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November 2010 DIE ZEIT No 48 ÖSTERREICH


ZEITGEIST

Macht Facebook zu!


Wie SMS und Internet
JOSEF JOFFE:
Baustelle
Bildung
die Kids falsch »verdrahten«

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Allison Miller, 14, jongliert 27 000 SMS und
Chats pro Monat; das wären 900 pro Tag. Diese
Flut erkläre ihre schlechten Zensuren. Die Schüle-
Foto (Ausschnitt): Christian M. Kreuziger/picturedesk.com
Die Regierung beweist,
rin an der Highschool von Woodside, dem Zen-
trum des Wagniskapitalismus in Silicon Valley, hat wie wenig ihr die
recht. Wer in seiner Wach-Zeit jede Minute (sta- Zukunft des Landes wert ist
tistisch) eine neue Nachricht bewältigen muss,
kann weder aufpassen noch lernen. VON JOACHIM RIEDL
Vergessen wir also den Streit über Gewalt-Vi-
deos; es gibt keinen beweiskräftigen Zusammen-
hang von Spielen und Tun. Interessanter ist die
Frage nach der Verblödung, die von den Compu-
ter- und Smartphone-Schirmen ausgeht. Auf zwei
Seiten hat die New York Times in Wired for Dis-
traction – etwa: »Verdrahtet bis zum Wahnsinn« –
den Stand des Wissens ausgebreitet. Kulturpessi- Für teure Tunnelbauten gibt es Geld, für die
misten dürfen sich freuen. Ausbildung des Nachwuchses eher nicht
Über die Hälfte der Kids (8 bis 18 Jahre) wird
während der Hausarbeiten elektronisch abgelenkt

