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Einleitung – Psychologie
als Wissenschaft
Wolfgang Prinz, Jochen Müsseler und Martina Rieger

1.1 Psychologie heute – 2


1.1.1 Unübersichtliche Verhältnisse – 2
1.1.2 Ein Blick zurück  –  2
1.1.3 Lob der Unübersichtlichkeit  –  4

1.2 Allgemeine Psychologie – 4


1.2.1 Welche Gegenstände? – 5
1.2.2 Welche Methoden? – 6
1.2.3 Welche Theorien? – 7

1.3 Allgemeine Psychologie und der Aufbau dieses Buches  –  9


Literatur – 10

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2017


J. Müsseler, M. Rieger (Hrsg.), Allgemeine Psychologie, DOI 10.1007/978-3-642-53898-8_1
2 Kapitel 1  •  Einleitung – Psychologie als Wissenschaft

1.1 Psychologie heute der Beziehung zwischen geistigen und materiellen Prozessen –
1 ein Problem, das nicht nur moderne Wissenschaften wie die
Der Begriff „Psychologie“ wird im Alltag in unterschiedlichen Psychologie und die Hirnforschung umtreibt, sondern die Phi-
2 Bedeutungen verwendet, die nicht immer etwas mit dem ge- losophie schon seit über 2000 Jahren bewegt.
meinsam haben, was wissenschaftlich unter Psychologie ver- Ein weiteres Moment der Unübersichtlichkeit ergibt sich
standen wird. Seit jeher wird der Begriff „Psychologie“ für alles aus dem breiten Spektrum der Fragen, die die psychologische
3 Mögliche vereinnahmt, und immer wieder gerät die Psychologie Forschung stellt und aus der die Verschiedenheit der mit die-
dadurch in Misskredit. In Zeiten eines nicht enden wollenden sen Fragen verbundenen thematischen Forschungsfelder resul-
4 Psychobooms wird das Prädikat psychologisch – und mit ihm der tiert. Allgemeine Psychologie, auf die wir noch näher zu sprechen
Nimbus der Wissenschaft dieses Namens – für allerlei Lehren kommen, fragt nach universalen Gesetzmäßigkeiten im Bereich
5 und Praktiken missbraucht, die mit ernsthafter Wissenschaft psychischer Grundfunktionen wie Wahrnehmung, Motivation,
nichts zu tun haben. So werden beispielsweise esoterische Kulte, Emotion, Gedächtnis, Denken oder Handlung. Entsprechend
religiöse Heilslehren oder absonderliche therapeutische Prakti- diesem universalistischen Ansatz ist ihre Forschungspraxis da-
6 ken, manchmal sogar kosmologische oder astrologische Welter- durch gekennzeichnet, dass sie von individuellen Unterschieden
klärungssysteme, als irgendwie psychologisch – oder jedenfalls abstrahiert. Umgekehrt geht Differenzielle Psychologie gerade
7 psychisch – ausgegeben. Ähnliches gilt auch für weite Teile der von interindividuellen Unterschieden in der Ausprägung psy-
kultur-, literatur- und kunstkritischen Feuilletons, in denen gerne chischer Merkmale aus und rekonstruiert auf dieser Grundlage
Belesenheit und Seriosität vorgetäuscht werden, indem vieles – allgemeine Strukturmerkmale der zugrunde liegenden psychi-
8 egal wie beliebig und hausgemacht es auch sein mag – aus einer schen Funktionssysteme. Entwicklungspsychologie untersucht die
wie auch immer gearteten psychologischen Perspektive betrach- Wechselwirkungen der inneren und äußeren Faktoren, die die
9 tet wird. Hiervon ist die wissenschaftliche Psychologie, die lei- Entwicklung psychischer Funktionen und Leistungen im Ver-
der auf die Alleinverwendung ihres Namens kein Patent hat, klar lauf der Lebensspanne bestimmen und beeinflussen. Dabei wird
10 abzugrenzen. der Aufbau der psychischen Funktionen ebenso behandelt wie
ihre Transformationen und ihr Abbau. Sozialpsychologie ana-
lysiert Erleben und Verhalten im sozialen Kontext. Dabei geht
11 1.1.1 Unübersichtliche Verhältnisse es um den Einfluss des sozialen Kontexts auf das Individuum
ebenso wie die umgekehrten Einwirkungen des Individuums
12 Allerdings hat die wissenschaftliche Psychologie es auch mit auf seine soziale Umgebung. Biologische Psychologie beschäftigt
sich selbst nicht immer leicht. Denn obwohl sie seit inzwischen sich mit den Zusammenhängen zwischen biologischen Prozessen
über 130 Jahren an den Universitäten der Welt in Forschung und und dem Erleben und Verhalten. In der Allgemeinen Psycho-
13 Lehre vertreten ist, hat sie es bis heute nicht zu einer kompakten logie werden diese biologischen Prozesse auch berücksichtigt,
Disziplin mit robustem Selbstbewusstsein gebracht. Sie ist, ganz wenn es um das Verständnis psychischer Grundfunktionen wie
14 im Gegenteil, ziemlich unübersichtlich, und sie lässt sich in ihrer Wahrnehmung, Motivation, Emotion, Gedächtnis, Denken oder
derzeitigen Gestalt eigentlich nur als ein Bündel verschiedener Handlung geht, wobei die Allgemeine Psychologie darüber hi-
15 Forschungsansätze begreifen, die sich mit unterschiedlichen nausgeht. Biologische Psychologie selbst verfolgt im Gegensatz
Methoden auf unterschiedliche Gegenstandsbereiche richten. zur Allgemeinen Psychologie keinen universalistischen Ansatz,
Und viele Stimmen glauben, dass sich dies in absehbarer Zeit sondern beschäftigt sich mit den biologischen Grundlagen in den
16 auch nicht ändern wird – oder aus prinzipiellen Gründen nicht verschiedensten Forschungsfeldern. Neben diesen Hauptfeldern
ändern kann. der Grundlagenforschung hat die moderne Psychologie außer-
17 Die Unübersichtlichkeit rührt aus verschiedenen Quellen. dem eine große Zahl anwendungsnaher Forschungsfelder her-
Eine von ihnen ergibt sich bereits aus der weithin akzeptierten vorgebracht, u. a. in den Bereichen der Klinischen Psychologie, der
Gegenstandsbestimmung der Psychologie, die ein grundlegendes Diagnostik, der Pädagogischen Psychologie, der Arbeits-, Betriebs-
18 Dilemma, wenn nicht gar Trilemma, zum Ausdruck bringt. Psy- und Organisationspsychologie und der Forensischen Psychologie.
chologie versteht sich als die Wissenschaft vom (menschlichen)
19 Erleben und Verhalten – bisweilen sogar unter Einschluss der da-
mit verbundenen physiologischen Vorgänge. Ihr Gegenstand hat 1.1.2 Ein Blick zurück
20 damit gleichsam zwei bzw. drei Seiten, und zwar Seiten, die so
disparat sind, dass sie völlig verschiedene methodische Zugänge Unübersichtliche Verhältnisse lassen sich oft historisch erklären,
verlangen: subjektive und objektive Methoden, historisch ver- und so ist es auch in der Psychologie. Die moderne wissenschaft-
21 stehende und systematisch erklärende Verfahren, Beobachtung liche Psychologie entstand im ausgehenden 19. Jahrhundert. Vor
und Experiment – kurz Zugänge, die den gesamten Kanon des ungefähr 130 Jahren wurden unter dem Namen Psychologie zwei
22 geistes-, sozial- und naturwissenschaftlichen Methodeninventars bis dahin weitgehend getrennte geistes- und wissenschaftsge-
umfassen. schichtliche Entwicklungslinien zusammengeführt. Dies hatte
Darüber hinaus ist die Frage des sachlichen Zusammenhangs weitreichende wissenschaftliche und institutionelle Konsequen-
23 der verschiedenen Seiten ungeklärt. Hinter der Frage nach dem zen.
adäquaten methodischen Zugang zum Erleben, zum Verhalten Die eine wissenschaftsgeschichtliche Entwicklungslinie geht
und zu den Hirnprozessen verbirgt sich das prinzipielle Problem auf eine bemerkenswerte Verknüpfung von Philosophie und
1.1 • Psychologie heute
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.. Abb. 1.1  Ein Falltachistoskop für
kurzzeitige Reizdarbietungen (A)
und ein Hipp’sches Chronoskop für
Zeitmessungen im Millisekunden-
bereich (B), wie sie im ausgehenden
19. Jahrhundert in psychologischen
Experimenten eingesetzt wurden.
(Schröger 2004)

