetzungen Ackerbürgersiedlung um eine Burg oder
wurde Ministerpräsident Pinkowski durch sie war durch Zusammenlegung von Dör-
Armeegeneral W. ↑ Jaruzelski ersetzt. 1982 fern entstanden, anfangs ohne Wall und
beschloss der Sejm ein Gewerkschaftsge- Mauer. Wiewohl begünstigt durch die Zer-
setz, das die bisherigen Gewerkschaften klüftung des Landes (Kleinstlandschaften),
auflöste. Von der „Solidarität“ erkämpfte trug die P. nicht nur territor. Charakter,
Rechte wurden beseitigt. – Das Reform- sondern war politisch-kulturelle Gemein-
programm der Regierung wurde 1987 in schaft mit lokalem und religiösem Mittel-
einem Referendum von der Bevölkerung punkt, mit Wirtschaftsautarkie und Kul-
abgelehnt. 1988 kam es wieder zu einer tur- und Kulteinheit; sie entwickelte sich
großen Streikaktion, Abwahl der Regie- schließl. zu festerer Organisation mit aus-
rungspartei PVAP und Bestätigung der geprägten, wenn auch wechselnden polit.
Personen und Positionen der Gewerkschaft Institutionen (Oligarchie, Demokratie),
„Solidarität“. Ministerpräs. wurde T. Ma- wachsam auf Wahrung der „Autonomie“,
zowiecki, der 1990 bei den Präsident- d. h. der Unabhängigkeit, bedacht (Zen-
schaftswahlen eine herbe Niederlage erlitt; tralbegriff der polit. Geschichte der griech.
der Sieger hieß Lech Walesa (bis 1995, P.welt). Verschiedene Ansätze zum födera-
Nachfolger war Aleksander Kwasniewski). tiven Zusammenschluss der Einheiten über
1992 neue Verfassung, die 1997 endgültig ganz Griechenland blieben auf die Dauer
angenommen wurde. Im dt.-poln. Grenz- erfolglos durch die Eigenart der P., die es
vertrag wurde im Nov. 1990 die Oder- unmöglich machte, polit. über den en-
Neiße-Linie als Grenze völkerrechtlich an- gen Raum ihres Bereichs hinauszudenken;
erkannt. Nach der Auflösung des War- Verfall mit der Wandlung des geistig-rel.
schauer Pakts 1991 bemühte sich Polen Denkens; vielfach Entartung zu anarch.
um eine Aufnahme in die NATO (vollzo- Zuständen; die in sich zerfallende P.welt
gen 1999). 2001 Wahlsieg der Sozialdemo- wurde eine leichte Beute der Makedonen,
kraten (SLD), neuer Regierungschef der nachdem auch im Innern Demagogie und
pro-europäische Leszek Miller, Koalition Spießbürgertum echten Gemeinschafts-
mit der radikalen und europafeindlichen geist erstickt hatten.
Bauernpartei „Selbstverteidigung“ (PSL) Polnischer Erbfolgekrieg, 1733–1735;
und der Arbeitsunion (UP). Mai 2004 Bei- der Krieg brach nach der zwiespältigen Kö-
tritt zur Europäischen Union, daraufhin nigswahl von 1733 aus; Russland und Kai-
Rücktritt Millers, Nachfolger Marek Belka. ser Karl VI. ergriffen Partei für den Kur-
Polignac, Jules, 1780–1847; 1829 frz. Mi- fürsten August III. von Sachsen, Spanien
nisterpräsident, verleitete König Karl X. und Frankreich (Ludwig XV.) für Stanis-
zum Erlass der Juli-Ordonnanzen (Annul­ laus ↑ Leszczynski; Misserfolge des Kaisers

748
Pommern

führten zum Frieden von Wien 1735/38; warf sich ihm 545 v. Chr.; bei dem Versuch,
Anerkennung Augusts III. als König von während der pers. Thronwirren sein Herr-
Polen, Abtretung des Habsburger Stamm- schaftsgebiet zu erweitern, wurde 522 von
landes Lothringen an Stanislaus Leszczyn- dem pers. Satrapen von Sardes gekreuzigt.
ski (Lothringen ging dann 1766 an Frank- Pombal, Marquis von (Seb. Jose de Car-
reich über); Franz Stephan von Lothringen valho), portug. Politiker, 1699–1782;
erhielt die Toskana; Spanien wurde durch 1750–1777 einflussreich in der Regierung
Verleihung Neapels und Siziliens an den Josephs I.; betrieb, wenn auch vorüberge-
span. Prinzen Don Carlos entschädigt. hend, Reformen im Sinne des aufgeklärten
Polnischer Korridor, Gebietsstreifen West- Absolutismus und verbannte – im Zuge
preußens längs (und einschließl.) der unte­ der Maßnahmen nach einem Attentat auf
ren Weichsel, der im ↑ Versailler Vertrag den König – 1759 die Jesuiten; 1777 beim
1919 Polen zugesprochen wurde, um ihm Thronwechsel gestürzt.
direkten Zugang zur Ostsee zu verschaf- Pomerellen, Gebiet westl. der unteren
fen, trennte Ostpreußen vom übrigen Weichsel, bis 1294 Herzogtum; 1308/09
Deutschland (Polen zur Gewährung des Übergang des größten Teiles in den Besitz
Durchgangsverkehrs verpflichtet). Schwere des Dt. Ordens, nach dem Thorner Frie-
Vorbelastung des dt.-poln. Verhältnisses, den 1466 an Polen abgetreten; seither bei
schließl. mit Danzig unmittelbar Anlass Westpreußen, wurde 1919 durch den Ver-
des 2. Weltkrieges. sailler Vertrag an Polen abgetreten, 1938 zu
Polnische Teilungen, ↑ Polen, Österreich, Deutschland, 1945 wieder zu Polen.
Preußen, Russland. Pommern, urspr. Sitz ostgerman. Stämme
Polo, Marco, ↑ Marco Polo. nach der Völkerwanderung, vorwiegend
Pol Pot, kambodschan. Politiker, 1928– im 6. Jh., von Slawen besiedelt und Po-
1998; hatte führende Position im Bürger- morze benannt; vergebl. Versuch Boleslaw
krieg 1970–1975 inne, war Sekretär des Chrobrys, das Land Polen anzugliedern;
ZK der kambodschan. KP; die von P. P. als 1062 Herzogtum unter slaw. Fürsten.
Ministerpräsident geleitete soziale Revo- 1181 selbständiges Reichslehen, 1235 um
lution 1976–79 forderte zahlreiche Men- Pomerellen, 1325 um Rügen vergrößert,
schenopfer; 1979 gestürzt, bis 1985 Führer seit 1338 reichsunmittelbar; 1295 in die
der kommunist. Roten Khmer. Linien Stettin und Wolgast geteilt, Abwehr
Poltawa, ukrain. Stadt; 1709 Sieg Peters des Anspruchs Brandenburgs auf Lehens-
d. Gr. über den Schwedenkönig Karl XII.; herrschaft, aber Zugeständnisse des Erbfol-
mitentscheidend für die Entwicklung Russ- gerechts, das nach Erlöschen des Herzog-
lands zur Großmacht (↑ Nord. Krieg). hauses 1637 in Kraft trat (das Recht wurde
Polybios, griech. Politiker und Geschichts- im Westfäl. Frieden nur in Hinterpom-
schreiber, um 201–120 v. Chr.; bewährt als mern zur Geltung gebracht, Vorpommern
Feldherr, weitgereist; kam 167 v. Chr. als kam zu Schweden); erst im Frieden zu
Geisel nach Rom, erwarb sich die Freund- Stockholm (1720) wurden Vorpommern
schaft Scipio d. J., gewann Einblick in das bis zur Peene und 1815 Stralsund und die
röm. Staatswesen und schrieb eine röm. Insel Rügen an das Königreich Preußen an-
Geschichte der Zeit von 266–144 v. Chr. gegliedert; gegen Ende des 2. Weltkrieges
Polykrates, Tyrann von Samos, um 550– von Sowjets besetzt, Hinterpommern in
522 v. Chr.; verbündete sich mit Amasis II. poln. Verwaltung übergeben und Vorpom-
von Ägypten („Ring des P.“), widersetzte mern an das (1952 aufgelöste und 1990
sich als Führer der griech. Kleinstaaten als Bundesland wieder gegründete) Land
Kleinasiens dem Perserkönig Kyros, unter­ Mecklenburg angeschlossen.

749
Pompadour

Pompadour, Jeanne Antoinette Poisson, Poniatowski, poln. Adelsgeschlecht italie­


Marquise de P., 1721–1764; Tochter eines nischer Abstammung: 1) P., Stanislaus,
Pariser Generalpächters, wurde 1745 die 1732–1798; Geliebter Katharinas II. von
Mätresse Ludwigs XV., förderte Literatur, Russland, durch deren Einfluss 1764 zum
Wissenschaft und Kunst, übte bedeutenden König von Polen gewählt, musste 1772
Einfluss auf die Regierung Frankreichs aus, die Teilung Polens anerkennen und 1795
hauptsächlich verantwortlich für die Teil- dem Thron entsagen. 2) P., Joseph Anton,
nahme Frankreichs am 7-jährigen Krieg Fürst, 1762–1813; befehligte das poln.
als Partner Österreichs und damit für die Heer 1809 gegen Österreich und 1812 ge-
große Einbuße Frankreichs an Macht in gen Russland; 1813 frz. Marschall, ertrank
Europa und an Besitz in Amerika. auf dem Rückzug in der Elster bei Leipzig.
Pompeji, altital. Stadt südwestl. des Vesuvs, Pontifex maximus, der Oberpriester im
im 6. Jh. v. Chr. von den Oskern gegr., antiken Rom; seit dem 5. Jh. auch Titel der
63 n. Chr. (rund 22 000 Einw.) von schwe­ ↑ Päpste.
rem Erdbeben heimgesucht und zus. mit Pontinische Sümpfe, südöstl. von Rom,
Stabiae und Herculaneum 79 n. Chr. durch der Sage nach in den Latiner- und Sam-
Vesuvausbruch zerstört; seit 1748 bzw. niterkriegen durch Verwüstungen entstan-
1806 Ausgrabungen, die bis heute fortdau- den, 312 v. Chr. Trockenlegungsversuche
ern (2/3 des alten Stadtgebietes ausgegra- durch ↑ Appius Claudius, andere Versuche
ben), die Funde gewähren Einblick in Le- der Kultivierung 1301 (Bonifatius VIII.),
ben und Kultur der röm. Kaiserzeit. 1417 (Martin V.), 1585 (Sixtus V.), 1778
Pompejus, röm. Staatsmänner und Feld- (Pius VI.); seit 1931 planmäßige Kultivie-
herren plebej. Abstammung: 1) Gnaeus P. rung mit Städtegründungen.
Magnus, 106–48 v. Chr., erwarb Kriegs- Pontisches Reich, an der Nordküste Klein-
ruhm durch seine Siege über die Anhänger asiens, entstanden im Zusammenhang mit
des Marius in Sizilien, Afrika und Spanien der Auflösung der Reiches von Alexander
(gegen Sertorius), über die aufständ. Skla- d. Gr.; unter Mithradates VI. zum Groß-
ven unter Spartakus 71, über die Seeräu- reich erhoben; nach dessen Niederlage am
ber 67, über Mithradates 66–63; führte ab Fluss Lykos 65 v. Chr. dem Römerreich als
60 gemeinsam mit Cäsar und Crassus im Provinz Pontus eingegliedert und 63 v. Chr.
1. Triumvirat die Staatsgeschäfte; seit dem mit Bithymen zusammengefasst.
Tod des Crassus (53) wuchs der Gegensatz Pontius Pilatus, röm. Prokurator in Ju-
zu Cäsar, der schließlich (49) zum Bürger- däa (26–36 n. Chr.), beschwor durch seine
krieg zw. Cäsar und P. führte. Nach der ver- Unduldsamkeit gegenüber dem Judentum
lorenen Schlacht bei Pharsalus 48 wurde Volksaufstände herauf; gab, um die Juden
P. auf seiner Flucht nach Ägypten bei der zu beschwichtigen, die Einwilligung zur
Landung ermordet. 2) Gnaeus P., Sohn Kreuzigung Jesu; 36 aus Judäa abberufen.
von 1), 78–45 v. Chr., setzte den Kampf Poppäa, Sabina, röm. Kaiserin, in 3. Ehe
seines Vaters gegen Cäsar fort und fiel bei seit 62 n. Chr. mit ↑ Nero verheiratet, ver-
Munda. 3) Sextus P., 75–35 v. Chr., Führer anlasste Nero durch schrankenlose Ehr-
des span. Aufstandes von 45 v. Chr., 36 in sucht und Eitelkeit zur Ermordung seiner
der Seeschlacht bei Mylä von Agrippa be- ersten Gemahlin Oktavia und seiner Mut-
siegt, auf der Flucht ermordet. ter Agrippina; starb 66 n. Chr. an einer
Pompidou, Georges, frz. Politiker, 1911– Miss­handlung durch Nero.
1974; ab 1944 enger Mitarbeiter de Gaulles, Poppo von Stablo, 977–1048; seit 1020
1962–68 Premierminister, nach Rücktritt Benediktinerabt, reformierte unter Kon-
de Gaulles 1969 zum Staatspräs. gewählt. rad II. die trierischen Klöster; Vorkämpfer

750
Portugal

der cluniazensisch-hirsauischen Reform­ Kolonialbesitzes in Ostindien (Molukken,


bewegung in Deutschland, namhafter His- Ceylon) an Holland; nach einem Volks-
toriker der Zeit von Cluny. aufstand 1640 (↑ Johann IV. König) Be-
Popularen, die Volkspartei im alten Rom ginn der Herrschaft der einheim. Dynas­­
(2./1. Jh. v. Chr.); vom Standpunkt der Op- tie Braganza mit der Hilfe Englands. 1654
timaten gesehen Demagogen und Revolu- Freundschafts- und Handelsvertrag mit
tionäre. England; im Laufe des 17. Jh. Verlust fast
Porcia, Tochter des Cato Uticensis, seit des ges. Kolonialbesitzes an Holland und
45 v. Chr. mit Junius Brutus vermählt, be- England; Reformversuche unter ↑ Pom-
ging 42 nach der Schlacht von ↑ Philippi bal; 1807 Besetzung durch Napoleon und
Selbstmord. Flucht des Königshauses nach Brasilien,
Porta Nigra (lat., schwarzes Tor), Torburg Vertreibung der Franzosen mithilfe Groß-
der Römer in Trier (Stadttor), erbaut im britanniens (das seither Einfluss auf Politik
1. Jh. n. Chr., als Trier röm. Garnison und und Wirtschaft P.s ausübt); 1820 Verfas-
Sitz der Provinzialregierung war; Beispiel sung Johanns VI.; 1822 Loslösung Brasili-
für röm. Architektur, mit Eisen verklam- ens vom Mutterland unter Pedro I., folgen-
merte Quader, Doppeltürme, Binnenhof, schwere Parteikämpfe; 1892 Erklärung des
Halbsäulengliederung. Im MA zur Doppel­ Staatsbankrotts; 1910 Ausrufung der Re-
kirche ausgebaut; Napoleon I. legte Unter­ publik nach Beseitigung und Vertreibung
geschoss frei und stellte ursprünglich Zu- der letzten Herrscher (Karl I., Manuel II.);
stand wieder her. aber auch weiterhin Unruhen, Aufstände,
Port Arthur, Seefestung und Hafenstadt innere Anarchie und äußere Schwäche;
auf der Liautung-Halbinsel am Chin. Meer, 1916 Kriegseintritt gegen Deutschland
umkämpfter Stützpunkt in der Fernostpoli­ und seine Verbündeten; seit 1932 Neu-
tik; in der Auseinandersetzung zw. China aufbau einer ständ.-autoritären Republik
und Japan 1894 von den Japanern erobert, unter ↑ Salazar; im 2. ↑ Weltkrieg wegen
1895 an China zurückgegeben, 1898 von seiner halbfaschist. Regierungsform und
Russland besetzt und durch Pachtvertrag wegen der traditionellen Sympathie für
erworben, 1905 erneut von den Japanern Großbritannien neutral, aber keine diplo-
erstürmt, 1945 von den Sowjets eingenom- mat. Beziehungen zu Deutschland; bedeu-
men, als Kriegshafen benutzt und ausge- tende Kriegsgewinne der portugies. Wirt-
baut, 1954 Rückgabe an China. schaft; 1949 Beitritt zum Atlantikpakt
Portugal, Staat auf der iberischen Halb- (NATO), USA-Stützpunkte auf den Azo-
insel; 49 v. Chr. römische Provinz Lusita- ren, 1955 Mitglied der UN, ebenso Bei-
nia; Anfang des 5. Jh. Invasion der german. tritt zur EFTA und OECD; 1968 wurde
Sueben und Westgoten; 711 von den Ara- ↑ Caetano anstelle des erkrankten Salazar
bern erobert; der nördl. Teil des Landes im Ministerpräsident, seine Präsidentschaft
11. Jh. unter Lehensherrschaft Kastiliens. war überschattet durch den Kolonialkrieg
Nach der Niederwerfung der Mauren Ent- in Afrika: seit 1961 in Angola, seit 1962
wicklung zum unabhängigen Königreich in Guinea-Bissau, seit 1964 in Moçam-
(1179 unter ↑ Alfons I.); im Zeitalter der bique. 1974 wurde Caetano durch einen
Entdeckungsreisen (↑ Entdeckungen) erste Militäraufstand gestürzt. Die „Bewegung
See- und Kolonialmacht der Erde (über- der Streitkräfte“ sorgte mit der Revolution
see. Erwerbungen in Afrika, Ostindien vom 25. April 1974 für die gravierendste
und Brasilien); 1580–1640, nach dem Er- Umgestaltung der portug. Gesellschaft.
löschen der Capetinger unter span. Herr- Die Kolonien wurden innerhalb zweier
schaft (Personalunion), Verlust wertvollen Jahre in die Unabhängigkeit entlassen. Das

751
Posen

innenpolit. System von P. ist heute dem der dung des Landbriefbestellinstitutes durch
westl. Industrienationen vergleichbar. Seit Nagler; 1840 in England erstmals durch
1986 ist P. Mitglied der EG. Die Sozial- Rowland Hill einheitliches Briefporto;
demokrat. Partei Portugals ist die stärkste 1850 Er­richtung von Oberpostdirekti-
des Parlaments. Ihr gehört auch der amtie- onen; bis 1866 Vorrangstellung der Thurn-
rende Staatspräsident Soares an. Nach der und Taxis­schen Post in Deutschland; 1868
Revolution enteigneter Großgrundbesitz wurde die Norddeutsche Bundespost, 1871
und verstaatlichte Banken, Versicherungen, die Dt. Reichspost und 1878 der Welt-
Großbetriebe wurden – weil sie mit hohen postverein gegründet, der durch die Or-
Verlusten arbeiteten – in halbstaatl. oder ganisationsarbeit Heinrich von ↑ Stephans
private Unternehmen umgewandelt. die Vereinheitlichung des Gebühren- und
Posen, ehem. preußische Provinz unter der Beförderungswesens in einer ständig stei-
Bez. Großherzogtum P.; umfasste die durch genden Zahl von Ländern in allen Erdtei-
den Wiener Kongress 1815 Preußen zuge- len erstrebte und erreichte; in Deutschland
sprochenen Kerngebiete des histor. Groß- erst 1919 sämtliche Postverwaltungen der
polen, die bereits zw. 1793 und 1807 von dt. Länder in der Verwaltung des Reiches).
Preußen verwaltet worden waren; nach der Potemkin, Grigori Alexandrowitsch, Fürst
poln. Revolution 1830 wurde das Gebiet von Taurien, russ. Feldmarschall, 1739–
preuß. Provinz, 1871 dem Dt. Reich zuge- 1791; Geliebter und Günstling Kathari-
ordnet und kam 1919 an Polen. nas II., Eroberer und Kolonisator der Krim
Positivismus, philosoph. Richtung, die und des Schwarzmeergebietes; Gründung
sich unter Ablehnung metaphys., idealist. der Städte Cherson, Jekaterinoslaw, Niko-
Gedankengänge (Ausschluss alles Imagi- lajew, Sewastopol, Feodosia; P. sicherte die
nären) auf das „Positive“, das tatsächlich Schwarzmeergebiete durch den Bau einer
Gegebene, beschränkt, nach dem Vorbild Flotte. Als die Kaiserin 1787 die erschlos-
der exakten Wissenschaften; Anwendung senen neuen Provinzen besichtigte, ver-
positivist. Grundsätze auf die einzelnen stand es P., sie über die noch nicht überall
Wissenschaften: positivist. Geschichtswis- durchgeführte Kolonisation hinwegzutäu-
senschaft, P. in der Rechtswissenschaft, der schen, die (nicht existierenden) „Potem-
z. B. naturrechtliche Gedankengänge aus- kinschen Dörfer“ (gemalte Dorffassaden)
schließt; P. in der protestant. Theologie be- wurden sprichwörtlich.
schränkt sich auf den durch die Bibel gege- Potsdam, seit Friedrich Wilhelm I. (1713–
benen Offenbarungsglauben. 1740) 2. Residenz der preußischen Könige.
Post, im Altertum nur auf dem Weg des – Das Edikt von P. 1865 gewährte den ver-
Kurierdienstes (zu Fuß oder zu Pferd) triebenen frz. Hugenotten Glaubensfrei-
übermittelt und wegen des Aufwandes nur heit und wirtsch. Hilfe. – Tag von P.: 1933
für Staatszwecke übl.; in dieser Form bei Reichstagseröffnung und Machtübergabe
Chinesen, Ägyptern, Babyloniern, Persern Hindenburgs an Hitler in der 1732 erbau­
und Römern vorbildlich durchorganisiert; ten Garnisonskirche.
im MA meist Botenposten und Postüber- Potsdamer Abkommen: 1) 1910 zw. Zar
mittlung durch Handeltreibende; neuzeit- Nikolaus II. und Kaiser Wilhelm II.; Ver-
liche Entwicklung begann im Habsburger- such einer Wiederannäherung der bei-
reich; 1516 durch Franz von Taxis Errich- den Mächte, blieb ohne dauernden Er-
tung einer ständigen allg. zugänglichen Li- folg. 2) Aug. 1945 zw. Truman (USA),
nie reitender Posten zw. Wien und Brüssel, Stalin (UdSSR), Churchill, später Attlee
1615 Ernennung Lamorals von Taxis zum (Großbritannien); die Konferenz legte die
dt. Reichsgeneralpostmeister; 1821 Grün- Grundsätze für die künftige Form und

752
Pragmatische Sanktion

Verwaltung des besiegten Deutschland Reaktion gegen die dt. Überfremdung;


und die Gebietsabtretungen fest: Die dt. 1409 Auszug der dt. Professoren und Stu-
Gebiete jenseits der ↑ Oder-Neiße-Linie denten nach Leipzig; im Verlauf der Hussi­
wurden (z. T. gegen den Willen Großbri- tenkriege (eingeleitet durch den 1. Prager
tanniens und der USA) bis zur Festlegung Fenstersturz 1419) Ausweisung der Deut-
durch eine Friedenskonferenz der poln., schen, eingedämmt durch die Prager Kom-
das nördl. Ostpreußen mit Königsberg der paktaten (Friedensschluss zw. den Hussiten
sowjet. Verwaltung übertragen, die Vertrei- und dem Basler Konzil 1433); 1618 Ein-
bung der dt. Bevölkerung aus Polen und leitung des 30-jährigen Krieges durch den
der Tschechoslowakei wurde gutgeheißen; 2. Prager Fenstersturz und die Schlacht am
Fixierung von Reparationen, Aufteilung Weißen Berg 1620; 1631 durch die Sach-
der Demontagen. sen besetzt, 1632 von Wallenstein erobert;
Potsdamer Edikt, 1685; Berufung frz. 1634 Friedensschluss zw. dem Kaiser und
Flüchtlinge (Hugenotten) nach Branden- dem sächs. Kurfürsten in P.; 1648 von den
burg. Schweden erobert; im Österr. Erbfolgekrieg
Pour le mérite (frz., „Für das Verdienst“), 1741 von frz.-bayer. Truppen und 1744
↑ Orden, in Erweiterung des 1667 vom von preuß. besetzt; 1757 Sieg Friedrichs
späteren König Friedrich I. von Preußen d. Gr. über die Österreicher; 1848 Zusam-
errichteten Générosité-Ordens 1740 von mentritt des Slawenkongresses; 1866 Frie-
Friedrich d. Gr. gestiftet und 1842 von densschluss zw. Preußen und Österreich.
König Friedrich Wilhelm IV. erweitert. Mit dem Einsetzen der allslaw. Bewegung
Friedensklasse durch den dt. Bundesprä- anhaltende Zurückdrängung des Deutsch-
sidenten Theodor Heuss erneuert. Jeweils tums, 1861 rein tschech. Stadtverwaltung
30 Ordensritter, die diese Zahl durch Er- und 1918 Hauptstadt der neu gegr. Tsche-
gänzungswahlen aufrecht erhalten. choslowakei; 1939–1945 von den Deut-
Präfekt (praefectus), in Alt-Rom leiten- schen besetzt. 1968 wurde in Prag der
der Zivil- oder Militärbeamter; der Prae- Reformkurs der Regierung Dubček (Pra-
fectus classis war der Flottenbefehlshaber; ger Frühling) durch sowjet. Truppen ge-
der Praefectus urbi der Stadtkommandant; waltsam beendet. Nach der Landesteilung
das bedeutendste Amt war das des Praefec- wurde Prag 1993 Hauptstadt der Tschech.
tus praetorio (in der Kaiserzeit etwa gleich- Republik.
bedeutend mit dem Amt des Innen- und Pragmatische Sanktion (griech. pragma =
Kriegsministers); in Byzanz P. des Orients Geschäft, Sanktion = Billigung, Erlass), un-
und des Okzidents (Ämter im Rang von verletzl., unbedingt verpflichtendes Staats-
Vizekönigen). grundgesetz; 1) P. S. von Bourges, 1438:
Prag, Stadt an der Moldau, Hauptstadt ein auf Anweisung Karls VII. vom frz.
der Tschech. Republik, erlangte Bedeutung Reichstag erlassenes Grundgesetz, das die
durch die Gründung des Bistums 973, als Gültigkeit päpstlicher Verordnungen in
Regierungssitz der Przemysliden seit dem Frankreich von der Zustimmung des frz.
10. Jh. und durch die – wiederholt von den Königs abhängig machte, der Gallikan.
böhmischen Herzögen privilegierte – Nie- Kirche weitgehende Selbständigkeit zu-
derlassung und Kulturarbeit dt. Siedler in gestand und die Festigung des frz. Staats-
der Altstadt seit 1100; unter Karl IV. Re- wesens und die Eigenentwicklung Frank-
sidenz des dt. Kaisers und Blütezeit; An- reichs forderte. 2) P. S. von 1713: in Abän-
lage der Neustadt (1348), Errichtung des derung der Erbfolgeordnung Josephs I. von
Erzbistums 1344, dt. Universität 1348 Karl VI. erlassenes Hausgesetz Habsburgs,
(erste des dt. Reiches). Um 1400 tschech. das seiner Tochter Maria Theresia und nach

753
Prähistorie

Aussterben der Linie Josephs I. auch deren Presse, ↑ Zeitung.


Nachkommen die Erbfolge in Österreich Pressefreiheit, ↑ Zensur.
sichern sollte, aber erst nach schweren Preßburg, Bratislava, Stadt an der mitt-
Kämpfen (↑ Österr. Erbfolgekrieg) allge- leren Donau, im 13. Jh. von Deutschen
meine Anerkennung fand. gegr., vom 16. bis zum ausgehenden 18. Jh.
Prähistorie, ↑ Vorgeschichte. Hauptstadt des habsburg. W-Ungarn und
Prämonstratenser, Mönchsorden (weiße ungar. Krönungsstadt; 1918 an die Tsche-
Ordenstracht), benannt nach dem Grün- choslowakei als Hauptstadt der Slowakei,
dungskloster Prémonsté bei Laon, 1121 seit 1993 Hauptstadt der Slowak. Repu-
von Norbert von Xanten in der Absicht ge- blik. – Frieden von P. (1805) zwischen Na-
stiftet, den Weltklerus in mönch. Sinne zu poleon und Österreich nach der Schlacht
reformieren; seine Mitglieder erwarben sich bei Auster­litz.
große Verdienste um die Urbarmachung Pretoria, Hauptstadt der ↑ Südafrikan.
und Zivilisation des dt. Mordostens. Union, 1855 gegr., ben. nach dem Buren-
Pranger, Schandpfahl, Ort der öffent- führer Pretorius (gest. 1853).
lichen Bestrafung leichterer Vergehen im Preuß, Hugo, dt. Staatsrechtler, 1860–
mittelalterlichen Recht; Mittel zu entehren­ 1925; Mitbegründer der Deutschen Demo­
dem Strafvollzug: Auspeitschen, Scheren, krat. Partei 1918, Nov. 1918 bis Juni 1919
Schandkleid, Eselreiten usw. Staatssekretär des Inneren bzw. Reichs­
Prätor (lat. praetor, Anführer), Titel der innenminister; sein Entwurf einer Reichs-
hohen Richterbeamten Roms; Praetor urba­ verfassung bildete die Grundlage der Wei-
nus, der Stadtrichter, der in Prozessen zw. marer Reichsverfassung (↑ Weimarer Re-
Römern entschied; Praetor peregrinus, der publik).
Richter, der die Rechtsfälle zw. Römern Preußen, indogerman.-balt. Volksstamm,
und Fremden untereinander behandelte; im 10. Jh. n. Chr. unter dem Namen Pruz-
die P.en standen im Rang hinter den Kon- zen nachweisbar, sesshaft an der unteren
suln; zum Zeichen ihrer Würde gingen ih- Weichsel im Mündungsgebiet von Weich-
nen zwei bis sechs ↑ Liktoren voraus. sel, Pregel und Memel; im 11./12. Jh. lang-
Prätorianer (von lat. praetorium, dem wierig und unter Opfern christianisiert
Feldherrnzelt innerhalb des römischen La- (↑ Adalbert von Prag, gest. 997, Brun von
gers, später das kaiserliche Hauptquartier); Querfurt, gest. 1009, Bischof Heinrich
milites Praetoriani, seit Augustus Leibwa- von Olmütz, gest. 1141, Abt Gottfried,
che der Kaiser, durch die Reform des Sep- gest. 1207); seit 1230 unter der Herrschaft
timius Severus zur zuverlässigen Garde aus des ↑ Dt. Ritterordens, im Zuge der dt.
bewährten Soldaten ausgebaut; von Kon- ↑ Ostkolonisation Ansiedlung dt. bäuerl.
stantin d. Gr. abgeschafft; in der Zeit ihrer und städt. Kolonisten; altpreuß. Volkstum
höchsten Macht entscheidender Einfluss ausgerottet oder mit dem der aus dem
auf die Besetzung des Kaiserthrons. Westen und Süden des Reiches zugewan-
Presbyterianer, Bezeichnung für die An- derten Deutschen vermischt; in der
hänger der streng calvinistischen Kirche in 1. Hälfte des 13. Jh. Städtegründungen:
Schottland (John ↑ Knox), 1559 als Puri­ Thorn, Kulm, Marienwerder, Elbing, Blü-
taner verfolgt, 1572 in der Presbyteriani­ tezeit unter ↑ Winrich von Kniprode (gest.
schen Kirche konstituiert und 1689 tole- 1382); nach der Niederlage des Dt. Ordens
riert; die P. waren verwickelt in die engl. gegen Polen bei ↑ Tannenberg (1410) Ein-
Bürgerkriege des 17. Jh. (↑ Langes Parla- wanderung von Litauern, auch von neuen
ment); in der Neuzeit besonders verbreitet dt. Siedlern; vergebl. Versuch ↑ Heinrichs
in Schottland und in der USA. von Plauen, die Herrschaft des Ordens zu

754
Preußen

retten, Heinrich unterlag dem Adel, der Großen Kurfürsten, Kurfürst Friedrich II.
sich später mit den Städten und mit den (1688–1713), durch die Errichtung des
Polen verbündete; im 2. Thorner Frieden Königtums 1701 (Kurfürst Friedrich II.
kam Westpreußen zu Polen: Niedergang wurde vom Kaiser zum „König Friedrich I.
des Ordens, der die Hochmeisterwürde in Preußen“ erhoben, der durch Krontrak-
Fürstensöhnen aus dem Reich (1498 Fried- tat zur Unterstützung des Reiches ver-
rich von Sachsen, 1511 ↑ Albrecht von pflichtet war). Machterweiterung und Aus-
Brandenburg-Ansbach) übertrug; Albrecht, gestaltung des preuß. Militär- und Beam-
Neffe Sigmunds I. von Polen, der sich der tenstaates durch König Friedrich Wil-
Reformation anschloss, säkularisierte den helm I. (1713–1740): Durch den Erwerb
Ordensstaat und ließ sich durch den Ver- Schwed.-Vorpommerns im Anschluss an
trag von Krakau (1525) als erster weltlicher den ↑ Nord. Krieg (Vertrag von Stock-
Herzog von Preußen unter der Lehenso- holm) reichte das preuß. Staatsgebilde von
berhoheit des Königs von Polen bestätigen; der dt. O- bis zur W-Grenze; Begründung
1619, nach dem Tod Albrecht Friedrichs, einer preuß. Volkswirtschaft, endgültige
des Sohnes Albrechts, fiel das Herzogtum Überwindung des Staatsdualismus durch
Preußen an die Brandenburger Linie der die Souveränität (Ausprägung in der Per-
Hohenzollern (↑ Georg Wilhelm); damit son des Herrschers und der patrimonalen
begann die eigtl. brandenburg.-preuß. Ge- Staatsauffassung). – Verschärfung des Ge-
schichte. Der Sohn Georg Wilhelms, gensatzes zu Habsburg, Erwerb Schlesiens
↑ Friedrich Wilhelm, der Große Kurfürst, und Westpreußens durch Friedrich II.,
wurde zum Begründer des machtvoll sich d. Gr. (1740–1786); 1744 Besitzergreifung
entfaltenden Kurfürstentums Branden- Ostfrieslands, 1763 (Frieden von Huber-
burg-Preußen, das sich zum erstenmal in tusburg) Erwerb Schlesiens nach drei Krie-
den Wirren des schwedisch-poln. Krieges gen (↑ Schles. Kriege, ↑ Österr. Erbfolge-
(1655–1660) neben Habsburg und Frank- krieg und ↑ 7-jähriger Krieg); 1772 Anglie-
reich in einem Kabinettskrieg europ. Aus- derung des Ermlandes, des Netzedistrikts,
dehnung als Machtfaktor behauptete. Im Westpreußens ohne Danzig, Thorns nach
Frieden von Oliva (1660) wurde die Sou- der 1. Poln. Teilung. Im Innern Ausbildung
veränität Brandenburgs im Herzogtum des Friderizian. Systems (der Staat stand
Preußen bestätigt; der Große Kurfürst ver- über der Dynastie, der König war erster
einigte damit in seiner Hand die Mark Diener des Staates, in dem es keine Vertre-
Brandenburg, Kleve, Mark und Ravens- tung der Gesamtheit gab; sicherste Stütze
berg (1614) und Preußen. Innerer Ausbau war das Pflichtbewusstsein des Herrschers;
des Gesamtstaates, 1644 Gründung eines Trennung von Justiz und Verwaltung, unab­
stehenden Heeres, Organisation der Zen- hängiger Richterstand, preuß. Landrecht,
tral- und Lokalbehörden (1651 durch ge- religiöse Toleranz, Merkantilsystem); Än-
heime Ratsordnung Umgestaltung des Ge- derung des Titels in „König von Preußen“;
heimen Rats zu einer zentralen Behörde 1785 Sicherung des Besitzstandes und Be-
und im Zusammenhang mit der Heeres­ hauptung gegenüber Habsburg durch die
organisation Einrichtung eines General- Führerschaft im Dt. Fürstenbund. – Ge-
kommissariats); die Einheit des absolutist. bietserweiterungen und zugleich Sinken
regierten Staates wurde gestärkt durch den des An­sehens unter Friedrich Wilhelm II.
Sieg von Fehrbellin (1675) über die Schwe- (1786–1797); 1791 Erbschaft von ↑ Ans-
den und die weitgehende Ausschaltung der bach und Bayreuth. 1792 Misserfolg des
alten Landstände. Gekrönt wurde der Auf- Feldzugs in Frankreich (Valmy, 1. ↑ Koali-
bau des neuen Staates unter dem Sohn des tionskrieg), 1793 Erwerb Posens in der

755
Preußen

2. Poln. Teilung, 1795 Sonderfrieden zu Einberufung der preuß. Provinzialstände;


↑ Basel; im Innern Günstlingswirtschaft. – Aufstieg aber gefördert durch die günstige
Niedergang und Neuerhebung unter Fried- Lage in Europa und die Gründung des
rich Wilhelm III. (1797–1840); 1803 ↑ Zollvereins (1834). 1840 Wiederauf-
durch die Säkularisation bedeutender Ge- nahme der Verfassungsbewegungen unter
bietszuwachs in Thüringen und Westfalen; Friedrich Wilhelm IV. (1840–1861); 1847
1806 (Jena und Auerstedt) Niederlage ge- Einberufung des „Vereinigten Landtags“
gen Napoleon, 1807 im Frieden von Tilsit (geringe Befugnisse, nur beratend, kein
Abtrennung der poln. Gebiete (Herzog- Geldbewilligungsrecht, bald wieder aufge-
tum Warschau) und der Länder zw. Rhein löst); 1848 Verstärkung des Gegensatzes
und Elbe (Königreich Westfalen); Nieder- zw. Volksmehrheit und König durch die
gang durch das Versagen der Führung und ↑ Märzrevolution, Ablehnung der dem Kö-
die Unzulänglichkeit der staatlichen Ein- nig von Preußen angebotenen dt. Kaiser-
richtungen (Leibeigenschaft der Bauern, krone (↑ Nationalversammlung, Paulskir-
Vorrechte des Adels, Gesamtvolk ohne Ver- che); am 5. Dez. 1848 Auflösung der nach
tretung, Bürokratie, veraltetes Heerwesen, den Märzunruhen am 22. Mai eröffneten,
↑ Werbesystem); seit 1806 Reformen, Er- am 6. Nov. vertagten preuß. Nationalver-
neuerung des Staatswesens durch den Frei- sammlung und Erlass einer Verfassung aus
herrn vom Stein (1807 Befreiung der Bau- königlicher Machtvollkommenheit („ok-
ern von der Erbuntertänigkeit und 1808 troyierte Verfassung“ mit Zweikammersys­
Selbstverwaltung der Städte), durch Har- tem: Herrenhaus und Abgeordnetenhaus;
denberg (Gewerbefreiheit, Abschaffung der 3-Klassen-Wahlrecht, das in dieser Form
Steuerbefreiungen, Errichtung des Staats- bis 1918 bestand; einziges bedeutendes
kanzleramtes, Abschluss der vom Gr. Kur- Recht des Landtags war die Steuerbewil­
fürsten ausgehenden Entwicklung von lo- ligung). – Kampf um die Vormacht in
ckerer Gebietsvereinigung zum Zentral- Deutschland und Mittlerschaft in den Be-
staat mit Zentralverwaltung) und durch mühungen um die dt. Einigung: 1850
Scharnhorst (allg. Wehrpflicht), 1812 noch ↑ Unionsverfassung und Wiedererrichtung
im Bund mit Napoleon gegen Russland, des Bundestages des Dt. Bundes nach dem
nach dem Bündnis von ↑ Tauroggen mit Vertrag von ↑ Olmütz. Neue Ära unter
Russland (↑ Yorck) Sieg über Napoleon bei Wilhelm I. (seit 1858 Prinzregent, 1861–
Leipzig 1813 und Waterloo 1815. – 1815 1888 König bzw. Kaiser [seit 1871]).
auf dem Wiener Kongress Wiederherstel- Wechsel von den Konservativen zu den Li-
lung und Stärkung P.s durch Angliederung beralen als tragender Partei, 1861 Macht-
Nordsachsens, der Rheinprovinz und West- probe zw. König und Abgeordnetenhaus
falens (in seiner Landeinheit jedoch ge- um die Durchführung der Heeresreform;
trennt durch den eingeschobenen Keil die beabsichtigte Abdankung des Königs
↑ Hannover, das zu ↑ England gehörte). – wurde 1862 vermieden durch die Berufung
Neuordnung des Staates nach 1815 und Bismarcks; Organisation des Heeres ohne
Ausdehnung der Reformen auf den neuen Parlament und ohne Genehmigung des
Gesamtstaat: Anfangs noch Festhalten an Etats, doch nachträglich durch die sog.
den alten aristokrat. Vorstellungen (Heilige ↑ Indemnitätsvorlage, vom Landtag am
Allianz); Umwandlung des monarch. zum 3. Sept. 1866 mit 230 gegen 75 Stimmen
bürokrat. Absolutismus (Staatsrat 1817), gutgeheißen (damit war die „Konfliktzeit“
strenge Durchführung der ↑ Karlsbader beendet). 1866 kriegerische Auseinander-
Beschlüsse 1822, (unzulängliche) Erfül- setzung mit Österreich (↑ Dt. Krieg) um
lung des Verfassungsversprechens durch die Gebietsgewinne aus dem ↑ Schleswig-

756
Pribislav

Holstein. Krieg und Friede von Prag: Sieg Preußischer Verfassungskonflikt, 1860–
über Österreich und Festlegung der konsti- 66 ausgetragener Konflikt um die Heeres-
tutionellen Monarchie, Anschluss Hanno- reform zw. Krone sowie preuß. Regierung
vers, Kurhessens, Nassaus und Schleswig- und dem Abgeordnetenhaus; die von Wil-
Holsteins an Preußen, das damit ein ein- helm I. und der Militärführung geforderte
heitliches Staatsganzes wurde. Organisa- Stärkung des Heeres wollte die liberale
tion der zivilen Verwaltung nach militär. Mehrheit der Abgeordneten mit der Auf-
Gesichtspunkten. 1867 Führerschaft über gabe der dreijährigen Dienstpflicht und
die Staaten nördl. des Mains im ↑ Norddt. einem Ausbau ihrer parlamentar. Rechte
Bund, Außenpolitik und Heeresverfassung verknüpft sehen; Bismarck (seit 1862 Mi-
wurde bundesstaatlich. 1871 nach dem nisterpräsident) löste den Konflikt durch
Krieg gegen Frankreich Erhebung des einen wirtschaftspolit. Ausgleich und Ver-
preuß. Königs zum erblichen dt. Kaiser quickung des P. mit der europ. Politik;
und Preußens zur Vormacht in ↑ Deutsch- nach dem P. V. wurde das Parteiensystem
land. 1918 Abdankung des Königs, 1920 neu gruppiert (Dt. Fortschrittspartei, Na-
Festlegung einer neuen Verfassung für P. als tionallib. Partei, Freikonservative Partei).
eines der Länder der Weimarer Republik. Preußisches Allgemeines Landrecht, ei-
Die Weimarer Koalition (SPD, Zentrum, gentlich Allgemeines Landrecht für die
DDP, zeitweise auch DVP) hielt sich hier Preu­ßischen Staaten, 1794 in Kraft getre-
bis zum April 1932 an der Regierung; die tenes Reformwerk, das rund 20 000 Para-
danach nur noch geschäftsführende Regie- grafen umfasste; trotz des Einflusses der
rung Braun wurde durch den Preußen- Aufklärung blieb das Werk wesentlich den
schlag am 20. Juli 1932 von der Reichsre- Prinzipien des Ständestaates verbunden; in
gierung beseitigt. Unter Hitler weitge- weiten Teilen Preußens bis 1899 gültig.
hende Zusammenlegung der preuß. Regie- Preußisch-Französischer Krieg, 1806–
rung mit der des Gesamtreiches; nach dem 1807; Anlass gab die Besetzung der Städte
2. Weltkrieg Aufsplitterung des Landes Elten, Essen und Verden durch Napoleon,
Preußen: Gebiete östl. der ↑ Oder-Neiße- Vormarsch der vereinten preuß.-sächs.
Linie unter poln. bzw. sowjet. Verwaltung, Truppen auf Thüringen, Vorgefecht bei
Aufteilung der übrigen Provinzen und Pro- Saalfeld, 1806 preuß. Niederlage bei Jena
vinzteile in neue dt. Länder, die in der Dt. und Auerstedt und Einzug Napoleons in
Demokrat. Republik später in Bezirke auf- Berlin; Flucht des Königs nach Ostpreu-
geteilt wurden. Durch Gesetz des Alliierten ßen, 1807 preuß. Verzicht auf Hannover,
Kontrollrats wurde der Staat P. am 25. Feb. Friedensschluss mit Großbritannien und
1947 aufgelöst. Bündnis mit Russland, unentschiedene
Preußische Reformen, von den Minis­ Schlacht bei Preuß.-Eylau und Sieg Na-
tern Stein und Hardenberg 1806/07 ein- poleons bei Friedland; 1807 Frieden von
geleitete polit.-gesellschaftlich-militär. Re- Tilsit: Abtrennung der preuß. Gebiete zw.
formen; markierten den Übergang vom Rhein und Elbe, Ansbach-Bayreuths und
absolutistisch regierten Ständestaat zum der in der 2. und 3. poln. Teilung erwor-
bürgerlichen Verfassungsstaat sowie vom benen Landstriche im Osten; frz. Beset-
Agrar- zum Industriestaat; die Reformen zung und Verpflichtung zu hoher Kriegs-
verwirklichten die Befreiung der Bauern, entschädigung.
das Prinzip der Selbstverwaltung auf kom- Pribislav, Wendenfürst in Brandenburg,
munaler Ebene, die Gewerbefreiheit; zu- gest. 1150, begünstigte die Christianisie-
dem umfassten sie den Bereich des Heeres rung seines Landes und vererbte Branden-
und der Bildung. burg Albrecht dem Bären.

757
Prim

Prim, Don Juan, Graf von Rens, Marques zipat, das den Schein der republikanischen
de los Castilejos, span. General, 1814– Grundlage wahrte und auch formell repu-
1870 (ermordet); stürzte 1868 Königin blikan. Institutionen beibehielt, in Wirk-
Isabella, 1869 zum Ministerpräsidenten er- lichkeit aber monarchisch war); erst unter
nannt, bot gemeinsam mit dem vorläufigen ↑ Diokletian erfolgte die offizielle rechtli­
Regenten, Marschall Serrano, dem Prinzen che Loslösung von allen republikan. Resten
Leopold von Hohenzollern-Sigmaringen (↑ Dominat).
die Krone Spaniens an und schuf damit Prinzenraub, sächs., Entführung der Prin­
Konfliktstoff zwischen Frankreich (Ge- zen Ernst und Albert, der Söhne Friedrichs
fahr der Umklammerung und Gefährdung des Sanftmütigen, aus Schloss Altenburg
des Gleichgewichts der Mächte in Europa) im Bruderkrieg zw. den Wettinern Fried-
und Preußen; das Angebot wurde zu einer rich dem Sanftmütigen und seinem Bru-
der Ursachen des Krieges von 1870/71. der Wilhelm; ausgeführt durch den Ritter
Primat (lat., Vorrang), Bezeichnung für die Kunz von Kaufungen 1455, der nach der
Vorrangstellung des Papstes in der Füh- Befreiung der Prinzen hingerichtet wurde.
rung der Kirche, für die oberste Lehrgewalt Prinzipat, ↑ Princeps.
und die oberste Entscheidungsgewalt in Probstheida, Dorf bei Leipzig, 1813 Mit-
Fragen des Glaubens, der Sitten, der Kir- telpunkt der frz. Abwehrstellung in der
chengesetze, der Verwaltung und Seelsorge Völkerschlacht bei Leipzig, unter großen
(↑ Papst, Katholische Kirche). Verlusten von preuß. Truppen bezwungen;
Primo de Rivera, Miguel, Marques de Es- Einleitung des Rückzugs Napoleons nach
tella, 1870–1930; span. General unter Al- dem Westen.
fons XIII.; versuchte im Staatsstreich von Probus, Marcus Aurelius, röm. Kaiser aus
1923 das Königtum gegen das übermäch- Pannonien (276–282 n. Chr.); kämpfte als
tige Parlament zu schützen, entwickelte Feldherr unter Aurelian erfolgreich gegen
sich immer mehr zum Militärdiktator, ver- Franken, Alemannen und Burgunder, trug
lor das Vertrauen von Volk, Regierung und durch die planmäßige Verteilung german.
König, wurde 1930 entlassen. Söldner über das ganze Reich wesentlich
Primogenitur (neulat., Erstgeburt), Recht zur Germanisierung des Heeres und wei-
des Vorrangs der Erstgeborenen bei der ter Gebiete des Römerreiches bei; 282 er-
Erbnachfolge in dt. Fürstenhäusern. mordet.
Primus inter pares (lat., Erster unter Glei- Procida, Johann von, Adliger aus Salerno,
chen), von den Reichsfürsten vertretener Arzt und Freund ↑ Manfreds, Todfeind
Grundsatz, auf dem das dt. Wahlkönigtum Karls von Anjou, 1225–1302; gab 1282
des MA aufgebaut war. den Anstoß zur ↑ Sizilian. Vesper; später
Princeps (lat., Mann an der ersten Stelle), Kanzler in Sizilien.
in der republik. Zeit Roms durch Ansehen Profoß (abgeleitet vom lat. praepositus,
und tatsächlichen Einfluss die führende Vorgesetzter), im MA Stallmeister, Scharf-
Persönlichkeit, die – als „princeps civium“, richter; später niederer Offiziersrang, Ge-
Erster der Bürger – bes. in Gefahrenzeiten fangenenaufseher.
entscheidend in die politische Entwick- Prokonsuln (lat. pro consule = anstelle des
lung eingriff. In der Kaiserzeit Kaisertitel; Konsuls), z. Z. der Römischen Republik
auf der staatsrechtlich nicht klar umschrie- die Statthalter in den Provinzen, meist ehe-
benen Stellung als P. und der Beauftragung malige Konsuln oder Prätoren, gleichzei-
mit führenden republikanischen Ämtern tig auch militärische Befehlshaber; in der
auf Lebenszeit beruhte die Machtstellung Kaiserzeit Proprätoren (Legati Augusti pro
des Augustus und seiner Nachfolger (Prin- praetore).

758
Protestantismus

Prokop, (jurist.) Sekretär und Begleiter der Innenpolitik des anderen Staates um-
Belisars auf seinen Feldzügen, um 490–um schreibt. – Das von Hitler 1939 errichtete
562; geb. in Cäsarea in Palästina, verfasste „Protektorat Böhmen und Mähren“ war in
ein zeitgenöss. Geschichtswerk über den staatsrechtlicher Hinsicht noch stärker ge-
Vandalen-, Perser- und Gotenkrieg sowie bunden.
eine „Geheimgeschichte“ (Anekdoten) Protestantische Union, Bund der protes-
mit bitteren Anklagen gegen Justinian und tant. Fürsten Deutschlands unter Füh-
Theodora; vorausgegangen eine Verherrli- rung des Kurfürsten Friedrich IV. von der
chung Justinians und seiner Bauten („Über Pfalz, 1608 zu Auhausen (im bayer. Ries)
die Bauten“). geschlossen, veranlasst durch den Zwi-
Prokop, Andreas, genannt der Große schenfall von Donauwörth (nach der Be-
(Holy), Hussitenführer, um 1380–1434; lästigung einer kath. Prozession wurde die
seit 1424 Nachfolger ↑ Zizkas, hauste mit protestant. Reichsstadt mit der Reichsacht
seinen Scharen in Sachsen, Franken und belegt, der Protestantismus ausgetilgt und
in der Oberpfalz, wurde nach der Hussi- die Freie Stadt von Maximilian von Bayern
tenspaltung (im Anschluss an die Prager seinem Herzogtum einverleibt).
Kompaktur) Parteigänger und Anführer Protestantismus, Herkunft des Begriffs
der ↑ Taboriten, die 1434 von den gemä- aus der ↑ Protestation der ev. Stände auf
ßigten Utraquisten und dem Heer Kaiser dem 2. Reichstag zu Speyer 1529. Umfas-
Sigmunds bei Böhmisch-Brod besiegt wur- sende Bezeichnung für sämtl. aus der Re-
den; P. fiel im Kampf. formation hervorgegangenen christlichen
Proletariat, im antiken Rom Bürger mit Reli­gionsgemeinschaften in ihrem Gegen­
niedrigstem Einkommen, die dem Staat satz zur Kath. und Morgenländ. Kirche.
nur durch ihre Kinderschar (= proles) Grundlagen: Bibel als ausschließl. Heils-
dienten; im ↑ Marxismus Bez. für die mit quelle des Christentums, Glaube an Recht-
dem Kapitalismus entstandene Klasse der fertigung vor Gott allein aus der Gnade
Lohnarbeiter, die im Gegensatz zu den (Paulus). Ausgangspunkt ↑ Luthers The-
Leibeigenen im Feudalismus rechtlich frei senanschlag an die Wittenberger Schloss-
ist, aber über keine eigenen Produktions- kirche gegen Missbrauch im Ablasswesen
mittel verfügt. Das P. steht damit im kras- 1517 (↑ Tetzel), auch der Meinungsstreit
sen Gegensatz zur herrschenden und aus- zw. dem Schweizer Prediger ↑ Zwingli und
beutenden Klasse der ↑ Bourgeoisie. dem Ablasshändler Samson 1518. Ver-
Proskriptionen (lat. proscribere, ausschrei- suche, die Gegensätze innerhalb der Ge-
ben), die von Sulla 82 v. Chr. veröffentlich- samtkirche beizulegen – in Augsburg 1518
ten Listen mit den Namen der Geächteten; (↑ Cajetan), Altenburg 1519 (↑ Miltitz)
die auf der Liste aufgeführten polit. Geg- und Leipzig 1519 (↑ Eck) – führten zu kei-
ner Sullas durften von jedermann straflos ner Einigung, sondern zur Verschärfung
getötet werden, der gesamte Besitz der Pro- (Bannbulle gegen Luther 1520, Wormser
skribierten wurde enteignet und verstei- Edikt 1521). Im ↑ Marburger Religions-
gert; die Angeber erhielten einen Teil des gespräch 1529, veranlasst von Landgraf
Erlöses als Anzeigeprämie. Philipp von Hessen, scheiterte eine Eini-
Protektorat (lat., Schutzherrschaft), ein gung zw. Luther und Zwingli an der ver-
aus der Kolonialpolitik übernommener schiedenen Auslegung der ↑ Abendmahls-
staatsrechtlicher Begriff, der das Verhältnis lehre. Seitdem Ausprägung einer luthe-
zw. einer Großmacht und einem kleineren rischen und einer reformierten Dogmatik
Staat unter weitgehender Zusammenarbeit (↑ Calvin). Ausbreitung der lutherischen
in der Außenpolitik bei Selbständigkeit Richtung in N- und O-Deutschland, in

759
Protestation

Teilen von Süddeutschland, in Skandina- und Amerika betonten einzelne Glaubens-


vien und z. T. in England, der reformierten grundsätze (freikirchliche Bewegungen in-
Richtung Calvins in der Schweiz, z. T. in nerhalb des Protestantismus). 1817 Grün-
S-Deutschland, in Frankreich, den Nieder- dung der ev. ↑ Union von Reformierten
landen, England. – 1530 Augsburger Kon- und Lutheranern in Preußen. – Als Auf-
fession, von ↑ Melanchthon als Grundlage fangbewegung für das Gedankengut der
der protestant. Bekenntnislehre verfasst, ↑ Aufklärung entwickelte sich der liberale,
durch Reichstagsbeschluss abgewiesen antidogmat. Neuprotestantismus (beein-
(Vollzug der Kirchenspaltung), der dro- flusst von Kant, Herder, Lessing); Versuch
hende Reli­gionskrieg durch außenpoli- der ↑ Romantik, den Philosoph. dt. Idealis-
tische Bindung Karls V. (Türkengefahr) mus mit der protestant. Lehre zu verbinden
verzögert. 1531 Zusammenschluss einiger (Schleiermacher); nach dem 1. Weltkrieg
protestant. Reichsstände zum ↑ Schmal- „Lutherrenaissance“, 1922 Bildung des Dt.
kald. Bund. 1541 Johann Calvins Kirchen- ev. Kirchenbundes (Vereinigung der Lan-
verfassung in Genf. Nach dem Schmal- deskirchen auf Reichsebene), während des
kald. Krieg (1546/47) und dem Aufstand Dritten Reiches innere Zerrissenheit: nat.-
des Kurfürsten Moritz von Sachsen (1552; soz. ausgerichtete „Deutsche Christen“
Passauer Vertrag) im ↑ Augsburger Religi- und oppositionelle „Bekenntniskirche“,
onsfrieden (1555) die Augsburger Konfes- 1945 Neuzusammenschluss in der Ev. Kir-
sion reichsrechtlich als gleichberechtigt an- che Deutschlands (EKD); Bestrebungen
erkannt (die nicht anerkannte reformierte zur stärkeren Betonung des altkirchlichen
Glaubensrichtung in wachsendem Gegen- Dogmas. – In der „Ökumenischen Bewe-
satz zum luther. Protestantismus). Im Kon- gung“, ausgegangen von der Edinburgher
zil zu Trient (1545–63) weckten Reform- Weltmissionskonferenz 1910, wurde die
dekrete die Widerstandskraft der kath. Einheit aller christlichen Kirchen in Idee
Kirche gegen den P. (innere Reformen und sichtbarer Gemeinsamkeit angestrebt
und Aktivierung der ↑ Gegenreformation). (↑ Ökumen. Bewegung).
– Luther. Reichsstände beseitigten in der Protestation zu Speyer 1529, Einspruch
Konkordienformel 1577 Glaubensunter- der ev. Reichsstädte gegen die Beschlüsse
schiede und schlossen sich 1607 zu gegen- des Reichstagsabschieds von Speyer 1529,
seitigem Schutz in der „Union“ zusammen. nach denen künftig alle kirchl. Reformen
1609 Gründung des kath. Gegenbundes verboten sein sollten; darüber müsste „ein
(↑ Liga). – Nach dem ↑ 30-jährigen Krieg jeglicher für sich selbst vor Gott stehen
im ↑ Westfäl. Frieden (1648) Erneuerung und Rechenschaft geben“.
des Augsburger Religionsfriedens unter Proudhon, Pierre Joseph, Führer des frz.
Einschluss der Reformierten, Anerkennung Früh-Sozialismus, 1809–1865; vertrat die
der kirchl. Besitz- und Bekenntnisverhält- rationalistische Anschauung, dass nur der
nisse nach dem Stand von 1624 („Normal- Arbeitswillige Anspruch auf Leben besäße,
jahr“), Bestätigung der kirchlichen Spal- bekämpfte das kapitalistische Wirtschafts-
tung im Dt. Reich. – Weitere Entwicklung system und den Reichtum (La proprieté
des P. bestimmt durch das Streben nach c’est le vol = Eigentum ist Diebstahl) und
Einigung und durch das Entstehen neuer ebenso den Kommunismus (P. von Karl
protestant. Religionsgemeinschaften. Im Marx abgelehnt), proklamierte das genos-
18. Jh. neben der orthodoxen Richtung senschaftliche Eigentumsrecht. P. galt als
Ausbildung des ↑ Pietismus als Ausdruck bedeutender Mitbegründer des ↑ Anarchis-
persönlicher Verinnerlichung. Selbständige mus (war aber zugleich entschiedener Geg-
Richtungen besonders in Großbritannien ner des Kommunismus).

760
Ptolemäisches Weltsystem

Provence, die ehemalige röm. „Provincia dor von Sevilla als Verfasser zugesprochen;
Gallia Narbonensis“ zw. Piemont und dem Papst Nikolaus I. (858–867) erhob sie zur
Mittelmeer; 1246 zu Anjou, 1481 zur frz. Rechtsgrundlage, im 11. Jh. wurden sie
Krone. in die kanon. kirchliche Rechtssammlung
Provinzialstände, preuß., von Friedrich (Corpus Juris Canonici) übernommen; die
Wilhelm III. 1823 auf sein Versprechen von Unechtheit wurde bereits im Spätmittelal-
1815 hin einberufen; entsprachen in kei- ter erkannt (u. a. von Nikolaus Cusanus).
ner Weise der Forderung des Volkes nach Ptolemäer, die von Ptolemaios, dem make­
Vertretung in den Provinzen, tagten unter don. General Alexanders d. Gr., gegrün-
Ausschluss der Öffentlichkeit und bildeten dete Dynastie in ↑ Ägypten, residierte in
nur die Vertretung weniger bevorrechte- Alexandria 310–30 v. Chr.
ter Stände; 1847 zum Vereinigten Landtag Ptolemaios, Ägyptische Herrscher: 1) P. I.
nach Berlin einberufen, aber keine Wieder- Soter (306–285 v. Chr.); wurde nach dem
kehr des Landtags in Aussicht gestellt. Tod Alexanders d. Gr. (323 v. Chr.) mit der
Prytanen, die aus der ↑ Bule gewählten Verwaltung des ägypt. Teilreiches betraut,
Vertreter der 10 Bezirke, die „Stadträte“ ernannte sich nach den Thronwirren um
Athens; ihr Amtssitz im Prytaneum (Rat- die Oberherrschaft des Gesamtreiches 306
haus) am Markt. zum König und begründete die letzte al-
Przemysliden, seit 1198 böhm. Königs- tägypt. Dynastie. 2) P. II., Philadelphos
geschlecht, tschechischer Herkunft, ging (285–247 v. Chr.); Förderer der Wissen-
nach sagenhafter Überlieferung auf König schaften, Begründer des ↑ Museions und
Przemysl zurück; die Linie starb 1306 mit Eroberer von Äthiopien, Palästina, Phöni­
Wenzel III. aus. kien, Kilikien und Karien; erhob Ägyp-
Psammetich, Könige in Alt-Ägypten: ten erneut zum Machtzentrum des Mor-
1) P. I., 663–600 v. Chr.; unterstützte das genlandes. 3) P. III. Euergetes (246–
assyrische Reich, konnte aber den Sieges- 222 v. Chr.); unterwarf Asien bis zur baktr.
zug der Meder nicht dämmen; weckte in Grenze. 4) P. V. Epiphanes, unter ihm Be-
Ägypten die für die weitere Entwicklung ginn des nationalägypt. Widerstandes ge-
entscheidende Kampfbereitschaft und gen die Ptolemäer, Einflussnahme Roms
bahnte durch aktives Eingreifen in die Ent- auf die ägypt. Verwaltung (gest. 181).
wicklung des griechisch besiedelten Klein­ 5) P. XIV. (52–47 v. Chr.); letzter Regent
asiens den regen Kulturaustausch zwischen des Ptolemäergeschlechtes, seine Gattin
Ägypten und der frühen abendländ. Welt Kleopatra beging 30 v. Chr. nach dem See-
an. 2) P. III. (526–525); nach wenigen sieg des Oktavian bei Aktium über Anto-
Monaten der Regierung 525 bei Pelusium nius, ihren Geliebten, Selbstmord; nach-
von dem Perserkönig Kambyses geschlagen dem auch Kleopatras Erbe Cäsarion (be-
und entthront. nannt nach seinem Vater Cäsar) beseitigt
Pseudo-isidorische Dekretalen, Samm- war, erlosch die Dynastie der Ptolemäer;
lung von echten und gefälschten konzi­lia­ Ägypten wurde röm. Provinz.
ren und päpstlichen Verordnungen und Ptolemäisches Weltsystem, Lehre vom
bindenden Rechtsentscheidungen zur Stär- Aufbau des Weltalls, von dem in der Mitte
kung der Rechtsstellung der Kirche ge- des 2. Jh. n. Chr. wirkenden Geografen,
genüber der weltlichen Gewalt und des Astro­nomen und Mathematiker ↑ Ptole-
Papstes gegenüber dem Episkopat; vermut- mäus in seinem Werk „Syntaxis mathema-
lich um 850 in der Reimser Kirchenpro- tica“ niedergelegt: Die Erde hat die Gestalt
vinz zusammengestellt und fälschlich dem einer Scheibe und steht im Mittelpunkt
um 600 lebenden Kirchenschriftsteller Isi- des Planetensystems; die Lehre gelangte

761
Ptolemäus

in der arabischen Übersetzung „Almagest“ überlieferte in seinen Geschichtswerken


über Spanien ins Abendland und wurde wichtige Tatbestände aus der Regierungs-
bestimmend für die Weltvorstellung des zeit des Großen Kurfürsten und Fried-
MA und der frühen Neuzeit bis ↑ Koper- richs III.
nikus, ↑ Galilei und ↑ Kepler. Pugatschow, Jemeljan Iwanowitsch, Don-
Ptolemäus, Claudius, Geograf, Astronom kosak, 1742–1775 (hingerichtet), führte
und Mathematiker aus Alexandria, um als angeblicher Zar Peter III. gegen den rus-
100–178 n. Chr.; entwarf das nach ihm be- sischen Absolutismus einen Volksaufstand,
nannte geozentrische Sonnensystem, hielt der von Kosaken, Raskolniki, Baschkiren,
die Erde für eine Scheibe, verfasste die Leibeige­nen im Ural- und Wolgagebiet aus
„Geografika“ und „Syntaxis mathematica“ nat. oder sozialen Beweggründen getragen
und errechnete die Unterlagen für eine wurde. P. wollte einen bäuerlichen Kosa-
140 n. Chr. gezeichnete Erdkarte mit rund ken-Staat unter einem „Bauern-Zaren“ er-
8 000 geogr. Ortsnamen. richten; 1775 hingerichtet.
Publicani, in Alt-Rom Bezeichnung für die Pultusk, russ. Stadt am Narew im Norden
öffentlichen Steuereinnehmer und Staat- von Warschau; 1703 Sieg ↑ Karls XII. von
spächter der Provinzialeinnahmen; der Schweden über ein sächs. Heer; 1806 Sieg
Amtstitel wurde mit der Zeit zur Bezeich- der Franzosen unter Marschall Lannes über
nung für Aussauger, Wucherer. die Russen unter Bennigsen.
Pueblo, Siedlung der Puebloindianer ab Pulver, fand in der Form von Zünd­
etwa 700 n. Chr. im SW der USA; bestand mischungen schon sehr früh Verwendung
aus bis zu fünfgeschossigen Wohnanlagen bei Chinesen und Arabern und vielleicht
mit neben- und übereinander gebauten im 7. Jh. als „Griech. Feuer“ (zubereitet
Wohn- und Arbeitsräumen, als Material von Kallinikos) bei der Verteidigung von
wurden zu Platten gehauene Steine oder Byzanz; erste Anleitung zur Zubereitung
Lehmziegel verwendet (↑ Amerika; Vorko- gab Marcus Gräcus (zw. 8. und 12. Jh.);
lumbische Geschichte). im 13. Jh. experimentierten ↑ Albertus
Puerto Rico, Insel der Großen Antillen, Mag­nus und Roger ↑ Bacon mit Pulver-
autonomer amerikanischer Außenbesitz; mischungen. Die Erfindung des Freibur-
1493 von Kolumbus entdeckt, 1508 zum ger Mönches Berthold Schwarz um 1313
spanischen Kolonialreich, 1898 an die ist historische nicht belegt; erste Pulver-
USA abgetreten. fabriken entstanden 1340 in Augsburg,
Pufendorf, Samuel, Freiherr von, Staats- 1344 in Spandau, 1346 in Paris und 1347
und Völkerrechtslehrer, späterer Staats- in London.
sekretär und Historiograf in Schweden, Pulververschwörung, von Robert Catesby
1632–1694; griff unter dem Pseudonym und Thomas Percy 1604 gefasster Attentats­
Severinus de Monzambano in der Schrift plan, der von dem Offizier Guy Fawkes,
„De statu imperii Germanici“ in schärfster den Jesuiten Garnet und Tesmond sowie
Weise die Missstände des Reiches an, be- den Brüdern Wright vorbereitet, 1605 aber
gründete mit seinem Werk „De jure natu- vorzeitig entdeckt wurde; die Attentä­ter
rae et gentium“ die dt. Naturrechtslehre beabsichtigten, die Teilnehmer an der fei-
(das ↑ Völkerrecht beruht nicht auf posi- erlichen Parlamentseröffnung unter König
tiven Rechtssatzungen, sondern auf natürl. Jakob I. durch die Zündung von im Kel-
Recht). P. war einer der ersten Verfechter ler des Londoner Par­lamentsgebäudes ver-
objektiver Geschichtsbetrachtung auf der steckten Pulverfässern in die Luft zu spren-
Grundlage des Studiums der Quellen, trat gen; Ursache war die Erbitterung über die
für die religiöse Gewissensfreiheit ein und Katholikenverfolgungen durch Jakob I.;

762
Puritaner

die Verschwörer wurden 1606 hingerich- rungen der Römer, Verzweiflungskampf


tet; in der Folge Verschärfung des Kampfes der Karthager gegen die Römer unter Sci-
gegen den Katholizismus. pio d. J.; 146 Karthago völlig zerstört und
Punier (Poeni), röm. Bezeichnung für die dem Erdboden gleichgemacht, das Gebiet
phönikischen ↑ Karthager. der Stadt als Provinz Afrika dem Römer-
Punische Kriege, zw. Rom und Karthago reich einverleibt.
um die Beherrschung des westl. Mittel- Punt, Land an der afrikan. Küste des Roten
meers: 1. Pun. Krieg, 264–241 v. Chr.; Meeres (in der Gegend um das heutige Sua­
Kampf um die Oberherrschaft in Sizilien, kin mit der Nub. Wüste im Hinterland
ausgelöst durch den Hilferuf der ↑ Mamer- oder an der Eritrea- oder Somaliküste); die
tiner an Rom; 262 Eroberung der sizil. Fes- Bewohner waren Hauriten, in Pfahlbau-
tung Agrigent durch die Römer, 260 See- hütten wohnend, trieben seit ältester Zeit
sieg der neu erbauten röm. Flotte bei Mylä, Handel mit Weihrauch (urspr. sog. stum-
256 missglückter Eroberungsversuch in mer Tauschhandel, sie legten ihre Produkte
Afrika und Verlust der Flotte, seit 247 am Meeresstrand nieder, wo sie von ihren
Kleinkrieg des Hamilkar Barkas in Sizi- Handelspartnern gegen andere Waren ein-
lien; 241 Sieg der neu erbauten röm. Flotte getauscht wurden, ohne dass beide Han-
bei den Ägat. Inseln, Friede und Verzicht delspartner sich persönlich begegneten).
Karthagos auf Sizilien (= 1. röm. Provinz). Unter dem ägypt. Pharao Asosis vermut-
– 2. Pun. Krieg (218–201); Einmischung lich erste Puntfahrt (um 2360 v. Chr.),
Roms in die Expansionspolitik Karthagos nach längerer Unterbrechung z. Z. der
in Spanien, Kriegserklärung Karthagos; Pharaonin ↑ Hatschepsut um 1490 Wie-
218 ↑ Hannibals Zug durch Spanien und deraufnahme der Puntfahrt (Expeditions-
über die Alpen nach Italien; 218 Sieg über bericht in Bildern im Totentempel der Kö-
die Römer unter P. C. Scipio am Tessin und nigin bei Theben), P.-Fahrten wurden zu
unter T. S. Longus an der Trebia, 217 Ver- regelmäßigen, in Liedern besungenen Un-
nichtung des Römerheeres unter C. Fla- ternehmungen.
minius am ↑ Trasimenischen See („Han- Puritaner, Anhänger der streng calvinist.
nibal vor den Toren“); 216 Sieg Hanni- Glaubensrichtung in England, erstrebten
bals durch überlegene Feldherrnkunst bei christliche Lebensführung einzig in Anleh-
↑ Cannae und Winterquartier in Capua; nung an die Überlieferung der Bibel; unter
215 Sieg der Römer bei Nola und 212 bei den Calvinisten in England von radikalster
Syrakus, 207 Sieg über das karthag. Nach- Einstellung, wurden sie unter Elisabeth
schubheer unter Hasdrubal am Metaurus. stark zurückgedrängt, setzten sich aber in
204 Angriff P. C. Scipios auf Karthago und der Folge immer mehr im engl. (die Pres-
im Bund mit dem Numidierkönig Massi- byterianer im schott.) Parlament fest und
nissa 202 Sieg über den zurückberufenen nahmen größeren Einfluss auf die verfas-
Hannibal bei Zama; 201 Frieden: Rom sungsmäßige Entwicklung des Landes;
wurde erste Macht des westl. Mittelmeeres, hielten an den religiös-staatsrechtlichen
erholte sich aber nur langsam von der Ver- Ideen ↑ Calvins fest (König als Beauftrag-
wüstung im eigenen Land. – 3. Pun. Krieg, ter des Volkes und Rechtfertigung des Ty-
148–146 v. Chr.; macht- und handelspolit. rannenmordes), gerieten in schärfsten Ge-
Zerstörungskrieg der Römer, veranlasst gensatz zum Staatsprinzip der absoluten
durch die Einbrüche des Massinissa in Monarchie und des Gottesgnadentums
karthagisches Gebiet; ausgelöst durch die der Herrscher, der unter Karl I. zum of-
Gegenwehr der Karthager; Angebot der fenen Kampf zw. Königtum und Parlament
Übergabe Karthagos, ehrenrührige Forde- führte, setzten ihre Forderungen gegenüber

763
Pydna

den gemäßigten ↑ Presbyterianern durch Pyrrhus, König von Epirus, 318–


und verhalfen in einem bis ins 19. Jh. wäh- 272 v. Chr., scheiterte mit seinen Groß-
renden religionspolit. Kampf dem Wider- machtplänen 285 in Makedonien, wandte
standsrecht und dem Geist der Volkssouve- sich zur Gründung eines großen Reiches
ränität zum Sieg über das absolute König- im Stile Alexanders d. Gr. gegen Westen
tum (↑ Parlamentarismus). nach Italien, besiegte 280 v. Chr. die Rö-
Pydna, makedon. Stadt; Sieg der Römer mer bei Heraklea und 279 bei Ausculum
unter Ämilius Paullus über den Makedoni- unter schwersten eigenen Verlusten („Pyr-
erkönig Perseus 168 v. Chr. rhussieg“), eilte 278 den von Karthago be-
Pyramiden, Tempel- oder Grabbauten bei drängten Syrakusanern zu Hilfe und wurde
einigen alten Kulturvölkern (auch in der nach seiner Rückkehr 275 bei Benevent ge-
Neuen Welt); die altägyptischen P. wa- schlagen; verließ Italien und versuchte ver-
ren steinge­fügte Grab- oder Scheingraban­ geblich, Makedonien und Griechenland
lagen, durch das Übereinandertürmen ein- unter seiner Herrschaft zu einen, starb 272
zelner Terrassengräber (Mastabas) erst zu in Argos.
Stufen-, dann zu plattwandigen Vollpyra- Pythagoras, Vertreter der ion. Naturphi-
miden entwickelt; früheste ägypt. P, erbaut losophie, um 570 um 495 v. Chr.; lebte
von dem Baumeister Imhotep für König nach Reisen im Orient in Kroton in Unter­
Djoser (Zoser) um 2700 v. Chr., die drei P. italien, dem Mittelpunkt eines ethisch-po-
von Giseh erbaut um 2500 v. Chr. von den lit. und philosoph.-religiösen Bundes; der
Pharaonen Cheops, Chefren und Mykeri- Sieg der Demokraten in der Griechenwelt
nos, im Frondienst zu Lebzeiten der Kö- setzte ihn, den Verfechter der Aristokratie,
nige errichtet; später zahlreiche Klein-P. bis und seine zahlreichen Anhänger (Pytha-
ins 7. Jh. v. Chr.; der Bau der P. diente der goräer) langen Verfolgungen aus (Zerstö-
Verewigung des Pharaogottkönigs, dem im rung der Versammlungshäuser); P. lehrte,
Tempel vor den P. Opfer dargebracht wur- dass die Harmonie im Weltganzen sich in
den; die Grabkammern lagen meist hinter den Zahlen manifestiere (nachweisbar in
einer Folge von Vorräumen im Erdreich der Astronomie und Akustik); auch dem
(in der Cheops-Pyramide im Steinaufbau), harmonisch geführten Leben entsprächen
gegen Beraubung durch gewaltige Quader- bestimmte Zahlen; die Lehre des P. von sei-
sperren gesichert. nen Schülern ausgebaut und von großem
Pyrenäen-Friede, 1659 zw. dem frz. Kar- Einfluss auf die spätere Philosophie, bes.
dinal Mazarin und Spanien geschlossen, auf die Mystik des Neuplatonismus; der
vergrößerte Frankreich um die span. Ge- geometr. Lehrsatz des P. stammte vermut-
biete nördl. der Pyrenäen und um Artois lich nicht von P., sondern aus dem meso-
und sicherte die frz. Vormachtstellung auf potam. Kulturkreis um 2 000 v. Chr.
dem europäischen Festland.

764
Quadragesimo anno

Quadragesimo anno (lat., im diger George Fox in England gegründet;

Q 40. Jahr, d. h. seit der Enzyklika


„Rerum novarum“ Leos XIII.
zur sozialen Frage), die Enzy­
klika Pius’ XI. von 1931 über die soziale
zunächst Spottname (Quäker = Zitterer)
und vielen Verfolgungen ausgesetzt, 1689
im Toleranz­edikt anerkannt; gründeten
unter Führung W. ↑ Penns religiöse Nieder­
Ordnung, Erweiterung und zeitgemäße lassungen in Nordamerika, machten sich
Auslegung der Enzyklika Leos XIII.; be- durch hilfreiches Christentum der Tat (soz.
handelte die Fragen: Recht auf Eigentum, Liebeswerk) und selbstlose Missionsarbeit
Kapital und Arbeit, Entproletarisierung, verdient; erstrebten einfaches, natürl. Le-
gerechter Lohn, Gesellschaftsneuordnung, ben auf der Grundlage der Nächstenliebe
Ablehnung des schrankenlosen Kapitalis- und des Friedens unter den Menschen
mus wie des Marxismus, Aufruf zur reli- (Kriegsdienstverweigerung); 1947 mit dem
giös-sittlichen Erneuerung, ohne die aller Friedensnobelpreis ausgezeichnet.
organisatorischen Sozialarbeit der Erfolg Quartär, geolog. Periode, erdgeschichtl.
versagt bliebe. Neuzeit, folgte auf das Tertiär, Beginn etwa
Quadriga (lat. quadri-iugae, vier ins Joch 600 000 Jahre vor der Jetztzeit, unterteilt in
geschirrte Pferde), der von vier nebenei- die ↑ Eiszeiten, Zwischeneiszeiten (Warm-
nander eingespannten Pferden gezogenen zeiten) und die etwa 10 000 Jahre umfas-
griech. und röm. Rennwagen. In Rom fuhr sende Nacheiszeit, einschließlich der Ge-
der Triumphator mit einem weißen Vierer­ genwart. Zu Beginn des Quartärs Auftre-
gespann, die Q. daher als Krönung auf ten und Entfaltung des Menschen (↑ Palä-
Triumphbogen, so z. B. auf dem Berliner olithikum).
Brandenburger Tor. Quästor, röm. ↑ Magistrat (Beamter), erste
Quadrupelallianz (frz., Viermächtebünd- Stufe zu höheren Staatsämtern, in der Früh-
nis): 1) 1718 in London: Großbritannien, zeit Untersuchungsrichter für Kriminal-
Frankreich, Hl. Röm. Reich und Nieder- fälle, in der Republik und Kaiserzeit Ver-
lande gegen Spanien. 2) 1745 in Warschau: walter der Staatskasse und Abgabenerheber
Sachsen, Österreich, England und die Nie- in den Provinzen; die Q.en verwahrten die
derlande gegen Preußen (Hilfeleistungsver­ Protokolle der Senatsbeschlüsse im Tempel
trag). 3) 1814 in Chaumont: Russland, des Saturn (Rom).
Preußen, Österreich, Großbritannien zur Quebec, Provinzhauptstadt in Kanada,
Erhaltung des europ. Friedens (Offensiv- 1608 von den Franzosen am St.-Lorenz-
und Defensivbündnis gegen Frankreich). Strom gegr., Vorort ihres Kolonialreiches,
4) 1815 in Paris: Österreich, Russland, 1759 von den Briten erobert (Entschei-
Preußen, Großbritannien (Wahrung der dungskampf zw. Großbritannien und
Legitimität, evtl. Intervention). 5) 1834: Frankreich um die nordamerik. Kolonien).
Frankreich, Spanien, Portugal, Großbri- Quedlinburg, Stadt im nördl. Harzvor-
tannien gegen revolutionäre Umtriebe auf land, 924 durch Heinrich I. gegründet,
der Pyrenäenhalbinsel. 6) 1840: ­Londoner kam 1326 zum Bistum Halberstadt, bis
Konvention, Verständigung zwischen Ös- 1477 wirtsch. Aufstieg als Hansestadt; ging
terreich, Russland, Großbritannien, Preu- 1477 in den Besitz Kursachsens und 1815
ßen (gegen Frankreich) zum Schutz der Preußens über; 1946 dem Land Sachsen­-
Türkei gegen Ägypten. Anhalt zugeteilt; in der Schlosskirche
Quäker, Angehörige einer protestantischen (1129) die Gräber König Heinrichs I. und
Gemeinschaft ohne Liturgie und Sakra- seiner Gemahlin Mathilde.
ment, um 1650 unter der Bezeichnung Querétaro de Artega, Stadt in Mexiko;
„Society of Friends“ von dem Wanderpre- nach dem Abzug der frz. Truppen 1867 von

765
Quesnay

den Republikanern genommen; hier en- Quisling, Vidkun, Ministerpräsident Nor-


dete das habsburg.-mexikan. ­Kaiserdrama: wegens während der dt. Besatzungszeit
Erschießung Kaiser Maximilians auf Befehl (1942–1945), 1886–1945; entstammte
Juarez’, des Präsidenten und Dik­tators von dem Offiziersstand, 1931–33 Kriegsmini-
↑ Mexiko. ster, gründete die norweg. faschist. Partei
Quesnay, François, frz. Arzt, Naturfor- „Nasjonal Samling“; 1945 des Hochverrats
scher und Nationalökonom, 1694–1774; angeklagt und standrechtlich erschossen.
Begründer des ↑ Physiokratismus. Sein Name galt zeitweilig als Synonym für
Quetzalcoatl, toltekischer Gott, „Gefie- Kollaborateur (↑ Kollaboration).
derte Schlange“, aztek. Heros, der „Weiße Qumran (Wadi Qumran), Tal westlich des
Gott“, dessen Wiederkehr aus dem Westen Roten Meeres 10 km südl. von Jericho, in
erwartet wurde, vielleicht eine Ur-Erinne- den Felsen seit 1947 über 50 Höhlen ent-
rung an weiße Früh-Besiedler Amerikas deckt, in denen zahlreiche religiöse Hand-
(von der Alten Welt her), ↑ Mexiko. schriften einer jüd. Gemeinde aufgefunden
Quietismus (lat. quies, Ruhe, Gelassen- wurden, die ihre Bibliothek während des
heit), religiöse Strömung, bes. im 17. und jüd. Aufstandes um 66–70 n. Chr. beim
18. Jh.; religiöses Leben und Streben war Herannahen der Römer in den Höhlen
(myst.) Gottverbundenheit durch beschau- barg; Zeit der Abfassung um 200 vor bis
liche Versenkung in sein Wesen; Verzicht um 70 n. Chr.; besonders bedeutsam die alt-
auf aktive Entfaltung der Seelenkräfte, auf testamentarischen Bibelhandschriften, die
Askese und sichtbare, äußere Kirchenform; zum Teil Jahrhunderte älter waren als die
passive Hingabe bis zur Selbstvernichtung bisher bekannten, und die „Sektenrolle“,
ohne jedes Verlangen, selbst ohne das Ver- das Handbuch der Disziplin einer jüd. Ge-
langen nach dem Seligsein; vorgebildet im meinschaft, die auf einer 800 m entfernten
Brahmanismus und Buddhismus; in Eu- Anhöhe in einer klosterähnlichen Siedlung
ropa Hauptvertreter Molinos (17. Jh.), lebte und der jüd. Sekte der ↑ Essener nahe­
de Guyon (18. Jh.); der Q. wirkte in der stand oder ihr angehörte; die Gemeinde
Folge auf die Entwicklung des dt. ↑ Pietis- lebte im Glauben, dass das Ende der Tage
mus ein. nahe sei; die „Kriegsrolle“ behandelte die
Quintilian, Marcus Fabius, röm. Lehrer endzeitliche Auseinandersetzung mit den
der Rhetorik, um 35–96 n. Chr., im Ge- Mächten der Finsternis, bei der die Ge-
gensatz zur Sprachmode seiner Zeit vertei- rechten, die Schar der Auserwählten in der
digte er den klass. Stil Ciceros und verfasste Gemeinde, die sich durch strenge Beobach-
ein Lehrbuch über die Beredsamkeit. tung des Gesetzes, durch Taufe und Buße
Quirinal (abgeleitet von ↑ Quirinus), einer heiligen, ewigen Frieden, ewige Wahrheit
der sieben Hügel Roms im NO des Kapi- und Herrlichkeiten erwarten durften. Die
tols mit dem um 1574 erbauten Palast der Veröffentlichung der Texte, darunter eine
Päpste, der seit 1870 Residenz der italie- Rolle psalmenähnlicher Lieder, erfolgte
nischen Könige und seit 1946 italienischer durch ein internat. Gremium.
Regierungssitz ist.
Quirinus, im ältesten Rom (sabin.) Kriegs-
gott auf dem Hügel Quirinal (neben Mars,
dem Kriegsgott der latein. Siedler auf dem
Palatin, daher Götterdreiheit Jupiter, Mars,
Quirinus); später Beiname des als Gott ver-
ehrten Romulus; Quirinalien Bezeichnung
für das Romulus-Fest.

766
Raab

Raab, Julius, 1891–1964, ös- 1766–1858; zeichnete sich mehrfach in

R terr. Politiker; 1938 Bundes-


minister, nach dem Anschluss
Österreichs an das Dt. Reich
in einer Straßenbaufirma tätig; 1945 Mit-
den Napoleon. Kriegen aus, 1809–1815
Generalstabschef, entwarf den Kriegsplan
für die Befreiungskriege, kämpfte durch
seine Siege bei Custoza 1848 und Novara
begründer der ÖVP, Vorsitzender des Öster. 1849 den ital. Aufstand im lombard.-vene-
Wirtschaftsbundes (bis 1961) und Staats- zian. Gebiet nieder, in dem er 1850–1857
sekretär in der Provisorischen Staatsregie- als Gouverneur residierte.
rung; 1952–1960 Bundesparteiobmann; Radhakrischnan, Sarwapalli, ind. Philo-
1945–1961 Nationalrat; 1953–1961 Bun- soph und Politiker, 1888–1975; 1952–
deskanzler in einer Großen Koali­tion;. 1962 Vizepräsident, 1962–1967 Präsident
1955 erreichte R. die sowjet. Zustimmung Indiens.
zum Österr. Staatsvertrag (Ende der sowjet. Radic, Stjepan, kroat. Bauernführer, 1871–
Besatzung). 1928; gründete 1904 die Kroat. Bauern-
Rabenschlacht, 21/2-jährige Belagerung partei, wurde als Führer der kroat. Unab-
des von Odoaker verteidigten Ravenna hängigkeitsbewegung 1928 durch serbische
(= Raben) durch die Ostgoten; Odoaker, Nationalisten im Parlament ermordet.
bereits 489 bei Görz und bei Verona und Radom, poln. Stadt, 175 000 Einwohner;
490 an der Adda geschlagen, hatte sich Reichstag von R. schrieb 1505 Ausschließ-
nach Ravenna zurückgezogen, das er auf- lichkeit der staatspolit. Rechte des Adels
grund eines Vertrages über gemeinsame fest, die bis 1791 gültig blieb.
Herrschaft 493 dem belagernden Ostgo- Radio, ↑ Rundfunk.
tenkönig Theoderich übergab; Theoderich Radiokarbonmethode, ↑ Chronologie.
ermordete Odoaker meuchlings; Stoff eines Radowitz, Joseph Maria, preuß. General
mhdt. Heldengedichtes des 13. Jh. und konservativer Staatsmann unter Fried-
Rabin, Yitzhak, israel. Politiker, 1922– rich Wilhelm IV., 1797–1853; romant. So-
1995; 1964–1967 Generalstabschef, 1968– zialtheoretiker, urspr. großdt., dann Ver-
1973 Botschafter Israels in den USA, fechter der kleindt. Unionspolitik bis zur
1974–1977 Ministerpräsident (Rücktritt), Punktation von Olmütz 1850.
erneut Ministerpräsident von 1992 bis zu Raeder, Erich, dt. Großadmiral, 1876–
seiner Ermordung Ende 1995. Engagierte 1960; seit 1928 Admiral und Chef der Ma-
sich in seiner zweiten Amtszeit für eine rineleitung, seit 1935 Oberbefehlshaber der
friedl. Beilegung des Nahostkonfliktes, wo- Marine. R. war Verfechter der Überwasser-
für er 1994 zusammen mit Shimon Peres strategie. Am 30. Jan. 1943 wurde R. nach
und Yassir Arafat den Friedensnobelpreis Differenzen mit Hitler abgelöst (Nachfol-
erhielt. 1995 wurde Rabin während einer ger Dönitz) und erhielt den einflusslosen
Kundgebung von dem radikalen Studenten Posten des Admiralinspekteurs der Marine;
Ygal Amir erschossen. vom Alliierten Gerichtshof in Nürnberg zu
Radagais, Heerkönig der Ostgoten, zog 10 Jahren Gefängnishaft verurteilt, 1955
405 mit großer Heeresmacht (Goten, Su- vorzeitig aus der Haft entlassen.
even, Vandalen; angeblich 200 000 Mann) Ragusa (Dubrovnik), 656 n. Chr. von
gegen Rom, wurde von Stilicho in der blu- Flüchtlingen aus der von Slawen zerstörten
tigen Schlacht bei Fiesole besiegt, gefangen Stadt Epidaurus auf einer Felseninsel an
und getötet. der dalmatin. Küste gegr.; 980 Erzbischofs-
Radetzky, Joseph Wenzel Graf, österr. sitz und bis 1204 unter byzantin., später
Feldherr, General-, Zivil- und Militärgou- venezian., serb., ungar. Schutz (1480–
verneur im lombard.-venezian. Gebiet, 1806); gegen Tributzahlung an den türk.

767
Rahman

Sultan Sicherung einer gewissen Souverä- kanzler ernannt, 1159 Erzbischof von
nität; eine der glanzvollsten Handelsmetro- Köln; im Kampf gegen Papst und lombard.
polen des Mittelmeerraumes. Städte tatkräftiger Parteigänger des Kaisers
Rahman, Scheich Mujibur, Politiker in und sein Statthalter in Italien; Aufstellung
Bangladesch, 1920–1975; 1966 Präsident von Gegenpäpsten, Sieg über die Römer;
der Awami-Liga, seit 1972 Ministerpräsi- überführte die Gebeine der Hl. Drei Kö-
dent von Bangladesch, vereinigte R. 1975 nige von Mailand nach ↑ Köln und för-
das Amt des Ministerpräsidenten und des derte die Heiligsprechung Karls d. Gr.
Staatsoberhauptes auf sich und machte 1165 in Aachen.
Bangladesch zu einem Einparteienstaat Raleigh, Sir Walter, Seefahrer im Dienst
mit der Awami-Liga als Nationalpartei. Im Elisabeths von England und Günstling der
Aug. 1975 wurde R. von einer Offiziers- Königin, 1552–1618; unternahm 1584/85
gruppe abgesetzt und ermordet. Expeditionen zur Erschließung Virginias,
Raiffeisen, Friedrich Wilhelm, Begründer der ersten engl. Kolonie in Nordamerika,
der landwirtsch. Darlehensvereine, 1818– drang auf der Suche nach dem „Goldland“
1888; Bürgermeister im Westerwald; regte 1617 bis Guayana vor; seine Hinrichtung
in Zeiten des Niederbruchs der Bauern- unter Jakob I. 1618 im Westminsterpalast
wirtschaft die genossenschaftliche Selbst- (Sühne für die Spanien zugefügten Ver-
hilfe ohne verschwender. Verwaltungsappa- luste) belastete die Stuartkönige bis zum
rat an bei solidar. Haftung der Mitglieder; Ende Karls I. (1648); Verfasser einer „Welt-
verschaffte auf diese Weise ­Betriebskredite geschichte“.
zur Finanzierung von Saatgut-, Maschinen­ Ramses, 12 ägypt. Pharaonen: 1) R. II.
kauf u. a., auch Organisation des genossen- (um 1290–1223 v. Chr.); kämpfte im Jor-
schaftlichen Verkaufs der Ernte; begrün- danland und in Syrien gegen die verbün-
dete und organisierte das ländliche Genos- deten syr. Fürsten und gegen die ↑ Hethi-
senschaftswesen. ter um die Vormachtstellung ­ Ägyptens,
Raimund VI., Graf von Toulouse, ­mächtiger teilte sich nach der unentschiedenen
frz. Feudalherr, der ein südfrz.-kath. Reich Schlacht von Kadesch mit den Hethitern
plante; im Bund mit den ↑ Albigensern in die Herrschaft Syriens, zog um 1230
wurde R. 1213 von einem Kreuzheer unter gegen Libyen, stärkte das Pharaonentum
Simon von Montfort geschlagen, eroberte und verewigte seinen Ruhm in groß ange-
aber nach 1218 sein Land zurück. Seinem legten Tempelbauten (z. B. Ramesseum bei
Nachfolger, R. VII., wurde von Königin Theben mit Kolossalstatuen des Königs).
Blanca, die für Ludwig IX. vormundschaft- 2) R. III. (um 1188–1157 v. Chr.); aus der
lich die Regierung führte, 1229 der Vertrag 20. Dynastie, kämpfte gegen die mit den
von Paris aufgezwungen, der das Herzog- Libyern verbündeten nord. ↑ Seevölker;
tum Narbonne an die frz. Krone band und nach seiner Ermordung verfiel die Macht
die Grafschaft Venaissin dem Röm. Stuhl des Reiches unter seinen Erben, die immer
zusprach; die restlichen Besitzungen R.s mehr in die Abhängigkeit der Amonprie-
fielen später ebenfalls an die Krone. ster von Theben gerieten.
Rain, Stadt im bayer. Schwaben; in der Ranke, Leopold von, dt. Universalhistori-
Schlacht bei R. erzwangen 1632 die Schwe- ker, 1795–1886; entdeckte die Venetian.
den den Übergang über den Lech und ver- Relationen, eine für das 16. Jh. bedeutsame
wundeten ↑ Tilly tödlich. Quelle (Gesandtschaftsberichte Venedigs),
Rainald, Graf von Dassel, Kanzler Barba- forderte Sachlichkeit, vertrat ­ einen histor.
rossas, um 1120–1167; gewandter Diplo- Relativismus (objektive Betrachtung ­ jeder
mat, 1156 von Friedrich I. zum Reichs- Epoche und jedes Landes aus ihren ei-

768
Rassismus

gensten Gegebenheiten) und begr. durch oder 1865–1916; übte seit 1907 großen
Quellenkritik die moderne Geschichtswis­ Einfluss auf die Zarenfamilie und auf den
senschaft (als Gegner verallgemeinern­der engsten Mitarbeiterkreis des Hofes aus,
Systematik bezog R. das einzelne histo- forderte Beendigung des 1. Weltkrieges,
rische Faktum jeweils auf die entspre- galt als Rädelsführer der russ. Hofintrigen
chende Zeitrichtung); Hauptwerke: „Die und wurde von russ. Aristokraten in Peters­
römischen Päpste“, „Dt. Geschichte im burg ermordet.
Zeitalter der Reformation“, „Zwölf Bücher Rassengesetze, Gesamtheit der gesetzge-
preuß. Geschichte“. ber. Akte im ↑ Dritten Reich zur Judenver-
Rapacki-Plan, der von dem poln. Außen- folgung, insbes. die Nürnberger Gesetze;
minister Adam Rapacki (1909–1970; unter die R. fallen das „Gesetz zur Wie-
Außenminister seit 1956) 1957 vorgelegte derherstellung des Berufsbeamtentums“
Plan, eine neutrale, von Atomwaffen freie (1933), das allen Nichtariern den Zugang
mitteleurop. Zone zu schaffen. zum öffentlichen Dienst versperrte, die
Rapallo, ital. Hafenstadt am Ligur. Meer; „Arisierung der Wirtschaft“, womit die
1) Vertrag von R. 1920 zwischen Italien Juden aus dem Wirtschaftsleben ausge-
und Jugoslawien zur Beilegung der Adria­ schlossen wurden, und eine Vielzahl per-
frage („Freistaat Fiume“, vgl. ↑ Rijeka). sönlicher Einschränkungen und Auflagen;
2) Vertrag von R. 1922 zwischen Deutsch- Höhepunkt der R. waren die Nürnberger
land (Rathenau) und der Sowjetunion: Gesetze (Sept. 1935), nach denen u. a. den
erste selbständige Aktion der dt. Außen- Juden die Eheschließung mit Angehörigen
politik nach dem 1. Weltkrieg, erzielte „dt. oder artverwandten Blutes“ verboten
Verständigung mit der Sowjetunion und wurde.
Wiederanbahnung der wirtsch. und di- Rassismus, übersteigerter Geltungsan-
plomat. Beziehungen (dt. Hilfe für Aus- spruch aufgrund der Zugehörigkeit zu ei-
bau von Heer und Industrie in der Sow- ner angeblich wertvolleren Menschenrasse.
jetunion, Ausbildung dt. Offiziere in der Als mit der Aufklärung die christl. Selbst-
Sowjetunion), beiderseitiger Verzicht auf verständlichkeit der Unterjochung fremder
Schadensansprüche aus der Kriegszeit; der Völker in Frage gestellt wurde, entstanden
Vertrag verhinderte zwar die gefährliche Ersatztheorien zur Aufrechterhaltung kolo-
Isolation Deutschtands nach Westen und nialer Herrschaft: Menschen anderer Haut-
Osten, verschärfte aber erneut den Gegen- farbe, also meist Nicht-Weißen, wurden
satz zu England und Frankreich. mindere Fähigkeiten, ja Verwandtschaft
Raskol (russ., Riss, Zwiespalt), das Schisma zum Tier angedichtet. Diese „Verwissen-
der russ. (orthodoxen) Kirche 1680, die schaftlichung“ der eigenen Überlegenheit
Abspaltung der Altgläubigen („Raskolnik“), kulminierte nach der Veröffentlichung von
veranlasst durch (an sich geringfügige) Re- ↑ Darwins Evolutionstheorie. Man sah in
formen des Kultes (Angleichung an die den Rassen mehr oder minder erfolgreiche
byzantin. Urform) durch den Patriarchen Zuchtergebnisse, das Recht des Stärkeren
↑ Nikon; konservative und tief religiöse übertrug man ungefiltert aufs Zusammen-
Bewegung als Protest gegen die Verweltli- leben der Völker. Auftrieb gab das auch
chung und Verstaatlichung der Kirche, ge- dem Antisemitismus, der die Juden kurzer-
gen das Pfründenunwesen und die Kritik hand zu einer Rasse ernannte, die minder-
an der Bibel; Trennung der Volksfrömmig- wertig und daher zu eliminieren sei. Diese
keit von der offiziellen Kirche. biologist. Wahnidee erhob der Nationalso-
Rasputin, Grigorj, russ. Bauer und als zialismus zur Staatsideologie und rechtfer-
Mönch auftretender Wundertäter, 1864 tigte damit den Mord an Millionen Juden.

769
Rastatt

Der R. dient oft zur Ablenkung eigener Nationalversammlung am 10. Feb. 1919


Schwierigkeiten (Sündenbock-Strategie) zurück.
und zur Begründung imperialistischer Po- Rätesystem, nach kommunist. ­Auffassung
litik. (Lenin) die aus der proletarischen Revo-
Rastatt, Stadt in Baden, ehem. markgräf- lution hervorgehende Regierungsform, in
liche Residenz 1705–1771: 1) 1714 Friede der die Räte (russ. Sowjets) die „Diktatur
zw. Kaiser Karl VI., der den Frieden von des Proletariats“ ausüben (Vereinigung von
↑ Utrecht (1713) nicht anerkannt hatte, gesetzgebender und vollziehender Gewalt
und Frankreich-Spanien nach Beendigung in Form der „demokrat. Diktatur“, ähn-
des ↑ Span. Erbfolgekrieges mit Belassung lich dem frz. Nationalkonvent von 1792).
Straßburgs und des Elsass bei Frankreich; Nächsthöhere Stufe nach der überwun-
Anerkennung der Bourbonenherrschaft denen bürgerlich-parlamentar. Demokra-
in Spanien unter der Voraussetzung ihrer tie: „Aufbau von unten nach oben“, direkte
Unabhängigkeit von Frankreich; Zutei- Wahl der Orts- und Betriebsräte, durch sie
lung der span. Nebenländer Mailand, Tos- Wahl der nächst höheren Räte usw. bis zur
kana, Neapel und Niederlande an Öster- Spitze; doch jede Wahl auf Widerruf, um
reich, Ausschaltung des bayer. Tauschplans kein Berufsbeamtentum aufkommen zu
(Bayern gegen Niederlande) und Wieder- lassen und um möglichst jedem einmal
einsetzung Max Emanuels von Bayern und Gelegenheit zur Mitarbeit in den Räten
↑ Josef Klemens’ von Köln in ihre Kurfürs­ zu geben. Erstes Auftreten von „Arbeiter-
tentümer. 2) 1797–99 Friedenskongress räten“ in der russ. Revolution von 1905,
zur Ordnung der dt. Reichsangelegen- erfolgreich in der Revolution von 1917;
heiten nach dem 1. ↑ Koalitionskrieg und mithilfe der „Arbeiter- und Soldatenräte“
Festlegung neuer Besitzverhältnisse für die Sturz ↑ Kerenskis und Machtübernahme
im Frieden von ↑ Campoformio 1797 ge- durch die kommunistische Partei (Bolsche-
schädigten Fürsten der linksrhein. Gebiete wiki), 1918 Verankerung des Rätesystems
mit erfolglosen Verhandlungen und end- in der Verfassung der „Russ. Sozialist. Fö-
gültigem Abbruch nach der Ermordung derativen Sowjetrepublik“: oberste gesetz-
frz. Unterhändler durch österr.-ungar. Hu- gebende Gewalt beim jährlich einmal zu-
saren. – 1840 Ausbau der Stadt zur Bun- sammentretenden Allruss. Rätekongress,
desfestung. 1849 Niederwerfung der repu- durch ihn Wahl des Zentral-Exekutiv-Ko-
blikan. Bewegung und der Revolution in mitees (ZJK), das seinerseits (mit den Kon-
Baden nach zweimonatiger Belagerung von troll- und Gesetzgebungsbefugnissen eines
R. durch preuß. Truppen. Parlaments) ständig tagte und die Rätere-
Rat der Fünfhundert, 1) Bezeichnung gierung, den „Rat der Volkskommissare“
für die Bule in Athen. 2) frz. Conseil des (= Minister), wählte; wahlberechtigt nur
Cinq-Cent, neben dem Rat der Alten eine die Bauern und (mit fünfmal höherwer-
der beiden Kammern der frz. Direktorial- tigem Stimmrecht) die Arbeiter. Wirk-
verfassung von 1795, welche über Gesetzes­ licher Inhaber der Macht die kommunist.
initiativen und Besetzung des ­Direktoriums Partei. In der Verfassung von 1936 Räte-
mit entschieden. system in urspr. Form abgeschafft (allg.
Rat der Volksbeauftragten, vorläufige gleiches Wahlrecht; direkte Wahlen zum
deutsche Regierung 1918/19; am 9. Nov. „Obersten Sowjet“ anstelle des ZJK). –
1918 gebildet und am 10. Nov. 1918 als Nach sowjetruss. Muster Einführung des
Koalition aus SPD und USPD von den Rätesystems auch in Deutschland während
Berliner Arbeiter- und Soldatenräten be- der Revolution von 1918 von den Links-
stätigt, trat nach der Wahl zur Weimarer radikalen versucht, die aber auf dem Kon-

770
Raumfahrt

gress der Arbeiter- und Soldatenräte Ende in Raetia prima (Gegend von Vorarlberg)
1918 in Berlin überstimmt (Übertragung und Raetia secunda (Tirol, Iller- und Inn-
der gesetzgebenden und vollziehenden Ge- tal) mit der Iller als natürlicher Grenze ge-
walt auf den „Rat der Volksbeauftragten“ gen die Alemannen; nach dem Zusammen-
statt auf den „Vollzugsrat“ der Räte) und bruch der Römerherrschaft (488 Rückzug
1919 beim Versuch, das Rätesystem mit der letzten Römer von der Donau nach Ita-
Gewalt durchzusetzen, blutig niedergewor- lien) Durchzugsgebiet der Ostgoten und
fen wurden; nur Bayern (München) wurde seit dem 6. Jh. von Bayern und Schwaben
nach der Ermordung Eisners für kurze Zeit besiedelt.
zu einer „echten“ Räterepublik; auch die Raubkriege Ludwigs XIV., Bezeichnung
ungarische Räterepublik unter Bela Kun für die Kriege zw. 1668 und 1700: ↑ De-
war nicht von Dauer. Wiederbelebungs- volutionskrieg, Holländ. Krieg und Pfälz.
versuche des R.s in den revolutionären Un- Erbfolgekrieg.
ruhen in Ungarn und Polen 1956 und in Raudinische Felder, ↑ Vercellae.
Frankreich 1968. Raumfahrt, wiss. und techn. Bestre-
Rathenau, Walther, dt. Wirtschaftler, Phi- bungen des Menschen zur Erkundung des
losoph und Staatsmann, 1867–1922; Prä- Weltraumes (Astronautik, Kosmonautik)
sident der von seinem Vater Emil R. gegr. mithilfe von R.forschung, R.technik und
AEG, im 1. Weltkrieg Organisator der dem Raumflug; unterschieden wird: erd-
Rohstoffversorgung, 1921 Reichsminister nahe, lineare, (inter)planetare, hypothet.
für Wiederaufbau, 1922 Nachfolger von (inter)galakt. und (inter)stellare R. – Erste
↑ Brockdorff-Rantzau als Außenminister techn.-wiss. Überlegungen zur R. Ende
(↑ „Erfüllungspolitik“), 1922 dt. Vertreter des 19. Jh. in Russland und Deutschland
auf der Konferenz zu Genua, schloss über- (Antriebssysteme und Raumflugbahnen).
raschend mit der UdSSR den Vertrag von Während des 2. Weltkrieges wurde die R. in
↑ Rapallo; von rechtsradikalen Offizieren Deutschland forciert (R. Nebel, W. v. Braun,
bei einer Fahrt durch Berlin im offenen H. Oberth, J. Winkler, W. Dornberger
Wagen ermordet. u. a.); nach dem Krieg Verlagerung in die
Rätien, ehemalige röm. Provinz Raetia, USA und UdSSR; 4. Okt. 1957 Start des
umfasste Graubünden, Tirol, Vorarlberg, sowjetischen Satelliten „Sputnik 1“ (erster
Wallis, die bayer. Alpen und die Hoch­ Weltraumsatellit), am 1. Feb. 1958 folgte
ebene bis zur Donau; nach Niederkämp- „Explorer 1“ (USA); 12. April 1961 erster
fung des heftigen Widerstandes der Rä- bemannter Raumflug durch „Wostok 1“
ter (Volksstamm vorwiegend illyr. Her- (UdSSR); 20. Juli 1969 erste Landung auf
kunft mit kelt. Einschlag, vom Inn bis in dem Mond („Apollo 11“, USA). Es folgte
die Schweiz) 15 v. Chr. von Tiberius gegr. die Entwicklung bemannter Raumstatio­
mit der auf einer kelt. Siedlung errichteten nen: UdSSR 1971 Koppelung von „Sojus“
Hauptstadt Augusta Vindelicorum (Augs- und „Saljut“ und 1986 Raumstation „Mir“
burg); wurde durch röm. Legionen (erster (Frieden); USA 1973 „Skylab“, 1983
Standort Castra Regina an der Stelle des „Spacelab“ (Entwicklung und Nutzung ge-
heutigen Regensburg) und Heranziehung meinsam mit der europ. Weltraumbehörde
der Räter zum Heeresdienst geschützt, seit ESA). Diese Entwicklung ist eng verbun-
Mark Aurel (161–180 n. Chr.) mit german. den mit der wieder einsetzbarer Raum-
Söldnern besiedelt und durch den Rät. Li- fähren (Spaceshuttle), da Raumstatio­nen
mes (Kastelle bei Pfünz und Einfing) ge- dadurch mit wesentl. geringeren Kosten
sichert; um 300 n. Chr. durch die Provin- eingerichtet werden konnten. Erste Raum-
zialeinteilung Diokletians Aufgliederung fähre der USA war die „Columbia“ (1981),

771
Ravenna

die der UdSSR „Buran“ (1988). 1986 tenreiches (monumentale Palast- und Kir-
kam es zur Katastrophe, die Raumfähre chenbauten mit prachtvollen Mosaiken)
„Challenger“ explodierte kurz nach dem bis zur Übergabe (539) an den byzant.
Start, die sieben Piloten kamen ums Le- Feldherrn Belisar; seit 552 Mittelpunkt
ben. Die amerik. Raumfahrt erlitt dadurch des byzantin. ↑ Exarchats und Sitz des
eine schweren Rückschlag (Neuversuch Statthalters (Patrizius) Ostroms, 751 als
mit der „Discovery“ 1988). 1989 Start letzter Stützpunkt der Byzantiner in Nord­
der amerik. Jupitersonde „Galileo“. Das italien von dem Langobardenkönig ↑ Ais-
Hubble-Weltraumteleskop (größtes Tele- tulf erstürmt, 756 nach Einnahme durch
skop im All) liefert seit 1990 Aufnahmen die Franken mit dem Kirchenstaat an den
aus dem Weltraum; im selben Jahr wurde Päpstl. Stuhl; 1441–1509 venezianisch, seit
die europ. Raumsonde „Ulysses“ zur Er- 1509 wieder beim Kirchenstaat (mit Aus-
kundung der Sonne entsandt. Seit Mitte nahme der frz. Herrschaft 1797–1815) bis
der 1990er Jahre verstärkte Erforschung zur Eingliederung in das Königreich Italien
des Mars: 1996 startete die Marssonde 1860. – Grabkirche der Galla ↑ Placidia
„Pathfinder“(Landung 1997 mit dem un- 425, Grabmal ↑ Theoderichs 530.
bemannten Raumfahrzeug „Sojourner“ an Ravensburger Handelsgesellschaft, (auch
Bord, das Bodenproben nahm und Auf- Große R. H.), etwa 1380–1530 wichtigste
nahmen machte). Im Nov. 1998 begannen oberdt. Handelsgesellschaft vor den Fug-
die Weltraumnationen mit dem Aufbau ei- gern, Sitz in Ravensburg; die R. H. hatte
ner internationalen Raumstation („ISS“) in ihrer Blüte 6 070 Gesellen als vollberech-
unter Beteiligung der USA, der ESA, Ja- tigte Gesellschafter; Zweigniederlassungen
pans, Kanadas und Russlands; Inbetrieb- in ganz Europa; exportierte Textilien, Me-
nahme 2000. Im März 2001 Zerstörung tallwaren u. a., importierte u. a. Safran.
der „Mir“ (aufgrund zu hoher Betriebskos­ Reagan, Ronald Wilson, 40. Präsident
ten). Die Weltraumsonde „Mars Express“ der USA, 1911–2004; anfangs Schauspie-
der europ. Weltraumbehörde ESA sprengte ler und Rundfunkmoderator, 1967–1975
im Dez. 2003 die Landefähre „Beagle 2“ Gouverneur von Kalifornien; wurde als
ab, die sichere Belege für die Existenz von Kandidat der Republikaner im Nov. 1980
Eis auf dem Mars erbringen konnte. Die zum Präsidenten gewählt, Wiederwahl
verstärkten Bemühungen zur Vorbereitung 1984; seine Nachfolge trat im Nov. 1988
eines bemannten Marsfluges werden je- sein Vizepräs. G.↑ Bush an.
doch vermutlich noch einige Jahrzehnte in Reaktion (lat., Gegenschlag), polit. Neu-
Anspruch nehmen. ordnung durch Wiederherstellung des
Ravenna (= Rabenstadt), ital. Stadt in früheren Zustandes; man bezeichnete die
der Landschaft Emilia nahe der Adria, ur- Zeit zw. 1819–1830 als Reaktionszeit Eu-
spr. Etruskersiedlung, seit Augustus röm. ropas; in Österreich-Deutschland ausgelöst
Kriegshafen, erlangte dank seiner durch nach der Ermordung ↑ Kotzebues durch
Meer und Sümpfe geschützten Lage er- die in Übereinkunft mit dem Dt. Bund
höhte Bedeutung in den Abwehrkämpfen 1819 von Metternich erlassenen ↑ Karlsba-
gegen die Goten; 404 durch Kaiser Hono- der Beschlüsse und die Demagogenverfol-
rius zur weström. Residenz erhoben und gungen unter Friedrich Wilhelm III. von
bei der Belagerung des Westgotenkönigs Preußen; zunächst überwunden durch die
Alarich behauptet, 490–493 von Odoaker im Gefolge der ↑ Julirevolution von 1830
gegen den Ostgotenkönig Theoderich ver- in Deutschland emporkommenden libe-
teidigt (↑ Rabenschlacht); dann Residenz ralen Strömungen und die revolutionären
Theoderichs und Hauptstadt des Ostgo- Bewegungen von 1848/49. – Als zweite

772
Reconquista

ausgeprägte Welle der R. galt die Zeit von polit. Leben anstelle der biedermeierlichen
etwa 1850–1860 nach der missglückten Eigenbrötlerei, die Bedeutung der ↑ Fa-
Revolution 1848/49: vor allem in Öster- brik als Ausgangspunkt für neues soziales
reich (Schwarzenberg), Preußen (Manteu- Denken. – Philosoph.-polit. prägte sich
ffel) und in Hessen-Kassel (Hassenpflug); der R. aus in der Hegelschen Auffassung
unter der geistigen Schirmherrschaft des vom Staat als Grundlage der kulturellen
Zaren Nikolaus I. letzter Machtkampf des und sittlichen Entfaltung und vom Ein-
rein monarch. Prinzips; vorübergehender zelmenschen als dem durch Vereinzelung
Sieg der österr. Bundespolitik und der in tragischer Schuld gegenüber dem Staat
preuß. konservativen, antiliberalen Herr- und dem Weltganzen sich verstrickenden
schaft; vermochte sich aber nicht mehr voll Wesen; Ausbreitung des Schopenhauer-
durchzusetzen gegenüber den polit.-bür- schen Pessimismus (Überbrückung der
gerlichen Bestrebungen, den wiss.-literar., Gegensätze durch Willensverneinung), des
fortschrittlichen demokrat.-liberalen Ge- Feuerbachschen Optimismus (rückhalt-
danken und den nationalstaatlichen Be- lose Diesseits- und Sinnesbejahung) und
wegungen in Europa; an die Stelle der po- der materialist. Weltanschauung Ludwig
lit. Gleichgültigkeit vornehmlich der Ge- Büchners; Verknüpfung von philosoph.,
bildeten während der ersten Reaktionszeit sozialen und histor. Ideen in der Dichtung
trat das rege Interesse aller Bevölkerungs- des poet. R. (besonders bei Hebbel, der die
kreise am allg. kulturellen und polit. Fort- tragische Schuld des Menschen aus seinem
schritt. Menschsein hervorgehen ließ).
Realismus (lat. res, die Sache), eine auf Realisten (lat. res, die Sache), im MA seit
die wahrnehmbare Wirklichkeit gegr. geis- etwa 1 000 Vertreter jener Richtung inner-
tige Sicht, die sich in der Lehre ausprägte, halb der scholast. Philosophie, die im Ge-
dass eine vom erkennenden Subjekt unab- gensatz zur Philosophie der ↑ Nominalisten
hängige tatsächliche Außenwelt besteht, stand; die R. billigten den „Universalien“
wobei in „naiver“ Wertung die Außen- (Gattungsbegriffen, die nach Aristoteles als
welt mit dem tatsächlich Wahrgenom- Entelechien den Dingen innewohnten) al-
menen gleichgesetzt wurde. In „transzen- leinige Existenz und Wirksamkeit zu und
dentaler“ Wertung wurde die Außenwelt leiteten die Einzeldinge der Erscheinungs-
als Erscheinungsform eines bestehenden, welt von ihnen ab; entsprechend der zen-
aber vom Subjekt letzthin nicht erkenn- tralen, stufenförmig zu Gott aufsteigenden
baren, objektiven Seins (Kant) betrachtet; Denkordnung des MA bedeuteten ihnen
in „krit.“ Wertung wurde die Erkennbar- die Universalien Zwischenstufen in dieser
keit des objektiven Seins behauptet, da Ordnung zw. den diesseitigen Einzeldingen
Denken und Sein übereinstimmten. – In und Gott; Hauptvertreter: ↑ Anselm von
der bildenden Kunst zeichnete sich der Canterbury.
R. aus durch das Bestreben, die Welt der Rechtsbücher, im MA private Darstel-
Erscheinungen in ungeschminkter Nach- lungen des geltenden Rechts, die später
bildung der wahrgenommenen Wirklich- z. T. das Ansehen von Gesetzen erlangten
keit wiederzugeben. – In der Dichtung das (Sachsenspiegel, Schwabenspiegel).
gleiche Streben; rea­listisch war vornehm- Reconquista (span., Wiedereroberung),
lich die Dichtungsepoche von 1830–1885; der Kampf der christl. Königreiche in Spa-
geschichtliche Voraussetzungen waren die nien gegen die Mauren; währte, nach dem
↑ Julirevolution von 1830, die Revolution Eindringen der ↑ Almohaden, gehemmt
von 1848/49, die ↑ Reaktionszeit, das Er- durch die Rivalität der christlichen Teil-
wachen des Interesses am kulturellen und reiche, das ganze MA hindurch bis zur

773
Referendum

Vereinigung von Aragonien und Kasti- Zweibrücken, süddt. Reichsstände und


lien (1469) und der Eroberung Granadas Dt.-Ordensland; 1534–1540 Württem-
(1492). berg, Herzogtum Sachsen, Brandenburg,
Referendum (lat., das [dem Volk] zu Un- Kurpfalz); Anerkennung und Sicherung
terbreitende), Volksabstimmung als Ein- des reformierten Kirchenwesens im Augs-
richtung der direkten ↑ Demokratie; in burger Religionsfrieden 1555 und endgül-
den Schweizer Kantonalverfassungen bei tig durch den Westfäl. Frieden 1648.
Verfassungsänderungen obligatorisch, in Reform Bill, Sammelbezeichnung für meh-
die Verfassung der Weimarer Republik als rere englische Wahlrechtsreformgesetze des
„Volksentscheid“ (über ein „Volksbegeh- 19. Jh.; während der Reformen 1832–1885
ren“) übernommen; im Bonner Grund- wurden Bürgern, Arbeitern, Handwerkern,
gesetz von 1949 nicht vorgesehen (außer Landarbeitern und Bergleuten mehr Rechte
bei Änderung der Ländergrenzen), doch in gegenüber der Aristokratie eingeräumt, zu-
den Verfassungen der meisten Länder ent- dem wurden die Wahlbezirke zugunsten
halten. der Industriegebiete neu eingeteilt.
Reformation (lat., Wiederherstellung, Er- Reformierte Kirchen, von Zwingli und
neuerung), durch Erneuerung angestrebte Calvin begründete Kirchengemeinschaften,
Wiederherstellung eines früheren, besse- die aus der Reformation in der Schweiz
ren Zustandes; polit. z. B. Reformations- hervorgingen. – Nach Zwinglis Tod 1531
versuch im Dt. Reich (↑ Reichsreform); im legte Calvin die neue Lehre in ihrer Eigen­
engeren Sinn die große religiöse Bewegung art gegenüber dem luther. Bekenntnis fest
des 16. Jh. nach dem Versagen der Reform- und sicherte sie durch straffe Kirchenzucht
bestrebungen des Konzils von Konstanz und Kirchenordnung; aufgrund des von
1414–18 (Martin V.) und Basel 1431–49 Bullinger verfassten Züricher Überein-
(Eugen IV.) sowie des Wiener Konkordats kommens 1549 Zusammenschluss Cal-
für Deutschland (1448 zw. Friedrich III. vins und der Zwinglianer zur Reformierten
und Nikolaus V.), ­ veranlasst durch die Kirche. Nach ihrer Ausbreitung auch in
kirchlichen Missstände der Zeit (Verwelt- Deutschland, Frankreich, Polen, Ungarn
lichung der Kurie, Verfall des Mönchswe- Spaltung in abweichende Bekenntnisrich-
sens, Werkfrömmigkeit, Ablass­missbrauch tungen (Calvinisten, Puritaner, Presbyte-
u. a.); die R. erstrebte aus persönlicher Ge- rianer u. a.); seit 1921 im „Reformierten
wissensnot die „Wiederherstellung“ eines ↑ Weltbund“ zusammengeschlossen.
reinen bibl. Christentums, eine von welt- Reformismus, gemäßigte sozialpolitsche
lichen Machtmitteln unbeeinflusste Ge- Richtung, die unter Verzicht auf revolutio-
meinschaft der Christenmenschen und die näre Lösungen sozialen Fortschritt auf dem
Gotteskindschaft allein durch den Glauben; friedlichen Weg der sozialpolitische Re-
zur geschichtlichen Entwicklung ↑ Luther formgesetzgebung zu verwirklichen suchte,
und ↑ Protestantismus. Nach Trennung von praktisch vorherrschend in der Politik der
der röm.-kath. Kirche und Abkehr von den engl. ↑ Labour Party unter dem Einfluss
sozialrevolutionären Bewegungen (Ritter- der ↑ Fabian Society; abgelehnt von ortho-
krieg Sickingens 1522–1523, Bauernkrieg doxen Marxisten und Bolschewisten.
1524/25) suchten die ↑ Protestanten An- Reformkommunismus, nach dem 2. Welt-
lehnung und Schutz bei den der Reforma- krieg entstandene Strömung innerhalb des
tion zuneigenden Reichsständen. Seit dem Kommunismus gegen die Machtfülle des
Reichstag zu ↑ Speyer 1526 Aufbau von stalinistischen Parteiapparates; Ziel des
Landeskirchen (1522–1523 Kursachsen, R. ist eine Demokratie auf sozialistischer
Hessen, Ansbach-Bayreuth, Anhalt, Pfalz- Grundlage unter Berücksichtigung der bür-

774
Regesten

gerlichen Grundrechte („Prager Frühling“ 1) durch die Confoederatio cum principi-


1968). Nach dem Zusammenbruch der bus ecclesiasticis 1220 (Befreiung der geist-
UdSSR können eigentlich fast alle kom- lichen Fürsten: kaiserlicher Verzicht auf
munistische Parteien und Bewegungen als Zoll-, Münz- und Spolienrecht); 2) durch
Reformkommunisten bezeichnet werden; das Statutum in favorem principum 1231
der Begriff hat jedoch an Bedeutung ver- (große Zugeständnisse auch an weltliche
loren, da er bewusst als Pendant zum Sozi- Fürsten); die Übergabe der Regalien an die
alismusbegriff der Sowjetunion entwickelt Territorialherren schwächte die Königs-
wurde. macht und förderte die territoriale Eigen-
Refugies (frz., Flüchtlinge), die nach Auf- entwicklung.
hebung (1685) des ↑ Edikts von Nantes aus Regensburg, bayer. Stadt an der ­ Donau,
Frankreich auswandernden ↑ Hugenotten, von den Kelten gegründet (Radaspona),
die bes. in Savoyen, Brandenburg (Potsda- 179 n. Chr. Lager der 1. röm. Legion („Ca-
mer Edikt 1685), den ­ Niederlanden, der stra Regina“) zum Schutz Rätiens ge-
Schweiz und England Aufnahme fanden. gen Hermunduren und Markomannen,
Regalien, die Königsrechte des MA, ver- 167 n. Chr. Standquartier Mark Aurels im
brieft oder aus dem Gewohnheitsrecht ab- Markomannenkrieg; 6.–8. Jh. Residenz der
geleitet; besonders die Rechte des Königs Agilolfinger, 739 durch Bonifatius zum
an den Reichskirchen, bestehend aus dem Bistum erhoben, Ende des 9. Jh. Residenz
„Servitium regis“ (unentgeltliche Dienste Arnulfs von Kärnten, 954 letzter Wider-
der Kirchen und Klöster für den Hof, standsort gegen Otto I. im Ludolfinischen
Recht des Königs zur Pfründenverteilung Aufstand; in R. 1147 Aufbruch des dt. Rit-
an Geistliche, Reisigenaufgebot der Bi- terheeres unter Konrad III. zum 2. Kreuz-
schöfe und Klöster für das Reichsheer), zug; 1156 Belehnung Heinrichs des Lö-
aus dem „Regalienrecht↑ (Anspruch des wen mit Bayern und Sitz des Welfenhofes
Königs auf Rechte und Einkünfte wäh- (↑ Kaiserchronik), 1207 mit Privilegien
rend der Vakanz einer Reichskirche bis zur ausgestattet und 1245 zur Freien Reichs-
neuen Investitur) und aus dem „Spolien- stadt erklärt (bis 1803); bedeutender Auf-
recht“ (Anspruch des Königs auf den be- schwung des Handels (nach Westen und
weglichen Nachlass hoher Kleriker). – R. Osten) seit dem 12. Jh. (1135 Beginn des
allg. Art waren das Recht des Königs an Baus der Steinernen Brücke); 1524 Bünd-
Zöllen, das königliche Münzrecht, das nis Erzherzog Ferdinands mit dem bayer.
Recht, Marktprivilegien zu erteilen, das Herzog und den geistlichen Ständen zur
Bodenrecht (Anspruch des Königs auf alles Durchführung des Wormser Edikts (1521,
herrenlose und eroberte Land), das Wild- R.er Konvent); 1541 und 1546 Religions-
bannrecht (Nutzung der Bannwälder und gespräche; 1630 Kurfürstentag; Entlas-
Banngewässer), das Salz- und Bergregal sung Wallensteins durch Ferdinand II.; seit
(alle mineral. Bodenschätze sind Eigentum 1663 (Zusammentritt zur Abwehr der Tür-
des Königs), Anspruch des Königs auf alles kengefahr) ständiger Sitz der Reichstage
Strandgut und auf Schiffbrüchige, Recht (bis 1806); 1684 Vertrag zw. Leopold I.,
an Straßen und Wasserwegen, Schutzrecht und Ludwig XIV. mit formeller Anerken-
gegenüber Fremden (z. B. Juden), Konfis- nung des frz. Besitzrechts auf Straßburg
kationsrecht bei Untreue und Majestäts- und das Elsass; 1757 Beschluss des Reichs-
verbrechen, Recht auf Jahresgeschenke, krieges gegen Preußen; seit 1810 gehört R.
Gnaden- und Tributzahlungen; Gnaden- zu Bayern.
und Privilegienrecht. Unter Friedrich II. Regesten, chronolog. geordnete Auszüge
wurden die R. weitgehend eingeschränkt: aus Urkunden mit kurzer Angabe ihres In-

775
Reggio di Calabria

halts, ihrer Herkunft und Überlieferung, anspruchte (Universalmonarchie), seine


zusammengestellt seit dem 18. Jh. („Kai- Macht unmittelbar oder in Form der Le-
ser-R.“ von Böhmer, „Papst-R.“ von Jaffe henshoheit ausübte und sich die Christia-
und Potthast). nisierung durch Mission über die Grenzen
Reggio di Calabria, Stadt an der Meer- hinaus zur Aufgabe stellte („Friedenswelt
enge von Messina, als griech. Kolonie Rhe- der Christenheit“ angesichts der Welt der
gion um 700 v. Chr. von Chalkis aus gegr. Nichtchristen). Gegenüber dem Kaisertum
(↑ Großgriechenland); in spätröm. Zeit bei das Königtum von minderem Rang. Das
Byzanz, Anfang des 10. Jh. vorübergehend Kaisertum des MA stand jahrhundertelang
von Sarazenen besetzt, wieder byzanti- in Konkurrenz zum Papsttum, das sich, wo
nisch, dann von Normannen erobert; 1860 es Anspruch auf Universalherrschaft stellte,
Landung der Truppen ↑ Garibaldis. ebenfalls auf das Erbe des Röm. Reiches
Regiomontanus (Johann Müller aus Kö- und außerdem auf die Konstantin. Schen-
nigsberg in Franken), Astronom, Mathe­ kung berief. Der Verfall der Reichsidee des
matiker, Buchdrucker, 1436–1476; in MA begann mit der Aufnahme des röm.
Nürnberg Bau einer Sternwarte und Druck­ Rechts seit dem 12. Jh. und der daraus re-
legung seiner Werke; Entwurf eines 33-jäh- sultierenden weltlichen Begründung der
rigen Kalenders; Berechnung von „Ephe- kaiserlichen Herrschaftsgewalt, durch das
meriden“ (der täglichen Stellung der Him- Erstarken der einst zum Reichsganzen ge-
melskörper), wichtig für die Navigation zur hörenden westeurop. Staaten, die Nationa-
See; R. war der Lehrer Martin ↑ Behaims. litätsideen und die Unabhängigkeitsbestre-
Reich (ahdt. rikhi, mhdt. riche, kelt. rig, bungen der Reichsfürsten (entsprechend
got. reiki, angels. rice, lat. regnum = Herr- neue einengende Reichsformel: „Sacrum
schaftsbereich), machtpolit. ein Staatsge- Romanum Imperium Nationis Germani-
bilde, das gegenüber anderen Staaten hö- cae“, „Hl. Röm. Reich Deutscher Nation“,
heren Rang beanspruchte oder mehrere seit dem 15. Jh.), vgl. auch ↑ Byzant. Reich,
Völker einer einheitlichen zentralen Herr- Ostkolonisation.
schaft unterstellte (z. B. die Reiche des Al- Reichenbach, bei Breslau; 1762 Sieg der
ten Orient, das Reich Alexanders, das Rö- Preußen über die Österreicher; 1790 Kon-
merreich, das Reich des Islam, das Reich gress und Konvention (Preußen, Polen,
Karls V., das britischeWeltreich, das russ. England, Holland, Österreich): Nach ver-
Reich, das Reich Napoleons, das Reich des wickelten Verhandlungen verzichtete an-
faschist. Italien). – Die abendländ. Reich- gesichts der preuß. Kriegsdrohung Öster­
sidee erwuchs aus dem Reichsgedanken reich auf alle Eroberungen aus seinem letz-
des röm. Imperiums in Verbindung mit ten ↑ Türkenkrieg. Preußen gab die Un-
chiliast. Vorstellungen des A. T., der Idee terstützung der aufständ. Belgier auf und
der umfassenden christlichen Welt durch versprach Leopold seine Stimme bei der
Zusammenfassung der Völker gleichen Kaiserwahl. 1813 Vertrag zw. Preußen, Ös-
Glaubens, dem Gedanken der ↑ civitas terreich und Russland zur gemeinsamen
Dei Augustins, für die das weltliche Reich Kriegführung gegen Napoleon.
(„Romanum Imperium“, „Röm. Reich“ Reichsämter, ↑ Erzämter.
des MA) Schutzmacht und „Schwertarm“ Reichsarmee, Heeresaufgebot des alten
war. Das Reich (seit 1157 „Sacrum Impe- Dt. Reiches; in fränk. Zeit gab es nur ein
rium“, Heiliges Reich) wurde verkörpert feudales Reiterheer, im hohen MA neben
im gottunmittelbaren Reichsoberhaupt, dem Vasallenheer Söldnertruppen; 1427
dem Kaiser, der kraft seiner gottgegebenen erstmals ein Söldnerheer mithilfe des „ge-
Autorität die Führung im Reichsgebiet be- meinen Pfennigs“ geplant und in den

776
Reichsinsignien

↑ Reichsreformversuchen von 1495, 1500 mit dem polit. Ziel, ein Gegengewicht zu
und 1521 erneut in Vorschlag gebracht; Habsburg in Deutschland zu schaffen.
inzwischen Aufkommen stehender Heere Reichsfürstenstand, nach der fortschrei-
der Landesherren; 1630 Bildung eines kai- tenden Auflösung der (karoling.) Gauver-
serlichen Heeres, das erstmals 1663 gegen fassung (seit dem 11. Jh.) und der Um-
die Türken eingesetzt wurde und durch die wandlung der Stammesherzogtümer in Ge-
Reichskriegsverfassung von 1681 als aus bietsherrschaften (Fürstentümer) erfolg­te
den Kontingenten der Reichskreise (bzw. Zusammenschluss der ­ Reichsfürsten nach
Reichsstädte) zusammengesetztes Reichs- feudalen, ständ. und gegen eine Zentrali-
heer für große, das gesamte Reich betref- sierung gewandten Prinzipien; ausgelöst
fende Aktionen vorgesehen war, versagte durch die stauf. Reformen unter Fried-
gegen die Vorstöße Ludwigs XIV. 1688 rich I. 1180 (Übertragung lehensrechtlicher
und gewann erst an Bedeutung durch die Grundsätze auf alle geistlichen und auf 16
Assoziation von 1697 (militär. Zusam- weltliche Reichsfürsten: die Herzöge von
menschluss südwestdt. und westfäl. Kreise) Schwaben, Bayern, Sachsen, Lothringen,
zum Schutz der Rheingrenze und als ein- Brabant, Kärnten, Böhmen, Österreich,
zige Verkörperung des Reichsgedankens. Steiermark; die Pfalzgrafen bei Rhein und
Die R. zersplitterte nach 1715 (Österr. Sachsen; die Markgrafen von Brandenburg,
Erbfolgekrieg, 1. Koalitionskrieg) und hef- Lausitz, Meißen; den Landgrafen von Thü-
tete in dieser Zeit mehr Spott als Ruhm an ringen und den Grafen von Anhalt); die
ihre Fahnen. einzelnen Glieder sicherten sich als Trä-
Reichsdeputationshauptschluss, letzter ger des 2. und 3. ↑ Heerschildes Rechte ge-
Beschluss der seit 1801 in ↑ Luneville ta- genüber der Krone durch den Grundsatz
genden Reichsfriedensdeputation auf dem unmittelbarer Belehnung durch den Kö-
Regensburger Reichstag, erlassen 1803 zur nig in der ↑ Heerschildordnung und im
Regelung neuer Besitzverhältnisse für die Gewohnheitsrecht des Leibezwangs; der
durch Abtretung des linken Rheinufers an R. suchte das Aufsteigen anderer Stände
Frankreich in ihren Besitzrechten beein- zu Macht und Einfluss zu verhindern und
trächtigten Reichsfürsten; verfügte die ↑ Sä- sich den ausschließlichen Anspruch auf
kularisation (Umwandlung der geistlichen Gebietsherrschaft und Mitwirkung an den
Fürstentümer in weltliche), mit Ausnahme Geschicken des Reiches verfassungsmäßig
der Länder des Dt. Ordens und der ↑ Jo- zu garantieren; 1231 ↑ Statutum in favo-
hanniter sowie des Kurfürstentums Mainz rem principum; die Reichsfürsten besaßen
(Erzkanzler) in seinen rechtsrhein. Gebie- seit dem 15. Jh. obersten Sitz im Reichs-
ten (u. a. Aschaffenburg); beschloss weiter tag und wurden den Herrschern Europas
die ↑ Mediatisierung (Umwandlung von ebenbürtig; sie verloren ihre Hoheitsrechte
reichsunmittelbarem in reichsmittelbares erst 1806 durch die Mediatisierung, ihre
– unter der Herrschaft eines Landesherrn Besitzrechte endgültig 1918.
stehendes – Land) von 6 ­Reichsstädten, Reichsinsignien, Krönungsschmuck der
mit Ausnahme von Bremen, Hamburg, Lü­ Kaiser des alten Dt. Reiches: goldene Krone,
beck, Augsburg, Nürnberg und Frankfurt; vergoldetes Zepter, goldener Reichsap-
die frei werdenden Gebiete wurden nach fel, Schwert Karls d. Gr., vergoldete Spo-
Gutdünken Frankreichs und Russlands als ren, Krönungsmantel und Heilige Lanze
Entschädigung an die Reichsfürsten ver- (Symbol für Besitzrecht auf Italien). In der
teilt, unter besonderer Begünstigung Preu- Stauferzeit auf Burg Trifels am Rhein, seit
ßens und der südwestdt. und süddt. Staa- 1424 in Nürnberg, von 1805 bis 1848 auf
ten (Bayern, Württemberg, Baden, Hessen) Schloss Karlstein in Böhmen, bis 1938 in

777
Reichskammergericht

Wien, dann in Nürnberg und nach dem Reichsreform, seit Anfang des 15. Jh. Re-
2. Weltkrieg wieder in der Wiener Hofburg formbestrebungen, z. T. auch auf den Kir-
aufbewahrt. chenkonzilien diskutiert, z. B. durch Niko-
Reichskammergericht, 1495 von Maximi- laus von Kues und die weitverbreitete Flug-
lian I. als oberste Gerichtsbehörde (Reichs- schrift „Reformation Kaiser Sigismunds“
gericht) eingesetzt (von den Eidgenossen (1439). Unter Kaiser Maximilian I. auf
nicht anerkannt; Lösung der Schweiz vom dem Reichstag zu Worms (1495) von den
Reich); zuerst in Frankfurt, 1527–1693 in Reichsständen unter Führung ↑ Bertholds
Speyer, seit 1693 in Wetzlar, verlor allmäh- von Henneberg geforderte Umgestaltung
lich an Aktivität und Bedeutung durch das der Verfassung des alten Reiches: Aufhe-
Übermaß an unerledigten Prozessen; 1806 bung des Fehderechtes im „ewigen Land-
aufgehoben. frieden“, Klärung von Streitfällen auf
Reichskanzler, ↑ Kanzler. rechtlichem Wege durch Errichtung des
Reichskristallnacht, bewusst verharmlo- ↑ Reichskammergerichts (röm. Recht) und
sende Bez. für den von der NSDAP gegen Unterhalt der neuen Institution durch den
die dt. Juden am 9./10. Nov. 1938 insze- ↑ „Gemeinen Pfennig“. Weitere Reform-
nierten Pogrom; insgesamt wurden 7 500 versuche auf dem Reichstag zu Augsburg
Geschäfte zerstört, 171 Synagogen nieder­ (1500); Forderung eines Reichsregiments
gebrannt, 91 Menschen ermordet und als der Vertretung des Kaisers bei Abwesen-
26 000 ins KZ gebracht; für die Schäden heit vom Reich, wurde wegen der dringend
des Pogroms zahlten die Versicherungen an nötigen Hilfe der Stände für den oberital.
die jüd. Geschäftsinhaber 100 Mio. RM, Krieg gewährt, aber nach den krieger. Miss-
die aber an das Dt. Reich abgeführt wer- erfolgen 1502 wieder aufgelöst (ebenso
den mussten; die R. wurde mit dem Atten­ andere Neuerungen mit Ausnahme des
tat des Juden Herschel Grynspan auf den Reichskammergerichts). Reichsregiment
Legationssekretär der dt. Botschaft in erneut gefordert bei der Wahl Karls V. so-
Paris, Ernst vom Rath, legitimiert. Für wie auf dem Wormser Reichstag (1521);
dieses Attentat wurde „dem Judentum als vom Kaiser für die Zeit seiner Abwesen-
Strafe“ eine „Kontribution“ in Höhe von heit unter Vorbehalt letzter Entscheidungs-
1 Mrd. RM auferlegt. gewalt bis 1530 gewährt (Türkengefahr),
Reichslende, 1) bis 1806 alles zum Reich ebenso die neue Kammergerichts- und
gehörige Gebiet. 2) 1871–1918 Bezeich- Kriegsgerichtsordnung, nicht aber die
nung für ↑ Elsass-Lothringen. Reichssteuer.
Reichsrat, 1) die Ländervertretung in der Reichsregiment, ↑ Reichsreform.
Weimarer Verfassung, bestehend aus 60 bis Reichsritterschaft, ↑ Adel und Lehenswe-
70 Vertretern der Landesregierungen, aus- sen.
gestattet mit der Befugnis, die Interessen Reichssicherheitshauptamt, Abk. RSHA,
der Einzelländer gegenüber dem Reich in nach einer Konzentration der Polizeige-
Gesetz und Verwaltung zu wahren; Recht walten vom Reichsführer SS H. Himmler
zum Einspruch, der nur durch Zweidrittel- 1936 als Hauptamt Sicherheitspolizei, am
mehrheit des Reichstages behoben werden 1. Okt. 1939 als R. geschaffene Befehlszen-
konnte, aufgelöst 1934. 2) in Österreich trale (oberste Reichsbehörde). Zum Leiter
(bis zur Leitha) seit 1867 die aus Abgeord- ernannte Himmler seinen Intimus Heyd-
neten- und Herrenhaus bestehende parla- rich (ab 1943 Kaltenbrunner), der für die
mentar. Volksvertretung (bis 1918). 3) in Sicherheitspolizei, den Sicherheitsdienst
Bayern bis 1918 die 1. Kammer des Land- (SD) und die Geheime Staatspolizei (Ge-
tags. stapo) zuständig war. Das Reichskriminal-