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– durch Facebook, YouTube, TV und SMS. Was in Gipfelgespräch jagt das andere. Pro- Diskussion geraten, die mit den anstehenden Pro- zusätzliche Ganztagesschulplätze freuen, die bis sind dazu verdammt, den institutionalisierten
läuft da ab? Allisons Mitschüler Vishai erklärt: fessoren, Studenten, Lehrer, Elternver- blemen nur insofern in Zusammenhang steht, als 2013 geschaffen werden sollen. Mangel zu verwalten.
»Auf YouTube kriegst du die Story in sechs Minu- treter – alle pilgern in das Kanzleramt zu es sich um eine Machtfrage bei der Postenvergabe, Weniger Glück hatten die Universitätsvertre- Immerhin noch besser, als gleich auf Nulldiät
ten mit, aber ein Buch dauert viel zu lange. Sofort- einer kleinen Baustellenführung durch also Klientelwirtschaft, handelt. ter. Sie würden zusätzliche 300 Millionen Euro gesetzt zu werden, wie das nun der außeruniver-
Befriedigung ist besser.« das Bildungssystem. Mit den wenig durchdach- Das österreichische Schulsystem ist dadurch benötigen, um auch noch in vier Jahren den Be- sitären Forschung in Österreich blüht. Um dem
Das finden auch Erwachsene wie dieser Autor, der ten Kürzungen in den meisten Segmenten des gekennzeichnet, dass es aufgrund seiner verwirren- trieb im gegenwärtigen Rahmen aufrechterhalten akademischen Sektor überhaupt ein geringes Zu-
beim Schreiben der ersten drei Absätze schon dreimal Budgets hat die Regierung die breitestdenkbare den Kompetenzaufteilung zwischen Bund und den zu können. Doch die Rektoren holten sich eine brot bescheren zu können (eigentlich handelt es
im Netz und zweimal am Handy gewesen ist. Nur Widerstandsfront – von frommen Katholiken bis Ländern im internationalen Vergleich sehr teuer ist, glatte Abfuhr. Sie müssen sich nun überlegen, sich um die Rückerstattung bereits erfolgter Kür-
werden junge, unfertige Gehirne dergestalt falsch zu krawalligen Linksalternativen – gegen sich aber dennoch nur klägliche Ergebnisse liefert. Jeder welche Gebäudemieten sie künftig nicht mehr zungen), beschloss die Wissenschaftsministerin,
programmiert. »Sie werden nicht fürs Dranbleiben aufgebracht. Nun versucht sie, die aufgebrachten fünfte Pflichtschulabsolvent, besagen Studien, ist entrichten werden und welche Lehrveranstaltun- der gesamten bunten Palette unabhängiger For-
belohnt, sondern für das Herumhüpfen«, resümiert Gemüter zumindest ein wenig zu beruhigen. nicht in der Lage, sinnerfassend zu lesen, kann sich gen ersatzlos gestrichen werden. Wenn allerdings, schungseinrichtungen die Basisförderung kom-
Michael Rich von der Harvard-Medizinfakultät. »Wir Besonders groß ist der Erklärungsbedarf im also nach acht Jahren auf der Schulbank nicht ein- wie vage in Aussicht gestellt, ein Finanzierungs- plett zu streichen, was in vielen Fällen bedeutete,
ziehen eine Generation auf, deren Gehirne anders Bildungsbereich. Niemand kann in dem Flickwerk mal seinen Reim auf simple Texte machen. Die schlüssel auf Basis der Studienplätze Gültigkeit sie müssten liquidiert werden. Den brachialen
verdrahtet sind.« Und zwar fürs Suchtverhalten: an Initiativen in diese oder jene Richtung noch ein Ergebnisse der neuesten Pisa-Studie, die demnächst erlangen sollte, so führte das notwendigerweise Kahlschlag, eingefädelt von einer Gruppe eifer-
immer mehr Ablenkung in immer höheren Dosen. Konzept erkennen, geschweige denn eine politische veröffentlicht werden, dürften Gerüchten zufolge zu Zugangsbeschränkungen bei den Massenfä- süchtiger Universitätslehrer, nennt die Ministerin
Klingt plausibel. Der Kopf muss abspeichern, Willensbekundung. Nachdem Vizekanzler Josef noch ein wenig ernüchternder ausfallen. chern. Auch wenn die österreichische Variante »Strukturbereinigung«. Die Effizienz der einzel-
was er aufnimmt. Was aber sofort belohnt wird, Pröll seiner Koalitionspartei, der ÖVP, den Onkel- Die meisten Bildungsexperten sind sich einig, des Numerus clausus dann einen kosmetischen nen Institute müsse zuvor erst gar nicht über-
landet eher auf der Festplatte als lateinische Gram- kurs aufgezwungen hat (Oheim Erwin Pröll, Lan- dass dafür vor allem die verkarsteten Strukturen Tarnnamen verpasst bekommt. prüft werden, schnippte die Ministerin, selbst
matik. Das haben Tierversuche der Universität deshauptmann von Niederösterreich, rittert darum, verantwortlich sind, in denen viel Geld ver- Die Hochschulen leiden unter chronischer Universitätsprofessorin, vergangene Woche eine
San Francisco bestätigt. Ratten, die Tolles erlebt neben den Pflichtschullehrern auch alle übrigen sickert, das dann beim Ausbau eines effizienten Auszehrung ihrer Ressourcen. In den vergange- entsprechende Frage der Opposition aus dem
haben, zeigen im Kernspin erhöhte Gehirn-Aktivi- Bundeslehrer in seine Verfügungsgewalt zu be- Schulsystems, besonders was den Problembereich nen fünf Jahren mussten sie verkraften, dass die Plenarsaal. Sie kenne sich da bestens aus. Den
tät. Aber erst wenn sie zur Ruhe kommen, können kommen), ist die Konfusion komplett. Plötzlich ist Integration betrifft, fehlt. Zumindest kann sich Zahl der Studenten um 25 Prozent explodierte, betroffenen Institutionen wurde ihr Todesurteil
sie das Neue in ihrem Gedächtnis verankern. eine völlig unsinnige Debatte in das Zentrum der die Unterrichtsministerin aber nun über 80 000 ohne dass die Budgets nennenswert wuchsen. Sie in einem Serienbrief mitgeteilt.
Bei Menschen läuft’s ähnlich. Erst in der Ruhe-
phase kann das Gehirn Informationen verarbeiten,
um so Ideen miteinander zu verknüpfen – was wir
»Denken« nennen. »Die Erholungspause«, so Dr.
Rich, »ist für das Gehirn, was der Schlaf für den
Körper ist.« Folglich sei wieder »Langeweile« in der
Sendeschluss
Erziehung angesagt.
Der Klick verschafft einen schnelleren Kick als
Der ORF ist bankrott. Das verdankt er Führungskräften ohne Rückgrat
das Lesen einer Szene aus König Lear – das ist das

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Problem. Und was raten die Experten den Eltern? an müsste eigentlich den öffentlich- wie auf der Intensivstation häufig die lebenserhal- lange das Führungspersonal ausreichend Willfäh- in seinem Stiftungsrat, den ihm eine perverse
Zum Üblichen, wozu man kein Studium braucht. rechtlichen Rundfunk vor seinen zahl- tenden Maschinen abgestellt werden, weil keine rigkeit an den Tag legt. Es reicht, um die Günst- Gesetzeskonstruktion als Kontrollorgan beschert
»Sagen Sie den Kids: Macht Instant Messaging losen Kritikern in Schutz nehmen. Vor Aussicht mehr besteht, der todgeweihte Patient lingswirtschaft noch eine Zeit lang zu finanzieren. hat. In dem Spannungsfeld zwischen Medium
und Facebook zu. Gehen Sie mit gutem Beispiel den rabiaten Rechtsauslegern beispielsweise, die könnte eines Tages doch noch ins Leben zurück- Der Sender ist bankrott, weil er sein Humankapital und Politik wirbelt ein selbstreferenzieller Zirkus
voran, und schalten Sie ab. Oder sind Sie etwa jetzt auf den ORF einprügeln wie auf einen kehren. Agonie sollte nicht endlos währen dürfen. bis zum kleinsten Gedankensplitter aufgebraucht unentwegt gewaltige Staubwolken auf. Das trübt
selber Facebook-süchtig?« halbtoten Hund (»Vorwiegend Schwachsinn, Leider stimmt das meiste, was dem Sender von hat. Fernsehen, gleichgültig ob öffentlich-rechtlich beträchtlich den Blick auf das Eigentliche, auf
dafür politisch korrekt bis zum Kotzen«, urteilte allen Seiten vorgeworfen wird. Nahezu jede neue oder privat, lebt von Ideen, von verblüffenden Ein- die Programmgestaltung. Doch die Führungs-
einer jüngst über das Programmangebot). Aber Sendungsidee stellt sich seit geraumer Zeit als fällen, von Überraschungsmomenten, von der kräfte des Unternehmens haben mittlerweile be-
Foto: Mathias Bothor/photoselection

