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zukunft forschung

MAGAZIN FÜR WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG DER UNIVERSITÄT INNSBRUCK

Ausgabe 02|10 thema junge wissenschaft: die vielfalt der innsbrucker nachwuchs-
forschung – wurzelparasiten, neulateinische texte, quantenphysik, kundenintegra-
tion |archäologie: antikes alltagsleben | architektur: das werk des vladimir šuchov

NACHWUCHS
SCHMIEDE
EDITORIAL

LIEBE LESERIN, LIEBER LESER,

D
er wissenschaftliche Nachwuchs trägt rund 80 Prozent unter nicht immer einfachen Rahmenbedingungen eine interna-
zur Forschungsleistung der Universität Innsbruck bei tional konkurrenzfähige Arbeit leisten. Beispiele finden Sie auch
und ist damit eine tragende Säule des Forschungsbe- in dieser Ausgabe von ZUKUNFT FORSCHUNG. Um unseren
triebs. Um dem Rechnung zu tragen, haben wir diese Ausgabe erfolgreichen Weg fortsetzen zu können und auch im internati-
unseres Magazins ZUKUNFT FORSCHUNG zu einem großen onalen Vergleich weiter nach vorne zu kommen, brauchen wir
Teil den Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern jedoch bessere Rahmenbedingungen. Kurzsichtiges Sparen im
gewidmet. Ihre Leistungen, ihre Vorstellungen und Träume, ihre Bereich von Wissenschaft und Bildung wird unsere Ziele hier
Erlebnisse stehen im Mittelpunkt dieses Hefts. Und wir stellen nicht unterstützen, sondern schon sehr schnell dazu führen, dass
ihre Forschungsvorhaben und -ergebnisse vor. Die Palette der wir zurückfallen werden. Das schadet nicht nur der Universität
Themen reicht dabei von der Latinistik über die pharmazeutische und ihren Studierenden, es schadet auch der Zukunft unserer
Forschung bis hin zu den Wirtschaftswissenschaften. Die diesjäh- Volkswirtschaft, denn Bildung und Forschung sind die Motoren
rige Auszeichnung von Barbara Kraus und Florian Schreck mit für wirtschaftliches Wachstum und damit die Grundlage für eine
dem höchsten österreichischen Nachwuchspreis, dem START- positive Entwicklung und internationale Konkurrenzfähigkeit.
Preis, und von Francesca Ferlaino und Gregor Weihs mit dem ERC
Starting Grant, dem wichtigsten europäischen Nachwuchspreis, Wie immer freuen wir uns über Ihre Fragen und Anregungen!
bestätigt den erfolgreichen Weg unseres Forschungsnachwuchses
und unterstreicht die führende Rolle der Universität Innsbruck als
Forschungsuniversität.
Diese Position wurde auch im internationalen Hochschulran-
king der Fachzeitschrift Times Higher Education bestätigt. Erst-
mals wurde die Universität Innsbruck dabei als beste österreichi-
sche Universität bewertet und als eine der weltweit 200 besten
Universitäten gereiht. Die Grundlage dafür haben unsere Mitar- KARLHEINZ TÖCHTERLE, REKTOR
beiterinnen und Mitarbeiter in Lehre und Forschung gelegt, die TILMANN MÄRK, VIZEREKTOR FORSCHUNG

IMPRESSUM
Herausgeber: Leopold-Franzens-Universität Innsbruck, Christoph-Probst-Platz, Innrain 52, 6020 Innsbruck, public-relations@uibk.ac.at, www.uibk.ac.at
Projektleitung: Büro für Öffentlichkeitsarbeit und Kulturservice – Mag. Uwe Steger (us), Dr. Christian Flatz (cf)
Medieninhaber & Verleger: ECHO Zeitschriften- und Verlags GmbH, Eduard-Bodem-Gasse 6, 6020 Innsbruck, www.echoonline.at
Redaktion: David Bullock (db), Mag
Daniel Sailer (ds); Layout & Bildbearbeitung: Thomas Binder; Fotos: Andreas Friedle, Universität Innsbruck;
Druck: Alpina Druck GmbH, Haller Straße 121, 6014 Innsbruck

Foto: Andreas Friedle zukunft forschung 0210 3


BILD DER
WISSENSCHAFT
INHALT

TITELTHEMA
ROUND TABLE. Zwei junge Forscherinnen und zwei Nach-
wuchswissenschaftler der Universität Innsbruck diskutieren über
ihre Karrierewege, unterschiedliche Arbeitsweisen und nächtliche
Arbeitszeiten sowie die Probleme, ihre Fachgebiete am Stammtisch
zu erklären. @ 8

SIGRID NEUHAUSER. Ein Wurzelparasit begleitet die Mikrobio- 8


login seit dem Beginn ihrer Karriere. 14
TITEL. Die Nachwuchsforscherinnen und -forscher tragen
STEFANIE GAPP. Die Wirtschaftswissenschaftlerin widmet sich in einen wesentlichen Teil zu den Forschungsleistungen der Uni-
ihrer Forschungsarbeit Entscheidungsprozessen. 15 versität Innsbruck bei. ZUKUNFT FORSCHUNG stellt zehn
von ihnen im Gespräch und in Porträts vor.
KATRIN WINKEL. Das scheinbar einfache Molekül Wasser, das
immer noch viele Rätsel aufgibt, hat es der Chemikerin angetan. 16

BARBARA WEBER. Die Informatikerin setzt sich mit Ideen und


Konzepten der agilen Software-Entwicklung auseinander. 17

BEN MARZEION. Mit speziellen Computermodellen untersucht


der Geograf den Einfluss des Klimas auf tropische Gletscher. 18

ANDREAS MÜLLER. Auf Fragen des Völker- und Europarechts hat


sich der Jurist spezialisiert. 19 26

ARCHITEKTUR. Der Bauhistoriker Rainer Graefe dokumen-


tiert in einem Forschungsprojekt die herausragenden Leistun-
FORSCHUNG gen des russischen Ingenieurs Vladimir Grigor‘evič Šuchov.

STANDORT. FWF-Präsident Christoph Kratky über den Stellenwert


der Grundlagenforschung in Österreich. 22

BOTANIK. Pflanzen im Alpenraum haben durch Polyploidie – die


Vermehrung der Chromosomensätze – klare Vorteile. 30

SPRACHUNTERRICHT. Innsbrucker Forscher untersuchen die


Bedeutung des metalinguistischen Bewusstseins. 32

ÖKOLOGIE. Wie sich Hitzewellen auf Mensch und Ökosystem aus- 34


wirken, hängt auch von der Art der lokalen Bodenbedeckung ab. 37
ARCHÄOLOGIE. Dem Leben indigener Bewohner
RECHTSWISSENSCHAFTEN. Bewegen wir uns auf einen hyper- sind Innsbrucker Archäologen auf dem Monte Iato im
modernen Rechtsstaat zu? Diese Frage diskutieren Juristen. @ 38 westsizilischen Binnenland auf der Spur.

RUBRIKEN
EDITORIAL/IMPRESSUM 3 | BILD DER WISSENSCHAFT: NIGELLA SATIVA 4 | NEUBERUFUNG: JUSTUS PIATER 6 | FUNDGRUBE VERGANGENHEIT: DIE STERNWAR-
TE 7 | BILDGLOSSAR: FORSCHUNGSOBJEKTE 20 | PATENTE & SPIN-OFFS 24 | MELDUNGEN 33 + 44 | CAST 40 | TRANSIDEE 43 | PREISE & AUSZEICHNUNGEN
45 | ZWISCHENSTOPP: NILS ANFINSET 48 | SPRUNGBRETT INNSBRUCK: CLAIRE GMACHL 49 | ZAHLEN & FAKTEN: NATURSTEINRESSOURCEN IN TIROL 50
@ Zu diesen Beiträgen finden Sie weitere Infos auf: www.uibk.ac.at/forschung/magazin/5/

Die Aufnahme zeigt die detaillierte Struktur (Ultrastruktur) der Samen- von Werner Kofler und Dr. Herbert Knapp im Zuge von Forschungen
schale des Echten Schwarzkümmels (Nigella sativa) bei 1000-facher zur Formenvielfalt und Ultrastruktur von Samen gemacht. Der echte
Vergrößerung. Die Aufnahme wurde auf einem Philips XL20 Raster- Schwarzkümmel wird seit über 2000 Jahren als Gewürz und Heil-
elektronenmikroskop am Institut für Botanik der Universität Innsbruck mittel verwendet. @

Fotos: Werner Kofler/Herbert Knapp (1), Andreas Friedle (2), Zürcher Ietas-Grabung (1) COVERFOTO: Andreas Friedle zukunft forschung 0210 5
NEUBERUFUNG

ROBOTER
LERNEN LERNEN
Der Informatiker Justus Piater arbeitet daran, dass sich Roboter
„nützliches Weltwissen“ selbstständig aneignen können.

M
an denkt unweigerlich an den Film zu den Sinneseindrücken – unser Allgemeinwissen
ZUR PERSON „I, Robot“, wenn man mit Justus Pia- und Verständnis unseres Umfelds massiv zu Nut-
ter, seit Kurzem Professor für Informa- zen macht. Unsere Umgebung stellt alle Informa-
tik mit Schwerpunkt „Intelligente Systeme“ an der tionen zur Verfügung, aber wir müssen im Alltag
Universität Innsbruck, über sein Forschungsgebiet nur wenig auf sie zugreifen, um uns zurechtzu-
spricht. Doch während in dem Science-Fiction- finden. „Es geht mir darum, solche Informatio-
Krimi der Roboter Sonny, der neben seiner logi- nen, die für Interaktion hilfreich sind, aus Bildern
schen Zentraleinheit eine zweite Zentraleinheit für herauszuholen“, erzählt Piater, dessen bisherige
Emotionen besitzt, lernen muss, mit diesen Emo- Forscherlaufbahn unter anderem ein Fulbright-
Justus Piater studierte in tionen umzugehen, denkt Piater an eine andere Stipendiat in den USA, ein Marie-Curie-Stipendiat
Braunschweig sowie Magde- „Zentraleinheit“. Ihm geht es darum, wie man in Frankreich und ein Jahr als Gastwissenschaftler
burg und schloss 1994 mit Roboter oder Maschinen mit computerbasierten am Max-Planck-Institut für Biologische Kybernetik
dem Diplom ab. An der Fähigkeiten ausstatten kann, sodass diese selbst- in Tübingen beinhaltet. In Innsbruck will er sich
University of Massachusetts ständig etwa durch Interaktion, Experimentieren nun, wie er sagt, auf die großen Ziele konzentrie-
machte er einen M.Sc. und oder Beobachten lernen können. ren, die durch sein Interesse an der semantischen
einen Ph.D. in Computer Interpretation visueller Wahrnehmungsinhalte be-
Science, danach war er beim GROSSE ZIELE dingt sind: autonome Systeme zu konstruieren, die
Forschungsinstitut INRIA Rhô- Ausgangspunkt für Piaters Forschungsgebiet war sich in unstrukturierten, für Menschen gemachten
ne-Alpes, ehe er 2002 Pro- sein Interesse an Bildverarbeitung, das sich immer Umgebungen zurechtfinden und nützlich machen,
fessor für Informatik an der mehr in Richtung visuelle Wahrnehmung zu Zwe- beispielsweise für wissenschaftliche Exploration
Université de Liège in Belgien cken der Interaktion orientierte – wobei ihn immer oder in der Form von Haushaltsrobotern. Sozu-
wurde. Seit September 2010 der Aspekt der künstlichen Intelligenz gereizt hat. sagen eine Ausgangssoftware zu entwickeln, die
ist er Professor am Institut für Die menschliche Wahrnehmung funktioniert ex- es Robotern möglich machen soll, sich „nützliches
Informatik in Innsbruck. trem robust und effizient, weil sie sich – zusätzlich Weltwissen“ selbstständig anzueignen. ah

6 zukunft forschung 0210 Fotos: Andreas Friedle


FUNDGRUBE VERGANGENHEIT

STERNENJÄGER
Der Bau der ersten Sternwarte in Innsbruck war eine Privatinitiative
des Astronomen Egon von Oppolzer – und bildete die Grundlage für
die heutige Forschung am Institut für Astro- und Teilchenphysik.

E
s war sozusagen ein Glücksgriff für die Uni-
versität Innsbruck. Nach dem Tod von Eduard
von Haerdtl im Jahr 1897 war der erst fünf Jah-
re zuvor eingerichtete Lehrstuhl für Theoretische As-
tronomie wieder verwaist – und eine Nachbesetzung
war ohne eigene Sternwarte schwierig. Für Egon von
Oppolzer war es allerdings eine Chance. „Ich ziehe
es vor in Innsbruck ernannt zu werden vornehmlich
deshalb, weil mir dieser Ort besser geeignet erscheint
zur Aufstellung meines im Bau befindlichen Zenittele-
skopes“, erklärte er im Jahr 1901 und nahm die Stelle
eines Außerordentlichen Professors in Innsbruck an. Ab
1904 begann er mit dem Bau einer Sternwarte im heu-
tigen Innsbrucker Stadtteil Hötting, den er aus eigenen
Mitteln finanzierte – unter anderem verkaufte er sei-
ne wertvolle Gemäldesammlung. Und die Sternwarte EGON
konnte sich sehen lassen, mit ihren – zum Großteil noch VON OPPOLZER
erhaltenen – Instrumenten war sie bei Inbetriebnahme
die modernste in Österreich. Die Kaiserliche Akademie Der 1869 in Wien geborene
der Wissenschaften finanzierte ein Zeiss-Spiegeltele- Egon von Oppolzer ent-
skop mit 40 Zentimetern Öffnung, das als eines der stammte einer Gelehrtenfa-
ersten mit einer Entlastungsmontierung versehen war. milie. Sein Großvater Johann
Und dann war da noch das nach Plänen Oppolzers war Arzt und wichtiger
gebaute Zenitteleskop, das für die Beobachtung der Vertreter der Zweiten Wiener
Polhöhenschwankung gedacht war. Oppolzer selbst Medizinischen Schule, sein
konnte allerdings nicht lange in der Sternwarte arbei- Vater Theodor Astronom.
ten. 1906 zum Ordentlichen Professor ernannt, starb er Egon von Oppolzer studierte
schon 1907 an einer Blutvergiftung. in Wien mathematische
Wissenschaften und forschte
GRUNDLAGE EINER ENTWICKLUNG ab 1897 an der Sternwar-
Zwei Jahre später kaufte der Staat den Erben Oppolzers te in Prag. Nach seiner
die Sternwarte ab und gliederte sie in die Universität Habilitation lehnte er eine
Innsbruck ein – sie sollte lange die einzige in Innsbruck Stelle als Astronom in Prag
bleiben. Seit 1996 besitzt das heutige Institut für As- ab und entschied sich 1901
tro- und Teilchenphysik eine moderne Sternwarte im für eine (anfangs unbezahlte)
Viktor-Franz-Hess-Haus am Technikareal. Zwei Grund- Stelle als Extraordinarius in
lagen für Forschung und Lehre am – von Prof. Sabine Innsbruck. In seiner wissen-
Schindler geleiteten – Institut, das mit der Berufung von schaftlichen Arbeit beschäf-
Olaf Reimer im Jahr 2009 eine zweite Professur erhal- tigte sich Oppolzer unter
ten hat. Der Beitritt Österreichs zur ESO (Europäische anderem mit Fragen der
Die Sternwarte in Hötting wurde 1904 von Südsternwarte) im Jahr 2008 ermöglicht den heimischen Sonnenphysik und der Pol-
Egon von Oppolzer errichtet (ob.). Nach Forschern heute den Zugang zu den weltweit leistungs- höhenschwankung. Am 15.
seinen Plänen wurde auch das Zenitteleskop fähigsten Großteleskopen – eine Entwicklung, deren Juni 1907 starb Oppolzer
gebaut (Mitte). 1905 kam ein 40-Zentimeter- Ausgangspunkt auch die Privatinitiative von Egon von überraschend an den Folgen
Spiegelteleskop dazu (un.). Oppolzer war. ah einer Blutvergiftung.