778
Reichstag

polizei-Amt unterstand dem SS-Gruppen- ↑ Reichsstädte; die R. stellten die Trup-


führer A. Nebe. Vom R. gingen alle poli- pen für das ↑ Reichsheer und brachten die
zeistaatlichen Terrormaßnahmen aus; es Reichssteuern auf.
wurde 1941 mit der „Gesamtlösung der Reichstadt, Herzog von R., ↑ Napole-
Judenfrage in dem Einflussgebiet Europa“ on (II.).
beauftragt. Reichstag, 1) R. des alten Dt. Reiches:
Reichsstädte, Freie, die unmittelbar dem hervorgegangen aus der (seit dem 12. Jh.)
Reich unterstehenden Städte mit Landes- auf königlichem Einberufungsrecht und
hoheit und erst seit 1489 mit Reichsstand- Lehenspflicht begründeten ­ Versammlung
schaft (= Sitz und Stimme im ↑ Reichstag) der Reichsfürsten in Form unperiodischer
als dritter Kurie; entwickelten sich seit Hoftage. Erst im Zuge der Reichsreform­
dem 12. Jh. aus dem Streben der vorneh- bestrebungen seit 1485 Entwicklung ei-
men Bürgerschaft (vorwiegend vermö- ner geschlossenen Körperschaft der Reichs­
gende Kaufleute) nach den Rechten der stän­de, zusammengesetzt aus Kurfürsten
Grundherren; setzten sich um 1300 in gro- und Fürsten (später ergänzt durch Grafen
ßer Zahl durch; anfangs unter alleiniger und Freiherren mit Reichsstandschaft), zu-
Führung des Patriziats, im Laufe des 14. nächst noch ohne die Reichsstädte, die erst
und 15. Jh. auch unter Mitherrschaft der 1489 die Reichsstandschaft erhielten und
Zünfte; ihren Schutz übernahmen Bürger- als Kollegium im Reichstag – jedoch ohne
heere, seit dem Interregnum schlossen sie Stimmrecht – erschienen. 1489 wurde auch
sich zusammen (Städtebünde); Verfassung die Form der Beratungen festgelegt. Erst
und Freiheit standen unter kaiserlicher Ga- 1648 Stimmrecht auch der Reichsstädte
rantie; 1803 waren fast alle Freien R. den und gleichzeitig Majoritätsprinzip. Zusam-
Territorien zugeteilt, außer Hamburg, Bre- mensetzung des Reichstags aus 3 Kollegien:
men, Lübeck, Frankfurt, Nürnberg, Augs- Kurkolleg, Fürstenkolleg der geistlichen
burg; 1815 nur noch Hamburg, Bremen, und weltlichen Fürsten und Herren und
Lübeck und Frankfurt reichsfrei; Frank- die Reichsstädte. In Glaubenssachen nur
furt fiel 1866 an Preußen, Lübeck 1937 Verhandlungen zw. dem ↑ Corpus catho-
an Schleswig-Holstein; Hamburg und licorum und dem Corpus evangelicorum.
Bremen sind bis in die Gegenwart „Freie Der Reichstag arbeitete in Ausschüssen
Städte“ und als solche auch eigenständige (= Reichsdeputationen) und fasste die Be-
dt. Bundesländer. schlüsse in den Reichstagsabschieden zus.
Reichsstände, im alten Dt. Reich bis 1806 (wichtige Quelle für die Reichsgeschichte);
die reichsunmittelbaren Stände, die das der R. bildete seit der ↑ Reichsreform die
verbriefte Recht auf Sitz und Stimme im letzte lockere Zusammenfassung von Terri-
↑ Reichstag besaßen, wobei Reichsunmit- torien und Reich, zeigte Ansätze zu ­ersten
telbarkeit nicht in jedem Falle Reichsstand­ verfassungsmäßigen Einrichtungen, setzte
schaft bedeutete. Mitglieder der geistlichen aber den Zwang zu period. Zusammentritt
R.: die Kurfürsten von Mainz, Köln, Trier nicht durch; seit 1663 sank er als „immer-
(geistliche Kurfürsten), Erzbischöfe, Bi- währender Reichstag“ mit Sitz in Regens-
schöfe, die Meister der Ritterorden (Johan- burg zu einem ständigen Gesandtenkon-
niter und Deutschmeister) und die Äbte gress herab, mit gewissen Befugnissen in
der reichsfreien Klöster; weltl. R: (wenige) der Gesetzgebung, Besteuerung und aus-
reichsfreie Bauern (Leutkirch, Schwarz- wärtigen Politik; 1806 aufgelöst. – 2) R.
wald); die weltlichen Kurfürsten, die Lan- des Dt. Reiches von 1871–1918: verfas-
desherren, die mit der Reichsstandschaft sungsmäßige, mehr konstitutionelle als
begabten Grafen und Freiherren und die parlamentar. Institution des Bismarck-Rei-

779
Reichstagsbrand

ches, beruhend auf allg., gleichen, direkten Reichsunmittelbarkeit, ↑ Adels- und Le-
und geheimen Wahlen, zusammengesetzt henswesen, Reichsstände.
aus 397 Abgeordneten für einen jeweiligen Reichsverweser, Reichsvikar, ­ Verwalter
Zeitabschnitt von 3 und seit 1888 von der Regierungsgeschäfte anstelle eines noch
5 Jahren; beließ dem ↑ Bundesrat (als dem zu wählenden oder einzusetzenden Herr-
eigtl. Träger der Reichsgewalt), dem Kaiser schers, im alten Dt. Reich urspr. der Pfalz-
und Kanzler volle Unabhängigkeit, besaß graf von Lothringen (oft auch nahe Ange­
Mitwirkungsrecht bei der Gesetzgebung, hörige des Herrscherhauses), führte bei
aber keine Vollziehungsgewalt, hauptsäch- Thronvakanz, Minderjährigkeit oder län-
lich als Kontrollorgan für die Regierung gerer Abwesenheit des Kaisers vom Reich
gedacht. – 3) R. der Weimarer Republik die Regierungsgeschäfte; seit der Gol-
von 1919–1933: Träger der Reichsgewalt denen Bulle 1356 der Pfalzgraf bei Rhein
und Vertretung des ganzen Volkes, gewählt für die rhein., schwäb. und im Bereich des
für jeweils 4 Jahre in allg., gleicher, unmit- fränk. Rechts liegenden Reichsteile und
telbarer und geheimer Wahl nach Verhält- der Herzog von Sachsen für die Länder mit
niswahlrecht, ausgestattet mit dem Recht sächs. Recht. 1848/49 wurde als vorläufig
zur Gesetzgebung und Finanzbewilligung, höchstes Organ des geplanten parlamentar.
der Entscheidungsgewalt über Staatsver- Verfassungsstaates Erzherzog Johann von
träge (Kriegserklärungen und Friedensab­ der ↑ Paulskirche zum Verweser des Rei-
schlüsse) und dem Recht des Vertrauens- ches gewählt, besaß aber keine tatsächliche
vorbehaltes gegenüber der Regierung; Macht und legte nach Auflösung der Pauls-
konnte nur durch den Reichspräsidenten kirche Dez. 1849 sein Amt nieder.
aufgelöst werden. – 4) R. des nat.-soz. Reichswehr, das dem Dt. Reich von den
Staates: unter formeller Beibehaltung des Alliierten (Versailler Vertrag) zugestandene
Wahlrechts fast ausschließlich durch Natio­ Berufsheer von 100 000 Mann (zuzüglich
nalsozialisten vertretene Volksabordnung der Marineeinheiten), 1920 durch Noske
ohne demokrat. Kontrollbefugnis. organisiert, weiter ausgebaut unter General
Reichstagsbrand, Feuer im Reichstag in von Seeckt (vermehrt durch die „Schwarze
Berlin am 27. Feb. 1933 abends, das das Reichswehr“); nach dem Vertrag von Ra-
Gebäude fast völlig zerstörte. Es diente Hit- pallo Ausbildung von Offizieren und
ler zum Vorwurf, die Kommunisten hätten Mannschaften auf Übungsplätzen in der
damit das Signal zum Aufstand gegen die Sowjetunion (außerhalb der Verbotszone
nationale Regierung geben wollen, und des Versailler Vertrages), dort auch dt. Flie-
überzeugte Reichspräsident Hindenburg, gerschule; die R. unterstand dem Ober-
dass schärfstes Durchgreifen erforderlich befehl des Reichspräsidenten und wurde
sei. Die daraufhin erlassene „Verordnung 1935 Kern der neuen Dt. Wehrmacht.
des Reichspräsidenten zum Schutz von Reims, Stadt in der Champagne, von den
Volk und Staat“ setzte Grundrechte der Kelten gegr. (Durocortorum), entwickelte
Verfassung außer Kraft und gab Hitler das sich zur Hauptstadt der kelt. Remer; seit
Instrument zur Verfolgung und massen- 53 v. Chr. Mittelpunkt der röm. Provinz
haften Verhaftung von Kommunisten und Belgica secunda, unter Augustus mit Stadt-
Sozialdemokraten. Vielfach wurde ver- mauern umgeben; um 350 n. Chr. christia-
sucht, den Nationalsozialisten den R. an- nisiert, 496 Schauplatz der Taufe ↑ Chlod-
zulasten; dennoch gilt die Alleintäterschaft wigs und der Frankenfürsten durch Bi-
des holländischen Anarchisten van der schof Remigius; um 770 zum Erzbistum
Lubbe (10. Jan. 1934 hingerichtet) nach erhoben und 843 Westfranken zugeteilt,
den heutigen Erkenntnissen als sicher. 1138 mit Stadtrechten ausgestattet, seit

780
Renaissance

893 Krönungsstadt Frankreichs.; 1421 zeichnung: „Quattrocento“ = 15. Jh., „Cin-


von den Engländern erobert, 1429 durch quecento“ = 16. Jh.), dabei im engeren
↑ Jeanne d’Arc zurückgewonnen (Krönung Sinne (Namensprägung durch Vasari um
Karls VII.); 1547–1793 Universitätsstadt; 1500) die Veredlung eigenständiger künst-
1914 von dt. Truppen besetzt, nach dem ler. Schöpfung nach antikem Vorbild, im
Marne-Rückzug wieder geräumt. 1945 weiteren Sinne (nach J. Burckhardt „Die
Unterzeichnung der bedingungslosen Ka- Kultur der R. in Italien“) die Neuentfal-
pitulation der gesamten deutschen Streit- tung des abendländ. Geisteslebens unter
kräfte durch Generaloberst Jodl im Haupt- der Einwirkung des klass. Altertums; in ih-
quartier Eisenhowers. rer Gesamtheit erwachsen aus dem neu er-
Reis, Philipp, dt. Physiker, 1834–1874, er- wachten Naturgefühl und Individualismus
fand 1861 den ersten ↑ Fernsprecher, der der Italiener, vorbereitet durch griech. Leh-
aber nicht zur industriellen Auswertung rer aus Byzanz und den ↑ Humanismus,
kam (das nach dem Vorbild des R.schen gefördert durch das Mäzenatentum der
Telefons entwickelte Bellsche Telefon Medici (Florentiner Platon. Akademie),
führte den Fernsprecher in den allgemei- der Sforza (Förderung der Künste am Hof
nen Nachrichtendienst ein). zu Mailand) und der Päpste (Nikolaus V.,
Rekkared, der Kath., König der Westgo- „Bibliotheca Vaticana“, Julius II., Leo X.);
ten von 586–601; trat 587 vom arian. zum offenbarte sich in der (oft hemmungslosen)
kath. Glauben über. Entfaltung der Persönlichkeit, den Ansät-
Religionsgespräche (lat. colloquia) oder zen zur Bildung der Nationalstaaten, der
Disputationen zw. Theologen verschie- Abwendung vom Geist der Welt des MA
dener Konfessionen: Marburger Kollo- und der Entwicklung eines eigenen natio-
quium 1529, Hagenauer und Wormser R. nalen Stils in der Literatur (in Italien Pe-
1540, Regensburger R. 1541, Leipziger R. trarca, Boccaccio, Dante). Die Kunst löste
1631 und Thorner R. 1645 (↑ Reforma- sich von den überlieferten Nonnen und er-
tion). lebte ihre höchste Entfaltung: anfangs Bei-
Religionsfreiheit, Glaubensfreiheit, freies behaltung von Gewandform und Haltung
Bestimmung- und Entscheidungsrecht nach Art der byzantin. Kunst, neuer Aus-
in Dingen des Glaubens, verbürgte dem druck des menschlichen Antlitzes; dann
Staatsbürger das Recht freier Religionsaus- durch das Studium der Antike (Pisano),
übung; 1648 in Deutschland neben den der Natur (Cimabue, Giotto), der Per-
Katholiken auch den Lutheranern und spektive ↑ (Leonardo, Brunelleschi) und
Reformierten zugestanden. Im 19. Jh. ver- nach genialer Verbindung der neuen Stil-
fassungsmäßig garantiert, in der Weima- elemente (Masaccio) vollendete plast. Wie-
rer Republik und in der Bundesrepublik dergabe von Natur, Körper und Vertiefung
Deutschland auf alle konfessionellen Rich- des seel. Gehalts; Veredelung des Porträts
tungen ausgedehnt; durch die UN („Erklä- (Leonardo). Geniale Entfaltung (Hoch-R.)
rung der Menschenrechte“) als Grundrecht von 1469 bis 1527: Raffael, Michelangelo,
für alle Völker festgelegt. Fra Bartolomeo, Andrea del Sarto. Epoche
Remonstranten, ↑ Arminianer. machende Entwicklung auch in der Bau-
Renaissance (frz., von ital. rinascimento, kunst, ausgerichtet auf abgewogene Sym-
Wiedergeburt, abgeleitet), allg. die Wieder­ metrie, majestät. klare Horizontalgliede-
erweckung einer vergangenen Kultur (↑ Ka- rung, unterbrochen durch Rundbögen und
roling. und Otton. R.); im Bes. die Epoche gekrönt durch Tonnengewölbe und kühne
der europ. Kultur von der Mitte des 14. bis Kuppeln (anstelle von Türmen), burgähn-
zum Ende des 16. Jh. (nach italien. Be- liche Profanbauten mit wuchtigen Fronten

781
Renner

und weiträumigen Höfen; Plastiken in Rentenmark, dt. Zwischenwährung zur


freier Eigenständigkeit (Reiterstandbilder, Überwindung der Inflation nach dem
Grabmäler) und in klass. Wiedergabe der 1. Weltkrieg; wurde per Gesetz am 13. Okt.
nackten Körper (Michelangelo). Von Ita- 1923 für die entwertete Papiermark im
lien aus verbreitete sich nach 1500 die R. Verhältnis 1:1 Billion eingeführt.
in ganz Europa; ital. Künstler wirkten im Reparationen (lat. reparare, wiedergutma-
Auftrag Franz’ I. in Frankreich (Leonardo), chen), Kriegsschulden der Mittelmächte
Deutsche zur Ausbildung in Italien (Dü- nach dem 1. Weltkrieg zur Wiedergutma-
rer), die Brüder van Eyck in den Nieder- chung der alliierten Kriegsschäden, im
landen; Hauptland der R. blieb Italien, ↑ Versailler Vertrag hinsichtlich der Höhe
während sie nördlich der Alpen keine ge- noch nicht fest begrenzt, auf der Pariser
schlossene geistige Grundlage für ihre Ent- Konferenz 1921 auf 269 Milliarden Gold-
wicklung finden konnte und mehr in dem mark, auf der Londoner Konferenz (1921)
Wunsch nach klaren, einfachen Formen auf 132 Mrd. Goldmark festgesetzt; neu
(im Gegensatz zur überladenen Spätgotik) geregelt im ↑ Dawes- und ↑ Young-Plan,
und mehr auf Nachahmung als auf organ. bis auf Reste verringert auf der ↑ Lausan-
Wachstum beruhte; gegenüber der Spätgo- ner Konferenz. – Nach dem 2. Weltkrieg
tik, die unmittelbar ins Barock ­ überging, auf der Konferenz von ↑ Jalta (1945) in
setzte sie sich im Norden nur in einigen Form von Sachwerten gefordert, im ↑ Pots-
großen Werken und Meistern durch (Bal- damer Abkommen mit umfassenden De-
dung, Cranach, Dürer, Holbein, Peter Vi­ montagebestimmungen der dt. Industrie
scher der Ältere; Heidelberger Schloss, zur Entmilitarisierung Deutschlands und
Augsburger Rathaus [Roll], Michaelskirche mit dem Verfügungsrecht über dt. Patente
in München); in England erlebte die R. um und Auslandsguthaben verbunden und im
1580 eine zeitweilige Nachblüte. Washingtoner Abkommen von 1949 für
Renner, Karl, österr. Politiker, 1870–1950; W-Deutschland fest umgrenzt und abge-
war Okt. 1918 bis Juni 1920 österr. Regie- schlossen.
rungschef, 1920–1934 Mitglied des Natio­ Repräsentantenhaus, Bez. für die dem
nalrates, votierte 1938 für den Anschluss brit. Unterhaus entsprechenden Abgeord-
an das Dt. Reich; nach 1945 maßgeblich netenkammern in mehreren Staaten, bes.
an der Wiedergründung der SPÖ beteiligt, in den USA.
war von Dez. 1945 bis zu seinem Tod Bun- Reptilienfonds, spöttische Bezeichnung
despräsident. für den Geldfonds Bismarcks zur Unter-
Renovatio (lat.), Bez. für sog. karoling. stützung und Beeinflussung bestimmter
und ottonische Renaissance (Erneuerung); Presseorgane im Sinne seiner polit. Ziele;
knüpfte unter Karl d. Gr. und Otto III. in der Fonds stammte aus den enteigneten
Literatur, Kunst, Kultur, Geistes- und Na- Vermögen des Kurfürsten von Hessen und
turwissenschaften an die Spätantike an. Re- des Königs von Hannover.
novatio imperii (Erneuerung des Reiches), Republik, ↑ Demokratie, Parlament, Parla-
mittelalterl. Formel für die auch religiös mentarismus.
verstandene Erneuerung spätantiker, röm. Resa Pahlawi, iran. Schahs: I) R. P., ur-
Reichstradition. Karl d. Gr. strebte nach spr. Resa Kahn, 1878–1944; brachte als
seiner Kaiserkrönung nach christl.-univer- Führer der pers. Kosakengarde nach dem
saler Erneuerung; Otto III. sah die Erneue- Staatsstreich 1921 das Kriegsministerium
rung in einer Verbindung von antiker und in seine Hand, nach Niederwerfung der
christl. Romidee (Rom als Welthauptstadt feudalen Provinzialherren auch den Posten
und Stadt der Apostel). des Ministerpräsidenten (1923) und wurde

782
Restauration

1925 zum Schah ernannt; baute Persien tion. Im Mai 1943 bildeten Vertreter der
modern aus, regelte die brit. Besitzverhält- verschiedenen polit. Gruppierungen und
nisse in den Ölgebieten neu, gab 1935 dem illegalen Gewerkschaftsorganisationen ei-
Land die Bezeichnung „Iran“, widersetzte nen Nationalen Widerstandsrat. Parallel
sich 1941 dem russ. und brit. Einmarsch dazu entstand in Algier das Frz. Komitee
und dankte zugunsten seines Sohnes Mo- der Nationalen Befreiung unter Vorsitz de
hammad R. P. ab; starb in der Verbannung. Gaulles, der im Nov. 1943 zum alleinigen
2) R. P., Mohammad, 1919–1980; Sohn Chef der R. wurde, nachdem er seinen
von 1); bestieg 1941 den Thron. 1953 Stellvertreter Giraud ausgebootet hatte.
Konflikt mit Ministerpräsident ↑ Mossa- Die R. verteilte Flugschriften, betrieb Spio­
degh, R. P. verließ für kurze Zeit den Iran, nagesender, versteckte und transportierte
wurde von den Militärs zurückgeholt; trieb Flüchtlinge, verübte Sabotageakte u. a. Es
Reform- und Industrialisierungspolitik in bildeten sich Freischärler (z. B. die kom-
autoritärem Stil; sein Privatleben (1951– munist. Franc Tireurs et Partisans), dane-
58 Ehe mit Soraya Esfandjari, seit 1959 ben die von Gaullisten befehligte Armée
mit Farah Diba) Dauerthema in den Me- Secrète. Nach der Invasion sollten die Ver-
dien der westlichen Welt. 1979 nach der bände der R. in großem Stil losschlagen; zu
Islamischen Revolution Flucht aus dem diesem Zweck wurden sie im Feb. 1944 un-
Iran; im Exil zunächst in Panama, dann in ter General Pierre Koenig zu den „Forces
Ägypten. Francaises de l’Interieur“ (F.F.I.) zusam-
Reservationen, Siedlungsgebiete der In- mengefasst. Die F.F.I, leistete 1944/45 ei-
dianer, ihnen seit 1786 von den USA zu- nen wesentl. Beitrag zur militär. Befreiung
gewiesen und unter staatliche Aufsicht Frankreichs; die Verluste der R. betrugen
gestellt zum Schutz vor Ausbeutung und ca. 300 000 Mitglieder, ihr Mythos reichte
vor Entziehung des Lebensraumes durch weit in die Nachkriegszeit.
Privatunternehmer; im Laufe der Zeit ein- Resistenza, italien. Widerstandsbewegung
geschränkt und in ungünstigere Wohnge- im 2. Weltkrieg; entstand nach der Beset-
biete verlegt; in der Gegenwart ca. 150 000 zung Italiens durch dt. Truppen im Aug./
Quadratkilometer mit rund 500 000 Be- Sept. 1943, umfasste rd. 340 000 Mann.
wohnern. Restauration (lat., Wiederherstellung), das
Reservatrechte, die Zugeständnisse, die Bestreben, die durch den geistigen Fort-
Bayern und Württemberg von Bismarck schritt oder revolutionäre Bewegungen
eingeräumt wurden, um ihre Zustimmung ausgeschalteten traditionellen Einrichtun­
zu einer gesamtdt. Verfassung (1871) zu gen, Glaubensgrundlagen und Verfassungs­
erreichen; den beiden Ländern wurde die zustände wieder einzuführen; Bezeichnung
Aufstellung von eigenen Truppenkontin- für den Zeitabschnitt 1) der ↑ Gegenre-
genten und die selbständige Regelung des formation (Kath. R. aus der Perspektive
Post- und Steuerwesens bewilligt. des Katholizismus); 2) der absolutist. Be-
Resistance, Sammelbezeichnung u. a. für strebungen in England z. Z. der Stuart-
den inländ. frz. Widerstand gegen die dt. ­Könige ↑ Karl II. und Jakob II. nach der
Besatzung und die Politik der ↑ Kollabo- ­Diktatur ↑ Cromwells 1660 bis zur „Glo-
ration im 2. Weltkrieg. Unterstützt von rious Revolution“ 1688/89 (Puritanerver-
der in England von de Gaulle gegründe- folgung, Missachtung der ↑ Habeas-Cor-
ten Bewegung der Freifranzosen, bildeten pus-Akte, Begünstigung des Katholizis-
sich zunächst im unbesetzten Teil Frank- mus); 3) der stark reaktionären Tendenzen
reichs Widerstandszellen, bis Ende 1942 (­Abänderung des Wahlrechts, royalist. Be-
allerdings keine übergeordnete Organisa- wegung und Einschränkung der Pressefrei-

783
Restitutionsedikt

heit) der Bourbonen Ludwig XVIII. und Studien einer der führenden Köpfe des
Karl X. nach ihrer Rückführung auf den Humanismus in Deutschland; trat im „Au-
frz. Thron 1814/15 bis zur ↑ Julirevolution genspiegel“ entschieden gegen die durch
von 1830; 4) in Mittel- und Osteuropa in ↑ Pfefferkorn und die Kölner theolog. Fa-
der Zeit seit dem Wiener Kongress (etwa kultät geforderte Austilgung des hebr.
1815–1830) das Bestreben zur Wiederher- Schrifttums ein und fand in dem darüber
stellung der staatlichen und religiösen Ein- ausbrechenden Streit, in dem er die Unter-
richtungen der Vorrevolutionszeit, staats- stützung Roms hatte, die Zustimmung der
theoret. festgelegt durch Haller, verfochten namhaftesten dt. Humanisten (↑ Dunkel-
durch ↑ Metternich und die Monarchen männerbriefe).
von Österreich, Russland und Preußen in Reunionen (frz. réunions, Wiedervereini-
der Hl. Allianz (Politik des konservativen gungen), die durch die Reunionskammern
Geistes, der Stabilität, Legitimität und des Ludwigs XIV. (1679 in Metz, Breisach,
monarchischen Prinzips); ­ verwirklicht in Tournai und Besançon eingesetzt) von
der Neuordnung Europas (↑ Wiener Kon­ 1680 bis 1684 in franz. Besitz überführten
gress), der Neuordnung Deutschlands, in dt. und niederländ. Grenzlande, die frü-
der Bekämpfung der nationalen und kon- her einmal zu den 1648 von Frankreich
stitutionellen Ideen (Freiheitsbestrebungen erworbenen Ländern gehört hatten; die R.
in Italien 1820/21 und Spanien 1823; erstreckten sich auf das Elsass mit Straß-
Burschenschaften, Demagogenverfolgung, burg, Teile der Pfalz bei Kaiserslautern,
Rücknahme der Reformgesetze und Hi- einen Gebietsstreifen rechts und links der
nauszögern der Verfassungsreform in Preu- Nahe bei Bingen und von der Nahe bis zur
ßen), der Wiedereinsetzung des Papstes in Mosel, auf einen Teil der Ardennen mit
den Kirchenstaat, der Aufhebung des Ver- Luxemburg bis vor Köln und das Maas-
bots des Jesuitenordens und der Neuord- land bis Dinant; sie wurden vom Reich mit
nung der kirchlich-staatlichen Beziehungen kraftlosem Einspruch hingenommen; nach
in Konkordaten (Consalvi). Die R. dieser der Niederlage der frz. Flotte bei La Ho-
Zeit wurde im Allg. mit der Resignation gue 1692 im Frieden von ↑ Rijswijk 1697
des Biedermeier hingenommen, scheiterte durch Ludwig XIV. bis auf das Elsass und
aber schließlich auf polit. Gebiet durch die Straßburg, das bereits durch Vauban mit
nat. Erhebungen, die Verfassungsbestre- gewaltigen Festungswerken umgürtet war,
bungen in den süddt. Staaten, die Julirevo- zurückgegeben.
lution und das Erwachen des Bürger­tums. Reuter, Ernst, dt. Politiker, 1889–1953;
Restitutionsedikt, von Kaiser Ferdinand II. zuerst Mitglied der SPD, von 1918–1921
1629 erlassene Verfügung, nach der alle der KPD, dann (nach Parteiausschluss) wie­
von den Protestanten seit 1552 (↑ Passauer der der SPD; 1931–33 Oberbürgermeister
Vertrag) erworbenen Kirchengüter wieder von Magdeburg, 1931–33 MdR, seit 1933
zurückgegeben und wiederhergestellt wer- von den Nationalsozialisten verfolgt, zwei-
den sollten; 1635 (Prager Sonderfrieden) mal in Haft, wurde 1947 zum Oberbür-
auf 40 Jahre verschoben und 1648 aufge- germeister von Berlin gewählt, konnte das
hoben. Amt aber erst 1948 antreten wegen des
Reuchlin, Johann, dt. Humanist, 1455– sowjet. Vetos; 1950–53 Regierender Bür-
1522; erfuhr seine Ausbildung in Paris, germeister von Berlin; war 1948/1949 füh-
machte sich auf Italienreisen mit dem rend im Widerstand gegen die Berlin-Blo-
neuen Geist des Humanismus vertraut, ckade.
wurde durch die Förderung der griech. Reval, Hauptstadt von Estland (estn. Tal-
Sprache und die Begründung der hebr. linn); die ursprüngl. dt. Stadt entstand um

784
Reynaud

1219, trat 1285 der Hanse bei, kam 1561 blieben), setzte sich aber schließlich durch
mit Estland an Schweden, 1710–1721 an (↑ Reformismus).
Russland; 1918–1940 Hauptstadt der Re- Revolution (lat., Umwälzung), Begriff aus
publik Estland, seit 1940 Hauptstadt der dem 17./18. Jahrhundert für meist gewalt-
Estn. SSR, heute der Republik Estland. samen Umsturz der Herrschaftsverhält-
Revanchepolitik, Schlagwort frz. Kreise nisse in einem bestimmten Gebiet. Heute
vor dem 1. Weltkrieg, Ruf nach Vergeltung, ist das Wort so abgenutzt, dass es alle (ver-
da die Erfolge Preußens von 1850–1870, meintlich) grundlegenden Änderungen
insbes. der Sieg über Österreich 1866, in bezeichnen kann (R. der Kunst, Mode-R.
Frankreich, das gleichzeitig weltpolit. zu- u. Ä.). Historisch-polit. ist R. eine Erschei-
rücktreten musste, als Herausforderung nung der letzten Jahrhunderte, in denen
empfunden wurden. ↑ Thiers prägte den sich drei R.-Typen, Bauern-R., bürgerli-
Kampfruf: „Revanche pour Sadowa“ (Sa- che R. und proletarische R., entwickelten.
dowa = Königgrätz); nach der franz. Nie- Blieben die Bauern-Aufstände im 16. Jh.
derlage von 1870/71 wurde der Revanche­ noch im Stadium von Revolten stecken,
gedanke in den nationalist. Kreisen Frank- so verwandelten die bürgerlichen Kämpfe
reichs propagiert. gegen Absolutismus (Glorious R. 1688)
Reventlow, 1) R., Friedrich Graf von, Di- und Feudaladel (Frz. R. 1789 und die Er-
plomat und Politiker, 1755–1828; kämpfte hebungen 1830 und 1848) die polit. Welt
für die Rechte der schleswig-holstein. Rit- grundlegend. Der durch sie besiegelte Auf-
terschaft, versammelte Dichter (M. Clau- stieg des Besitz-Bürgertums provozierte die
dius, F. G. Klopstock) und frz. Emigranten R.-Theorie des ↑ Marxismus, nach der als
auf seinem Gut Emkendorf. 2) R., Fried- nächster Klassenkampf die proletarische
rich Graf von, Politiker, 1779–1874; war R. gegen die Bourgeoisie folgen musste.
1846 Führer der Schleswig-holstein. Rit- In Ansätzen geschah das in der russischen
terschaft, 1848 Mitglied der von der Frank- Oktober-R. 1917 und in der chinesischen
furter Nationalversammlung anerkannten R. 1946–49, blieb aber in den eigentlichen
provisor. Regierung in Kiel, 1849–1851 kapitalist. Staaten aus. – Alle R.en kündi-
Statthalter der Herzogtümer; wurde später gen sich durch zunehmende soziale Span-
des Landes verwiesen. nungen an, setzen ein revolutionäres Be-
Revisionismus, Streben nach Überprüfung wusstsein der die R. tragenden Schicht vo-
eines polit. Zustandes oder Programms mit raus, kommen gewöhnlich von unten und
dem Ziel seiner Änderung: 1) in der Au- brechen nicht selten dann aus, wenn das
ßenpolitik bes. die („revisionist.“) Bestre- alte Regime der R. durch Reformen zuvor-
bungen der im 1. Weltkrieg unterlegenen zukommen sucht.
Staaten um (wenigstens teilweise) Milde- Revolutionskalender, ↑ Zeitrechnung.
rung der ↑ Pariser Vorortverträge von 1919 Revolutionstribunal, Gerichtshof zur Auf-
(bes. aktiv der ungar. R. gegen den Vertrag spürung und Bestrafung der polit. Gegner
von ↑ Trianon); 2) innen- oder parteipolit. der Frz. Revolution von 1789; seit 1793
z. B. die 1897 von ↑ Bernstein eingeleitete Machtorgan des ↑ Wohlfahrtsausschusses,
Bewegung in der dt. ↑ Sozialdemokratie das jede freie Meinungsäußerung unter-
für eine Anpassung der marxist. Doktrin drückte und nur Todesstrafen verhängte;
und der daraus abgeleiteten Taktik an die aufgelöst nach der Hinrichtung Robe-
gewandelten wirtsch. und sozialen Gege- spierres durch die Direktorialverfassung
benheiten; stieß zwar auf heftige Ableh- 1795.
nung seitens der Anhänger des orthodoxen Reynaud, Paul, frz. Politiker, 1878–
Marxismus (die zunächst in der Mehrheit 1966; bis 1940 mehrfach Minister; Geg-

785
Rhein

ner der Appeasement-Politik, Befürwor- gestrebt (Rückforderung der Gebietsabtre-


ter des offensiven strategischen Konzepts tungen von 1815 [Wiener Kongress] und
de Gaulles. März 1940 Ministerpräsident der linksrhein. Besitzungen Bayerns und
und Außenminister, nach dem deutschen Hessens; der Rhein erneut zur „natürlichen
Einmarsch auch Verteidigungsminister, Grenze“ Frankreichs erklärt); 1871 durch
hoffte vergeblich auf Roosevelts Hilfe und Angliederung des Elsass an Deutschland
musste am 17. Juni 1940 zugunsten Petains wieder ganz beim Dt. Reich bis 1918, seit-
zurücktreten, weil er die Kapitulation ab- her, mit Ausnahme der Jahre 1940–1945,
lehnte. Sept. 1940 verhaftet, verurteilt und im Oberlauf Grenze zw. Deutschland und
1942 an Deutschland ausgeliefert; dort in Frankreich. – Seit frühesten Zeiten ist der
verschiedenen KZs. Nach dem Krieg zahl- R. eine der wichtigsten „politischen Stra-
reiche hohe politische Ämter. Bemüht um ßen“ Europas, verhalf den rheinischen
die dt.-frz. Verständigung. Städten im MA zu hoher Blüte, verlor an
Rhein (Name keltisch; lat. Rhenus); schon Bedeutung für das alte Dt. Reich durch
in vorröm. Zeit Handelsstraße, von Cäsar die Einbuße seines Mündungsgebietes, die
seit 58 v. Chr. als Grenze des Römerreiches durch die Angliederung der Niederlande
gegen das freie Germanien erkämpft und an die spanische Herrschaft der Habs-
durch Wehranlagen, Brücken, Garnisonen, burger 1555 eingeleitet wurde; seit 1831
Etappenstädte und Flotten gesichert; in ka- (Mannheimer Rheinschifffahrtsakte) nach
roling. Zeit schloss er das (mittlere) Teil- langen Verhandlungskämpfen besonders
reich Lothars nach Osten hin ab; erstmals gegen die Niederlande, die hartnäckig auf
von Karl dem Kahlen als O-Grenze des Umschlag und Verzollung aller vom Meer
Westreiches erstrebt (durch Revision des rheinauf fahrenden Waren beharrten, freies
Vertrages von ↑ Mersen); erfolgreich durch Schifffahrtsrecht bis ins Meer; Internatio-
Ludwig den Jüngeren 876 (Schlacht bei An- nalisierung erfolgte durch den ↑ Versailler
dernach) gegen Karl den Kahlen verteidigt Vertrag.
und in vertragsmäßiger Übereinkunft mit Rheinbund, 1) Rheinbund 1658–1668,
Karl dem Einfältigen 925 durch Heinrich I. Bund („Rhein. Allianz“) zwischen mehre­
als zum ostfränk. Reich gehörig behauptet. ren Fürsten W- und Mitteldeutschlands
Der Kampf um das linke Rheinufer wurde unter Führung des Mainzer Kurfürsten
von Philipp IV. und Karl VII. wieder auf- Johann Philipp von Schönborn, staats-
genommen und von Richelieu neu belebt rechtlich ermöglicht durch die „Libertät“
(Einziehung der Eroberungen ↑ Bernhards der Reichsstände (↑ Westfäl. Friede); der
von Weimar 1639 und Besitzergreifung R. wollte den Frieden sichern und einen
linksrhein. Gebiete im ↑ Westfäl. Frieden Krieg zw. Frankreich und dem Kaiser ver-
1648); erfolgreich Ludwig XIV. durch An- hüten; Bündnispartner waren die drei Kur-
nexion des Elsass und Straßburgs (1688) fürstentümer Mainz, Trier und Köln, die
und durch die übrigen ↑ ­Reunionen (z. T. Pfalz, das Bistum Münster, Hessen-Kas-
nur vorübergehend). Der R. als Grenze sel, Schweden (für Verden und Bremen)
1795 (Baseler Sonderfrieden) von Preu- und Frankreich; später noch Brandenburg,
ßen und 1801 (Frieden von Luneville) von Württemberg und Hessen-Darmstadt; in
Habsburg preisgegeben; nach 1813 von der Wirkung reichsschädlich: Frankreich,
den dt. Patrioten (Arndt) als „Dt. Strom“ das einen ihm genehmen Fürsten auf den
zurückgefordert und mit Ausnahme Straß- dt. Kaiserthron wünschte (nach der Wahl
burgs im Pariser Frieden 1814 auch mit Leopolds I.), stempelte den Bund zum Op-
dem linksrhein. Ufer im Reichsgebiet; positionsbund, gewann Einfluss auf in-
1866 von Frankreich erneut als Grenze an- nerdt. Angelegenheiten und suchte den

786
Rhodesien

Bund als Wegbereiter für die erstrebte po- an die alten Kurfürstentümer ↑ Mainz,
lit.-geistige Führung in Europa zu benut- ↑ Trier und Pfalz; Hauptstadt Mainz; auf
zen; nach Ablauf des Vertrages (1667) ge- Teilgebieten der Verwaltung Zusammen-
lang es Ludwig XIV. nicht, die Mitglieder arbeit mit dem Saarland (↑ Deutschland,
des Bundes nochmals zusammenzufassen. Bundesrepublik).
2) Rheinbund 1806 (Confederation du Rhenser Kurverein, ↑ Kurverein von
Rhin), auf Geheiß Napoleons von ↑ Tal- Rhense.
leyrand geschaffen, Bund vorwiegend süd- Rhodes, Cecil, brit. Finanzmann und Ko-
westdt. Staaten unter Führung des Main- lonialpolitiker, 1853–1902; erwarb sich
zer Kurfürsten Fürstprimas Karl von ↑ Dal- Macht und Ansehen durch Monopolisie-
berg, und unter Absage ans Reich (1806); rung der südafrikanischen Diamantenpro­
brachte seinen Partnern Würden und Ge- duktion und Entdeckung ertragreicher
bietserweiterungen ein; Anschluss fast aller Goldfelder; benutzte seinen Einfluss zum
von Preußen und Österreich unabhängigen Ausbau der brit. Kapkolonie in S-Afrika,
dt. Länder (4 Königtümer, 5 Großherzog- erstrebte Länder- und Verkehrsverbindun­
tümer, 11 Herzogtümer, 16 Fürstentümer gen „vom Kap zum Nil“ und war mitverant­
mit 13,3 Mio. Einw.); stellte 1812 Napo- wortlich für den Ausbruch des ↑ Burenkrie­
leon Truppenkontingente, löste sich – nach ges; geriet in Auseinandersetzungen mit
Versicherung des Verzichts auf Repressalien dem Burenpräsidenten Paul ↑ Krüger und
(durch Metternich) – auf und kämpfte auf wandte sich gegen dessen Plan eines freien
Seiten Preußens und Österreichs. südafrikanischen Staatenbundes; nach ihm
Rheinische Allianz, ↑ Rheinbund. wurde ↑ Rhodesien benannt.
Rheinlandbesetzung durch die ­Alliierten Rhodesien, ehemals britische Kolonien
nach dem 1. Weltkrieg, im Zuge der tradi­ in S-Afrika, bereits im 16. Jh. Berührung
tionellen Parole vom ↑ Rhein als der „natür­ mit Weißen (Portugiesen), 1858/59 Entde-
lichen Grenze“ durch Frankreich gefordert; ckungsreisen Livingstones; 1889/90 wurde
Verwaltung des Saargebietes und 15-jäh- das ehemalige Mashona- und Matabele-
rige Besetzung der linksrhein. dt. Länder, land von der Britisch-Südafrikan. Gesell-
einschließlich der Brückenköpfe von Kehl, schaft unter Führung von C. ↑ Rhodes er-
Mainz, Koblenz und Köln (1923–1925 worben (nach diesem benannt); ging 1896
auch des Ruhrgebiets) durch Truppen der in brit. Besitz über, wurde 1899 um das
Alliierten bei gleichzeitiger Entmilitarisie­ Barotseland vergrößert; 1918 Endkampf
rung einer bis auf 50 km ostwärts des ↑ Lettow-Vorbecks in N-R.; das in 2 Staa-
Rheins sich erstreckenden Zone; Verwal- ten geteilte R. (S-R. und N-R.) bildete mit
tung des besetzten Gebietes durch die alli- Njassaland die unter brit. Schutz stehende
ierte Rheinlandkommission; 1926 1. Zone Zentralafrikan. Föderation (1953–1963);
im Norden, 1929/30 2. und 3. im Süden 1964 entließ Großbritannien N-R. in die
geräumt. Unabhängigkeit (weitere Entwicklung
Rheinland-Pfalz, nach dem dt. Zusam- ↑ Sambia). 1965 erklärte die Regierung
menbruch 1946 auf Anordnung der Be- Smith einseitig die völlige Unabhängigkeit
satzungsmächte neugebildetes Land der von Großbritannien. Der UN-Sicherheits-
Bundesrepublik Deutschland, besteht aus rat verhängte 1968 ein Handelsembargo
Gebieten der früher preuß. Rheinprovinz gegen R., das jedoch weiterhin am Welt-
(↑ Preußen), aus der bayer. Pfalz, dem handel teilnahm. 1970 erfolgte die Aus-
linksrhein. ↑ Hessen und dem ebenfalls rufung der Republik R. 1971 bildete Bi-
preuß. Nassau (Teil der preuß. Provinz schof A. Muzorewa einen Afrikanischen
Hessen-Nassau) mit histor. Reminiszenzen Nationalrat, der zu Verhandlungen mit der

787
Rhodos

Regierung Smith bereit war. Radikale Be- Sowjetunion, Japan, Italien (dt.-sowjet.
freiungsbewegungen (ZAPU und ZANU) Nichtangriffspakt, Dreimächtepakt); ver-
führten von Sambia und Moçambique aus lor nach dem Angriff auf die Sowjetunion
einen Guerillakrieg gegen R. Muzorewa an Einfluss; vom internat. Militärtribunal
verfolgte als polit. Ziel einen christl. gemä- in Nürnberg zum Tode verurteilt.
ßigten Sozialismus. Mugabe und Nkomo, Ribémont bei St. Quentin; Vertrag 880:
die Führer von ZANU und ZAPU, setzten Die im Vertrag von Mersen Karl dem Kah-
sich jedoch polit. durch. 1980 wurde die len überlassene Westhälfte Lotharin­giens
Republik ↑ Simbabwe ausgerufen. wurde von dessen Enkeln Ludwig III., dem
Rhodos, östl. Insel des Ägä. Meeres, in äl- Sohn Ludwigs des Deutschen, überlas­sen;
testen Zeiten von Karern oder Kretern be- die durch den Vertrag von ↑ Verdun festge-
siedelt, um 1000 v. Chr. von den Dorern setzte Westgrenze des Mittelreiches wurde
kolonisiert; drei Hauptstädte: Lindos, Ka- damit zur Westgrenze Deutschlands, die im
miros und Jalysos; reger Handel mit Ägyp- Wesentlichen die dt.-frz. Grenze im MA
ten; im 5 Jh. v. Chr. Mitglied des Att. See- blieb.
bundes, um 404 unabhängig. – 407 wurde Ricardo, David, britischer Volkswirtschaft-
die gleichnamige gemeinsame Hauptstadt ler, 1772–1823; begründete in Weiterbil-
gegr., im 3./2. Jh. mit Besitzungen auf dem dung der wirtsch.-theoretischen Lehren A.
Festland einer der blühendsten Handels- ↑ Smiths die klass. brit. ­Nationalökonomie;
und Bildungsmittelpunkte im Bereich der Vertreter eines konsequenten wirtsch. Li-
Ägäis (der Leuchtturm eines der sieben beralismus (Freihandel); seine Lohntheorie
Weltwunder des Altertums, „Koloss von wurde bei Lassalle zum „Ehernen Lohnge-
Rhodos“); R. rief im 2. Makedon. Krieg ge- setz“.
meinsam mit den großen Griechenstädten Richard, Name von Herrschern. Deut-
die Hilfe Roms gegen ↑ Philipp V., verbün- scher König: 1), R. von Cornwall, Sohn
dete sich später mit den Makedoniern und des engl. Königs Johann Ohneland 1209–
verlor nach deren Niederlage bei Pydna 1272; 1257 auf Vorschlag des Kurfürsten
(168 v. Chr.) seinen Einfluss. 661 n. Chr. von Köln gleichzeitig mit dem durch Be-
dem Kalifenreich eingegliedert, gelangte treiben des Trierer Kurfürsten und Frank-
um 1210 in den Besitz der Genuesen, bis reichs eingesetzten Alfons X. von Kastilien
1306 bei Byzanz, 1310–1522 Sitz des aus zum dt. König gewählt und zu Aachen ge-
Palästina vertriebenen Johanniterordens, krönt; Herrscher von vielseitiger Begabung
dann bis 1912 türkisch, bis 1945 italie- und weittragenden Plänen, die aber an der
nisch, seit 1945 bei Griechenland. Teilnahmslosigkeit der Fürsten und der von
Riede, ehemaliger Ort in der Helme-Un- vornherein aussichtslosen Position des Kö-
strut-Gegend; nach der Überlieferung nigs scheiterten; die Doppelwahl von 1257,
Schauplatz des Sieges Heinrichs I. 933 über als erste ausschließlich durch die Kurfürsten
die Ungarn. durchgeführt, wurde verfassungsrechtlich
Ribbentrop, Joachim von, dt. Politiker, richtungsweisend. – England: 2) R. I.,
1893–1946; urspr. Kaufmann, wurde R. Löwenherz, 1157–1199; Sohn und seit
Hitlers außenpolit. Hauptberater zunächst 1189 Nachfolger Heinrichs II., überwarf
im Amt Ribbentrop und als Sonderbotschaf­ sich auf dem 3. Kreuzzug mit Leopold V.
ter (dt.-engl. Flottenabkommen), dann als von Österreich und Philipp II. von Frank-
Botschafter in London und seit Feb. 1938 reich, schloss nach deren Abzug mit Sala-
als Außenminister. Versuchte seine anti- din Frieden, geriet auf seiner Rückkehr in
brit. Haltung bei Hitler durchzusetzen und die Gefangenschaft Kaiser Heinrichs VI.,
befürwortete ein Zusammengehen mit der wurde im Zuge der welf.-stauf. Versöh-

788
Riga

nungspolitik (als Schwager Heinrichs des Freisinnigen Volkspartei; Verfechter des


Löwen) nach Erstattung eines hohen Lö- ↑ Manchestertums, seit 1878 entschiede­
segeldes 1195 aus der Haft (auf dem Tri- ner Gegner Bismarcks auf dem Gebiet der
fels) entlassen; gefallen im Kampf gegen Wirtschafts- und Sozialpolitik, Hauptwort-
Philipp II. 3) R. II., Enkel Eduards III. und führer gegen Bismarcks Militärvorlage, die
Sohn des „Schwarzen Prinzen“, König von die Friedensstärke der Armee auf 7 Jahre
1377 bis 1399; bekämpfte den Bauernauf- (470 000 Mann) festlegte und die Auflö-
stand von 1381 (↑ Wat Tyler); durch sei- sung des Reichstages herbeiführte; obwohl
nen Vetter Heinrich von Lancaster (IV.) Gegner der Sozialdemokratie, lehnte er die
gestürzt, in den Kerker geworfen und dem Verlängerung des Sozialistengesetzes ab.
Hungertod (1400) preisgegeben. 4) R. III., Ricimer, weström. Heerführer aus sueb.
jüngster Sohn Herzog Richards von York, Geschlecht, Nachfolger des Aetius; „Kaiser-
Herzog von Gloucester, 1452–1485; ließ macher“ (Kaiser Maiorianus, Libius, Seve-
1483 seine Neffen Edward V. und Richard rus, Procopius, Anthemius, Olybrius); nach
im Tower ermorden und riss die Krone an der Erstürmung Roms 472 gestorben.
sich; 1485 bei Bosworth durch den späte­ Rienzo (Rienzi), Cola di, ital. Humanist
ren Heinrich VII. (Tudor) geschlagen und und Volksführer, 1313–1354; 1343 Ab-
getötet; sein Bild, durch Shakespeare ge- gesandter der röm. Zünfte bei Papst Cle-
prägt, von der modernen Geschichtsschrei- mens VI. in Avignon, 1347 als „Volks-
bung gemildert; R. scheiterte – von lei- tribun“ an der Spitze der röm. Erhebung
denschaftlichem Ehrgeiz besessen – an der gegen die Barone; errichtete, beeinflusst
Aufgabe, England nach den blutigen Aus- von dem neuen Gedankengut der Renais-
einandersetzungen der Kriege zw. den Par- sance, eine Republik nach altrömischem
teien der weißen und roten Rose wieder zu Vorbild, konnte sich gegenüber dem Adel
befrieden. nicht durchsetzen; floh an den Prager Hof
Richelieu, Armand Jean du Plessis, Herzog (Karl IV.), wurde an den Papst ausgeliefert
von, frz. Staatsmann, 1585–1642; 1622 (1352) und fiel nach seiner Rückkehr nach
Kardinal, seit 1624 Minister und Leiter der Rom bei einem Volksaufstand.
frz. Politik unter dem schwächlichen Lud- Riese, Adam, Bergbeamter und Rechen-
wig XIII., unterband den polit. Einfluss meister zu Annaberg, 1492–1559; Heraus-
der Hugenotten bei gleichzeitiger Garantie geber weitverbreiteter Rechenbücher für
wirtsch. und religiöser Freiheit, entmach- das prakt. Leben; führte das Wurzelzeichen
tete den Hochadel durch Eingliederung in in die Mathematik ein.
das stehende Heer, vereitelte parlamentar. Rifkabylen, Berbervolk der zerklüfteten
und reichsständ. Pläne und begr. das ab- Küstengebiete Span.-Marokkos, im MA
solute Königreich; strebte in Anknüpfung gefürchtete Seeräuber, heute Hirten und
an die Tradition Philipps IV. und Karls VII. Ackerbauern mit ausgeprägtem Freiheits-
den Rhein als Grenze an (Erwerb des El- drang; 1909, 1921 und 1925 Aufstände
sass), schuf durch Eingreifen in den 30- gegen Spanien und Frankreich.
jährigen Krieg (1635) und Bündnisse mit Riga, Hauptstadt Lettlands, 1201 an der
Holland, Schweden und Italien eine Ge- Stelle einer Bremer Faktorei durch Bischof
genmacht zur Niederhaltung Habsburgs; Albert von Livland (einem früheren Bre-
förderte Kunst und Wissenschaft (Grün- mer Domherrn) gegr.; 1245 zum Erzbis-
dung der Academie Française 1635). tum erhoben, vorwiegend durch dt. Kauf-
Richter, Eugen, dt. Parteipolitiker, 1838– leute (seit 1282 Mitglied der Hanse) in
1906; im Reichstag Führer der Linksli- seiner Entwicklung gefördert, zeitweise im
beralen Fortschrittspartei, seit 1893 der Besitz des Dt. Ordens (1330–1366); kam

789
Rijeka

1581 unter poln. Oberhoheit, 1621 von sammenschluss eine dem Ritterstand ge-
Gustav Adolf erobert; 1701 Schauplatz des mäße Reform der politischen und religi-
Sieges Karls XII. von Schweden über Sach- ösen Einrichtungen des Reiches durchzu-
sen; 1710 von den Truppen Peters d. Gr. setzen; der Krieg beschlossen auf dem Rit-
besetzt und im Zuge der russ. Ostseepo- tertag zu Landau 1522, einer Zusammen-
litik unter Oberherrschaft Russlands (bis kunft schwäb. und rhein. Ritter; durch
1917) gestellt (1889 Beseitigung der dt. Franz von ↑ Sickingen Angriff auf das
Stadtverfassung); 1917/18 von den Deut- geistliche Fürstentum Trier 1523, abge-
schen, 1919 von den Bolschewiken besetzt; wehrt durch den Erzbischof von Trier, den
seit dem Frieden von R. (1921) Hauptstadt Pfalzgrafen bei Rhein und den Landgrafen
des von der UdSSR anerkannten neugebil- von Hessen; durch Belagerung der Sickin-
deten Staates Lettland; 1940 zur UdSSR genschen Burg Landstuhl (Sickingen gefal-
(Flottenstützpunkt); 1941 von Deutsch- len) niedergeworfen.
land besetzt, 1944 von sowjet. Truppen er- Ritterorden, aus Rittertum und Mönch-
obert. Bis 1991 Hauptstadt der Lettischen tum hervorgegangene Vereinigung z. Z. der
SSR, seither wieder Hauptstadt der souve- Kreuzzüge zur Pflege erkrankter Pilger und
ränen Republik Lettland. zum Schutz der Pilger und der hl. Stätten
Rijeka, italien. Fiume, Hafen an der Adria, in Palästina gegen die Ungläubigen, gebil-
seit 1471 habsburgisch, 1779 zu Ungarn, det aus Rittern, Priestern und dienenden
1849 kroatisch, 1870 wieder bei Ungarn, Brüdern; schieden sich in ↑ Johanniter,
1919 auf der Pariser Friedenskonferenz ↑ Templer, ↑ Dt. Orden und ↑ Schwert-
Jugoslawien zugesprochen, doch von ital. brüder.
Freischar unter d’Annunzio besetzt; 1920 Ritterstand, 1) in Alt-Rom in der Frühzeit
durch Rapallovertrag zw. Italien und Jugos- der Republik das berittene Kontingent des
lawien unabhängiger Freistaat, 1924 durch Heeres (equites, Reiter), dann der 2. Stand
Verständigung zu Italien, 1947 aufgrund nach den Senatoren, später der Geldadel,
des Pariser Friedens zu Jugoslawien, seit der nach dem Verbot von Geldgeschäften
1991 zu Kroatien. für die Nobilität (218 v. Chr.) als macht-
Rijswijk, Vorort von Den Haag in Hol- voller Stand zw. Amtsadel und Volk galt
land; im Frieden von R. fand 1697 der (durch schmalen Purpurstreifen an der
↑ Pfälz. Erbfolgekrieg seinen Abschluss; Tunika ausgezeichnet); aus ihren Reihen
Ludwig XIV. gab die ↑ Reunionen bis auf stammten die Steuerpächter in den Provin-
das Elsass mit Straßburg zurück und er- zen. Von Augustus scharf gegen den Sena-
kannte das Königtum Wilhelms von Ora- torenstand abgegrenzt und teilweise zum
nien in England an. Offiziers- und Beamtenstand umgebildet;
Ripen, Stadt in Jütland (dän. Ribe); der durch Hadrian zum ausschließl. Träger der
1460 geschlossene Vertrag von R. begrün- Reichsverwaltung erhoben (Senatoren, auf
dete die Personalunion zw. Dänemark so- den Stadtbereich Roms beschränkt), ging
wie Schleswig-Holstein. der R. schließlich in der Beamtenhierarchie
Ripuarier, ↑ Franken. ↑ Diokletians und ↑ Konstantins auf. 2) Im
Risorgimento (ital., Wiedererhebung), die dt. MA der auf den Grundlagen des ↑ Le-
Epoche der nationalen Einigung ↑ Italiens henswesens und der Ministerialität zum
1815–1861. hauptsächlichen Träger der stauf. Politik
Ritterkrieg, der aus der Unzufriedenheit erwachsene Kriegerstand; die Mitglieder
mit der Reichsverfassung und der einsei- wurden erhoben durch Schwertleite und
tigen ↑ Reichsreform erwachsene Versuch Ritterschlag, erlangten Ruhm und Anse-
der Reichsritter, durch bewaffneten Zu- hen in den Kreuzzügen, pflegten auf ihren

790
Rockefeller

Burgen und an den Höfen der Fürsten die treibung der Byzantiner aus ihren letzten
hohe Persönlichkeitskultur der Stauferzeit ital. Besitzungen das ↑ Normannenreich
durch Erziehung zur Zucht, Tugend (Aus- in Unteritalien und Sizilien, wurde 1059
bildung zu vollkommenen Lebens- und Lehensmann des Papstes, besiegte den by-
Gesellschaftsformen), Mäßigung (= Beherr­ zantin. Kaiser ↑ Alexios I. bei Durazzo, be-
schung der Gefühle) und Ehre (­Trachten freite 1084 Gregor VII. aus der Engelsburg,
nach Ansehen), übten die ritterl. Minne, ließ Rom plündern und in Brand stecken,
die Besingung und die Verehrung einer ro- starb 1085; sein Reich bestand weiter, Kai-
mantisch idealisierten Frau; ­verachteten an- ser ↑ Friedrich II. baute es (Mittelpunkt
dererseits auch nicht die nach der Zeit der Palermo) zum ersten modern verwalteten
cluniazens. Strenge neuerwachten weltl. Staat Europas aus.
Genüsse. Der Zusammenbruch des mitter­ Robertson, 1) R., Sir William, brit. Feld-
alterlichen Kaisertums (Interregnum), das herr, 1860–1933; 1915–1918 brit. Gene-
Aufkommen der Geldwirtschaft und des ralstabschef, 1919/20 Befehlshaber im be-
Bürgertums führten – wo der R. nicht im setzten Rheinland. 2) R. Brian, brit. Ge-
städt. Patriziat aufging zur Verarmung, neral, 1896–1974; brit. Armeeführer im
zum Versiegen der ritterlichen Kultur und 2. Weltkrieg in Afrika und Europa, 1947
Entartung zu Strauch- und Raubrittertum; brit. Oberkommandant in Deutschland,
der Ritterstand verlor daher auch seine Pri- 1949 Hoher Kommissar, 1950 zum brit.
vilegien (↑ Adel). Oberbefehlshaber im Nahen Osten er-
Robert, Name von Herrschern. ­Frankreich: nannt.
1) R. I. (Herzog der Franken), 862–923; Robespierre, Maximilien, 1758–1794; Ad­
Gegenkönig Karls des Einfältigen, ­ gegen vokat, 1789 Deputierter der Stadt Arras in
welchen er im Kampf fiel. 2) R. II., der der Nationalversammlung, 1791 Haupt
Fromme, König, 996–1031; Sohn Hugo der Radikalen, 1792 Führer des ↑ Jakobi­
Capets, festigte die Oberhoheit des König­ nerklubs und Mitglied des ↑ Konvents, seit
tums über die Normannen und über Aqui- 1793 Haupt des ↑ Wohlfahrtsausschusses
tanien. – Neapel: 3) R. von Anjou, Sohn und der Schreckensherrschaft; als sich
Karls II., 1275–1343; seit 1309 König, von selbst der Konvent nicht mehr sicher vor
Heinrich VII. als Führer der ital. Guelfen ihm fühlte, wurde er diktatorischer Bestre­
bekämpft und geächtet, Förderer des ital. bungen beschuldigt, verhaftet und im Juli
Humanismus (Petrarca und Boccaccio). 1794 guillotiniert (↑ Frankreich, Frz. Rev-
– Normandie: 4) R. I. (911–923), auch olution).
Rollo genannt, erster Herzog der Norman- Robin Hood, engl. Volksheld, dessen an-
die, setzte sich 876 von Schottland aus an gebliche Identität mit einem Earl of Hun-
der frz. W-Küste fest, belagerte 885 Pa- tingdon nicht erwiesen ist; einer der vie-
ris, wurde 911 von Karl dem Einfältigen len Hörigen, die in die Wälder flüchte-
mit der Normandie belehnt und trat mit ten und zu Raubgesellen wurden; R. H.,
seinen Mannen zum Christentum über. der mit seiner Räuberbande im Wald von
5) R. II., der Teufel, Vater Wilhelms des Sherwood hauste, war ein Feind des rei-
Eroberers, Herzog 1028–1035; erwarb die chen Adels und des Klerus, der seinen be-
Lehenshoheit über die Bretagne, führte drückten Landsleuten beistand; Held der
ein abenteuerreiches Leben und starb auf Volksballade des 14./15. Jh.
einem Zug ins Hl. Land. – Sizilien: 6) R. Rochefoucault, ↑ La Rochefoucault.
Guiscard („Schlaukopf“), Sohn des nor- Rochejacquelein, ↑ La Rochejacquelein.
mann. Grafen Tancred von Hauteville, Rockefeller, John Davison, amerik. Unter-
um 1015–1085; gründete nach der Ver- nehmer, 1839–1937; gründete 1863 eine

791
Rodbertus

Erdölraffinerie, errichtete 1870 die „Stan- tenführer, 1579–1638. 2) R. Louis René,
dard Oil Comp. of Ohio“ (1892 ­aufgelöst). Prinz, Kardinal, Erzbischof von Straßburg,
Der 1882 von R. gegründete „Standard Oil 1734–1803; 1786 in die Halsbandaffäre
Trust“ kontrollierte 95 % des Raffineriege- um die Königin ↑ Marie Antoinette ver-
schäftes der USA; R., seinerzeit reichster wickelt, verhaftet, musste Paris verlassen;
Mann der Welt, gründete 1890 die Uni- 1802 Verzicht auf die Bischofswürde.
versität von Chicago und später die Rocke- Röhm, Ernst, dt. Offizier und Politiker,
feller Foundation. Stabschef der SA, 1887–1934; stieß 1923
Rodbertus, Karl, dt. Nationalökonom, als Mitglied des Freikorps Epp zur NSDAP
1805–1875; begründete den „wiss. Sozi- und beteiligte sich am Hitlerputsch 1923.
alismus“ in Deutschland, dessen Träger, Nach Differenzen mit Hitler über die Orga-
nach seiner Lehre, nicht das Proletariat nisation der ↑ SA ging er als Generalstabs-
und dessen Methoden nicht der Kampf der offizier nach Bolivien, kehrte aber 1931 zu-
Klassen gegeneinander sein konnten; for- rück und übernahm die Führung der SA.
derte planvolle Bewirtschaftung von Bo- Seine Pläne, den Partei-Kampfverband zur
den und Kapital und staatliche Lenkung Volksmiliz auszubauen, stießen bei R.s Ri-
der Arbeitskraft; lehnte das arbeitslose Ein- valen Himmler und Göring, vor allem aber
kommen aus Boden und Kapital ab, for- in der Reichswehr auf immer größeren Wi-
derte bei steigender nationaler Produktion derstand, sodass Hitler sich im Juni 1934
entsprechend steigende Löhne auch der zu einer radikalen Lösung entschloss und
Arbeiterschaft; beeinflusste den späteren R. und mindestens weitere 82 SA-Führer
↑ Kathedersozialismus und die staatliche oder sonstige unbequeme Politiker ermor-
Sozialpolitik. den ließ („Röhmputsch“).
Rodung, Bez. für das vom 11. bis An- Rök, Runenstein von, schwed. Runen-
fang des 13. Jh. aus gerodetem Waldgebiet denkmal aus der Zeit der Wikinger (um
hervorgegangene landwirtsch. Nutz- und 850); enthält die längste bisher bekannte
Siedlungsland. Runeninschrift mit etwa 800 Zeichen.
Roger, normann. Herrscher in Sizilien: Rokoko (von frz. rocaille, muschelartiges
1) R. I., jüngster Sohn des Bruders Robert Ornament), Kunst- und Lebensstil des
Guiscards (des Normannengrafen Tancred 18. Jh., der sich aus dem Barock vorbild-
von Hauteville); eroberte 1061–1091 Si- lich vor allem in Frankreich entwickelte
zilien, 1090 Malta, gest. 1101. 2) R. II., und die Zeit von 1700–1780 beherrschte;
1095–1154, folgte seinem Vater 1) 1101 zeichnete sich aus durch reich verzierte,
als Großgraf, eroberte 1113 Kalabrien und schwingende Ornamente, graziöse Skulp-
1127 Apulien, unterstützte 1130 den Ge- turen, fließende Vergoldung, spielerische
genpapst ↑ Anaklet II. (gegen Lothar von Vorliebe für Porzellannippsachen, Teehäus-
Supplinburg), wurde von ihm mit Sizilien chen und Pagoden nach chinesischem Vor-
belehnt, zum König erhoben und 1139 von bild; in der Baukunst weniger ausgeprägt
Innozenz II. nach Anerkennung der päpstl. (aber reizvolle Innenräume); bevorzugte
Lehenshoheit als König bestätigt; unter- in der Malerei das Aquarell mit leichter,
nahm Feldzüge nach Griechenland und zarter Farbgebung, das sich den hellen, mit
N-Afrika; legte durch Vermählung seiner hohen Spiegeln versehenen Räumen am
Erbtochter Konstanze mit Heinrich VI. die Besten einfügte; wurde auch in Dichtung,
Grundlage zur stauf. Herrschaft in Sizilien. Musik und Lebenshaltung Ausdruck der
Roger Bacon, ↑ Bacon. sich in verträumter Sentimentalität und
Rohan, altes frz. Herzogsgeschlecht aus unbeschwerter Daseinsfreude ergehenden
der Bretagne: 1) R. Henri, frz. Hugenot- Menschen der gehobenen, wirtsch. un-

792
Rom

abhängigen Stände, die sich an galanter, ausgestattet, durch Cäsar erweitert (Forum
spielerischer Schäferdichtung, am Schäfer- Julium, Basilica Julia) und von Augustus in
spiel, an Idyllen und Singspielen erfreuten eine „Marmorstadt“ verwandelt; nach dem
(gleichzeitig wirtschaftliches Elend der Brand 64 n. Chr. unter ↑ Nero und unter
breiten Volksmassen und politische Unzu- seinen Nachfolgern großzügige Neuanla-
friedenheit, die zur Revolution von 1789 gen (Kaiserpalast auf dem Palatin, Kolos-
führten). seum des Vespasian, Titusbogen, Trajan-
Roland, Held der Karolingersage, Mark- säule). Die Bevölkerung wuchs auf über
graf der Bretagne, 778 bei Roncesvalles eine Million an, die Bedeutung der Stadt
im span. Feldzug Karls d. Gr. gefallen; aber sank seit der Verlegung des Regie-
wurde zur Hauptgestalt im altfrz. „Chan- rungssitzes des Weltreiches nach Byzanz-
son de Roland“, das dem „Pfaffen Konrad“ Konstantinopel (330 n. Chr.). Durch die
als Vorlage zum mhdt. „Rolandslied“ (zw. Plünderungen der Westgoten (410) und
1127 und 1139) diente. Vandalen (455) wurde R. in eine Ruinen-
Rolandssäulen, Bildsäulen aus Stein und stadt verwandelt; blieb aber Residenz der
Holz in norddt. Städten (Niedersachsen, Päpste. Seit dem 8. Jh. (Pippinsche Schen-
Holstein, Brandenburg), ursprüngl. wahr- kung) Hauptstadt des ↑ Kirchenstaates; die
scheinlich Zeichen für abgegrenzte Ge- Kämpfe der Adelsgeschlechter untereinan-
richtshoheit oder für den Blutbann, auch der und mit dem Papst hemmten R. in sei-
Sinnbild städt. Freiheit; erst in späterer ner Entwicklung trotz seiner Erhebung zur
Zeit mit ↑ Roland identifiziert. Krönungsstadt der dt. Kaiser (seit 800);
Rollo, ↑ Robert I. (Normandie). 1084 durch die ↑ Normannen unter Ro-
Rom (lat. Roma), Mittelpunkt und Wiege bert Guiscard geplündert. 1155 (Arnold
des Imperium Romanum (↑ Römisches von Brescia) und 1347–1354 (Riemzo)
Reich), Amtssitz des Papstes, Hauptstadt vergebliche Bemühungen um Wiederher-
Italiens; hervorgegangen aus einer um stellung des alten Glanzes („Röm. Repu-
1000 v. Chr. in der Nähe des Übergangs der blik“ im antiken Geist); weiterer Nieder-
alten Salzstraße über den Tiber auf dem Pa- gang während des Exils der Päpste in Avi-
latin (Roma quadrata) errichteten Siedlung gnon (1309–1378), erst in der ↑ Renais-
der Latiner; neben diese latin. Bergsied- sance neue Blüte, doch seit dem ↑ Sacco di
lungen (7 Hügel: Palatin, Capitol, Aventin, Roma stillere Entwicklung; R. blieb aber
Caelius, Viminal, Quirinal, Esquilin) tra- immer noch das Ziel großer ­Pilgerscharen
ten später die sabin. Hügeldörfer; seit Ende (Petrusgrab), Ausbreitung am rechten Ti-
des 7. Jh. Ausbreitung der Etrusker von berufer (17. Jh.), 1798 durch Franzosen
Norden her; nach der Sage 753 v. Chr. von besetzt und „Röm. Republik“; 1809–1814
↑ Romulus zur Stadt erhoben, mit Viereck- Teil des frz. Kaiserreiches; nach der Rück-
mauer umgeben und wohl ihm zu Ehren kehr des Papstes (1814) bis 1870 fortwäh-
mit dem etrusk. Namen Roma benannt; R. rende Wirren durch den Gegensatz zw. den
wurde Mittelpunkt des röm. Stadtstaates päpstlichen Reformbestrebungen (gestützt
unter sabin.-latin.-etrusk. Königen; um auf frz. Schutz) und der nationalitalien.
500 (510?) Sturz der Etruskerherrschaft. Einheitsbewegung; 1871 Besetzung durch
In der Folge entwickelten sich Forum und italien. Truppen und Hauptstadt Italiens
Kapitol zum Mittelpunkt der röm. Repu- (Ende des Kirchenstaates); seit 1929 (Late-
blik; 387 durch die Gallier mit Ausnahme ranverträge) ein Stadtteil (↑ Vatikanstadt)
des Kapitols erstürmt und zerstört, wieder souveräner Staat der Päpste. 1957 wurde in
aufgebaut; nach der Zerstörung Korinths R. mit den Röm. Verträgen die EWG (EG,
(146) mit erbeuteten griech. Kunstwerken heute EU) gegründet.

793
Romanik

Romanik oder Romanischer Stil, ­ erster wann sie von Rom unterworfen wurden
künstlerischer Ausdruck weiträumiger, alle und welche soziale Stellung die ­Vermittler
Kulturgebiete umfassender Entfaltung des des Lateins an die unterworfenen Völker
abendländ.-christlichen Geistes; am Ende hatten (z. B. Gebildete in Spanien und
des 10. Jh. aus altchristlichen, byzant. und Gallien, Kolonisten in Dakien). Gefördert
antiken Elementen hervorgegangen, vor- wurde die Entwicklung zu den späteren ro-
nehmlich Kirchenbauten; vereinigte in der man. Sondersprachen durch die wachsende
Anlage der Gotteshäuser die Grundform Verselbständigung der Provinzen seit dem
der Basilika mit dem Grundriss des Kreu­ 3. Jh. n. Chr. und die Einwirkung durch
zes durch das zw. Chor und Langhaus ein- german. Völker. Zudem ist anzunehmen,
gefügte Querschiff, durchbrach die Hori- dass die vorröm. Volkssprachen der betref-
zontalgliederung der Antike durch wuch- fenden Gebiete (Illyrisch, Thrakisch, Kel-
tige Türme, Rundbogen, Kreuzgewölbe, tisch-Gallisch, Iberisch, Griechisch, Pu-
reiche ornamentale Skulptur an Kapitellen nisch, Libysch, Ägyptisch u. a.) in der lat.
und Portalen, belebte die Wände mit flä- Zeit keineswegs verstummt waren, sondern
chenhaften Fresken (ohne Perspektive); in dass sie neben dem Latein noch gesprochen
Deutschland z. T. Sonderentwicklung, ge- wurden, besonders in den Gebieten, die
fördert durch die Kaiser (Dome zu Speyer, nicht „urbanisiert“ (verstädtert) waren und
Worms, Mainz; St. Michael in Hildesheim, den Römern gegenüber mehr Selbstbe-
St. Maria im Kapitol in Köln, Abteikir- wusstsein und Volkscharakter bewahrten.
che Maria Laach, Domkrypta in Freising, Alle diese Faktoren beeinflussten das La-
Schottenkirche in Regensburg, Kaiserpfal- tein und ließen Provinzialsprachen entste-
zen in Goslar, Wimpfen usw.). Entfaltete hen, die jedoch, solange die Reichseinheit
sich großartig und unterschiedlich außer- (die „Romania“) in Kultur, Verwaltung
halb Deutschlands, bes. in Frankreich und und militärischen Organisationen gewahrt
Italien (San Marco in Venedig, San Anto- blieb, die Vorherrschaft des Einheitslateins
nio in Padua, Dom zu Pisa; Kloster Cluny nicht brechen konnten; dann erst verselb-
in Burgund, St. Martin in Tours, St. Eti- ständigten sich die heute bekannten „roma­
enne und Trinite in Caen); hoch entwi- nischen Sprachen“.
ckelte Schreinkunst, Figurenplastik, Buch- Romanos, byzantin. Kaiser: 1) R. I., urspr.
malerei. armen. Oberbefehlshaber der Flotte, seit
Romanische Sprachen, Entstehung aus 920 Mitkaiser der Zoe, kämpfte bis 927
dem Latein setzte die Verästelung der in- mit den Bulgaren, verjagte 941 die Russen
dogerman. Sprache fort, ist aber noch vor Konstantinopel, von seinen ­ Söhnen
nicht völlig geklärt; die Trennung begann 944 gestürzt. 2) R. II. (959–963), ­ Enkel
im frühesten Mittelalter, genauer Zeit- von 1), nahm erneut Verbindung mit dem
punkt wegen des Mangels an genügenden abendländ. Kaisertum auf, von seiner Ge-
Quellen schwer zu bestimmen; der erste mahlin Theophanu vergiftet. 3) R. IV.,
Gelehrte, der roman. Spracheigentümlich- Diogenes (1068–1071), Feldherr Kaiser
keiten wiss. betrachtete, war Dante in sei- Konstantins X., vermählte sich 1068 mit
nem Werk „De vulgari eloquentia“ (1306). Kaiserin Eudokia, 1071 von den Seldschu-
Für die Entstehung der roman. Sprachen ken bei Manzikert geschlagen und vom
aus dem Latein werden heute mehrere Sultan gefangen genommen; nach seiner
Gründe angegeben; auch im Röm. Reich Freilassung im Kampf um den Thron be-
gab es lat. Dialekte: Sie beruhten z. T. auf siegt und geblendet.
dem verschiedenen Alter des Lateins in den Romanow, russ. Bojarenfamilie, deren
einzelnen Gegenden, d. h. dem Zeitpunkt, Ahnherr um 1280 aus Litauen nach Mos-

794
Römisches Recht

kau gekommen sein soll, regierte (durch Römerstraßen, Bez. für die Heer- und
Heirat mit dem Haus Rurik verbunden) Handelsstraßen des Röm. Reiches, bes. die
1613–1762 (seit 1730 in weiblicher ­Linie); Via Appia (Rom–Brindisi), die Via Aemilia
Begründer der Dynastie: Zar Michail Feo- (Rimini–Piacenza), die Via Aurelia (Rom–
dorowitsch (1613–1645), der Sohn des Pa- Pisa), die Via Cassia (Rom–Florenz), die
triarchen Philaret. Via Egnatia (Durazzo–Byzanz), die Via Fla-
Romantik, die um 1790 einsetzende, das minia (Rimini–Rom).
gesamte Abendland umfassende Kulture- Römische Republik, Bez. 1) für die innere
poche und Geisteshaltung, die in allen Be- Staatsform des Römerreiches von etwa 510–
reichen des Geistes (Religion, Philosophie, 49 v. Chr.; 2) für die kurzlebigen Staatsge-
Gesellschaftslehre, Geschichtswissenschaft, bilde Roms im MA unter Arnold von Bre-
Literatur und Kunst) neue Wege beschritt; scia 1155 und Cola di Rienzo 1347–1354;
ausgehend vom Gegensatz zur Klassik und 3) für den im Anschluss an die Frz. Revo-
im weiteren Sinne zur Aufklärung, suchte lution von Frankreich errichteten frz.-ital.
sie vom Subjekt her eine Schau des organ. Zwischenstaat von 1798–1804 und 4) das
wachsenden Weltganzen in seiner Grenzen­ Revolutionsregime von 1848.
losigkeit zu gewinnen; die Inthronisierung Römischer König, dt. Königstitel im MA,
des bewussten und als absolut angenomme­ urspr. für die Könige vor der Kaiserkrö-
nen Ich in seiner Verbundenheit mit der nung; seit 1508 für den während der Re-
Natur (in ihrem beständigen Wandel und gierungszeit des Kaisers zum König ge-
ih­rer bedrohlichen Gewalt) und mit der wählten Nachfolger.
Geschichte in ihrem nun erst erfassten Römisches Recht, hervorgegangen aus
organischen Zusammenhang führte zur den Erfordernissen des vielgestaltigen, an
Willkür, löste aber auch Kräfte für umfas- Neuerungen auf allen Gebieten des Lebens
sende neue Forschungen und eigenwillige reichen Röm. Imperiums; erste Ansätze
künstler. Schöpfungen aus; in der Religion schon im ↑ Zwölftafelgesetz, gefördert von
führten Novalis und Schleiermacher vom den Rechtsgelehrten; unter Hadrian sei-
reinen Rationalismus zur Tiefe des Erleb- ner urspr. Starrheit entledigt durch abwä-
nisses zurück; die Philosophie befasste sich gende Anpassung an den Einzelfall; unter
neben dem Erkenntnisproblem ­vorwiegend dem Einfluss auch christlicher Rechtsi-
mit der Ethik als der Kraft des absolut ge- deen zusammengefasst unter Kaiser Justi-
setzten Subjekts (Fichte, Schelling); aus- nian 530–555 im ↑ Corpus Iuris Civilis;
gehend von ↑ Herder drang die krititische bestand über den Zusammenbruch des
Wissenschaft von den Volksliteraturen zum röm. Weltreiches hinaus vorwiegend in
Gedanken der Weltliteratur vor, weckte Italien fort, vermisch­te sich teilweise mit
Sprach- und Kulturwissenschaft, entwi- dem langobardischen Recht, wurde durch
ckelte die moder­ne Geschichtsauffassung die Kirche, deren Verwaltung und Orga-
und ihre Methoden; die Gesellschaftslehre nisation z. T. ebenfalls auf ihm beruhten,
knüpfte an den Ständestaat des MA an und weiterentwickelt; von den lombard. Städ-
sah in der Religion die Grundtage jeder So- ten zur Grundlage ihres eigenen Landes
zialgewalt; die Dichter der R. waren vor- und Städterechtes (ius civile) gemacht; von
wiegend Lyriker, größere Werke blieben der Universität Bologna wiss. bearbeitet
Fragmente oder waren als solche entwor- und durch die Glossatoren der Zeit ange-
fen; entsprechend ihrer Grenzenlosigkeit passt und auch in Deutschland verbreitet.
und Gefühlsbetontheit fand die R. in der In der ↑ Renaissance Neubelebung; setzte
Musik ihren stärksten künstlerischen Aus- sich mehr und mehr (auf dt. Verhältnisse
druck. durch Rechtsgelehrte abgestimmt) gegen

795
Römisches Reich

die verschiedenen uneinheitlichen, durch fen (↑ Curius) behauptet. 282–272 erfolg-


die Reichsgewalt wenig geförderten dt. reicher Krieg gegen das mit ↑ Pyrrhus ver-
Rechtsbücher (Sachsenspiegel, Schwaben- bündete Tarent, 266 ganz Unteritalien in
spiegel, altdt. öffentliche Gerichtshand- der röm. Wehrgemeinschaft vereinigt und
lung und Laienrichtertum) durch („Re- der Grundstein zur Großmachtbildung ge-
zeption“), wurde in Deutschland teilweise legt (↑ Appius Claudius). Der beginnende
erst um 1900 durch das BGB (Bürgerliches Imperialismus löste im Kampf um Sizilien
Gesetzbuch) ersetzt. den 1. ↑ Pun. Krieg 264–241 aus (Sizilien
Römisches Reich (Imperium Romanum), erste röm. Provinz); 238 auch die Abtre-
das bedeutendste und machtvollste staat- tung Sardiniens von ↑ Karthago erzwungen
liche Gebilde des Altertums, entwickelte (mit Korsika zweite Provinz); Rom wurde
sich in und aus dem Raum der Apenninen- Großmacht in Form des erweiterten Lati-
halbinsel (↑ Italien); seit etwa 800 v. Chr. nerstaates (gestützt durch aufblühen­den
Stadtstaaten der ↑ Etrusker in Mittelitalien Handel, Einführung der ­ Geldwirtschaft);
und griech. Kolonisten (↑ Großgriechen- Kultureinflüsse von Griechenland her. –
land) in S-Italien. Die staatliche Entwick- Ausgangspunkt für das Weltreich: 2. ↑ Pun.
lung nahm ihren Ausgang von den ↑ La- Krieg 218–201 (Herrschaft über das Mit-
tinern, die an der Salzstraße auf dem Pa- telmeer), 200–197 Niederwerfung ↑ Phi-
latin unweit des Tibers die erste Siedlung lipps von Makedonien und Loslösung Grie­
(↑ Rom) errichteten und unter etrusk. Kö- chenlands aus makedon. Oberhoheit im
nigen, um 735 bis um 500 v. Chr., sich zu Frieden von Korinth (196); 192–189 Ein-
einem Geschlechterstaat mit vorwiegender flusssphäre in Kleinasien bis zum Taurus
Agrarwirtschaft und nüchternem Götter- im Kampf gegen ↑ Antiochia geschaffen,
kult zusammenschlossen, durch Vertrei- 171–168 wurde ↑ Perseus besiegt (Pydna
bung des Gewaltherrschers Tarquinius 168) und Makedonien zur röm. Provinz
Superbus die etrusk. Fremdherrschaft um umgestaltet, 148/47 waren auch ↑ Illyrien
500 v. Chr. abschüttelten und die altröm. und 133 das Reich von Pergamon (durch
Republik begründeten; innerstaatl. Ge- Erbvertrag) als Provinzen eingegliedert, im
waltenteilung in Priesteramt (Pontifex Westen 197 Spanien (Hispania citerior und
maximus), Heerführung und Richteramt ulterior) und nach dem 3. ↑ Pun. Krieg das
(2 Konsuln) und zeitweise ↑ Diktator- Gebiet von Karthago als Provinz Afrika
Herrschaft für den Kriegsfall; Beginn des und 121 die gall. Länder zw. Pyrenäen und
Ständekampfes zw. den von Staatsämtern Alpen als Provinz Gallia Narbonensis dem
ausgeschlossenen Plebejern unter Führung Weltreich angeschlossen. Im Zuge der äu-
der ↑ Tribunen, führte 451 v. Chr. zur Auf- ßeren Machtentfaltung auch innerstaatli-
stellung des Zwölftafelgesetzes, 367 der Lex che Veränderungen: Machtsteigerung des
Licinia (einer der beiden Konsuln Plebe- Senats, Provinzialverwaltung als Quelle
jer), der Zenturiatsverfassung und der auch des Reichtums, aber auch Zerfallserschei-
von den Plebejern mitbestimmten Herr- nungen (Freiheiten der Reichsfeldherren,
schaft des ↑ Senats und zur Staatsoligar- Verweichlichung, Kluft zw. Armen und
chie; nach außen langjähriger Kampf gegen Reichen, Großunternehmertum, Latifun-
die Etrusker (396 Einnahme von Veji) und dienwirtschaft, Anwachsen des Stadtprole-
Abwehr der Galliereinfälle (387/386); bis tariats). Kulturell weitgehende Abhängig-
338 war ganz Latium unterworfen und in keit vom Hellenismus (↑ Terenz, ↑ Plautus,
den Stadtstaat einbezogen, bis 304 Kam- ↑ Stoa). Durch die inneren Spannungen
panien (im Samniterkrieg), bis 284 Mittel­ Unruhen, die sich über ein Jahrhundert er-
italien erobert und in opferreichen Kämp- streckten (133–31); Kampf der ↑ ­Gracchen

796
Römisches Reich

um neue Agrargesetze (133–121), Kampf Zerstörung Jerusalems, unter Domitian


zwischen der Senatspartei (↑ Sulla) und Ausbau des ↑ Limes, nach Eroberung des
der Volkspartei (↑ Marius) um die Macht. ↑ Dekumatenlandes Errichtung der Pro-
Anfangs durch Niederwerfung ↑ Jugurthas vinzen ↑ Germania superior und inferior.
(111–105) und Abwehr der ↑ Teutonen Größte Ausdehnung des Reiches unter den
und ↑ Kimbern (Schlachten von Aquae Adoptivkaisern (96–192); erkämpft durch
Sextiae 102 und Vercellae 101) zugunsten ↑ Trajan (Dakien 107, Arabien 106, Ar-
der Volkspartei („Populaen“) entschieden, menien, Mesopotamien und Assyrien bis
nach gemeinsamer Beilegung des Bundes- 117), gesichert durch ↑ Hadrian (Erweite-
genossenkrieges (91–88) jedoch Restaura- rung des Limes und des ↑ Piktenwalles, in-
tion der Senatsherrschaft, begünstigt durch nerer Ausbau: Verwaltung [Beamtenstand
Sullas Sieg über ↑ Mithradates (grausames der Ritter], fremdvölk. Söldnertruppen,
Strafgericht über die Anhänger des Ma- Förderung des röm. Rechts). Unter Mark
rius). Die zeitweise unumschränkte Macht Aurel Reichsgefährdung (Überhandnahme
des Senats geschwächt durch die Reichs- der Latifundienwirtschaft, Markomannen-
feldherren; der bedeutendste Reichsfeld- und Parthereinfälle, Absinken der Kultur
herr, ↑ Pompejus, siegte in Spanien gegen zur ausschließlichen Kopie der griech. Kul-
↑ Sertorius (77–72), warf den Sklavenauf- tur, Bekämpfung des Christentums). Seit
stand des Spartacus (71) nieder, machte 180 Ausbildung des absoluten Kaisertums
dem Seeräuberunwesen ein Ende (67) und unter den Soldatenkaisern und fortschrei-
errichtete mit ↑ Crassus und ↑ Cäsar das tender Zerfall der Reichseinheit als Folge
1. Triumvirat. Nach der Niederlage (Phar- der Entvölkerung Italiens, des volksfrem-
salus 48) und dem Tod des Pompejus (auf den Söldnerwesens, des ↑ Föderatentums
der Flucht) wurde sein Rivale Cäsar auf und der Erhebung der ↑ Germanen und
Lebenszeit zum Diktator ausgerufen; trotz ↑ Perser (Neuperserreich unter den Sassa-
erfolgreicher Reformen im Innern wurde niden 226); vorübergehend eingedämmt
Cäsar wegen seines Strebens nach einem durch die Constitutio Antoniniana 212
monarchischen Regiment von den Re- (Reichsbürgerrecht) und die Neuordnung
publikanern ↑ Brutus und Cassius 44 er- ↑ Diokletians (Reichsteilung, absolutes Kai­
mordet. Anschließend das 2. Triumvirat sertum anstelle des augusteischen Prinzi-
(Oktavian, Antonius, Lepidus), das sich pats, Aufhebung der ital. und ägypt. Son-
nach dem Rücktritt des Lepidus und der derrechte, Beschränkung der Senatsgewalt
Niederlage des Antonius 31 (bei Aktium: auf die Stadt Rom, Ausbau des Feld-und
Ägypten wurde röm. Provinz) zur Allein- Reiterheeres). Unter ↑ Konstantin Wieder-
herrschaft, zum „Prinzipat“, des Oktavian vereinigung des Reiches, Christenemanzi-
(↑ Augustus) entwickelte und die röm. pation im Mailänder Toleranzedikt 313,
Kaiserzeit (31 vor–476 n. Chr.) einleitete. Verlegung des Regierungssitzes nach By-
Durch Augustus wurden die Grundlagen zanz = Konstantinopel (330). Fortschrei-
zur Verwaltung des Weltreiches erweitert, tender Zerfall unter Constantius II. ↑ Va-
durch seine Stiefsöhne ↑ Drusus und ↑ Ti- lentinian und ↑ Valens, Spaltung in Ost-
berius 15 v. Chr. die Alpenländer unterwor- und Westrom durch Theodosius (395),
fen (Rätien und Noricum; das Vorschieben Rivalität der Feldherren beider Teilreiche,
der Reichsgrenzen bis zur Elbe blieb Epi- ↑ Stilicho und ↑ Rufinus. Trotz Rückver-
sode). 14–68 n. Chr. Herrschaft der Jul.- legung der Grenzen von Rhein und Do-
Claud. (↑ Tiberius, ↑ Claudius, ↑ Nero), nau war der Ansturm der Germanen nicht
69–96 der Flav. Kaiser (↑ Vespasian, ↑ Ti- aufzuhalten (410 Eroberung Roms durch
tus, ↑ Domitian); durch Titus (70 n. Chr.) ↑ Alarich); Britannien wurde selbständig;

797
Römisch-katholische Kirche

durch Westgoten (418), Vandalen (429) mittelalterlicher Kaiser auf ihren ltalienzü-
und Burgunder (443) Errichtung von Rei- gen; Reichstage auf den R.n F.n unter Ot-
chen im röm. Herrschaftsgebiet; bei der to III. 996, Heinrich V. 1110, Friedrich I.
Abwehr der Hunneneinfälle mithilfe der 1154.
Germanen auf den Katalaunischen Feldern Röntgen, Wilhelm Konrad, dt. ­ Physiker,
(451, Aetius) gleichzeitige Verstärkung des 1845–1923; 1874 Dozent in Straßburg,
Einflusses der Germanen, deren Heerfüh- 1879 Ordinarius für Physik in Gießen,
rer ↑ Odoaker den letzten weström. Kaiser 1888 Berufung nach Würzburg; hier 1895
Romulus Augustulus 476 absetzte und so Entdeckung der Röntgenstrahlen (X-Strah­
das Ende des weströmischen Reiches besie- len); 1900 Ordinarius in München; Nobel­
gelte, während Ostrom (↑ Byzantinisches preis 1901; 1923 an Strahlenkrebs gestor-
Reich) noch bis in das Jahr 1453 fortbe- ben.
stand. Roon, Albrecht Graf von, preuß. Feldmar-
Römisch-katholische Kirche, ↑ Katho- schall, 1803–1879; seit 1859 Kriegsmini-
lische Kirche. ster, nahm im Auftrag Wilhelms I. die Hee-
Rommel, Erwin, dt. Generalfeldmarschall, resreform in Angriff, erwirkte beim König
1891–1944; bereits im 1. Weltkrieg ausge­ 1862 die Berufung Bismarcks zum Kanzler
zeichnet (EK 1, Pour le mérite), wurde R. und setzte mit dessen Hilfe gegen den Ein-
im 2. Weltkrieg Deutschlands populärster spruch des Abgeordnetenhauses und ohne
Heerführer, der auch beim Gegner ­ hohes Budgetgesetz die Reform des Heeres durch
Ansehen genoss. Als Kommandeur der (Konfliktzeit 1862–1866).
7. Panzerdivision 1940 am Westfeldzug be- Roosevelt, 1) R., Theodore, 1858–1919;
teiligt; 1941 als Kommandeur des Dt. Afri- 26. Präsident der USA 1901–1909 (Repu-
kakorps (1. Sept. 1941 Befehlshaber der blikaner), erwarb die Panamakanalzone,
Panzergruppe Afrika). Trotz überraschen­ setzte sich für den Ausbau der Flotte ein,
der Anfangserfolge („Wüstenfuchs“) im vermittelte 1905 im Russ.-Japan. Krieg;
Kampf gegen die Engländer (21. Juni 1942 1906 Friedensnobelpreis. 2) R., Franklin
Eroberung Tobruks) musste er nach der Delano, 1882–1945; 32. Präsident der
verlustreichen Schlacht bei El Alamein ein- USA 1933–1945 (Demokrat, dreifache
sehen, dass ein Weiterkämpfen sinnlos ge- Wiederwahl), kämpfte in umfassenden
worden war. Jan.–Juli 1944 Oberbefehls- Finanz- und Sozialmaßnahmen (↑ New
haber der Heeresgruppe B in Frankreich Deal) gegen die Wirtschaftskrise an, die
(schwer verwundet). Wegen seiner Verbin- seit 1929 auch die USA erfasst hatte; Geg-
dung zur Widerstandsbewegung wurde R. ner des Isolationismus, unterstützte seit
zum Selbstmord gezwungen. 1939 durch das Leih- und Pachtgesetz die
Romulus, 1) R., Gründer Roms, ­ Mörder Alliierten im 2. Weltkrieg; leitete die Atlan-
seines Zwillingsbruders Remus (angebl. tik-Charta und die Bildung der Vereinten
753–716 v. Chr.). 2) R., letzter Kaiser des Nationen in die Wege (Konferenzen von
Weström. Reiches, 475–476; auch Augustu­ ↑ Casablanca 1943, ↑ Teheran 1943 und
lus (Kleiner Augustus) genannt, Sohn des ↑ Jalta 1945); die enge Anlehnung an die
Patriziers Orestes, durch Odoaker gestürzt. UdSSR bestimmte die Politik der USA
Roncesvalles, Tal in den Pyrenäen; der auch über den Tod R.s hinaus noch in der
Sage nach fand hier 778 der Überfall der ersten Nachkriegszeit.
Mauren auf die Nachhut Karls d. Gr. unter Roscelin (Roscellinus), von ­ Compiegne,
↑ Roland statt. frz. Scholastiker, 1050–1125; Lehrer ↑ Abä­
Ronkalische Felder (Roncaglia, Dorf und lards, Gegner ↑ Anselms von Canterbury,
Ebene bei Piacenza), Ort der Heerschauen der Hauptverfechter des ↑ Nominalismus,

798
Rostra

lehrte in Soissons und Reims, mehrmals wick, der zur „Roten Rose“ umschwenkte,
wegen Irrlehren verurteilt; von seinen Erhebung Heinrichs VI. auf den Thron;
Schriften nur ein von Lessing entdeckter nach der Schlacht bei Tewkesbury (1471)
Brief überliefert. und gewaltsamer Beseitigung Heinrichs VI.
Rosenberg, Alfred, dt. Politiker, 1893– und des Thronfolgers erneut Herrschaft der
1946; urspr. Architekt, gelangte R. bereits „Weißen Rose“, die aber, durch die Greuel
früh in den Kreis um Hitler, an dessen innerhalb des Hauses York (↑ Richard III.)
Putsch er 1923 teilnahm. Machte sich als unterhöhlt, nach der Schlacht bei Bosworth
Propagandist einen Namen in der NSDAP 1485 zusammenbrach und von der glanz-
und wurde 1930 mit seinem Buch „Der vollen Regierungszeit der Tudors als Erben
Mythos des 20. Jahrhunderts“ die ideolo- der „Roten Rose“ abgelöst wurde; die R.
gische Instanz nach Hitler. 1933 Reichs- verhalfen dem engl. Königtum durch die
leiter, Chef des Außenpolit. Amtes der gewaltige Einbuße des Adels an Blut und
NSDAP, „Beauftragter des Führers“ für Besitz zu bedeutendem Machtaufstieg.
die weltanschauliche Schulung in der Par- Ross, 1) R., Sir John, brit. Seefahrer und
tei. 1941–1945 Reichsminister für die be- Polarforscher, 1777–1856; suchte 1818
setzten Ostgebiete. Sein Konzept der För- und 1829 die NW-Passage und entdeckte
derung der kleinen Völkerschaften gegen 1831 den magnet. Nordpol. 2) R., James
die Russen konnte er nicht durchsetzen; Clarke, brit. Südpolarforscher, 1800–
als „Urheber des Rassenhasses“ im Nürn- 1862; entdeckte 1841 Süd-Viktoria-Land
berger Hauptkriegsverbrecherprozess zum in der Antarktis. 3) R., Ronald, brit. Tro-
Tode verurteilt. penarzt, 1857–1932; erkannte die Ano-
Rosenkreuzer, Geheimbünde verschiede­ pheles-Stechmücke als den Verbreiter des
ner Richtungen des 17./18. Jh., auf Bruder- Malariabazillus; Nobelpreis 1902.
schaften des MA zurückgehend, zu Beginn Roßbach, Dorf in Sachsen nahe der Saale;
des 17. Jh. in den Niederlanden, im Rhein- 1757 Sieg Friedrichs d. Gr. und Seydlitz’
land und Oberitalien verbreitet, seit 1760 über die dreifache Übermacht von Reichs-
in S-Deutschland als „Orden der dt. Gold- armee und Franzosen, stellte das militär.
und Rosenkreuzer“; erstrebten eine weltbe- Ansehen der preuß. Truppen nach den Nie­
jahende Synthese von Antike und Chris- derlagen von Kolin und Großjägerndorf
tentum und ein ausgeglichenes humani- wieder her.
täres Reich der Brüderschaft; betrieben bei Rostoptschin, Fjodor Wassiljewitsch Graf,
ihren Zusammenkünften alchimist., theo- russ. Staatsmann, 1765–1826; 1798–1801
soph. und naturwiss. Studien (Wesen und Außenminister, 1812 Gouverneur von
Ursprung der R. sind umstritten). Moskau, ließ im eisigen Winter 1812 Mos-
Rosenkriege, Bezeichnung für die im kau, das zur Unterkunft der frz. Armee be-
Anschluss an den ↑ 100-jährigen Krieg stimmt war, in Brand stecken (vor seinem
und den damit verbundenen Verlust der Abzug ließ er alle Löschgeräte entfernen);
frz. Gebiete auftretenden innerengl. Wir- die Brandkatastrophe Moskaus war einer
ren von 1455–1485; ausgetragen zw. dem der Gründe für das Scheitern des russ.
Haus Lancaster („Rote Rose“) und York Feldzugs Napoleons I.
(„Weiße Rose“); die Entscheidung fiel trotz Rostra (tat., Schiffsschnabel), die Redner-
Niederlage und Tod Richards von York tribüne auf dem röm. Forum; an ihr wa-
(Wakefield 1460) zugunsten der „Weißen ren als Siegestrophäen die abgeschnittenen
Rosen (Erhebung Eduards IV. zum König Schnäbel der in der Seeschlacht an den
und Gefangennahme Heinrichs VI.); auf Ägat. Inseln 241 v. Chr. erbeuteten Kartha-
Betreiben des einflussreichen Grafen War- gerschiffe angebracht.

799
Rotes Kreuz

Rotes Kreuz, ↑ Genfer Konvention. Fragen zwischen Vertretern der ↑ Domini-


Rotgardisten, Bezeichnung für die mao- ons bzw. der Commonwealth-Länder und
istischen Kampfverbände der Oberschüler dem brit. Mutterland.
und Studenten, die 1966/67 in der chi- Rousseau, Jean Jacques, frz.-schweiz.
nesischen Kulturrevolution eine tragende Staatsphilosoph und Kulturkritiker, 1712–
Rolle in der gegen den Parteiapparat ge- 1778; sah in der Kultur und in der Zivi-
richteten Politik Mao Tse-tungs und Lin lisation die Ursachen alles menschlichen
Piaos spielten. Unglücks, forderte daher Rückkehr zur
Rothari, Langobardenkönig (636–652); Natürlichkeit, Vorherrschaft des Willens,
versuchte zwischen arianischer und ka- Gefühls und des Herzens sowie die Ab-
tholischen Kirche zu vermitteln; bekannt kehr von der entarteten Zivilisation des
durch die erste Aufzeichnung des lango- Aufklärungszeitalters; mit seinen Bildungs-
bard. Rechtes. romanen „Emile“ und „Nouvelle Heloise“
Rothschild, internat. Bankhaus, gegr. im wirkte er auf die Literaturepoche der Emp-
18. Jh. von Maier Amschel R. in Frank- findsamkeit, des Sturm und Drang und der
furt/Main; die Familie R. seit dem 16. Jh. Romantik ein; sein Werk „Du contrat so-
in Frankfurt ansässig im Haus zum „Roten cial“ (Über den Gesellschaftsvertrag) und
Schild“; unter den 5 Söhnen (Amschel, Na- die darin verfochtene Lehre von der Frei-
than, James, Salomon und Karl) entstan- heit und Gleichheit der Menschen und
den in London, Paris, Wien und Nea­pel von der Volkssouveränität (die Macht des
Zweigniederlassungen der Bank, die sich Herrschers beruht auf dem Vertrag mit
zu einem mächtigen internat. Institut ent- dem Volk und nicht auf dem Gottesgna-
wickelte und oft von entscheidendem Ein- dentum) wurden zu bestimmenden Impul-
fluss auf die Finanzierung von Großunter- sen für den Ausbruch der Frz. Revolution;
nehmungen der Staaten und der Weltwirt- seine Autobiografie „Bekenntnisse“ von R.
schaft war: Finanzierung von Kriegen z. B. als die Geschichte eines „natürlichen Men-
des brit. Kampfes gegen Napoleon, des schen“ veröffentlicht.
Wiederaufbaus in den Ländern nach 1815 Roxane, gefangene baktr. Fürstentochter,
(bes. in Österreich), Eisenbahnbau im seit 327 Gemahlin Alexanders d. Gr., nach
19. Jh., Schifffahrtslinien, ­ Kriegsschulden seinem Tod Flucht mit Alexanders Sohn
Frankreichs nach 1871, Suezkanal, Welt- Alexandros, von Kassander gefangen und
handel; Förderer der Judenemanzipation. 310 in Amphipolis ermordet.
Rouen, Hauptstadt der Normandie; 841 Royal Society, ↑ Akademie.
durch ↑ Normannen erobert, seit 912 ihre Royalisten, Anhänger des monarch. Ge-
Hauptstadt; kam durch ↑ Wilhelm den Er- dankens; insbes. die Anhänger des bour-
oberer 1066 an England, 1204 von Frank- bon. Königtums der Nachrevolutionszeit
reich zurückerobert, 1419–1449 wieder in Frankreich.
unter engl. Herrschaft; hier 1431 Verbren- Ruanda (Rwanda), Republik in O-Afrika,
nung der Jungfrau von Orléans, seit 1449 hervorgegangen aus dem belg. Treuhand-
bei Frankreich. gebiet ↑ Ruanda-Urundi; erlangte 1962
Rouget de Liste, Claude Joseph, frz. Offi- die Unabhängigkeit und schloss sich der
zier, 1760–1836; Dichter und Komponist Gruppe gemäßigter afrikanischer Staaten
der Marseillaise, der frz. Nationalhymne an. Erster Staatspräsident wurde Grégoire
(1792). Kayibanda. Knapp ein Jahr später ver-
Round-Table-Konferenz, brit. Reichskon- suchten Tutsi-Truppen vom Nachbarland
ferenz, Aussprache am „runden Tisch“, Burundi aus, die Hauptstadt Kigali einzu-
vorwiegend zur Klärung von gemeinsamen nehmen und die Monarchie wiedereinzu-

800
Rudolf

führen; dies scheiterte nur knapp, in einem Plünderung der Bodenschätze im Kongo
blutigen Vergeltungsschlag der ruand. Re- (Gold, Diamanten) vor. Seit Mitte 2000
gierungstruppen verloren mind. 20 000 befindet sich eine neue ruand. Führungs-
Tutsi ihr Leben. 1973 wurde Kayibanda spitze unter dem bisher. Vizepräsidenten
durch Militärputsch gestürzt, nachdem Paul Kagame (Tutsi und Vors. der „Front
er versucht hatte, durch eine Verfassungs- Patriotique Rwandais“, FPR) im Amt.
änderung seine eigenen Machtbefugnisse Mitte 2002 schlossen R. und die Demo-
auszubauen und die PARMEHUTU als krat. Rep. Kongo einen Friedensvertrag.
einzig legale Partei zu etablieren. Neuer Ruanda-Urundi, belg. Verwaltungsgebiet
Präsident R.s wurde der Hutu-General (2 einheim. Königreiche) im ehemaligen
J. Habyarimana (bis 1994), etablierte seine Dt.-Ostafrika (zw. Viktoria- und Tanganji-
Partei „Mouvement Révolutionnaire Na- kasee); seit dem 18. Jh. Siedlungsgebiet der
tional pour le Développement“ (MRND) einwandernden Batussineger, Kämpfe ge-
als Einheitspartei, bemühte sich um einen gen die arab. Sklavenhändler; 1871 Entde-
Ausgleich mit den Tutsi und die Wieder- ckungsreisen Livingstones und Stanleys in
einführung einer zivilen Regierung; den- R.-U.; 1899 Teil der dt. Kolonie Ostafrika,
noch anhaltende Auseinandersetzungen 1916 von belg. Truppen besetzt, 1923 Völ-
zw. Hutus und Tutsis. Auch ein Friedens- kerbundsmandat unter belg. Verwaltung;
abkommen und die Ernennung eines Tutsi 1946 belg. UN-Treuhandgebiet; 1961
zum Regierungschef (Dismas Nsengiyare- Ausrufung der Republik in Ruanda, Abset-
mye) konnte die Lage nicht entspannen. zung des einheim. Königs Kigeri V.; 1962
Als Habyarimana und sein burund. Amts- wurden ↑ Ruanda und ↑ Burundi selbstän-
kollege 1994 bei einem Flugzeugabsturz dige Staaten.
ums Leben kamen, kam es zu blutigen Rubikon (Rubico), Grenzfluss zw. Italien
Massakern von Hutu an Tutsi, denen ein und dem cisalpin. Gallien, der Militärpro-
Anschlag vorgeworfen wurde. Innerhalb vinz Cäsars; von Cäsar 49 v. Chr., ohne die
weniger Tage wurden Hunderttausende Entscheidung des Senats abzuwarten, mit
Tutsi und gemäßigte Hutu ermordet; es seinen Truppen überschritten; Beginn des
kam zu einer Massenflucht in die Nachbar- Bürgerkrieges (die Lage des Flusses ist um-
länder, Besetzung der Hauptstadt Kigali stritten, vermutl. identisch mit dem heu-
durch Tutsi-Rebellen, die ihrerseits mehr tigen Fluss Fiumicino zwischen Bologna
als eine Mio. Hutu vertrieben, Tausende und Rimini).
starben auf der Flucht oder in den Flücht- Rückversicherungsvertrag zw. Deutsch-
lingslagern der Nachbarländer an Seuchen land und Russland, 1887–1890; Geheim-
und Epidemien. Schließlich einigten sich vertrag, in dem sich die Vertragspartner
die verfeindeten Parteien auf eine „Regie- gegenseitige wohlwollende Neutralität bei
rung der Nationalen Einheit“; eine rund einem frz. Angriff auf Deutschland oder
5 000 Mann starke UN-Friedenstruppe bei einem österr. auf Russland zusicherten;
wurde eingesetzt; trotz internat. Hilfe kam von Caprivi 1890 nicht erneuert; Russland
es jedoch immer wieder zu blut. Ausei- suchte die Annäherung an Frankreich.
nandersetzungen, v. a. um die Aufteilung Rudolf, Name von Herrschern: Hl. Röm.
von Acker- und Weideland; zusätzl. Kon- Reich: 1) R. I. von Habsburg, 1218–1291;
flikte durch Bürgerkrieg im Nachbarland Sohn des Grafen Albrecht von der Habs-
Zaire (ab 1997 Demokrat. Rep. ↑ Kongo), burg, 1273 in Frankfurt zum König ge-
in den auf unterschiedlichen Seiten auch wählt und in Aachen gekrönt; von den
Hutu und Tutsi verwickelt waren; internat. Kurfürsten gestützt, erhob er sie zum ein-
Beobachter warfen der ruand. Führung die flussreichsten Organ neben dem König-

801
Rugier

tum; setzte sich gegen Ottokar von Böh- Gegnerschaft zum Herrscherhaus; erschoß
men durch (Marchfeld 1278), festigte das angeblich sich und seine Geliebte Mary
Königtum durch Ausbau seiner Hausmacht Vetsera im Jagdschloss Mayerling; sein Tod
und weitblickende Heiratspolitik (Ver- noch heute nicht geklärt.
mählung seiner Tochter mit Wenzel II. von Rugier, ostgerman. Volk an der pommer-
Böhmen und seines Sohnes Albrecht mit schen Küste, zog mit den Goten ab; von
der Erbtochter von Kärnten und Krain), er- Attila unterworfen und in seiner Heeres­
warb die österr. Kernlande (Österreich und folge; später im (österreichischen) Donau-
Steiermark) für Habsburg und vererbte sie raum, 487/488 durch Odoaker vernich-
1282 seinen Söhnen Rudolf und Albrecht. tend besiegt; ging in den Ostgoten auf.
2) R. II., 1552–1612; Sohn Kaiser Maxi- Ruhrbesetzung durch frz. Truppen 1923
milians II., 1575 König von Böhmen und zur Erzwingung der Bezahlung der über-
dt. König, 1576 dt. Kaiser; seit 1608 im steigerten Reparationsforderungen des
Kampf mit seinen Brüdern, erließ 1609 ↑ Versailler Vertrages (Ruhrindustrie als
den böhm. Majestätsbrief (Zugeständnisse Faustpfand), vom Reich durch passiven
an die Utraquisten), konnte aber seine Widerstand (Ruhrkampf ) beantwortet;
Herrschaft wegen fortschreitender Geistes- Ablehnung auch durch Großbritannien
störung nicht behaupten; R. wurde 1611 und die USA; eiserner Vorhang zw. Zen-
von seinem Bruder Matthias gezwungen, traldeutschland und dem besetzten Ge-
neben dem schon 1608 abgetretenen Un- biet, z. T. Sabotagewiderstand (Schlageter);
garn, Österreich und Mähren auch auf die Wühlarbeit Separatist. Gruppen im Rhein-
Herrschaft der Restländer Böhmen, Schle- land mit frz. Unterstützung; Beendigung
sien und Lausitz zu verzichten. 3) R. von nach der Londoner Konferenz 1924 (neue
Schwaben, Graf von Rheinfelden, 1057 Reparationsregelung, ↑ Dawesplan); Räu-
von der Kaiserinwitwe Agnes zum Herzog mung bis 1925.
von Schwaben erhoben, nach dem Bann- Ruhrstatut, Abkommen zwischen USA,
spruch des Papstes über Heinrich IV. 1077 Großbritannien, Frankreich, den Benelux-
durch die Fürsten zum Gegenkönig ge- staaten vom 28. April 1949; sah die Errich-
wählt, im Kampf gegen Heinrich bei Ho- tung der Internat. Ruhrbehörde als wirt-
henmölsen an der Weißen Elster tödlich schaftl. Kontrollbehörde (ab 1949 auch
verwundet. – Burgund: 4) R. III., letzter mit westdt. Beteiligung) vor; die Produk-
König von Burgund (993–1032); vererbte tion von Kohle, Koks und Stahl aus dem
sein Reich Kaiser Konrad II., löste da- Ruhrgebiet sollte gezielt auf dem dt. und
durch die Aufstände des Herzogs Ernst von internat. Markt verteilt werden, wirtsch.
Schwaben, der sich in seinem Anspruch Konzentration sollte verhindert werden.
auf Burgund übergangen sah, gegen seinen Die Internat. Ruhrbehörde wurde 1953
Stiefvater aus. – Österreich: 5) R. IV., Her- nach Errichtung der Europ. Gemeinschaft
zog 1358–1365; erwarb 1363 Tirol, suchte für Kohle und Stahl aufgelöst.
durch das gefälschte „Privilegium majus“ Rumänien, Staat im Donaumündungsge-
seinen Länderbesitz zusammenzuschlie- biet; histor. Keimzelle im Dakerreich, gegen
ßen und die Unabhängigkeit vom Reich das ↑ Domitian 86–90 n. Chr. erfolglos an-
zu gewinnen; gründete 1365 die Univer­ kämpfte; durch Trajan 101 bis 106 n. Chr.
sität Wien. 6) R., österr. Thronfolger, erobert, als Provinz Dakien dem Römer-
1858–1889; einziger Sohn Kaiser Franz reich eingegliedert und weitgehend roma-
Josephs, 1881 vermählt mit Stefanie, der nisiert; im Zuge der Auseinandersetzung
Tochter König Leopolds II. von Belgien, zw. dem Römerreich und den Goten 271
geriet durch liberale Einstellung in scharfe durch Aurelian geräumt und von Westgo-

802
Rumänien

ten, nach 450 auch von Hunnen und Gepi- an Ungarn, der Süddobrudscha an Bulga-
den und seit 555 von den Avaren besiedelt; rien (unter dem Druck der UdSSR und
680 Einzugsgebiet der Slawen und Bulga- Deutschlands), Beginn der Umsiedlung
ren, 830 der Ungarn, 900 der Petschenegen von R.-Deutschen ins Reichsgebiet. 1940–
und 1050 der Kumanen; seit dem 11. Jh. 1947 König Michael (Sohn Carols II.), Mi-
Herausbildung kleiner Fürstentümer un- litärdiktatur Marschall ↑ Antonescus; im
ter wechselnder Oberhoheit, im 14. Jh. zu Juni 1941 an der Seite der Achsenmächte
den beiden Fürstentümern Moldau und Kriegseintritt gegen die UdSSR, Rückge-
Walachei zusammengeschlossen; im 15. Jh. winnung der 1940 an Russland abgetre-
unter türk. Herrschaft, seit Beginn des tenen Gebiete und Neugewinnung eines
18. Jh. (↑ Türkenkriege) heftig umkämpft Landstreifens zw. Dnjestr und Bug. 1944
zw. Österreich, der Türkei und Russland, Staatsstreich König Michaels, Verhaftung
1815–1856 unter russ. Protektorat, nach Antonescus (1945 hingerichtet), Kriegser-
dem ↑ Krimkrieg 1858 vereinigt und als klärung an Deutschland, Waffenstillstand
selbständiges Fürstentum Rumänien un- mit der UdSSR und sowjet. Besetzung R.s;
ter Alexander Cusa anerkannt; 1866 Cusa Deportation von R.-Deutschen, bes. aus
durch die Bojaren zur Abdankung gezwun- Siebenbürgen, nach Sibirien; 1947 Abdan-
gen und Karl von Hohenzollern-Sigmarin- kung König Michaels, Errichtung der Re-
gen als Carol I. zum Fürsten gewählt; 1878 publik; Pariser Friedensvertrag (Besitzstand
auf dem ↑ Berliner Kongress Anerkennung von 1940, Verlust Nordsiebenbürgens an
der Unabhängigkeit; 1881 R. zum König- Ungarn, der Bukowina und Bessara­biens
reich proklamiert. Im 1. Weltkrieg trat R. an die UdSSR); 1945 unter dem Druck
nach anfänglicher Neutralität der Entente der UdSSR kommunistischen Regierung
bei und wurde von den Mittelmächten und nach Abdankung König Michaels Bil-
besiegt und besetzt. In den Friedensver- dung einer „Volksrepublik“. R. gehörte zu
trägen von Saint-Germain und Neuilly den Gründungsmitgliedern des ↑ COME-
(1919) und Trianon (1920) Bildung von CON. 1955 Beitritt zum Warschauer Pakt.
Groß-Rumänien durch Erwerb von Sieben­ Parteichef ↑ Ceausescu (seit 1965) betonte
bürgen, Banat, Bukowina und Bessara- in der rumän. Innenpolitik die nationale
bien, Vermehrung des Gebietsumfangs und Komponente und verfolgte eine von Mos-
der Bevölkerung um mehr als das Dop- kau unabhängige Außenpolitik: 1967 Auf-
pelte. Der neugebildete Nationalitätenstaat nahme diplomat. Beziehungen zur BRD,
wur­de durch Revancheforderungen der ge- 1968 Protest gegen den Einmarsch der Staa­
schädigten Nachbarn, besonders Ungarns, ten des Warschauer Paktes in die Tschecho-
Bulgariens und der UdSSR, gefährdet; Si- slowakei. Bei der Abstimmung über die
cherung durch Beitritt zur Kleinen Entente Afghanistanresolution in der UNO verwei­
(1921), zum Balkanpakt (1934) und durch gerte R. der Sowjetunion die ­Gefolgschaft.
Einzelverträge mit Frankreich, Polen und Zu Beginn der 80er Jahre spitzten sich
Italien; Bemühungen um Ausgleich der die wirtschaftl. Probleme R.s zu, die, be-
inneren Spannungen durch Agrarreform kämpft durch schärfste Sparmaßnahmen,
(1921, Enteignung der Großgrundbesit- zu drastischer Senkung des Lebensniveaus
zer) und parlamentar. Mitarbeit des Volkes. führten. Zusätzliche Probleme resultierten
1930–1938 rechtsextreme nationalist. Po- aus großangelegten Umsiedlungsplänen
litik unter Führung von König Carol II.; N. Ceausescus für die ungar. und dt.-stäm-
1940 Abdankung Carols nach erfolgter mige Bevölkerung. Die Bevölkerung R.s,
Abtretung der Nordbukowina und Bessara­ bestärkt durch die Entwicklungen in fast al-
biens an die UdSSR, Nordsiebenbürgens len anderen osteurop. Ländern, erhob sich

803
Rumor

im Dez. 1989, beseitigte das kommunist. Wellen und ihr erstmaliger Empfang durch
Regime mit dem Geheimdienst Securitate Heinrich Hertz (1887) und Arbeiten von
als einer entscheidenden Stütze. Ceausescu Marconi (1899 erste Funkbrücke zw. Eng-
und sein Familienclan wurden als Staats- land und Frankreich) und Braun (Entwick­
verbrecher angeklagt, der Staatschef und lung der „Braunschen Röhre“ 1897); zu-
seine Frau hingerichtet. Die polit. Führung nächst techn. Liebhaberei, dann allmählich
übernahm die „Front zur nationalen Ret- unterhaltende und belehrende Sendungen;
tung“ (FSN) unter Vorsitz der Ex-Kom- erste öffentliche R.-Übertragung 1910
munisten Ion Illiescu und Petru Roman. (New York) und 1913 (Brüssel); nach dem
Die „Sozialist. Rep. Rumänien“ wurde in 1. Weltkrieg Wiederaufnahme der Sendun­
„Republik Rumänien“ ­umbenannt und das gen in den USA (1920/21), in Frankreich
Mehrparteiensystem wieder ­ eingeführt. (1921); Großbritannien (1922) und in der
Erste freie Wahlen 1990 gewann die FSN Schweiz (1922); Eröffnung des dt. „Un-
mit überwältigender Mehrheit; Ion Illiescu terhaltungsrundfunks“ am 19. Okt. 1923
wurde (trotz Vorwürfen wegen Wahlmani- im Vox-Haus in Berlin in der Regie der
pulation) zum Staatspräsidenten ernannt; Reichspost, Aufteilung des Reichsgebietes
er löste die Securitate auf, verbot die in 9 Sendebezirke, Programmgestal­tung
Kommunist. Partei und leitete die ersten durch die R.gesellschaften. Nach 1933 in
Schritte zur Privatisierung der Wirtschaft Deutschland „Gleichschaltung“ und Aus-
ein. Seine Regierung wurde aber für den bau des R.s zum wirksamen politischen
weiter sinkenden Lebensstandard und den Massenbeeinflussungsmittel. Nach dem
ausbleibenden Wirtschaftsaufschwung ver- 2. Weltkrieg wurde R.hoheit in Form öf-
antwortlich gemacht und 1996 zugunsten fentlich-rechtlicher Anstalten den dt. Län-
des konservativ-liberalen Parteienbünd- dern übertragen (Organisation ähnlich wie
nisses „Demokratischer Konvent“ (CDR) in Großbritannien und in der Schweiz); in
abgewählt, Emil Constantinescu (CDR) Frankreich staatliche Gesamtleitung durch
neuer Staatspräsident, „Programm zur Ret- demokrat. Institution, in den Niederlan-
tung der nationalen Wirtschaft“ konnte den Leitung durch Hörerinstitutionen, in
jedoch weiteres Ansteigen der Auslands- den USA Privatrundfunkgesellschaften; In­
verschuldung (Ende 1998 ca. 8 Mrd. US- teressenvertretung der europ. Rundfunkge-
Dollar) und weitere Verschlechterung der sellschaften bis 1949 im Weltrundfunkver-
Lebensbedingungen der Bevölkerung nicht ein (U. J. R., gegr. 1925) und in der Orga-
verhindern. Im Feb. 2000 Beginn offiz. Bei- nisation Internationale de Radiodiffusion
trittsverhandlungen; bei Parlamentswahlen (OIR, gegr. nach dem 2. Weltkrieg); 1950
erneut Sieg des Ex-Kommunisten, früheren Zusammenschluss der westeurop. Länder
und neuen Staatschefs Ion Illiescu; neuer in die Union Européenne de Radiodiffu-
Regierungschef wurde Adrian Nastase sion (UER) in Genf; die OIR mit Sitz in
(PDSR). März 2004 Beitritt zur NATO; Prag vertrat nur noch die östl. orientierten
Mitgliedschaft in der Europäischen Union europ. Länder. 1964 vorläufiges Abkom-
ist für das Jahr 2007 vorgesehen. men über ein weltweites kommerzielles Sa-
Rumor, Mariano, ital. Politiker, 1915– telliten-Fernmeldesystem.
1990; seit 1954 in maßgebl. Positionen Runen (got. runa, Geheimnis), german.
der ↑ Democrazia Cristiana, mehrfach Mi- Schriftzeichen, eingeritzt in Stein, Holz,
nister, 1968–1970 und 1973/74 Minister- Rinden oder Metall (Herkunft umstritten;
präsident. aus etrusk., latein. oder griech. Alphabet?),
Rundfunk, Grundlage seiner ­Entwicklung urspr. wohl mag. Zeichen (rune verwandt
waren die Entdeckung elektromagnetischen mit „raunen“), mit urspr. 24 „Buchstaben“

804
Russische Kirche

(in England 33), eine Art Alphabet; jede Stuarts. 1619–1682; engl. General und
Rune aber auch Ausdruck eines Wortes Admiral unter Karl I. und Karl II., Führer
oder Begriffs, neben der eigtl. Bedeutung des Heeres der „Kavaliere“.
als Lautzeichen; die Runenschrift hatte sich Rurik, Führer der schwed. ↑ Waräger (862–
erst nach Berührung der Germanen mit den 879); 862 von Slawen nach Russland ge-
Römern Anfang des 3. Jh. n. Chr. herausge- rufen, errichtete in der Gegend von Now-
bildet; im Gebrauch bis ins 7. Jh., in Skan- gorod ein Fürstentum, das Kerngebiet
dinavien vereinfacht bis ins 13. Jh. n. Chr. des russ. Staates wurde, sein Geschlecht
(vielfach nur Zauberzeichen). herrschte als 1. russ. Dynastie bis 1598.
Runnymede, Wiese an der Themse bei Die Rurikiden waren in langandauernde
Staines; 1215 Versammlung der Barone Machtkämpfe zw. den einzelnen Linien
und Unterzeichnung der ↑ Magna Charta verwickelt, in denen sich das Moskauer
libertatum durch König Johann Ohne- Großfürstenhaus durchsetzte. Fjodor I.
land. (1584–1598) war der letzte Zar aus dieser
Ruotger, Chronist des MA, verfasste in Dynastie, unter ihm wurde das Allruss. Pa-
der 2. Hälfte des 10. Jh. die Chronik des triarchat errichtet.
„Lebens des Erzbischofs Bruno von Köln“, Russell, John, Earl, brit. Politiker, 1792–
eine der wichtigsten Geschichtsquellen der 1878; setzte 1828 die Aufhebung der Test­
sächs. Kaiserzeit. akte durch und trat als Führer der Whigs
Rupertus (Ruprecht), Apostel der Bayern, für liberale Reformen ein; ermutigte als
um 650–um 715; vermutlich Abkömmling Außenminister ↑ Palmerstons Dänemark
des fränk.-merowing. Königshauses, von zum Widerstand gegen Preußen-Österreich
Herzog Theodor 696 zur Missionierung in der Schleswig-holstein. Frage, stand als
der Heiden nach Bayern berufen, Haupt- Premierminister 1865/66 weitgehend un-
betätigungsfeld im Salzburgischen („Ru- ter dem Einfluss ↑ Gladstones.
pertigau“). Russische Kirche, Zweig der griech.-ortho­
Ruprecht, Name von Herrschern: 1) R. doxen Kirche mit altem Kultus, aber eige-
von der Pfalz, 1352–1410; seit 1398 als ner, von ↑ Cyrillos begründete Kirchenspra­
R. III. Kurfürst von der Pfalz, 1400 zum che; nahm ihren Ausgang vom Übertritt
dt. König gewählt, anstelle des abgesetzten der Großfürstin Olga zum Christentum
Wenzel; kämpfte nach dem Scheitern eines (955), das seit Swjatoslaw (957–972) von
Italienfeldzuges (Niederlage gegen die Vis- Byzanz aus größere Verbreitung fand und
conti bei Brescia 1401) mit wenig Erfolg (989 Taufe Wladimirs) sich über die Füh-
gegen die im Marbacher Bund (1405) ver- rungsschicht der Waräger hinaus auch im
einten Fürsten und Städte für die Durch- Volk durchsetzte; anfangs noch unter dem
setzung des Landfriedens, erkannte dann Oberhirtentum von Byzanz mit Sitz des
aber die ↑ Feme an. 2) R., Kronprinz in Metropoliten in Kiew, seit 1328 in Moskau;
Bayern, 1869–1955; Sohn König Lud- die Verlegung trug durch die Parteinahme
wigs III., im 1. Weltkrieg dt. Heerführer des Metropoliten Peter zum Sieg des Groß-
an der Somme, in Flandern und in der fürsten von Moskau bei und wurde zu ei-
Schlacht bei Cambrai. 3) R. I., der Rote ner Hauptstütze der nationalen Einigung;
(1353–1390) von der Pfalz, trat Teile der 1472 Ansätze zum Cäsaro­papismus durch
Oberpfalz an Karl IV. ab und wurde dafür Iwan III. (Forderung nach Schutzherrschaft
1356 mit der Kurwürde belehnt; kämpfte über die Moskauer Orthodoxie); 1589
1368 gegen den Rhein. Städtebund, grün- Moskau nach dem Sturz von Konstantino-
dete 1386 die Universität Heidelberg. pel „Drittes Rom“, unabhängiges Allruss.
4) R., Sohn Friedrichs V. und Elisabeth Patriarchat trotz der Spaltung (↑ Raskol)

805
Russisch-Japanischer Krieg

im Anschluss an die Reformen des ↑ Nikon die Tore von Konstantinopel im Vorfrieden
(1653) Wahrung des wenig beeinträchtig- von San Stefano Garantie der Unabhängig-
ten Bestandes der Kirche, doch mehr und keit für die um türk. Gebiete erweiterten
mehr staatliche Abhängigkeit; unter Peter Länder Serbien, Montenegro, Rumänien
d. Gr. 1721 durch den staatlichen Verwal- und Bulgarien, das allein zum Tribut an
tungsapparat des „Heiligen Synod“ ersetzt; die Türkei verpflichtet wurde (Reich unter
Ausprägung des Cäsaropapismus, der erst russ. Einfluss), Anerkennung des Besitz-
1917 dem neuerrichteten, vom Staat als rechtes Russlands auf Teilgebiete Armeni-
„unabhängig“ erklärten Patriarchat Platz ens und Bessarabiens (bedrohliche Hal-
machte (↑ Ostkirche). tung Österreichs und ­ Großbritanniens);
Russisch-Japanischer Krieg, 1904–1905, der Vermittlungsversuch Bismarcks auf
verursacht durch die Expansion des russ. dem ↑ Berliner Kongress führte zur dt.-
Imperialismus auf die Mandschurei und russ. Entfremdung und polit. Annäherung
Korea, nach Abbruch der diplomat. Be- Russlands (Gortschakow) an Frankreich.
ziehungen (5. Feb. 1904) zerstörte Japan Russland (russ. Rossija), ethnografisch das
ohne vorherige Kriegserklärung die vor Siedlungsgebiet der Großrussen im osteu-
Port Arthur liegende russ. Flotte (8./9. Feb. rop. Raum, bis 1917 das Reich der russ.
1904); nach einer Reihe von Niederlagen Zaren, seitdem der Union der Sozialis-
(u. a. in der Seeschlacht von Tsushima am tischen Sowjetrepubliken (UdSSR). – Die
27. Mai 1905) musste Russland im Frieden großen Wald- und Steppengebiete zw. Ost-
von Portsmouth die Vorherrschaft Japans see, Ural und Schwarzem Meer mit zahl-
in Korea und in der S-Mandschurei aner- reichen schiffbaren Stromsystemen über-
kennen und Port Arthur sowie den S-Teil nahmen bereits in frühgeschichtlicher Zeit
der Insel Sachalin an Japan abtreten. die Mittlerrolle zw. europ. und asiat. Kul-
Russisch-Türkische Kriege 1) 1768– tur; die vorgeschichtliche Besiedlung R.s
1774; die Türken, die durch ihr Eingrei- ist z. T. noch ungeklärt; um 600 v. Chr. er-
fen in Polen in Gegensatz zu Russland richteten die Griechen (↑ Griechenland)
getreten waren, wurden durch die mili- Kolonialstädte an den Ufern des Schwar-
tär. Aktionen der Russen aus der Moldau zen Meeres in Ausnutzung der Seeverbin-
und der Walachei verdrängt, ihre Flotte dung durch die Dardanellen und den Bos-
wurde von den Russen bei Tschesme (ge- porus; reger Handelsaustausch mit Kim-
genüber Chios) vernichtet; im Frieden von meriern, Skythen und Sarmaten (die vom
Kütschük-Kainardschi (bei Silistria) 1774 3.–2. Jh. v. Chr. die Handels- und Schiff-
gewann Russland (Katharina II.) den Zu- fahrtswege vom Don bis zur Donau be-
gang zum Schwarzen Meer und die Meer- herrschten); slaw. Völker saßen im SW R.s
enge von Kertsch. 2) 1787–1792; durch im Gebiet von den Nordhängen der Karpa-
den Frieden von Jassy erhielt Russland die ten bis zum Pripjet und Dnjepr (langsames
Schwarzmeerküste bis zum Dnjestr (1793 Vordringen bis an die Weichsel); der NW
Gründung von Odessa). 3) 1877–1878; war Siedlungsraum der Balten; zw. Wolga,
durch Verquickung des traditionellen russ. Kama und Ural wanderten finno-ugr. Völ-
Kampfes um Zugang zu den Weltmeeren ker in Stoßrichtung nach Westen und Nor-
mit den nationalen Bestrebungen des den ein; im 2. Jh. v. Chr. begann die Wan-
↑ Panslawismus heraufbeschworene Ausei- derbewegung german. Stämme aus den
nandersetzung zw. den Balkanländern un- Ländern westl. der Weichsel nach Osten,
ter Führung Russlands und der Türkei; Be- sie erreichten den Dnjepr und gründeten
lagerung und Einnahme der türk. Festung am Nordufer des Schwarzen Meeres ein
Plewna; nach dem russ. Vormarsch bis vor mächtiges Reich, das sich zw. Dnjepr und

806
Russland

Dnjestr erstreckte, höchste Blüte im Ausbildung großräumiger, locker geführter


4. Jh. n. Chr. unter König ↑ Ermanarich, Staaten mit europ. (christlich) beeinflusster
Beherrschung des gesamten Siedlungs- Kultur. – Die eigtl. Geschichte des Russ.
raumes und der Verbindungswege zw. Ost- Reiches begann mit der Staatengründung
see und Schwarzem Meer. – Die Siedlungs- durch die Waräger, nordgerm. Krieger, Er-
und Herrschaftsverhältnisse im gesamten oberer und Kaufleute, die mit ihren Lang-
europäischen Osten erfuhren einen ent- booten von Schweden über Ostsee und
scheidenden Umbruch durch das unter Finn. Meerbusen die Newa aufwärts in den
chines. Druck bewirkte Einströmen krie- Ladogasee gelangten, auf dem Wolchow
ger. Reitervölker aus den menschenreichen den Ilmensee und auf schwierigen Fluss-
Steppen Innerasiens; um 375 n. Chr. Ein- fahrten (mit dazwischen liegenden Schlepp-
bruch der ↑ Hunnen, sie überschritten die stellen) den Dnjepr, die alte russ. Völker-
Wolga, drangen bis ans Schwarze Meer vor, straße, und auf ihr das Schwarze Meer (By-
überrannten das Gotenreich des ↑ Ermana- zanz) erreichten; ein zweiter Handels- und
rich, überwanden die Karpaten und errich- Raubweg führte über die Düna in den
teten in der ungar. Tiefebene den Mittel- ­Dnjepr; Anfang 9. Jh. erstes Auftauchen
punkt ihres weiträumigen Reiches (↑ At- von Warägern an den Schwarzmeerküsten,
tila); nach Attilas Tod Zerfall des Hunnen- befestigte Faktoreien in Kiew (am Dnjepr)
staates und Rückzug der Hunnen in die und Nowgorod (nördl. des Ilmensees); von
Steppen Südrusslands, Vermischung mit Nowgorod und Kiew aus begann der Warä-
Turkvölkern zu Bulgaren; Ablenkung der gerfürst ↑ Rurik seine Eroberertätigkeit;
german. Ostwanderung nach Westen ge- um 880 Gründung des ↑ „Kiewer Reiches“
gen die Grenzen des Römerreiches (↑ Völ- (unter der Dynastie der ↑ Rurikiden), der
kerwanderung, Röm. Reich); in den nach Urzelle des späteren Großrussland; krieger.
dem Abzug der Hunnen machtleeren Verwicklungen mit Byzanz (860 erster Wa-
Raum wanderte das Steppenvolk der rägerangriff auf Byzanz) abgelöst durch
Avaren ein (um 550), Herrschaftsbereich Handelsverbindungen, Verträge; unter
vom Kaukasus bis zur Donau; in Süd-R. Wladimir dem Hl. (980–1015) dem Chris-
bildete sich das großbulgar. Reich, das die tentum erschlossen (989 Gründung des
benachbarten Völker unterwarf (um 600– Erzbistums Kiew) bei fortschreitender Ent-
650); um 650 wichen die Bulgaren, be- machtung und Slawisierung der waräg.
kriegt von den aus dem Osten herandrän- Kriegerkaste, doch erfolgreicher Behaup-
genden Chasaren, mit zahlreichen Völker- tung gegen Petschenegen (später gegen Po-
schaften an die mittlere Wolga (Wolgabul- lowzer), gegen die Reiche von Chasan und
gar. Reich) und auf den Balkan (späteres Wolgabulgarien; Ausdehnung des Kiewer
Bulgarien) aus; Ausdehnung des Chasaren- Reiches unter Jaroslaw dem Weisen (1019–
reiches von der Wolga bis zum Dnjepr 1054) und Wladimir II. (1113–1125), ge-
(rege Handelsbeziehungen mit Nordruss- folgt von neuen Rivalenkämpfen um die
land und dem Byzant. Reich); Zerstörung Macht. Zerfall des Kiewer Reiches, He-
des Reiches durch die Waräger (↑ Norman- rausbildung von Großfürstentümern (in
nen), Magyaren und Petschenegen (seit der denen z. T. Adel [Bojaren] und Städtever-
Mitte des 9. Jh.). Die im Westen des russ. tretungen die Herrschergewalt entschei-
Tieflandes im 4. Jh. bis zur Weichsel gelan- dend beeinträchtigten): 1) Groß-Nowgo-
genden (O-)Slawen setzten gegen Ende des rod nördl. von Kiew (Hauptstadt Nowgo-
4. Jh. ihre Wanderbewegung fort, über- rod mit dt. Handelshof ) mit Gebietsan-
schritten Memel und Düna und erreichten sprüchen bis zum Ural; 2) Wolhynien (ver-
das Gebiet zw. Ilmensee und oberer Wolga; einigt mit Halytsch) westl. von Kiew;

807
Russland

3) Susdal-Wladimir in den östlichen Kolo- gegenüber Konstantinopel); unter seiner


nisationsgebieten (Wolga–Oka); 4) im NO Herrschaft Fortführung der Expansionspo-
Fürstentum Moskau (gegr. um 1140); es litik von Moskau aus (1557 Astrachan und
bildeten sich die Nationalitäten der Groß- Einfall in Livland, 1582 Eroberung des
russen, Weißrussen, Kleinrussen (­Ukrainer) „Reiches Sibir“ jenseits des Ural); im In-
heraus. 1223 Niederlage der verbündeten nern Vollendung des Absolutismus mit-
Russen und Polowzer gegen die Mongolen hilfe der ↑ Opritschoina (gegen den Boja-
↑ Dschingis Khans, 1240 Eroberung Kiews renadel) und durch die Einführung der
durch die Mongolen, Errichtung der Hörigkeit der Bauern (Schollenpflicht);
Machthoheit über die bisherigen russischen Beginn innerer Wirren; staatlicher Nieder-
Staaten durch das Steppenreich der ↑ Gol- gang nach Iwans Tod und nach dem Tod
denen Horde, das sich vom Amu-Darya, seines Sohnes Demetrius Iwanowitsch und
Aralsee, Kasp. und Schwarzen Meer über des schwachsinnigen Fjodor (des letzten
die westsibir. Tiefebene bis zum Onegasee Rurikiden), eingeleitet durch die Thronan-
erstreckte; unter den Mongolen Zusam- sprüche des Pseudo- ↑ Demetrius gegen-
menbruch der Wirtschaft und Kultur- über Boris Godunow; während der lang-
niedergang; um 1300 weiterer Aufstieg des jährigen Reichswirren Eroberung von
Fürstentums Moskau nordwestl. des Rei- Smolensk und Erstürmung Moskaus durch
ches der Goldenen Horde. Moskau, seit An­ den Polenkönig Sigismund III. (1610).
fang des 14. Jh. Sitz des Metropoliten der Nach Vertreibung der Polen Beginn der
russ.-orthodoxen Kirche (früher in Kiew), Dynastie Romanow mit der Wahl und dem
wurde durch geschickte Politik gegenüber Regierungsantritt Michail Fjodorowitsch
den Tataren (Mongolen) und im Kampf Romanows (1613–1645); äußere und in-
gegen das Großfürstentum Litauen, das nere Befriedung, 1642 Friede mit Polen,
sich seit Beginn des 14. Jh. über Westruss- das auf Smolensk verzichtete. Unter Zar
land einschließlich Kiew ausgedehnt hatte, Alexej Michailowitsch (1645–1675) Kir-
neuer nationaler Mittelpunkt R.s; 1380 chenreform Nikons und Erwerb der Ukra-
unter dem Großfürsten Dimitri Iwanow ine und Kiews (1667). In der Zeit des Fjo-
Sieg über die Tataren am Don. Mitte des dor II. Alexejewitsch (1676–1682) und un-
15. Jh. wurde durch den Verfall des Reiches ter der Regentschaft Sophias (1682–1689)
der „Goldenen Horde“ von Neuem der Neubelebung der Landwirtschaft durch
Weg frei für die nationale Einigung R.s; merkantilist. Wirtschaftspolitik. Neue,
1478 Niederwerfung des Fürstentums entschieden westlich orientierte Kursrich-
Nowgorod durch Iwan III. von Moskau tung, die durch Peter d. Gr. (1682–1725)
(1440–1505); Trennung der russ.-ortho- zum Staatsprinzip erhoben wurde. Mobili-
doxen Kirche von Konstantinopel (↑ Ost- sierung aller Kräfte nach europ. Vorbild,
kirche), Ausbau der Selbständigkeit unter Eroberung Asows (1696), Gründung Pe-
Iwan III. und Wassili III. (1505–1533), tersburgs (1703), Behauptung gegen
weitere Ausdehnung nach Westen (auf Kos­ Schweden (↑ Nord. Krieg), Schaffung einer
ten Litauens). Der absolutist. regierende Ostseeflotte, Einerbengesetz des Adels,
Iwan IV. der Schreckliche (1533–1584) Leib­eigenschaft der Bauern und Unterstel-
ließ sich 1547 zum Zaren krönen (be- lung der Kirche unter den Hl. Synod
wusste Anknüpfung an die Tradition des (1721); R. wurde europ. Großmacht, be-
untergegangenen byzantin. Kaisertums, hauptete seine Stellung und führte die Eu-
Moskau nannte sich „Drittes Rom“, An- ropäisierung fort unter Katharina I. (1725–
spruch auf Hegemonie über alle anderen 1727), Peter II. (1727–1730), Anna
russ. Staaten und auf kirchliche Führung Iwanowna (1730–1740); unter Elisabeth

808
Russland

(1740–1762) bedrohliche Gegnerschaft zu Spannungen durch den ↑ Dreibund und


Preußen (↑ 7-jähriger Krieg); unter den ↑ Rückversicherungsvertrag, nach des-
­Katharina II. (1762–1796) war R. wieder sen Erlöschen Bündnis mit Frankreich
vorwiegend auf eigene Machtentfaltung 1892 (Alexander III.), Nikolaus II. (1894–
konzentriert, Erwerb eines Großteils Po- 1917) bemühte sich, die steigende soziale
lens und ­ Litauens in den poln. Teilungen Not durch Modernisierung der Wirtschaft
1772, 1793, 1795; ↑ Russ.-Türk. Kriege: und Fernostpolitik (Bau der sibir. Eisen-
Gewinn der Schwarzmeerküste zw. Dnjepr bahn, Besetzung von Port Arthur 1898;
und Bug im Frieden von Kütschük-Kai- ↑ Russ.-Jap. Krieg) und die politischen
nardschi 1774, Einverleibung der Krim Spannungen nach Ausbruch der ­Revolution
1783; Einfluss auf dem Balkan durch den 1905/06 und durch die Berufung einer
Frieden von Jassy 1792, Ende des 18. Jh. Volksvertretung (Duma) und durch Agrar-
Besetzung Alaskas, „Russ.-Amerika“ ge- reform (Stolypin) zu beseitigen. Im 1. Welt-
nannt, das 1867 zugleich mit den Alëuten krieg war R. auf Seiten der Entente, im In-
von den USA gekauft wurde. Mit Alexand- nern Intrigenpolitik am Hof (↑ Rasputin,
er I. (1801–1825) wurde R. eines der ein- Dez. 1916 ermordet). Im März 1917 Aus-
flussstärksten Reiche im ↑ „europ. Kon- bruch der Revolution, Sturz des ­Zarentums,
zert“ (durch den Frieden mit Napoleon in Linksregierung Kerenski; im Nov. 1917
Tilsit 1806 freie Hand zum Erwerb Finn- „Oktoberrevolution“ (↑ Bolschewismus).
lands; nach der wirtsch. Krise im Gefolge Diktatur des Proletariats unter Führung
der ↑ Kontinentalsperre Auseinanderset- ↑ Lenins; Friedensvorschlag ↑ Trotzkis an
zung mit Frankreich, die zum russ. Feldzug die Krieg führenden Mächte. März 1918
Napoleons führte); 1815 Bestätigung der Diktatfrieden von ↑ Brest-Litowsk mit den
Herrschaftsrechte über Kongresspolen, Mittelmächten, Abwehr weißruss. und aus-
Finnland und Bessarabien. Unter Niko- länd. Gegenkräfte bis 1920; 1922 Vertrag
laus I. (1825–1855) Niederwerfung des von ↑ Rapallo und Errichtung der Union
Polenaufstands (1830/31). Verlust der Do- der Soz. Sowjetrepubliken (UdSSR; weitere
naumündung im ↑ Krimkrieg (1853– Entwicklung ↑ Sowjetunion).
1856) und Beginn des russ.-österr. und Mit dem Zusammenbruch des ehem. Ost-
russ.-brit. Gegensatzes. Nach der Jahrhun- blocks zerfiel auch die Sowjetunion. Russ-
dertmitte Unterwerfung der Ostvölker und land wurde selbständig und gründete ge-
Expansion bis zum Stillen Ozean (Grün- meinsam mit den sich ebenfalls als unab-
dung von Wladiwostok 1860, Stützpunkt hängig erklärenden Ländern Weißruss­land,
der Fernostpolitik). 1863–84 Vorstoß bis Ukraine, Moldawien, Armenien, Aserbaid-
an die Grenze Afghanistans und Druck auf schan, Kasachstan, Kirgisistan, Tadschi-
den brit. Indienbesitz. Im Innern Verschär- kistan, Turkmenistan und Usbekis­tan die
fung des extrem autokrat. Regimes (Nie- GUS (Gemeinschaft ­ Unabhängiger Staa-
derwerfung des ↑ Dekabristenaufstands); ten) als Nachfolgeorganisation der Sowjet­
Verflechtung mit der Weltwirtschaft. Un- union (1992 Austritt ­ Aserbaidschans,
ter Alexander II. (1855–1881) Aufhebung 1993 Eintritt Georgiens). Die polit. Ver-
der Leibeigenschaft (1867); poln. Aufstand änderungen führten 1993 zu einer be-
1863; 1873 ↑ Dreikaiserbündnis, trotzdem waffneten Revolte in Moskau, die durch
Misstrauen gegenüber Deutschland wegen den 1991 zum Präsidenten Russlands ge-
der Einschränkung der Erfolge des Türken- wählten Boris Jelzin niedergeschlagen wer-
krieges von 1877/78 durch Bismarck auf den konnte. Erste demokrat. Wahlen für
dem ↑ Berliner Kongress. 1879 und 1887 eine Föderationsversammlung folgten und
Versuch zur Überbrückung der europ. eine Verfassung wurde per Volksentscheid

809
Rutherford

verabschiedet. 1994 begann vertragsge- Abgeordneten. Nach dem Rücktritt Jelzins


mäß der Abzug der russ. Truppen aus der wurde Putin von diesem zum Interims-Prä-
ehem. DDR. 1996 trat R. dem Europa- sidenten ernannt. 2000 wurde er bei freien
rat bei, gleichzeitig gründete das Land ge- Wahlen im Amt bestätigt und führt dieses
meinsam mit Weißrussland die „Gemein- auch nach der umstrittenen Wiederwahl
schaft unabhängiger Republiken“ mit im März 2004 mit großer Machtfülle.
übernationalen gemeinsamen Organen. Rutherford, Sir Ernest, britischer Physiker,
1997 folgte die NATO-Russland-Grund- 1871–1937; schuf mit der von ihm erstmals
akte und ein Partnerschafts- und Koope- durchgeführten künstlichen Umwandlung
rationsabkommen mit der EU. Seit Mitte der Atome, seiner Theorie über den Zerfall
der 90er Jahre sah sich die russ. Regierung radioaktiver Elemente und der Aufstellung
mit Unabhängigkeitsbewegungen und eines Atommodells neue Grundlagen der
Machtkämpfen in zahlreichen Teilrepu- Atomphysik; Nobelpreis 1908.
bliken (u. a. Tsche­tschenien, Jakutien und Rütlischwur, der Sage nach Geheimver-
Nordossetien) kon­frontiert. 1999 brach- schwörung der Kantone Uri, Schwyz und
ten russ. Truppen den Großteil Tschetsche- Unterwalden um 1291 auf dem Rütli, ei-
niens unter ihre Kontrolle; Folge waren ner Bergwiese am Urner See im Schweizer
massive Flüchtlingswellen, weitgehende Kanton Uri, zur Loslösung von der Herr-
Zerstörung der Infra­struktur und der in- schaft Habsburgs; gilt als Gründungsakt
ternat. Vorwurf von Menschenrechtsverlet- der Schweizer Eidgenossenschaft.
zungen. Bewaffnete Auseinandersetzungen Ruysbroek, Jan van, Augustinerprior, be-
mit ­ Rebellengruppen sind nach wie vor deutendster niederländ. Mystiker des MA,
von großer Härte gekennzeichnet und for- 1293–1381; genannt Doctor ecstaticus,
dern fast täglich Todesopfer. Aus Wahlen von großem Einfluss auf die niederdt. Mys­
zur neuen Duma 1999 gingen die bisher tik und besonders auf die Brüder vom ge-
tonangebenden Kommunisten als Verlierer meinsamen Leben.
hervor, sie bleiben zwar stärkste Partei, stel- Rwanda, ↑ Ruanda.
len aber nur noch ein knappes Drittel der

810
SA

SA, Abkürzung für ↑ Sturm- Eingliederung: teilweise Zusammenarbeit

S abteilung.
Saalburg, Römerkastell inner­
halb der Befestigungsanlagen
des ↑ Limes im Taunus bei Homburg, über
auf dem Gebiet der Verwaltung mit dem
Land Rheinland-Pfalz.
Sabiner, Teilstamm der Sabeller in Mittel­
italien, zu denen auch die Volsker, Masser,
dessen Grundmauern (freigelegt durch Äquer usw. gehörten. Hirten und Bauern;
Ausgrabungen 1868–1929) auf Anregung seit 510 v. Chr. in Kämpfe mit den Römern
Kaiser Wilhelms II. Teilrekonstruktionen verwickelt (Sage vom Raub der Sabine-
errichtet wurden. rinnen); die S. erhielten 290 v. Chr. röm.
Saarland(gebiet), Land der Bundesrepu- Bürgerrechte ohne Stimmrecht, 268 v. Chr.
blik Deutschland an der Saar, durch seine das Vollbürgerrecht.
Kohlenvorkommen und Schwerindus- Sacco di Roma, Plünderung Roms
trie wichtig für die europ. Wirtschaft; ob- 1527/28, ausgelöst durch den Herrschafts-
wohl histor., kulturell und sprachlich rein anspruch Karls V. auf Italien gegen die
dt. (Moselfranken), umkämpftes Gebiet in ↑ Liga von Cognac (Franz I., Venedig, ital.
der europ. Politik seit dem 1. Weltkrieg; Fürsten, Papst Clemens VII. und später
wurde nach dem Versailler Vertrag 1920 auch Heinrich VIII. von England); einge-
aus dem südlichen Teil der preuß. Rhein- leitet durch Empörung (Soldrückstand)
provinz und dem Westen der bayer. Pfalz des von Oberitalien aufgebrochenen kai-
für 15 Jahre als Verwaltungsgebiet des Völ- serlichen Heeres (span. Truppen, dt. und
kerbundes bei gleichzeitiger Übereignung ital. Landsknechte), das nach dem Tod
der Kohlengruben an Frankreich heraus- ↑ Frundsbergs dem Zügel des Connétables
gelöst, kehrte nach eindeutigem Volksent- Herzog Karl von Bourbon entglitt und sich
scheid (91 %) durch Verfügung des Völker- in Stärke von 40 000 Mann als ungeord-
bundes 1935 wieder zu Deutschland zu- neter Haufen gegen Rom wälzte; 8 Tage
rück; während des 2. Weltkriegs wurde die währende Plünderung durch die führer-
Zivilbevölkerung zweimal evakuiert; 1945 losen Rotten (Karl von Bourbon fiel bei
von amerikan. Truppen besetzt und unter der Erstürmung); Brandschatzung Roms
frz. Protektorat gestellt; 1947 nach Erwei- und Niedermetzelung der Bevölkerung
terung um Teile der Kreise Trier, Saarburg, in vorher (Gallier 387 v. Chr.; Westgo-
Wadern und Birkenfeld gegen den Wider­ ten 410 n. Chr.) nie erlebtem Maße; Ret-
spruch Deutschlands mit eigener Verfas- tung des Papstes durch Schweizer Garde;
sung und Verwaltung ausgestattet und trotz anschließender Versöhnung zw. Papst
1948 durch Landtagsbeschluss in das frz. und Kaiser von weitreichenden geistesge-
Wirtschaftssystem einbezogen; seit 1950 schichtl. Folgen: Kultur und Lebenshal-
Brennpunkt der polit. Verhandlungen zw. tung der Renaissance in Rom abgelöst von
Frankreich und Deutschland und ent- Bußstimmung, Selbstbesinnung, dadurch
scheidendes Problem im Zuge der Verstän- Stärkung der gegenreformator., antidt.
digung zw. beiden Staaten; der Versuch, Strömungen in Rom.
das S. im Rahmen der Westeurop. Union Sacharow, Andrei Dimitrijewitsch, sowjet.
zu europäisieren, wurde durch Volksent- Physiker und Bürgerrechtler, 1921–1989;
scheid vom 23. Okt. 1955 abgelehnt; da- seit 1953 Mitglied der Moskauer Akade-
rauf durch dt.-frz. Saarvertrag von 1956 mie der Wissenschaften, maßgeblich an
ab 1957 Eingliederung des Saargebietes der Entwicklung der Wasserstoffbombe be-
als Bundesland in die Dt. Bundesrepublik teiligt; schrieb 1968 das Buch „Gedanken
(bis 1959 Zoll- und Währungsunion mit über den Fortschritt, die friedliche Koexis-
Frankreich als Übergang); 1959 wirtsch. tenz und geistige Freiheit“, gründete 1970

811
Sachsen

ein Komitee zur Verwirklichung der Men- ger des fränk. Reichsgedankens und der dt.
schenrechte in der UdSSR, 1975 Friedens- ↑ Ostkolonisation. 2) Das Stammesherzog­
nobelpreis; 1980–86 in Verbannung in tum Sachsen entstand nach der Auflösung
Gorki, 1988 wieder Präsidiumsmitglied in des Fränk. Reiches (Ludwig das Kind)
der Akademie der Wissenschaften. unter Führung der Liudolfinger (Liudolf-
Sachsen (abgekürzt aus sahsnotas, von Brun; dessen Bruder Otto war der Vater
ahdt. sahs = Kurzschwert; Schwertgenos- Heinrichs I.), die unter Otto bereits bedeu-
sen). 1) German. Stamm: in der Frühzeit tenden Einfluss auf die weiteren Geschicke
nordwestgerman. Volksstamm, urspr. nur des Reiches auszuüben vermochten (Wahl-
östl. der unteren Elbe (Holstein), dann versammlung von Forchheim), die Erb-
nach Westen übergreifend über die Elbe in lichkeit der Herzogswürde erreichten und
das Gebiet der Chauken, mit diesen ver- sich gegen die Franken behaupteten; seit
mutlich verschmolzen; blieben von den 919 (Heinrich I.) bis 1024 (Heinrich II.)
Römern unbehelligt und auch verschont auf dem dt. Königsthron; machtvolle in-
von der Flut der Völkerwanderung; um nere Ausgestaltung des Herzogtums durch
500 setzten ↑ Angeln und Sachsen nach den Ausbau des alten Heerbanns. Otto I.
England über. S. drangen über See bis zur unterstellte das Herzogtum der Verwaltung
Küste Frankreichs vor; in der Karolinger- Hermann ↑ Billungs; unter dessen Herr-
zeit in Westfalen ansässig (links der Elbe, schaft Ausbildung des nördl. S. zu stam-
beiderseits der Weser), in Engern (Land mesbetontem Markherzogtum; der Zusam­
der Angivarier an der unteren Weser) und menschluss des Stammesherzogtums in der
in Ostfalen mit Nordalbingien (zw. Elbe Folge stark beeinträchtigt durch die Sla-
und Harz und jenseits der Elbe), polit. weneinfälle (↑ Ostkolonisation) und im
unter sich lose verbunden; konservatives 11. Jh. durch die Auseinandersetzungen
Bauernvolk (Edelinge) und freie Bauern des sächs. Adels mit dem sal. Kaiserhaus
(Frilinge); in Kriegszeiten unter Herzögen (↑ Heinrich IV.); erneuter Aufschwung erst
(durch Los bestimmt), zäh festhaltend an unter ↑ Lothar von Supplinburg (1106–
altherbrachten germanischen Einrichtun­ 1137) und ↑ Heinrich dem Löwen (1139–
gen, Sitten und Gebräuchen; seit dem 6. Jh. 1180). Durch die welf.-stauf. Auseinander-
durch Angriffe auf das Rheindelta und die setzung (Barbarossa – Heinrich der Löwe)
Küsten Galliens mit den Franken in Grenz- 1180 weitgehende Zersplitterung; Über-
streitigkeiten, die, durch den Gegensatz gang des Ostteils und der Herzogswürde
zw. fränk. Königtum und sächs. Gemein- an die Askanier. 1260 Spaltung in die Linie
freiheit und zw. Christentum und german. S.-Lauenburg und S.-Wittenberg; nur diese
Götterglauben verstärkt, sich über die Zeit behielt die Bezeichnung Sachsen bei und
der Merowinger und Karolinger hinzogen hinterließ nach ihrem Aussterben (1422)
und schließlich zu den Sachsenkriegen S.-Wittenberg sowie den Herzogs- und
(772–804) Karls d. Gr. führten; nach Ein- Kurfürstentitel den Wettiner Markgrafen
nahme der ↑ Eresburg 772 Unterwerfung von Meißen, aus deren Gebiet sich das spä-
und Blutbad von ↑ Verden 782 und Nie- tere Königreich S. entwickelte. 3) Das Kö-
derringung der sächsischen Opposition un- nigreich Sachsen, erwachsen aus der Mark
ter ↑ Widukind, 783 Christia­nisierung und Meißen, seit 1089 unter den Wettinern,
Eingliederung der Sachsen in das Franken- 1310 um Thüringen, 1422 um das askan.
reich unter weitgehender Einschränkung S.-Wittenberg (↑ 2) erweitert (Kursachsen)
der politischen Selbständigkeit; jedoch Zu­ und 1485 in die ernestin. (↑ 4) und alber-
billi­gung althergebrachter stammesmäßi­ tin. Linie (Mark Meißen, Gebiet um Leip-
ger Rechtsausübung; seit Heinrich I. Trä- zig und nördl. Thüringen) aufgeteilt; die

812
Sadduzäer

Albertiner bekannten sich 1530 zur Refor- Sachsenhausen, nat.-soz. KZ etwa 25 km
mation, erhielten 1547 die Kurwürde und nordöstl. von Berlin; im Aug./Sept. 1936
den Ostteil des ernestin. Besitzes (Moritz errichtet; urspr. für 8000–10 000 Häft-
von Sachsen), waren Stützen des Prote- linge geplant, waren gegen Kriegsende in
stantismus, traten aber nach anfänglicher S. rd. 35 000 Menschen inhaftiert; die Un-
Gegnerschaft im 30-jährigen Krieg zu den terbringungs-, Verpflegungs-, Arbeits- und
Kaiserlichen über (↑ Prager Frieden). Mit hygien. Verhältnisse in S. waren katastro-
Friedrich August I. Ausbildung monarch.- phal, kranke und arbeitsunfähige Gefan-
absolutist. Herrschaftsform und Verqui- gene wurden regelmäßig ausgesondert und
ckung der Geschicke S.s mit dem König- getötet; allein im Herbst 1941 wurden
reich Polen und den poln.-schwed. Ausei- über 11 000 sowjetische Kriegsgefangene
nandersetzungen; in der Folge Anlehnung in der Genickschussanlage des Lagers unter
an Österreich und Gegnerschaft zu Preu- dem Vorwand einer medizinischen Unter­
ßen; 1806 Anschluss an Napoleon, Beitritt suchung getötet.
zum Rheinbund, dafür zum Königreich Sachsenspiegel, bedeutendes Rechtsbuch
erhoben; wegen Napoleonhörigkeit wäh- des MA, zw. 1215 und 1235 von ↑ Eike
rend des Befreiungskampfes 1815 Witten- von Repgow in mittelniederdt. Sprache
berg, Torgau, Merseburg, Naumburg und verfasst, von größtem Einfluss auf die
das albertin. Thüringen abgetrennt (zu- Rechtspflege in Deutschland als Zusam-
sammen mit Altmark und Magdeburg), menfassung des sächsischen (eigentlich
als Provinz S. an Preußen angeschlossen; ostfäl., ostsächs.) Gewohnheitsrechts, ver-
1836 konstitutionelle Verfassung; durch breitet in Übersetzungen bis weit über die
↑ Beust erneute Gegnerschaft zu Preußen Grenzen Deutschlands; die oberdt. Über-
(1866 auf Seiten Österreichs); 1867 Bei- setzung (um 1265) wurde auf dem Umweg
tritt zum Norddt. Bund, seit 1871 dt. Bun- über den (süddt.) „Deutschenspiegel“ zur
desstaat, 1918 nach Abdankung Friedrich Grundlage für den ↑ Schwabenspiegel.
Augusts III. zum Freistaat innerhalb des dt. Sadat, Anwar As, ägypt. Politiker, 1918–
Staatsbereichs erklärt; seit 1949 Land S. in 1981; gründete 1949 mit ↑ Nasser die
der Dt. Demokrat. Republik, 1952 in Be- „Vereinigung der Freien Offiziere“, die
zirke aufgeteilt, seit 1990 wieder Bundes- 1952 in Ägypten die Macht ergriff. Nach
land. 4) Ernestinisches S., seit 1485 unter dem Tod Nassers wurde S. 1970 zum Präsi­
der wettin. Teillinie der Ernestiner, verlor denten gewählt. Unter S. stärkere polit.
1547 Kurwürde und östl. Gebietsteil an Annäherung an die USA und den Westen,
die Albertiner und zersplitterte durch Tei- Verhandlungsbereitschaft im Israel.-arab.
lungen in zahlreiche Herrschaften unter Konflikt, 1974 Unterzeichnung des Israel.-
ernestin. Seitenlinien; S.-Altenburg 1826– ägypt. Truppenentflechtungsabkommens,
1918; S.-Gotha seit 1640, dann Teile zu S.- 1978 Friedensnobelpreis (zus. mit seinem
Coburg und mit diesem vereint, aber mit israel. Verhandlungspartner ↑ Begin); 1979
selbständigem Landtag (als „S.-Coburg Friedensvertrag mit Israel; fiel einem At-
und Gotha“ bis 1918); S.-Meiningen 1680 tentat zum Opfer.
bis 1918; S.-Weimar-Eisenach 1603–1672 Sadduzäer, jüd.-polit. Partei z. Z. Jesu,
(bzw. 1741), 1815–1918 Großherzogtum; hervorgegangen aus dem alten aristokrat.
alle Seitenlinien 1920 dem Land Thürin- Priesteradel, neben den Pharisäern und im
gen angeschlossen mit Ausnahme von Co- Gegensatz zu ihnen die Gebildetenschicht
burg (zu Bayern). mit Ausrichtung auf das polit.-kulturelle
Sachsenchronik (sächs. Weltchronik), Gedankengut der Römer und des Hellenis-
↑ Eike von Repgow. mus mit aufgeklärter Glaubenseinstellung.