ebenso vor jenen Medienaposteln, die noch vor Reinfall heraus. Die altgedienten Formate Dramaturgie des Programmablaufes und griffen, dass ihr Geschick nicht von dem Pro-
kurzer Zeit frohgemut zu einer schmetternden holpern vor sich hin, lustlos herunter- GENOSSE davon, dass die mediale Inszenierung gramm abhängig ist, das sie eigentlich zu verant-
Rettungsaktion ausgeschwärmt waren und nun genudelt von einer Truppe, die ganz RT von gedanklichen Zusammenhängen worten hätten, sondern von den Launen, die
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ermattet die Sendeanstalt rettungslos verloren offensichtlich keinen Sinn mehr in ebenso wie von Ereignissen ein Pu- gerade die schwer durchschaubaren Interessens-
geben. All diese Schmähungen dürften eigentlich dem erkennen kann, was sie täglich blikum in den Bann zu ziehen weiß. koalitionen bestimmen.
nicht unwidersprochen bleiben, so viel Mitleid dem Land zumutet. Nur besonders Die einzige Währung, die in diesem Es steht nicht zu erwarten, dass sich die hoch
sollte sein. schlichte Gemüter in der Belegschaft Metier zählt, ist das kreative Poten- bezahlten Fachkräfte, die den ORF in die Bedeu-
Josef Joffe ist Allein, es geht nicht. Es fällt kein Licht mehr in meinen noch, sie könnten weiterhin zial der Programmgestalter. Doch die tungslosigkeit manövrieren, in absehbarer Zeit von
Herausgeber der ZEIT das Dunkel dieser provinziellen Trauerposse. Es ist im Scheinwerferlicht der allgemeinen müssen auch wissen, wofür ihr Sender diesem System emanzipieren werden. Im Gegen-
vorbei. Der ORF liegt im Koma. Weil der moderne Aufmerksamkeit glänzen. Die schmeißen sich steht. Es muss ein einsichtiges Leitbild vor- teil, sie werden sich noch tiefer in das Gestrüpp der
Frau Blondel, Englisch-Lehrerin an der Woodside Fernsehbetrieb keinen Sendeschluss mehr kennt, dann mit ungezügelter Leidenschaft vor die Ka- handen sein – selbst wenn es sich dabei um kon- Abhängigkeit verirren. Dem Programm kommt
High School, hat eine praktischere Idee. Sie lässt die flimmert immer noch irgendetwas über die Matt- meras, ziehen einen bedeutungsvollen Gesichts- sequentes Unterschichtfernsehen handelt, wie das bald nur mehr Alibifunktion zu, um die Existenz
Jugendlichen im Unterricht laut vorlesen, weil sie es scheibe, auf dem das Senderlogo dieser österrei- ausdruck auf und lesen Sätze ab, die ebenso wirr bei den Privaten meist der Fall ist –, an dem sich des Senders notdürftig zu rechtfertigen. Er existiert
allein nicht schaffen. Das ist reaktionär, auf jeden Fall chischen Institution klebt. Programm will man es wie nichtssagend sind. Es sind Augenblicke, in die gesamte Mannschaft orientieren kann. aber lediglich deshalb in all seiner Agonie weiter,
Lowtech. Und nicht einfach für die Eltern. Inzwi- nicht nennen müssen. Sagen wir, es sind wie von denen das Peinliche sehr wehtun kann. Zu allem Im ORF ist das längst nicht mehr der Fall. In weil jeder Popanz, dem ein Mandat oder ein Amt
schen hat der Vater 39 Instant Messages mit seinen Geisterhand programmierte Abfolgen von Bildern Unglück häufen sie sich. der Endloskrise der vergangenen Jahre hat der zugefallen ist, fest daran glaubt, er wäre ein bedeu-
beiden Töchtern ausgetauscht. Die eine saß in Lon- und Geräuschen in Endlosschleife. Es wäre barm- Der ORF ist schlicht konkursreif, nicht im Sender jegliches Selbstbewusstsein eingebüßt. tender Mensch, bloß weil er ein paar Mal im Fern-
don, die andere beim Arzt in Amerika. Die Nummer herziger, würde irgendjemand einfach den Stecker handelsrechtlichen Sinn, denn der Staat schaufelt Jetzt orientiert er sich an opportunistischen Zwi- sehen auftauchen darf. Sogar dann, wenn schon
mit der Briefmarke kommt nie wieder. rausziehen und die Energieversorgung kappen, so genügend Kohle in den schnaufenden Kessel, so- schenrufern und an den ferngesteuerten Wesen lange niemand mehr zuschaut. JOACHIM RIEDL

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