Fotos: Volker Witt (4) zukunft forschung 0210 7


INTRINSISCH
MOTIVIERT
Zwei junge Forscherinnen und zwei
Nachwuchswissenschaftler der Universität
Innsbruck über ihre Karrierewege,
unterschiedliche Arbeitsweisen und
nächtliche Arbeitszeiten sowie die Probleme,
ihre Fachgebiete am Stammtisch zu erklären.

Foto: Andreas Friedle


TITELTHEMA

Round Table zum Thema ZUKUNFT: Herr Danzl, Sie haben sowohl Medizin bei mir nicht gegangen. Wir sind ein kleines Insti-
Nachwuchsforschung: als auch Physik studiert. Nun denkt man bei ei- tut, insofern ist der Pool an zur Verfügung stehen-
Johann G. Danzl, Julia nem Medizinstudium doch an eine anschließende den Stellen gering. In meinem Fall war dann ein
Hautz, Daniela Schuster Karriere als Arzt, Sie sind jetzt aber am Institut für FWF-Projekt der Startschuss. Ich konnte publizie-
und Florian Schaffenrath. Experimentalphysik. Wie kam es dazu? ren, war auf Kongressen und bin langsam in den
(v.li.) JOHANN G. DANZL: Ich hatte immer ein star- Wissenschaftsbetrieb hineingewachsen.
kes Interesse an fundamentalen Zusammenhän- ZUKUNFT: Sie kommen aus einer Studienrichtung,
gen. Begonnen habe ich mit Medizin, die auf der die sehr viele Studierende hat. War es dort schwie-
einen Seite den Arztberuf möglich macht, auf der riger, im Wissenschaftsbetrieb Fuß zu fassen?
anderen aber auch eine breite Ausbildung in bio- JULIA HAUTZ: Auch bei uns sind die Ressourcen
medizinischen und humanwissenschaftlichen Be- relativ beschränkt. Die meisten meiner bisherigen
reichen bietet. Nach zwei Studienjahren entstand Stellen waren Stipendien- und Drittmittelstellen.
der Wunsch, tiefer in die Naturwissenschaft zu ge- Auch in der Zukunft wird viel davon abhängen,
hen und so begann ich, parallel Physik zu studie- ob ich weiter Drittmittel generieren kann. Vom
ren. Nach Abschluss des Medizinstudiums wollte Verlauf her war es aber auch auf der SoWi ähn-
ich mir eine solide Grundlage in Experimentalphy- lich – ein sehr interessantes Diplomarbeitsprojekt,
sik erarbeiten, die Wahl fiel auf die Quantenphy- bei dem es durch den Betreuer ermöglicht wurde,
sik. Daraus ergab sich ein sehr spannendes wissen- weiter daran zu arbeiten. Das konnte ich mit der
schaftliches Projekt, und diese Herausforderung Dissertation verbinden, während dieser Zeit haben
wollte ich dann auch annehmen. sich neue Projektmöglichkeiten ergeben usw.
ZUKUNFT: Sie haben ein Projekt erwähnt, an dem ZUKUNFT: Wie ist das bei den Pharmazeuten?
Sie mitgearbeitet haben. Ist eine wissenschaftliche DANIELA SCHUSTER: Pharmazeuten haben oft
Karriere für junge Forscher ohne diese Projekte ei- die Apotheke im Hinterkopf, vor allem zu Stu-
gentlich möglich? dienbeginn, da viele nicht wissen, was im For-
FLORIAN SCHAFFENRATH: Ohne die Möglich- schungsbereich möglich ist. Spätestens im letzten
keit, über Projekte an der Uni zu bleiben, wäre es Studiendrittel öffnen sich viele Türen. Für mich

10 zukunft forschung 0210 Fotos: Andreas Friedle (2)


TITELTHEMA

Florian Schaffenrath, geboren 1978 in Innsbruck, absolvierte von 1996 bis 2000 das
Lehramtsstudium der Klassischen Philologie in Heidelberg, Innsbruck und Siena. Nach dem
Probejahr begann er sein Doktoratsstudium an der Universität Innsbruck. 2005 promovierte
er sub auspiciis praesidentis rei publicae mit einer Arbeit über das epische Gedicht „Colum-
bus“ des Jesuiten Ubertino Carrara. Als Forschungsassistent wirkte Schaffenrath ab 2002 am
FWF-Projekt „Geschichte der Lateinischen Literatur in Tirol“ mit. Er ist seit mehreren Jahren
wissenschaftlicher Mitarbeiter und seit September 2010 Assistenzprofessor am Institut für
Sprachen und Literaturen. Zu seinen Forschungsinteressen zählen neben dem neulateini-
schen Epos und der neulateinischen Literatur u.a. die allegorische Homerinterpretation, die
Schriften des Marco Polo sowie die Philippischen Reden Ciceros, mit denen er sich in seinem
Habilitationsvorhaben beschäftigt. Er erhielt zweimal den „Würdigungspreis für hervorragen-
de Studienleistungen“ des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft.

war es nicht so schwierig, in die Wissenschaft hin- für sehr gut qualifizierte (Nachwuchs-)Forscher at-
einzukommen. Es gab viele Projekte, die Konkur- traktiv zu sein.
renz war aber auch nicht so groß, da eben viele in SCHAFFENRATH: Ein wesentlicher Unterschied
die Apotheke gehen. Insofern bleiben uns weniger zwischen dem natur- und dem geisteswissen-
Wissenschaftler als wir gerne hätten. schaftlichem Betrieb ist der, dass bei den Naturwis-
DANZL: Das ist ein wesentlicher Punkt – die Su- senschaften die Eingliederung in eine Forschungs-
che nach qualifizierten Mitarbeitern. Schon auf gruppe sehr wichtig ist. In den Geisteswissenschaf-
der Ebene eines Nachwuchswissenschaftlers ist ten ist es doch immer noch die Einzelleistung
dies ein wichtiger Punkt für den Erfolg. Und da ist – ich kann mir kein Team anstellen, das für mich
es nicht so, dass die guten Leute Schlange stehen. ein Buch liest. Lesen muss ich es selbst. Für den
Gute Leute, die begeistert sind, Ideen haben, etwas Geisteswissenschaftler gibt es nach dem Dokto-
weiterbringen wollen, sind immer willkommen. rat eigentlich nur eine Aufgabe – die Habilitation.
ZUKUNFT: Kann es auch daran liegen, dass man Und diese schreibt man nicht mit einem Team, das
heute für eine wissenschaftliche Karriere von sich macht man in den Nachtstunden allein.
aus aktiv und flexibel sein muss – und dass dies DANZL: Trotzdem ist es wichtig, dass man gute
junge Leute abschreckt? Rahmenbedingungen, starke Diskussionspartner,
SCHUSTER: Das Problem ist sicher der Einstieg. eine intellektuell stimulierende Umgebung hat
Ein Projekt wird eingereicht, dann wird es geneh- – und da ist die Parallelität gegeben.
migt oder nicht, wenn es genehmigt wird, gibt es HAUTZ: Bei uns ist eine Habilitation kaum zu
eine Frist, bis es losgeht. Da muss man sozusagen schaffen, wenn man alleine arbeitet. Der Trend
Stand-by stehen, muss auch spontan sein. Wenn geht weg von der Monografie hin zu kumulativem
ein Projekt läuft, sich neue Ressourcen auftun, Arbeiten. Es geht darum, eine Anzahl von Journal
dann geht es besser. Papers zu erreichen – wenn man das in einer ge-
ZUKUNFT: Kann man heute noch von einer klassi- wissen Zeit schaffen will, geht es nicht ohne Team.
schen Wissenschaftslaufbahn sprechen? Leute, die andere Methoden, einen anderen Zu-
DANZL: In den Naturwissenschaften ist es gang gang zu Daten oder einen anderen Theorieansatz
und gäbe und auch sinnvoll, sich unterschiedliche haben. Wir arbeiten daher sehr stark in Teams.
Dinge anzuschauen. Eine durchgängige Karriere Dazu kommt noch die internationale Vernetzung,
von Diplomarbeit, Dissertation usw. an einem Ins- man schaut weltweit, wer am besten weiterhelfen
ZITIERT
titut ist nicht mehr die Regel, die Laufbahn spielt kann. Daher ist es wichtig, ins Ausland zu gehen, „Das Problem bei der wis-
sich auf verschiedenen Instituten ab. Daher ist es internationale Konferenzen zu besuchen usw. senschaftlichen Laufbahn ist
wichtig, dass diese eine gute Ausgangslage für SCHUSTER: Im Bereich der Life Sciences ist es in- sicher der Einstieg. Ein Pro-
zukünftige Aufgaben bieten. Es ist eine wichtige nerhalb der Arbeitsgruppe wichtig, dass man zu- jekt wird eingereicht, dann
Zeit, sich in eine gute Position zu bringen, um sammenarbeitet und sich Methoden beibringt. Fast wird es genehmigt oder
später eigene Dinge erforschen zu können. Daher noch wichtiger aber ist die interdisziplinäre Schie- nicht, wenn es genehmigt
ist es sinnvoll, sich gute Gruppen, gute Unis aus- ne. Die einen machen bestimmte Messungen im wird, gibt es eine Frist, bis
zusuchen. Und für die österreichischen Unis ist es Labor, im nächsten Labor werden andere Messun- es los geht. Da muss man
wichtig, dass man sich an den besten orientiert, um gen durchgeführt. Die Ergebnisse fließen zusam- sozusagen Stand-by stehen,
men, werden gemeinsam ausgewertet, man tritt muss auch spontan sein.“
Das gesamte Interview finden Sie auf www.uibk.ac.at/forschung/magazin/5/ in einen regen internationalen Dialog mit anderen Daniela Schuster

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TITELTHEMA

Arbeitsgruppen. Das ist notwendig, um sinnvoll um Innovationsmanagement und Kundenintegra-


Forschung zu betreiben. tion in Innovationsprozesse. Da kann man ganz
DANZL: Bei uns ist Teamarbeit das Um und Auf gut mit Beispielen arbeiten: Zum Beispiel gibt es
– eine sehr gute Zusammenarbeit besteht mit The- im Internet Tools, mit denen man sich Turnschu-
oretischen Physikern in Europa und den USA und he selbst designen kann – und wir untersuchen
besonders auch in Innsbruck, wir publizieren auch dann, wie sich das für Kunden und Unternehmen
mit ihnen. Wir holen uns dort zusätzliche Experti- auswirkt.
sen für unsere Experimente. SCHUSTER: Früher war es schwieriger, heute geht
ZUKUNFT: Sie waren fast alle während des Studi- es besser – es gibt ja CSI. Wenn ich sage, dass ich
ums im Ausland. Ist das heute notwendig für eine Computermodelle zur Vorhersage von bestimmten
spätere wissenschaftliche Laufbahn? Aktivitäten von Molekülen erstelle, kann man sich
SCHAFFENRATH: Ich kann es nur unterstützen. das wie bei CSI vorstellen: Computersimulation,
Es bringt sehr viel, wenn man schaut, wie der Be- bei denen in den Menschen hineingezoomt wird.
Bei mir sind die Untersuchungsobjekte halt kleiner.
Die 1984 geborene Tiro- Mehr ins Detail gehe ich dann aber nicht mehr.
lerin Julia Hautz studierte DANZL: In der Regel stoße ich auf sehr gute Re-
nach der Matura an der sonanz. Die Menschen sind fasziniert, wenn man
HTL für Bau & Kunst in sagt: Man schaut, was möglich ist, versucht neue
Innsbruck Internationale Systeme für die Untersuchung zu erschließen, um
Wirtschaftswissenschaften zu testen, ob unsere Modelle von der Wirklichkeit
an der Universität Inns- stichhaltig sind. Natürlich liefere ich Beispiele.
bruck. Nach zwei Auslands- Wozu braucht es die Kontrolle von Quantenzu-
semestern in den USA und ständen schon heute – z. B. für moderne Atom-
Abschluss ihres Diplom- uhren.
studiums 2007 beendete SCHAFFENRATH: Ihr habt es etwas leichter. Die
Hautz das Doktorat der Naturwissenschaften, speziell die Physik und die
Sozial- und Wirtschaftswis- Ökonomie sind heute die Leitwissenschaften – sie
senschaften 2010 und ist sind in keiner Verteidigungssituation.
nun Kandidatin für eine sub- trieb woanders funktioniert. Es relativiert auch DANZL: Man muss aber schon erklären, dass es
auspiciis-Promotion. Nach sehr viel. Es ist aber immer mit einem Zeitverlust etwas bringt. Sonst heißt es: Warum soll unser
Tätigkeiten als Lehrbeauf- im eigentlichen Studium verbunden. wertvolles Geld in etwas investiert werden, das
tragte, wissenschaftliche HAUTZ: Bei mir war der Auslandsaufenthalt mit weit weg von einer Anwendung ist? Warum nicht
Mitarbeiterin und zuletzt keinem Zeitverlust verbunden, das war aber der nur industriegetriebene Forschung machen? We-
als DOC-Stipendiatin der Spezialfall von „Internationale Wirtschaftswissen- sentlich ist hier auch der Ausbildungscharakter.
Österreichischen Akademie schaften“ mit einem Pflichtjahr im Ausland. Ein Bestens ausgebildete, hoch innovative Arbeitskräf-
der Wissenschaften am Grund für mich, das IWW-Studium zu wählen, te sind eine Schlüsselressource für Unternehmen
Institut für Strategisches Ma- und ich kann es nur jedem empfehlen. Man hat im Innovationswettstreit.
nagement, Marketing und dadurch eine super Chance, andere Blickwinkel ZUKUNFT: Viele Wissenschaftler arbeiten in der
Tourismus ist Julia Hautz seit und Kulturen kennenzulernen. Es ergeben sich Nacht. Ist das bei Ihnen auch so?
September 2010 dort als dadurch auch oft Zusammenarbeiten, die sich SCHUSTER: Da hat man Ruhe. Untertags hat man
Postdoc beschäftigt. dann später fortsetzen. viele Besprechungen, man macht Lehre.
In ihrer Forschung be- ZUKUNFT: Fällt es Ihnen eigentlich schwer, am HAUTZ: Wenn es Deadlines gibt, ist es egal, ob
schäftigt sich die bereits Stammtisch zu erklären, was Sie arbeiten? man schon 40 Stunden gearbeitet hat – auch wenn
mehrfach ausgezeichnete SCHAFFENRATH: Es ist nicht so, dass die Leute Wochenende ist, es muss fertig werden. Und es
Nachwuchswissenschaftle- mit Latein und Griechisch nichts anfangen kön- hört nicht auf. Wenn eine Deadline vorbei ist,
rin mit Fragen der Kunden- nen. Das Problem ist aber oft, dass es mit Schule kommt die nächste. Man sagt zwar immer, jetzt
integration durch Online und dem früheren „Disziplinierungsfach“ Latein kommt eine ruhigere Zeit, ich schraube etwas zu-
Communities aus der verbunden wird. Dass es ein Forschungsfach ist, rück – nur kommt sie dann meistens doch nicht.
Sozialen Netzwerk Pers- in dem man neue Gebiete entdecken kann, mit SCHAFFENRATH: In einem forschenden Umfeld
pektive. Ein weiteres ihrer neuen Theorien an die Texte herangeht, ist schwie- ist die 40-Stunden-Woche vollkommen nebensäch-
Forschungsfelder betrifft die riger zu erklären. Es hängt auch von der Uhrzeit lich. Im Büro verwaltet man, beantwortet E-Mails,
Rolle kontextspezifischer, ab, aber es geht. man wird angerufen etc. Daher verlagert man die-
wirtschaftlicher und instituti- HAUTZ: Es ist auch zu einer frühen Uhrzeit se Forschung in die Abend- und Nachtstunden:
oneller Einflussfaktoren auf schwierig zu erklären. Der Beruf an der Uni wird Da hat man am Stück mehrere Stunden, um einen
Strategieentscheidungen allgemein zuerst stark mit Lehre assoziiert. In mei- Gedanken zu fassen, ihn zu formulieren, ihn ab-
von Großunternehmen. nem speziellen Fall geht es in der Forschung viel zuwägen. Auf diese Zeit ist man angewiesen, und