813
Sadowa

Sadowa, ↑ Königgrätz. Saint-Cloud, Stadt und Schloss bei Paris;


Sagunt, Stadt an der Ostküste Spaniens, 1589 Schauplatz der Ermordung Hein-
219 v. Chr. als Mitglied der röm. Bundes- richs III., 1799 des Staatsstreiches und
genossenschaft von Hannibal erobert und 1804 der Kaiserproklamation Napoleons I.;
zerstört (Auftakt zum 2. ↑ Pun. Krieg); 214 1870 Unterzeichnung der frz. Kriegserklä-
von den Römern zurückerobert. rung an Deutschland durch Napoleon III.
Sahara-Kultur, Vorhandensein des Men- Zur Zeit Ludwigs XIV. erbaut, von Marie
schen in dem Gebiet der heutigen Sahara Antoinette erweitert, 1870 zerstört.
durch zahlreiche Ausgrabungsfunde aus Saint-Denis, Stadt nördl. von Paris, nach
der Alt-, Mittel- und Jungsteinzeit nachge- dem hl. Dionysius ben.; in der ihm geweih­
wiesen; erste Menschen (Neandertal-Typ) ten Abteikirche wurde 768 Pippin d. Kurze
zu Beginn der 4. Eiszeit und früher; Jäger beigesetzt; die 1144 eingeweihte Kathe-
und Sammler, die in Freilagern, Höhlen drale diente seit Ludwig IX. (1226–1270)
und Halbhöhlen in der Nähe von spä- als Begräbnisstätte der frz. Könige; bedeu-
ter ausgetrockneten Wasserläufen (Wadis) tungsvoll der Reichstag zu S., auf dem Pip-
oder Seen hausten; reiches Pflanzen- und pin kurz vor seinem Tod (768) die Teilung
Tierleben, Beutetiere: Fische, Krokodile, des Reiches unter seine beiden Söhne Karl
Nashörner, Elefanten, Flusspferde, Zebras, und Karlmann verfügte und Bayern weit-
Antilopen und ausgestorbene Tierrassen; gehende Selbständigkeit zugestand.
Waffen und Werkzeuge: Faustkeile, später Saint-Germain-en-Laye, frz. Stadt bei
Speere, Messer, Beile, Schaber, Kratzer, Ge- Versailles; Friedensschlüsse: 1679 zw. Lud-
treidereibsteine, Grabstöcke, Angelhaken wig XIV. und dem Großen Kurfürsten
und Harpunen aus Knochen, in der Jung- (Rückgabe Vorpommerns an Schweden);
steinzeit auch bereits Gefäße aus verzierten 1919 zw. Entente und Österreich (Abtre-
Straußeneiern und einfache Keramik; im tung Südtirols an Italien, der Südsteier-
Atlasgebirge und in der Sahara zahlreiche mark und Südkärntens an Jugoslawien, In-
Fels- und Höhlenzeichnungen, beson- ternationalisierung der Donau, Eingliede-
ders aus der Spätzeit (mehr als 45 000 Bil- rung eines Teiles des Burgenlandes).
der und Gravierungen entdeckt); höchste Saint-Just, Antoine, französischer Revolu­
Kultur­stufe der Saharamenschen um 5000– tionär, 1767–1794; 1792 zus. mit Robes­
4000 v. Chr.; die Bilder (Jagd- und Kults- pierre und Couthon Mitglied des Natio­
zenen, wandernde Rinderherden, Pferde nalkonvents, 1793 Mitglied des Wohlfahrts­
und Wagen, Krieger mit Pfeil und Bo- ausschusses, betrieb 1793/94 den Sturz der
gen) zeigen Verwandtschaft mit den früh- Girondisten, Heberosten und Dantonisten;
ägypt. Kulturen (gemeinsame Urkultur); 1794 guillotiniert.
gegen Ende der Jungsteinzeit (um 3000– Saint-Quentin, frz. Stadt an der Somme;
1000) trockneten infolge der Klimaver- 1557 Sieg der Spanier (Egmont) und 1871
änderung die Flüsse und Seen der Sahara der Deutschen über die Franzosen.
aus und nahmen der Pflanzen- und Tier- Saint-Simon, Claude Henri Graf von,
welt und damit auch den Menschen die frz. Vertreter des utopischen Sozialismus,
Existenzmög­lichkeit; um 1000 v. Chr. ver- 1760–1825; begründete die erste frz. So-
mutl. Ein­dringen von versprengten Teilen zialistenschule und den religiös untermau-
der ↑ „Seevölker“. erten ↑ Saint-Simonismus („neue Reli-
Said Pascha, Muhammad (Mehemed), gion der brüderlichen Liebe“) anstelle des
Vize­könig von Ägypten (seit 1854), 1822– kriegerischen Feudalismus, weiter ausge-
1863; Sohn Mehemed Alis, konzessionierte baut von Bazard; Werke: „L’organisateur“,
1856 den Bau des Suezkanals. „Neues Christentum“.

814
Salier

Saint-Simonismus, sozialistisch-philosophi­ Salamanca, Hauptstadt der span. Provinz


sche Richtung des 19. Jh., ausgehend von S.; in der Antike Salmantica; seit Ende
↑ Saint-Simon, erstrebte in Anlehnung an des 3. Jh. v. Chr. unter röm. Herrschaft;
die idealist. Systeme der dt. Philosophie bei im 8. Jh. von den Arabern eingenommen,
gleichzeitiger Berücksichtigung des neu er- 1085 durch König Alfons VI. von Kastilien
wachten frz. Rationalismus eine neue Syn- und León erobert, 1085 von den Mauren
these von Geist und Materie, die den bei- zurückerobert, gelangte danach zu großer
den beherrschenden Elementen des Lebens Bedeutung und wurde im 12. Jh. Bischofs-
gerecht werden sollte; daraus ergab sich die sitz; die an der von König Alfons IX. von
Forderung nach einer neuen diesseitigen León gegründeten weltl. Universität ent-
Religiosität in enger Verbindung mit Po- wickelte Schule von S. im 16./17. Jh. rich-
litik und Gesellschaft; Einheit von Staat tungweisend auf dem Gebiet der Rechts-
und Individuum, gesellschaftlich-ethische philosophie.
Gleichsetzung von Mann und Frau; die Salamis, 1) griech. Insel im Saron. Golf,
Idee dieses utop. Sozialismus fand bei den gegenüber von Athen, 480 v. Chr. Schau-
Vertretern des ↑ Jungen Deutschland be- platz des weltgeschichtlich entscheidenden
geisterte Aufnahme, ohne sich in Deutsch- Sieges der griechischen über die persische
land durchzusetzen. In Frankreich abgelöst Flotte (↑ Perserkriege). 2) Stadt auf Zy-
von der Schule Fouriers. pern; Sieg der athen. Flotte unter Kimon
Säkularisation, allgemein die Umwand- über die Perser 449 v. Chr. und 306 v. Chr.
lung geistlicher Güter und Herrschafts- der Flotte des ↑ Demetrios Poliorketes
bereiche in weltliche; im Besonderen die über die verbündeten Griechen und Ägyp-
Ausführung der Bestimmungen des ↑ Lu- ter unter Ptolemäus (eine der größten See-
neviller Friedens durch den ↑ Reichsdeputa­ schlachten der Antike).
tionshauptschluss: die bis 1806 als Ersatz Salazar, Antonio de Oliveira, portugiesi-
für die Abtretung des linken Rheinufers scher Staatsmann, 1889–1970; National-
an Frankreich durchgeführte Einziehung ökonom und Finanzwissenschaftler, 1928
geistlicher Besitzungen sowie die Neuver- Finanzminister, seit 1932 (bis 1968) Mi-
teilung an die geschädigten Landesherren nisterpräsident mit diktator. Vollmachten;
unter Mitbestimmung Frankreichs; S. in Behebung der zerrütteten Finanzlage des
der abendländischen Geschichte auch un- Staates, steuerte geschickten Kurs zw. den
ter Herzog Arnulf von Bayern (Anfang faschist. Mächten und dem mit Portugal
10 Jh.), unter Joseph II. in Österreich verbundenen England (Neutralität), stat-
(1781), nach dem Westfälischen Frieden, tete seine Regierung 1945 mit weiteren
1789 in Frankreich, 1860–1870 (Kirchen- Machtbefugnissen aus, unterdrückte 1947
staat) in Italien. und 1961 Militärputsche, vollzog den An-
Saladin (Salah Ad Din Jusuf Ibn Aijub), schluss an den Atlantikpakt.
Sultan von Ägypten und Syrien, 1138– Salier (lat. salii, Tänzer, Springer), 1) altrö­
1193; stürzte die Fatimiden und herrschte misches Priesterkollegium, das aus zwei-
ab 1171; schlug 1187 das Kreuzritterheer mal 12 Patriziern bestand und im März
bei Hittin und nahm Jerusalem ein, ver- jeden Jahres den Kriegsgott durch Waffen-
ständigte sich 1192 mit dem Führer des tanz feierte. 2) Teilstamm der ↑ Franken
­3. Kreuzzuges, ↑ Richard Löwenherz, und im Gebiet des Niederrheins bis zum Meer
gewährte den Pilgern freien Zutritt zum (ihr Name jedoch nicht abgeleitet von
Heiligen Grab; beließ den Christen nur ei- sal = Meer, sondern von sela = Herrschaft).
nen schmalen Küstenstreifen im Heiligen 3) Fränk. Adelsgeschlecht, 1024–1125 Kö-
Land. nige und Kaiser im alten Dt. Reich.

815
Salim

Salim, Name osman. Sultane: 1) S. I. Ya- gegen die Syrer Südarmenien. 2) S. III.
vuz, 1470–1520; Sultan seit 1512, be- (859–824 v. Chr.); geriet erstmals in Aus-
gründete die Vormachtstellung des Os- einandersetzung mit den Meilern, brachte
man. Reichs im Vorderen Orient und war ganz Babylonien unter assyr. Oberhoheit
der erste osmanische Kalif. 2) S. II., 1524– und erweiterte das Reich bis zum Taurus.
1574; Sultan seit 1566, unter seiner Füh- Salomo(n) (hebr., der Friedensreiche), Kö-
rung eroberten die Osmanen das von Ve- nig von Israel, um 962–925 v. Chr.; Sohn
nedig besetzte Zypern und errangen die König Davids, drang zum Roten Meer
Seeherrschaft im östl. Mittelmeer. vor und schuf dadurch die Voraussetzung
Salisbury, Johann von, ↑ Johann Salis- zu den Handelsbeziehungen mit Arabien,
bury. die dem Land Reichtum brachten (Kupfer­
Salisbury, Robert, Marquess of, brit. minen im heutigen SW-Jordanien) und
Staatsmann, 1830–1903; konservativ, seit den Bau des Tempels zu Jerusalem ermög-
1866 mehrfach Premier- und Außenmi- lichten; bildete ein schlagkräftiges Heer
nister, seit 1895 Ministerpräsident, Vertre- durch über das Land verteilte Streitwagen-
ter des imperialist. Gedankens, stärkte die truppen (↑ Israel).
Stellung Großbritanniens im Mittelmeer SALT, Abk. für Strategie Arms Limitation
und in Afrika. Talks (engl., Gespräche über die Begren-
Salisches Gesetz, Thronfolgegesetz, der zung strateg. Rüstungen), ↑ Abrüstung.
aus dem Sal. Recht abgeleitete Ausschluss Salzburg, österr. Bundesland mit gleich-
der weiblichen Glieder der Herrscherhäu- namiger Hauptstadt, Erzbistum, hervor-
ser von der Thronfolge ging in das frz., spä- gegangen aus der Römersiedlung Juvavum,
ter auch in das dt. Thronfolgerecht über, an deren Stelle der hl. Rupert um 700 das
1713–1830 auch in Spanien bestimmend, Kloster St. Peter gründete; Ausgangspunkt
setzte sich nicht in England durch; da- der Missionierung des Landes, 739 durch
raus entstanden die engl.-frz. Auseinan- Bonifatius zum Bistum, 798 zum Erzbis­
dersetzungen um den vakanten frz. Thron tum erhoben; entwickelte sich Ende des
(1328), die zum ↑ Hundertjährigen Krieg 16. Jh. zu einer der schönsten Barockstädte
führten. Deutschlands (Schloss Mirabell); 1731/32
Salisches Recht, die „Lex Salica“, Stam- Vertreibung von 2 000 Salzburger Protes­
mesrecht der sal. Franken, z. Z. Chlod- tanten, meist in Preußen neu angesiedelt;
wigs um 510 aufgezeichnet aufgrund alter nach der Säkularisation 1803 Mittelpunkt
Überlieferungen, durch Childebert I. und des neuerrichteten Kurfürstentums, das
Chlothar I. ergänzt. 1816 endgültig zu Österreich kam und
Salland, das zu einem freien, nicht zins- 1850 in ein eigenes Kronland umgewan-
pflichtigen Herrenhof (Salhof, Sedlhof ) delt wurde, seit 1920 Bundesland.
gehörende und unmittelbar von dort aus Samarkand, Stadt in S-Turkestan, nach
durch Unfreie bewirtschaftete Land. der Eroberung durch Alexander d. Gr.
Sallust, röm. Geschichtsschreiber und Par- (329 v. Chr.) Mittelpunkt einer pers. Pro-
teigänger Cäsars, 87–35 v. Chr.; ver­fasste vinz und zeitweise Residenz Alexanders;
die aufschlussreichsten Beschreibungen der 712 n. Chr. in den Bereich des Islam einbe-
röm. Bürgerkriegsepoche: „Verschwörung zogen und im 9.–10. Jh. geistiges Zentrum
Catilinas“, „Der Jugurthinische Krieg“, der arab. Kultur; 997 wurde S. Hauptstadt
„His­toriae“. des Reiches Chorasmien; 1220 durch die
Salmanassar, Könige der Assyrer: 1) S. I. Horden des ↑ Dschingis Khan erobert,
(1275–1245 v. Chr.); eroberte im Kampf 1369–1405 Hauptstadt und Residenz Ti-
gegen die Hethiter Mesopotamien und murs; seit 1868 unter russ. Herrschaft.

816
Sandinisten

Sambia, Republik im südl. Afrika (ehe- 343 v. Chr. im Krieg mit den Römern (↑ S.-
mals Nordrhodesien), erhielt 1964 von Kriege) um die Herrschaft in Kampanien
Großbritannien die Unabhängigkeit und und Kalabrien; die letzten 8 000 S. wurden
wurde unter dem Namen Sambia zur Re- 82 v. Chr. durch Sullas Soldaten niederge-
publik ausgerufen. Staatspräsident (seit macht.
1964) Kenneth Kaunda wandelte S. 1973 Samniterkriege, 1) 343–341 v. Chr. um
in einen Einparteienstaat um (neue Verfas- die Hauptstadt Kalabriens, Capua; wurde
sung); S. unterstützte den simbabw. Be- durch Bündnisverträge beigelegt. 2) 327–
freiungskampf gegen Rhodesien. 1980/81 304 v. Chr., ausgelöst durch die Aufnahme
nahmen innere Spannungen zu (Putsch- Neapels in den röm. Bund, nach anfäng-
versuche, Konflikte zw. Gewerkschaften lichen Siegen der Samniter (321 röm. Nie-
und Staat); in den 80er Jahren wirtsch. derlage an den Kaudin. Pässen) Bündnis
Probleme aufgrund hoher Abhängigkeit der Römer mit Apulien, dem die Samni-
von einem Exportgut (Kupfer), dessen ter unterlagen; Eintritt der Samniter in
Weltmarktpreis aber sank. 1990 Wahlen, die röm. Bundesgenossenschaft. 3) 298–
aus denen das neu gegr. „Movement for 290 v. Chr. nach erneutem Aufstand zusam-
Multi-Party Democracy“ (MMD) als Sie- men mit den Etruskern und Galliern Sieg
ger hervorging. Frederick Chiluba (MMD) und festerer Zusammenschluss der Römer.
löste Kaunda nach 27-jähriger Amtszeit als 4) 82 v. Chr. vereinter Kampf der Samniter
Staats- und Regierungschefs ab. Trotz Be- und der übrigen ital. Bundesgenossen um
mühungen zur Konsolidierung des Staats- die vollen röm. Bürgerrechte, grausame
haushaltes (Auslandsschulden rund 7 Mrd. Niedermetzelung des samnit. Reststammes
US-Dollar) keine Verbesserung der wirtsch. durch die Römer unter Sulla.
Lage, durch anhaltende Dürre und Flücht- Samos, Insel an der W-Küste Klein-
lingswelle aus dem Nachbarland Angola asiens, seit dem 8. Jh. v. Chr. griech. Ko-
weitere Verschlechterung. 1996 Wahlboy- lonie (Ionier); unter ↑ Polykrates kultu-
kott der Opposition, die dem Präsidenten relles und polit. Machtzentrum des östl.
und der regierenden MMD Korruption Mittelmeeres; seit 524 v. Chr. unter der
und Misswirtschaft vorwarfen, daher Be- Herrschaft der Perser, nach deren Nieder-
stätigung Chilubas im Amt. Nach geschei- lage gegen die Griechen (Mykale 479) bis
tertem Putschversuch im Okt. 1997 Ver- 322 v. Chr. bei Athen, 84 v. Chr. römisch;
haftung zahlr. Oppositionspolitiker. Im 1550 zum türk. Reich, seit 1832 selbstän-
Dez. 2001 Wahlen des Staatspräsidenten dig und 1912 griechisch.
(Chiluba musste nach erheblichen Pro- Samurai, ↑ Japan.
testen in Sambia auf eine erneute Kandi- Sand, Karl Ludwig, Student aus Jena,
datur verzichten); ausländ. Wahlbeobach- 1755–1820; ermordete aus burschenschaft­
ter berichteten von gravierenden Unre- lichem Enthusiasmus ↑ Kotzebue und be-
gelmäßigkeiten; vermutlich Mehrheit der schwor damit die ↑ Karlsbader Beschlüsse
Stimmen für Oppositionellen Anderson herauf; hingerichtet.
Mazoka, dennoch Vereidigung des von Sandinisten, allg. Bez. für Sandinistische
Chiluba vorgeschlagenen Kandidaten der Nationale Befreiungsfront (span. Frente
MMD, Levy Mwanawasa. Sandinista de Liberación National, Abk.
Samniter, altital. Volk (mit osk. Sprache), FSLN), nicaraguan. Guerillaorganisation;
das sich von den Abruzzen aus über Mit- wurde 1962 gegr. und nach dem früheren
tel- und Unteritalien verbreitete, seit dem Guerillaführer Cesar Augusto Sandino
5. Jh. v. Chr. mit den Etruskern im Kampf, (1893–1934) benannt; die sozialrevolu-
denen sie Kampanien abgewannen; seit tionär orientierte FSLN führte seit 1927

817
Sanherib

einen Kleinkrieg gegen das Regime des Santorin, griechische Insel der Kykladen;
von den USA gestürzten Diktators So- hieß in der Antike Thera, nach schweren
moza, war 1978/79 entscheidend am Sturz Verwüstungen durch Naturgewalten um
von Somoza beteiligt; Niederlage bei den 1500 v. Chr. von den Dorern neu besiedelt,
Wahlen 1990. im MA unter venezian., seit 1539 unter os-
Sanherib, assyr. König (704–681 v. Chr.); man. Herrschaft; seit 1821 griechisch; seit
Sohn Sargons II., kämpfte gegen König 1967 archäolog. Ausgrabungen von Resten
Hiskia von Juda, zerstörte 689 Babylon und minoischer Kultur.
erhob Ninive zur Hauptstadt; ermordet. Sapor (Schapur), Perserkönige aus der
San Marino, Republik in Mittelitalien, im Dynastie der Sassaniden: 1) S. I. (241–
3. Jh. durch den Einsiedler Marinus gegr., 272 n. Chr.); erbitterter Feind des röm.
im 12.–13. Jh. auf kaiserlicher Seite, seit Weltreiches, kämpfte vergeblich um Zu-
der Mitte des 13. Jh. im Schutzverhältnis gang zum Meer, nahm 260 den röm. Kai-
zu den Grafen von Urbino und Montefel- ser Valerian gefangen und erniedrigte ihn
tre, 1631 Bestätigung der Unabhängigkeit zum persönlichen Thronsklaven. 2) S. II.,
durch Papst Urban VIII. und seither un- der Große (309–379); stärkte das Reich
abhängiger Staat; 1817 neu bestätigt; seit durch innere Reformen, besiegte 348 die
1862 unter dem Schutz und im Zollgebiet Römer bei Singara, erlitt durch Julian 363
Italiens. eine empfindliche Niederlage und bemäch-
Sansculotten (frz. ohne Kniehosen), urspr. tigte sich nach dessen Tod der Gebiete östl.
Spottname der frz. Revolutionäre, weil sie von Euphrat und Tigris.
im Gegensatz zur Kniehose der Aristokratie Saragat, Giuseppe, ital. Politiker, 1898–
die lange Hose des 3. Standes trugen. 1988, seit 1925 führendes Mitglied der So-
Sansibar, Insel an der Ostküste Afrikas, im zialist. Partei Italiens, 1967–1971 Staats-
10. Jh. Expansionsgebiet der Araber, 1503 präsident.
von den Portugiesen kolonisiert, 1784 von Sarajewo (Sarajevo), Hauptstadt von Bos-
den Arabern zurückerobert; 1885–1890 nien-Herzegowina, an der Miljacka im Os-
dt. Schutzgebiet; 1890 Übereinkunft zw. ten des Landes gelegen; 1420 erstmals er-
England und Deutschland: S. gegen das wähnt. Von 1463 bis 1878 Teil des Osman.
dt. Besitzrecht auf Helgoland ausgetauscht. Reichs, dann unter österr.-ungar. Herr-
1963 gewährte Großbritannien dem Sulta- schaft; seit 1850 Hauptstadt Bosniens.
nat die Unabhängigkeit. 1964 Zusammen- 28. Juni 1914 tödliches Attentat großserb.
schluss von S. und Tanganjika zur „Verei- Nationalisten („Schwarze Hand“) auf den
nigten Republik Tansania“. österr. Thronfolger ↑ Franz Ferdinand und
Sanskrit, Sprache Alt-Indiens, schon früh seine Gemahlin; Anlass zum Ultimatum
durch die Volkssprache verdrängt, seit dem an Serbien, nach dessen verklausulierter
5. Jh. v. Chr. als Gelehrtensprache wieder- Beantwortung wechselseitige Kriegserklä-
erweckt und bis heute als solche lebendig. rungen und Ausbruch des 1.↑ Weltkrieges.
Erstmals durch Beamte der Ostind. Kom- 1984 war S. Austragungsort der Olymp.
panie untersucht (Verwandtschaft zum Winterspiele. Die serb. Belagerung 1992
Englisch, zum Latein, zu Deutsch, Persisch hat die Stadt schwer verwüstet.
und Griechisch), durch Franz Bopp der Saratoga Springs, Stadt im US-Staat New
vergleichenden Wissenschaft der indoger- York; 1777 Kapitulation des brit. Generals
man. Sprache zugrundegelegt. Bourgoyne vor den US-Truppen des Gene-
San Stefano, Dorf bei Konstantinopel; rals Gates; anschließend Übertritt Frank-
1878 Vorfriede nach dem ↑ Russisch-Tür- reichs auf die Seite der Amerikaner und
kischen Krieg. Kriegserklärung an England.

818
Saudi-Arabien

Sarazenen, mittelalterl. Bezeichnung für Satellitenstaaten, im Kalten Krieg übl.


Mohammedaner, vornehmlich für die Ara- Begriff für kleinere Staaten, die polit. von
ber und seit den Kreuzzügen auch für die einer Großmacht abhängig waren (bes. für
Türken. die von der UdSSR abhängigen Staaten).
Sardinien, ital. Insel im Mittelmeer, urspr. Sato, Eisaku, japan. Politiker, 1901–1975;
von (nichtindogerman.) iber. Sarden besie- seit 1964 Ministerpräsident. S. erreichte
delt, geriet im 6./5. Jh. v. Chr. unter kar- die Normalisierung der japan.-südkorean.
thag. Einfluss (Faktoreien der Karthager), Beziehungen und verlängerte den japan.-
nach dem 1. Pun. Krieg von den Römern amerikan. Sicherheitsvertrag; 1972 Rück-
besetzt; diente unter Tiberius (30 n. Chr.) tritt. 1974 Friedensnobelpreis.
als Verbannungsort für 4 000 Juden; im Satrap, Titel der Statthalter im Perserreich
5. Jh. n. Chr. von den Vandalen vorüber- z. Z. der Achämeniden; der mit großer
gehend erobert, nach dem Sieg Ostroms Machtfülle ausgestattete Titel war auf eine
in Italien 534 in byzant. Besitz, nach kur- Provinz (Satrapie) beschränkt.
zer Sarazenenherrschaft durch gemein- Sauckel, Fritz, dt. Politiker, 1894–1946;
same Aktion der genues. und pisan. Flotte seit 1923 Mitglied der NSDAP, 1927 Gau-
1016 im Machtbereich Pisas; seit 1284 bei leiter von Thüringen, 1932 Ministerpräsi-
Genua und 1326 bei Aragón. Nach dem dent und Innenminister von Thüringen,
Span. Erbfolgekrieg als span. Nebenland 1933 Reichsstatthalter von Thüringen und
1714 an Österreich abgetreten und 1720 Mitglied des Reichstages; seit 1942 wurde
im Austausch mit Sizilien unter gleichzei- S. Generalbevollmächtigter für den Ar-
tiger Verknüpfung mit dem Königstitel an beitseinsatz. Als solcher war S. für die De-
Savoyen (↑ Italien, Osterreich). portation ausländischer Arbeitskräfte nach
Sargon, mesopotam. Könige: 1) S. I. (um Deutschland verantwortlich und wurde
2350–2294 v. Chr.), nach dem Sieg über dafür im Nürnberger Prozess zum Tode
↑ Sumer Begründer der Dynastie von ↑ Ak- verurteilt.
kad, errichtete ein semit. Großreich (von S- Saudi-Arabien, autokratische Monarchie,
Persien bis Syrien und Kleinasien). 2) S. II. fast ganz Arabien umfassendes islam. Kö-
von Assyrien (722–705 v. Chr.); dehnte nigreich mit Lehensverfassung. Als Vor-
den assyr. Herrschaftsbereich nach Syrien, kämpfer der glaubensreformer. ↑ Wahha-
Palästina (Judenverschleppung) und Baby- biten begann Scheich Abdul Aziz I. Ibn
lonien aus; fiel im Kampf um den Iran. Saud (1766–1808) von seiner Hauptstadt
Sarmaten, iran. Reitervolk; Bez. auch für Riad aus mit der Gründung eines innera-
nordeurop. Stämme an Weichsel und Newa, rab. Reiches, das von den Türken besiegt
in der Völkerwanderung untergegangen; wurde; die Fürstenfamilie der Sauds wurde
nach ihnen bezeichnete man das Land zw. auf die Landschaft Nedsch beschränkt; wei-
Weichsel und Wolga als „Sarmatien“. tere Vorstöße waren erfolglos, Nedsch mit
Sasonow, Sergej Dimitrij, russ. Staats- El Riad ging zeitweise an feindliche Noma­
mann, 1860–1927; Außenminister 1910– denstämme verloren; 1902 Rückerobe­rung
1916, bewegte 1914 den Zaren zur Gesamt­ El Riads und des Nedsch durch Abd Al Asis
mobilmachung, liberal eingestellt, setzte Ibn Saud (1880–1953) mit seinen Wahha-
sich für die Selbständigkeit Polens ein und bitenkriegern; in zahlreichen Kämpfen be-
wurde deshalb 1916 entlassen. hauptete sich Ibn Saud, gestützt auf das
Sassaniden, pers. Dynastie im Anschluss arab. Nationalbewusstsein. 1919 Sieg über
an die Dynastie der Arsakiden, gegr. durch Abdullah, den englandfreundl. Fürsten
Ardaschir 226 n. Chr., 641 durch Kalif des küstennahen Hedschas, der alten Zen-
Omar gestürzt (↑ Persien). trallandschaft Arabiens; 1924 Eroberung

819
Saul

Mekkas, 1925 Medinas; 1926 nahm Ibn eine leistungsfähige, vom Erdölsektor un-
Saud den Titel „König der Hedschas, von abhängige Industrie aufgebaut (Petroche-
Nedsch und der abhängigen Gebiete“ an mie, Stahlindustrie). Im Juni 2000 Ab-
und 1932 den Titel „König von Saudi- kommen mit dem Jemen über den Grenz-
Arabien“. 1928/29 Niederschlagung eines verlauf. Um weitere Grenzzwischenfälle zu
Auf­standes der strenggläubigen „Ichwan“, vermeiden, wurde ein 20 km breite entmi-
1934 Bündnis mit der südlichen Küsten- litarisierte Zone eingerichtet. S. bemührt
provinz Yemen, 1945 Mitglied der Arab. sich als eines der führenden Mitglieder der
Liga; nach dem Tod Ibn Sauds Thron- OPEC um eine Stabilisierung der Ölpreise
folge seines Sohnes Saud (geb. 1903); neu- auf dem Weltmarkt.
tralist. Politik, Anlehnung an die USA, Saul, 1. König von Israel, um 1050 v. Chr.;
trotzdem 1961 Kündigung des Abkom- in einer Zeit polit. Not auf Betreiben des
mens über Benutzung von Flugstützpunk- Propheten Samuel eingesetzt, kämpfte mit
ten der USA in S. 1964 Absetzung Sauds wechselndem Glück gegen die Ammoniter
durch seinen Bruder Feisal, der innenpo- und Philister, verfiel nach einer empfindl.
lit. Reformen einleitete. 1975 Ermordung Niederlage durch die Philister in Schwer-
Feisals und Proklamation seines Halbbru- mut und tötete sich selbst (↑ Israel).
ders Chalid zum Nachfolger. Die arab. Po- Savigny, Friedrich Karl von, dt. Jurist,
litik in der Auseinandersetzung mit Israel 1779–1861; 1810 Prof. in Berlin, 1842–
unterstützte S. diplomat. und finanziell bis 48 preuß. Justizminister. Haupt der histor.
1979; danach wegen Israel.-ägypt. Freund- Rechtsschule, in der Romantik wurzelnd,
schaftsvertrag Abbruch der diplomat. Bezie­ betrachtete das Recht, auch das röm., als
hungen zu Ägypten. 1981 legte S. einen hervorgegangen aus dem organ. gewach-
Nahost-Friedensplan vor (Errichtung eines senen Empfinden des Volkes für Sittlich-
palästinens. Staates mit Hauptstadt Jerusa- keit und Ordnung, forderte den Vorrang
lem, Anerkennung des Existenzrechts Isra- der Volksrechte gegenüber dem Recht des
els), der von Israel abgelehnt wurde. 1982 Staates; Verfechter der in den modernen
starb König Chalid, Nachfolger wurde Verfassungen proklamierten allgemeine
Kronprinz Fahd. Der Versuch der Saudis, ↑ Menschenrechte.
in der Bundesrepublik Deutschland Waf- Savonarola, Girolamo, ital. Dominikaner­
fen (u. a. Panzer) zu kaufen, löste Proteste mönch und Bußprediger, 1452–1498;
aus. 1988 Spannungen mit Iran (Abbruch kämpfte gegen die fortschreitende Ver-
diplomat. Beziehungen) wegen des poli­ weltlichung der Kirche während der ital.
zeil. Vorgehens gegen eine Demonstra- Renaissance, verstrickte sich in polit.-theo­
tion von iran. Pilgern (viele Tote) vor der krat. Neuerungsversuche, forderte Abset-
Großen Moschee in Mekka. Im 1. ↑ Golf- zung des Papstes Alexander VI., Einberu-
krieg (1980–88) stand S. auf Seiten des fung eines Konzils. Durchführung der Kir-
Irak, im 2. ↑ Golfkrieg (1990–91) war das chenreformen; wurde exkommuniziert und
Land Verbündeter der USA gegen den Irak nach polit. Umsturz in Florenz von seinen
und stellte den anti-irak. Streitkräften das Gegnern gehenkt und verbrannt.
Land als Aufmarschbasis zur Verfügung. Savoyen, Kernland des ehemals ital. Kö-
Ab Mitte der 90er Jahre erneut zu Grenz- nigtums, urspr. Grafschaft zwischen oberer
streitigkeiten mit Jemen, Anlass vermutete Rhone und Po; in die dem dt. Reich zu-
Erdöllager in den umstrittenen Gebieten. fallende Burgund. Erbschaft 1033 einbezo-
Saudi-Arabien ist mit rund 400 Mio. Ton- gen, erweiterte sich S. im 11. Jh. (Heirats-
nen Rohöl jährlich größter Erdölprodu- vertrag) um Piemont, wurde durch Kaiser
zenten der Welt; mit den Gewinnen wurde Sigmund 1416 zum Herzogtum erhoben

820
Schdanow

und erwarb Nizza; in der Reformations- Juli führten zu einer Inhaftierung bis zum
zeit zw. Spanien und Frankreich aufge- Kriegsende. Nach seinem Freispruch vor
teilt, 1559 wieder als Herzogtum errichtet; dem Internat. Militärgerichtshof in Nürn-
dank der Parteinahme für den dt. Kaiser berg am 30. Sept. 1946 verurteilte ihn eine
im Span. Erbfolgekrieg 1713 Erwerb Sizi- Stuttgarter Entnazifizierungs-Spruchkam-
liens, das 1720 in Vereinbarung mit Öster- mer zu 8 Jahren Arbeitslager (1948 ent-
reich gegen Sardinien eingetauscht wurde lassen). Nach 1950 begann S. eine erfolg-
(seitdem Königreich Sardinien); im Zuge reiche zweite Karriere als Wirtschafts- und
des ital. Freiheitskampfes 1859/60 Verla- Finanzberater von Entwicklungsländern.
gerung des polit. Schwerpunktes auf das Schapur, ↑ Sapor.
sardin. Teilgebiet und Abtretung des Kern- Scharnhorst, Gerhard von, preuß. Gene-
landes S. und Nizzas an Frankreich gegen ral, 1755–1813; verdient um die Wieder-
Eintausch der Lombardei (↑ Italien); seit- erneuerung Preußens nach der Niederlage
her bei Frankreich. von 1807, beseitigte das Vorrecht des Adels
Saxo Grammaticus, altdän. Historiker, auf Offiziersstellen und das entwürdigende
um 1150–1220; seine „Historia Danica“ Werbewesen, setzte die allg. Wehrpflicht
wichtigste Quelle für die Frühgeschichte durch und schuf ein schlagkräftiges Volks-
des nord. Raumes und aufschlussreich für heer durch kurzfristige Ausbildungszeiten
die altnord. Volks- und Heldensage. und Ausnutzung des im Tilsiter Frieden
Schacht, Hjalmar, dt. Finanzpolitiker, zugestandenen Heereskontingents („Krüm-
1877–1970; im Dez. 1923 zum Reichs- persystem“); in der Schlacht von Großgör-
bankpräsidenten ernannt, trug S. entschei­ schen verwundet und daran gestorben.
dend zur Währungsstabilisierung bei. Seit Schasar, Schneur Salman, israel. Politiker,
1924 war er führend an den Verhand- 1889–1974; Mitbegründer der Sozialde-
lungen über die dt. Reparationen betei- mokrat. Partei Mapai und der Gewerk-
ligt und trat 1930 wegen Meinungsver- schaft Histadruth; 1963–1973 Staatspräsi­
schiedenheiten mit der Reichsregierung dent.
im Zusammenhang mit dem ↑ Young-Plan Schastri, Lal Bahadur, indischer Politiker,
zurück; half mit, Hitler in Industrie- und 1904–1966; 1952–63 Minister in der Re-
Finanzkreise einzuführen. Als Reichsbank- gierung Nehru; 1964 Ministerpräsident.
präsident (1933–39), Reichswirtschaftsmi- Schdanow, Andrei Alexandrowitsch, sow-
nister (1935–37) und Generalbevollmäch- jetischer Politiker, 1896–1948; während
tigter für die Kriegswirtschaft (1935–37) des 1. Weltkrieges Eintritt in die SDA-
avancierte S. zur Zentralfigur der nat.-soz. PR (B); nach Ermordung des Leningrader
Aufrüstung, die er mittels des von ihm er- Parteichefs Kirow 1934 dessen Nachfolger;
fundenen Systems der Mefo-Wechsel finan­ enger Vertrauter Stalins, als dessen Nach-
zierte. Der dt. Außenhandel erfuhr unter folger er galt; hatte großen Anteil an den
seiner Regie eine umfassende Reglemen- stalinistischen Säuberungen der 30er Jahre;
tierung, Bilateralisierung und Verlagerung 1934–38 verantwortlich für sowjetischen
(Südosteuropa). Kompetenzstreitigkeiten Bildungsreform; war 1940 an der Sowje-
mit Göring und Kritik am Vierjahres- tisierung der baltischen Staaten beteiligt,
plan führten schließlich zum schrittwei- ebenso 1941–44 an der Verteidigung Le-
sen Rücktritt S.s. Nach seiner Entlassung ningrads gegen die dt. Wehrmacht. S. war
aus dem Amt des Reichsbankpräsidenten Begründer des Konzepts des „Sozialisti­
(1939) war S. noch bis 1943 Reichsminis­ter schen Realismus“, auf das er die sowjeti­
ohne Geschäftsbereich. Lose Kontakte zur schen Künstler festlegen wollte. Ab 1947
Widerstandsbewegung des Zwanzigsten war er Leiter des Kominform.

821
Scheel

Scheel, Walter, dt. Politiker, geh. 1919; rendes Seefahrervolk, das sich erstmals auf
1961–66 Bundesminister für wirtschaft- die offene See wagte (↑ Entdeckungen)
liche Zusammenarbeit, 1968–74 Vorsitzen­ und deren Flotten von den großen Land-
der der FDP, 1969–74 Bundesaußenmini- mächten (Assyrien, Persien) in Dienst ge-
ster, 1974–79 Bundespräsident; seit 1979 nommen wurden; ihr Schiffbau begünstigt
Ehrenvorsitzender seiner Partei. durch das Holz des Libanon; mit Langholz
Scheidemann, Philipp, sozialdemokrat. Bau auf Kiel und Spanten. Ältestes erhal-
Politiker, 1865–1939; Buchdrucker, schon tenes phönik. Schiff aus der Zeit um 1200
früh Mitglied der Sozialdemo­krat. Partei. (Wrack bei Zypern). Ausbildung der bei-
1903 Mitglied des Reichs­tags, 1912 Reichs­ den Grundtypen des Schiffs: 1) des Lang-
tags-Vizepräsident, im Kabinett Max von schiffs, schlank und schnittig, mit Ruder-
Baden 1918 Staatssekretär; nach der Nie- kraft bewegt, für den Seekrieg und Postver-
derlegung seines Amtes rief er am 9. Nov. kehr; 2) des Rundschiffs, breit und kurz,
die Republik aus; Feb. 1919 erster Reichs- unter Segel, für den Frachtverkehr (die
ministerpräsident; lehnte die Unterzeich- Entwicklungslinie des Langschiffes führte
nung des Versailler Vertrages ab, trat nach über die Ruderschiffe der Griechen und
dessen Annahme zurück; 1933 emigriert. Römer, die Wikingerboote, die Galeeren
Schelepin, Alexandr Nikolajewitsch, der ital. Seehandelsrepubliken des MA zu
sowjet. Politiker, geb. 1918; seit 1952 Mit- den Fregatten, Klippern und Vollschiffen
glied des ZK der KPdSU, 1958–1961 Chef der Neuzeit; Beispiele für die Rundschiff-
des KGB, 1964–1975 Mitglied des Polit- typen sind: die Koggen der Hanse, die Ka-
büros, 1962–65 einer der stellvertretenden ravellen der Entdecker, die holländischen
Ministerpräsidenten, 1967–1975 Vorsit- Ostindienfahrer u. a.). – Der Schiffbau der
zender des Allunionszentralrates der sowje- Griechen wurde außer von den Phönikern
tischen Gewerkschaften. auch von Kreta beeinflusst; selbständige
Scherbengericht, ↑ Ostrakismus. griechische Leistung war um 700 v. Chr.
Schifffahrt (Schiffbau); „Erfindung“ des die Erfindung der den bis dahin bekannten
Schiffes (ähnlich der des Ackerbaus) bei Schiffstypen an Schnelligkeit und Be-
den verschiedenen Völkern mythologischen weglichkeit überlegenen, bis 40 m langen
Gestalten zugeschrieben: Gilgamesch bei ­Triere (Dreiruderer, d. h. drei Ruderbänke
den Babyloniern, Pallas Athene bei den nach außenbord gestaffelt übereinan-
Griechen, Odin bei den Germanen. In der); Segel nur zur Aushilfe, Rammsporn;
vorgeschichtlicher Zeit Einbäume, ausge- Höchstgeschwindigkeit etwa 5 Seemeilen,
höhlte Baum­stämme (denen später der Kiel Seetüchtigkeit beschränkt (unterste Ru-
zugefügt wurde), aus Schilf geflochtene derluken dicht über der Wasseroberfläche).
oder aus Fellen zusammengenähte Boote. In den Diadochenreichen Konstruktion
Im Altertum war zunächst Ägypten trotz von Vier-, Fünf- und Mehrruderern (Be-
Holzmangels führend in der S. (zwei Son- zeichnung vermutl. nicht mehr von der
nenbarken des ↑ Cheops 1954 entdeckt; Zahl der Ruderreihen übereinander abge-
bereits im 3. Jt. v. Chr. Seeverkehr nach Pa- leitet, sondern von der erhöhten Zahl der
lästina, Kreta und zur afrikan. Ostküste); Rudermannschaften an einem Riemen; in
Schiffe ohne Kiel und Spanten; Rumpf der den Quellen Vierzigruderer und Schiffe
Seeschiffe durch ein Sprengtau (vom Mast mit 1 600 Ruderern erwähnt). – Im Ent-
über Heck und Bug) gesichert; Pfahlmast scheidungskampf um die Herrschaft im
mit einem großen (viereckigen) Rahsegel; Mittelmeer (Pun. Kriege) waren die Rö-
fest eingehängtes Seitenruder. Seit etwa mer zunächst auf die Flotten ihrer südi-
1500 v. Chr. wurden die ↑ Phöniker füh- tal. Bundesgenossen angewiesen, doch seit

822
Schifffahrt

260 v. Chr. Bau von eigenen Schiffen nach telmeer die plumpe Karacke; Anstoß zur
dem Muster einer gestrandeten karthag. Weiterentwicklung wieder von W-Frank-
Pentere (Fünfruderer); wichtige Neuerung: reich aus, von den Holländern übernom-
Enterbrücke zur Übertragung des Land- men (15. Jh.); Bau von „Kraweelen“ (glatt
kampfes an Bord der feindl. Schiffe (Mög- aufeinanderstoßende Planken) mit drei
lichkeit zum Einsatz der überlegenen röm. Masten; in den folgenden Jahrhunderten
Infanterie); noch während der Pun. Kriege Durchformung des Rumpfes und Durch-
Entwicklung eines neuen Typs: der flinken, bildung der Take­lage (Untergliederung);
zweirudrigen Liburne, mit der Oktavian 1566 Stapellauf des größten Schiffes der
31 v. Chr. bei Aktium siegte. – Unabhän- Hanse: „Adler von Lübeck“, Kriegsschiff
gig vom Schiffbau der Mittelmeervölker mit über 1 000 Mann Besatzung und über
war die Schiffbaukunst der Germanen, ihr 120 Kartaunen und Mörsern, größte Länge
hoher Stand Voraussetzung für die Seeherr- 64 m, 1500 t. In Spanien und Portugal Bau
schaft der Germanen (Goten, Vandalen) von ↑ Karavellen (abgeleitet von Kraweele)
während der Völkerwanderung und für und bes. seetüchtigen Fahrzeugen der Ent-
die kühnen Unternehmungen der Wikin- decker (bis 300 t) und von ↑ Galeonen
ger (↑ Normannen), einreihige Ruderboote mit Riesenaufbauten (Kern der „Großen
(z. B. Nydamboot aus dem 3. Jh. n. Chr., Armada“ Philipps II.). – Im 17. Jh. wa-
Osebergschiff aus dem 9. Jh.) von höchs- ren die Holländer die tüchtigsten und
tens 25 m Länge; „klinker“, d. h. mit über- erfahrensten Schiffsbauer; Entwicklung
lappender Beplankung (statt „kraweel“ wie von zwar kleineren, doch weniger plum-
bei den Mittelmeervölkern) gebaut, künst- pen und besser besegelten, daher schnel-
ler. geschmückt, selbst den Stürmen des leren und wendigeren Typen, darunter
Atlantiks gewachsen; trotz einfacher Bese- die auch anderwärts nachgebaute Fleute,
gelung (Rahsegel) schon Kunst des Kreu- aus der große bewaffnete Ostindienfahrer
zens (gegen den Wind) bekannt; größer als hervorgingen; noch im 17. Jh. Eigenent-
die Wikingerboote die Normannenschiffe wicklung der Konstruktion von Kriegs-
des hohen MA (auch von den Kreuzfahr- schiffen, die ihre Vorläufer in den bes. gut
ern benutzt), durch kastenartige Aufbauten bestückten „Konvoischiffen“ der Kauffahr-
erhöht; gleichzeitig wurde im Norden das teiflotte hatten; geniale Kriegsschiffkon-
Langschiff (endgültig im 13. Jh.) von der strukteure waren auch die Franzosen, die
hans. Kogge als dem zu Handels­zwecken in der schnittigen Fregatte („Schöpfung
bes. geeigneten Typ verdrängt; entwickelt eines klassizist. Geistes“) den Vorläufer des
aus der von W-Europa (über die Friesen) modernen Kreuzers bauten; Rückgrat der
übernommenen Nef, breit und hoch, kurz Kriegsflotten war das hochbordige Lini-
und rund gebaut, Seetüchtigkeit verbun- enschiff mit 2 bis 3 Geschützdecks überei-
den mit (vergleichsweise) großer Lade- nander (entsprechend der Breitseitentak-
fähigkeit (bis 200 t), erster reiner Segel- tik, erstmals von den Engländern gegen
schiffstyp (Ruderschiffe nur noch im Mit- die „Armada“ angewandt). – Vollendung
telmeer weiterentwickelt: ↑ Galeere, Gale- des Segelschiffbaus im 19. Jh. durch die
ote) mit zunächst nur einem Rahsegel; ein amerik. Schnellsegler von bis dahin unbe-
entscheidender Fortschritt ist das Heckru- kannter Leistungsfähigkeit; aus dem 1812
der (statt Seitenruder), dadurch Vorder- im Krieg gegen England bewährten Bal-
und Achterteil nicht mehr gleichförmig; timore-Schoner ging der bis zur letzten
hohe Kastelle (zu Verteidigungszwecken); Möglichkeit der Schnelligkeitssteigerung
Koggentypen von größeren Ausmaßen durchdachte, hochmastige und raffiniert
waren die Hulk (bis 400 t) und im Mit- besegelte „Klipper“ hervor, von den Eng-

823
Schiiten

ländern um die Mitte des 19. Jh. kopiert, den des Terrors der Frz. Revolution Abkehr
z. T. schon aus Eisen konstruiert („Kompo- von dem revolutionären Gedanken und
sitklipper“); besonders im Teefrachtverkehr nach dem Studium Kants Entwicklung zu
nach China eingesetzt („Klipperrennen“ in einer eth. Staatsauffassung, nach der die
etwa 100 Tagen von Ostasien nach Lon- charakterliche Entwicklung des Einzel-
don); Höhepunkt dieser Entwicklung in menschen nur möglich wird durch seine
den dt. Vollschiffen (Fünfmaster, 5 000 t) sittliche Läuterung, die ihn über das Wal-
der Hamburger Reederei Laeisz vor dem ten des Schicksals erhebt.
1. Weltkrieg. Doch sind um diese Zeit die Schilling, 1) während der Völkerwande-
Weltmeere bereits vom ↑ Dampfschiff be- rung Bez. für den oström.-byzantin. ↑ So-
herrscht; Großsegler nur noch zu Ausbil- lidus. 2) Rechnungsmünze in der karoling.
dungszwecken eingesetzt. Münzordnung: 12 Denare = 1 S., 20 S. =
Schiiten (Imaniten), die zweite große Kon- 1 Pfund. 3) seit dem 13. Jh. wurde die
fession des Islam; erkennt im Gegensatz Rech­nungseinheit S. häufig als Geldstück
zu den ↑ Sunniten nur die Nachkommen ausgeprägt, in Österreich Währungseinheit
↑ Alis als Kalifen an (Anhänger der Schia), 1942–2001, in Großbritannien gab es bis
ihre Glaubensrichtung (= Schiismus) seit 1971 den Shilling.
1512 Staatsreligion und Glaubensgrund- Schiltgeld, Abgabe, die im MA in Kriegs-
lage der Itrisiden und Fatimiden in Afrika zeiten oder zu Rüstungszwecken von den
(↑ Islam); die S. schufen sich eine eigene Lehensträgern erhoben wurde; eine Art
Hierarchie und Überlieferungsliteratur. Wehrsteuer.
Die S. haben ca. 50 Mio. Anhänger, bilden Schimonoseki, jap. Hafen an der W-Spitze
in Iran und Irak die Mehrheit und sind in der Insel Hondo; bekannt durch den Frie-
verschiedene Sekten gespalten. Die Rivali- den von S., der nach Abschluss des Chin-
tät zw. S. und Sunniten war ein religions- jap. Krieges 1894/95 Korea die „volle“ Un-
polit. Hintergrund für den ↑ Golfkrieg. abhängigkeit gewährte und die Abtretung
Schill, Ferdinand von, Major der preuß. Formosas an Japan besiegelte.
Husaren, 1776–1809; bewährter Kämpfer Schintoismus, aus der altjap. Naturreligion
in Kolberg, erhob sich 1809 mit seinen Hu- hervorgegangene Volks- und Staatsreligion
saren eigenmächtig gegen Napoleon, nahm (chin.-jap. schinto = Geist, Weg, jap. kami-
Halle, zog sich nach Mecklenburg zurück no-michi = Weg [Dienst] der Götter); als
und fiel in Stralsund im Straßenkampf, Volksreligion Verehrung von Sonne und
über seine elf Offiziere wurde in Wesel das Mond, der Naturkräfte, Berge, Gewässer,
Standgericht verhängt, über seine Soldaten Bäume, später der Ahnen und Helden; ma-
die Galeerenstrafe auf frz. Schiffen. terielle Verkörperung der Gottheit (kami)
Schiller, Friedrich (von), Dichter der dt. in hl. Gegenständen, die in Schreinen ver-
Klassik, 1759–1805; Vorkämpfer für das wahrt werden (Gottheitssitze), vor denen
Ideal der Freiheit in einer neuen sittlichen freistehende Tore (torii) angeordnet sind;
Weltordnung. Nach Vertiefung in die Ge- Verehrungszeremonien durch Opfer, Ge-
schichte und Philosophie und in das Pro- bet, Tänze, Weiheakte, die durch beamtete
blem einer neuen Synthese zw. Natur und Priester (kanuschi) und hl. Tänzerinnen
Kultur (1789 Professur in Jena) entstanden für die Gläubigen vorgenommen werden.
die histor. Abhandlungen: „Geschichte des Der Staats-S. stellt in den Mittelpunkt den
Abfalls der Niederlande“ 1788, „Geschichte von der Sonnengöttin Amaterasu abstam-
des Dreißigjährigen Krieges“ 1791/92 menden Kaiser (↑ Japan), er ist mehr Aus-
(Wallenstein als Vorkämpfer einer moder- druck der nat.-jap. Staats- und Lebensauf-
nen Menschheitsidee); nach Bekanntwer- fassung als Gottesdienst. – Seit der S. mit

824
Schleicher

dem von China über Korea nach Japan ZK, 1962–1971 Ministerpräsident, seit
übertragenen Buddhismus, dessen religi- 1971 Vorsitzender des Staatsrates; 1989
öse Vorstellungen sich mit beiden Aus- entmachtet. 1990 wegen persönlicher Be-
prägungen des S. vermischten (Ryolu-S.), reicherung und Amtsmissbrauch inhaf-
der aber Kaiser- und Ahnenkult, National­ tiert, 1996 in einem Revisionsverfahren
ethos und Heldenverehrung unangetastet freigesprochen.
ließ. In der Neuzeit zunehmende Abkehr Schlabrendorff, Fabian von, deutscher
von der buddhist. Glaubenswelt, bes. im Jurist, 1907–1980; gehörte schon vor der
Staats-S., während der „Sekten-S. „ von ihr „Machtergreifung“ zu den konservativen
beeinflusst blieb. Nach dem 2. Weltkrieg Gegnern Hitlers und des Nationalsozialis-
Verzicht des Kaisers auf seine Göttlichkeit, mus, warb vergeblich in London um Unter­
Aufgabe des S. als offiziellen Staatskult und stützung für den dt. Widerstand; war im
zunächst Säkularisierung des S. auch im Krieg Ordonnanzoffizier ↑ Tresckows und
Volksleben, doch erneute Pflege bes. des beteiligt an den misslungenen Attentaten
Volks-S. bei den zahlreichen Sekten. im März 1943. Nach dem Fehlschlag auch
Schirach, Baldur von, dt. Politiker, 1907– des Staatsstreichs vom 20. Juli 1944 wurde
1974; S. trat als 18-Jähriger in die NSDAP er verhaftet und entging dem Todesurteil
ein und stieg in der Parteihierarchie schnell nur, weil die Verhandlung am 3. Feb. 1945
auf: Ab 1928 leitete er den NS-Studenten- wegen Bombenangriffs abgebrochen wer-
bund und wurde 1931 Reichsjugendführer den musste. S. wurde von amerik. Truppen
der NSDAP. Nach der „Machtergreifung“ aus KZ-Haft befreit und gehörte später in
unterstanden ihm bis 1940 alle auch nicht- der Bundesrepublik zu den angesehensten
nat.-soz. Jugendverbände, die 1936 in der Juristen (1967–75 Richter am Bundesver-
Hitlerjugend aufgingen. 1940–1945 war S. fassungsgericht).
als Gauleiter und Reichsstatthalter in Wien Schlachta, niederer Adelsstand in Polen;
eingesetzt, verlor aber nach einer Auseinan­ bildete vom 14.–18. Jh. die „poln. Nation“
dersetzung mit Hitler über die brutale und hatte in dieser Zeit allein die Staats-
„Endlösungspraxis“ an polit. Einfluss. Die und Landesämter inne.
1946 im Nürnberger Prozess ausgespro- Schlageter, Albert Leo, dt. Offizier, 1894–
chene 20-jährige Haftstrafe verbüßte S. in 1923; im 1. Weltkrieg Freiwilliger (zu-
Berlin-Spandau. letzt Leutnant), 1919–21 Freikorpskämp-
Schisma (griech.), Trennung, Spaltung; fer im Baltikum, bei der Niederschlagung
insbes. die Kirchenspaltung durch Abtren- eines kommunist. Aufstands im Ruhrge-
nung einzelner Gemeinschaften von der biet und in Oberschlesien. Nach Einsetzen
Gesamtkirche; Papst-S.: durch Doppel- des Ruhrkampfes gegen die frz. Besatzung
wahl von Päpsten hervorgerufene, vorüber­ propagierte S. den Übergang vom passiven
gehende Teilung der Gläubigen in verschie­ zum aktiven Widerstand und beteiligte
dene Parteien; vorwiegend Bezeichnung sich an Sabotageakten; von den frz. Behör-
für die Spaltung der Gesamtkirche (Rom den am 8. Mai 1923 zum Tode verurteilt
– Byzanz 1054, ↑ Ostkirche) und die Par- und erschossen. S. wurde von den Rechts-
teienspaltung zw. den Päpsten von Rom parteien, insbes. den Nationalsozialisten,
und Avignon 1378–1417. zum „Märtyrer“ aufgebaut.
Schiwkow, Todor, bulgar. Politiker, 1911– Schleicher, Kurt von, dt. General und Poli­
1998; führendes Mitglied der Partisanen- tiker, 1882–1934 (ermordet); seit 1920
bewegung im 2. Weltkrieg, 1950–54 Se- im Reichswehrministerium, seit 1929 Mi-
kretär des ZK der bulgar. KP, seit 1951 nister. S. unterstützte die Entwicklung
im Politbüro, seit 1954 Erster Sekretär des zum autoritären Staat; er setzte sich für

825
Schlesien

den Sturz des Reichskanzlers H. Müller 1945 Einmarsch der Sowjets in S., Kapitu-
und für die Kanzlerschaft Brünings ein. lation Breslaus 6. Mai 1945. Massenflucht
Als sein Plan der Einbindung der NSDAP der dt. Bevölkerung nach Westen; die Ab-
mit Brüning scheiterte, unterstützte S. trennungen von 1920 wurden 1945 er-
auch dessen Sturz. Als Nachfolger stützte neut verbrieft; die übrigen Gebiete bis zur
S. Kanzler von Papen (ab 1932), war von ↑ Oder-Neiße-Linie kamen nach Auswei-
Juni–Nov. 1932 Reichswehrminister und sung der Deutschen unter poln. Verwal-
ab 3. Dez. 1932 Kanzler. Er versuchte eine tung, der W-Teil S.s zum Land Sachsen.
Koalition aus Gewerkschaften, Zentrum, Schlesische Kriege, die auf unsicheren
Teilen der NSDAP (um Strasser) u. a.; als Rechtsansprüchen gründend von Friedrich
das misslang, trat S. im Jan. 1933 als Kanz- d. Gr. gegen Österreich inszenierten Kriege
ler zurück. lm sog. Röhmputsch (↑ Drittes um Schlesien: 1. Schles. Krieg 1740/42;
Reich) wurde S. 1934 ermordet. löste den ↑ Österr. Erbfolgekrieg aus und
Schlesien, Landschaft im Osten Deutsch- brachte Preußen in den Besitz Schlesiens
lands, benannt nach dem german. Volk der einschließlich der Grafschaft Glatz (Frie-
Silingen, einem Teilstamm der Vandalen, den zu Breslau 1742). – 2. Schles. Krieg
die vor der Völkerwanderung in diesem 1744/45; nach Vordringen der Österrei-
Gebiet gesiedelt hatten; nach ihrem Abzug cher am Rhein zur Entlastung der verbün-
Eindringen der Slawen; Ende des 10. Jh. deten Franzosen eröffnet und nach anfäng-
kam Schlesien unter die Oberherrschaft lichen Misserfolgen und großen Verlusten
der poln. Piasten, 1163 durch Verfügung durch den Sieg von Hohenfriedberg 1745
Barbarossas an eine ihrer Seiten­linien; zugunsten Preußens entschieden; Bestäti-
durch die Förderung der dt. Einwanderung gung des schles. Besitzes im Frieden von
fortschreitende Zersplitterung des Gebie­ Dresden. – 3. Schles. Krieg, ↑ Siebenjähri-
tes in mehrere Herzogtümer, später un- ger Krieg.
ter formeller Oberhoheit des Böhmenkö- Schleswig, Stammland der Kimbern, Am-
nigs ↑ Johann, unter dessen Sohn Karl IV. bronen, Angeln, Jüten und Friesen; im
in Übereinkunft mit Kasimir d. Gr. von frühen MA dän. Gebiet, von König Gott-
Polen Vereinigung mit Böhmen; einzig fried gegen Karl d. Gr. durch Danewerk-
das schles. Jägerndorf kam zu Beginn des Grenzwall gesichert, unter dem dt. Kaiser
16. Jh. durch Kaufvertrag an die hohen- Otto II. 974 erobert und Mark Sliaswig
zollernsche Seitenlinie in Franken, wurde benannt; im Zuge der freundschaftlichen
aber nach Beteiligung am böhm. Aufstand Beziehungen zu Knut d. Gr. (Verlobung
von 1619 vom Kaiser beansprucht; Fried- des Kaisersohnes Heinrich III. mit Knuts
rich d. Gr. erhob 1740 Anspruch auf S. Tochter Gunhild) 1035 durch Konrad II.
und den Schwiebuser Kreis und begann an Dänemark abgetreten; blieb bis 1386
zur Durchsetzung seiner Ansprüche die unter der Herrschaft einer Seitenlinie des
↑ Schles. Kriege, die mit der Abtretung dän. Königshauses und wurde nach deren
(außer Jägerndorf, Troppau und Teschen) Aussterben den dt. Grafen von Holstein
an Preußen endeten; 1919–1938 Teilung aus dem Haus der Schauenburger zu Le-
in ↑ Oberschlesien und Niederschlesien, hen gegeben. (spätere Geschichte ↑ Schles-
1920 aufgrund des Versailler Vertrags Ab- wig-Holstein.)
tretung des Hultschiner Ländchens und Schleswig-Holstein, heute nördlichstes
des Großteils der österr.-schles. Gebiete an Land der Bundesrepublik Deutschland;
die Tschechoslowakei und der Teilgebiete früher preußische Provinz zwischen Ost-
um Kattowitz und Königshütte, des ober- und Nordsee; 1386 erwachsen aus der
schles. Industriegebietes, an Polen; Anfang Grafschaft Holstein und dem Herzogtum

826
SchleswigHolsteinischer Krieg

↑ Schleswig, das dem holsteinischen Herr- Sonderburg-Glücksburg als Thronfolger


scherhaus der Schauenburger von Däne- und als Gesamterbe der Länder in Perso-
mark als Lehen übertragen wurde, die in nalunion, Geldabfindung für den recht-
Realunion verbundenen Gebiete traten mäßigen Erben der Elbherzogtümer S.-
nach dem Erlöschen der Schauenburger H., Herzog Christian von Augustenburg.
im Mannesstamm durch Verfügung der Der Erlass der dän. Verfassung von 1863
Stände 1460 in Personalunion zu Däne- (mit Einschluss Schleswigs) nach dem Tod
mark unter der Bedingung, „up ewig un- Friedrichs VII. war ein Verstoß gegen das
gedeelt“ zu bleiben; im Lauf des 16. Jh. trat Londoner Protokoll; der Sohn des Augus­
die ↑ Gottorper Linie des Königshauses die tenburgers (der nicht in den Verzicht auf
Teilherrschaft in den Herzogtümern an, S. eingeschlossen war) nahm darauf den
verlor jedoch 1720/21 die schleswigschen Herzogtitel an; das Eingreifen Österreich-
Gebietsteile und verzichtete 1733 nach der Preußens führte zum ↑ Schleswig-holstein.
Belehnung mit Oldenburg auch auf Hol- Krieg 1864, der Österreich-Preußen die ge-
stein, erwarb aber nach salischem Gesetz meinsame Herrschaft über die Elbherzog-
bei Erlöschen der Hauptlinie des dän. Kö- tümer brachte, aber auch zum Anlass des
nigshauses in der Augustenburger Neben- ↑ Dt. Krieges von 1866 wurde, der schließ-
linie Erbanspruch auf S.-H.; im Zuge der lich Preußen den alleinigen Besitz S.-H.s
Neuordnung Europas auf dem ↑ Wiener garantierte; im Vollzug des Versailler Ver-
Kongress wurde Holstein als dt. Land dem trages nach Volksabstimmung (1920) Ab-
↑ Dt. Bund angeschlossen, dagegen fand tretung N-Schleswigs an Dänemark. 1949
das gleichfalls dt. Schleswig als ehemaliges bildete die brit. Militärregierung das Land
dän. Lehen keine Aufnahme; die verwi- S.-H., dessen Landesverfassung am 12. Jan.
ckelte Situation verschärfte sich mit der 1950 in Kraft trat.
Thronbesteigung des letzten Angehörigen Schleswig-Holsteinischer Krieg, Auseinan­
des dänischen Herrscherhauses im Mannes- dersetzung zw. Dänemark und Österreich-
stamm (Friedrich VII.), da nach dessen Tod Preußen um den Besitz der Elbherzog-
in Dänemark die weibliche Thronfolge, in tümer, ausgebrochen 1864 nach der Auf-
den Elbherzogtümern aber das ↑ salische lehnung der schleswig-holstein. und dt.
Gesetz, das die weibliche Erbfolge nicht Patrioten gegen die dän. Verfassung von
kannte, zur Geltung kommen musste; 1863; mit den Mitteln der alten Kabinett-
der Zwiespalt förderte die nationale Be- spolitik von Bismarck gesteuert und zur Fes­
wegung in S.-H., verschärfte andererseits tigung der Machtstellung Preußens insze-
die Maßnahmen der Dänen zur Wahrung niert, nachdem Dänemark den Vorschlag
ihres Besitzes (Versuch der Einverleibung Bismarcks (Anerkennung des Glücksbur-
Schleswigs in Dänemark); Folge des dt.- gers in allen Teilen des dän. Reiches, aber
dän. Krieges von 1848–1850, der trotz Zurücknahme der Verfassung von 1863)
anfänglicher Siege auf dt. Seite (Eckern- zurückgewiesen hatte, unter dem Vorwand
förde, Düppeler Schanzen) mit Rück- der Aufrechterhaltung von Ruhe und Ord-
sicht auf die europ. Konstellation (Sym- nung gemäß den Verfügungen des Londo-
pathien Englands für Dänemark) keine ner Protokolls wurde Österreich zur Teil-
entscheiden­de Lösung brachte, ohne Erfolg nahme gezwungen, unter Umgehung der
auch der Schlichtungsversuch Englands in dt. und schleswig-holstein. Volksbewegung
Übereinstimmung mit den Großmächten und der Erbansprüche des Augustenbur-
im Londoner Protokoll 1852. Verzicht Dä- gers; nach der Niederwerfung des dän.
nemarks auf die Einverleibung Schleswigs, Widerstandes (Erstürmung der Düppeler
Anerkennung des Prinzen Christian von Schanzen und Besetzung der Insel Alsen)

827
Schlieffen

wurde im Frieden von Wien der Verzicht Schmalkaldische Artikel, 1536 durch
Dänemarks auf Schleswig-Holstein und Luther im Auftrag Johann Friedrichs von
auf das 1815 vom Wiener Kongress zuge- Sachsen verfasstes Glaubensbekenntnis; be-
sprochene Lauenburg erzwungen; im Ver- tonte im Gegensatz zur Augsburger Konfes-
trag von Gastein (1865) wurde Holstein sion die Unversöhnlichkeit zwischen evan-
Österreich und Schleswig Preußen zuge- gelischen und katholischen Standpunkten,
teilt, Lauenburg durch Geldentschädigung bes. in der Abendmahlslehre.
für Preußen erworben; Entzweiung zwi- Schmalkaldischer Bund, Koalition protes­
schen Österreich und Preußen in der Frage tant. Fürsten und Städte zur rechtl. (gege-
des Austausches Holsteins gegen die schles. benenfalls auch kämpfer.) Behauptung des
Grafschaft Glatz oder gegen Beihilfe bei in den ↑ Schmalkald. Artikeln festgelegten
der Durchsetzung österr. Ansprüche gegen Standpunktes (vor dem Reichskammerge-
Italien (Austausch von Preußen abgelehnt, richt und dem Reichstag) und zur Ausbrei-
Geheimbündnis mit Italien angebahnt); tung des Luthertums, vertreten durch ei-
der Konflikt führte zum Eintreten Öster- nen eigenen Bundestag (1531); der Bund
reichs für den Augustenburger und zum kam den Verständigungsversuchen des Kai-
Ausbau Kiels als Kriegshafen durch Preu- sers nicht entgegen, konnte sich über die
ßen; Österreich rief die Entscheidung des Art des verheißenen Konzils mit dem Kai-
Dt. Bundes an, Preußen erklärte die Beru- ser nicht einigen, geriet in scharfe Ausei-
fung als Verstoß gegen den Gasteiner Ver- nandersetzung mit dem Reich durch seine
trag, annektierte Holstein und trat aus dem Stellungnahme für den zum Protestantis­
Dt. Bund aus; die österr.-preuß. Auseinan- mus übergetretenen Kölner Erzbischof Her­
dersetzung erfolgte im ↑ Dt. Krieg 1866. mann von Wied; Kriegsvorbereitungen auf
Schlieffen, Alfred Graf von, preuß. Feld- beiden Seiten führten zum ↑ Schmalkald.
marschall, 1833–1913; Generalstabschef Krieg, nach dessen Beendigung sich der
1891–1905, arbeitete den S.-Plan für den Bund 1547 auflöste.
Fall eines Zweifrontenkrieges aus: Verteidi- Schmalkaldischer Krieg, 1546–1547,
gung im Osten, Offensive im Westen, die Kampf der altkirchlich-kaiserlichen Par-
nach dem Vorbild von ↑ Cannae die frz. tei gegen die neukirchlich-territoriale; be-
Front durch den Frontalangriff des verstärk­ gann nach dem Übertritt ↑ Moritz’ von
ten rechten Flügels über Belgien umfassen Sachsen zum Kaiser und den Achtspruch
und zur Kapitulation bringen sollte; der über den Kurfürsten von Sachsen und den
Plan wurde von seinen Nachfolgern nur Landgrafen von Hessen, der Krieg wurde
z. T. befolgt und durchgeführt (dadurch um die reichsgesetzliche Anerkennung der
Scheitern der Marneschlacht Sept. 1914). protestantischen Unabhängigkeit von Rom
Schliemann, Heinrich, dt. Altertumsfor- geführt; nach der Spaltung der protestant.
scher, 1822–1890; erwarb als Kaufmann Streitkräfte (Behauptung Johann Fried-
und Kriegslieferant ein Vermögen, das die richs von Sachsen und Philipps von Hessen
Erforschung und Ausgrabung bed. Stätten gegen den in ihre Länder eingebrochenen
des Altertums ermöglichte; verdient um Moritz von Sachsen) kam es zu Sonderver-
die Erschließung der Kulturen von ↑ Troja, trägen des Kaisers mit den Städten und zur
↑ Mykene, ↑ Tiryns, Orchomenos, Ithaka; Gefangennahme Johann Friedrichs (nach
bestätigte den his­tor. Hintergrund der ho- der Niederlage bei Mühlberg 1547) und
mer. Gesänge, erweiterte die Kenntnis der Philipps; Auflösung des Bundes, Interims-
griech. und abendländ. Frühgeschichte um religion, dann Belehnung der Albertiner
mehr als ein Jt. (trotz grober Irrtümer in (Moritz von Sachsen) mit der Kurwürde
der Deutung der Ausgrabungsergebnisse). ↑ Sachsens.

828
Schönborn

Schmid, Carlo, dt. Staatsmann, 1896– zu erfassen, Verknüpfung des Geglaubten


1979; als Mitglied des Parlamentarischen mit dem Gewussten, Bestreben, die Theo­
Rates maßgeblich an der Ausarbeitung des logie durch philosophische Erkenntnisse
Grund­gesetzes beteiligt, 1949–1972 Mit- lo­gisch zu begründen und zu unterbauen;
glied des Bundestages, dessen Vizepräsi- die Scholastiker überbrückten in ihren Un-
dent er 1949–1966 und 1969–1972 war. tersuchungen und Lehrmeinungen den
1966–69 Bundesminister für Angelegen- anscheinenden Widerspruch zwischen der
heiten des Bundesrates und der Länder, christlichen Offenbarung und den Geset-
seit Nov. 1969 Koordinator für die dt.-frz. zen der Vernunft; sie stützten sich dabei
Zusammenarbeit. auf die Werke der Neuplatoniker und spä-
Schmidt, Helmut, dt. Politiker, geb. 1918; ter besonders auf ↑ Aristoteles. Die Blü-
1961–65 Innensenator in Hamburg, MdB tezeit der S. lag im 11.-14. Jh., als seine
1953–1962 und 1965–1987; 1967–69 wichtigsten Richtungen entwickelten sich
Vorsitzender der Bundestagsfraktion der ↑ Nominalismus und ↑ Realismus; bedeu­
SPD, 1969–1972 Verteidigungsminister, tendster Vertreter der S. ↑ Thomas von
1972–74 Wirtschafts- und Finanzminister, Aquin; Ende der S. durch Wilhelm von
seit 1974 Bundeskanzler; 1982 durch Kon- Ockham: Glaube ist nur eine Form der Er-
struktives Misstrauensvotum gestürzt. Seit kenntnis der Wahrheit, Wissen die andere.
1983 Mitherausgeber der Wochenzeitung Scholl, Geschwister Hans (1918–1943)
„Die Zeit“. und Sophie (1921–1943 ), dt. Widerstands­
Schnurkeramik, vorgeschichtlicher Kultur­ kämpfer; Mitglieder des studentischen Wi-
kreis der ↑ Jungsteinzeit, mit Schnüren ein- derstandskreises ↑ Weiße Rose, wurden
gedrückte Tongefäßverzierung, verbreitete beim Verteilen von Anti-NS-Flugblättern
sich aus dem mitteldt. Raum nach SO. verhaftet, anschließend zum Tode verur-
Schöffen (aus ahdt. skephen, schaffen), teilt und hingerichtet.
die Beisitzer der dt. Volksgerichte des MA, Schönborn, rheinisches Adelsgeschlecht
schon in der Gerichtsverfassung des ausge- (Stammhaus an der Lahn), mit österreichi­
henden 8. Jh. wesentliche Träger der Ur- scher und bayerischer Linie: 1) S., Johann
teilsfindung im echten (regelmäßig wieder­ Philipp, 1605–1673; Erzbischof und Kur-
kehrenden) Ding (mit feststehenden Termi­ fürst von Mainz, Fürstbischof von Würz-
nen und Versammlung der gesamten Sied- burg; Wiederaufbau des im 30-jährigen
lungsgemeinde), in ihrem Urteil an das Krieg verarmten Hochstifts Würzburg,
Voll­wort (Zustimmung der anwesenden Abschaffung der Hexenprozesse, Grün-
Ge­richtsgemeinde, die durch Waffenschlag dung der Rhein. Allianz (↑ Rheinbund
erfolgte) gebunden, im gebotenen (außer- 1658); an seinem Hof wirkte ↑ Leibniz.
ordentlichen) Ding (geleitet vom Zente- 2) S., Johann Philipp Franz, 1673–1724;
nar nach Einberufung bestimmter Entbo- Bischof von Würzburg, Beginn des Würz-
tener) mit dem Recht der ausschließlichen burger Schlossbaus. 3) S., Friedrich Karl,
Urteilsfindung ausgestattet; die S. wurden 1674–1746; Reichskanzler, Bischof von
mit der Verbreitung des röm. Rechts im Bamberg und Würzburg, vollendete das
späten MA in ihrer Bedeutung weitgehend Würzburger Schloss und das Schönborn-
eingeschränkt. Palais in Wien. – Bedeutende Vertreter des
Scholastik (von lat. scholasticus, schulmä- Geschlechts Damian Hugo Philipp, 1676–
ßig, auch Schulmann, Gelehrter), die Phi- 1743, Kardinal, Fürstbischof von Speyer
losophie des MA, die sich bemühte, das der (Bau des Bruchsaler Schlosses); Friedrich,
kirchlichen Autorität Geglaubte so weit wie 1841–1907, österreichischer Justizminister
möglich mit der Vernunft – per rationem – und Rechtswissenschaftler.

829
Schönbrunn

Schönbrunn, ehemaliges kaiserliches Lust- nach England (1568) behaupten konnte


schloss mit Park, in dem der „Schöne und mit Jakob I. 1603 auch die Herrschaft
Brunnen“ steht, dem das Schloss seinen in England antrat, seitdem S. in Personal­
Namen verdankt; S. wurde unter Kaiser union mit England vereinigt, aber erst
Leopold I. nach Plänen des Baumeisters Fi- nach langen Kämpfen um parlamentar.
scher von Erlach begonnen und unter Ma- Gleichberechtigung (↑ Karl I., Cromwell)
ria Theresia zum Rokokoschloss ausgebaut; 1707 durch Verschmelzung der beiden Par-
1805 und 1809 Hauptquartier Napole- lamente endgültig mit England zu ↑ Groß-
ons. Im Dez. 1805 wurde in S. der Friede britannien zusammengeschlossen. Dieser
von Preßburg bestätigt und im Okt. 1809 Zusammenschluss hatte jedoch nicht das
der Wiener Friede, auch Friede von S. ge- schott. nat. Selbstbewusstsein aufheben
nannt, zw. Frankreich und Österreich ge- können; Autonomiebestrebungen sind bis
schlossen; Österreich verzichtete auf seine heute wirksam. Ein Gesetzentwurf über
adriat. Küste, auf Salzburg und Galizien. Dezentralisierung („devolution“) schei-
Schottische Kirche, ↑ Presbyterianer. terte 1979 in einer Volksabstimmung.
Schottland, englisch Scotland, nördl. Teil 1997 entschieden sich die schott. Wähler
Großbritanniens, seit etwa 400 v. Chr. von in einer Volksabstimmung für ein eigenes
kelt. Pikten bewohnt, in der röm. Kai- Regionalparlament mit Sitz in Edinburgh
serzeit vom ↑ Piktenwall (durch Hadrian (ab 2000), dessen Befugnisse sich auf In-
122 n. Chr. angelegt) durchzogen und auf- nenpolitik beschränken, Außen-, Sicher-
geteilt; seit 250 n. Chr. Kampf gegen die heits- und Wirtschaftspolitik weiterhin
Römerherrschaft, der um 400 n. Chr. zum von London. Die schott. Nationalisten se-
Abzug der Legionen (auf Veranlassung Sti- hen in einem eig. Parlament einen ersten
lichos) führte, wenig später im Süden von Schritt zur völligen Unabhängigkeit.
den ir. Scoti und dann von den sächs. An- Schrift, bewahrende Wiedergabe des Ge-
geln besetzt; seit dem 6. Jh. breitete sich das sprochenen, Gedachten oder Erfahrenen
Christentum (Columban d. Ä.) aus; Pikten in sichtbaren Zeichen; Ursprung und Er-
und Skoten vereinigten sich, gründeten findung bereits in ältester Zeit, damit
ein Königreich, das sie nach Unterwer- verknüpft der Übergang von der schrift-
fung der Angeln (1018) „Scotia“ nannten; und geschichtslosen zur eigentlich ge-
seit dem 11. Jh. anglo-normann. Einflüsse; schichtl. Zeit; Vorläufer der S. vielleicht
nach dem Aussterben des heim. Herrscher- die Höhlen­malerei der Vorzeit, deren oft
hauses (1286) stritten zwei Adelsfamilien abstrahierende Gegenstandsdarstellungen
(Balliol und Bruce) um die Herrschaft: und Gesche­hens­schilderungen fast bilder-
1314 schlug Robert Bruce bei Bannock- schriftlich wurden; zu den ältesten echten
burn König Eduard II. von England (ver- Schriften zählen die sumer. ↑ Keilschrift
nichtende Niederlage des englischen Rei- (urspr. bildhafte Wiedergabe von Worten,
terheeres und seiner Bogenschützen durch Silben und Sätzen) und die ägypt. ↑ Hie-
die schott. „Schiltrons“, schwerbewaffnete roglyphen; mit der altsemit. Lautschrift
massierte Schildtruppen); die Unabhängig- (um 1200 v. Chr.) Entwicklung eines Laut-
keit S.s wurde 1328 anerkannt, seit 1371 Alphabets und seine Ausbildung in der se-
(Robert II., Enkel Robert Bruces und Sohn mit., pers. und ind. Schrift einerseits und
des Walter Stuart) wurde S. vom Haus der griech. Schrift (über Kreta) anderer-
Stuart beherrscht, das sich trotz fortwäh- seits; bei der Bedeutung Griechenlands als
render Auflehnung des Hochadels, Ein- des Kulturmittelpunktes der westl. Welt
führung der Presbyterialverfassung (durch in der Antike Einfluss auch auf die S. des
John ↑ Knox) und Flucht Maria Stuarts Abendlandes: die lat., got. (↑ Wulfila) und

830
Schulze-Boysen

slaw. (↑ Cyrillus) S.; die ihnen allen eigene der sowjet. Landstreitkräfte; Befehlshaber
Rechtsläufigkeit hatte sich schon frühzeitig im Mili­tärbezirk Odessa; von Feb. 1955 bis
in der griech. S. gegen die urspr. Linksläu- Okt. 1957 Verteidigungsminister; danach
figkeit durchgesetzt; aus etrusk., lat. oder aller Ämter enthoben.
griech. Schriftformen entwickelten sich Schuldhaft, Personalarrest bei Nichterfül-
vermutl. die ↑ Runen; aus der lat. bildete lung finanz. Verpflichtungen, entwickelte
sich in der Schreibschule Alkuins am Hof sich im Hoch-MA als abgemilderte Form
Karls d. Gr. schließlich die karoling. Mi- der röm. und dt. ↑ Schuldknechtschaft und
nuskel-S. (große und kleine lat. Buchsta- war in allen europ. Staaten bis zur zweiten
ben, die kleinen in gerundeter Kursiv-, Hälfte des 19. Jh. gesetzlich festgelegt; in
nicht Majuskelform, und mit Ober- und Deutschland 1868 aufgehoben.
Unterlängen), auf die die heutigen europ. Schuldknechtschaft, im Altertum bei
S.en zurückzuführen sind; seit dem 13. Jh. Griechen, Römern und Germanen übliche
Übergang von der gerundeten zur gebro- Strafe für Versäumnis der Rückerstattung
chenen (Fraktur-)Form der Buchstaben. von Schulden, sprach dem Gläubiger das
Die S. des 15. Jh. bildete die Grundlage zu volle Verfügungsrecht über den Schuldner
den gebräuchlichsten modernen Druck- (Verknechtung) zu; in Athen durch ↑ Solon
typen (↑ Phöniker). und in Rom durch das ↑ Corpus Juris be-
Schubart, Christian Friedrich Daniel, seitigt, im Hoch-MA durch die ↑ Schuld-
schwäbischer Lyriker, Musiker und polit. haft ersetzt.
Schriftsteller, 1739–1791; Vertreter des Schulenburg, 1) S., Johann Matthias
Sturm und Drang, bekämpfte scharf den Reichsgraf von der, Feldmarschall, 1661–
fürstlichen Absolutismus, erhielt von Her- 1747; kämpfte im Dienst Augusts des
zog Karl Eugen von Württemberg 1777– Starken unglücklich gegen Karl XII. von
1787 Festungshaft; beeinflusste den jungen Schweden, seit 1715 in Diensten der Re-
Schiller. publik Venedig, für die er 1716 die Insel
Schuiski, Wassili Iwanowitsch, russ. Zar Korfu heldenhaft gegen die Türken ver-
(1606–1610) in der „Zeit der Wirren“ teidigte. 2) S., Friedrich Werner Graf von
(vor der Wahl des ersten Romanow); Ver- der, dt. Diplomat. 1875–1944; 1934 bis
treter des Bojarenadels gegen den Empor- 1941 Botschafter in Moskau, bereitete den
kömmling Boris Godunow, begünstigte Dt.-Sowjet. Nichtangriffspakt von 1939
den ersten falschen ↑ Demetrius und be- vor; versuchte vergebens, den Krieg gegen
trieb dann dessen Sturz, um selbst Zar zu die Sowjetunion zu verhindern, nach dem
werden; unfähig und machtlos gegen die 20. Juli 1944 gehenkt.
soziale Revolution wie gegen die äußeren Schultheiß (ahdt. sculdheizo, Einheischer,
Feinde; nach dem Sieg der Polen zur Ab- Einforderer der Schuld, Vollstreckungsbe-
dankung gezwungen und ins Kloster ver- amter), im 9. Jh. der gewählte Vorsitzende
bannt. des unteren Volksgerichts, anfangs dem
Schukow, Georgi Konstantinowitsch, Grafen unterstehend; später ein von König
sowjetischer Marschall, 1896–1974; bei oder Fürst eingesetzter Beamter zur Ver-
Beginn des 2. Weltkrieges Oberbefehlsha- waltung einer Gemeinde, schließl. der von
ber einer Armeegruppe am Chalchin-Gol. der Gemeinde gewählte und ernannte Bür-
1940–1945 wechselnde Oberbefehlsha- germeister (Kurzform: Schulz, Schulze).
berposten; zog als OB der 1. Weißrus- Schulze-Boysen, Harro, dt. Offizier und
sischen Front (= Heeresgruppe) in Berlin Widerstandskämpfer, 1909–1942; leitete
ein; Juni 1945–April 1946 OB der Hee- 1932/33 als Journalist die linksliberale
resgruppe Deutschland, anschließend kurz Zeitschrift „Der Gegner“ und bekam durch

831
Schulze-Delitzsch

familäre Beziehungen seiner Frau Libertas Plan zur Zusammenfassung der Kohle-
(1913–1942) zu Göring eine Stelle in der und Stahlproduktion der Bundesrepublik,
Nachrichtenabteilung des Reichsluftfahrt- Frankreichs, Italiens und der ↑ Benelux-
ministeriums. Seit 1935 sammelte der par- länder (↑ Montanunion, Europäische Ge-
teilose S. Gegner des ­ Nationalsozialismus meinschaften).
um sich, Journalisten, Künstler, auch kom- Schurz, Karl, dt.-amerik. Politiker, 1829–
munist. Arbeiter, verteilte illegale Publika- 1906; nahm 1849 am Aufstand in Baden
tionen u. a.; 1939 schloss er sich mit der teil, zum Tode verurteilt, entkam in die
Widerstandsgruppe von A. Harnack zus. In Schweiz, befreite unter falschem Namen
dieser, von der Gestapo als „Rote Kapelle“ 1850 seinen Freund Kinkel aus dem Span-
bezeichneten Gruppe besorgte S. dank sei- dauer Kerker, emigrierte nach den USA;
ner Schlüsselstellung im Luftfahrtministe- machte sich um die Wahl Lincolns zum
rium kriegswichtige Informationen, die er Präsidenten verdient, kämpfte im Sezes­
(seit 1941 in ständigem Kontakt) an die sionskrieg als General gegen die Südstaaten
UdSSR weitergab. 1942 wurde S. zus. mit und bekämpfte die Korruption unter der
anderen aktiven Mitgliedern der Ro­ten Ka- Präsidentschaft Grants, 1877–1881 Staats-
pelle verhaftet und zum Tode verurteilt. sekretär des Inneren unter Hayes, bedeu-
Schulze-Delitzsch, Hermann, dt. Politiker tendster Vertreter des dt. Elements in den
und Volkswirt, Gründer des dt. ↑ Genos- USA im 19. Jh.
senschaftswesens für das Handwerk, 1808– Schuschnigg, Kurt von, 1897–1977; letz-
1883; Abgeordneter der Fortschrittspartei, ter Bundeskanzler Österreichs vor dem An-
forderte Lösung der sozialen Frage durch schluss 1938; 1927 Abgeordneter im Na-
Selbsthilfe statt Staatshilfe; gründete 1850 tionalrat, 1932 Justizminister, 1934 Bun-
den ersten Vorschussverein. deskanzler als Nachfolger des ermorde­ten
Schumacher, 1) S., Kurt, deutscher Politi- ↑ Dollfuß, versuchte wie dieser die Selb-
ker, 1895–1952; 1918 Mitglied des Berli- ständigkeit Österreichs gegen die Natio-
ner Arbeiter- und Bauernrats; 1924–1931 nalsozialisten zu wahren, die, von Hitler
Mitglied des Landtages in Württemberg; unterstützt, die Macht in Österreich und
1930–33 Mitglied des Reichstages; be- den Anschluss an Deutschland forderten;
kämpfte als Sozialdemokrat die NSDAP, 1938 durch Hitler gestürzt und bis 1945
1933–1943 und 1944 KZ-Haft; nach im Konzentrationslager, 1948–67 Prof. in
1945 Gegner einer Vereinigung von SPD den USA, danach Rückkehr nach Öster-
und KPD; 1946 SPD-Vorsitzender, seit reich (↑ Österreich).
1949 Oppositionsführer im Bundestag; Schutzstaffel der NSDAP (SS), Elite- und
schärfster Kritiker der Westintegrations- Terrororganisation des ↑ Nationalsozialis­
politik Bundeskanzler ↑ Adenauers. 2) S., mus; 1925 als Parteipolizei gegründet (Vor­
Peter, Graf von Greifenfeld, dän. Staats- läufer der „Stoßtrupp Adolf Hitler“ und die
mann, 1635–1699; bürgerlicher Herkunft, „Stabs­wache“). H. ↑ Himmler übernahm
verfasste für König Friedrich III. die Lex 1929 die Führung der 280 Mann starken
Regis und versuchte als Großkanzler, den Truppe und schuf aus ihr binnen kurzem
Absolutismus nach dem Muster Richelieus einen bizarren Männerorden mit schwar-
durchzubilden; deshalb und als Empor- zer Uniform, altgerman. Symbolik (Sig-
kömmling beim Adel verhasst, des Hoch- Runen), rigorosen Auslesekriterien (Min-
verrats angeklagt, zum Tod verurteilt und destgröße 1,80 m, Ariernachweis bis 1750)
zu (lebenslänglichem) Kerker begnadigt. und blinder Ergebenheit gegenüber Hitler
Schuman-Plan, nach dem frz. Politiker (Wahlspruch: „Meine Ehre heißt Treue“).
Robert Schuman (1886–1963) benannter Es bildeten sich 1937 der Sicherheitsdienst

832
Schutzzoll

(SD), 1933 die „Leibstandarte Adolf Hit- Schutz und Schirm, im MA Bez. für die
ler“, SS-Totenkopfverbände (für die Kon- Verpflichtung des Grundherrn zur Hilfe-
zentrationslager) sowie Junkerschulen für leis­tung gegenüber den von ihm Abhän-
den Führungsnachwuchs. Die Beseitigung gigen in Gericht und Fehde.
Röhms und damit das Zurückdrängen der Schutzverwandte, Beisassen, Schutzbür-
rivalisierenden SA gaben der SS die Mög- ger, in Deutschland teilweise bis Anfang
lichkeit, sich in weitere Bereiche auszudeh- des 20. Jh. gebräuchliche Bez. für die Ein-
nen; 12 SS-Hauptämter (darunter Reichs- wohner, die nicht das volle Bürgerrecht
sicherheitshauptamt, Rasse- und Siedlungs­ besaßen, aber den Schutz des Aufenthalts-
hauptamt, Wirtschafts-Verwaltungshaupt- staates genossen.
amt) ga­rantierten eine wirksame Verschmel- Schutzzoll, diente gegenüber dem frü-
zung von Partei und Staat und den Aufstieg her allein gebräuchlichen Finanzzoll, der
der SS zur hauptsächl. Staatsschutztruppe der Staatskasse Einkünfte verschaffte, dem
des nat.-soz. Herrschaftssystems (Mitglie- Schutz, der Protektion der inländischen
derstand 1933: 53 000 Mann). Die Ver- gewerblichen oder landwirtsch. Erzeu-
selbständigung wurde während des Krieges gung gegen überlegene Auslandskonkur-
weiter gefördert durch die Errichtung einer renz, deren Einfuhren durch zweckent-
eigenen „SS- und Polizeigerichtsbarkeit“, sprechend gestaffelte Zolltarife verteuert
die Einverleibung aller Beamten von Ge- wurden; in der Stadtwirtschaft des MA
stapo und Kripo in die SS und die Ernen- dienten die Reglements der Zünfte und
nung Himmlers zum „Reichskommissar Gilden prakt. dem gleichen Zweck wie S.;
für die Festigung des dt. Volkstums“, wo- die Zoll­politik des ↑ Merkantilismus war
durch die SS den gesamten Komplex von zunächst noch von fiskal. Erwägungen be-
Deportationen, Umsiedlungen und „Ein- stimmt, verfolgte daneben aber auch schon
deutschungen“ im Osten in die Hand be- schutzzöllner. Ziele; der ↑ Freihandel, um
kam, einschließlich der Judenvernichtung. die Mitte des 19. Jh. fast unumschränkt,
In den wirtschaftlichen Unternehmen der verwarf jede Art von Zoll, vor allem den
SS (zumeist an den Arbeitseinsatz von KZ- S. als den gröbsten Verstoß gegen das freie
Häftlingen geknüpft) und im raschen Aus- Spiel der Kräfte auch in den zwischenstaat-
bau der ↑ Waffen-SS zeigten sich bereits die lichen Handelsbeziehungen; im 19. Jh. S.
Konturen eines Herrschaftsapparates, der von Friedrich ↑ List als „Erziehungszölle“
darauf aus war, die herkömmlichen staat- für die junge dt. Industrie gefordert, bis sie
lichen und polit. Gewalten zu überflügeln. den Vorsprung des Auslands, bes. Großbri-
Abstrus dagegen Ideologie, Zere­moniell, tanniens, aufgeholt habe; in der 2. Hälfte
Lebensgestaltung des „Ordens unter dem des 19. Jh. gingen alle Großmächte (mit
Totenkopf“, in dem germanische Bräuche Ausnahme Großbritanniens) im Rahmen
wie Julfeste gepflegt wurden, Zeugungs- des sog. Neu-Merkantilismus zum Schutz-
befehle an die Mitglieder ergingen und system über; die wechselseitige Schädigung
im Forschungsamt „Ahnenerbe“ Expediti- der auf Export angewiesenen Wirtschafts-
onen zu den Mönchen in Tibet ausgerüs­ zweige führte zu Zollkriegen mit „Kampf-
tet wurden. Im Urteil des Nürnberger Ge- zöllen“; in Deutschland verband Bismarck
richtshofes vom 1. Okt. 1946 wurde die SS den Übergang zum S.-System (1879) mit
zur verbrecheri­schen Organisation erklärt, dem Plan einer umfassenden Reichsfi-
in verschiede­nen Nachfolgeprozessen, so nanzreform (Unabhängigkeit des Reichs
dem Einsatzgruppen- oder dem Rasse- und von den Matrikularbeiträgen der Einzel-
Siedlungshauptamt-Prozess, kamen die un- staaten), was jedoch nur teilweise gelang
geheuerl. Verbrechen ans Licht. (Widerstand der Föderalisten); die 1879

833
Schwaben

gegen den heftigen Widerstand der frei- die Aufsplitterung in viele reichsunmittel-
händler.Kreise angenommene S.-Vorlage, bare Territorien blieb bis ins 19. Jh. beste-
für die die „Schlotbarone“ (Eisenindustri- hen (↑ Württemberg, Baden).
elle) und „Krautjunker“ (Großgrundbesit- Schwabenspiegel (süddt.), „Kaiserliches
zer) gemeinsam eingetreten waren, wurde Land- und Lehnsrechtsbuch“, wahrschein-
bis zum 1. Weltkrieg mehrfach revidiert; lich um 1275 von einem Augsburger Kle-
innenpolitisches Streitobjekt war bes. die riker in enger Anlehnung an den ↑ Sach-
vom „Bund der Landwirte“ geforderte senspiegel verfasst; schöpfte auch aus dem
weitgehende Erhöhung der Agrarzölle; alemann. und bayer. Volksrecht und der
Hauptleidtragender der dt. S.-Politik war Enzyklopädie des ↑ Isidor von Sevilla; gül-
Russland (Getreideexport). tig in Süddeutschland, in der Schweiz und
Schwaben, 1) von den Sueben (↑ Semno- in Österreich als „Gemeines Recht“; in
nen) stammender südwestdt. Volksstamm fremde Sprachen übersetzt und weit ver-
der ↑ Alemannen. 2) Dt. Herzogtum, das breitet; erst durch das ↑ Röm. Recht mehr
Gebiet zw. Schweizer Alpen, Vogesen, und mehr verdrängt.
Oberrhein, Neckar, Donau-Lech umfas- Schwäbischer Bund, 1488 durch Verei-
send, urspr. von Kelten besiedelt, zur Rö- nigung der schwäb. Fürsten, Ritter und
merzeit Teilgebiet Rätiens, im 3./4. Jh. Städte – bei gleichzeitiger Überwindung
von den suebischen Alemannen erobert, der bisherigen Gegensätze – errichtet zur
die nach dem Tod des Aetius Elsass, Pfalz Wahrung der inneren Ordnung und des
und Schweiz besetzten. S. bewahrte sich Landfriedens, weitete seinen Einflussbe-
trotz der Niederlage der Alemannen gegen reich bis zum Obermain und Mittelrhein
Chlodwig 496 (bei Zülpich?) weitgehende aus, erwirkte nicht zuletzt das Zugeständnis
Unabhängigkeit von den Franken unter ei- der Reichsstandschaft an die Reichsstädte
genen Herzögen (Frühgeschichte noch we- (1489 durch den Reichstag), stellte seine
nig erschlossen); 744 Herzogtum von den Heereskontingente (unter Truchseß von
Karolingern aufgehoben, durch Graf Bur- Waldburg) zur Niederwerfung der Bauern-
khard um 918 erneuert, widerstand Kon- aufstände (↑ Bauernkriege) zur Verfügung;
rad I., unterwarf sich 919 Heinrich I. und löste sich durch konfessionelle Spaltungen
stand in der Folgezeit unter der Herrschaft in den eigenen Reihen (im Zuge der Refor-
von Verwandten der sächs. und sal. Kai- mation) 1534 auf.
ser; Heinrich IV. setzte 1079 mit seinem Schwäbischer Städtebund, Bündnis
Schwiegersohn Friedrich die Staufer als der schwäb. Städte zur Wahrung von Be-
Herzöge ein, die bis zum Tod Konradins sitz und Recht, 1376 zu Ulm geschlos-
(1268) das Herzogtum innehatten; später sen, nachdem Karl IV. mehrere Reichs-
zerfiel S. in kleine reichsunmittelbare Ter- städte an Fürsten verliehen hatte; richtete
ritorien geistlicher und weltlicher Fürsten sich hauptsächlich gegen den ränkevollen
und in Städte, die vom Wegfall der starken württemberg. Grafen ↑ Eberhard den Grei-
Herzoggewalt Nutzen zogen, gegen das ner, besiegte dessen Sohn Ulrich 1377 bei
Bestreben der Mächtigeren (Habsburger, Reutlingen, fand Anerkennung bei König
Württemberger Herzöge), sich auf Kos­ Wenzel; wurde 1388 bei Döffingen von
ten der Kleinen zu vergrößern, schlossen Eberhard besiegt und büßte die vorüberge-
sich die kleineren Territorialherren 1367 hende Machtstellung ein.
im Schleglerbund und die Städte 1376 im Schwarzenberg, Felix Fürst zu, österr.
↑ Schwäbische Städtebund zusammen; zur Politiker, 1800–1852; seit 1848 Minister-
Wahrung des Landfriedens wurde 1488 präsident als Nachfolger ↑ Metternichs,
der große ↑ Schwäbische Bund geschaffen; erstrebte einen großösterr. Zentralstaat,

834
Schweden

um das Auseinanderfallen des Reiches zu das mächtige Dänemark (1361 ging Got-
verhindern und die neuabsolutist. Kaiser- land verloren nach vorhergegangener Lan-
dynastie zu stärken; machte Deutsch zur dung Waldemars IV. und nach der Nieder-
Amtssprache; zwang 1850 Preußen zum lage der gotländ. Bauern vor Wisby); die
Vertrag von Olmütz, versuchte 1851 durch Kämpfe endeten, als 1389 Margarete von
die Wiederherstellung des Dt. Bundes Ös- Dänemark und Norwegen durch den Adel
terreichs Stellung in Deutschland und auch zur Königin von S. erhoben und die
gleichzeitig auch die des Deutschtums in Vereinigung der drei Länder 1397 in der
Österreich zu kräftigen (↑ Österreich). ↑ Kalmarer Union besiegelt wurde; ↑ Gus­
Schwarzer Tod, mittelalterlicher Name für tav I. Wasa (1523–1560) errichtete, nach-
die ↑ Pest. dem er mithilfe Lübecks und der Hanse
Schweden (schwed. Sverige), Königreich die Union gesprengt hatte, den nationalen
im Osten der skandinav. Halbinsel; kon- schwed. Einheitsstaat (gleichzeitig Über-
stitutionelle Erbmonarchie, in der Früh- gang von der Wahl- zur Erbmonarchie);
zeit von german. Stämmen besiedelt, die Einführung der Reformation (die schwed.
in Teilen zur Völkerwanderungszeit aus Bibelübersetzung des Claus Petri bedeutete
Süd-S. auswanderten (Burgunder und Go- den Anfang einer volkstüml. einheim. Lite­
ten), teils ihre alten Stammessitze und ihre ratur); unter Erich XIV. Erwerb Estlands
bodenständige Kultur beibehielten; um (1561); Aufstieg unter ↑ Gustav II. Adolf
600 n. Chr. Vereinigung der beiden verblie- zur Großmacht; 1617 Erwerb von Inger­
benen Reststämme und ihrer Staaten, nach- manland und Ostkarelien (Russland, das
dem die Svear unter den Yngling­königen von der Ostsee abgeschlossen wurde), 1621
die im Süden siedelnden Gauten unter- von Livland; Eingreifen in den ↑ 30-jäh-
worfen hatten; seit 830 drang das Chris- rigen Krieg; durch Oxenstierna Fortsetzung
tentum in S. ein (erstmals durch ↑ Ansgar der Expansionspolitik: Sicherung Livlands
verbreitet), fast zur selben Zeit stießen die gegen Verzicht auf Preußen, Einverleibung
schwed. Waräger (↑ Normannen) gegen norweg. Provinzen, von Gotland und Ösel
Osten vor und gründeten unter Rurik das (Vertrag von Brömsebro 1645); durch den
Russ. Reich (↑ Kiewer Reich); in S. selbst Westfäl. Frieden gelangte Schweden in den
wechselvolle Kämpfe und vorübergehende Besitz von Stettin, Wismar, Bremen und
Vereinigung mit den Nachbarvölkern nach Verden, Schlüsselstellungen der dt. Nord-
Überwindung der Stammes- oder Pro- küste, und erlangte dadurch die dt. Reichs-
vinzkönige durch die Könige von Upp- standschaft; Karl X. setzte im Schwedisch-
sala (hier auch der Sitz des Nationalhei- Poln. Krieg (1655–1660) den Kampf ge-
ligtums); Anfang des 12. Jh. war der Sieg gen das Reich fort, scheiterte aber am
des Christentums entschieden (bes. durch Bündnis der Habsburger mit dem Kur-
das Wirken König Eriks), 1164 wurde das fürsten Friedrich Wilhelm von Branden-
Bistum Uppsala zum Erzbistum erhoben; burg, der nach anfänglichem Kampf auf
der kirchliche Einfluss erstreckte sich auch Seiten S.s gegen S. Front machte; dank der
auf Finnland; im 12./13. Jh. Aufblühen der Hilfe Frankreichs glimpflicher Friede von
Städte und des Handels (in Verbindung ↑ Oliva (1660, Brandenburg erhielt Sou-
mit der ↑ Hanse); Absinken der Königs- veränität über Preußen); im gleichzeitigen
macht gegenüber der aufsteigenden Macht Krieg gegen Dänemark konnte S. jedoch
des Adels; dadurch das Vordringen Nor- seinen Besitz um Schonen, Landschaft
wegens begünstigt, dessen Könige 1319 Halland, Blekinge und Bohuslan erweitern
auch den Königsthron in S. bestiegen; in (Friede von Roskilde 1658 und Kopen-
der Folge anhaltende Abwehrkämpfe gegen hagen 1660); alle Gebiete der südschwed.

835
Schweiz

Halbinsel unter der schwed. Krone vereint. der Sozialdemokraten, Ministerpräsident


Unter Karl XI. behauptete S. trotz der Nie- Göran Persson. Ein Jahr später EU-Beitritt.
derlage von Fehrbellin (1675) die Besit- Bei den Wahlen im Sept. 1998 schwere Ein-
zungen in Deutschland; im Innern absolu- bußen für die Sozialdemokraten, aber wei-
tist. Regime; beginnender Niedergang un- terhin stärkste polit. Kraft im Parlament;
ter ↑ Karl XII.: S. verlor im ↑ Nordischen Persson blieb Ministerpräsident einer Ko-
Krieg seine Vormachtstellung in Nord- alition aus Sozialdemokraten, Linkspartei
europa und 1809 auch seine Herrschaft und Grünen. Im Feb. 2002 Abkehr von der
über ↑ Finnland an Russland; Karl XIII. bis dahin beibehaltenen polit. und militär.
adoptierte 1810 auf Betreiben Napoleons Neutralität. Bei den Parlamentswahlen im
den frz. Marschall ↑ Bernadotte, der 1818 Sept. 2002 erhielt die regierende Sozialde-
als Karl XIV. den Thron bestieg und des- mokratische Partei die Mehrheit. 2003 in
sen Haus bis heute (seit 1973 Karl XVI. Referendum Ablehnung der Einführung
Gustav) regiert; 1814–1905 stand S. mit des EURO.
Norwegen, das Dänemark im Tausch ge- Schweiz (Schweizer. Eidgenossenschaft;
gen Neu-Vorpommern an S. abgetreten frz. Confederation Suisse, ital. Svizzera),
hatte, in Personalunion; 1909 allg. Wahl- mitteleurop. demokrat. Bundesstaat mit
recht für die 2. Kammer, 1919 für beide 25 Kantonen (Verfassung von 1874), be-
Kammern (Übergang zur parlamentar.-de- nannt nach dem Urkanton Schwyz; Staats-
mokrat. Monarchie); Neutralitätspolitik gewalt zw. Bund und den Kantonen geteilt,
im 1. und 2. Weltkrieg; seit 1946 Mitglied verkörpert in der Bundesversammlung
der UN, 1949 des Europarats, 1959 der (Stände- und Nationalrat); parlamentar.
EFTA. 1972 Freihandelsabkommen zw. Bundesorgane sind: die Bundesversamm-
S. und der EG; Fortsetzung der Neutrali- lung (aus Stände- und Nationalrat) zur
tätspolitik. Die neue Verfassung von 1975 Wahl des Bundesrats, Bundespräsidenten
schränkt die Prärogativen des Königs ein. und des Bundesgerichts; der Ständerat als
In den 70er Jahren spielte die Auseinander- Vertretung der Kantone und der Natio-
setzung um die Nutzung der Kernenergie nalrat als Bundesparlament; die Regierung
eine wichtige innenpolit. Rolle, bis sich obliegt dem auf 4 Jahre gewählten Bun-
1980 60 % der Bevölkerung in einem Re- desrat (= Bundesregierung); vertreten wird
ferendum für die friedliche Nutzung aus- der Staat durch den Bundespräsidenten
sprachen. Seit 1982 wird S. von den So- (durch Bundesversammlung jährl. neu ge-
zialdemokraten regiert. Bis zu seinem Tod wählt); allg. Wehrpflicht (Milizsystem);
(Attentat) 1986 war Olof ↑ Palme Regie- vier Staatssprachen: Dt., Frz., Ital., Räto-
rungschef; sein Nachfolger Tugvar Carls- roman. – Die S. ist seit dem 5. Jh. v. Chr.
son wurde 1988 im Amt bestätigt. Siedlungsgebiet kelt.-rät. Stämme, die
Zu Beginn der 1990er Jahre schwere Wirt- 58 v. Chr. teilweise (Sieg Cäsars über die
schaftskrise. 1991 Wahlsieg der Gemäßig­ Helvetier), um 15 v. Chr. völlig unter röm.
ten Sammlungspartei (Moderata Samlings- Herrschaft gerieten (Aufteilung auf die
partiet, MS); neue Regierung unter Minis- östl. Provinz Rätien und die westl. Provinz
terpräsident Carl Bildt beschloß ein drast. Gallien); in der Völkerwanderung drangen
Sparpaket, das u. a. eine Senkung der So- die Burgunder in den Südwesten ein, wäh-
zialausgaben und Steuererhöhungen bein- rend das übrige Gebiet vorwiegend von
haltete. 1993 wurde den rund 16 000 in S. Alemannen besiedelt wurde. Seit Anfang
lebenden Samen (Lappen) kulturelle Auto- des 6. Jh. unter Oberhoheit des Franken-
nomie zugestanden (die sich jedoch nicht reiches, der sich im 9. Jh. die westl. Gebiete
auf die Sprache erstreckt). 1994 Wahlsieg durch Anschluss an das Königreich Arelat

836
Schwertbrüderorden

(Burgund) entzogen, worauf das Herzog- der Juli­revolution) wurden die meisten aris­
tum ↑ Schwaben von den übrigen Gebie- tokrat. Kantonsverfassungen durch demo-
ten Besitz ergriff. Durch die burgund. Erb- krat. ersetzt; nach dem Sieg der liberalen
schaft 1033 wurde Arelat einschließlich der Kantone über den kath. ↑ Sonderbund
W-Schweiz mit dem Dt. Reich vereinigt, (Sonderbundskrieg) wurde 1848 der Staa-
das Land selbst in zahlreiche kleine Ter- tenbund durch neue Verfassung in einen
ritorien zersplittert, die den Grafen von Bundesstaat umgewandelt, dessen demo-
Habsburg zum Ausbau der vorderösterr. krat. Aufbau seitdem ständig weiterent-
Besitzungen (↑ Aargau) geeignet erschie- wickelt wird (Verfassungsabschluss 1874
nen; die Bauerngemeinden, auch Wald- unter Stärkung der Bundesgewalt). Die
stätten genannt, behaupteten jedoch zäh S. in beiden Weltkriegen in Abwehrhal-
ihre Selbständigkeit und ihr Eigenrecht tung neutral. Trat 1920 unter dem Vor-
(Reichsunmittelbarkeit von Friedrich II. behalt der Wahrung ihrer Neutralität dem
an Uri und Schwyz 1231 bzw. 1240 ver- Völkerbund bei (im Abessinienfall nur be-
liehen), mussten aber bis auf Uri dem schränkte Teilnahme an Sanktionen gegen
Druck der Habsburger nachgeben; Wider- den Angreiferstaat Italien), lehnte aber in
stand des freiheitsliebenden Gebirgsvolkes; Wahrung strikter Neutralität den Beitritt
1291 traten die Waldstätten Uri, Schwyz zu den Vereinten Nationen ab; 1959 Bei-
und Unterwalden, die sog. Urkantone, zu tritt zur EFTA; 1961 Ablehnung der „di-
einem „ewigen Bund“ zusammen („Rütli- rekten Demokratie“ im Bund (d. h. des
schwur“) und siegten 1315 bei Morganen; Volksbegehrens, nach dem auch auf Bun-
Erweiterung des Bundes auf 8 Freistaaten desebene der Erlass, die Abänderung oder
(„Orte“: 1332 Luzern, 1351 Zürich, 1352 Aufhebung von Gesetzen durch Plebiszite
Glarus, 1353 Bern und Zug) zur Eidge- direkt in die Hand des Volkes gelegt wer-
nossenschaft „Schwyz“, deren Volksaufge- den sollten). 1972 Handelsverträge mit der
bot 1386 ein habsburgisches Ritterheer bei EG; 1971 Einführung des Frauenstimm-
↑ Sempach schlug, damit die Überlegenheit rechts auf eidgenöss. Ebene durch Volks-
der Fußtruppen einleitete und durch die abstimmung angenommen (erst 1990 in
Siege über Karl den Kühnen von Burgund allen Kantonen). 1979 Gründung eines
1476/77 erneut bewies. Nach seinen Er- neu­en Kantons Jura nach jahrelangen Span­
fahrungen im unglücklichen ↑ Schwaben- nungen. 1978 wurde der Entwurf einer
krieg 1499 entschloss sich Maximilian I., neuen Schweizer Bundesverfassung vorge-
die Unabhängigkeit der Eidgenossenschaft legt; 1980 und 1981 Jugendrevolte in Zü­
anzuerkennen; 1513 bestand der Bund aus rich und anderen Großstädten. 1985 wur­de
13 Kantonen; trotz der Glaubensspaltung per Referendum das Eherecht im Sinne der
während der Reformation (↑ Zwingli, Cal- Gleichstellung der Frau verändert.
vin) wahrte die Schweiz ihren Bestand und Schwertbrüderorden, geistl. Ritterorden
ließ sich endgültig 1648 ihre Unabhängig- mit Templerregel, 1202 von Bischof Albert
keit besiegeln (Lösung aus dem Dt. Reich), von Riga und dem Zisterziensermönch
die auch durch die vorübergehende Um- Dietrich gestiftet; christianisierte und kolo­
wandlung in die „Helvetische Republik“ nisierte im Baltikum; durch Kämpfe mit
1798–1803 (im Zuge der Frz. Revolution) den Litauern dezimiert, wurde der S. nach
nicht beeinträchtigt werden konnte; 1803 schwerer Niederlage gegen die Litauer
(Mediationsakte Napoleons) Restauration (1256) mit dem ↑ Dt. Orden vereinigt,
als Staatenbund mit 19 Kantonen, dessen dessen Hochmeister die Landmeister für
ewige Neutralität 1814/15 vom Wiener den S. ernannten; Unterwerfung Livlands,
Kongress anerkannt wurde; 1830 (nach Kurlands und Estlands (↑ Ostkolonisation).

