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V o n KLAUS WOLFF
Der vorliegende Vortrag beschäftigt sich mit dem Verhältnis der Wer-
ke S0ren Kierkegaards zur Offenbarung und zur Theologie der Of-
fenbarung. Der Vortrag vertritt die Auffassung, daß eine Offenba-
rungstheologie S0ren Kierkegaards letztlich nur als Theologie der
»Gleichzeitigkeit« mit Jesus Christus richtig verstanden ist.
In einem ersten Punkt werden dabei die hermeneutischen und
theologischen Prämissen dargestellt, unter denen der Vortrag das
Werk Kierkegaards betrachtet. Der zweite Hauptpunkt beschäftigt
sich mit dem Verhältnis von Offenbarung und Gleichzeitigkeit bei
Kierkegaard, einmal in der Sichtweise von oben (von Gott her), das
andere Mal in der Sichtweise von unten (vom Menschen her).
In einem dritten Punkt wird - ein gewagtes Unterfangen - ver-
sucht, den gewonnenen Kierkegaard'schen Begriff der Offenbarung
und der Gleichzeitigkeit katholisch weiterzudenken und weiterzufüh-
ren im Hinblick auf den Begriff Sakrament.
Der abschließende, vierte Punkt eröffnet thesenartig eine pastorale
Option, die diese Weiterführung des Gleichzeitigkeitsbegriffs für die
Kirchen heute und ihre Kommunikation der Offenbarung nahelegt.
I. Streitbare Prämissen
1
So Kierkegaard in den Schriften über sich selbst: SS, S. 26f. Das schräggedruckte
Wort ist im Original gesperrt.
Die Werke Kierkegaards sind im vorliegenden Vortrag zitiert nach Gesammelte
Werke, 31 Bde., übers, von Emanuel Hirsch, Hayo Gerdes und Hans-Martin Jung-
hans, Gütersloher Verlagshaus, Gerh Mohn (GTB Siebernstern 600-630), Düssel-
dorf/Köln 1950ff.
2. Kierkegaard selbst hat eine Einheit und einen Plan seiner Werke,
auch der Pseudonymen Werke, behauptet.2
2
SS, 27.
3
SS, 27: »das Fragmal der gesamten schriftstellerischen Wirksamkeit: Christ werden.«
4
Ganz deutlich ist dies ausgesprochen z.B. in BA, 94, wo Vigilius Haufniensis von der
Angst als einer letzten Annäherung an die Sünde spricht, die ja ein Offenbarungs-
begriff ist.
5
Der Vf. ist der Überzeugung, daß der Katholizismus grundsätzlich eher dazu neigt,
(möglicherweise aufgrund der positiven Zuordnung von Schöpfung und Erlösung)
die Einheit und Nicht-Widersprüchlichkeit aufzuweisen, während der Protestantis-
mus die Differenz und Widersprüchlichkeit betont.
So z.B. - ganz ähnlich zu der Frage bei Kierkegaards Werk hier - in der Frage der
Schriftauslegung, wo die katholische Exegese - entsprechend dem II. Vatikanischen
Konzil (VatII/DV 12) immer mehr die Einheit und Mitte der Schrift betont hat,
während die protestantische Exegese mehr dazu neigt, die Widersprüchlichkeit der
einzelnen Schrifttexte aufzuweisen: vgl. dazu Manfred Oeming Gesamtbiblische
Theologien der Gegenwart. Das Verhältnis von AT und NT in der hermeneutischen
Diskussion seit Gerhard von Rad, Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 2/1987.
Es wäre brennend interessant, der Frage nach Begründung, Berechtigung und vor
allem existentieller Lebbarkeit der einzelnen Positionen nachzugehen, was im Rah-
men des vorliegenden Themas leider nicht möglich ist.
6
Vgl. AUN II, 339.
7
Vgl. 55,48f.
8
Vgl. Hermann Deuser Kierkegaard. Die Philosophie des religiösen Schriftstellers,
EdF 232, Darmstadt 1985, S. 150.
9
Vgl. Τ 3,260; 55,48.
10
Vgl. Τ 4,242; 55,25, 30.
Es kann nicht genug betont werden, daß die Kategorie der Gleichzei-
tigkeit Kierkegaards eigentlichste Kategorie darstellt, und daß von
daher all seine Äußerungen verstanden und zueinander gedacht wer-
den müssen, und daß dementsprechend auch sein Verständnis von
Offenbarung nur im Kontext mit dem Gleichzeitigkeitsbegriff richtig
erfaßt werden kann.