12 zukunft forschung 0210 Fotos: Andreas Friedle (3)


TITELTHEMA

Der Experimentalphysiker Johann G. Danzl beschäftigt sich mit ultrakalten Molekülen. Im


Labor lassen sich damit grundlegende Fragestellungen der Physik und der Chemie modellhaft
untersuchen. So gelang es Danzl und seinem Team eine beinahe auf den absoluten Tempe-
raturnullpunkt abgekühlte Molekülwolke in den inneren Grundzustand, also den energetisch
tiefsten Quantenzustand, zu bringen. Dabei haben die Physiker alle Freiheitsgrade eines
Moleküls auf quantenmechanischer Ebene vollständig unter Kontrolle: die äußere Bewegung,
den elektronischen Zustand, die innere Schwingung und Rotation des Moleküls sowie die so-
genannte Hyperfeinstruktur. Johann G. Danzl wurde 1978 in Kitzbühel geboren und studierte
in Innsbruck Medizin und Physik. Er promovierte 2005 in Medizin und 2010 in Physik. Danzl
forscht in der Arbeitsgruppe um Wittgenstein-Preisträger Prof. Rudolf Grimm und START-Preisträ-
ger Prof. Hanns-Christoph Nägerl am Institut für Experimentalphysik der Universität Innsbruck
und wurde für seine Arbeit unter anderem mit dem Liechtensteinpreis ausgezeichnet.

das ist auch gut so, wir arbeiten nicht mit einer DANZL: Die Motivation, sich voll einzubringen,
Stechuhr. kommt aus der Begeisterung. Im Gegenschluss
DANZL: Es ist ja auch die Frage, wie man bei ei- heißt das aber nicht, dass man sagen kann, For-
nem Forscher die Arbeitszeit quantifiziert. Wenn scher arbeiten sowieso. Es macht für die Gesell-
ich irgendwo sitze und nachdenke – das ist ja de schaft und die Unis sehr Sinn, dass man attrakti-
facto Arbeitszeit wie im Labor. ve Karrierewege vorzeichnet und möglich macht.
ZUKUNFT: Die Begeisterung am jeweiligen Fach Nur darauf zu vertrauen, dass die Wissenschaft-
ist die Triebfeder. Passt auch das Umfeld? ler aus Freude arbeiten, könnte unter Umständen
HAUTZ: Wir hatten an der Betriebswirtschaftli- zur falschen Selektion führen.
chen Fakultät vor Kurzem eine internationale Eva- Es könnte passieren, dass die
luierung, die Kollegen waren aus der Schweiz, aus Leute mit sehr guten Ange-
„In einem forschenden Umfeld ist
England und Deutschland. Ein Kommentar der boten aus anderen Bereichen die 40-Stunden-Woche vollkom-
Kommission nach der Evaluierung war, dass die für den akademischen Bereich
Mitarbeiter an der Fakultät unglaublich intrinsisch verloren gehen. Und das wä-
men nebensächlich.“ Florian Schaffenrath

motiviert sein müssen, wenn man die Budgetsitu- re sehr schade, wenn bestens
ation mit dem Output vergleicht. qualifizierte Leute abwandern.
SCHAFFENRATH: Das sollte man aber durchaus SCHUSTER: Man darf nicht vergessen, dass wir
auch etwas kritisch sehen. Natürlich sind wir mo- noch jung sind. Irgendwann will oder kann man
tiviert. Es ist aber verlockend und es wird auch nicht mehr 60 Stunden arbeiten.
getan, statt eine Stelle zu vergeben, diese zu teilen HAUTZ: Die Menschen werden heute auch im-
– man unterstützt ja dann zwei Leute. Diese ar- mer flexibler und mobiler. Österreich ist nicht
beiten dann aber nicht 20 Stunden an der Uni und mehr das einzige mögliche Umfeld für einen
20 Stunden woanders. In den meisten Fällen sind Arbeitsplatz. Man hat die Möglichkeit festzu-
die Leute so begeistert und so motiviert, dass man stellen, wo es in seinem Fachbereich die besten
mit einer halben bezahlten Stelle mehr herausholt. Bedingungen gibt um dann dorthin zu gehen
Das kann sich unter Umständen Richtung Preka- – denn irgendwann ist intrinsische Motivation
riat entwickeln. allein nicht mehr genug. ah

Die 1978 in Innsbruck geborene Daniela Schuster studierte an der Uni Innsbruck Pharmazie.
Ihre Diplomarbeit verfasste sie bei Prof. Thierry Langer am Arbeitsbereich Pharmazeutische
Chemie, wo sie 2006 auch ihre Doktorarbeit abschloss. Danach war sie als Postdoc beim
Spin-off Unternehmen Inte:Ligand sowie an den Universitäten Innsbruck und Erlangen tätig.
Für ihre Forschungen wurde Schuster 2006 mit dem Preis der Dr. Maria Schaumayer Stiftung
und 2007 mit dem Georg und Christine Sosnovsky-Preis ausgezeichnet. Als erste Forscherin
wird die Pharmazeutin im neuen Erika-Cremer-Habilitationsprogramm der Universität Innsbruck
gefördert. Dieses Karriereförderprogramm steht hervorragend qualifizierten Wissenschaftlerin-
nen aller Fachdisziplinen offen. In ihrem Habilitationsprojekt beschäftigt sich Daniela Schuster
mit den schädlichen Einflüssen von Umweltchemikalien. Sie sammelte bereits Literaturdaten zu
rund 76.000 Umweltchemikalien und deren möglichen pharmakologischen Angriffspunkten.
Diese Daten dienen ihr zur Erstellung von theoretischen Modellen, die computerunterstützt die
Störung des Hormongleichgewichts durch Chemikalien vorhersagen sollen.

zukunft forschung 0210 13


TITELTHEMA

WURZELARBEIT
Sigrid Neuhauser forscht seit 2008 im Rahmen eines Hertha-
Firnberg-Projekts am Institut für Mikrobiologie. Ein Wurzelparasit
begleitet sie bereits seit dem Beginn ihrer Karriere.

unter anderem mit Pilzen in Innenräumen, mit


holzzerstörenden Pilzen, aber auch mit biologi-
scher Schädlingsbekämpfung beschäftigt“, sagt
Neuhauser. Sie beschreibt diese Arbeitsphase als
extrem nervenaufreibend, aber auch als gewinn-
bringend: „Ich habe absolut profitiert, Einblick in
verschiedene Bereiche bekommen und gelernt, wie
man Projekte beantragt und umsetzt.“ So gelang
es ihr auch unmittelbar nach Abschluss des Dok-
torats, ein Hertha-Firnberg-Projekt zu bekommen,
in dem wiederum Sorosphaera viticola im Mittel-
punkt steht. „Das Spannende an Sorosphaera ist,
dass sie zur Gruppe der Plasmodiophoride zählt,
in der es sehr viele Pflanzenpathogene gibt. Zum
Beispiel den Erreger für die sogenannte Kohlher-
nie, die weltweit für zehn Prozent des Kohlernte-
ausfalls verantwortlich ist“, verdeutlicht sie. Wäh-
rend alle anderen Plasmodiophoride einjährige
Pflanzen besiedeln, ist Sorosphaera das ganze Jahr
über zu finden. Ihr Verhalten in der Wirtspflanze
ZUR PERSON
S
orosphaera viticola ist ein pathogener Mi- ist anders und wird im Rahmen des Hertha-Firn-
kroorganismus, der die Wurzeln von Wein- berg-Projekts genau erforscht.
Sigrid Neuhauser wurde reben befällt. Ihre Entdeckung, genauer ge-
1980 in Rum geboren sagt, ihre offizielle Beschreibung im Jahr 2005 mar- AUFSCHLUSSREICHE ARTEN
und studierte bis 2005 kiert zugleich den Beginn der wissenschaftlichen Neuhauser tüftelt außerdem an einer neuen Ta-
Biologie an der Universität Laufbahn von Sigrid Neuhauser. „Ich habe in der xonomie der Plasmodiophoride. Diese über 40
Innsbruck. 2007 schloss Endphase meines Biologiestudiums ein Praktikum Arten zählende Gruppe ist nicht, wie lange ver-
sie ihr Doktoratsstudium am Institut für Mikrobiologie gemacht. Damals hat mutet, den Pilzen zuzurechnen, sondern mit Fo-
am Institut für Mikrobiolo- Martin Kirchmair mit Kollegen aus Deutschland raminiferen – Mikroorganismen aus dem Meer
gie ab. Seither forscht sie Sorosphaera viticola entdeckt und suchte jeman- – verwandt. „Von den zahlreichen Arten sind nur
hier als Postdoc mit ihrer den, der sie bearbeitet und charakterisiert“, schil- jene besser erforscht, die Wirtschaftspflanzen be-
eigenen kleinen Arbeits- dert Neuhauser. „So bin ich zu diesem Gebiet ge- fallen. Andere Plasmodiophoride besiedeln zum
gruppe. 2009 erhielt sie kommen und dabei geblieben.“ Obwohl ihre erste Beispiel die Wurzeln hochalpiner Gräser oder auch
den Eduard-Wallnöfer-Preis Begegnung mit Pflanzenpathogenen eher zufällig Braunalgen. Wir vermuten, dass es sich um eine
und erreichte Platz 2 bei war, ist Neuhausers Faszination für diesen For- uralte Gruppe handelt. Aus ihrer Erforschung las-
der Endausscheidung von schungsgegenstand immer noch ungebrochen. sen sich unter Umständen evolutionsbiologische
FameLab Österreich. Auch in ihrer Dissertation hat sie sich mit parasi- Rückschlüsse ziehen“, erklärt Neuhauser, die auch
tären Krankheitserregern im Weinbau beschäftigt, künftig auf diesem Gebiet arbeiten will. Nach En-
im Vordergrund stand darin eine Schimmelart, die de des Hertha-Firnberg-Programms 2011 ist ein
ebenfalls an den Wurzeln von Weinreben entsteht. Auslandsaufenthalt in Großbritannien geplant.
„Die Sorosphaera ist eigentlich mehr nebenher Anschließend möchte sie an die Uni Innsbruck
gelaufen“, erzählt die Nachwuchswissenschaft- zurückkehren. Und das nicht nur aus Heimatver-
lerin, die während ihres Doktoratsstudiums in bundenheit: „Wir haben im Bereich der Mykologie
mehreren Projekten mitgewirkt hat. „Ich war über hier in Innsbruck sehr viel Expertise, eigentlich so-
verschiedene Projekte angestellt und habe mich gar eine Monopolstellung“, so Neuhauser. ef

14 zukunft forschung 0210 Fotos: Andreas Friedle


TITELTHEMA

EIN BILD SCHAFFEN


Die Wirtschaftswissenschaftlerin Stefanie Gapp untersucht Entscheidungsprozesse.
Dabei versucht sie einen gesamtgesellschaftlichen Blick zu wahren.

V
ielleicht nicht neue, aber andere Wege durch das wissen- mit Laborversuchen gearbeitet wird, beschreibt eine politikwissen-
schaftliche Dickicht der Forschung zu finden, ist das, was schaftliche Methode Umfrageauswertungen, und volkswirtschaft-
junge Forscher auszeichnet. An der Universität Innsbruck liche Zugänge arbeiten unter Umständen mit psychologischen
finden sich diese „jungen Wilden“ in jeder Fachrichtung, auf jedem Komponenten. Drei Zugänge, drei Beobachtungen und am En-
Institut, jeder Fakultät. Stefanie Gapp, Projektleiterin am Institut de vielleicht drei Ergebnisse. Stefanie Gapp sucht einen anderen
für Finanzwissenschaft, ist eine solche junge Forscherin, die an- Blickwinkel, ohne ihren wirtschaftswissenschaftlichen aus den
dere Wege beschreitet. Ein Stichwort, das als ihre Wegmarkierung Augen zu verlieren, denn „es ist bereichernd, die Perspektive zu
dient, ist Interdisziplinarität. Allein ihr derzeitiges Forschungsge- wechseln“, so die junge Wissenschaftlerin, die meint, dass oft das
biet, die Inhalte, mit denen sie sich beschäftigt, nämlich Entschei- „große Bild“ fehle. Sie ist überzeugt, dass mehrere Zugänge ein
dungsfindungs- und Kooperationsprozesse von Männern, Frauen besseres Ergebnis zeitigen würden. „Die Fragestellung wird bei
und Gruppen, enthält bereits die Vorgaben: „Die Kooperationsbe- einer Spezialisierung immer enger“, meint Gapp und findet, dass
reitschaft und Entscheidungsprozesse sind an sich so komplexe sich diese verschiedenen Methoden gut ergänzen würden und
Themengebiete, die nicht nur Auswirkungen auf wirtschaftliche man bessere Studien designen könnte.
Zusammenhänge haben“, erklärt die diplomierte Volkswirtin, Doch auch sie stößt dabei auf strukturelle Grenzen. Nicht nur,
die zudem einen Abschluss in Internationalen Wirtschaftswissen- dass etwa bei Anträgen für Fördermittel klare Zugehörigkeiten
schaften vorweisen kann und gleichzeitig noch das Studium der definiert werden müssen, sondern auch Veröffentlichungen in
Politikwissenschaft absolviert. Wäh- spezifischen Fachjournalen ausschlag-
rend Entscheidungs- und Koopera- gebend sind. Für ihren Abschluss
tionsprozesse alle gesellschaftlichen,
ZUR PERSON in Politikwissenschaft hofft Stefanie
wirtschaftlichen und politischen Vor- Stefanie Gapp ist Projektleiterin am Institut für Gapp, einen Betreuer zu finden, der
gänge betrifft, ist die wissenschaftliche Finanzwissenschaft an der Universität Innsbruck. Ihr ihren methodischen Zugängen ent-
Untersuchung dieser Prozesse an Vor- aktuelles Projekt beschäftigt sich mit dem Einfluss spricht. Stefanie Gapp sucht ihren
gaben, an wissenschaftliche Methoden, des Geschlechts bzw. der Information über das eigenen wissenschaftlichen Weg, der
gebunden, die sich mehr oder weniger Geschlecht der Interaktionspartner auf das Arbeit- breiter angelegt ist, denn es sei, wie
unterscheiden. Während etwa in den nehmer/Arbeitgeber-Verhältnis. Derzeit arbeitet die sie sagt, „vielleicht Zeit, etwas Neues
Wirtschaftswissenschaften vermehrt 28-jährige Tirolerin an ihrer Dissertation. zu schaffen“. db

zukunft forschung 0210 15


TITELTHEMA

GRENZ- I
n ihrer Doktorarbeit an der Universität Innsbruck hat
Katrin Winkel ein verändertes Verfahren zur Herstel-
lung von amorphem Eis entwickelt. Die kristalline
Struktur des Eises geht dabei verloren, die Wassermoleküle

GÄNGERIN
reihen sich ungeordnet aneinander. Das bei tiefen Tempe-
raturen mit hohem Druck erzeugte Eis ist im Gegensatz zu
früher verwendeten Verfahren thermisch besonders stabil.
„Dadurch hat sich für uns ein neues Messfenster aufgetan“,
erzählt die junge Forscherin begeistert. „Wir können nun vie-
le Experimente wiederholen, die bisher gescheitert waren,
Katrin Winkel vom Institut für Physikalische
weil die Struktur des Eises zu instabil war.“ Das große Ziel
Chemie ist den Geheimnissen des Wassers auf der Nachwuchswissenschaftlerin ist es, eine Erklärung für
der Spur. Das scheinbar einfache Molekül gibt die vielen Anomalien des Wassers zu finden. „Wasser hat
viele Eigenschaften, die wir sonst bei anderen Flüssigkei-
noch immer zahlreiche Rätsel auf. ten selten finden, wie das Ausdehnen beim Gefrieren oder
das Dichtemaximum bei vier Grad Celsius“, sagt Winkel.
Insgesamt gibt es über 60 solcher Anomalien des Wassers.
„Seit Langem suchen Forscher in der ganzen Welt nach mög-
lichen Erklärungen. Mit unseren Experimenten liefern wir
Anhaltspunkte dafür.“ Konkret sucht die Forscherin in dem
von ihr hergestellten Eis nach einem Übergang vom amor-
phen in den flüssigen Zustand. Nur wenn diese Flüssigkeit
existiert, ist sichergestellt, dass amorphes Eis tatsächlich eine
eingefrorene Flüssigkeit ist. „Das amorphe Eis könnte auch
nanokristallin sein, das heißt, aus vielen kleinen Eiskristallen
bestehen, die willkürlich zueinander angeordnet sind, was
wir mit den uns zur Verfügung stehenden Methoden nicht
nachweisen können“, so Katrin Winkel.