Physiologie zurück, die sich um die Mitte des 19. Jahrhunderts der wundersamen Vielfalt der menschlichen Lebensformen ent-
ergab, als die philosophische Erkenntnistheorie mit der damals falten. Dabei konnte sich die vergleichende Beschreibung sowohl
aufkeimenden, experimentell betriebenen Subjektiven Sinnesphy- auf verschiedene Typen und Charaktere beziehen (wie in den
siologie in Berührung kam. Eine der zentralen klassischen Fragen Systemen der Physiognomie und der Phrenologie) als auch auf
der philosophischen Erkenntnistheorie war seit jeher, wie die Be- verschiedene Völker und ihre Gebräuche (wie in den Kompendien
ziehung zwischen subjektiven Wahrnehmungsinhalten und den der Völkerkunde). Später trat die vergleichende Beschreibung der
tatsächlichen Gegebenheiten in der objektiven Umwelt bestimmt Geisteskrankheiten hinzu und – nicht zuletzt – der Vergleich zwi-
werden kann. Diese Frage, die über zwei Jahrtausende hinweg schen Kindern in verschiedenen Alters- und Entwicklungsstufen.
lediglich Gegenstand scharfsinniger Erörterungen und philoso- So verschieden diese Ansätze im Einzelnen waren, hatten sie doch
phischer Debatten gewesen war, wurde um die Mitte des 19. Jahr- zweierlei gemeinsam: das inhaltliche Interesse an der Vielfalt des
hunderts mit einem Mal auch Gegenstand experimenteller For- menschlichen Erlebens und Verhaltens sowie den methodischen
schung. Wissenschaftler wie Johannes Müller, Ewald Hering und Zugang der vergleichenden Beschreibung.
Hermann von Helmholtz entwickelten Untersuchungsansätze, Nicht zuletzt der wissenschaftlichen Integrationskraft des
die es erlaubten, klassische erkenntnistheoretische Fragen nun- Leipziger Philosophieprofessors Wilhelm Wundt (1832–1920)
mehr mit experimentellen Methoden anzugehen, und zwar mit ist es zuzuschreiben, dass diese beiden ganz unterschiedlichen
Methoden, die im Wesentlichen auf subjektiven Beobachtungen Denktraditionen schließlich unter dem Begriff einer Wissen-
fußten und in diesem Sinne als psychologisch gelten konnten. schaft namens Psychologie zusammengeführt und auch an den
Die andere wissenschaftsgeschichtliche Entwicklungslinie ent- Universitäten institutionell etabliert wurden. Wundt hinterließ –
stand unabhängig davon. Sie setzte bereits im 18. Jahrhundert ein neben vielem, vielem anderen – zwei mehrbändige Hauptwerke,
und lässt sich am besten als vergleichende Menschenkunde charak- die der systematischen Grundlegung der beiden Zweige der
terisieren. Hinter dieser Bezeichnung verbergen sich eine Vielfalt neuen Wissenschaft gewidmet waren, die aus diesen beiden Ent-
von halb unterhaltsamen, halb wissenschaftlichen Unternehmun- wicklungslinien abgeleitet sind: die zuletzt dreibändigen Grund-
gen, die darauf abzielen, dem gebildeten und wissenschaftlich inte- züge der Physiologischen Psychologie (Erstausgaben 1873/1874)
ressierten Publikum zur Erweiterung seiner Welt- und Menschen- und die zehnbändige Völkerpsychologie (Erstausgaben zwischen
kenntnis zu verhelfen, indem sie vor seinen Augen das Panorama 1900 und 1920).
4 Kapitel 1  •  Einleitung – Psychologie als Wissenschaft

Die Physiologische Psychologie war experimentell orientiert, Dass sie eine solche produktive Konkurrenz ermöglicht,
1 und aus ihr gingen später die Forschungsansätze hervor, die heute aber auch erzwingt, ist ein entscheidendes Charakteristikum
als Allgemeine Psychologie bezeichnet werden. Wundts Völkerpsy- der unübersichtlichen Wissenschaft Psychologie. Sie ermöglicht
2 chologie war dagegen vergleichend, beschreibend und interpretie- und erfordert, unser Denken und unsere Forschungsarbeit in
rend angelegt; sie kann aus heutiger Sicht als eine Grundlegung vielfältigen theoretischen Kontexten zu situieren. Das macht die
nicht nur der Sozialpsychologie, sondern auch der Differenziellen Psychologie spannungsreich und anstrengend. Aber gerade dafür
3 Psychologie und der Entwicklungspsychologie gelesen werden. Im lieben wir sie.
Grunde gilt noch heute, was bereits Wundt lehrte: Die Physio-
4 logische Psychologie bzw. ihre Nachfolgedisziplinen richten sich
vorwiegend auf die Analyse der Prozesse und der Mechanis- 1.2 Allgemeine Psychologie
5 men, die psychischen Funktionen zugrunde liegen, d. h. auf das
Wie. Dagegen richten sich die Völkerpsychologie und die in ihrer Wir wenden uns jetzt der Allgemeinen Psychologie zu, die wir
Nachfolge stehenden Wissenschaftsansätze vorzugsweise auf das natürlich ganz besonders lieben. Einiges von dem, was sie kenn-

-
6 Was, d. h. auf die Frage, was welche Individuen unter welchen Be- zeichnet, haben wir bereits angedeutet:
dingungen denken oder tun. Und wie schon bei Wilhelm Wundt, Die Bezeichnung Allgemeine Psychologie steht für eine
7 dem Gründer und Vereiniger, hat die Was-Psychologie manch- Teildisziplin des Gesamtunternehmens Psychologie und
mal auch noch heute mit der Wie-Psychologie weder inhaltlich keineswegs, wie sie manchmal missverstanden wird, für das
8
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noch methodisch besonders viel gemeinsam. Allerdings öffnen
sich Disziplinen mit vorwiegend bedingungsanalytischen Ansät-
zen zunehmend auch funktionsanalytischen Fragestellungen und
entwickeln entsprechende Theorien und Modelle. So ist z. B. die
- Gesamtunternehmen selbst.
Das besondere Kennzeichen, das ihr die Bezeichnung
Allgemein einträgt, ergibt sich aus ihrem universalistischen
Ansatz: Sie betrachtet den Menschen als psychologisches
moderne Entwicklungspsychologie mit ihrer engen Verschrän- Gattungswesen und fragt nach dem, was Menschen gemein-
10 kung sowohl mit der Differenziellen Psychologie als auch mit der sam ist – ohne sich dafür zu interessieren, was sie unter-

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Allgemeinen Psychologie ein eindrucksvolles Beispiel dafür, dass
die alten Grenzziehungen überbrückt werden können.
- scheidet.
Sie richtet sich auf das Wie, nicht auf das Was dieser Ge-
meinsamkeiten, d. h., sie interessiert sich für die Prozesse
und Mechanismen, in denen psychische Vorgänge ablaufen,
12 1.1.3 Lob der Unübersichtlichkeit und nicht primär für deren Inhalte.