837
Schwyz

Seit der Niederlage des Dt. Ordens bei den Forschertod. 2) S., Sir Walter, schott.
↑ Tannenberg (1410) behielt der S. einen Dichter, 1771–1832, Begründer des histor.
großen Teil seiner balt. Besitzungen nur Romans aus gründlichen Quellenstudien,
durch dauernde Kämpfe bis zur Unterwer- von großem Einfluss auf den histor. Ro-
fung unter Polen und Auflösung 1561. man des 19. Jh.
Schwyz, ↑ Schweiz. Scotus, 1) Duns Scotus, ↑ Duns. 2) Jo-
Scipio, Beiname für die röm. Patrizierfami- hannes Scotus, ↑ Johannes Eriugena.
lie der Cornelier: 1) S., Publius und Gnäus SEATO, Abk. für South East Asia Treaty
Cornelius, Brüder und beide röm. Konsuln Organization; ↑ Südostasienpakt.
und Feldherren, fielen 211 v. Chr. gegen Sedan, frz. Stadt an der Maas; 1870 Ein-
die Karthager in Spanien. 2) S., Publius schließung und Kapitulation der frz. Mac-
Cornelius S. Africanus, der Ältere, Sohn Mahon-Armee, die vergeblich die von den
von Publius 1), eroberte 210–206 v. Chr. Deutschen in Metz eingeschlossene Armee
Spanien, 205 Konsul, besiegte 202 v. Chr. Bazaines zu befreien suchte; bei S. Gefan-
Hannibal bei Zama, kehrte im Triumph gennahme Napoleons III.
nach Rom zurück, starb 183 v. Chr. auf Seeräuberkrieg, 67 v. Chr. von ↑ Pom-
seinem Gut. 3) S., Cornelia, Tochter von pejus gegen die Piraten des östlichen und
2), Mutter der ↑ Gracchen. 4) S., Lucius westlichen Mittelmeeres geführt, die von
Cornelius S. Asiaticus, Bruder von 2), be- Kilikien und Kreta aus das ganze Küsten-
siegte 190 v. Chr. Antiochus III. von Syrien. gebiet des Mittelmeeres brandschatzten,
5) S., Publius Cornelius S. Nasica Corcu- Handel und Seeverkehr lahmlegten und
lum, Censor 159 v. Chr., wandte sich ge- dem Sklavenhandel Vorschub leisteten; in
gen Catos stetige Forderung der Zerstö- wenigen Monaten durchgeführt. Beruhi-
rung ↑ Karthagos; der Verfall Roms würde gung durch Ansiedlung und Überwachung
beginnen, sobald Rom keinen Feind mehr der Raubscharen.
zu fürchten brauche. 6) S., Publius Cor- Seevölker („Völker des Meeres“), Völker-
nelius S. Aemilianus Africanus, der Jün- welle der Bronzezeit, die um die Mitte des
gere, Sohn des Konsuls Aemilius Paullus, 2. Jt. v. Chr. wahrscheinl. vom Donauraum
durch Adoption Enkel des Africanus d. Ä., aus in Bewegung kam (↑ Urnenfelderkul-
eroberte 146 v. Chr. Karthago, 133 v. Chr. tur) und auf dem Wanderweg über den
↑ Numantia; sammelte gelehrte Griechen Balkan, die Dardanellen, Kleinasien wei-
um sich, darunter den großen griech. His- tere Völker anstieß und gegen das Nildelta
toriker der röm. Geschichte ↑ Polybios; und in einer zweiten Welle über See (daher
129 v. Chr. angeblich ermordet. 7) S., Pu- „Seevölker“) in den östl. Mittelmeerraum
blius Cornelius S. Nasica Serapio, Enkel und ebenfalls gegen Ägypten drängte;
von 5), führte 133 v. Chr. als Oberpriester kei­ne plötzliche Überflutung, sondern nur
die Senatoren zum Straßenkampf gegen all­mäh­liche Fortbewegung. Erste Erwäh-
seinen Vetter Tiberius Gracchus, der er- nung in den Texten von ↑ Amarna; die S.
schlagen wurde. – Seit dem 3. Jh. Beiset- erscheinen in den frühen Quellen unter
zung in den noch erhaltenen „Scipionen- den Namen Danuna (Danaer), Peleset (Pa-
gräbern“ an der Via Appia in Rom. lästinenser), Luka (Lukier), Aquaiwascha
Scott, 1) S., Robert, brit. Südpolforscher, (Achäer), Turscha (Tyrsener = Etrusker),
1868–1912; Entdecker des König-Eduard- Schardana (Sardinier), Schekelesch (Sizi-
VII.-Landes, erreichte im Jan. 1912 kurz lier) u. a., was auf die Teilnahme einiger
nach Amundsen den Südpol, verfehlte der unterwegs (zu Land oder zur See) von
auf dem Rückmarsch ein Nahrungsdepot der Bewegung erfassten Völker hinweist.
und erlitt mit seinen vier Gefährten im Eis Die Völkerwelle brachte den ges. Vorderen

838
Seldschuken

Orient und den Mittelmeerraum in Un- Selbstbestimmungsrecht der Völker, ein


ruhe. Unter ↑ Ramses II. waren Scharen in der allg. Freiheitsidee der Aufklärung
der S. in Syrien Hilfstruppen der sich be- und Frz. Revolution, bes. in der national-
kämpfenden Ägypter und Hethiter, die mit staatlichen Bewegung verwurzeltes Prinzip,
Ramses Frieden schlossen, um sich weiterer das jedem Volk bzw. jeder nationalen Min-
von Norden nachdrängender S.scharen zu derheit das Recht zuerkennt, in freier Ent-
erwehren, ihnen aber unterlagen (Ende des scheidung über seine staatliche Form (sou-
↑ Hethiterreiches); die S. verwüsteten Sy- veräne Eigenstaatlichkeit, Autonomie oder
rien und Palästina und stießen bis Ägyp- Anschluss an den Staat des Muttervolkes)
ten vor, wo sie von dem Sohn Ramses’ II. zu bestimmen; das S. wurde sowohl in die
(1290–1223), Pharao Merenphtah (1223– ↑ „Vierzehn Punkte“ Wilsons wie in den
1204) im Nildelta geschlagen und zu- ↑ Versailler Vertrag aufgenommen, doch in
rückgetrieben wurden. Eine zweite An- der Praxis den dt. Minderheiten nicht zu-
griffswelle erreichte, unterstützt von liby- gestanden; dagegen machten die nichtdt.
schen Völkern, das Nildelta zur See und Nationalitäten der Donaumonarchie da-
zu Lande unter Ramses III. (etwa 1188– von erfolgreichen Gebrauch und gründe-
1157 v. Chr.), der ihrer ebenfalls im Nil- ten die ↑ Nachfolgestaaten bzw. schlossen
delta Herr wurde; von seinem Sieg berich- sich dem bereits bestehenden Staat ihres
ten Wand- und Mauergemälde in seinem Volkes an; auch die Bolschewisten prokla-
Tempel zu Medinet Habu am Westufer des mierten nach der Revolution 1917 das S.
Nils bei Theben; die Abwehrkämpfe er- (wichtigste Folge: Unabhängigkeitserklä-
schöpften lange Zeit die Wirtschaftskraft rung Finnlands und der balt. Staaten). Der
Ägyptens. Ein Teil der Angreifer wurde in Wirksamkeit des S.s als eines Sprengmit-
Ägypten angesiedelt, andere Teile drangen tels innerhalb der Vielvölkermonarchien
vermutlich in die ↑ Sahara vor und vertrie- Russland und bes. Österreich-Ungarn
ben als „Weiße“ die negroiden Vorbewoh- stand nach dem 1. Weltkrieg die Erkennt-
ner der W-Sahara nach S. nis gegenüber, dass seine uneingeschränkte
Segestes, Fürst der Cherusker, Gegner des Verwirklichung unter den komplizierten
↑ Arminius, der ihm die Tochter Thusnelda ethnograf. Verhältnissen in O-Europa un-
entführte; ging 9 n. Chr. zu den Römern möglich sei (Fortsetzung des Nationalitä-
über, lieferte 15 n. Chr. nach den Siegen tenstreites bes. in den Nachfolgestaaten Ju-
des Germanicus über Arminius die zurück- goslawien und Tschechoslowakei). Das S.
geführte Tochter den Römern aus. spielte eine entscheidende Rolle im Unab-
Seidenstraße, Karawanen- und Handels- hängigkeitskampf der Kolonialvölker.
wege (Wege, Pfade) von China nach West- Seldschuken, türkischer Volksstamm und
und Südasien und Europa, führte aus der Dynastie, beide benannt nach einem ih-
Provinz Honan (südlich Hoangho) südl. rer bedeutendsten Anführer (Seldschuk),
und nördl. am Tarimbecken entlang nach der, von NO (Kirgisensteppe) eingewan-
Kaschgar (dort Abzweigung eines Südweges dert, im 10. Jh. Buchara eroberte und den
nach Indien); von dort über Samarkand Übertritt seines Stammes zum Islam er-
nach Merw (in Chorasan), Nischapur (Per- wirkte; beide Ereignisse wurden Grund-
sien) und weiter ins Römerreich bis zum lage der Großmacht der S.; sie boten mili­
Mittelmeer durchgehende Karawanen- tär. die Voraussetzung zur Absetzung der
züge; die S. seit 114 v. Chr. nachweisbar; Ghasnawiden und zur Eroberung Persiens,
sie war Haupthandelsweg zw. Abendland Mesopotamiens und Kleinasiens, anderer-
und Fernem Osten bis zur Entdeckung des seits erleichterten sie die Verständigung
Seeweges nach Indien und China. mit dem Kalifen, dem sie in der zweiten

839
Seleukiden

Hälfte des 11. Jh. zur Befreiung aus der großen Stils wieder auf, unterwarf Kurdis­
Buji­den-Herrschaft (unter Seldschuks En- tan, Mesopotamien, Mekka und begründe­te
kel Togrul­beg) verhalfen; gleichzeitig Er- die Herrschaft der ↑ Türken über Ägypten.
werb der Emir­würde und der weltl. Ober- 2) S. II. (1566–1574); eroberte 1571 Zy-
herrschaft im Kalifenreich, siegreiches Vor- pern; Niederlage der türk. Flotte bei ↑ Le-
dringen bis nach Kleinasien, Syrien (Sturz panto (1571). 3) S. III. (1788–1807); in
der Fatimiden) und Jerusalem; nach dem Krieg mit Russland und Frankreich (Na-
Tod Melikschahs (1092) Zersplitterung in poleon in Ägypten 1798/99) verwickelt,
Teilreiche, deren mächtigstes, Iconium, bis erregte durch seine Heeres- und Verwal-
ins 14. Jh. bestand und zeitweise den Be- tungsreformen den Unwillen seiner Trup-
stand des ↑ Byzantin. Reiches gefährdete; pen und wurde von ihnen 1807 gestürzt
die anderen Gebiete vorübergehend von und 1808 ermordet.
den Mongolen besetzt und im 13. Jh. von Semiramis (Sammuramat), assyr. Köni-
den Osmanen erobert (↑ Türkei). gin, um 844–783 v. Chr.; führte für ihren
Seleukiden, Diadochen-Dynastie, gegr. minderjährigen Sohn Adadnirari III. 810–
von ↑ Seleukos (I.), dem Feldherrn Alexan- 805 v. Chr. tatkräftig die Regentschaft;
ders d. Gr.; eroberte den ganzen Orient bis rein sagenhaft ist die Königin Semiramis,
Indien, gründete in Syrien Antiochia, die die um 2000 v. Chr. zus. mit ihrem Ge-
Hauptstadt des Reiches, regierte von 312– mahl Ninos Babylon gegründet und die
64 v. Chr.; seit ↑ Antiochus III. in starker berühmten „Hängenden Gärten“ angelegt
Abhängigkeit von Rom, das schließlich haben soll, die nach einer antiken Quelle
auch von den letzten Restgebieten Syriens Nebukadnezar für seine medische Frau
(unter S.herrschaft) Besitz ergriff. erbaut hatte. Bis in die Neuzeit galt der
Seleukos, Name von sechs syr. Königen, Name S. als Repräsentation weibl. Herr-
aus der Dynastie der Seleukiden: 1) S. I. schertums (Katharina II. von Russland wie
Nikator (der Sieghafte), König von 312– Margarete von Dänemark wurden „Semi-
280 v. Chr., Feldherr Alexanders d. Gr., seit ramis des Nordens“ genannt).
321 Statthalter von Babylonien, 316 vo- Semiten (von Sem, Sohn Noahs), seit dem
rübergehend von dem Diadochen Antigo- 18. Jh. umfassende Bezeichnung für die
nos vertrieben, setzte sich mit ägypt. Hilfe untereinander verwandten Völkergruppen
gegen ihn durch und gründete im Verlauf des Vorderen Orients (Syrien, Palästina,
seiner Herrschaft ein Großreich vom Indus Arabien, Mesopotamien); als Urheimat
bis ans Mittelmeer; 280 ermordet. 2) S. II. der S. gilt Arabien; sie erlangten erstmals
Kallinikos (246–225 v. Chr.), versuchte, geschichtliche Bedeutung durch das Volk
wie sein Nachfolger (S. III.), die Herrschaft der Akkader, die nach 3 000 v. Chr. in Ba-
gegen die Parther und das neu aufblühende bylonien eindrangen und eine Dynastie in
Reich ↑ Pergamon zu behaupten. 3) S. IV. Mesopotamien errichteten; verbreiteten
(187–175), Erneuerer des Kults und der sich in großen Wanderungen im Lauf der
Kultur in enger Anlehnung an Rom und Geschichte über den ganzen Vorderen Ori-
den Hellenismus; S. stand in ständigem ent und stießen auch nach Ägypten und
Kampf um Behauptung und Erweiterung Abessinien vor. Die S. sind zwar rassisch
des gefährdeten Seleukidenreiches. – infolge Überlagerungen – nicht einheit-
Selim, türk. Sultane der Osmanen: 1) S. I. lich, bilden dennoch durch ihre Sprachver-
(1512–1520); nahm, nachdem durch das wandtschaft eine Familie, zu der teils erlo-
Mongolenreich ↑ Timurs die Osmanen schene, teils neue Bedeutung gewinnende
über ein Jh. lang auf den Vorderen ­Orient Völker gezählt werden können, darunter als
beschränkt waren, die Expansionspolitik deren bedeutendste: Akkader, Babylonier,

840
Senegal

Assyrer, Chaldäer, Aramäer, Kanaanäer, herren überwältigt; nach vorübergehender


Phö­niker, Punier, Hebräer, Juden, Syrer, Restauration unter Augustus verlor der S.
Man­däer, Äthiopier, Araber u. a. seine Rechte unter Hadrian großenteils
Semnonen, germanisches Volk, Haupt- an den Geld- und Besitzadel der ↑ Rit-
stamm der Sueben, siedelte zwischen Elbe ter, wurde durch Diokletian zum Stadtrat
und Oder, stand unter ↑ Marbods Herr- von Rom herabgemindert. Die Mitglieder
schaft, trennte sich 17 n. Chr. von den Mar- des S.s waren gekennzeichnet durch breite
komannen und ging zum Cheruskerbund Purpurstreifen an der Toga, rote bis unters
(Arminius) über, wanderte um 200 n. Chr. Knie geschnürte Schuhe, sie trugen als Zei-
nach Südwestdeutschland und wurde das chen der Amtswürde einen goldenen Fin-
Stammvolk der Alemannen. gerring. 2) Im MA bezeichnete man als S.
Sempach, Stadt bei Luzern; 1386 Sieg vielfach den Stadtrat der Freien Städte; bis
der Schweizer über Herzog Leopold III. heute oberste Regierungsbehörde der Han-
von Österreich, entscheidend im Unab- sestädte Bremen und Hamburg sowie Ber-
hängigkeitskampf der Eidgenossen; Wen- lins (West). 3) Erste Kammer der Volksver-
depunkt in der Kriegführung des Abend- tretung in modernen Verfassungsstaaten
landes durch den Epoche machenden Sieg (z. B. in den USA). 4) Akademische Selbst-
der wendigen Fußtruppen über das durch verwaltungsbehörde der Universitäten und
übermäßig schwere Rüstung behinderte, Hochschulen.
schon am Morgarten 1315 der gleichen Senatus Populusque Romanus (abge-
Taktik erlegene Ritterheer. kürzt: S.P.Q.R.); „Senat und Volk Roms“
Senat (von lat. senex, Greis), 1) im antiken (als die beiden Kräfte, auf deren Zusam-
Rom bestimmendes Verwaltungsorgan; in menwirken die Macht Roms beruht); In-
ältester Zeit die nach Kurien gegliederte, schrift auf den Feldzeichen und Wappen
nur in dringlichen Fällen vom König beru- des republikan. Rom; heute Besitzzeichen
fene Versammlung des Adels („Rat der Äl- stadtröm. Eigentums.
testen“), nur aus Vertretern alter Patrizier­ Sendgrafen, ↑ Königsboten und Missus.
familien bestehend; in der Zeit der Repu- Seneca, Lucius Annaeus, röm. Politiker,
blik mit dem Recht ausgestattet, die Be- Philosoph und Tragödiendichter, scharfer
schlüsse der Volksversammlung zu bestäti- Satiriker, 4 v.–65 n. Chr.; Stoiker, Lehrer
gen und die Mittel für Staatsausgaben zu und Berater Neros, endete auf Befehl des
bewilligen; seit 312 v. Chr. auch Plebejern Kaisers durch Selbstmord, lehrte „Strenge
zugänglich; Berufung auf Lebenszeit, daher gegen sich selbst, Nachsicht und Mitleid
beim Wechsel der Exekutivorgane Bestän- gegen den Nächsten“.
digkeit der Staatsführung wahrend; der S. Senegal, Republik in NW-Afrika (seit
nahm auch auf Amtsführung der Konsuln 1960 selbständig), früher frz. Kolonie
Einfluss, wurde mit dem Aufstieg zur Welt- (Frz.-W-Afrika); bereits im Altertum be-
herrschaft (seit 168 v. Chr.) tatsächliches kannt (Landungen an der Mündung des
Führungsorgan des Staates und der Poli- S.-Flusses); Mitte des 15. Jh. portugies.
tik (Gesandtschaften, Staatsverträge, Trup- Faktoreien, 1638 Besetzung durch die Hol-
penaushebung, Staatshaushalt, Überprü- länder, seit der Mitte des 17. Jh. Festset-
fung der Provinzialverwaltung); durch die zung der Franzosen (1659 Gründung von
Reformen der ↑ Gracchen wurde erstmals St. Louis); nach kurzer Zwischenperiode
die Senatsherrschaft erschüttert, durch die unter engl. Herrschaft wieder frz. Besitz
Volksherrschaft unter ↑ Marius unterhöhlt, (Senegambien), Teil des großen westafri-
vorübergehend nochmals durch ↑ Sulla ge- kan. Kolonialbesitzes Frankreichs; Erwa-
festigt, schließlich durch die Reichsfeld- chen des Nationalbewusstseins nach dem

841
Senghor

1. Weltkrieg (hohe Blutopfer der Senegal- Senghor, Léopold Sédar, senegales. Poli­
truppen auf europ. Kriegsschauplätzen); tiker und Dichter, 1906–2001; war 1946–
1958 Unabhängigkeit im Rahmen der Frz. 1958 Abgeordneter für Senegal in der frz.
Gemeinschaft (Communauté). Durch die Nationalversammlung, ab 1958 Generalse-
seit 1958 bestehende Assoziierung zur EG kretär der „Union Progressiste Senegalaise“
beträchtliche Wirtschaftshilfe; gute Bezie­ (seit 1976 „Parti Socialiste Senegalaise“)
hungen zu Frankreich, 1960 Konstitu­ und führend in der Unabhängigkeitsbewe­
ierung als unabhängige Republik (Staats- gung der frz. Kolonie Senegal; 1959/60
präsident L. S. Senghor bis 1980). In den Präsident der Föderation Mali, 1960–1980
70er Jahren allmähl. Herausbildung einer Präsident der Republik Senegal; 1968 Frie-
pluralistsich-demokrat. Republik; außen- denspreis des Dt. Buchhandels.
polit. Kurs blieb die Anbindung an Frank- Sentinum, Stadt in Umbrien, Sieg der Rö-
reich und die EG; 1981 mit Gambia Ver- mer über die Samniter 295 v. Chr., durch
einbarung einer Konföderation Senegam- den Heldenmut und Opfertod des ↑ De-
bia (zum 1. Feb. 1982); seit 1987 Wirt- cius erfochten; der Sieg sprengte die sam-
schaftsreform durch (Teil-)Privatisierung nit.-etrusk.-gall. Koalition und ebnete den
der Unternehmen. 1989 wegen Streit um Weg für die Unterwerfung Süditaliens.
Nutzungsrechte von Weideland im Grenz- Senussi, strenger islamischer Orden in
gebiet zu Mauretanien blutige Massaker an Arabien und N-Afrika, gegr. 1833 in
den in S. lebenden Mauretaniern, nachdem Mekka zur Bekämpfung des europ.-christl.
zuvor in Mauretanien lebende Senegalesen Einflusses, vor allem in der Cyrenaika,
ermordet wurden; 70 000 Menschen wur- nahm unter einem Scheich Stammes- bzw.
den daraufhin zur Vermeidung weiterer (Nomaden-)Staatscharakter an, spielte eine
Massaker in ihre jeweilige Heimat geflo- maßgebliche Rolle im Kampf um die Selb-
gen. Anfang der 90er Jahre nach Unruhen ständigkeit ↑ Libyens.
weitere Liberalisierungsmaßnahmen (u. a. Sephardim, Bez. für die Nachkommen
eine Begrenzung der Amtszeit des Präsi- der 1492 aus Spanien und Portugal ver-
denten). Ab 1992 immer wieder Überfälle triebenen Juden, auch Spaniolen genannt;
und Anschlägen der Rebellenbewegung siedelten sich im 15./16. Jh. zumeist in N-
„Mouvement des forces démocratiques Afrika, Italien, Amerika, dem Nahen Os-
de Casamance“ (MFDC) im Süden des ten an; heute häufig als Bez. für die orien­
Landes; die Kämpfe halten trotz Waffen- tal. Juden benutzt, die im Gegensatz zu den
stillstandsabkommen von 1999 weiter an. ↑ Aschkenasim von Judenverfolgungen im
Bei Wahlen Anfang 2000 konnte sich der 19. und 20. Jh. kaum betroffen waren.
Oppositionsführer Abdoulaye Wade gegen Sepoy-Aufstand, ↑ Indien.
den bisher. Staatspräsidenten Abdou Diouf Septembermorde der Frz. Revolution,
durchsetzen. Wade kündigte die Umwand- 2.–7. Sept. 1792; nach der Erstürmung der
lung S.s von einer Präsidialrepublik hin zu Festungen Longwy und Verdun durch die
einer parlamentar. Demokratie an. Anfang Preußen im Ersten ↑ Koalitionskrieg von
2001 stimmte die Mehrheit der senegales. Danton inszeniert; in ganz Frankreich Er-
Wähler für die Schaffung einer neuen Ver- mordung von nahezu 3 000 vornehmlich
fassung, die u. a. die Machtbefugnisse des aristokrat. und königlich Gesinnten; das
Staatspräs. einschränkt, seine Amtszeit von Massaker erschreckte selbst die enthusiast.
7 auf 5 Jahre verkürzt und die Bürgerrechte Bewunderer der Revolution; auch die Re-
stärkt. Im selben Jahr Wahlsieg des Partei­ präsentanten der Revolution verurteilten
enbündnis von Präsident Wade bei den die S., sie wurden Anlass zur Auflösung der
Parlamentswahlen. Gesetzgebenden Nationalversammlung.

842
Serbien

Septimanien, nach einer Veteranensied- die sich Anfang des 19. Jh. die serb. Frei-
lung der 7. röm. Legion (lat. septem, sie- heitshelden Karadorde (1804–1813) und
ben) benannte gallische Landschaft zw. Py- Milos Obrenovic (1817–1839), Gründer
renäen und Rhone; bis 720 westgot., vorü­ der beiden einflussreichsten Fürstenhäuser,
ber­gehend arab., seit 759 fränk. Gebiet un- erhoben; im 19. Jh. Zeit innerer Wirren
ter (seit 10. Jh.) Verwaltung der Grafen von und Machtkämpfe zw. den beiden Fürs­
Toulouse. tenhäusern, bei gleichzeitigem Kampf um
Septimius Severus, Lucius, römischer Einflussnahme zw. Türkei, Russland und
Kaiser aus Leptis Magna in Afrika, 146– Österreich; nach dem Russ.-Türk. Krieg
211 n. Chr.; 193 als Statthalter Pannoniens wurde S. auf dem Berliner Kongress 1878
von den Donaulegionen zum Kaiser aus- volle Unabhängigkeit zugesprochen; 1882
gerufen, löste S. die Prätorianer-Garde auf Erhebung zum Königreich unter wechseln-
und ersetzte sie durch Illyrer und Germa- der Herrschaft der beiden Fürstenhäuser;
nen; besiegte 198 die Parther und ernannte seit der endgültigen Herrschaft der Kara-
seinen Sohn ↑ Caracalla zum Mitregenten, georgewitsch mit Peter I. (1903) nahm die
ordnete die Verwaltung und förderte die panslawist. Bewegung kämpfer. Charakter
Kodifikation des römsichen Rechtes (bera- an (gegen ↑ Österreich, v. a. nach der Anne-
ten von Aemilius Papinianus), suchte seit xion ↑ Bosniens durch Österreich); Macht-
208 n. Chr. die Herrschaft Roms in Britan- und Gebietserweiterung durch die ↑ Bal-
nien zu festigen, 211 in der Gegend von kankriege 1912/13. Der Gegensatz zu Ös-
York (England) gestorben. terreich gipfelte in dem tödl. Attentat auf
Septuaginta (lat., die Siebzig), die ältes­te das österr. Thronfolgerpaar in ↑ Sarajewo
erhaltene Übersetzung des A. T. aus dem und löste den 1. Weltkrieg aus; nach Kriegs-
Hebräischen ins Griechische (3. und schluss wurde S. Kerngebiet des 1918 ge-
2. Jh. v. Chr.); die Übersetzung soll durch gründeten Staates ↑ Jugoslawien; 1945/46
70 jüd. Gelehrte in Alexandria erfolgt sein; Teilrepublik der Föderativen Volksrepublik
sie wurde Grundlage für die Übersetzungen Jugoslawien, seit 1963 in der Sozialist. Fö-
ins Lateinische (Itala und Vulgata). derativen Republik Jugoslawien. Seit Ende
Serajewo, ↑ Sarajewo. der 80er Jahre Spannungen zw. den ver-
Serapeion, Haupttempel des ägypt. Unter­ schiedenen Nationalitäten und Gegensätze
weltgottes Serapis mit Bibliotheksgebäu- zu den übrigen jugoslaw. Teilrepubliken
den in Alexandria, erbaut um 270 v. Chr.; (Vorwurf serb. Strebens nach Vorherr-
389 n. Chr. zerstört. schaft). 1989 wurde der Serbe Slobodan
Serbien, serb. Srbija, ehem. Balkankönig- Miloševic Präsident Jugoslawiens; 1990
reich im Gebirgsland südl. der Save und nach Aufhebung des Autonomiestatus des
Donau; im 1. Jh. n. Chr. Stammsitz illyr. Kosovo Massendemonstrationen, die blutig
Stämme, im Laufe des 7. Jh. Besiedlung niedergeschlagen wurden; die alban. Bevöl-
durch die südslaw. Serben, die unter weit- kerung wurde gezielt aus allen Bereichen
gehende Abhängigkeit von Byzanz gerie- des öffentl. Lebens gedrängt. Unterstüt-
ten, sich erst zu Beginn des 12. Jh. einten zung der proserb. Bürgerkriegsparteien in
und ihre Selbständigkeit vom ↑ Byzantin. Kroatien und ab 1992 in Bosnien-Herze-
Reich erkämpften; seit 1217 Königtum; gowina. Im selben Jahr Zusammenschluss
Blüte Mitte des 14. Jh. unter Stephan Du- S.s und Montenegros zur „Bundesrep. Ju-
san nach Angliederung Bulgariens. Nach goslawien“ (völkerrechtl. nicht anerkannt);
der Niederlage auf dem ↑ Amselfeld 1389 die UNO verhängte ein Wirtschafts- und
geriet S. mehr und mehr unter türk. Ober- Handelsembargo über „Rest-Jugoslawien“.
herrschaft (seit 1459 türk. Provinz), gegen 1995 Friedensabkommen von Dayton,

843
Sertorius

Aufteilung der Gebiete unter den Kriegs- Seuse (lat. Suso), Heinrich, um 1300–
parteien, Aussetzung des Witschaftsem- 1366; aus Konstanz oder Überlingen am
bargos. Ab Mitte der 90er Jahre auch in S. Bodensee, deutscher Mystiker, Domini-
Widerstand gegen Miloševic, Massende- kanermönch, Schüler Meister ↑ Eckharts
monstrationen. Im Nov. 1996 in mehre- in Köln, geistlicher Berater bes. in Frauen­
ren Städten Sieg des Oppositionsbünd- klöstern, seit 1349 Prediger in Ulm.
nis „Zajedno“, daraufhin Anullierung der Severus Alexander, ↑ Alexander Severus.
Wahlen. Im Kosovo weiter Konflikte zw. Sevilla, Provinzhauptstadt in S-Spanien
serb. Truppen und Kosovoalbanern; 1998 (Andalusien); kam 45 v. Chr. unter röm.
erklärte die alban. Befreiungsarmee UÇK Herrschaft, wurde 712 von den Arabern
den „offenen Kampf gegen die serb. Herr- erobert und entwickelte sich zum Zentrum
schaft“ und forderte volle Unabhängigkeit des maur. Spanien; Ferdinand III. von Kasti­
des Kosovo. Daraufhin Verwüstung alban. lien und León brachte S. 1248 in seine Ge-
Dörfer durch serb. Truppen; Massenflucht walt, nach der Entdeckung Amerikas war
von Kosovo-Albanern nach Albanien und S. wichtigster Hafen Spaniens und 1503–
Makedonien; nach erfolglosen Friedens- 1717 Sitz des staatlichen Handelshauses.
verhandlungen in Rambouillet 1999 Bom- Sèvres, Vorort im SW von Paris; 1920
bardements durch die NATO (ohne UN- Friedensschluss zw. der Entente und der
Mandat); nach Einstellung der Angriffe Türkei; Festlegung der Internationalisie-
wurde Kosovo UN-Schutzzone. Seit Okt.  rung der Meerengen, Abtretung Thraziens
2000 Vojislav Koštunica neuer Staatspräsi- an Griechenland, Armenien wurde unab-
dent „Jugoslawiens“ neuer Regierungschef hängiger Staat, Syrien Mandat Frankreichs;
Serbiens Zoran Djindjic (demokrat. Wahl- Palästina und Irak Mandate Großbritan-
bündnisses DOS), wiederholt Spannungen niens; Schutzherrschaft Großbritanniens
zw. beiden. Am 4. Feb. 2003 durch Ver- über Ägypten, Frankreichs über Tunis und
abschiedung der neuen Verfassung Ablö- Marokko; Unabhängigkeit des Hedschas;
sung der Republik Jugoslawien durch den Zypern fiel an Großbritannien; vom türk.
Staatenbund Serbien und Montenegro. Im Parlament nicht ratifiziert, nach bewaff-
März 2003 Ermordung des serb. Premier- netem türk. Widerstand im Frieden von
ministers Djindjic, daraufhin Ausnahme- Lausanne 1923 revidiert.
zustand; Nachfolger Zoran Zivkovic. Im Sewastopol, auf dem Gebiet des antiken
Dez. 2003 vorgezogene Parlamentswahlen, ↑ Cherson 1783 erbaute russ. Hafen- und
Minderheitsregierung unter Führung des Festungsstadt auf der Halbinsel Krim, von
Ex-Präsidenten V. Koštunica. Franzosen, Türken, Briten und Sardini-
Sertorius, Quintus, röm. Feldherr, 123– ern im ↑ Krimkrieg belagert und erstürmt;
72 v. Chr., Anhänger des Marius, verteidig­te schwere Kämpfe im 2. Weltkrieg.
seit 82 v. Chr. Spanien, das er als eigenes Sextius, Lateranus Lucius, röm. Volkstri-
Territorium betrachtete (Senatsbildung), bun, wurde 366 v. Chr. als erster Plebejer
gegen die Sullaner, später gegen Pompejus, Konsul, soll mit ↑ Licinius die Ackerge-
72 durch Perperna ermordet. setze durchgeführt haben.
Servius Tullius, nach etrusk. Überlieferung Seydlitz, Friedrich Wilhelm von, preuß.
der 6. altröm. König (nach Romulus) aus Reitergeneral unter Friedrich d. Gr. (1721–
etrusk. Geschlecht (um 578–534 v. Chr.); 1773); Sieger von Roßbach und Zorndorf,
baute laut Überlieferung die älteste Stadt- Taktiker des Reiterkampfes.
mauer, teilte durch die „Servian. Verfas­ Seydlitz-Kurzbach, Walther von, dt. Ge-
sung“ das röm. Volk in ↑ Centurien ein, neral 1888–1976; als Befehlshaber des
schaffte 5 Steuerklassen; angebl. ermordet. II. Armeekorps im Jan. 1943 bei Stalingrad

844
Sforza

in Gefangenschaft. Im Sept. 1943 Vorsit- zu den „Konföderierten Staaten von Ame-


zender des Bundes deutscher Offiziere (Na- rika“ zusammenschlossen (Präs. Jefferson
tionalkomitee Freies Deutschland). Nach Da­vis); Sklaverei begünstigende Verfas-
Kriegsende weigerte sich S., in der Sowjet- sung; Hauptstadt Richmond. Ausbruch
zone einen Posten anzunehmen, wurde des offenen Konflikts durch den Angriff
1950 verhaftet, zum Tode verurteilt und auf das Bundesfort Sumter bei Charles-
dann zu 25 Jahren Haft begnadigt. 1955 ton (South Carolina); darauf Anschluss
siedelte S.-K. nach Westdeutschland über. Virginias, North Carolinas, Tennessees
Seymour, Jane, ↑ Johanna Seymour. und Arkansas’ an die „Konföderierten“;
Seyß-Inquart, Arthur, österr. Politiker, Hauptkriegsschauplätze: im Osten am Po-
1892–1946; 1937 als Staatsrat ins Kabinett tomac, im Zentrum am Ohio, im Westen
Schuschnigg aufgenommen, betrieb den in Missouri; nach großen Anfangserfolgen
Anschluss Österreichs ans Dt. Reich, den der Südstaaten, denen in Lee der fähigste
er – nach dem dt. Einmarsch zum Bun- General des Krieges zur Verfügung stand,
deskanzler ernannt – am 13. März 1938 1863 Wende durch den Sieg der Unions-
vollzog. Danach bis 30. April 1939 Reichs- truppen unter Meade in der dreitägigen
statthalter in Wien; 1939–1945 Reichs- Schlacht bei Gettysburg (Pennsylvania);
minister ohne Geschäftsbereich, seit Mai 1864/1865 unaufhaltsamer Vormarsch der
1940 auch Reichskommissar für die besetz- Unionsgeneräle Grant und Sherman; Ende
ten niederländ. Gebiete, in denen während des Krieges nach Einnahme der Doppel-
seiner Amtszeit zahlreiche Deportationen festung Richmond-Petersburg. Die sieg-
von Juden in die Vernichtungslager vor- reichen Nordstaaten setzten die Abschaf-
genommen wurden. Von Hitler im Testa- fung der Sklaverei durch (1865 Verfas-
ment zum Reichsaußenminister bestimmt. sungszusatz); Lincoln fiel unmittelbar nach
1946 vom Internat. Militär-Tribunal in dem Sieg den Kugeln eines Fanatikers zum
Nürnberg zum Tode verurteilt. Opfer.
Sezessionskrieg, der Bürgerkrieg in den Sforza, ital. Condottieri-Geschlecht, be-
USA 1861–1865, blutigster Krieg des erbte die Visconti von Mailand, wurde
19. Jh. und erster Krieg, in dem die mo- zu einem der führenden Herzogshäuser
derne Kriegstechnik (Telegrafie, Panzer- der ital. Renaissance: 1) S., Francesco,
schiffe usw.) eine Rolle spielte; Kampf um 1401–1466; Schwiegersohn und 1450
Interessen und Prinzipien: industrielle, Nachfolger des Herzogs Filippo Maria V.,
bürgerlich-demokratische Nordstaaten ge- erweiterte 1464 den Machteinfluss Mai-
gen agrar., aristokrat.-feudale Südstaaten, lands auf Genua. 2) S., Ludovico il Moro,
Hauptzündstoff die Frage der Sklaverei seit 1481 Regent, seit 1494 Herzog, Mä-
(Ausweitung oder Beschränkung, letztlich zen der Renaissancekünstler (u. a. Leonar-
Bewahrung oder Aufhebung); darüber hi- dos); rief 1494 Karl VIII. von Frankreich
naus von weltgeschichtlicher Bedeutung ins Land, verbündete sich dann gegen ihn,
durch die Entscheidung über die natio- wurde von dessen Nachfolger Ludwig XII.
nale Einheit der USA als Voraussetzung 1500 bei Novara geschlagen, gefangen
ihres Aufstiegs zur Weltmacht; die Span- und starb 1510 im Kerker (Ende des Mai-
nungen zw. Norden und Süden entluden länder Hofes als Pflegestätte der Kunst).
sich nach der Wahl ↑ Lincolns zum Prä- 3) S., Maria, Tochter von 2), Gemahlin
sidenten (1860); Austritt (Sezession) zu- Kaiser Maximilians I., auf sie stützten die
nächst von South Carolina aus der Union, Habsburger ihr Anrecht auf Mailand ge-
dann Missis­sippi, Florida, Alabama, Geor­ gen Frankreich, heftige Kämpfe zw. bei-
gia, Loui­siana, Texas u. a., die sich 1861 den Mächten; 1515 Mailand von Franz I.

845
Shaftesbury

besetzt und den S. entrissen; durch Karl V. Fernen Ostens; Aufstand niedergeschlagen,
wurden 1521 die S. wieder eingesetzt, nach 1922 ganz S. mit Russland in der UdSSR
ihrem Aussterben (1535) wurde Mailand vereinigt. Die vor allem industrielle Nutz-
kaiserlicher Besitz; seit 1556 bei Spanien. barmachung des kalten, doch reich geseg-
4) S., Carlo, Graf, Nachkomme einer Ne- neten Landes (Steinkohle, Gold, Platin)
benlinie der S., ital. Diplomat, 1872–1952; verspricht große Zukunft; Industrie­zentren
1920–21 Außenminister, emigrierte 1922 bei Nowosibirsk, Kurbass, am Baikal und
als Gegner des Faschismus nach Frankreich Amur.
und mit Kriegsausbruch nach den USA; Sibyllinische Bücher, alte Sammlung von
nach der Kapitulation Italiens erneut ital. Weissagungen zur röm. Politik, der Sibylle
Außenminister. von Cumä zugeschrieben; bestanden aus
Shaftesbury, Anthony Ashley-Cooper, 9 Büchern orakelhafter Sprüche, angeblich
Earl of, engl. Politiker, 1622–1683; setzte von der Sibylle selbst an Tarquinius Priscus
die ↑ Habeas-Corpus-Akte 1679 durch, in Rom verkauft, im Jupitertempel in Rom
floh 1682 nach Amsterdam. aufbewahrt und in schwierigen staatlichen
Sherman, William Tecumseh, amerik. Ge- Situationen zu Rate gezogen; 83 v. Chr.
neral, 1820–1891; Oberkommandieren- während eines Brandes im Tempel zerstört,
der 1864 im Sezessionskrieg, als Führer später erneuert und im Apollotempel auf-
der Westarmee 1864/65 maßgeblich am bewahrt, um 400 n. Chr. auf Befehl Stili-
Sieg über die Südstaaten beteiligt, Führer chos vernichtet.
des berühmt gewordenen Marsches durch Sickingen, Franz von, Landsknechtsfüh-
Georgia. rer im Dienst Maximilians I., Franz’ I. und
Siam, frühere Bez. von ↑ Thailand. Karls V., 1481–1523; Reichsritter aus pfälz.
Sibirien, nördl. Teil Asiens, jenseits des Ministerialgeschlecht, begütert und poli-
Ural bis zum Pazifik und von Turkestan tisch mächtig, meist auf Seiten des Kaisers,
und der Äußeren Mongolei bis zum Eis- Freund Huttens, durch ihn für die Refor-
meer; 9. Jh. erste Warägerzüge nach S.; seit mation gewonnen, Schüler und später Be-
dem 11. Jh. drangen Nowgoroder Kauf- schützer Reuchlins; 1522 Hauptmann des
leute nach S. vor; 1581 führte Jermak im Schwäb.-Rhein. Ritterbundes, fiel beim
Auftrag der Kaufherren Stroganow einen (letzten) Versuch, den politischen Verfall
Feldzug nach S. durch, dann sehr schnell der Reichsritterschaft rückgängig zu ma-
weitere Besitznahme; im 17. Jh. Vordrin- chen, im Kampf gegen die Fürsten auf sei-
gen bis zur Amurmündung, Eroberung von ner Feste Landstuhl.
Kamtschatka; Ende 16. und 17. Jh. Grün- Siebenbürgen, Landschaft in Rumänien,
dung von Städten und befestigten Plätzen; gehörte im Altertum zum Reich der Da-
u. a. Tobolsk, Tomsk; weitere Erschließung ker, seit deren Unterwerfung durch Trajan
erst im 19. und 20. Jh. nach Bau der Sibir. römisch; im 9. Jh. Ungarn einverleibt, im
Eisenbahn; bevölkert wurde S. in früher 12. Jh. durch dt. Kolonisten besiedelt, 1691
Zeit durch Jäger, später durch verbannte zu Österreich, 1867 Nebenland Ungarns,
polit. Missliebige, Strafgefangene und Sek- 1919 an Rumänien, 1941 geteilt (Wiener
tierer, in neuerer und neuester Zeit durch Schiedsspruch): Nordhälfte an Ungarn zu-
Bauern und die Arbeitermassen der mo- rück, 1947 wieder zu Rumänien.
dernen sibir. Industrie; 1917 Anerkennung Siebenjähriger Krieg (oder Dritter Schlesi­
der bolschewist. Herrschaft, dann Gegen- scher Krieg), 1756–1763, zwischen Preu-
revolution durch Admiral Koltschak, un- ßen, England-Hannover und einigen klei-
terstützt von tschech. Legionären, der En- nen Reichsständen einerseits, Österreich,
tente und Japan, 1920–1922 Republik des Frankreich, Russland, Sachsen, Schweden

846
Siegel

und der Mehrzahl der dt. Reichsstände an- Sieben Weise, berühmte und geachtete
dererseits; den Plan seiner Gegner (voran Männer der Alt-Griechen (Solon, Thales,
Kaiserin Maria Theresia und Zarin Elisa- Pittakos, Bias, Chilon, Kleobulos, Perian-
beth), ihn als König von Preußen in seiner der), lebten im 7./6. Jh. v. Chr., berühmt
Machtentfaltung zurückzudrängen, beant- durch weise Lehr- und Lebens­sprüche
wortete Friedrich d. Gr. mit dem Neutra- (Echt­heit bezweifelt).
litätsvertrag mit England, das mit Frank- Sieben Weltwunder, im 3. Jh. v. Chr. er-
reich seit 1755 im Kampf lag, und mit stellte Liste berühmter Bau- und Kunst-
dem überraschenden Einmarsch in Sach- werke: die Pyramiden von Giseh, die hän-
sen, das Graf Brühl in die antipreuß. Ko- genden Gärten der Semiramis, der Tempel
alition eingegliedert hatte. Kriegsschau- der Artemis in Ephesos, das Kultbild des
plätze waren außer Sachsen auch Böh- Zeus von Olympia von Phidias, das Mau-
men, Schlesien, Neumark, Pommern und soleum in Halikarnassos, der Koloss von
Hannover; nach wechselvollem Kriegsver- Rhodos und der Leuchtturm der Insel Pha-
lauf mit glänzenden Siegen (Prag, Roß- ros bei Alexandria.
bach, Leuthen, Zorndorf, Liegnitz, Tor- Siegburg, Handelsplatz des MA und der
gau) und empfindlichen Niederlagen (Ko- Neuzeit (nahe Bonn) mit einst zahlreichen
lin, Hochkirch, Kuners­dorf ) war Friedrich Töpferwerkstätten und weltweitem Markt-
d. Gr. aufs Äußerste bedrängt (die finanzi- verkehr (von Skandinavien bis N-Afrika);
elle Erschöpfung wurde noch verschlim- aufschlussreiche Ausgrabungen durch Ab-
mert durch die Kündigung des britischen tragen des „Scherbenberges“, eines seit vie-
Subsidien­traktats); Verbesserung der Lage len Jahrhunderten benutzten Abfallplatzes
1762 durch den Tod der Zarin Elisabeth; für Ausschusswaren der S.er Keramikwerk-
ihr Nachfolger Peter III., Verehrer Preu- stätten (30 000 Kubikmeter Scherben).
ßens, schlug sich auf Preußens Seite („Mi- Siegel (lat. sigillum), Abdruck einer Me-
rakel des Hauses Brandenburg“). Im Frie- tallplatte mit spiegelverkehrtem S.bild
den von Hubertusburg 1763 wurde der und Schrift (S.stempel, S.ring) in wei-
territoriale Besitzstand von 1756 wieder chem, sich erhärtendem S.lack; Erken-
hergestellt, Schlesien blieb bei Preußen, nungs- und Beglaubigungszeichen; dient
das auf Kosten Sachsens und Schwedens auch dem Verschluss von Schriftstücken,
in die Reihe der europäischen Großmächte Gefäßen u. a.; heute auch Abdruck eines
rückte (zugleich Besiegelung des verhäng- Farbstempels (Amts-S.). Frühe Formen:
nisvollen dt. Dualismus Preußen–Öster- Roll-S. (S.-Zylinder) in Mesopotamien;
reich). – Der gleichzeitig geführte übersee- seit 8. Jh. v. Chr. Stempel-S. (aus Stein,
ische Kampf zwischen England und Frank- Halbedelstein, Metall), dienten als Behör-
reich um die koloniale Vormachtstellung den-, Privat-, Gottes- oder dynast. S.; Ver-
endete in Amerika mit dem Sieg Englands, breitung über Assyrien, Syrien, Kleinasien
das im Frieden von ↑ Paris (1763) Kanada, nach Ägypten (Skarabäus); bei den Karo-
Loui­siana östlich des Mississippi, Senegam- lingern wichtigstes Beglaubigungsmittel
bien und Cap Breton erhielt, dazu Florida von Urkunden; europäische S. bis 11. Jh.
von Spanien, das von seinem Verbündeten auf Pergamenturkunden, seit dem 12. Jh.
Frankreich mit West-Louisiana entschädigt mit Schnüren an die Urkunde gehängt. Als
wurde. Folgenschwer war auch der Sieg der S.-Stoff dienten Wachs, Metall, seit dem
Engländer über die Franzosen im Kampf 16. Jh. S.-Lack (Wachs-S.: „sigillum“, Me-
um Ostindien; es kam zur entscheidenden tall-S.: „bulla“) und Oblaten. Zum Schutz
Stärkung der britischen Stellung im in- der S. wurden Kapseln aus Holz, Blech,
dischen Raum (↑ Indien). Messing verwendet.

847
Siegfriedlinie

Siegfriedlinie, von dt. Truppen angelegte Präsidenten Kabbah, der einen Waffenstill­
Verteidigungslinie im 1. Weltkrieg zwischen stand mit der Rebellenorganisation RUF
Arras und La Fere (Aisne); im 2. Weltkrieg schloss. Einhaltung sollte durch Einsatz ei-
auch Bez. für den dt. Westwall. ner UN-Friedenstruppe (UNAMISIL) ge-
Siemens, 1) S., Werner von, dt. Erfin- währleistet werden; die Diamantvorkom-
der und Unternehmer, 1816–1892; grün- men werden aber weiterhin RUF-Rebellen
dete 1847 mit dem Mechaniker Halske mit liberian. Unterstützung kontrolliert.
in Berlin eine Telegrafenbauanstalt; Erfin- Sieyes, Emanuel Joseph, Graf (Abbe S.),
dungen: 1846 elektr. Zeigertelegraf, 1866 frz. Publizist, Politiker, 1748–1836; Mit-
↑ Dynamomaschine, Herstellung und Ver- glied der Nationalversammlung, 1795 im
legung von Tiefseekabeln u. a. 2) S., Wil- Rat der Fünfhundert, 1799 im Direkto-
helm (Sir William S.), Bruder von 1), seit rium; unterstützte den Staatsstreich Napo­
1843 in England wirkender Ingenieur und leons, Schöpfer der neuen Verfassung, die
Industriel­ler, 1823–1883; erfand eine Re- von Napoleon in wesentl. Punkten abge-
generativ-Dampfmaschine und einen leis­ ändert wurde; berühmt wurde seine Flug-
tungsfähigeren Stahlofen (↑ Stahl). schrift von 1789 „Was ist der 3. Stand?“;
Sierre Leone, 1461 von Portugiesen ent- ↑ Dritter Stand.
deckt, seit 1808 brit. Kolonie und brit. Sigambrer (Sugambrer), germanischer
Protektorat; seit 1961 souveräner Staat Stamm zw. Sieg, Rhein und Ruhr; Auf-
an der W-Küste Afrikas, parlamentarische stand unter Drusus 12 v. Chr., durch Tibe­
Monarchie im Commonwealth, Mitglied rius um 10 v. Chr. unterworfen; am Auf-
der UN). 1971 wurde S. L. zur Republik stand des ↑ Arminius beteiligt.
erklärt, 1975 Einführung des Einparteien- Sigmaringen, ↑ Hohenzollern.
systems; 1978 neue Verfassung, in der das Sigmund (Sigismund), Name von Herr-
Einparteiensystem festgelegt und das Amt schern: 1) S., 1361–1437; Sohn Karls IV.,
des Premierministers abgeschafft wurde; 1378 Markgraf von Brandenburg (dieses
brutale Unterdrückung der Opposition. 1383 an Jobst von Mähren verpfändet,
Zu Beginn der 90er Jahre Zunahme des 1417 an Burggraf Friedrich VI. von Ho-
Widerstandes, Kämpfen zw. Regierungs- henzollern), wurde 1385 zum König von
truppen und der linksextr. „Revolutionary Un­garn, 1411 zum deutschen Kaiser ge-
United Front“ (RUF) unter der Führung krönt; brachte das ↑ Konzil von Konstanz
Foday Sankohs, ab 1994 brutaler Bürger- und damit die Beilegung des Kirchen-
krieg der RUF, die die Diamantenförder- schismas zustande; führte 1419–1436 die
gebiete kontrollierte und sich aus dem il- Hussi­tenkriege, nach deren Abschluss er
legalen Verkauf der Edelsteine finanzierte. als König von Böhmen anerkannt wurde.
1996 Militärputsch, nach Parlaments- und 2) S. II., August, König von Polen (1558–
Präsidentschaftswahlen neuer Staatspräsi- 1572), geb. 1520, der letzte Jagellone; ver-
dent Ahmad Tejan Kabbah (ehem. UN- einigte Livland mit Polen, Kurland wurde
Diplomat). Trotz Friedenvertrag kein Ende polnisches Lehen, knüpfte eine Realunion
der bewaff. Auseinandersetzungen mit der mit Litauen und Westpreußen und ge-
RUF. 1997 erneut Militärputsch, Kabbah währte in seinen Landen die Religionsfrei-
floh nach Guinea. Verschärfung des Wirt- heit. 3) S. III., Wasa, Sohn Johannes’ III.
schaftsembargos, dramat. Verschlechterung von Schweden, 1566–1632; seit 1587 Kö-
der Lebensmittelversorgung. Im Nov. 1997 nig von Polen und 1592 von Schweden,
Intervention durch Truppenverband meh- förderte die Gegenreformation, deshalb
rerer westafrikanischer Länder (ECO- 1604 aus Schweden verdrängt; unterstützte
MOG), Wiedereinsetzung des gewählten den falschen ↑ Demetrius in Russland.

848
Simbabwe

Signoria (ital., Herrschaft), im späten MA von Legenden umgeben, die besonders sein
in italienischen Städten der Stadtbeherr- Verhältnis zu Konstantin ausgeschmückt
scher und seine Verwaltung, auch das je- haben (↑ Konstantin. Schenkung). 2) S. II.
weils herrschende Adelsgeschlecht oder der (Gerbert von Aurillac), Papst (999–1003);
Rat der Bürgerschaft. hochgebildet (Astronomie, Mathematik,
Signum, das Feldzeichen der römischen Philosophie), urspr. Schüler, dann Haupt
↑ Legionen und Manipel; das S. der Legion der erzbischöflichen Schule zu Reims und
bestand aus einem auf einer Stange getra- Erzbischof, fand als „Naturwissenschaft-
genen vergoldeten und versilberten Ad- ler“ keine Anerkennung bei Gregor V.; von
ler, das der Manipel aus einer Hand oder großem Einfluss auf Kaiser Otto III.; nach
einem Tierbild an einer mit Ornamenten Gregors V. Tod 999 auf Vermittlung des
verzierten Stange. Kaisers auf den päpstlichen Stuhl erhoben;
Sihanuk, ↑ Norodom Sihanuk. den Willen zu enger Zusammenarbeit mit
Sikhs („Schüler“), urspr. relig. Sekte, gegr. dem Kaiser im Sinne des „Orbis Christia-
um 1500 in N-Indien, versuchten eine Syn- nus“ deutete er durch den Namen Silvester
these von Hinduismus und Islam, gründe- an (anknüpfend an Silvester I.); S. organi-
ten (etwa den Kosaken vergleichbar) im sierte die Kirche in Ungarn (Übersendung
Kampf gegen den Islam ein das Pandschab der Königskrone an Stephan I.) und Polen
(oberes Industal) beherrschendes krieger. (Gründung des Erzbistums Gnesen).
Gemeinwesen, das sich Ende des 18. Jh. zu Simbabwe, südl. von Fort Victoria (Sim­
einem despot. Königreich entwickelte und babwe) gelegene Ruinenstätte im ehemal.
1846–1849 in Kriegen gegen die Briten Bantureich Monomotapa; zw. 5. und 9. Jh.
seine Selbständigkeit verlor; als bei der entstanden, die Ruinen umfassen mehr als
Aufteilung Indiens nach dem 2. Weltkrieg 100 Steinbauten.
der Großteil des Pandschab an Pakistan Simbabwe, Staat in SO-Afrika, hervorge-
fiel, siedelten die meisten Sikhs nach In- gangen aus der brit. Kolonie ↑ Rhodesien;
dien über (Gründung eines eigenen Staates seit April 1980 unabhängig. Regierungs-
Sikhistan gescheitert). bildung durch die Befreiungsorganisatio­
Sikyon (griech., Gurkenstadt), ion. Stadt nen ZANU (Zimbabwe African Na-
im Norden des Peloponnes, später dori- tional Union), ZAPU (Zimbabwe African
siert; 7./6. Jh. v. Chr. Tyrannis der Ortha- People’s Union) und Rhodes. Front unter
goriden; bed. durch ihre Erzgießerei, Ma- Premierminister R. Mugabe (blieb bis 1987
lerei und Kunstgewerbe. Premier, wurde nach Einführung des Präsi-
Sikkim, Fürstentum des Himalaja, angren- dialsystems im Dez. 1987 Staatspräsident).
zend an China (Tibet), Bhutan, Pakistan, Im Regierungsprogramm Mugabes wurde
Indien, Nepal; Hauptstadt Gangtok; Ur- gefordert: integrierte Nationalarmee (Ein-
bevölkerung vermischt mit Tibetern, Ne- gliederung der Befreiungsarmeen), Wie-
palesen und Indern, beherrscht von einer deransiedlung der Flüchtlinge, Beseiti-
in der Mitte des 17. Jh. gegründeten Dy- gung der Kriegsfolgen. Nach Spannungen
nastie; um 1800 krieger. Einfälle aus Ne- zw. Mugabe (ZANU-Führer) und Nkomo
pal, die durch brit. Vermittlung beendet (ZAPU-Führer) 1982 Entlassung Nkomos
wurden; 1849 Einmarsch brit. Truppen, aus der Regierung; im Dez. 1987 verein-
1890 Schutzvertrag mit Brit.-Indien, seit barten Mugabe und Nkomo den Zusam-
1950 unter dem Schutz der Republik In- menschluss ihrer Parteien zur Einheitspar-
dien. tei ZANU (PF); Mugabe seitdem Staats-
Silvester, mehrere Päpste: 1) S. I., hl., und Regierungschef. Unruhen nach Plan
Papst z. Z. Konstantins d. Gr. (314–335); zur Enteignung weißer Großgrundbesit-

849
Simon von Montfort

zer. 1996 Bestätigung Mugabes im Amt, Kronkolonie; 1942 Einnahme durch die
aber Wahlboykott der Opposition. Wei- Japaner; 1945 zurück an Großbritannien;
tere Verschlechterung der wirtschaftlichen 1958 unabhängiger Freistaat im Com-
Lage durch die Dürre 1992, Proteste ge- monwealth. 1963 erhielt S. die staatliche
gen Sparkurs der Regierung, 2000 Hoch- Unabhängigkeit und trat der Föderation
wasserkatastrophe. 2000 schwere Verluste ↑ Malaysia bei, der Gegensatz zwischen der
der Regierungspartei, im März 2002 Bestä- chines. Bevölkerungsmehrheit S.s und der
tigung Mugabes im Amt; die Opposition malm. Bevölkerung führte 1965 zum Aus-
sowie die westlichen Staaten erkannten das tritt von S. aus der Föderation. 1976 Ab-
Wahlergebnis jedoch nicht an. S. wurde zug der letzten brit. Truppen aus S. Durch
aus dem Commonwealth ausgeschlossen; die intensive Förderung exportorientierter
die EU und die USA hatten bereits vorher Industrie (bes. Elektronik) erzielt S. ein ho-
Mugabe Einreiseverbot erteilt und Sank­ hes Wirtschaftswachstum (1988 10,9 %).
tionen verhängt. Sinn Fein (gälisch, „Wir selbst“), radikale
Simon von Montfort, Anführer der ↑ Albi­ irische Freiheitspartei, 1905 gegr., Fortset-
genser im Albigenserkrieg 1209–1212. zung des ↑ Fenier-Geheimbundes, erreichte
Simonie, Bez. für den Handel mit geist- 1921 die Anerkennung des Freistaates Ir-
lichen Würden und schließlich Gewalt der land durch England (↑ Irland); heute politi­
Laien über geistliche Ämter allg.; nach dem scher Arm der IRA.
neutestamentar. Bericht vom Juden Simon Sinowjew, Grigori Jewsejewitsch, sowjet.
Magus, der sich die Gabe der Wundertäte- Politiker, 1883–1936; seit 1903 Mitglied
rei zu erkaufen suchte, heftig bekämpft von der Bolschewiki, Vertrauter Lenins; gehörte
der cluniazens. Reform (↑ Investiturstreit). 1923 zur Troika Stalin-S.-Kamenew, die
Simons, Walter, dt. Staatsmann, 1861– die Führung der Partei innehatte; bildete
1937; 1920/21 Reichsaußenminister, ver- nach 1925 mit Trotzki und Kamenew die
trat das Reich auf den ersten internat. Nach- „Vereinigte Opposition“ gegen Stalin, die
kriegskonferenzen, zu denen Deutschland aber scheiterte; S. wurde 1936 im 1. Mos-
zugelassen wurde (1920 Spa, 1921 Lon- kauer Schauprozess zum Tode verurteilt.
don); 1922–29 Reichsgerichtspräsident. Sintflut, weltweite Wasser-, Sturm- und
Sinanthropus, ↑ Paläolithikum. Erdbebenkatastrophe vor rd. 12 000 Jah-
Sindermann, Horst, dt. Politiker, 1915– ren, die Länder verwüstete, große Gebiete
1990; schloss sich 1929 dem kommunist. überflutete und Völker auf der Flucht und
Jugendverband Deutschlands an, 1934– der Suche nach neuen Siedlungsräumen in
1945 Zuchthaus und KZ; nach 1945 erst Bewegung setzte; sagenhafte, aber in vielen
Mitglied der KPD, dann der SED; seit Einzelheiten übereinstimmende Berichte
1963 Mitglied des ZK, seit 1967 des Polit­ über die S. gibt es in zahlreichen Kultur-
büros der SED, 1973–1976 Vorsitzender kreisen, so z. B. bei den Babyloniern, Ju-
des Ministerrates der DDR, 1976–1989 den (Noah), Ägyptern, Griechen, Kelten,
Präsident der Volkskammer. Indianern; vermutlich im Zusammenhang
Singapur (Löwenstadt), Insel an der Süd- mit dem gewaltigen Ansteigen der Meere
spitze von Malaya und gleichnamige briti­ durch das Schmelzen der Eiszeitgletscher.
sche Besitzung, früher mit Dominion- Sinti und Roma, z. T. bis heute noma­­
Charakter, Seefestung, 1819 durch Stam- disch lebende Minderheitengruppe mit ca.
ford Raffles für die Brit.-Ostind. Kompa- 12 Mio. Angehörigen (davon 8 Mio. in Eu-
nie erworben; 1826 bildete S. mit Malakku ropa), drei Hauptgruppen: Kale (Gitanos)
die Straits Settlements, später eine indische in Südfrankreich, Spanien, Portugal; Roma
Residentschaft, ab 1867 eigene britische auf dem Balkan und in Ungarn; Sinti in

850
Siroky

Deutschland und Mitteleuropa. Die Be- und der Entwicklung zur Dienstleistungs-
zeichnung „Sinti“ geht möglicherweise auf gesellschaft ging die Margi­nalisierung der
die NW-ind. Region Sindh zurück und Sinti und Roma weiter. 1969 forderte der
ließe dann auf eine ind. Herkunft schlie- Europarat die Abschaffung der Diskrimi-
ßen. Die früher übl. Bez. „Zigeuner“ wird nierung und soziale Integration. Der Völ-
von den Angehörigen der Minderheit als kermord an den Sinti und Roma wurde
diskriminierend abgelehnt. – Nach Mit- erst 1982 durch Bundeskanzler Schmidt
teleuropa kamen die Sinti und Roma um offiziell anerkannt. Im selben Jahr Grün-
1400 (1407 in Hildesheim urkundlich dung des Interessenverbands „Zentralrat
festgehalten); bis 1600 rasche Verbreitung deutscher Sinti und Roma“, der sich be-
in Europa, im 18. Jh. in Nordamerika. Im sonders für die Anerkennung der nat-soz.
Hl. Röm. Reich galten sie zunächst als Pil- Verfolgung als Genozid und entspr. Ent-
ger mit kaiserlichem Schutz; ab Mitte des schädigungsleistungen einsetzt. 1997 Er-
15. Jh. Vertreibung aus den Städten, durch öffnung des Dokumentations- und Kultur-
die Zünfte Verbot „ehrenhafter Gewerbe“ zentrums der Sinti und Roma in Heidel-
für die „Zigeuner“ und dadurch Zwang berg, das sich dem Gedenken an die vom
zu Flickarbeiten, Musizieren, Gaukeleien NS-Regime Verfolgten widmet. Die Frage
u. Ä. Auf dem Reichstag Ende des 15. Jh. der sozialen Stellung der Sinti und Roma
wurden „Zigeuner“ für vogelfrei erklärt. war einer der Streitpunkte der EU-Erwei-
Zustrom in die Großstädte und Reduzie- terungsverhandlungen; v. a. in der Slowak.
rung der Wanderungen ab 1907, da Gewer­ Republik, aber auch in Tschechien und
bescheinvergabe an festen Wohnsitz ge- Ungarn lebt eine große Minderheit von
bunden wurde. In der NS-Zeit Verfolgung; Sinti und Roma, oftmals unter ärmlichsten
1938 Zigeuner-Grund-Erlass; 1939 Unter- Bedingungen. Die EU forderte eine bessere
bringung in Sammellagern; 1940 Deporta- Integration und Förderung der Sinti und
tion nach Polen und 1942 in das KZ Ausch­ Roma als Bedingung für den Beitritt.
witz-Birkenau; während der Deportatio­nen Sippe, Gemeinschaft der Blutsverwandten
und Massenvernichtungen der Sinti und bei den Germanen, d. h. die Zweige eines
Roma wurden an ihnen medizin. Versuche Geschlechts mit dem gleichen Stammvater,
unternommen (Amputationen, Gehirnein- diente als Friedens-, Schutz- und Rechts-
griffe u. a.); rd. 500 000 Sinti und Roma gemeinschaft, im Krieg zur gemeinsamen
sind in dt. KZ ermordet worden, dadurch Verfechtung der Belange aller Glieder; mit
Zerstörung der traditionellen Strukturen. dem Erstarken der übergeordneten Staats-
Entschädigungen für das Unrecht in der gewalt trat die S. mehr und mehr in den
NS-Zeit wurden nur geringfügig gezahlt, Hintergrund.
da Antragsfristen versäumt wurden und Sirmium an der Save, im Altertum Haupt­
Sinti und Roma durch Urteil des Bundes- stadt von Unterpannonien, Ruinen bei Mi­
gerichtshofes von 1956 (1963 aufgehoben) tro­witza; im 3. Jh. kaiserl. Residenzstadt.
erst ab 1. März 1943 als rassisch Verfolgte Siroky, Viliam, tschechosloswak. Politiker
galten. Lange kämpften die Überlebenden 1902–1971; 1929–1963 Mitglied des Zen-
oft vergebl. um Anerkennung als Opfer der tralkomitees der KPÖ; 1948–1950 stell-
nat.-soz. Gewaltherrschaft. Noch in den vertretender Außenminister und 1950–53
1970er Jahren arbeiteten dt. Behörden mit Außenminister; 1953–1963 Ministerpräsi­
Unterlagen des nat.-soz. Instituts für Ras- dent; mitverantwortlich für den Import
senhygiene und stützten sich z.T. auf Akten stalinist. Regierungsmethoden (u. a. Liqui-
der „Reichszentrale zur Bekämpfung des dierung polit. Gegner); verlor 1963 seine
Zigeuner-Unwesens“. Mit der industriellen öffentlichen Ämter.

851
Siwa

Siwa, Oase der Libyschen Wüste, unweit im 5. Jh. Herrschaft des Vandalen-Königs
der heutigen ägypt.-libyschen Grenze, im Geiserich, 493 n. Chr. ostgot. (Theode-
Altertum berühmtes ↑ Orakel des Gottes rich), 536 byzantin. (Taormina), im 9. Jh.
Zeus-Ammon; der Perserkönig Kambyses von Arabern besetzt, im 10. Jh., wirtsch.
zog 524 v. Chr. nach S., Alexander d. Gr. Blüte durch Handelsbeziehungen mit den
332 v. Chr. Sarazenen Nordafrikas; 1061–1091 von
Sixtus, mehrere Päpste: 1) S. IV. (Francesco ↑ Normannen erobert; 1127 „Königreich
della Rovere), Papst (1471–1484); 1464 Sizilien“ (Sizilien, Unteritalien einschließ-
Ordensgeneral der Franziskaner, erbaute lich Neapel); 1194–1268 staufisch (Hein-
die Sixtin. Kapelle und zog die bedeutends­ rich VI. und Friedrich II.), 1268–1282 un-
ten Künstler der Zeit zu ihrer Ausstattung ter den frz. ↑ Anjou, 1282 ↑ Sizilianische
nach Rom; machte die Vatikan. Bibliothek Vesper; 1282–1296 mit Aragonien vereint,
der Öffentlichkeit zugänglich; streitbar bis 1377 selbständiges Königreich unter
und Vertreter eines verderblichen Nepo- aragon. Nebenlinie; dann wieder mit Ara-
tismus am päpstlichen Hof und im Kir- gonien, 1442–1458 mit Neapel vereint,
chenstaat. 2) S. V. (Felice Peretti), Papst 1503–1714 von span. Vizekönigen verwal-
(1585–1590); geb. 1521; aus niedrigem tet; S. bildete 1714–1720 mit Savoyen-Pie-
Stand, Generalvikar der Franziskaner; er- mont das Königreich Savoyen und war von
neuerte die Verwaltung des Kirchenstaates Neapel getrennt; bis 1735 habsburg.-ös-
durch Vereinfachung der Hofhaltung; ge- terr., 1735–1860 span.-bourbonisch; 1860
staltete ein neues Rom (Rom des Barock), wurden die Bourbonen durch ↑ Garibaldi
ließ die Michelangelo-Kuppel der Peters- gestürzt; seit 1861 im Königreich Italien.
kirche vollenden, schuf eine Neuordnung Skagerrak, Meeresarm zw. Jütland und
des Kardinalskollegiums (künftig 70 Kardi- Norwegen; 1916 größte Seeschlacht des
näle); unterstützte Philipp II. von Spanien 1. Weltkrieges zw. der dt. (Scheer) und
im Kampf gegen England. brit. Hochseeflotte (Jellicoe); ohne klare
Sixtus, Prinz von Bourbon-Parma, Bruder Entscheidung abgebrochen.
der Kaiserin Zita, 1886–1934; unternahm Skanderbeg (Georg Castriotis), alban.
1917 eine Sonderfriedensaktion (Vermitt- Freiheitsheld; 1443–1448 an der Spitze
lung zw. dem Wiener Hof und der frz. Re- eines alban. Aufstandes gegen die Türken.
gierung), die an den Bedenken Frankreichs Sklaven-Dynastie, ↑ Indien.
scheiterte. Sklavenkriege der Römer; Aufstände der
Sizilianische Vesper, Volksaufstand in Pa- Sklaven vor allem auf den Großgütern
lermo gegen die Franzosen am 30. März und in den Fabriken; später schlossen sich
1282 um die Vesperstunde; Signal zur Ver- die Sklavenmassen der Städte an; 136–
treibung der ↑ Anjou aus Sizilien und zur 132 v. Chr. in Sizilien, 104–100 in Sizilien,
Errichtung der Dynastie ↑ Aragonien in 73–71 v. Chr. in Unteritalien (Gladiatoren-
Sizilien. krieg); Führer der Sklaven ↑ Spartacus, der
Sizilien, ital. Mittelmeerinsel, durch seine zwei röm. Heere besiegte und für kurze Zeit
Lage Schnittpunkt der politischen Kräfte ganz Unteritalien beherrschte, von Lucius
im Kampf um die Beherrschung des Mittel­ Crassus und Pompejus geschlagen; die Auf-
meeres; in der Antike im Westen durch ständischen wurden grausam bestraft.
Phöniker, im Osten und SW durch Grie- Sklaverei, vollständige Unfreiheit, Abhän-
chen besiedelt (↑ Großgriechenland), seit gigkeit und Dienstuntertänigkeit, „Bewirt-
dem 5. Jh. v. Chr. Kämpfe zw. Karthagern schaftung“ von Menschen seit dem Entste-
und Griechen; seit dem 1. Pun. Krieg hen von Eigentumsverhältnissen. Im anti-
(264–241 v. Cbr.) in der Hand der Römer; ken Wirtschaftssystem war der Sklave eine

852
Slawen

käufliche Ware; unterschieden in offene 1885 im Kongobecken, 1888 in Brasilien;


und verkappte S. (Hörigkeit, Knechtschaft, 1889 Anti-S.-Kongress in Brüssel, dessen
Leib­eigenschaft); neben Einzelpersonen Bestimmungen 1892 für alle Kolonialge-
wur­den ganze Gruppen (Stadtbevölkerun­ biete in Kraft traten; 1926 Völkerbunds-
gen, Stämme) mit Frauen und Kindern als konvention gegen den Sklavenhandel.
Kriegsgefangene versklavt; die Entstehung Skoten, Scoten, ↑ Schottland.
von Großmanufakturen mit Sklaven bei Skythen, nomadisierende Reitervölker
den altoriental. und antiken Völkern för- nord­iran. Herkunft, verdrängten Ende des
derte den Sklavenhandel; in spätröm. Zeit 8. Jh. v. Chr. die Kimmerier aus S-Russland
war die Behandlung der S. gesetzlich gere- und von der Schwarzmeerküste; schon
gelt und gemildert (Aufnahme in die Fami- früh Berührungen mit der altgriech. Kul-
lie ihrer Herren, Verwendung als Erzieher, tur und wechselseitiger Kulturaustausch;
Sekretäre, Haushofmeister); in dieser Form ihre Kunst zeigte ostasiat. und babylon.
vom europ. MA übernommen; auf der iber. Einflüsse, Ausbildung eines eigenen form-
Halbinsel Mauren-Sklaven bis ins 16. Jh., vollendeten plastischen Stils (skythischer
im Orient S. bis in die Neuzeit; in Afrika Tierstil), ornamentreiche Waffen, formen-
althergebrachte Einrichtung: Verkauf von reicher Schmuck in Bronze und Gold, kul-
Untertanen durch Häuptlinge. Einschal- tisch. Kunstgewerbe, gewaltige Königs-
tung der Weißen in den Sklavenhandel und Fürstengräber mit reichsten Grabbei-
zuerst durch Stellung von Schiffsraum für gaben, die skyth. Kunst beeinflusste über
den Sklavenhandel der Eingeborenen. Im die Goten den ornamentalen Kunststil
16. Jh. Beginn des Handels mit Sklaven der Germanen und durch Handelsver-
aus Afrika für die amerik. Plantagen und kehr auch den des Mittelmeerraumes; die
Bergwerke; der Handel von der span. Re- S. beunruhigten seit dem 7. Jh. vor allem
gierung als Monopol durch Verträge nach- Vorderasien (Babylonien) und erschienen
einander an Portugal, Holland und Eng- auch an der Weichsel; beherrschten bis
land (1713–1750) vergeben; Höhepunkt zum 3. Jh. v. Chr. den südruss. Raum, wur-
des brit. Sklavenhandels 1770–1780 (in den dann von den Sarmaten unterworfen;
einem Jahr wurden allein von Schiffen un- mit dem Namen Skythien bezeichneten die
ter brit. Flagge 40 000–60 000 Schwarze Römer Zentralasien.
nach N- und S-Amerika verfrachtet, wobei Slawen, Völker mit slaw. Sprache im Os-
jeder Sklave einen Gewinn von 3–5 Pfund ten Europas, in Teilen auch in Sibirien; von
einbrachte; vom 16. bis Mitte des 19. Jh. den Römern als Venedi (Venen, Wenden)
wurden etwa 30 Mio. Schwarze nach Ame- bezeichnet, seit dem 6. Jh. allg. Bezeich-
rika verschleppt). Widerstand durch kirch- nung slovene (vielleicht abzuleiten von
liche Kreise in England (1766 bes. durch slovo, Wort); Urheimat vermutlich das Ge-
Bischof Warburton), organisierte Aktionen biet nördlich der Karpaten und des mitt-
besonders durch die Quäker; 1804 stimmte leren Dnjepr; bis ins 4. Jh. n. Chr. sesshaft,
das brit. Unterhaus gegen den Sklavenhan- gegen das Schwarze Meer durch die Sar-
del (nicht die Sklavenhaltung), konnte sich maten getrennt, nach Norden und Westen
jedoch gegen das Oberhaus nicht durchset- an Finno-Ugrier, Balten, Thraker und Il-
zen; 1808 erstes brit. Gesetz gegen die S., lyrer angrenzend; erste Berührung mit
im gleichen Jahr in den USA; 1813–1830 Germanen durch die Ostwanderung der
durch die europ. Mächte; 1833 Sklaven­ Bastarner, Goten, Heruler, Gepiden (seit
befreiung in den brit., 1848 in den frz. Ko- dem 2. Jh.); um 230 vermutl. Herrschaft
lonien, durch den Sieg der Nordstaaten im der Goten über die Slawen in S-Russ-
Sezessionskrieg (1861–1865) in den USA, land; die folgende Zeit wenig aufgehellt.

853
Sleidanus

Nach dem Abwandern der Germanenvöl- Slowaken, den Tschechen verwandtes,


ker (unter dem Druck der aus Innerasien westslaw. Volk, seit dem 6. Jh. n. Chr. in
nachdrängenden Turkvölker) drangen Sla- der Slowakei, seit 907/908, nach der Zer-
wenstämme in den Raum zw. Ostsee und störung des Großmähr. Reiches, ungarisch
Illyrien vor; beginnende Staatenbildungen (bis 1918); seit dem 19. Jh. slowak. Natio-
und verstärkte Berührung mit der antik- nalbewegung; die Slowakei kam 1919 zur
christlichen Kulturwelt; Europäisierung Tschechoslowakei; 1918 Pittsburger Ab-
auch durch die in Russland siedelnden und kommen ↑ Masaryks über Gewährung der
wandernden ↑ Normannen. In der Folge Selbstverwaltung, bis 1938 nicht erfüllt;
Landnahme und Kolonisation der S.- 1939 wurde die Slowakei mit dt. Hilfe
Stämme in drei Gruppen: 1) Süd-S.: Slo- selbständig; fiel 1945 an die Tschechoslo-
wenen, Kroaten, Serben, slawisierte Bulga- wakei zurück, seit 1993 unabhängige Slo-
ren; 2) West-S.: Polen, Pomeranen, Sorben, wak. Republik.
Tschechen, Slowaken; 3) Ost-S.: Russen, Slowenen, südslawisches Volk, seit dem
Ukrainer, Weißrussen, Großrussen. Aus- 6. Jh. n. Chr. in Krain, Görz, Istrien und
bildung von Dialekten, Bildung von locker im nördl. Kroatien, im MA Grenzvolk des
gefügten Großraumstaaten: Mährisches, Dt. Reiches.
Bulgarisches, Russisches Reich, Böhmen, Smerdis, der jüngere Bruder des Perser­
Polen; die kleineren slaw. Stämme ohne königs Kambyses, von diesem heimlich
Eigenstaatlichkeit; das Slawentum in den getötet; in der Folge traten zwei falsche S.
Ostgrenzräumen des Reiches (bis zur Elbe auf, beanspruchten den Thron und wur-
und Saale, zeitweise bis ins Thüringische den in schweren Kämpfen niedergeworfen
reichend, in Kärnten, Steiermark, Nieder­ (522 und 521 v. Chr.).
österreich) vom alten Reich als Gefahr Smith, Adam, britischer Sozialphilosoph,
empfunden; wegen zeitweiligen Versa- Begründer der klass. Nationalökonomie,
gens durch schwache Staatenbildung Ko- 1723–1790; wandte sich im Sinne der frz.
lonisationsobjekt des Reiches im Osten ↑ Physiokraten, doch unabhängig von ih-
in Richtung des geringsten Widerstandes: nen, unter dem beherrschenden Einfluss
Hauptfeld für die Missionsaufgaben der der britischen Verhältnisse gegen die Re-
römisch-kath. Kirche (↑ Ostkolonisation glementswirtschaft des ↑ Merkantilismus.
und einzelne Slawenvölker), trotz starker In „Wealth of nations“ (Wohlstand der
nationaler und kultureller Eigenentwick- Völker; 1776) stellte S. unter geschickter
lung der einzelnen Staatsvölker Bewahrung Zusammenfassung der den Zeitgeist be-
vieler gemeinsamer Eigentümlichkeiten in stimmenden Ideen das erste geschlossene
Siedlung, Tracht, Nahrung, Volkskunst, System der Volkswirtschaftslehre auf und
Familien- und Sippenform, Volkskultur. wies die Eigengesetzlichkeit der Wirtschaft
Sleidanus, Johannes (eigentlich Johann nach, sah in der („produktiven“) Arbeit die
Phi­lippi), dt. Geschichtsschreiber, 1506– Quelle allen Reichtums und in der unge-
1556; seit 1537 im Dienst Franz’ I. von hinderten Entfaltung der freien Konkur-
Frankreich; trat 1540 zum Protestantismus renz die Bürgschaft für soziale Harmonie
über und wurde Botschafter des Schmalkal­ und Gerechtigkeit; in prakt. Konsequenz
di­schen Bundes, 1545 dessen Gesandter in führt seine Lehre zum ↑ Manchestertum.
England; 1551/52 war S. im Auftrag Straß- Smith, Ian, rhodesischer Politiker, geb.
burgs beim Konzil von Trient. Werke: die 1919; 1964–79 Ministerpräsident Rhode­
Reformationsgeschichte (1555) sowie ­ eine siens, setzte 1965 die einseitige Unab-
universalhistorische Darstellung der vier hängigkeitserklärung von Großbritannien
Weltmonarchien (1556). durch und versuchte, die weiße Herrschaft

854
Solferino

durch Unterdrückung der Schwarzen zu si- Soester Stadtrecht (Ius Susatense), zw.
chern. 1978 musste er schließlich auf in- 1144 und 1165 aufgezeichnet, Vorbild für
ternat. Druck und aufgrund des Guerilla- das Stadtrecht von Hamburg, Lübeck u. a.
krieges im Land schwarze Minister in sein (↑ Stadtrecht).
Kabinett aufnehmen; 1979 trat er zurück. Sofia, das röm. Ulpia Serdica, Mittelpunkt
Smuts, Jan, südafrikan. Politiker, 1870– der Provinz ↑ Dakien; seit 1878 Haupt-
1950; im Burenkrieg 1895–1902 General stadt Bulgariens.
der Buren im Kampf gegen die Briten; trat Soissons, Stadt an der Aisne; 486 Nieder-
später für die Verständigung mit Großbri- lage des ↑ Syagrius, des letzten Römergou-
tannien ein, bes. seit dem Eintritt Trans- verneurs auf gall. Boden, durch Chlodwig;
vaals in die Südafrikan. Union (1910); in S. 751 Erhebung Pippins zum Franken-
kämpfte 1915–17 als Heerführer in SW- könig; 833 erzwungene öffentliche Kir-
und O-Afrika für die Briten, schlug auf der chenbuße Ludwigs des Frommen; seit dem
Friedenskonferenz (Paris 1919) das Man- 9. Jh. Grafensitz, 1734 an die frz. Krone.
datssystem vor; Mitbegründer des Völker- Sokrates, griechischer Philosoph in Athen,
bunds; nach dem 1. Weltkrieg (1919–24) 469–399 v. Chr.; urspr. Bildhauer, nahm
und im und nach dem 2. Weltkrieg (1939– am Peloponnes. Krieg teil, 399 v. Chr. we-
48) südafrikan. Ministerpräsident. gen angeblicher Zersetzung der Jugend
Snorri Sturluson, isländ. Dichter und und Störung der göttlichen und staatlichen
Chronist, 1178 oder 1179–1241; Kenner Ordnung zum Tode durch den Giftbecher
und Sammler altnordischer Mythen und verurteilt; wandte sich gegen die Vernünf-
Volkssagen, verfasste die jüngere ↑ Edda telei der Sophisten, glaubte an allgemein
sowie eine norwegische Königsgeschichte gültige ethische Richtlinien des Handelns,
bis zum 12. Jh. (Heims-Kringla). die er als im Menschen verankertes Sitten-
Soares, Mario, portug. Politiker, geb. 1924; gesetz zu ergründen suchte (Daimonion);
seit den 40er Jahren Gegner des Salazar-Re- forderte daher Selbsterkenntnis („Erkenne
gimes, 1970–74 im Exil; begr. 1973 in der dich selbst“) und Selbstzucht („Beherrsche
Bundesrepublik Deutschland die Sozia­list. dich selbst“); seine besondere Methode
Partei Portugals; nach dem Umsturz vom seines Philosophierens bestand im Fra-
25. April 1974 Außenminis­ter (bis 1975), gen und Antworten (griechische Maieu-
1976–78 und 1983–85 Ministerpräsident; tik, Hebammenkunst). S. hat selbst nichts
1986–1996 Staatspräsident. Infolge seiner Schriftliches hinterlassen; seine Lehre und
erfolgr. Bemühungen um die Etablierung seine Erkenntnisse sind überliefert in den
eines portug. Rechtsstaates konnte Portu- Dialogen und Schriften seines Schülers
gal 1985 in die EG aufgenommen werden. ↑ Platon.
Sobieski, ↑ Johann Sobieski. Solferino, Dorf bei Mantua, 1859 Sieg
Soester Fehde (1444–1449), im Rahmen der verbündeten Franzosen und Sardinier
der zahlreichen Kämpfe der Territorialge- über die Österreicher. Der Sieg verbürgte
walten um die Mitte des 15. Jh. langwie- Sardinien den Besitz der Lombardei, Na-
riger Streit zwischen dem Erzbischof Diet- poleon III. (für seine Waffenhilfe) den
rich von Köln und dem Herzog Adolf von Anschluss Savoyens und Nizzas an Frank-
Kleve um das Schutzrecht über Soest; 1444 reich; die Vernichtungsschlacht gab dem
Soest mehrere Monate durch die köln. Schweizer Henri ↑ Dunant, der als Zivilist
Truppen vergeblich belagert; 1449 durch zw. die Kämpfenden geraten war, Anlass
Schiedsspruch Anerkennung der Besitz- zu seiner aufrüttelnden Schrift „Solferino“
rechte des Herzogs von Kleve; der Kirchen- (entscheidend für die spätere Gründung
besitz fiel an Köln. des ↑ Roten Kreuzes).

855
Solidarnosc

Solidarnosc, (poln., „Solidarität“), poln. der Johanniter, und schlug die Ungarn
Gewerkschaftsverband; im Sept. 1980 un- 1526 erneut bei Mohaćs; 1529 Belagerung
ter Führung von Lech ↑ Walesa in Danzig Wiens. S. erließ für das vergrößerte Reich
gegründet; Auslöser zur Gründung der S. humane Gesetze, er war bedeutend auch
war die mangelnde Versorgungslage der durch die Förderung der Wissenschaften;
Bevölkerung in Polen, die im Juli 1980 despot. und grausam gegenüber der eige-
zu Streiks in den Hafenstädten Danzig, nen Familie, ließ er seine Kinder umbrin-
Stettin und Gdingen führte; daraufhin gen, um dem Sohn seiner Geliebten die
entstand die Forderung nach freien, von Nachfolge zu sichern.
der Partei unabhängigen Gewerkschaften. Solomensch, ↑ Paläolithikum.
Im Dez. 1981 verboten, blieb S. dennoch Solon, athenischer Gesetzgeber, um 640–
im Untergrund weiter tätig; 1989 wieder 559 v. Chr.; lernte als Großkaufmann auf
zugelassen und als polit. Bewegung von seinen Reisen Sitten, Recht und Lebens-
zentraler Bedeutung für den Prozess der bedingungen verschiedener Völker ken-
Umgestaltung in Polen. Aus der S. ging nen und versuchte durch seine Gesetze von
die „Wahlaktive Solidarität“ (AWS), ein 594/93 v. Chr. die Kluft zw. Volk und Aris-
Zusammenschluss von ca. 35 konserva- tokratie zu überbrücken; beseitigte durch
tiv orientierten Gruppierungen unter Ma- die „Seisachtheia“ (Schuldenerlass) die
rian Krzaklewski hervor. Die AWS gewann Schuldknechtschaft und verhalf den Bau-
1997 die poln. Parlamentswahlen und bil- ern zu persönlicher Freiheit; öffnete allen
dete eine Regierungskoalition mit der Frei- Bürgern Athens den Zutritt zur Volksver-
heitsunion; seit deren Ausscheiden 2000 sammlung, ebnete durch die ↑ Timokratie
Minderheitsregierung; enge personelle wie dem Einzelnen je nach Leistung und Ver-
strukturelle Verknüpfung zw. Wahlbünd- dienst um die Gesamtheit Aufstieg zu Wür-
nis und Gewerkschaftsverband. den, Recht und Ansehen und schuf die Vo-
Solidus (lat., massiv, wertbeständig), seit raussetzung zur Schaffung der Demokratie
Konstantin d. Gr. anstelle des Aures röm. in Athen.
Goldmünze (mit Weltgeltung); Teilstücke: Soltikow, Peter, russischer Feldmarschall,
Triens (= Drittel-S.) und Semissus (= Halb- 1700–1772; brachte mit dem österr. Mar-
S.); vor allem in Byzanz (seit dem 4. Jh.) ge- schall Laudon Friedrich d. Gr. bei Kune-
prägt. Der Goldsolidus des Sal. Rechtes = rsdorf 1759 die schwerste Niederlage des
40 Silberdenare, der Silbersolidus (auch tre- ↑ 7-jährigen Krieges bei.
missis oder triens) = 4 Mark Metallwert; seit Solutréen, Kulturstufe des Cro-Magnon-
dem 10. Jh. fast nur Silberprägung; aus S. Menschen im Jung-Paläolithikum, zwi-
sind die Wörter Sold und Sou entwickelt. schen ↑ Aurignacien und ↑ Magdalenien in
Soliman (Suleiman), türk. Sultane: 1) S. I. der letzten Eiszeit um etwa 20 000 v. Chr.;
(1403–1411); richtete nach dem Zusam- Bezeichnung nach den Funden der stein-
menbruch der Mongolenherrschaft (nach zeitlichen Wildpferdjäger bei Solutré in
Timurs Tod 1405) Reich und Herrschaft Frankreich (Dep. Saone-et-Loire), wo
der Osmanen in Kleinasien und auf dem Wildpferde zu Tausenden über Felsen in
Balkan wieder auf und leitete durch die den Tod getrieben wurden; die hier ent-
1. Belagerung von Konstantinopel (1422) deckte Kultur war nur in einigen Teilen W-
den Zusammenbruch des ↑ Byzantin. Rei- und Mitteleuropas verbreitet. Typisch sind
ches ein. 2) S. II., der Große, der Prächti­ge die lorbeer- oder weidenblattförmigen,
(1520–1566), schlug 1517 die Mamelu- auf der ganzen Oberfläche formschön re-
cken in Ägypten, eroberte 1521 Belgrad tuschierten Feuersteinabschläge; gefunden
(gegen Ungarn), 1522 Rhodos, den Sitz wurden auch erste Lampen aus Stein.

856
Sophie Charlotte

Somalia (Somaliland), sozialist. ostafrikan. Sombart, Werner, deutscher Nationalöko-


Republik, früher italien. Kolonie; Han- nom, 1863–1941; wegweisend durch seine
delsbeziehungen mit dem alten Ägypten Studien über Kapitalismus und Sozialis-
(„Weihrauchland Punt“?); seit dem 7. Jh. mus, fasste die Nationalökonomie als Gei-
arab. Einfluss, im 13. und 14. Jh. Bildung steswissenschaft auf (historische Theorie
arab. Fürstentümer, im 16. Jh. portugies. der Nationalökonomie).
Faktoreien, im 17. Jh. zu Sansibar, 1892 Somme-Schlacht, eine der größten Mate-
in italien. Besitz, 1941 von Briten besetzt, rialschlachten des 1. ↑ Weltkrieges, in der
1950 UN-Treuhandgebiet unter ital. Ver- die Briten und Franzosen in 5-monatigem
waltung, seit 1960 unabhängige Republik; (23. Juni bis 26. Nov. 1916) Einsatz aller
1964 Grenzkämpfe zwischen S. und Äthio­ Kräfte vergeblich die deutsche Front auf
pien, 1969 Armeeputsch, Beseitigung des 40 km Breite beiderseits des nordfrz. Flusses
parlamentar. Systems, Regierung durch Re- Somme zu durchbrechen versuchten (über
volutionsrat unter Generalmajor Barré als 1,2 Mio. Tote auf beiden Seiten); in Nach-
Staatsoberhaupt (bis 1976); starke Anleh- wirkung der Schlacht 1917 Rückzug der
nung an die Sowjetunion (bis 1977). 1976 Deutschen in die sog. Siegfriedstellung im
wurde S. als sozialist. Republik prokla- Raum westl. Lille bis zum „Damenweg“
miert. Konflikt mit Äthiopien durch offizi- (Chemin des Dames).
elle Unterstützung der Westsomal. Befrei- Somoza, Familie in Nicaragua, die seit den
ungsfront, die gegen die äthiop. Regierung 30er Jahren des 20. Jh. bis zum Umsturz
kämpfte. 1979 neue Verfassung durch Refe­ 1979 mit diktatorischen Mitteln das Land
rendum; 1979 Parlamentswahlen (Wieder- regierte; letzter Herrscher war Anastasio S.
wahl von S. Barré). 1980 Abkommen mit Debayle (1925–1980), seit 1974 Staats-
USA über Nutzungsrechte in S. (Flughä- präs.; wurde am 17. Sept. 1980 in Asun-
fen, Hafenanlagen). 1988–1989 wurden cion im Exil ermordet.
der somal. Regierung schwere Menschen- Sonderbund, Schutzbündnis der konserva­
rechtsverletzungen gegen Rebellen im Nor- tiven schweizer. Kantone Luzern, Schwyz,
den (Somal. Nationalbewegung, SNM) vor­ Uri, Unterwalden, Zug, Freiburg und Wal-
geworfen (Massaker, Bombardierungen); lis; gegründet am 11. Dez. 1845, im Son-
mehr als 300 000 Menschen flohen aus derbundskrieg 1847 besiegt und aufgelöst.
der nördl. Region S.s nach Äthiopien. Im Sonnenkönig, ↑ Ludwig XIV.
Jan. 1991 stürzten die Rebellen das Militär­ Sophia Alexejewna, Zarin, 1657–1704;
regime; geplante Regierung der Nationalen Tochter des Zaren Alexei Michailowitsch
Einheit scheiterte; weiter Bürgerkrieg. Un- von Russland, führte, aufgeschlossen für
abhängigkeitserklärung des Nordens (bis die europ. Zivilisation, die Regierung für
1960 Brit.-Somaliland) durch die islam. Iwan und den jungen Peter (d. Gr.); der
„Nationale Bewegung Somalias“ (SNM), Versuch, den gegen sie auftretenden Pe-
wurde aber nicht anerkannt. Intervention ter zu beseitigen, misslang; S. wurde 1689
von UN-Truppen unter amerik. Führung gestürzt und trat in ein Kloster ein; durch
(ab Mitte 1992, Aktion „Restore Hope“) den Frieden mit Polen (1686) Sicherung
scheiterte, Rückzug 1994; trotz diverser von Smolensk, der Ukraine für Russland.
Waffenstillstände Fortsetzung des Bürger­ Sophie Charlotte, Königin von Preußen,
kriegs. Im Mai 2000 Friedensabkommen, 1668–1705, Gattin König Friedrichs I. von
Einsetzung einer Interimsregierung, Bil- Preußen, Gönnerin von ↑ Leibniz, regte die
dung eines Parlaments, Staatspräs. Abdul­ Gründung der Berliner Akademie der Wis-
kassim Salad Hassan (ab Aug. 2000); wei- senschaften an; nach ihr Schloss und Berli-
ter Feuergefechte zw. verfeindeten Clans. ner Stadtteil Charlottenburg benannt.

857
Sophisten

Sophisten (griech., Weisheitslehrer), alt- reich in Spanien 1810–1813, kämpfte bei


griech. Wanderlehrer, die sich den Unter- Großgörschen und Bautzen; 1814 Kriegs-
richt in Rhetorik, Staatskunde und Philo- minister Ludwigs XVIII.; während Napole-
sophie bezahlen ließen; die S. vertraten im ons Herrschaft der „Hundert Tage“ wieder
4./5. Jh. v. Chr. eine aufklärer. Philosophie, dessen Generalstabschef, nach vorüberge-
die im Gegensatz zu den Lehren der griech. hender Verbannung 1819 zurückgerufen
Frühzeit Kritik am Überlieferten und krit. und 1827 zum Pair erhoben, 1830–34,
Untersuchung der Erkenntnisfähigkeit for- 1839/40 und 1840–47 Ministerpräsident.
derte; sie dehnten den nüchter­nen Skepti­zis­ Souveränität, unbeschränkte Verfügung
mus auch auf Moral und Ethik aus; neben über die staatliche Gewalt kraft eigenen
Verdiensten um Denkschulung und geis- Rechts, d. h. im Innern Ausschluss aller
tige Problemstellung stand der unheilvolle konkurrierenden Kräfte vom Anspruch
Einfluss auf die Jugend durch die Lehre auf die Herrschaft, nach außen unbedingte
von der Relativität der überkommenen Unabhängigkeit und Selbstbestimmung; in
sittl. und relig. Werte; ihre Hauptgegner diesem Sinne ist S. das Hauptunterschei-
wurden Sokrates und Platon. Namhafte dungsmerkmal der modernen Staatenwelt
Vertreter: Protagoras, Gorgias, Hippias. gegenüber den Rechtsvorstellungen des
Sorben, ↑ Wenden. MA (christliches Naturrecht; Anerkennung
Sorbonne, 1254 als Priester-Nachwuchs- von Kaisertum und Papsttum als oberste
schule (Burse) an der Theolog. Fakultät der Autoritäten der Christenheit, Bindung des
Pariser Universität von Robert von Sorbon, Herrschers an Traditionen; der Staat noch
dem Beichtvater Ludwigs des Heiligen, ge- ein pluralist. Gemeinwesen durch das Zu-
stiftet; erlangte großes wiss. Ansehen im sammenwirken von Teilgewalten wie Kö-
Spät-MA, entschied häufig als autoritative nig und Ständen). Praktisch setzte das Stre-
Instanz in Moralstreitfragen, war Lehrsitz ben nach S. schon im späten MA ein, bes.
bedeutender Theologen (u. a. ↑ Abälard, wirksam in Frankreich (Ablehnung der im
↑ Thomas von Aquin), sodass der Name Hl. Röm. Reich verkörperten Universal-
des Instituts auf die Theologische Fakultät reichsidee, Kampf gegen die Teilgewalten
überging; heute übliche Bezeichnung für im Innern). Aus der vollen Auflösung der
die Universität Paris. Einheit des MA im 16. Jh. ging der mo-
Sorel, Georges, frz. Soziologe, Theoreti- derne souveräne Machtstaat hervor, der im
ker des ↑ Syndikalismus, 1847–1922; ur- Sinne der von ↑ Machiavelli formulierten
spr. Ingenieur, verwarf die liberal-demo- Staatsräson nach außen und innen Macht-
krat.-humanitäre Ideenwelt des 19. Jh. politik treibt; erfolgreiche Machtpolitik
und den Fortschrittsglauben des Bürger- setzt aber volle S. voraus, die sich praktisch
tums, lehnte auch die Überbetonung des bereits durchzusetzen begann, bevor der
Wirtschaftlichen im Marxismus und des- Franzose ↑ Bodin sie theoretisch formu-
sen Lehre vom gesetzmäßig notwendigen lierte; bei Bodin war der zum Träger der
Geschichtsverlauf ab, sah die gestaltende S. erklärte absolute Herrscher (der „Souve-
Kraft der Zukunft in proletar., revolutio- rän“) noch an die göttl. Gebote gebunden;
nären Eliten, deren Waffe die „direkte Ak- dieser Vorbehalt entfiel in der Begründung
tion“ sei, und erklärte den überrationalist. des Absolutismus bei ↑ Hobbes, zugleich
Kritik erhabenen polit. Mythos für einen wurde die Ableitung der herrscherl. Ge-
geschichtsbildenden Faktor ersten Ranges. walt von der Einsetzung durch Gott auf-
Soult, Nicolas, frz. Marschall, 1769–1851; gegeben; nach Hobbes beruht die S. des
nach dem Tilsiter Frieden 1807 Herzog von Herrschers auf der Übertragung durch die
Dalmatien, führte den Kampf für Frank- Allgemeinheit, die sich damit vor Anarchie

858
Sowjetunion

zu retten sucht. – Die Lehre von der Volks- Naziaktivisten“ und dessen Verteilung an
souveränität tauchte bereits im MA auf Bauern, Landarbeiter und Vertriebene, die
(Marsilius von Padua), ihre Verkündung Verstaatlichung der Schwer- und Schlüssel-
durch ↑ Rousseau im 18. Jh. zerbrach das industrie, Vereinigung von SPD und KPD
Ancien regime. – In Deutschland erlangte zur SED u. a. Aus der S. entstand 1949 die
die Lehre von der Volks-S. erst im 19. Jh. ↑ Dt. Demokrat. Republik (DDR).
(Vormärz 1848/49) Bedeutung; bis dahin Sowjetunion (amtlich seit 1922 Union
hatten sich die dt. Fürsten als „Souveräne“ der Sozialist. Sowjetrepubliken, UdSSR),
von Kaiser und Reich emanzipiert (prak- europ.-asiat. Staat, Hauptstadt Moskau. –
tisch bereits 1648 in Bewahrung ihrer „Li- Entwicklung bis 1917: Seit 1861 im Zu-
bertät“ gegen Habsburg; ausdrücklich aner- sammenhang mit der Aufhebung der Leib-
kannt in der dt. Bundesakte 1815) und im eigenschaft durch Alexander II. (23 Mio.
Innern gegen die widerstrebenden Stände Leibeigene wurden frei) sozialrevolutionäre
ihre absolute S. stabilisiert. – Als völker- marxist. Bewegung; 1876 Sammlung der
rechtlicher Begriff wird die S. bes. von Alt- Revolutionäre in der Organisation „Erde
husius und Hugo Grotius auf dem Boden und Freiheit“; 1883 Gründung der sozial-
des (Vernunft-)Naturrechts grundgelegt; demokratischen Arbeiterbewegung durch
die eifersüchtige Wahrung der nat. S. war Plechanow und Vera Zapilic, roter Kon-
eine der Hauptursachen für die internat. gress 1898, seit 1900 Lenin im Vorder-
Spannungen im 19. Jh. – In der Gegenwart grund, Führer der Extremisten; 1903
ist S. Forderung der Kolonialvölker. Auf- 2. Kongress der russische Kommunisten in
gabe von S.-Rechten jedoch Voraussetzung London (Fernziel: Beseitigung des Kapitalis­
internat. Föderationen. Verschieden von mus und Diktatur des Proletariats, Welt­
der S. die Suzeränität (bei der ein Staat nur revolution; Nahziel: Beseitigung des Zaren­
über S. hinsichtlich der eigenen Verhält- tums, soziale Reformen, demokrat. Repu-
nisse verfügt). blik in Russland; an der Frage, ob nationale
Sowjetische Besatzungszone (SBZ, auch: oder internat. Partei, Spaltung in Mensche­
Sowjetzone), eine der vier Besatzungszo- wiki = Minderheitler und Bolschewiki =
nen in Deutschland nach dem 2. Welt- Mehrheitler unter Lenin, der Arbeiter und
krieg, 107 862 km2 mit 18,3 Mio. Einwoh- Bauern zusammenzuführen suchte). Nach
nern (1946); umfasste das Gebiet des Dt. dem Russisch-japanischen Krieg 1905 erste
Reiches zw. Oder-Neiße-Linie im Osten russ. Revolution (Streiks, Bauernaufstände,
und der Linie Lübeck–Helmstedt–Hof im Meuterei), Bildung erster Arbeiterräte
Westen (ausgenommen West-Berlin). Die (Sowjets); Revolution niedergeschlagen. –
zunächst von amerik. und brit. Truppen Zeit Lenins (1917–1924): Beim Zusam-
besetzten Teile Mecklenburgs, Sachsens menbruch Russlands 1917 Rückkehr Le­
und Thüringens wurden am 1. Juli 1945 nins, Trotzkis und anderer Bolschewisten-
von diesen geräumt und ebenfalls sowjet. führer aus der Emigration (↑ Oktoberrevo-
besetzt. Die oberste militär. und polit. Ge- lution); Lenin forderte umgehenden Über-
walt übernahm in der S. am 9. Juni 1945 gang vom Zarentum zur Diktatur des Pro­
die sowjet. Militäradministration (SMAD). letariats, Weltrevolution, Friedensschluss,
Unter ihrer Regie wurde die S. systematisch Auf­teilung der Güter, Abschaffung des Pri-
wirtsch. ausgebeutet und eine kommunis­ vateigentums, Kapital und Arbeit unter
tische Gesellschafts- und Wirtschaftsord- Parteidirektive, Sowjetkontrolle der Indus-
nung aufgebaut: Schul- und Justizreform, trie, Übernahme der Staatsgewalt durch
Enteignung des Großgrundbesitzes sowie Sowjets, Bildung des Rats der Volkskom-
des Besitzes von „Kriegsverbrechern und missare unter Vorsitz Lenins; Gründung

859
Sowjetunion

der Staatspolizei Tscheka (Staat jedoch nur NKWD; „Prozess der Sechzehn“ (u. a. Si-
vorübergehendes Organ der Klassenherr- nowjew und Kamenjew, Mitarbeiter Le-
schaft); 1918 Beseitigung des Parlaments, nins, hingerichtet); 1937 „Prozess der Sieb-
Trennung von Kirche und Staat; Haupt- zehn“ (Massenopfer, unter ihnen Radek);
stadt wurde Moskau; Friede von ↑ Brest- im gleichen Jahr „Prozess der Generale“
Litowsk; Organisierung des Bundesstaates (Marschall Tuchatschewski und sein Stab
der Russischen Sozialistischen Föderativen und Tausende Offiziere hingerichtet); 1938
Sowjetrepublik; Bürgerkrieg zw. „Weiß“ „Prozess der Einundzwanzig“ (GPU-Leiter
und „Rot“ und mit den Interventionstrup- Jagoda, Bucharin, Rykow, Rakowski); 1939
pen (Japan, England, USA, Frankreich, schloss Außenkommissar Molotow Dt.-
Polen, Tschechoslowakei); 1919 Gründung Sowjet. Nichtangriffspakt mit Festlegung
der Komintern (↑ Internationale); 1921 gegenseitiger Interessenzonen und erreichte
siegreicher Abschluss des Interventions- 1941 Entspannung im Fernen Osten
krieges; wirtschaftliche und staatliche Zer- (Sowjet.-japan. Neutralitätspakt); 1939
rüttung sollte durch Neue ökonom. Politik nach Polenfeldzug Aufteilung Polens; we-
(NEP, Lockerung der wirtschaftsrevolutio- gen des Einfalls in Finnland Ausschluss aus
nären Maßnahmen) beseitigt werden; 1922 dem Völkerbund; 1940 im 2. Weltkrieg
erster Durchbruch durch Isolierungsring Annexion Litauens, Lettlands, Estlands,
des Auslands im Vertrag von ↑ Rapallo; Bessara­biens, der Nordbukowina; dadurch
Organisation der Räterepubliken (Sowjet. Ende des Zusammenspiels von Stalin und
Sozialist. Republiken, erster Präsident Kali- Hitler, der 1941 in den Krieg mit Sowjet-
nin); 1924 Tod Lenins (Petersburg wurde russland eintrat; Stalin verkündete den
in Leningrad umbenannt). – Zeit Stalins „Vaterländ. Krieg“ (1941–1945, ↑ Welt-
(1924–1953): Stalin forderte entgegen krieg, Zweiter); Teilnahme der UdSSR an
Lenin erst Ausbau des bolschewist. Systems Konferenzen in ↑ Teheran (1943), ↑ Jalta
in Russland („Sozialist. Vaterland“), dann (1945) und San Francisco (1945); Eintritt
Weltrevolution; Beseitigung der Opposi- in die Vereinten Nationen; 1945 Krieg ge-
tion (↑ Trotzki); neue Männer u. a. Molo- gen Japan; nach Zusammenbruch Deutsch-
tow, Tomski, Bucharin; Stalin erreichte lands Einflussgebiete in Deutschland, Ös-
Anerkennung der UdSSR durch 26 Staa- terreich, Polen, auf dem Balkan, in China;
ten; Annäherung an China, Indien, Japan, 1945 Konferenz von Potsdam; Bildung
Türkei, Afghanistan, Persien; 1926 Rück- eines Rates der Außenminister der Großen
versicherungsvertrag mit Deutschland; seit Fünf und des Alliierten Kontrollrats für das
1928 lösten Fünfjahrespläne NEP ab mit besetzte Deutschland; Beistandspakt mit
verstärkter Rüstung, Förderung des Außen­ China; 1945 keine Abrüstung, ab 1946
handels, Zusammenarbeit mit kapitalist. Abklingen der Allianz mit Westalliierten
Mächten; Nichtangriffspakte; 1933 Kollek­ wegen des zunehmenden Imperialismus
tivierung der Landwirtschaft beendet. Seit Sowjetrusslands; Spaltung der Welt in West
1933 Verschlechterung der Beziehungen und Ost; Polen, Tschechoslowakei, Un-
zu Deutschland (Drittes Reich), Annähe- garn, Jugos­lawien, Albanien, Bulgarien,
rung an Westmächte. 1934 Eintritt in den Rumänien, Dt. Ostzone wurden kommu-
Völkerbund. 1935 Militärpakt mit Frank- nist. Satelliten­staaten (Volksfront-Politik,
reich und Tschechoslowakei; im Innern „Volksdemokra­tien“): kalter Krieg um
ständige „Säuberungen“, blutige Ausmer- ↑ Berlin (erste Berlinkrise, Blockade
zung tatsächlicher oder angeblicher Oppo- 1948/49); Koreakrieg (1950–1953). –
sition (Schauprozesse): Stalin Alleinherr- Nach Stalins Tod (1953) „Neuer Kurs“
scher (Stalinkult); 1936 Jechow Leiter der unter Malenkow (1953–1955) führte zu

860
Sowjetunion

gewissen innenpolitischen und wirtschafts- tungsgespräche. Im Mittelmeerraum und


polit. Erleichterungen und der Entmach- in Südostasien bemühte sich die Sowjet-
tung der Geheimen Staats­polizei (GPU, union, ihren Einflussbereich zu erweitern.
Ermordung Berijas). Unter ↑ Chruscht- – Seit 1975: Mitte der 70er Jahre wurden
schow (1953–1964 1. Sekretär des Zentral- ökonom. Probleme der S. deutlich; man-
komitees, 1958–1964 auch Ministerpräsi- gelnde Effizienz der Volkswirtschaft durch
dent, Vorsitzender des Ministerrats) Akti- Bürokratismus führte zur Stagnation der
vierung der Außenpolitik (Politik der „Ko- wirtsch. Entwicklung; die Arbeitsprodukti-
existenz“ und des expansiven „Anti­ vität ging deutlich zurück. Hinzu kamen
kolonialismus“), Kampf gegen Titoismus, innenpolit. Probleme u. a. durch die sog.
jedoch im Sinne des Leninismus-Stalinis- Dissidentenbewegung; Jan. 1980 Verban-
mus weiterhin gewaltige militärische und nung des Atomphysikers A. Sacharow nach
schwerindustrielle Aufrüstung; kein Aufge- Gorki (Verbannung wurde 1986 von Gor-
ben der weltrevolutionären Endziele des batschow aufgehoben). Die Außenpolitik
Bolschewismus; 1956 (XX. Parteitag) Be- der S. war um 1975 durch die Befreiung
ginn der Entstalinisierung, 1957 Entmach- Vietnams und Angolas (mit sowjet. Hilfe)
tung der Kremlpolitiker Molotow, Malen- bestimmt, aber auch durch Einflussverlust
kow, Kaganowitsch, Schukow, Bulganin; in Nahost (1976 Aufkündigung des Sowje-
1960 Inszenierung der zweiten „Berlin- tisch-ägypt. Freundschaftsvertrages); 1979
krise“; Breschnew löste Woroschilow als Unterzeichnung von SALT II, jedoch nicht
Vorsitzenden des Obersten Sowjets und ratifiziert durch US-Senat wegen Einmar­
Staatsoberhaupt ab; 1961 (XXII. Parteitag) sches der S. in Afghanistan im Dez. 1979,
Ausschluss der stalinist. „Dogmatisten“ der zur Vereisung der internationalen Be-
Molotow, Malenkow, Kaganowitsch und ziehungen der S. führte. In den 80er Jahren
Woroschilow aus allen Ämtern und Wür- stand die Abrüstung im Vordergrund
den; Aufdeckung des Terrors der Stalinzeit; sowjet. Außenpolitik: ab 1981 Genfer Ver-
Kampfansage an den alban. (und chin.) handlungen über Mittelstreckenraketen,
Stalinismus; unter Machtdemonstration 1986 Gipfeltreffen in Reykjavik, 1987 Ab-
gegen das Ausland (Superbombe) Verkün- schluss und Ratifizierung des INF-Ver-
dung des neuen Parteiprogramms („Die trages, ab 1988 Abzug sowjet. Truppen aus
heutige Generation des Sowjetmenschen Afghanistan; 1988 begann die Zerstörung
wird noch im Kommunismus leben“). von Abschussrampen und Trägersystemen
Nach dem Sturz ↑ Chruschtschows wurde der SS-20. Im Gefolge der polit. Verände-
↑ Breschnew Erster Sekretär der Partei und rungen in der S. unter ↑ Gorbatschow nor-
↑ Kossygin Ministerpräsident. Die Auf- malisierten sich die Beziehungen der S. zu
rechterhaltung der sowjet. Vormachtstel- China (Mai 1989 Gorbatschow-Besuch in
lung im Ostblock blieb eine Priorität. Als Peking). – 1979 waren in der sowjet. No-
die tschechoslowakische KP unter Führung menklatura alle wichtigen Positionen durch
↑ Dubčeks ein eigenes reformkommunis­ Parteigänger Leonid Breschnews besetzt,
tisches Modell entwickelte, kam es zur Be- was sich auch auf dem XXVI. Parteitag der
setzung der Tschechoslowakei (↑ Bresch- KPdSU (1981) nicht änderte. Nach dem
new-Doktrin). Gegenüber den Staaten des Tod Breschnews (1982) gab es dann
Nordatlantikpaktes betrieb die Sowjet- schnelle, durch Tod bedingte Änderungen
union seit 1963 eine Politik der Entspan- im Amt des KPdSU-Generalsekretärs: Es
nung: Moskauer Vertrag mit der BRD folgte J. Andropow, der bereits einzelne As-
1970, Berliner Abkommen 1972, Europäi­ pekte der Politik Gorbatschows vorweg-
sche Sicherheitskonferenz 1975, Abrüs­ nahm (darunter die Kampagne gegen die

861
Sowjetzone

Korruption), dann K. Tschernenko und ab in Moskau; am 19. Aug. 1991 ein Putsch


1985 M. Gorbatschow, der einen vollstän- konservativer kommunist. Politiker und
digen Wechsel in der Partei- und Staatsfüh- Militärs gegen Gorbatschow, Einsetzung
rung durchsetzte. – Unter Gorbatschow: eines „Notstandkomitees“; der Putsch schei­
Mit Gorbatschow erlebte die S. eine innen- terte am 21. Aug. am Widerstand der demo­
polit. Liberalisierung, wirtschaftspolit. krat. Kräfte unter Führung Jelzins; 24. Aug.
Umgestaltung (↑ Perestroika), Offenheit Rücktritt Gorbatschows vom Amt des Ge-
der polit. Strukturen (Glasnost) und eine neralsekretärs der KPdSU; am 8. Dez. 1991
Demokratisierung des polit. Systems. Im kam es zur offiziellen Auflösung der Sowjet­
Juni 1988 wurde die Reformpolitik von union durch die drei verblieben Mitglieder
Gorbatschow durch die XIX. Allunions- (Russland, Ukraine und Weißrussland)
konferenz der KPdSU bestätigt. Auf der und Gründung der Gemeinschaft unab-
ZK-Sitzung der KPdSU (Sept. 1988) und hängiger Staaten (GUS).
im Obersten Sowjet (Nov. 1988) wurden Sowjetzone, ↑ Sowjet. Besatzungszone.
die gesellschaftlichen und Partei-Struk- Sozialdarwinismus, Gesellschaftstheorie,
turen reformiert. Im Okt. 1988 übernahm die ↑ Darwins Evolutionstheorie über die
Gorbatschow von A. Gromyko (gest. 2. Juli Entstehung der Arten auf die Menschheit
1989) das Amt des Staatsoberhauptes. Seit anwendet. Durch natürl. Zuchtwahl seien
Ende der 80er Jahre Zuspitzung der Natio- unterschiedliche, verschiedenwertige Indi-
nalitätenprobleme; seit 1988 zw. Armenien viduen, Stämme, Völker und Rassen ent-
und Aserbaidschan Streit um die autonome standen. Daraus folge die hierarch. Glie-
Region Nagorny-Karabach; in den balt. derung aller Gesellschaften. Dieser in der
Republiken Forderungen nach polit. Auto- zweiten Hälfte des 19. Jh. aufkommende
nomie; nationalist. Demonstrationen in Biologismus rechtfertigte die überkom-
der Moldawischen SSR, in Georgien, in menen gesellschaftlichen Ungleichheiten
Usbekistan, Kasachstan u. a. 1990 setzte („Kampf ums Dasein“) und diente zur
Gorbatschow im ZK den Verzicht der „wiss.“ Absicherung des Antisemitismus
KPdSU auf Machtmonopol durch; Bil- und des Rassismus. Der S. wurde zu einem
dung verschiedener Bürgerbewegungen, Kernstück des ↑ Nationalsozialismus.
aber auch Fraktionen im Obersten Sowjet. Sozialdemokratie, Name 1848 in Frank-
Im Mai 1990 Berufung des Reformers Bo- reich aufgekommen, Bezeichnung für po-
ris Jelzin zum Vorsitzenden des Obersten lit. Gruppenbildung, die zur Lösung der
Sowjets; aufgrund des Macht- und Prestige­ sozialen Frage Sozialismus und Demokra-
verlustes der KPdSU Massenaustritte aus tie zu verbinden sucht; heute Bez. für polit.
der Partei; im Dez. 1990 Rücktritt von Parteien mit dieser Zielsetzung in Deutsch-
Außenminister Schewardnadse aus Protest land, Österreich, der Schweiz, Skandina-
gegen Ausbau der Präsidialmacht Gorba­ vien und anderen Ländern (bis 1917 auch
tschows; bis Dez. 1990 Unabhängigkeitser- in Russland; in West- und Südeuropa So-
klärungen aller 15 Unionsrepubliken; am zialist. oder Arbeiterparteien genannt).
17. März 1991 Referendum über den Fort- – In Deutschland fand der demokrat. So-
bestand der Sowjetunion als „Föderation zialismus als polit. Organisation erstmals
gleichberechtigter souveräner Republiken“; Ausdruck in dem 1863 von Ferdinand
1990 Teilnahme an den Zwei-plus-vier- von ↑ Lassalle gegr. Allg. Dt. Arbeiterver-
Gesprächen über die Wiedervereinigung ein, der die sozialen Arbeiterprobleme auf
der beiden deutschen Staaten; Unterzeich- friedlichem Wege mithilfe des Staates zu
nung des START-Vertrages beim Amerika- lösen suchte (nat. und staatssozialist. Pro-
nisch-russischen Gipfeltreffen im Juli 1991 gramm). In Opposition zu Lassalle grün-

862
Sozialdemokratie

deten 1869 August ↑ Bebel und Wilhelm abgestufte Steuern, Arbeiterschutzgesetze,


↑ Liebknecht, beide seit 1867 Abgeordnete Betriebsüberwachungen, Sicherung des
im Norddt. Reichstag, in Eisenach unter Koalitionsrechts, Reichsarbeiterversiche-
Ausschaltung der Lassalleaner die „Sozial- rung. Infolge des sprunghaften Wachstums
demokrat. Arbeiterpartei“ auf der Grund- der Partei setzte sich in der Praxis die gemä-
lage des ↑ Marxismus; als Nahziele wurden ßigte sozialreformerisch-„revisionistische“
aufgestellt: allg. Wahlrecht, direkte Gesetz- Richtung durch, bes. in Verbindung mit
gebung durch das Volk, progressive Steu- den erstarkten ↑ Gewerkschaften (Wort-
ern statt indirekte Steuern u. a. Auf dem führer des „Revisionismus“ E. Bernstein);
Parteitag in Gotha (1875) schlossen sich der sozialrevolutionäre und der gemä-
nach heftigen Auseinandersetzungen Las- ßigte Flügel waren einig u. a. in ihrer Re-
salleaner und Arbeiterpartei zur „Sozialis- gierungsopposition, im Zusammenwirken
tischen Arbeiterpartei Deutschlands“ mit mit den Gewerkschaften, in der Anerken-
einem Kompromissprogramm (Gothaer nung des Streiks als polit. Kampfmittel (Je-
Programm mit Nah- und Fernzielen) zu- naer Parteitag 1903); 1912 stellte die SPD
sammen; das „Gothaer Programm“ wurde mit 4,5 Mio. Wählern und 110 Abgeordne-
von Marx und Engels abgelehnt; der mar- ten die stärkste Reichstagsfraktion. Im Zu-
xist. Flügel gewann die Oberhand; die Par- sammenhang mit der Zustimmung zur Be-
tei wurde im Zuge der starken Industria- willigung der Kriegskredite durch die SPD
lisierung zum polit. Machtfaktor; 1878 1916 Abspaltung einer sozial und politisch
wurde die Partei zu Unrecht mit 2 Atten- revolutionären sozialdemokratischen Oppo­
taten auf Kaiser Wilhelm I. in Verbindung sitionsfraktion im Reichstag, die 1917 eine
gebracht und als „gemeingefährlich“ und von den „Mehrheitssozialisten“ „Unabhän-
„internationalistisch“ durch Reichsgesetz gige Sozialdemokrat. Partei Deutschlands“
verboten (↑ Sozialistengesetz); in der Un- (USPD) gründete; 1917 Abspaltung des
tergrundarbeit wuchs die Organisation äußersten linken Flügels unter Karl ↑ Lieb-
trotz Verfolgungen weiter (1887 bei den knecht und Rosa ↑ Luxemburg („Spar-
Reichstagswahlen 763 000, 1890 1,43 Mio. takusbund“, der 1918 zur KPD wurde);
Stimmen). Nichtverlängerung des ↑ Sozia- 1918 Zusammenarbeit der Unabhängigen
listengesetzes 1890, Neubildung der Par- und Mehrheitssozialisten im „Rat der
tei unter dem heutigen Namen „Sozial- Volksbeauftragten“ und nach der Thron­
demokrat. Partei Deutschlands↑ (SPD); entsagung Kaiser Wilhelms II. Ausrufung
1891 Erfurter Parteitag und „Erfurter Pro- der Republik durch Scheidemann (SPD);
gramm“ (von Karl ↑ Kautsky entworfen): die SPD wurde maßgeblicher Faktor bei
Abkehr vom Lassalleanismus, Rückkehr der Bildung der demokrat.-parlamentar.
zum ursprünglichen Marxismus mit kon- ↑ Weimarer Republik (Verhinderung der
kreten Gegenwartsforderungen, die auf- Rätediktatur nach sozialist. Muster); der
grund der bestehenden Gesellschaftsord- Sozialdemokrat Friedrich ↑ Ebert wurde
nung verwirklicht werden sollten: allg., 1. Reichspräsident, Scheidemann 1. Minis-
gleiches und direktes Wahlrecht, Selbst- terpräsident; 1920 Spaltung der Unabhän-
bestimmung und Selbstverwaltung des gigen, die Mehrheit trat zur KPD, der Rest
Volkes in Reich, Provinz und Gemeinde, zur SPD über. Die SPD war Koalitions-
Volkswehr anstatt des stehenden Heeres, und mehrmals Regierungspartei in Ver-
freie Meinungsäußerung, Gleichberechti- bindung mit bürgerlichen Mittelparteien;
gung der Frau, Erklärung der Religion zur 1933 lehnte sie das ↑ Ermächtigungsgesetz
Privatsache und Forderung weltl. Schulen, Hitlers ab und wurde verboten; ihre An-
unentgeltl. Rechtspflege und ärztl. Hilfe, hänger wurden verfolgt. Neugründung der

863
Soziale Marktwirtschaft

SPD 1945 durch Kurt Schumacher; nach Zeitschrift auf, doch sind im allgemeinen
1945 trotz Oppositionsstellung im Bund Sprachgebrauch des 19. Jh. S. und Kom-
entscheidend am Wiederaufbau beteiligt, munismus ident. Begriffe; erst in neue-
1958 durch Godesberger Programm pro- rer Zeit setzte sich in der polit. Praxis die
grammat. Kurswechsel: Konzept der Volks- Unterscheidung durch (↑ Kommunismus;
partei, Bekenntnis zur sozialen Marktwirt- nach der marxist.-leninist. Theorie ist der
schaft. Seit 1961 Stimmengewinne bei S. die Vorstufe zum Kommunismus). Im
Bundestagswahlen, 1966 Große Koalition weitesten Sinne sozialist. (= kommunist.)
mit der CDU. Bei den Bundestagswahlen Gedankengänge lassen sich bis in die An-
1969 erhielt die SPD 42,7 % der Stimmen tike zurückverfolgen (Platos Idealstaat),
und bildete mit der FDP eine Koalitions- sie äußern sich in rein literar. Utopien, die
regierung, die nach den Wahlen 1972 und meist aus dem eth. Protest gegen die Män-
1976 fortgesetzt wurde und die eine Neu- gel der bestehenden Gesellschaftsordnung
orientierung der Deutschland- und Ostpo- hervorgingen und trotz prakt. Bedeu-
litik durchsetzte. 1982 wurde die Koalition tungslosigkeit doch ins 19. Jh. nachwirk-
aus SPD und FDP durch ein Konstrukti­ ten; berühmte Utopien: 1516 „Utopia“
ves Misstrauensvotum beendet. Nach der von Thomas Morus, 1620 „Civitas So-
Bundestagswahl im Okt.  1998 bildete die lis“ (Sonnenstaat) von Campanella, 1656
SPD zusammen mit Bündnis 90/Die Grü- „Oceana“ von Harrington, 1753 „Code de
nen wiederum die Regierung und stellte la nature“ von Morelli, 1840 „Reise nach
mit Gerhard Schröder den Bundeskanzler. Ikarien“ von Cabet, der bereits die prakt.
Die Wahlen 2002 gewann die rot-grüne Verwirklichung seiner Ideale versuchte,
Koalition knapp mit einem Vorsprung von Wissenschaft und Praxis verbanden sich
11 Sitzen. in unterschiedlichem Verhältnis im Wir-
Soziale Marktwirtschaft, wirtschaftspo- ken der Franzosen Comte, St. Simon, En-
lit. Konzeption des Ordoliberalismus, nach fantin, Fourier, Considerant, Proudhon,
der begrenzte, u. a. ordnungspolitische Ein- Blanc u. a. sowie des Engländers Owen; in
griffe des (Sozial-)Staates in die Marktwirt- Deutschland vertrat Fichte sozialist. Ideale
schaft notwendig sind. Der Begriff wurde (1800 „Der geschlossene Handelsstaat“),
von A. Müller-Armack geprägt und ausge- nachhaltiger wirkte Rodbertus (um 1850)
führt. In der Bundesrepublik Deutschland mit dem Versuch einer Synthese aus preuß.
realisierte Wirtschaftsminister und Bundes­ Konservatismus und S. Der moderne S. als
kanzler L. Erhard diese Konzeption. polit. Massenbewegung bes. des Industrie-
Sozialismus (von lat. socius, Gefährte, Ge- proletariats und als Gegenpol zum ↑ Ka-
nosse), 1) Wirtschafts- und Gesellschafts- pitalismus übernahm das von ↑ Marx und
ordnung, in der die Produktionsmittel ↑ Engels geschaffene System, den ↑ Marxis-
aus Privat- in Gemeineigentum überführt mus, als ideolog. Grundlage; polit. führend
werden und die Produktion unter Aus- wurde in Deutschland die ↑ Sozialdemo-
schaltung der freien Konkurrenz und des kratie unter August ↑ Bebel und Wilhelm
Profits für den Einzelnen gemeinwirt- ↑ Liebknecht als die bis in den 1. Weltkrieg
schaftlich betrieben wird (sozialist. Plan- „klassische“ Sozialistische Arbeiterpartei
wirtschaft). 2) Weltanschauliches System, (nachdem die Lehren Lassalles als „Staats-
das diese Ordnung ethisch rechtfertigt sozialismus“ verworfen wurden). Den in-
und geschichtsphilosophisch, nat.-ökono- ternationalen S. (↑ Internationale) begleite­
misch usw. begründet. 3) Polit. Bewegung, ten als Nebenströmungen der ↑ Anarchis-
die auf dieses Ziel hinarbeitet. – Der Aus- mus und der ↑ Syndikalismus; einen eige-
druck S. tauchte erstmals 1832 in einer frz. nen Weg geht die britische Labour Party,

864
Sozialversicherung

deren nichtrevolutionärer „Reformismus“ neral-]Sekretär Walter Ulbricht 1950–71,


von orthodox-marxist. Sozialisten ebenso danach bis Okt. 1989 Erich Honecker,
scharf abgelehnt wird wie der „Revisionis- Okt.–Dez. 1989 Egon Krentz), ständige
mus“ innerhalb des marxist. S. Nach dem Organe des ZK waren das Politbüro und
1. Weltkrieg schieden sich in fast allen Län- als Exekutivorgan für die Durchführung
dern die „Mehrheitssozialisten“ als Vertre- der Parteibeschlüsse das ZK-Sekretariat;
ter des „demokrat. S.“ von den Kommu- Überwachungsorgan die Zentrale Partei­
nisten. kontrollkommission; die Parteijugend war
Sozialistengesetz, die Ausnahmegesetzge- in der „Freien Dt. Jugend“ organisiert.
bung gegen die deutsche Sozialdemokratie 1963 beschloss der VI. Parteitag ein neues
1878–1890; wurde als Gesetzesvorlage im „Ökonom. System der Planung und Lei-
Reichstag von Bismarck unter taktischer tung der Volkswirtschaft“ zur Moderni-
Ausnutzung eines Attentats auf Kaiser Wil- sierung des Wirtschaftssystems. Seit dem
helm I. eingebracht, um ein weiteres An- VIII. Parteitag betrieb die SED eine Politik
wachsen der sozialist. Stimmen (500 000) der Abgrenzung gegenüber der BRD. Nach
zu verhindern und um die Nationallibe- der demokrat. Revolution in der DDR im
ralen, die anfangs gegen das Gesetz Verfas- Okt. und Nov. 1989, angestoßen durch die
sungsbedenken vorbrachten, zu schwächen; massive Übersiedlerwelle aus der DDR in
vom Reichstag erst nach dem 2. Attentat die Bundesrepublik Deutschland, musste
und Neuwahlen (mit dem von Bismarck die SED ihre vormundschaftliche Allein-
gewünschten Ergebnis) angenommen und herrschaft aufgeben. Sie benannte sich
mit wechselnden Mehrheiten mehrmals zunächst in SED/PDS (Partei des demo-
verlängert; in der Auswirkung nur anfangs krat. Sozialismus) und dann in PDS um;
erfolgreich (Zerschlagung der sozialde- in diesem Prozess verlor sie ca. 50 % ih-
mokrat. Parteiorganisationen, Verbot der rer Mitglieder; eine Reihe ihrer führenden
Partei­presse usw.), dann immer wirkungs- Funktionäre (E. Honecker, G. Mittag u. a.)
loser und von den Sozialisten umgangen wurden wegen kriminellen Verstoßes gegen
(„Rote Feldpost“, Zeitungsschmuggel aus die DDR-Verfassung aus der Partei ausge-
der Schweiz); schließlich (abgelaufen 1890) schlossen, angeklagt und zeitweilig inhaf-
trotz Bismarcks Drängen nicht mehr ver- tiert; ein Teil des ehemaligen SED-Vermö-
längert; das S. entfremdete große Teile der gens wurde an den Staat zurückgezahlt,
dt. Arbeiterschaft dem Staat, machte sie Immobilien wurden den neuen Gruppie-
aber als Gesellschaftsklasse selbstbewusst rungen zur Verfügung gestellt.
und „provozierte“ andererseits das Kaiser- Sozialistische Internationale, ↑ Interna-
reich zur Sozialgesetzgebung. tionale.
Sozialistische Einheitspartei Deutsch- Sozialversicherung, urspr. vor allem Ver-
lands (SED), die bis 1989 in der Deutschen sicherung gegen Unfälle und Not. Ansätze
Demokratischen Republik herrschende schon zu Beginn des 15. Jh. im Bergbau
Staatspartei (nach Artikel 1 der DDR-Ver- und im Transportgewerbe, z. B. die „Bruder­
fassung, der 1989 von der Volkskammer laden“ der Bergleute (schon um 1400 in
aufgehoben wurde); unter dem Druck der Freiberg/Sachsen), die Knappschaftskassen
sowjetischen Besatzungsmacht 1946 durch (Bergbau mit sozialpolitischen Maßnah-
Verschmelzung der SPD und KPD organi- men den anderen Gewerben weit voraus);
siert, bestimmte sie diktatorisch das gesamte im 18. Jh. Hilfskassen einzelner staatlicher
Staats-, Partei- und gesellschaftliche Leben. Manufakturen (Porzellanmanufaktur Mei-
Höchste Instanz war das auf dem Parteitag ßen 1736), im 19. Jh. (entgegen dem herr-
gewählte Zentralkomitee (ZK; Erster [Ge- schenden „Laissez faire“-Prinzip) verein-

865
Spaak

zelte Betriebskassen (voran Kruppwerke halb der Stadtanlage erhalten; das Mauso-
seit 1836, Hörder Verein seit 1842); genos- leum des Kaisers diente seit dem 9. Jh. als
senschaftliche und private Betriebskran- christl. Kirche (Dom).
kenkassen ergaben Erfahrungsgrundlagen Spanien (spanisch Espana), Land der Pyre-
für den Aufbau des staatlichen Sozialver- näen, (iberische) Halbinsel, ursprünglich
sicherungswesens. Markstein der Entwick- von nichtindogerm. Iberern (mit befestig­
lung Bismarcks Sozialgesetzgebung, ein- ten Höhensiedlungen) bewohnt, seit dem
geleitet durch die „Kaiserliche Botschaft“ 4. Jh. durch Kelten besiedelt (↑ Keltiberer).
1881 („Heilung sozialer Schäden“, „posi- Seit 1000 v. Chr. Handelsniederlassungen
tive Förderung des Wohles der Arbeiter“). der Phöniker, dann der Griechen; im
Boden vorbereitet durch die ↑ „Katheder­ 3. Jh. v. Chr. Kolonialreich der ↑ Karthager,
sozialisten“ und Sozialkonservativen; mit- nach dem 2. Pun. Krieg (201 n. Chr.) in
bestimmend staatspolitische Erwägungen: röm. Besitz; unter Augustus ganz S. im
Festigung des Reiches, Gewinnung der röm. Herrschaftsbereich. Im 5. Jh. n. Chr.
Arbeiterschaft für den Staat; Sozialgesetze von den Westgoten, 711 (nach der Über-
als Gegengewicht zur Verbitterung durch lieferung Schlacht bei Jerez de la Frontera)
das ↑ Sozialistengesetz. Nach langwierigen von den Arabern (Mauren) erobert; 755
Reichstagsberatungen 1883 Krankenversi- Gründung des Kalifats Cordoba (bis 1031),
cherung, 1884 Unfallversicherung, 1889 bedeutende kulturelle Entwicklung (Über-
Invaliditäts- und Altersversorgung (1911 nahme griech. Philosophie und Wissen-
zusammengefasst in der Reichsversiche- schaft) und wirtschaftlicher Blüte (Bewäs-
rungsordnung); trotz aller Mängel Vorbild serung, Reis-, Baumwoll- und Zuckerrohr-
für beinahe alle europ. Staaten. – In der anbau), v. a. durch eine im übrigen Europa
Ar­beitslosenunterstützung Pioniertätig- unbekannte Toleranz gegenüber den Nicht-
keit der Gewerkschaften (Unterstützungs- muslimen und ein hoch entwickeltes Sozial­
fonds); im übrigen von W-Europa über- system; vom 8.–13. Jh. entstanden im Nor-
nommenes „Genter System“: durch die den als Nachfolgestaaten des Westgoten-
Gemeinden finanzielle Unterstützung der reiches durch Teilungen, Verbindungen,
Arbeitslosenfonds und der Hilfskassen der Verselbständigung innerhalb der Herr-
Gewerkschaften und karitativen Verbände, schaftsgebiete: León, Asturien, Katalonien,
insges. nichtstaatliche Arbeitslosenfürsorge; Navarra, Aragonien, Kastilien (von dem
im 1. Weltkrieg Übergang zur produktiven sich 1143 Portugal als Königreich trennte);
Erwerbslosenfürsorge, an deren Finanzie- die führenden Königreiche der Halbinsel
rung seit 1924 auch Arbeitnehmer betei- wurden Kastilien (seit 1442 mit dem König­
ligt waren, 1927 Arbeitslosenversicherung reich Neapel) und Aragonien (seit 1282
(vorangegangen Österreich und für Einzel- mit Sizilien); von den genannten Ländern
industriezweige England schon 1911). wurde seit dem 10. Jh. die ↑ Reconquista
Spaak, Paul-Henri, belg. Politiker, 1899– (Rückeroberung) der von den Mauren be-
1972; 1947–49 Ministerpräsident, 1961– setzten mittel- und südspan. Gebiete ein-
66 Außenminister. S. förderte die europ. geleitet (↑ Cid hervorragendste Gestalt
Integration und hatte entscheidenden An­ dieser Zeit); 1085 Eroberung des maur. To-
teil an der Gründung von EWG und Eura- ledo, 1212 Sieg des christl. Heeres der Kö-
tom. 1957–61 Generalsekretär der NATO. nige von Kastilien, Aragón und Navarra
Spalato (Split, röm. Spalatum), Alterssitz bei Navas de Tolosa über den Kalifen Al-
des röm. Kaisers Diokletian nach seiner mansor, der 1195 das Heer Alfons’ VIII.
Abdankung 305; der von ihm errichtete vernichtend geschlagen hatte. 1236 Cor-
Riesenpalast in imposanten Resten inner- doba, 1241 Murcia, 1248 Sevilla erobert

866
Spanien

(maurischer Besitz nur noch das König- (1701/14): Verlust von Belgien (Span. Nie-
reich Granada im Süden). Durch die Hei- derlande), Mailand, Neapel, Sardinien, Gi-
rat ↑ Isabellas von Kastilien mit Ferdinand braltar und Menorca. Aufgeklärter Despo-
von Aragonien 1469 wurde das christliche tismus unter Karl II. (1759–1788) und
Spanien zum Königreich vereint, das die Günstlingswirtschaft unter Karl IV. (1788–
Reconquista wieder aufnahm und mit der 1808) führten auch innerstaatlich zu
Eroberung Granadas 1492 und dem Über- Schwäche und Zerrüttung und boten 1808
greifen auf N-Afrika abschloss (Spanien ge- Napoleon Anlass zur Einmischung und
eint). Die Entdeckungen und Eroberungen teilweisen Unterwerfung (span. Unabhän-
des ↑ Kolumbus, Cortés, Pizarro u. a. be- gigkeitskrieg bis 1814, sog. Peninsular-
gründeten das span. Kolonialreich in Ame- krieg, benannt nach peninsula = Halbin-
rika und auf den Philippinen. Durch Hei- sel); Volksaufstand gegen das von Napo-
ratspolitik (Philipp der Schöne, Sohn Kai- leon errichtete Königtum Joseph ↑ Bona-
ser Maximilians I. und Erbe von Burgund partes, jedoch Rückführung des vertrie-
und den Niederlanden, heiratete die spa- benen Königs Joseph durch Napoleon;
nische Erbtochter ↑ Johanna) gelangten die Eingreifen Englands, Kleinkrieg der Gue-
↑ Habsburger mit ↑ Karl I. (V.) auf den rillas, die durch heldenhafte Ausdauer und
span. Thron; unter Karl bildeten Spanien Gegenwehr dem übrigen geknechteten Eu-
und seine Kolonien mit dem Dt. Reich ropa ein Beispiel gaben und damit den Un-
(wo Karls Bruder Ferdinand regierte), Bur- tergang Napoleons vorbereiteten. Seit 1814
gund, den Niederlanden, Neapel, Sizilien, (mit Ferdinand VII.) wieder Herrschaft der
den nordafrikan. Einflusszonen, seit 1535 Bourbonen, die Stände- und Verfassungs-
auch mit dem Herzogtum Mailand ein kämpfe im Innern und die Machtlosigkeit
Weltreich; Karl V. begründete den span. nach außen begünstigten die Unabhängig-
Absolutismus (aber noch bedeutende Privi- keitsbestrebungen der spanischen Kolonial­
legien der Stände); unter ↑ Philipp II. Ein- länder in Amerika (1825 waren nur noch
ordnung der Teilkönigreiche als Provinzen, Kuba, Puertorico, die Philippinen, Südsee­
Ausbau Madrids und des Escorial, Einglie- inseln und nordafrikan. Gebiet spanisch);
derung des Adels in den Staat, 1565 Anne- 1834–1839 und 1868–1875 erschütterten
xion der Philippinen, 1571 Sieg von Le- Bürger- und Thronfolgekriege das Land
panto über die Türken, 1577 Sieg von Gra- (1873/74 Republik), das nach dem Sturz
velingen über die aufständ. Niederlande, Isabellas (1833–1868) erst unter der Herr-
1580 Eroberung Portugals; religiös-kirchl. schaft ihres Sohnes Alfons XII. (1875–
Vormachtstellung durch Gegenreforma- 1885) wieder zur Ruhe kam. Unter der Re-
tion und Inquisition; durch den Abfall der gentschaft seines nachgeborenen Sohnes
nördl. ↑ Niederlande (Holland) 1581 und Alfons XIII. (Königinmutter Maria Chris­
durch die Niederlage der Armada gegen tine, 1885–1902) verlor S. im Krieg mit
England 1588 beginnender Niedergang. den USA 1898 Kuba, Puertorico und die
1640 Lostrennung Portugals, 1648 Aner- Philippinen und verkaufte die Marianen-,
kennung der Unabhängigkeit der nördl. Karolinen- und Palauinseln an Deutsch-
Niederlande; 1659 fielen Roussillon und land. 1904 erhielt S. durch Vertrag mit
Artois und 1678 die Freigrafschaft Bur- Frankreich das nördl. Marokko (sog. Rif-
gund (Franche-Comte) an Frankreich. gebiet). Im 1. Weltkrieg blieb S. neutral;
Nach dem Tod des letzten span. Habsbur- zunehmende polit. und soziale Spannun­
gers Karl II. (1665–1700) Übernahme des gen führten 1923 zum Staatsstreich Gene-
span. Throns durch die Bourbonen und ral Primo de Riveras, der im Einverständnis
Ausbruch des ↑ Spanischen Erbfolgekrieges mit dem König eine autoritäre Regierung

867
Spanische Mark

errichtete, 1931 Sturz Alfons’ XIII., 1933 der an der ablehnenden Haltung des Kö-
Gründung der Falange-Partei (konservativ- nigs scheiterte. Außenpolit. bemühte sich
span. Kampfbund); nach dem Span. Bür- die span. Regierung trotz starker Proteste
gerkrieg (1936–1939) Bildung einer Dik- in der Bevölkerung um die NATO-Mit-
tatur mit ständestaatlichen Grundsätzen gliedschaft, die im Mai 1982 erfolgte und
unter General ↑ Franco, der trotz enger 1986 durch ein Referendum knapp bestä-
Verbindung zu den Achsenmächten als tigt wurde. Nach langwierigen Verhand-
„nichtkriegführende Macht“ dem 2. Welt- lungen wurde S. am 1. Jan. 1986 Mitglied
krieg fernblieb. 1942 Wiedererrichtung in der EG; im Nov. 1988 wurde S. Mitglied
der ↑ Cortes (Volksvertretung). Außenpoli- in der Westeurop. Union (WEU, im April
tischer Druck der UN (Verweigerung der 1989 durch das span. Parlament gebilligt).
Aufnahme), insbesondere der Großmächte, Die sozialist. Regierung unter Felipe Gon-
blieb ohne die erwarteten Folgen auf Fran- zález Marquez (1982–1996) wurde nach
cos innenpolit. Stellung; sein durch Volks- nach Korruptionsskandalen und aufgrund
abstimmung angenommener Nachfolge- der schwierigen wirtsch. Lage 1996 von ei-
plan erneuerte 1947 das Königreich (unter ner konservativen Regierung unter José
Francos Regentschaft); sein Nachfolger María Aznar abgelöst. Ende 1999 trotz des
sollte aus königlichem Hause sein und als Waffenstillstandes von 1994 erneut Terror-
König regieren (Thronanwärter Don Juan anschläge der ETA. Bei Wahlen 2000 Be-
Carlos). 1953 Abkommen mit den USA stätigung der konservativen Regierung, al-
(amerik. militär. Stützpunkt in Spanien), lerdings Proteste gegen span. Unterstüt-
1955 Aufnahme in die UN; 1956 Aufgabe zung der USA im Krieg gegen den Irak.
des span. Marokko-Protektorats, 1969 Ge- 2004 Terroranschlag radikaler Islamisten
setz, in dem Juan Carlos als Nachfolger in Madrid, fast 200 Tote; bei den Parla-
Francos eingesetzt wurde. 1975 wurde Juan mentswahlen Sieg der Sozialisten; der neue
Carlos nach dem Tod Francos zum König Ministerpräsident José Luis Rodríguez Za-
ausgerufen. Die Regierung unter A. Suárez patéro begann im April 2004 mit dem
González (1976 zum Ministerpräsidenten Rückzug der span. Truppen aus dem Irak.
ernannt, Rücktritt 1981) strebte liberale Spanische Mark, Land südlich der Pyre-
Reformen und die Demokratisierung des näen, zw. Barcelona (Hauptstadt), Pam-
Landes an, Bemühungen um Eintritt in die plona und dem oberen Ebro, wurde 795
EG. 1977 schlossen die größeren Parteien zum Flankenschutz der westfränkischen
aller Richtungen den sog. Moncloapakt, Reichshälfte von Karl d. Gr. gegen die Ara-
um eine neue demokrat. Verfassung auszu- ber (Mauren) gegründet.
arbeiten; über die Verfassung wurde im Spanische Niederlande, ↑ Niederlande.
Dez. 1978 vom Volk abgestimmt, am Spanischer Bürgerkrieg, Juli 1936–März
1. März 1979 gab es Neuwahlen. Als 1939, hervorgerufen durch den Rücktritt
Schritte zu einer föderalist. Republik wur- General ↑ Primo de Riveras, die erzwunge­ne
den im Baskenland und in Katalonien im Abdankung König Alfons’ XIII., die Ver-
Okt. 1979, in Galicien im Nov. 1979 Auto- schärfung der sozialen Spannungen und
nomiestatute verabschiedet (ähnliche Re- durch linksradikale Aufstände (Ausrufung
gelung im Okt. 1980 für Andalusien). der Autonomie Kataloniens 1931, Berg-
Trotz dieser Autonomiestatute existiert im arbeiteraufstand in Asturien 1934); nach
Baskenland eine Untergrundorganisation mehrfachem Regierungswechsel 1936
(ETA), deren militär. Flügel mit terrorist. Wahlsieg der Linksparteien (Volksfront)
Methoden um die Autonomie des Basken- und Militärrevolte General ↑ Francos in
landes kämpft. Im Feb. 1981 Rechtsputsch, Spanisch-Marokko, die zur Bildung einer

868
Sparta

nationalen Gegenregierung führte; beim gung Spanien–Dt. Reich wie z. Z. Karls V.
Übergreifen des Bürgerkrieges auf das span. in Aussicht stand; die Großmächte (Furcht
Mutterland Unterstützung der Volksfront- vor übermäßiger Machtzusammenballung
regierung bes. durch die Sowjetunion, Ge- in Europa) und der polit. Umschwung in
neral Francos durch das nat.-soz. Deutsch- England (Rückberufung Marlboroughs)
land und das faschist. Italien (Sept. 1936 vereitelten weitere Pläne; im Frieden von
wurde General Franco Chef der nat.-span. Rastatt bzw. Baden 1714 Anerkennung des
Regierung und des spanischen Staates); Utrechter Friedens.
1939 Ende des Bürgerkrieges nach Erobe- Sparta (heute Sparti), in der Antike Haupt­
rung von Barcelona und Einmarsch der stadt der peloponnes. Landschaft Lako-
nat.-span. Truppen in Madrid (28. März). nien, neben Athen die bedeutendste ↑ Po-
Spanischer Erbfolgekrieg, 1701–1713/ lis der griech. Antike; die Spartaner, später
14; verursacht durch das angefochtene Tes­ Lakedämonier genannt, drangen mit der
tament Karls II., des letzten span. Habsbur­ dor. Wanderung auf den Peloponnes vor,
gers (gest. 1700; Philipp von Anjou, En- gründeten aus den zwei Gemeinwesen Ko-
kel Ludwigs XIV., zum Erben Spaniens be- mai und Amyklai ihren Staat, in dem un-
stimmt); ausgelöst durch die Thronbestei- ter der Leitung von jeweils 2 Königen (voll-
gung Philipps als Philipp V. von Spanien; ziehende Gewalt und Heerführung), fünf
da auch Kaiser Leopold I., Gemahl der Ephoren (Aufsichtsbehörde) und dem Rat
jüngeren Schwester Karls II., den Thron der Alten (↑ Gerusia) die Volksversamm-
für seinen Sohn, Erzherzog Karl, bean- lung der freien Spartaner nur das Recht der
spruchte; 1701 Bildung einer Allianz gegen Ablehnung oder Zustimmung bei Geset­
Ludwig XIV. und Philipp V. (Große Allianz zesanträgen besaß; Ende des 6. Jh. v. Chr.
zw. England, Holland, dem Kaiser, Preußen Spartas Expansion beendet, seine Stellung
und Portugal), während sich Frankreich als erste Militärmacht Griechenlands an
mit Bayern und Köln verbündete; Erzher- der Spitze des Peloponnes. Bundes begrün-
zog Karl landete als Karl III. in Spanien, det; der spartan. Staat herrschte über die
setzte sich aber nur in Katalonien durch. zah­lenmäßig vielfach überlegenen, aber un­
Trotz der Siege von Höchstädt (1704), freien ↑ Heloten und ↑ Periöken, konnte
Ramillies und Turin (1706), Malplaquet die Herrschaft nur durch straffe Staatsorga-
(1709), erfochten durch Prinz ↑ Eugen und nisation, harte Erziehung und anspruchs-
den engl. Feldherrn Marlborough, Abfall lose Lebensführung wahren (im Gegensatz
der Seemächte von Karl III. Der Friede von zu ↑ Athen); Lykurg, der sagenhafte Ge­
Utrecht 1713 (ohne Beteiligung von Kaiser setzgeber im 9. Jh. v. Chr., galt als Begrün­
und Reich abgeschlossen) anerkannte Phi- der des Staatswesens. S. verbünde­te sich in
lipp V. als span. König; Philipp und Lud- den ↑ Perserkriegen (500–449 v. Chr.) mit
wig XIV. verzichteten für immer auf eine Athen, gab mit der Heldentat ↑ Leonidas‘
Vereinigung beider Kronen, Österreich er- und seiner 300 Spartaner an den ↑ Thermo-
hielt die Span. Niederlande, Mailand, Ne- pylen 480 das Beispiel spartan. Tap­ferkeit,
apel, Mantua und Sardi­nien; England ge- wurde von Athen und dem ↑ Att. Seebund
wann Gibraltar, Menorca, Neufundland, überflügelt, gewann aber durch den ↑ Pelo­
die Hudson-Bay; Kaiser und Reich ver- ponnes. Krieg (431–404) die führende Posi­
sagten anfangs dem Utrechter Frieden ihre tion zurück; danach, durch Geburtenman-
Anerkennung, da Erzherzog Karl (III. von gel und Wirtschaftsnot verursacht, einset-
Spanien) 1711 als Karl VI. den Kaiserthron zender Verfall; 371–362 Niederlage gegen
bestiegen hatte und (bei Erfüllung seines die Thebaner, 146 Eingliederung ins Röm.
Thronanspruchs auf Spanien) eine Vereini- Reich (↑ Griechenland).