11
Daher sei auf die ausführliche Darstellung bei Klaus Wolff Das Problem der
Gleichzeitigkeit des Menschen mit Jesus Christus bei Sören Kierkegaard im Blick auf
die Theologie Karl Rahners, Bonner Dogmatische Studien 8, hrsg. von Wilhelm
Breuning, Hans Jorissen u. Josef Wohlmuth, Würzburg 1991, S. 24-31, verwiesen.
Es soll nicht mit der Nachfolge begonnen werden, sondern mit der »Gnade«, dann soll die
Nachfolge nachfolgen als eine Frucht der Dankbarkeit so gut man nun kann. (T4,265)
Die Nachfolge ist keine Gesetzesforderung, mit der ein armer Mensch sich selbst mar-
tern soll. Nein, eine solche herausgefolterte Nachfolge ist sogar Christo zuwider. Er
würde gewiß zu einem solchen sagen, falls er sonst Dankbarkeit bei ihm fände: Übe-
reifre dich nicht, laß dir Zeit, dann kommt es wohl, und laß es auf jeden Fall kommen
als freudige Frucht der Dankbarkeit, sonst ist es doch nicht »Nachfolge«. Ja, man
müßte ja auch sagen, daß eine solche, furchtbar herausgefolterte Nachfolge eher ein
fratzenhaftes Nachäffen wäre. (T 4,281)
Selbst Anti-Climacus räumt ein, daß die Sprache der Forderung und
des Gesetzes mißverständlich ist, »weil es so scheint, als wäre es der
Mensch selbst, der aus eigener Vernunft und Kraft sich an Christus
12
Vgl. Marie Mikulovä Thulstrup »Kierkegaard's Idea of Contemporaneity in his At-
tack upon Christendom, and a Parallel Contemporaneity« in Liber Academiae Kier-
kegaardiensis 6, hrsg. von Niels Thulstrup, K0benhavn 1986, S. 120.
13
BÜA, 61. Kierkegaard wendet sich entschieden gegen eine »frech« (KT, 119) bean-
spruchte lutherische Gnadenlehre.
halten soll, indessen es in der Sprache der Liebe Christus ist, der ihn
hält« (EC, 75).
Thulstrup weist in einem Artikel darauf hin, daß es im ganzen
Werk Kierkegaards unausgesprochen eine vorgängige Gleichzeitig-
keit Gottes und Christi mit uns Menschen gebe.14 Kierkegaard ge-
braucht hier nicht den Begriff »Gleichzeitigkeit«, aber von der Sache
her ist die Gleichzeitigkeit gemeint.
Die stärkste Ausfaltung dieses Gedankens findet sich in den Philo-
sophischen Brocken, wo die Bewegung Gottes zur Gleichheit und
Gleichzeitigkeit mit dem Menschen in der Inkarnation beschrieben
wird. Nach Kierkegaard-Climacus ist diese Bewegung Gottes zur In-
karnation, auf die das Christwerden des Menschen nur die Re-Aktion
darstellt, das Entscheidende des christlichen Glaubens: »Das Ge-
schichtliche, daß der Gott in menschlicher Gestalt gewesen ist, ist die
Hauptsache« (PB, 100). Diese Hauptsache »verschlingt ganz und gar
den Kleinkram« (PB, 101).
Im Geheimnis der Inkarnation sieht Kierkegaard die Offenbarung
»sensu strictissimo« (AUN I, 205) - und zwar die Offenbarung eines
Gottes, der Liebe ist.15 Grund der Inkarnation - der Offenbarung -
ist also die absolut freie Liebe Gottes, die den Menschen wie einen
Liebespartner für sich gewinnen möchte.
Es ist bemerkenswert, daß hier der Ansatz zum Verstehen der Of-
fenbarung in der Inkarnation und nicht, wie man es protestantischer-
seits vielleicht erwarten müßte, beim Kreuz gesucht wird.
Überhaupt spielt - das sei in aller Vorsicht gesagt - das Kreuz in
der Theologie Kierkegaards eine eher nachgeordnete Rolle - gegen-
über dem qualitativen Paradox der Inkarnation Gottes, die alles an-
dere wie »Kleinkram« erscheinen läßt. Dementsprechend ist die
Christologie Kierkegaards in die Theologie, in die Rede von der Lie-
be Gottes eingeordnet und steht nicht einfach unvermittelt im Raum.