Was soll man von einer Wissenschaft halten, in der sich so viele In der Tat können Universalismus und Funktionalismus als zen-
13 unterschiedliche Perspektiven kreuzen, die sowohl vom Erle- trale Leitideen der allgemeinpsychologischen Forschung gelten.
ben als auch vom Verhalten handelt, die sich von differenzieller Hinter der Allgemeinen Psychologie steht die Idee einer univer-
14 Verschiedenheit ebenso beeindrucken lässt wie von universeller salistisch gedachten psychologischen Funktionslehre. Das klingt
Gleichförmigkeit und die bedingungsanalytische Erkenntnisziele nach schwergewichtiger Programmatik, aber die Praxis der Um-
15 ebenso verfolgt wie funktionsanalytische? Zweifellos trägt diese setzung dieser Idee ist ganz und gar pragmatisch. Obwohl die
mehrfache Unübersichtlichkeit dazu bei, dass es schwerfällt, sich Psychologie voll von Manifesten ist, in denen die (nach Auffas-
ein klares Bild davon zu machen, was psychologische Forschung sung ihres jeweiligen Autors) einzig wahre Form, Psychologie zu
16 eigentlich ist und wie sie funktioniert. Kein Zweifel aber auch, betreiben, charakterisiert wird, wird man vergebens nach einem
dass diese Unübersichtlichkeit, die sich ja aus der Natur der For- Manifest für Allgemeine Psychologie oder nach der Idee einer
17 schungsgegenstände ergibt, zugleich den besonderen intellektu- universalistischen Funktionslehre suchen. Und auch das lässt
ellen Reiz und die besondere Herausforderung psychologischer sich wiederum historisch erklären: Die Allgemeine Psychologie
Forschung ausmacht. verdankt ihre Existenz als besondere Teildisziplin der Psycholo-
18 Die Frage ist nur, wie man mit dieser Herausforderung um- gie nicht der Programmatik von theoretischen Konzeptionen,
geht. Wenn es nämlich stimmt, dass man die Forschungsgegen- sondern der Pragmatik von Prüfungsordnungen mit dem Haupt-
19 stände allgemein oder differenziell, bedingungsanalytisch oder fach Psychologie.
funktionsanalytisch, als Erleben, Verhalten oder hirnphysiolo- Dementsprechend steht Allgemeine Psychologie auch heute
20 gischen Prozess beschreiben und untersuchen kann, und wenn keineswegs für ein klar abgegrenztes und in sich einheitliches
außerdem stimmt, dass diese verschiedenen Untersuchungsan- Forschungsgebiet. Vielmehr versammeln sich unter dem Dach
sätze und Erkenntnisziele nicht ohne Weiteres zur Deckung zu der Allgemeinen Psychologie diejenigen Gebiete der Psycholo-
21 bringen sind, gibt es forschungsstrategisch zwei Möglichkeiten: gie, die sich den Leitideen des Universalismus und Funktionalis-
Rückzug oder Offensive. Rückzug würde bedeuten, sich auf ei- mus verpflichtet fühlen und in denen erfolgreiche Forschungs-
22 nen dieser Forschungsansätze zu kaprizieren und sich ihm und programme etabliert werden konnten. Dabei dienen auch die
nur ihm ganz zu verschreiben. Offensive bedeutet dagegen, sich Leitideen selbst nicht als programmatische Vorgaben, sondern
mit dem eigenen Ansatz zu den übrigen Ansätzen ins Verhältnis als pragmatische Maximen der Forschung, die man beibehält,
23 zu setzen, sich in Konkurrenz zu begeben oder Verbindungen solange sie sich bewähren, die man aber aufgibt, wenn sie nicht
zu schaffen und die damit verbundenen intellektuellen und for- mehr weiterhelfen. So kann man z. B. an die Grenzen des Univer-
schungspolitischen Anstrengungen auszuhalten. salismus stoßen, wenn man auf allgemeine Fragen differenzielle
1.2 • Allgemeine Psychologie
5 1