GRENZBEREICH
Mit ihren Forschungen bewegt sich die Hertha-Firnberg-
Stipendiatin des Wissenschaftsfonds FWF im Grenzbereich
von Physik und Chemie. Als an der Technischen Universität
Darmstadt ausgebildete Physikerin hat Katrin Winkel mit
ihrem Wechsel nach Innsbruck nicht nur Ländergrenzen,
sondern auch Fakultätsgrenzen überschritten und dabei die
unterschiedlichen Zugänge benachbarter Disziplinen kennen-
gelernt. Grenzüberschreitende Forschungsbereiche hatten sie
schon während ihres Studiums fasziniert. In der Arbeitsgrup-
pe von Thomas Lörting am Institut für Physikalische Chemie
der Universität Innsbruck kann sie diese Leidenschaft nun
ausleben. Als begeisterte Wissenschaftlerin sprüht sie vor
neuen Ideen. „Ich habe noch Messungen für die nächsten
zehn Jahre im Kopf“, schwärmt Winkel, die die Kontakte nach
Darmstadt reaktiviert hat und nun auch mit ihrer ehemaligen
Arbeitsgruppe kooperiert. cf

ZUR PERSON
Katrin Winkel wurde in Dreieichenhain in Deutschland
geboren, studierte an der TU Darmstadt Physik und kam
2005 an die Universität Innsbruck. Für ihre Doktorarbeit
wurde sie mit dem Georg und Christine Sosnovsky-Preis
und dem Karlheinz Seeger-Preis der Österreichischen Physi-
kalischen Gesellschaft ausgezeichnet.

16 zukunft forschung 0210 Fotos: Andreas Friedle


TITELTHEMA

PRAKTISCHE
GRUNDLAGEN
Barbara Weber habilitierte sich 2009, nach einer
erstaunlichen wissenschaftlichen Karriere, mit erst 32
Jahren als erste Frau an der Uni Innsbruck in Informatik.

H
abilitiert mit 32, das ist eine entwickle, dient zur Unterstützung von
Meldung wert. Eine Frau in ei- Entscheidungen und wird keine abneh-
nem von Männern dominierten men“, so Weber. Obwohl sie hauptsächlich
Forschungsfeld und gar die erste habili- Grundlagenforschung betreibt, werden
tierte Frau in diesem Bereich an der Uni ihre Ideen in naher Zukunft Einzug in die
Innsbruck, das ist einen Artikel wert; und Privatwirtschaft halten; zumal Teile ihrer
dann noch mit einer erstaunlichen wissen- Arbeiten und einzelne Punkte ihrer Habi-
schaftlichen Karriere – das ist für jedes Me- litation bereits von innovativen Unterneh-
dium eine Reportage wert. Nun, Barbara men verwendet werden.
Weber, die 2009 habilitierte Informatikerin
mit einem Uni-Abschluss in Betriebswirt- ATTRIBUTE
schaftslehre, möchte aber lieber über ihre Auch wenn manche ihrer Überlegungen
Forschungstätigkeit im Arbeitsbereich und Forschungen noch Jahre brauchen, um
„Quality Engineering“ am Institut für In- wirtschaftlich kompatibel und technisch
formatik, über die Wichtigkeit der Grund- umsetzbar zu sein, zeigt sie Entwicklun-
lagenforschung und des wissenschaftlichen gen vor. „Bei mir steht die Grundlagenfor-
Austauschs reden. Auch über das Verhält- schung im Vordergrund“, meint Barbara
nis Wissenschaft und Wirtschaft. Sie selbst Weber, „doch die Schnittstellen zu prakti-
kennt sich gerade in diesem Bereich beson- kablen Umsetzungen behalte ich im Auge.“
ders gut aus. Gerade ihr Wirtschaftsstudium förderte
Die gelernte Betriebswirtin mit dem Spe- dabei praktisches und interdisziplinäres
zialgebiet Wirtschaftsinformatik hat sich Denken. Obwohl sie in erster Linie, wie sie
immer für Software-Entwicklung interes- sagt, Grundlagenforscherin ist, erkennt sie
siert. Während ihres Wirtschaftsstudiums, Notwendigkeiten, kennt die Abläufe au-
dann, als sie nebenbei bei der Tiroler Ge- ßerhalb des universitären Alltags und ar-
bietskrankenkasse als Software-Entwick- beitet darüber hinaus mit internationalen
lerin arbeitete, hatte sie sich nicht gedacht, Spitzenforschern zusammen. Aspekte, die
dass sie sich einmal als erste Frau in Inns- nicht nur in der Informatik zukunftswei-
ZUR PERSON bruck in Informatik habilitieren und sich send sind.
mit hochaktuellen Fragen wie der flexiblen Doch ganz ist das Thema Frau und IT
Barbara Weber wurde 1977 geboren. Sie IT-Unterstützung von Geschäftsprozessen nicht vom Tisch. Gerade an der Uni Inns-
studierte an der Universität Innsbruck Be- beschäftigen würde: „Konkret versuche bruck sind lediglich ein Zehntel der Infor-
triebswirtschaftslehre und promovierte 2003 ich, Ideen und Konzepte der agilen Soft- matikstudenten Frauen. Das sei, wie Barba-
im Fachbereich Wirtschaftsinformatik. Seit wareentwicklung auf die Modellierung ra Weber sagt, bedauerlich, zumal gerade
2004 arbeitet Weber am Institut für Informa- und Ausführung von Geschäftsprozes- im IT-Bereich den sogenannten weiblichen
tik der Universität Innsbruck und leitet hier sen zu übertragen und weiterzuentwi- Attributen, wie Kommunikationsfähigkeit
im Arbeitsbereich Quality Engineering einen ckeln“, erklärt Barbara Weber ihr Kernfor- und Empathie, eine enorme Bedeutung zu-
eigenen Forschungsbereich zur flexiblen schungsgebiet. Sie entwickelt ein System, gesprochen wird. So sei es umso wichtiger,
IT-Unterstützung von Geschäftsprozessen und das verschiedenste Abläufe lernt, erkennt Berührungsängste und die Scheu vor Tech-
Arbeitsabläufen. und analysiert. Doch „das System, das ich nik bereits sehr früh abzubauen. db

zukunft forschung 0210 17


TITELTHEMA

GLETSCHER
IN DEN TROPEN
Der Klimaforscher Ben Marzeion vom Institut für Geographie untersucht den
Einfluss des Klimas auf tropische Gletscher. Er verwendet dazu Computermodelle,
die die Entwicklung des Klimas beschreiben.

I
m Juli dieses Jahres war Ben Marzei- stützung des Wissenschaftsfonds FWF die
on mit seinem Team in der Cordillera Klimamodelle für die Region. „Die Wet-
Blanca in den nördlichen Anden Pe- terdaten, dir wir in Peru erheben, dienen
rus, der höchsten Gebirgskette auf dem dazu, diese Modelle zu überprüfen“, sagt
amerikanischen Kontinent. Dort stehen Marzeion. Im nächsten Jahr will er auf ei-
bereits seit einigen Jahren automatische nem eisigen Grat auf rund 5500 Metern eine
Wetterbeobachtungsstationen der Innsbru- weitere Wetterstation errichten – der Grat
cker Geografen. Deren Daten liefern eine liegt auf der Wasserscheide Südamerikas.
wichtige Grundlage für die Erforschung Geräte und Know-how für die automati-
der Gletscher in der Region. „Westlich sche Übermittlung der Daten via Satellit
der Anden ist Peru saisonal sehr trocken, werden aus Mitteln der Nachwuchsförde-
die Wasserversorgung hängt deshalb vom rung der Universität finanziert.
Abfluss der Gletscher ab“, erklärt der ge-
bürtige Deutsche, der seit zwei Jahren in KLIMAVERÄNDERUNGEN
Innsbruck forscht und sich hier sehr wohl Im Klimamodell der Arbeitsgruppe wird am
fühlt. „Den Einfluss des Klimas und damit Ende jedes größere Tal der Cordillera Blanca
die zukünftige Entwicklung der Gletscher abgebildet sein. „So können wir feststellen,
zu kennen, ist von großem Interesse für die wie die Zirkulation der Luft durch die loka-
Region.“ Mit seinem Team erhebt Ben Mar- le Topografie beeinflusst wird“, erklärt der
zeion nicht nur Wetterdaten, er ergänzt die Jungforscher. In einem zweiten, vom FWF
existierenden globalen Klimamodelle um finanzierten Projekt wird er in Kürze auch
die lokalen Gegebenheiten. „In den globa- die langfristigen Veränderungen des Klimas
len Rechenmodellen ist die Cordillera Blan- und deren Einfluss auf die tropischen Glet-
ca mehr oder weniger nur ein hoher Hügel, scher untersuchen. Gemeinsam mit inter-
ohne Täler und markante Einschnitte“, sagt nationalen Partnern vergleicht er dazu die
Marzeion. „Es ist aber gerade die komplexe Daten aus unterschiedlichen Klimamodellen
Topografie, die für die Entwicklung der lo- miteinander und versucht, Mechanismen zu
kalen Wetterverhältnisse von großer Bedeu- identifizieren, die das Klima beeinflussen.
tung ist. Und nur wenn wir das Wetter ken- Sein Wissen gibt Ben Marzeion auch an
nen, können wir auch auf die Entwicklung die Studierenden weiter. Eine Vorlesung
der Gletscher schließen.“ Die Innsbrucker über natürliche Veränderungen und den
Geografen optimieren deshalb mit Unter- menschlichen Einfluss auf das Klima richtet
sich vor allem an zukünftige Lehrerinnen
und Lehrer. Sie sollen mit wissenschaftlich
ZUR PERSON fundierten Kenntnissen zu diesem viel-
Ben Marzeion hat in Kiel Ozeanografie diskutierten Thema ausgestattet werden.
studiert. Nach Forschungsaufenthalten in Sein Know-how gibt Marzeion aber auch
Bergen (Norwegen) und am MIT in Boston regelmäßig an Meteorologen und Geologen
stieß er Ende 2008 zur Arbeitsgruppe von weiter, denn die langfristige Modellierung
Prof. Georg Kaser am Institut für Geogra- des Klimas ist auch für diese Fächer von
phie der Universität Innsbruck. Interesse. cf

18 zukunft forschung 0210 Fotos: Andreas Friedle


TITELTHEMA

INTERNATIONAL
In Innsbruck sind Völker- und Europarecht an einem Institut
vereint. Für Andreas Müller eine wichtige Rahmenbedingung für
seine Forschung.

F
ür Andreas Müller war es ein einschnei- nalen Recht im Mittelpunkt, nach wie vor oft ein
dendes Erlebnis, als er vor acht Jahren blinder Fleck im traditionell staatsfixierten Völ-
im Gerichtssaal des Internationalen Straf- ker- aber auch Europarecht. In seiner Forschung
gerichtshofs in Den Haag saß und den Prozess ist es für ihn nicht damit getan, lediglich juristi- ZUR PERSON
gegen den ehemaligen jugoslawischen Präsiden- sche Zusammenhänge zu analysieren – darüber
ten Slobodan Milošević verfolgte. Die Erfahrung hinaus gebe es auch Schnittpunkte mit anderen Der gebürtige Vorarlber-
in Den Haag machte Müller kurz vor seinem Ab- Wissenschaftszweigen. So ergibt sich bei Müllers ger absolvierte mehrere
schluss des Studiums der Rechtswissenschaften Forschungsprojekten neben der Zusammenarbeit Auslandsaufenthalte. Neben
und der Philosophie, und sie gab die Richtung mit anderen juristischen Fächern auch insbeson- einem Erasmusstudium in
vor, die den Vorarlberger prägen sollte. Heute ist dere eine mit der Philosophie. Dieser, „seiner Phi- Straßburg und der Absolvie-
er Universitätsassistent am Institut für Europa- losophie“ konsequent folgend, arbeitet er derzeit rung des Auslandszivildiens-
recht und Völkerrecht der Universität Innsbruck an einem Projekt zum Thema „Völkerrecht und tes in Jerusalem ging er für
und beschäftigt sich mit Fragen des Völkerstraf- islamisches Recht“ mit dem Institut für Philoso- ein postgraduales Studium
rechts, des internationalen Menschenrechtsschut- phie zusammen. Doch wichtig ist für Müller an- an die Yale Law School in
zes, aber auch europarechtlichen Fragestellun- zumerken, dass es bei aller Kooperation zwischen den USA, das er 2009 mit
gen. Müller findet an der Universität dabei ide- den verschiedenen Fächern ein klares Bewusst- einem Master of Laws (LL.M.)
ale Rahmenbedingungen vor: „Das Besondere sein für ihre jeweiligen wissenschaftlichen Me- abschloss, und war dann
in Innsbruck ist, dass Europa- und Völkerrecht thoden geben müsse. „Wir Internationalrechtler am Internationalen Gerichts-
in einem Institut vereint sind“, meint der Jurist, haben es wohl leichter, interdisziplinär zu arbei- hof in Den Haag tätig. Seit
denn in einer neuartigen, globalisierten Welt und ten, da wir es von vornherein mit Pluralität von 2010 ist er Universitätsassis-
in einem immer stärker vereinten Europa müsse Rechtssystemen und einer inhomogenen Nor- tent am Institut für Europa-
man sich über die verschiedenen Rechtssysteme, menlandschaft zu tun haben“, gibt Müller zu. recht und Völkerrecht der
die Vernetzung und die Wechselwirkung der „Gerade in einer Zeit immer stärkerer Ausdiffe- Universität Innsbruck. Neben
verschiedenen Ebenen des Rechts Gedanken ma- renzierung der Disziplinen stellt wohlfundierte der Promotion zum Dr. iur.
chen. Hier steht für Müller vor allem die Frage interdisziplinäre Forschung aber eine allgemeine ist Müller zudem Magister
nach dem Platz des Individuums im internatio- Herausforderung dar.“ db der Christlichen Philosophie.

zukunft forschung 0210 19


DIE VIELEN GESICHTER DER FORSCHUNG
Der wissenschaftliche Nachwuchs trägt einen wesentlichen Teil zu den Forschungs-
leistungen der Universität Innsbruck bei. Die inhaltliche Vielfalt der Forschungs-
gegenstände deckt sich dabei mit dem breiten Anspruch einer Volluniversität und
reicht in den Buchwissenschaften von neulateinischen Texten über die Verknüp-
fung unterschiedlicher Rechtssysteme in einer globalisierten Gesellschaft bis hin
zu neuen Medien und deren Bedeutung in wirtschaftlichen Prozessen. In den
Naturwissenschaften beschäftigen sich die erfolgreichen Nachwuchswissenschaft-
lerinnen und Nachwuchswissenschaftler der Universität Innsbruck zum Beispiel mit
den klimatischen Entwicklungen in den Cordillera Blanca in den nördlichen Anden
Perus, den rätselhaften Eigenschaften des Wassers, den physikalischen Grundla-
gen der Materie und möglichen Anwendungen für die Informationsverarbeitung,
mit schädlichen Wurzelparasiten an Rebstöcken und flexibler Unterstützung von
Geschäftsprozessen mithilfe von Informationstechnologien.