869
Spartacus

Spartacus, thrak. Sklave, Gladiator in Ca- Bewaffnung und Munition (ab Sept. 1943
pua, Anführer des Sklavenaufstandes 73– für Rüstung und Kriegsproduktion). Un-
71 v. Chr.; brachte ein großes Sklavenheer ter seiner Führung erreichte die dt. Kriegs-
(Germanen und Kelten) zusammen, be- wirtschaft enorme Produktionszahlen (Hö-
setzte mit 60 000 Sklaven Unteritalien, zog hepunkt im Sommer 1944). S. widersetzte
nach Norden, besiegte die Konsuln Len- sich im März 45 erfolgreich Hitlers Zerstö-
tulus und Genius, den Prokonsul Cassius; rungsbefehlen. Nach dem Krieg bekannte
nach Süditalien zurückgekehrt, vernicht- sich S. zu seiner Mitschuld und wurde zu
ende Niederlage durch die überlegen be- 20 Jahren Haft verurteilt, die er in Span-
waffneten Legionen unter M. L. Crassus; dau verbüßte.
die meisten Sklaven niedergemacht, 6 000 Spengler, Oswald, dt. Kulturhistoriker
gekreuzigt; der Rest erlag dem Pompejus. und Philosoph, 1880–1936; deutete jede
Spartakus-Bund, von Karl ↑ Liebknecht Kultur (seine vergleichende Morphologie
und Rosa ↑ Luxemburg geführte, 1917 der Weltgeschichte behandelt acht Kultur-
von der ↑ Sozialdemokratie abgespaltene kreise) als eigengesetzlichen Organismus
radikale deutsche Linksgruppe, Keimzelle mit Lebensablauf in Blühen, Wachsen und
der sich 1918/19 bildenden Kommunist. Vergehen und deutete den zeitgenöss. Zu-
Partei Deutschlands, die unter dem Na- stand der abendländ. Kultur (Zivilisation,
men „Spartakisten“ 1919 in Deutschland Verstädterung) als das Endstadium ihres
eine Räterepublik nach dem Vorbild der Verwelkens; seine pessimist. Geschichts-
UdSSR einführen wollte. analysen fanden bes. in den Krisenzeiten
Spartiaten (Spartaner), die vollberech- nach dem 1. Weltkrieg weithin populäre
tigten Einwohner (Vollbürger) ↑ Spartas. Beachtung; von großem Einfluss war seine
Speckbacher, Joseph, 1764–1820; füh- romantische, antidemokratische Verherrli-
rend im Tiroler Aufstand gegen Napoleon chung aristokrat. Eliten; Hauptwerk: „Der
vom 1809 (↑ Tirol). Untergang des Abendlandes“ .
Spee, 1) S., Friedrich, Dichter, 1591– Speyer, Stadt am Rhein, als Noviomagus
1635; Jesuit, schrieb geistliche Gedichte Sitz der röm. Verwaltung in Obergerma-
(„Trutz-Nachtigall“), die sich durch lied- nien, im 4. Jh. zum Bistum erhoben, kam
hafte Schlichtheit und Empfindsamkeit im Vertrag von ↑ Verdun 843 zur ostfränk.
auszeichneten, wandte sich scharf gegen Reichshälfte; Pfalzburg der salischen Kaiser,
das Verfahren der Hexenprozesse (Cautio 1234 (bis 1797) Freie Reichsstadt; bedeu-
criminalis 1631). 2) S., Maximilian Graf tend durch die Reichstage während der Re-
von, dt. Admiral, 1867–1914; schlug als formationszeit; 1526 Religionsfreiheit der
Chef des Ostasiengeschwaders bei Coronel Stände, 1529 Protestation der ev. Stände
ein brit. Kreuzergeschwader, ging nach hel- gegen die Durchführung des ↑ Wormser
denhaftem Kampf gegen brit. Übermacht Edikts. 1527–1689 mit Unterbrechungen
1914 bei den Falklandinseln mit seinem Sitz des Reichskammergerichts und 1689
Geschwader unter. durch Ludwig XIV. zerstört, während des
Speer, Albert, dt. Politiker. 1905–1981; Span., Poln., Österr. Erbfolgekriegs und in
urspr. Architekt, fand früh zum National­ den Koalitionskriegen umkämpft; 1816–
sozialismus und zu Hitler, der ihn 1937 1946 Hauptstadt der bayer. Pfalz. Der
zum Generalbauinspektor für Berlin er- romanische Dom unter Konrad II. 1030
nannte (Planung megalomaner Repräsen- begonnen und 1061 unter Heinrich IV.
tationsbauten, u. a. Neue Reichskanzlei); vollendet, nach Zerstörungen im 15. und
wurde im Feb. 1942 Nachfolger des verun- 18. Jh. 1822 und in jüngster Zeit restau-
glückten Fritz Todt als Reichsminister für riert, birgt die Gräber Konrads II. und sei-

870
Sri Lanka

ner Gemahlin Gisela, Heinrichs III., Hein­ Spolienrecht (ius spolii), früher das Recht
richs IV. und seiner Gemahlin Bertha, des Königs auf den Nachlass der Geist-
Hein­richs V., Philipps von Schwaben, Ru- lichen, beruhte auf dem alten Haus- bzw.
dolfs von Habsburg, Adolfs von Nassau, Schutzrecht des Königs über die Geistli­
Albrechts I. chen; auch die größeren und kleineren
Spiegel zum Desenberg, Ferdinand Au- Grund- oder Landesherren übten zuweilen
gust Graf von, dt. kath. Theologe, 1764– das Recht aus (↑ Regalien).
1835; 1813 von Napoleon I. zum Bischof Sporenschlacht (frz. Journée des éperons):
von Münster ernannt, 1817 Mitglied des 1) Schlacht von ↑ Kortrijk (frz. Courtrai)
preuß. Staatsrats, 1821 zum Erzbischof des 1302, in der die flandrischen Zünfte mit
Erzbistums Köln ernannt; maßgeblich an ihrem Fußvolk ein frz. Ritterheer schlugen.
der Organisation der Unabhängigkeit der 2) Schlacht von Guinegate 1479, in der Erz­
Kirche von der staatlichen Kirchenpolitik herzog Maximilian, der nachmalige Kaiser
beteiligt, unterzeichnete am 19. Juni 1834 Maximilian I., die Franzosen, die ihm die
die „Berliner Konvention“ (Ablehnung der Erbschaft seiner Gattin ↑ Maria (Nieder-
Garantie kath. Erziehung bei konfessions- lande und Freigrafschaft Burgund) streitig
verschiedenen Eheleuten). machten, besiegte.
Spießbürger, im MA die von den Ge- Sri Lanka, Republik im Ind. Ozean, die
schlechtern, dem Patriziat geschiedenen ehem. brit. Kolonie ↑ Ceylon; erhielt im
Bürger, Kleinhändler, in den ↑ Zünften Mai 1972 eine Verfassung und konstitu-
zusammengeschlossen, zum Kriegsdienst ierte sich als Republik (zuvor konstitutio-
zu Fuß mit Spießen (vor allem zur Mauer- nelle Monarchie); 1977 Wahlsieg der kon-
wacht) verpflichtet; spött. Bezeichnung für servativen UNP (United National Party)
kleinbürgerl. denkende, pedant. Personen. mithilfe der Regierung (Pressezensur, Ver-
Splendid Isolation (engl., glänzende Ab- sammlungsverbot); danach Verschärfung
sonderung), Bezeichnung für die briti­sche der Spannungen zw. buddhist. Singhalesen
Politik in der zweiten Hälfte des 19. Jh., die (Bevölkerungsmehrheit) und hinduist. Ta-
dank der vorteilhaften Insellage auf Staaten­ milen (ca. 13 % der Bevölkerung), die ei-
bündnisse und Einmischung in die europä- nen autonomen Staat Tamil Eelam anstre-
ische Festlandspolitik weitgehend verzich- ben; nach Einführung des Präsidialsystems
ten konnte. (1977), nach gewerkschaftsfeindlicher Ar-
Spoleto, ital. Stadt in der Provinz Perugia, beitsgesetzgebung (1979) und Ausrufung
im Altertum bedeutende Stadt Umbriens, des Notstandes (1980) kam es zu Unruhen;
242 v. Chr. röm. Kolonie, verteidigte sich 1981 Verhängung des Ausnahmezustandes;
247 v. Chr. erfolgreich gegen Hannibal; 1983–1989 blutiger Bürgerkrieg zw. Tami-
im 5. Jh. n. Chr. von den Goten unter To- len und Singhalesen (bis 1988 über 7 000
tila zerstört, durch Narses neu aufgebaut; Opfer); seit 1987 haben die Tamilen Tei-
während der Herrschaft der Langobarden lautonomie, die aber den Bürgerkrieg
zum Herzogtum erhoben, blieb aber, ab- nicht beendete; 1987 vereinbarten S. L.
gesehen von zeitweiliger Vereinigung, von und Indien den Einsatz von 60 000 ind.
der langobard. Krone fast unabhängig; seit Soldaten in S. L; am 12. Jan. 1989 Auf-
Ende des Langobardenreiches karolingisch, hebung des Ausnahmezustandes; in den
er­starkte unter Karls d. Gr. Nachfolgern; folgenden Wahlen Sieg der konservativen
Herzog Wido von S. zwang 891 den Papst, Partei (UNP); in den 90er Jahren Bom-
ihn zum Kaiser zu krönen; 1220–1860 benanschläge und polit. Attentate: 1992
beim Kirchenstaat, seit 1861 zum König- Ermordung von Oppositionsführer Akhul-
reich Italien. athmudali, 1993 von Präsident Premadasa,

871
Staatsräson

1994 bei Bombenanschlag fast gesamte Stabiae, im Altertum kleine Küstenstadt


Führung der UNP getötet. Im selben Jahr Kampaniens in der Nähe des heutigen Cas­
Wahlsieg des linken Oppositionsbündnis tellamare di Stabia, zus. mit ↑ Pompeji und
People’s Alliance (PA), neue Staatspräsi- Herculaneum im Jahr 79 n. Chr. durch den
dentin Chandrika Bandaranaike Kumara- Vesuvausbruch untergegangen.
tunga, neue Regierungschefin ihre Mutter Stadion, 1) urspr. nur griech., dann auch
Sirimavo Dias Bandaranaike. 1995 ge- römisches Längenmaß, örtlich verschie-
schlossener Waffenstillstand mit den tamil. den, z. B. das attische S. = rd. 164 m, ent-
Rebellen scheiterte, weiter krieger. Ausei- sprechend der Länge der altgriech. Kampf-
nandersetzungen. 2001 bei Parklaments- arena (Stadion); 2) ellipsenförmige Lauf-
wahlen Sieg der Opposition, Regierungs- bahn der antiken Wettkampfstätten.
chef R. Wickremasinghe (UNP) erreicht Stadion, Johann Philipp Graf von, österr.
2002 ein Waffenstillstandsabkommen mit Staatsmann, 1763–1824; einem alten grau-
den tamil. Rebellen. Im Nov. 2003 Auflö- bünd. Adelsgeschlecht entstammend, nach
sung des Parlaments durch Präsidentin Ku- dem Frieden von Preßburg 1805 Staats-
maratunga nach Auseinandersetzungen um kanzler und Minister des Auswärtigen,
die Vorgehensweise bei den Friedensver- bereitete die nat. Erhebung von 1809 vor,
handlungen mit den Tamilenrebellen (Ku- musste nach deren unglückl. Ausgang sein
maratunga warf dem Regierungschef zu Amt ↑ Metternich überlassen; seit 1813
laxes Vorgehen vor.) Bei vorgezogenen Par- Finanzminister, gründete 1817 die österr.
lamentswahlen im April 2004 Sieg der PA, Nationalbank.
neuer Ministerpräsident M. Rajapakse. Stadt (ahdt. stat = Ort, Stelle), meist nicht
SS, Abk. für ↑ Schutzstaffel der NSDAP. landwirtschaftlich genutzte Siedlung mit
Staatsräson, ein von ↑ Machiavelli ge- bestimmter Größe, geschlossener Ortsform
prägter polit. Begriff, nach der die „Maxi­me und dichter Bebauung, besondere Bedeu-
staatl. Handelns“ jeweils bedingt ist durch tung für Verwaltung, Handel, Kultur; sta-
den herrschenden Zeitgeist und die Welt- tist. Definition der Stadt heute nach Ein-
anschauung; ethisch und sittlich stark um- wohnerzahl. – Herausbildung städt. Kul-
stritten, bes. im Falle einer Rechtsbeugung turen seit dem 9./8. Jh. v. Chr. in Palästina;
im höheren staatlichen Interesse. seit dem 5. Jh. im Nil-, Indus-, Euphrat-
Staatssicherheitsdienst, Abk. SSD, auch und Jangtsekiangtal; dienten als (befestigte)
STASI, polit. Geheimdienst der Dt. Demo­ Hof-, Tempel-, Handels-, Gewerbezentren
krat. Republik; 1950 offiziell gegründet als großer Gebietsherrschaften mit Verwal-
Ministerium für Staatssicherheit (MfS); tungs- und Militärorganisation, Schrift-
1953–55 zunächst als Staatssekretariat dem systemen, Geld- und Planwirtschaft; seit
Innenministerium zugeordnet, ab 1955 als dem 2. Jh. v. Chr. entwickelte sich die S. in
MfS selbständig; der SED-Führung und in Europa vom östl. Mittelmeerraum bis zum
den letzten Jahren der Existenz des MfS fast Rhein (1. Jh. n. Chr. ). Die klass. griech. Po-
ausschließl. dem SED-Generalsekretär ver- lis war durch Akropolis (Fluchtburg), Kult-
antwortlich; Aufgaben: Spionageabwehr, stätten, öffentliche Plätze (Agora, mit Ver-
Verhinderung von Sabotage und „staats- waltungsgebäuden, Theater, Gymna­sium,
feindl. Tätigkeit“ und Nachrichtenbeschaf- Stadien, Bädern), Stadtmauern, ein recht­
fung im In- und Ausland; der S. hatte in winkliges Straßensystem gekennzeichnet
den 70er/80er Jahren einen riesigen Appa- (S.anlage nach Hip­podamus von Milet).
rat mit unzähligen Zuträgern etabliert. Im Die römische S.anlage (unter griechischem
Verlauf des Zusammenbruchs des sozialist. und etruski­schem Einfluss) war bestimmt
Systems in der DDR aufgelöst. durch ein Achsenkreuz von Hauptstraßen

872
Staël

mit parallelen Nebenstraßen. Im MA gab Groß-S. (Industrie-S.) ist bestimmt durch


es eine dynam. S.entwicklung in den sü- hohen Zentralisationsgrad und Verwaltungs­
deurop. Ländern (autonome S.staaten in aufwand, Multifunktionalität, intensivste
Oberitalien), zw. Seine und Rhein, England Bebauung und Ausdehnung, City- und
und später im Hanseraum und S-Deutsch- Slum-Bildung, Massenverkehr und spezif.
land; S.bildung aufgrund von Nachbar- Probleme urbaner Zusammenballungen.
schaft, Pfarr-, Gerichtsgemeinden u. a.; Stadtlohn, Stadt in Westfalen; 1623 Sieg
Selbstverwaltung und städt. Gerichtsbar- der Kaiserlichen unter Tilly über Christian
keit waren durch Privilegien oder von S.- von Braunschweig.
Herren erworben. Seit 11./12. Jh. Heraus- Stadtrecht, das Recht der Städte, das
bildung der Gründungs-S. (Hauptphase sich aus dem ↑ Marktrecht und der Be-
im 13./14. Jh.), ohne einheitliche Grund- festigungshoheit des Königs entwickelte,
struktur und durch die topografische Lage die der König an geistliche und weltliche
bestimmt: Langzeilenpläne (Bern), Radi- Fürsten verleihen konnte, so entstanden
alpläne (Brügge), Quadratpläne (Worms). stadtherrliche (königliche, bischöfliche,
Die S. des MA war befestigt, im Zentrum landesherrliche) Städte, seit dem 13. Jh.
die Pfarrkirche, das Rathaus, Zunfthäuser die sog. autonomen Stadtgemeinden; die
und Kaufhallen; wegen hoher Sterblich- Stadt war stets eine ↑ Immunität und zu-
keit war die S.entwicklung auf Zuwan- gleich ein Bezirk mit dauerndem Markt-
derung angewiesen; ihre Anziehungskraft frieden, besaß anfangs die Niedergerichts-
war aber groß aufgrund der Freizügigkeit, barkeit und erwarb im Lauf des MA die
Rechtsgleichheit, Markt- und Verkehrs- Hochgerichtsbarkeit; die herrschaftlich
wirtschaft und blühenden Kultur (↑ Stadt- gegr. Städte erhielten bestimmte Rechte
recht). Durch Festungscharakter, wirtsch. (Privilegien), die allmählich zum unab-
Einfluss und Finanzkraft hatten städt. Zu- hängigen Stadtrecht ausgebaut wurden;
sammenschlüsse (Lombardenbund, Hanse im 12./13. Jh. erfolgte der Durchbruch zur
u. a.) großen polit. Einfluss; Freie Reichs- Selbstverwaltung: Stadträte und Bürger-
städte nahmen als geschlossene Kurie an meister, zunächst aus den „Geschlechtern“,
Reichstagen teil (seit 1489). In der Neu- leiteten seit dem 13. Jh. die Städte (Entste-
zeit entstanden neue Vorstellungen von der hung der Stadtverfassung und der Stadt als
S.entwicklung: Regelmäßigkeit, Symme- „Jurist. Person“); von älteren bedeutenden
trie, Harmonie; in der Renaissance strah- Städten übernahmen jüngere die Form des
lenförmige Anlage mit Zentrum (Platz, Stadtrechtes, daher sog. „Stadtrechtsfami-
Gebäude); seit dem 15./16. Jh. Entwick- lien“; „Mutterstädte“ waren Magdeburg
lung der S. als Amts- und Verwaltungs-S. für Mittel- und Ostdeutschland, Lübeck
(Haupt- und Residenz-S.) im institutio- für den Ostseebereich, Freiburg für Süd-
nellen Flächenstaat; hier wie in der Renais- westdeutschland.
sance radiale Straßenanlagen mit Schloss Staël, Germaine de, frz. Schriftstellerin,
als Zentrum (Versailles), mit Bebauungs- 1766–1817, Tochter des frz. Finanzmini-
normen; daneben entwickelten sich Berg- sters ↑ Necker, verheiratet mit dem schwed.
bau-, Wallfahrts-, Bade-, Garnisons-Städte. Gesandten Baron von Staël, calvinist. erzo-
Die Revolutionsperiode beförderte die gen, Anhängerin Rousseaus; wegen polit.
kommunale Selbstverwaltung, und die in- Kritik von Napoleon verbannt; bereiste
dustrielle Revolution schuf städt. Ballungs- Europa, bes. Deutschland, vermittel­te be-
zentren; die Städte dehnten sich über große geistert den dt. klass. Idealismus und die dt.
Flächen aus, es entstanden Mietskasernen, Romantik in Frankreich. Ihr Buch „Über
Boden- und Häuserspekulation. Die mod. Deutschland“ in Frankreich verboten.

873
Stahl

Stahl, durch Entkohlen schmiedbar, walz- restlichen Gruppen wurden nach Umbe­
bar, pressbar gemachtes Eisen, im Orient nennung in „Nat.-soz. Dt. Frontkämpfer-
schon früh aus Meteoreisen, in Deutsch- bund“ im Nov. 1935 aufgelöst.
land seit etwa 1000 v. Chr. (Siegerland) in Stahlpakt, Vertrag zwischen Italien und
Schmelzöfen als teigige Klumpen gewon- dem Dt. Reich vom 22. Mai 1939; sollte
nen und durch Schmieden von der Schla- nach Hitlers Willen seine krieger. Pläne ab-
cke befreit; verstärkte Erzeugung durch sichern und sah eine enge militär. Zusam-
Einführung des schon in der Antike be- menarbeit für den Kriegsfall vor; selbst bei
kannten Blasebalgs und des Hochofens Angriffskriegen verpflichteten sich beide
(14. Jh.), der die völlige Verflüssigung des Teile zum Beistand. Mit dem S. erreichte
Eisens ermöglicht; durch „Frischen“ wird Hitler auf Dauer das Gegenteil der ge-
der Kohlenstoff verbrannt; 1824 Einfüh- planten Wirkung, denn Italien blieb dem
rung des Puddelverfahrens zur Verhinde- Polenfeldzug mit Hinweis auf nicht abge-
rung der Schwefelaufnahme; seit 1855 schlossene Rüstung fern, Deutschland aber
wurde das vom Hochofenkoks mit Koh- wurde 1941 in Mussolinis militärische
lenstoff durchsetzte Roheisen in der von Abenteuer in Afrika und auf dem Balkan
Bessemer erfundenen Birne entkohlt, 1878 hineingezogen, was den Russlandfeldzug
entwickelte Thomas die Bessemer-Birne entscheidend verzögerte.
weiter und ermöglichte dadurch die Ver- Stalhof (engl. Steel-Yard, abgeleitet vom
arbeitung auch der phosphorhaltigen Erze Stählen oder Färben des Tuches oder rich-
vieler Länder (Schlackenabfall wird Tho- tiger von stellen = Abstellhof, Niederlage),
masmehl); mit dem von Friedrich und Kontor, Faktorei der ↑ Hanse in London;
Wilhelm Siemens und Pierre Martin ent- urspr. die seit 1281 urkundlich belegte dt.
wickelten Siemens-Martin-Ofen gelang Gildehalle, die im Utrechter Frieden 1474
auch die Verarbeitung von Schrott zu Stahl, der Hanse gegen eine Jahresmiete von
1902 Einführung des Elektroofens. 70 Pfd. Sterling überlassen wurde, mit dem
Stahlhelm (Bund der Frontsoldaten), am Verlust der Privilegien 1589 begann der
25. Dez. 1918 gegr. Soldatenbund, der als Niedergang des Stalhofs (1603 geschlos-
Wehrverband gegen sozialist. und kom- sen), das Gebäude 1853 an brit. Kaufleute
munist. Aufstände konzipiert war und den verkauft.
„Geist der Frontkameradschaft“ auf die Stalin, Josef Wissarionowitsch (eigent-
Politik übertragen wollte. Aus der program­ licher Fami­lienname Dschugaschwili),
mat. Ausrichtung wurde bald eine anti­ 1879–1953; Sohn eines Handwerkers, ei-
republikan. Grundhaltung, die sich im nige Jahre im geistlichen Seminar Tiflis,
Kampf des S. gegen „das System“ und des- wegen marxist. Propaganda entlassen; seit
sen tragende Kräfte zeigte. Der S. mit sei- 1903 Bolschewist unter Lenin, schon früh
nen etwa 400 000 Mitgliedern (1924) hatte im Politbüro; 1922 Generalsekretär der
1924 schon den ↑ Dawes-Plan bekämpft, Bolschewist. Partei Russlands; wurde nach
1929 verband er sich mit den Rechtspar- Lenins Tod und Trotzkis Sturz Führer der
teien gegen den ↑ Young-Plan und ging Partei, beseitigte radikal jede vermeintliche
schließlich mit ihnen in der Harzburger oder tatsächliche Opposition (Moskauer
Front einen Pakt ein. Er wurde damit zu Prozesse 1936/37) und baute seine Macht
einem der Steigbügelhalter des National- zur Diktatur aus; steigerte durch Fünfjah-
sozialismus, dessen Umarmung er nach respläne die Produktion der sowjet. Wirt-
der Machtergreifung rasch erlag: Die jün- schaft und die Zwangskollektivierung der
geren Jahrgänge des S. wurden schon seit Landwirtschaft, übernahm 1941 den Vor-
April 1933 in die SA eingegliedert. Die sitz im Rat der Volkskommissare und den

874
Ständewesen

Oberbefehl über die Rote Armee; nahm Ständewesen, die gesellschaftliche Stufen­
an den Konferenzen von ↑ Teheran, ↑ Jalta ordnung des MA auf der Grundlage des
und↑ Potsdam teil; 1946 Präsident des ↑ Lehenswesens (Feudalismus) und der
Ministerrats und Oberbefehlshaber der ↑ Grundherrschaft; Stände im eigtl. Sinne
sowjet. Streitkräfte; als Lenins Nachfol- daher zunächst nur die privilegierten Herr-
ger seit 1924 auch polit. Führer des Welt- schaftsstände Adel und (hohe) Geistlich-
kommunismus, dessen Ziele er erfolgreich keit, im Gegensatz zu den breiten (bäuer-
denen der UdSSR unterzuordnen wusste lichen) Schichten des Gesamtvolkes; mit
(↑ Sowjetunion). dem Aufblühen der Städte im hohen MA
Stalingrad, ehemals Zarizyn, Stadt am un- kam das Bürgertum als „Dritter Stand“
teren Wolgaknie; im 2. Weltkrieg 1942/43 hinzu; die drei Stände traten im polit. Be-
nach 76-tägiger mörder. Kesselschlacht reich als in sich geschlossene Gruppen in
Untergang der 6. dt. Armee (Paulus), ei- der Ständeversammlung hervor (Reichs-
ner der entscheidenden Wendepunkte des stände, Landstände; Vorläufer des neuzeit-
Krieges; Verlust von 250 000 Deutschen lichen Parlaments), wo sie ihre korpora-
(darunter 90 000 Gefangene); 1961 wurde tiven Rechte und Freiheiten gegen den Kö-
S. (nach dem Ende des Stalin-Mythos) in nig oder Landesherrn verfochten (im mo-
Wolgograd umbenannt. dernen Verfassungsstaat dagegen Wahrung
Stalinismus, Stalins Aus- und Umdeutung der Rechte und Freiheiten der einzelnen,
der Lehren von Karl ↑ Marx und ↑ Lenin im Prinzip gleichberechtigten Staatsbür-
(Beweglichkeit in der Politik zur Recht- ger); die Bauern, ehedem als Gemeinfreie
fertigung aller Abweichungen seiner In- mit allen polit. Rechten auf der Volksver-
nen- und Außenpolitik von der Doktrin sammlung (Thing) vertreten, doch nun-
des weltrevolutionären Kommunismus; mehr überwiegend von einem Grundherrn
↑ Bolschewismus); nach Stalins Tod begin- abhängig, waren nur noch vereinzelt in den
nende Kritik an seiner terrorist. Diktatur; Landständen vertreten (die polit. Entrech-
auf dem XX. und XXII. Parteitag 1956 und tung Hauptursache der ↑ Bauernkriege);
1961 Entlarvung seines Willkürregiments die ständ. Gliederung kam nicht nur im
und offizielle Verurteilung der Gewaltme- Politischen zum Ausdruck; ständ. Denken
thoden Stalins, teilweise Rehabilitierung beherrschte alle Bereiche des Lebens (Prin-
seiner Gegner; 1961 Entfernung des ein- zip der „Ebenbürtigkeit“ bei Heiraten;
balsamierten Leichnams aus dem Lenin- Prinzip der „Standesgemäßen Nahrung“,
Mausoleum in Moskau. d. h. Lebenshaltung), sein Grundzug war
Stammesrechte, ↑ Volksrechte. die stark gefühlsbedingte, von keiner Kri-
Standarte, 1) im MA fahnenartiges, auf tik angefochtene Anerkennung der ständ.
einer Stange befestigtes Feldzeichen, seit Schichtung als einer „gottgegebenen“ na-
dem 19. Jh. Hoheitszeichen von Staats­ türlichen Ordnung, verbunden mit ausge-
oberhäuptern; 2) einem Regiment entspre- prägtem korporativem Gemeinschaftssinn
chende Einheit bei der nationalsozialisti­ (im Gegensatz zum modernen Individua-
schen SA und SS. lismus) in einer teils „patriarchalisch“ (Ver-
Standesherren, 1815–1918 Bezeichnung hältnis grundherrabhängiger Bauer), teils
für die reichsfürstl. und reichsgräflichen „genossenschaftlich“ geordneten Lebens-
Häuser, die durch die „Mediatisierungen“ welt (städt. Gemeinschaftsform: Gilden,
zwischen 1803 und 1806 zu Untertanen Zünfte). Ständekämpfe (Zunftunruhen,
der größeren Landesherren wurden; durch Bauernkriege) richteten sich zunächst ge-
die deutsche Bundesakte von 1815 zugehö- gen Machtmissbrauch und Rechtsverlet-
rig zum hohen Adel. zung, die Zünfte erstrebten gleichzeitig

875
Stanislaus

die Demokratisierung der Verfassung, ihre Starhemberg, österreichisches Uradelsge-


Zulassung zum Rat und damit Teilnahme schlecht, seit 1765 Fürsten: 1) S., Ernst
am Stadtregiment; „Unehrliche“ (z. B. die Rüdiger Graf von, österr. Feldmarschall
Landfahrer) standen außerhalb der ständ. 1638–1701; verteidigte 1683 Wien wäh-
Ordnung; Abstammung von einem Scharf- rend der 2. Türkenbelagerung. 2) S., Guido
richter, Abdecker u. a., auch uneheliche Graf von, österr. Feldmarschall, 1657–
Geburt, galten als Makel (keine Aufnahme 1737; Vetter von 1), im Span. Erbfolge-
in die Zunft); gegen solche Prinzipien der krieg Oberbefehlshaber in Spanien. 3) S.,
Ungleichheit durch Geburt, bes. aber ge- Ernst Rüdiger Fürst von, österr. Politiker,
gen den Hochmut und die Pflichtverges- 1899–1956; seit 1930 Führer der österr.
senheit der privilegierten Stände richtete Heimwehren; Innenminister, 1934–1936
sich die Kritik der Aufklärung an der al- Vizekanzler unter Dollfuß und Schusch-
ten Gesellschaftsordnung, der außer dem nigg (↑ Österreich).
Gleichheitsprinzip der ↑ Menschenrechte Statutum in favorem principum, 1231
auch das prakt. Bedürfnis des ↑ „Dritten von Kaiser Friedrichs II. Sohn Heinrich
Standes“ nach polit. Mitbestimmung und (VII.) erlassenes Reichsgesetz, von den
wirtsch. Freiheit entgegenstand; die Frz. Fürsten erzwungen, beschnitt die Rechte
Revolution von 1789 (in Deutschland die des Königs in den landesherrlichen Terri-
Reformgesetzgebung Anfang des 19. Jh.) torien; entscheidender Schritt zur Ausbil-
ersetzte die ständ. Ordnung durch die dung der Landeshoheit und Machtentfal-
moderne Gesellschaft gleichberechtigter tung der „Landesherren“ (Ausdruck erst-
Staatsbürger, die sich jedoch infolge ihrer mals in diesem königlichen Erlass); städte­
unterschiedlichen ökonom. Situation zu feindlich, da auch die Städte den Territo-
Klassen (↑ Bourgeoisie – Proletariat) for- rialherren im Wege standen; von Kaiser
mierten: An die Stelle des Übereinander Friedrich II. 1232 in Cividale bestätigt.
und Miteinander der Stände trat das Ge- – Vorausgegangen war 1220 die Confoede-
genüber und Gegeneinander der Klassen ratio für die geistlichen Fürsten.
(↑ Klassenkampf ). – Bestrebungen, einen Staufer, ↑ Hohenstaufen.
modernen (Berufs-)Stände- oder Korpo- Stauffenberg, Claus Graf Schenk von, dt.
rationenstaat (anstelle des parlamentar. Par­ Offizier und Widerstandskämpfer, 1907–
teisystems und der Wahl nach Bezirken) 1944; seit 1940 im Generalstab des Heeres
zu schaffen, wurden vorübergehend nur in (Organisationsabteilung); zunächst von
antidemokrat. Sinne z. B. vom faschist. Ita- Hitlers militär. Erfolgen überzeugt, dann
lien und teilweise in Österreich (Dollfuß, Skepsis gegenüber der Eroberungspolitik,
Schuschnigg) und Spanien verwirklicht. Kritik an militär. Fehlentscheidungen und
Stanislaus, poln. Könige: 1) St. I., ↑ Lesz­ Protest gegen nat.-soz. Terror in besetzten
czynski. 2) St. II., ↑ Poniatowski. Gebieten; Okt. 1943 Stabschef beim Allg.
Stanley, Henry Morton, brit. Afrikafor- Heeresamt und seit 1944 Stabschef beim
scher, 1841–1904; fand in O-Afrika den Befehlshaber des Ersatzheeres. S. führte das
verschollenen ↑ Livingstone, befreite 1887– Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 durch;
89 Emin Pascha im Sudan, erforschte die wurde nach dessen Scheitern standrecht-
innerafrikan. Seen und den ↑ Kongo. lich erschossen.
Stapelrecht, im MA von Landesherren Steiermark, das zweitgrößte Bundesland
den Städten verliehenes Recht, durchzie- ↑ Österreichs (Hauptstadt Graz); gehörte
hende oder in einem best. Umkreis vorbei- in röm. Zeit mit dem O-Teil zu ↑ Panno-
reisende Kaufleute zu zwingen, ihre Waren nien und mit dem W-Teil zu ↑ Noricum;
für gewisse Zeit in der Stadt anzubieten. urspr. von den kelt. Taurisken bewohnt,

876
Stephan

dann von Illyrern besetzt, gegen Ende des Steinheim-Mensch, ↑ Paläolithikum.


6. Jh. von Slowenen besiedelt, im 8. Jh. zu Steinzeit, ↑ Paläolithikum, ↑ Eiszeit, ↑ Me-
Bayern; S. bildete seit 976 einen Teil Kärn- solithikum, ↑ Neolithikum.
tens; 1180 zum Herzogtum erhoben und Stempelsteuer, durch den Kauf von Steuer­
1186 dem Babenberger Leopold V. über- marken zu entrichtende Steuer, z. B. die
tragen; nach dem Tod des letzten Baben- Wechselsteuer und die Banderolensteuer;
bergers, des Herzogs Friedrich des Streit- auch Sondersteuer für die Presse.
baren (1246), z. Z. der Türkenkriege, als Stephan, Name von Herrschern. Serbien:
Grenzschutzgebiet (↑ Militärgrenze) be- 1) S. Dušan (1331–1355), brachte Serbien
währt; die weltlichen Stände entschieden zu größter Ausdehnung, nannte sich seit
sich für die Reformation, seit 1598 erfolg- 1346 „Imperator Rasciae et Romaniae“, er-
reiche Gegenreformation. Die südl. S. kam richtete das serb. Patriarchat, strebte nach
1919 zu Jugoslawien, 1941 wieder zu Ös- der byzantin. Kaiserkrone; nach seinem
terreich, nach dem 2. Weltkrieg Grenzen Tod zerfiel das Reich. – Ungarn: 2) S. I.,
von 1937. der Heilige (997–1038); erster König Un-
Stein, Karl Reichsfreiherr vom und zum, garns, Schwager Kaiser Heinrichs II., Or-
preuß.-dt. Staatsmann, 1757–1831; 1807– ganisator eines Einheitsstaates nach dem
1808 auf Veranlassung Napoleons preuß. Mus­ter des Frankenreiches; förderte die
Staatsminister mit außerordentlichen Voll- Chris­tianisierung Ungarns, errichtete zwei
machten, erwarb sich größte Verdienste Erzbistümer, wurde am Weihnachtstag des
durch Gesetzgebung zur ↑ Bauernbefrei- Jahres 1000 zu Gran mit der von Papst
ung, Behördenorganisation und Städte- Silvester II. geschenkten Krone gekrönt
ordnung (beeinflusst vom brit. Vorbild der (↑ Stephanskrone); Nationalheiliger (Pa-
gemeindlichen Selbstverwaltung); forderte tron) des ungar. Volkes.
(Nassauer Denkschrift 1807) Erziehung Stephan, Päpste: S. II., Papst 752–757;
der Untertanen zur freien Persönlichkeit, von dem vor Rom stehenden Langobar-
zum verantwortungsbewussten, an Gesetz- denkönig Aistulf bedrängt, eilte er 753 als
gebung und Verwaltung beteiligten Staats- erster Papst über die Alpen, um den Fran-
bürger gegenüber den einschränkenden kenkönig Pippin III. d. J. um Schutz und
Kräften von Absolutismus und Bürokra- Hilfe zu bitten; die Zusammenkunft und
tie. Erfüllt von der Reichsidee, Vorkämp- das eidliche Hilfeversprechen begründe-
fer gegen Napoleon (deshalb 1808 von Na- ten das Bündnis zw. Papsttum und Fran-
poleon geächtet), flüchtete an den Hof des kenkönigen; erneute Salbung Pippins und
Zaren Alexander I., wirkte von Russland seiner Söhne in St. Denis; der Papst blieb
aus gemeinsam mit ↑ Arndt für die dt. Be- Verweser des byzantin. Kaisers in Italien,
freiung und organisierte 1813 die ostpreuß. Pippin aber als „Patricius Romanorum“ di-
Erhebung; 1814/15 Teilnahme am Wiener rekter Schutzherr der Kirche; Pippin sagte
Kongress, zog sich aber, da er die Errich- dem Papst bestimmte Rechte und Gebiete
tung eines Dt. Reiches nicht durchsetzen in einem rein päpstlichen Interessengebiet
konnte, auf seinen Besitz an der Lahn zu- zu (Kirchenstaat und Exarchat Ravenna,
rück; 1819 Gründung der „Gesellschaft ↑ Pippin. Schenkung).
für Deutschlands ältere Geschichtskunde“ Stephan, Heinrich von, 1831–1897; Sohn
in Frankfurt/Main, von der seit 1826 die eines Handwerkers; zunächst im Postdienst
Quellensammlung zur dt. Geschichte des im preuß. Osten, in Köln (damals Haupt-
MA, die „Monumenta Germa­niae histo- platz des Internat. Postdienstes Deutsch-
rica“, hrsg. wurde; seit 1823 Landtagsmar- lands), dann in Berlin; schon früh Aus-
schall der westfäl. Landstände. landsreisen zum Studium des ausländischen

877
Stephanskrone

Postwesens; Hauptziel: Beseitigung der Steuererhebung hat nur der Staat (Aus-
Tausende von Posttarifbestimmungen in nahme sind ledigl. Kirchen-S.). Zur Legi-
der Welt, Vereinfachung auf wenige Ge- timierung der S. werden 3 Theorien un-
bührensätze; S. vereinheitlichte in diesem terschieden: Äquivalenztheorie (Interessen­
Sinne zunächst das norddt. preuß. Postwe- theorie), Assekuranztheorie (Versicherungs­
sen, wurde dann erster reichsdt. General- theorie), Opfertheorie. Im Altertum wur-
postdirektor, erfand die Postkarte, führte den S. minderprivilegierten Gruppen auf-
Postanweisungen, einheitl. Paket- und erlegt oder nur zeitweilig (Notzeiten) er-
Brief­porto ein; verhalf dem Fernsprecher hoben. Im MA standen die S. hinter den
zum Siegeslauf über die ganze Erde, unter­ Einnahmen aus Grundbesitz, Regalien und
stellte Fernsprech- und Telegrafenwesen Zöllen zurück; in Deutschland scheiterten
der Post, begr.1874 den ↑ Weltpostverein. die Reichs-S. im 15. Jh. an der Kleinstaa-
Stephanskrone, die ungarische Doppel- terei. In England entwickelte sich ein
Königs-Krone, ben. nach Stephan dem Hl., Steuersystem überwiegend aus indirekten
der obere Teil der Krone 1000 von Papst S.n (Verbrauchsbesteuerung), aber auch
Silvester II., der untere Stirnreif 1075 vom aus direkten S.n (Kopf-S.) wie Fenster-S.
oström. Kaiser Michael Dukas gestiftet. (1696), Haus-S. (1747); wichtigste Steuer
Stephenson, George, Lokomotiv- und im Absolutismus war die Salz-Steuer. In
Eisen­bahnbauer, 1781–1848; brit. Gruben­ Deutschland entstand in den Städten mit
ingenieur, entwickelte nach 1810 Dampf- der Geldwirtschaft ein Steuersystem; zu-
lokomotiven nach eigenen Ideen, baute nächst Pauschal-S. für die Landesherren.
1823 eine Lokomotivfabrik, aus deren Pro- Im 19. Jh. setzte sich schließl. die Steuer als
duktion die „Rocket“ (mit 4,3 t Gewicht) wesentliches Finanzierungsmittel staatli-
1825 an der Prüfungsfahrt brit. Lokomo- chen Bedarfs durch. Mit dem Wachsen der
tiven auf der Strecke Stockton-Darlington Funktion von Staat und staatlicher Verwal-
teilnahm und nach mehreren Fahrten als tung ist heute die Höhe des Steueraufkom-
allein betriebssichere Maschine den Sieg mens (im Verhältnis zum Volkseinkom-
davontrug; S. wurde damit zum ausschlag- men) gestiegen. Auch die Art der Besteu-
gebenden Pionier des Eisenbahnwesens erung hat sich verändert. Das Steuerwesen
und zugleich zum führenden Bauleiter der ist zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor
ersten Eisenbahnlinien in Europa. geworden, mit dem die Finanzpolitik regu-
Sternenbanner (engl. Stars and Stripes), lierend eingreifen kann.
Nationalflagge der USA, besteht aus 13 ho- Stift, seit dem MA im kath. Kirchenrecht
rizontalen Streifen (Zahl der Gründungs- geltende Bez. für ein mit einer Stiftung aus-
staaten), abwechselnd rot und weiß, mit gestattetes Kollegium von kanonisch leben-
blauem oberem Sternenfeld (50 Sterne = den Klerikern (Stiftsherren), die den Chor-
Zahl der Bundesstaaten). dienst an der Stiftskirche zu verrichten hat-
Steuben, Friedrich Wilhelm von, preuß. ten, z. B. an einer Dom­kirche (Domstift,
General, 1730–1794; Offizier im 7-jäh- Hochstift) oder einer anderen Kirche (Nie-
rigen Krieg; beeinflusste seit 1778 als Re- derstift, Kollegiatstift); der Klerus des S.es
organisator der nordamerikan. Armee ent- und das S. besaßen besondere Privilegien
scheidend den Ausgang des ↑ Unabhängig- (Domfreiheit).
keitskrieges gegen Großbritannien; zeit- Stilicho, Flavius, röm. Feldherr und Politi­
weise Generalstabschef Washingtons. ker, um 365–408; vandal. Herkunft, un-
Steuern, zwangsweise erhobene Abgaben ter Kaiser Theodosius verdienter Truppen-
an das öffentl.-rechtl. Gemeinwesen zur führer, zuletzt Heermeister (Oberfeldherr)
Deckung des Finanzbedarfs; ein Recht zur und mit der Kaisertochter Serena vermählt;

878
Straßburg

nach dem Tod des Kaisers Reichsverwe- Stonehenge, mächtiges Kulturdenkmal


ser für die jugendlichen Söhne Honorius (Megalithbau) in Südengland (bei Salis-
(Westrom) und Arcadius (Ostrom); be- bury) aus dem ↑ Neolithikum (vollendet in
strebt, die Reichseinheit zu wahren, suchte der ↑ Bronzezeit), mit teilweise erhaltenen,
S. die Verschmelzung von Germanen und über 4 m hohen Steinpfeilern und Blöcken,
Römern herbeizuführen; die aus ihrem zu- die ring- oder hufeisenförmig angeordnet
gewiesenen Siedlungsgebiet Mösien nach sind; das Heiligtum diente wohl dem To-
Griechenland einfallenden ↑ Westgoten un­ tenkult (Hunderte von Grabhügeln rings
ter ↑ Alarich versuchte er erneut anzusie- um das Monument) und dem Frühlings-
deln; als sie auch nach Italien vorstießen, brauchtum.
schlug er sie bei Pollentia (402) und Verona Stoph, Willi, DDR-Politiker, 1914–1999;
(403), die ebenfalls in Italien eingedrun- 1953–55 Innenminister, 1956–1960 Ver-
genen Ostgoten bei Fiesole (405); sicherte teidigungsminister, maßgeblicher Anteil an
Gallien vor den Germanen, versuchte mit der Bildung der Nationalen Volksarmee,
Alarichs Hilfe nach dem Tod des Arcadius 1964–1973 Ministerpräsident, 1973–76
den oström. Kaiserthron zu gewinnen, 408 Staatsratsvorsitzender, 1976–1989 erneut
in Ravenna hingerichtet. Ministerpräsident (d. h. Vorsitzender des
Stockholm, Hauptstadt Schwedens; von Ministerrats). Mitverantwortlich für den
König Knut (1167–1196) um 1187 als Fes­ Schießbefehl an der innerdt. Grenze. Ein
tung gegen Seeräuber erbaut, entwickelte nach der Wende eingeleitetes Strafverfah-
sich unter ↑ Birger Jarl zur Handelsstadt; ren wurde 1993 aufgrund gesundheitl.
widerstand 1389–1395 mithilfe von Kaper­ Probleme Stophs eingestellt.
fahrern den ↑ Vitalienbrüdern, den dän. Störtebeker, Klaus, berühmter Seeräuber,
An­griffen z. Z. Königin Margarete und den Anführer der ↑ Vitalienbrüder, 1401 von
Norwegern. Erst im 17. Jh., in der Zeit der den Hamburgern bei Helgoland besiegt
großen schwed. Erfolge (Gustav Adolf ) und und hingerichtet.
des glanzvollen Hofes (Christine, Karl X.), Strabo, griechischer Geograf, 64 v. Chr.–
entwickelte sich S. zur Großstadt. – Friede 19 n. Chr., nach Reisen durch die damals
von S. 1719/20: Schweden musste Gebiete bekannte Welt verfasste er die „Geogra-
an Hannover und Preußen abtreten. – fica“ eine Erdbeschreibung samt Abriss
1925 Stockholmer Weltkirchenkonferenz, über die Geschichte der Geografie bis auf
erste Weltkonferenz nichtkath. christl. Kir- seine Zeit.
chen, Gründungsversammlung der Öku- Stralsund, Friede von, beendete 1370 den
men. Bewegung (↑ Ökumen. Rat). Krieg zw. der Hanse und Dänemark; si-
Stockholmer Blutbad, Hinrichtung zahl- cherte die polit. und wirtsch. Vormacht-
reicher schwedischer Großer 1520, nach- stellung der Hanse im Ostseeraum.
dem die Stadt dem dän. König Christian II. Straßburg (frz. Strasbourg) Hauptstadt des
ihre Tore geöffnet hatte; Christian ver- Elsass; urspr. kelt. Siedlung, das Argentora-
suchte durch Beseitigung des Adels seine tum der Römer (Standlager der 8. Legion
Herrschaft in Schweden und die Union der im 1. Jh. n. Chr.), im 4. Jh. Bischofssitz,
drei skandinav. Reiche zu sichern. Anfang des 5. Jh. alemannisch, 496 fränk.,
Stolypin, Pjotr Arkadjewitsch, russ. Politi- 843 (Vertrag von ↑ Verdun) lothring., 870
ker, 1862–1911 (ermordet); als Innenmi- (Vertrag von ↑ Mersen) ostfränk.; 982
nister und Ministerpräsident (ab 1906) ver- löste der Bischof von S. die Stadt aus dem
suchte er, die Revolution durch massiven Herzogtum, 1262 befreite sich S. von der
Polizeieinsatz zu unterdrücken; führte eine bischöflichen Gewalt und wurde Freie
grundlegende Agrarreform durch. Reichsstadt; im MA Zentrum der Mystik

879
Straßburger Eide

und später des Humanismus; 1482 durch Strategen (griech., Feldherren), die mili-
„Schwörbrief“ ständ. Verfassung; im 16. Jh. tärsichen oder politischen Führer der frü-
Blütezeit als Freie Reichsstadt, öffnete sich hen griech. Staaten, bes. bei den Athenern,
vorübergehend der lutherischen Reforma- Anführer der Phylen (Gemeindebezirke).
tion und trat dem ↑ Schmalkald. Bund bei; Strauß, Franz Josef, dt. Politiker, 1915–
1681 durch Ludwig XIV. mitten im Frie- 1988; war 1949–1952 Generalsekretär,
den besetzt (↑ Reunionen) und im Frieden 1952–1961 stellv. Vorsitzender, 1961–1988
zu Rijswijk 1697 an Frankreich abgetreten; Vorsitzender ↑ der CSU, 1949–1978 Bun-
1870 von dt. Truppen erobert (Hauptstadt destagsabgeordneter; 1953–55 Minister
des dt. Reichslandes); 1918 an Frankreich, für Sonderaufgaben, 1955–56 für Atom-
1940 von dt. Truppen, Nov. 1944 von den fragen, 1956–1962 Verteidigungsminister;
Alliierten besetzt und wieder frz.; seit 1948 schied 1962 nach dem Vorwurf, während
Sitz des ↑ Europarates. der „Spiegel“-Affäre den Bundestag falsch
Straßburger Eide, 842 von Ludwig dem unterrichtet zu haben, aus der Regierung
Deutschen (Ostfranken) und Karl dem aus; 1963–66 Vorsitzender der CSU-Lan-
Kahlen (Westfranken) vor ihren Heeren desgruppe im Bundestag, 1966–69 Fi-
zur Bekräftigung ihrer Verbundenheit ge- nanzminister; stärkte das polit. Gewicht
gen ihrem älteren Bruder ↑ Lothar I., ge- der CSU innerhalb der Union; 1978–1988
schworen, in frz. (Ludwig) und in dt. Ministerpräsident von Bayern; wurde 1979
(Karl) Sprache; früheste bekannte Zeug- von der CDU/CSU zum Kanzlerkandida­
nisse für das sich zur eigenen Sprache ent- ten nominiert, unterlag jedoch bei den
wickelnde Deutsch und Französisch. Bundestagswahlen 1980 gegen Bundes-
Strasser, Gregor, 1892–1934; dt. Politiker, kanzler Helmut Schmidt (SPD).
im 1. Weltkrieg Offizier, danach Anführer Streicher, Julius, dt. Politiker und Publi-
des „Sturmbataillons Niederbayern“, 1921 zist, 1885–1946; 1919 Führer der Dt.-
NSDAP-Beitritt, Gauleiter Niederbay­erns, Sozialen Partei, die S. 1922 mit der NS-
Teilnahme am Hitler-Putsch vom 9. Nov. DAP vereinigte. 1924–40 Gauleiter von
1923, nach Wiederbegründung der NS- Franken. Herausgeber des antisemitischen
DAP (27. Feb. 1925) mit dem Aufbau einer Hetzblattes „Der Stürmer“. Zeichnete sich
norddt. Organisation beauftragt. S. er­hielt durch besonders ausgeprägten Rassismus
damit eine Hausmacht, die er im Sinne sei- aus und wurde zum Inbegriff der nat.-soz.
ner sozialrevolutionären Ideen präg­te und Rassenideologie. Wegen Verbrechens gegen
in Gegensatz zum nationa­list. Hitler-Flü- die Menschlichkeit vom Internat. Militär-
gel brachte; dennoch ab Dez. 1927 Reichs- tribunal in Nürnberg zum Tode verurteilt.
organisationsleiter. Der Konflikt mit Hitler Streik (von engl. strike) oder Ausstand, ge-
entlud sich, als Reichskanzler ↑ Schleicher schlossene Arbeitsniederlegung, um den
im Dez. 1932 S. für seine sog. Gewerk- Arbeitgeber zur Erfüllung bestimmter For-
schaftsachse zu gewinnen suchte und ihm derungen (betreffs Lohn, Arbeitszeit, Ar-
die Vizekanzlerschaft sowie den Posten beitsbedingungen) zu zwingen; in beschei-
des preuß. Min.präs. antrug. Dieser Ver- denem Rahmen bereits im MA von der
such der Abspaltung des linken Flügels der Gesellenbewegung innerhalb der Zunftver-
NSDAP scheiterte an Hitlers überlegenem fassung angewandt; einzelne Meister oder
Taktieren und S.s Entscheidungsschwäche. die Zunft einer ganzen Stadt wurden von
Rücktritt S.s am 8. Dez. 1932 von allen den wandernden Gesellen (mitunter jah-
Parteiämtern; Hitler sah ihn dennoch als relang) boykottiert. Der moderne Massen-
Gefahr und ließ ihn wie Schleicher wäh- S. setzt die Auflösung des patriarchal. Ar-
rend des sog. Röhmputsches ermorden. beitsverhältnisses, den freien Lohnvertrag,

880
Struensee

die räumliche Konzentration der Arbeiter können, und erlangte politischen Einfluss;
in der ↑ Fabrik, Planung und Organisation nach einem Umsturzversuch 1698 von Pe-
(Gewerkschaften) voraus; die ersten großen ter d. Gr. aufgelöst, z. T. niedergemetzelt.
S.s waren, da diese Voraussetzungen fehl- Stresemann, Gustav, dt. Staatsmann,
ten, daher Misserfolge (1831 Erhebung 1878–1929; National-Liberaler, gründe­te
der Seidenweber von Lyon; 1838/39 in 1919 die Dt. Volkspartei, Aug.–Nov. 1923
England S. der ↑ Chartisten; 1848/49 Teil- Reichskanzler, unter seiner Regierung Meis­
S. in Deutschland); erste große und teil- terung der großen Wirtschaftskrise von
weise erfolgreiche S.welle in Deutschland 1923; dann bis zu seinem Tod Außenmi-
während der Gründerzeit (bes. im Bauge- nister, ließ den Ruhrkampf (passiver Wi-
werbe), zweite Welle in den 80er Jahren, derstand) abbrechen, nahm 1924 den
Höhepunkt 1889 der Ausstand von über ↑ Dawes-Plan, 1929 den ↑ Young-Plan an,
100 000 Bergarbeitern, im selben Jahr Be- arbeitete mit dem frz. Staatsmann Briand
ginn des Kampfes für den Achtstundentag; zusammen an der Überwindung der natio­
Gegenmaßnahmen der Unternehmer: Aus- nalen Gegensätze, schloss 1925 den ↑ Lo-
sperrungen, urspr. auch Anlegen „schwar- carnopakt ab, erreichte nach einer freund-
zer“ Listen streikender Arbeiter (die entlas- schaftlichen Aussprache mit Briand in
sen und in keinem anderen Betrieb einge- Thoiry 1926 den Eintritt Deutschlands in
stellt wurden); in der Folge Regelung und den Völkerbund; unterzeichnete 1928 den
(nach dem 1. Weltkrieg) verfassungsmä- ↑ Kellogg-Pakt zur Ächtung des Krieges;
ßige Garantie des S.rechts; Ausbildung des erhielt 1926 mit Briand den Friedens­
Tarif- und Schlichtungswesens (Tarifver- nobelpreis.
träge gegen befristeten Verzicht auf S. erst- Stroessner, Alfredo, paraguay. General
mals 1873 im Buchdruckergewerbe, zu- und Politiker, geboren 1912; wurde 1953
nächst von den Gewerkschaften bekämpft, Oberbefehlshaber der Streitkräfte, stürzte
seit 1899 als S.abschluss akzeptiert); 1923 1954 den Staatspräsidenten F. Chaves, er-
Schiedsverfahrensordnung: Schiedssprüche richtete danach ein diktatorisches Regie-
für beide Seiten verbindlich: etwa seit der rungssystem, das sich auf das Militär und
Jahrhundertwende S. auch mit polit. Zie- die konservative Colorado-Partei stützte.
len, z. B. Generalstreik in Russland 1905 Stroganow, russ. Kaufmannsfamilie, die
(Revolution), Munitionsarbeiterstreik in seit dem Anfang des 16. Jh. Bergwerke im
Deutschland 1917 (gegen die Fortsetzung Ural besaß; Jakow und Grigori S. erhielten
des Krieges), Generalstreik 1920 gegen durch Schenkung von Iwan IV. (1533–
den ↑ Kapp-Putsch u. a. Im Grundgesetz 1584) südlich der Stadt Perm große Ge-
der Bundesrepublik Deutschland ist das biete, die sie kolonisierten und durch Be-
S.recht garantiert. festigungen schützten; 1574 Schenkungs-
Streitwagen, Wagenform des Altertums brief Iwans über das noch mongolisch
für Krieg, Jagd und sportliche Wettkämpfe beherrschte ↑ Sibirien, das vom Kosaken-
bes. bei den Sumerern, Ägyptern, Assyrern, hetman ↑ Jermak erobert wurde, den S.s
Persern, Griechen und Kelten; erste S. gab wurde der ganze Handel Sibiriens übertra-
es bereits im 3. Jt. v. Chr. gen, ebenso das Recht auf eigene Truppen,
Strelitzen (russ. strijelcy, Schützen), Name Festungen und Gerichtshoheit; 1722 durch
der von ↑ Iwan IV. (1533–1584) geschaf- ↑ Peter d. Gr. aller Vorrechte beraubt.
fenen Leibwache; entwickelte sich allmäh- Struensee, Johann Friedrich Graf von,
lich zum stehenden Heer, umfasste bis zu dän. Staatsmann, 1737–1772; 1767 Leib-
50 000 Mann mit großen wirtschaftlichen arzt König Christians VII. und Vertrauter
Vorrechten, um sich selbst versorgen zu der dänischen Königin Karoline Mathilde,

881
Stuart

1771 Geheimer Kabinettsminister mit au- Stülpnagel, Karl-Heinrich von, dt. Ge-
ßerordentlichen Vollmachten, führte als neral, 1886–1944; seit Feb. 1942 Militär-
Aufklärer Reformen in Verwaltung, Finan- befehlshaber Frankreichs; gehörte zu den
zen, Strafgesetzgebung (Abschaffung der Verschwörern gegen Hitler und leitete am
Folter) durch, schuf Gleichheit vor dem 20. Juli 1944 in Paris die Aktion gegen
Gesetz, gab völlige Pressefreiheit, milderte die SS (↑ Zwanzigster Juli). Vom Volksge-
das Los der Bauern; durch den Adel, des- richtshof zum Tode verurteilt.
sen Vorrechte er beschnitten hatte, 1772 Sturlunga saga, Sammelbez. für mehrere
gestürzt; hingerichtet. isländ. Sagas, die die Geschichte Islands
Stuart, schottisches Herrschergeschlecht, von 1120–1264 behandeln; wurde um
seit Robert II. auf dem schottischen Kö- 1300 chronologisch zusammengefasst und
nigsthron, bestieg mit Jakob I., dem Sohn nach dem führenden Geschlecht des isländ.
der Maria S., 1603 auch den Thron von Freistaates, den Sturlungar, benannt.
↑ England und Irland; ihm folgte sein Sturmabteilung (SA), zunächst „Ordner­
Sohn ↑ Karl I. (1649 in der Cromwellschen dienst“ der NSDAP (↑ Nationalsozialis-
Revolution hingerichtet). Nach Cromwells mus) bei Veranstaltungen, später unifor-
Tod folgten Karl II., der Sohn Karls I., und mierte (Braunhemd und Hakenkreuz-
Jakob II., der Bruder Karls II. (1688 abge- binde) Kampftruppe Hitlers; spielte bei
setzt). Durch die ↑ Act of Settlement Aus- seinem Aufstieg zur Macht eine wesent-
schluss der katholischen S. Letzte protes­ liche Rolle. 1923 nach dem Hitler-Putsch
tantische S. auf dem Thron war Königin verboten, wurde sie als „Frontbann“ unter
Anna, 1702–1714. E. ↑ Röhm weitergeführt. 1930 übernahm
Studentenbewegung, Bezeichnung für Hitler selbst die Führung der 1925 als
die Anfang der 60er Jahre in mehreren Län- Parteitruppe wiedergegründeten SA und
dern auftretenden Bestrebungen innerhalb bestellte im Jan. 1931 Röhm zum „Stabs-
der Studentenschaft, auf reformerischem chef“. Die SA entwickelte sich zu einer re-
oder revolutionärem Wege politische und gelrechten Bürgerkriegsarmee und terrori-
soziale Veränderungen in der als mangel- sierte die polit. Gegner. Kurzfristige Ver-
haft aufgefassten Gesellschaft herbeizufüh- bote wie April bis Juni 1932 verhinderten
ren; manifestierte sich in der Bundesrepu- nicht, dass sie bald an Stärke die Reichs-
blik Deutschland v. a. in der ↑ Außerparla- wehr übertraf. Nicht zuletzt aus Angst
mentarischen Opposition. vor einem Bürgerkrieg gegen die SA ver-
Studentische Verbindungen, studentische weigerte Hindenburg dem Reichskanzler
Korporationen, bes. an den Universitäten Schleicher diktatorische Vollmachten zur
des dt. Sprachgebiets bestehende Gemein- Abwehr Hitlers. Als Schleicher daraufhin
schaften von zumeist männlichen Studen­ demissionierte, war Hitlers Ernennung die
ten, deren Umgangs- und Organisations- unausweichliche Folge. In der folgenden
formen an den Traditionen des 18. und Zeit des Machtausbaus wuchs die SA auf
19. Jh. orientiert sind; entstanden als feste fast zwei Mio. Mann, verfolgte, als „Hilfs-
Korps während des 18. Jh. aus den Lands- polizei“ legitimiert, brutal u. a. Kommu-
mannschaften sowie als Burschenschaften nisten und Juden und quälte ihre Opfer in
aus der nationalen Bewegung des 19. Jh.; wilden KZs. Ihr Ruf nach der „zweiten Re-
nach 1934 Auflösung und Gleichschaltung volution“ führte zum so genannten Röhm-
im Nat.-soz. Dt. Studentenbund; nach Putsch, der ihre polit. Macht brach. Von da
dem 2. Weltkrieg wurden die S.n V.n neu an, unter den Stabschefs Lutze (1934–43)
gegr. (1950 in Frankfurt der Convent Dt. und Schepmann (1943–45), beschränkte
Korporationsverbände). sich ihre Tätigkeit auf Wehrsportaufgaben.

882
Südafrika

Einzelne Verbrechen der SA (z. B. ↑ Reichs- brit. Einwanderern (Port Elizabeth), gleich-
kristallnacht) führten dennoch nicht zur zeitig 5. Kaffernkrieg und 1835 6. Kaffern-
Einstufung als „verbrecherische Organisa- krieg. Beginn der Auswanderung der freih
tion“ im Nürnberger Prozess. eitsliebenden↑ Buren (Vortreeker) als Pro-
Stutthof, nat.-soz. KZ östl. von Danzig; test gegen die versuchte Anglisierungspo-
im Sept. 1939 zunächst als Zivilgefangenen­ litik und Niederlassung jenseits des Oran-
lager angelegt, von Nov. 1941 als SS-Sonder­ jeflusses, Unterwerfung der krieger. Zulus
lager, seit Jan. 1942 dann als KZ; von den (1838–1840); 1843 wurde das von Buren
insges. 120 000 Inhaftierten wurden bis besiedelte Natal von England annektiert.
Mai 1945 rd. 85 000 ermordet. Die Republik Südafrika (Transvaal) blieb
Stuyvesant, Peter, niederländ. Kolonial- freie Heimat von 20 000 Buren (Sandri-
politiker, 1592–1672; war seit 1642 Gou- vier-Vertrag mit England 1854); nach Ent-
verneur von Curaçao, als Gouverneur der deckung reicher Diamantenvorkommen
Neu-Niederlande (seit 1645) im NO der (später Goldfunde) 1877 Annexion Trans-
heutigen USA annektierte er 1655 Neu- vaals durch England, der Burenaufstand
Schweden, das er aber 1664 den Englän- erkämpfte von Neuem die politische Frei-
dern übergeben musste. heit (Abkommen von London 1884), bis
Sucre y de Alcalá, Antonio Jose de, 1795– die wachsende Anglisierung und der brit.
1830 (ermordet), südamerik. General und Überfall von 1896 zum Burenkrieg (1899–
Politiker; militär. Mitkämpfer Simon Boli­ 1902) führten, dessen Verlust die Buren­
vars gegen die span. Kolonialherren, lei- republiken zu brit. Kolonien machte, 1910
tete 1822 die Eroberung der Stadt Quito Zusammenschluss von Transvaal, Kap-
(Ecuador); errang 1824 bei Ayacucho land, Natal und Oranje-Freistaat zur Süd-
(Peru) in der letzten großen Schlacht im afrikan. Union mit dem Status eines brit.
südamerik. Unabhängigkeitskrieg den Sieg Dominions; im 1. Weltkrieg Teilnahme
über die Royalisten; 1926–28 erster verfas- südafrikan. Truppen an den Kämpfen ge-
sungsmäßiger Präsident Boliviens. gen Deutschland und seine Verbündeten,
Südafrika, Republik an der Südspitze Afri- auch im 2. Weltkrieg an der Seite der Alli-
kas; Parlament in Kapstadt, Hauptstadt ierten (1949 Eingliederung des ehemaligen
und Regierungssitz Pretoria; vor der europ. Dt.-Südwestafrika, das von 1920 bis 1940
Besiedlung sporad. von nomadisierenden Mandatsgebiet blieb), innere Schwierig-
Hottentotten, Buschmännern und Bantu- keiten durch das Festhalten an der stren-
stämmen bewohnt, die im Lauf der Zeit gen Rassentrennungspolitik (Apartheid):
weiter nach Süden drängten. 1488 Ent- 1961 Austritt aus dem brit. Common-
deckung durch portugies. Seefahrer, 1620 wealth. 1961 proklamierte die südafri-
engl. Flaggenhissung am Kap, 1652 Grün- kan. Regierung die Republik Südafrika.
dung der Kapkolonie durch van Riebeeck Die Vereinten Nationen verhängten 1963
im Auftrag der Niederl.-ostind. Kompa- ein Waffenembargo und erkannten 1967
nie, erste Siedler vor allem Niederländer, der Republik Südafrika die Treuhand-
Franzosen, Deutsche, Sklaveneinfuhr aus schaft über Südwestafrika ab. Kern der
W-Afrika (seit 1658); Ende des 18. Jh. ver- Apartheid­politik unter Ministerpräsident
lustreiche Kriege gegen die Kaffern; 1795 Vorster (seit 1966) war die Umwandlung
Besetzung durch die Briten, 1803 wieder der „Eingeborenen-Reservate“ (13,7 % der
in holländ. Besitz, 1806 Eroberung durch Bodenfläche) in Homelands, die als auto-
die Briten und 1814 endgültige Abtretung nome Staaten der verschiedenen schwarz-
durch Kauf (nach dem 4. Kaffernkrieg); afrikan. Völker unter wirtsch. und polit.
1818–1820 Ansiedlung von rund 5 000 Kontrolle der weißen Unionsregierung

883
Sudan

blieben. 1976 erhielt die Transkei als erstes gung), Nordwest und Oranjefreistaat mit
Homeland die Unabhängigkeit, bis 1981 jeweils eigenen Regionalparlamenten. Bei
auch Bophuthatswana, Venda, Ciskei, aber den ersten freien Parlamentswahlen 1994
de facto weiterhin weitgehende Kontrolle Sieg des ANC, Nelson Mandela neuer
durch die südafrikan. Regierung. Im Juni Regierungschef und Staatspräsident (bis
1976 Unruhen unter der schwarzen Jugend 1999). Im gleichen Jahr Beitritt zur OAU
in Soweto, die von der Polizei blutig un- und Wiedereintritt in den Commonwealth.
terdrückt wurden (mindestens 250 Tote); S. löste sich zunehmend aus seiner polit.
1977 Verbot schwarzer Organisationen Isolation und nahm vielfältige wirtsch. und
und Zeitungen und weißer Anti-Apart- polit. Beziehungen auf. 1999 Wahl Thabo
heid-Gruppen. Vorster wurde 1978 Staats- Mvuyelwa Mbekis (ANC) zum Nachfolger
präsident, neuer Premierminister wurde Mandelas im Amt des Staats- und Regie-
P. W. Botha (bis 1984, danach bis 1989 rungschefs, 2004 Bestätigung im Amt. Ne-
Staatspräsident). Außenpolit. war S. in den ben den Folgen der Rassentrennung, die
80er Jahren stark isoliert, auch wenn trotz bis heute nicht überwunden sind, ist die
internat. Verurteilung der Apartheidpolitik hohe Infektionsrate der Bevölkerung mit
einige westeurop. Staaten die Zusammen- der Immunschwäche AIDS ein großes Pro-
arbeit nicht änderten. 1984 Verfassungs- blem. Laut Angaben von UNAIDS lebten
reform, die aber die Apartheid nicht auf- in S. Ende 2001 über 4,5 Mio. erwachsene
hob und von Unruhen und Streiks beglei- HIV-Infizierte.
tet wurde. Von Juni 1985 bis März 1986 Sudan, (arab., Land der Schwarzen).
wurde über 36 Bezirke von S. und im Juli 1) ~ Der ehemalige anglo-ägyptische S. mit
1986 über ganz S. der Ausnahmezustand reicher geschichtl. Vergangenheit, Staats-
verhängt, was zu einem internat. Boykott bildungen bereits in altägypt. Zeit (↑ Nu-
(auch durch USA und EG) führte. Unter bien), enge Beziehungen zu Libyen, feind-
Willem de Klerk (1989 bis 1994) erste liche Berührung mit dem christl. ↑ Aksum;
Schritte zur Abschaffung der Apartheid, im 6. Jh. Eindringen des kopt. Christen-
1990 Freilassung des schwarzen ANC- tums von Ägypten aus, im 8. Jh. Überflu-
Führers Nelson ↑ Mandela aus jahrzehn- tung durch den Islam, Bildung arab. Staa-
telanger Haft, Widerzulassung des ANC ten (Sklavenjäger); 1821 Angliederung des
und weiterer bis zu diesem Zeitpunkt ver- S. an Ägypten (Verwaltungssitz Khartum);
botener Oppositionsparteien; gemeinsame 1881 Beginn des ↑ Mahdiaufstands, der
Ausarbeitung von Richtlinien für grund- den ganzen S. erfasste und 1898/99 von den
legende Reformen, Ende der Apartheid. Briten niedergeworfen wurde (↑ Mahdi);
Aber Auseinandersetzungen zw. rivalisier. Rückzug der von Westen vorgedrungenen
Schwarzenbewegungen (ANC-Anhänger Franzosen aus ↑ Faschoda, der S. wurde
vom Volk der Xhosa gegen die Inkatha- brit.-ägypt. Kondominium (1899); im
Bewegung des Zulu-Chefs Buthelezi); Wi- 2. Weltkrieg Kämpfe gegen die von Abessi-
derstand einer Minderheit der weißen Be- nien angreifenden Italiener, ägypt. Bemü-
völkerung gegen die neue Ordnung. 1994 hungen um staatlichen Anschluss des S. an
Übergangsverfassung: Gleichberechtigung Ägypten (Union) blieben ergebnislos; seit
der Staatsbürger aller Rassen, allg. Wahl- 1956 durch Beschluss des sudanes. Parla-
recht. S. wurde präsidiale Republik mit ments (Verfassung von 1948) unabhängige
demokrat., rechtsstaatl. Ordnung, Provin- Republik, 1969 gelangte Oberst Numairi
zen Westkap, Ostkap, Nordkap, Kwa-Zulu durch einen Staatsstreich an die Macht, er
(Natal), Nord-Transvaal, Ost-Transvaal, proklamierte eine fortschrittliche Politik
PWV (Pretoria-Witwatersrand-Vereini- und erreichte 1972 einen Ausgleich mit

884
Südtirol

den Aufständischen im Süd-S. 1983 auf- der Forderung zu (↑ Münchner Konferenz


grund innerer Unruhen (gegen Islamisie- Sept. 1938); am 1. Okt. 1938 Einmarsch
rung) militär. Kontrolle über den Süden dt. Truppen, Eingliederung ins „Großdt.
des S.; 1985 Sturz des Präsidenten An Nu- Reich“ als Reichsgau; 1945 nach Besetzung
mairi durch das Militär; 1986 demokrat. der Tschechoslowakei durch Amerikaner
Wahlen zur verfassunggebenden Versamm- und Russen und Aufstand der tschech.
lung und 1988 Bildung einer „Regierung Bevölkerung grausame Vertreibung der
der Nationalen Einheit“ (Koalitionsregie- Sudetendeutschen, Selbstmord Henleins;
rung); Juni 1989 unblutiger Militärputsch, Neuansiedlung von Slowaken, Serben,
neuer Machthaber wurde General Baschir. Kroaten und Tschechen; ab 1945 Teil der
Weiter militär. Auseinandersetzung zw. der Tschechoslowakei, heute der Tschechischen
Regierung und der „Volksarmee zur Befrei- Republik.
ung des S.“ (SPLA). Zunehmende außen- Südostasien-Pakt (Southeast Asia Col­
polit. Isolation (auch aufgrund der Islami- lec­tive Defense Treaty Organization,
sierung des Landes und der Verbindungen SEATO), 1954 zur Abwehr der fortschrei-
zu islam. Terrororganisationen) führte zu tenden kommunist. Expansion in Manila
großen wirtsch. Schwierigkeiten. Im Juli geschlossenes Defensivbündnis nach dem
2002 einigten sich Regierung und SPLA Muster der ↑ NATO zw. Australien, Neu-
auf ein Rahmenabkommen für einen Frie- seeland, USA, Großbritannien, Frank-
densvertrag: Trennung von Staat und Reli- reich, Pakistan, den Philippinen, Thailand;
gion, Planung eines Referendums über ei- polit.-militär. Schutzraum war der West-
nen unabhängigen christlichen Südteil des pazifik und Südostasien (einschließlich
Landes 2008. 2) ~ Ehemalige frz. Kolonie Laos, Kambod­scha und Südvietnam, ohne
in Frz.-Nord- und -Zentralafrika, seit 1960 Hongkong und Taiwan); Zentrale Bang-
unabhängige Republik (Etat du Soudan), kok. 1975 beschloss der Ministerrat der
neuer Staatsname ↑ Mali, bildete 1961 mit SEATO, die Tätigkeit der Organisation
Ghana und Guinea die „Union afrikan. einzustellen und ihre „ordentliche und sy-
Staaten“. stemat. Auflösung“ vorzubereiten, die am
Sudetenland, die seit dem 12. Jh. von 30. Juni 1977 vollzogen wurde.
Deutschen besiedelten Gebiete Nordböh- Südtirol, südl. des Brenners gelegener Teil
mens, Nordmährens und des österr. Schle- von Tirol; altes dt. Kulturland, im 6. Jh.
siens; nach Bildung der österr. ↑ Nachfol- von Bayern besiedelt (↑ Tirol); Nov. 1918
gestaaten 1918 trotz des zugestandenen Räumung durch österr. Truppen, 1919 im
Selbstbestimmungsrechts (3,5 Mio. dt. Vertrag von ↑ Saint Germain Italien zuge-
Einwohner) und der Forderung nach An- sprochen (Anschlussforderung bereits nach
schluss an Deutschland militär. Besetzung dem österr.-ital. Friedensvertrag 1866 pro-
durch die neugebildete ↑ Tschechoslowakei pagiert); 1923 nach Machtergreifung durch
(28 % Deutsche in der Gesamt-Tschecho- die Faschisten scharfe Unterdrückungs-
slowakei); von Hitler politisch unterstützt, maßnahmen des Südtiroler Deutschtums,
forderte die Sudetendt. Partei Konrad Unterwanderung, Italienisierung, Verbot
Henleins 1938 in Erfüllung der nicht ein- der dt. Sprache und des dt. Schulunter-
gehaltenen Versprechungen von 1918/19 richts, amtlicher Name für S.: Provincia
die autonome Verwaltung des S.es und, di Trento. Um für Kriegs- und Annexions-
vom nat.-soz. Deutschland radikalisiert, pläne die Unterstützung Italiens zu gewin-
die Abtretung der sudetendt. Gebiete an nen, leistete Hitler im Mai 1938 in Rom
Deutschland; um einen allg. Krieg zu ver- feierlich Verzicht auf S., die deutschstäm-
meiden, stimmten die europ. Großmächte migen Südtiroler konnten für Italien oder

885
Südwestafrika

Deutschland optieren (86 % für Deutsch- Südafrika das Mandat über S. und setzten
land) mit dem Recht auf Umsiedlung nach 1967 einen Verwaltungsrat ein. Im Juni
Deutschland (dt.-ital. Umsiedlungsvertrag 1968 benannte die UNO S. in ↑ Nami-
vom Okt. 1939, bis 1943 siedelten 75 000 bia um. Nachdem Südafrika sich weigerte,
um); 1945 erhob Österreich neue Ansprü- seine Verwaltung zurückzuziehen, erklärte
che auf S., die von den Alliierten abgelehnt 1971 der Internat. Gerichtshof in Den
wurden. 1946 befriedigendes Gruber-De Haag die Präsenz der Republik Südafrika
Gasperi-Abkommen zw. Österreich und in S. für völkerrechtlich illegal. Seit 1975
Italien, das S. eine Art Autonomie mit dt. Verfassungsgespräche durch Delegationen
Sprache im Amtsgebrauch und Schulunter- aller Bevölkerungsgruppen in Windhuk.
richt zusicherte; das Abkommen wurde in Gemäß eines internen Verfassungsent-
den Friedensvertrag zw. Italien und den Al- wurfs der sog. Turnhallenkonferenz von
liierten (Paris 1946) übernommen und da- 1977 wurde S. in „Südwestafrika/Nami-
mit internat. garantiert; durch ital. Nicht- bia“ umbenannt. 1988 Abkommen über
einhaltung der Pariser Bestimmungen ab Wahlen gemäß der UNO-Resolution 435.
1957 Missstimmung im dt. S. und Span- Im März 1990 wurde Namibia eine auto-
nungen zw. Österreich und Italien; S. und nome Republik.
Österreich forderten Autonomie für die dt. Sueben (Sueven), german. Völkergruppe,
Provinz Bozen (mit Meran), die bisher Ver- urspr. in O-Holstein und Brandenburg,
waltungseinheit mit der zahlenmäßig über- im 4./5. Jh. nach SW-Deutschland vor-
legenen ital. Provinz Trento bildete und dringend; dort erschienen sie als Semno-
majorisiert wurde; Protestkundgebungen nen, Markomannen, Hermunduren, Qua-
der Südtiroler, Verhaftungswelle, Terroran- den u. a; Teile der S. zogen mit den Van-
schläge, Einsatz von ital. Militär (ab 1960); dalen und den Alanen nach Spanien, wo
Schlichtungsversuche (u. a. durch die UN) sie 585 im Westgotenreich aufgingen; der
scheiterten. Verhandlungen zw. Österreich wachsende röm. Druck auf Böhmen ver-
und Italien führten 1966 zu ital. Zuge- anlasste einen anderen Teil, besonders die
ständnissen in der Ausdehnung der Auto- Semnonen, Anfang des 3. Jh. (213) nach
nomie S.s. Das „Paket“ von Zugeständnis- dem Main vorzustoßen, wo sie als ↑ Ale-
sen Italiens von 1969 gewährte der Provinz mannen erschienen; nach den S. der Name
Bozen größere administrative, kulturelle Schwaben für die Siedlungsgebiete am
und wirtsch. Befugnisse. 1971 unterzeich- Neckar; sueb. Volksteile, die in der Völker-
neten der ital. und der österr. Botschafter wanderung mit den ↑ Vandalen nach Spa-
mehrere Abkommen zum „Südtirolpaket“. nien kamen, gründeten um 400 n. Chr. im
Südwestafrika, ehemal. dt. Kolonie; 1883 span. ↑ Galicien einen anderthalb Jh. be-
erwarb der Bremer Kaufmann Lüderitz das stehenden Staat, der im span. Westgoten-
Gebiet um die Lüderitzbucht, das 1884 reich aufging.
durch Bismarck unter Schutz und Verwal- Sueton, (Gajus Suetonius Tranquillus),
tung des Reiches gestellt wurde. Im San- röm. Geschichtsschreiber, um 75–um 140;
sibar-Vertrag von 1890 erfolgte die brit. Sekretär Kaiser Hadrians, verfasste Lebens-
Anerkennung Dt.-Südwestafrikas als dt. beschreibungen der ersten zwölf röm. Kai-
Kolonie; 1903–1907 Niederwerfung des ser von Julius Cäsar bis Domitian („De vita
Aufstandes der Herero und Nama. 1919 Caesarum“), alle in gleicher Weise ange-
unter dem Mandat der Südafrikan. Union, legt, nüchtern, vielfach subjektiv gefärbt,
1947 unter ihrer Treuhänderschaft, 1945 doch die Atmosphäre der Alten Welt at-
endgültige Angliederung. 1966 entzo- mend; in ihrer biograf. Form später oft
gen die Vereinten Nationen der Republik nachgeahmt (z. B. von Einhard).

886
Sulla

Suezkanal, Kanalverbindung zw. Mittel- Suharto, Ibrahim, indonesischer Politiker,


meer (Atlantik) und Rotem Meer (Ind. geb. 1921; als Oberbefehlshaber der Ar-
Ozean) zur Verkürzung des Seewegs nach mee schlug S. 1965 den kommunistischen
Indien, Australien, Ostasien; im Altertum Putschversuch nieder, 1967 wurde er nach
bereits Wasserverbindung zw. Nil und Ro­ der Entmachtung ↑ Sukarnos Präsident
tem Meer (vielleicht schon unter Sesos­ (bis 1998). S. errichtete ein auf das Mili-
tris, sicher unter Necho II. um 580 v. Chr. tär gestütztess, autokratisches Regierungs-
und Neuanlage unter Darius I. und wahr- system. Aufgrund der durch eine Wirt-
scheinlich unter Trajan und Amr ibn el- schaftskrise ausgelösten politischen Unru-
As, dem Eroberer Ägyptens), später verfal- hen in Indonesien trat er 1998 zurück. S.
len; Pläne zum Kanalbau unter Napoleon soll während seiner Regierungszeit einen
und Metternich; der heutige Kanal durch Dollarbetrag in zweistelliger Milliarden-
Ferdinand von ↑ Lesseps nach Plänen des höhe veruntreut haben; das Verfahren ge-
Österreichers Negrelli 1859–1860 ange- gen ihn wurde jedoch 2000 aus gesund-
legt; 1876 Aktienmehrheit von England heitl. Gründen eingestellt.
gekauft. Durch die Konvention von Kon- Suhr, Otto, dt. Politiker, 1894–1957; war
stantinopel wurde 1888 der S. für neutral 1945 Mitbegründer des DGB in Berlin,
erklärt und musste für alle Schiffe, auch widersetzte sich dem Zusammenschluss
Kriegsschiffe, geöffnet bleiben; seit 1936 von SPD und KPD; 1951–55 Präsident
unter brit. Schutz. Nach dem 2. Weltkrieg des Westberliner Abgeordnetenhauses und
ägypt. Forderung nach voller Souveränität ab 1955 Regierender Bürgermeister von
auch über die Kanalzone; 1954 durch Ab- Berlin (West); 1949–1952 SPD-Bundes-
kommen mit Großbritannien zugestanden. tagsabgeordneter; 1949–1955 Direktor der
1956 Handstreich Ägyptens gegen die Ka- Dt. Hochschule für Politik in Berlin (seit
nalkonzession, Suezkrise; Blockierung des 1958 Otto-Suhr-Institut der Freien Uni-
Kanals durch Kriegshandlungen; durch versität Berlin).
das Eingreifen der UN und den Druck Sukarno, Ahmed, indonesischer Politiker,
der USA Rückzug Großbritanniens und 1901–1970; führend beteiligt am Aufbau
Frankreichs, Verstaatlichung der Suez-Ge- des indonesischen Staates, 1945–1967 Prä-
sellschaft durch Ägypten. Im Verlauf des sident, versuchte zunächst erfolgreich, die
Israel.-arab. Krieges von 1967 erreichten verschiedenen Kräfte des Landes mitei-
die Israelis das Ostufer des S.s, der seitdem nander zu vereinen, nach seiner unklaren
Demarkationslinie zwischen den beiden Haltung bei dem Putschversuch von 1965
Parteien war (Abzug der Israelis 1982). Als musste S. 1967 zurücktreten.
Folge des Krieges wurde 1967 der Schiffs- Suleiman, ↑ Soliman.
verkehr durch den S. eingestellt, der erst Sulla, Lucius Cornelius Felix, römischer
1975 wieder aufgenommen wurde. Feldherr und Staatsmann, 138–78 v. Chr.,
Suffragetten, Frauenrechtlerinnen, 1903– zeichnete sich im Jugurthinischen Krieg
14 in Großbritannien organisiert, um für aus, stürzte die Volkspartei des ↑ Marius,
Frauen Stimmrecht und Gleichberechti- die während seiner Abwesenheit die Macht
gung zu erkämpfen (↑ Frauenbewegung). übernommen hatte, mit unerhörter Grau-
Suger, frz. Abt von St. Denis, 1081–1151, samkeit (Sullan. Proskriptionen, Hin-
Vertrauter Ludwigs VI., blieb auch unter richtung Tausender); 88–84 erfolgreicher
dessen Sohn, Ludwig VII., der führende Krieg gegen Mithradates, eroberte 82 Rom
Staatsmann, bewährte sich als Reichsver- und herrschte als Diktator, gestützt von
weser während des Kreuzzuges (1147–49) dem stark protegierten Senat, bis 79 (aris­
Ludwigs VII. tokrat. Oligarchie).

887
Sully

Sully, Maximilien de Bethune, Herzog von tar.“ Räte der Ältesten, Räte der Waffen-
(seit 1606), frz. Staatsmann, 1560–1641; träger) und mit Wirtschaftsplanung schlie-
seit 1597 Minister des Königs Heinrich IV. ßen: Kanäle, Hochwasserschutzdämme,
von Frankreich, verantwortlich für die Sa- Bewässerungsanlagen wurden wieder her-
nierung der Finanzen und die Reform des gestellt oder neu geschaffen, in den entste-
Steuerwesens; wurde 1634 zum Marschall henden sumer. Stadtfürstentümern (Nip-
ernannt. pur, Uruk, Ur, Lagasch u. a.) wuchsen Pa-
Sumerer, nichtsemitisches, nichtindoger- läste und Hochtempel (Zikkurats) auf mit
man. hoch begabtes Kulturvolk, das um verputzten oder mosaikbedeckten Wän-
etwa 3100 v. Chr. in Südmesopotamien den; es entstanden Gefäße aus Blei, Silber,
sichtbar wird; seine Herkunft ungeklärt; Kupfer und Gold und steinerne Tier- und
umstritten ist, ob die S. bodenständig (au- Menschenfiguren (lebensgroßer Marmor-
tochthon) oder ob sie über See, aus dem kopf einer Priesterin, Alabasterstatue eines
iran. Bergland, aus dem Gebiet jenseits des betenden Priesterfürsten aus den Anfängen
Kaukasus oder jenseits des Kasp. Meeres des 2. Jt., in Uruk 1939 bzw. 1958 gefun-
eingewandert waren; waren sie autochthon, den); Ackerbau und Viehzucht standen auf
so waren sie Gestalter der vor 3000 v. Chr. hoher Stufe; der größte Teil des Landes
(„vor der großen Flut“) in Südmesopota- war im Besitz der städt. Tempelpriester-
mien nachgewiesenen Uruk-Kultur mit den schaften; höchster Gebieter der Städte wa-
Hauptfundplätzen Uruk (bibl. Erech), Ur, ren die Stadtgötter in den Hochtempeln,
Lagaseb, Kisch; waren sie eingewandert, so deren weltliche Vertreter waren die Könige
fanden sie die Uruk-Kultur vor, zerstörten oder Fürsten, die sich im Land den Rang
sie und entwickelten sich allmählich unter streitig machten und sich mehrmals einem
Übernahme der Kulturelemente Uruks aus Oberkönig beugen mussten; aus den Na-
einem Nomaden- zu einem Kulturvolk von turgöttern der Nomadenzeit wurden ver-
nachwirkender Eigenart; am wahrschein- menschlichte Götter: der Hauptgott Enlil,
lichsten ist, dass sie von weither gekom- der Herr des Himmels An, der Gott des
men waren, denn die späteren Heldenepen Meeres und der Weisheit Enki, der Vege-
und -lieder deuten auf eine große Wander- tationsgott Tammuz und die Mutter- und
zeit und eine langdauernde Auseinander- Fruchtbarkeitsgöttin Nunmah; neben und
setzung mit wirtsch. und militär. starken hinter ihnen zahlreiche Lokalgötter und
Gegnern hin, der eine Periode des Verfalls tier- und tiermenschengestaltige Dämo-
folgte. Für die Zeit um 3100 kann mit Si- nen, die das Dasein verfinstern und deren
cherheit von einer eigenständigen sumer. man sich durch Schutzzauber zu erwehren
Kultur gesprochen werden, die am Unter- suchte; das bis heute fortlebende Zahlen­
lauf der damals noch getrennt in den Pers. system beruht auf der Zahl 60 („Sechzi­
Golf mündenden Ströme Euphrat und ger“- oder „Sexagesimalsystem“): Kreisein-
Tigris wurzelte. Die Erfindung der ersten teilung in 360 Grade, Jahr mit 360 Tagen
bekannten Schrift der Welt (Bilderschrift) usw.; ab 2700 Fortentwicklung der Bil-
um 3000 v. Chr., die sich später zur ↑ Keil- derschrift zur rein phonet. Schrift, die im
schrift entwickelte und vermutl. auch den Laufe der Zeit von fast allen Kulturvölkern
Anstoß zur Ausbildung der ägypt. ↑ Hie- des Vorderen Orients übernommen wurde;
roglyphen gab, und hunderte erhaltene tö- um 2500 zahlreiche Schreibschulen und
nerne Bildschrifttäfelchen aus der Zeit um Tempelschreiber in der Verwaltung der
3000 und der folgenden Zeit lassen auf ei- Tempelgüter. Um 2500 hob sich überra-
nen schnell hoch entwickelten Kulturstand gend die 1. Dynastie von Ur hervor (reich
mit geordneten Städtestaaten („parlamen- gestaltete Königsgräber, teilweise mit dem

888
Sunniten

Todesgefolge der Diener und Dienerinnen, der Literatur und Kunst (klassische Königs-
Beterstatuen, szenische Mosaikbilder, Por- statuen) hinterließ. Nach Vertreibung der
trätbüste der Königin Schub-ad von Ur); Gutäer wurde Ur erneut führend im Vorde-
wenig später wurden Ur und Teile des ren Orient (Gründung der 3. Dynastie von
Nordgebietes von dem König von Lagasch Ur durch Ur-Nammu um 2050, von dem
(im Süden Sumers) erobert, der die Füh- der älteste bekannte Gesetzestext der Welt
rung über Sumer übernahm; der letzte Kö- stammt); Ur beherrschte jetzt auch Elam
nig der Lagasch-Dynastie, Urukagina (um und Assyrien, die alten Hochtempel wur-
2440), galt als Sozialreformer (Kampf ge- den wiederhergestellt und erhöht, Prunk-
gen schmarotzende Beamte, ungetreue gräber für die „Gottkönige“ angelegt. Seit
Steuereinnehmer und Aufseher, gegen Wu- etwa 2 000 „Sumerische Renaissance“: In
cherer und Straßenräuber), Wiederherstel- dieser Zeit wurden die bis in das schriftlose
lung der Freiheit der Bürger; Urukagina Heldenzeitalter zurückreichenden Helde-
rühmte sich, alle Länder zw. Pers. Golf und nepen der Könige ↑ Gilgamesch (5 Fas-
Mittelmeer zu beherrschen. Alle sumer. sungen), Enmerkar und Lugalbanda auf
Stadtstaaten erlagen um 2350 dem Se- Tontafeln geschrieben; erhalten sind auch
miten Sargon I. (Scharrukin; 2350–2294) Unterrichtstexte, hymn. Dichtungen, the-
von Kisch, dem ehemaligen Mundschenk olog., naturkundl., mathemat., grammati-
des semit. Fürsten von Kisch; Sargon un- kal. und sprachkundliche Tontafelschriften
terwarf Sumer, Elam (W-Iran), Assur (As- und unzählige kaufmänn. und verwal-
syrien), Nordsyrien, Teile Kleinasiens und tungstechn. Dokumente; vielerorts bestan-
weitere Teile der Mittelmeerküste, Agade den Abschreibzentralen, in denen literar.
(Akkad) in der Nähe des späteren Baby- Werke vervielfältigt wurden. Doch ver-
lon wurde Residenz Sargons, der göttliche stärkte sich die Semitisierung Sumers seit
Verehrung forderte und den Anspruch er- dem Einbruch der semit. „Ostkanaanäer“,
hob, Herr der Welt zu sein (Akkad-Sumer die zur politischen Führerschicht wurden.
ist das erste „Weltreich“ der Geschichte); Sumer wurde polit. bedeutungslos, Ba-
Einschmelzung der sumer. Kultur, doch bylon übernahm um 1750 unter ↑ Ham-
Ablösung der sumer. durch die semit.-ak- murabi die Herrschaft. Um 1500 v. Chr.
kad. Sprache als Amtssprache (erste akkad. ging das sumerische Volkstum unter; seine
Inschriften), vor allem unter Sargons Enkel Weisheitslehren, Kosmologien, Mythen,
und Nachfolger, dem „Gottkönig“ Naram- Epen und seine Kunstformen wirkten je-
sin (2770–2233), der das Reich weiter aus- doch maßgeblich in der geistigen Welt Ba-
dehnte (Sieg über iran. Bergvölker, Unter- byloniens, Assyriens, der Churriter, Hethi-
werfung Nippurs) und Handel mit Indien ter und Israeliten nach.
(↑ Induskultur) trieb; die akkad. Göttin Sunna (arab., der Weg), schriftliche Über-
Ischtar verdrängte den sumer. Göttervater lieferung von Aussprüchen und Gewohn-
Enlil, die Priesterbeamten wurden durch heiten Mohammeds, Kommentar zum
weltliche Beamte ersetzt; wichtigste Städte: ↑ Koran; sechs verschiedene Sammlungen,
Akkad, Kisch, Barsiv, Sipper, Opis und das deren berühmteste von El Bochari (um
aufstrebende Babili (Babylon). Der ak- 840) stammt.
kadischen Herrschaft machten die wahr- Sunniten, die etwa 200 Mio. Anhänger der
scheinlich aus dem Iran einbrechenden „rechtgläubigen“ Richtung des Islams, die
Gutäer ein En­de, die Akkad zerstörten und ↑ Koran und ↑ Sunna als Glaubensgrund-
Sumer ver­heerten; fast unabhängig hielt lage sowie die Rechtmäßigkeit der ersten
sich der Stadt­staat Lagasch, dessen Fürst vier Kalifen anerkennen; Gegenrichtung
Gudea (um 2060) bedeutende Zeugnisse die ↑ Schiiten.

889
Sun Yat-Sen

Sun Yat-Sen, eigtl. Sunwen, Revolutionär des von Hammurabi erlassenen altbabylo­ni­
und Staatsmann ↑ Chinas, 1866–1925; schen staatlichen und bürgerlichen Rechts;
an der Spitze der von ihm 1905 geschaf- stellt das zweit­ältestes Gesetzbuch der Welt
fenen Kuomintang-Partei, führte er 1911 dar).
durch Revolution den Sturz der Mandschu­ Süß-Oppenheimer, Joseph, gen. Jud Süß,
dynastie und 1912 die Gründung der Re- jüd. Finanzmann, 1698/99–1738 (hinge-
publik herbei; während der Spaltung Chi- richtet); wurde 1733 Geheimer Finanzrat
nas 1920–1925 Präsident der südchines. von Herzog Karl Alexander von Württem-
Republik, baute Staat und Staatspartei mit berg, führte ohne Zustimmung der Land-
sowjet. Hilfe aus; sein polit. Programm das stände neue Steuern und Abgaben ein. Die
„Dreifache Volksprinzip“: „Nationalismus, Opposition gegen den Herzog konzen-
Demokratie, Volkswohl“; sein Nachfolger trierte sich auf S.-O., dem Verfassungs-
war Tschiang Kaischek. bruch und persönliche Bereicherung im
Supremat (lat., Obergewalt). 1) S. des Amt vorgeworfen wurden; am Todestag
Papstes, ↑ Primat. 2) S.-Eid, seit 1534 auf- des Herzogs wurde S.-O. verhaftet und
grund der von ↑ Heinrich VIII. erlassenen kurz darauf hingerichtet.
Suprematsakte (von Rom unabhängige, Sutri, Städtchen bei Rom; Synode zu S.
uneingeschränkte Oberhoheit des Königs 1046: Die Synode setzte nach dem Willen
von England über die Anglikan. Kirche) Heinrichs III. die Päpste Silvester III. und
dem engl. König als Staats- und Kircheno- Gregor IV. ab und im gleichen Jahr in Rom
berhaupt zu leistender Eid; Eidesverweige- Benedikt IX. und erhob Suidger von Bam-
rer konnten mit dem Tode bestraft werden berg (Klemens II.) zum Papst.
(„Engl. Märtyrer“) und waren bis 1793 von Suttner, Berta von, geb. Gräfin Kinsky,
jedem Staatsamt ausgeschlossen; der S.-Eid österr. Vorkämpferin für die Friedensi-
wurde 1829 z. T., 1867 ganz aufgehoben. dee (Roman „Die Waffen nieder!“ 1889),
Surinam, Republik im NO Südamerikas; 1843–1914; Mitarbeiterin ↑ Nobels; Frie-
gehörte urspr. zu Guayana, kam 1815 an densnobelpreis 1905.
die Niederlande und wurde als Kolonie Suworow, Alexander, russischer Feldherr,
verwaltet; seit 1866 teilweise Selbstver- 1729–1800; Oberbefehlshaber der russ.-
waltung. S. erhielt 1954 den Status eines österr. Truppen in Italien im 2. Koalitions-
gleichberechtigten autonomen Teils des krieg gegen Frankreich.
Königreichs der Niederlande, seit 1975 Svarez, Carl Gottlieb, dt. Jurist, 1746–
unabhängig; nach dem Militärputsch von 1798; war seit 1766 Mitarbeiter von
1980 wurden polit. Parteien im Juli 1986 J. H. K. Carmer in Breslau, wirkte mit an
an der Regierung beteiligt; bei den Wahlen dessen Reform des schles. Schulwesens und
im Nov. 1987 Sieg der „Front für Demo- des landwirtschaftlichen Kreditwesens; ent­
kratie und Entwicklung“(FDO), Beginn warf mit Carmer das preuß. Allgemeine
eines Demokratisierungsprozesses. 1995 Landrecht.
trat S. der CARICOM, einem Zusam- Svear-Reich, Bez. für das zw. dem 6. und
menschluss von vierzehn Staaten des karib. 10. Jh. entstandene Schwedenreich (Sven-
Raums bei. Rike Sverige).
Susa, Stadt an der Kercha, im Altertum Sven Gabelbart, Svend I., König von Dä-
Hauptstadt des iranischen Staates Elam, nemark (seit 986) und England (seit 1013),
331 v. Chr. von Alexander d. Gr. erobert; um 955–1014; war Anführer zahlreicher
in S. Palastruinen und die berühmte Ge- Wikingerzüge, gewann um 1000 die Ober-
setzes-Stele ↑ Hammurabis (eine aus Baby­ herrschaft über Norwegen und 1013 die
lon verschleppte Steinsäule mit den Texten über England.

890
Syrakus

Swasiland, eigener Name auch Ngwane, Theoretiker dieser Kampfführung u. a.


Monarchie in SO-Afrika; entstanden um Georges Sorel; der S. beherrschte vor dem
1820 unter König Sobhuza I. im Kampf 1. Weltkrieg die frz. Gewerkschaftsbewe-
gegen die Zulu; seit 1907 brit. Protektorat, gung, verlor aber nach dem Krieg fast allen
1910 blieb S. außerhalb der Südafrikan. Boden an den Kommunismus; ähnlich in
Union; seit 1968 unabhängig. Italien, wo er zudem vom Faschismus be-
Syagrius, letzter röm. Statthalter Galliens seitigt wurde; in Deutschland spielt der S.
(464–486); behauptete nach dem Sturz des (abgesehen von einer kurzen Aktivität nach
weström. Kaisertums durch Odoaker (476) 1918) nur die Rolle einer polit. Sekte.
die röm. Provinz Gallien als eigenes Reich; Synedrion, ↑ Juden.
vom fränk. König ↑ Chlodwig 486 bei Soi- Synkretismus (griechisch, Vermischung),
ssons besiegt. die für das hellenist. Zeitalter (↑ Hellenis-
Sydney, Hauptstadt des australischen mus) charakterist. Vermischung klassisch-
Bundesstaates Neusüdwales; 1788 aus ei- griech.-röm. Religionsvorstellungen mit
ner britischen Strafkolonie, die um ein (meist wesensfremden) oriental. Kulten;
Fort angelegt wurde, hervorgegangen und Gleichsetzung oriental. Götter mit griech.-
Ausgangspunkt weiterer Siedlungsgrün- röm. (z. B. Zeus = Jupiter gleichgesetzt mit
dungen; älteste europäische Niederlassung dem ägypt. Gott Ammon); Bez. auch für
an der SO-Küste des 5. Erdteiles; benannt Übernahme fremder Mysterienfrömmig-
nach dem Staatssekretär Lord S. keit (↑ Mithraskult), Einflüsse auch durch
Sylvester, Päpste, ↑ Silvester. Astrologie und Magie. Allg. das Bestre-
Syndikalismus (von frz. syndicat, Gewerk- ben, verschiedenartige Göttergestalten zur
schaft), der besonders in den roman. Län- Einheit zusammenzufassen (z. B. die Son-
dern verbreitete Gewerkschaftssozialismus, nengötter als einheitliche kosm. Kraft).
der sich außer auf Elemente des ↑ Anar- Syphax, König von Westnumidien; im
chismus (Ablehnung jeder Form von Staat) 2. ↑ Punischen Krieg von den Römern ge-
und des ↑ Marxismus (Klassenkampf als gen Karthago geschickt, verbündete er sich
die histor. Rolle des Proletariats) auf die später mit Karthago; 202 v. Chr. von Scipio
Lehre von der entscheidenden revolutio- geschlagen.
nären Funktion der Gewerkschaften grün- Syrakus, ital. Siracusa, Haupt- und Ha-
det; der S., wegen seiner engen Verwandt- fenstadt der gleichnamigen Provinz an
schaft mit dem Anarchismus auch als Anar­ der SO-Küste Siziliens, in Teilen auf der
cho-S. bezeichnet, zielt auf die (gewalt- Insel Ortygia erbaut; 734 v. Chr. von Ko-
same) Übertragung des Eigentums an den rinth aus von dorischen Griechen ge-
Produktionsmitteln und der Verfügung gründet (↑ Großgriechenland), kämpfte
über sie an die Gewerkschaften, die sich zu 485–478 v. Chr. gegen die Karthager; seit
einer freien Föderation zusammenschlie- 480 v. Chr. Wirtschaftsvormacht der W-
ßen und auch die gesetzgebenden Körper- (Kolonial)Griechen; Blütezeit unter den
schaften beschicken (anstelle parlamentar. Tyrannen Gelon und Hieron; seit 465
Wahlen in Bezirken); die Syndikalisten Demokratie; 413 vernichtender Sieg über
lehnen den Kampf durch polit. Organisati- die angreifenden Athener (Nikias); zweiter
onen (Arbeiterparteien) und die Teilnahme Höhepunkt der wirtsch. und polit. Macht-
an der parlamentar. Auseinandersetzung ab stellung unter dem Tyrannen ↑ Dionysios
und erkennen nur die „direkte Aktion“ als (um 380 v. Chr.); verschärfter Kampf gegen
wirksames Kampfmittel an (Streik, Sabo- Karthago, später auf Seiten Karthagos; 212
tage und ähnl. unmittelbar gegen das Un- durch die Römer (unter Marcellus) zer-
ternehmertum gerichtete Maßnahmen); stört; im frühen MA Wiederaufleben des

891
Syrien

Stadtwesens, von Byzantinern, 878 n. Chr. frz. Oberkommandierenden im Namen


von Arabern, 1085 von Normannen er- der Alliierten, 1946 volle Unabhängig-
obert; 1945 in S. Waffenstillstand der Alli­ keit und Abzug der Besatzung; 1950 Ver-
ierten mit der italienischen Badoglio-Re- fassung durch die syr. Nationalversamm-
gierung (↑ Italien). lung; 1950 zus. mit Ägypten Bildung der
Syrien (arab. Esch, Scham, türk. Sura, Vereinigten Arab. Republik (VAR), 1961
Name abgeleitet von Assyrien), vorderasia- nach Militärputsch Austritt aus der VAR;
tische Landschaft, polit. von wechselndem 1962 Niederwerfung eines Putsches groß-
Umfang. Seit 2800 v. Chr. Einwanderung syr. Gruppen. 1963 Putsch der sozialist.
von Kanaanäern und Amoritern, seit 1400 Baath-Partei; nach ideolog. Konflikten in-
von Aramäern; stand nacheinander un- nerhalb der Baath 1970 unblutiger Putsch
ter der Oberhoheit der Ägypter, Hethiter, und Machtübernahme durch General Ha-
Assyrer, Babylonier, im 6. Jh. dem Perser- fiz Al-Assad (Baath), dem eine innenpolit.
reich einverleibt; 333 v. Chr. von Alexander und wirtsch. Stabilisierung gelang. 1973
d. Gr. erobert, seit 301 Kernland des Se- neue Verfassung, die S. zum „demokrat.-
leukidenreiches; 64 v. Chr. von ↑ Pompejus sozialist. Volksstaat“ erklärte. 1973 Nie-
zur röm. Provinz gemacht; in frühchrist- derlage S.s im Jom-Kippur-Krieg gegen
licher Zeit Ausgangspunkt der Heidenmis- Israel; 1976 Intervention syr. Truppen im
sion (Paulus in Antiochia); 634/36 n. Chr. Libanon, verblieben als „Ordnungsmacht“
von den Arabern erobert (Damaskus wurde im Land. In der ersten Hälfte der 1990er
Residenz der ↑ Omaijaden); im 12./13. Jh. Jahre erstmals Bereitschaft zu Verhand-
Errichtung dreier Kreuzfahrerreiche (An- lungen mit Israel, aber Abkommen schei-
tiochien, Tripolis, Edessa); Mitte des terten wiederholt an der Bedingung der
13. Jh. unter der Herrschaft der Mamelu- Rückgabe der 1967 von Israel besetzten
cken und 1516–1918 türk. Provinz; durch und 1981 annektierten Golan-Höhen. Im
Frankreichs Unterstützung der verfolgten Juli 2000 übernahm Baschar al-Assad das
Christen Abtrennung und Verselbständi- Amt seines verstorbenen Vaters Hafiz als
gung des ↑ Libanon; 1920 wurde S. gegen neuer Staatspräsident; stellte umfassende
den Willen der Bevölkerung frz. Mandat, Wirtschafts- und Verwaltungsreformen in
1941 Unabhängigkeitserklärung durch den Aussicht.

892
Taboriten

Taboriten, radikale Verfechter auch wegen ihrer Rohstoffe (u. a. Edelhöl-

T der hussitischen Lehre, ließen


im Gegensatz zu den gemäßig­
ten ↑ Kalixtinern nur die ­Bibel
gelten, lehnten Heiligenverehrung, Bilder-
zer, Kohlenlager); um 600 n. Chr. von Ma-
laien in Besitz genommen, doch isoliert le-
bend, erst im 14. Jh. starke Einwanderung
von Chinesen; 1590 von den Portugiesen
dienst und Glauben an ein Fegefeuer ab; entdeckt, die es „Ilha Formosa“ (schöne In-
von ↑ Ziska, dann von ↑ Prokop geführt, sel) nannten. 1624–61 große Teile F.s von
verwarfen sie alle Kompromisse, die das Holländern besetzt; von 1683 an 200 Jahre
Baseler Konzil anbot; 1434 durch die ge- lang chinesisch; T. behauptete sich gegen
mäßigten ↑ Hussiten geschlagen und über- die interessierten Mächte (Spanien, Frank-
wunden. reich, Japan, die USA); Handelshindernis
Tacitus, Publius Cornelius, römischer Ge- bildete das Strandräuberunwesen. Nach
schichtsschreiber der Kaiserzeit, um 55–um dem jap.-chin. Krieg von 1894/95 fiel T.
120 n. Chr.; Quästor, Tribun, Prätor, stell- an Japan und wurde wirtsch. erschlossen;
vertretender Konsul unter Vespasian, Ti- 1945 wieder zurück an China; seit 1949
tus, Domitian, Nerva; unter Nerva Beginn Rückzugsgebiet der nationalchin. Regie-
seiner histor. Werke mit „Agricola“, einer rung Tschiang Kaischeks, anlässlich des
warmherzigen Biografie des ­Eroberers Bri- Koreakonflikts Garantieerklärung der
tanniens, seines Schwiegervaters; 98 v. Chr. USA. Vorgelagert umkämpfte Frontinseln
↑ „Germania“, früheste und zuverlässige (u. a. Quemoi). 1975 starb Tschiang Kai-
geogr. und ethnograf. Beschreibung Ger- schek, sein Nachfolger als Vorsitzender der
maniens, aufschlussreiche Quelle, mit ver- ↑ Kuomintang wurde sein Sohn Tschiang
gleichenden Bezügen auf röm. Zustände; Tsching-kuo. (seit 1978 Staatspräsident bis
„Historiae“ nach 96, röm. Kaisergeschichte zu seinem Tod 1988). 1971 mit der Auf-
69–96 (erhalten nur für die Jahre 69/70); nahme der Volksrepublik China Ausschluss
„Armales“ um 116 (erhalten nur der Zeit- T.s aus den UN; 1978 Freundschaftsver-
abschnitt Tiberius’, Stücke der Regierungs- trag mit Japan, Abbruch der diplomat.
zeit des Claudius und Nero); T. schrieb als Beziehungen durch die USA (aber weiter
Republikaner scharf und dramatisch zeich- wirtsch. und kulturelle Kontakte); Anfang
nend, trotz seines Versprechens: „sine ira der 1980er Jahre Beginn eines vorsichtigen
et studio“ (ohne Zorn und ohne Sympa- Demokratisierungsprozesses; 1987 Auf-
thie), objektiv nicht immer richtig (z. B. hebung des seit 1949 geltenden Kriegs-
Tiberius), im Stil gestrafft und treffend, rechts. 1988 Regierungswechsel, neuer
den Niedergang Roms seit Augustus er- Vorsitzender der Kuomintang und Staats-
kennend. präsident Lee Teng-hui. 1989 Einführung
Taft-Hartley-Gesetz, von Senator R. A. des Mehrparteiensystems. Zur VR China
Taft und dem Abgeordneten F. A. Hartley Anfang der 90er Jahre erstmals inoffiz.
eingebrachtes und am 23. Juni 1947 ver- Wirtschaftsbeziehungen, aber weiter polit.
abschiedetes Gesetz, das die rechtlichen Konflikt, immer wieder Drohgebärden der
Beziehungen zw. Unternehmern und Ar- VR China. Bei den ersten freien Präsident-
beitnehmern in den USA neu ordnete; das schaftswahlen 1996 Bestätigung Präsident
gegen das Veto von Präsident Truman be- Lee Teng-huis. Die VR China bot Taiwan
schlossene Gesetz verschlechterte deutlich weiterhin Wiederangliederung nach dem
die Position der Gewerkschaften. Model „Ein Land, zwei Systeme“ (wie in
Taiwan (Formosa, Republik China), ­Insel Hongkong und Macao) an; in T. 1999 Ab-
vor der südostchinesischen Küste, strate- kehr von der sog. „Ein-China-Politik“ und
gisch und verkehrspolit. wichtig, begehrt Forderung nach politische Gleichstellung

893
Talbot

(nach dem Prinzip „Ein Volk, zwei Staa- gene Frankreich als gleichberechtigt in den
ten“), massive Verschlechterung der Bezieh­ Kreis der Verhandlungspartner hineinzu-
ungen zur VR China. Bei Präsidentschafts- bringen; unter Karl X. zog T. sich zurück,
wahlen 2000 Sieg der oppositionellen De- war aber für Ludwig Philipp von Orléans
mokratischen Fortschrittspartei (DDP), tätig; nach dessen Thronbesteigung 1830–
neuer Staatschef Chen Shui-bian rief zum 1835 Botschafter in London (Abschluss der
Dialog mit Peking auf, lehnte aber Wieder- Quadrupelallianz zw. Frankreich, Großbri-
angliederung T.s entschieden ab. Bei den tannien, Spanien und Portugal); sein Wir-
Parlamentswahlen 2001 ebenfalls Sieg der ken galt der Erhaltung und Stärkung des
DDP. konstitutionellen Systems und des europ.
Talbot, John, Graf von Shrewsbury, eng- Gleichgewichts.
lischer Feldherr im ↑ Hundertjährigen Tall Halaf, 1899 aufgefundene Ruinen-
Krieg, 1373–1453; 1429 von Jeanne d’Arc stätte in NO-Syrien, Reste der rd. 6 000
bei Pata besiegt, fiel in der Schlacht von Jahre alten Residenzstadt Gosan in Meso-
Castil­lon (1453). potamien.
Talent, antike Geldeinheit (↑ Geld). Tall Mardich, Ruinenhügel der altoriental.
Taler, verbreitetste altdt. Silbermünze, zu- Stadt Ebla (Ibla) in N-Syrien; besaß 2400–
erst in Joachimsthal in Böhmen geprägt, 1600 v. Chr. polit. Bedeutung; ital. Archäo­
daher abgekürzt T. genannt; seit 1566 logen fanden die ummauerte Unterstadt,
Münzeinheit des Reiches, 1873 von der einen großen Tempel, reliefierte Wasser-
↑ Mark abgelöst und sein Wert mit 3 Mark becken und im Palast ein Keilschriftarchiv
festgesetzt, 1900 eingezogen (von „Thaler“ (bisher rd. 16 000 Tontafeln).
abgeleitet die Geldbezeichnung Dollar). Tall Ubaid, Ruinenhügel in S-Irak; brit.
Tall Al Amarna, ↑ Amarna. Archäologen fanden 1919–1937 in einem
Tall Al Asmar, Ruinenhügel der altorien- Gräberfeld des späten 5. Jt. v. Chr. geome-
tal. Stadt Eschnunna (Aschnunna) nord- trisch verzierte sogenannte Ubaidkeramik
östl. von Bagdad; Ausgrabungen amerik. und Terrakottafiguren.
Forscher legten 1930–36 einen Tempel des Talmud (neuhebr., Lehre), zwei Fassungen:
3. Jt. v. Chr. und einen Palast der altbaby- der sog. jerusalemit. und der babylon. T.,
lon. Dynastie von Eschnunna frei. Sammlung der überlieferten Lehren, re-
Talleyrand-Perigord, Charles Maurice de, ligiösen Vorschriften, Auslegungen, Dis-
Herzog von, Fürst von Benevent, frz. Poli- kussionen, Geschichtserzählungen, Anek-
tiker, 1754–1838; von Jugend an verkrüp- doten des Judentums seit der ↑ Babylon.
pelt, widmete sich dem geistlichen Stand; Gefangenschaft; der T. geht zurück auf die
1788/91 Bischof von Autun, 1791 wegen Erklärungen zur ↑ Thora, besteht aus der
seiner revolutionsfreundl. Haltung vom „Mischna“ (der mündlichen Überlieferung
Papst gebannt; 1793 Botschafter in Lon- von Generation zu Generation) und dem
don, 1794 aus Großbritannien ausgewie- Kommentar zur Überlieferung, der „Ge-
sen, 1797–1807 Außenminister unter Bar- mara“; die Mischna 218 n. Chr. zusammen­
ras und Napoleon; T. hatte entscheidenden gestellt, die erweiterte und erläuterte Ge-
Anteil an den Friedensschlüssen von Lune­ mara im 5. Jh. vollendet; der T. ist noch
ville, Amiens und Preßburg, fiel in Un- heute Grundlage des kulturellen und reli-
gnade bei Napoleon, bereitete die Wieder­ giös-bildenden Lebens der Juden.
einsetzung der Bourbonen vor (dafür Tamerlan, ↑ Timur.
1814/15 Außenminister Ludwigs XVIII.); Tanagra, antike Stadt in Böotien (Grie-
genialer Diplomat auf dem Wiener Kon- chenland), berühmt durch zahlreiche
gress; seiner Taktik gelang es, das geschla- Funde von Terrakotten (in leuchtenden

894
Taoismus

Farben bemalte „Tanagrafiguren“, Grab- Selbstvertrauen“, sogenannte „Arusha-Er-


beigaben der hellenist. Zeit in der Toten- klärung“) ein, das aber nur teilw. praktisch
stadt auf dem Kokkalihügel). realisiert wurde, u. a. Verstaatlichung von
Tanganjika, 1961–1964 unabhängiger Banken und Industriebetrieben und Um-
Staat in Ostafrika, ehem. Kolonie Deutsch- organisierung der ländl. Bevölkerung nach
Ostafrika, Hauptstadt Daressalam. Han- genossenschaftl. Vorbild. Zusammenarbeit
delsverkehr mit Arabien und Persien seit mit westl. Ländern, aber auch militär. und
dem 8. bzw. 10. Jh. n. Chr.; Gründung wirtsch. Kooperation mit der Volksrepu-
größerer Niederlassungen erst seit 1820 blik China. Anfang der 1970er Jahre Kon-
durch arab. Sklavenhändler; der Deutsche flikt mit Uganda, als dem von Idi ↑ Amin
Carl ↑ Peters erwarb die Hauptgebiete von Dada gestürzten ugand. Staatschef Obote
T. durch Verträge mit den Eingeborenen- in Tansania Exil gewährt wurde. Militär.
häuptlingen (Küstengebiete vom Sultan Intervention T.s in Uganda, schließl. 1979
von Sansibar); 1885 Schutzbrief des Dt. Sturz Amin Dadas, bis 1981 tansan. Trup-
Reiches; 1889–1906 Kämpfe gegen Ein- pen in Uganda. 1977 Zusammenschluss
geborene und Araber; 1914–1918 erfolg- der „Tanganjika African National Union“
reiche Rückzugskämpfe der dt. Schutz- (TANU) und der „Afro-Shirazi Party“
truppe unter Lettow-Vorbeck gegen über- (ASP) zur Einheitspartei CCM, Verbot al-
legene alliierte Streitkräfte; 1919 wurde T. ler anderen Parteien. 1980 T. Gründungs-
Völkerbundsmandant unter brit. Verwal- mitglied der „Entwicklungsgem. des Südl.
tung, Abtretung von Ruanda-Urundi und Afrika“ (Southern African Development
Kionga (an Belgien); 1939–1945 Inter- Community, SADC), Ziele: enge wirtsch.
nierung, Ausweisung und Enteignung der Zusammenarbeit (z.B. Senkung bzw. Ab-
Deutschen; T. wurde Treuhandgebiet der schaffung der Zölle) und Erhaltung des
UN unter brit. Oberhoheit, ab 1949 plan- Friedens im südl. Afrika. 1985 Wahl Ali
mäßige Vorbereitung der Selbständigkeit. Hassan Mwinyis zum neuen Staatsprä-
1964 vereinigten sich Sansibar und T. zur sidenten, leitete unter dem Druck des
Vereinigten Republik ↑ Tansania. IWF und der Weltbank und aufgrund der
Tannenberg, Dorf in Ostpreußen; 1410 schlechten wirtschaftlichen Lage markt-
Niederlage des Dt. Ritterordens gegen ein wirtsch. Reformen ein; dennoch weiteres
zahlenmäßig überlegenes Heer der Polen Ansteigen der Auslandsverschuldung, wei-
und Litauer; der Sieg leitete die Oberherr- tere Belastung durch Flüchtlingsströme
schaft Polens über das dt. Ordensland ein. aus ↑ Ruan­da (1994). 1992 auf Druck der
1914 Sieg ↑ Hindenburgs über die russ. polit. Opposition Wiedereinführung des
Narew-Armee unter Samsonow; Befreiung Mehrparteiensystems. Bei den Wahlen
Ostpreußens und erster russ. Ansturm ge- 1995 neuer Staatschef Benjamin William
brochen; das 1927 errichtete T.-Denkmal Mkapa (CCM); auch bei den Parlaments-
1934–44 Grabstätte Hindenburgs; das wahlen absolute Mehrheit der CCM. Bei
Denkmal 1945 von den Deutschen ge- Wahlen 2002 Bestätigung Mkapas und der
sprengt. CCM.
Tansania, entstand 1964 aus dem Zusam- Taoismus (von chin. tao = Weg), auf Ele-
menschluss von Sansibar und Tanganjika mente des altchin. Götterglaubens und auf
zur „Vereinigten Republik T.“ bei weitge- ↑ Laotse (der mit „tao“ das All-Eine und
hender innenpolit. Autonomie. Nyerere den Ursprung des Alls bezeichnete) sich
wurde Staatspräsident (bis 1985). 1967 gründende weitverbreitete chin. Volksreli-
leitete T. eine Politik mit sozialist. Orien­ gion mit Zauber-, Dämonen- und Geister-
tierung (Programm für „Sozialismus und kult und zahlreichen, aus dem Buddhismus

895
Tappa Gaura

übernommenen religiösen Bräuchen; Tem- 700 v. Chr., bedeutendes Handels- und


pel, Klöster, Mönchs- und Weltpriester; Kulturzentrum, später unter griech. Ein-
dem religiösen T. steht der altchin. philo- fluss; Hauptstützpunkt der Römer wäh-
soph. T. gegenüber, der die Lehre Lao-tses rend der Partherkriege.
rein bewahrt (↑ China). Tasmanien (früher Van Diemens’ Land),
Tappa Gaura, Ruinenhügel im Irak; ame- große Insel an der Südostspitze ­Australiens,
rik. Forscher fanden 1930–37 lückenlose am 24. Nov. 1642 durch A. Tasman ent-
Siedlungsschichten des späten 6. Jt. v. Chr. deckt; 1803 Verbrecherkolonie, rasches
bis ins 14. Jh. Emporblühen, 1853 als Kolonie anerkannt
Tappe Sialk, Bez. für zwei Ruinenhügel im und 1856 in T. umbenannt; austral. Bun-
Iran; in T. S. (A) fanden frz. Archäologen desstaat.
1933–1938 Stampflehmhäuser aus dem Tassilo, Bayernherzöge aus dem Haus der
6. Jt. v. Chr. und Lehmziegelbauten aus dem Agilolfinger; bekanntester und letzter:
5. bzw. 4. Jt. v. Chr. T. S. (B) ist eine künst- T. III. (748–788); verließ während eines
liche Terrassenanlage aus dem 1. Jt. v. Chr. Feldzugs in Aquitanien 763 das fränk.
mit abgesonderten Nekropolen. Heer, wurde 788 auf dem Reichstag von
Tarent (ital. Toranto), Tarentum, unter­ Ingelheim auf Veranlassung Karls d. Gr. ab-
ital. Kolonialstadt der Spartaner (Dorer); gesetzt und zum Tode verurteilt, doch be-
um 700 v. Chr. gegr. (↑ Großgriechenland), gnadigt und ins Kloster verbannt (Bayern
führte 282–272 v. Chr. Krieg mit Rom, wurde dem Frankenreich einverleibt).
280–275 von Pyrrhus, 272 von den Rö- Tataren, mongol. und türk. Völker; im
mern besetzt, erhob sich 212 zugunsten MA wurden alle Völker mongol. Herkunft
Hannibals, dem die Römer T. 209 wieder T. genannt; die Umbildung ihres Namens
entrissen; 6. Jh. n. Chr. an Ostrom und um in „Tartaren“ geht auf ein Wortspiel Lud-
675 unter langobard., 856–887 unter sara- wigs IX. des Heiligen von Frankreich zu-
zen. Herrschaft. Seit 929 bei Byzanz, seit rück, der den Namen von „Tartaros“ (Un-
der normann. Eroberung (1063) eng mit terwelt der Griechen) ableitete; man un-
der Geschichte des Königreichs beider Sizi- terscheidet: Krim-, Wolga-, Westsibir. T.
lien verbunden; mit diesem 1861 dem Kö- (↑ Mongolen).
nigreich Italien einverleibt. Tauroggen, (litauisch Taurage), Flecken
Tarik, arab. Feldherr unter Musa, besiegte in Litauen; nach ihm benannt die in der
die Westgoten 711 bei Wadi Bekka (am nahen Mühle von Poscherun am 30. Dez.
Salado, angeblich bei Jerez de la Frontera), 1812 zw. dem preuß. General Yorck und
eroberte Cordoba und Toledo, die Haupt- dem russ. General Diebitsch abgeschlos-
stadt des Westgotenreiches; nach ihm ↑ Gi- sene Konvention (Neutralisierung des dem
braltar („Berg des Tarik“) benannt. frz. Marschall Macdonald unterstellten,
Tarquinier, sagenhaftes etrusk. Königsge- Napoleon nach Russland zur Hilfe ent-
schlecht in Alt-Rom: 1) Tarquinius Pris- sandten preuß. Korps), Auftakt zur preuß.
cus (angeblich 616–579 v. Chr.), sagenhaf­ Erhebung gegen Napoleon.
ter vorletzter röm. König. 2) Tarquinius Teheran, Hauptstadt des ↑ Iran; Konfe-
Superbus (angeblich 534–510 v. Chr.), der renz von T.: erstes gemeinsames Treffen
Sage nach der letzte röm. König, soll als von ↑ Roosevelt, ↑ Churchill und ↑ Stalin,
Tyrann geherrscht haben und vertrieben 28. Nov.– 1. Dez. 1943, mit weitreichenden
worden sein. militär. und polit. Folgen; die UdSSR be-
Tarsos, Geburtsstadt des Apostels ↑ Pau- hielt die 1939 besetzten poln. Gebiete östl.
lus, in Kleinasien am Kydnos, Hauptstadt der ↑ Curzonlinie („5. Teilung Polens“),
von ↑ Kilikien; gegr. von den Assyrern um Polen wurde dafür mit dt. Gebieten östl.

896
Teotihuacán-Kultur

der Oder (Verwaltung bis zur endgültigen der Vögte geschichtlich nicht ­bezeugt, Sage
Festlegung bei Friedensschluss) entschä- vom Apfelschuss eine bekannte Wander-
digt; trotz Geheimhaltung kamen die Ab- sage.
machungen durch Spionage (Fall Cicero) Temple, um 1304 vor den Toren von Pa-
zur Kenntnis der dt. Regierung; weitere ris erbaute Hauptburg des Tempelherren-
Besprechungen über gemeinsame militär. ordens; in ihr wurden 1312 die Ritter von
und polit. Zusammenarbeit der Alliierten König Philipp IV. nach Verrat verhaftet;
(Invasion im Westen) und über Festlegung seither Besitz der Krone; 1792/93 Gefäng-
der Besatzungszonen zw. Ost und West im nis der Königsfamilie, 1811–1857 abgetra-
besetzten Deutschland. gen.
Teja, der letzter ostgot. König (552–553); Templer (Tempelherren), erster geistlicher
Nachfolger des Totila, fiel 553 in der Ritterorden; 1119 unter Hugo von Pa-
Schlacht am Mons Lactarius nahe des Ve- yens zum Kampf gegen die Ungläubigen
suvs im Kampf gegen die Byzantiner unter und zum Schutz der Palästinapilger und
Narses. des Hl. Grabes gegr., benannt nach ihrer
Telefon, ↑ Fernsprecher. ersten Niederlassung in der Nähe der Ru-
Telegraf (griech., Fernschreiber), Gerät zur inenstätte des Salomon. Tempels; von Kö-
Nachrichtenübermittlung auf schnellstem nigen und Kaisern für ihre Aufgaben reich
Wege, urspr. in Form von Flammenzeichen ausgestattet; Tracht: weißer Ordensmantel
und Fackeln, am Tage Flaggen (Nachricht mit rotem Kreuz über der Ritterrüstung;
vom Fall Trojas, nach Äschylos); Flaggen- nach Beendigung der Kreuzzüge nach Zy-
signale auch bei Plutarch erwähnt; nach pern und dann nach Frankreich verlegt,
Erfindung des Fernrohrs (17. Jh.) Nach- hier wegen seines Reichtums und Ansehens
richtenübermittlung durch opt. Zeichen unter dem Vorwand der Gotteslästerung,
verbessert; 1789 opt. T. mit Signalalarmen Entsittlichung und Unkirchlichkeit nach
durch die Brüder Chappe; opt. Telegrafen- einem Schauprozess weitgehend dezimiert
linien mit ständig besetzten Stationshäu- und auf Veranlassung König Philipps des
sern Paris–Brüssel, Paris–Straßburg 18. Jh., Schönen von Papst Klemens V. 1312 aufge-
Berlin–Trier–Metz Anfang 19. Jh.; Anfang löst (Güter von der Krone eingezogen).
19. Jh. erste Blinkgeräte; Erfindung (doch Temu Dschin, ↑ Dschingis Khan.
nicht Ausnutzung) eines elektrochem. T.en Teng Hsiao-P’ing, ↑ Deng Xiaoping.
durch Sömmerring 1809 (eigener Draht für Tenkterer, eine german. Völkerschaft mit
jedes einzelne Zeichen), bedeutender Fort- Stamm­sitzen zwischen Lahn und Wupper,
schritt durch den elektromagnet. T.en von 56/55 v. Chr. Übergang über den Rhein,
Gauß und Weber (Göttingen 1835); erste durch Cäsar bei Nimwegen fast völlig auf-
T.en-Linie (Baltimore-Washington) nach gerieben.
Erfindung des Zeichendruck-T.en durch Tenochtitlán, die in der 2. Hälfte des
den Amerikaner Morse (1844); 1851 erste 14. Jh. n. Chr. von den ↑ Azteken gegrün-
Unterwasserkabellinie (Dover–Calais); dete Hauptstadt ↑ Mexikos (heute Mexiko
1901 drahtloser Funk-T. durch Marconi City); von ↑ Cortes 1519 zum ersten Mal
England–USA; 1902 Bild-T. durch Korn, betreten, 1521 endgültig erobert und zer-
1928 Fernschreiber, 1933 Hellschreiber stört.
(drahtloser Fernschreiber). Teotihuacán-Kultur, frühmexikan. Kultur,
Tell, Wilhelm, sagenhafter Held des Schwei­ benannt nach den riesigen Tempel-Pyrami-
zer Freiheitskampfes gegen die Habsburger den im Tal Teotihuacán (↑ Mexiko); hoch
im 14. Jh., geschichtl. Hintergrund noch entwickelt in Landwirtschaft, Handel und
ungeklärt; Rütli-Schwur und Vertrei­bung Verwaltung.

897
Terentius Varro

Terentius Varro, ↑ Varro. ETA (bask. Befreiungsbewegung), die IRA


Terramare-Kultur, bronzezeitl. ital. Kultur (Irisch-Republikan. Armee), palästinens.
seit etwa 2500 v. Chr. in N-Italien, später Befreiungsorganisationen, tamilische Unter­
auch auf das adriat. Italien und dann bis grundorganisationen u. a. In der Bundesre-
Mittelitalien ausgreifend. Charakteristisch publik Deutschland gibt es seit 1968 ­polit.
die Brandbestattung in Urnen (im Gegen- T.; die „Rote Armee Fraktion“ (RAF) und
satz zur bisherigen Körperbestattung) und die „Revolutionären Zellen“ begründeten
die vielleicht aus dem Pfahlbau hervorge- ihre Aktionen zunächst mit sozialrevolutio­
gangene Terramare-Bauweise: Die mit Wall närem Protest; später (1972–1977) dienten
und Graben umgebenen Rundhäuser stan- sie häufig der Freipressung inhaftierter Mit-
den auf Pfahlrosten aus Balken, die mit glieder, in den 80er Jahren auch der Liqui-
festgestampfter Bodenschicht belegt wa- dierung von Persönlichkeiten aus Politik,
ren; die Häuser gruppierten sich in recht- Justiz und Rüstungsindustrie. Der T. war
winkliger Anordnung und an senkrecht nicht selten Anlass für gesetzl. und polizei-
sich schneidenden Wegen zum Dorf, in der liche Verschärfung staatl. Repression auf
geometr. Anordnung ähnlich wie die spä- Kosten der Rechtsstaatlichkeit. Seit ­Anfang
teren röm. Lager und Stadtanlagen; auch der 80er Jahre treten in der Bundesrepu-
die Gräberfelder mit den Urnen in der blik Deutschland und in W-Europa ver-
Nähe der Tore ruhten auf Pfahlrosten. stärkt rechtsextremist. Terrorgruppen auf.
Terrorismus, (frz. le terreur, „der Schre- Die terrorist. Aktionen beschränkten sich
cken“), polit. motivierte Gewaltanwen- nicht nur auf das eigene Land; durch Flug-
dung durch extremist. Gruppen und Ein- zeugentführungen, Geiselnahme, Attentate
zelpersonen; gerichtet gegen den herr- und internat. Zusammenarbeit wurde der
schenden Staatsapparat und seine Reprä- T. zu einem internat. Problem. Eine neue
sentanten; Ziel ist die Verunsicherung des Dimension des T. wurde am 11. Sept. 2001
Regierungs- oder Polizeiapparates, die Auf- erreicht: Bei einer Reihe von koordinierten
kündigung der Loyalität mit der Regierung Terroranschlägen der islamist. Terrororga-
und den Herrschenden, die Destabilisie- nisation Al-Kaida auf die Vereinigten Staa-
rung polit. Verhältnisse und die Aufmerk- ten von Amerika (unter anderem wurde
samkeit der (Welt-)Öffentlichkeit. Ter- das World Trade Center in New York zer-
rorist. Aktionen unterscheiden sich vom stört) kamen Tausende von Menschen ums
staatl. ausgeübten oder tolerierten Terror Leben.
durch die Stellung zur Macht. Die Ursa- Tertullian, Quintus Septimus Florens, äl-
chen des T. liegen in der jeweiligen polit. tester lat. Kirchenvater aus Karthago, (150–
und sozialen Situation – in der Unterdrü- 220); zunächst Rhetor und Rechtsgelehr-
ckung polit., nationaler, religiöser und ter, dann Christ und Presbyter; schon früh
ethn. Minderheiten, im Missbrauch von in Abwehr gegen die Gnosis, von Bedeu-
Staatsmacht, in wirtsch. und sozialer Not. tung seine Formulierung der Trinitäts- und
Zu dieser sozialen Dimension kommen Erbsündelehre; später Anhänger des Mon-
meist persönl. Beweggründe hinzu. Theo- tanismus; seine dogmat. Schriften zur Ver-
ret. Grundlagen des T. liegen u. a. im An- teidigung der christl. Lehre z. T. erhalten.
archismus, der jede Strukturelle und per- Teschen, Stadt in Schlesien; 1779 Friede
sönl. Herrschaft über Menschen ablehnt. von T. zw. Friedrich d. Gr. und Maria The-
– Im 20. Jh. haben sich viele Befreiungs- resia, beendete den ↑ Bayer. Erbfolgekrieg:
bewegungen im Widerstand gegen Kolonia­ Innviertel an Österreich abgetreten, aber
lismus terrorist. Mittel bedient: nat. Be- Tauschplan (Niederbayern und Oberpfalz
freiungsbewegungen der Dritten Welt, die gegen Österr. Niederlande) unterbunden.