Antworten erhält (was z. B. in der Motivationspsychologie häufig werden kann. Wilhelm Wundt lehrte z. B., dass sich alle komple-
geschieht), oder man kann an die Grenzen des Funktionalismus xen Erscheinungen des menschlichen Erlebens auf zwei Grund-
stoßen, wenn sich zeigt, dass Prozesse und Inhalte keineswegs so prozesse zurückführen lassen: die (simultanen und sukzessiven)
unabhängig voneinander sind, wie der formale Funktionalismus Assoziationen (Verbindungen zwischen psychischen Inhalten)
unterstellt (wie sich z. B. in der Denkpsychologie zeigt). und die komplexeren Apperzeptionen (das Bewusstwerden eines
Auch wenn die Grenzen unscharf sind, bleibt es dabei: Zur psychischen Inhalts durch das Eintreten in das Aufmerksam-
Allgemeinen Psychologie gehören diejenigen Teile der Psycholo- keitsfeld, bei Wundt mittels eines willentlichen Aktes). Später
gie, die sich an den Leitideen des Universalismus und Funktiona- wurde die Wundt’sche Theorie durch die sogenannte Gestaltthe-
lismus orientierten. Welche Gegenstände, welche Methoden und orie abgelöst. Diese Theorie hielt nicht viel von Assoziationen;
welche Theorien kommen für dieses Programm infrage? stattdessen sah sie einen Prozess namens Umstrukturierung als
den Kernprozess aller höheren kognitiven Leistungen an. Die
Liste dieser allumfassend angelegten prinzipiellen Lösungsvor-
1.2.1 Welche Gegenstände? schläge ließe sich beliebig erweitern. Erfolgreich waren sie al-
lesamt nicht. Sie geben theoretische Prinzipien vor und lassen
Die Leitidee einer universalistischen psychologischen Funkti- diese Prinzipien dann auf die Empirie los. Das geht nur selten
onslehre lässt sich auch so formulieren: Was Personen in ver- gut: Entweder landet man dabei bei unnötig komplizierten und
schiedenen Situationen wahrnehmen, denken oder tun, wird unplausiblen Erklärungen empirischer Sachverhalte oder dabei,
vom jeweiligen Kontext bestimmt – von Merkmalen, die in der dass weite Bereiche der Empirie von der Erklärung ausgeschlos-
Situation liegen, und von Merkmalen, die in den Personen liegen. sen bleiben.
Viel weniger variabel und kontextgebunden ist dagegen das Wie Deshalb sind die prinzipiellen längst den pragmatischen Lö-
des Wahrnehmens, Denkens und Handelns, d. h. die allgemeine sungen gewichen. Pragmatische Lösungen gehen den umgekehr-
Funktionsarchitektur der Prozesse, in denen die spezifischen ten Weg – von empirischen Sachverhalten zu theoretischer Re-
Inhalte erzeugt werden. Diese allgemeine Funktionsarchitek- konstruktion. Bei den empirischen Sachverhalten kann es sich um
tur – so die Idee – stellt universelle Mechanismen bereit, die für Erscheinungen des Erlebens oder des Verhaltens handeln oder
die Verarbeitung und Transformation von Inhalten des Erlebens auch um beides zugleich. Ferner können die Untersuchungsge-
und Verhaltens zur Verfügung stehen. Was jemand wahrnimmt, genstände auf ganz verschiedenen Abstraktionsniveaus bestimmt
denkt und tut, hängt von der Person und der Situation ab; aber werden. Forschung im Bereich der Gedächtnispsychologie kann
wie das Wahrnehmen, Denken und Tun vor sich geht, ist für alle sich z. B. für Gedächtnisprozesse ganz allgemein interessieren,
gleich, d. h. universell. Aufgabe universalistischer Forschungs- für Prozesse im Bereich des biografischen Gedächtnisses oder
programme ist es dann, das Wie vom Was zu isolieren und es in des Kurzzeitgedächtnisses oder auch für sehr spezielle Prozesse
reiner Form zu untersuchen. wie das Gedächtnis für historische Jahreszahlen. Wie man im
Aber wie untersucht man das Wie? Wie erklärt man die Pro- Einzelnen seinen Untersuchungsgegenstand zuschneidet, wird
zesse, die dem beobachtbaren psychischen Geschehen zugrunde von verschiedenen Faktoren bestimmt, die einander überlagern.
liegen? Was Personen tun, kann man offen beobachten. Wie das Der erste dieser Faktoren – gewiss nicht der unwichtigste – ist
aber geschieht, d. h. welche Prozesse und Mechanismen dem unsere eigene psychologische Intuition. Jeder von uns – auch der
beobachtbaren Geschehen zugrunde liegen, kann man nicht psychologische Forscher – weiß ja von sich selbst, was es heißt zu
beobachten, sondern nur erschließen. Allgemeine Psychologie sehen, zu hören, sich zu erinnern, aufmerksam zu sein, traurig
interessiert sich nicht in erster Linie dafür, was Personen sehen, oder wütend zu sein oder zu etwas keine Lust zu haben. Wir alle
hören, denken, wollen oder erinnern, sondern sie will wissen, wie kennen unser Innenleben, und unsere psychologische Alltags-
das Sehen, Hören, Denken, Wollen und Erinnern funktionieren. sprache liefert ein begriffliches Gerüst zu seiner Beschreibung.
Das bedeutet, dass die Gegenstände der Forschung nicht offen Daher kann es nicht verwundern, dass die Sprache der Alltags-
zutage liegen. Sie liegen nicht in den beobachtbaren Inhalten des psychologie die Sprache der wissenschaftlichen Psychologie von
Erlebens und Verhaltens, sondern in den verborgenen Vorgän- Anfang an stark geprägt hat und auch heute noch prägt. So sind
gen, die diese beobachtbaren Inhalte erzeugen. z. B. die Hauptkategorien, in die wir die Allgemeine Psychologie
Wenn wir diese Prozesse nicht direkt beobachten können, einteilen – Wahrnehmung, Aufmerksamkeit, Motivation, Emo-
woher können wir denn wissen, dass sie existieren? Wie cha- tion, Gedächtnis, Sprache, Denken usw. –, im Grunde wissen-
rakterisieren wir unterschiedliche Prozesse? Wie grenzen wir sie schaftliche Fortsetzungen des psychologischen common sense,
voneinander ab? Wie teilen wir sie ein? Auch hier gibt es prinzi- dessen wir uns auch im Alltagsleben bedienen.
pielle und pragmatische Antworten. Je weiter die Forschung allerdings voranschreitet, desto mehr
Prinzipielle Antworten sind in der Geschichte der Allgemei- werden alltagspsychologische Intuitionen durch wissenschaft-
nen Psychologie verschiedentlich ausprobiert worden, aber keine lich begründete Einteilungen und Definitionen abgelöst. Dass
von ihnen hat sich auf Dauer durchsetzen können. Prinzipielle wir z. B. heute im Bereich der Gedächtnisforschung zwischen
Antworten sind solche, die aus einer vorgegebenen Theorie abge- episodischem und semantischem Gedächtnis unterscheiden
leitet sind. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie eine begrenzte, und die episodischen Gedächtnisleistungen noch einmal in ein
oft sehr kleine Zahl von psychischen Grundoperationen postu- Kurzzeit- und Langzeitgedächtnis unterteilen, ist das Ergebnis
lieren, und sie glauben, dass die Vielfalt aller beobachtbaren Er- jahrzehntelanger Forschung in diesem Bereich und hat nichts
scheinungen auf diese wenigen Grundprozesse zurückgeführt mehr mit alltagspsychologischen Intuitionen zu tun. Der jeweils
6 Kapitel 1  •  Einleitung – Psychologie als Wissenschaft

.. Abb. 1.2  Moderne Geräte zur


1 verhaltensbasierten Messung von
Blickbewegungen mittels video­
basierten Miniaturkameras (A;
2 Eyelink II von SR-Research Ltd.) und
von Körperbewegungen mittels
Bewegungsmarker, die hier an den
3 Beinen eines Probanden befestigt
sind. (B; Foto D. Gordon E. Robert-
son via Wikimedia Commons)
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aktuelle Stand der Forschung und der einschlägigen Theorien ist Raum) im Behaviorismus zu einer reinen Verhaltenswissenschaft.
also die zweite wichtige Quelle, die zur Bestimmung, Definition Inzwischen sind aber diese Grabenkämpfe vorbei. Egal ob wir es
11 und Einteilung der Forschungsgegenstände beiträgt. begrüßen oder bedauern: Pragmatik hat Programmatik abgelöst.
Schließlich kommt drittens hinzu, dass die Forschungsge-
12 genstände auch durch die konkreten Situationen und Aufgaben
bestimmt werden, die im Forschungsprozess zur Anwendung 1.2.2 Welche Methoden?
kommen. Wie in den einzelnen Kapiteln des Buches deutlich
13 wird, verläuft der Forschungsprozess über weite Strecken para- Komplexem Geschehen kann man auf zweierlei Weise wissen-
digmenorientiert, d. h., er orientiert sich an bestimmten Untersu- schaftlich zu Leibe rücken: durch Beobachtung und Experiment.
14 chungssituationen und bestimmten experimentellen Aufgaben, Beobachtende Methoden sind dann angezeigt, wenn man das
von denen man überzeugt ist, dass sie sich besonders gut zur Auf- Geschehen in seiner Komplexität belassen will und wenn es
15 klärung bestimmter Prozesse eignen. In der Gedächtnisforschung darum geht, seine eigene, gleichsam naturwüchsige Dynamik zu
z. B. verwendet man u. a. das Wiedererkennungsparadigma (Recog- charakterisieren. Experimentelle Methoden sind demgegenüber
nition-Paradigma), um Abrufprozesse aus dem Langzeitgedächtnis angezeigt, wenn man die kausale Mechanik des Geschehens im
16 zu untersuchen. In Wahrnehmung und Motorik verwendet man Einzelnen studieren will und dazu Bedingungen herstellt, unter
(Wahl-)Reaktionsaufgaben, um Prozesse der Reizanalyse und der denen man die Wirksamkeit einzelner Faktoren selektiv untersu-
17 Reaktionsauswahl zu untersuchen. In der Aufmerksamkeitsfor- chen kann. Beobachtende Methoden haben den Vorzug, dass sie
schung verwendet man das Interferenzparadigma, um zu unter- die Untersuchungsgegenstände unberührt und unverändert lassen
suchen, inwieweit irrelevante Information selektiv ausgeblendet (jedenfalls weitgehend), dafür aber den Nachteil, dass sie keine un-
18 werden kann. In all diesen Fällen sind die konkreten Aufgaben, die mittelbaren Einsichten in die kausalen Beziehungen erlauben, die
man untersucht, eigentlich nur als Mittel zum Zweck gedacht: zum den Erscheinungen zugrunde liegen. Experimentelle Methoden
19 Zweck der Aufklärung von Prozessen, die über diese Aufgaben haben den Vorzug, dass sie solche Einsichten erlauben (jedenfalls
hinausgehen (also Abruf aus dem Gedächtnis, Reizanalyse und partiell), dafür aber den Nachteil, dass diese Einsichten zunächst
20 Reaktionsauswahl, Ausblendung irrelevanter Information). Dabei auf die künstlich vereinfachten Aufgaben, die im Labor untersuch-
geschieht es aber häufig, dass das Mittel selbst zum Zweck wird, bar sind, beschränkt bleiben und sich nicht auf den vollen Reich-
d. h., dass die Untersuchungsaufgaben zum eigentlichen Gegen- tum der psychischen Vorgänge im wirklichen Leben beziehen.
21 stand der wissenschaftlichen Analyse werden (also Wiedererken- Die Diskussion über die Vor- und Nachteile experimentel-
nungsaufgaben, Wahlreaktionsaufgaben, Interferenzaufgaben). ler und beobachtender Methoden durchzieht die gesamte Psy-
22 Pragmatisch ist die Wahl der Gegenstände schließlich auch chologie, und an vielen Stellen wird sie in Form ideologischer
darin, dass die beiden großen Gegenstandsfelder der Psychologie Glaubenskriege geführt. So pragmatisch sich die Allgemeine
– das Erleben und Verhalten – prinzipiell gleichberechtigt sind. Psychologie bei der Bestimmung ihrer Forschungsgegenstände
23 Das war nicht immer so: Begonnen hat die wissenschaftliche geben mag – in der Methodenfrage muss sie Farbe bekennen.
Psychologie als reine Erlebniswissenschaft; dann wandelte sich Hier muss sie sich für die Idee des experimentellen Vorgehens
ihr Forschungsprogramm (jedenfalls im angloamerikanischen entscheiden. Wenn nämlich zutrifft, dass ihre Gegenstände ver-
1.2 • Allgemeine Psychologie
7 1