Kierkegaard denkt konsequent von der Liebe (Gottes) her, die auf
Gleichheit (Gleichzeitigkeit) (mit dem Geliebten, dem Menschen)
zielt, und die deshalb den Weg der Inkarnation beschreiten muß, um
an ihr Ziel zu gelangen.
In der Tat ist für Kierkegaard die Inkarnation die einzig denkbare
Möglichkeit einer (an ihr Ziel kommenden) Offenbarung Gottes.
14
Vgl. Marie Mikulovä Thulstrup »Kierkegaard's Idea of Contemporaneity in his At-
tac upon Christendom, and a Parallel Contemporaneity« in Liber Academiae Kier-
kegaardiensis 6, S. 120.
15
Vgl. PB, 221
16
Vgl. zum Gedankengang PB, 27-30.
17
Vgl. PB, 29f.
18
Vgl. Wolfdietrich von Kloeden »Der Begriff der Gleichzeitigkeit in den Philosophi-
schen Brocken« in Liber Academiae Kierkegaardiensis 6, S. 33.
19
Die Sünde ist ein qualitativer Sprung (vgl. BA, Iii., 41), der nicht rückgängig zu ma-
chen ist, analog einem Stein, den man wirft: Vor dem Wurf hat man Macht über ihn.
Ist der Wurf aber einmal geschehen, so ist qualitativ Neues geworden. Durch die
Sünde wird »jede Kommunikation der Immanenz auf dem Wege der Erinnerung
durch Zurücknehmen in das Ewige abgebrochen« ( A U N II, 297).
20
Vgl. EC, 135.
21
Vgl. EC, 126f.
Wie kommt der Mensch der Offenbarung der Liebe Gottes nahe?
Wie wird der Mensch Christ?
Kierkegaard thematisiert diese Frage unter dem Stichwort der
Gleichzeitigkeit. Mit anderen Worten: Die Frage: Wie werde ich
Christ? ist gleichbedeutend mit der Frage: Wie werde ich gleichzeitig
mit Jesus Christus?
Darin behandelt Kierkegaard das Lessing'sche Problem, wie eine
heutige, gleichzeitige Beziehung zu Jesus Christus möglich ist ange-
sichts des »garstigen Grabens der Geschichte«, der zwischem dem
Heute und dem historischen Jesus von Nazareth liegt.22 Solche
Gleichzeitigkeit mit Jesus Christus ist - nach Kierkegaard - aus zwei
Gründen gefordert: Einmal aus Kierkegaards Wirklichkeitsbegriff
heraus und dann von seinem Christentumsbegriff her:
Denn einerseits ist das Vergangene »nicht Wirklichkeit für mich«
(EC, 71) - nur das Gegenwärtige, das, womit ich gleichzeitig bin, »das
Gleichzeitige ist Wirklichkeit für mich« (EC, 71). Wirklichkeit ent-
spricht Gleichzeitigkeit. Alles, was nicht gleichzeitig ist, kann ich nur
erfassen in der Kategorie der Möglichkeit.23
Andererseits muß Jesus Christus aber Wirklichkeit werden in mir
heute, denn das Christentum bindet die Seligkeit des Menschen an
die Beziehung zu Jesus Christus, also zu etwas Historischem:
Über die ewige Seligkeit des Individuums wird in der Zeit durch das Verhältnis zu
etwas Historischem entschieden, das außerdem solcherart historisch ist, daß in seine
Zusammenset zung das mit aufgenommen ist, was seinem Wesen nach nicht historisch
werden kann, und es also werden muß kraft des Absurden. 24
22
Vgl. AUN 1,97.
23
Das Erfassen in der Kategorie der Möglichkeit ist ungefährlich, weil meine Wirk-
lichkeit unverändert bleibt: »Wenn ich etwas in der Möglichkeit verstehe, so bleibe
ich wesentlich unverändert, bleibe im Alten, und benutze meine Phantasie; wenn es
Wirklichkeit wird, so werde ich verändert, und nun ist die Frage, ob ich mich selbst
bewahren kann.« So: Τ 4,39f. Das schräggedruckte Wort ist im Original gesperrt.
Christwerden aber bedeutet, daß Christus Wirklichkeit werden soll für mich - und
daher ist die Gleichzeitigkeit gefordert.
24
AUN II, 90 - so die Grunddefinition des Christentums in der Unwissenschaftlichen
Nachschrift. Das Zitat ist im Original gesperrt.
25
Vgl. AUN II, 28f., 84 Anm.