20 zukunft forschung 0210


IM ZOOM

Dr. Sigrid Neuhauser erforscht Soros-


phaera viticola, einen pathogenen
Mikroorganismus, der die Wurzeln
von Weinreben befällt. Er bildet
dabei Aggregate von Dauersporen,
durch die er lange Zeit ohne Wirt
im Boden überdauern kann. Der
Parasit verursacht unter anderem ein
Absterben von Wurzelgewebe und
öffnet somit die „Tür“ für andere.

Fotos: Andreas Friedle (4), Ben Marzeion (1), Ben Marzeion/NASA‘s Earth Observatory (1), Institut für Physikalische Chemie (2), Institut für Mikrobiologie (1), International Court of Justice (1), Institut für Pharmazie (1)

Eisphasen unterschiedlicher Dichte


und Struktur können hergestellt
werden, indem Eis hohem Druck und
tiefen Temperaturen ausgesetzt wird.
Dr. Katrin Winkel fand einen neuen
Präparationsweg, der zur Herstellung
einer thermisch besonders stabilen
Struktur führte, die zahlreiche neue
Forschungsmöglichkeiten eröffnet.

In einigen Fällen konnte bereits ein


direkter Zusammenhang zwischen
der Verbreitung von Chemikalien
und dem Auftreten von Erkrankungen
bewiesen werden. Anhand von the-
oretischen Modellen will Dr. Daniela
Schuster computerunterstützt Stö-
rungen des Hormongleichgewichts
durch Chemikalien vorhersagen.

zukunft forschung 0210 21


STANDORT TIROL

KEIN SCHREI DER


EMPÖRUNG
Christoph Kratky, Präsident des FWF, über den Stellenwert der
Grundlagenforschung in Österreich, das Verhältnis zur angewandten
Forschung und die Situation für den wissenschaftlichen Nachwuchs.

ZUKUNFT: Sie haben im Frühjahr anlässlich


der Jahresbilanz 2009 des FWF erklärt, dass
man es „gotterbärmlich verseift“ habe, der
Gesellschaft und der Politik die Bedeutung
der Grundlagenforschung klarzumachen.
Was war Anlass für diese Selbstkritik?
CHRISTOPH KRATKY: Anlass waren die
damaligen Aussagen des Präsidenten der
Österreichischen Wirtschaftskammer, Chris-
toph Leitl, dass die Grundlagenforschung in
Österreich künftig „über Brüssel“ abgewi-
ckelt werden solle und sich die nationalen
Anstrengungen auf angewandte Forschung
konzentrieren sollen. Mich hat es erstaunt,
dass ein hochrangiger Funktionär solch eine
Aussage machen kann, ohne dass es einen
Aufschrei der Empörung in der Bevölkerung
gibt. In diesem Zusammenhang habe ich ge-
sagt, dass wir es offensichtlich nicht geschafft
haben, in Österreich eine Stimmung entste-
hen zu lassen, in der Grundlagenforschung
einen hohen Stellenwert hat. Das war die Si-
tuation damals, ich würde aber sagen, sie hat
sich seither nicht wesentlich verändert.
ZUKUNFT: Wie sehen Sie das Verhältnis der
Förderung von angewandter Forschung zur
Grundlagenforschung in Österreich?
KRATKY: Es gibt den FWF, es gibt die FFG.
Beide sind notwendig für das Land und es
hat keinen Sinn zu sagen, dass eines wichti-
ger ist als das andere. Das ist unvernünftig.
Beide Institutionen sind das Spiegelbild der
jeweiligen Wissenschaftsszene. In den letz-
ten Jahren ist von der Politik ein größeres
Gewicht auf die angewandte, insbesondere
auf die industrielle Forschung gelegt wor-
den. Das sind objektive Zahlen. Ich möchte
auch nicht sagen, ob das gut oder schlecht
ist. Es ist aber ein Faktum, das im heurigen
Budget besonders deutlich wird. Im Bereich
des Wissenschaftsministeriums gibt es Kür-

22 zukunft forschung 0210 Fotos: Marc Seumenicht/FWF (2)


STANDORT TIROL

ZUR PERSON
Christoph Kratky, geboren 1946, studierte
an der ETH Zürich Chemie und promovier-
te dort 1976. Nach einem Postdoc-Jahr
an der Harvard University wurde er 1976
Assistent am Institut für Physikalische Che-
mie der Universität Graz, habilitierte sich
1985 und wurde 1995 Ordentlicher Uni-
versitätsprofessor für Physikalische Chemie
an der Universität Graz. Seit 2005 ist er
Präsident des FWF (Fonds zur Förderung
der wissenschaftlichen Forschung).

zungen, die zum Teil durch Sondermittel


„Sparen kann man nur pen. Insgesamt liegt nach unserer Statistik
kompensiert werden – unter dem Strich die Universität Innsbruck, wenn man die
bleibt bestenfalls eine Stagnation. Für die beim Nachwuchs, das ist Einwerbung von FWF-Projekten in Bezie-
industrielle Forschung hingegen gibt es eine hung zu den Universitätsbudgets setzt,
Erhöhung der Forschungsprämie von acht
die große Bedrohung des hinter der Uni Wien mit der Universität für
auf zehn Prozent, das macht immerhin einen Wissenschaftssystems.” Bodenkultur an zweiter Stelle in Österreich.
Betrag in der Höhe von 100 Millionen Euro Christoph Kratky, Präsident des FWF
Angesichts der sehr strengen und selektiven
aus. Da sieht man eine klare Priorität für die Auswahlkriterien beim FWF sehr bemer-
angewandte Forschung, für den Bereich F&E kenswert.
in der Wirtschaft. Es steht mir nicht zu, zu ZUKUNFT: Ein Widerspruch zum alljähr- ZUKUNFT: Wie sehen Sie die Situation für
bewerten, ob das gut oder schlecht ist. Ich lichen Wunsch der Politik, dass Österreich die kommende Wissenschaftlergeneration
hätte mir gewünscht, dass es vergleichba- wieder einmal einen Nobelpreisträger stel- in Österreich?
re Investitionen und Engagements in der len soll. KRATKY: In Innsbruck gibt es auf beiden
Grundlagenforschung gegeben hätte. KRATKY: Nobelpreise werden immer für Er- Unis eine Reihe von START-Preisträgern
ZUKUNFT: Wie schaut das in Europa aus? folge in der Grundlagenforschung vergeben, und -Preisträgerinnen. Darauf können sie
KRATKY: Europaweit sieht man das nicht. oft sogar für Arbeiten, die vielleicht erst in 20 stolz sein. Insgesamt aber sind die Chan-
Wobei man fairerweise sagen muss, dass die oder 50 Jahren zu einer Umsetzung kommen cen des Nachwuchses im österreichischen
EU in ihren Rahmenprogrammen in erster – vielleicht auch nie. Das ist ja das Wesen der Universitätssystem proportional zu der fi-
Linie angewandte Forschung gefördert hat. Grundlagenforschung: Es gibt immer ein nanziellen Ausstattung des Systems. Die ist
Im Rahmen des laufenden siebten Rahmen- Potenzial für Anwendung, man kann aber im Moment nicht überragend und das trifft
programms hat sie aber immerhin den Eu- nicht sagen, wann und in welcher Form. die junge Generation. Ein Rektor mit einem
ropäischen Forschungsrat eingerichtet, der Wenn man in diesem Zusammenhang das stagnierenden Budget kann nicht pragma-
mit sieben Milliarden Euro erstmals reine Regierungsprogramm liest, steht da, dass tisierte Professoren und Leute, die unbe-
Grundlagenforschung fördert. Insofern hat Österreich zu einem „Innovation Leader“ fristete Stellen haben, hinausschmeißen.
die EU damit ein deutliches Zeichen gesetzt, werden will, zu den Top drei aufschließen Sparen kann er nur bei den Jungen, die auf
dass Grundlagenforschung immens wichtig will. Das wird aber nicht in ausreichender befristeten Stellen oder noch gar nicht da
ist, und hat in den Mitgliedsländern sehr viel Breite verfolgt. Österreich wird sicher nicht sind. Das ist die große Bedrohung des Sys-
ausgelöst. Man kann also nicht von einem auf einen Dritte-Welt-Status abrutschen. Der tems. Wenn Ministerin Beatrix Karl davon
Trend sprechen. Was in Österreich passiert, Anspruch aber, ein führendes Land Europas spricht, unter den gegebenen finanziellen
würde ich vielmehr darauf zurückführen, zu werden, ist mit diesem Engagement nicht Bedingungen Unis zusperren zu müssen
dass die Spitzen der Bundesregierung kein einlösbar. Wir haben fantastische Wissen- – das geht ja gar nicht, das Personal muss
besonderes Gewicht auf Grundlagenfor- schaftler und Wissenschaftlerinnen im Land. man weiter bezahlen. Das ist nicht die Ge-
schung, Bildung und Wissenschaft legen. Es braucht aber nicht nur ein paar Spitzen, fahr. Die Gefahr ist, dass man junge Leute
Das würde ich einmal unterstellen, ohne je- diese entstehen aus einer Breite. nicht nachrekrutiert oder verlängert. Der
mandem nahe treten zu wollen. Dem Spar- ZUKUNFT: Wie beurteilen Sie die Grund- Effekt ist eine Sklerotisierung des Systems,
paket sieht man nun auch keine Priorität lagenforschung an der Universität Inns- weil mehrere Kohorten von Nachwuchsfor-
für Bildung und Wissenschaft an – ganz im bruck? schern ausfallen. Kurzfristig ist das nicht
Gegensatz zur Schweiz, zu Deutschland, zu KRATKY: Die ist gut. Ich brauche da keine bedrohlich, im Wissenschaftssystem spürt
den Niederlanden, zu fast allen Ländern, die Namen zu nennen. Auf der Universität Inns- man es erst, wenn der Schaden schon sehr
auf gleicher oder höherer Entwicklungsstufe bruck und der Medizinischen Universität groß ist. Und diesen kann man dann nicht
stehen. gibt es ganz hervorragende Forschergrup- kurzfristig beseitigen. ah

zukunft forschung 0210 23


PATENTE & SPIN-OFFS

ERSTES US-PATENT
FÜR INNSBRUCK
Einer Erfindung von Forschern rund um Prof. Günther Bonn
vom Institut für Analytische Chemie und Radiochemie wurde
vor Kurzem ein US-Patent erteilt. Dies ist die erste in den USA
geschützte Erfindung der Uni Innsbruck.

Forschungsvizerektor Tilmann
Märk mit den Erfindern Prof.
Günther Bonn, Dr. Rania Bakry
und Dr. Günther Stecher sowie
Dr. Cornelia Rhomberg vom
projekt.service.büro.

I
m Mai 2006 konnte Prof. Günther Bonn der tentamt um den Schutz dieser Erfindung ange-
Universitätsleitung eine neue Erfindung sucht. Patentanmeldungen in den USA werden
melden, die er gemeinsam mit Dr. Günther besonders streng geprüft und sind sehr schwer
Stecher, Muhammad Ahsan Hashir und Dr. Rania zu erhalten. Trotzdem wurde vor Kurzem der
Bakry gemacht hatte. Es geht dabei um die Ent- Universität Innsbruck für diese Erfindung das
wicklung speziell behandelter Siliziumdioxidpar- US-Patent mit der Nummer 7675032 erteilt. Der
tikel, die ein matrixfreies Arbeiten in der MALDI weltweite Markt für Massenspektrometrie ist ein
Massenspektroskopie ermöglichen. Die Oberflä- Milliardengeschäft, weshalb die Erfindung erheb-
che der Partikel wird dabei mit Azodianilin modi- liche wirtschaftliche Bedeutung haben könnte.
fiziert. Bei der MALDI Massenspektroskopie wird Im Universitätsgesetz 2002 wurde als neue
die zu analysierende Substanz normalerweise Aufgabe der Universitäten die Nutzung und Um-
mit einer weiteren, Matrix genannten Substanz setzung ihrer Forschungsergebnisse in der Praxis
gemischt und kristallisiert. Mit Hilfe eines Lasers verankert. Seither wurden an den Universitäten
kann die Substanz dann analysiert werden. Durch Österreichs professionelle Erfinderberater- und
die Matrix kommt es aber zu Störsignalen, und es Technologietransferstellen etabliert, um die For-
können nur größere Moleküle detektiert werden. schungsergebnisse bestmöglich schützen zu kön-
Die Erfindung der Innsbrucker Chemiker ermög- nen und sie am Markt zu positionieren. An der
licht es nun, Moleküle sowohl mit geringen als Universität Innsbruck unterstützt das Team des
auch mit hohen Molekülmassen massenspektros- projekt.service.büros die Wissenschaftlerinnen
kopisch zu identifizieren, da die Verwendung ei- und Wissenschaftler bei der Sicherung und Ver-
ner Matrix vermieden wird. wertung von geistigem Eigentum. Gelingt der
Abschluss eines Verwertungsvertrages, so werden
US-PATENT ERTEILT die Erlöse zwischen Erfindern und Universität ent-
Weil alle bedeutenden Hersteller für massenspekt- sprechend den Anteilen aufgeteilt. Die Universität
roskopische Analysegeräte in den USA beheimatet nutzt die gewonnenen Mittel zur Finanzierung
sind, hat die Universität Innsbruck beim US-Pa- neuer Patentanmeldungen. cf

24 zukunft forschung 0210 Fotos: Uni Innsbruck (1), istockphoto.com (1)


PATENTE & SPIN-OFFS

BETON-INSIDER
Am neu eröffneten Christian-Doppler-Labor für Zement- und
Betontechnologie wird die Mikrostruktur von Beton erforscht: Der Baustoff
soll langlebiger und besser werden.

D
ie Betonforschung hat an der Universität Innsbruck be- lation erforscht werden können. „Nicht nur die Anforderungen an
reits Tradition und erlebte in den 1990er Jahren eine erste den Baustoff Beton, sondern auch Umwelteinflüsse und Belastun-
Hochphase. Mit der Berufung von Prof. Roman Lackner gen, die auf den Beton einwirken, werden immer komplexer. Unter
auf den Lehrstuhl für Materialtechnologie im Jahr 2008 wurde die- diesen Vorzeichen kommt man mit Experimenten alleine einfach
ses äußerst zukunftsweisende Forschungsfeld wiederbelebt: Die nicht mehr zurecht“, schildert Roman Lackner, selbst Experte auf
Verbesserung und Weiterentwicklung des Baustoffs Beton steht dem Gebiet der Modellierung und Simulation. Bei der Mehrska-
seither wieder im Mittelpunkt zahlreicher hochdotierter Drittel- lenmodellierung werden die Eigenschaften von Beton mit seiner
mittelprojekte. Es kommt also nicht von ungefähr, dass Anfang Mikrostruktur und den Eigenschaften der einzelnen Bestandteile
Oktober das Christian-Doppler-Labor für die Anwendungsorien- in Verbindung gebracht. „Jede makroskopisch beobachtbare Ver-
tierte Optimierung der Bindemittelzusammensetzung und Beton- änderung des Materials kann auf Vorgänge im Mikrokosmos des
herstellung (kurz: CD-Labor für Zement- und Betontechnologie) Betons zurückgeführt werden“, sagt der Forscher. „Da wir das
seine Tore öffnen konnte. Material zielorientiert verbessern wollen, müssen wir diese Vor-
„Wir verfolgen zwei verschiedene Wege. Zum einen arbei- gänge zunächst verstehen. Dann erst können wir die Schrauben
ten wir problemorientiert. Das heißt, wir versuchen bestehende identifizieren, die wir drehen müssen, um das Materialverhalten
Schwächen des Materials, wie z.B. die mangelnde Hitzebestän- zu optimieren“, verdeutlicht er weiter. Eine Sache, die laut Lackner
digkeit von Beton unter Brandeinwirkung zu ergründen und die zwar einfach klingt, aber im Bereich der experimentellen Charak-
eingesetzten Materialien zu verbessern. Andererseits arbeiten wir terisierung und Modellierung eine große und zukunftsweisende
zukunftsorientiert und entwickeln neuartige, zementgebundene Herausforderung darstellt. cf
Baustoffe wie zum Beispiel dauerhafte und energieeffiziente Spezi-
albetone“, erläutert der Leiter des CD-Labors, Roman Lackner die
Arbeitsgebiete seines Teams. „Durch das Engagement der Firmen DOPPLERS ERBEN
Doka und Schretter & Cie als Gründungsmitglieder konnte das Christian-Doppler-Labors sind Forschungseinrichtungen an öster-
CD-Labor realisiert werden. Die beiden Firmen betreiben jeweils reichischen Hochschulen, die von der öffentlichen Hand sowie
eine eigenes Forschungsmodul“, erklärt Lackner. von Mitgliedsunternehmen der Christian-Doppler-Forschungsge-
sellschaft finanziert werden. Benannt nach dem renommierten
MIKROSTRUKTUR VERSTEHEN österreichischen Wissenschaftler Christian Doppler widmen sie
Ein Kernelement der Forschung am neuen CD-Labor ist die soge- sich der anwendungsorientierten Grundlagenforschung und
nannte Mehrskalenmodellierung: eine computergestützte Heran- forcieren die Zusammenarbeit und den Wissenstransfer zwischen
gehensweise, mithilfe derer die Mikrostruktur von Beton und die Forschenden und heimischen Unternehmen. An der Universität
daraus erreichbaren technischen Eigenschaften per Computersimu- Innsbruck sind insgesamt drei CD-Labors beheimatet.

zukunft forschung 0210 25


ARCHITEKTUR

EIN MEISTER AUS


RUSSLAND
In einem länderübergreifenden Forschungsprojekt werden die herausragenden
Leistungen des russischen Ingenieurs Vladimir Grigor‘evič Šuchov umfassend
dokumentiert – und die noch existierenden Konstruktionen hoffentlich gerettet.