borgene psychische Prozesse sind, werden diese Prozesse durch darüber einlassen, was Theorien eigentlich sind und welche Be-
bloße Beobachtung von Erleben und Verhalten im täglichen Le- dingungen erfüllt sein müssen, damit ein Sachverhalt als erklärt
ben kaum aufzudecken oder aufzuklären sein. Zu viele Vorgänge oder verstanden gelten kann. Für unseren Zweck ist ausreichend,
kreuzen und überlagern sich hier in unkontrollierbarer Weise, als wenn wir uns die Frage so zurechtlegen: Wir haben bereits zwi-
dass die Analyse einzelner Beobachtungen noch aussichtsreich schen den Inhalten des Erlebens und Verhaltens und den psychi-
sein könnte. Daher bleibt nur der umgekehrte Weg, nämlich das schen Prozessen, die ihnen zugrunde liegen, unterschieden, d. h.
Herstellen von Bedingungen, unter denen ein untersuchungs- zwischen Erscheinungen, die man unmittelbar beobachten kann,
würdiger Prozess in möglichst reiner Form isoliert untersucht und Prozessen, die man aus den Beobachtungen erschließen
wird. Damit verlagert sich der Ort der Untersuchung vom Le- kann. Könnten wir diese Prozesse angemessen charakterisieren,
ben ins Labor – mit der Folge, dass, wie es oft kritisch heißt, dann könnten wir erklären, wie die Erscheinungen, die wir be-
die Untersuchungsgegenstände dekontextualisiert, d. h. ihres obachten, zustande kommen. Somit fällt die Frage danach, wel-
natürlichen Kontexts beraubt, werden. Dieser Kritik muss sich che Theorien die Allgemeine Psychologie braucht, mit der Frage
die Allgemeine Psychologie stellen, denn an diesem Punkt hat zusammen, wie man diese verborgenen Prozesse, Mechanismen
sie, wie gesagt, keine andere Wahl: Will man die Grundidee des und Strukturen adäquat beschreiben und charakterisieren kann.
Funktionalismus methodisch umsetzen, muss man die mit der Wir brauchen also Theorien über universelle Prozesse – The-
experimentellen Methode verbundenen Dekontextualisierungen orien, die unabhängig von den speziellen Inhalten des Erlebens
in Kauf nehmen. und Verhaltens, in denen sich diese Prozesse manifestieren, Be-
Hinzu kommt ein weiteres Moment, das sich aus der Idee des stand haben. Da universelle Prozesse eher der allgemeinen Natur
Universalismus ergibt. In psychologischen Experimenten wer- des Gattungswesens Mensch zuzurechnen sind als der speziel-
den das Verhalten und Erleben von Versuchsteilnehmern unter len Kultur, unter der es jeweils lebt, werden wir die Theorien,
verschiedenen Bedingungen untersucht und verglichen. Wenn nach denen wir suchen, eher im naturwissenschaftlichen als im
beispielsweise untersucht werden soll, wie Gedächtnisleistun- kultur- und sozialwissenschaftlichen Lager der Psychologie su-
gen von der emotionalen Befindlichkeit von Personen abhän- chen müssen, d. h. eher in der Biologie und Hirnforschung als
gen, wird man Bedingungen schaffen, unter denen Personen eine in der Soziologie und Historie. Allerdings wird allgemeinpsy-
Gedächtnisaufgabe im Anschluss an positiv oder negativ getönte chologische Forschung gerade deswegen oft in ausgesprochen
Erlebnisse absolvieren. Die Versuchsfrage in einem solchen Ex- skurrile Debatten verwickelt. Ihr wird vorgehalten, sie verkürze
periment zielt darauf ab, wie sich die Gedächtnisleistung unter den Menschen auf ein reines Naturwesen und leugne seine kul-
den beiden Bedingungen unterscheidet. Eine Antwort auf diese turelle und historische Bestimmung als autonomes Subjekt. Das
Frage kann man auf zwei Ebenen suchen: für jeden einzelnen Menschenbild der Psychologie, so heißt es dann oft, sei auf reine
Versuchsteilnehmer und für den Durchschnitt aller Versuchs- Biologie und Hirnphysiologie verkürzt, und sehr schnell ist dann
teilnehmer insgesamt. Typischerweise zeigen sich in psycholo- in solchen Debatten auch davon die Rede, dass derartige Psy-
gischen Experimenten erhebliche individuelle Unterschiede in chologie den Menschen entwürdige und Manipulation oder gar
der Stärke (und oft auch in der Richtung) der experimentellen Totalitarismus Tür und Tor öffne.
Effekte. Aber entsprechend der Idee des Universalismus sieht die Dies ist falsch und beruht auf einem logischen Missver-
allgemeinpsychologische Forschung von diesen Unterschieden ständnis. Das Missverständnis entsteht durch eine Verwechslung
in der Regel ab: Sie will nicht erklären, was die Versuchsteilneh- von Forschungsprogramm und Menschenbild. Forschungspro-
mer unterscheidet, sondern was ihnen gemeinsam ist. Sie erklärt gramme müssen, wenn sie erfolgreich sein wollen, selektiv sein,
gleichsam das Verhalten einer fiktiven Durchschnittsperson – d. h., sie müssen ihren Gegenstand unter einer speziellen Per-
und überlässt die Erklärung der individuellen Unterschiede der spektive betrachten (hier der Perspektive des universalistischen
Differenziellen Psychologie. Funktionalismus). Wenn ein solches Forschungsprogramm er-
Es ist einfach, aber auch vorschnell, das Vorgehen der Ex- folgreich ist, besagt das nur, dass seine spezifische Perspektive
perimentellen Psychologie für seine Künstlichkeit zu kritisieren produktiv ist – und es besagt überhaupt nichts darüber, dass es
und über die große Distanz zwischen Labor und Leben die Nase nicht noch viele andere selektive Perspektiven auf den gleichen
zu rümpfen. Man darf nicht übersehen, dass die Allgemeine Psy- Gegenstand geben kann, die ebenso produktiv sind. Die Allge-
chologie nicht ausgezogen ist, um die Komplexität des Lebens meine Psychologie will lediglich universelle psychische Funkti-
zu erklären (ebenso wenig wie, nebenbei bemerkt, die Physik onen aufklären, und sie tut dies in dem vollen Bewusstsein, dass
ausgezogen ist, um den Durchmesser der Erde oder die Form des dies nur einer unter vielen Bausteinen zu einem umfassenderen
Matterhorns zu erklären). Was sie erklären will, sind die Grund- Verständnis menschlichen Tuns und Lassens ist.
prozesse, die dieses Leben ausmachen – und darin ist sie bisher Kommen wir also zurück zu der Frage, die die Theorien, nach
außerordentlich erfolgreich gewesen. denen wir suchen, beantworten sollen: Wie kann man psychische
Prozesse adäquat charakterisieren? Auf diese Frage gibt es bis
heute keine allgemein akzeptierte Antwort. Welche Typen von
1.2.3 Welche Theorien? Mechanismen kommen für die Charakterisierung psychischer
Prozesse in Betracht, und in welcher Sprache bzw. in welcher
Das ist die schwierigste der drei Fragen, die wir erörtern, um ver- sprachlichen Metaphorik können wir sie beschreiben? Einen
ständlich zu machen, wie Allgemeine Psychologie funktioniert. Vorgang zu erklären, den man nicht versteht, bedeutet, ihn auf
Natürlich können wir uns hier nicht in abstrakte Diskussionen einen anderen Vorgang, den man besser versteht, zurückzufüh-
8 Kapitel 1  •  Einleitung – Psychologie als Wissenschaft

