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4/13/2019 Mikroplastik - Fasern auf großer Fahrt - Süddeutsche.

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Wissen

9. April 2019, 19:00 Mikroplastik

Fasern auf großer Fahrt


Bei jedem Waschgang geraten Fasern aus der Kleidung ins Abwasser.

Jährlich landen Schätzungen der Weltnaturschutzorganisation IUCN zufolge


zwischen zwei und fünf Millionen Tonnen Mikroplastik in der Umwelt.

Forscher halten es für unrealistisch, die Einträge komplett zu verhindern.

Von Andrea Hoferichter

Ob Wäsche "nicht nur sauber, sondern rein" wird, ist manchmal zweitrangig.
Stefan Brandt von der Hochschule Niederrhein in Krefeld interessiert das zum
Beispiel weniger. Zwar schmeißt sein Forscherteam eine Waschmaschinenladung
nach der anderen an, doch in den Trommeln rotieren saubere, fabrikneue Kleider,
vor allem solche aus Polyester-Fleece. "Wir wollen herausfinden, wie viele
Plastikpartikel sich unter welchen Bedingungen aus welchen Kleidungsstücken
lösen", sagt Brandt. Polyester ist der häufigste Kunststoff für Textilien - und Fleece
gilt als besonders reiche Quelle für Mikroplastik, also Teilchen mit einem
Durchmesser von weniger als fünf Millimetern.

Die Waschtests sind Teil des vom Bundesforschungsministerium geförderten


Projekts "TextileMission", an dem unterem anderem auch die TU Dresden, ein
Waschmaschinen-, zwei Sportartikelhersteller und die Umweltschutzorganisation
WWF beteiligt sind. Brandts Team testet Stoffe aus konventionellen und
recycelten Synthesefasern, fängt die Faserreste mit fünf Filtern unterschiedlicher
Porengröße ab und analysiert die Rückstände. "Außerdem geht es uns darum, die
Mikroplastikeinträge aus Textilien durch eine optimierte Faserauswahl und neue
Textilkonstruktionen zu verringern und entsprechende Lösungsmöglichkeiten zu
testen", sagt Projektleiterin Maike Rabe, die das Projekt gemeinsam mit einer
Kollegin leitet.

Waschmaschine und Hygiene


Kleider aus der Keimschleuder
30 Grad und mildes Colorwaschmittel lassen Bakterien in der Waschmaschine besonders gut
gedeihen. Wissenschaftler warnen vor Infekten. Hanno Charisius

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Die Einträge komplett zu verhindern, sei unrealistisch. Schließlich lässt sich


Mikroplastik nicht einfach verbieten wie Einwegtüten oder Strohhalme. Für einen
Umstieg auf Kleidung aus Naturfasern fehlen schlicht die Anbau ächen. "Sie sind
schon jetzt knapp, obwohl nur noch 20 Prozent der weltweit produzierten Textilien
aus Baumwolle gefertigt werden", sagt Rabe. Synthetikfasern hätten
Eigenschaften, die bei Naturfasern nur mit komplizierten chemischen
Ausrüstungen erreicht werden könnten, und seien strapazierfähiger.

Jährlich landen Schätzungen der Weltnaturschutzorganisation IUCN zufolge


zwischen zwei und fünf Millionen Tonnen Mikroplastik in der Umwelt. Auf Äckern,
in Flüssen, Seen, Meeren und im Packeis der Antarktis wurden die Partikel schon
entdeckt. Auch in vielen Lebewesen, von der Muschel bis zum Menschen. In
Deutschland tragen einer Studie des Fraunhofer Instituts Umsicht in Oberhausen
zufolge Waschmaschinen mit etwa 90 Gramm pro Person und Jahr zu den
Emissionen bei, Platz zehn von 51 untersuchten Quellen.

Auch Kunstrasenplätze, Reifen und Straßenmarkierungen setzen


jede Menge Partikel frei
Noch mehr Partikel werden unter anderem aus Kunstrasenplätzen,
Fahrbahnmarkierungen, bei der Abfallentsorgung und durch Reifenabrieb
freigesetzt, der das Ranking mit einem Jahresbeitrag von mehr als 1200 Gramm
pro Person anführt. Die meisten Plastikteilchen aus Waschmaschinen, nämlich
mehr als 98 Prozent, werden zwar in Kläranlagen aufgehalten, in absoluten Zahlen
bleibt dennoch eine große Menge. So entlässt eine Anlage in Schottland jeden Tag
etwa 65 Millionen Teilchen in natürliche Gewässer, wie 2016 im Environmental
Science and Technology zu lesen war. Und der Filtereffekt ist obsolet, wenn der
mikroplastikhaltige Klärschlamm als Dünger auf Feldern verteilt wird.