26
Vgl. AUN II, 84: »Das Christentum ist nun keine Lehre, sondern drückt einen Exi-
stenzwiderspruch aus und ist eine Existenzmitteilung.«
27
Von daher ist es natürlich nicht ganz unproblematisch, von einer Offenbarungstheo-
logie Kierkegaards zu sprechen, wie es der vorliegende Vortrag tut. Denn es geht
Kierkegaard im letzten nicht um den denkerischen Zugang, sondern um den exi-
stentiellen, weshalb er auch keine Einführung in das Chri stentum geschrieben hat,
sondern betont eine »Einübung im Christentum«!
28
Vgl. AUN 1,194.
Man kann nie Christ werden, gleichzeitig werden - nur ich kann es.
In diesem Sinn »protestiert das Christentum gegen alle Objektivität«
(AUΝ 1,119).
29
Vgl. EC, 155.
30
Kierkegaard wird nicht müde, die Bedeutung des einzelnen herauszustreichen: vgl.
SS, 107f.
31
Der Begriff »Stufenweg« ist insofern unzutreffend, als alle vier Lebensformen in-
einander greifen und das eine im anderen bewahrt bleibt. Trotzdem verdeutlicht
dieser Begriff die Hinführung zum Christwerden (Religiosität B) als dem Höhe-
punkt, auf den Kierkegaards Werk zielt.
32
Vgl. Klaus Wolff Das Problem der Gleichzeitigkeit des Menschen mit Jesus Christus
bei Sören Kierkegaard im Blick auf die Theologie Karl Rahners, Bonner Dogmati-
sche Studien, S. 68f.
seiner selbst, ex-zentrisch, er baut sein Leben auf »etwas«, »eine ein-
zige bestimmte Sache, um die sich alles dreht« (EOl, 195). Deshalb
wird der Ästhetiker auch völlig von der Umwelt bestimmt und geht
völlig im Unmittelbaren auf.
Die zweite Lebensform, die ethische, bedeutet »hinzuarbeiten an
die Stelle, da Dein Leben eigentlich zu Hause ist« (E02, 190).
Ethisch ist das Selbst die Hauptaufgabe. Der Ethiker hat seine Pflicht
in sich. Der Mittelpunkt der Persönlichkeit ist in sich selbst. Während
der Ästhetiker alles aufgibt für »etwas«, gibt der Ethiker alles auf für
sich selbst.
Sehr verwandt dem Ethischen ist die dritte Lebensform, die Reli-
giosität A. Der Fortschritt gegenüber dem Ethischen ist, daß durch
die Religiosität Α das Ethische suspendiert werden kann. Der
Mensch in der Religiosität Α weiß um das einzigartige Verhältnis des
einzelnen vor Gott, das ihn jeder äußeren, ethischen Nachprüfung
entzieht: Ethisch gesehen - so schreibt Kierkegaard - wäre Isaaks
Opferung durch Abraham Mord - religiös gesehen ist sie gefordert,
obwohl vom Allge meinen her verboten.33
Die Religiosität Α ist die bleibende Voraussetzung der Religiosität
B. In der Religiosität Β nun tritt das Paradox auf, daß es einen histo-
rischen Ausgangspunkt für die ewige Seligkeit gibt (Christus), wäh-
rend in der Religiosität Α die Seligkeit überall und nirgends zu fin-
den war.34
In der Religiosität Β wird der Mensch er selbst im Verhältnis-zu-et-
was-außerhalb-seiner-selbst (zu Christus) - allerdings nicht ästhetisch
verstanden!
Bei aller Abgrenzung von Religiosität Α und Β bleibt ihr Verhält-
nis im letzten ungeklärt. Kierkegaards Aussagen hierzu sind wider-
sprüchlich, besonders was die positive oder negative Bewertung der
Religiosität Α betrifft. Wahrscheinlich hat diese Widersprüchlichkeit
mit einem Grundproblem Kierkegaards zu tun, einer letztlich unge-
klärten, ambivalenten Verhältnisbestimmung von Schöpfung und Er-
lösung.
Die Aussagen Kierkegaards lassen weder eine eindeutig positive
noch eine ganz negative Antwort zu. Vielleicht hat Kierkegaard sich
selbst durch seine Frontstellung gegen die Angepaßtheit der Zeit im
Weg gestanden, das Verbindende von Religiosität Α und B, von
33
Vgl. FZ, 60,63f.
34
Vgl. AUN II, 283.