.. Abb. 1.3  Moderne Geräte zur


1 neurophysiologischen Messung
von Gehirnaktivierungen mittels
Elektroencephalografie bzw. ereig-
2 niskorrelierter Potenziale (A) und
mittels funktionaler Magnetreso-
nanztomografie (B)
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ren – auf einen Vorgang von prinzipiell bekannter Struktur also. finden wir es plausibel, dass jemand mit Prüfungsstress
Die Erklärungsangebote, die die Geschichte der Psychologie Lust darauf hat, ins Kino zu gehen. Plausibel sind solche
11 für psychische Prozesse und Mechanismen bereithält, lassen Erklärungen also in einem rein inhaltlichen Sinn; über
sich vereinfacht in drei Typen einteilen: Erklärungen durch Be- die zugrunde liegenden Prozesse, an die die Allgemeine
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wusstseinsprozesse, durch Gehirnprozesse und durch abstrakte
Prozesskonfigurationen (Roth und Prinz 1996).

zz Erklärungen durch Bewusstseinsprozesse


- Psychologie eigentlich heran will, sagen sie nichts aus.
Bei dieser Art von Erklärungen gewinnt man nichts, was
man nicht schon längst weiß – nämlich aufgrund der eigenen
langjährigen Teilnahme am alltagspsychologischen Diskurs.
Dies ist die älteste, gleichsam klassische Erscheinungsform einer Von wissenschaftlichen Erklärungen verlangt man jedoch
14 psychologischen Theorie – genau derjenige Typus von Theorie und mehr: Sie sollen das, was man beobachtet, auf andersartige
Erklärung, den wir auch im Alltagsleben verwenden: Wir erklären Vorgänge und Mechanismen zurückführen. Wie gesagt, einen
15 das, was jemand jetzt denkt, fühlt oder tut, durch vorausgehende Vorgang, den man nicht versteht, zu erklären, bedeutet, ihn
Bewusstseinserscheinungen. Jemand ist resigniert, weil er glaubt, auf einen anderen Vorgang zurückzuführen, den man besser
dass er einer anstehenden Aufgabe nicht gewachsen ist, jemand versteht. Dieses Kriterium wird aber von Erklärungen durch

-
16 anderes geht ins Kino, weil er sich vom Prüfungsstress ablenken Bewusstseinserscheinungen gewiss nicht erfüllt.
möchte, und einem anderen kommt Gedanke X, nachdem er sich Eine weitere – vielleicht entscheidende – Schwäche liegt
17 vorher Y überlegt hat, usw. Kein Zweifel: Dies ist die Art und darin, dass es viele psychische Vorgänge gibt, die ohne
Weise, wie wir uns im Alltagsleben unser eigenes Seelenleben und erkennbare Beteiligung von Bewusstseinsprozessen zustande
das unserer Mitmenschen zurechtlegen. Im wissenschaftlichen kommen. Das bedeutet: Selbst wenn man sich mit den
18 Kontext haben Erklärungen dieser Art vor allem in frühen Tagen Schwächen von bewusstseinsverankerten Erklärungen zufrie-
der Psychologie eine Rolle gespielt und oft sogar als die eigentli- den gäbe, würde man dennoch auf diese Weise den Bereich
19 chen (und einzigen) psychologischen Erklärungen gegolten. Dass der Gegenstände, die man überhaupt betrachtet, unnötig
sie heute immer weniger gelten – und in weiten Teilen der Allge- beschneiden. Die moderne Psychologie sieht Bewusstseinser-
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-
meinen Psychologie völlig ausrangiert sind –, hat mehrere Gründe:
Erklärungen dieser Art beschreiben, wenn man genauer
hinsieht, im Grunde nur die Aufeinanderfolge von Erschei-
nungen des Erlebens und Verhaltens, aber sie enthalten
scheinungen nicht mehr als das entscheidende Fundament
menschlichen Erlebens und Verhaltens. Bewusstseinserschei-
nungen können psychische Vorgänge begleiten, müssen es
allerdings nicht. Wenn das aber so ist, kommt die Sprache der
keine wirkliche Charakterisierung der Vorgänge, in denen Bewusstseinserscheinungen nicht als theoretische Sprache für
22 diese Inhalte entstehen. Sie beschränken sich im Grunde eine erklärende Psychologie in Betracht.
darauf, das Auftreten bestimmter Inhalte unter bestimmten
Bedingungen inhaltlich plausibel zu machen, und zwar
23 unter Rückgriff auf unsere common-sense-Intuitionen über
zz Erklärungen durch Gehirnprozesse
Schon bei ihrer Geburt war der psychologischen Wissenschaft
derartige Zusammenhänge: Wir alle wissen, dass Stress die Idee in die Wiege gelegt, dass ihre eigentliche Bestimmung
durch Zerstreuung abgebaut werden kann, und deshalb darin bestehen würde, eines Tages psychische Prozesse durch Ge-
1.3  •  Allgemeine Psychologie und der Aufbau dieses Buches
9 1