N
och im erbärmlichsten Zustand,
stellte die Konstruktion das über-
ragende Können seines Erbauers
unter Beweis. Jahrzehntelang waren die vier
kleineren Zuführungs- und die zwei 128 Meter
hohen, ebenfalls hyperbolischen Starkstrom-
Masten dem Verfall preisgegeben gewesen.
Fünf von ihnen wurden schließlich abgetra-
gen. Nur noch einer der großen Türme ragte
in den Himmel. Stolz und kühn wie eh und
je. Und das obwohl man 16 der insgesamt 40
Stäbe aus dem untersten Segment entfernt und
die Statik damit radikal herausgefordert hatte.
Zwei gnadenlose russische Winter lang hielt
der 128-Meter-Bau Wind und Wetter stand.
Buchstäblich im letzten Moment, knapp vor
der endgültigen Zerstörung, konnte dieses
einmalige Zeugnis höchster Ingenieurskunst
gerettet werden – durch die Intervention eines
internationalen Teams aus Fachleuten.
Seit mehreren Jahren widmen sich Bauhisto-
riker, Bauforscher und Bauingenieure der Uni-
versität Innsbruck (Rainer Graefe), der Tech-
nischen Universität München (Rainer Barthel
und Manfred Schuller), der ETH Zürich (Uta
Hassler) in Kooperation mit der Staatlichen
Bauuniversität Moskau und der Staatlichen
Universität für Architektur und Bauwesen in
Nižnij Novgorod dem faszinierenden Werk
des russischen Ingenieurs Vladimir Grigor‘evič
Šuchov (1853–1939).
Ihre aufwändigen Vorarbeiten münden nun
in ein auf drei Jahre angelegtes Forschungs-
projekt, in dem die Šuchovschen Baukon-
struktionen, seine Gitterschalen, Hängedächer
und Hyperboloidtürme, seine umfangreichen
wissenschaftlichen Arbeiten und seine tech-
nischen Erfindungen erstmals umfassend in
bautechnikgeschichtlicher und ingenieurs-
wissenschaftlicher Hinsicht untersucht, do-
kumentiert und gewürdigt werden. Das län-

26 zukunft forschung 0210 Fotos: Rainer Graefe (2), Archiv (1)


ARCHITEKTUR

Der derzeitige Zustand der von


Šuchov geplanten Werkshalle
in Vyksa ist katastrophal. Die
einmalige Dachkonstruktion
wurde vom internationalen
Forschungsteam um Rainer
Graefe bereits untersucht und
dokumentiert. Ziel ist auch, die
noch existierenden technischen
Bauten Šuchovs zu erhalten.

derübergreifende D-A-CH-Projekt (Deutschland, damit sehr kostengünstig war. Durch Änderung


Österreich, Schweiz) wird aus Mitteln der Deut- der Schrägstellung der Stäbe konnte er darüber
schen Forschungsgemeinschaft (DFG), des öster- hinaus auch unzählige Formvarianten erzeugen.
reichischen Wissenschaftsfonds (FWF) und des Was der russische Ingenieur auch ausgiebig tat,
Schweizerischen Nationalfonds (SNF) finanziert. wie anhand der überlieferten Pläne ersichtlich
Endlich dürfte es gelingen, Šuchov, seinen Leicht- ist. Ihre Vollendung fand diese Bauweise in den
bauten und Erfindungen endlich den gebühren- Strommasten, die aus mehreren solchen hyper-
den Platz in der Geschichte der Ingenieurskunst boloiden Teilen zusammengefügt wurde, wobei
das jeweils nächste „Stockwerk“ im sogenannten
„Teleskopverfahren“ im Schaft zusammengebaut
„Šuchov war einer der größten und mittels Kränen an das obere Ende des letzten
Bauingenieure der Welt. Er steht Abschnitts gehoben wurde.
Dass es Rainer Graefe und seinen Kollegen ge-
in einer Reihe mit Gustave Eiffel, lungen ist, diesen so herausragenden Hochbau zu
erhalten, erfüllt den Innsbrucker Wissenschaftler
Pier Luigi Nervi oder Frei Otto.“
mit großer Freude. Immerhin beschäftigt er sich
Rainer Graefe schon seit vielen Jahren mit dem Schaffen des in
seiner Heimat nach wie vor verehrten Ingenieurs.
zu sichern und die wenigen noch existierenden Bereits mit dem 1990 vorgelegten Band „Vladimir
Zeugnisse seines überragenden Könnens vor dem G. Šuchov 1853–1939. Die Kunst der sparsamen
Verfall bzw. der Zerstörung zu retten. Konstruktion” haben Graefe und seine Mitstrei- ZUR PERSON
ter den Pionier der Leichtkonstruktion auch in
FILIGRANE HERRLICHKEIT westlichen Fachkreisen bekannt gemacht. Grae- Vladimir Grigor‘evič
Für Rainer Graefe ist der eingangs erwähnte Git- fes Engagement für die Erhaltung der mittlerweile Šuchov, (*1853 Graiwo-
terturm der NIGRES-Stromleitung die „vielleicht raren Šuchov-Bauten brachte ihm zudem 2003 in ron/Russland), studierte am
schönste Turmkonstruktion“ von Šuchov, obwohl Moskau die „Šuchov-Goldmedaille“ sowie 2008 Polytechnikum in Moskau
sich alle – vom Wasserturm bis zum Leuchtturm das Ehrendoktorat der Universität für Bauwesen und arbeitete zunächst als
– durch Einfachheit, Eleganz und originelle Form- in Nižnij Novogorod ein. Die Forschungen nun Planer von Lokomotivhallen
gebung auszeichnen. Der russische Ingenieur hat sollen Šuchov endgültig den ihm angemessenen in Petersburg. 1878 zog er
für seine Türme eine völlig neuartige Konstruk- Platz in der Baugeschichte sichern. nach Aserbaidschan, wo
tion entwickelt. Mit geraden, schräg gestellten „Er ist ohne Zweifel in einem Atemzug mit er u.a. Pipelines, Raffinerie-
Eisenstäben erzeugte er eine räumlich gekrümmte Gustave Eiffel, Pier Luigi Nervi oder Frei Otto anlagen, Tankschiffe und
Gitterfläche, einen Hyperboloiden. Für die Stäbe zu nennen“, so Graefe. Und in einigen Bereichen Eisenbahnbrücken baute.
verwendete er Winkeleisen, die an den Kreuzungs- übertrifft Šuchov seine berühmten Kollegen so- Er entwickelte – weltweit
punkten vernietet wurden. Die Aussteifung der gar. Nicht nur, wenn es um die Vielseitigkeit im – völlig neuartige Dachkon-
Ringe übernahm ein auf der Innenseite befestigter, Schaffen geht. Immerhin erfand der begnadete struktionen und Gittertürme
horizontaler Ring. „Diese hyperbolischen Gitter- Konstrukteur u.a. das „thermische Cracken“ des in Form von Hyperboloi-
türme sind in der Baugeschichte ohne Vorläufer“, Erdöls, ein Verfahren der Erdölverarbeitung und den. Der 1939 verstorbene
erklärt Graefe. Der Clou des Šuchovschen Pa- entwickelte einen komplett neuartigen, eisernen Šuchov gilt bis heute als
tents lag nicht nur darin, dass dafür extrem we- Erdöltank. Die von ihm dafür ausgearbeitete Bau- einer der bedeutendsten
nig Stahl gebraucht wurde und die Ausführung weise wird im Prinzip bis heute verwendet. Zum Ingenieure Russlands.

zukunft forschung 0210 27


ARCHITEKTUR

Šuchov hat hyperbolische Wassertürme in verschiedensten Ausführungen geplant, wobei er bei allen
Standardisierungsbemühungen stets Form und Proportionen variierte.

Leichtbaupionier avancierte er durch die völlig zungskonzept. Das auf drei Jahre angelegte For-
neuen Gitterkonstruktionen und seine fulminan- schungsprojekt baut zwar auf die mehrjährigen
ten Dachbauten, von denen noch einige wenige Vorkampagnen der Wissenschaftler auf. Erst-
erhalten sind. So etwa die tonnenförmigen Pas- mals wird nun aber die Möglichkeit geschaffen,
sagendächer im Kaufhaus „GUM“ in Moskau. In das gesamte Werk des russischen Ingenieurs
einem extrem desolaten Zustand findet sich wie- systematisch zu erfassen und zu analysieren. Die
derum ein anderes Meisterwerk des russischen Erkenntnisse sollen natürlich in Publikationen
Multitalents – der Dachaufbau einer Werkshalle einem interessierten Publikum zur Verfügung
in Vyksa. gestellt werden.
Das Dorf liegt in der Nähe von Nižnij Nov- Zudem bedeutet eine derart vertiefende Un-
gorod, der viertgrößten Stadt Russlands, wo an tersuchung des Œuvres auch eine noch größere
ZUR PERSON der Einmündung der Oka in die Wolga auch Chance, die Entscheidungsträger in Russland
der eingangs erwähnte Gitterturm steht. Inten- davon zu überzeugen, die noch erhaltenen Bau-
Rainer Graefe studierte siv bemüht sich das Forscherteam rund um Rai- werke Šuchovs zu restaurieren und der Nachwelt
Theaterwissenschaft, ner Graefe, in Zusammenarbeit mit russischen zu erhalten. Zu den gefährdeten Objekten gehört
Philosophie und Germa- Wissenschaftlern, um die Erhaltung dieser nämlich auch der spektakuläre Šabolovka-Radio-
nistik in Würzburg und einmaligen Dachkonstruktion, bestehend aus sender in Moskau. Kurz nach der russischen Re-
Berlin (1976 Dr. phil.). fünf Quertonnen. Es handelt sich dabei um die volution von Lenin in Auftrag gegeben, sollte
Seit 1969 wissenschaftli- „ersten doppelt gekrümmten Gitterschalen aus dieser Radioturm 350 Meter hoch in den Mos-
cher Mitarbeiter von Frei durchweg gleichen Elementen der Baugeschich- kauer Himmel ragen. 1919 legte Šuchov Entwurf
Otto am Institut für Leichte te“ wie Graefe betont. Der technisch hochinter- und Berechnungen vor: Obwohl höher als der
Flächentragwerke der essante Dachaufbau wurde in den letzten Jahr- Eiffelturm, hätte dieser Bau nur rund ein Viertel
Universität Stuttgart. Seit zehnten der Eindeckung beraubt und befindet von dessen Stahlmenge erfordert. Aber selbst die
1991 Ordinarius für Bau- sich derzeit am „Rande des Kollapses“, wie der 2200 Tonnen waren damals nicht aufzubringen.
geschichte an der Univer- Bauhistoriker unterstreicht. Das Forscherteam Verwirklicht wurde letztlich „nur“ eine Variante
sität Innsbruck (Institut für hat hier bereits eingehende Voruntersuchungen mit einer Höhe von 150 Metern. Der Sendeturm
Baukunst, Baugeschichte angestellt. Nach Abschluss der Bestands- und ist zwar immer noch im Dienst, müsste aber drin-
und Denkmalpflege), 2005 Schadenserhebung, der Dokumentation von gend saniert werden. Graefe und seine Mitstreiter
Gründung und Leitung Konstruktion, Geometrie und Tragverhalten, wollen nun alles daran setzen, dieses „wirklich
des Archivs für Baukunst erarbeiten sie nun gemeinsam mit dem Eigen- herausragende Denkmal moderner Baukonstruk-
der Uni Innsbruck. Graefe tümer Vyksa Steel Works ein Rettungs- und Nut- tion“ zu erhalten. sg
emeritierte 2009.

28 zukunft forschung 0210 Fotos: Rainer Graefe (2), Andreas Friedle (1)

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BOTANIK

VIELFALT ALS
ÜBERLEBENSSTRATEGIE
Polyploidie – die Vermehrung der Chromosomensätze – hat für Pflanzen im
Alpenraum klare Vorteile. Peter Schönswetter, Professor für Systemische Botanik und
Geobotanik, untersuchte dieses Phänomen am Beispiel des Krainer Greiskrautes.

