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Hildesheimer
Brachenblüte
Vom Sammeln neuer Nutzer in einer Stadt, in
der Start-ups, Kulturschaffende und Kreativ-
wirtschaftler noch nicht die Entwicklung und
das Stadtmarketing prägen
Shedhalle, parzelliert
Die denkmalgeschützte Halle der Phoenix-Gummiwerke in Hildes-
heim musste einige Jahre warten, dass neue Nutzer einzogen.
Die Schwierigkeiten der Umnutzung waren nicht nur baulicher Natur,
sondern lagen auch in den Besonderheiten des Umfelds begründet
Steht man vor der ornamentalen Betonwabenfas siebziger Jahren eine gängige Aufgabe für Städ Gummifabrik 1956 in einer Epoche, für die Denk
sade des Kopfbaus der „Paschenhalle“ im Hil te, Investoren und Planer; die Liste der erfolg malschutz noch längst nicht allgemein akzep
desheimer Stadtteil Moritzberg, sollte man sich reichen Umnutzungen ehemaliger Produktions tiert ist. Zweitens ist ihre erfolgreiche Umnut
einen Moment Zeit vor dem Betreten des Gebäu stätten ist lang. Solche mit großem Flächenbe- zung auch vor dem Hintergrund eines größeren
des nehmen und den Blick noch einmal über den darf überwiegen aus naheliegenden Gründen: Mu Stadtumbauprojekts zu sehen. Schließlich kann
Parkplatz schweifen lassen, der sich zwischen seen mit wenig klimasensiblen, aber raumfor die gefundene neue Bestimmung als ungewöhn
dem revitalisierten Baudenkmal und der Phoenix dernden Exponaten sind darunter, aber auch Frei lich gelten, setzt sie doch auf Kleinteiligkeit und
straße sowie auf der Ostseite des Gebäudes in zeiteinrichtungen und größere Einzelhandels Mischnutzung – quasi eine parzellierte Aneignung
die Grundstückstiefe erstreckt. Hier kann sich unternehmen oder, noch profaner, Lagereinrich der seriellen und weit spannenden Konstruk
dem Betrachter nämlich ein unerwartetes, ziem tungen ohne viel Publikumsverkehr. Die Promi tion, die für Revitalisierungen in ähnlichem Um
lich buntes Bild bieten: Bullige, sorgfältig frisierte nenz der neuen Bestimmung hängt von mehre feld als beispielhaft gelten darf.
Gangsta-Gestalten klettern aus ihrem SUV, zwei ren Randbedingungen ab, etwa der Lagegunst Der Nutzungsmix – Büros, Wohnungen, ein Fit
Damen im Business-Kostüm schwingen sich aus des verwaisten Industriebaus, der historischen nessstudio – ist das Ergebnis eines langen Ent
einem Alfa Spider, und Eltern in Funktionsklei Relevanz des Unternehmens für die Ortsge wicklungsprozesses. Die Hanseatic Unterneh
dung mitsamt einer Kindergeburtstagsschar pur schichte oder seiner architektonisch-konstruk mensgruppe, die das Areal der Gummifabrik
zeln aus einem VW-Bus. Die Anlässe für einen tiven Bedeutung. 2006 erworben hatte, tat sich zunächst schwer
Besuch des umgenutzten Industriebaus im Hil Die Paschenhalle – ihr Architekt war der Hildes damit, einen Nutzer für die Paschenhalle zu fin
Das Gelände der Gummifab zentrum. Außer der Paschen
rik Phoenix wird heute von halle östlich des Bachlaufs desheimer Westen können unterschiedlicher heimer August Albert Steinborn (1904–2001), den: Die in einer Großstadt für ein solches Ambi
der neuen Phoenixstraße ge „Kupferstrang“ und dem Bü Natur sein, und entsprechend weit gefächert ist ihren Namen trägt sie nach dem damaligen Werks ente üblicherweise zu begeisternde Klientel –
teilt: Südlich liegt der denk rogebäude kündet der
das Publikum. direktor Ludwig Paschen – ist unter allen drei Start-ups, Kreativwirtschaftler, Kulturinstitutio
malgeschützte Verwaltungs Schornstein von der indus
bau aus den 50er Jahren, triellen Geschichte (s. auch Die Wiederbelebung der baulichen Hinterlas Aspekten von Interesse. Zunächst entstand die nen – ist in der 100.000-Einwohner-Stadt Hildes
nördlich das neue Einkaufs vorige Seite). senschaften des Industriezeitalters ist seit den lang gestreckte Sheddachhalle der einstigen heim knapp, eine gewerbliche Entwicklung aber,
Architekt 1956
August Albert Steinborn
(1904–2001)
Architekt Umnutzung
Manfred Marquardt,
Hildesheim
Mitarbeiter
Marc Andre Dening, Shari
Steglich, Despina Toptsiou
Tragwerksplanung
Rowohl-Nolte, Hildesheim
Akustik + Bauphysik
Guido Dieze, Hildesheim
Landschaftsplanung
Homeister + Neumann +
von Weymarn, Hildesheim
Bauherr
Hanseatic Group,
Hildesheim 1 2 4
1 3 3 1
Hersteller
Ziegel Marant
von der Dachform der Halle profitieren. So richtig wie lässt sich solch ein Vo ner von einer im Zentrum
des Grundrisses angeordne
Interesse auf dem Immobilienmarkt weckte das lumen in eine kleinteiligere ten Treppe erschlossen.
2,3 Millionen teure, mit 600.000 Euro aus Stadt
umbaumitteln geförderte Wiederbelebungsvor
Nutzung überführen, etwa
haben allerdings erst, nachdem sich der Bauherr fürs Wohnen aufteilen?
entschlossen hatte, selbst vier Sheds für seine
Hauptverwaltung herzurichten.
Architekt Manfred Marquardt und sein Team
hatten aber nicht nur die räumliche Struktur zu
bewältigen, sondern auch Lösungen für das Auf
einandertreffen von Denkmalschutz und Bau
physik zu finden. Die Betondicke der Sheds etwa
misst gerade einmal acht Zentimeter, eine nahe
liegende Außendämmung aber schied aufgrund
des zu erhaltenen Ortgangdetails aus. Nun sorgt
eine innen aufgebrachte Foamglas-Schicht für
Heizenergieeinsparung. Keine Chance auf Erhalt
hatte hingegen die selbsttragende Fensterkon
struktion mit ihren Stahlprofilen und Einfachver
glasungen – für die neuen Alufenster wurde nur
die alte Teilung beibehalten, die braune Farbge
bung mit der Denkmalpflege abgestimmt. Hand
werklich repariert werden konnte das Betonwa
benfenster des Treppenhauses im Kopfbau, und
für die Ausbesserung der Sichtmauerwerkflä
chen fand sich beim masurischen Dorf Kalinowo
eine Ziegelei, die einen ähnlich lebhaft gezeich
neten Backstein liefern konnte.