hirnprozesse zu erklären. Gustav Theodor Fechner (1801–1887), das Betriebssystem, das gerade aktive Programm und schließlich
ein weiterer wichtiger Name aus der Riege der Gründungsvä- die Daten, die aktuell eingegeben werden.
ter der modernen Psychologie, entwickelte um die Mitte des Computerjargon als theoretische Sprache der Allgemeinen
19. Jahrhunderts die Idee der Psychophysik, d. h. einer Lehre von Psychologie? Das mag auf den ersten Blick befremdlich, wenn
den psychischen Erscheinungen, die auf einer Lehre von ihnen nicht gar lächerlich erscheinen. Hat die Allgemeine Psycholo-
zugrunde liegenden Gehirnprozessen beruhen sollte. Allerdings gie nichts Besseres zu tun, als sich ihre theoretischen Konzepte
waren damals die einschlägigen Kenntnisse über die Arbeits- bei der Informatik auszuborgen? Die Antwort ist einfach genug:
weise des Gehirns so eingeschränkt, dass hirnphysiologische Was zählt, ist der Erfolg. Kein anderes theoretisches Programm
Erklärungen weithin den Charakter ziemlich wilder Spekulati- ist bisher in der Geschichte der Psychologie ähnlich erfolgreich
onen hatten. In den letzten Jahrzehnten hat sich die Situation gewesen wie der theoretische Ansatz der modernen Kognitiven
aber dramatisch verändert: Die kognitiven Neurowissenschaf- Psychologie, der kognitive Leistungen als Ergebnis von Informa-
ten haben einen enormen Aufschwung genommen, und dank tionsverarbeitungsprozessen konzeptualisiert.
der rapiden Entwicklung beim Einsatz bildgebender Verfahren Diese Konzeptualisierungen nutzen zwar den Computerjargon,
in der Hirnforschung ist es inzwischen möglich geworden, dem unterstellen damit aber natürlich nicht eine Funktionsarchitektur
menschlichen Gehirn mit nichtinvasiven Methoden gleichsam menschlicher Informationsverarbeitung, die sich an den Archi-
bei der Arbeit zuzusehen. tekturen von Computersystemen anlehnt. In der Tat wurde dieser
Zum erleichterten Aufatmen besteht allerdings noch längst Fehler insbesondere in den Anfängen des informationsverarbei-
kein Anlass. Nach wie vor sind wir mit einer Situation konfron- tenden Ansatzes begangen, als eine allzu wortwörtliche Auslegung
tiert, in der die Gehirnprozesse, die wir zur Erklärung kogniti- der Computermetapher den wissenschaftlichen Fortschritt eher
ver und psychischer Prozesse heranziehen, nicht besser, sondern behinderte als ihm nutzte. Was den informationsverarbeitenden
eher schlechter verstanden sind als die kognitiven und psychi- Ansatz vielmehr auszeichnet, ist die Möglichkeit einer abstrakten
schen Prozesse, die wir erklären wollen. Nach wie vor verstehen Entwicklung von Funktionsarchitekturen, durch die nicht nur
wir sehr wenig darüber, wie die Aktivität von Nervenzellen und die beiden Beobachtungsebenen Erleben und Verhalten theore-
Nervenzellverbänden in psychische Vorgänge umgesetzt wird. tisch zusammengeführt werden, sondern die es gestattet, als dritte
Dies stößt gar auf prinzipielle Schwierigkeiten, wenn man bei- Komponente auch noch unser Wissen über Gehirnprozesse zu in-
spielsweise danach fragt, wie diese Aktivität das Ich- und Selbst- tegrieren. Die Psychologie redet über kognitive Leistungen und
Erleben hervorbringen kann. Und nach wie vor verstehen wir psychische Prozesse, hat aber keine Möglichkeit, diese direkt in die
ebenso wenig, wie – umgekehrt – kognitive Leistungen und Sprache über Gehirnprozesse zu übersetzen. Umgekehrt spricht die
andere psychische Vorgänge durch Gehirnprozesse realisiert Neurobiologie über Neurone und Synapsen, hat aber keine Mög-
werden. In der Konsequenz sind wir noch immer weit davon lichkeit, diese direkt in die Sprache von Erleben und Verhalten zu
entfernt, die Rätsel des Erlebens durch Wissen über Gehirnpro- setzen. Sehr wohl können sich Psychologie und Neurobiologie aber
zesse zu lösen. Stattdessen sehen wir uns vielmehr mit mehreren in der gleichsam neutralen Sprache der Informationsverarbeitung
Rätseln gleichzeitig konfrontiert: wie Erleben entsteht, wie Ver- treffen und gegenseitig verständlich machen – dann nämlich, wenn
halten gesteuert wird, wie Gehirnprozesse funktionieren – und sie Strukturen und Prozesse im Gehirn als informationsverarbei-
wie diese drei Erscheinungsreihen miteinander verbunden sind. tende Systeme beschreiben und, mit anderen Worten, Erleben und
Verhalten als Ergebnisse informationsverarbeitender Prozesse auf-
zz Erklärungen durch abstrakte Prozesskonfigurationen fassen, die in Gehirnstrukturen realisiert sind.
Nachdem es lange Zeit so schien, als wären die Sprachen, in Trotzdem gilt: Die Sprache der Informationsverarbeitung
denen wir Bewusstseinserscheinungen bzw. Gehirnfunktionen wird sicher nicht das letzte Wort in der Suche nach einer an-
beschreiben, die einzigen Kandidaten für eine allgemeinpsy- gemessenen Sprache zur Erklärung psychischer Prozesse und
chologische Theoriesprache, sind im Laufe der Entwicklung der kognitiver Leistungen sein. Sie ist nichts weiter als der aussichts-
Psychologie noch weitere Kandidaten hinzugekommen. Dabei reichste Erklärungsansatz, den wir derzeit haben – und zudem
handelt es sich um solche Sprachen, die gleichsam neutrale Me- bisher der einzige, der die Chance bietet, Psychologie und Hirn-
chanismen beschreiben – weder Bewusstseinserscheinungen forschung zusammenzuführen (Bermeitinger et al. 2016).
noch Gehirnprozesse, sondern abstrakte Prozesskonfigurationen,
die auf beide Bereiche anwendbar sind. Ein prägnantes und be-
sonders wichtiges Beispiel für eine derartige neutrale Sprache ist 1.3 Allgemeine Psychologie und der Aufbau
die Sprache der Informationsverarbeitung, von der insbesondere dieses Buches
die gegenwärtige Kognitionspsychologie ausgiebig Gebrauch
macht. In dieser Sprache werden die verborgenen Mechanis- Wie erwähnt, bilden die Teilgebiete der Allgemeinen Psychologie
men, die dem beobachtbaren Verhalten und Erleben zugrunde ein thematisch nicht sonderlich konsistentes Gesamtbild. Allzu
liegen, als informationsverarbeitende Mechanismen verstanden, häufig wird die Allgemeine Psychologie auf die in Prüfungsord-
die nach bestimmten Regeln funktionieren. Zum Teil sind diese nungen vorgegebenen klassischen Teildisziplinen reduziert, als
Regeln in der Grundausstattung des Systems angelegt, zum Teil da sind: Wahrnehmung, Motivation, Emotion, Lernen, Gedächtnis
werden sie für die jeweilige Aufgabe festgelegt – ganz ähnlich ei- und Denken. Wenn sich aber unter dem Dach der Allgemeinen
nem Computer, dessen konkrete Aktivität von Vorgaben auf ganz Psychologie all diejenigen Teilgebiete der Psychologie versam-
unterschiedlichen Ebenen bestimmt wird: durch die Hardware, meln, die sich den Leitideen des Universalismus und Funktio-
10 Kapitel 1  •  Einleitung – Psychologie als Wissenschaft