Noch ist unklar, ob die Faserreste Mensch und Tier schaden. Kunststoffe sind sehr
reaktionsträge, könnten aber schädliche Zusatzstoffe enthalten oder krank
machende Substanzen anlagern. Ökotoxikologische Untersuchungen haben zwar,
vor allem bei hohen Konzentrationen, Effekte gefunden, doch Studien zur
Risikobewertung geben für die nächsten Jahrzehnte im Wesentlichen Entwarnung.

"In Europa ist Mikroplastik wahrscheinlich kein Problem. In Asien findet man
mancherorts leichte Schwellenwertüberschreitungen. Dort gibt es also eine sehr
kleine Wahrscheinlichkeit für Effekte", sagt Bernd Nowack vom Schweizer
Forschungsinstitut Empa, der kürzlich in Environmental Toxicology and Chemistry
eine Risikostudie zu Mikroplastik in Ober ächengewässern veröffentlicht hat. Von
Umweltwissenschaftlern bekomme er mitunter zu hören, er solle sich besser um
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Substanzen mit bekannter Giftwirkung kümmern. "Das Thema Mikroplastik ist


aber gesellschaftlich relevant", sagt Nowack.

Derweil könnten Textilhersteller einiges tun, um den Mikroplastikausstoß zu


bremsen. "Ich weiß nicht, ob Sie schon einmal in einer Spinnerei oder Strickerei
waren, aber da iegt oft überall Material in der Luft herum, das sich in den
Textilien verfangen kann", sagt Brandt. Fabriken mit effizienten Absauganlagen
seien in Deutschland zwar Standard, global aber die Ausnahme. Auch die
Endreinigung der Stoffe und Kleidung müsste verbessert werden. Viele der
Partikel aus der Waschmaschine sind Produktionsrückstände.

Langfristig sollten bioabbaubare Fasern zum Einsatz kommen, sagt Brandt.


Allerdings müsse hier ein guter Kompromiss erst noch gefunden werden. Je
leichter Fasern von Mikroorganismen in der Natur zersetzt werden können, desto
schlechter schneiden sie in Sachen Langlebigkeit und Strapazierfähigkeit ab.

Welchen Beitrag Mikropartikelfilter für Waschmaschinen leisten können, ist


fraglich. "Wir waschen hier fabrikneue Kleidung und müssen unsere Filter
während einer Wäsche mehrfach wechseln, weil die sich einfach schnell zusetzen.
Wie soll das im Alltag mit dreckiger Wäsche funktionieren?", sagt Brandt. Filter mit
größeren Poren würden zwar nicht so schnell verstopfen, aber wieder mehr
Teilchen durchlassen. Ein Team am Fraunhofer Institut Umsicht arbeitet deshalb
an Filtern, die selektiv nur Plastikfasern abfangen sollen. Das könnte gelingen, weil
diese länger sind als die meisten Dreckteilchen.

Die quietschbunte Kugelaus Plastikösen soll Fasern aus Kunststoff


sammeln
Helfen sollen auch feinporige Waschnetze wie der "Guppyfriend", den ein Berliner
Start-up anbietet. "In unseren Tests hat er nur eine geringe Menge Fasern
zurückgehalten", sagt Brandt. Und das Ganze sei nur dann sinnvoll, wenn der
Faserfang in den Hausmüll und nicht etwa ins Waschbecken oder Klo entsorgt
wird. Als Mikropartikelfänger wird auch der "Coraball" beworben, eine
quietschbunte Kugel aus Kunststoffösen. Wahrscheinlich zu Unrecht, wie erste
Versuche an der Hochschule Niederrhein und auch an der Schweizer Empa gezeigt
haben. Die Faserteilchen sind offenbar zu kurz, um in den Ösen hängen zu bleiben.

Einen Tipp für alle, die textiles Mikroplastik vermeiden wollen, hat Brandt dann
aber doch parat. "Die Waschmaschine sollte immer voll beladen werden. Das spart
nicht nur Waschmittel, Strom und Wasser, sondern reduziert auch die
Partikelmenge schon erheblich", sagt der Ingenieur.

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