MORPHOLOGISCHER VERGLEICH

30 zukunft forschung 0210 Fotos: Peter Schönswetter (4), Eva Fessler (1)
BOTANIK

U
nter Polyploidie versteht man das Vor- zerhackt, damit die Zellwände zerstört werden. ZUR PERSON
handensein von mehr als zwei Chro- Dann wird der vorher angefärbte Zellkern mittels
mosomensätzen innerhalb einer Zelle. eines Laserstrahls angeregt und anhand der Stärke
„Während bei Tieren dieses Phänomen relativ des Lichtstrahls, der vom Zellkern emittiert wird,
selten ist, gehen wir mittlerweile davon aus, dass können wir die DNA-Menge im Zellkern berech-
mehr als 99 Prozent aller Blütenpflanzen polyploid nen“, beschreibt der Botaniker.
sind“, erklärt Prof. Peter Schönswetter. Auch rund Ein weiteres interessantes Ergebnis von Schöns-
10 Prozent aller Artbildungsprozesse in der Pflan- wetters Untersuchungen betrifft die Standorte
zenwelt gehen auf die Vermehrung der Chromo- der verschiedenen Ploidiestufen: „Durch die
somensätze zurück. Der evolutionäre Vorteil der mosaikartig strukturierte Landschaft in Bergre-
Polyploidie liegt dabei auf der Hand: „Die Kombi- gionen wachsen di- und hexaploide Individuen
nation der Eigenschaften zweier unterschiedlicher zwar relativ nah nebeneinander, ökologisch sind Peter Schönswetter (*1973
Elternarten im Genom macht einen Organismus ihre Standorte dennoch unterschiedlich“, verdeut- in Wien) studierte Biologie
sehr anpassungsfähig“, erläutert Schönswetter. licht Schönswetter. Die kleinwüchsigen, diploiden (Studienzweig Botanik) an
„Polyploidie führt außerdem praktisch immer Vertreter des Krainer Greiskrauts sind die konkur- der Universität Wien, wo er
dazu, dass die Zellen und somit der ganze Orga- renzschwächsten – sie sind eher an wenig besie- 2002 promovierte. Es folgte
nismus größer ist – bei Kulturpflanzen wie zum delten, windexponierten Kuppen positioniert. Die ein Postdoc-Aufenthalt am
Beispiel Mais oder Weizen ist dies natürlich wün- höherwüchsigen, hexaploiden Individuen sind National Centre for Biodi-
schenswert“, so Schönswetter. Das Phänomen hingegen oft nur einen halben Meter entfernt in versity an der Universität
der Polyploidie lässt sich allerdings nicht nur bei einer windgeschützten Mulde zu finden. Da die- Oslo. Von 2001 bis 2009
Kulturpflanzen beobachten. „Wildwachsende po- se Distanz für Bestäuber leicht zu überwinden ist, war er als Vertragsassistent
lyploide Pflanzen kommen vor allem an Standor- müssten an diesen Standorten durch die Kreuzung am Department für Biogeo-
ten mit fluktuierenden Umweltbedingungen, wie zwischen den zwei Ploidiestufen auch tetraploide graphie, Fakultätszentrum für
zum Beispiel in Berggebieten vor. Bei Alpenpflan- Individuen vorhanden sein. Die genauen Untersu- Biodiversität der Universität
zen ist Polyploidie auch ein sehr wichtiger Modus chungen zeigten aber, dass es diese intermediären Wien beschäftigt. Seit 2010
der Artbildung“, weiß der Botaniker. Individuen nicht gibt. „Wir fanden heraus, dass ist Peter Schönswetter als
es starke Kreuzungsbarrieren zwischen den di- Universitätsprofessor für
VERWANDTSCHAFT ploiden und hexaploiden Individuen des Krainer Systematik und Geobotanik
Eine bisher kaum erforschte Verwandtschaftsgrup- Greiskrautes gibt, weshalb sie auch als verschie- an der Universität Innsbruck
pe, mit der sich Peter Schönswetter in den vergan- dene Arten anzusehen sind.“ Zwischen den tetra- tätig.
genen Jahren sehr intensiv beschäftigt hat, ist das ploiden und hexaploiden Individuen gibt es diese
Krainer Greiskraut. Auch wenn sich Individuen Barriere zwar nicht, ihre Standorte sind allerdings
morphologisch zum Teil stark unterscheiden – es so deutlich getrennt, dass es praktisch keine Kreu-
gibt größere und kleinere, stärker und weniger zungen mit fünf Chromosomensätzen gibt.
stark behaarte – ging man bisher davon aus, dass
diese Art einheitlich hexaploid ist – also über sechs NACHEISZEITLICHE VERBREITUNG
Chromosomensätze verfügt. „Die Untersuchun- Nachdem der Botaniker auch die Verbreitung der
gen, die ich mit meinem Team an der Universität einzelnen Ploidiestufen im Alpengebiet analysier-
Wien durchgeführt habe, zeigten aber, dass diese te, kann er eine Verbindung zu nacheiszeitlichen
Art neben hexaploiden auch diploide Individuen Entwicklungen herstellen. „Während in Gebieten,
mit zwei Chromosomensätzen und tetraploide In- die früher extrem stark vergletschert waren, heute
dividuen mit vier Chromosomensätzen umfasst“, fast nur hexaploide Individuen des Krainer Greis-
erklärt Schönswetter. Die Methode, die den Bio- krautes zu finden sind, kommen die tetraploiden
logen diese Erkenntnis ermöglichte, nennt sich Individuen in diesen Gebieten überhaupt nicht
Durchflusszytometrie. Anhand dieser Messme- vor“, so Schönswetter. Nachdem er die Untersu-
thode kann die Menge der Erbsubstanz (DNA) im chung des Krainer Greiskrautes abgeschlossen hat,
Zellkern bestimmt werden, ohne die Chromoso- wird sich der Botaniker in einem gerade begonne-
men einzeln zählen zu müssen. Ein weiterer Vor- nen EU-Projekt gemeinsam mit den Universitäten
teil der Durchflusszytometrie ist die Tatsache, dass in Belgrad und Zagreb den bisher nur wenig er-
auch getrocknete Pflanzen analysiert werden kön- forschten Gebirgspflanzen auf der Balkan-Halb-
nen. „Dabei wird die Pflanze getrocknet und fein insel widmen. sr

Die Bilder zeigen die morphologischen Unterschiede zwischen den östlichen und den westlichen diploiden Zy-
totypen sowie den tetraploiden und den hexaploiden Zytotypen des Krainer Greiskrautes (v.li.o. nach re.u.).

zukunft forschung 0210 31


SPRACHUNTERRICHT

HELLO,
BONJOUR,
MERHABA!
Mehrsprachigkeit steht im Zentrum des Interesses
der Anglistin Ulrike Jessner-Schmid. Mit einem
Forschungsteam untersucht sie die Bedeutung
des metalinguistischen Bewusstseins sowie neue
Lehrmethoden für den Sprachunterricht.

B
ereits vor acht Jahren veröffentlichte guistische Bewusstsein im Spracherwerbs-
Ao.Univ.-Prof. Dr. Ulrike Jessner- prozess gefördert werden.
Schmid vom Institut für Anglistik
der Universität Innsbruck gemeinsam mit MEHRSPRACHIGKEIT FÖRDERN
ihrem Kollegen Ass.-Prof. Dr. Philip Her- Gemeinsam mit einer Gruppe von engagier-
dina ein dynamisches Modell der Mehr- ten DiplomandInnen und DissertantInnen
sprachigkeit. „Frühere Denkansätze in der gründete Ulrike Jessner-Schmied die For-
Sprachwissenschaft waren monolingual ge- schungsgruppe Dynamics of Multilinguism
prägt. Um sich der Komplexität des Themas with English (DYME), die sich unter ande-
Mehrsprachigkeit besser nähern zu können, rem auch im Rahmen von Integrationspro-
haben wir durch Anwendung der dynami- jekten mit Mehrsprachigkeit auseinander-
schen Systemtheorie eine Art Denkmetapher setzt. „Wenn wir davon sprechen, die Elite
entwickelt, die hilft, anders zu denken“, be- der Mehrsprachigen zu fördern, müssen wir
schreibt Ulrike Jessner-Schmid. Das Modell, immer auch für mitgebrachte Mehrsprachig-
das in der Forschung mittlerweile sehr häu- keit offen sein“, so die Anglistin, die betont,
fig Anwendung findet, besagt beispielswei- dass wissenschaftliche Studien kognitive
se, dass Spracherwerbsprozesse nicht linear Vorteile durch Mehrsprachigkeit belegen.
gesehen werden dürfen. „Beim Erlernen Ein weiterer Aspekt der Mehrsprachig-
einer Sprache entwickelt sich ein sogenann- keitsforschung, mit dem sich Jessner-
tes metalinguistisches Bewusstsein: Durch Schmid in nächster Zeit intensiver ausei-
die neue Sprache sehe ich die Sprachen, die nandersetzen will, ist die Frage, was pas-
ich beherrsche anders und auch der Blick siert, wenn eine Sprache eine längere Zeit
auf die Sprache, die gerade erlernt wird, nicht verwendet wird. „Meine These dazu
verändert sich durch die Sprachen, die ich ist, dass sich die metalinguistischen Fähig-
bereits beherrsche“, erläutert die Anglistin. keiten, die sich beim Erwerb der Sprache
In Bezug auf den Unterricht plädiert Jessner- gebildet haben, halten und einem Verlust
Schmid deshalb für einen mehrsprachigen der Sprache entgegenwirken. Ein Grund
Ansatz. „Früher wurde oft behauptet, es mehr, den Erwerb dieser Fähigkeiten im
sei schlecht, Sprachen zu mischen. Ich bin Sprachunterricht zu fördern“, erklärt Ul-
dagegen der Meinung, dass der Brücken- rike Jessner-Schmid, die diese These nun
schlag zu anderen Sprachen im Unterricht wissenschaftlich belegen möchte. sr
gefördert werden muss“, verdeutlicht Ulrike
Jessner-Schmid. Nur so könne das metalin- Mehr Infos: www.uibk.ac.at/anglistik/staff/jessner/

32 zukunft forschung 0210 Foto: Florian Lechner


KURZMELDUNGEN

MINERALOGIE
Junge Forschende liefern neue Daten zu zwei
kristallinen Verbindungen.

I
n der Arbeitsgruppe

LAUNISCH WIE
für Angewandte Mi-
neralogie und Kris-
tallographie haben Stu-
dierende in ihren Bachelor-
arbeiten Ergebnisse erzielt,
DER WIND?
die in wissenschaftliche
Publikationen eingeflos-
sen sind. Daniela Girtler
N atürliche Energiequellen sind wankelmü-
tig. Ist bei Wasserkraft das Problem noch
überschaubar, so können bei Solar- und Wind-
hat sich mit der Züch- energie Änderungen der Wetterbedingungen die
tung von Devitritkristal- Stromproduktion stark beeinflussen. Wirklich
len beschäftigt und diese problematisch wird dieser Umstand mit dem
hinsichtlich ihres Tempe- stetig wachsenden Anteil des „Öko-Stroms“ am
raturverhaltens, ihres in- Gesamtstromverbrauch. Denn Energielieferanten
neren Aufbaus und ihres müssen ihre uneingeschränkte Lieferung trotz die-
Schwingungsspektrums Nach der Formgebung im Beispiel die Herstellung ser Unsicherheit garantieren können und brauchen
charakterisiert. Devitrit, schmelzflüssigen Zustand von feuerfesten Zemen- daher präzise Vorhersagemethoden. Ein Team der
ein Natrium-Calcium-Sili- erstarrt das Produkt zum ten oder Bindemitteln Uni Innsbruck hat nun begonnen, solche Metho-
kat, ist eine unerwünschte gewünschten glasigen sowie die Verwendung den für die Stromproduktion von Windparks in
kristalline Verunreinigung, Festkörper. Mit Hilfe der als Ionentauscher in Österreich zu finden. Im Mittelpunkt des vom Wis-
die bei der Glasherstellung in dieser Arbeit bestimm- Waschmitteln. Obwohl senschaftsfonds FWF unterstützten Projekts stehen
auftreten kann. Industriel- ten Daten können die den Natriumsilikaten al- Vorhersagen für Zeiträume von sechs Stunden bis
le Massengläser, wie sie dabei eventuell auftreten- so durchaus eine enorme zehn Tagen. Neben der Zuverlässigkeit der Vor-
unter anderem als Hohl- den kristallinen Verunrei- technische Bedeutung hersagemethoden werden auch deren räumliche
gläser im Haushalt oder nigungen nun schneller zukommt, ist die genaue und zeitliche Auflösungen analysiert. Zusätzlich
als Fensterglas in der Bau- identifiziert werden. Zahl der existierenden wird verglichen, inwieweit diese Methoden die
branche eingesetzt wer- Thomas Langreiter ge- Verbindungen auch nach Wahrscheinlichkeiten des Eintreffens der Vorher-
den, beruhen chemisch ge- lang es erstmals, Kristalle mehr als 80-jähriger For- sage mit einberechnen können. „Vereinfacht gesagt
sehen im Wesentlichen auf der Verbindung Na6Si2O7 schung noch immer nicht testen wir alle Methoden darauf, wie gut sie zwei
drei Grundkomponenten: in einer Qualität zu syn- abschließend geklärt. Datenkomplexe miteinander in Verbindung setzen.
Natriumoxid, Calciumo- thetisieren, die eine wei- Langreiter lieferte nun ei- Zum einen Daten, die zu Wettervorhersagen die-
xid und Siliziumoxid. Für tergehende Beschreibung ne abschließende Antwort nen. Zum anderen Daten mehrerer Windparks in
die Glasherstellung wer- ihrer Eigenschaften er- auf die seit dem Jahr 1930 Österreich, die Auskunft über den realen Umfang
den diese Komponenten möglichte. Die Einsatz- offene Frage nach der der Stromproduktion bei verschiedenen Windver-
bei Temperaturen von et- gebiete kristalliner Natri- Existenz dieser spezifi- hältnissen liefern“, erläutert Prof. Georg Mayr vom
wa 1600 °C geschmolzen. umsilikate umfassen zum schen Verbindung. Institut für Meteorologie und Geophysik.

UNI-RANKING: INNSBRUCK VORAN


Die Universität Innsbruck liegt im internationalen Hochschulranking der Fachzeitschrift Times Higher Educa-
tion unter den weltweit 200 besten Universitäten. Erstmals wird Innsbruck dabei als beste österreichische
Universität bewertet. Trotz dieses Erfolgs zeigt das Ranking auch die Probleme der österreichischen Hoch-
schulen auf. „Die Universität Innsbruck ist in Österreich top und wird auch international wahrgenommen.
Verantwortlich dafür ist natürlich die gute Arbeit unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Lehre und
Forschung, die unter nicht immer ganz einfachen Rahmenbedingungen eine international konkurrenzfähi-
ge Arbeit leisten“, sagt Rektor Karlheinz Töchterle. „Ob wir diese gute Platzierung halten oder auch noch
ausbauen können, wird deshalb davon abhängen, ob die gesetzlichen und finanziellen Rahmenbedingun-
gen für die österreichischen Universitäten in den nächsten Jahren nachhaltig verbessert werden.“

Fotos: Georg Mayr/www.freephotobank.org (1), Uni Innsbruck (1), Compagnie de Saint-Gobain (1) zukunft forschung 0210 33
ARCHÄOLOGIE

WESTSIZILISCHES
NETZWERK
Soziale Kontakte und Networking spielten schon in der frühen Eisenzeit
eine große Rolle. Das weiß Prof. Erich Kistler vom Institut für Klassische
und Provinzialrömische Archäologie. Dem Leben indigener Bewohner ist
Kistler gemeinsam mit seinem Team auf dem Monte Iato im westsizilischen
Binnenland auf der Spur.

34 zukunft forschung 0210 Fotos: Zürcher Ietas-Grabung (2), Eva Fessler (1)
ARCHÄOLOGIE