nalismus verpflichtet fühlen, dann ist diese Liste nicht nur un- Sprache weitaus komplexer ist, als er sich zunächst darstellt. Eine
1 vollständig, sondern in vielen Punkten auch zu undifferenziert. vergleichbare Komplexität unterstellt man den Prozessen des
Wir haben deshalb in diesem Lehrbuch versucht, dem Fa- Denkens und Problemlösens, die in Teil V des Buches dargestellt
2 cettenreichtum der Allgemeinen Psychologie besser gerecht zu werden. Dieser Teil beinhaltet Kapitel zum logischen Denken,
werden. Dies ist auch aus pragmatischen Gründen angezeigt: zum Problemlösen und zum Urteilen und Entscheiden.
Will man beispielsweise ein Lehrbuchkapitel über die Teildis- Die Thematik von Teil VI, Handlungsplanung und -ausfüh-
3 ziplin Wahrnehmung verfassen, so sieht man sich schnell mit rung, hat innerhalb der Allgemeinen Psychologie seit jeher we-
der Frage konfrontiert, ob die Phänomene der Aufmerksamkeit niger Beachtung erfahren als die Funktionsgrundlagen von bei-
4 hierunter zu subsumieren sind oder nicht. Auf der einen Seite spielsweise Wahrnehmung und Denken. Dieser Themenbereich
sind Aufmerksamkeitsthemen sicherlich innerhalb der Wahr- hat aber in den letzten Jahrzehnten stark an Bedeutung gewon-
5 nehmungspsychologie anzusiedeln, beispielsweise dann, wenn nen. Wir haben ihm daher fünf Kapitel gewidmet: Die Kapitel zu
es um Verarbeitungsengpässe im visuellen Gesichtsfeld geht, Planung und exekutiver Kontrolle von Handlungen, motorischem
die nur bei bestimmten Reizkonstellationen beobachtet werden. Lernen und motorischer Kontrolle werden durch Kapitel zu Em-
6 Auf der anderen Seite kann man aber auch Aufmerksamkeits- bodiment und zum Zusammenhang von Handlung und Wahr-
engpässe in Doppelaufgabenparadigmen beobachten, die eher nehmung ergänzt – beides Themen, die in den verschiedensten
7 auf Reaktionsauswahlprozessen beruhen. In diesem Fall wäre Bereichen der Allgemeinen Psychologie eine Rolle spielen.
die Thematik Aufmerksamkeit eher einem Kapitel über Hand- Die in den letzten Jahren zu beobachtende Annäherung zwi-
lungsplanung und -ausführung zuzuordnen. Als ein Ausweg aus schen allgemeinpsychologischer und neurowissenschaftlicher
8 diesem Dilemma bietet sich die Möglichkeit an, Aufmerksamkeit Forschung wird dagegen nicht in einem gesonderten Kapitel be-
als eigenständige Teildisziplin zu definieren. handelt, sondern in jedem Kapitel angemessen berücksichtigt. –
9 Natürlich ließe sich aufgrund eines solchen Vorgehens die In diesem Zusammenhang sind weitere Punkte in der formalen
Anzahl möglicher Teilgebiete der Allgemeinen Psychologie ins Gestaltung der Kapitel zu nennen, die die Funktion der Kapitel
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Uferlose steigern. Wir haben uns deshalb bemüht, die Allgemeine
Psychologie durch all die Teilgebiete zu repräsentieren, die sich in
den verschiedenen nationalen und internationalen Foren formiert
haben. Die daraus resultierende Auffächerung der Allgemeinen
-
als Lehrbuchbeiträge herausstellen:
Jedem Kapitel sind mehrere Vertiefungsboxen hinzugefügt
worden, die zwar thematisch abgeschlossene Einheiten bil-
den und die für das Verständnis des Haupttextes verzicht-
Psychologie ist sicher mit einer gewissen Willkür behaftet, wird bar sind, die aber über interessante Paradigmen, aktuelle
12 ihr aber heute weitaus gerechter, als die einst in Prüfungsordnun- Kontroversen, Anwendungsbeispiele und Demonstrations-

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gen festgeschriebenen Teildisziplinen vermuten lassen.
Teil I des Buches besteht daher nicht nur aus einem Wahr-
nehmungskapitel, sondern man findet dort neben den Kapiteln
zur visuellen Informationsverarbeitung, zur auditiven Informati-
- versuche informieren.
Um die Bedeutung allgemeinpsychologischer Erkenntnisse
für die praktische Anwendung herauszuheben, ist jedes
Kapitel mit einem Abschnitt Anwendungsbeispiele versehen
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onsverarbeitung und zur multisensorischen Informationsverarbei-
tung gleichberechtigt die Kapitel Aufmerksamkeit und Bewusst-
sein. Während sich die Aufmerksamkeit schon seit geraumer Zeit
als eigenständige Disziplin der Allgemeinen Psychologie etabliert
- worden.
Jedes Kapitel wird mit sogenannten Kernsätzen abgeschlos-
sen, die der Inhaltsangabe dienen. Weiter finden sich an
den Kapitelenden Listen mit Schlüsselbegriffen, die beson-

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hat, ist die Bewusstseinsthematik erst in den letzten Jahrzehnten
mit dem Aufkommen der kognitiven Neurowissenschaften (wie-
der)entdeckt geworden. Wie wir alle wissen, war die Auseinan-
dersetzung mit der Bewusstseinsthematik – insbesondere unter
- ders zentral für die jeweilige Thematik sind.
Zur inhaltlichen Vertiefung der Kapitelthematik können die
weiterführenden Literaturangaben genutzt werden.

dem Einfluss des Behaviorismus – lange Zeit verpönt. Wir möchten hiermit ein Lehrbuch vorlegen, das nicht nur der
Ähnlich erging es „dem Willen“, der zu Beginn des 20. Jahrhun- Faszination unseres Fachgebiets gerecht wird, sondern das bei
18 derts ebenfalls ein durchaus akzeptierter Forschungsgegenstand Leserinnen und Lesern auch ein Interesse an der wissenschaft­
war und der – nach einer langen Zeit der Vernachlässigung – wie- lichen Weiterentwicklung unseres Faches weckt.
19 der in den Blickpunkt des Forschungsinteresses gerückt ist. Daher
werden in Teil II des Buches die klassischen Themen der Motivation
20 und der Emotion um das Thema der Volition ergänzt. Teil III des Literatur
Buches behandelt die Prozesse beim Lernen (Assoziationsbildung,
Konditionierung und implizites Lernen), beim Kategorisieren und Bermeitinger, C., Kaup, B., Kiesel, A., Koch, I., Kunde, W., Müsseler, J., Oberfeld-
21 Wissenserwerb und vermittelt Kenntnisse über die Gedächtniskon-
Twistel, D., Strobach, T., & Ulrich, R. (2016). Positionspapier zur Lage der
Allgemeinen Psychologie. Psychologische Rundschau, 67(3), S 175–207.
zeptionen und Wissensrepräsentationen. Kurzum, Teil III behandelt Roth, G., & Prinz, W. (Hrsg.). (1996). Kopf-Arbeit. Gehirnfunktionen und kognitive
22 die klassischen Themen des Lernens und des Gedächtnisses. Leistungen. Heidelberg: Spektrum Akademischer Verlag.
In den beiden dann folgenden Teilen geht es um Fähigkeiten, Schröger, E. (2004). Wilhelm Wundt (1832–1920) und die Anfänge der experi-
in denen sich der Mensch ganz offensichtlich und nachhaltig von mentellen Psychologie. Universität Leipzig, Institut für Allgemeine Psycho-
23 anderen Lebewesen unterscheidet: In Teil IV, Sprachproduktion
logie. http://www.uni-leipzig.de/~psycho/wundt/viewer.htm
Wundt, W. (1900–1920). Völkerpsychologie (Vol. Bd. 1–10). Leipzig: Engelmann.
und -verstehen, werden zunächst die Prozesse der Worterkennung Wundt, W. (1874/1875). Grundzüge der physiologischen Psychologie. Leipzig:
und -produktion und dann die der Satz- und Textebene erläu- Engelmann.
tert. Sie machen deutlich, dass der uns so vertraute Umgang mit

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