898
Thailand

Testakte, engl. Gesetze, die von 1673 bis sputsch Umwandlung der absoluten in
1829 in Kraft blieben, forderten von allen eine konstitutionelle Monarchie, praktisch
öffentlichen Beamten und Parlamentsmit- nach Abdankung des alten Königs (1935)
gliedern den Empfang des Abendmahls Militärdiktatur; erster Mann im Staat Pi-
nach anglikanischem Ritus und Abschwö- bul Songgram (an der Spitze des Regent-
rung der kath. Transsubstantiationslehre schaftsrates); 1936 Herstellung der vollen
(dadurch Ausschluss überzeugungstreuer Souveränität; Kündigung der Verträge mit
Katholiken von den öffentlichen Ämtern). fremden Mächten und Aufhebung der Ka-
Tetzel, Johann, Dominikaner, Ablasspredi- pitulationen. Seit 1939 Staatsbezeichnung
ger, um 1465–1519; handelte vor allem in „T.“; nach dem Zusammenbruch Frank-
Thüringen mit sog. Ablassbriefen, Beicht- reichs 1940 Wiederaneignung der 1893–
briefen, die gegen Geldopfer für kirchliche 1907 an Indochina abgetretenen Gebiete
Zwecke die Beichte auch in reservierten (Laos, Kambodscha); 1941 von den Ja-
Fällen bei einem beliebigen Beichtvater panern be­setzt; 1942 unter japan. Druck
ermöglichten und mit einem ↑ Ablass ver- Kriegserklä­rung an die Alliierten, von
bunden waren; T. sammelte zuerst für den den USA nicht angenommen; Besetzung
Dt. Ritterorden, dann für den Erzbischof der 1909 Großbritannien überlassenen
von Mainz und die Peterskirche; er machte vier Malaienstaa­ten, dann zunehmende
aus dem Ablass ein Krämergeschäft, bis Stärke mit der den Alliierten zusammen-
↑ Luther 1517 in seinen Thesen gegen ihn arbeitenden Widerstandsbewegung unter
auftrat. dem Regenten Luang Pradit (Pridi); 1946
Teutoburger Wald, Teilstück des Weser- Friedensvertrag: Wiederherstellung der
berglandes; 9 n. Chr. vernichtende Nieder- Grenzen der Zeit vor 1941; 1947 Staats-
lage der Römer (3 Legionen unter Varus) streich des Marschalls Songgram (1946
durch Arminius, genauer Ort unbekannt. zum Kriegsverbrecher erklärt, doch nicht
Teutonen, germ. Volksstamm, ursprüng- abgeurteilt), Sturz Pradits, Militärdikta-
lich (um 325 v. Chr.) in Westjütland, um tur, 1949 neue Verfassung (Straffung der
120 v. Chr. mit den Kimbern Einfall in Ita- Regierungsgewalt innerhalb der konstitu-
lien, 102 v. Chr. von Marias bei Aquae Sex- tionellen Monarchie), außenpolit. Zusam-
tiae geschlagen. menarbeit mit den USA (Kredite; Angebot
Thailand (Siam), siamesisch Muang Thai von Militärstützpunkten nach Ausbruch
(„Land der Freien“), unabhäng. Königreich des Koreakonflikts); seit 1949 offiz. Name
in SO-Asien, im 13. Jh. von Thai-Stämmen wieder T.; 1951 Wiedereinführung der al-
aus S-China besetzt, die das Reich von Ay- ten Verfassung von 1932, 1954 ↑ SEATO-
uthia gründeten, 1767 von den Birma- Mitglied, 1963–73 Militärregierung un-
nen erobert, nach deren Vertreibung neue ter Kittikachorn, Rücktritt durch Studen-
Hauptstadt Bangkok (gegr. 1769); seit der tenunruhen erzwungen; 1975 erste allg.
Mitte des 19. Jh. europ. (bes. brit.) Einflüs- Wahlen seit einem Vierteljahrhundert,
sen geöffnet; unter König Tschulalongkorn Wahlsieg der während der Militärregie-
(1868–1910) in ein modernes Staatswesen rung opponierenden Parteien, 1976 Putsch
umgeschaffen (Einführung der techn. Er- rechter Militärs, 1977 erneuter Putsch;
rungenschaften Europas); trotz Gebiets- 1978 neue Verfassung und 1979 Wahlen
abtretungen an Indochina (frz.) und Ma- zum Unterhaus, die allerdings von der Op-
laya (brit.) 1893–1909 Unabhängigkeit position boykottiert wurden. Seitdem ist
des Restreiches dank der brit.-frz. Rivali- die innenpolit. Situation in T. relativ insta-
tät behauptet; 1917 Kriegserklärung an bil (zahlreiche Regierungswechsel, Putsch-
die Mittelmächte, 1932 durch Offizier- versuche, Machtkämpfe usw.). Seit Beginn

899
Thälmann

der 1980er Jahre starkes Wirtschaftswachs- um 2850 v. Chr. gegr., 2050 v. Chr. Re-


tum, basierte v. a. auf Export. Ab 1997 sidenz der Pharaonen in Oberägypten,
schwere Wirtschaftskrise, Landeswährung 1700 v. Chr. Herd des ägypt. Aufstandes
Baht verlor mehr als die Hälfte ihres Wer- gegen die ↑ Hyksos, seit 1600 v. Chr.
tes; erneut häufige Regierungswechsel. Hauptstadt Ägyptens, Mittelpunkt des
Nov. 1997 neuer Regierungschef Chuan Ammonkultes (gewaltige Tempelbauten
Leekpai (Vors. der Demokrat. Partei), Sta- am rechten Nilufer Karnak und Luxor, in
bilisierung der thailänd. Währung. Bei Par- der Ebene am linken Ufer Paläste, Toten-
lamentswahlen Jan. 2001 Sieg des Milliar- tempel, im nahen Gebirge Gräbertäler mit
därs und ehem. Ministers T. Shinawatra, Felsgräbern; „Tal der Könige“ und „Köni-
der trotz eines laufenden ­Verfahrens wegen ginnen“); zunehmende Macht der Tempel-
Korruption (2001 Freispruch) und erheb- priester gegenüber den schwächlichen Pha-
licher Unregelmäßigkeiten bei der Wahl raonen; 527 Plünderung durch das Perser-
zum neuen Min.Präs. ernannt wurde. heer des Kambyses, dann vernachlässigt;
Thälmann, Ernst, dt. Staatsmann, 1886– 84 v. Chr. Erhebung gegen das Regime der
1944; Hafen- und Transportarbeiter, 1903 ↑ Ptolemäer, die die ägypt. Residenz nach
zur SPD, 1917 USPD, 1920 KPD, 1921 Alexandria verlegten. 2) T., antike Haupt-
deren Vorsitzender in Hamburg, Teilnah­me stadt Böotiens, bereits in vorindogerman.
am Hamburger Aufstand 1923; seit 1924 Zeit besiedelt, von der ersten wie von der
im Exekutivkomitee der Kom­intern und zweiten Einwanderung berührt; um 1400
Führer des Roten Frontkämpferbundes, errichtete der sagenhafte Kadmos den Pa-
seit 1925 Vorsitzender der KPD; unterlag last Kadmeia; Blüte der Stadt in myken.
bei den Reichspräsidentenwahlen 1932 Zeit (Sagenkreis um Ödipus und die Sie-
gegen Hindenburg und Hitler; nach dem ben gegen Theben); seit 431 v. Chr. teils
Reichstagsbrand am 3. März 1933 verhaf- im Bund mit und teils in Gegnerschaft zu
tet und anlässl. eines Luftangriffs auf das Sparta, durch die Siege des Pelopidas (379)
KZ Buchenwald nach elfjähriger Haft von und Epaminondas (Leuktra 371) vorüber-
SS-Wachen ermordet. gehend mächtigste Stadt Griechenlands
Thatcher, Margaret, brit. Politikerin, geb. (371–362 Hegemonie T.s); 362 Niederlage
1925; seit 1959 im Unterhaus, 1970–74 bei Mantineia, 335 von Alexander d. Gr.
Ministerin für Erziehung und Wissen- zerstört; 315 durch Kassandros wieder auf-
schaft, seit 1975 Vorsitzende der Konser- gebaut, aber in der Folge ohne führende
vativen Partei; wurde 1979 zur Premier- Bedeutung.
ministerin gewählt, Seit 1992 Baroness Themistokles, athen. Politiker und Feld-
Thatcher of Kesteven, damit Mitglied des herr, um 524–459 v. Chr.; z. Z. der höchs­
Oberhauses. ten Persergefahr Schöpfer der athen. See-
Thebais, Wüsten- und Oasengebiet um die macht, begründete durch den Seesieg von
ägypt. Stadt Theben, auch Bez. für Oberä- Salamis die athen. Führung im ↑ Attischen
gypten; seit dem 2. Jh. n. Chr. christl. Ge- Seebund; wegen seiner für die Athener be-
meinden, Einsiedeleien und erste Eremi- drohlichen Machtstellung des Hochverrats
tengemeinschaften in den altägypt. Grab- bezichtigt, 471 gestürzt, starb im Exil in
kammern (Ausgangspunkt des morgen- der pers. Stadt Magnesia (↑ Griechenland,
länd. Mönchtums; Paulus von Theben, Pa- Perserkriege).
chomius, Antonius d. Gr.); Verbannungs- Theoderich, 1) T. der Große, König der
ort in den Christenverfolgungen. Ostgoten, 454–526; verbrachte seine Ju-
Theben, Städte mit großer antiker Tra- gend als Geisel in Konstantinopel, seit 471
dition: 1) T., Stadt in Oberägypten, König, zog 488 über die Alpen, schlug 489

900
Theresienstadt

↑ Odoaker an der Isonzobrücke und bei Theodosius, Kaiser von Byzanz: 1) T. I.,
Verona, 490 an der Adda und tötete ihn d. Gr., Flavius, 347–395; seit 379 Mitre-
nach der Übergabe des vergeblich belager- gent des Kaisers Gratian, seit 394, nach
ten ↑ Ravenna trotz des Zugeständnisses dem Tod des Mitregenten, letzter alleiniger
der Schonung; 493–526 Konsul und Patri- Herrscher des röm. Gesamtreiches, hielt
cius und damit Herr Italiens, residierte in die Germanenflut auf; verbot das Heiden­
Ravenna, festigte den Staat (Goten: militär. tum (Ende der ↑ Olymp. Spiele) und teilte
Schutz, Römer: Wirtschaft und Verwal- durch Einsetzung seiner Söhne Arcadius
tung); erkannte die hohe Bedeutung der (Ostreich) und Honorius (Westreich) 395
röm. Kultur auch für das Germanentum; das Reich endgültig (Begründung des ↑ By­
durch ↑ Cassiodor und ↑ Boethius Bemü- zantin. Reiches). 2) T. II., 401–450; Sohn
hungen um polit. Versöhnung zw. Römern des Arcadius; ließ seit 435 alle kaiserl. Er-
und Goten (der Versuch scheiterte, Auf- lasse seit Konstantin d. Gr. sammeln (da­her
stand der Römer). Kluge Heiratspolitik Theodosian. Codex: gültig im östlichen
sollte einen großgerman. Block (Goten, Reich seit 438, im westlichen seit 443) und
Franken, Burgunder, Vandalen, Thüringer) nahm vor den Persern geflüchtete Arme-
gegen Byzanz schaffen, vereitelt durch den nier (unter anderem den Erfinder der ar-
Frankenkönig ↑ Chlodwig. T. starb bei der men. Schrift Mesrob) in Byzanz auf.
Vorbereitung eines Rachekriegs gegen die Theophanu, 1) T., byzantin. Kaiserin,
Vandalen; lebte in der dt. Heldensage als 943–995; eigtl. Anastasia, Tochter eines
„Dietrich von Bern“ (Bern = Verona) fort. Schankwirts; 957 Gemahlin des späteren
Klassisch-monumentales Grabmal in Ra- Kaisers Romanos II., vergiftete ihn 963, tö-
venna. 2) T. I., Westgotenkönig, 418–451; tete auch ihren zweiten Gemahl Nikepho-
begründete 421 das Tolosan. Reich (421– ros Phokas; nach der Thronbesteigung des
507), trug entscheidend zum Sieg über Tsimiskes verbannt. 2) T., Tochter von 1)
↑ Attila in der Schlacht auf den Katalaun. und des Kaisers Romanos II.; 972 mit dem
Feldern bei, in der er fiel. dt. Kaiser Otto II. vermählt, nach dessen
Theodolinde, Tochter des Bayernherzogs Tod 983 Regentin für ihren unmündigen
Garibald, 589 vermählt mit dem Lango- Sohn Otto (III.) bis zu ihrem Tode (991);
bardenkönig Authari, seitdem enge Be- verpflanzte byzantin. Kultur an den sächs.
ziehungen zwischen der Lombardei und Kaiserhof, führte mit Umsicht und sicherer
Bayern; nach Autharis Tod 590 Gattin sei- Hand die Regentschaft, unterstützt von der
nes Nachfolgers Agilulf; König ↑ Rothari Kaiserin ↑ Adelheid.
war ihr Schwiegersohn. Theopompos, griech. Historiker aus Chios,
Theodora, Kaiserinnen von Byzanz: 1) T., geb. um 378 v. Chr.; Schüler des Isokrates,
508–548; Tänzerin, seit 527 Gemahlin starb verbannt in Ägypten. Hauptwerk:
↑ Justinians I., von hoher polit. Begabung, „Philippika“; Fortsetzer des ↑ Thukydides
begünstigte die ↑ Monophysiten und ret- (besonders für die Zeit König Philipps II.
tete die Situation beim ↑ Nikaaufstand. von Makedonien).
2) T., hl., 810–867; Gemahlin des Theo- Theresienstadt, nat.-soz. KZ in Nordböh-
philos (829–842), führte 842–857 die Re- men; im Nov. 1941 errichtet als Durch-
gentschaft für ihren Sohn Michael III., be- gangslager für den Transport von Juden in
endete den Bilderstreit (Wiederherstellung die Vernichtungslager, seit Anfang 1942
des Bilderdienstes). 3) T., Tochter des Kai- auch als sog. Altersgetto zur Aufnahme von
sers Konstantin VIII., Schwester der Kaise- Juden, die zumindest vorerst nicht ermor-
rin Zoe, kam 1055, mehr als 70-jährig, auf det werden sollten. (Propagandistisch als
den Thron, starb 1056. „Gegenbeweis“ gegen die Gerüchte vom

901
Thermen

Massenmord an den Juden benutzt.) Von beschloss über alle Fragen, die die Gemein-
den bis April 1945 in T. 152 000 Inhaf- schaft angingen, setzte die Abgaben fest,
tierten starben im Lager 34 000 Menschen, erließ Gesetze und entschied über Krieg
85 934 wurden in Vernichtungslager de- und Frieden; vor dem Thing wurden auch
portiert. größere Rechtsfälle verhandelt.
Thermen (griech.), warme Heilquellen; bei Thomas Morus, ↑ Morus.
den Römern auch allg. öffentliche Badean- Thomas von Aquin, Kirchenlehrer, hl.,
lagen mit warmem Wasser, prächtig aus- der bedeutendste Scholastiker („Doctor
gestattet; zugleich Sportstätten und gesell- angelicus“), einer der größten Denker des
schaftliche Zentren großer Städte in Italien Abendlandes, um 1224–1274; aus ital.
und den Provinzen. Grafengeschlecht, mit 16 Jahren gegen den
Thermidor (frz., Hitzemonat), 11. Monat Willen seiner Familie Dominikaner, Schü-
des frz. Revolutionskalenders (Mitte Juni ler des ↑ Albertus Magnus in Köln, promo-
bis Mitte Juli). vierte und lehrte in Paris, in Rom, in seiner
Thermopylen (griech., Tor der warmen Heimat Neapel; sein Werk, Synthese und
Quellen), Engpass in Mittelgriechenland, Systematik, schuf durch Verschmelzung
berühmt durch den Heldenkampf des der überkommenen, von ↑ Augustinus be-
↑ Leonidas (↑ Perserkriege). stimmend geprägten und platon. beein-
Thessalien, alte Landschaft in Nordgrie- flussten christl. Philosophie mithilfe der bis
chenland, nach der Sage Ausgangsort der dahin nicht erschlossenen Philosophie des
Dorischen Wanderung, sicher aber Durch- ↑ Aristoteles ein umfassendes philosoph.-
zugsgebiet der einwandernden Volksstäm­me theolog. System, in dem sich Vernunft und
nach Griechenland; 352 v. Chr. makedo- Glaube einander widerspruchsfrei ergän-
nisch, 246 v. Chr. röm. Provinz. zen; T. v. a. verband seine Weltaufgeschlos-
Thessaloniki, ↑ Saloniki. senheit mit der Bezogenheit alles Irdischen
Thiers, Adolphe, liberaler frz. Politiker auf das christl. Endziel: die Vereinigung
und Historiker aus Marseille, 1797–1877; mit Gott. Als Sozial- und Wirtschaftsethi-
1830 Redakteur des „National“, 1832 In- ker war T. v. a. für Jahrhunderte richtung-
nenminister, 1836 Ministerpräsident, ent- weisend: Die Wirtschaft ist nur Mittel zum
schiedener Anhänger der traditionellen frz. Zweck (der menschlichen Vervollkomm-
Rheinpolitik (Rhein als Grenze) und un- nung), nicht „eigengesetzlich“, dem Sein-
ter Napoleon III. (teilweise gegen ihn) der Sollen im Sinne der göttlichen Heilsord-
althergebrachten frz. Politik eines zersplit- nung unterworfen; Bejahung des Privat-
terten Mitteleuropas (bes. gegen Preußen); eigentums (unter der Voraussetzung einer
warb 1870 in Europa um Hilfe für Frank- der Gemeinschaft zuträglichen Verwen-
reich, 1871 Friede mit Deutschland und dung); Sicherung der „standesgemäßen
Präsident der 3. Republik. Nahrung“ und damit zusammenhängend
Thietmar, 975–1018; seit 1009 Bischof des „gerechten Preises“; Verbot des Zins-
von Merseburg, Historiker: „Chronik des Nehmens u. a. – Hauptwerke: „Summa
sächsischen Kaiserhauses“ (aufschlussrei­ theologiae“, „Summa contra gentiles“.
che Quelle besonders für die Zeit Ottos III. Thomas von Canterbury, ↑ Becket.
und Heinrichs II.). Thomasius, Christian, Rechtsgelehrter und
Thing (althdt.), bei den Germanen die Ver- Philosoph aus Leipzig, 1655–1728; Profes-
sammlung der freien Männer eines Gaues, sor und Rektor der Universität Halle. Weg-
einer Hundertschaft oder eines Dorfes; das bereiter der ↑ Aufklärung. Herausgeber der
Thing (echtes regelmäßiges oder gebote- ersten period. Zeitschrift in dt. Sprache,
nes, außerordentliches Thing) beriet und Vorlesungen in dt. statt der üblichen lat.

902
Thurn und Taxis

Sprache; kämpfte gegen Intoleranz, Hexen­ Krieges“, das erste große Werk in att. Spra-
wahn, Folter; verlangte Trennung von Staat che; bemüht um Sichtung der Quellen
und Kirche. nach ihrem Wahrheitswert; sprachliche
Thora (hebr., Gesetz), Hl. Schrift der Ju- und gedankliche Durchformung aus einer
den, im 2. Jh. verstand man darunter vor- gründlichen Kenntnis des Menschen und
nehmlich den Pentateuch: Genesis, Exo- der Staatsgeschäfte; verwendete erstmals
dus, Leviticus, Numeri und Deuterono- das Mittel der erfundenen, aber großar-
mium (= 5 Bücher Moses), später auch die tig interpretierten Rede („Leichenrede des
„Mischna“, eine Sammlung überlieferter Perikles“). Gegenüber der ep. erzählenden
jüd. Ausführungsbestimmungen zur Thora Historie Herodots Fortschritt zur „prag-
und ihren Gesetzen (↑ Talmud), aus der an mat.“ Geschichtsschreibung.
bestimmten Tagen im jüd. Gottesdienst Thule, im 4. Jh. v. Chr. entdeckt, galt
Stellen verlesen werden. als nördlichster Punkt der Erde (ultima
Thorn, alte Hansestadt an der Weichsel, Thule); ungewiss, ob es in Island, auf den
1231 vom Dt. Orden gegr.; im 2. Thor- Shetland-Inseln oder in Norwegen lag.
ner Frieden (↑ Dt. Orden) 1466 an Po- Thüringen, mitteldt. Landschaft, urspr.
len, 1793 preuß., 1920 poln., 1939–45 von den Toringi (vermutlich einem Misch-
dt., 1945 Vertreibung der dt. Bevölkerung. volk aus Hermunduren, Angeln und War-
– 1724 Thorner Blutbad, Tumult zw. Ka- nen) besiedelt; Königreich T. nach längeren
tholiken und Protestanten, Zerstörung des Kämpfen 531 durch die Franken erobert;
Jesuitengymnasiums; Stadtpräsident und im 7. und 8. Jh. fränk. Herzogtum, das
9 Bürger wurden enthauptet. sich im 10. Jh. vergeblich gegen den sächs.
Thraker, indogerm. Völkerschaft, in der Stammesherzog Heinrich I. zu behaupten
Antike (um 1 000 v. Chr.) Bewohner Thra- suchte; 1130–1247 Landgrafschaft unter
kiens, des südöstl. Teiles der Balkanhalb­ den fränk. Ludowingern, 1263 wettin.;
insel, 480 v. Chr. Bundesgenossen der Grie- 1293 an König Adolf verkauft, 1307 wie-
chen gegen die Perser, 342 v. Chr. von Phi- der wettin., 1485 Nordthüringen albertin.
lipp II. von Makedonien dem makedon. (Südthüringen zur ernestin. Linie); 1920
Großreich eingegliedert, seit 46 n. Chr. un- Reichsgesetz über die Bildung des Landes
ter röm., seit dem 14. Jh. unter türk. (zeit- T. aus den thüring. Herzog- und Fürsten-
weise auch unter griech.) Herrschaft; heute tümern und Grafschaften; 1920 Zusam-
bulgarisch. menschluss der ernestin. 4 Herzogtümer,
Thrasybulos, athen. Feldherr, gestorben reuß. und Schwarzburg. Gebiete zum Frei-
388 v. Chr.; setzte sich für die Rückberu- staat T., 1930 in T. der erste nat.-soz. Mi-
fung des ↑ Alkibiades ein, ging nach Ein- nister in einer Landesregierung (Frick);
setzung der 30 Tyrannen in Athen (404) in April 1945 durch Amerikaner besetzt,
die Verbannung; kehrte im folgenden Jahre Juli 1945 Teil der DDR; 1952 Aufteilung
zurück und stellte die solon. Verfassung des Landes T. in die Bezirke Erfurt, Gera,
wieder her; erfolgreich bei der Erneuerung Suhl; seit 1990 wieder Bundesland.
des Att. Seebunds, fiel auf einer Expedition Thurn und Taxis, altes langobard. Ge-
nach Pamphylien. schlecht (de la Torre = Turm), später von
Thukydides, der bedeutendste griechische Mailand nach Bergamo, am Berg Tasso,
Geschichtsschreiber der Antike, um 460– umgesiedelt, daher „de Tassis“ (ital. Tasso =
395 v. Chr.; athen. Staatsmann, ging 424 in Dachs), 1502 Reichsritter Thurn und Ta-
die Verbannung, beobachtete in dieser Zeit xis; Franz Dax 1500 Postmeister in den
die polit. Ereignisse und sammelte Quel- Niederlanden und Burgund, richtete mit
len für seine „Geschichte des Peloponnes. kaiserlichem Privileg 1516 die erste period.

903
Thusnelda

Reitpost auf dt. Boden ein, die Wien und ausdehnung, Sicherung des Bestandes; im
Brüssel verband; in der Folge Übernahme Innern Ausbau der Verwaltung und des
von Anschlusskursen und neuen Strecken; Finanzwesens, durch Stärkung des Senats
sein Enkel Lamoral war bereits Inhaber versuchte T. den Ausgleich zw. Republik
des erblichen Reichspostmeisteramtes in und Cäsarismus; Niederhaltung der innen-
Deutschland und den Niederlanden; 1695 polit. Gegner in Rom durch die Leibgarde
wurden die T. und T. Reichsfürsten; zu- der Prätorianer, die er in Rom kasernierte;
nächst Residenz in Frankfurt, seit 1748 in den Hofintrigen ausweichend, lebte T. seit
Regensburg; 1806 mediatisiert, 1815 Ta- 27 auf Capri; im Alter Misanthrop; die An-
xissche Postverwaltung im Dt. Bund; im gaben des ↑ Sueton und des ↑ Tacitus über
19. Jh. Ablösung der Postgerechtsame in T. halten der wiss. Kritik nicht stand.
Preußen und anderen dt. Ländern. Tibet, autonome Region der Volksrepublik
Thusnelda, Tochter des ­ Cheruskerfürsten China; tibetan. Stämme im 7. Jh. n. Chr.
Segestes, von ↑ Arminius als Gattin ent- unter Sron-Btsan-Sgam-Po vereint, Grün-
führt, geriet wieder in die Gewalt des Va- dung von Lhasa, im 7. Jh. Einführung des
ters, wurde von diesem 15 n. Chr. an ↑ Ger- Buddhismus, hier zum ↑ Lamaismus umge-
manicus ausgeliefert. formt; Oberhäupter der Dalai Lama („Der
Thutmosis, ägypt. Herrscher: 1) T. I., ozeangleiche, gewaltige Lama“) und der
1506(?)–1493 v. Chr.; Pharao der 18. Dy- Pantschen-Lama („Der das Juwel unter den
nastie, Nachfolger des Amenophis I., er- Gelehrten darstellende Lama“); im 13. Jh.
oberte Obernubien. – 2.) T. III., 1502– und seit dem 18. Jh. unter chin. Ober-
1436 v. Chr.; Sohn von T. II. und Enkel von hoheit; seit 1912 von China gelöst; 1918
1), erweiterte unter Einsatz von Söldner- Angriffsversuch der Chinesen erfolglos;
heeren, Kampfwagen und einer Flotte das 1950 (nach dem Sieg des Kommunismus
ägypt. Großreich auf Vorderasien bis zum in China) chin. „Marsch auf Lhasa“; 1951
Euphrat (Pufferstaat gegen die asiat. „Pest“ Vertrag von Peking (innere Verwaltung Ti-
der Hyksoseinfälle), erbaute groß angelegte bets blieb autonom, Außenpolitik und Mi-
Tempel in Theben und Dendera. litär unter chin. Oberhoheit, Staatsober-
Tiahuanaco, ↑ Inka. haupt war der Dalai Lama); 1959 Aufstand
Tiara, die päpstl. Kopfbedeckung bei feier­ in ganz Tibet gegen Rotchina, mit Waffen-
lichen, außerliturg. Anlässen (also nicht gewalt niedergeschlagen, Massenflucht von
beim Gottesdienst getragen); im 9. Jh. mit Tibetern nach Nepal und Indien; Asyl des
einem, im 13. Jh. mit zwei, im 14. Jh. mit Dalai Lama in Indien. Seit 1956 trat an die
drei Kronreifen; gedeutet als Symbole für Stelle der tibetan. Regierung ein „Vorberei-
das Priester-, Hirten- und Lehramt oder tungskomitee für die Errichtung einer au-
für die leidende, streitende, triumphie- tonomen Region Tibet“. 1965 wurde die
rende Kirche. Angliederung Tibets an die Volksrepublik
Tiberius, eigentlich T. Claudius Nero (nach China vollzogen. Im März 1989 wurden
der Adoption durch Augustus T. Julius Cä- Demonstrationen für die Unabhängigkeit
sar), röm. Kaiser, 42 v. Chr.–37 n. Chr.; der Himalaja-Region blutig unterdrückt;
Kaiser seit 14 n. Chr.; festigte schon vor sei- weitere Aufstände folgten 1993 und 1995.
ner Erhebung zum Kaiser das Röm. Reich Im Aug. 1993 kam es zum ersten Mal wie-
in Armenien, Rätien, Pannonien, Gallien der zu Verhandlungen zwischen China und
und Germanien (nach der Niederlage des Vertretern des Dalai Lama; sie blieben je-
Varus 9 n. Chr. Zurücknahme der röm. doch erfolglos.
Grenztruppen an den Rhein); mit 56 Jah- Tiflis (Tbilissi), Hauptstadt Georgiens;
ren Kaiser, Verzicht auf weitere Reichs- seit dem 3. Jt. v. Chr. bewohnt; Mitte des

904
Tirol

5. Jh. Hauptstadt des christl. grusin. Rei- des kaiserlichen Heeres nach Wallensteins
ches Khartli; 721 nach Besetzung durch Entlassung 1630 eroberte er Magdeburg,
die Araber Hauptstadt eines Emirats; 1122 wurde von Gustav Adolf durch die Nie-
befreit und erneut Hauptstadt eines grusin. derlage bei Breitenfeld aus N-Deutsch-
Staates; im 13. Jh. von den Choresmiern land vertrieben und beim Kampf um den
verheert; 1386 Einfall Timur Lenks; 1555 Lechübergang bei Rain tödlich verwundet
unter pers. Herrschaft (bis 1747); 1800 (↑ 30-jähriger Krieg).
mit O-Grusinien an Russland angeschlos- Tilsit, ostpreuß. Stadt an der Memel; 1807
sen, Hauptstadt eines Gouvernements; Friede von T. zw. Napoleon I., Russland
1922–1936 Hauptstadt der Transkaukas. und Preußen: Preußen verlor alle Gebiete
SFSR und der Grusin. SSR. westl. der Elbe (Gesamtpreußen hatte nur
Tiglat Pilesar, Könige der Assyrer: noch 4,5 Mio. Einwohner) und musste die
1) T. P. I. (um 1116–1077 v. Chr.); grün- ↑ Kontinentalsperre einführen.
dete um 1113 v. Chr. das assyr. Großreich, Timur Lenk („T. der Lahme“), Tamerlan,
eroberte Teile Armeniens, unterwarf Ba- mongolischer Eroberer, 1336–1405 n. Chr.;
bylon und drang bis zum Mittelmeer vor. Nachkomme Dschingis Khans, ­ gründete
2) T. P. III., (745–727 v. Chr.); Begründer von seiner Heimat Turestan aus seit 1360
des neu-assyr. Weltreiches. auf den Trümmern des Mongolenreiches
Tigranes, Könige von Armenien: 1) T. I., der Nachfolger Dschingis Khans das
d. Gr., 121–56 v. Chr.; König seit 95 v. Chr., Zweite Mongol. Reich und eroberte in ra-
aus dem Geschlecht der Arsakiden, grün- schen Feldzügen Mittelasien, Indien bis
dete Tigranocerta, eroberte Teile Mesopo- zur Gangesmündung, Persien, Russland
tamiens, Syrien, Kilikien und Kappado- bis Moskau; Hauptstadt ↑ Samarkand mit
kien; 69 v. Chr. durch Lucullus bei Tigra- glanzvollen Bauten (u. a. Grabmausoleum
nocerta besiegt, 66 v. Chr. durch Pompejus T.s); Ägypten erkannte die Oberherrschaft
unterworfen, musste seine Eroberungen T.s an, die Eroberung Chinas wurde vorbe-
wieder abtreten. 2) T. II. (20–6 v. Chr.); reitet, aber durch seinen Tod verhindert.
Sohn des Königs Artavasdes von Albanien, Tirol, Bundesland Österreichs, urspr. besie-
durch Tiberius als König von Armenien delt von Kelten und Etruskern, 15 v. Chr.
eingesetzt. röm. und aufgeteilt in die Provinzen Rä-
Tikal, Ruinenstätte der Maya im nördlichen tien (Westen) und Noricum (Osten); seit
Guatemala; war 600 v. Chr.–900 n. Chr. be- dem 6. Jh. Einwanderung der Bayern bis
siedelt und zählte zu den größten Städten zur Salurner Klause; später bei der Mark
der Maya (16 km2), besaß ein Tempelzen- Verona und bei Bayern; im 11. Jh. übergab
trum mit 6 Pyramiden. Konrad II. T. den Bischöfen von Brixen,
Tilly, Johann Tserclaes Graf von, 1559– die die Grafschaft als Lehen den Grafen
1632; katholischer Heerführer im 30-jäh- von T. vergaben; nach dem Verzicht der
rigen Krieg, umsichtig, persönl. anspruchs- ↑ Margarete Maultasch 1363 habsbur-
los und fromm; seit 1620 im Dienst Bay- gisch, Blütezeit unter Maximilian I. („Des
erns und Anführer der Truppen der ↑ Liga; Reiches Schatzkästlein“); seit dem 14. Jh.
entschied 1620 durch den Sieg am Wei- Landstände aus Adel, Bürgern, Klerus und
ßen Berg bei Prag den böhm. Feldzug, er- Bauern; 1525 Bauernkrieg (Gaismair);
kämpfte im pfälz. Feldzug für Maximilian durch den Frieden von Preßburg 1805 an
von Bayern die pfälz. Kurwürde 1621, be- Bayern; 1809 Erhebung der Tiroler unter
siegte 1623 Christian von Braunschweig Andreas ↑ Hofer gegen Bayern und Franzo-
bei Stadtlohn und Christian IV. von Däne- sen, führte zur Teilung T.s; 1815 wieder an
mark bei Lutter am Barenberge. Als Führer Österreich, 1918 ↑ Südtirol an Italien.

905
Tirpitz

Tirpitz, Alfred von, dt. Admiral, 1849– der polit. Welt“, untersuchte die Probleme
1930; Schöpfer der dt. Hochseeflotte, der Revolutionserscheinungen (Auftakt je-
1897–1916 Staatssekretär des ­Marineamtes, weils zu weiteren revolutionären Vorgän-
1911 Großadmiral; trat im 1. Weltkrieg für gen) und der Demokratie, deren Vordrin-
uneingeschränkten U-Boot-Krieg ein, da- gen er für unaufhaltsam hielt. Werke: „De
durch Gegensatz zu ↑ Bethmann Hollweg, la Démocratie en Amerique“, „L’Ancien
trat 1916 zurück. Regime et la Revolution“.
Tiryns, Palaststadt aus dem kret.-myken. Todscho, Hideki, jap. Politiker und Ge-
Kulturkreis, auf der griech. Halbinsel Pe- neral, 1884–1948; führte als Ministerprä-
loponnes in der Landschaft Argolis; Burg sident 1941–1944 und Befürworter einer
mit zyklop. Mauerwerk und geschickt an- expansionist. Außenpolitik Japan in den
gelegten Wehranlagen; 2. Mittelpunkt der 2. Weltkrieg; von den Alliierten als Haupt-
Kultur von ↑ Mykene; 1884/85 ausgegra- kriegsverbrecher zum Tode verurteilt.
ben von Schliemann und Dörpfeld. Todt, Fritz, dt. Ingenieur und Politiker,
Tito, eigtl. Josip Broz, jugoslaw. Marschall 1891–1942; 1922 Eintritt in die NSDAP,
(seit 1943) und Politiker, 1892–1980; seit 1933 Generalinspekteur für das deut-
kroat.-slowen. Abkunft, übernahm nach sche Straßenwesen; leitete den Bau der
Besetzung ↑ Jugoslawiens durch die dt. Autobahnen; gründete 1938 die „Organi-
Truppen, aus der Sowjetunion zurück- sation Todt“ (OT) und leitete den Ausbau
kehrend, im Herbst 1941 die Führung des des Westwalles. 1940 Reichsminister für
kommunist. Widerstandes sowohl gegen Bewaffnung und Munition, 1941 zusätz-
die dt. Besatzungstruppen wie gegen die lich Generalinspekteur für Wasser und En-
nationalserb. Partisanen; nach Abzug der ergie. Kam bei einem Flugzeugabsturz ums
Deutschen 1945 vom Regentschaftsrat mit Leben.
der Regierungsbildung beauftragt; errich- Toga (von lat. tegere, bedecken), bur-
tete, unterstützt von den Volksfrontpar- nusartiges Obergewand der Römer und
teien, die „Föderative Volksrepublik Jugos- Amtstracht, Zeichen der Freien zum Un-
lawien“ auf der Grundlage eines agrarisch terschied von den Sklaven und Tagelöh-
bestimmten, von der Sowjetunion unab- nern; die T. wurde nur außer Hause, nach
hängigen Kommunismus; seit 1948 Kon- genauer Vorschrift, um den Körper ge-
flikt mit der ↑ Kominform („Titoismus“), legt, über der Tunica getragen, sie war aus
wirtschaftl. Anlehnung and die Westmäch­te schwerem weißen Wollstoff gewebt und 4
(USA) unter Wahrung der kom­munist. bis 5 m lang; durch älteste Kleidergesetze
Gesellschaftsordnung. Zusammen­arbeit Roms, die sich in der Kaiserzeit lockerten,
mit den „neutralist. Staaten“. 1963 wurde waren Unterschiede in der Bekleidung un-
T. Präsident auf Lebenszeit. tersagt, die Stände erkannte man nur an
Titus (T. Flavius Vespasianus), röm. Kaiser den Streifen der T.: Kinder trugen die T.
(79–81 n. Chr.); Sohn ↑ Vespasians, den er mit purpurroten Streifen (Toga praetexta),
vor seiner Erhebung zum Kaiser in den jüd. ebenso die höchsten Beamten und einige
Krieg (Aufstand und Niedermetzelung der Priester, dunkelfarbige Togen trugen die
röm. Besatzung in Palästina) begleitete und gemeinen Leute.
für den er 70 n. Chr. Jerusalem eroberte; Togliatti, Palmiro, ital. Politiker, 1893–
zerstörte den Tempel, den Mittelpunkt des 1964; war 1921 Mitbegründer der ital.
Judentums; verdient jedoch um den Aus- KP, ging 1926 ins Exil; 1937–39 Teilneh-
bau Roms und eine geordnete Verwaltung. mer am Span. Bürgerkrieg, lebte ab 1940
Tocqueville, Alexis de, frz. Staatsmann in Moskau, kehrte 1944 nach Italien zu-
und Historiker, 1805–1859; „Analytiker rück und entwickelte als Führer der KP

906
Toskana

die „Partei neuen Typs“ (Wechsel von der der Opposition, Gilchrist Olympio, war
Kader- zur Volkspartei); 1944–45 stellver- im Vorfeld von der Wahl ausgeschlossen
tretender Ministerpräsident, 1945–46 Ju- worden; Oppositionsführer Bob Akitani
stizminister, ab 1947 Generalsekretär der tauchte nach den Wahlen aus Angst um
PCI. seine Sicherheit unter.
Togo, Republik in Westafrika am Golf Tokio (jap. = Osthauptstadt; Kyoto = West-
von Guinea, ehem. dt. Schutzgebiet in W- hauptstadt), Hauptstadt Japans auf der
Afrika (seit 1884); 1897–1899 in seinen Hauptinsel Hondo, Kaiserresidenz; seit
Grenzen festgelegt, 1914 von Briten und dem 11. Jh. als kleine Burgsiedlung nach-
Franzosen besetzt; 1922 geteilt und Völ- weisbar, im jap. MA, das bis zur Mitte des
kerbundsmandat unter brit. und frz. Ver- 19. Jh. reichte, Sitz der Schogune von Mi-
waltung, 1946 UN-Treuhandgebiet, seit namoto; damals Jedo, Jeddo, Toto genannt
1960 Frz.-T. autonome Republik, 1967 (Flusstor oder Turmpforte); erst seit 1869
Armeeputsch, seitdem Regierung durch Residenz des Kaisers und Reichshaupt-
Staatspräsident Eyaméda, gestützt auf die stadt.
von ihm gegr. Einheitspartei (Brit.-T. Teil Toledo, span. Stadt am Tajo, zur Römer-
der Republik ↑ Ghana). In den 70er Jahren zeit Toletum, früh durch seine Stahlwa-
wiederholt Unruhen in der Bevölkerung, ren berühmt (Toledoklingen); im 6. und
1977 gescheiterter Putschversuch. 1979 7. Jh. n. Chr. westgot. Residenz, dann un-
Verfassungsänderung, weiterer Ausbau der ter den Mauren; 1085 durch Alfons VI.
Machtbefugnisse des Staatspräsidenten. von Kastilien erobert, span. Residenz bis
Staatsstreich 1986 scheiterte erneut; nur 1559. 1936 Verteidigung des Alkazars von
mithilfe frz. Soldaten konnte Ordnung T. durch span. Nationalisten im Span. Bür-
im Lande wieder hergestellt werden. Im gerkrieg.
Aug. 1991 nach Massendemonstrationen Tolteken, ↑ Mexiko und Maya.
und Streiks Zustimmung Eyamédas zur Tordesillas, Stadt im NW Spaniens; 1494
Demokratisierung, aber wiederholte Ver- Vertrag von T.: Aufteilung der übersee.
schiebung der freien Wahlen; daraufhin Entdeckungsräume in span. und portug.
Bildung einer Exilregierung im Nachbar- koloniale Interessengebiete durch eine von
staat Benin und Boykott der kurzfristig Papst Alexander VI. festgelegte Demarka-
angesetzten Präsidentschaftswahlen 1993 tionslinie; da aber der Umfang der Erde
durch die Opposition. Nach neuerlichem nicht genau bekannt war, ergaben sich
Putschversuch im Jan. 1994 Massenflucht umstrittene Gebiete bes. in der Nähe der
aus Angst vor Vergeltungsmaßnahmen; bei Demarkationslinie (z. B. bei den „Gewürz­
den Parlamentswahlen im Feb. klarer Sieg inseln“ und Brasilien), oftmals durch ge-
der Opposition. Trotz Einsetzung einer Re- fälschte Lageangaben der Seefahrer.
gierung unter Führung der UTD (Union Tory (Mehrzahl Tories), urspr. Bezeich-
Togolaise pour la Démocratie) hatten Eya- nung für geächtete ir. Rebellen (ir. toridhe,
méda und sein Familienclan de facto weiter Rebellen), 1679 auf die Partei der Anhän-
die polit. Macht inne. Bei Präsidentschafts- ger der Thronfolge der Stuarts übertragen
wahlen im Juni 1998 Bestätigung Eyamé- (Thronfolge Jakobs II.) im Gegensatz zu
das; nach Ansicht internat. Wahlbeobach- den ↑ Whigs; konservativ, anglikanisch,
ter und der Opposition Wahlfälschung; stützten sich vor allem auf den Großgrund-
im Aug. 2001 schwere Unruhen in der besitz; entwickelten sich im 19. Jh. zur
Hauptstadt Lomé; im Juni 2003 Wahlen, Konservativen Partei Großbritanniens.
aus denen erneut Präsident Eyadéma als Toskana, mittelitalische Landschaft, das
Sieger hervorging; der wichtigste Kandidat alte Etrurien oder Tuszien (↑ Etrusker);

907
Totaler Krieg

774 n. Chr. unter Karl d. Gr. fränk. Ge- Begriff T. bildete sich in den 20er Jahren
biet, dessen Markgrafen bald eine gewisse durch die Kritik am italien. ↑ Faschismus
Selbständigkeit erlangten; durch Mathilde, und seinem umfassenden Machtanspruch.
Markgräfin von Tuszien, 1115 an den Positiv gewendet, vereinnahmte Mussolini
päpstlichen Stuhl vererbt (Mathild. Güter), die Bez. für seine Diktatur, deren „uner-
von den dt. Kaisern als Lehnsherren von T. bittl. totalitäre Entschlossenheit“ er damit
nicht anerkannt; im 14. und 15. Jh. unter betonen wollte. Nach den Erfahrungen mit
der Herrschaft von Florenz; 1434 wurden dem bolschewist. Stalinismus und dem dt.
die Medici Herren von Florenz und der ↑ Nationalsozialismus erscheint die ital.
T., 1532 (seit Karl V.) bis 1737 erbliches Version jedoch eher als Vorform, da sie plu-
Herzogtum der Medici, dann an die Linie rale Elemente im Bündnis etwa mit Krone
Habsburg-Lothringen; 1801 durch Na- und Kirche nicht gänzlich zu tilgen suchte.
poleon Errichtung des Königreichs Etru- Und selbst der nat.-soz. T. wies absichtsvoll
rien, 1808 als frz. Dep. an Frankreich an- Lücken auf, die immer wieder überbrü-
geschlossen, 1814 an Österreich zurück, ckende Entscheidungen Hitlers erforderten
1860 zu Italien. und das Bild eines scheinbar monolith.
Totaler Krieg, von E. ↑ Ludendorff ge- Führerstaats verblassen ließen. Durch po-
prägte Bez. für die Intensivierung von lem. Missbrauch v. a. in der West-Ost-Aus-
Kampfhandlungen, die „buchstäblich die einandersetzung nach 1945 und durch sich
ges. Kraft eines Volkes“ beansprucht („Der verzweigende T.theorien hat der T.begriff
Totale Krieg“, 1935). Verbreitung fand der an Brauchbarkeit verloren und unzuläs-
Begriff T. K. durch die Sportpalastrede von sigen Gleichsetzungen (rot = braun) Vor-
Propagandaminister Goebbels am 18. Feb. schub geleistet. Als kleinster gemeinsamer
1943 („Wollt ihr den totalen Krieg?“). Nenner der Begriffsbestimmung gelten
Zum T. K. gehörten Dienstverpflichtung heute die Merkmale: umfassende Weltan-
von Männern und Frauen, Schließung al- schauung und ihre (terrorist.) Durchset-
ler nicht kriegswichtigen Betriebe und al- zung mit Mitteln des Polizeistaats, gelenkte
ler Gaststätten, Arbeitszeitverlängerungen, Wirtschaft, Einparteienherrschaft, Zensur,
verstärkte Zwangsrekrutierung von Fremd- Waffenmonopol, Revolution von oben.
arbeitern und weitgehendes Erliegen des Totila, König der Ostgoten (541–552); be-
kulturellen Lebens. Durch die Proklamie- lagerte 544 Rom, eroberte fast ganz Italien;
rung des T. löste sich die dt. Kriegführung, 552 von dem byzantin. Heerführer Narses
die v. a. im Osten ohnehin alle kriegsrecht- bei Tadinae besiegt, fiel in der Schlacht.
lichen Grenzen hinter sich gelassen hatte, Toul, Stadt und Festung im frz. Dep.
vollends vom Völkerrecht. Der Höhepunkt Meurthe-et-Moselle, ehemalige Reichs-
des T. wurde 1944 erreicht, als Goebbels stadt und Bistum; 1136 zu Lothringen;
zum „Generalbevollmächtigten für den to­ 1552 durch den Vertrag von Chambord
talen Kriegseinsatz“ ernannt wurde und (Moritz von Sachsen) zus. mit Metz und
mit allen propagandist. (u. a. „Wunderwaf- Verdun unter Beibehaltung der reichsstädt.
fen“) und disziplinar. Mitteln die letzten Verfassung an Frankreich.
Reserven zu mobilisieren suchte. Toulouse, frz. Stadt an der Garonne, als
Totalitarismus, wiss. Begriff und polit. Römerkolonie Tolosa; 418–507 n. Chr.
Schlagwort zur Bez. von polit. Systemen, westgot. Residenz und Hauptstadt des To-
die durch (gewaltsame) Gleichschaltung al- losan. Reiches der Westgoten, das nach
ler sozialen, kulturellen und individuellen Alarichs Italienzug gegr. wurde, sich über
Äußerungen nach Maßgabe einer verord- die Pyrenäen erstreckte und von ↑ Chlod-
neten Ideologie gekennzeichnet sind. Der wig vernichtet wurde.

908
Treblinka

Touré, Ahmed Sekou, guineischer Politi- des Trajans­forums, Aufstellung der Tra-
ker, 1922–1984; 1957 erster Ministerprä- janssäule (Reliefsäule mit Szenen aus dem
sident in Guinea, seit der Unabhängigkeit Dak. Krieg); Trajanswall zur Sicherung der
Staatspräsident, Einführung des Einpar- Donaugrenze in Rumänien.
teiensystems in Guinea. Translatio imperii (lat. Übertragung der
Tournal, fläm. Doornik, Stadt in der belg. Herrschaft), bezeichnet die Übertragung
Provinz Hennegau; war im 5. Jh. Sitz der der Vorherrschaft von einem Volk auf ein
merowing. Könige, kam 1477 an die Habs- anderes; wichtiger Grundbegriff der mit-
burger, 1526 an die Spanier, 1715 an die telalterl. Geschichtstheorie, der von der
Österr. Niederlande, 1830 zu Belgien. christlichen Geschichtsschreibung aus der
Tours, Stadt an der mittleren Loire; be- griech.-röm. Historiografie übernommen
rühmtes Kulturzentrum im 4. Jh. n. Chr. wurde. Bedeutsam: kuriale Translations-
(Martin von Tours); 732 in der Nähe von theorie; wurde 1160–65 von Geschichts-
T. Sieg Karl Martells über die Araber. schreibern beim Papst Alexander III. (oder
Toussaint Louverture, François Domini- von ihm selbst?) entwickelt und interpre-
que, haitian. Freiheitsheld, 1743–1803; tierte die Kaiserkrönung Karls d. Gr. 800
arbeitete sich in Diensten der frz. Revolu- als Übertragung des Kaisertums von den
tions-Regierung 1797 zum Oberbefehlsha- Römern bzw. Griechen auf die Franken
ber der frz. Kolonie Saint-Domingue (Hi- durch den Papst. Innozenz III. verwandte
spaniola) hoch, eroberte den O-Teil der In- diese Translationstheorie im stauf.-welf.
sel und proklamierte 1801 ihre Unabhän- Thronstreit.
gigkeit, wurde 1802 verhaftet und nach Transvaal, nordöstl. Provinz der Südafri-
Frankreich überführt. kan. Union, ehemals Burenrepublik, ↑ Bu-
Tower, Zitadelle mit mehreren Türmen ren und Südafrikan. Union.
in der Altstadt Londons, durch ↑ Wilhelm Trapezunt, alte Handelsstadt am SO-
den Eroberer um 1070 errichtet, 1078– Ufer des ↑ Schwarzen Meeres (Indienhan-
1509 Residenz, bis 1820 Staatsgefängnis del); im 7. Jh. v. Chr. Kolonie der Ionier,
und Verteidigungswerk; als Gefangene im 4. Jh. n. Chr. Bischofsstadt; 1204–1461
T.: Walter Raleigh, Bischof Fisher, Thomas unabhängiges byzantin. Kaisertum unter
Morus, Anna Boleyn, Katharine Howard. den Komnenen (einem Zweig der byzan-
Trafalgar, Kap bei Cadiz; 1805 Seesieg der tin. Kaiserdynastie); fiel 1461 an Sultan
Briten unter Nelson über die aus Indien Mohammed II., seitdem türkisch.
zurückkehrende vereinigte frz.-span. Flotte Trasimenischer See, See in ­ Mittelitalien,
Napoleons; der Sieg sicherte Großbritan- westlich von Perugia; an seinem Ufer
nien in der napoleon. Zeit die absolute 217 v. Chr. Vernichtung eines röm. Heeres
Seeherrschaft; Nelson fiel in der Schlacht. unter Flaminius durch Hannibal (↑ Pun.
Trajan (Marcus Ulpius Traianus), röm. Kriege).
Kaiser, 53–117 n. Chr.; geboren in Spa- Trauttmansdorf, Maximilian Graf von
nien, Statthalter in Obergermanien, 97 und zu (seit 1623), österr. Politiker, 1584–
von Nerva adoptiert, 98 römischer Kaiser; 1650; trug wesentlich zum Abschluss des
populärer Herrscher, schuf zahlreiche sozi- Bündnisses zw. Ferdinand II. und Maximi-
ale und kulturelle Einrichtungen, ordnete lian I. von Bayern bei (1619), schloss 1622
die Verwaltung und das Verkehrswesen den Frieden von Nikolsburg und 1635 den
(Straßen, Kanäle, Brücken, Häfen); unter von Prag, war entscheidend am Abschluss
seiner Regierung größte Ausdehnung des des Westfäl. Friedens beteiligt.
Imperiums; Dakien, Armenien, Assyrien Treblinka, nat.-soz. Konzentrations- und
wurden röm. Provinzen; 111 Erbauung Vernichtungslager südöstl. von Warschau;

909
Trebonian

1. Juni 1942 gegründet, im Nov. 1943 ge- Treverer, Germanenstamm (Reitervolk),


schlossen; nach poln. Schätzungen wur- nach Überschreiten des Rheins mit Kel-
den in T. 700 000 Menschen, meist Ju- ten durchsetzt, sesshaft in der gall. Provinz
den, ermordet. Im Aug. 1943 Revolte der Belgica (Moselgebiet Trier-Koblenz); um
1 000 Arbeitshäftlinge, in deren Verlauf 50 v. Chr. durch Cäsar unterworfen; Auf-
600 Häftlingen die Flucht gelang. Im Ge- standsversuche der T. im 1. Jh. n. Chr. schei-
lände von T. fand die Rote Armee beim terten; Hauptstadt und ­Kulturzentrum der
Einmarsch im Aug. 1944 noch 40 ehema- T. mit großem Tempelbezirk war Augusta
lige Gefangene vor. Treverorum (gegr. um 43 n. Chr.), das spä-
Trebonian, röm. Rechtsgelehrter und tere Trier.
Hauptbearbeiter des ↑ Corpus Iuris, Kon- Trianon, Groß- und Klein-T., Lustschlös-
sul unter Justinian I., gest. 545 n. Chr. ser im Park von Versailles: Groß-T. unter
Treitschke, Heinrich von, dt. ­ Historiker Ludwig XIV. 1687/88 für Frau von Main-
und Politiker, 1834–1896; 1871 im Dt. tenon durch Massart errichtet, Klein-T.
Reichstag als Vertreter der Nationallibera­ unter Ludwig XV. 1762–1766 durch Ga-
len, kämpfte für den Einheitsstaat Deutsch- briel erbaut, später Lieblingsaufenthalt
land unter preuß. Führung (Verfechter des Marie Antoinettes. – 1920 Vertrag von T.
kleindt. Gedankens und der Machtpolitik, zw. den Siegermächten und ↑ Ungarn.
Mitarbeiter Bismarcks); 1874 Professor der Triarier, die bewährten Veteranen der
Geschichte in Berlin, 1879 „Deutsche Ge- 3. röm. Schlachtreihe, mit der kurzen Wurf­
schichte im 19. Jh.“. lanze „hasta“ bewaffnet (Surgite triarii! =
Trenck, 1) T., Franz Freiherr von, österr. Kommando zu ihrem Eingreifen, „höchste
Pandurenoberst, 1711–1749; er und seine Alarmstufe“).
Soldaten wegen ihrer Grausamkeit berüch- Trias, Deutsche, Plan eines dritten
tigt, 1746 zu lebenslänglicher Festungshaft Deutschland, neben den Großstaaten Ös-
verurteilt. 2) T., Friedrich Freiherr von, terreich und Preußen, gebildet aus den
Vetter von 1), Adjutant Friedrichs d. Gr., Mittelstaaten; im Dt. Bund 1817–1823
1726–1794; wegen eines angeblichen Lie- von dem württemberg. Abgesandten Wan-
besverhältnisses zu der Schwester des Kö- genheim vertreten, 1849–1866 von dem
nigs oder wegen Desertion Festungshaft in bayer. Ministerpräsidenten von der Pford-
Glatz und Magdeburg; ging bei Ausbruch ten und dem sächs. Außenminister Beust
der Frz. Revolution nach Paris, wurde dort vergeblich angestrebt.
im Verdacht, Geschäftsträger einer frem- Tribunal, im antiken Rom Bez. für den
den Macht zu sein, guillotiniert. Amtssitz der Magistrate; war danach allg.
Tresckow, Henning von, dt. Offizier und Bez. für Gerichte, im MA besonders für
Widerstandskämpfer, 1901–1944; seit geistliche Gerichte, später auch für polit.
1938/39 Gegner Hitlers, dachte T. bereits Sondergerichte.
in der Sudetenkrise an ein Attentat. Bei Tribunen, in Alt-Rom Vertreter der ↑ Tri-
Kriegsbeginn Generalstabsoffizier; organi- bus, 494 v. Chr. im Zuge des Ständekam­
sierte zusammen mit ↑ Schlabrendorff am pfes als Volks-T. eingesetzt; vertraten die
13. März 1943 erfolglos einen Bomben- Interessen der Plebejer gegenüber den Pa-
anschlag auf Hitler. Einen Tag nach dem triziern, konnten durch ihr Veto Verfü-
gescheiterten Attentat vom 20. Juli 1944, gungen der Konsuln und des Senats un-
an dem T. nicht direkt beteiligt war, nahm wirksam machen, ihre Person war unan­
er sich in einem Waldstück nahe Bialystok tastbar; die T. konnten jeden, der sich
das Leben. ihren Anordnungen widersetzte, vor der
Treuga Dei, ↑ Gottesfriede. Volksversammlung anklagen; sie hatten das

910
Trinidad

Recht, Volksversammlungen einzuberufen; (zahlreiche Heiligtümer); römische Kolo-


Militär.-T., höchste Offiziere einer Legion, nie von Augustus gegr. (Augusta Trevero-
oft Vertreter der Konsuln. rum), bis 400 n. Chr. Hauptgarnison hin-
Tribur, Marktflecken in Hessen; im MA ter der röm. Mittelrheinfront; seit Tiberius
dt. Königspfalz, bis 1119 in T. mehrere Hauptstadt der Provinz Belgica, Bistum
Synoden und Reichstage; 887 Absetzung seit 270, Doppeldombau im 4. Jh., Blüte
Karls des Dicken; 1076 Fürstentag zu T., als Kaiserresidenz für den Westen des Im-
Beschluss: Kaiser Heinrich IV. verlöre den periums im 4. Jh., glanzvoller Ausbau der
Thron, wenn er sich nicht innerhalb eines Stadt mit Palästen, Thermen, Amphithea-
Jahres vom Bann befreien könne (↑ Ca- ter, Mauer (Porta Nigra); die Stadt fiel 406
nossa). an die Franken; im 10. Jh. Erzbistum (Gra-
Tribus (von lat. tres = drei), Stadtviertel in fensitz, eigenes Territorium); der Kurstaat
Alt-Rom; zunächst 3 T.: Ramses, Tities und durch Balduin von Trier, den Bruder Hein-
Luceres (später Teilung auch in ↑ Zentu- richs VII., ausgebaut; die Kurfürsten waren
rien), die Zahl der T. wuchs bis 241 v. Chr. Erzkanzler für Burgund (bis 1806); 1473–
auf 35; jeder T. hatte als Vorsteher den 1797 Universität; 1814 an Preußen.
„Tribunus“ (↑ Tribunen) in seiner urspr. Triere (griech.) oder Trireme (lat.), Dreiru-
Bedeutung. derer; Galeere, deren Ruderknechte in drei
Tridentinisches Konzil, Tridentinum, Decks übereinander saßen (↑ Schifffahrt).
(19.) Konzil zu Trient, 1545–1563; nach Triest, Hafenstadt an der Adria, im Alter-
mehreren Versuchen zur Abhaltung des tum röm. Kolonie Tergeste, im 6. Jh. Bi-
allg. geforderten Reformkonzils und zahl- schofssitz, 1382–1797 und 1815–1918 ös-
reichen Religionsgesprächen Beginn 1545 terreichisch; 1719–1891 Freihafen T.; im
in Trient; die Leitung hatten päpstliche 1. Weltkrieg elf Isonzoschlachten bei Triest,
Legaten, stimmberechtigt waren Bischöfe 1918 von der Entente besetzt, 1919 an Ita-
und Ordensgeneräle, Berater namhafte lien, 1931 österr. Freihafen in T.; 1947 im
Theologen, Beobachter die Gesandten Pariser Friedensvertrag mit Italien wurde
fast aller kath. Länder; Protestanten wa- T. Freistaat unter internat. Kontrolle. 1954
ren nicht vertreten; drei Tagungsperioden Teilung in Triest-Stadt (Italien) und Triest-
(zweimal vertagt), zeitweise in Bologna; Land (Jugoslawien, heute Slowenien und
klare Abgrenzung der kath. Glaubenslehre Südzipfel zu Kroatien).
von der Glaubenslehre der Protestanten Trifels (Dreifelsenburg), Burgruine in der
(Sakramente, Messopfer, Priestertum, Erb- Pfalz; Reichsfeste, in der Stauferzeit Aufbe-
sünde, Rechtfertigung, Heiligenverehrung, wahrungsort des Reichsschatzes, 1193 Ge-
Beichte) in Kongregations- und 25 öffent- fangenschaft des Königs Richard Löwen-
lichen Sitzungen; Reformdekrete (Ausbil- herz von England auf T.
dung des Klerus, Beseitigung des Ablass- Trikolore (frz., Dreifarbe), Blau-Weiß-Rot,
missbrauchs, Residenzpflicht der Bischöfe, aus den Stadtfarben von Paris Blau-Rot
Primat des Papstes, Zölibat, Ordenswesen, und dem Weiß der Bourbonen, seit 1789
Staat und Kirche, Index, Überwachung der Nationalfarben des republikan. Frank-
Ausführung der Konzilsbeschlüsse); Ergeb- reichs anstelle des Lilienbanners.
nis: Beseitigung des Staatskirchentums, Trinidad, 1498 von Kolumbus entdeckte
Erneuerung des innerkath. Lebens; keine Insel der Kleinen Antillen, im 16. Jh. spa-
Möglichkeit mehr zur Wiederherstellung nisch, im 17./18. Jh. Stützpunkt der See-
der Glaubenseinheit. räuber (↑ Flibustier), 1802 britisch, 1959
Trier, Stadt an der Mosel, alte vorröm. in der autonomen ↑ Westind. Föderation,
Siedlung und kult. Zentrum der Treverer 1962 souveräner Staat.

911
Tripelallianz

Tripelallianz, Dreibund zw. England, den sammenschluss der ↑ Bizone mit der frz.
Niederlanden und Schweden 1668 gegen Besatzungszone zustande kam.
die Eroberungsabsichten Ludwigs XIV. im Troja (Ilion), neun auf der Ruinenhalde
Haag geschlossen (↑ Aachen). von Hissarlik an den Dardanellen über­
Tripolis, nordafrikan. Landschaft (Tripoli- einander liegende Siedlungsreste, deren äl-
tanien) und gleichnamige Hauptstadt; im tester vermutlich ins 4. Jt. v. Chr. zurück-
Altertum karthagisch, dann numidisch, geht, der jüngste aus röm. Zeit; seit 1870
seit 46 v. Chr. römisch, 644 n. Chr. durch zur Erforschung der historischen Grundla-
die Araber, 1510 durch die Spanier er- gen des Trojan. Krieges großzügige Ausgra-
obert; 1530 durch Karl V. als Lehen an die bungen (Schliemann, Dörpfeld) mit hef-
Johanniter vergeben; 1551 türkisch, seit tigen Kontroversen über die Deutung der
1714 unter selbständigen Paschas (Seeräu- einzelnen Schichten, die 6. oder 7. Schicht
berstaat). 1835 durch die Türken zurück- ist das Troja Homers, das dem kret.-my-
gewonnen und bis 1911 gehalten. 1911/12 ken. Kulturkreis angehörte, seit 1988 er-
im T.-Krieg von der Türkei an Italien abge- neut dt. Ausgrabungen.
treten, das T. erst 1921 ganz eroberte (ge- Trojanischer (Troischer) Krieg, benannt
gen den krieger. Stamm der Senussi); 1934 nach der homer. Darstellung des Feldzugs
Teil der Kolonie ↑ Libyen, seit 1952 Pro- der Griechen unter König Agamemnon
vinz, Verwaltungssitz und 2. Residenz im nach Troja zur Befreiung der von dem tro-
Königreich Libyen. jan. Königssohn Paris geraubten Helena, der
Triumph, in der Antike der feierliche Ein- Gattin des Menelaos, Königs von Sparta;
zug eines siegreichen Feldherrn mit seinem histor. Kern der homer. Sagen sind krieger.
Heer, den Gefangenen und der Beute und Wanderzüge der Zeit um 1200 v. Chr. in
mit Dankopfern an die Götter; bei den Rö- den Raum der Dardanellen.
mern musste der Antrag auf einen T. von Trotzki, Leo (Bronstein), geb. als Sohn
dem siegreichen Feldherrn beim Senat ge- eines jüd. Gutsbesitzers in der Ukraine, ra-
stellt werden; der T.-Zug führte vom Mais- dikaler russ. Sozialist, Vertreter der Lehre
feld durch die Porta triumphalis auf der von der unausweichlichen Weltrevolution,
Via sacra zum Forum und Capitol, wo die 1879–1940; gehörte zu den Vorkämp-
Dankopfer stattfanden; ein sog. „Kleiner fern der russ. Revolution von 1905, zwei-
T.“ war die „Ovation“: Der Feldherr zog malige Flucht aus sibir. Verbannung; mit
nicht mit vierspännigem Wagen, sondern Lenin Führer der Revolution 1917; 1918–
zu Fuß oder zu Pferd ein und war nicht mit 1925 Volkskommissar für das Heerwesen,
einem Lorbeerkranz, sondern mit einem gründete die „Rote Armee“ und die „Rote
Myrtenkranz geschmückt. Flotte“; Verhandlungsführer in ↑ Brest-
Triumvirat (von lat. tres viri, drei Männer), Litowsk. Nach Lenins Tod (1924) offene
Dreimännerherrschaft; in Rom wurden Tri- Auseinandersetzung mit Stalin um den Bü-
umvirate gebildet, um best. Sonderaufga- rokratismus und Stalins Wirtschaftskon-
ben innerhalb der Staatsverwaltung durch- zeption. 1926 von Stalin abgesetzt, aus der
zuführen: Pompejus, Cäsar und Crassus Partei ausgeschlossen und 1929 ausgewie-
(60 v. Chr.) wählten die Form des Trium- sen. T. kämpfte im Exil gegen den Stalinis-
virats für ihre diktator. Alleinherrschaft, sie mus und wurde von einem GPU-Agenten
bildeten das Erste Triumvirat; das Zweite in Mexiko ermordet.
Triumvirat wurde von Octavianus, Anto- Troyes, Hauptstadt des frz. Departements
nius und Lepidus gebildet (43 v. Chr.). Aube; seit dem 4. Jh. kath. Bischofssitz, war
Trizone, Bez. für Wirtschaftsgebiet in im MA Hauptstadt der Grafen der Cham-
Deutschland, das im April 1949 durch Zu- pagne; der Vertrag von T. (1420) gestattete

912
Tschandragupta Maurya

den engl. Königen bis 1802, den Titel eines Wadai. Nach dem Sieg über Rabeh (1900)
Königs von Frankreich zu führen; westl. setzte sich Frankreich im Tschadbecken
der Stadt die Katalaunischen Felder, auf fest und gliederte die Region 1910 der Ko-
denen 451 n. Chr. der Vormarsch der Hun- lonialföderation Frz.-Äquatorialafrika ein;
nen nach Westen gestoppt wurde. 1940 erhielt T. seine endgültigen Grenzen,
Trubezkoi, russ. Adelsfamilie in der Nach- 1946 den Status eines Überseeterritoriums
folge des litauischen Großfürsten Gedi- innerhalb der Frz. Union; seit 1960 unab-
myn. Bedeutendster Vertreter: T., Ser- hängig; bis 1975 war N’Garta Tombalbaye
gei Petrowitsch Fürst, russ. Revolutionär, erster Staatspräsident des T. in enger An-
1790–1860; gehörte zu den Gründern der lehnung an Frankreich, nach seinem Sturz
ersten Geheimgesellschaften der ↑ Deka- übernahm F. Malloum die Macht, die
bristen, 1825 zum Diktator gewählt, dann frz. Truppen mussten das Land verlassen;
zum Tode verurteilt, zu Zwangsarbeit in Si- nach bürgerkriegsähnlichen Kämpfen zw.
birien begnadigt und 1856 amnestiert. von Libyen unterstützten Aufständischen
Truchseß (ahdt. truht sâzo, Vorgesetzter (FROLINAT) und Truppen des T. kam es
der Trucht, des Gesindes), im frühmittel­ zur Bildung einer Übergangsregierung un-
alterl. Königtum der german. Völker Füh- ter Präsident G. Queddei, der im Okt. 1980
rer des Trosses oder des Hofgesindes der libysche Truppen um Unterstützung im
Königsgefolgschaft (auch ↑ Seneschall ge- Bürgerkrieg bat; nach Rückzug der liby-
nannt), seit Otto I. gehörte das Truchseß- schen Truppen wurde H. Habré im Juni
amt zu den ↑ Erzämtern des Reiches. 1982 Präsident; im Feb. 1983 flammte der
Truman, Harry S., Präsident der Verei- Bürgerkrieg wieder auf, es kam zur direkten
nigten Staaten von Amerika, 1884–1972; Konfrontation zw. Libyen und Frankreich;
Demokrat; 1944 Vizepräsident, 1945 nach im Aug. 1987 erklärte Libyen den Krieg
F. D. Roosevelts Tod Präsident, 1948 wie- mit T. für beendet, beanspruchte aber
dergewählt; 1945 Befehl zum Abwurf der weiterhin die Aozou-Region für sich (Ab-
Atombomben auf Japan und Abschluss zug der libyschen Truppen im Feb. 1994).
des ↑ Potsdamer Abkommens, 1947 Kon- 1989 neue Verfassung, die am Einparteien-
gressbotschaft der ↑ Truman-Doktrin und system festhielt. 1990 Sturz Präsident Ha-
des ↑ Marshallplanes, 1949 Abschluss des brés durch Oberst Idriss Déby; 1992 Wie-
Nordatlantikpaktes, 1950 im Rahmen der derzulassung polit. Parteien, 1994 Frieden-
UNO-Aktion Eingreifen in Korea; Wieder­ schluss zw. den Bürgerkriegsparteien. Im
aufrüstung der USA zur Abwehr möglicher Juli 1996 erste freie Wahlen seit Erreichen
Angriffe; 1953 durch den Republikaner der Unabhängigkeit, Bestätigung Präsident
Dwight D. Eisenhower abgelöst. Débys im Amt (erneut 2003); Koalition
Truman-Doktrin, verkündet 1947, sie er- aus MPS (Mouvement Patriotique du Sa-
klärte, dass sich die USA jeder gewalt- lut) und UNDR (Union Nationale pour
samen territorialen Ausweitung der Sow- le Développement et le Renouveau) unter
jetunion und des Bolschewismus wider- Regierungschef Nassour Ouado (bis 1999,
setzen werden; Unterstützung der freien Nachfolger Nagoum Yamassoum, seit
Völker durch Abschluss des Atlantikpaktes 2003 Moussa Faki). Trotz umfangreicher
(↑ NATO) mit den europ. Partnern der internat. Entwicklungshilfsprogramme ist
USA, wirtsch. Unterstützung durch den T. immer noch eines der ärmsten Länder
↑ Marshallplan. weltweit, über 60 % der Bevölkerung leben
Tschad, Republik in Zentralafrika; entstan- in großer Armut.
den aus den Reichen Kanem-Bornu (seit Tschandragupta Maurya, ↑ Maurya-
800 n. Chr.), Bagirmi (16.–19. Jh.) und Reich, Indien.

913
Tschechen

Tschechen, westslaw. Volk, das im 5. und chen Wirtschaftspolitik und am ideolog.


6. Jh. mit anderen slaw. Stämmen aus den Dogmatismus der Parteiführung bildete
Karpaten nach Böhmen und Mähren ein- sich eine Gruppe von Reformern, die 1968
wanderte. im ZK eine Mehrheit erlangten; ↑ Dubček
Tschechoslowakei, nach dem 1. Weltkrieg wurde Generalsekretär der Partei, „Sozialis-
einer der „Nachfolgestaaten“ der österr.- mus mit menschlichem Antlitz“ sollte ver-
ungar. Donaumonarchie, ben. nach den wirklicht werden. Im Aug. 1968 Einmarsch
beiden führenden Völkern, den Tschechen der Warschauer-Pakt-Truppen in Prag,
und Slowaken; geistig vorbereitet schon Entmachtung der Reformpolitiker, partei-
im 19. Jh. durch die nationalstaatliche interne Säuberungen, polit. Prozesse. Been-
Bewegung (wesentlich durch den alther- digung des „Prager Frühlings“. 1970 Un-
gebrachten Gegensatz der ↑ Hussiten zu terzeichnung eines Freundschafts- und Bei-
Deutschtum und Reich) und den ↑ Pan- standsvertrages mit der Sowjetunion. 1973
slawismus; nach dem Zerfall der Donau- Vertrag mit der BRD über die Ungültigkeit
monarchie 1918 aus den „histor. Ländern“ des Münchner Abkommens. 1977/78 Aus-
(↑ Böhmen, Mähren, österr. Schlesien, einandersetzung mit der regimekritischen
reichsdt. Hultschiner Ländchen) und Tei- Gruppe ↑ „Charta 77“, die dieser weltweite
len von Ungarn (Slowakei, Karpatoruss- Resonanz eintrug. 1989 erzwangen De-
land) errichtet, erste Regierung Masaryk- monstrationen in der T. den Rücktritt der
Beneš; hintertrieb die vertraglich zugesi- Regierung Adamec. Nach mehreren von
cherte Autonomie für die nichttschech. der Bürgerbewegung erzwungenen Regie-
Völker (daher innere Konflikte), außen- rungsumbildungen verlor die KPČ ihren
politisch bestimmt durch die Abwehr des dominierenden polit. Einfluss in der Re-
ungar. Revisionismus und enge Anlehnung gierung. Der Dramatiker und Mitinitiator
an Frankreich, Rumänien, Jugoslawien der Bürgerbewegung „Charta 77“, Vaclav
(1920/21 Kleine Entente). Nach dem Ul- Havel, löste im Dez. 1989 den zum Rück-
timatum Hitlers und der Münchner Kon- tritt gezwungenen G. Husâk als Staatsprä-
ferenz 1938 Abtretung der Sudetengebiete, sident ab. 1990 Umbenennung der T. in
die Slowakei und die Karpato-Ukraine „Tschech. und Slowak. Föderative Repu-
wurden selbständig, Grenzabtretungen an blik“, im selben Jahr erste freie Wahlen.
Polen und Ungarn; 1939 Einmarsch dt. 1992 Souveränitätserklärung der Slowakei;
Truppen, Bildung des „Protektorats Böh- 1. Jan. 1993 Auflösung in die beiden sou-
men-Mähren“ unter dt. „Reichsprotek- veränen Staaten Tschechische Republik
tor“, die Slowakei wurde unabhängig (dt. und Slowakische Republik.
Schutzgebiet), Ungarn erhielt die Kar- Tscheka, Abk. der russ. Kurzbez. Tschres-
pato-Ukraine. In London bildete sich die wytschainaja Komissija („Außerordentli­
tschech. Exilregierung (unterstützt von che Kommission zum Kampf gegen Kon-
der UdSSR, den USA und England; sie terrevolution und Sabotage“), 1917–1922
schloss 1943 Pakt mit der UdSSR); 1945 die polit. Polizei im bolschewist. Russland;
Besetzung durch die UdSSR (Rückzug der diente als Instrument des „Roten Terrors“
in Westböhmen stehenden US-Truppen), zur Systemstabilisierung und wurde 1922
Vertreibung der Sudetendeutschen, 1948 an das Innenministerium (↑ GPU) über-
Machtergreifung durch die kommunist. tragen.
Minderheit, Gleichschaltung der T. mit Tschenstochau, poln. Czestochowa, Stadt
den östl. „Volksdemokratien“; 1960 neue in Polen; erhielt 1356 dt. Recht, 1382
Verfassung, T. nannte sich „Sozialistische Gründung des Pauliner-Klosters Jasna
Republik“. Aus der Kritik an der staatli- Göra, das wegen des wahrscheinlich byzan-

914
Tuchatschewski

tin. Marienbildes „Schwarze Madonna von ligt gewesen sein soll; nach dem Eingrei-
T.“ zum meistbesuchten Wallfahrtsort in fen von UN-Truppen in die Kongo-Krise
Polen wurde; 1655 erfolglose Belagerung ging er 1963 ins Exil, 1964 Rückkehr und
durch schwed. Truppen, seitdem ist das bis 1965 Ministerpräsident des Kongo;
Kloster Symbol nationalen Widerstands nach seinem Sturz Exil in Spanien, 1967
und kath. Glaubens. Entführung nach Algerien, wo er in Haft
Tschernenko, Konstantin Ustinowitsch, starb.
sowjet. Politiker, 1911–1985; seit 1976 Se- Tschou En-lai, chin. Politiker, 1898–1976;
kretär des ZK und seit 1978 auch Mitglied Kampfgefährte Mao Tse-tungs und Mitbe-
des Politbüros der KPdSU, im Feb. 1984 gründer der KP Chinas. Nach Gründung
zum Generalsekretär des ZK gewählt; war der Volksrepublik China 1949 Minister-
von April 1984 bis zu seinem Tod (10. März präsident und 1949–58 zugleich Außen-
1985) Staatsoberhaupt. minister, 1969 Mitlied des ständigen Aus-
Tschiang Kai-schek, chin. Politiker und schusses des Politbüros der KP Chinas,
General, 1888–1975; Anhänger Sun Yat- vertrat seitdem China bei allen wichtigen
sens, Gegner des Kommunismus, beteili- außenpolit. Verhandlungen.
gte sich an der 1. und 2. chin. Revolution Tschudi, 1) T., Aegidius (Gilg), schwei-
1911/12 und 1913; seit 1917 im Stab Sun zer. Politiker und Historiker, 1505–1572;
Yat-sens; 1926 Generalissimus der ↑ Kuo- versuchte als erster, die Geschichte der
mintang-Armee; 1928–1949 Präsident der Schweiz auf der Grundlage von Chroniken
Nationalregierung, 1949 durch ↑ Mao Tse- und Urkunden zu schreiben. 2) T., Hans-
tung vom Festland vertrieben, Rückzug Peter, schweizer. Politiker und Jurist,
nach Taiwan (↑ China), ab 1950 Staatsprä- 1913–2002; seit 1974 Prof. in Basel und
sident von Nationalchina. Bern, 1965 und 1970 Bundespräsident,
Tschiang Tsching (Chiang Chi’ng), chines. seit 1974 Mitglied des Internat. Komitees
Politikerin, 1914–1991; Ehefrau und vom Roten Kreuz.
Witwe Mao Tse-tungs, gehörte seit 1966 Tsingtau, Stadt im Süden der Schantung-
zu den treibenden Kräften der Kulturrevo- Halbinsel in China, bis 1914 Hauptstadt
lution; nach Maos Tod wurde T. 1976 als des dt. Pachtgebietes Kiautschou, 1914–
Mitglied der sog. Viererbande aus der KP 1922 japanisch, seither chinesisch.
ausgeschlossen, 1981 zum Tode verurteilt Tsushima, jap. Insel in der Koreastraße;
und 1983 zu lebenslanger Haft begnadigt. 1905 im russ.-jap. Seekrieg Vernichtung
Tschingis Khan, ↑ Dschingis Khan. der russ. Flotte durch die Japaner unter
Tschitscherin, Georgi Wassiljewitsch, sow- Admiral Togo.
jet. Politiker, 1872–1936; 1905–1917 in Tübingen, Universitätsstadt (seit 1477) in
der Emigration, Anschluss an die russ. So- Baden- Württemberg; 1514 Vertrag zu T.
zialdemokratie; war Nachfolger Trotzkis als zw. den schwäb. Landständen und Herzog
Volkskommissar des Äußeren 1918–1930 Ulrich I. von Württemberg (Zugeständ-
und maßgeblich am Abschluss des Rapal- nisse an die Stände); berühmtes „Tübin-
lovertrages 1922 beteiligt. ger Stift“ (evang. theolog. Bildungsstätte).
Tschombé, Moise Kapenda, kongoles. Po- Zu seinen Schülern zählten u. a. Kepler,
litiker, 1919–1969; gründete 1959 die Schelling, Hegel, Hölderlin, Mörike, D. F.
Conakat-Partei für Katanga, das er 1960 Strauß, F. Th. Vischer.
als unabhängigen Staat aus der Republik Tuchatschewski, Michail Nikolajewitsch,
Kongo (↑ Kongo, Republik) herauslöste; sowjet. Marschall, 1893–1937; seit 1918
T. war ein entschiedener Gegner P. ↑ Lu- Mitglied der Bolschewiki, schlug 1921 mit
mumbas, an dessen Ermordung er betei- Trotzki den Kronstädter Aufstand nieder,

915
Tudor

1925–28 Generalstabschef, 1931–37 stell- 1969 schloss T. ein Assoziierungsabkom-


vertretender Volkskommissar für Verteidi- men mit der EG. 1981 nach Generalstreiks
gung; 1937 in der Großen Tschistka („Säu- und Unruhen Abkehr vom Einparteien-
berung“) verhaftet unter der haltlosen sys­tem 1987 wurde Burgiba (Staatspräsi-
Beschuldigung, Verschwörung gegen die dent seit 1956) entmachtet. 1988 Erlass ei-
UdSSR betrieben zu haben; in einem Ge- ner neuen Verfassung. Nachfolger Burgibas
heimprozess zum Tode verurteilt und hin- wurde Zain al-Abidin Ben Ali (seit 1988,
gerichtet; 1961 voll rehabilitiert. 1999 im Amt bestätigt). Bei Parlaments-
Tudor, engl. Dynastie, bestieg mit Hein- wahlen 1999 erneut klarer Sieg der Regie-
rich (VII.) Tudor 1485 den engl. Thron rungspartei (Demokratische Verfassungs-
und erlosch mit Elisabeth Tudor (1603) partei, ca. 91 % der Stimmen), die sechs
(↑ England). erlaubten Oppositionsparteien erhielten
Tuilerien (frz., Ziegelei), an der Stelle ­einer zusammen weniger als 9 %; allerdings Be-
mittelalterl., vor den Toren von Paris gele- hinderungen und Verfolgung von Anhän-
genen Ziegelei von Katharina von Medici gern der Opposition.
seit 1564 errichtetes Schloss nach den Plä- Turenne, Henri de la Tour d’Auvergne, Vi-
nen von Ph. de Lorme; weitergebaut bis comte de, frz. Marschall, 1611–1675; En-
ins 18. Jh.; 1792 erstürmt, 1871 beim Auf- kel Wilhelms I. von Oranien, seit 1630 in
stand der Pariser Kommune z. T. zerstört; frz. Diensten; erhielt im 30-jährigen Krieg
1883 bis auf kleine Nebenbauten abgeris- 1643 den Oberbefehl am Oberrhein; an-
sen. fangs beteiligte sich T. an der ↑ Fronde,
Tula de Allende, Stadt im mexikan. Staat musste fliehen, söhnte sich aber 1651 mit
Hidalgo; in der Nähe liegt die Ruinen- dem frz. Hof aus; führte die königlichen
stätte Tula (Tollan), die 920–1160 Haupt- Truppen im Bürgerkrieg und im Krieg ge-
stadt der Tolteken war; Ausgrabungen (seit gen Spanien (bis 1659), leitete 1667/68
1940) legten u. a. die „Morgensternpyra- den Devolutionskrieg und ab 1672 den
mide“ frei. Holländ. Krieg.
Tunesien, bis 146 v. Chr. Zentralgebiet des Turgot, Anne Robert Jacques, Baron de
Reiches von Karthago, dann röm. Provinz l’Aulne, frz. Staatsmann und National­
Africa, 439–533 Vandalenreich, Vernich- ökonom. 1727–1781; 1774–1776 Finanz-
tung der ↑ Vandalenherrschaft durch By- minister; Physiokrat, entwarf einen Plan
zanz (↑ Belisar); Mitte des 7. Jh. Erobe- zu inneren Reformen und forderte Ge-
rung T.s durch die Araber; 1270 Kreuzzug werbefreiheit, Neuordnung der Steuern,
Ludwigs IX. gegen Tunis, 1535 wurde Tu- Ablösung der Frondienste, Zulassung der
nis von Kaiser Karl V. erobert und blieb bis Bürgerlichen zu höheren Ämtern und zum
1574 spanisch; seitdem türkisch; 1881 frz. Gericht; stieß auf die Ablehnung der be-
Protektorat, 1938 Verhängung des Bela- vorrechteten Stände.
gerungszustandes gegen tunes. Aufstands- Turin, Stadt im NW Piemonts; 1480 Resi-
versuche, 1942/43 dt.-ital. Tunisfeldzug; denz der Herzöge von Savoyen, 1720–1765
1946 Mitgliedsstaat der Frz. Union, 1955 der Könige von Sardinien. 1800–1814 frz.;
unabhängige Republik, erster Staatspräsi- 1814–1864 Hauptstadt Savoyens, ver-
dent Habib ↑ Burgiba, 1958 Beitritt zur blieb nach Abtretung eines Großteils von
↑ Arab. Liga. Nach der Krise um den frz. Savoy­en an Frankreich bei Italien, verlor
Flottenstützpunkt Biserta 1961 erklärte aber seine Metropolstellung an Florenz.
sich Frankreich 1963 zur Räumung bereit. Türkei, Republik, erstreckt sich über zwei
1964 führte die Enteignung frz. Landbe- Kontinente, Anteil sowohl an Europa (Ost-
sitzer wieder zu einem tunes.-frz. Konflikt. thrakien) als auch an Asien (Anatolien auf

916
Türkei

der Kleinasiat. Halbinsel). – Bis zum und beherrschender Teil des gesamtislam.
13. Jh.: Türken urspr. in den Steppengebie- Reiches wurde ↑ Ägypten, das sich seit
ten W-Asiens (Turkestan), Mittelasiens 1254 in der Hand der türk. ↑ Mamelucken
(„Völkerwiege“) und im Altai beheimatete befand; der verheerende Mongolensturm
Volksstämme; in der frühen Geschichte ↑ Dschingis Khans (Anfang 13. Jh.) ver-
(bis zur Berührung mit dem Islam) stän- nichtete die Reste des Seldschukenreiches
dige Grenzkriege mit Mongolen und Chi- bis auf das seit etwa 1100 bestehende Sul-
nesen; erste größere Reichsgründungen tanat der Rum-Seldschuken, das im Kampf
(O-Türken- und W-Türken-Reich) durch gegen Byzanz fast ganz Anatolien gewon-
China zerschlagen; im 10. Jh. n. Chr. Be- nen hatte (Gegner der christl. Heere auf
ginn der Islamisierung, Gründung eines is- dem 2. und 3. Kreuzzug), doch wurden
lam.-türk. Reiches in Afghanistan und im auch die Rum-Seldschuken 1234 von den
O-Iran; türk. Söldner, die an den Höfen Mongolen (deren Heere z. T. aus türk.
der arab. Kalifen dienten, rissen nach dem Söldnern bestanden) geschlagen; schneller
Niedergang der Macht des arab. Kalifats Niedergang ihrer Macht durch den Zerfall
die Herrschaft an sich und wurden Militär- in kleine Fürstentümer, die aber den Kampf
befehlshaber und Statthalter. Der türk. (Glaubenskampf ) gegen das schwächer ge-
Sultan Mahmud von Gharni (Afghanistan) wordene ↑ Byzantin. Reich weiterführten.
drang in Eroberungs- und Beutezügen bis – Osman. Reich: Eines der Zerfall-Fürs-
über den Ganges vor und unterwarf große tentümer der Rum-Seldschuken im nord-
Teile ↑ Indiens (Pandschab); jahrhunderte- westl. Anatolien wurde die Wiege eines
lange Nachwanderung von türk. Noma- neuen türk. Großstaates, des Osmanen-
denvölkern aus den innerasiat. Steppen, reiches (genannt nach dem türk. Fürsten
Einbrüche in die Ukraine. Walachei und ↑ Osman, 1288–1326). Die Osmanen la-
auf den Nordbalkan; Seldschuktürken ero- gen in ununterbrochenen Grenzkriegen im
berten ↑ Buchara (um 1000). Allmähliche Kampf mit Byzanz, vereinten die türk. Fürs­
Ausdehnung des Seldschukenreiches in tentümer Anatoliens unter ihrer Herrschaft
Grenz- und Bruderkämpfen und im Kampf und drangen in Kleinasien und auf dem
gegen Byzanz vom Aralsee bis zum Pan- Balkan vor (Überschreiten der Dardanel-
dschab und im Westen von Mesopotamien len); 1361 Eroberung von Adrianopel, da-
bis Syrien. Entscheidendes Ereignis: Nach durch Einkreisung von Byzanz und Unter-
dem Sieg bei Malazgirt Vordringen in brechung der Landverbindung mit dem
Kleinasien, das Kern des späteren Osman. christl. Abendland; unter Sultan Bajasid
Türkenreiches (↑ Osman) wurde bis zum Niederkämpfung des letzten selbständigen
Mittelmeer; enge Berührung mit dem türkischen Teilfürstentums in Anatolien.
abendländ. Macht- und Kulturkreis und 1393/94 eroberten die osman. Türken Bul-
Beginn jahrhundertelanger polit.-religiöser garien und die Walachei und schlugen in
Kriege. Erste große Auseinandersetzung der Schlacht bei Nikopolis 1396 ein großes
zw. Christen und Türken im 1. Kreuzzug europ. Kreuzritterheer vernichtend; gleich-
(1096–1099), der durch die Eroberung Je- zeitig langdauernde Belagerung von By-
rusalems durch die Türken ausgelöst zanz. – Vorübergehende Zerschlagung des
wurde; die Seldschuken verloren große Osman. Weltreiches durch den Mongo-
Teile Kleinasiens, Syriens und Palästinas an lenkhan ↑ Timur Lenk (Tamerlan) nach
die abendländ. Ritterheere; innere Kämpfe, der Schlacht von Ankara 1402. Nach Bru-
Angriffe aus dem asiat. Norden vollende- derkämpfen zw. den verschonten Restherr-
ten die Auflösung des seldschuk. Welt- schaften der Osmanen in Anatolien Wie-
reiches in einzelne Fürstentümer. Stärkster deraufrichtung des Osman. Reiches mit-

917
Türkei

hilfe der Elitetruppen der ↑ Janitscharen; einzelne Erfolge, langsamer Machtrück-


Wiedereroberung der verlorenen klein­asiat. gang, innere Unruhen (Janitscharen-Auf-
Gebiete, Inbesitznahme fast des ganzen stände), Grenzkämpfe gegen Österreich,
Balkans und 1453 Erstürmung von Byzanz Polen, Venedig, Russland; erst unter Mehe-
(↑ Konstantinopel) durch ↑ Mehemed II.; med IV. (1645–1687) neue polit. und mili-
Byzanz wurde unter dem Namen Istanbul tär. Offensive (Ungarn, Kreta, Podolien,
neue Hauptstadt des Osmanenreiches. Teil-Ukraine, Belagerung von Wien 1683);
1459 wurden Serbien und Bosnien tür- von da an steter Rückgang der osman.
kisch; 1460/61 das kleine byzantin. Kaiser- Macht bes. in den „Türkenkriegen“ gegen
reich ↑ Trapezunt am Schwarzen Meer, Österreich und Russland; Verlust von Un-
1466 Albanien; erfolgreiche Verteidigung garn, Siebenbürgen, Kroatien und Slawo-
der eroberten Gebiete gegen Venedig und nien im 1. Türkenkrieg; im 2. Türkenkrieg
Persien (1463–1473). Nach dem Tod des 1715–18 Eroberung von Belgrad durch
kraftvollen Mehemed II. innere Unruhen, ↑ Prinz Eugen, Nordserbiens, des Banats
später erfolgreiche Kämpfe (auch zur See) und der kleinen Walachei (Passarowitz); im
gegen Venedig, Persien und gegen die 3. Türkenkrieg 1736–39 Rückgewinnung
ägypt. Mamelucken in deren Einflussge- der Walachei und Serbiens durch die T.,
biet Syrien (Eroberung von Aleppo und endgültiger Verlust im 4. Türkenkrieg
Damaskus); Verlagerung der Kämpfe nach (1787–92). 1804 serb. Befreiungsaufstand,
Ägypten, das im Jahr 1517 ganz den Tür- 1821 Erhebung in Griechenland. Seit 1839
ken zufiel: Das Osmanenreich übernahm innere Reformen und Straffung der Ver-
anstelle der Mamelucken die Schutzherr- waltung (Bekämpfung der Korruption)
schaft über den gesamten Islam (↑ Kalifat); und des Militärs (Zerschlagung des Jani-
friedliche Unterwerfung der Barbaresken- tscharenkorps), doch war der Niedergang
staaten Tunis, Algier und Tripolis. – Be- nicht aufzuhalten; die Sultane gaben den
herrschende Weltgeltung der osman. T. un- liberalen Forderungen der „Jungtürken“
ter Sultan Soliman dem Prächtigen (1522– nach und gewährten 1878 ein Parlament;
1566); Eroberung Belgrads, des größten nach dem Rumän.-Türk. Krieg unter-
Teils von Ungarn, Erstürmung von Rho- stützte der Berliner Friede von 1878 die
dos, Belagerung Wiens (1529), Ausdeh- Nationalbestrebungen der Balkanvölker
nung des Osman. Reiches z. Z. der (Bulgarien, Serbien, Rumänien wurden au-
höchsten Blüte: Anatolien, Rumelien (süd- tonom; Bosnien und Herzegowina kamen
östl. Balkan, verloren 1913), Bulgarien unter österr. Einfluss [1908 österr. Besitz]),
(verloren 1878), Ungarn (verloren 1718), Zypern wurde brit.; 1881 Verlust von Tu-
Siebenbürgen (verloren 1699), Fürstentum nesien (an Frankreich), Ägyptens (an
Moldau und Bessarabien (verloren 1775 Großbritannien), 1912 Tripolitaniens (an
bzw. 1812), Podolien und Jelisan (zwischen Italien) und Erhebung Albaniens; 1912/13
Dnjestr und Bug, verloren 1699 bzw. Niederlage im 1. Balkankrieg gegen den
1792), Krimfürstentum (rund um das Viererbund Bulgarien-Serbien-Griechen-
Asowsche Meer, verloren 1783), Armenien land-Montenegro (Londoner Friede 1913);
und Georgien (verloren 1607 bzw. 1913 2. Balkankrieg der Türkei, Rumäni-
1878/1921), Aserbeidschan (verloren ens, Serbiens, Griechenlands gegen das
1603–1639), Mesopotamien und Syrien (unterliegende) Bulgarien (Friede von Bu-
(verloren 1920/23), Ägypten (verloren karest); Endergebnis der Balkankriege: Die
1882), Tripolis (verloren 1912), Tunis (ver- T. verlor fast alle europ. Gebiete (Adriano-
loren 1882) und Algerien (verloren 1830). pel blieb bei der T.); die geplante völlige
– Unter Solimans Nachfolgern nur noch Aufteilung der T. („Kranker Mann am Bos-

918
Türkei

porus“) wurde durch Deutschland und die T. auf der territo­rialen Trennung von
Großbritannien verhindert (dt. Militär- Griechen und Türken auf der Insel. 1980
mission, Bau der Bagdadbahn, Flotten­ Militärputsch unter Generalstabschef
reorganisation durch britische Marinefach- Evren, Verhängung des Kriegsrechtes. 1982
leute). Seit 1894 kam es wiederholt zu blu- neue Verfassung, Sicherung der starken
tigen Ausschreitungen gegen die ↑ Arme- Stellung des Militärs, wurde in einer Volks-
nier. – Republik Türkei: Im 1. Weltkrieg abstimmung angenommen. 1983 bei Par-
war die T. ein Verbündeter Deutschlands lamentswahlen Sieg der neu gegr. rechts-
und Österreichs (Abwehrkämpfe an ver- konservative ANAP (Mutterlandspartei),
schiedenen Fronten, alliierte Landungsver- unter dem neuen Ministerpräsidenten Tur-
suche bei Gallipoli verhindert); bei gut Özal vorsichtige Demokratisierung. In
Kriegsende völliger Zusammenbruch der den 80er Jahren erneute Verschärfung des
auch innerlich zerrütteten T.; die Sieger be- Konflikts mit den ↑ Kurden im Südosten
setzten Istanbul und kontrollierten die der T. Die bereits 1978 von Abdullah Öca-
Dardanellen; 1920 Friede von Sevres: Ver- lan gegr. und von der T. verbotene „Kom-
lust aller Gebiete außerhalb Anatoliens munistische Arbeiterpartei Kurdistans“
und außerhalb der auf dem Balkan liegen- (PKK) blieb im Untergrund aktiv; Ziel ein
den Umgebung von Istanbul, Smyrna fiel souveräner sozialist. Kurdenstaat. Seit den
an Griechenland, Widerstand der Armee 80er Jahren eine Reihe von Terroranschlä-
unter Mustafa Kemal ↑ Atatürk gegen die gen der PKK auf das türk. Militär; bis in
harten Friedensbedingungen, Verhinde- die 90er Jahre immer wieder von internat.
rung der Besetzung Smyrnas durch die Menschenrechtsorganisationen kritisierte
Griechen; Ostthrakien und Kilikien militär. Einsätze gegen die PKK und die
kehrten wieder zur T. zurück. 1922 Ab- Kurden in Südanatolien, rund 30 000 To-
schaffung der Monarchie (des Sultanats), ten und Migration von Hunderttausenden,
1924 Abschaffung des Kalifats, 1923 wurde konnte nach Festnahme A. Öcalans (1999)
Atatürk Staatspräsident: im gleichen Jahre nicht gelöst werden. – 1987 Antrag auf
Friede von Lausanne (Anerkennung des Mitgliedschaft in der EG (seit 1999 offizi-
unabhängigen Besitzstandes der T.); Bevöl- eller Kandidatenstatus). T. reagierte auf
kerungsaustausch mit Griechenland; An- wachsende geopolit. Instabilität nach Zu-
kara wurde türk. Hauptstadt; durch tief- sammenbruch des Ostblocks mit einer
greifende Reformen Angleichung an die Reihe von regionalen Initiativen, z.B. 1992
westeurop. Zivilisation; 1934 Balkanpakt „Schwarzmeerkonferenz“ (jährliches Gip-
zw. T., Rumänien, Jugoslawien, Griechen- feltreffen der Schwarzmeerstaaten), im sel-
land; 1945 Kriegserklärung an Deutsch- ben Jahr Turkstaatengipfel (Abkommen
land. Nach dem 2. Weltkrieg Mitglied der über wirtsch. Zusammenarbeit zw. den
UN, prowestliche, antisowjet. Politik, turksprachigen ehem. Sowjetrepubliken
1951 Beitritt zur ↑ NATO, 1955 Bagdad- und T.). Innenpolitisch in den 1990er Jah-
pakt zw. der T., Großbritannien, Persien, ren steigende Bedeutung der Islamist.
dem Irak und Pakistan; 1959 Verteidi- Wohlfahrtspartei (RP), 1995 Wahlsieg,
gungsabsprache mit den USA; nach Volks- neuer Regierungschef Necmettin Erbakan
abstimmung neue Verfassung. 1963 Asso- strebte engere Anlehnung an den funda-
ziierung der Türkei mit der EWG. 1974 mentalist. Iran an. 1999 Verbot der RP we-
militär. Eingreifen der T. auf ↑ Zypern zum gen staatsfeindl. fundamentalist. Aktivi-
Schutz der Inseltürken, Konfrontation der täten, ebenso der islam. „Tugendpartei“ FP.
NATO-Partner Griechenland und Türkei. Unter Regierung Ecevit (1999–2001) zahl-
Zur Lösung des Zypernkonflikts beharrte reiche Reformen, Stärkung der Rechte der

919
Türkenlouis

Bevölkerung (z. B. Versammlungs- und Tusculum, Stadt im Albanergebirge, seit


Demonstrationsrecht). Fortsetzung der Li- dem 2. Jh. v. Chr. Villenort vornehmer Rö-
beralisierung unter Regierungschef Tayip mer, Lieblingsaufenthalt Ciceros („Tusku-
Erdogan (islam.-konservative Partei für laner Gespräche“).
Gerechtigkeit AKP, seit 2002). Tuskulaner, Grafen von Tusculum, be-
Türkenlouis, ↑ Ludwig Wilhelm I., Mark- herrschten im 10./11. Jh. oftmals Rom und
graf von Baden. nahmen Einfluss auf die Papstwahl; Päpste
Turkestan, Landschaft in Zentralasien, aus dem Haus der Grafen von Tusculum:
von Turkstämmen bewohnt; im 19. Jh. fiel Benedikt VII. (974–983); Benedikt VIII.
der westl. Teil an Russland, der östl. Teil (1012–1024), Johannes XIX. (1024–
an China, seit 1931 wachsender sowjet. 1032), Benedikt IX. (1037–1048).
Druck, Abtretung von Randgebieten an Tuszien, ↑ Toskana.
die UdSSR. Tutenchamun, ägypt. König der 18. Dynas­
Turnerschaften, das Wort Turnen wurde tie, Regierungszeit um 1330–1324 v. Chr.;
1811 von Jahn anstelle von „Gymnastik“ gab den Sonnen(Aton-)kult seines Schwie-
geprägt: Leibesübungen erst im Zeital- gervaters ↑ Echnaton und seinen urspr.
ter der Aufklärung (seit 1700) gefordert, Namen Tutench-aton auf; sein fast unbe­
bes. von Rousseau im „Emile“; 1774 Ein- rührtes Grab enthielt den bisher vollstän-
führung regelmäßiger Leibesübungen in digsten altägypt. Grabfund, 1922 in der
Dessau durch Basedow, 1784 durch Salz- Gebirgs-Nekropole westlich von Theben
mann in Schnepfenthal, wo der Turnlehrer („Tal der Könige“) von Lord Carnarvon
GutsMuths wirkte (1793 „Gymnastik für und Howard Carter entdeckt und ausge-
die Jugend“); Pestalozzi schrieb 1807 eine graben (vergoldete Särge mit Totenmas-
„Elementargymnastik“, seit 1811 Turn- ken, Thronsessel, Prunkwagen, Möbel, Ge-
unterricht durch Jahn auf dem Turnplatz brauchsgegenstände und Nahrung für das
Hasenheide bei Berlin zum Zwecke der na- Leben im Totenreich), aufschlussreich für
tionalen Erziehung als Ersatz für die ver- Lebensweise und Totenkult; heute im Na-
botene Wehrausbildung; 1816 Herausgabe tionalmuseum in Kairo; die Leiche T.s wie-
der Zeitschrift „Der Deutsche Turner“; der in der Grabkammer bei Theben.
Teilnahme der Turner an den freiheitlichen Tuthmosis, ↑ Thutmosis.
und burschenschaftlichen Bestrebungen Tycho (de) Brahe, ↑ Brahe.
führten nach 1817 und 1819 zu vorüber- Tyler, Wat, ↑ Wat Tyler.
gehenden Verboten und Schließungen von Tyrannis (griech.), Alleinherrschaft, in Alt-
Turnplätzen. Griechenland im Gegensatz zur aristokrat.
Turnier (lat. tornare, wenden), ritterliche Oligarchie Herrschaft eines Einzelnen, der
Reiter-Waffenspiele, die zuerst in Frank- durch Gewalt zur Macht gekommen war
reich, besonders in der Provence, entwi- und sich auf die Massen stützte, später allg.
ckelt wurden; teilnahmeberechtigt waren Bez. für Willkürherrschaft.
im Allgemeinen nur Angehörige des Adels, Tyrus, phönik. Seestadt, fast uneinnehm-
deren Turnierfähigkeit von einem eigenen bar auf einer syr. Felshalbinsel gelegen,
Herold geprüft wurde; man kämpfte in etwa um 1500 v. Chr. gegr.; blühende Stadt
Scharen (Buhurt) oder in Einzelkämpfen mit Handelsverbindungen bis zum Atlan-
(Tjost) gegeneinander; T.-Waffen waren tik und nach O-Afrika, zahlreiche Kolonie-
Lanze, Schwert und Schild; das erste Tur- gründungen (u. a. Karthago, Leptis, Gadir,
nier in Deutschland fand 1127 in Würz- Zypern); Blütezeit unter König Hiram I.
burg statt; Ende der T.e nach dem Auf- (969–936 v. Chr.), ↑ Phöniker.
kommen der Feuerwaffen.

920
Ubier

Ubier, Sammelbezeichnung Repressionen und der wirtsch. Niedergang

U für eine germanische Völker-


schaft, keine urspr. Stammes-
gruppe, lebte z. Z. Cäsars un-
ter dem Schutz der Römer auf dem rech-
in U. nicht auf. 1985 wurde Obote durch
einen Militärputsch gestürzt, die Verfas-
sung wurde aufgehoben, das Parlament
aufgelöst. Gegen die neue Militärregie-
ten Rheinufer; von den Sueben bedrängt, rung bildete sich aber eine nationale Wider­
wurden die U. 37 v. Chr. von den Römern standsbewegung (National Resistance Move­
(Agrippa) auf das linke Rheinufer ver- ment, NRM), die 1986 die Macht über-
setzt; ihre Hauptstadt Ara Ubiorum wurde nahm, neuer Staatspräsident Y. K. Muse-
50 n. Chr. zu Ehren der Kaiserin Agrippina veni, NRM Einheitspartei; Beruhigung
in Colonia Agrippinensis (Köln) umbe­ der innenpolit. Lage durch Beteiligung der
nannt; weitere Hauptorte waren Bonn, An­ Vertreter aller polit. Richtungen an der Re-
dernach, Remagen; später gingen die U. in gierung. Ab 1993 Wiedererrichtung der
den Franken auf. fünf aufgelösten Königreiche, aber ohne
UdSSR, ↑ Sowjetunion. polit. Macht der Monarchen; die Wieder-
Uganda, Republik in O-Afrika (am Äqua- einsetzung bedeutete jedoch eine Aner-
tor, nördl. des Viktoriasees); Handelsbezie- kennung traditioneller afrikan. Strukturen
hungen bereits zw. Alt-Ägyptern und U., und brachte Museveni Ansehen beim Volk.
um 1400 n. Chr. Bildung des Staates Bug- 1995 neue Verfassung, die zwar weiterhin
anda, 1862 erste Beziehung zu Weißen, die freie Betätigung von polit. Parteien
Missionierung ab 1875; 1890 verzichtete (außer der Regierungspartei NRM) ver-
Deutschland auf seine (von Carl ↑ Pe- bot, aber dem Parlament weitere Macht-
ters erworbenen) Rechte und übertrug sie befugnisse erteilte. Trotz weiterer Stabili-
im U.-Vertrag auf Großbritannien, 1894 sierung der innenpolit. Lage und wirtsch.
wurde U. brit. Protektorat. 1962 wurde Konsoli­dierung (1998 Wachstumsrate von
U. unabhängiger Staat, 1963 Republik im knapp 6 %) bleibt U. nach wie vor hoch
Rahmen des Commonwealth. 1971 Staats- verschuldet, ein Großteil der Bevölkerung
streich der Armee gegen Präsident Obote leidet weiterhin an Armut und mangelnder
unter General Idi Amin Dada, der einen medizin. Versorgung. Norden Ugandas bis
afrikan.-nationalist. Kurs einschlug, 1972 heute Krisengebiet; immer wieder Gefechte
alle Inder mit brit. Pass auswies und alle zw. der vom Sudan unterstützten Guerilla-
brit. Unternehmen verstaatlichte. 1976 bewegung „Lord’s Resistance Army“ (LRA)
setzte I. Amin die Verfassung außer Kraft und Regierungstruppen. Im Herbst 2000
und ernannte sich zum Präsidenten auf Ausbruch des Ebola-Virus in N-Uganda.
Lebenszeit, vermochte sich jedoch wegen Im Frühjahr 2003 Waffenstillstand zwi-
wirtsch. Schwierigkeiten nur durch syste- schen LRA und Regierung, der jedoch nur
mat. Terror und Massenmord an der Macht von kurzer Dauer war.
zu halten. 1978 militär. Überfall auf Tan- Ugarit, das heutige Ras Schamara (Syrien),
sania; während der tansan. Gegenoffensive frühgeschichtliche Siedlung der ↑ Phöni-
wurde I. Amin gestürzt. 1979 proklamierte ker (Gründung im 3. Jt. v. Chr.); U. wurde
die aus Emigrantengruppen zusammenge- im 19. Jh. v. Chr. durch Erdbeben zerstört,
setzte UNLF (Uganda National Liberation Hochblüte nach dem Wiederaufbau (palast­
Front) die neue Republik. Nach den Par- artige Häuser, Tempel des Dagon und Baal,
lamentswahlen 1980 wurde der ehemalige Bibliothek), wechselnder hethitischer und
Präsident Obote neuer ugand. Regierungs- ägyptischer Einfluss; zweite Zerstörung
chef. Auch nach Vertreibung von I. Amin Ende des 12. Jh. durch die ↑ Seevölker (rei-
(er floh nach Libyen) hörten die Unruhen, che Ausgrabungsfunde seit 1929).

921
Ukraine

Ukraine (= Grenzland), Unionsrepublik stießen. Bei Parlamentswahlen 1994 und


der UdSSR (Ukrainische SSR); reicht vom 1998 die (seit 1993 wieder zugelassenen)
Kaukasus bis zu den Karpaten und vom Kommunisten stärkste Partei. 1994 Ab-
Schwarzen Meer bis zu den Pripjetsümp- kommen zw. USA, Russland und Ukraine
fen; vom 10.–12. Jh. zum ↑ Kiewer Reich über Vernichtung von Atomwaffen; 1997
gehörend, der Keimzelle Russlands; im Verständigung mit Russland über Zukunft
10. Jh. von Byzanz aus christianisiert; das der Schwarzmeerflotte und der Krim. Prä-
Reich im 13. Jh. durch den Einfall der Ta- sident Kutschma (seit 1994) wurde 1999
taren zerstört. Im 14. und 15. Jh. war die im Amt bestätigt; tiefgreifende Reformen
Ukraine mit ↑ Polen-Litauen vereinigt; ge- im ökonom. und administrativen Bereich;
gen die Tatareneinfälle Organisierung der Neuaufteilung der Kolchosebetriebe, Straf-
Kosakenwehr, die sich auch gegen die Po- fung des Regierungsapparats. 2004 demo-
len wandte; 1648–1654 unter Führung krat. Umschwung („Orangene Revolu-
des Hetmans Chmelnizki Kosakenauf- tion“), Wahlsieg V. Jewtuschenkos bei den
stand und Errichtung eines organisierten Präsidentschaftswahlen.
Kosakenstaates, der sich 1654 unter russ. Ulbricht, Walter, DDR-Politiker, 1893–
Schutz stellte; 1667 fiel der östl. Teil der 1973; organisierte nach 1945 als Vertrau-
U. an Russland, der westl. Teil an Polen, ensmann Stalins in Berlin den Wiederauf-
1708/09 Aufstand des Hetmans Mazeppa bau der KPD, 1946 führend am Zusam-
gegen die Russen niedergeschlagen; 1764 menschluss von SPD und KPD zur SED
Aufhebung der Hetmanswürde, 1772 beteiligt. 1950–1971 Erster Sekretär der
wurde auch der westl. Teil der U. rus- SED, 1949–1960 stellvertretender Minis­
sisch, 1918 Unabhängigkeitserklärung der terpräsident, 1960 bis zu seinem Tod Staats­
U. und Friedensschluss mit Deutschland, ratsvorsitzender.
Kampf gegen die Sowjets von Deutschland Ulm, Stadt in Baden-Württemberg; 854 als
unterstützt, 1922 Sowjetrepublik, 1941– königliche Pfalz (Ulma) erstmals erwähnt;
44 von Deutschen besetzt. 1945 neben erhielt zw. 1163 und 1181 Stadtrecht; im
Russland und Weißrussland Gründungs- 14. Jh. Reichsstadt und bedeutender Han-
mitglied der UN. Bis 1950 Verschleppung delsplatz; spielte eine führende Rolle in
von ca. 300 000 Ukrainern nach Sibirien den schwäbischen Städtebündnissen und
durch die kommunist. Machthaber un- im ↑ Schwäbischen Bund; seit dem 17. Jh.
ter dem Pauschalvorwurf der Kollabora- ständiger Tagungsort des Schwäb. Reichs-
tion mit den Deutschen; innenpolit. Situa­ kreises; 1616–1623 Ausbau zu einer der
tion bis in die 1980er Jahre von hartem stärksten dt. Festungen; 1802 von Bayern
Durchgreifen der sowjet. Regierung gegen besetzt; 1810 an Württemberg; im 19. Jh.
die ukrain. Opposition gekennzeichnet. Bundesfestung des Dt. Bundes. – Das U.er
1986 Störfall im Kernkraftwerk Tscherno- Münster, die größte dt. got. Pfarrkirche
byl. Seit Ende der 80er Unabhängigkeits- (Baubeginn 1377), besitzt den höchsten
bestrebungen, 1990 Ukrainisch Staatspra- Kirchturm der Welt (161 m).
che, 1991 Verbot der Kommunist. Partei Ulpianus, Domitius, röm. Rechtsgelehrter,
und Unabhängigkeitserklärung; Staatsprä- um 170–228 n. Chr.; Schüler des Papinian,
sident Krawtschuk gründete gemeinsam unter Alexander Severus Präfekt der Prätori­
mit Russland und Weißrussland die Ge- aner, von den Soldaten, denen er wegen
meinschaft Unabhängiger Staaten (GUS). seiner Strenge verhasst war, ermordet.
Durchführung von Wirtschaftsreformen, Ulrich (Udalrich), Bischof von Augsburg,
deren soziale Folgen aber auf Widerstand um 890–973, verteidigte Augsburg 955 er-
im Parlament und in der Bevölkerung folgreich gegen die Ungarn.

922
Unabhängigkeitskrieg

Ulrich, Herzog von Württemberg (1498– UN, ↑ Vereinte Nationen.


1550); geb. 1487, seine Verschwendungs- Unabhängigkeitskrieg der nordamerika-
sucht veranlasste 1514 den Aufstand des nische Kolonien gegen das britische Mut-
↑ „Armen Konrad“ im Schwäb. Jura mit terland 1775–1783; Ursachen: freiheitl.
Un­terstützung des Bürgertums; U. wurde Selbstbewusstsein der Kolonisten (bes. in
vom Schwäb. Bund 1519 vertrieben; nach den „Freibriefkolonien“ mit verbürgten
eigenen vergebl. Versuchen, sein Land zu- Privilegien), gesteigert durch ihren Bei-
rückzuerobern, 1534 von Philipp von Hes- trag zum Sieg über Frankreich im 7-jäh-
sen wieder eingesetzt; begann mit sozialen rigen Krieg (Frankreich musste 1763 Ka-
Reformen, gründete das Tübinger Stift. nada und Louisiana westl. des Mississippi
Ulster, nördlicher Teil ↑ Irlands, im 17. Jh. an England abtreten); nachdem so der mili­
mit protestant. Engländern und Schotten tär. Druck Frankreichs von den Kolonien
besiedelt; widersetzte sich dem ↑ Home- genommen war, verminderte sich das Be-
rule-Programm und den Unabhängigkeits- dürfnis nach Anlehnung an das Mutter-
bestrebungen der irischen Nationalpar- land; statt Anerkennung der neuen Sach-
tei (kurz vor Ausbruch des 1. Weltkrieges lage durch England (wo unter Georg III.
Vorbereitung der national-brit. gesinnten eine reaktionäre hochkirchl.-royalist. Strö-
„U.-Leute“ zum bewaffneten Widerstand mung bestimmend wurde) fortgesetzte
gegen Durchführung der 1912 vom brit. Verletzung der Interessen und Gefühle
Parlament beschlossenen ↑ Homerule); der Kolonisten, bes. durch wirtsch.-polit.
1921 geteilt in das bei England verbliebene Maßnahmen zugunsten des Mutterlandes
Nordirland (6 Grafschaften) und die Pro- im Geist des ↑ Merkantilismus und des mit
vinz U. des ir. Freistaates (3 Grafschaften); ihm verbundenen Kolonialsystems, das in
unentwegter Anspruch des Ir. Freistaates ↑ Kolonien nur Ausbeutungsobjekte sah
(Eire) auf Vereinigung mit ganz U., Un- und dadurch ihre wirtschaftliche Eigen-
terstützung der nat.-ir. Minderheit im brit. entwicklung drosselte; im Falle N-Ameri-
Nordirland, dessen Mehrheit (2/3) am Ver- kas: strikte Anwendung der ↑ Navigations-
bleib im Vereinigten Königreich von Groß- akte, Erhebung von Eingangszöllen (1764
britannien und N-Irland festhält. Zucker­zoll), direkte Besteuerung durch
Ultramontanismus (lat. ultra montes, jen- die Stempelakte 1765 (d. h. Steuer auf den
seits der Berge), Schlagwort des 19. Jh. (bes. ganzen Geschäftsverkehr); dagegen wach-
während des ↑ Kulturkampfes) für die Ver- sender Widerstand der Kolonisten, z. T.
bindung der dt. Katholiken mit dem röm. versteckt (Schmuggel; Betrieb verbotener
Stuhl, die mit nat. Zuverlässigkeit nicht Gewerbe); z. T. offen (1765 Stempelsteuer-
vereinbar sei; insbes. Bezeichnung für die kongress in New York); Hauptstreitpunkt:
Kulturpolitik der Zentrumspartei. Besteuerung durch das brit. Parlament,
Umbrer, altital. Volk, urspr. in Ober- und von den Kolonisten scharf abgelehnt un-
Mittelitalien, von den Etruskern auf das Ge­ ter Berufung auf die königlichen Freibriefe
biet des oberen Tiber und Apennin zurück- und (zusehends nachdrücklicher) auf das
gedrängt oder mit ihnen verschmolzen; ↑ Naturrecht und (daraus abgeleitet) die
Umbrien seit Augustus 6. Region Italiens; ↑ Volkssouveränität; Fürsprecher der Ko-
im MA zahlreiche blühende Stadtgemein- lonien in London außer ↑ Franklin der
den, die zum Kirchenstaat gehörten, 15. Jh. greise W. Pitt (d. Ä.); zunächst kein offener
in Perugia und Urbino Umbr. Maler­schule Bruch, da die Mehrheit der Kolonisten lo-
(Signorelli, Perugino, Raffael); Assisi Ge- yal brit. gesinnt war; doch nach Aufhebung
burtsort des hl. Franziskus, Ausgangspunkt der Stempelsteuer (1766) erneute Ver-
der franziskan. Reformbewegung. schärfung der Lage durch noch strengere

923
UNESCO

Anwendung der Zollgesetze, verstärkte Spanien und Holland auf Seiten der Ko-
Agitation der Radikalen, an der Spitze Sa- lonisten); erst nach schwerer militär. Krise
muel ↑ Adams; Erbitterung über die Ein- 1781 Wendung zugunsten der Amerikaner.
quartierung brit. Truppen in ↑ Boston, Der U. war mit der Kapitulation eines brit.
dem Hauptherd des Widerstandes (1768 Korps bei Yorktown entschieden; der junge
„Boston Massacre“); nach Abbau der Zoll- Staatenbund stand am Rande der Erschöp-
gesetze Streit um den auch weiterhin ge- fung und Auflösung, als 1783 im Frieden
forderten Teezoll, der zum Kampf um das von Versailles endlich die schwer erkämpfte
Prinzip wurde; Boykott brit. Waren, Un- Unabhängigkeit (70 000 Tote bei 3 Mio.
terstützung des aufsässigen Massachusetts Einwohnern) anerkannt wurde.
durch Virginia, Bildung von „Korrespon- UNESCO (United Nations Educational Sci-
denzausschüssen“ zwecks gemeinsamen entific and Cultural Organization), Sonder­
Widerstands; 1773 „Bostoner Teesturm“ organisation der UN für Erziehung, Wis-
(Versenkung einer Schiffsladung von zoll- senschaft und Kultur; gegr. 1945, 191 Mit-
frei, d. h. zum Schaden der Zoll zahlenden gliedsstaaten; Gliederung in Generalkon-
amerik. Kaufleute eingeführtem Tee der ferenz und Exekutivrat, Geschäftsführung
brit. Ostindienkompanie); Militärdikta- durch Generalsekretariat (Paris); Haupt-
tur des brit. Gouverneurs General Gage in arbeitsgebiete: Erziehung, Sozialwissen-
Massachusetts; dagegen Einberufung eines schaften, Naturwissenschaft, internationa­le
revolutionären Provinzkonvents, Aufstel- kulturelle Zusammenarbeit und Informati-
lung von Milizen, 1774 Zusammentritt onswesen (Presse, Rundfunk, Film, Fernse-
des 1. Kontinentalkongresses in Philadel- hen), Schutz des Weltkulturerbes und Be-
phia (= Nationalversammlung). Bei der kämpfung des Analphabetentums in den
Unnachgiebigkeit Englands und nach dem Entwicklungsländern.
ersten blutigen Zusammenstoß zw. Kolo- Ungarn (ungar. Magyarország, Magyaren-
nialmiliz und brit. Truppen bei Lexington land), ehemals Königreich an der mittleren
1775 Ausbruch des offenen Konfliktes; of- Donau; Ende des 9. Jh. Einwanderung der
fizielle Kriegserklärung Englands beant- ↑ Magyaren unter den Fürsten Arpád, 975
wortet mit der Unabhängigkeitserklärung Beginn der Christianisierung und Sesshaft-
der (zunächst 13) Vereinigten Staaten von machung unter Fürst Géza, abgeschlossen
Amerika 1776; propagandist. vorbereitet unter seinem Sohn Stephan dem Heiligen
durch die berühmte Flugschrift „Common 997–1038 (Stephanskrone durch Papst
sense“ (Gesunder Menschenverstand) des Silvester II. verliehen, Gründung des Erz-
Thomas Paine, ausgearbeitet von Thomas bistums Gran); 1044–1076 in Lehensab-
Jefferson, abgeleitet aus dem Naturrecht hängigkeit vom Dt. Reich. Unter Ladislaus
und der europ. Lehre vom Gesellschafts- dem Heiligen und Koloman I. Ausdeh-
vertrag, bes. von ↑ Locke, verbunden mit nung auf Kroatien, Dalmatien, N-Balkan
der Erklärung der ↑ Menschenrechte. Be- bis zur Donaumündung (byzantin. Kul-
hauptung der Unabhängigkeit gegen die tureinflüsse); unter Bela III. (1173–1196)
überlegene brit. Armee und Flotte war das Ansiedlung von Deutschen („Sachsen“) in
Verdienst ↑ Washingtons, des Schöpfers der Siebenbürgen, Städtegründungen und zeit-
amerik. Nationalarmee (aus Milizen), an weilige Eroberung von Galizien; 1222 ver-
dessen Seite sich bes. der Deutsche Steuben sah die Goldene Bulle von König Andre-
und der Franzose Lafayette auszeichneten, as II. die Geistlichkeit und den hohen Adel
und ↑ Franklins, der nach der Kapitulation mit Freiheitsprivilegien (damit Machtstei-
einer brit. Armee bei Saratoga das Bünd- gerung der Magnaten); unter der Herr-
nis mit Frankreich zustande brachte (auch schaft der Anjou (1308–1382) Stärkung

924
Ungarn

der Königsgewalt durch Privilegien an nie- dt. Niederlage abzeichnete, Verhandlung


deren Adel und Bürgertum, Errichtung von U.s mit den Alliierten, Besetzung durch dt.
Militärprovinzen gegen die Türkengefahr; Truppen im Handstreich; nach Bedrohung
nach einer Zeit wirtsch. und kultureller der ungar. Flanke durch den Abfall Rumä-
Blüte (Matthias I. Corvinus 1458–1490) niens Abschluss eines Vor-Waffenstillstands
verlor König Ludwig bei Mohács 1526 Horthys mit Moskau, der jedoch unter dt.
die Schlacht gegen die Türken (Beginn der Drohung widerrufen wurde; Einsetzung
150-jährigen Türkenherrschaft). Mit der einer faschist. Regierung, die sich dem dt.
Wahl Ferdinands von Österreich (des Bru- Rückzug aus U. anschloss; die Gegenre-
ders Karl V.) zu Ludwigs Nachfolger wurde gierung erreichte den Waffenstillstand mit
Habsburg in die ↑ Türkenkriege verwickelt; der UdSSR; 1946 wurde das „Königreich
1687 auf dem Reichstag von Preßburg An- U.“ zur Republik erklärt (2. Republik);
erkennung des Königtums der Habsbur- 1947 Friedensvertrag, der die Grenzen
ger (Erbfolge nach sal. Recht); 1699 im von 1938 (vor den Wiener Schiedssprü-
Frieden von Karlowitz wurde ganz U. ein- chen) wiederherstellte; 1948 Bündnisver-
schließlich Siebenbürgens von der Türken- trag mit der UdSSR, 1949 Umwandlung
herrschaft befreit (Beginn der österr.-un- U.s in eine „Volksrepublik“ mit kommuni-
gar. Doppelmonarchie); Besiedlung der stischer Verfassung, weitgehende Verstaat-
entvölkerten Landstriche bes. mit Deut- lichung der Betriebe, der Großbanken und
schen (Banat, Batschka); unter Joseph II. des Schulsystems; 1955 Beitritt zur UN;
1781 Aufhebung der Leibeigenschaft und 23. Okt. 1956 Volkserhebung gegen die
Religionsfreiheit, 1848/49 blutiger Frei- stalinist. Bürokratie, trotz Eingreifens der
heitskampf unter dem Reichsverweser Kos- Roten Armee anfangs erfolgreich, bes. in
suth (von Österreich mit russ. Hilfe unter­ W-Ungarn: Die neue Regierung erklärte
drückt); 1918 nach Zerschlagung des ös- U. zum neutralen Land. Austritt aus dem
terr.-ungar. Reiches Bildung der ungar. Re- Warschauer Pakt; nach Einsatz überle-
publik durch Graf Michael Károli (Rück- gener sowjetischer Truppen Zusammen-
tritt Kaiser Karls I.); 1919 Unterdrückung bruch des Aufstands und Massenflucht in
der Räterepublik Bela Kuns durch die natio­ den Westen (170 000 Flüchtlinge), Hin-
nalen Truppen ↑ Horthys mit Unterstüt- richtung der Aufstandsführer, Eingreifen
zung Rumäniens; die Wiedereinsetzung der UN zurückgewiesen. J. Kádár bildete
der Habsburger scheiterte am Einspruch eine von der Sowjetunion geförderte Re-
des Obersten Rates der Alliierten. 1920 gierung, mit sowjet. Hilfe wirtsch. Erho-
im Frieden von Trianon Verlust großer lung und zaghafte Liberalisierung. Nach
Gebiete an Jugoslawien, Slowakei, Rumä- Abschluss der KSZE (1975) versuchte U.
nien, Österreich (es gingen 71 % des alten der Schlussakte durch Ausbau der Bezie-
Staatsgebietes und 60 % der Bevölkerung hungen zu den Nachbarstaaten (u. a. Ös-
verloren), Admiral Horthy wurde Staats- terreich) gerecht zu werden. Anfang 1978
verweser; 1938–1941 im Zuge des ungar. wurde in U. die „Betriebsdemokratie“ ein-
„Revisionismus“ Besetzung ehemals ungar. geführt, die für die Beschäftigten Mitbe-
Gebiete in der Slowakei, in Rumänien und stimmungsrechte vorsah; in den 80er Jah-
Jugoslawien mit diplomat. Unterstützung ren wurde wirtsch. Privatini­tiative staatl.
Hitler-Deutschlands (1938 Erster, 1939 gefördert und der Rückzug von Partei und
Zweiter Wiener Schiedsspruch); 1940 Regierung aus den Industriebetrieben for-
Beitritt U.s zum Dreimächtepakt; 1941 ciert. Mai 1988 Rücktritt des Vorsitzen-
Kriegseintritt an der Seite Deutschlands den der USPD (Ungarische Sozialistische
gegen die Sowjetunion; 1944, als sich die Arbeiterpartei), J. Kádár; die Partei- und

925
Union, Evangelische

Staatsführung leitete eine grundlegende zu einem Dt. Reich unter preuß. Führung
Umgestaltung des polit. und wirtsch. Sys­ zusammenzuschließen; die U., ein Bund
tems ein; neben den Wirtschaftsreformen, nord- und mitteldt. Staaten, berief das Er-
die eine sozialist. Marktwirtschaft mit furter Parlament; durch den Vertrag von
verschiedenen Eigentumsformen anstre- ↑ Olmütz Auflösung unter dem Druck Ös-
ben, standen dabei die Einführung eines terreichs und Russlands.
Mehrparteiensystems und eines demokrat. Union, Protestantische, 1608 Zusammen­
Rechtsstaates im Vordergrund; Opfer sta- schluss der meisten protestantischen Reichs-
linist. Politik (wie Imre Nagy) wurden re- stände unter Führung von ↑ Friedrich IV.
habilitiert, Trennung von Staat und Partei von der Pfalz, bestand bis 1621; gegen die
festgeschrieben. Im Sommer 1989 (mit Union wurde die Kath. ↑ Liga gegründet.
stiller Unterstützung der ungar. Regierung) Union von Kalmar, ↑ Kalmar. Union.
Massenflucht von DDR-Bürgern über die Unitarismus, polit. Richtung in einem aus
„grüne Grenze“ zw. U. und Österreich. Im mehreren Gliedstaaten bestehenden Staat
selben Jahr Auflösung der Einheitspartei mit dem Ziel, die Selbstverwaltung der
USAP, im Okt. wurde aus der Volksrepu- Einzelstaaten weitgehend zurückzudrän-
blik die „Republik Ungarn“. Bei den ersten gen unter gleichzeitiger Stärkung der Zen-
freien Parlamentswahlen 1990 Sieg des tralgewalt (↑ Zentralismus; Gegensatz Fö-
1987 gegr. „Ungar. Demokrat. Forums“; deralismus).
in den 90er Jahren Übergang zur freien Universalienstreit, im 12. 14. Jh. erkennt-
Marktwirtschaft, außenpolit. Anschluss nistheoret. Streit der Scholastiker (↑ Scho-
an den Westen. Fortsetzung der Liberali- lastik) um die Frage, ob die Universalien
sierung und Demokratisierung auch 1994 (Allgemeinbegriffe, wie Plato und nach ihm
nach Wahlsieg der „Ungar. Sozialist. Par- Augustus lehrten) reale Wirklichkeit besit-
tei“ (MSZP) mit Ministerpräsident Gyula zen oder nicht; nach den ↑ Realisten waren
Horn. Mai 1998 neue Regierungskoalition die Universalien göttliche Ideen vor den
unter Viktor Orbán. 1996 Abschluss eines Dingen, nach den ↑ Nominalisten bloße
Grundlagenvetrags mit dem Nachbarland Denkbegriffe; in seiner Weiterentwicklung
Rumänien, der die seit Ende des 1. Welt- förderte der Nominalismus seit dem 16. Jh.
kriegs schwelenden Grenzstreitigkeiten be­ den Empirismus der Naturwissenschaften,
endete. 1999 NATO-Beitritt. 2002 Mitte- den geisteswiss. Individualismus und den
Links-Koalition unter Peter Medgyessy Verfall der Reichs- und Kirchenidee.
(MSZP). Mai 2004 Beitritt zur EU. Universität (lat. universitas, die Gesamt-
Union, Evangelische, Vereinigung der heit, das Ganze), Bildungsstätte, die univer­
Lutheraner und Reformierten in Preu- sal ist, d. h. Lehrende und Lernende zur
ßen 1817 anlässl. des 300. Jahrestags des geis­tigen Gemeinschaft zusam­menfasst; im
Thesenanschlags in Wittenberg; Plan zur weiteren Sinne Lehr- und For­schungsstätte,
U. von Friedrich Wilhelm III. ausgehend die alle Wissenschaften um­fasst. Klassisches
(Aufruf an die Konsistorien, Synoden, Ge- Vorbild im Sinne von Lehr- und Lernge-
neralsuperintendenten); Annahme durch meinschaft sind die Philosophenschulen
die Berliner Synode unter Schleiermacher, des späten Altertums und die großen arab.
durch Baden, Anhalt, Waldeck, Hessen- Lehranstalten (Medressen); Grundlage der
Darmstadt, Nassau, Pfalz, Kurhessen; in Kloster- und Kathedralschulen seit dem 8.
Preußen Altpreuß. U. und 9. Jh., die als Scholae publicae auch
Union, Preußische, 1850 Versuch Fried- von auswärtigen Schülern besucht wurden.
rich Wilhelms IV. von Preußen, die deut- Erste U.en bestanden jedoch nur mit ei-
schen Staaten unter Ausschluss Österreichs ner oder einigen Fakultäten, im 12. Jh. in

926
Ur

Italien: Rechtsschule zu Bologna, medizin. selbst erfolgte jedoch von Anfang an durch
U. in Salerno (teilweise mit arab. Lehrern). Landesfürsten oder Städte (1810 wurde die
In Montpellier entstand 1220 eine medi- U. Berlin ohne kaiserliches Privileg errich-
zin. Fakultät, der 1230 eine jurist. Fakul- tet). In der Neuzeit entstanden Staats-U.en
tät angeschlossen wurde; die U. zu Paris mit Teilselbstverwaltung und Hochschulen
(seit dem 12. Jh.) wurde auf dem Gebiet mit besonderen, von der „universitas“ ab-
der Theologie und Philosophie führend; sie getrennten Fachaufgaben. Um 1500 gab es
war Vorbild für fast alle abendländ. Uni- in Deutschland rd. 3 000–3 500 Studen­ten.
versitäten, die sich im Laufe der Zeit eigene Anfang des 17. Jh. etwa 7 000–8 000, um
Satzungen, Selbstverwaltung, Gerichtsbar- 1800 etwa 8 000, 1914 32 000, 1973 im
keit, Abgabenfreiheit und geldliche Zuwei- Bundesgebiet einschließl. Berlin 421 976,
sungen sicherten. 1229 wurde in Oxford 1977 914 000, 1988 1,4 Mio.
die älteste engl. U. gegr., die erste dt. U. UNO, UN, ↑ Vereinte Nationen.
entstand 1348 in Prag; die U. Wien wurde Unterhaus, allgemein Bez. für die 2. Kam-
1365 gegr., Heidelberg 1386, Köln 1388, mer eines aus zwei Kammern bestehenden
Erfurt 1392, Leipzig 1409, Rostock 1419, Parlaments (z. B. Indien, Japan, Kanada);
Greifswald 1456; weitere U.en erhielten im dt. Sprachgebrauch übliche Bez. für das
Freiburg, Basel, Ingolstadt, Trier, Mainz, House of Commons im brit. Parlament; die
Tübingen, Wittenberg, Frankfurt/Oder Commons, Abgesandte aus Grafschaften
und andere Städte; älteste U. der USA ist und Städten, nahmen erstmals 1265 zus.
die 1638 gegr. Harvard-U. in Cambridge. mit den Baronen an dem von Simon de
Die „Universitas magistorum et schola- Montfort einberufenen Parlament teil, im
rium“ des MA verband Lehrende und Ler- 16. Jh. erfolgte die offizielle Trennung von
nende nach sog. Nationen (zuerst in Paris House of Commons und House of Lords,
1249 vier Nationen amtlich anerkannt), der 1. Kammer; erst seit Einführung des
deren Vorsteher den Rektor wählten; spä- allg. Wahlrechts 1918 repräsentiert das U.
ter traten die Nationen zurück gegenüber die brit. Bevölkerung.
den urspr. zunftartig gebildeten Fakultäten Unterwalden nid dem Wald, (Nidwal-
(zuerst Theologie, Rechtswissenschaft, Me- den), Halbkanton in der Zentralschweiz;
dizin, später Philosophie als Vorstudium 1309 erlangte ganz Unterwalden (Nidwal-
für die höheren Fachwissenschaften) mit den und Obwalden) die Reichsunmittelbar­
dem Recht zum Verleihen akadem. Grade keit, beide Teile aber waren eigenständige
(älteste Hauptgrade: Baccalaureus, Lizen- polit. Einheiten; während der Reformation
tiat, Magister); Unterrichtssprache war La- waren beide Länder auf Seiten der alten
tein, die Umgangssprache der Gebildeten Kirche; 1803 wurden Nidwalden und Ob-
in ganz Europa, die Form des Unterrichts walden gleichberechtigte Halbkantone und
bestand in Vorlesung und Disputation; der erhielten 1850 neue Verfassungen.
urspr. Vorrang der Theologie trat nach und Unze, antikes Maß und Gewicht sowie
nach mit dem Aufkommen der „Univer- Münzeinheit im alten Rom, im griech.
sitas litterarum“ als zusammenfassendem Sizilien und in Unteritalien; im MA und
System für alle Wissenschaftszweige zu- in der frühen Neuzeit entsprach die U.
rück. Die Studenten wohnten in geistli­ 1/12 Pfund bzw. 1/8 Gewichtsmark.
chen Kollegien oder in „Bursen“ (woraus Ur, in Südmesopotamien (heute Muqaj-
später das Wort „Burschen“ für Studenten jar), bedeutendste Stadt der Sumerer, seit
entstand); bis zum 15. Jh. war zur Grün- dem 3. Jt. v. Chr., im Tiefland der Euphrat-
dung von U.en ein kaiserliches oder päpst- mündung, die damals weiter landein lag; in
liches Privileg notwendig, die Gründung insges. 16 Kulturschichten verschüttet und

927
Urban

umfassend freigelegt; Blütezeit des Stadt- betrieb im 30-jährigen Krieg vergeblich


staates Mitte des 3. Jt., machtvolle Tempel die Aussöhnung der Bourbonen mit Habs-
(Riesen-Zikkurat der Könige Ur-Nammu burg; unter ihm Beginn des Baus der Kolon­
und Schulgi); Tempel des Mond- und naden des Petersplatzes und erste Auseinan­
Muttergottes, reich entwickeltes Kunst- dersetzung der Kirche mit der modernen
schaffens Bewässerungsanlagen; die Macht Wissenschaft (Galilei-Prozess).
der Könige von Ur, die zeitweise ganz Su- Urchristentum (Urkirche), allg. Bezeich-
mer und später auch Akkad beherrschten, nung für die ersten christlichen Gemein-
kommt zum Ausdruck in den Grabbauten den nach dem Tod Jesu (etwa im Jahr 30);
mit Massenfunden von Skeletten, die auf entstanden in Jerusalem bzw. Palästina,
den freiwilligen Tod zahlreicher Hofleute später auch im syr. Raum, in vielen Städ-
beim Ableben der Könige hindeuten; Ur ten Kleinasiens und Griechenlands und in
war nach der Bibel Heimat Abrahams. Rom; das U. wurde von der sog. Altkirch-
Urban, Päpste: 1) U. II. (1088–1099); lichen Epoche abgelöst (wahrscheinlich
Franzose, Cluniazenser, Mitarbeiter Gre- etwa im Jahre 100).
gors VII.; zum Ausgleich mit Heinrich IV. Urfehde (ur = aus), Beendigung einer
bereit, durch die Einsetzung eines Gegen- Feh­de mit dem Gelöbnis, künftig Frieden
papstes (Klemens III.) jedoch in schroffen zu wahren, auch das eidliche Versprechen,
Gegensatz gedrängt; rief das Abendland nach Haft, Folter usw. keine Vergeltung
zum 1. Kreuzzug auf; Verkündung des zu üben; die bindende Zusage, ein Land,
Gottesfriedens als allg. Kirchengesetz; nach aus dem man ausgewiesen ist, nicht wie-
der Befreiung Siziliens durch Graf Roger der zu betreten; der Eid eines freigelasse-
von Sizilien Organisation der sizilian. Kir- nen Kriegsgefangenen, nicht mehr auf der
che. 2) U. V. (1362–1370); Papst in Avig­ Gegenseite zu kämpfen.
non, Benediktiner, kehrte auf Drängen Pe- Uri, einer der drei schweizerischen Urkan-
trarcas und Karls IV. 1367 nach Rom zu- tone, 853 durch Ludwig den Deutschen
rück und krönte den Kaiser; verließ 1370 dem Frauenkloster zu Zürich geschenkt,
Rom wegen der Zerrüttung des Kirchen- 1231 Reichsunmittelbarkeit, 1291 „Ewi-
staates und der Parteikämpfe; erfolgloser ger Bund“ mit Schwyz und Unterwalden
Kreuzzug. 3) U. VI. (1378–89); Erzbi- (↑ Schweiz).
schof von Bari, letzter Papst, der vor sei- Urkantone, die ersten drei Kantone der
ner Wahl nicht dem Kardinalkollegium Schweizer Eidgenossenschaft: Uri, Schwyz
angehört hatte; lehnte die Rückkehr nach und Unterwalden, die 1291 den „Ewigen
Avignon ab; eine Gruppe frz. Kardinäle er- Bund“ (Begründung der selbständigen
klärte seine Wahl zum Papst für ungültig ↑ Schweiz) schlossen.
und wählte Klemens VII.: Beginn des von Urkundenlehre (Diplomatik), historische
1378–1419 währenden großen abendländ. Hilfs­wissenschaft zur krit. Bestimmung des
↑ Schismas; der Gegenpapst residierte in Wertes von Urkunden als histor. Zeugnisse
Avignon und baute hier eine zweite Kurie (Überprüfung auf Echtheit); J. Mabillon
auf; Kirchenstaat, Oberitalien und Kaiser, begründete 1681 die U. („De re diploma-
England, der Osten und Norden auf Sei- tica“), in Deutschland erlangte sie Ansehen
ten U.s; gegenseitige Bannung der beiden durch das wiss. Programm der ↑ „Monu-
Päpste, Entzweiung des Abendlandes nach menta Germaniae historicaa.
roman. und german. Ländern. 4) U. VIII. Urnenfelderkultur, für die europ. Früh-
(1623–1644); Kardinal Barbe­rini; nach geschichte folgenreiche Kulturerscheinung
Übernahme des erledigten Lehens Urbino und Völkerbewegung der mittleren Bronze­
größte Ausdehnung des Kirchenstaates; zeit, vielleicht unter dem Antrieb der

928
Uruguay

↑ Indogermanen; sie ging seit ca. 1300 v. Chr. Ziernadeln; Fernhandel bestand mit Bron-
von der zu dicht besiedelten Nieder-Lausitz zewaren bes. der Ostalpen und mit blauen
aus, erfasste bald andere Völker und war zu- Glasperlen, vereinzelt war auch schon das
erst als ↑ Lausitzer Kultur ausgeprägt. Cha- Eisen bekannt. Der Druck der Urnen-
rakterist. ist die Verbrennung der Toten im felderbewegung im Balkanraum löste evtl.
„heiligen Feuer“ (um der Seele den Weg die Wanderung der ↑ Dorer nach Süden
ins Jenseits zu erleichtern?, um ihre Wieder­ aus und gab vermutl. auch den Anstoß zur
kehr zu verhindern?); Leichenverbrennung Unruhe der ↑ Seevölker im Ostmittelmeer-
ist zwar schon für das ↑ Neolithikum nach- raum. Aus der U. erwuchs die frühe ↑ Hall-
gewiesen, wurde aber jetzt zur Bestattungs- stattkultur (Ältere Eisenzeit).
art in ganz Europa; Beisetzung der Asche Uruguay, südamerik. Republik am Atlant.
und Überreste in Urnen, unter Entfaltung Ozean; seit 1516 span. Besitzung; Besied-
bestimmter, regional verschiedener Ver- lung erst im 17. Jh., gleichzeitig von Bue-
brennungszeremonien, Grabbeigaben in, nos Aires (Spanier) und von Portugal aus
über oder um die Urnen, Anlage ausge- (span.-portug. Kämpfe um den Besitz von
dehnter Urnenfriedhöfe. Innerhalb kurzer U.); 1724 Gründung Montevideos durch
Zeit Ausbreitung der Brandbestattung der Spanien; 1821 von Brasilien annektiert,
Lausitzer Kultur (seit ca. 1300 v. Chr.) auf mit argentinischer Hilfe 1825 Erringung
krieger. Wanderzügen oder durch Nach- der Selbständigkeit, erster Präsident Rivera;
ahmung über O-Deutschland, W-Polen, jahrzehntelange Bürgerkriege. Neue Ver-
Böhmen, Mähren, an der Elbe entlang bis fassung 1919 und 1951, seit 1945 Mitglied
N-Deutschland, Dänemark, S-Schweden; der UN. 1973 führte Präsident Bordaberry
innerhalb von 100 Jahren weitere Ausdeh- mithilfe des Militärs einen Staatsstreich
nung über ganz Mittel-, S- und SO-Europa durch und ließ die Verfassung suspendie-
(bis in den Balkan, Italien, N-Spanien), ren. 1976 wurde Bordaberry gestürzt; sein
im Westen bis S-England, z. T. unter Ver- Nachfolger A. Mendez stellte für 1981 freie
mischung mit anderen Kulturelementen. Wahlen in Aussicht; die dazu ausgearbei-
Jetzt als gesamteurop. Erscheinung Urnen- tete neue Verfassung wurde jedoch Ende
felderkultur genannt; die Zunahme von 1980 in einer Volksabstimmung abgelehnt.
Wehranlagen in den von dieser Völkerbe- Neuer Präsident ab Aug. 1981 Generalleut-
wegung und Kultur erfassten Gebieten be- nant G. Alvarez; 1984 Aufhebung des Ver-
weist, dass die Ausbreitung der U. in Eu- botes linker Parteien und allg. Wahlen, die
ropa nicht friedlich vor sich gegangen ist; J. M. Sanguinetti zum neuen Präsidenten
trotzdem starke Belebung des Kunstschaf- bestimmten; trotz hoher Auslandsverschul-
fens in den Bronze- und Töpferwerkstät- dung und Inflationsrate rascher wirtschaftl.
ten: Die Keramik der U. kenntl. an den Aufschwung. 1993 Währungsreform, Ein-
Buckelverzierungen der Gefäßwände (Bu- führung des „Peso Uruguay“ 1995 ge-
ckelkeramik), später an dem gradlinigen meinsam mit Argentinien, Brasilien und
Rillenornament; für das Bronzegerät der Paraguay Gründung des „Gemeinsamen
U. sind charakterist. Schwerter mit Griffen Marktes des südlichen Teils Südamerikas“
aus Bronzewülsten oder mit beidseitigen (Mercado Común del Cono Sur, Merco­
Griffauflagen, mit Bronze beschlagene sur), der die wirtschaftliche Zusammenar-
Rundschilde, birnenförmige Lanzenspit- beit der Länder verbessern sollte. Weitere
zen, reich und meisterhaft ornamentierte Wirtschafts- und Sozialreformen, u. a. Mo-
Bronzehelme, -henkelschalen und -henkel- dernisierung der Staatsbetriebe und Ren-
eimer; die U. kannte noch keine Schmuck- tenreform. Im Okt. 1999 Wahlsieg des
fibeln, man verwandte große bronzene Linken Bündnisses Encuentro Progresista

929
Uruk

(Frente Amplio), bei den Präsidentschafts- Mittelmeerküste in der Nähe des späte­
wahlen aber Sieg des Vertreters der Colo- ren Karthago, gegr. nach 1000 v. Chr.; im
rado-Partei, Jorge Luis Ibáñez. Aufgrund 2. Pun. Krieg mit Karthago verbündet,
der schlechten wirtsch. Lage in Süd­amerika vergeblich von Scipio belagert; im 3. Pun.
auch in U. Finanzkrise. Krieg auf Seiten Roms und nach dem
Uruk (biblisch Erech, heute Warka), eine Ende des Krieges durch Übernahme von
der frühesten bekannten Städte der Welt Landbesitz des 146 zerstörten Karthago
(vor 4000 v. Chr.) mit 9,5 km langer Mauer, Hauptstadt der neu errichteten römischen
Hoch- und Tieftempeln; die Bevölkerung Provinz Africa; blühende Handelsstadt, in
lebte in einer vom Stadtstaat regulierten frühchristl. Zeit Bischofssitz; im 7. Jh. von
sozialist. Wirtschaftsordnung (↑ Sumer). den Arabern zerstört.
USA, Abkürzung für United States of Ame- Utopisten, nach Thomas Morus’ „Utopia“
rica, ↑ Vereinigte Staaten von Amerika. die Verfasser oder Verkünder von Weltver-
Ustascha (kroat. Ustaša, Aufständischer, besserungsplänen; ihre frei konstruierten
Empörer), 1929 von dem Rechtsanwalt idealen Staats- und Gesellschaftsformen
↑ Pavelic gegen die „Königsdiktatur“ Ale- sind „nirgendwo“ verwirklicht, enthalten
xanders I. (↑ Jugoslawien) und den Bel- aber oft im epischen (tarnenden) Gewand
grader Zentralismus nach dem Vorbild die polit. oder sozialrevolutionären Ideen
balkan. Verschwörergruppen gegr. autono- und Zielsetzungen eines Einzelnen, eines
mist. kroat. Bewegung mit faschist. Cha- Zeitalters, einer Gruppe (↑ Morus, ↑ Ba-
rakter. Die U. strebte mit materieller Un- con, ↑ Campanella).
terstützung durch das faschist. Italien und Utrechter Friede, 1713, beendete den
den Mitteln des Bombenterrors (Okt. 1934 ↑ Span. Erbfolgekrieg zw. Frankreich und
Ermordung Alexanders I. in Marseille) und den Seemächten, anerkannt von Kaiser und
gewaltsamen Umsturzes die völlige staatl. Reich in den Friedensschlüssen von Rastatt
Unabhängigkeit Kroatiens von Jugoslawien und Baden (Schweiz) 1714; Spanien wurde
an. Im „Unabhängigen Staat Kroatien“ den Bourbonen zuerkannt (doch unter
(1941–44) zur Macht gelangt, richtete sich Verzicht auf Zusammenschluss mit Frank-
die blutige Unterdrückungspolitik des fa- reich unter einem Herrscher), die span.
schist. und antisemit. U.-Regimes mithilfe Nebenlande (Niederlande, Mailand, Sardi-
von eigenen U.-Bataillonen, KZ und Mas- nien, Neapel) fielen an Österreich. Haupt-
senhinrichtungen gegen orthodoxe Serben, gewinner war England, das von Frankreich
Juden, Moslems und jugoslaw. Partisanen. Neufundland, Neuschottland und die Be-
Während Pavelic 1945 über Österreich sitzungen an der Hudson-Bay, von Spanien
und Italien nach Argentinien emigrierte Gibraltar und Menorca erhielt.
und dort 1949 eine U.-Exilreg. gründete, Utrechter Union, unter Philipp II. 1579
wurde ein großer Teil seiner Anhänger nach dem Zusammenschluss der römisch-
nach Auslieferung durch die Engländer an kath. Provinzen der Niederlande (Artois,
die Partisanen ↑ Titos 1945 getötet. Hennegau, Welschflandern) gegründeter
U Thant, Sithu, burman. Politiker, 1909– Bund der nördl., meist protestant. Provin-
1974; 1962–1970 Generalsekretär der Ver- zen zur gemeinschaftlichen Verteidigung
einten Nationen. T. bemühte sich um Ver- gegen Spanien und jede andere Macht;
mittlung und Ausgleich, es gelang ihm aber Spaltung der Niederlande, Stiftung der
nicht, mithilfe der Vereinten Nationen die Republik der Vereinigten Provinzen; feier-
entscheidenden Konflikte zu lösen. liche Lossagung von Spanien 1581.
Utica, wahrscheinl. älteste Handels­nieder­
lassung der Phöniker an der nord­afrikan.