35
Vgl. Klaus Schäfer Hermeneutische Ontotogie in den Climacus-Schriften Sören Kier-
kegaards, München 1968, S. 233; vgl. AU Ν 1,97.
36
Vgl. PB, 104. Die Gabe der Bedingung ist immer Gabe Gottes. Deshalb ist der Jün-
ger immer nur Gott alles schuldig.
37
Vgl. Klaus Schäfer Hermeneutische Ontotogie in den Climacus-Schriften Sören Kier-
kegaards, S. 183f.
38
Vgl. FZ, 28.
39
Vgl. Per Linning Samtidighedens situation. En Studie i S0ren Kierkegaards krisen-
domsforstaelse. Mit einer deutschen Zusammenfassung, Oslo 1954, S. 172.
40
Vgl. Knud Hansen »Der andere Kierkegaard. Zu S0ren Kierkegaards Chri-
stentumsverständnis« in Sören Kierkegaard, WdF 179, hrsg. von Heinz-Horst Schrey,
Darmstadt 1971, S. 123; vgl. Anna Paulsen »Noch einmal der andere Kierkegaard«
in Sören Kierkegaard, S. 151.
keit und Situation der Gleichzeitigkeit sagt, einmal mit einem positi-
ven Vorzeichen bei der Verhältnisbestimmung von Schöpfung und
Erlösung neu betrachtet?
Für S0ren Kierkegaard ist Offenbarung Gottes - Bewegung Gottes
zur Gleichzeitigkeit - nur »inkognito« möglich, nur im Zeichen, das
die Unmittelbarkeit zu überschreiten auffordert.
Während Kierkegaard das Inkognito und das Zeichen, in dem Gott
sich offenbart, nur negativ verstanden hat (als Verhüllung des Eigent-
lichen, als Verneinung des Unmittelbaren), könnte man -wenn man
(katholisch) von einer Einheit von Schöpfung und Erlösung ausgeht
- das Inkognito und das Zeichen auch positiv bestimmen im Sinne
des Sakraments (Symbols) - als Selbst-Ausdruck im anderen.41 Die
Menschheit Jesu wäre dann der Selbst-Ausdruck Gottes in dieser
Welt.
Der Vorteil des Sakramentenbegriffs ist, daß er die Doppelheit von
Nähe und Distanz, von sichtbarem Zeichen und Bezeichnetem wahrt -
und demnach die Nähe und die Fremdheit der Offenbarung zum
Ausdruck bringt. Die Offenbarung Gottes erscheint dann nicht als
das gegenüber der Schöpfung total Fremde und Unbegreifliche, son-
dern knüpft bei ihr an. Grundsätzlich würde ein solches Verständnis
klarmachen, daß christliche Offenbarung (Gleichzeitigkeit) immer sa-
kramental geschieht, immer in Form von menschlichen Zeichen, und
daß es die grundsätzliche Notwendigkeit einer solchen welthaften
Vermittlung zur Begegnung mit dem Geheimnis Gottes gibt. Wo der
Glaube eine solche Vermittlung gänzlich bestreiten würde, bestünde
zumindestens die Gefahr der Un-Menschlichkeit und Welt-losigkeit.
Ein zweiter Vorteil dieses Gedankengangs wäre die Identifikations-
möglichkeit der Situation der Gleichzeitigkeit mit dem Sakrament.
Das Sakrament - als Zeichen, das auf ein (unsichtbares) Bezeichne-
tes verweist - hat genau die Struktur, die Kierkegaard der Situation
der Gleichzeitigkeit zuschreibt: Es konfrontiert den Menschen mit
einer Situation, in der er entweder mit den Augen des Glaubens die
Unmittelbarkeit überschreitet oder Ärgernis nimmt daran, daß etwas
scheinbar nur Menschliches, Weltliches göttliche Tiefe haben soll. Von
daher könnte man - wie es die katholische Theologie im Anschluß an
das II. Vatikanische Konzil tut42 - Christus, Kirche, Hl. Schrift und Sa-
41
So z.B. bei Karl Rahner »Zur Theologie des Symbols« in Ders. Schriften zur Theolo-
gie 4. Neuere Schriften, Einsiedeln Zürich Köln 5/1967, S. 275-311.
42
Vgl. VatII/LG 1.
43
Im Sinne des II. Vatikanischen Konzils: Vatll/GS 1 und 4; vgl. zum Begriff >pastoral<
Elmar Klinger Armut. Eine Herausforderung Gottes. Der Glaube des Konzils und
die Befreiung des Menschen, Zürich 1990, S. 98-101.