930
Valdes

Valdes, Petrus, ↑ Waldenser. Kämpfe gegen Einfälle der Germanen in

V Valens, Flavius, röm.Kaiser,


328–378; nach der Erhebung
durch seinen Bruder Valenti­
nian I. 364 Kaiser im östlichen Reichsteil;
Gallien und an der Donau; anfangs den
Christen freundlich gesinnt, forderte V.
257 unter Strafe der Verbannung Anerken-
nung der röm. Staatsreligion und verbot
führte 366/67–369 erfolgreich Krieg gegen den christl. Gottesdienst; in einem zweiten
die Westgoten; fiel 378 in der Schlacht von Edikt verhängte er über die Priester sofor-
Adrianopel. tige Todesstrafe, strafte christl. Hofbeamte
Valentinian, röm. Kaiser: 1) V. I. (Flavius durch Gütereinzug und Degradierung
Valentinianus, 364–375); geb. 321 n. Chr., (u. a. Hinrichtung des Papstes Sixtus II.,
vom Heer ausgerufen, teilte sich mit sei- des Diakons Laurentius und des Bischofs
nem Bruder ↑ Valens die Herrschaft über Cyprian von Karthago); wurde auf einem
das Imperium und verwaltete das W-Reich, Feldzug gegen die Perser 260 gefangen und
bestrebt, den Bestand des Imperiums ge- starb in der Gefangenschaft.
gen die Germanen an Rhein und Donau Valla, Laurentius, ital. Humanist., um
durch riesige Befestigungsanlagen zu si- 1405–1457; päpstl. Sekretär, 1450 Lehrer
chern; V. starb infolge eines Schlaganfalls der Rhetorik an der röm. Universität, über-
während einer Verhandlung mit german. setzte den Thukydides und Herodot, bahn-
Unterhändlern. 2) V. III. (Flavius Placi- brechend in der histor. Textkritik und der
dus Valentinianus 425–455 n. Chr.); geb. krit. Bibelforschung; deckte die Fälschung
419, Kaiser des W-Reiches, ließ 454 den der ↑ „Konstantin. Schenkung“ und des
röm. Heerführer ↑ Aetius ermorden und „Briefwechsels“ Senecas mit dem Apostel
beraubte damit das Reich seines fähigsten Paulus auf.
Feldherrn, konnte die Eroberung Afrikas Valmy, Dorf im frz. Dep. Marne; 1792 im
durch die Vandalen sowie die Besetzung 1. ↑ Koalitionskrieg ergebnislose Kanona­de
Britanniens durch die Sachsen nicht ver- von V. durch die Preußen, deren Rückzug
hindern und duldete es tatenlos, dass die unter dem Herzog von Braunschweig; dem
Hunnenschwärme Europa heimsuchten. Gefecht wohnte auch Goethe als Kriegsbe-
Valera, Eamon de, Republikaner und Füh- richterstatter des Herzogs Karl August von
rer der irischen Unabhängigkeitsbewegung, Weimar bei.
1882–1975; wegen seiner Teilnahme am Valois, frz. Herrschergeschlecht, Seiten­
Dubliner Osteraufstand 1916 zum Tode linie der ↑ Capetinger, nach der Landschaft
verurteilt, 1917 begnadigt, kämpfte an der Valois bei Compiegne benannt; Stammva-
Spitze der ↑ Sinn Fein für die Trennung Ir- ter Karl von Valois (gest. 1325), der Bruder
lands von England, leitete die radi­kale IRA Philipps des Schönen; das Haus V. regierte
(Ir. Republikan. Armee) in den Bürgerkrie­ in Frankreich 1328–1498, in einer Neben-
gen (↑ Irland); nach dem Wahlsieg seiner linie bis 1589; von den V. stammten die
Partei „Hanna Fail“ (Soldaten Irlands) Herzöge von Burgund (bis 1477) ab.
1932–1948 Regierungschef, erzielte V. Vandalen, neben den Goten das bedeu-
eine gewisse Verständigung mit England, tendste ostgerman. Volk; seit dem 2. Jh.
wahrte im 2. Weltkrieg beharrlich Neutrali- in N-Jütland an der N-Spitze Dänemarks
tät, trat 1948 nach Wahlniederlage zurück, nachweisbar, Urheimat jedoch unbekannt
1951–54 und 1957–59 Ministerpräsi­dent; (in Jütland Ackerbau und Viehzucht, Erd-
1959–73 Staatspräsident. wandhäuser, Totenverbrennung und Be-
Valerian, (Publius Licinius Valerianus), rö- stattung in Brandgrubengräbern); Über-
mischer Kaiser (253–260 n. Chr.); machte völkerung, evtl. auch Naturkatastrophen
seinen Sohn Gallienus zum Mitregenten; brachten sie um 120 v. Chr. mit anderen

931
Vargas

aus S-Norwegen herüberkommenden ver- Vargas, Getulio, brasilian. Politiker, 1883–


wandten Germanenstämmen in Bewe- 1954; 1930–45 und 1951–54 Präsident
gung, Seewanderung zur Odermündung Brasiliens, 1934 Verfassung mit Beschrän-
und Landfahrt die Oder aufwärts; Sied- kung der demokrat. Kontrolle. 1937 auto-
lung in zwei Gruppen: W-Stämme (si- ritäre Verfassung (Präsident ohne Begren-
ling.-schles. V.) zw. Oder und Weichsel zung der Amtszeit); im 1. und 2. Weltkrieg
mit Kerngebiet in Schlesien; O-Stämme aktive Unterstützung der Alliierten durch
(hasding. V.) in Polen, Masuren-Weichsel- Militärhilfe, 1945 gestürzt; 1951 erneut
gebiet; unter dem Druck nachdrängender Präsident, 1954 Selbstmord.
Germanenvölker wichen die hasding. V. Varro, 1) V., Marcus Terentius, römischer
über die Karpaten nach Ungarn und in Ge­lehrter und Schriftsteller, um 116–
die Slowakai aus, sodass das Gebirge die 27 v. Chr.; war unter Pompejus Befehlsha-
beiden Siedlungsräume trennte; hier in ber im Seeräuberkrieg, später Parteigänger
der Theißebene, in der Nachbarschaft des Cäsars, entging nach Cäsars Tod der Liqui-
Röm. Reiches, bedeutende Machtstellung, dierung; der „gelehrteste Römer“ der aus-
Übertritt zum arian. Christentum, Über- gehenden republikan. Zeit (600 Bücher);
gang zur Erdbestattung (Fürsten in stein- Darstellung der altröm. Epoche, Kurzbio-
gesetzten Totenhäusern); im 5. Jh. setzten grafien bedeutender Römer und Griechen,
sich beide V.-Völker südl. und nördl. der Beschreibung der Agrarverhältnisse Roms;
Karpaten erneut in Bewegung, als die süd- Geschichte des antiken Theaters; sein Werk
ostwärts wohnenden W-Goten, von den in Fragmenten erhalten. 2) V., Gaius Te­
Hunnen verdrängt, in den vandalischen rentius, 216 Konsul neben Lucius Ämilius
Raum einbrachen; Abwehr des Einbruchs Paullus, verschuldete die Niederlage der
ins Oström. Reich durch ↑ Stilicho, den Römer in der Vernichtungsschlacht von
Feldherrn Ostroms aus vandal. Geschlecht; ↑ Cannae gegen Hannibal.
Vordringen über den Rhein nach Gallien, Varus, Publius Quinctilius, röm. Feldherr
Spanien; W-Gruppe hier von den ↑ Goten und Statthalter in Germanien; 9 n. Chr. im
fast völlig aufgerieben, O-Gruppe (hasding. Teutoburger Wald von den unter Arminius
V.) erreichte die Straße von Gibraltar, baute vereinigten german. Stämmen vernichtend
eine Flotte und setzte mit 80 000 Mann im geschlagen; nahm sich das Leben.
Jahr 429 über die Meerenge (größter Mas- Vasallität (lat. vassus, unfreier Diener), seit
sentransport zur See im Altertum); Erobe- dem 8. Jh. Dienstverpflichtung von Freien
rung der röm. Provinz Africa, Gründung (vor allem zur Heeresfolge) durch Hand-
eines großen Reiches und Errichtung der schlag, Kuss und Gabe und die Ablegung
Seeherrschaft im W-Mittelmeer unter des Treueids (hominium); die Besoldung
König ↑ Geiserich; Beutezüge längs der erfolgte durch die Belehnung mit einem
Küsten, 455 Besetzung und Plünderung Krongut (beneficium), das nur zur Nutz-
Roms; Gründung von Siedlungen in Afrika nießung diente und nicht Eigentum wurde
unter Abschluss von der einheim. Bevölke- und auch nicht vererblich war; doch trat
rung und Bekämpfung des röm. Christen- im Allgemeinen der Nachkomme nach Ein­
tums; Verträge mit Rom und Byzanz, Si- holung der Genehmigung des Lehnsherrn
cherung der Thronfolge, doch Versagen in das gleiche Verhältnis; in Kriegszeiten
vor dem Klima (Krankheiten, Seuchen) begaben sich zahlreiche Freie in dieses
und Verweich­lichung der Kriegerkas­te; da- Dienstverhältnis („Munt“ des Königs); die
her Verfall des Reiches nach Geiserichs Tod Könige griffen in Notzeiten auch auf Kir-
477; 534 Zerstörung durch den byzantini­ chengut zurück, wenn das Krongut nicht
schen Feldherrn ↑ Belisar. ausreichte; Vasallität und Benefizialwesen

932
Vatikanstadt

begründeten das Lehenswesen, das auch Vatikan, päpstliche Residenz und Verwal-
von der Kirche übernommen wurde; mit tungssitz der kirchlichen Zentralbehörden
der zunehmenden Schwächung des König­ (röm. Kurie), erbaut über einer antiken
tums wurde die Erblichkeit im Gefolg- Gräberstadt (Nekropole), mit der Grab-
schaftsdienst wie im Beneficium mehr und stätte des hl. Petrus; seit der Rückkehr der
mehr üblich. Päpste aus Avignon 1378 Residenz (vor-
Vasco da Gama, ↑ Gama her seit ca. 320 der Lateran); heute zum
Vasenkunst, Vasenmalerei. Griech. V.: Im großen Teil Zentralmuseum der päpst-
antiken Hellas dienten Vasen nicht nur als lichen Sammlungen und Bibliothek.
Gefäße für Speisen, Getränke und Vorräte Vatikanisches Konzil, unter Papst Pius IX.
(Korn, Öl), als Bestattungsurnen, Wett- 1869 in Rom eröffnet, im Mittelpunkt der
kampfpreise, sondern auch als reine Zier- Beratungen die päpstliche Unfehlbarkeit
stücke: sie waren gleichsam das Porzellan bei der Definition von Glaubens- und Sit-
der Antike; man schmückte sie mit Linien tenlehren; Beratungen in 14 Generalkon-
und stilisierten Naturornamenten, später gregationen und 22 Sitzungen; Ablehnung
mit menschl. Darstellungen, Sagenszenen, durch eine Minderheit (die die Verkün-
Genremotiven; sie waren begehrte Handels­ dung angesichts der gespannten kirchen-
waren, ausgedehnt z. B. der korinth. Vasen- polit. Lage für noch nicht opportun hielt
handel; die vollendetsten Kunstwerke ent- oder grundsätzlich ablehnte); die Minder-
standen in den Vasenfabriken Athens; die heit enthielt sich im Einverständnis mit
frühe Maltechnik, schwarzer Bildschmuck dem Papst der Stimme und blieb der Ab-
auf hellem Tongrund, wurde im 6. Jh. ab- stimmung fern; außerdem Konstitution
gelöst durch helles Bildwerk auf dunklem über den kath. Glauben und Verwerfung
Firnisgrund (durch Aussparen heller Flä- von Irrlehren und Absage an den Gallika-
chen, Linien); die Bilder waren meist be- nismus durch Festlegung der höchsten Ju-
schriftet; Ausklingen der V. im 3. Jh. v. Chr. risdiktionsgewalt des Papstes in der Kirche;
(abgelöst durch Metallarbeiten); die Va- das V. K. wegen des Ausbruchs des Dt.-Frz.
senmalerei kulturgeschichtlich sehr auf- Krieges vertagt. Das Konzil wurde gleich-
schlussreich. zeitig Anlass zur Abtrennung der ↑ Alt-
Vaterländische Front, 1933 von E. ↑ Doll- kath. Kirche 1871 (Ablehnung der Konzils­
fuß begründete österreich. polit. Samm- beschlüsse) und beeinflusste die kirchen-
lungsbewegung, die sich gegen Parlamen- polit. Kämpfe in Österreich und Preußen
tarismus, Klassenkampf und den Anschluss (↑ Kulturkampf ). Das Konzil von 1962–
an Deutschland wandte. Die V. F. avan- 1965 galt als ↑ Zweites Vatikan. Konzil.
cierte nach der Ausschaltung der Parteien Vatikanstadt (Cittá del Vaticano), souve­
(Maiverfassung 1934) zum alleinigen Trä- ränes Hoheitsgebiet des Papstes, internat.
ger polit. Willensbildung im öster. Stände- anerkannt, umfasst die engere Umgebung
staat, war in eine Zivil- und eine Wehrfront des Vatikans und der Peterskirche mit Im-
(1937 Frontmiliz und Sturmkorps) geglie- munitäts- und Eigentumsrecht (ähnl. dem
dert und orientierte sich an nat.-soz. und Recht der Staaten an ihren Gesandtschafts-
faschist. Vorbildern. Ende der V. F. durch gebäuden) an den Kirchen St. Jo­hannes
den Anschluss (13. März 1938). im Lateran, Maria Maggiore, St. Paul,
Vaterländischer Krieg, in Russland bzw. den Amtssitzen der Kurialbehörden und
der Sowjetunion gebräuchl. Bez. für den der Sommerresidenz Castel Gandolfo; be-
Krieg gegen Napoleon I. (1812). Analog gründet auf den die sog. „Römische Frage“
dazu die Bez. ↑ Großer V. für den Krieg ge­ (Wiederherstellung des Kirchenstaates)
gen das nat.-soz. Deutschland 1941–45. beendenden Lateranverträgen von 1929

933
Vauban

(unterzeichnet von Kardinalstaatssekretär Rekrutierungsverordnungen 1793 Herd


Gaspari und Mussolini nach zweijährigen des Aufstands der Royalisten unter Füh-
Verhandlungen); verbunden mit Gesandt- rung ↑ Charettes, La Rochejacqueleins,
schaftsrecht; Verfassung des 44 ha großen Cathelineaus u. a.; durch Verbindung der
Staates: Wahlmonarchie (­Papsttum) und Königstreuen mit den ↑ Chouans der Bre-
Grundgesetz von 1929; Ziel: Sicherung der tagne anfangs Erfolge (1793 Sieg bei Fon-
Unabhängigkeit des Papsttums. tenay), schließlich durch die republika-
Vauban, Sébastien le Prestre de, frz. nischen Heere grausam niedergeworfen
Marschall und Festungsbaumeister un- (Niederlage bei Le Mans); 1795 zweiter
ter Ludwig XIV., 1633–1707; revolutio- Aufstand der V. unter Charette, von Gene-
nierte das frz. Festungsbauwesen (stern- ral Hoche niedergeworfen; 1830 Aufstand
förmiges System bastionierter Fronten) der V. (Chouans der Bretagne) gegen das
und zwang dadurch zur Umgestaltung Juli­königtum; mit der Verhaftung der Her-
der Belagerungs­technik und Kriegführung zogin von Berry beendet.
der europäi­schen Mächte; ↑ Festungen im Venedig, Lagunenstadt im NO Italiens,
Brennpunkt der Kriegs­entscheidungen. V.s 452 n. Chr. durch geflüchtete Bewohner
Reformvorschläge für die Erhebung der öf- des von Attila zerstörten Aquileja gegr.;
fentlichen Abgaben (Zehent von der land- erlebte, geführt durch die ↑ Dogen (seit
wirtschaftlichen, gewerblichen und indus- 697), raschen Aufschwung, befreite sich
triellen Produktion an den Staat statt der im 9. Jh. von byzantin. Oberherrschaft und
indirekten Steuern) von Einfluss auf die festigte den staatlichen Aufbau durch Aus-
Entwicklung des modernen Steuerwesens. bildung einer aristokrat. Geschlechterver-
Veden (ind. Veda, Wissen), die ältesten in- fassung (1172 „Großer Rat“, 1310 „Rat
dischen Sprachdenkmäler, entstanden seit der Zehn“ zur Einschränkung der Macht
dem 3. Jt. v. Chr.; Hauptquelle für die Er- der Dogen) mit vorbildl. Verwaltungsfor­
forschung der altind. Religion; geschrie- men; die wachsende Macht und der Reich-
ben in ↑ Sanskrit; 4 Sammlungen: 1) Rig- tum V.s gründeten sich auf die starke Flotte
veda (das Wissen von den Preisliedern) in und ausgezeichnete Handelsbeziehungen
10 Büchern mit über 1 000 Liedern, Opfer- im Bereich des Mittelmeers (Orient­
gesängen und Hymnen auf die Gottheiten; handelsmonopol); dadurch bedeutende
2) Samaveda (Feierlieder); 3) Yadschurveda Machtsteigerung nach außen (11./12. Jh.
(Opferformeln für die Opferhandlung der Erwerb Istriens und Dalmatiens); z. Z. der
Priester); 4) Atharveda (Zaubersprüche, Kreuzzüge Monopol im Seetransport von
Hymnen; in ihrer Echtheit bestritten), au- Kreuzfahrern (und Pilgern nach Jerusalem)
ßerdem andere ep. und kult. Schriften. Das und Erschließung der Einflusssphäre im
Studium der V. ist Aufgabe der Brahmanen; Vorderen Orient (nach anfänglicher Riva­
für die gläubigen Hindu sind sie göttliche lität) zusammen mit dem Normannenstaat
Offenbarung, ihre Sprache für die verglei- Sizilien, der die Verwaltungseinrichtungen
chende Sprachwissenschaft von bahnbre- der Venezianer übernahm; das Normannen­
chender Bedeutung (↑ Hinduismus). reich (↑ Normannen) verlor nach dem Zu­
Vendée, frz. Dep. südl. der Mündung der sam­menbruch der Stauferherrschaft seine
Loire, dessen Bevölkerung z. Z. der Frz. Machtposition mehr und mehr an Ve-
Revolution, gestützt auf Adel und Geist- nedig; zu Beginn des 13. Jh. Versuch V.s,
lichkeit, am röm.-kath. Glauben und am durch Errichtung des ↑ „Latein. Kaiser-
Königtum festhielt; nach der Hinrichtung tums“ das Erbe des Byzantin. Reiches an-
Ludwigs XVI., der Zivilkonstitution des zutreten. V. eroberte Kreta und Morea,
Klerus und den vom Konvent erlassenen konnte aber den Verfall seiner staatlichen

934
Venezuela

Machtballung im Osten (Gegenbündnis von ↑ Kuba her (Fidel Castro). Wirtsch.


des Kaisers von Byzanz mit Genua Ursa- Erstarkung durch große Erdölfunde und
che für den Abstieg) nicht verhindern; ihre Ausbeutung. 1964 erster verfassungs-
erneut vorübergehende Blüte nach sieg- konformer Präsidentenwechsel in der Ge-
reicher Behauptung im „Hundertjährigen schichte des Landes, seitdem innenpolit.
Krieg“ (1256–1381) gegen Genua; gefe- Stabilisierung. Außenpolit. ging V. auf Dis­
stigt durch Erwerb der „Terra ferma“ und tanz zu den südamerik. Diktaturen und
zahlreiche Inselstützpunkte; 1508 Vereini- spielte in der OPEC eine aktive Rolle. Die
gung der europ. Mächte (Liga von Cam- hohen Erdölvorkommen bewirkten das
brai) gegen V. (Verlust von Cremona und höchste Pro-Kopf-Einkommen Lateiname­
der Romagna) und große Gebietseinbußen rikas, das jedoch mit dem Ölpreisverfall
an die seit dem Fall von Konstantinopel stark zurückging; es folgte die Herausbil-
(1453) nach Westen vorgedrungenen Tür- dung starker sozialer Gegensätze. Die Ver-
ken (1571 Verlust Zyperns); mit der Ent- suche der Regierung Perez, die wirtsch.
deckung des Seeweges nach Indien sank und sozialen Probleme zu lösen, wurden
auch die merkantile Bedeutung V.s; histor. von schweren Unruhen, die Hunderte von
folgenschwer die Hilfe V.s bei der Nieder- Toten forderten, überschattet. Nach miss-
ringung der Türken in der Seeschlacht bei lungenen Putschversuchen 1992 wurde Pe-
↑ Lepanto; danach weitgehende Beschrän- rez 1993 wegen Korruption vom Parlament
kung auf eine Politik der Selbsterhaltung, abgesetzt und R. Caldera neuer Präsident
die von Napoleon durchkreuzt wurde; an der Spitze eines linksgerichteten Partei-
1797 Besetzung V.s und erzwungene Ab- enbündnisses, konnte die Wirtschaftskrise
dankung des (letzten) Dogen; 1797–1805 nicht beenden.
bei Österreich; 1805–1814 beim (frz.) Kö- 1998 Sieg des Präsidentschaftskand. Hugo
nigreich Italien, 1815–1866 zu Österreich, Chávez Frías (ehem. Putschisten von 1992).
1866 Anschluss an Italien. Im April 1999 Beschluss (Volksentscheid)
Veneter, 1) altes illyr. Volk im NO- zur Einsetzung einer verfassungsgebenden
Teil Oberitaliens zw. Alpen und Adria; Versammlung unter Umgehung des Par-
seit 225 v. Chr. mit Rom verbündet, spä- laments; diese Versammlung rief unmit-
ter im Römertum aufgegangen. 2) Kelt. telbar nach der Wahl den Justiznotstand
Stamm in W-Gallien, Hauptstadt Vannes, aus, um sämtliche Gerichte auf Amtsmiss-
56 v. Chr. von Cäsar unterworfen. brauch und Korruption hin zu überprüfen,
Venezuela, Republik im nördl. S-Ame- was zu Protesten und Unruhen führte, die
rika; 1498 von Kolumbus entdeckt, 1499 erst durch Vermittlung kath. Bischöfe be-
durch Vespucci und Ojeda nach einem endet werden konnten. Am 17. Dez. 1999
auf Pfählen erbauten Eingeborenendorf trat mit Zustimmung des Volkes die neue
V. (= Klein-Venedig) genannt; 1524 Be- Verfassung in Kraft, Umbenennung des
ginn der europ. Kolonisation; 1525 durch Landes in „Bolivarische Republik V.“, Stär-
Karl V. den ↑ Welsern verpfändet; 1546 kung der Macht des Präsidenten. 2000 Be-
wieder an die span. Krone; 1811 Unab- stätigung Chávez’ im Amt; seine Pläne zur
hängigkeitserklärung, 1819 durch ↑ Boli­ Kürzung des Staatshaushaltes führten aller-
var Teil der Republik Groß-Kolumbien, dings 2002 zu Massenprotesten und einem
1830 wieder selbständig; mehrmals Dikta- Putschversuch. 2004 fand nach Streiks u. a.
tur; 1947 autoritäre Verfassung, 1953 Wie- bei den staatl. Erdölkonzernen schließl. ein
dererrichtung der Demokratie; Auseinan­ von der Opposition initiiertes Referendum
dersetzungen zw. Rechtsparteien, Militärs statt, bei dem Chávez erneut klar im Amt
und Sozialistengruppen, Einflussnahme bestätigt wurde.

935
Vercellae

Vercellae, in der Schlacht von V. (Raudin. 9.–11. Jh. zum Staat der schiit. Karmaten
Felder) schlug der röm. Feldherr ↑ Marius gehörte; seit dem 18. Jh. starker brit. Ein-
101 v. Chr. die Kimbern. fluss, 1853 Friedensvertrag mit Großbri-
Vercingetorix, Anführer eines Gallierauf- tannien; nach dem Abzug der brit. Trup-
stands gegen die Römer, lange erfolgreich, pen und Erklärung der Unabhängigkeit am
doch 52 v. Chr. bei Alesia eingeschlossen; 2. Dez. 1971 schlossen sich die 6 Scheich-
46 v. Chr. in Rom hingerichtet; nach sei- tümer Abu Dhabi, Dubaij, Schardscha,
nem Tod Sicherung Galliens durch 10 über Adschman, Umm Al Kaiwain, Fudschaira
das Land verteilte Legionsstandorte. zu den V. zusammen, im Feb. 1972 trat
Verden, an der Aller, hier vollzog Karl d. Gr. Ras Al Chaima als 7. Emirat der Födera-
782 das blutige Strafgericht über die sächs. tion bei; 1975 wurde eine endgültige Ver-
Edeln, die sich unter dem Druck des Zehn- fassung verabschiedet.
ten und der harten Bestrafung nach der Vereinigte Staaten von Amerika engl.
Verheerung des Rheinlands erneut erho- United States of America (USA), erstes un-
ben und am Süntelgebirge ein fränk. Heer abhängiges Staatsgebilde der „Neuen Welt“
vernichtet hatten; dem Blutbad, dem nach und erste Republik mit geschriebener bun-
Angaben der fränk. Reichsannalen 4 000 desstaatlicher Verfassung; im Gegensatz zu
sächs. Krieger und Edelleute zum Opfer dem früher entdeckten, von Spanien und
fielen , folgte der allg. Aufstand der Sachsen Portugal kolonisierten Latein- oder Ibero­
(783 bis 785), in dem der aus Dänemark amerika (↑ Entdeckungen; Amerika) über-
zurückgekehrte Widukind unterlag. wiegend german.-protestant., da die kolo-
Verdun, Stadt und Festung in O-Frank- niale Initiative von England ausging, das
reich, röm. Gründung, wiederholt Schlacht­ im 7-jährigen Krieg über das in N-Amerika
ort, bes. 1916–1917 mit ungeheuren Op- rivalisierende Frankreich gesiegt hatte
fern auf beiden Seiten. – 843 Vertrag von (↑ Kanada, Frankreich). – Der Abenteurer
V., Beendigung des Erbfolgekriegs der und Seeheld Raleigh gründete 1585 die
Söhne bzw. Stiefsöhne Kaiser ↑ Ludwigs beiden ersten engl. Siedlungen, die aber
des Frommen, Lothar, Ludwig, Karl, um wieder eingingen; erst 1607 entstanden auf
die Obergewalt im Reich, Teilung des dem gleichen Boden in „Virginia“ (nach
Frankenreiches in drei gleichberechtigte der „Jungfräulichen“ Königin Elisabeth
Teilstaaten: Ostfränk. Reich Ludwigs (des ben.) die ersten lebensfähigen Siedlungen
Deutschen), Westfränk. Reich Karls (des als Unternehmungen zweier Privatgesell-
Kahlen), Mittelreich (von der Nordsee bis schaften, ausgestattet mit einem Freibrief
S-Italien) Lothars, des Kaisers; die Ober- („Charter“) Jakobs I. Seine Blüte verdankte
gewalt des Kaisers wurde aufgehoben; in Virginia bes. dem Tabakanbau (seit 1612);
der Idee immer noch Gesamtreich, empfan­ 1623 zur Kronkolonie umgewandelt mit
den die Zeitgenossen die Teilung bereits als der für alle „Neu-England-Kolonien“ typ.
Reichstrennung; national einheitlich ent- Verfassung: Gouverneur (anstelle des Kö-
wickelten sich nur das Ost- und das West- nigs), (ernannter) Rat (anstelle des Ober-
fränk. Reich, sie wurden später zu selbstän- hauses), (gewähltes) Repräsentantenhaus
digen Reichen Deutschlands und Frank- (anstelle des Unterhauses). Die eigentliche
reichs. Geburtsstunde „Neu-Englands“ war die
Vereinigte Arabische Emirate, Födera- Landung der Mayflower mit den „Pilger­
tion von 7 Scheichtümern (Emiraten) auf vätern“ in Massachusetts und die Grün-
der Arab. Halbinsel; die islam. Sekte der dung von New Plymouth 1620; noch wäh-
Charidschiten errichtete im 8. Jh. auf dem rend der Überfahrt gaben sich diese (102)
Gebiet der V. ein Staatswesen, das vom Puritaner, die England aus religiösen und

936
Vereinigte Staaten von Amerika

Holland aus nationalen Motiven verlassen sich für den Erwerb von Kanada und Loui­
hatten, mit dem berühmten „Mayflower- siana (statt W-Indien) als Siegespreis, nahm
Vertrag“ eine demokrat. Verfassung; die damit den frz. Druck von den aufstre-
Unduldsamkeit der calvinist. „Auserwähl- benden Kolonien und stärkte so ungewollt
ten“ gegen Andersgläubige („Dissenters“, auch ihre Selbständigkeitsregungen; dazu
besonders Baptisten und Quäker) veran- brachte Georg III. die Kolonisten gegen
lasste die­se zur Gründung eigener Kolo- sich auf, indem er verbot, jenseits des eben
nien, die zu Horten der Glaubensfreiheit aufgebrochenen frz. Sperrriegels im Westen
und zu Asylen für Verfolgte wurden: 1635 zu siedeln; diese und andere Maßnahmen
Connecticut (durch den Prediger Hooker), im Geist des alten Kolonialsystems trieben
1636 Providence (= Rhode Island; durch die nordamerik. Kolonien zum Abfall;
den Baptisten Roger Williams) und bes. 4. Juli 1776 Unabhängigkeitserklärung.
Pennsylvania 1682 (durch den Quäker Aus dem ↑ Unabhängigkeitskrieg gegen
William ↑ Penn), wo sich auch die ersten England gingen die „Söhne der Freiheit“
dt. Siedler (1683 Gründung von German- 1783 als eine neue Nation hervor; doch be-
town durch Mennoniten; später bes. Pfäl- vor die junge Union als mächtiger selbstän-
zer) niederließen. Eine „Eigentümerkolo- diger Faktor in die Weltgeschichte eintrat,
nie“ wie Pennsylvania, doch durch den musste sie in schweren inneren Auseinan-
Glauben seines Besitzers Lord Baltimore dersetzungen ihren Zusammenhalt gegen
kath., war Maryland (1632; ben. nach der den Geist der Eigenstaatlichkeit sichern,
Gattin Karls I.). Feudalist.-royalist. Ge- dank der persönlichen Autorität von Män-
präge trugen die Kronkolonien Carolina nern wie ↑ Washington und ↑ Franklin
(1663, ben. nach Karl II., der damit eine kam 1787 die Bundesverfassung zustande,
Gruppe von Adligen belehnte) und ↑ New in der die Grundsätze der ↑ Volkssouverä-
York (1664 als New Amsterdam den Hol- nität und der ↑ Menschenrechte verwirkli-
ländern abgenommen und nach dem cht wurden, das föderalist. Prinzip sich mit
neuen Besitzer. dem Bruder des Königs, den Grundsätzen der liberalen Demokratie
Herzog von York, später Jakob II., um- zu einem ausgewogenen Ganzen verband
ben.). Nach längerer Pause (ausgefüllt mit und eine strenge Gewaltenteilung in noch
Kämpfen gegen Indianer und Franzosen) heute wirksamer Form vorgenommen
griff als 13. Kolonie Georgia (Freibrief- wurde: Legislative bei den beiden Häusern
gründung von James Oglethorp, Zuflucht des Kongresses (Repräsentantenhaus aus
für Verfolgte) weit nach Süden aus. Bereits den gewählten Volksvertretern jedes Staates
in der ersten Hälfte des 18. Jh. zeichnete nach dessen Einwohnerzahl; Senat aus je
sich deutlich ein Gegensatz zw. dem Nor- 2 Vertretern jedes Staates), starke Exekutive
den und dem Süden ab; dort puritan.-bür- in Händen eines aus indirekter Volkswahl
gerlicher Handelssinn und Gewerbefleiß, hervorgegangenen Präsidenten; oberste
„Grenzergeist“ im langsamen Vordringen richterliche Gewalt beim Bundesgerichts-
bäuerlicher Siedler nach Westen – hier aris­ hof. Zum ersten Präsiden­ten wurde
tokrat. Herrengesinnung einer Oberschicht Washington gewählt; Bundeshauptstadt
von Großgrundbesitzern, die den Plantagen­ wurde die neu gegründete und ihm zu Eh-
anbau (außer Tabak bes. Baumwolle und ren „Washington“ benannte Stadt am Po-
Reis) mithilfe eingeführter afrikan. Sklaven tomac (offiziell seit 1800 Regierungssitz).
betrieben. Als England aus dem weltweiten Die dringliche Sanierung der Bundesfinan­
Ringen gegen die andere große Kolonial- zen war das Werk ↑ Hamiltons, des Führers
macht des 18. Jh., Frankreich, 1763 end- der besonders im Norden starken „Födera-
gültig als Sieger hervorging, entschied es listen“, die für eine kräftige Zentralregie-

937
Vereinigte Staaten von Amerika

rung eintraten; ihm gegenüber stand ↑ Jef- und N-Kalifornien an die USA abtrat: Die
ferson an der Spitze der „Republikaner“ Union dehnte sich bis zum Stillen Ozean
(heute: Demokraten), die damals im Inte- aus. Doch der schwelende Konflikt in der
resse der Sklaven haltenden Großgrundbe- Sklavenfrage (es ging um die Neuzulassung
sitzer weitgehende Selbständigkeit der Ein- von Sklaven haltenden bzw. sklavereifeind-
zelstaaten und „möglichst wenig Regie- lichen Staaten) führte nach unzulänglichen
rung“ forderten. Doch als Jefferson (als Kompromissen und nach der 1860 er-
3. Präsident) 1803 Napoleon das wichtige folgten Wahl ↑ Lincolns als des Vertreters
Louisiana (westl. des Mississippi; seit 1682 der 1854 gegr. „Republikan. Partei“ des
im Besitz von Frankreich, nach dem 7-jäh- Nordens zum offenen Brand: Abfall der S-
rigen Krieg 1763–1800 span., 1800 durch Staaten (als „Konföderierte“ unter Jeffer-
den Geheimvertrag von San Ildefonso an son Davis als Präsident) und ihre gewalt-
Frankreich zurückgegeben) für 60 Mio. same Wiedereingliederung in die Union
Francs abkaufte, wurde er in diesem verfas- im Bürgerkrieg (↑ Sezessionskrieg 1861–
sungswidrigen Vorgehen von Hamilton 1865). Die Rettung der nationalen Einheit
unterstützt; die letzte Barriere vor der Ex- und die Abschaffung der Sklaverei mussten
pansion nach Westen – „winning the west“ mit einem hohen Blutzoll bezahlt werden,
– war damit gefallen, die Mississippimün- und nur langsam schwand der alte Hass,
dung in Händen der Union. Die britische der auch nach dem Bürgerkrieg am Verhal-
Seeblockade gegen Frankreich, die auch die ten der ↑ „Carpetbaggers“ einerseits, den
amerik. Schifffahrt in Mitleidenschaft zog, Rache­aktionen des Ku-Klux-Klan anderer-
führte 1812 zum Britisch-amerik. Krieg, seits neue Nahrung fand. Unaufhaltsam
der nach beiderseits kraftloser Kriegfüh- setzte der Aufstieg der USA zur führenden
rung 1814 im Frieden von Gent aufgrund Weltwirtschaftsmacht ein; 1867 erwarb die
des Status quo endete. 1819 wurde W-Flo- Union von Russland durch Kauf das Zu-
rida den Spaniern abgekauft, und als Spa- kunftsland ↑ Alaska; 1869 wurde die erste
nien, gestützt auf die Hl. Allianz, seine ab- Pazifikbahn in Betrieb genommen, die In-
gefallenen südamerik. Kolonien zu unter- dianer wurden nochmals dezimiert und auf
werfen trachtete, erklärten die USA (in noch engere Territorien zusammenge-
Übereinstimmung mit der brit. Politik) drängt; die Industrie entwickelte sich
durch die berühmte ↑ Monroe-Doktrin sprunghaft, in den 60er Jahren ging das
unter gleichzeitigem Verzicht auf Einmi- „Gründerfieber“ durch das Land, in rück-
schung in europ. Angelegenheiten, dass der sichtslosem Konkurrenzkampf setzten sich
amerik. Kontinent aufgehört habe, ein Ob- Trusts und Konzerne in den Besitz riesiger
jekt europ. Kolonialpolitik zu sein. Im In- Unternehmen (gegen diese wirtsch. Macht-
nern prägten sich im Kampf um die ballung 1890 erstes Antitrustgesetz); die
Schutzzölle für die Industrie des Nordens, Bevölkerungszahl schnellte empor und
um die Kompetenz des Bundes gegenüber überschritt 1880 die 50 Mio.-Grenze, bes.
den Einzelstaaten und um die Beibehal- dank der starken Einwanderung, an der au-
tung der Sklaverei neue Formen des polit. ßer Iren, Deutschen, Skandinaviern, Eng-
Lebens aus (Gründung einer „demokrat.“ ländern, Franzosen etwa seit der Jahrhun-
Partei durch Andrew Jackson); der An- dertwende auch die Völker Osteuropas be-
schluss von Texas an die Union (1845) teiligt waren (bes. die osteurop. Juden); an
führte 1846 zum Krieg gegen Mexiko, das der W-Küste überwogen Chinesen und Ja-
nach seiner Niederlage im Frieden von Gu- paner – doch erwies sich das „Land der un-
adalupe-Hidalgo (1848) für 15 Mio. Dol- begrenzten Möglichkeiten“ zugleich als
lar Neu-Mexiko, Utah, Nevada, Arizona „Schmelztopf der Nationen“; erst 1897 be-

938
Vereinigte Staaten von Amerika

gannen Einwanderungsgesetze (nach dem mensteuer, Minderung der Zollsätze, Staats­


1. Weltkrieg verschärft) den Zustrom plan- kontrolle über die Großbanken, Achtstun-
mäßig zu drosseln. Doch erschütterten dentag für die Eisenbahnarbeiter u. a.),
noch im 19. Jh. Riesenkonkurse, Börsen- dessen Durchführung durch den Eintritt
krachs und Massenstreiks das Wirtschafts- der USA in den 1. Weltkrieg 1917 unter-
leben; die soziale Unruhe wurde geschürt brochen wurde. Bereits der ↑ Lusitania-
durch anarchist. Emigranten aus Europa, Zwischenfall kennzeichnete den zwangs-
während der eigtl. Sozialismus – im Gegen­ läufigen Kurs in den Krieg, den Ausschlag
satz zur Gewerkschaftsbewegung (1866 für das offene Eingreifen der USA auf Sei-
Gründung der American Federation of La- ten der Alliierten gaben die traditionellen
bor) – kaum Fuß fassen konnte. Nach kur- gefühlsmäßigen Bindungen an England,
zer Zwischenherrschaft der Demokraten das im Gegensatz zu Deutschland die öf-
(Präsident Cleveland 1885–1889, 1893– fentliche Meinung N-Amerikas für sich
1897) lenkten die USA unter MacKinley einzunehmen wusste; die Eröffnung des
und bes. Theodore Roosevelt in die Bah- uneingeschränkten U-Boot-Krieges durch
nen des ↑ Imperialismus ein, allerdings un- Deutschland gab den letzten Anstoß. Die
ter heftigem Widerspruch einer liberalpazi- unerschöpflichen Menschen- und Material­
fistischen freihändler. Opposition. Über- reserven der USA entschieden den Ausgang
gang zum Hochschutzzoll (1890 MacKin- des Krieges, den Wilson als einen Kreuzzug
ley-Bill), Ausbildung der ↑ „Dollardiplo- für Frieden und Demokratie gegen die dt.
matie“; 1897/98 Besetzung und Annexion „Kriegsherren“ verstanden haben wollte
von Hawaii; 1898 Krieg gegen Spanien, und aus dem die USA als führende Groß-
um das Erbe der zerrütteten span. Kolonial­ macht und erstes Gläubigerland der Erde
herrschaft anzutreten (Erwerb von Puerto hervorgingen. Die Enttäuschung über den
Rico und der Philippinen sowie Guams, Geist des Vertrages von Versailles, in dem
Aufsicht [Protektorat] über die neu gegr. Wilsons ↑ „Vierzehn Punkte“ nur unzu-
Republik Kuba); 1900–1903 Sicherung länglich verwirklicht wurden und an des-
der Panamakanalzone (Ablösung des Clay- sen Stelle die USA 1921 einen Sonderfrie-
ton-Bulwer-Vertrages mit England durch den mit den ehemaligen Mittelmächten
die Hay-Pauncefote-Verträge 1900 und schlossen, führte zu weitgehender Abkehr
1901 [Bau des Kanals und dessen Verwal- von der Weltpolitik (Isolationismus); die
tung und militär. Schutz in der Hand der USA blieben dem von ihnen selbst ange-
USA]; Inszenierung einer Revolution in regten Völkerbund fern, suchten aber
Kolumbien, Gründung der „Republik Pa- durch Konferenzen und Verträge die inter-
nama“); Handelspolitik der „offenen Tür“ nat. Lage zu stabilisieren bzw. zu entspan-
in O-Asien, Aktivierung der Monroe-Dok- nen (Flottenkonferenzen zu Washington
trin (1902 gegen die europ. Großmächte, 1921/22 und London 1930; Kelloggpakt
die als Gläubiger gewaltsam gegen ihren 1924; Dawes-Plan 1924; Young-Plan
Schuldner Venezuela auftraten), Über- 1929). Die Innenpolitik unter republikan.
nahme der Verantwortlichkeit für Frieden Präsidenten (Harding, Coolidge, Hoover)
und Sicherheit Panamerikas (Interventi- stand im Zeichen der „prosperity“ (Wirt-
onen). Den verschärften sozialen Spannun­ schaftsblüte, Wohlstand) der 20er Jahre;
gen (Radikalisierung der Gewerkschaften, der Schock der schweren Wirtschaftskrise
Kampf des Präsidenten Taft gegen die von 1929 bereitete den Übergang vom tra-
großen Trusts) begegnete der Demokrat ditionellen Wirtschaftsliberalismus zu ei-
↑ Wilson mit einem groß angelegten Sozial­ ner neuen Form staatl. Wirtschaftsplanung
reformprogramm (progressive Einkom- vor, wie sie der Demokrat F. D. ↑ Roosevelt

939
Vereinigte Staaten von Amerika

(1933–1945) mit dem ↑ „New Deal“ ver- nams und Abzug der amerik. Truppen. Un-
wirklichte. Nach außen aktivierten die ter Nixon intensive Entspannungspolitik,
USA vor dem 2. Weltkrieg nochmals ihre die zum Beginn des SALT- und KSZE-Pro-
Panamerikapolitik und versuchten verge- zesses beitrug. 1977–1980 war J. E. Carter
bens, die Expansion der Achsenmächte zu Präsident der USA; Carter verschärfte die
dämpfen. Im 2. Weltkrieg leisteten die O-W-Spannungen durch die sog. Men-
USA mit dem ↑ Leih- und Pachtgesetz schenrechtskampagne; 1979 wurde SALT II
(1941) England und der Sowjetunion zwar unterzeichnet, jedoch nicht vom Par-
wertvolle Hilfe, bevor der jap. Überfall auf lament ratifiziert. O-W-Krise verschärfte
↑ Pearl Harbor (7. Dez. 1941) sie zum ak- sich 1979 weiter durch den sowjet. Ein-
tiven Eingreifen auf Seiten der Alliierten marsch in Afghanistan; USA reagierten mit
zwang. Japan wurde von den USA allein in Wirtschafts- und 1980 mit Olympia-Boy-
die Knie gezwungen; die Invasionen in N- kott (in Moskau), dem sich auch die BRD
Afrika, Italien und Frankreich sowie die anschloss. Nov. 1979 Besetzung der US-
Luftoffensive gegen Deutschland waren Botschaft in Teheran nach Sturz des Schah-
ohne das Rüstungspotential der USA un- Regimes, das bis zuletzt durch die Carter-
denkbar. Die kriegsbedingte Zusammenar- Regierung unterstützt worden war, Geisel-
beit mit der Sowjetunion (Konferenzen nahme von 50 US-Bürgern (für ein Jahr).
von ↑ Casablanca, ↑ Kairo, ↑ Teheran und Präsident Carter konnte die aus dem verlo-
↑ Jalta) wurde in den ersten Nachkriegsjah- renen Vietnamkrieg, aus wirtsch. Schwie-
ren von dem ideolog. wie machtpolit. mo- rigkeiten, aus der Watergate-Affäre und
tivierten weltweiten „O-W“-Gegensatz ab- den Rassenkonflikten resultierenden innen­
gelöst, der zu einem permanenten „Kalten politischen Probleme nicht lösen. Im Nov.
Krieg“ führte und die neu gegründeten 1980 wurde er durch Ronald Reagan abge-
↑ Vereinten Nationen blockierte; ↑ Mar- löst. Unter Reagan standen zunächst der
shall-Plan, ↑ Truman-Doktrin, ↑ Atlantik- Kampf gegen den internat. Terrorismus
charta, Separatfrieden mit Japan, aktive und die militär. Aufrüstung im Mittel-
Unterstützung S-Koreas (↑ Koreakrieg) punkt. Die Rolle der USA als Weltpolizist
u. a. kennzeichneten diese amerik. Politik; sollte nach dem Vietnam- und Iran-Trauma
die USA wurden führend in der Entwick- wiederbelebt und die (auch militär.) Vor-
lungshilfe für unterentwickelte Länder, macht über die UdSSR erlangt werden.
bes. in Afrika, Asien und Lateinamerika. Diese Politik wurde jedoch durch wirtsch.
Neuorientierung der amerik. Politik unter Krisen und weltweite Forderungen nach
Präsident Kennedy: Entwicklungshilfe, Abrüstung und Frieden begrenzt. Seit An-
Bürgerrechtsbewegung, Abbau der O-W- fang der 80er Jahre wurde zw. den USA
Spannungen. Die Unterstützung konserva- und der UdSSR wieder verstärkt über Ab-
tiver und diktator. Regime war jedoch auch rüstung verhandelt (Mittelstreckenraketen,
unter Kennedy Teil der Außen- und Macht- START-Verhandlungen u. a.), auch wenn
politik der USA. Unter Johnson Eskalation Präsident Reagan keine Bereitschaft zeigte,
des Vietnamkrieges, begleitet von innen- auf die Stationierung von Weltraumwaffen
polit. Unruhen. Präsident Nixon leitete die (= SDI) zu verzichten: Durch einseitige
Normalisierung der Beziehungen zu China sowjet. Vorleistungen hinsichtl. der Abrüs-
ein (1972 Besuch in Peking), innenpoli- tung geriet die US-Regierung immer wie-
tische Krise durch Veröffentlichung der der unter Zugzwang. Im Okt. 1986 Treffen
„Pentagon-Papiere“ und „Watergate-Skan- von Reagan und Gorbatschow in Reykja-
dal“. 1973 Waffenstillstandsabkommen vik und in Folge in Washington (1987)
mit Vietnam. 1975 Kapitulation S-Viet- und Moskau (1988), die zur Entspannung

940
Vereinte Nationen

zw. den Supermächten beitrugen (INF- Laden jedoch nicht. Im März 2003 griffen
Vertrag von 1987, 1988 ratifiziert; Abbau die USA und ihre Verbündeten den Irak an
von Cruise Missiles, von SS 20 u. a.). Im und stürzten Saddam Hussein (Dritter
Nov. 1988 wurde George Bush neuer US- ↑ Golfkrieg). Die US-Regierung begründe­te
Präsident (Amtsantritt im Jan. 1989). Er den Angriff mit der vom Irak ausgehen­den
versuchte vergeblich, den Haushalt zu kon- militär. Gefahr (Vorwurf des Besitzes von
solidieren. Außenpolitisch setzte Bush den Massenvernichtungswaffen); auch nach of-
konservativen Kurs der Reagan-Adminis­ fiz. Ende des Krieges im April weiterhin zu
tration fort (Invasion in Panama 1990, fi- Gefechten zwischen den amerikischen Be-
nanzielle Unterstützung der nicaraguan. satzungstruppen und irak. Widerstands-
Contras u. a.). Im Auftrag der UN begann kämpfern.
im Jan. 1991 unter Führung der USA der Vereinte Nationen (United Nations Orga­
Zweite ↑ Golfkrieg, nach dessen Ende der nization = UNO, heute UN), während
Irak seine Truppen aus Kuwait abziehen des 2. Weltkriegs vorbereitete und 1945
musste. Auch bei weiteren Konflikten be- gegr. internat. Organisation zur Erhal-
teiligten sich die USA an den Einsätzen der tung des Weltfriedens, zur Wahrung der
UN-Truppen bzw. spielten die führende Sicherheit aller Völker und zur Förderung
Rolle (z. B. Bosnien-Herzegowina 1995, inter­nationalen Zusammenarbeit; anknüp-
Kosovo-Konflikt 1999). Erst in den 1990er fend an die Weltorganisation des ↑ Völker-
Jahren gelang es unter dem demokrat. Präsi­ bundes, doch unter Einschluss der USA
denten Bill Clinton (1993–2001), die aus und UdSSR; gefördert durch die militär.
der Reagan-Ära stammenden wirtsch. Pro- und polit. Zusammenarbeit der alliierten
bleme zu beheben. Im Dez. 1998 kam es zu Nationen im 2. Weltkrieg, die im Washing-
Luftangriffen amerik. und brit. Truppen ton-Pakt 1942 ihren Ausdruck gefunden
auf militär. Ziele im Irak, ohne dass dafür hatte; die Zusammenarbeit nach dem
ein aktueller Beschluss des UN-Sicher- Krieg wurde in Teheran 1943 von Roose-
heitsrates vorlag (die irak. Führung hatte velt, Churchill und Stalin, auf der Mos-
vereinbarte Rüstungskontrollen nicht zu- kauer Konferenz des gleichen Jahres unter
gelassen). Jan. 1999 Amtsenthebungsverfah­ Zuziehung weiterer Alliierter und Chinas
ren (Impeachment; in der Geschichte der beschlossen; die Dumbarton-Oaks-Konfe-
USA bisher einmalig) gegen Clinton (auf- renz (England, USA, UdSSR, China) ar-
grund einer publik gewordenen Affäre), beitete 1944 den Organisationsplan der
das mit einem „Freispruch“ endete. Im künftigen Weltunion aus, die Jalta-Kon-
Jan. 2001 Wahl des Republikaners George ferenz 1945 (Roosevelt, Churchill, Stalin)
W. Bush (Sohn des Clinton-Vorgängers). bestimmte San Francisco zum Tagungsort
Am 11. Sept. 2001 erschütterte eine Serie der ersten Konferenz der Nationen und zur
von Terroranschlägen die USA und for- Festlegung der Gründungsurkunde; 1945
derte mehrere tausend Todesopfer; Ausru- Konferenz von San Francisco, Annahme
fung des nationalen Notstands und Ankün­ der Satzung von Dumbarton Oaks durch
digung eines „umfassenden Angriffs“ auf die Vertreter von 50 Nationen (Aufteilung:
den internat. Terrorismus und die diesen Westblock 35 Nationen, Ostblock 6, afri-
unterstützenden Staaten. Nachdem die af- kan.-asiat. Block 9), vorbehaltlich der Ra-
ghanische Taliban-Regierung der Aufforde- tifizierung durch ihre Parlamente; Grund-
rung zur Auslieferung des mutmaßl. Atten- gedanke der Charta (Gründungsurkunde):
täters Osama Bin Laden nicht nachgekom- „künftige Generationen vor den Schrecken
men war, begannen die USA im Okt. 2001 der Kriege zu bewahren, die zwei Mal in-
mit Angriffen auf Afghanistan, fanden Bin nerhalb eines Menschenalters unsägliches

941
Vergil

Leid über die Welt gebracht haben“; Waf- der Bundesrepublik Deutschland und der
fengewalt soll künftig nicht mehr zur An- Deutschen Demokratischen Republik. Die
wendung kommen, es sei denn zur Siche- UN hat heute insgesamt 191 Mitglieds-
rung des allg. Weltfriedens; Zentralsitz staaten. UN-Orga­ne sind die Generalver-
der UN ist New York; wie im Völkerbund sammlung, der (Welt-)Sicherheitsrat, der
Verzicht auf eine eigene Armee, doch ge- Wirtschafts- und Sozialrat, der Treuhand-
genüber dem Völkerbundsrat erweiterte rat, der Internationale Gerichtshof und das
Befugnisse des Sicherheitsrates (da jedoch Sekretariat. Im Rahmen der UN arbeiten
jede Großmacht durch ihre Nein-Stimme folgende Institutionen: UN-Wirtschafts-
die Handlungsfreiheit des Sicherheitsrates kommission, Weltkinderhilfswerk, Komi-
blockieren kann, wurde durch die „Unity tee für europäische Auswanderung und
for Peace-Resolution“ 1950 der Vollver- Hoch­kommissar für Flüchtlinge; Sonder-
sammlung das Recht erteilt, in Krisenfäl- organisationen der UN: UNESCO (Amt
len ohne Zustimmung des Sicherheitsrates für Erziehung, Wissenschaft und Kultur),
aktiv einzugreifen); Schaffung eines Wirt- IAEA (Internationales Amt für Atomener-
schafts- und Sozialrates (mit internat. Ar- gie), BANK/IBCD (Internationale Bank
beitsamt), Internat. Währungsfonds, Welt- für Wiederaufbau und Entwicklung); IFC
bank, Treuhänderschaftsrat (für koloniale (Internationale Gesellschaft für Finan-
Treuhandgebiete der UN), Organisationen zen); ITU (Internationale Fernsehunion);
für die Zusammenarbeit auf dem Gebiet ICAO (Internationale Zivilluftfahrtorga-
der Ernährung, Landwirtschaft, Gesund- nisation); WMO (Weltorganisation für
heit, Kultur; Internationaler Gerichtshof Meteorologie); IWF (Internationaler Wäh-
im Haag. Eingreifen in internat. Kon- rungsfonds); FAO (Organisation für Er-
flikte: 1946 Zwischenfälle an den griech. nährung und Landwirtschaft); ILO (In-
Grenzen (Übergriffe durch Jugoslawien, ternationale Arbeitsorganisation); OTC
Albanien, Bulgarien); 1946 Räumung Per­ (Organisation für Zusammenarbeit im in­
siens durch die Sowjettruppen; 1946–49 ternationalen Handel); UPV (Weltpost-
Einschaltung in den Indonesien-Konflikt; verein); WHOC (Weltgesundheitsorgani­
1948/49 Verhandlungen um die Einstel- sa­tion); IMCO (Zwischenstaatliche be­
lung der blutigen Auseinandersetzungen raten­de Seeschifffahrtsorganisation). Die
zw. der Ind. Republik und Pakistan um UNO-Friedenstruppe erhielt 1988 den
Kaschmir; 1948 Waffenstillstandsverhand- ­Friedensnobelpreis.
lungen in den Grenzkämpfen zw. Arabien Vergil (Virgil), Publius Virgilius Maro, der
und Israel (ständige UN-Wache im Gaza- gefeiertste Dichter Roms in der Zeit des
streifen); 1950–1953 bewaffnete „Polizei- Augustus, 70–19 v. Chr.; begründete seinen
aktion“ in Korea; 1956 unblutiger Trup- Ruhm mit den „Bucolica“ (Hirtengedich-
peneinsatz zur „Gewinnung des Friedens“ ten in Anlehnung an die Idyllen des Theo-
im Suez-Konflikt; 1958 Intervention im krit), verfasste mit den „Georgica“, einem
Libanon, 1959 in Laos; 1960 Einsatz von alle Hauptgebiete der Landwirtschaft sach-
20 000 UN-Soldaten zur Unterdrückung kundig behandelnden Lehrgedicht, ein
der Kongounruhen; 1964 erfolgreiches vollendetes Werk der römischen Kunstpoe­
Eingreifen in Zypern; 1967 Eingreifen im sie, gestaltete in dem von Kaiser Augustus
Nahostkonflikt. Im Vietnamkrieg waren angeregten Epos „Aeneis“ (Irrfahrten und
die V. N. wegen der konträren Interessen- Heldenfahrten des Äneas als des Stamm-
lage der Weltmächte nahezu ausgeschaltet. vaters der Römer) in Nacheiferung des
1971 wurde die Volksrepublik China Mit- Homer das Nationalepos der Römer; von
glied der UN; 1973 erfolgte die Aufnahme großem Einfluss im MA (Dante).

942
Versailles

Verlagssystem, im späten MA entwickel­te (soweit nicht noch wie in Auschwitz und


Organisationsform der gewerbl. Produk- Maidanek in „arbeitsfähig“ oder „nicht ar-
tion, Zwischenstufe zw. zunftgebundenem beitsfähig“ sortiert) genötigt, sich zu ent-
Handwerk und neuzeitlichem ↑ Manufak- kleiden, was als Reinigungsmaßnahme
tur- bzw. ↑ Fabriksystem; gekennzeichnet ausgegeben wurde, mussten Wertsachen
durch Massenfabrikation mit handwerk- und persönliche Habe abgeben und wur-
lichen Mitteln (keine Maschinen) an de- den dann in Gaskammern geführt, die als
zentralisierten Produktionsstätten („Haus­ „Duschräume“ getarnt waren. Die Leichen
industrie“ bzw. Heimarbeit bes. in agrar. wurden, nachdem man ihnen noch das
Gegenden), finanziert und gelenkt vom Zahngold entfernt hatte, in Krematorien
„Verleger“ als kapitalkräftigem Unterneh- eingeäschert bzw. in Massengräbern ver-
mer (mehr Kaufmann als eigtl. „Industriel- scharrt, aus denen man sie beim Näher-
ler“), der ohne Zunftbeschränkung Groß- rücken der Front wieder ausgrub und an-
aufträge entgegennahm und diese verlegte, schließend verbrannte. Strikte Geheimhal-
verteilt auf mehrere Kleinbetriebe oder auf tung, Ermordung der (jüd.) Helfer, wenn
Heimarbeiter, nach Lieferung der Rohstoffe die Arbeit getan war, und Beseitigung der
(z. T. auch der Werkzeuge) und Auszahlung Spuren (die Vernichtungsstätten wurden
des Arbeitslohnes den Absatz der gefertig- gesprengt, in Treblinka pflanzte man so-
ten Waren übernahm (bzw. als Monopol gar Bäume auf den Massengräbern) be-
für sich beanspruchte); im 19. Jh. wurde wirkten, dass die V. noch lange nach dem
das V. weitgehend vom Fabriksystem ver- Krieg eine relativ unbekannte Größe blie-
drängt, behauptete sich aber in verschie- ben. Im Nürnberger Prozess wurden sie,
denen verkehrsentlegenen Gegenden (bes. bis auf Auschwitz, kaum erwähnt, erst in
in dt. Mittelgebirgen), wo die überwiegend den späten 50er und frühen 60er Jahren er-
arme Bevölkerung während des Winters brachten Gerichtsverfahren Material über
auf Heimarbeit angewiesen blieb (Texti- den industr. Massenmord (Gesamtzahl der
lien, Spielzeug, Schmuckwaren u. a.). Opfer ca. 3 Mio.). Der letzte Prozess (über
Vernichtungslager, auf polnischem Boden Maidanek) begann sogar erst 1975.
errichtete Lager, in denen der Massenmord Verona, Stadt an der Etsch mit gut erhal­
vor allem an Juden fabrikmäßig vorgenom- tenem röm. Amphitheater; alte kelt. Sied­
men wurde (↑ Endlösung). Im Dez. 1941 lung, ab 89 v. Chr. röm. Kolonie, 312 n. Chr.
wurde das erste V. in Chelmno eingerich- Sieg Konstantins d. Gr. über Pompejanus,
tet, im Lauf des Jahres 1942 folgten Bel- 403 Sieg Stilichos über Alarich, 489 Sieg
zec, Treblinka und Sobibor. Dazu kamen Theoderichs über Odoaker; V. fiel 572 an
↑ Auschwitz und Maidanek, wo die Ver- die Langobarden, 774 zum fränk. Reich;
nichtungsstätten einem ↑ Konzentrations- seit Markgraf ↑ Ezzelino an der Spitze der
lager integriert waren. Ein ausgeklügeltes Ghibellinen; 1406 venezianisch.
System sorgte dafür, dass möglichst wenig Versailles, Stadt im SW von Paris; Schloss
Deutsche an den V. beteiligt waren: Auf- V. anstelle eines alten Jagdschlosses seit
sichtsfunktionen wurden von einheim. 1661 im Auftrag Ludwigs XIV. durch Har-
Hilfstruppen wahrgenommen, das eigent- douin-Mansart erbaut, Gartenanlagen mit
liche Vernichtungsgeschäft von Juden, de- Wasserspielen von le Nôtre entworfen;
nen man dafür das Leben versprach (ohne 1682–1789 die Residenz der frz. Könige.
sich an das Versprechen zu halten); nur die 1783 Friede von V. zwischen Frankreich,
Lagerleitung wurde von der SS gestellt. Spanien, den USA und England; Aner-
Die in großen Deportationszügen in den kennung der Unabhängigkeit der 13 Verei-
V.n ankommenden Menschen wurden nigten Staaten; England trat Menorca und

943
Versailler Friedensvertrag

Florida an Spanien, Tobago und Senegam- verbrechens, forderte Wiedergutmachung


bien an Frankreich ab. – 1871 Proklama- durch Reparationen. Das Diktat wurde von
tion Wilhelms I. zum dt. Kaiser im Spiegel- Deutschland aufgrund der Drohung eines
saal zu V. – Seit Ende 1917 Sitzungen des alliierten Einmarsches angenommen, die
obersten Kriegsrates der Entente. – 1919 Zustimmung des Dt. Reichstages erfolgte
Friedensverhandlungen in V. (↑ Versailler mit 237 zu 138 Stimmen. Am 20. Juli 1919
Friedensvertrag). Unterzeichnung (nicht durch die USA und
Versailler Friedensvertrag, nach dem China); Inkrafttreten am 10. Jan. 1920.
1. Weltkrieg zw. den alliierten und assozi- Vertreibung, die mit Drohung oder Ge-
ierten Mächten und Deutschland; 18. Jan. walt bewirkte Aussiedlung der Bevölke-
1919 Beginn der Konferenzen im Spiegel- rung aus ihrer Heimat über die Grenzen
saal zu Versailles unter dem Präsidium von des vertreibenden Staates hinweg; mit dem
↑ Clemenceau (mit Lloyd George, Wilson, Nationalismus im 19. Jh. entstanden, re-
Orlando die „Großen Vier“), Deutschland sultierte aus den Bestrebungen, sprach-
wurde erst am Schluss der Beratungen zuge- liche und ethnische Übereinstimmung in
zogen. 7. Mai 1919 Übergabe der Friedens- einem Staatsgebiet herzustellen. Nach der
bedingungen an die dt. Delegation ohne Jahrhundertwende wurden die Fluchtbe-
mündl. Verhandlung (Rücktritt des dt. De- wegungen und Vertreibungen oftmals zu
legationsführers Graf Brockdorff-Rantzau). wahren Völkerwanderungen. Seit 1900
Der V. F. umfasste 440 Artikel, enthielt die haben mehr als 150 Mio. Menschen un-
Völkerbundssatzungen, setzte die neuen ter Zwang ihre Heimat verlassen (Gründe:
Grenzen Deutschlands fest: Ohne Abstim- Grenzänderungen, Staatsteilungen, Ände­
mung wurden Elsass-Lothringen, fast ganz rungen des politischen Systems, Verfol-
Posen und W-Preußen, das Memelgebiet gungen, Kriegshandlungen). Erste große
und das Hultschiner Ländchen abgetrennt, Fluchtbewegung des Jh. nach den Balkan-
Abstimmungen für Eupen-Malmedy, Saar kriegen 1912/13: 100 000 Türken wurden
(15 Jahre frz. Besatzung), N-Schleswig, aus ihrer Heimat Mazedonien und Thra-
Oberschlesien, Gebiete um Allenstein und zien vertrieben. Im 1. Weltkrieg wurden
Marienwerder vorgesehen. Danzig wurde durch Russland 150 000 russ. Wolhynien-
Freie Stadt unter Völkerbundschutz; Beset- Deutsche ins Innere Russlands und durch
zung des entmilitarisierten Rheinlands; der die Deutschen 65 000 Belgier als Zwangs-
V. F. verlangte Verzicht auf alle Kolonien, arbeiter nach Mitteldeutschland depor-
bestimmte die Abrüstung und Ausliefe- tiert. Nach dem 1. Weltkrieg flüchteten
rung von Kriegsmaterial, ebenso des größ- 1,5 Mio. Russen aus dem neu gebildeten
ten Teiles der Handelsflotte, und setzte die Sowjetstaat, 200 000 Deutsche aus den an
Zahl und Stärke des zukünftigen dt. Heeres Polen abgetretenen Gebieten, 320 000 Ar-
fest (keine Wehrdienstpflicht), Ablieferung menier aus der Türkei, 1921 Einsetzung
von Industrieeinrichtungen, landwirt- eines Internationalen Flüchtlingskommis-
schaftlichen Maschinen und Vieh, Eisen- sars (Fridtjof ↑ Nansen). In einer völker-
bahngerät, Übereignung der wertvollen dt. rechtlich sanktionierten Umtauschaktion
Seekabel, Freiheit des dt. Luftraumes und wurden 1923 1,2 Mio. Griechen gezwun-
Landefreiheit für die Luftfahrzeuge der Alli­ gen, die Türkei zu verlassen, und 600 000
ierten; die großen dt. Ströme wurden in- Türken, ihre Wohnsitze in Griechenland
ternationalisiert. Der Vertrag erklärte trotz aufzugeben, 200 000 Bulgaren verloren
Protest die Alleinschuld Deutschlands am ihre Heimat. Die Flüchtlingsnot setzte er-
Krieg, stellte Wilhelm II. und zahlreiche neut 1933 ein; bis 1939 gelang es 400 000
Generale unter die Anklage des Kriegs- Deutschen, aus dem nat.-soz. Deutschland,

944
Vesuv

und 360 000 Spaniern, aus Franco-Spanien (MA) und (bis zum 19. Jh.) dem Kabi-
zu fliehen. Der 2. Weltkrieg begann mit nensystem. Um 1900 erste Ansätze einer
der Evakuierung von 280 000 Polen aus grundlegenden V.reform (Aufbau, Inhalt,
dem Wartheland in das ↑ Generalgouver- Verfahren); heute steht die Effektivität
nement und der Einweisung von 200 000 der V. im Vordergrund, so bei der Gebiets­
Deutschen ins Wartheland. 1941 ver- reform, der Reform der V.funktionen, der
schleppte die UdSSR die Krimtataren und Reform der Büroorganisation und der Re-
Kalmücken, 400 000 Wolga- und 200 000 form des öffentlichen Dienstrechts.
Schwarzmeerdeutsche nach Sibirien; die Vespasian (Titus Flavius Vespasianus),
restl. 200 000 Schwarzmeerdt. wurden von röm. Kaiser (69–79 n. Chr.), geb. 9 n. Chr.;
Hitler nach Polen umgesiedelt; im Verlauf nach erfolgreichen Kämpfen gegen die
des Krieges wurden 9 Mio. Zwangsarbeiter aufständischen Juden auf Betreiben des
(„Fremdarbeiter“) nach Deutschland ver- sy­rischen Statthalters von den östl. Legio­
bracht. Bis 1943 wurden 75 000 Süd­tiroler nen als erster Plebejer zum Kaiser ausge-
ins „Großdt. Reich“ übernommen. Nach rufen, ließ durch seinen Sohn ↑ Titus den
dem Ende des Krieges (1947) übernahm Judenaufstand niederwerfen (Zerstörung
die UNRRA, eine Unterorganisation der ↑ Jerusalems 70 n. Chr.), machte auch den
UN, die Internationale Refugee Organi- unter den Claudiern ausgebrochenen Selb-
sation und 1951 der Hohe UN-Kommis- ständigkeitsbewegungen der ↑ Bataver ein
sar für Flüchtlinge einen Teil der Flücht- Ende; festigte dadurch das zerrüttete Staats-
lingsbetreuung. Doch setzten gleich nach gefüge (versinnbildlicht durch Monumen-
dem Kriegsende neue Vertreibungen und talbauten in Rom: Kolosseum, Jupitertem-
Fluchtbewegungen ein: Betroffen waren pel) und verhalf der plebejischen Dynastie
seit 1945 über 15 Mio. vor allem im Os- der ↑ Flavier zur Erblichkeit der Cäsaren-
ten beheimatete Deutsche. Das Phänomen würde.
griff im Zuge der Entkolonisation auch auf Vespucci, Amerigo, ital. Seefahrer, 1451–
Asien und Afrika über: In vielen jungen 1512; unternahm auf eigene Rechnung
Staaten herrschen ethnische Gegensätze, mehrere Erkundungsfahrten an die N-
die von den Kolonialverwaltungen igno- Küste S-Amerikas; von ihm stammten
riert oder unterdrückt wurden, mit der erste ausführliche Darstellungen des Völ-
Entlassung der Kolonien in die Unabhän- ker-, Tier- und Pflanzenlebens der Neuen
gigkeit aber aufbrachen und oft genug mit Welt, die lebendiger und genauer sind als
dem Mittel der V. gelöst wurden. die nüchternen Berichte des Kolumbus;
Verwaltung, in materieller Hinsicht die sie trugen die Kenntnis von dem neu ent-
Wahrnehmung öffentlicher Angelegenhei­ deckten Erdteil in weiteste Kreise; die Be-
ten (des Bundes, der Länder, Gemeinden, nennung des namenlosen Erdteils nach V.s
Gemeindeverbände, Anstalten, Stiftun­gen Namen erfolgte vermutl. ohne sein Zutun
des öffentl. Rechts) durch entsprechende durch den Deutschen Martin Waldseemül-
Organe; in organisator. Hinsicht die Ge- ler, vielleicht auch durch den Herausgeber
samtheit der Organe der V. (V.behörden); seiner Reiseberichte.
in formeller Hinsicht die Gesamtheit der Vesuv, am Golf von Neapel; der erste his­
Aufgaben der V.organe. Nicht zur V. (in torisch bekannte Ausbruch des V. 79 v. Chr.
materieller Hinsicht) zählen Regierung, zerstörte – da man den Vulkan für erlo-
Gesetzgebung und Rechtsprechung. Die schen gehalten und weit in seine Hänge hi-
Herausbildung der V. ist verbunden mit ei- nauf gebaut und gesiedelt hatte – u. a. die
ner staatl. Zentralgewalt und dem Beam- Städte ↑ Pompeji, ↑ Stabiae und ↑ Hercu-
tentum, hervorgegangen aus Hofämtern laneum.

945
Via Appia

Via Appia, röm. Reichsstraße nach S-Ita- stillstands akzeptiert; bei den Friedensver-
lien, fertiggestellt 312 v. Chr. von Zensor handlungen in Versailles 1919 musste Wil-
Appius Claudius Caecus, führte von Rom son unter dem Druck der Alliierten auf die
(Porta Capena) quer durch die Ponti­n. volle Durchführung seines Programms ver-
Sümpfe (hier durch einen Kanal entwäs- zichten, setzte aber die Gründung des Völ-
sert) bis Capua, später verlängert bis Brun- kerbundes durch.
disium (Brindisi), mit Ruhe- und Meilen- Vietcong, Abk. für Viêt Nam Công San
steinen, in der Nähe Roms beiderseits mit („Vietnames. Kommunisten“), im Vietnam­
zahlreichen Grabmonumenten aus vor- krieg Bez. für die kommunist. geführten
christl. und frühchristl. Zeit (u. a. Grabmal Guerillakämpfer in S-Vietnam.
der Scipionen). Vietminh, Abk. für Viêt Nam Dôc Lâp
Vichy (V. les Bains), frz. Kurort in der Dông Minh Hôi („Liga für die Unabhän-
Auver­gne; im 2. Weltkrieg seit Juli 1940 gigkeit Vietnams“), von Ho Tschi Minh
Sitz der Regierung Pétain in dem von den 1941 gegr. kommunistisch gelenkte Bewe-
Deutschen nach dem Waffenstillstandsab- gung von Bauern, Arbeitern, Kleinbürgern
kommen (↑ Compiegne) nicht besetzten und „patriot. Großgrundbesitzern“, deren
Teil Frankreichs; Deutschland in V. durch Politik gegen den jap. Imperialismus und
den Botschafter Abetz vertreten; nach der den frz. Kolonialismus gerichtet war.
Invasion 1942 in N-Afrika bewaffneter Vietnam (Viet Nam), Staat im östl. und
Widerstand der V.-Truppen und Abbruch südl. Hinterindien, gehörte urspr. zum frz.
der diplomat. Beziehungen zu den USA; Generalgouvernement ↑ Indochina, 1945
die Gegenregierung gegen V., das provi­sor. rief Ho Tschi Minh die Demokrat. Repu-
Nationalkomitee de ↑ Gaulles (London, blik V. (DRV) aus. V. erhielt 1949/50 bei
N-Afrika), proklamierte eine Fortsetzung der Teilung Indochinas in die drei inner-
des Kampfes gegen die Deutschen. halb der Frz. Union unabhängigen Gebiete
Viermächteabkommen, offizielle Bez. V., Kambodscha und Laos seine Selbstän-
für das am 3. Sept. 1971 zwischen den digkeit: Staatsoberhaupt Bao Dai, kommu-
USA, Großbritannien, Frankreich und der nist. dirigierte Gegenregierung der Viet-
Sowjetunion abgeschlossene sog. Berlin­ minh (nat., antikolonialist. Freiheitsbewe-
abkommen,(3. Juni 1972) in Kraft. gung), schwere Bürgerkriegskämpfe, de-
Vierter Stand, in Anlehnung an die tradi- ren Hauptlast die Franzosen trugen; 1954
tionellen drei Stände (Adel, Geistlichkeit, (nach dem Fall der frz. Dschungelfestung
Bürgertum) von W. H. Riehl geprägte Bez. Dien Bien Phu) wurde V. im Abkommen
für die als Folge der industriellen Revo- von Genf nach Lösung der Bindungen an
lution im 19. Jh. entstandene Schicht der Frankreich geteilt in die von der Sowjet-
lohnabhängigen Arbeiter. union unterstützte, kommunist. regierte
Vierzehn Punkte, 1918 verkündetes Frie- Volksrepublik Nord-V. und die auf Seiten
densprogramm des amerik. Präsidenten der Westmächte stehende Republik Süd-
↑ Wilson (im Sinne des „Friedens ohne V.; 1955 Bao Dai gestürzt; der Konflikt
Sieg“), u. a. Abschaffung der Geheimdiplo­ um die Auslegung des Genfer Indochina-
matie, Freiheit der Meere, gleiche Han- abkommens bestand zw. Nord- u. Süd-V.
delsbedingungen für alle Völker, Abrüs- seit 1955. Seit 1957 Kampf kommunist.
tung, Räumung der von den Mittelmäch- Guerillakämpfer aus Nord-V. gegen die
ten besetzten Gebiete, Selbstbestimmungs- südvietnames. Regierung Diem. Seit 1960
recht der Völker, Gründung eines Völker- entsandten die USA Militärberater, die sich
bundes; im Okt. 1918 wurden die V. P. von immer stärker an den Kämpfen beteiligten.
Deutschland als Grundlage des Waffen- Auf Ersuchen Süd-V.s griffen die USA

946
Viktor Emanuel

1964 direkt in den Krieg ein, seit 1965 des 1967 gegründeten südostasiat. Staaten-
systemat. Bombardierung Nord-V.s 1968 verbundes ↑ ASEAN. In der zweiten Hälfte
Erfolge der kommunist. Streitkräfte in der der 1990er Jahre führten die inzw. durch-
„Tet-Offensive“. 1968 Beginn der Waffen- geführten Wirtschaftsreformen zu einem
stillstandsgespräche in Paris, aber unver- Aufschwung, dennoch litt das Land unter
minderte Fortsetzung der Bombardierung. einer hohen Auslandsverschuldung (fast
1973 Unterzeichnung des Waffenstill- 30 Mrd. US-Dollar). 1997 Wechseln in
standsvertrages in Paris, 1975 Kapitulation der Führung des Landes, neuer Staatsprä-
der Republik Süd-V. 1976 offizielle Wie- sident Tran Duc Luong, neuer Minister-
dervereinigung von Nord- und Süd-V. (am präsident und damit Regierungschef Phan
2. Juli 1976 Gründung der Sozialist. Repu- Van Khai.
blik V., SRV); die Integration von Süd-V. Viktor, Päpste: 1) V. II. (Gebhard von
in die SRV war mit großen Flüchtlings- Eichstätt), Papst 1055–1057; als Bischof
strömen in umliegende Staaten verbunden. von Eichstätt der Vertraute Kaiser Hein-
1977 militär. Auseinandersetzungen mit richs III., der ihn als Reichsverweser ein-
Kambodscha, mit dem 1979 ein Freund- setzte, ihm die Regelung der ital. Ange-
schaftsvertrag geschlossen wurde; 1979 legenheiten überließ und ihn zum Vor-
Einmarsch der VR China in V., der nach mund seines Sohnes Heinrich IV. bestellte.
Gefechten wieder beendet wurde; fortlau- 2) V. III. (Desiderius), 1086 zum Papst ge-
fende Grenzprovokationen zw. VR China wählt, nahm erst 1087 die Wahl an; ehe-
und V.; seit 1983 Spannungen auch zw. mals Abt von Monte Cassino, erneuerte als
V. und Thailand. 1985 Reform des Lohn-, Papst auf der Synode zu Benevent das Ver-
Preis- und Währungssystems; 1987 Parla- bot der Laieninvestitur, gest. 1087.
mentswahlen; ab 1989 Rückzug vietnames. Viktor Emanuel, Fürsten von Sardinien
Truppen aus Kambodscha, 1991 Friedens- und Italien: 1) V. E. I., seit 1802 König
vertrag; seit 1989 direkte Gespräche zw. V. von Sardinien, 1759–1824; z. Z. Napole-
und VR China. In der zweiten Hälfte der ons auf Sardinien und Sizilien beschränkt,
80er Jahre reduzierte die Sowjetunion ihre erhielt 1814 Piemont mit Genua zurück;
finanzielle Unterstützung, worauf die viet- dankte 1821 ab. 2) V. E. II., König von
names. Wirtschaft schwere Einbußen erlitt Sardinien (1849–1861), erster König von
und sich die Lage der vietnames. Bevölke- Italien (1861–1878), geb. 1820; erstrebte
rung weiter verschlechterte. Wirtschafts- aufgrund einer Vereinbarung mit Napole-
reformen führten zu einer Reprivatisie- on III. (Erwerb der österr. Lombardei, Ve-
rung einiger Betriebe. Unter der Führung netiens, Parmas, Modems und Schaffung
von Le Duc Anh (Staatspräsident 1992– eines nordital. Königreichs unter V. E. ge-
97) und Vo Van Kiet (Ministerpräsident gen Abtretung von Savoyen und Nizza an
1991–97) öffnete sich das Land in Rich- Frankreich) und nach eigenen Plänen die
tung Westen und für ausländ. Investoren. staatliche Einheit Italiens, einschließlich
1992 neue Verfassung: Umwandlung der des Kirchenstaates; die weitergehenden
Plan- in eine Marktwirtschaft mit sozia- Pläne lehnte Napoleon ab, der eine Fö-
listischer Orientierung. Daraufhin Han- deration der ital. Staaten ins Auge fasste;
delsverträgen u. a. mit Japan und Austra- nach einer durch ↑ Cavour beeinflussten
lien; die USA hoben 1994 das seit 1975 Volksabstimmung in Mittelitalien besetzte
bestehende Handels­embargo gegen V. auf V. E. Mittelitalien; Garibaldi eroberte Nea­
(seit 1995 offizielle diplomatischen Bezie- pel und Sizilien, im gleichen Jahr Anne-
hungen); das Land erhielt inter­nationale xion des Kirchenstaates; V. E. 1861 zum
Entwicklungshilfe. 1995 wurde V. Mitglied König von Italien ausgerufen; Hauptstadt

947
Viktoria

zunächst Florenz und 1870 nach Abberu- Erhebung in den Cevennen nieder; 1708
fung der frz. Schutztruppen (Ausbruch des Oberbefehlshaber in den Niederlanden, er-
Dt.-Frz. Krieges) Rom. 3) V. E. III., der oberte Landau in der Pfalz und Freiburg
3. König von Italien (1900–1946), 1869– im Breisgau (1713); schloss 1714 den Frie-
1947; berief 1922 Mussolini an die Spitze den von Rastatt.
der Regierung, 1936 Kaiser von Äthiopien, Villehardouin, Geoffroy de, frz. Ge-
1939 König von Albanien; 1946 Abdan- schichts­schreiber; 1160–1213; Freund des
kung, Proklamierung der Republik durch Grafen Balduin von Flandern, den er auf
den Obersten Gerichtshof Italiens nach ei- dem Kreuzzug begleitete; Hauptwerk die
ner Volksabstimmung. „His­toire de la conquete de Constantino-
Viktoria, Königin von England (1837– ple“, eines der zuverlässigsten Werke der
1901); geb. 1819; vermählt mit ihrem Geschichtsschreibung des MA (Geschichte
Vetter Prinz Albert von Sachsen-Coburg, des 4. Kreuzzugs).
seit 1877 Kaiserin von Indien; Politik des Vinland („Weinland“), nord. Name für ei-
„Greater Britain“; ihre Regierungszeit, als nen nordöstlichen Landstreifen N-Ameri-
„viktorian.“ Zeitalter bezeichnet, gilt als kas (das aber nicht als Kontinent erkannt
das Goldene Zeitalter des brit. Imperiums wurde), an dessen Küste 986 Bjarni Her-
und des Bürgertums; die Erfolge der Köni- julfsson entlangfuhr, während Leif Erik-
gin beruhten weithin auf ihrer loyalen Be- son, der Sohn ↑ Eriks des Roten, dort lan-
achtung der von der Verfassung dem Herr- dete; Name nach der Entdeckung von Re-
scher gezogenen Grenzen, ihrer großen ben in der Gegend des heutigen Boston
Popularität sowohl im Mutterland wie im (oder Jerseys?), seit der Jahrtausendwende
Empire und in den Kolonien, in der im mehrmaliges Landen zur Beschaffung von
Allg. glücklichen Auswahl ihrer Mitarbei- Holz, das auf Grönland fehlte; Versuche
ter und in der gewaltig gesteigerten Wirt- der Nordländer, sich von Grönland aus
schaftskraft ↑ Großbritanniens. in V. festzusetzen, schlugen wahrschein-
Villanova-Kultur, Kultur der Bronze- und lich wegen dauernder Beunruhigung durch
Eisenzeit, um 1000 bis um 400 v. Chr. im Indianer fehl, doch blieb eine Verbindung
Raum des Nordapennin verbreitet und zw. Grönland und V. bis ins 12. Jh.; dann
aus der Brandbestattungskultur der Ur- geriet die Entdeckung in Vergessenheit.
nenfelderzeit erwachsen (Zentrum Bolo- Virchow, Rudolf, dt. Mediziner und Politi-
gna); Träger waren Indogermanen; Name ker, 1821–1902; seit 1856 Prof. in Berlin,
nach einem Landgut Villanova östl. von Begründer der Zellularpathologie (Krank-
Bologna, wo ein Gräberfeld entdeckt heiten sind krankhafte Veränderungen in
wurde (sog. Brunnengräber, kleine Ur- den Zellen, die im Knochen-, Knorpel- und
nenkammern am Ende eines senkrechten Bindegewebe die kleinsten Körpereinheiten
Schachts); reich ausgebildete Geräte in Ke- bilden); prähistor. und anthropolog. For-
ramik (Schnabelkannen, Schalen, Urnen) schungen; V. nahm Einfluss auf Hygiene­
und Bronze (Schalen, Tassen, Amphoren, gesetzgebung und soziale Fürsorge; als Poli­
Helme und Fibeln); typisch die Villanova- tiker Mitbegründer und einer der Führer
Graburne mit Deckelaufsatz in Kopf- oder der ↑ Fortschrittspartei, Gegner Bismarcks.
Heimform. Die V.-K. beeinflusste aufs Visconti, lombard. (ghibellinisches) Fürs­
stärkste die etrusk. Kultur und blieb in tengeschlecht, seit 1277 Herren in Mai-
langwährender Wechselbeziehung zu ihr. land: 1) V., Matteo, 1247–1322; Begrün-
Villars, Claude Louis Hector, Herzog von, der der Dynastie und des Mailänder Stadt-
frz. Marschall, 1653–1734; 1697–1701 staates. 2) V., Gian Galeazzo V., der bedeu-
Gesandter in Wien, schlug die protes­tant. tendste V., vereinigte alle Besitzungen des

948
Völkerwanderung

Geschlechts in seiner Hand, kaufte 1395 der Türkei; 1932 Austritt Japans, 1933
von König Wenzel den Titel „Herzog von Deutschlands, 1935 Italiens; 1934–1939
Mailand“; seine Söhne teilten die Besit- Mitgliedschaft der Sowjetunion; Ziele: ge-
zungen unter sich auf. genseitige Hilfe bei Friedensbruch, Aner-
Vitalienbrüder, auch „Likendeeler“ = kennung der Schiedssprüche des ↑ Haager
Gleich­teiler (der Beute), Seeräuberbund Gerichtshofes. Verhängung von Sanktionen
seit Ende des 14. Jh.; versorgten im Auftrag gegen Angreifer (2/3-Mehrheit erforder-
der Herzöge von Rostock und Mecklen- lich); Beginn der Tätigkeit Anfang 1920;
burg im Krieg zw. Dänemark und Schwe- zeitweise 59 Mitgliedsstaaten; 1946 (nach
den seit 1389 das von den Dänen belagerte Gründung der UN) Selbstauflösung.
Stockholm mit Lebensmitteln (Viktua- Völkermord, Genozid, die Ermordung,
lien), eroberten und plünderten 1392 das Verstümmelung, Geburtenverhinderung,
reiche Gotland, aus dem sie 1398 durch ↑ Deporta­tion von Kindern oder Verbrin-
Konrad von Jungrogen (Hochmeister des gung in lebensfeindliche Umstände eines
Deutschherrenordens) vertrieben wurden; großen Teiles oder der Gesamtheit einer
1401 vor Helgoland von einer Hamburger relig., ethnischen oder nationalen Gruppe,
Flotte besiegt. Gefangennahme und Hin- um diese auszurotten; im 20. Jh. u. a. an
richtung ihrer Anführer (↑ Störtebeker); den ↑ Armeniern (1915), ↑ Juden (1933–
1429 und 1439 plünderten die V. Bergen; 45), in ↑ Kambodscha (1971–79), in Ru-
um 1450 hörten ihre Raubzöge auf. anda (1994) und an den muslim. Bosniern
Vogt (lat. = advocatus), im MA Schirmherr (1992–95).
von Klöstern und Kirchen, die ↑ Immuni- Völkerrecht, ↑ Grotius, Vereinte Nationen.
tät besaßen; er vertrat die Immunitätsbe- Völkerschlacht bei Leipzig, 16.–19. Okt.
zirke in weltlichen, bes. in gerichtlichen 1813, entscheidender Sieg der Verbündeten
Angelegenheiten, da der betreffende Besitz (Böhmische Armee unter Schwarzenberg,
nicht der Gerichtsbarkeit der Grafen usw. Schlesische Armee unter Blücher, Nord­
unterstand; ebenso hatten königliche Do- armee unter Bernadotte, insges. 255 000
mänen, die von der regionalen Gerichts­ Mann) über Napoleon (160 000 Mann),
hoheit entbunden waren, Vögte, deren dessen Herrschaft rechts des Rheins damit
Amt (Vogtei) später lehnbar wurde; auch zusammenbrach (über 80 000 Tote und
für die Reichsburgen gab es Vögte, meist Verwundete).
verwalteten die Burggrafen dann das Amt. Völkerwanderung, die große german.
Aufgrund des Marktrechts erhielten auch Völkerwanderung von etwa 375 n. Chr. an
die Städte, die aus dem Gerichtsbezirk (Eindringen des mongol. Nomaden-Rei-
ausschieden, zu dem sie bis dahin gehört tervolkes der Hunnen aus Zentralasien in
hatten, die niedere Strafgerichtsbarkeit, sie den Siedlungsraum der Goten in S-Russ-
bestellten einen Schultheiß, der sich mit land). – Treibende Kraft der Wanderzüge
dieser Aufgabe befasste; in Bischofsstädten von Stämmen und Stammesverbänden vor
betraute der Bischof einen Vogt mit den allem Landnot (Mittel- und N-Europa in
Strafgerichten. dieser Zeit vornehml. Waldgebiet mit aus-
Völkerbund, 1918 in den 14 Punkten Wil- gedehnten Mooren), waldfreier Siedlungs-
sons gefordert, im Versailler Vertrag (Arti- raum bei zunehmender Bevölkerungszahl
kel 1–26) geschaffen; Mitglieder urspr. die nicht ausreichend, da die Germanen um
Alliierten des Ersten Weltkrieges und die diese Zeit noch nicht rodeten („vergießen
meisten Neutralen, ohne USA und UdSSR, lieber Blut als Schweiß“); Stoßrichtung
Sitz in Genf; 1920 Aufnahme Österreichs, der frühen Völkerverschiebungen wegen
1922 Ungarns, 1926 Deutschlands, 1932 des nach Westen und Süden versperrenden

949
Völkischer Beobachter

Limes und der Abwehrkraft des röm. Im- geschlossen war die V. Anfang des 8. Jh.
periums in dieser Zeit nach Osten und SO: durch die die Wanderströmungen eindäm-
Weichselgebiet, Schlesien und S-Russland, mende fränk. Reichsgründung.
Auswanderung oftmals nur überschüs- Völkischer Beobachter, 1887 als „Münche­
siger Volksteile in Gruppen; Ursache viel- ner Beobachter“ gegr. dt. Tageszeitung;
fach auch Zwietracht innerhalb der Völ- 1920 von den Nationalsozialisten erwor-
kerschaften (Abzug der besiegten Partei); ben und ab 1923 als V. B. täglich erschie-
weniger ausschlaggebend Wander-, Beu- nen, gilt als eines der wichtigsten Propagan­
tetrieb oder Abenteurertum der Stammes- damittel für die nat.-soz. Ideologie; am
fürsten. In der frühen Zeit der V. verstär- 27. April 1945 eingestellt.
ktes Einsickern in den Bereich des röm. Volkseigentum, in der DDR ehemals ge-
Imperiums; zunächst noch Einschmelzung bräuchl. Bez. für den Teil des sozialist. Eigen­
oder Einordnung in das Staatsganze (Legi- tums, der direkt dem Staat unterstellt war,
onärsdienst), dann aber mächtiger, gewalt- wie volkseigene Betriebe, Bodenschätze,
samer Einbruch in das Reichsgefüge in den Verkehrswege und ­Transportmittel.
Markomannenkriegen 166–180 (Marko- Volksfront, Bez. für eine Koalition zw.
mannen von den Goten vorwärts gescho- kommunist., sozialist., sozialdemokrat.
ben); insges. aber bis ins 4. Jh. Unterwan- und linksbürgerl. Parteien. Die V.politik
derung des Römerreiches in staatl. noch zu ging von dem 7. Weltkongress der Kom-
bewältigender Form; Ansiedlung der Zu- munist. Internationale (Komintern) 1935
gewanderten als Kolonen (freie Pächter), aus und war die Schlussfolgerung aus der
Liten (von laeo, Angehörige unterworfener faschist. Machtübernahme in Italien und
Völkerscharten, minderfreie Militärkolonis­ Deutschland. Die V.politik wurde zur ver-
ten), Föderaten (ganze Völkerscharten im bindl. Richtschnur kommunist. Innen- und
Grenzschutzdienst, vertragl. geregelt); seit Außenpolitik nach 1935; so in Frankreich
Konstantin Eindringen auch in die Offi- unter L. Blum (1936/37 und 1938), Spa-
ziersstellen des Heeres und in die kaiser- nien unter Azana y Diaz, Largo Caballero,
lichen Hofämter; Grenzlegionen in dieser Negrin (1936–1939) und Chile (1938–
Zeit fast nur fremdvölk. und die Masse der 1947). Die V.politik vor dem 2. Weltkrieg
Eingewanderten nicht mehr der Romani- scheiterte an den innenpolit. und außenpo-
sierung unterwerfbar. Konzentrierter Stoß lit. Auseinandersetzungen sowohl zw. den
der Wandervölker begann nach dem Auf- sie tragenden Parteien (Wer­tung des Par-
tauchen der Hunnen am O-Horizont Eu- lamentarismus) als auch zw. V.regierungen
ropas 375 n. Chr., dem Vorrücken der Ala- und konservativen bzw. faschist. Regie-
nen und dem Ausweichen der Westgoten; rungen in Europa. Nach dem 2. Welt-
über den Verlauf dieser im Allg. als eigent- krieg diente die V.politik (vornehml. in O-
liche V. bezeichneten Epoche: ↑ Aleman- Europa unter sowjet. Regie) der Durchset-
nen, Alanen, Goten (West- und Ostgoten), zung antifaschist.-demokrat. Gesellschafts-
Vandalen, Hunnen, Langobarden, Gepi- systeme, die zu sozialistischen Volksrepu-
den, Heruler, Angelsachsen u. a. Wie der bliken führten. In westlichen Ländern ent-
Beginn der V. nicht durch eine Jahreszahl standen Möglichkeiten einer V. durch die
genau datiert werden kann, so auch nicht Entspannungspolitik, wirtsch.-soziale Pro-
das Ende; es wird gekennzeichnet entweder bleme und Eurokommunismus. In Finn­
durch dauernde Staatenbildungen inner- land (1966–70) und Chile (1970–73) for-
halb des alten Imperiums oder durch das mierten sich V.regierungen; in Frankreich
Fehlschlagen versuchter Staatsgründungen kandidierte 1973 und 1978 ein V.bündnis
(Vandalen, Langobarden, Westgoten); ab- (erfolglos) zu den Parlamentswahlen.

950
Voltaire

Volksgerichtshof, Sondergericht für Lan­ ausgebildet und bewaffnet, vermochte der


des- und Hochverratssachen in Berlin; V., wo er eingesetzt wurde (Pommern,
wurde nach dem Prozess um den Reichs- Schlesien, Westdeutschland), nichts an der
tagsbrand, der einige für die NS-Machtha- dt. Niederlage zu ändern.
ber peinliche Freisprüche erbracht hatte, Volkstribunen, im antiken Rom die
am 24. April 1934 eingerichtet. Sechs Se- nicht mit Amtsvollzugsgewalt ausgestat-
nate mit jeweils fünf Mitgliedern (davon teten, als unverletzl. erklärten Vertreter der
bis zu drei Laien) führten eine Vielzahl 494 v. Chr. den Plebejern eingeräumten
von Verfahren gegen „Volksschädlinge“, Schutzbehörde (urspr. je zwei, später fünf,
„Wehrkraftzersetzer“, „Spione“ etc. durch seit 457 v. Chr. je zehn), die Einspruchs-
(z. B. 1943 bei ca. 3 500 Angeklagten ca. recht (veto) gegen alle Amtshandlungen
1 660 Todesurteile und kaum Freisprüche). und Senatsbeschlüsse besaßen, außerdem
Bes. unter seinem Präsidenten Roland berechtigt waren, Tributkomitien der Ple-
Freisler (ab 1942) geriet der V. zum reinen bejer und später auch den Senat einzuberu-
Terrorinstrument. Bekannt ist die (auch im fen; seit Augustus verlor das Volkstribunat
Film festgehaltene) Verhandlungsführung (zuletzt nur noch zu persönlichen Zwecken
gegen die Verschwörer des 20. Juli, denen benutzt) seine Selbständigkeit und bildete
gegen den brüllenden und geifernden Präsi­ eine der Rechtsgrundlagen für das ↑ Prin-
denten keine Chance blieb. zipat der röm. Kaiser. – 1347 versuchte
Volkskammer, Volksvertretung in Dt. De­ Cola di Rienzo vergeblich, das Volkstribu-
mokrat. Republik; entwickelte sich aus nat zu erneuern. Das 1799 in Frankreich
dem 2. Dt. Volksrat, am 7. Okt. 1949 als eingeführte Tribunat umfasste als gesetzge-
provisor. Volkskammer konstituiert. bende Körperschaft 100 Mitglieder (1807
Volksrechte, die german. Stammesrechte als selbständige Behörde beseitigt).
der Frühzeit (zum Unterschied von den Volsker, Stamm der Urbevölkerung Mit-
von der königlichen Zentralgewalt ausge- telitaliens, kämpften seit etwa 500 v. Chr.
henden, urkundlich festgelegten Reichs- gegen die Römer; 338 v. Chr. von den Rö-
rechten noch nicht aufgezeichnet); erst im mern endgültig unterworfen.
Zuge der Stabilisierung der Verhältnisse Voltaire, François Marie Arouet de,
und damit des Rechtswesens seit den Karo- Hauptsprecher der frz. Aufklärung, 1694–
lingern Sammlung und Aufzeichnung der 1778; führte ein wechselvolles Leben, be-
V. der Bayern, Friesen, Sachsen, Angeln, reiste (1726–28) England (Mutterland der
Franken, Räter, Langobarden; urspr. wurde Aufklärung), nach schriftsteller. Erfolgen
jeder Angehörige des Reiches, gleich wo er in Paris vergöttert; 1750–53 Gast Fried-
sich aufhielt, nach seinem Stammesrecht richs d. Gr. in Sanssouci (der den Lite-
abgeurteilt. raten V. bewunderte, doch den Charakter
Volkssturm, das letzte militär. Aufgebot V.s verachtete); seit 1758 meist auf seinem
zur Unterstützung der dt. Streitkräfte im Gut Ferney bei Genf, wo er sich im Kampf
2. Weltkrieg. Am 25. Sept. 1944 befahl gegen Intoleranz auszeichnete; 1791 beige-
Hitler in einem Erlass, „zur Verstärkung setzt im Pantheon. Obwohl eitel und ober-
der aktiven Kräfte unserer Wehrmacht ... flächlich, ohne eigene schöpfer. Gedanken,
aus allen waffenfähigen Männern im Alter in seinem Verhältnis zur Religion von Un-
von 16 bis 60 Jahren“ den dt. V. zu bilden. verständnis und Hass geleitet, als Roman-
H. Himmler als Befehlshaber des Ersatz- und Bühnenschriftsteller bei aller Produk-
heeres leitete den V. militärisch, M. Bor- tivität (über 50 Stücke) nur zweitrangig,
mann als Leiter der Parteikanzlei war für wurde V. doch dank seines scharfen Ver-
die Organisation zuständig. Unzulänglich standes und blendenden, klaren Stils der

951
Vo Nguyên Giap

„repräsentativste Franzose“ (Goethe) und ihre Forschungsmethoden (Grabungen,


der meistbewunderte, einflussreichste Ver- Deutung, Datierung und Ermittlung der
künder der Aufklärungsphilosophie, die er Zusammenhänge der Bodenfunde, oft un-
von England übernahm, radikal zu Ende ter Zuhilfenahme naturwiss. Methoden
dachte (Deismus) und in dieser Form dem und durch Vergleich mit bereits aufgehell-
empfänglichen frz. Publikum vermittelte; ten prähistor. Epochen) wurden erst seit
dabei verband er sarkast.-polem. Agitation der Zeit der Romantik ausgebildet, geför-
gegen Glaube und Kirche mit dem Aufruf dert durch die Arbeit der Abstammungs-
zu Humanität und Toleranz; polit. nahm und geolog. Forschung; Altmeister der dt.
er eine bürgerlich-gemäßigte Haltung ein, Vorgeschichtswissenschaft ist Gustav Kos-
lehnte die revolutionären Konsequenzen sinna (1858–1931), der mithilfe von Sied-
aus dem (naturrechtlichen) Vernunftrecht lungsresten, Grabanlagen („Siedlungsar-
(Volkssouveränität) ab und forderte nur chäologie“) Urheimat, Wanderwege und
Reformen und Beseitigung der Auswüchse Kulturstufen der vorgeschichtlichen Ger-
der absolutist. Despotie; als Historiker er- manen weitgehend erschloss; als Haupt-
öffnete er mit dem „Versuch über die Sit- abschnitt der Vorgeschichte gelten Stein-,
ten und den Geist der Nationen“ einen Bronze-, Eisenzeit; die Chronologie der V.
neuen Abschnitt der Geschichtsschreibung ist bei den einzelnen Völkern verschieden.
durch Einbeziehen der Kultur- und Geistes­ Vormärz, die Zeit vor der dt. Märzrevolu­
geschichte; der Begriff der Geschichts­ tion 1848; einerseits stillbehagliches ↑ Bie-
philosophie wurde von ihm geprägt. dermeier auf der soliden Grundlage bürger-
Vo Nguyên Giap, vietnames. General und lichen Wohlstands, straffer staatl. Ordnung
Politiker, geb. 1910; war 1941 Mitbegrün- und eines aus den Ausgleichsbemühungen
der des ↑ Vietminh; die von ihm geführte des Wiener Kongresses erwachsenen europ.
Partisanenarmee errang 1954 den entschei- Friedens; andererseits nur die „Ruhe vor
denden Sieg über die frz. Kolonialtruppen; dem Sturm“, Gärung und Vorbereitung der
V. entwickelte maßgeblich die Strategie bevorstehenden europ. Revolution, Unter-
des modernen Guerillakrieges; 1976–1980 minierung des Systems Metter­nich und der
Verteidigungsminister des wiedervereinig­ Hl. Allianz durch die natio­nal­staatl. Bewe-
ten Vietnam; außerdem 1955–1991 stell- gung (z. B. Kampf der Patrioten gegen den
vertretender Ministerpräsident von Nord- Dt. Bund); Auseinander­setzung zw. den
bzw. des wiedervereinigten Vietnam. Kräften der Restauration und den Verfech-
Vorderösterreich, der aus dem habsburg. tern der libe­ralen und demokrat. Idee, zw.
Besitz entstandene südwestdeutsche habs- Absolutismus und Konstitutionalismus,
burg. Länderkomplex; im 14. und 15. Jh. Sammlung des „fortschrittlich“ gesinnten
zum Territorium der Vorlande zusammen- Bürgertums zur Erzwingung des Rechts-
gefasst und seit dem 16. Jh. V. gen.; 1648 und Verfassungsstaates, Zeiterscheinungen:
fielen die elsäss. Besitzungen von V. an „Demagogenriecherei“, ↑ Zensur, Blüte des
Frankreich, 1801-05 kam der größte Teil polit.-satir. Feuilletons.
an Bayern, Württemberg und Baden. Vulgata (lat., die Verbreitete), lat. Bibel-
Vorgeschichte (Prähistorie), Teilgebiet der text, um 400 im Auftrag Papst Damasus‘
gesamten Geschichtsforschung; befasst sich hauptsächl. von Hieronymus anhand la-
mit den Frühepochen der menschlichen tein., griech., hebr. Vorlagen zusammenge-
Kultur, für die noch keine literar. Zeug- fasst; seit Gregor d. Gr. gültiger, seit dem
nisse vorliegen; ihr Aufgabenbereich ist ↑ Tridentiner Konzil (1546) in Glaubens-
also zeitlich weit ausgedehnter als der der und Sittenlehren für die röm.-kath. Kirche
Geschichtswissenschaft im engeren Sinne; verbindlicher Schrifttext (↑ Bibel).

952
Waffen-SS

Waffen-SS, selbständige mi- gewesen war, auf seine Urform zurückzu-

W litärische Organisation der SS


(↑ Schutzstaffel) im 2. Welt-
krieg, hervorgegangen aus der
SS-Verfügungstruppe (VT). Der Name W.
führen; die Sekte der W. versuchte in wie-
derholten Aufständen (Hl. Kriege) gegen
die türk. Sultane die Annahme ihrer Lehre
mit Gewalt durchzusetzen; enge Verknüp-
tauchte erstmals in einer Himmlerschen fung mit der Saud-Dynastie; Zentrum der
Dienstanweisung vom 22. Nov. 1939 auf, W.-Bewegung Arabien und die Länder am
seit Mitte 1940 war er dienstlich allge- Pers. Golf; erfolgreichster W.-Herrscher
mein üblich. Zunächst rekrutierten sich Abd Al Asis (↑ Ibn Saud), der Erwecker des
die Verbände der W. aus Freiwilligen, ab arab. Nationalismus und Gründer des heu-
1942 musste man auch auf Wehrpflichtige tigen Königreichs ↑ Saudi-Arabien.
zurückgreifen; außerdem kämpften in der Wahlkapitulationen, vor der Wahl gege-
W. Freiwillige aus Dänemark, Norwegen, bene Zusagen, die der zu Wählende vor
den Niederlanden, Flandern, Wallonien, Antritt seines Amtes beschwören oder ur-
Finnland, dem Baltikum etc. Der Ein- kundlich bezeugen musste; zunächst im
satz der W. erfolgte im Rahmen der Hee- MA gelegentlich von Konventen und
resverbände, es gab keinen eigenen Gene- Domkapiteln bei der Wahl von Bischöfen
ralstab, die W. stellte aber Oberbefehls- und Äbten angewandt, auch bei Papst-
haber von Armeen und ­ Heeresgruppen. wahlen; viele Königswahlen des MA wur-
Insgesamt kämpften in der W. 1940 rund den von W. abhängig gemacht; als eigentl.
100 000, 1943 schon 540 000 und Ende W. bezeichnete man die seit 1519 durch
1944 rund 910 000 Mann (darunter etwa die Kurfürsten dem Kaiser vor der Wahl
200 000 Nichtdeutsche). Der Nürnberger gestellten Bedingungen, die später zu Tei-
Gerichtshof erklärte die W. als Bestandteil len der Reichsverfassung wurden.
der SS zur verbrecher. Organisation, von Wahlrecht, als „aktives W.“ (Stimmrecht)
der Bundesrepublik Deutschland dagegen das Recht der Staatsbürger, Abgeordnete
bekamen ihre ehem. Mitglieder 1961 den für die Volksvertretung (↑ Parlament, Kon-
Status von Wehrmachtsangehörigen (mit stitutionalismus) zu wählen, urspr. als
allen Rechtsfolgen) zugesprochen. „Zensus-W.“ gebunden an Vermögen, Ein-
Wagenburg, im Altertum und MA viel- kommen oder Steuerleistung, z. B. preuß.
fach angewandte Verteidigungstaktik, bei ↑ Drei-Klassen-W; in Frankreich Einfüh-
der die Wagen eines Marschzuges zur Ver- rung des allgemeinen, gleichen W.s durch
schanzung im Viereck zusammengestellt die Februarrevolution 1848; als Prinzip
wurden, manchmal von Wall und Graben übernommen von der ↑ Frankfurter Na-
umgeben und durch besondere „Büchsen- tionalversammlung. Im ↑ Norddt. Bund
wagen“ an den Ecken verstärkt; auch von (1867) und im Dt. Kaiserreich 1871 allg.
den ↑ Hussiten und Buren angewendet. gleiches Wahlrecht für den Reichstag in der
Wagengrab, vorgeschichtl. Grabtyp; cha- Verfassung verankert (wahlberechtigt alle
rakterist. ist die Mitbestattung eines kom- Männer ab 21 Jahren; Frauenwahlrecht in
pletten oder zerlegten Wagens, bekannt Deutschland erst seit 1919). W.s-Reform
seit dem jüngeren Neolithikum Eurasiens, eine Hauptforderung der polit. Arbeiter­
zumeist auf die Oberschicht beschränkt. bewegung (Chartisten in England; Lasalle
Wahhabiten (arab.), sunnit. mohamme- in Deutschland, ↑ Sozialdemokratie); stu-
dan. Reformbewegung, Mitte des 18. Jh. fenweise Erweiterung des W. in Großbri-
gegr. von Abd Al Wahhab, der bestrebt war, tannien. „Passives W.“: Recht, für eine
den ↑ Islam, dessen Bannerträger nach dem Volksvertretung kandidieren zu dürfen,
Untergang des arab. Weltreiches die Türkei meist bestimmtes Alter erforderlich.

953
Währungsreform

Währungsreform, in West-Deutschland: Waldemar, der „Falsche W.“ (vermutl. ein


Umstellung der Reichsmark (Vorkriegs- Müllerbursche aus der Mark), gest. 1356;
und Kriegswährung) auf Deutsche Mark tauchte 1347 auf, gab sich für den zurück-
(Nachkriegswährung) am 21. Juni 1948, gekehrten (in Wirklichkeit verstorbenen)
durchgeführt von den alliierten Besatzungs- Markgrafen ↑ Waldemar von Brandenburg
mächten (außer der UdSSR); Abwertung aus, fand starken Anhang, wurde 1348
der „Reichsmark“ im Verhältnis 100 zu 6,5 durch Kaiser Karl IV. mit Brandenburg be-
(Altgeld) bzw. 10 zu 1 (Verbindlichkeiten), lehnt, 1350 entlarvt und abgesetzt.
Einziehung der umlaufenden Bargeldbe- Waldemar, dän. Könige: 1) W. I., d. Gr.
stände, Auszahlung eines Kopfgeldes von (1157–1182), geb. 1131; kämpfte gegen
60 DM (bei Firmen je 60 DM pro Beschäf- die Wenden, eroberte 1168 Rügen und
tigtem); in der Sowjetzone: Umstellung gründete Kopenhagen. 2) W. II., der Sie-
von Reichsmark auf Dt. Mark (Ost) am ger, Sohn von 1), (1202–1241), geb. 1170;
23. Juni 1948. Weitere Währungsreformen eroberte die Weichselmündung, Ösel, Re-
waren 1990 die Umstellung des Währungs- val, Estland; 1227 von den norddt. Fürsten
systems der ehem. DDR auf D-Mark und geschlagen. 3) W. IV., Atterdag (Beiname
2002 die Einführung des EURO. aufgrund seiner Bedachtsamkeit; 1340–
Waiblingen, Stadt und Burg nordöstlich 1375), geb. um 1320; verkaufte 1346
von Stuttgart, 885 n. Chr. als Karolingerp- Estland an den Dt. Orden, eroberte 1361
falz unrkundl. erwähnt, kam an die Salier, ↑ Wisby; vor dem Angriff der Kölner Kon-
dann an die Staufer; nach W. nannten sich föderation der Hanse flüchtete W. ins Aus-
vermutlich die Staufer und ihre Anhänger land; im Frieden von Stralsund (1370) be-
„Waiblinger“ oder ↑ „Ghibellinen“. hauptete die Hanse die Sundburgen Ska-
Waitz, Georg, Historiker aus Flensburg, nör, Falsterbo, Malmö und Helsingborg.
1813–1886; Schüler ↑ Rankes, 1842 Prof. Waldenser, auch „Pauperes de Luguduno“
in Kiel, 1849 in Göttingen, 1875 in Berlin (Arme aus Lyon) genannt, christl. Reform-
Mitglied der Akademie, Leitung der „Mo- bewegung des MAs, von Petrus Waldus
numente Germaniae historica“, Werke: „Dt. (Valdes), Kaufmann aus Lyon, um 1175
Verfassungsgeschichte“; „Quel­lenkun­de zur gegr.; freiwillige Armut, ev. Gleichheit, Ab-
dt. Geschichte“. lehnung des Priestertums, Forderung radi-
Walachei, Landschaft in ↑ Rumänien, seit kaler Kirchenreform; 1184 gebannt; vie-
dem 14. Jh. Fürstentum, seit 1417 meist len Verfolgungen ausgesetzt, 1209–1218
unter türkischer Oberherrschaft, durch den durch Kreuzzüge (Waldenserkriege) be-
Frieden von ↑ Adrianopel 1829 unter russ. kämpft und in Massen getötet; Reste wan-
Schutzherrschaft, 1859/60 Zusammen­ derten nach Böhmen, Mähren, Oberitalien
schluss mit dem Moldaugebiet zum „Fürs- und Piemont aus; heute noch in Gemein-
tentum Rumänien“. schaften in Italien und USA.
Waldeck, Grafschaft in Mitteldeutschland, Waldheim, Kurt, österr. Politiker, geb.
1712 Fürstentum, seit 1867 unter preuß. 1918; 1968–1970 österr. Außenminister,
Verwaltung, 1918 Freistaat; 1922 wurde 1971 Kandidat der ÖVP zur Bundespräsi-
Pyrmont, 1929 ganz W. preußisch. dentenwahl (unterlag dem SPÖ-Vertreter);
Waldemar, Markgraf von Brandenburg 1972–1981 UN-Generalsekretär; 1986–
(1309–1319), geb. 1281; brachte 1309 alle 1992 Bundespräsident. Wegen ungeklärter
märk. Besitzungen unter seine Herrschaft, Vorwürfe, er sei als Wehrmachtsoffizier auf
kämpfte gegen einen Bund norddt. Fürsten dem Balkan an Kriegsverbrechen beteiligt
und behauptete sein Hoheitsrecht über das gewesen, war er im Amt sehr umstritten
Erworbene (↑ Waldemar, der „Falsche“). und wurde international gemieden.

954
Wandervogel

Waldstädte, Bez. für die bis 1801/03 zu mit den Schweden (gegen den Willen des
Vorderösterreich gehörenden, am Hoch­ Kaisers); 1634 Absetzung, W. verpflichtete
rhein gelelegenen Städte Laufenburg, Rhein­ in Pilsen einen Teil der Generäle, eroberte
felden, Säckingen und Waldshut. ganz N-Deutschland und plante ein Ost-
Waldus, Petrus, ↑ Waldenser. seereich, in seinen letzten Absichten un-
Wales, Landschaft an der W-Küste Eng­ durchsichtig; Ermordung in Eger.
lands, früh von Kelten (Waldren, Walisern) Wallonen, romanisierte Kelten und Ger-
besiedelt; seit dem 10. Jh. Versuch der An- manen in S-Belgien und NO-Frankreich,
gelsachsen, dann der Normannen, die Wa- frz. Mundart mit german. Sprachresten;
liser zu unterwerfen; 1282 von Eduard I. traditionelles Kräftespiel mit dem über-
geschlagen, W. brit. Provinz; seit 1301 wiegend fläm. Bevölkerungsteil Belgiens
„Prince of W.“ Titel der engl. Thronfolger; (↑ Flamen).
1536 W. völlig mit England vereinigt. Walpole, Sir Robert, Graf von Oxford,
Walesa, Leszek („Lech“), poln. Gewerk- bedeutender engl. Staatsmann, erster par-
schaftsführer und Politiker, geboren 1943; lamentar. engl. Ministerpräsident, 1676–
1970 und erneut 1980 Streikführer der 1745; 1715–1717 und 1721–1742 Mi-
Danziger Werftarbeiter (insbes. der Lenin- nisterpräsident, verfolgte eine Politik des
werft), führend an der Legalisierung der Friedens; ihm gelang es, im Kampf mit
freien Gewerkschaft „Solidarität“ (↑ Soli- Krone und Parlament die konstitutionelle
darnosc) beteiligt, wurde 1980 deren Vor- Kabinettsregierung durchzusetzen.
sitzender; einer der führenden poln. Politi- Wandalen, ↑ Vandalen.
ker, die die Entwicklung der Volksrepublik Wandervogel, um 1895 als Schülergruppe
Polen von einem sozialist. Staat zu einer in Steglitz entstandene (seit 1901 „W.-Aus-
Republik mit marktwirtschaftlicher Prä- schuss für Schülerfahrten“) Organisation,
gung durchsetzen halfen; Friedensnobel- von der die dt. Jugendbewegung nach der
preis 1983; 1990 zum Staatspräsidenten ge­ Jh.wende ihren Ausgang nahm. Der W.
wählt, scheiterte 1995 bei der angestrebten lehnte bürgerliche Kultur und Großstadt-
Wiederwahl. zivilisation ab, suchte statt dessen die Be-
Wallace, Sir William, Schott. Freiheits- gegnung mit und das gemeinsame Aben-
held, um 1275–1305; Führer der schott. teuer in der Natur und bemühte sich um
Erhebung gegen die Engländer, schlug eine alternative, jugendspezif. Kultur mit
1297 die Engländer bei Stirling, musste Wandern und Zeltlagern, Volksliedern und
später nach Frankreich fliehen, kehrte zu- -tänzen. Im 1. Weltkrieg schlossen sich
rück, wurde von Eduard I. bei Falkirk ge- Kriegsfreiwillige z. T. im „Feld-W.“ zusam-
schlagen; an England ausgeliefert und we- men. Nach 1918 löste sich der W. in ver-
gen Hochverrats hingerichtet. schiedene Gruppen auf, völk.-nat. Organi-
Wallenstein, Albrecht Wenzel Eusebius sationen spalteten sich ab; 1929 gehörten
von, Herzog von Friedland (1624), Meck- den W.-Bünden insges. 30 000 Mitglieder
lenburg (1628) und Sagan (1628), 1583– an. Nach der Machtübernahme Hitlers
1634; Feldherr im ↑ 30-jährigen Krieg, schlossen sich W.-Gruppen z. T. freiwillig
1625 Feldmarschall und Oberbefehlshaber der HJ an, die ebenfalls Wander- und La-
des kaiserlichen Heeres, 1630 entlassen; gerleben bot; offiziell wurden die W.-Bünde
das Vordringen Gustav Adolfs bewog den im Juni 1933 aufgelöst, ihre Mitglieder in
Kaiser, W. zurückzurufen, der weitgehende die HJ überführt. Einzelne Gruppen blie-
Zusagen verlangte, 1632 Generalissimus; ben jedoch weiter in Kontakt und wurden
nach ersten großen Erfolgen Niederlage bei gelegentlich zu Keimzellen jugendlichen
↑ Lützen, eigenmächtige Unterhandlungen Widerstandes im Dritten Reich.

955
Wannsee-Konferenz

Wannsee-Konferenz, Konferenz von ho- organisation); Militärbündnis zwischen


hen Vertretern von Reichs- und Parteibe­ den sozialistischen osteuropäischen Län-
hörden unter Leitung von Reinhard ↑ Hey­ dern mit vereinigtem Oberkommando;
drich am 20. Jan. 1942 am Wannsee in Ber­ Mitglieds- und Gründer­staaten UdSSR,
lin. Die Konferenz hatte zum Ziel, „Klar- Alba­nien, Bulgarien, Polen, Rumänien, die
heit in grundsätzl. Fragen“ der ↑ Endlösung Tschechoslowakei und Ungarn; Vertrag un-
zu bringen und die Zusammenarbeit aller terzeichnet am 14. Mai 1955 (als Reaktion
Instanzen und Behörden zu gewährleis­ten. auf die am 9. Mai vollzogenen Aufnahme
Anstelle der bisher praktizierten Auswan- der Bundes­republik Deutschland in den
derung der Juden sollte die Evakuierung ↑ Nordatlan­tikpakt); Vereinbarung gegen­
in den Osten treten. Die W. gilt als Aus- seitiger Militärhilfe und gemeinsamen
gangspunkt für den systemat. Völkermord Oberbefehls im Kriegsfall; 1956 offizieller
an den Juden. Beitritt der DDR, 1968 Austritt Albaniens
Wappen, ↑ Heraldik. (schon seit 1965 wegen prochines. Hal-
Warbeck, Perkin, angebl. Sohn Eduards IV. tung von den Tagungen ausgeschlossen).
von England, um 1474–1499; Kronpräten­ 1968 Inter­vention der W.-P.-Truppen der
dent gegen Heinrich VII., nannte sich Rich­ ­Sowjetunion, der DDR, Polens, ­Bulgariens
ard IV., landete 1497 in England; endete und Ungarns in der Tschechoslowakei, um
am Galgen. den Reformkurs der tschechoslowakischen
Warschau, 1224 urkundlich als Stadt er- KP zu stoppen. Nach den politischen Ver-
wähnt, Sitz der Herzoge von Masowien, änderungen in den Mitgliedsstaaten löste
seit der Mitte des 16. Jh. Hauptstadt ↑ Po- sich der Warschauer Pakt am 1. Juli 1991
lens; 1655 von den Schweden besetzt, aber auf.
zurückerobert; 1656 nach der Schlacht vor Wartburg, Bergschloss in Thüringen bei
W. zw. Brandenburgern (Gr. Kurfürst), Eisenach, um 1070 durch den Thüringer
Schweden (Karl X. Gustav) und Polen wie- Grafen Ludwig den Springer erbaut; Resi-
der vorübergehend in der Hand der Gegner; denz der thüring. Landgrafen (Aufenthalt
im ↑ Nord. Krieg erneut stark betroffen, der hl. Elisabeth); 1263 an die Wettiner,
1764–1774 und 1793 von Russen besetzt; 1485 an die Ernestiner; 1521/22 Luther
1794 Aufstand der Polen gegen den Zaren, auf der Wartburg (Asyl des vom Reich Ge-
doch vom Zarenheer (Suworow) zurücker- ächteten, Übersetzung eines Teiles des N. T.
obert; durch die 3. Teilung Polens 1795 an s ins Hochdt.); im 19. Jh. restauriert.
Preußen; 1806 von Franzosen besetzt; seit Wartburgfest der Jenaer Burschenschaft
1807 Hauptstadt des zum ↑ Rheinbund am 18. Okt. 1817 zur 300-Jahr-Feier der
gehörigen Großherzogtums W.; 1813 in Reformation und zum Gedächtnis an die
Händen der Russen; 1815 Hauptstadt des Schlacht bei Leipzig; die anschließende Ver-
durch den ↑ Wiener Kongress in Perso- brennung von Schriften ↑ Kotzebues und
nalunion mit Russland vereinigten König- anderer führte – im Zusammenhang mit
reichs Polen („Kongresspolen“); 1830/31 der Ermordung Kotzebues in Mannheim
Revolution; 1915 von den Dt. besetzt; seit 1819 – zur ↑ „­Demagogenverfolgung“.
1918 Hauptstadt des neuen Polens; im Po- Wartenberg, Johann Kasimir von Kolbe,
lenfeldzug 1939 weitgehend zerstört; 1944 Reichsgraf (seit 1699) von, preuß. Mi-
Aufstand, 1945 von der Roten Armee be- nister, 1643–1712; trat 1688 in branden-
setzt; nach dem 2. Weltkrieg Hauptstadt burg. Dienst, 1697 leitender Minister,
des territorial stark veränderten Polens. setzte 1701 die Proklamation eines König-
Warschauer Pakt, auch Warschauer Ver- tums der Hohenzollern in Preußen durch,
trag; Abk.: WVO (Warschauer Vertrags- wegen korrupter Amtsführung entlassen.

956
Weber

Warwick, Richard Neville, Graf von W., der tees verschleiert zu haben; nachdem ein
„Königsmacher“ der engl. ↑ Rosenkrie­ge, Gericht Nixon der Mithilfe bei der Vertu-
kämpfte auf der Seite Richards von York schung der Affäre beschuldigt hatte, leitete
gegen König Heinrich VI. von Lancaster; der Rechtsausschuss des Kongresses ein
setzte nach dem Sieg bei Towton 1461 Verfahren zur Amtsenthebung ein (Im-
nach Richards Tod die Krönung von des- peachment); am 8. Aug. 1974 trat Nixon
sen Sohn Eduard durch (Eduard IV.), trat von seinem Amt als Präsident zurück, sein
später wieder auf die Seite Heinrichs und Nachfolger G. Ford gewährte ihm „volle
brachte diesen auf den Thron; 1471 von und absolute Begnadigung“, was Nixon
Eduard bei Barnet besiegt und gefallen. vor möglicher Strafverfolgung schützte.
Wasa, schwed. Adelsgeschlecht, regierte Waterloo, Dorf in Brabant bei Brüssel;
in Schweden 1523–1654, in Polen 1587– in der Schlacht bei W. (Belle-Alliance)
1668. schlugen Wellington und Blücher, der trotz
Washington, George, Begründer der ame- seiner Niederlage am 16. Juni bei Ligny ge-
rik. Unabhängigkeit, erster Präsident der rade noch rechtzeitig eintraf, Napoleon
USA, 1732–1799; stammte aus Virginia, entscheidend (18. Juni 1815); der Sieg
1775 Oberbefehlshaber der aufständ. ame- führte den endgültigen Sturz Napoleons
rik. Streitkräfte, 1789–1797 nach Festle- herbei (Abdankung 22. Juni 1815).
gung der Verfassung erster Präsident; Po- Watt, James, brit. Ingenieur, 1736–1819;
litik der Neutralität, führte die Vereinigten konstruierte die erste zuverlässig arbeitende
Staaten aus bedrängten Verhältnissen zur ↑ Dampfmaschine, 1774 Fabrikgründung
ersten Machtentfaltung; Realpolitiker, galt zusammen mit Boulton; nach ihm wurde
als Vorbild republikan. Gesinnung; Grab die Einheit der elektr. Leistung, das Watt,
und Obelisk in der nach ihm benannten benannt.
Bundeshauptstadt W. (DC). Wat Tyler (Walter der Ziegelbrenner),
Wassilewski, Alexandr Michailowitsch, Anführer des engl. Bauernaufstands von
sowjet. Heerführer und Marschall, 1895– 1381, forderte Abschaffung der Hörigkeit
1977; 1941 als Generalmajor in der ope- und der Feudallasten; die Zugeständnisse
rativen Verwaltung des Generalstabes, seit Richards II. wurden nach der Ermordung
Nov. 1943 Chef des Generalstabes, 1945 W. T.s (1381) durch den Bürgermeister von
Oberbefehlshaber der 3. Weißruss. Front London von der Regierung widerrufen.
bei der Eroberung Ostpreußens, führte Weber, Max, dt. Volkswirtschaftler und
im Aug. 1945 die sowjet. Operationen ge- Soziologe, 1864–1920; seit 1893 Prof. in
gen Japan; 1949–1953 Minister der Streit- Berlin, 1894–97 in Freiburg im Breisgau,
kräfte bzw. Kriegsminister, 1952–1961 1897–1903 in Heidelberg, 1918 in Wien
Mitglied des ZK der KPdSU. und 1919/20 in München; Mitglied der
Watergate-Affäre, Bezeichnung für den Kommission für die Weimarer Verfassung;
bedeutendsten politischen Skandal in den W. zählt zu den „Vätern“ der dt. Soziolo-
USA; die während des Präsidentschafts- gie, Studien zum Verhältnis von Religion,
Wahlkampfes 1972 vom „Komitee für die Wirtschaft und Gesellschaft stehen im Mit-
Wiederwahl des Präsidenten“ veranlasste telpunkt seines wiss. Werkes; zu seinen he-
Einbruchsaktion in das Hauptquartier der rausragendsten Arbeiten zählt „Die protes-
Demokraten(Watergate-Apartments,Washing- tant. Ethik und der Geist des Kapitalismus“
ton, D.C.) belastete zuerst enge Mitarbeiter (1904/05), in dem W. die Entwicklung der
des Präsidenten Nixon, später diesen selbst kapitalist. Gesellschaft aus puritan. Religio-
schwer, Nixon geriet in den Verdacht, die sität und rationaler ­Lebensweise erklärt; W.
Machenschaften seines Wiederwahlkomi- plädierte für die strikte Trennung von welt-

957
Weberaufstände

anschaulicher Wertung objektiv ermittelter 1935 Einführung der einjährigen, 1936 der
Tatsachen (Politik) und der Wertungsfrei- zweijährigen W., 1945 nach der Kapitula-
heit der Soziologie (Wissenschaft). tion aufgehoben; mit Gesetz vom 21. Juli
Weberaufstände, kleinere Aufstände in 1956 Wiedereinführung der allg. W. in der
Sachsen und Schlesien seit dem Konjunk- Bundesrepublik Deutschland.
turrückgang, der auf die Aufhebung der Weichbild (mhdt. wichbilde = Recht der
↑ Kontinentalsperre Anfang des 19. Jh. Siedlung, Stadtrecht), im MA die Rechte
folgte, größere Erhebungen 1844 und und Privilegien einer Stadt, wie sie z. B. im
1848; sozialkrit., anklagend behandelt in Magdeburger Schöffen- oder Weichbild-
Gerhart Hauptmanns schles. Dialektdrama recht festgelegt waren; auch der zu einer
„Die Weber“ (1892), später ins Hochdt. Stadt oder Burg gehörige Gerichtsbezirk;
übertragen. allg. Stadtkern, Altstadt.
Wehner, Herbert, dt. Politiker, 1906– Weimar, ehemals Residenzstadt des Groß-
1990; trat 1927 der KPD bei, 1930/31 herzogtums Sachsen-Weimar; 975 erstmals
stellvertretender Vorsitzender der KPD- urkundlich erwähnt, 1254 Stadt; 1247–
Landtagsfraktion in Sachsen, ging 1933– 1373 unter den Grafen von Weimar-Or-
35 in den Untergrund, arbeitete ab 1937 lamünde, dann an die Wettiner, 1485 an
in der UdSSR für die Komintern, in deren die ernestin. Linie; 1572 Residenzstadt von
Auftrag er 1941 nach Schweden ging. 1942 Sachsen-Weimar; Glanzzeit 1775–1830
wurde W. von einem schwed. Gericht we- unter Großherzog Karl August (Musenhof:
gen „Gefährdung der schwed. Freiheit und Goethe, Schiller, Wieland, Herder, Scho-
Neutralität“ zu einem Jahr Haft verurteilt, penhauer); Schlossneubau 1790–1803.
vollzog in dieser Zeit den Bruch mit der Weimarer Nationalversammlung, ↑ Natio­
KPD. 1946 kehrte er nach Deutschland nalversammlungen.
zurück und trat der SPD bei, war 1949– Weimarer Republik, die durch Beschluss
1983 Mitglied des Bundestages, 1958– der Nationalversammlung (­Präsidentenwahl
1973 stellvertretender SPD-Vorsitzender, 11. Feb., Verfassung 11. Aug. 1919) zu Wei­
stellte in dieser Funktion die Weichen für mar 1919 begr. Deutsche Republik auf de-
die Umwandlung der SPD in eine linke mokratisch-parlamentarischer Grundlage;
Volkspartei und die Regierungsbeteiligung bis 30. Jan. 1933; ↑ Deutschland.
in der Großen Koalition (ab 1966); 1966– Weimarer Verfassung, ↑ Deutschland,
69 Bundesminister für gesamtdt. Fragen, Grundgesetz.
1969–1983 SPD-Fraktionsvorsitzender im Weiße Hunnen, Hephthaliten (pers. Chi-
Bundestag, seit 1969 maßgeblich an der niten, chin. Jeta, arab. Haital), Nomaden-
neuen Ostpolitik der sozialliberalen Koali- und Reitervolk mongol. Herkunft, ver-
tion aus SPD und FDP beteiligt. mutlich mit den ↑ Hunnen verwandt; be-
Wehrpflicht, allg., Verpflichtung jedes waf­ unruhigten seit der Mitte des 5. Jh. n. Chr.
fenfähigen Angehörigen eines Staates zum den Vorderen und Mittleren Osten und
Militärdienst. Die W. setzte sich erst nach Indien. Um 460 setzten sie sich in Kabul
der Frz. Revolution durch (Vorläufer die (Afghanistan) fest; von hier war Hauptan-
↑ Levée en masse 1792), 1814 in Preußen griffsziel zunächst das Perserreich der Sas-
eingeführt (↑ Landwehr, Landsturm), in saniden; 484 besiegte der Hordenführer
den Grundzügen bis zum 1. Weltkrieg bei- Aksunvar die Perser und gewann für ei-
behalten; seit 1870/71 W. überall in Eu- nige Zeit die Herrschaft über das Sassani-
ropa außer in England (in den USA seit denreich; dann Vorstoß gegen Indien; der
dem 2. Weltkrieg); in Deutschland 1919 Hordenführer Mihirakula (502–530; „At-
durch den Versailler Vertrag abgeschafft, tila Indiens“) errichtete im Pandschab ein

958
Welfen

Schreckens­regiment (blutige Verfolgung der Evangelischen Kirche in Deutschland;


des Buddhismus); das Reich der W. H. 1969–1981 Mitglied des Bundestages, kan-
erstreckte sich vom Pandschab und von didierte 1974 für das Amt des Bundesprä-
Ostiran bis Turkestan und zum Aralsee. sidenten, 1979–1981 Bundestagsvizepräsi-
Um 560 erlagen die W. H. der vereinigten dent, 1981–84 Regierender Bürgermeister
Macht der Sassaniden und Turkvölker; im von Berlin; 1984–1994 Bundespräsident
Pandschab hielten sich Reste bis ins 7. Jh. der Bundesrepublik Deutschland.
Weißer Berg, Anhöhe bei Prag, 1620 Welf, dt. Grafen und Fürsten: 1) W.,
entscheidender Sieg der Kath. Liga und schwäb. Graf, gest. um 824; Schwiegervater
der Kaiserlichen über den Winterkönig Ludwigs des Frommen. 2) Welf I. (gest. vor
↑ Friedrich V. von der Pfalz. 876), begr. die ältere Linie des welf. Hauses.
Weiße Rose, Widerstandsgruppe aus Stu- 3) W. IV., seit 1070 als Welf I. Herzog von
denten, Gelehrten und Künstlern in Mün- Bayern, gest. 1101; Sohn des Markgrafen
chen; verteilte 1943 Flugblätter („Aufruf Azzo II. von Este und Neffe Welfs III., mit
an alle Deutschen“ u. a.), die zum pas- dem die männliche Linie der älteren Wel-
siven Widerstand gegen das nat.-soz. Re- fen ausstarb (1055); erhielt als Parteigänger
gime aufforderten. Sechs Mitglieder wur- Heinrichs IV. 1070 Bayern, das er 1077 vo-
den vom Volksgerichtshof zum Tode ver- rübergehend verlor, starb auf einem Kreuz-
urteilt, darunter die Geschwister ↑ Scholl zug 1101; Ahnherr der jüngeren Welfen-
und der geistige Führer der Gruppe, Prof. linie (Welf-Este), ↑ Este. 4) W. V., Herzog
Kurt Huber. von Bayern, 1072–1120; Sohn von 3), auf
Weistum (mhdt. wistuom, Auskunft), Veranlassung des Vaters vermählt mit der
im MA allg. die geformte Überlieferung etwa 25 Jahre älteren ↑ Mathilde von Tus-
des alten Gewohnheitsrechts (die frühen zien, vererbte Bayern auf seinen Bruder
Volksrechte setzten sich aus königlichen Heinrich den Schwarzen. 5) W. VI., Sohn
Verordnungen, Rechten der Grundherren Heinrichs des Schwarzen von Bayern,
und aus Weisungen rechtskundiger Män- 1115–1191; 1140 von König Konrad III.
ner zusammen); die Weistümer im engeren bei Weinsberg geschlagen, verlor das Her-
Sinne waren alte überlieferte Bauernrechte zogtum Bayern.
(Gewohnheitsrechte), sie wurden meist zu Welfen (↑ Welf ), altes dt. Fürstenge-
bestimmten Zeiten des Jahres oder aus be- schlecht in Bayern, später auch in Schwa-
stimmten Anlässen von den Rechtskun- ben sesshaft; 1070 Herzöge von Bayern,
digen eines Ortes verlesen; verbreitet vor 1137 von Sachsen; die W. standen an der
allem in S- und W-Deutschland, im Elsass, Spitze der Opposition gegen die Staufer, in
in der Schweiz und in Österreich; das öf- Italien „Guelfen“ genannt; durch die Ehe
fentliche Recht wurde seit dem 13. Jh. in Judiths, der Schwester Heinrichs des Stol-
zahlreichen Weistümern schriftlich festge- zen, mit Friedrich II. von Schwaben wurde
halten, wichtige mittelalterliche Rechts- die Gegnerschaft nur vorübergehend ge-
quellen. mildert; 1180 Sturz Heinrichs des Löwen;
Weizmann, Chaim, Präsident der zionist. die W. verloren Bayern und Sachsen; 1235
Weltorganisation und der Jewish Agency, durch König Friedrich II. Errichtung des
1874–1952; 1948 erster Präsident des welf. Herzogtums ↑ Braunschweig-Lüne-
Staates ↑ Israel; ↑ Zionismus. burg; im 14. und 17. Jh. Teilungen; 1714–
Weizsäcker, Richard Freiherr von, dt. Po- 1837 hannoversche Linie auf dem Thron
litiker, geb. 1920; seit 1950 Mitglied der ↑ Großbritanniens (Sophie, die Tochter des
CDU, 1964–1970 Präsident des Ev. Kir- Kurfürsten Friedrichs V. von der Pfalz und
chentages, seit 1969 Mitglied des Rates der Elisabeth Stuart, vermählt mit Ernst

959
Wellington

August von Hannover, war die Mutter Ge- Weltkrieg, Erster, 1914–1918. Der als
orgs I., des ersten hannoverschen Königs in zwangsläufig erwartete Krieg, in den die
Großbritannien). Staatsmänner „hineinschlitterten“, hatte
Wellington, Arthur Wellesley, Herzog von, seine Ursache in der krisenhaften allgemei-
brit. Feldherr und Politiker, 1769–1852; nen Lage; übersteigerter Imperialismus der
seit 1808 Befehlshaber der brit. Truppen führenden Weltmächte, Wirtschaftsimperia­
gegen Frankreich in Portugal und ­Spanien, lismus, Rüstungswettlauf, Nationalismus,
gewann im Verein mir dem preuß. Heer insbes. auch der kleineren Völker, Pansla-
die Schlacht bei Waterloo (Fürst von Water­ wismus u. a. Äußerer Anlass: Ermordung
loo); britischer Bevollmächtigter auf dem des österr.-ungar. Thronfolgers Erzherzog
Wiener Kongress, 1818–1830 Premiermi- 28. Juni 1914 in Sarajewo. Österr.-­ungar.
nister, 1834–1835 Außenminister. Ultimatum an Serbien 23. Juli 1914 und
Wels, Otto, dt. Politiker, 1873–1939; be- Kriegserklärung an Serbien 28. Juli 1914.
reits vor dem 1. Weltkrieg einer der füh- Folgen: russ. Mobilmachung und Einset-
renden Funktionäre der SPD. Als scharfer zen der „Kettenreaktion“ der Militärpakte:
Gegner des linken Flügels verhinderte W. Kriegserklärungen Deutschlands an Russ-
1918 als Stadtkommandant von Berlin land 1. Aug. und an Frankreich 3. Aug.,
eine Radikalisierung der Novemberrevolu- am 4. Aug. Kriegserklärung Englands an
tion; als Sprecher der SPD-Reichstagsfrak- Deutschland, österr.-ungar. Kriegserklä-
tion beeinflusste er nachhaltig die Außen- rung an Russland 5. Aug. 1914. – 1914:
politik der Weimarer Republik (Sicherung Westen: 4. Aug. Beginn des dt. Vormarsches
des Locarno-Paktes). Insges. pragmat. und durch Belgien. Durchführung des ↑ Schlief-
auf den Organisationsapparat der Partei fen-Planes scheiterte in der Schlacht an der
orientiert, bemühte sich W. um eine eher Marne (6.–9. Sept.; dt. Rückzug – auf Ver-
bürgerlich ausgerichtete SPD-Politik, to- anlassung des vom Großen Hauptquartier
lerierte 1930–1932 das Kabinett Brünings entsandten Oberstleutnants Hentsch im
und warb 1932 für die Wiederwahl Hin- Einvernehmen mit dem Oberbefehlsha-
denburgs als Reichspräsident. Am 23. März ber von Bülow der II. Armee – von den
1933 gab W. vor dem Reichstag in einer Franzosen als „Wunder an der Marne“ be-
mutigen Rede die Stellungnahme der SPD- zeichnet). 18.–27. Okt. dt. Offensive an
Fraktion gegen das ↑ Ermächtigungsgesetz der Yserfront, 6. Nov. Langemarck. Ende
ab. Danach im Exil in Prag, seit 1938 in des Bewegungskrieges. – Osten: In Ost-
Paris. preußen siegreiche Schlachten bei Tannen­
Welser, Augsburger Patriziergeschlecht, berg (27.–30. Aug.) und bei den Masur.
das durch Groß- und Fernhandel (S-Eu- Seen (8.–13. Sept.), dann Stellungskampf.
ropa, Neue Welt, Indien) zu Reichtum – Türkei: 12. Nov. Kriegserklärung an die
kam, neben den ↑ Fuggern die Bankiers Entente. Teilkämpfe im Kaukasus, in Ägyp-
Kaiser Karls V. – 1) W., Bartholomäus, ten und Mesopotamien. – 1915: Westen:
Rat Kaiser Karls V., 1488–1561; Koloni- Versuche der Entente, in der Champagne
sation Venezuelas, das er für 12 Tonnen und in Flandern durchzubrechen, schei-
Gold zum Pfande erhielt. 2) W., Philip- terten. – Osten: Niederlagen der Russen
pine, Nichte von 1), 1527–1580; 1557 in der Winterschlacht in den Masuren 7.
heimliche Vermählung mit Erzherzog Fer- bis 15. Feb. und im Augustower Wald 9.–
dinand, dem 2. Sohn Kaiser Ferdinands I. 11. März; Dt.-österr. Großoffensive in Ga-
3) W., Markus, Stadtpfleger von Augsburg lizien und Durchbruch bei Gorlice – Tar-
und Historiker, 1558–1614; gab die Peu- now 2./3. Mai; frontale Zurückdrängung
tingerschen Tafeln heraus (↑ Peutinger). der Russen bis zur Linie Riga–Dünaburg–

960
Weltkrieg, Zweiter

Dubno–Czernowitz. – Italien: 23. Mai zur Unterzeichnung des Waffenstillstandes


Kriegserklärung an Österreich-Ungarn, von Padua. – Türkei: Zusammenbruch des
Juni–November 4 Isonzoschlachten ohne türk. Widerstandes am 19. Sept. in Paläs-
Erfolg. – Türkei: Versuch einer brit.-frz. tina, 30. Okt. Waffenstillstand. – Krieg zur
Flotte, die Dardanellen zu bezwingen, See, 1914–1918: Fernblockade durch brit.
Landung auf Gallipoli. –Serbien: (5. Okt. Hochseeflotte. Dt. U-Boot-Krieg in allen
Kriegseintritt Bulgariens), 6. Okt. gemein- Gewässern führte durch uneingeschränkte
same dt.-österr.-ungar. Offensive und Bre- Führung 1917 zum Kriegseintritt Ameri-
chung des serb. Widerstandes (27. Nov.). kas. 31. Mai–1. Juni 1916 unentschiedene
– 1916: Westen: Dt. Angriff bei Verdun seit Seeschlacht vor dem ↑ Skagerrak trotz grö-
21. Feb. führte zu keinem Erfolg; 24. Juni ßerer Verluste der brit. Flotte. 29. Okt.
bis Nov. brit.-frz. Offensive an der Somme, 1918 Ausbruch der Revolution in Kiel.
Durchbruchsversuche abgeschlagen. – Os- – Kolonien: Nur in O-Afrika bis 1918
ten: Rumäniens Kriegseintritt am 27. Aug. Widerstand unter Lettow-Vorbeck. – Frie-
auf Seiten der Entente. Dt.-österr. Feldzug densschlüsse: In Versailles mit Deutsch-
gegen Rumänien ab 26. Sept., 6. Dez. Ein- land, in St. Germain mit Österreich, in Tria­
nahme von Bukarest. – 1917: Westen: Frz. non mit Ungarn, in Sevres mit der Türkei.
Massenangriffe zw. Soissons und Reims. Sonderfriede der USA mit Deutschland
7. Juni Beginn einer Materialschlacht in 25. Aug. 1921 in Berlin. Der 1. W. forderte
Flandern. – Osten: 16. März Ausbruch der insges. 10 600 000 Todesopfer (↑ Deutsch-
russ. Revolution, Zusammenbruch der russ. land).
Front, Einnahme der balt. Inseln. 26. Nov. Weltkrieg, Zweiter, 1939–1945, Vorge-
Waffenstillstand mit der revolutionären schichte: Die seit dem Triumph des Fa-
Regierung Russlands. – Balkan: 13. Juli schismus in Italien (1922) sich in zahl-
Kriegseintritt Griechenlands auf Seiten reichen Staaten durchsetzende Idee einer
der Entente. – Italien: Gegenoffensive der autoritären Staatsführung im Gegensatz zu
Mittelmächte bis zur Piave. – Türkei: brit. der in England und in USA lebensfähig
Gegenstoß vom Suezkanal her. Besetzung verankerten Demokratie führte zu zwischen­
von Jerusalem (9. Dez.), Arabien auf Seiten staatlichen krisenhaften Spannungen: Abes­
der Entente. Kriegsentscheidend: 6. April sinienkonflikt 1935/36; Bürgerkrieg in Spa­
Kriegserklärung und Eingreifen der USA. nien 1936–1939; 1934 nat.-soz. Putsch in
– 1918: Westen: gegen steigende Material- Österreich; Italien und Jugoslawien waren
und Truppenüberlegenheit dt. Versuch, zum Schutze Österreichs gegen weitere
durch die am 21. März begonnene „Große Einmischung Hitlers bereit, der seit 1933
Schlacht in Frankreich“ eine Entscheidung unter der Devise „Kampf gegen Versailles“
zu erzwingen. 18. Juli starke Gegenoffen- eine neue dt. Machtpolitik mit dem letzten
sive der Alliierten brachte den Umschwung Ziel einer „german.“ Hegemonie in Europa
der Lage, 8. Aug. Tankschlacht zw. Somme eingeleitet hatte; Feb. 1933: Hitler forderte
und Oise, Einbruch der Briten in die dt. Lebensraum im Osten und dessen „Ger-
Front. 28. Sept. Friedensforderung der manisierung“; Okt. 1933 Austritt aus dem
dt. Obersten Heeresleitung, allg. Rück- Völkerbund und Verlassen der Abrüstungs-
zug auf die Antwerpen-Maas-Stellung bis konferenz; Feb. 1934 Reichsverteidigungs-
zum Waffenstillstand am 11. Nov. 1918. rat beschloss „wirtsch. Kriegsvorberei-
– Osten: 3. März Friede von Brest-Litowsk tungen“; 1934 erwogen: Korridor durch
mit Russland – Balkan: Zusammenbruch N-Frankreich zum Atlantik und Inbesitz-
der bulgar. Front am 15. Sept. in Maze- nahme der Ukraine; 1935 Einführung der
donien. – Italien: Alliierter Angriff führte allg. Wehrpflicht und offene Aufrüstung

961
Weltkrieg, Zweiter

(Protest der Stresafront England, Frank- protokoll über die Aufteilung Polens und
reich, Italien; frz.-russischer Beistandspakt; der balt. Länder. Deutschland garantierte
trotzdem dt.-brit. Flottenabkommen; die erneut die Neutralität Belgiens. Nach ergeb­
Tonnage wurde auf 35 für Deutschlands zu nislosen Verhandlungen mit Polen, dem
100 [für England] festgelegt); 1936 Beset- das Garantiebündnis mit England den Rü-
zung der entmilitarisierten Rheinzone, Lo- cken stärkte, eröffnete Hitler ohne Kriegs-
carnopakt als nichtig erklärt, dt.-ital. Ver- erklärung am 1. Sept. die Kampfhand-
trag nach Eroberung Abessiniens (Achse lungen gegen Polen; am 3. Sept. erklärten
Berlin–Rom), Antikominternpakt mit Ja- gegen alle Erwartungen Hitlers die Garan-
pan; 1938 Hitler Oberbefehlshaber der tiemächte England und Frankreich an
Wehrmacht, Einmarsch Hitlers in Öster- Deutschland den Krieg. – Der Kriegsver-
reich und dessen Eingliederung in das Dt. lauf: – 1939: Der dt. Feldzug in Polen mit
Reich („Großdeutsches Reich“); Ausdeh- weit überlegenen Kräften nach 18 Tagen
nung der Aggressionspolitik Hitlers; im beendet; Einmarsch der sowjet. Armee in
Herbst sudetendt. Krise, doch allg. Kriegs- O-Polen und Festlegung der dt.-sowjet. In-
gefahr gebannt durch das Eingreifen des teressenlinie am Bug und San. 27. Sept.
brit. Premierministers Chamberlain; Begeg­ Kapitulation Warschaus. W-Polen wurde
nungen mit Hitler in Berchtesgaden und dt. Generalgouvernement. – Sowjet.-fin-
Godesberg; ↑ Münchner Konferenz und nischer Winterkrieg: 30. Nov. 1939 Kriegs-
Münchner Abkommen: dt.-brit. Nichtan- ausbruch, Kämpfe an der Mannerheimli-
griffspakt (von England als Erfolg der Poli- nie und am Ladogasee. – 1940: März Frie-
tik der „Befriedung“ angesehen), Anschluss densvertrag von Moskau: Das besiegte
des Sudetenlandes an das Dt. Reich. Unter Finnland musste O-Karelien und Viipuri
Bruch der in München gegebenen Verspre- abtreten (Völkerbund verurteilte die
chungen März 1939 dt. Einmarsch in Prag UdSSR als Angreifer). – Inzwischen im
und Errichtung des Reichsprotektorats Westen Aufmarsch der Armeen entlang der
Böhmen und Mähren, Wiederanschluss Maginotlinie bzw. des Westwalls; britische
des Memelgebietes; April 1939 Besetzung Truppen in Frankreich – Seekrieg: Fernblo-
Albaniens durch Mussolini. Gegenmaßnah­ ckade der dt. Küsten. – März 1940: Musso-
men des Westens: allg. Wehrpflicht, brit.- lini erklärte sich bereit, in den Krieg einzu-
frz. Garantieerklärung für Polen, Rumä- treten. – Kampfverlauf im Norden: 9. April
nien, Griechenland und die Türkei; Appell dt. Angriff (brit. Besetzungsplan zuvorkom­
Roosevelts an Hitler und Mussolini, Roose- mend) gegen Dänemark und Norwegen;
velt verlangte zur Verhütung weiterer krie- kampflose Besetzung Dänemarks, ­Landung
ger. Eingriffe garantierte Sicherheit für 21 entlang der durch die Alliierten verminten
Staaten. Hitler kündigte in seiner Antwort norweg. Küste bis Narvik, hartnäckige
(Reichstagsrede) den dt.-brit. Flottenver- Kämpfe, vor allem auch mit gelandeten al-
trag sowie den dt.-poln. Nichtangriffspakt liierten Truppen; brit. Truppen bis zum
von 1934 und forderte die Rückgabe Dan- 8. Juni in Narvik, 9. Juni Kapitulation Nor-
zigs sowie eine Autobahn durch den Korri- wegens; im Mai brit. Landung auf Island
dor. Mai 1939 Abschluss des dt.-ital. Mili- und den Färöerinseln. W. Churchill Pre-
tärbündnisses (↑ „Stahlpakt“). Einem Ver- mierminister, 10. Juni Kriegserklärung
tragsabschluss der Westmächte mit der Deutschlands an die Westmächte. – Im
UdSSR zuvorkommend schloss Hitler im Westen: 10. Mai Angriff überlegener dt.
Aug. 1939 überraschend einen Nichtan- Heeresmassen und Luftstreitkräfte unter
griffspakt mit der UdSSR: Beide Mächte Bruch der Neutralität Hollands, Belgiens
einigten sich in einem geheimen Zusatz- und Luxemburgs; in Holland 15. Mai Ka-

962
Weltkrieg, Zweiter

pitulation Rotterdams und Einstellung des Bessarabien und der N-Bukowina. – Sü-
Kampfes; in Belgien 17. Mai Besetzung den: 28. Okt. 1940 Angriff ital. Truppen
von Brüssel, 18. Mai Einnahme von Ant- von Albanien aus gegen Griechenland ohne
werpen und 28. Mai Kapitulation; in Erfolg; griech. Truppen eroberten Teile von
Frankreich rascher dt. Vormarsch über Se- Albanien; die zu Hilfe kommenden Briten
dan bis zur Sommemündung (20. Mai.), landeten auf Kreta und in Griechenland.
Besetzung von Boulogne, Calais, Ypern – Afrika: 12. Sept. ital. Offensive gegen
u. a., Rückzug und Rettung von 350 000 Ägypten, seit 9. Dez. Gegenschläge der
Mann alliierter Truppen über Dünkirchen; brit. Armee Wavell. – Seekrieg: Verstär-
die geretteten Einheiten wurden in N- kung des dt. U-Boot-Krieges (die Gefechte
Afrika gegen die Achse eingesetzt. Ab anlässlich der Landung in Norwegen führ­
5. Juni dt. Angriff gegen die Weygand-Li- ten zu schweren Verlusten der deutschen
nie (Somme–Aisne), Einnahm­e von Reims, Flotte). – 1941: SO: Zur Unterstützung
Verdun, Durchbruch der dt. Panzertrup- Italiens stellte Hitler in Bulgarien, das am
pen bis zur Schweizer Grenze (17. Juni.), 1. März dem Dreimächtepakt beigetreten
sodass die rückwärtigen Verbindungen der war, eine Armee gegen Griechenland bereit
frz. Kräfte in der Maginotlinie abgeschnit- und beschloss gleichzeitig als Gegenschlag
ten waren; sie wurden am 14. Juni von Os- gegen den Systemwechsel in Belgrad
ten, vom Rhein her, angegriffen und am (5. April Freundschaftspakt Jugoslawiens
22. Juni zur Kapitulation gezwungen; mit der UdSSR) den Feldzug gegen Jugos-
14. Juni kampflose Besetzung von Paris; in- lawien, der am 6. April begann und mit
zwischen Kriegserklärung Italiens am Unterstützung bulgar. und ungar. Truppen
10. Juni und Angriff an der Alpenfront; am am 17. April mit der Vernichtung der jugo-
21. Juni Unterzeichnung des Waffenstill- slaw. Armee abgeschlossen wurde. Kapitu-
stands mit Deutschland im Wald von Com­ lation der griech. Armee am 21. April; die
piegne; Festlegung einer Demarkationsli- von brit. Truppen errichtete Auffangstelle
nie in Frankreich (besetztes und unbesetz­ an den Thermopylen wurde am 24. April
tes Gebiet), Verlegung der frz. Regierung durchbrochen (die Briten schifften sich
nach Vichy; Aufruf zur Fortsetzung des nach Kreta ein); 27. April Athen von dt.
Kampfes durch General de Gaulle von Eng­ Panzertruppen besetzt; 20. Mai–1. Juni er-
land aus; 24. Juni Waffenstillstand Frank- oberten die Fallschirmtruppen die Insel
reichs mit Italien; 25. Juni Waffenruhe. Die Kreta. – Osten: Seit Juli 1940 nach ergeb-
seit Mitte Juli betriebenen Vorbereitungen nislosen Verhandlungen mit der Sowjet-
einer – immer wieder vertag­ten Landung union (im Nov. Verhandelte Molotow in
auf der brit. Insel (Unternehmen „Seelö- Berlin) zum Krieg entschlossen („Barba-
wen) wurde im Okt. abgebrochen; die rossa“-Plan), begann Hitler am 22. Juni
deutsche Luftwaffe versuchte seit 10. Juli 1941 mit 153 Divisionen den Feldzug ge-
ohne durchschlagenden Erfolg die brit. gen die UdSSR, den Vertragspartner von
Luftwaffe auszuschalten (überlegene brit. 1939. Zunächst wurden die sowjet. Trup-
Abwehr und erstmalige Verwendung von pen von den dt. Armeen, die von der ru-
Radargeräten); 27. Sept. Dreimächtepakt män. Armee und von slowak., finn., un-
Deutschland, Italien, Japan. Nov. Beitritt gar., ital. Divisionen unterstützt wurden,
Ungarns, Rumäniens, der Slowakei. – Süd- auf der ganzen Linie unter großen Ver-
westen: Pläne zur Eroberung Gibraltars: lusten zurückgeworfen. Ab 9. Sept. Kessel-
nicht durchgeführt. – Osten und Süden schlacht von Kiew und Eroberung des Do-
Juni Einmarsch sowjet. Truppen in Li- nezbeckens; ab Sept. vergebliche Operati-
tauen, Lettland, Estland am 28. Juni in onen gegen Leningrad; im Okt. große Kes-

963
Weltkrieg, Zweiter

selschlachten von Brjansk und Wjasma, dt. 6. Armee (Paulus) in Stalingrad. – Afrika:
Vormarsch gegen Moskau jedoch zum Ste- 20. Jan. 1942 Beginn einer großangelegten
hen gebracht, sowjetische Gegenangriffe Achsenoffensive (Rommel) gegen die brit.
führten zu Rückschlägen; „Blitzkrieg“ Armee, die bis El Alamein zurückging, hier
misslungen; Hitler übernahm anstelle von kam der dt. Vormarsch (Treibstoffmangel)
Brauchitsch selbst den Oberbefehl über das zum Stehen, die von Montgomery am
Heer. – Afrika: Nach den ital. Niederlagen 23. Okt. eingeleitete Großoffensive der
und auf Bitten der ital. Regierung um dt. 8. brit. Armee führte zum dt. Rückzug und
Unterstützung Aufstellung eines dt. Afri- zur Preisgabe der Cyrenaika; am 8. Nov.
kakorps unter General Rommel; die von Landung amerik. Truppen in NW-Afrika,
ihm am 24. Feb. gestartete Offensive führte neue Front in Tunis. Asien: Verteidigung
zur Wiedereroberung der Cyrenaika; im der letzten US-Stützpunkte auf den Philip-
Nov. brit. Gegenoffensive (Ritchie); im pinen bis 6. Mai, Fall von Singapore,
Mai Kapitulation der Italiener in Abessi- 8. April, 7. Aug. US-Landung in Guadalca-
nien, Rückkehr des Kaisers Haile Selassie I. nal. – Seekrieg: im Atlantik: Durch Ver-
nach Addis Abeba. – Japan, das am wendung von Radargeräten erfolgreiche
13. April 1941 mit der UdSSR einen Neu- Abwehr der dt. U-Boot-Waffe; in Asien
tralitätspakt abgeschlossen hatte, entschloss See-Luftschlachten größten Ausmaßes bei
sich zum Krieg gegen Amerika: 8. Dez. den Landungsmanövern; 3. Juni 6. jap.
Überfall jap. Luft- und Seestreitkräfte auf Niederlage in der Seeschlacht bei den Mid-
Pearl Harbor, 10. Dez. 1941 Kriegserklä- way-Inseln; 13. Nov. schwere Niederlage
rung Deutschlands und Italiens an die der Japaner in der Seeschlacht bei den Salo-
USA. – Japan: Angriff auf Hongkong, die monen. – Luftkrieg: Schwinden der dt.
Malai. Halbinsel und die Philippinen. Luftüberlegenheit seit der Niederlage in
– Seekrieg: 24. Mai Gefecht zw. den der Schlacht um Großbritannien (1941),
Schlachtschiffen „Hood“ und „Bismarck“, schwere Verluste in der UdSSR 1941/42
nach Versenkung der „Hood“ Untergang und Zurückbleiben in der techn. Entwick-
der „Bismarck“; Vernichtung zweier brit. lung; Beginn weitreichender brit. Nacht-
Schlachtschiffe vor der Halbinsel Malaya bomberangriffe ab 30. Mai 1942 auf die
am 10. Dez. – 1942: Westen: Im Zusam- westdt. Industriezentren, besonders Köln.
menhang mit der alliierten Landung in N- – 1943: Osten: 2. Feb. katastrophales Ende
Afrika am 8. Nov. Besetzung der unbesetz- der 6. Armee (Paulus) in Stalingrad; dt.
ten Zone Frankreichs durch dt. Truppen. Rückzug von der Don-Front; auch an der
– Osten: z. T. erfolgreiche Fortsetzungen Mittel- und Nordfront teilweise dt. Rück-
der im Dez. 1941 begonnenen sowjet. Ge- zugsbewegung; seit April neue dt. Offen-
genoffensive; auch der systemat. geführte sive bei Kursk, doch durch sowjet. Gegen-
Kampf sowjet. Partisanen wirkte sich zu- offensive aufgefangen; die Deutschen
nehmend bedrohlich aus; seit Mai wieder räumten am 23. Aug. Charkow, dann Sta-
dt. Offensiven: Wiedereroberung von lino, an der Mittelfront Brjansk und Smo-
Kertsch, 4. Juli Einnahme Sewastopols, lensk, am 6. Nov. Kiew; die sowjet. Erfolge
östl. Charkow Angriff bis zum Don, südl. bedingt durch ständiges Wachsen des sow-
Charkow Vorstoß über den Donez, Zu- jet. Kriegspotentials durch eigene Erzeu-
rückeroberung Rotows, Vormarsch in den gung und Lieferungen aus den USA. – Ita-
Kaukasus, doch am Terek zum Stehen ge- lien: 10. Juli alliierte Landung unter Gene-
bracht; nordwestl. Vorstoß bis zur Wolga, ral Sir Alexander auf Sizilien; Sturz des fa-
Einbruch in Stalingrad; den Sowjets gelang schist. Regimes und Gefangennahme Mus-
am 19./20. Nov. die Einschließung der solinis, nachlassender Widerstand der Ita­

964
Weltkrieg, Zweiter

liener; 17. Aug. Räumung Siziliens durch Partisanenarmee unter Tito mit den in Un-
die dt. Truppen; Landung der Amerikaner garn einmarschierten sowjet. Kräften; im
(Clark) bei Salerno und der Briten (Mont- NO Vorstoß der Sowjets bis Ostpreußen.
gomery) im Golf von Tarent führte zu – Balkan: Ende Sept. 1944 Landung bri-
wechselnden, verlustreichen Kämpfen; tischer Truppen in Griechenland. – Italien:
Rückzug der dt. Einheiten (die ital. Ver- 22. Jan. alliierte Landung im Rücken der
bände wurden nach dem Sonderwaffen- Deutschen bei Anzio und Nettuno; nach
stillstand Badoglios am 3. Sept. entwaffnet) verlustreichen Kämpfen bei Monte Cas-
bis zum Jahresende auf die Garigliano– sino Beginn der alliierten Offensive; 4. Juni
Sangro-Linie. – Japan: Operationen Ma- Aufgabe Roms, Vorstoß gegen Norden
cArthurs gegen die Küste von Neuguinea führte am 12. Aug. zur Einnahme von Flo-
und Bougainville und die Gilbert-Inseln; renz. Asien: Entscheidende Fortsetzung der
Fortdauer der Schlacht auf Guadalcanal, alliierten Großoffensive: Offensive in
das von den Japanern erst nach hartnä- Burma wurde siegreich im April 1945 ab-
ckigem halbjährigem Widerstand geräumt geschlossen, Burmastraße wieder geöffnet;
wurde. – Seekrieg: Fortdauer des U-Boot- 19. Okt. Beginn der Offensive MacArthurs
Krieges. – Luftkrieg: Weitgehende Lahm- zur Zurückeroberung der Philippinen,
legung des dt. Kriegspotentials durch Flä- 23.–26. Okt. entscheidende zweite große
chenangriffe der Alliierten und Treibstoff- Seeschlacht bei den Philippinen im Golf
mangel. – 1944: Westen: 6. Juni 1944 von Leyte, die alliierte Vorherrschaft wie-
Landung der Alliierten (↑ Invasion) und der hergestellt. Seekrieg: Ausschaltung der
Errichtung der zweiten Front. 20. Juli Auf- dt. U-Boot-Waffe im Atlantik. Luftkrieg:
stand der dt. Widerstandsgruppe unter In Europa gesteigerte Fortführung des
Führung ↑ Goerdelers; Attentat auf ↑ Hit- Massenbombardements; zusammengefasste
ler durch Graf Claus Schenk von Stauffen- Luftoperationen anlässlich der Invasion;
berg; der Aufstand am gleichen Tage nie- allmähliche Lahmlegung der dt. Luftwaffen­
dergeschlagen. Nach Gewinnung des Kü- industrie, Ölversorgung und der Bahnver-
stenstreifens durch die Alliierten 26. Juni bindungen. Seit 15. Juni von dt. Seite Ver-
Fall Cherbourgs, 31. Juli Durchbruch von wendung von V 1 und später V 2 gegen
Avranches, Abschneidung der dt. Armeen England. – 1945: Westen: Ende Jan. Vor-
auf der Normandiehalbinsel; 6.–13. Aug. dringen der 1. frz. Armee zum linken
Durchbruch der US-Armeen bei Argentan Rheinufer und Einnahme von Straßburg;
führte zum Rückzug der Deutschen auf die 22. März nach Massenbombardements Be-
Seine; Fall von Paris (25. Aug.) und Bewe- ginn der alliierten Endoffensive gegen
gungskrieg in Frankreich: 2. Sept. die Alli- Deutschland; Rheinüberschreitung auf der
ierten erreichten die dt. Grenze; 21. Okt. unzerstörten Brücke von Remagen; Vor-
Fall von Aachen, gleichzeitig Vordringen stoß der 3. und 7. amerik. Armee gegen
der frz. und US-Armeen in Elsass-Lothrin- Frankfurt; Umfassungsmanöver gegen das
gen; heftige und verlustreiche Schlachten Ruhrgebiet und Luftlandeoperation führ­
an der Roer, bei Köln und Düren; 15. Dez. ten zum Zusammenbruch des dt. Verteidi-
erfolglose dt. Gegenoffensive unter Ober- gungssystems; Mitte April war die Elbeli-
befehl Rundstedts aus den Ardennen. nie erreicht; 25. April Begegnung amerik.
– Osten: Die sowjetruss. Offensive führte und sowjet. Soldaten bei Torgau. – Osten:
zur Aufgabe aller besetzten Gebiete durch sowjetruss. Großoffensive aus dem Weich-
die dt. Wehrmacht; 23. Aug. 1944 Öff- selbogen 17. Jan. mit Stoßrichtung Berlin,
nung des Zugangs nach Ungarn durch die Schlesien, Tschechoslowakei; 17. Juli Fall
Rote Armee; Vereinigung der jugoslaw. von Budapest; 30. März Überschreitung

965
Weltpostverein

der österr. Grenze; 30. April Selbstmord vereinsamt in Bern; in der Folge zahlreiche
Hitlers in Berlin; 2. Mai Einnahme von Zusatzabkommen entsprechend der Wei-
Berlin. Anordnung der bedingungslosen terentwicklung des postal. Verkehrs (z. B.
Kapitulation durch Hitlers Nachfolger Dö- Luftpost).
nitz in der Nacht vom 5. zum 6. Mai, offi- Wenden (Sorben), westslaw. Stämme im
zielle Kapitulation Montag, den 7. Mai, Elbe-Saale-Gebiet, in die während der Völ-
vor dem alliierten Oberkommando in kerwanderung leer gewordenen Räume ein-
Reims, ratifiziert 8. Mai in Berlin; Erschie- gewandert; seit dem 10. Jh. christianisiert
ßung Mussolinis durch ital. Freiheitskämp- und später zum größten Teil im Deutsch-
fer. 23. Mai Gefangennahme und Auflö- tum aufgegangen; durch den „Wenden-
sung der Regierung Dönitz; 5. Juni Über- kreuzzug“ 1147 zwang Heinrich der Löwe
nahme der obersten Autorität in Deutsch- den Abodritenfürsten zur Aufgabe des z. T.
land durch die vier Großmächte: 21. Juni noch vorhandenen heidn. Götzendienstes.
Organisation der 4 Besatzungszonen und Sprache und Brauchtum bes. im Spreewald
der Viermächtestadt Berlin; 20. Nov. Be- (Niederlausitz) teilweise erhalten.
ginn der Nürnberger Prozesse vor dem In- Weniselos (Venizelos), 1) W., Eleftherios,
ternat. Militär-Tribunal der Siegermächte: griech. Politiker, 1864–1936; als Führer
Anklage wegen Verbrechens gegen den der liberalen Partei 1910 zum griech. Mini-
Frieden, gegen die Menschlichkeit, Kriegs- sterpräsidenten gewählt; durch Beteiligung
verbrechen und Beteiligung an verbrechen an beiden Balkankriegen 1912/13 erreichte
Organisationen; 1. Okt. 1946 Todesurteile er eine beträchtliche Gebietsvergrößerung
gegen Göring, Ribbentrop, Keitel, Kalten- Griechenlands und den Anschluss Kretas;
brunner, Rosenberg, Frank, Frick, Strei- wurde 1915 wegen seiner Entente-freund-
cher, Sauckel, Jodl, Seyß-Inquart, Bor- lichen Haltung vom König zwei Mal zum
mann; Gefängnisstrafen für Heß, Funk, Rücktritt gezwungen, proklamierte 1916 in
Raeder, Schirach, Speer, Neurath, Dönitz. Saloniki eine provisor. Regierung, erreichte
Außerdem Prozesse vor amerik. und brit. 1919 weitere Landgewinne für Griechen-
Militärgerichten. – Asien: Abschluss der land; starb im Exil. 2) W., Sofoklis, griech.
Operationen zur Besetzung der Philippi- Politiker, 1894–1964; Sohn von 1), seit
nen (Manila 24. Feb.) und Vorbereitung 1920 liberaler Abgeordneter, war 1936–
für die Landung auf den zentralen jap. In- 1944 im Exil, zw. 1943 und 1963 mehr-
seln: 1. April 1945 Landung auf der Insel fach Ministerpräsident und Minister.
Okinawa und Beginn der entscheidenden Wenzel, böhm. Fürsten: 1) W. I., der Hei-
Luftoffensive; 8. Aug. Eintritt der UdSSR lige, Herzog von Böhmen (um 921–929);
in den Krieg gegen Japan; 6. Aug. Abwurf Landespatron, führte das Christentum in
der Atombombe auf Hiroshima, 9. Aug. Böhmen ein; von seinem Bruder ermor­
auf Nagasaki, 2. Sept. Kapitulation Japans. det. 2) W. II., seit dem Tod seines Vaters
Weltpostverein, von dem dt. General- Ottokar II. 1278 König von Böhmen,
postmeister ↑ Stephan angeregte Vereini- 1271–1305; vorübergehend auch König
gung aller Kulturvölker der Welt zur Ver- von Polen, Förderer der dt. Kolonisation.
einheitlichung der Postbestimmungen; 3) W. III., Sohn von 2), letzter Przemysli-
1874 Weltpostkongress in Berlin und Ab- denkönig von Böhmen (1305/06), 1289–
schluss des Postvereinsvertrages (am 1. Juli 1306; kurze Zeit auch König von Ungarn
1875 in Kraft); 1878 Weltpostvertrag von und Polen, konnte sich dort aber nicht be-
Paris und Bildung des Weltpostvereins haupten; ermordet. 4) W. IV., von Böhmen,
(L’union postale universelle) mit festen Ge- seit 1378 dt. König, 1361–1419; Sohn Kai-
bührensätzen; Zentralstelle das Weltpost- ser Karls IV., machtlos im Kampf gegen die

966
Westfälischer Frieden

Territorialgewalten im Reich und in Böh- eines Überfalls und wurde von Goebbels
men; bemüht um Festigung des Landfrie- zum nat.-soz. Märtyrer stilisiert. Ein Ge-
dens, von den Kurfürsten 1400 wegen sei- dicht („Die Fahne hoch ...“), das W. am
ner Untätigkeit abgesetzt, blieb aber bis zu 23. Sept. 1929 in der Parteizeitung „An-
seinem Tode König von ­Böhmen. griff“ veröffentlicht hatte, wurde der ein-
Werbesystem, Anwerbung von Freiwilli- gängigen Marsch-Melodie eines Matrosen-
gen zur Ergänzung des stehenden Heeres liedes unterlegt und als Horst-Wessel-Lied
mit Handgeld (Werbegeld) seit der Mitte nach 1933 zur zweiten dt. Nationalhymne.
des 17. Jh. bis 1800; von Offizieren gelei- Westfalen, urspr. zum Herzogtum ↑ Sach-
tete Werbebüros waren, mit Werbepatent sen, Teilgebiete seit dem 12. Jh. als Herzog-
und Werbegeldern ausgestattet, in den tum W. zum Erzstift Köln gehörend; 1803
einzelnen Staaten tätig; W. z. T. im eige- zu Hessen-Darmstadt. Königreich W. 1807
nen Land, z. T. in anderen Ländern, de- von Napoleon durch Zusammenfassung
ren Fürsten Kopfgeld erhielten; im 19. Jh. der Kurfürstentümer Hessen, Hannover,
W. in Europa beschränkt auf wenige Staa- des Herzogtums Braunschweig und west-
ten zur Anwerbung von Ausländern für elb. preuß. Provinzen gebildet und seinem
die ↑ Fremdenlegion; in England bis zum Bruder Jerôme übergeben, 1813 zerfallen;
1. Weltkrieg erhalten und zw. 1. und 1815/16 kam W. zu Preußen; seit 1946
2. Weltkrieg wieder eingeführt, in ande- Teil des Bundeslandes ↑ Nordrhein-West-
ren Staaten durch die allg. Dienstpflicht falen.
ersetzt. Westfälischer Friede, die Beendigung
Wergeld (ahdt. wer [lat. Vir] = Mann), des ↑ Dreißigjährigen Krieges in den Frie-
im german. Recht die Sühnesumme, die densschlüssen von Münster (zw. dem Kai-
den Erben eines Erschlagenen oder dem ser und Frankreich) und von Osnabrück
Verletzten von den Tätern bezahlt werden (zw. dem Kaiser, den Schweden und den
musste; neben dem W. war ein „Wettgeld“ protestant. Reichsständen) im Jahre 1648
(um den Friedensbruch wettzumachen) an (Vorverhandlungen seit 1641, förmlich seit
den König zu zahlen. 1645); Frankreich ließ sich den Besitz von
Wernher der Gartenäre, Dichter aus dem Metz, Toul und Verdun (besetzt seit 1552)
Innviertel, verfasste um 1240 das Epos bestätigen sowie die habsburg. Besitz- und
„Meier Helmbrecht“, die Chronik eines Hoheitsrechte im Elsass (u. a. Sundgau,
Bauernsohnes, der als Raubritter endete; Breisach), die Landvogtei über die elsäss.
aufschlussreich für die Geschichte der Dorf­ Reichsstädte und das Besatzungsrecht in
kultur und des Raubrittertums. Philippsburg übertragen, doch verblieben
Werth, Johann von, (Jean de Weert), Rei- die elsäss. Stände im Reichsverband; im
tergeneral im 30-jährigen Krieg, um 1600– Gegensatz zu dieser komplizierten Lösung
1652; 1622 unter dem spanischen Feld- (in der beiderseitigen Hoffnung auf spä-
herrn Spinola, seit 1630 im Heer der kath. tere Revision zum eigenen Vorteil) erlangte
Liga, 1632 Oberst, 1634 General, gegen Schweden die Reichsstandschaft (Sitz und
Bernhard von Weimar erfolgreich in der Stimme auf Reichs- und Kreistagen) für
Schlacht von Nördlingen; 1638–42 in Ge- die ihm (außer 5 Mio. Talern Kriegsent-
fangenschaft in Paris, dann im Dienst des schädigung) zugesprochenen Besitzungen
Kaisers; 1643 Sieg bei Tuttlingen über die in Deutschland (die ehemaligen Bistümer
Franzosen. Bremen [ohne Stadt Bremen] und Verden,
Wessel, Horst, Nationalsozialist, 1907– Vorpommern und Stettin, Rügen, Usedom
1930; seit 1926 NSDAP-Mitglied, seit und Wollin sowie die Stadt Wismar); die
1929 SA-Sturmführer; erlag den Folgen Unabhängigkeit der Schweizer Eidgenos-

967
Westgoten

senschaft und die der Niederlande wurden Westgoten, ↑ Goten.


reichsgesetzlich anerkannt. Von den grö- Westindien, die Großen und Kleinen An-
ßeren Reichsständen erhielt Brandenburg tillen; um 1500 von Kolumbus entdeckt
den Rest Pommerns und wurde für Vor- (irrtümlich als westl. Ausläufer Indiens an-
pommern mit den ehemaligen Bistümern gesehen), wechselnd von verschiedenen eu-
Kammin, Halberstadt, Minden und der rop. Kolonialmächten besetzt.
Anwartschaft auf Magdeburg entschä- Westindische Föderation (Karib. F.); Zu-
digt; Bayern behielt die Oberpfalz und die sammenschluss von 10 ehemals brit. Ko-
Kurwürde, doch wurde die (Rhein)Pfalz lonien Westindiens im Jahre 1959 (Barba-
wiederhergestellt und mit einer neuen (8.) dos, Jamaika, die vier Leewardinseln und
Kurwürde ausgestattet; für die geistlichen die vier Windwardinseln), seit 1940 im
Bistümer wurde (unter Aufhebung des Rahmen der ↑ Pacht- und Leihgesetze ame-
1629 erlassenen Restitutionsediktes) 1624 rik. Stützpunkte auf Inseln der W. F.; 1961
als „Normaljahr“ festgesetzt (gegen diese Austritt Jamaikas aus der W. F., 1962 Tri-
Regelung vergeblicher Protest des Papstes); nidads, dadurch Auflösung der W. F. 1962.
konfessionspolit. wurden der Passauer Ver- 1966 erlangte Barbados die Unabhängig-
trag (1552) und der ↑ Augsburger Religi- keit, 1973 wurden die Bahama-Inseln und
onsfriede (1555) bestätigt und erstmals 1974 Grenada unabhängig.
auch den Reformierten die gleichen Rechte Westminster-Statut, 1931 ­beschlossen von
wie den anderen Bekenntnissen zugestan- der Empire-Konferenz, der brit. Reichsver-
den; in Reichsinstitutionen sollten die sammlung, regelte die staatsrechtliche Stel-
beiden großen Konfessionen streng pari- lung der souveränen Dominions (damals:
tät. vertreten sein; gegenüber dem Kaiser Kanada, Australien, Neuseeland, S-Afrika)
setzten die Reichsstände insges. durch, dass gegenüber dem Mutterland (Vereinigtes
Entscheidungen von Reichs wegen an ihre Königreich von Großbritannien und Nord-
Zustimmung gebunden sein sollten, ihre irland) innerhalb des ↑ Common­wealth;
Territorialhoheit wurde nachdrücklich an- auf der Grundlage des ­Memorandums von
erkannt (Libertät), ihrem Recht, sogar mit ↑ Balfour (1926 Souveränität der Domini-
dem Ausland Bündnisse zu schließen, stand ons) beseitigte das Statut auch die letzten
nur die (prakt. unwirksame) Verpflichtung Zuständigkeiten des brit. Parlaments in
gegenüber, nicht gegen Kaiser und Reich, den Dominions und stellte deren uneinge-
gegen den Augsburger Religionsfrieden schränkte Gleichberechtigung her. Das W.-
und den Westfäl. Frieden zu handeln (über S. regelte auch die Beziehungen aller Län-
die Folgen in der Praxis vgl. das Stich- der, die nach 1932 den Dominion-Status
wort Rheinbund 1658). – Die Friedens- erhielten, zu Großbritannien.
bestimmungen besiegelten die Ohnmacht Westpreußen (Pommerellen), ehemals
von Kaiser und Reich und sicherten bes. preuß. Provinz an der Ostsee, umfasste das
Frankreich die Voraussetzungen, die dt. östl. der Weichsel gelegene, vom Dt. Or-
Reichsstände gegen den Kaiser oder gegen- den seit 1230 eroberte Land und das ehe-
einander auszuspielen und seine Rheinpo- mals poln. Teilherzogtum Pommerellen;
litik im Sinne Richelieus fortzusetzen; be- beide Teile 1466, an Polen; bei der 1. poln.
zeichnend für die außenpolit. Ohnmacht Teilung 1772 an Preußen; 179 Danzig und
war die Auslieferung der Mündungen der Thorn ebenfalls an Preußen; 1824–1877
großen dt. Flüsse (Oder, Elbe, Weser) an mit O-Preußen zu einer Provinz vereint;
eine ausländ. Macht (Schweden); doch be- 1919 Ostteil an Ostpreußen, mittlerer und
deutete der W. F. den Abschluss des Religi- Südteil an Polen, Weichselmündung Frei-
onskrieges in Deutschland. staat Danzig; 1945 bis zur Entscheidung

968
Widerstand

im Friedensschluss unter poln. Verwaltung Wicliff, John, englischer Reformator, um


gestellt. 1325–1384; Prof. der Theologie in Ox-
Weströmisches Reich, der westl. Teil des ford, kämpfte gegen geistlichen und welt-
alten Imperium Romanum, der bei der lichen Machtanspruch der Kirche, gegen
Reichsteilung des Theodosius 39 n. Chr. Transsubstantiationslehre, Zölibat, Ohren-
dessen jüngerem Sohn Honorius zufiel; beichte, forderte eine engl. Nationalkirche,
Ende des W. R. 476 durch die Absetzung übersetzte Evangelien in die engl. Sprache;
des letzten Kaisers Romulus Augustulus einer der Vorläufer ↑ Luthers. Seine Lehre
(↑ Römisches Reich). 1382 von der Londoner Synode verdammt;
West-Samoa, seit dem 1. Jan. 1961 unab- das Konstanzer Konzil von 1415 befahl die
hängiger Staat (113 500 Einw.), ehemals Verbrennung seiner Gebeine; die Ideen W.s
dt. Kolonie; 1914 von neuseeländ. Trup- wurden vor allem in Böhmen wirksam, wo
pen besetzt und von 1919 an neuseeländ. ↑ Hus und die Hussitenbewegung die Leh-
Völkerbunds- bzw. UN-Mandat. ren W.s kämpfer. aufgriffen.
Wettiner, weit verzweigtes dt. Fürsten- Widerstand, gegen den Nationalsozialis-
geschlecht, benannt nach der Burg Wet- mus in Deutschland; als einheitliche Be-
tin an der Saale (nördl. von Halle), einer wegung nicht vorhanden, vielmehr auf
im 10. Jh. gegr. Trutzburg (und späteren einzelne Gruppen beschränkt, die den W.
Stadt) gegen die Slawen; die W. stammten entsprechend ihren Organisationsstruktu­
von den Markgrafen der Sorb. Mark ab: ren und Zielen übten. So bauten Kommu­
ihre territoriale Macht begr. durch Kon- nisten und Sozialisten illegale Parteizel-
rad I. (t 1157), der für seine Parteinahme len, um sich für die Zeit nach dem, wie
für Lothar III. 1125 die Mark Meißen ge- sie glaubten, unvermeidlich kommenden
wann, die er zur Hausmacht ausbaute; Zusammenbruch des nat.-soz. Regimes zu
1423 belehnte König Sigmund den wettin. rüs­ten. Ständig dezimiert durch Terror und
Markgrafen Friedrich den Streitbaren von Verfolgung (in ihnen erkannte der Natio­
Meißen mit dem Kurfürstentum Sachsen; nalsozialismus seine Hauptfein­de) und
1483 teilten sich die W. endgültig in die zeitweilig auch noch gelähmt durch den
Linien der ↑ Albertiner (Sachsen-Leipzig) Hitler-Stalin-Pakt, kamen ihre W.hand­
– die 1697 zum kath. Glauben übertraten lungen über lokale Sabotageakte, Flugblatt­
und bis 1763 Könige von Polen und 1806– verteilungen, Schutzmaßnahmen bei Raz-
1918 Könige von Sachsen waren – und die zien etc. nicht hinaus; subversive Erfolge
↑ Ernestiner (Sachsen-Wittenberg), die im konnte die Spionageorganisation „Rote
↑ Schmalkald. Krieg die Kurwürde verlo- Kapelle“ (↑ Schulze-Boysen) erzielen. Die
ren und auf Thüringen beschränkt wurden. Kirchen hatten ihren Frieden mit dem Na-
Ernestin. W. gelangten auf die Throne Bel- tionalsozialismus gemacht, sie regten sich
giens, Bulgariens, Englands und Portugals. nur, wenn sie direkt angegriffen wurden;
Whigs, urspr. Bezeichnung für schott.- etwa bei den Versuchen, eine Reichskirche
presbyterian. Aufrührer; seit 1680 wurden zu gründen („Deutsche Christen“), bei an-
die Gegner der kath. Thronfolge als W. be- tikirchlichen Ausschreitungen der HJ oder
zeichnet im Gegensatz zur konservativen Verleumdungskampagnen gegen „Devi-
Hofpartei, den ↑ Torries; die W. traten für senschieber im Priestergewand“. Immer-
größere Rechte des Volkes und Parlaments hin traten Einzelne (Propst Grüber, Martin
gegenüber der Krone ein, Unterstützung Niemöller) oder auch Gruppen (↑ „Beken-
des Großhandels und der städt. Interessen; nende Kirche“) mutig gegen den Natio-
W. entwickelten sich im 19. Jh. zur libe- nalsozialismus auf. Der kirchliche W. gip-
ralen Partei Englands. felte in der Bekämpfung des ↑ Euthanasie­

969
Widerstandsrecht

programms. Konservative Einzelpersönlich­ Aktualität. Im Grundgesetz der Bundesre-


keiten und Militärs schlossen sich 1938 ge- publik Deutschland ist in Art. 20 das W. als
gen Hitlers Expansionspolitik ­ zusammen, Grundrecht gegen denjenigen festgeschrie-
mussten jedoch ihre Staatsstreichpläne an­ ben, der die Verfassung beseitigt.
gesichts des Einlenkens der Westmächte Widukind (Wittekind), Herzog, mehrmals
(Appeasement-Politik) begraben. Dennoch Heerführer der Sachsen gegen Karl d. Gr.,
arbeiteten sie konspirativ weiter. Nach meh­ gest. zw. 804 und 812; entwich nach der
reren gescheiterten ­ Attentatsversuchen er- Unterwerfung der Sachsen 777 nach Jüt-
hob sich die Gruppe, inzwischen zu gewis­ land, kehrte nach Karls Abzug zurück und
ser Einheitlichkeit gelangt, am ↑ Zwanzigs­ drang verwüstend bis zum Rhein vor; die
ten Juli 1944 noch einmal zu einem Staats- Vernichtung eines fränk. Heeres durch W.
streich, der trotz missglücktem Attentat auf führte zum Blutbad von ↑ Verden durch
Hitler fast zum Ziel ­gekommen wäre. Das Karl d. Gr.; nach 3-jährigem Ringen Un-
Bürgertum trug am wenigsten zum W. bei; terwerfung; Taufe W.s 785 in Attigny.
zahlreiche Literaten, Künstler und Akade- Widukind von Corvey, sächs. Mönch und
miker waren emigriert, W.gruppen entstan- Geschichtsschreiber, um 925–1004; schrieb
den erst während des Krieges (↑ „Weiße nach dem Vorbild des Sallust drei Bücher
Rose“, ↑ „Kreisauer Kreis“). Sachsengeschichte: „Res gestae saxonicae“.
Widerstandsrecht, in Religion, Humanis­ Wiedertäufer (Anabaptisten), verschiede­ne,
mus oder Verfassung (GG) begründetes in der Reformationszeit entstandene christ-
Recht zum Widerstand gegen ­ äußerstes, liche Sekten; der Name W. wurde ihnen
die Verfassung ignorierendes, anders nicht von ihren Gegnern gegeben, weil sie die
zu behebendes staatliches Unrecht. Das Kindertaufe ablehnten (Erwachsenentaufe
W. wird nicht zur Überwindung, sondern bei Aufnahme in die christliche Gemein-
zum Schutz der bestehenden Ordnung in schaft aufgrund bewussten Glaubens); die
Anspruch genommen. Im german. Recht W. nahmen an den Bauernaufständen in
durfte der ungerechte Herrscher ­abgesetzt Sachsen, Franken und Thüringen teil; die
werden; im Christentum wurde das W. zur von Thomas ↑ Münzer geleitete Bewegung
sittl. Widerstandspflicht, wenn der Kö- fand in der Schlacht von Frankenhausen
nig seine von Gott verliehenen Pflichten ein vorläufiges Ende, in der Schweiz wurde
verletzte. Der Ständestaat (in der Magna sie auf Betreiben Zwinglis unterdrückt;
Charta von 1215 fixiert) begründete das trotz der Bekämpfung durch Karl V. 1534
W. vertragsrechtlich mit dem Bruch des Wiedertäuferstaat in Münster unter ↑ Jo-
Staatsvertrages. Die Reformatoren ­ hatten hann von Leiden und Knipperdolling (Ver-
zum W. verschiedene Positionen: ­ Calvin, such zur gewaltsamen Herbeiführung eines
Melanchthon, Zwingli akzeptierten das ird. Gottesreiches, artete in schwärmer. Pö-
W. in engen Grenzen, Luther lehnte es bis belherrschaft mit Gütergemeinschaft und
auf wenige Ausnahmen ab. Die absolutist. Polygamie aus); Hinrichtung der Anführer
Staatsauffassung verbot jedes W., wäh- nach der Eroberung der Stadt durch den
rend die Lehre von ­ Gesellschaftsvertrag Bischof von Münster. Um 1539 neu orga-
und Volkssouveränität (Montesquieu, J. J. nisiert und zusammengeschlossen durch
Rousseau) das W. fortentwickelte; mit Menno Simons.
amerik. und frz. Revolution entfaltete sich Wien, Hauptstadt Österreichs; in vorröm.
das W. in der Bewegung für Grund- und Zeit in der Nähe Keltensiedlung, dann rö-
Menschenrechte. Im 20. Jh. erlangte das misch. Standlager „Vindobona“ (wieder-
W. durch den faschist. Unrechtsstaat und holt Aufenthalt ↑ Mark Aurels); im 11. Jh.
andere totalitäre Staatsformen neue polit. Siedlung mit Stadtrecht, 1137 erstmals ur-

970
Wiener Schlussakte

kundlich bezeugt, Mitte 12. Jh. Residenz ­europ. Verhältnisse; die territoriale Neu-
der Babenberger Herzöge, 1221 Stadt- ordnung führte hinter der Fassade glän-
und Stapelrecht, seit der Mitte des 13. Jh. zender Festlichkeiten zu erbitterten Kämp-
Reichsstadt, 1282 Hauptstadt der Habs- fen der Staatsmänner, schließlich zu gegen-
burger, 1365 Gründung der Universität, seitigen Zugeständnissen im Geist des eu-
1480 Bischofssitz, 1485–1490 im Besitz rop. ↑ Gleichgewichts; Preußen begnügte
des Ungarnkönigs Matthias I. Corvinus; sich mit einem Teil Sachsens, erhielt West-
bis 1806 ständige Kaiserresidenz, 1806– falen, die Rheinprovinz und Teile zw. der
1918 Residenz der Kaiser von Österreich. Provinz Preußen und Schlesien, Russland
– Vom 14. bis 18. Jh. mehrere große Pest- das Königreich Polen („Kongresspolen“,
zeiten; 1529 Belagerung durch die Türken; die 3. Teilung Polens wurde revidiert), Ös-
1619 standen die böhm. Protestanten, terreich gewann seine Besitzungen zurück,
1645 die Schweden vor Wien, 1683 noch- verlor jedoch die Niederlande und Besit-
mals Türkenbelagerung und Entsatz- zungen am Oberrhein. Die Säkularisation
schlacht, Verteidigung W.s durch Rüdiger wurde gegen den Protest der Kirche be-
von ↑ Starhemberg; 1805 durch Franzosen stätigt, doch wurde der Kirchenstaat wie-
besetzt; 1809 abermals in der Hand der derhergestellt. Der anstelle des 1806 auf-
Franzosen; 1814/15 Neuregelung der eu- gelösten Dt. Reiches gegr. ↑ Dt. Bund
rop. Machtverhältnisse auf dem ↑ Wiener bestand aus 35 souveränen Fürsten und
Kongress (Metternich). – Mittelpunkt der 4 Freien Städten; ein neues starkes Kaiser-
schönen Künste; reiche Biedermeierkul- tum wurde zur Enttäuschung der Patrioten
tur; 1848 Volkserhebung gegen „Fürsten- von 1813 nicht erreicht. In der Wiener
tyrannen“; 1945 von sowjet. Truppen be- Kongressakte vom 9. Juni 1815 wurden die
setzt, bis 1955 „Viersektorenstadt“ unter einzelnen Verträge des Kongresses (121 Ar-
gemeinsamer alliierter Verwaltung. tikel) zusammengefasst.
Wiener Frieden, mehrere Friedensschlüsse: Wiener Schiedssprüche, dt.-italien. Ent-
1735 zw. Kaiser Karl VI. und Ludwig XV. scheidungen zur Regelung der seit dem
von Frankreich: Ende des Poln. Erbfolge- Frieden von ↑ Trianon (1920) ­bestehenden
krieges. – 1809 (Friede von Schönbrunn) ungarische Revisionsansprüche ­ gegenüber
zw. Kaiser Franz I. und Napoleon: Öster- der Tschechoslowakei und Rumänien. Im
reich trat Salzburg an Bayern, seine adriat. 1. Wiener Schiedsspruch (2. Nov. 1938)
Besitzungen an Napoleon, einen Teil sei- wurde ein landwirtschaftlich und indus-
ner poln. Besitzungen an das Herzogtum triell wichtiger Streifen der südl. Slowakei
Warschau ab; 1864 Ende des Dän. Krieges: und der Karpato-Ukraine Ungarn zuge-
Dänemark verlor Schleswig-Holstein und sprochen. Im 2. Wiener Schiedsspruch
Lauenburg an Österreich und Preußen; (30. Aug. 1940) musste Rumänien gegen
1866 Ende des österr.-ital. Krieges: Ös- eine dt.-italien. Garantie seiner neuen
terreich verlor Venetien an das Königreich Grenze an Ungarn Nordsiebenbürgen und
Italien. das Szekerland abtreten. Im ungar. Waffen-
Wiener Kongress, Sept. 1814 bis Juni stillstand mit der Sowjetunion, Großbri-
1815; die an den Befreiungskriegen ge- tannien und den USA vom 20. Jan. 1945
gen Napoleon beteiligten Mächte und wurden die W. aufgehoben. Diese Auf-
das sich ebenfalls als Überwinder Napole- hebung wurde im Pariser Friedensvertrag
ons fühlende Frankreich (vertreten durch vom 10. Feb. 1947 bestätigt.
Talleyrand) traten unter Leitung Metter- Wiener Schlussakte, auf den Wiener Mi-
nichs zus. zur Neuordnung der durch die nisterialkonferenzen 1819/20 erarbeitet;
Frz. Revolution und Napoleon verwirrten gab in Ergänzung der Dt. Bundesakte von

971
Wiesenthal

1815 dem Grundgesetz des Dt. Bundes die Frankreich (↑ Dt.-Frz. Krieg); 1871 in Ver-
endgültige Form. sailles zum dt. Kaiser gekrönt; weitere polit.
Wiesenthal, Simon, österreich. Archivar, Entwicklung vornehmlich durch Bismarck
geb. 1908; Architekt, 1941 von dt. Sicher- bestimmt. 3) W. II., dt. Kaiser und König
heitskräften verhaftet, danach in verschie- von Preußen, 1859–1941; bestieg 1888
denen Gefängnissen und KZs; gründete in als Nachfolger seines Vaters, Friedrich III.,
Linz 1947 ein Dokumentationszentrum den Thron, entließ Bismarck 1890 unter
über die nat.-soz. Judenverfolgung, wan- unwürdigen Begleitumständen wegen per-
derte aber, enttäuscht über die geringe offi- sönlicher und innenpolitischer Gegensätze;
zielle Unterstützung, 1954 nach Israel aus verlängerte den geheimen ↑ Rückversiche-
und trug wesentlich zur Aufspürung von rungsvertrag mit Russland nicht, setzte
↑ Eichmann bei. 1962 kehrte W. nach Ös- sich für umfangreiche Arbeiterschutzge-
terreich zurück und errichtete in Wien das setzgebung ein, seit 1894 („Umsturzvor-
„Dokumentationszentrum des Bundes jüd. lage“) in scharfem Gegensatz zu den Sozi-
Verfolgter des Naziregimes“, das v. a. durch alisten; in der Außenpolitik trotz Friedens-
Spenden finanziert wird und für über tau- willens unstet und zwiespältig (↑ Deutsch-
send Verfahren gegen nat.-soz. Gewaltver- land); seit 1918 Asyl in den Niederlanden,
brecher Material lieferte. 2000 mit der Pre- Verzicht auf den Thron, 1918–1920 in
sidential Medal of Freedom, dem höchsten Amerongen, dann auf Schloss Doorn, die
Orden der USA ausgezeichnet. von der Entente aufgrund des Versailler
Wikinger, Seefahrervolk des german. Nor- Vertrages geforderte Auslieferung von
dens, ↑ Normannen. der niederl. Regierung abgelehnt. 4) W.,
Wilhelm, Name von Herrschern. Hl. Röm. Kronprinz von Preußen und Deutsch-
Reich: 1) W. von Holland, dt. König, um land, 1882–1951; Sohn von 3), 1914 Ar-
1227–1256, 1247 von den rhein. Bischö- meeführer, 1918 Exil in Holland, 1918
fen und Fürsten als Gegenkönig Fried- Thronverzicht, bis 1923 in Wieringen,
richs II. gewählt. – Dt. Reich: 2) W. I., dann in Deutschland. – Bayern: 5) W. IV.,
dt. Kaiser und König von Preußen, 1797– der Standhafte, Herzog von Bayern seit
1888; Sohn Friedrich Wilhelms III. von 1508; 1493–1550; Sohn und Nachfolger
Preußen, Oberbefehlshaber im Kampf ge- Albrechts IV., regierte 1515–1545 zus. mit
gen die süddt. Revolution in der Pfalz und seinem Bruder Ludwig, Gegner des Prote-
in Baden 1849, Gegner der widerspruchs- stantismus, Durchführung religiöser Re-
vollen Politik seines Bruders, Friedrich Wil- formen in Bayern. 6) W. V., der Fromme,
helms IV. von Preußen, trat 1858 für die- seit 1579 Herzog von Bayern, 1548–1626;
sen als Regent an die Spitze der Regierung, Vater Maximilians I., dankte 1597 we-
vollzog gleichzeitig einen Kurswechsel gen schlechter Finanzlage ab; erbaute die
(„Neue Ära“, Berufung liberaler Minister); Michaelskirche und das Jesuitenkolleg in
nach dem Tod seines Bruders 1861 König München. – England: 7) W. I., der Erobe-
von Preußen; 1862 Verfassungskonflikt rer, König von England, 1027–1087; Her-
wegen der Heeresreform (Einführung der zog der Normandie, Sohn Roberts des Teu-
dreijährigen Dienstzeit und Berufung Bis- fels; da ihm Eduard der Bekenner angeb-
marcks als Ministerpräsident); 1864 Krieg lich den engl. Thron zugesagt hatte, setzte
gemeinsam mit Österreich gegen Däne- W. nach Eduards Tod nach England über,
mark um Schleswig-Holstein (↑ Schleswig- siegte 1066 bei Hastings und wurde engl.
Holsteinischer Krieg); 1866 Krieg gegen König; Begründer der engl.-normann. Dy-
Österreich (↑ Dt. Krieg); 1867 Präsident nastie, Einführung eines strengen Lebens-
des Norddt. Bundes; 1870/71 Krieg gegen systems; im ↑ Domesday Book 1085/86

972
Winckelmann

Besitzaufnahme ganz Englands (↑ Norman- wurde 695 zum Erzbischof geweiht und er-
nen). 8) W. III., Prinz von Oranien, König richtete 697/98 das Kloster Echternach als
von England, 1650–1702; 1674–1702 Missionsstützpunkt; W. gilt als Apostel der
Statthalter der Niederlande, 1677 ver- Friesen und Patron der Beneluxländer.
mählt mit Maria, der Tochter ↑ Jakobs II. Willigis, unter Otto II. 975 Erzbischof von
von England, erhielt nach Anerkennung Mainz und Erzkanzler des Dt. Reiches,
der ↑ Bill of Rights (Glorious Revolution) gest. 1011; aus niederem Stande („W. nicht
vom Parlament die engl. Krone; 1690 Sieg vergiss, woher du kommen bis“), förderte
über den nach Irland zurückgekehrten Ja- Kunst und Wissenschaften, begann den
kob II. am Bayne; Kampf gegen die Vor- Bau des Mainzer Domes.
machtstellung Ludwig XIV. in Europa, im Wilson, Harold, brit. Politiker, 1916–
Pfälzer Erbfolgekrieg Führer der Großen 1995; 1945–83 Abgeordneter im Unter-
Koalition gegen Ludwig XIV., brachte im haus; 1947–51 Handelsminister; 1963–76
↑ Span. Erbfolgekrieg die Große Allianz Parteiführer, übernahm 1963 den Vorsitz
der europ. Fürsten gegen Ludwig XIV. zu- der Labour Party, 1964–70 und 1974–76
sammen. 9) W. IV., König von Großbri- Premierminister. Seine Restriktionspolitik
tannien (1830–1837); unter seiner Regie- zur Sanierung von Wirtschaft und Wäh-
rung 1832 Parlamentsreform; ihm folgte rung stieß auf gewerkschaftl. Widerstand
auf dem engl. Thron seine Nichte ↑ Vik- und hatte keinen dauerhaften Erfolg (1967
toria, in Hannover sein Bruder Ernst Au- Einleitung der Wiederverstaatlichung der
gust, Herzog von Cumberland. – Nieder- Eisen- und Stahl-Industrie).
lande: 10) W. I., der Schweigsame, Prinz Wilson, Woodrow, amerik. Staatsmann,
von Oranien, 1533–1584; begründete die 1856–1924; Jurist, Nationalökonom und
niederl. Unabhängigkeit, leitete zus. mit Historiker, 1913–1921, 27. Präsident der
↑ Hoorn und ↑ Egmont den Widerstand USA (Demokrat), stellte 1918 sein Frie-
gegen die Spanier (Granvella), seit 1566 densprogramm, die ↑ Vierzehn Punkte,
luther., später calvinist.; 1572 Oberbe- auf; es gelang ihm aber nicht, seine Ideen
fehlshaber des offenen Aufstands gegen die bei den Friedensverhandlungen von Ver-
Spanier; Genter Pazifikation zur Vertrei- sailles durchzusetzen, dafür aber die Errich-
bung der Spanier 1576 (↑ Utrechter Union tung des ↑ Völkerbundes (ohne die USA);
1579); Unabhängigkeitserklärung der 7 1919 Friedensnobelpreis.
nördl. Provinzen 1581; in Delft ermordet. Wilzen (Liutizen), slawisch. Volksstamm
– Sizilien: 11) W., der Böse, König von Si- in Mecklenburg und Pommern, Feinde der
zilien (1154–1166); unterstützte den Papst Abodriten, 789 von Karl d. Gr. bekriegt,
gegen Friedrich Barbarossa. 12) W. II., der 929 von Heinrich I, unterworfen.
Gute, König von Sizilien (1166–1189); Wimpfeling, Jakob, Humanist aus Schlett-
vermählt mit Johanna, der Tochter Hein- stadt, 1450–1528; 1484 Domprediger in
richs II. von England, letzter rechtmäßiger Speyer, 1498 Professor in Heidelberg, seit
normann. Herrscher in Sizilien. 1500 in Straßburg, seit 1516 in Schlett-
Willehad, hl., Bischof von Bremen (seit stadt; Vorkämpfer des Deutschtums im El-
787), um 745–789; als Vertreter der angel- sass; schrieb 1501 „Germania“, 1501 „Epi-
sächs. Mission (seit 780 im Auftrag Karls tome rerum germanicarum“.
d. Gr.) bei den Friesen an der Unterweser Winckelmann, Johann Joachim, Begrün-
tätig; gründete 787 das Bistum Bremen. der der klass. Archäologie, 1717–1768;
Willibrord, hl., angelsächs. Missionar, um brach dem Verständnis für das antike
658–739; seit 690 als Missionar in West- Kunstschaffen Bahn, lenkte das Augenmerk
friesland unter dem Schutz Pippins II., auf die „edle Einfalt und stille Größe“ der

973
Windischgraetz

griech. Plastik, verdient um die Geschichte finanzminister, 1921/22 ­Reichskanzler (Ra­


der antiken Malerei und Plastik. übte ent- pallo; Reparationsfrage), 1930/31 Reichs-
scheidenden Einfluss auf Goethe und den innenminister; nach dem 2. Weltkrieg Neu­
dt. Idealismus aus und wurde zu einem der tralitätspolitiker.
Hauptwegbereiter der dt. ↑ Klassik. Wisby (Visby), Hauptort und Hafen der
Windischgraetz, Alfred Fürst zu, österr. schwed. Insel Gotland, im 12. Jh. als Han-
Feldmarschall, 1787–1862; schlug im Juni delsplatz entstanden, Handelsniederlas-
1848 den Prager Aufstand nieder, nahm sung; 1361 Überfall Waldemars IV. von
als Oberbefehlshaber aller österr. Truppen Dänemark auf W. und Plünderung.
außerhalb Italiens am 31. Okt. 1948 Wien Witigis, Ostgotenkönig (536–540 n. Chr.);
ein, wurde aber im April 1849 abberu- belagerte 537/38 vergeblich Rom, mit ei-
fen; 1859 Gouverneur der Bundesfestung ner Enkelin Theoderichs d. Gr. verheiratet,
Mainz. von Belisar in Ravenna gefangen, starb in
Windsor, Stadt und königl. Schloss (Wind- byzantin. Gefangenschaft.
sor Castle) an der Themse, westl. von Lon- Witold, Großfürst von Litauen, 1350–
don; Anlage des Schlosses unter ↑ Wilhelm 1430; seit 1392 Herr Litauens, kämpfte
dem Eroberer, unter Eduard III. umgebaut, gegen Russen und Tataren, anerkannte
bis in die jüngste Zeit einer der Hauptsitze 1401 die Oberhoheit seines Vetters Wla-
der engl. Könige; seit 1917 nennt sich das dislaus II. Jagiello, griff zus. mit ihm den
brit. Königshaus W. (früher Sachsen-Co- Dt. Orden an (1410 Schlacht von Tan-
burg). nenberg) und warf ihn nieder; das durch
Windthorst, Ludwig, dt. kath. Politiker, ausgedehnte Eroberungen von ihm erwei-
1812–1891; urspr. Justizminister in Han- terte Großreich Litauen erstreckte sich
nover, seit 1967 Mitglied des (zunächst von der Ostsee bis zum unteren Dnjepr
Norddt.) Reichstages und des preuß. Abge- und erhielt durch zahlreiche neu gegrün-
ordnetenhauses („die Perle von Meppen“), dete Städte, Faktoreien und Burgen Zen-
übernahm 1871 die Führung der ↑ Zen- tren einer organisierten Binnenwirtschaft;
trumspartei, bedeutender Gegenspieler durch Christianisierung der letzten heidn.
Bismarcks in der Innenpolitik. Litauer schaffte er seinem Reich auch die
Winfried, ↑ Bonifatius. kulturelle Einheit (das litauische Reich
Winkelried, Arnold (Erni), sagenhafter wurde 1569 durch die Union von Lublin
schweizer. Nationalheld; soll angeblich in – Zusammenfassung mit dem bisher nur in
der Schlacht bei Sempach (9. Juli 1386) ein Personalunion mit ihm verbundenen Polen
Bündel feindlicher Spieße sich in die Brust – ein Teil Polens).
gedrückt und derart den eidgenöss. Trup- Witte, Sergei Juljewitsch Graf (seit 1905),
pen eine Gasse in das österr. Ritterheer ge- russischer Politiker, 1849–1915; wurde
bahnt haben. 1892 Verkehrs- und Finanzminister, führte
Winrich von Kniprode, ↑ Kniprode. 1894 das Branntweinmonopol des Staates
Winterkönig, ↑ Friedrich V. von der Pfalz. und 1897 die Goldwährung ein, schloss
Wipo, dt. Historiker, gest. um 1046 n. Chr.; 1905 den Frieden von Portsmouth, der
Burgunder, Kaplan Konrads II. und Hein- den Russ.-jap. Krieg beendete, entwarf das
richs III., verfasste die „Vita Chuonradi“, Verfassungsmanifest Nikolaus’ II. und war
eine der Hauptquellen für die Zeit Kon- 1905/06 Ministerpräsident.
rads II. Wittelsbacher, bayer. Fürstengeschlecht
Wirth, Josef, dt. Zentrumspolitiker, 1879– (↑ Bayern), Nachkommen des Markgrafen
1956; ursprüngl. Mathematiker, 1918–20 Luitpold, Grafen von Scheyern, die sich
badischer Finanzminister, 1920–21 Reichs- seit 1117 nach der Burg Wittelsbach bei

974
Worms

Aichach benannten und durch Friedrich I. Begründer des griech.-orthodoxen Chri-


1180 (↑ Otto von W.) mit dem Herzog- stentums in Russland, 988 getauft, doch
tum ↑ Bayern und durch Friedrich II. 1214 aus polit. Gründen nicht von der byzant.,
(Ludwig I.) mit der ↑ Pfalz belehnt wurden; sondern von der bulgar. Kirche (↑ Kiewer
seit 1323 (Hausvertrag von Pavia) getrennt Reich, Ostkirche).
in eine bayr. und eine kurpfälz. Linie; die Wladislaw, Name von Herrschern:
kurpfälz. seit 1356 im Besitz der Kur- 1) W. II., Jag(i)ello, ↑ Jagello. 2) W. von
würde, die bayr. erst seit 1623. Die pfälz. Anjou, König von Neapel (1386–1414),
Linie gliederte sich infolge von Teilungen geb. 1375; setzte sich 1399 gegen seinen
in mehrere Nebenlinien: 1) Simmern Nebenbuhler Ludwig II. von Anjou durch,
(mit Kurwürde), erlosch 1685; 2) Neu- versuchte 1403 vergeblich, die ungarische
burg, erlosch 1742; 3) Sulzbach, erlosch Krone zu gewinnen; erstürmte im Kampf
1799; 4) Zweibrücken-Birkenfeld, regierte mit dem Papst 1413 Rom. 3) W., seit 1471
1799–1918. Seit 1777, nach dem Ausster- König von Böhmen, seit 1490 auch in Un-
ben der bayr. Linie, Vereinigung der beiden garn, 1456–1516; verlor 1478 Mähren,
Länder unter den pfälz. W. (↑ Karl Theo- Schlesien und die Lausitz an den Ungarn-
dor); dem Haus der W. entstammten 2 dt. könig Matthias Corvinus.
Kaiser (↑ Ludwig der Bayer und Karl VII.), Wohlfahrtsausschuss, in der Frz. Revo-
Ende 16.–Mitte 18. Jh. die Erzbischöfe von lution die Regierungsbehörde (Exekutiv-
Köln, 1323–1373 die Markgrafen von organ) des ↑ Konvents, 1793 konstituiert,
Brandenburg sowie Könige in Dänemark, bestimmte vor allem die Außenpolitik,
Holland, Schweden und Griechenland. führte unter Vorsitz von ↑ Danton, dann
Wittenberg, Hauptstadt des alten Kur­ ↑ Robespierre eine Schreckensherrschaft,
sachsen, seit 1423 Residenz des Hauses bei Amtsantritt der Direktorialregierung
↑ Wettin, 1502 Gründung der bes. in der 1795 aufgelöst.
Reformationszeit einflussreichen Universi- Woiwode, in den slaw. Sprachen im MA
tät durch Friedrich den Weisen; die Uni- urspr. Bez. für einen gewählten Heerführer,
versität 1817 mit der Universität Halle dessen Würde nicht erblich war; in Russ-
vereint; 1517 schlug Luther seine 95 Ab- land seit Mitte des 17. Jh. bis 1775 Vorste-
lassthesen an die Schlosskirche zu W. an, her der Provinzialverwaltung, in Polen seit
1520 Verbrennung der päpstlichen Bulle, dem 12. Jh. Statthalter in den Teilfürsten-
1536 ↑ Konkordienformel; 1547 nach der tümern und seit 1918 Bez. für den obers­
Schlacht bei Mühlberg Kapitulation des ten Beamten einer Woiwodschaft; in der
Kurfürsten Johann Friedrich von Sachsen, Walachei, der Moldau und in Siebenbür-
Abtretung seines Landes an Herzog Moritz gen (bis ins 16. Jh.) führten die Herrscher
von Sachsen. den Titel W.
Wittgenstein, Ludwig Adolf Peter, Fürst Worms, ehemals Freie Reichsstadt am
von, russ. Feldmarschall der Befreiungs- Mittelrhein; kelt. Gründung (Borbetoma-
kriege, 1769–1843; befehligte 1812 die gus), unter den Römern „Vormatia“ ge-
Westarmee an der Düna, 1813 die Ver- nannt; 5. Jh. n. Chr. Hauptstadt und Mis-
bündeten, 1814 das russ. Korps der Armee sionsmittelpunkt des Burgunderreiches;
Schwarzenberg. Schauplatz des Nibelungen- und Walthari­
Wladimir I., der Heilige, russ. Großfürst liedes; seit dem 8. Jh. Königspfalz; nach
(98(>–1015); mit einer byzantin. Prin- Verfall der Karolingermacht um 1000 bi-
zessin (Schwester der dt. Kaiserin Theo- schöflich. – 1122 ↑ Wormser Konkordat;
phanu) verheiratet, brach die Macht der Worms stand auf der Seite des Kaisers ge-
warägischen Kriegerkaste (↑ Normannen), gen den Bischof; kaiserliche Privilegien er-

975
Wormser Konkordat

weiterten die städtische Freiheit; mehrere Wrangel, 1) W., Karl Gustav, schwed.
↑ Wormser Reichstage; 1540 Religions- Reichskanzler und Feldmarschall im Drei-
gespräche; 1689 von den Franzosen un- ßigjährigen Krieg, 1613–1676; seit 1646
ter Melac niedergebrannt; 1801–1814 bei Oberbefehl in Deutschland, 1656–1660
Frankreich, 1815 zu Hessen-Darmstadt; gegen Polen und Dänemark, 1674 gegen
Dom erbaut ab 1171. Brandenburg, im 2. Eroberungskrieg Lud-
Wormser Konkordat, 1122, zweiseitiger wigs XIV. gegen Holland; 2) W., Fried-
Vertrag zw. Papst Kalixtus II. und Hein- rich Heinrich Ernst Graf, preuß. Gene-
rich V. zur Beendigung des ↑ Investitur- ralfeldmarschall, 1784–1877; beendete die
streits; Verzicht des Kaisers auf die Investi- preuß. Märzrevolution durch gewaltsame
tur mit Ring und Stab, Zusicherung freier Auflösung der preuß. Nationalversamm-
kanon. Wahl und Konsekration, Rücker- lung 1848 in Berlin. 1864 im Krieg Ös-
stattung der Kirchengüter; Berechtigung terreichs und Preußens gegen Dänemark
des Kaisers, der Wahl reichsunmittelbarer Befehlshaber des preuß.-österr. Heeres, als
Bischöfe und Äbte beizuwohnen (Einfluss „Papa W.“ volkstümlich; 3) W., Peter Ni-
auf Zustimmungsrecht ohne Simonie und kolajewitsch, Baron, russ. General, 1878–
Gewalt); die lnvestitur, die Belehnung mit 1928; im 1. Weltkrieg Kosakengeneral,
den Hoheitsrechten und Kirchengütern, kämpfte nach der ↑ Oktoberrevolution ge-
sollte mit der Übergabe des Zepters (Sym- gen die Bolschewisten, seit 1920 als Nach-
bol der weltlichen Herrschaft) erfolgen, in folger General Denikins Befehlshaber der
Deutschland vor der Weihe. „Weißen Armee“ in S-Russland, musste
Wormser Reichstage, 1495: Reichsreform, unter großen Verlusten die Krim über See
Aufrichtung des Ewigen Landfriedens, Er- räumen (Ende der „Konterrevolution“).
richtung des Reichskammergerichts und Wrede, Karl Philipp, Fürst, bayer. Feld-
der ersten direkten Reichssteuer, des „Ge- marschall, 1767–1838; 1805 Oberbefehl
meinen Pfennigs“. – 1521: 1. Reichstag über das bayer. Feldheer, 1812 General der
Karls V. in Deutschland, Rechtfertigung bayr. Truppen im russ. Feldzug, 1813 (Ver-
Luthers, Weigerung des Widerrufs, Reichs- trag von Ried) Oberbefehl über ein bayer.-
acht; Beschluss, das Reichsregiment bei österr. Heer; Vertreter Bayerns auf dem
Abwesenheit des Kaiser in Deutschland ↑ Wiener Kongress.
wiedereinzuführen. – 1545: Protestanten- Wright, Wilbur und Orville, Brüder, ame-
frage; Protestanten widersprachen dem rikan. Flugzeugingenieure, 1867–1912
Konzil von Trient. bzw. 1871–1948; unternahmen, angeregt
Woroschilow, Kliment Jefremowitsch, durch Lilienthal, Drachenflugversuche,
sowjet. Politiker, 1881–1969; einer der 1903 erster Motorflug der Welt (über eine
engsten Mitarbeiter Stalins, seit 1926 Mit- Strecke von 50 m); ↑ Luftfahrt.
glied des Politbüros; 1918 Oberbefehlsha- Wulfila (Ulfilas = Wölflein), seit 341 Bi-
ber der 10. Armee, 1919 der 14. Armee. schof der arianischen Westgoten, 311–
1925–1934 Volkskommissar für Krieg und 382 n. Chr.; Sohn eines kriegsgefangenen
Marine, 1934–1940 Volkskommissar für Kappadokiers, aus innerster Überzeugung
Verteidigung; im 2. Weltkrieg Chef der Trup- Christ, Arianer und Priester; Lektor in
pen im NW, an der Leningrader Front und Byzanz, 341 durch die Synode von Anti-
Chef der Partisanenbewegung. 1945–1947 ochien zum Bischof der Goten bestimmt;
Vorsitzender der alliierten Kontrollkommis- Missionar in seiner Heimat, in der Chri-
sion. 1953–1960 Vorsitzender des Präsidi- stenverfolgung des Athanarich Flucht mit
ums des Obersten Sowjets; von Chruscht- den Resten seiner Gemeinden über die Do-
schow entmachtet, 1969 rehabilitiert. nau; in den zugewiesenen Grenzgebieten

976
Wyszynski

in Mösien Gründung eines eigenen theo­ ↑ Rheinbund bedeutende Gebietserwei-


krat. Kleinstaates; um den Flüchtlingen terungen; 1803 Kurwürde, 1806 Königs-
ihre Muttersprache zu erhalten, Überset- würde, 1814/15 Kampf gegen Frankreich,
zung der Bibel ins Got. mit sprachschöpfe- seit 1815 im Dt. Bund, 1819 Verfassung,
rischer Formkraft und abgewandelter Ru- 1828 im Süddt. Zollverein, 1834 im Dt.
nenschrift. Zollverein, 1866 Teilnahme am Krieg ge-
Wullenwever, Jürgen, hanseatischer Poli- gen Preußen, 1871 nach Zugeständnis von
tiker, um 1490–1537; ging aus den inne- Reservatrechten dem Dt. Reich beigetre-
ren Kämpfen in Lübeck als Bürgermeister ten; 1918 Freistaat, 1952 mit Baden und
hervor, suchte die Stadt in ein protestant.- W.-Hohenzollern Land Baden-W.
demokrat. Gemeinwesen zu verwandeln Würzburg, alte Missionsstation iro-schot-
und in Überschätzung ihrer Kraftreserven tische Mönche (hl. Kilian, gest. 689), Bi-
ihre Vorherrschaft an der Ostsee zu erneu- schofsstadt am Main, 704 n. Chr. erstmals
ern, nach unglücklich verlaufenem Krieg ­erwähnt. 741 Bischofssitz, von Bonifatius
gegen Dänemark gestürzt, an den kath. gestiftet, Anfang 12. Jh. Herzogswürde
Herzog von Braunschweig ausgeliefert und von Ostfranken an die Bischöfe von W.;
hingerichtet. W. schloss sich 1525 den aufständischen
Württemberg, ursprünglich von Sue- Bauern (Florian Geyer) gegen den Bischof
ben (↑ Schwaben) besiedelte Kolonie der an; Gegenreformation in W. durch Fürst-
Römer, Teil des ↑ Dekumatenlandes; die bischof Echter von Mespelbrunn (1573–
Grafen von W. (seit 1135) erwarben seit 1617), 1582 Universität, 1631 Einzug der
Beginn des 13. Jh. beträchtliche Teile Schweden, 1803 und 1815 W. an Bayern.
stauf. Eigentums und wuchsen zur be- Wyschinski, Andrei Januarjewitsch, sow-
deutendsten Macht im SW heran; 1320 jet. Politiker, 1883–1954; wurde 1920
nach Zerstörung des Stammschlosses Ver- Mitglied der KPdSU, 1925–28 Rektor der
legung der Residenz nach Stuttgart, 1388 Universität Moskau, 1935–39 Hauptan-
Sieg über die Städte, seit 1495 Herzogtum kläger in den Moskauer Schauprozessen;
mit ständ. Verfassung (seit 1482): nach 1949–1953 Außenminister, 1953/54 stän-
Vertreibung Herzog Ulrichs durch den diger Vertreter der UdSSR bei den UN.
Schwäb. Bund (1519) geriet W. bis 1534 Wyszynski, Stefan, Kardinal (seit 1953),
(Rückeroberung durch Herzog Ulrich und 1901–1981; war 1946 Bischof von Lublin,
Einführung der Reformation) in habsbur- seit 1948 Erzbischof von Gnesen und War-
gischem Besitz und anschließend unter schau und Primas von Polen; 1953–56 in
österreichischer Lehenshoheit, erlebte un- Haft; seine Kirchenpolitik demonstrierte
ter Herzog Christoph (1550–1568) neuen den Selbstbehauptungswillen des poln.
Aufschwung (Erweiterung der Rechte der Katholizismus gegenüber dem staatlichen
Stände, Verwaltungsreform, Große Kir- Machtanspruch.
chenordnung) und 1599 als Reichslehen
wieder volle Unabhängigkeit von Öster-
reich; die Landstände vermochten sich
auch gegen den verschwender. und nach
autokrat. Herrschaft strebenden Karl Eu-
gen (1737–1793) zu behaupten und ret-
teten damit den ständ. Gedanken (Aus-
wirkung auf die im Dt. Reich seit 1871
auch parteipolit. organisierte „süddt. De-
mokratie“); durch Mitgliedschaft W.s im

977
Xanten

Xanten (lat., „ad sanctos“ =

X zu den Heiligen), Stadt am


Niederrhein, aus dem von
Drusus gegründeten nahe ge-
legenen Castra vetera entstanden, Mittel-
punkt der Erhebung des Civilis gegen die
Römer; sagenhaftes Heimatschloss Sieg-
frieds (Nibelungenlied). Der Vertrag von
X. beendete 1614 den ↑ Jülich-Kleveschen
Erbfolgestreit zw. Brandenburg und Pfalz-
Neuburg.
Xaver, Franz, hl., Apostel der Inder, 1506–
1552; zusammen mit ↑ Ignatius von Loyola
in Paris und Mitbegründer des ↑ Jesuiten-
ordens, wirkte als Missionar in Ostindien
und Japan.
Xenophon, griechischer Philosoph, His-
toriker und Feldherr aus Athen um 434–
355 v. Chr.; Schüler des Sokrates, Teilneh-
mer am „Zug der Zehntausend“ (griech.
Söldner im Dienste des aufständischen
Perserprinzen Kyros d. J.), leitete nach der
Schlacht bei Kunaxa 401 den Rückzug der
Griechen; als Spartanerfreund aus Athen
verbannt, Hauptwerke: die ↑ „Anabasisa
und die „Kyropädie“ (8 Bücher über die
Entwicklung des Kyros d. Ä. zum idealen
Herrscher; eine Art ↑ Fürstenspiegel).
Xeres de la Frontera, ↑ Jerez de la Fron-
tera.
Xerxes I. (Chschijarscha), in der Bibel
Ahasverus; Sohn des Darius I., Großkö-
nig von Persien (485–465 v. Chr.), unter-
drückte Aufstände in Babylon und Ägyp-
ten; unternahm 480/79 den Feldzug gegen
die Griechen (↑ Perserkriege), unterlag bei
↑ Salamis 480 v. Chr. und 479 bei ↑ Platää
(Feldherr: Mardonios); ermordet.

978
Yalta-Konferenz

Yalta-Konferenz, ↑ Jalta. mission, dem USA-Wirtschaftler Owen

Y Yankee, Spitzname ursprüng-


lich nur für die Neuengländer,
in Europa für alle Nordame­
rikaner; Herkunft des Wortes vermutl. aus
Young; Feb. bis Juni 1929 Beratung der
Kommission in Paris, der Plan angenom-
men durch die 1. Haager Konferenz im
Aug. 1929, in Kraft seit 1. Sept. 1929,
niederländ. Janke = Hänschen; nach ande- ergänzt durch 2. Haager Konferenz im
rer Deutung verderbte Aussprache der In- April 1930; Gründung der „Bank für inter­
dianer für „Anglais“ = Engländer. nat. Zahlungsausgleich“ (BIZ) als Treuhän­
Yorck von Wartenburg, Hans David Lud- derin der dt. Reparationen, die im Mai 1930
wig Graf, preuß. Feldmarschall der Befrei- ihre Tätigkeit aufnahm; vorgesehene Lauf-
ungskriege, 1759–1830; befehligte im russ. zeit des Y. bis 1988, 114 Mrd. RM dt. Ge-
Feldzug Napoleons 1812 das preuß. Hilfs- samtzahlungen, 1,7–2,1 Mrd. Jahreszahlun­
korps vor Riga, schloss nach dem Rückzug gen, Deckung durch die Reichsbahn; Y.-P.
der „Großen Armee“ mit dem russ. Gene- brachte Erleichterungen gegenüber dem
ral Diebitsch eigenmächtig die Konvention Dawes-Plan, befreite Deutschland von
zu ↑ Tauroggen, organisierte die Volks- den dort vorgesehenen Pfändungen und
erhebung in Ostpreußen, zeichnete sich Kontrol­len; der Y.-P. wurde schließlich
1813/14 bei Bautzen, an der Kaubach, bei durch das vom amerik. Präsidenten ↑ Hoo-
Leipzig, Laon u. a. aus; bei den Soldaten als ver vorgeschlagene Hoover-Moratorium
„Isegrimm“ gefürchtet, Gegner der Stein- 1931 fakt., durch die Lausanner Konfe-
Hardenbergschen Reformen. renz 1932 auch formell beseitigt; die 1930
York, Hauptstadt der engl. Grafschaft York- aufgenommene Young-Anleihe wurde im
shire, heute selbständige Grafschaft, das Rahmen des Londoner Schuldenabkom-
alte Eboracum der Römer, seit 79 n. Chr. mens laufend zurückbezahlt.
bed. Siedlung der röm. Provinz Britannien, Ypern, Stadt in der belg. Provinz West­
militär. Mittelpunkt und Kaiserresidenz; flandern; 13. und 14. Jh. durch die Ansied-
durch Angelsachsen erobert und als Eofor- lung von Tuchwebern Hauptsitz der fläm.
wic Hauptstadt des Angellandes; 867 von Tuchindustrie und angeblich eine der volk-
den Dänen erobert, trat seitdem an Bedeu­ reichsten Städte des Abendlandes; 1914–
tung hinter London zurück; seit dem 7. Jh. 1918 weitgehend zerstört, später im alten
Bistum, später Erzbistum; 1644 Sieg der Stil wieder aufgebaut.
Parlaments- über die königl. Truppen und Ypsilanti, Alexander, griechischer Frei-
Eroberung von Y., Kathedrale von Y. im heitskämpfer, 1792–1828; erließ 1821 als
12. bis 15. Jh. erbaut. Führer der „Hetärie“, einer wiss. getarnten
Yorktown, nordamerik. Stadt im Staat Aufständischengruppe, einen Aufruhr zur
Virginia; die Kapitulanion von Y. 1781 Erhebung gegen die Despotie der Türken­
entschied den amerik. ↑ Unabhängigkeits- herrschaft; da die erwartete Hilfe des
krieg zugunsten der aufständischen Kolo- Abendlandes ausblieb, erlag er mit seinem
nien, Lord Cornwallis musste sich den ver- Bruder Nikolaus und der „Heiligen Schar“
einten amerik. und frz. Streitkräften unter der türk. Übermacht bei Dragatschan; Y.
Washington ergeben. floh nach Österreich, von Metternich ge-
Yoruba-Kultur, ↑ Jerubakultur. fangen gehalten.
Young-Plan, Gutachten der internationa- Yucatán, mexikan. Halbinsel, in ihrem
len Finanzsachverständigen, enthielt Vor- nördl. Teil Hauptsitz der ↑ Maya-Kultur.
schläge zur endgültigen Regelung der dt.
Reparationen, löste den ↑ Dawes-Plan ab;
benannt nach dem Vorsitzenden der Kom-

979
Zacharias

Zacharias, Papst, 741–752; 1078); Herzog Konrad (gest. 1152) erwarb

Z organisierte und reformierte


mithilfe des hl. ↑ Bonifatius
die fränk. Kirche und ebnete
dadurch den Weg zu einer engeren Ver-
das Rektorat über Burgund und begrün-
dete dadurch die Hausmacht der Z. im SW
des Reiches, die aber bald von den Stau-
fern überflügelt wurde; mit dem Erlöschen
bindung zw. der röm. Kirche und dem dieser älteren Linie (1218) ging die mittel­
Frankenreich: Eine Gesandtschaft des Ka- alterliche Glanzzeit (Gründung der Städte
rolingers ↑ Pippins d. J. (des Kleinen, des Freiburg und Bern) der Z. zu Ende. Die
Kurzen), der nach dem Verzicht Karlmanns von Hermann (geb. 1074), dem Sohn Ber-
tatsächlicher Herrscher im Frankenreich tholds I. begründete markgräfliche Linie,
war, erbat von Papst Z. die Entscheidung nach der Burg Baden im Oostal auch bad.
darüber, ob es besser sei, „dass derjenige Linie gen., spaltete sich 1515 bzw. 1527 in
König heiße, der nur den Titel besitze, die drei Linien Baden-Baden, Sponheim
oder ob derjeni­ge König sein solle, der alle und Baden-Durlach; seit 1771 Wiederver-
Macht besitze“. Der Papst entschied für einigung des Landes in der Linie Baden-
Pippin und ließ ihn nach der Schilderhe- Durlach, die – seit 1806 als Großherzoge
bung 751 in Sois­sons von Bonifatius zum – bis 1918 in Baden regierte.
Frankenkönig salben: Die Absetzung des Zaïre, 1971–1997 Name der Demokrat.
merowing. Scheinkönigtums war damit Republik ↑ Kongo.
vom Papst bestätigt; seitdem Könige „dei Zama, antike Stadt westlich Karthagos;
gratia“ von Gottes Gnaden. 202 v. Chr. bei Z. Regia Sieg des P. Corne-
Zahlenschrift, ind. („arabisch“), hervor- lius Scipio Africanus d. Ä. über Hannibal
gegangen aus ind. Brahmi-Schriftzeichen (Karthago), beendete den 2. Pun. Krieg
(um 600 n. Chr., reine Stellenschrift mit (Schlachtort wird auch mit Narraggara
Hunderter, Zehner, Einer) und seit 870 gleichgesetzt).
auch der Null (Punkt, Kreis oder Kreuz); Zapoteken, indian. Volk im mexikani­
die ind. Zahlenschrift wurde dem Abend- schen Bundesstaat Oaxaca; die Kultur der
land durch die Araber vermittelt, die sie Z. entwickelte sich im 1. Jt. v. Chr. und
im 9. Jh. übernommen hatten; indische hatte ihre Blütezeit etwa 500–800 n. Chr.,
(„arab.“) Zahlzeichen in abendländischen relig. Zentrum war die Tempelstätte Monte
Schrifttum erstmals Anfang des 12. Jh. Albán; enge Beziehungen zu Teotihuacán
nachweisbar, zunächst als Jahreszahlen; in und den Städten der Maya; die wenig er-
die Rechenpraxis eingeführt (Kontore der forschten Schriftzeichen der Z. sind älter
Städte) und statt der latein. Zahlzeichen als die der Maya, Mixteken und Azteken.
erst seit dem 14. und 15. Jh. verwendet, Zar (slaw., von lat. caesar oder griech.
Rechenmeister (z. B. Adam Riese) und Re- kaisar), Herrschertitel bei den griech.-or-
chenbücher (Ulm, Nürnberg) führten in thodoxen Slawen; im 10. Jh. nahm Si-
das neue Rechnen ein. Das manipulierende meon d. Gr. von Bulgarien den Titel Z.
Rechnen mit dem ↑ Abakus, dem Rechen- an, in Serbien Stephan Dusan 1346, seit
brett mit Rechensteinen und Rechenmün- 1547 (Krönung Iwans IV.) Titel der russ.
zen, wurde abgelöst durch das rein schrift- Herrscher, Peter I. vertauschte ihn 1721
liche Rechnen. mit dem Titel Imperator; Gemahlin oder
Zähringer, schwäbisch-alemann. Grafen- Witwe des Z. = Zariza, Sohn = Zarewitsch,
geschlecht, seit dem 10. Jh. Grafen des Tochter = Zarewna.
Breisgau; benannt nach ihrer Stammburg Zarathustra (griech. Zoroaster), Stifter
Zähringen; Begründer der ältesten (seit des Parsismus, einer Reform der altiran.
1100 herzoglichen) Linie Berthold I. (gest. Religion. Die Stätte seines Wirkens war O-

980
Zeitrechnung

Iran, die Zeit ist ungewiß (zw. 1000 und nach „Gründung der Stadt Rom“ (= ab urbe
500, wahrscheinlich um 630 v. Chr.); Z.s condita), Anfangsdatum 21. April 753 bzw.
Lehre geht aus von dem Dualismus des 754 v. Chr. Die Römer selbst rechneten nur
Lichtes und der Finsternis, dem ewigen in wissenschaftlichen Werken nach dieser
Ringen zw. dem guten und bösen Prinzip; Z., die erst im 1. Jh. v. Chr. entstand. Im
Gebieter des Lichtreichs ist Ormuzd, die Allgemeinen wurde ein Ereignis nach dem
reinste Vollkommenheit, Fürst der Finster- Konsul benannt, der in dem betreffenden
nis ist Ahriman, Aufgabe des Menschen ist Jahr amtierte. 4) Christl. Z., nach Christi
es, sich für eines zu entscheiden. Überlie- Ge­burt, von dem Benediktinerabt Dio-
fert in: Avesta (= Wissen, Gesetz, in altpers. nysius Exiguus um 525 n. Chr. errechnet
Sprache), Zendavesta (= erklärte Avesta, (vermutlich um 6 Jahre zu spät angesetzt)
mittelpers.); ↑ Persien. und seit dem 10. Jh. im abendländischen
Zehnt (Dezem, von lat. decem = 10), die Gebrauch durchgesetzt. 5) Diokletian. Z.,
Abgabe eines Teiles des Ertrages einer Sa- begann mit dem Regierungsantritt Dio-
che, in der Regel der zehnte Teil der Ernte. kletians am 29. Aug. 284 n. Chr.; sie wurde
Zuerst von der Kirche in Anlehnung an vor allem in Syrien und Ägypten als Mär-
den Z. des A. T.s zur Finanzierung der Kir- tyrer-Ära (wegen der in ihrem 19. Jahr er-
chenaufgaben erhoben, später eingeteilt in folgenden Christenverfolgung) bezeichnet
geistlichen Z. (Decimae ecclesiasticae) und und hielt sich bis zum Einbruch der Araber;
weltl. Z. (D. saeculares); meist war der Z. bei den Kopten noch heute in kirchlichem
eine an die Grundnutzung geknüpfte Real­ Gebrauch. 6) Byzantin. Z., nach Erschaf-
abgabe: der „große Z.“ bestand aus allem, fung der Welt, 1. Sept. 5509 v. Chr., bei den
„was Halm und Stängel treibt“, der „klei- griech.-orthodoxen Völkern bis ins 19. Jh.
ne Z.“ nur aus Garten- und Baumfrüch- und bei den Russen bis 1700 gebräuch-
ten; der „Natural-Z.“ (Garben-Z.) wurde lich. 7) Mohammedan. Z., zählt die Jahre
vom Felde weg eingenommen; „Blut-Z.“ nach dem 15. Juli 622 n. Chr., dem Tag der
war die Abgabe des 10. Teils an Jungvieh Flucht des Propheten von Mekka nach Me-
oder Viehprodukten. Der „Neubruch-“ dina (Hedschra); in Gebrauch seit dem Ka-
oder „Noval-Z.“ wurde von neugerodetem lifen Omar (634 bis 644). 8) Z. der Franz.
Ackerland eingefordert; der „Sack-Z.“ war Revolution, begann mit dem 22. Sept.
der in abgemessenen Mengen (Säcken) ge- 1792 (Erklärung der Republik) und wurde
lieferte Z. in ausgedroschenem Getreide, er am 6. Okt. 1793 in Kraft gesetzt, mit dem
bildete den Übergang vom bloßen „Geld- 1. Jan. 1806 durch Napoleon abgeschafft.
Z.“. Der Z. wurde allgemein eingeführt Das Jahr hatte 12 Monate mit je 30 Tagen
im 6./7. Jh.; der Kirchen-Z. erhielt sich in und statt der Wochen Dekaden zu 10 Ta-
manchen Kirchenprovinzen bis in 19. Jh. gen. Am Ende des Jahres wurden 5, in
Zehntland, ↑ Dekumatenland. Schaltjahren 6 Tage eingeschoben; Monats-
Zeitrechnung (Ära), Datierung von einem namen: Vendémiaire, Brumaire, Firmaire,
best. Ereignis, einem Zeitpunkt oder einer Nivôse, Pluviôse, Ventôse, Germinal, Flo-
bestimmten Person an: 1) Jüd. Z., nach Er- réal, Prairial, Messidor, Thermidor, Fructi-
schaffung der Welt, seit dem 11. Jh. n. Chr. dor. Das Revolutionsjahr I entspricht dem
bei den Juden gebräuchlich; Beginn durch Jahr 1792/93, II = 1793/94, III = 1794/95,
Rabbi Hillel (4. Jh. n. Chr.), auf den 7. Okt. IV = 1795/96, V = 1796/97, VI = 1797/98,
3761 v. Chr. berechnet. 2) Griech. Z., rech- VII = 1798/99, VIII = 1799/1800, IX =
net im Allg. nach Olympiaden (von je vier 1800/01, X = 1801/02, XI = 1802/03, XII =
Jahren) ab 8. Juli 776 v. Chr., kennt aber 1803/04, XIII = 1804/05, XIV = 23. Sept.
auch andere Ausgangsdaten. 3) Röm. Z., bis 31. Dez. 1805. 9) Japan Z., Ausgangs-

981
Zeitung

punkt: der sagenhafte Regierungsantritt des erste nachweisbar regelmäßig erscheinende


1. Kaisers, des Jimmo-Tenno, 660 v. Chr. „Monats-Z.“ war die „Histor. Relation“ in
10) Ind. Z., regional völlig verschieden, Augsburg 1597; 1609 erschienen die äl-
entsprechend der uneinheitl. Geschichte testen bisher bekannten Wochen-Z.: die
↑ Indiens; Beginn der Zeitberechnungen „Relation ...“ (Straßburg) und der „Aviso“
schwankt zw. 3102 v. Chr. und 78 n. Chr. (Braunschweig-Wolfenbüttel). In Frank-
11) Buddhist. Z., rechnet vom angebl. To- reich gab der Arzt und Philantrop Renan-
desjahr Buddhas (544 v. Chr.) an (mit vie- dot 1631 die erste polit. Wochenzei­tung
len Abweichungen). („La Gazette“) heraus und rief das Anzei-
Zeitung („Zeytung“ o. ä. = „Bericht über genwesen ins Leben; 1660 erschien die
ein Zeitereignis, Nachricht, in dieser Be- erste Tageszeitung der Welt in Leipzig als
deutung erstmals kurz vor 1300 nachge- „Neu-einlauffende Nachricht von Kriegs-
wiesen); dem natürl. Bedürfnis der Men- und Welthändeln“; 1665 begr. Denis Sallo
schen nach Neuigkeiten und der Notwen- in Paris den Typ der Gelehrtenzeitschrift
digkeit geregelter Nachrichtenübermitt- („Journal des Savants“; 1682 in Deutsch-
lung entsprechende Vorformen sind in land nachgeahmt von dem Leipziger Prof.
fast allen älteren Kulturen (auch bei den Mencke: „Acta eruditorum“, 1688 erste
Primitiven) nachweisbar; berühmt sind wissenschaftliche Zeitschrift in dt. Spra-
die Acta ­ diurna Cäsars; im MA erfüllten che von Thomasius); in der Herausgabe
die „fahrenden Sänger“, Scholaren usw. von Nachrichtenblättern konkur­rierten
(↑ Vaganten), reisende Kaufleute und Bo- (um die Erlangung des entsprechen­den
ten die Aufgabe der Z.; neben dieser „ge- Privilegs) Buchdrucker und Postmeis­ter
sprochenen Z.“ entwickelte sich seit dem (Name vieler Z. daher heute noch „Post“);
Ausgang des MA aus dem privaten, amt- neben die (streng zensierten) „Gazetten“,
lichen oder geschäftlichen Brief die „ge- „Couriere“ o. ä. traten im 18. Jh. die „In-
schriebene Z.“, die etwa seit dem 16. Jh. telligenzblätter“ (die wirtschaftspolit.
auch gewerbsmäßig vervielfältigt und ver- Anordnungen des absolutist. Merkanti-
trieben wurde (1536 geschriebene „Gazet- lismus, Marktpreise, Kaufgesuche usw.
ten“ in Venedig); die Einführung des Pa- dem Publikum zur „Intelligenz“, d. h. zur
piers und die Erfindung des Buchdrucks Kenntnis gaben, daneben belehrende Arti-
führten zunächst zur (nicht regelmäßigen) kel brachten und deren Abonnement den
Herausgabe von meist illustrierten „Ein- Gastwirten, Juden als Handelsleuten und
blattdrucken“, in denen über krieg. Ereig- anderen Gruppen zwangsweise auferlegt
nisse, Wundererscheinungen usw. berich- wurde); daneben übten die „Moral. Wo-
tet wurde (erste Einblattdrucke seit 1482 chenschriften“ (nach engl. Vorbild 1713
nachweisbar); seit dem „Kolumbusbrief“ „Der Vernünftler“ in Hamburg) nach-
von 1493 gibt es „Entdeckerzeitungen“; haltigen Einfluss auf Erziehung und Bil-
1503 „Newe Zeytung von Orient und auff­ dung des aufstrebenden Bürgertums aus.
gange“ (ältestes Neuigkeitsblatt mit dem Für die Entstehung der modernen Mas-
Wort Z. im Titel); seit der Reformations- senpresse im 19. Jh. mussten versch. Vo-
zeit bewährten sich Flugblatt und Flug- raussetzungen erfüllt sein: Beseitigung der
schrift als Propagandamittel (u. a. auch von ↑ Zensur, d. h. Einführung der Pressefrei-
Luther und seinen Gegnern verwendet); heit, die Anteilnahme breiter Schichten am
Chronikcharakter tragen die histor. „Rela- polit. Geschehen (seit der Frz. Revolution
tionen“, die seit 1588 als „Messrelationen“ im Rahmen der liberalen und demokrat.
erstmals regelmäßig (halbjährlich) erschie- Bewegung), techn. Forschritte im Druck-
nen (Hauptorte Frankfurt und Köln); die wesen (­Schnellpresse, Maternstereotypie,

982
Zensur

Rotationsmaschine, Bildvervielfältigungs- für mehrere Aufstände, deren fanatischer


verfahren, Setz­maschine), der Ausbau des Hass sich bes. gegen die Römer richtete.
Verkehrs- und Nachrichtenwesens (Eisen- Zendavesta, ↑ Avesta, Zarathustra.
bahn; Telegrafie als Grundlage der großen Zeno(n) Isauricus, Kaiser von Byzanz
Nachrichtenbüros wie Reuter, Havas, (474 bis 491); geb. 426 n. Chr., zunächst
Wolff), Verbilligung der Papierfabrikation Häuptling der Isaurier; veranlasste die
(Holzschliff) u. a.; bahnbrechend für die Ostgoten unter Theoderich zum Angriff
Massenpresse wirkten in Frankreich Girar- auf Westrom, um die Macht Odoakers zu
din („La Presse“ 1836), in den USA Gor- schwächen.
don Bennett („New York Herald“ 1835), Zenobia, Septimia, Königin von ↑ Palmyra
in England mit bes. Erfolg Harmsworth (267–272 n. Chr.); erweiterte ihr Reich
(Lord Northcliffe), der Schöpfer der Popu- über ganz Syrien bis Ägypten; Kaiser Aure-
larpresse mit Riesenauflage (1896 „Daily lian eroberte 272 Palmyra und brachte Z.
Mail“). In Deutschland herrschte seit 274 im Triumphzug nach Rom.
1848 die polit. Meinungspresse vor (libe- Zensoren (lat. censores, Prüfer), im repu-
rale „National-Z.“, „Voss. Z.“, konserva- blikan. Rom seit dem 5. Jh. v. Chr. zwei Be-
tive „Kreuz-Z.“ usw.), 1883 schuf August amte, denen alle 5 Jahre (lustrum) auf dem
Scherl den Generalanzeigertyp mit bis da- Marsfeld die Registrierung der Bürger und
hin unbekannter Auflagenhöhe („Berliner die Prüfung der steuerpflichtigen Vermö-
Lokalanzeiger“), doch blieben auch die gen oblag (↑ Census); sie übten zugleich
größten dt. Zeitungen hinter den Millio­ das Amt der Sittenrichter aus und beauf-
nenauflagen der anglo-amerikan. Presse sichtigten die Staatsbauten; urspr. konnten
weit zurück, da sich in Deutschland eine nur Patrizier Z. werden, seit der Mitte des
Unzahl von Provinz-Z. als lebensfähig 4. Jh. v. Chr. auch Plebejer; seit Augustus
erwies; auch wurde das dt. Z.wesen im waren die Kaiser selbst Träger des Amtes.
20. Jh. nicht im gleichen Maß „vertrustet“ Zensur, bereits 1486 (nach der Erfindung
wie das engl. und amerik. (Beaverbrook, des Buchdruckes) in Mainz zum erstenmal
Rothermere; Hearst u. a.), obwohl bes. angewandt (Vorzensur: Keine Druckschrift
↑ Hugenberg in den 20er Jahren über ei- kirchlich-religiöser Art durfte ohne Geneh-
nen gewaltigen Z.konzern verfügte. 1933 migung der Z.-Behörde erscheinen); später
„Gleichschaltung“ der dt. Zeitungen i. S. (1529) zum Reichsgesetz erhoben; 1571
des ↑ Nationalsozialismus; die Zeitungen Zusammenfassung aller von der kath. Kir-
wurden aus Nachrichtenblättern und krit. che verbotenen Bücher im ↑ Index libro-
Organen der öffentl. Meinung zu diri­ rum prohibitorum (Verzeichnis der ver-
gierten Propagandaorganen der National­ botenen Bücher), „Bücherkommissionen“
sozialisten; Zeitungsfusionen und Zeitungs­ mit Z.-Befugnis in den Buchhandelszen-
verbote (Rückgang von 4647 Z.en im Jahr tralen Frankfurt/Main und Leipzig, Z.-
1933 auf 1246 Z.en im Jahr 1942). Nach Recht der Universitäten und städt. Auf-
Ende des 2. Weltkrieges Lizenz-Z.en der al- sichtsbehörden; Selbstkontrolle der Buch-
liierten Besatzungsmächte, aus denen seit drucker, die sich durch Eid verpflichteten,
1949 in der Bundesrepublik Deutschland keine unzensierten Bücher zu drucken,
die lizenzfreie, meist nicht unmittelbar Postverbot (↑ Thurn) für Bücherballen,
parteigebundene Massenpresse der Gegen- die keinen Zensurvermerk trugen; in der
wart entstand. Zeit des ↑ Absolutismus ging die Z. auf
Zeloten, radikale römerfeindl. Gruppierung die Landesherren über. Zur Abschirmung
im palästinens. Judentum des 1. Jt. n. Chr.; gegen revolutionäre Ideen strenge Hand-
gegr. von Judas d. Galiläer; verantwortlich habung der Z. in den europäischen Mo-

983
Zensus

narchien nach der ↑ Frz. Revolution von Zentgraf, im MA der vom Landesfürsten
1789 (in Frankreich Pressefreiheit, ebenso eingesetzte Vorsitzende der Zent, eines Ge-
in den neu gegründeten Vereinigten Staa- richtsbezirkes unterhalb der Grafschaft,
ten von Amerika); Napoleon I. benutzte besonders in Ostfranken; entsprechend in
die Z. als entscheidendes Machtinstrument Sachsen Gograf, zuständig für Kriminal-
sowohl in Frankreich als auch in den ero- fälle; den Zentgerichten standen die Land-
berten Ländern; die Volkserhebungen der oder Grafengerichte (für die Causae majo­
↑ Befreiungskriege brachten nur vorüber- res – die „schweren Fälle“) gegenüber.
gehende Lockerung, strenge Polizei-Z. in Zentralafrikanische Republik, Republik
der ↑ Restauration, besonders in Öster- in Äquatorialafrika; als Ubangi-Schari seit
reich (Metternich), Preußen und Russland Ende des 19. Jh. frz. Kolonie; 1958 als
(↑ Karlsbader Beschlüsse); Aufhebung der auto­nome Z. R. in der Frz. Gemeinschaft;
Z.-Vorschriften in Deutschland im Revo- 1960 unabhängig, aber enge Kooperation
lutionsjahr 1848 (in Österreich erst 1867), mit Frankreich. Ende 1965 Staatsstreich
später Wiedereinführung bis zur Festle- durch Generalstabchef J. B. Bokassa, der
gung des Rechtes der Pressefreiheit in der die Verfassung aufhob und 1972 Staats-
Reichsverfassung von 1874. Im 1. ↑ Welt- chef auf Lebenszeit wurde. 1976 Prokla-
krieg nach Verhängung des Belagerungs- mation des Zentralafrikanischen Kaiser-
zustandes Vorzensur nach militär. und po- reichs durch Bo­kassa, der sich 1977 zum
lit. Gesichtspunkten, die in der Weimarer Kaiser (Bokas­sa I.) krönen ließ. Wegen Re-
Republik beseitigt wurde bis auf die auf gierungs-Terror (Bokassa selbst war an der
dem Strafrecht beruhenden Maßnahmen Tötung demonstrierender Schulkinder be-
gegen Druckschriften, Filme etc., die ge- teiligt) Herausbildung einer Einheitsfront
gen öffentliche Moral und Sitte verstießen gegen Bokassa, die ihn 1979 stürzte; Präsi-
(Schund und Schmutz); Ausnahmebestim- dent wurde D. Dacko, der die Z. R. erneut
mungen 1922 und 1930 zum Schutz der proklamierte. Nach den Wahlen 1981 Un-
Republik. Nach der nat.-soz. „Machtüber- ruhen und Ausnahmezustand; Sept. 1981
nahme“ (↑ Drittes Reich) Knebelung jeder unblutiger Staatsstreich durch das Militär;
freien Meinungsäußerung (keine Vorzensur der neue Staats- und Regierungschef Ge-
der Presse, aber durch Organe der NSDAP neral Andre Kolingba ernannte 1985 eine
und Reichspropaganda-Ämter lückenlos zivile Regierung und löste den bis dahin re-
und aufs Schärfste durchgeführte Nach- gierenden Militärrat auf. 1986 nach Refe-
zensur). Das Grundgesetz der Bundesre- rendum neue Verfassung, die der Z. R. den
publik Deutschland von 1949 stellte das Charakter einer Präsidialrepublik gab. Ge-
Recht auf freie Meinungsäußerung wieder werkschaften und politische Parteien wur-
her; Ausnahme „Schund und Schmutz“, den zu Beginn der 90er Jahre wieder zu-
Jugendgefährdung, Verletzung der persönl. gelassen. Bei den ersten freien Parlaments-
Ehre; Überwachung der Filmproduktion wahlen 1993 Sieg der ehem. Befreiungsbe-
durch Selbstkontrolle der Filmwirtschaft. wegung, „Mouvement pour la Libération
Zensus (Census), bei den Römern ein lau- du Peuple Centrafricain“ (MPLC, 1979 im
fend geführtes Verzeichnis aller männl. Bür- Exil gegründet), jedoch wiederholt Putsch-
ger und deren Besitzes zur Feststellung der versuche gegen Staatspräs. Ange-Félix Pa-
Wehrpflichtigen, der den Einzelnen zuste- tassé, die nur mithilfe frz. Truppen beendet
henden polit. Rechte und des Steuersatzes; werden konnten. 1998 Abzug der frz. und
urspr. Vermögensschätzung allein nach der Stationierung einer UN-Friedenstruppe.
Größe des Grundbesitzes; Augustus dehnte Mai 2001 Putschversuch von Ex-Staatschef
den Z. auf das ges. Reich aus. Kolingba und Teilen des Militärs, der von

984
Zenturien

regierungstreuen Truppen niedergeschlagen dersetzung zw. Staat und Kirche (↑ Kul-


werden konnte (ca. 200 Tote, etwa 50 000 turkampf ); doch Unterstützung der Bis-
Flüchtlinge aus der Hauptstadt Bangui). marckschen Schutzzoll- und Sozialpolitik;
Im Frühjahr 2003 Machtübernahme durch später Gruppierung in konservativen und
den entlassenen Oberkommandeur der Ar- demokrat.-sozialen Flügel (90–100 Abge-
mee, François Bozizé, mit der Unterstüt- ordnete); 1911–1914 Parteiorganisation
zung der Rebellen; Aufhebung der Verfas- auf überkonfessioneller und christl. Basis;
sung, Auflösung des Parlamentes. Ende des 1. Weltkrieges unter dem Ein-
Zentralismus, das Streben nach Konzen- fluss ↑ Erzbergers Eintreten für stärkere
tration von Verwaltung und Gesetzgebung Demokratisierung der Verfassung bei zu-
in einer Zentralinstanz unter Ausschaltung nehmender innerparteilicher Opposition
der Selbständigkeit der nachgeordneten des rechten Flügels; 1917 mit den Sozial-
Be­hörden; in Bundesstaaten Übertragung demokraten und der Fortschrittspartei Ab-
aller Kompetenzen von den Gliedstaaten fassung der ↑ Friedenresolution; nach 1918
auf den Gesamtstaat (Einheitsstaat), im maßgebende Regierungspartei der Weima-
Gegensatz zum ↑ Föderalismus. Während rer Republik, stellte vier Reichskanzler:
z. B. in Frankreich schon der Absolutismus Fehrenbach, Wirth, Marx, Brüning; 1920
Ludwigs XIV. und besonders die Radikalen Abspaltung der föderalist. Bayer. Volkspar-
der Frz. Revolution zum Z. neigten, setzte tei und einer konservativen Gruppe unter
sich in Deutschland der Z. ansatzweise erst Martin Spahn. Koalitionsregierungen mit
in der Weimarer Republik, in voller Konse- der SPD. Die Z. wurde einer der entschie-
quenz im ↑ Dritten Reich durch. densten Gegner des Nationalsozialismus,
Zentralkomitee, Abk. ZK, in kommunist. stimmte aber 1933, durch „bindende“
Parteien die Führungsspitze zw. den Partei- Zusagen Hitlers getäuscht, dem Ermäch-
tagen, denen es rechenschaftspflichtig ist; tigungsgesetz zu und löste sich als letzte
besitzt keine genau festgelegte Zahl von bürgerliche Partei im Juli 1933 selbst auf;
Mitgliedern und (beratenden) Kandidaten; nach 1945 wenig erfolgreiche Neugrün-
das ZK wählt aus seinen Mitgliedern das dung, ehemalige Mitglieder und Wähler
Politbüro und das Sekretariat. wanderten zumeist zur CDU.
Zentrumspartei (Zentrum), christl. (vor- Zenturien (Centuriae), Hundertschaft, bei
nehmlich kath.) Partei in Deutschland, be- den Römern Grundeinheit für die Eintei-
nannt nach der Sitzordnung in der Mitte lung des Volkes für Wahlen und Heeres-
des Parlaments; Anfänge waren in der dienst (Fußtruppen, ↑ Legion; Centurio,
Frankfurter Nationalversammlung 1848 Führer einer Z.); die nach umstrittener
der zwischenparteiliche „Kath. Verein“ un- Überlieferung dem König Servius Tul-
ter Vorsitz von Radowitz, im Preuß. Land- lius zugeschriebene Zenturiatsverfassung
tag 1852 die „kath. Fraktion“; 1870 grün- (6. Jh.) teilte die Volksversammlung nach
dete Peter Reichensperger zus. mit Bischof Vermögensklassen in Zenturiatskomitien,
Ketteler, von Savigny und von Mallinck­ die über Krieg und Frieden und alle wich-
rodt die eigentl. Z. (im 1. Reichstag 52 Ab- tigen Staatsangelegenheiten abstimmten
geordnete), dessen bedeutendster Führer und die Beamten wählten (Reiter: 18 Z.;
der ehemal. hannoversche Minis­ter Ludwig 1. Klasse der Schwerbewaffneten zu Fuß:
↑ Windthorst wurde. Ziele u. a.: Freiheit 80 Z., zus. 98 Z.; die übr. 4 Klassen zus.
der Kirche, Elternrecht, Bekenntnisschule, 95 Z.; dadurch zahlenmäßiges Überge­wicht
Arbeiterschutz, soziale Fürsorge, bundes- der Reiter und der 1. Klasse); bei der Land-
staatl. Föderalismus; nach 1871 spielte die vermessung war die Z. eine Fläche von ca.
Z. eine maßgebliche Rolle in der Auseinan- 505 000 Quadratmeter für 100 Ansiedler.

985
Zeppelin

Zeppelin, Ferdinand Graf, der Erfinder Gesetze der späten röm. Kaiserzeit setzten
des nach ihm benannten Starrluftschiffes, Z.grenzen fest: Diokletian 12 %, Justinian
1838–1917 (↑ Luftfahrt). 6 %; die kirchl. Gesetzgebung verbot Geist-
Zepter, Stab als Zeichen der Herrscher- lichen das Z.geschäft (4. Jh.), in der Karo-
würde, der sich durch bes. Formen und lingerzeit auch für Laien strenge Z.verbote;
Verzierungen auszeichnet; im MA Symbol Konzil von Vienne (1311) strafte die Be-
für kaiserliche und königliche, später auch hauptung, Z. nehmen sei keine Sünde wie
fürstliche Gewalt. Häresie; Juden wurden zu gesuchten Geld-
Zetkin, Clara, dt. Politikerin 1857–1933; verleihern, weil sie Z. nehmen und das
organisierte im Jahr 1900 die erste Frau- Kreditgeschäft betreiben konnten; das ka-
enkonferenz der SPD, deren linkem Flü- non. Z.verbot (Thomas von Aquin) wurde
gel sie angehörte, und trat 1918 zur KPD schon im 13./14. Jh. in den ital. Handels-
über, für die sie 1920–1933 MdR war städten, den Zentren des Frühkapitalismus,
(1932 Alterspräsidentin). Als Frauenrecht- in versch. Formen umgangen (↑ Montes).
lerin und engagierte Pazifistin war Z., die Seit dem 16. Jh. wurden bestimmte Z.taxen
sich seit dem Krieg viel in der Sowjetunion durch staatl.Gesetze geregelt.
aufhielt, scharfen Angriffen der National- Zinzendorf, Nikolaus Ludwig Graf. Grün-
sozialisten ausgesetzt; emigrierte 1933 in der und Organisator der Herrnhuter ↑ Brü-
die Sowjetunion. dergemeine, 1700–1760; siedelte ab 1722
Zieten, Hans Joachim von, preuß. Reiter- Reste der ↑ Böhm. Brüder auf seinen Gü-
general Friedrichs d. Gr., 1699–1786; schuf tern an; 1734 luther. Geistlicher, 1736–48
die preuß. leichte Reiterei, im 7-jährigen als Neuerer aus Sachsen verwiesen.
Krieg mitentscheidend für den Ausgang Zionismus, auf nationale Wiedergeburt
der Schlachten bei Prag, Kolin, Leuthen, der Juden, ihre Rückkehr nach Zion (Paläs-
Liegnitz, Torgau. tina), Gründung eines eigenen Staates ge-
Zigeuner, im dt. Sprachraum verbreitete richtete Bewegung; Vorläufer die „Freunde
(diskriminierende) Benennung der ↑ Sinti Zions“, die sich nach der Mitte des 19. Jh.
und Roma. in Russland zusammenschlossen und aus
Zikkurat, altoriental. Tempelturm; ent­ deren Reihen 1882 die ersten Kolonisten
wickelte sich aus der einstufigen Terrasse nach Palästina gingen; Z. polit. organisiert
mit Hochtempel etwa 3500 v. Chr. (z. B. in durch Theodor ↑ Herzl auf dem 1. Zio-
Eridu, in der 2. Hälfte des 3. Jt. erreichten nistenkongress 1897 in Basel, Forderung
die Z.e eine Höhe von 20 m, oft bestand der „Errichtung einer öffentl. rechtl. gesi-
ein baulicher Zusammenhang mit Tieftem- cherten Heimstätte für alle Juden in Paläs-
peln; der Babylonische Turm ist ein Z. mit tina“, bis zum 1. Weltkrieg Kolonisation in
einer Höhe von 90 m. kleinem Ausmaß; innere Auseinanderset-
Zimbabwe, ↑ Simbabwe. zung um Vorschläge der „Terri­torialisten“,
Zimmersche Chronik, von dem schwäb. die vergeblich für andere Siedlungsgebiete
Grafen F. C. von Zimmern (gest. 1566/67) statt Palästina eintraten (z. B. „Uganda-Pro-
zw. 1564 und 1566 verfasste Chronik sei- jekt“); 1917 ↑ Balfour-Deklaration; 1929
nes Hauses, die zugleich eine bedeutende durch Hinzuziehung der nichtzionist. Ju-
Quelle für die schwäbische Geschichts- den Erweiterung der zionist. Organisation
schreibung im 15./16. Jh. darstellt. zur ↑ “Jewish Agency“. 1921–1946 führte
Zins (von lat. census, Abgabe, Steuer), (mit Unterbrechung) Chaim Weizmann
Entgelt für Darlehen; Darlehen in Alt- die Zionistenbewegung; 1948 Proklama-
Ägyp­ten unentgeltlich, dagegen wurde bei tion des Staates ↑ Israel in Tel Aviv; Be-
den Baby­loniern und Assyrern Z. erhoben; hauptung im Kampf gegen die Arab. Liga.

986
Zunft

Zirzensische Spiele, altröm. Massenschau- gewordenen Binnenschranken, doch kein


spiele, Teil der „ludi publici“; fanden urspr. Freihandel mit dem Ausland, sondern ge-
im Circus maximus in Rom, später auch mäßigtes Schutzzollsystem), Vorstufe zur
in anderen Städten des Röm. Reiches statt, polit. Einheit Deutschlands; treibende
bestanden zumeist aus Wagen- und Pferde- Kraft: die preußische Handelspolitik (Maa-
rennen, Faust- und Ringkämpfen, Wett- ßen, Motz); Grundlage das preuß. Zollge-
läufen und militär. Vorführungen. setz 1818. 1819–1826 Zollverträge Preu-
Ziska von Trocnow, Jan, neben Nikolaus ßens mit benachbarten Ländern in Nord-
von Hussinecz Haupt der Hussiten, 1360 deutschland, 1828 mit Hessen-Darmstadt,
bis 1424; 1420 Sieg über Kaiser Sigmund 1828 Südeutsche. Z. (Bayern-Württemberg)
bei Prag, 1422 Sieg bei Deutschbrod. und Mitteldt. Z., 1833 Vereinigung dieser
Zisterzienser-Orden, Abk. O. Cist. (= Or­do Z.e zum Dt. Z. (in Kraft seit 1. Jan. 1834),
Cisterciensium); Reformorden der Bene- der seit 1854 fast ganz Deutschland (außer
diktiner, nach dem Stammkloster Citeaux Österreich, den Hansestädten und einigen
bei Dijon benannt, durch Abt Robert von anderen Ländern) umfasste; 1867–1870 Z.
Molesme 1098 gestiftet, durch ↑ Bernhard mit Zollbundesrat und Zollparlament mit
von Clairvaux über ganz Europa verbreitet; süddt. Staaten; der Dt. Z. wurde entschei-
1119 feste Organisation durch Abt Ste- dend für die preuß. Lösung der dt. Frage.
phan Harding, 1120 Gründung des weib- Zoroaster, ↑ Zarathustra.
lichen Zweiges der Zisterzienserinnen; im Zrinyi, Miklos (Nikolaus) Graf, Feldherr
12./13. Jh. 1 800 Klöster, große Leistungen Kaiser Ferdinands I., 1508–1566, vertei­
bei der ↑ Ostkolonisation, bes. in der Mark digte das Schloss Sziget gegen die Tür-
Brandenburg. ken (1 200 gegen 90 000 Belagerer), geriet
Zola, Emile, frz. Romanschriftsteller, 1840– schwer verwundet in Gefangenhaft und
1902; trat im ↑ Dreyfus-Prozess mit anklä- wurde enthauptet; der Rest der Besatzung
ger. Schriften hervor („J’accuse“, Ich klage sprengte sich mit den eingedrungenen
an); sein scharfer Angriff im Kampf um Gegnern in die Luft.
die Rechtfertigung von Dreyfuß führte zu Zunft, im MA in den Städten die den
seiner Verurteilung und vorübergehenden ↑ Gilden der Kaufleute entsprechende ge-
Emigration nach London. schlossene Vereinigung von Handwerkern,
Zölibat (lat. coelebs, ehelos), die in der die sich eine Standesverfassung gaben und
röm.-kath. Kirche durch Gelübde über- Berufsausbildung und -ausübung regel-
nommene Verpflichtung der Priester zur ten, z. T. von Obrigkeits wegen (Preisre-
Ehelosigkeit von der Subdiakonatsweihe gulierung), z. T. zur genossenschaftlichen
an (in der Ostkirche nur für Mönche und Interessenwahrung (Marktmonopol); im
Bischöfe); seit dem 4./5. Jh. gefordert und 11./12. Jh. in den rhein. und nordfrz. Städ-
zeitweise verbindlich; die seit Gregor VII. ten zuerst Zünfte der Weber, Schmiede, Bä-
bestehende Verpflichtung durch das Trien­ cker, Fleischer, Schuster, die auch kirchl.-
ter Konzil bekräftigt; seit dem 12. Jh. wer- karitative Aufgaben übernahmen; da die
den Priesterehen für nichtig erklärt. Handwerker zugleich Verkäufer ihrer Wa-
Zollverein, Deutscher, die nach Überwin- ren waren, glichen sie sich organisatorisch
dung zahlreicher Widerstände (bes. auch mehr und mehr den Kaufmannsgilden an;
polit. Eifersüchtelei) aus freien Verein- ihren polit. Einfluss, der sich gegen Groß-
barungen hervorgegangene zollpolitische kaufmannschaft (Fernhandel) und Patriziat
Einheit der Mehrheit der souveränen Glied­ richtete, verdankten sie ihrer Bedeutung als
staaten des ↑ Deutschen Bundes (Abbau geschlossene Abteilungen der städt. Bür-
der für Handel und Verkehr unerträglich gerwehr. Die Z.e begannen seit dem 13. Jh.

987
Züricher Friede

mit den Patriziern um die Macht in den konvention, 1894 von beiden Regierungen
Städten zu kämpfen und erlangten vieler- genehmigt; durch Einbeziehung Englands
orts maßgeblichen Einfluss auf die städt. Erweiterung zum ↑ Dreiverband; der Bund
Verwaltung; seit dem 17. Jh. Entartung endete 1917 mit dem Ausbruch der rus-
(durch Ausschließung jeder Konkurrenz, sischen Oktoberrevolution.
Vetternwirtschaft u. a.) und Verfall; Besei- Zwei-Schwerter-Lehre, bereits vorweg-
tigung durch die Einführung der Gewer- genommen von Papst Gelasius I. (492 bis
befreiheit. 496) durch die „Zwei-Gewalten-Lehre“,
Züricher Friede, 1859 zwischen Österreich, d. h. die Lehre von der Autorität der Bi-
Frankreich und Sardinien, beendete den schöfe einerseits und die königliche Ge-
Italien. Krieg von 1859; Österreich trat die walt andererseits. Seit dem ↑ Investitur-
Lombardei (außer Mantua) an Frankreich streit kam die eigentliche Z. auf, sie wurde
ab, das es Sardinien überließ (Villafranca). u. a. von Bernhard von Clairvaux und bes.
Zwanzigster Juli, Tag des Bombenan- von Papst Bonifaz VIII. vertreten und be-
schlags auf Hitler im Führerhauptquartier stimmte das Verhältnis von päpstl. und
„Wolfsschanze“ 1944. Das Attentat sollte kaiserl. Gewalt; sie berief sich auf das Chris­
nach dem Willen der Verschwörer den tuswort „Hier sind zwei Schwerter“ und
Putsch gegen das NS-Regime auslösen, fußte auf der Doktrin, dass die Kaiserge-
an dessen Stelle eine von der Wehrmacht walt des Römerreiches nach dessen Ende
getragene Regierung treten sollte. Schwer- auf den Papst und durch ihn auf die Fran-
wiegende Fehler der Putschisten (Doppel- ken und dann auf die Deutschen überge-
funktion ↑ Stauffenbergs als Bombenleger gangen sei; die Z. besagt, dass unter den
und Leiter des Umsturzes in Berlin, unzer- beiden „Schwertern“ die geistliche und die
störte Telefonverbindung zw. Berlin und weltliche Macht zu verstehen seien, über
dem Führerhauptquartier, Nichtbesetzung die beide letztlich das Papsttum verfü-
der Sender usw.) ließen nicht nur das At- gen könne; einem Kaiser, der seine Pflicht
tentat (Hitler nur leicht verletzt), son- nicht erfülle, könne der Papst legitim sein
dern auch den polit. Umsturz scheitern. Amt wieder entziehen, und es stehe ihm
Nachdem um 18:35 Uhr die Besetzung zu, das Kaisertum auch einem nichtdeut-
des Regierungsviertels nach einem Telefo- schen Fürsten zu übertragen; die weltliche
nat zwischen dem Kommandeur des Ber- Gewalt sei lediglich päpstliches Lehen. Die
liner Wachbataillons und Hitler geschei- Z. spielte in den Kämpfen zw. Kaisertum
tert war, brach der Aufstand des Militärs in und Papsttum des Hoch- und Spät-MA
der Bendlerstraße (OKH) zusammen. Vier eine entscheidende Rolle.
Verschwörer, darunter Stauffenberg, wur- Zweiter Weltkrieg, ↑ Weltkrieg, Zweiter.
den sofort standrechtl. erschossen, Gene- Zweites Vatikan. Konzil, 1962–1965
raloberst ↑ Beck beging Selbstmord. In den in der Peterskirche in Rom, von Johan­
nächsten Wochen wurden im Zusammen- nes XXIII. einberufen, nach seinem Tode
hang mit dem Attentat zahllose Personen 1963 von Paul VI. weitergeführt. Wich-
verhaftet, zum Tode verurteilt und hinge- tigste Beschlüsse: Liturgiereform, Beto-
richtet. Mit dem gescheiterten Anschlag nung der Kollegialität von Papst und Bi-
mussten alle Hoffnungen auf ein baldiges, schöfen (Errichtung einer Bischofssynode),
erträgl. Kriegsende begraben werden. Erklärung zur Religionsfreiheit.
Zweibund, zwischen Frankreich und Russ- Zwentibold (Swatopluk), Fürst von Mäh-
land als Gegengewicht zum ↑ Dreibund ren (870–894), Gründer eines großmähr.
geschlossen; 1891 Einvernehmen über Reiches in Mähren, Böhmen und in der
gemeinsame Außenpolitik, 1892 Militär­ Slowakei, das mit seinem Tode zerfiel.

988
Zypern

Zwinger, bei mittelalterl. Burgen und Be- des Protestantismus, die in der Schweiz
festigungen der Raum zw. innerer und äu- durch Calvins Genfer Katechismus 1545
ßerer Ringmauer, gern als Turnierplatz be- ihre eigene Grundlage erhielt.
nutzt. Zwölf Artikel der aufständ. Bauern 1525,
Zwingli, Ulrich, Schweizer Reformator, wichtigstes Dokument und weitverbreitete
Humanist, 1484–1531; mit ↑ Calvin Be- Flugschrift des Großen ↑ Bauernkrieges, zu­
gründer der reformierten Kirche; 1516–18 sammengestellt in Memmingen, enthielt
Leutpriester in Einsiedeln, dann in Zürich; unter Berufung auf das Evangelium („göttl.
löste sich von den Bindungen zur alten Recht“ = Naturrecht) die gemäßigten For-
Kirche (Verweigerung der Abgaben, Pries­ derungen der Aufständischen: Aufhebung
terehe, Entfernung der Bilder aus den Kir- der Leibeigenschaft, Milderung der Abga-
chen, Abschaffung der Messe, Abendmahls- ben, gerechtes Gericht, freie Wahl der Pfar-
gottesdienst, Entwurf eines eigenen kir- rer, Freiheit der Jagd und des Fischfangs,
chenpolit. Programms, dem der Züricher Rückgabe des Gemeindewaldes u. a.; bis
Stadtrat zustimmte); wegen der Abend- zur Niederwerfung des Aufstands wurden
mahlslehre (das Sakrament nur Symbol) die Z. A. verschiedentlich verwirklicht.
Disputation mit Luther 1529 (Marburger Zwölftafelgesetz, erste Kodifikation des
Religionsgespräch), die keine Einigung röm. Rechts, aufgezeichnet im Zuge des
herbeiführte. Die weitgehenden Reformen Kampfes der Plebejer um Gleichberechti-
auf dem Gebiet des Schul-, Kirchen- und gung; da die Rechtspflege ausschließlich in
Ehewesens, der Plan eines Offensivbundes den Händen der Patrizier lag, verlangten
gegen Papst und Kaiser und gegen die in die Plebejer durch ein geschriebenes Recht
ihrem alten Glauben verharrenden kath. Gewähr gegen Willkür; das Z. wurde von
Kantone führten zu militär. Aktionen, in einer Zehnerkommission, den ↑ Decem-
deren Verlauf Z. in der Schlacht bei Kap- virn, 451/450 v. Chr. auf zwölf Tafeln nie-
pel 1531 fiel. – Der Zwinglianismus, nie- dergelegt und auf dem Forum aufgestellt;
dergelegt in Zwinglis Schriften „Vom Er- wesentliche Teile dieses Rechts gingen in
kiesen und Fryheit der Spysen“ (1522) „De die späteren Rechtsbücher und Kommen-
vera ac falsa religione“ (1525) und in der tare über; das Z. enthielt Rechtsbestim-
„Fidei ratio ad Carolum imperatorem“ (als mungen des Zivilrechts und der Prozess-
Glaubensbekenntnis eingereicht auf dem führung, Rechtssätze zur Kultausübung
Reichstag zu Augsburg 1530), vertrat ge- und für Polizeistrafen; der Wortlaut des Z.
genüber der nach innen gerichteten Reli­ ist nicht erhalten, doch lassen sich manche
giösität Luthers stärker die praktische Neu­ Bestimmungen aus späteren Kommentaren
ordnung der kirchlichen Verhältnisse und erschließen.
in der Abendmahlslehre die symbolische Zypern (griech. kypros, Kupferinsel), Insel
Deutung der Einsetzungsworte („Das be- im östl. Mittelmeer; schon im 2. Jt. v. Chr.
deutet den Leib“ – statt „Das ist der Leib“) Kupferbergbau (Bronzezeit) durch die
gegenüber Luthers Ehrfurcht vor kirch- Phöniker; im 1. Jt. v. Chr. unter wechseln-
licher Tradition; der vom humanist. Gedan- der Herrschaft; im 8. Jh. v. Chr. bei Assy-
ken bestimmte Zwinglia­nismus band Kir- rien, 560 bei Ägypten, mit Ägypten um
che und Staat eng aneinander und suchte 525 unter pers. Herrschaft; dann griech.
radikal neue Lösungen; durch Zwinglianis- Einfluss; 58 v. Chr. durch Cato römisch,
mus und ↑ Calvinismus (Calvin formte die dann byzantinisch, 649 n. Chr. sarazenisch,
Züricher Reformation um und gab ihr das doch von den Byzantinern zurückerobert;
Dogma der Prädes­tination) entstand die 1191 eroberte Richard Löwenherz mit sei-
↑ Reformierte Kirche als selbständige Form nen Kreuzfahrern Z. in 25 Tagen; 1193 fiel

989
Zypern

Z. durch Lehensvertrag an die Könige von Griechenland und Türkei ausweitete. Der
Lusignan, der letzte Lusignankönig war mit Sieg der Türken führte zum Rücktritt der
der Venezianerin Caterina Cornaro verhei- Junta. Türk. Besetzung des Nordostteils
ratet, die ihre Rechte 1489 auf Venedig (knapp 40 %) der Insel, Forderung nach
übertrug; 1570 trotz tapferster Gegenwehr einer Föderation; damit entstand eine De
(Bragadin) von den Türken erobert, durch facto-Zweiteilung Z.s, wobei die Grenzlinie
Vertrag von 1878 an England abgetreten, („Attila-Linie“) mitten durch die Haupt-
1925 Kronkolonie. Nach dem 2. Welt- stadt Nikosia/Levkosia verlief. Vertreibung
krieg, bes. seit 1950, wachsende Freiheits- der Griechen aus dem türk. besetzten Teil
bewegung unter Erzbischof Makarios III., und Neuansiedlung von Festland-Türken,
ab 1955 Bürgerkrieg um den Anschluss internat. Verurteilung der türk. Besetzung.
an Griechenland, Partisanentätigkeit ge- Im Feb. 1975 erklärte sich der türk. Nor-
gen die brit. Besatzung; 1959 Einigung zw. den einseitig zum „Türkischen Föderati-
Griechenland und der Türkei (die die starke onsstaat von Zypern“ (ab 1983 „Türk. Re-
türk. Minderheit vertrat) über den künf- publik von Nordzypern“), Präsident (seit
tigen Status Zyperns; Zypern wurde un- 1976) Rauf ↑ Denktas, Nordzypern wurde
abhängige Republik. Erster Staatspräsident aber nur von der Türkei anerkannt. 1990
Makarios 1959–1977; 1961 Aufnahme beantragte die völkerrechtl. anerkannte Re-
in das Commonwealth; Mitglied des Eu- publik Zypern die Aufnahme in die Euro-
roparates. Schwere Unruhen zwischen der päische Union. Bei einem getrennten Re-
griech. und der türk. Bevölkerungsgruppe ferendum stimmten die griech. Zyprioten
führten 1964 zur Entsendung von UN- zu 75,8 % gegen, die türk. Zyprioten zu
Truppen, um den Ausbruch neuer Kämpfe 64,9 % für eine Wiedervereinigung der In-
zu verhindern. 1974 Putschversuch gegen sel; daher am 1. Mai 2004 nur EU-Beitritt
Makarios, der sich zu einem internat. Kon- des griech. Landesteiles.
flikt ausweitete zw. den NATO-Partnern

990

You might also like