A
m Monte Iato im Westen Siziliens fanden in den 1970er-
Jahren Forscherinnen und Forscher der Universität Zü-
rich eine verlassene Stadt hellenistischer Zeit, die bis
dahin nur durch literarische Überlieferungen und entsprechende
Münzfunde mit der Inschrift „Iaitas“ bekannt war. Bereits im 7. Jh.
v. Chr. gab es ein Dorf mit Weilern, deren führende Familien mit
Phöniziern und Griechen gastfreundschaftliche Kontakte pflegten,
Prestigegüter austauschten und gegen Wein und Olivenöl saiso-
nale Arbeitskräfte in die griechischen Kolonien lieferten. Um die
Mitte des 6. Jh. v. Chr. führte diese Vernetzung und Tauschöko-
nomie der einheimischen Oberhäupter mit Gastfreunden in den
griechischen Kolonien Selinunt und Himera zur Herausbildung
einer Führungsschicht auf dem Monte Iato. Diese, ausgestattet ZUR PERSON
mit der Expertenmacht und Technologie ihrer griechischen Gast- Erich Kistler studierte von 1989-1996 Klassische Archäologie,
freunde, eignete sich die damals mondäne Lebenskultur der Grie- Alte Geschichte und Philosophie in Zürich. 2004 habilitierte
chen an, um sich so von den übrigen Dorfbewohnern sozial und er sich. 2004-2008 war er Hochschuldozent an den Universi-
kulturell abzuheben. Doch erst um 300 v. Chr. wurde schließlich täten Zürich und Bern. Ab 2008 lehrte er an der Ruhr-Univer-
die einst in der indigenen Tradition errichtete Höhensiedlung auf sität Bochum. 2010 wechselte Erich Kistler an die Universität
dem Monte Iato nach dem Muster einer griechischen Stadt in eine Innsbruck.
Gesamtanlage mit Plätzen, Straßen, einem Theater und Pracht-
bauten als Wohnsitze reicher Familien umgebaut. Ab diesem Zeit-
punkt beginnt auch die lokale Münzprägung, welche den Namen ARCHITEKTUR DES LEBENS
dieser Stadt überliefert. Eine besondere Rolle spielte „Iaitas“ wie- Die Siedlungsreste aus dem 8. bis frühen 6. Jh. v. Chr., welche das
der im 13. Jh. n. Chr., als die Stadt in einer zweiten Blütephase Innsbrucker Forscherteam vorfand, belegen für die indigene Bevöl-
zum eigentlichen Zentrum des muslimischen Widerstandes gegen kerung ein Zusammenleben in mehrgliedrigen Familienverbänden,
Kaiser Friedrich II. avancierte. Ihr Kampf war jedoch erfolglos, welche jeweils in mehreren Hütten verstreut das Bergplateau des
die Stadt wurde 1246 in Schutt und Asche gelegt, ihre Bewohner Monte Iato besiedelten. Man weiß, dass die Rundhütten wegen ih-
verschleppt. Seither blieb der Monte Iato unbesiedelt und diente rer zentralen Lage als innerfamiliäre Begegnungszentren galten, in
bald nur noch als Weidefläche für Vieh. welchen auch, unter Anleitung des Familienoberhauptes, Riten zur
Während sich die Forschungsaktivitäten der Uni Zürich jahr- Ahnenehrung vollzogen wurden. Ritzverziertes Festgeschirr, wie
zehntelang vornehmlich auf die Überreste der griechisch-hellenis- es zur Symbolisierung der Anwesenheit der Ahnen typisch war,
tischen Stadt (300 v. Chr. bis 50 n. Chr.) konzentrierten, wollen nun wurde beispielsweise von Kistlers Team gefunden. Spätestens am
Prof. Erich Kistler und sein Team der Uni Innsbruck das Alltagsle- Ende des 6. Jhs. v. Chr. aber änderte sich dieser Brauch. Vermutlich
ben der indigenen Bevölkerung auf dem Monte Iato während der wurden diese Riten vom Haus nach draußen verlagert, um mit
kolonialen Kontaktzeit des 7. bis 5. Jhs. v. Chr. genauer erforschen. allen Siedlungsmitgliedern gemeinsam der Ahnen zu gedenken.
Ihr Ziel ist es, mittels eines religionshistorischen Forschungsansat- Dies belegt ein Altar aus Kalksteinblöcken, auf dem die Tiere nun
zes mehr über Religion, Machtbildung und Elitekultur im Span- siedlungsgemeinschaftlich geopfert, zerlegt und verspeist wurden.
nungsfeld zwischen einheimischen Traditionen und griechischer Die Umverteilung von Fleisch, das damals eine kulinarische Exklu-
Kulturbeeinflussung herauszufinden. So untersucht das Team sivität darstellte, war damit von einer privaten zu einer öffentlichen
die Ruinen eines ehemaligen Festhauses, das zugleich Residenz Angelegenheit geworden. Dies muss wiederum mit der Bildung
einer führenden Familie war, sowie die Grundrisse von Hütten einer lokalen Elite zusammenhängen.
und eine alte Kultstätte, die vermutlich in der Hellenistischen Zeit Ab dem mittleren 6. Jh. v. Chr. haben sich vermutlich auch
wiederbelebt wurde und – wie eine Scherbe mit Votivinschrift Wohnform und soziale Organisation völlig verändert, wie Reste
vermuten lässt – „Der Aphrodite“ geweiht war. von Mauerzügen, Fußböden und Gehniveaus beweisen. Aus den

MONTE IATO
Der im Nordwesten Siziliens gelegene Monte Iato ist etwa 30 Kilometer von Palermo entfernt
und nahe den Orten San Cipirello und San Giuseppe Iato. Der kahle Berg ist 852 Meter
hoch, drei Seiten sind stark abfallende Felshänge. Er ist lediglich an der Ostseite über einen
Hang zugänglich. Aufgrund der strategisch günstigen Lage war das Hochplateau des Monte
Iato in der Antike und im Mittelalter Standort einer gut befestigten Stadt, die, wie Münzfunde
belegen, griechisch „Iaitas“ hieß. Im 13. Jh. n. Chr. wurde die Stadt von Kaiser Friedrich II.
zerstört. So diente jahrhundertelang das Hochplateau als Weidefläche für Vieh.

zukunft forschung 0210 35


ARCHÄOLOGIE

„Supermärkte, wie wir sie kennen, gab es natürlich nicht; die Agrarwirtschaft
am kargen Monte Iato war nur beschränkt möglich.“ Erich Kistler, Archäologe

großfamiliaren runden Hüttenkomplexen wurden dicht aneinander sich deshalb die gesamte Siedlungsgemeinschaft stellen konnte“,
gebaute rechteckige Häuser, in denen Kleinfamilien lebten – Arm erklärt Erich Kistler. Im Inneren des Tempels wurden Depots von
und Reich wohnten bunt durchmischt. selektiven Auslesen von Opfermahlzeiten vorgefunden, welche
Im kultischen Zentrum des damaligen Lebens befand sich ein darauf schließen lassen, dass der Sakralbau als elitäres Fest- und
Sakralbau nach griechischem Vorbild, der um 550 v. Chr. errich- Versammlungshaus fungierte. Auch in eigenen Gebäuden, soge-
tet wurde und als „Heiliges Haus“ dem Festbetrieb zu Ehren der nannten Banketthäusern und auf davor liegenden Wiesen wurden
lokalen Schutzgottheit diente. „Ob jenes bereits zu dieser Zeit der Feierlichkeiten ausgetragen. Über das Bankett pflegte man sozia-
griechischen Göttin Aphrodite geweiht war, ist ungewiss, jedoch le Kontakte, Gastfreundschaften und damit das soziale Netzwerk
muss dort eine übernatürliche Macht, die über den Ahnen der ein- nach außen und innen. In den repräsentativ hergerichteten Ban-
zelnen Familien stand, verehrt worden sein, unter deren Schutz kettsälen des Festhauses wurden exquisite Speisen und gute Weine
aus den griechischen Küstenstädten genossen. Das einfache Volk
musste hingegen mit einem freien Platz zwischen dem elitären
Banketthaus und dem „Heiligen Haus“ vorlieb nehmen. Draußen
auf dem Festplatz war das Mahl weniger exklusiv, man trank ein-
heimisches Gebräu und musste sich mit weniger qualitätvollem
Geschirr zufrieden geben. Im Bereich der vorgelagerten Festwiese
fand man schlechtgebrannte und wenig verzierte Scherben vor. Wie
das Team um Erich Kistler vermutet, wurden die Feierlichkeiten
von den führenden Familien als politisches Instrument benutzt, um
Heiratsallianzen mit wichtigen Fernpartnern zu schmieden sowie
soziale Abhängigkeiten im Ort zu schaffen.

BANKETTE ZUM MACHTERHALT


Diesen Festen ging ein unglaubliches logistisches Unterfangen vo-
raus. „Supermärkte, wie wir sie kennen, gab es natürlich nicht; die
Agrarwirtschaft am kargen Monte Iato war nur beschränkt mög-
lich“, beschreibt Kistler die Verhältnisse. „Monte Iatos Elite muss-
te also soziale Abhängigkeiten schaffen, um für die ausgiebigen
Festmahle die entsprechenden Gerichte bieten zu können. Es galt
Vieh zu züchten und Frauen zu finden, die all die Lebensmittel
verarbeiteten und herstellten. Dazu brauchte es führende Kräfte
vor Ort. Doch das am Monte Iato produzierte Getreide und Fleisch
reichte nicht aus, um in spätarchaischer Zeit Feste zu feiern. Der äu-
ßerst beliebte Wein und die Oliven mussten aus dem benachbarten
Gebiet der griechischen Kolonien importiert werden. Dies war nur
durch gastfreundschaftliche Beziehungen führender Personen zu
kolonialen Kontaktpartnern möglich.“
Um das gesellschaftliche Leben der indigenen Bevölkerung
Westsiziliens noch genauer beleuchten zu können, arbeitet das
FUNDSTÜCKE Forschungsteam interdisziplinär. Kistler weiß das Wissen aus
anderen Fachrichtungen, wie der Soziologie, Anthropologie und
Monte Iato-Aphroditetempel mit Ethnologie zu bündeln und setzt dieses gezielt ein. Mithilfe des
Altar, um 540 v. Chr./3. Jh. v. „religiösen Fingerprints“ versucht er die Kultur der indigenen Be-
Chr. (ob.); Antefix mit Darstellung völkerung des Monte Iato in Abgrenzung zur Kultur der Phönizier
einer Theatermaske vom Dach und Griechen des Monte Iato zu erforschen. Sein Forschungspro-
des Bühnenhauses des Theaters, jekt wird vom Wissenschaftsfonds FWF gefördert. Die Ergebnisse
3. Jh. v. Chr. (Mitte); Einheimi- sollen 2012 auf einem internationalen Kongress im Vergleich mit
sches Hütten- oder Kultbaumodell anderen Fallbeispielen debattiert und 2013 als Buch veröffentlicht
aus Keramik mit Stierskulptur, aus werden. Derzeit arbeiten neun lokale Arbeitskräfte aus dem Dorf
einem spätarchaischen Wohn- San Cipirello sowie Innsbrucker Studierende gemeinsam mit Kist-
haus, um 500 v. Chr. (li.). ler an diesem Projekt. ds

36 zukunft forschung 0210 Fotos: Zürcher Ietas-Grabung (3)


ÖKOLOGIE

KÜHLENDE WÄLDER
Hitzewellen haben erhebliche Auswirkungen auf Mensch und Ökosystem. Wie stark
diese sind, hängt unter anderem von der Art der lokalen Bodenbedeckung ab.

Z
u Beginn einer Hitzewelle werden über Grasland niedrigere die Forscher anhand von Messungen an mehreren Standorten in
Temperaturen gemessen als über Waldgebieten. „Dauert ei- Europa, an denen Grasland und Wald nebeneinander liegen. „Die
ne trockene, heiße Periode länger, so kehrt sich die Situation Geräte an den Messtürmen liefern an 365 Tagen im Jahr 10- bis 20-
um. Oberhalb von Wäldern ist es dann kühler als über dem Gras- mal pro Sekunde Daten zur Verdunstung, die in eine europäische
land – zum Höhepunkt der Hitzewelle im Jahr 2003 betrug dieser Datenbank eingespielt werden. In dieser Studie wurden diese in
Unterschied in manchen Regionen im Mittel bis zu 3,5 °C“, erläutert Kombination mit Satellitenbildern der Landoberflächentemperatur
Georg Wohlfahrt vom Institut für Ökologie das Ergebnis einer euro- ausgewertet“, erzählt Georg Wohlfahrt. Die Messdaten, mit denen
paweiten Untersuchung, die im September in der Zeitschrift Nature er arbeitet, stammen von einer Messstation, die sich auf einer Wiese
Geoscience veröffentlicht wurde. Grund für dieses bemerkenswerte im Stubaital befindet. „Was uns besonders interessiert hat, war die
Phänomen ist die unterschiedliche Verdunstung, d.h. der Fluss von Frage: Was passiert auf dieser Wiese in einer längeren Phase der
Wasserdampf durch die Spaltöffnungen der Pflanzen zur Atmosphä- Trockenheit“, so der Wissenschaftler. „Wir haben festgestellt, dass,
re hin: „Vor allem krautige Pflanzen weisen häufig höhere Verduns- seit wir unsere Messungen im Jahr 2001 begonnen haben, für die
tungsraten als Bäume auf – weil für die Verdunstung von Wasser Vegetation durch Trockenheit keine Nachteile entstanden sind. In
Energie aufgewendet werden muss, hat dies einen kühlenden Effekt Laborversuchen konnten wir jedoch zeigen, dass noch längere und
und dämpft dadurch die Erwärmung“, verdeutlicht der Leiter der noch heißere Temperaturen nachhaltige Schäden anrichten können.“
Arbeitsgruppe Biometeorologie. Eine Erkenntnis, die laut Wohlfahrt in Hinblick auf die klimatischen
Zukunftsaussichten von Bedeutung ist. Denn diese prognostizieren
LABORVERSUCHE UND FREILANDMESSUNGEN sowohl einen Anstieg der durchschnittlichen Sommertemperaturen
Wenn die Temperaturen über längere Zeit sehr hoch sind, ver- für Zentral- und Westeuropa als auch eine zunehmende Häufigkeit
dunsten über dem Grasland große Mengen an Wasser. Werden an sommerlichen Trockenperioden. ef
die Vorräte an Bodenwasser schließlich knapp, schützen sich die
Pflanzen, indem sie die Weite der Spaltöffnungen verringern und
so die Verdunstung reduzieren. Da nun ein wichtiger Kühlmecha- ZUR PERSON
nismus fehlt, kommt es zu einem Anstieg der Temperaturen des Georg Wohlfahrt, geboren 1970 in Innsbruck,
Ökosystems und der darüber liegenden Luftschichten. Wälder hin- studierte Biologie an der Universität Innsbruck und
gegen haben laut Wohlfahrt einen konservativen Wasserhaushalt, habilitierte sich 2004 im Fachbereich Ökologie. Er
sie verdunsten langsamer, sind tiefer im Boden verwurzelt und leitet die Forschungsgruppe Biometeorologie am Insti-
haben daher auch nach längeren Hitzeperioden noch Zugang zu tut für Ökologie. Die Messung und Modellierung des
Wasserressourcen. Im Verlauf einer Hitzewelle tragen Wälder so Austausches von Spurengasen und Energie zwischen
stetig zur Kühlung bei und sind in dieser Hinsicht in längeren Hit- terrestrischen Ökosystemen und der Atmosphäre
zeperioden dem Grasland überlegen. Zu diesen Ergebnissen kamen stehen im Mittelpunkt seiner Forschungsinteressen.

Fotos: Oliver Mohr/pixelio.de (1), Georg Wohlfahrt (1) zukunft forschung 0210 37
RECHTSWISSENSCHAFT

GEDANKEN ZUR
RECHTSZUKUNFT
Technische und gesellschaftliche Entwicklungen beeinflussen immer
mehr die Rechtsordnung. Wo liegen Möglichkeiten und Grenzen der
rechtsstaatlichen Ordnung unter derart gewandelten Verhältnissen?

INFO ZUKUNFT: In Obergurgl fand die erste Tagung reich, bei dem sich gerade junge Wissenschaftler
der Österreichischen Assistentinnen und Assis- etablieren können.
Zum ersten Mal in Öster- tenten Öffentliches Recht, unter anderen von ZUKUNFT: Wenn man in geradezu philosophi-
reich fand im Universitäts- Ihnen organisiert, statt. Wie kam es zu dem Ta- scher Weise von einem hypermodernen Rechts-
zentrum Obergurgl die gungsthema „Auf dem Weg zum hypermodernen staat spricht, kommt man wohl nicht umhin, in-
„Tagung der Österreichi- Rechtsstaat“? terdisziplinär zu denken?
schen Assistentinnen und SEBASTIAN SCHMID: Zum einen ist es darum VERONIKA TIEFENTHALER: Natürlich bietet sich
Assistenten Öffentliches gegangen, einen etwas provokanten Titel zu fin- das Thema für eine interdisziplinäre Betrachtung
Recht“, organisiert von den den. Die Hypermoderne ist nach der Moderne an. Wir haben uns aber bei der Tagung auf die
Mitarbeitern des Innsbrucker und der Postmoderne ein recht neuer Begriff und rechtliche Perspektive beschränkt – was auch klar
Instituts für Öffentliches definiert die letzte gesellschaftliche Entwicklung, bei den Referaten zum Ausdruck kam. Allerdings
Recht, Sebastian Schmid, der gegenüber das klassische Modell des Rechts- war der Tagungstitel sehr offen formuliert – und
Veronika Tiefenthaler, Klaus staats steht. Das ergibt ein interessantes Span- ließ viele Themen zu, damit aus verschiedensten
Wallnöfer und Andreas nungsverhältnis und wirft die Frage auf, wie die Bereichen des öffentlichen Rechts unterschied-
Wimmer, zum Thema „Auf „alte“ Rechtsordnung auf die aktuellen, schnellen lichste Inhalte diskutiert werden konnten.
dem Weg zum hypermoder- und vor allem technischen Entwicklungen rea-
nen Rechtsstaat?“ statt. giert. Zum anderen ist dies sicher ein Themenbe- Das gesamte Interview finden Sie auf www.uibk.ac.at/forschung/magazin/5/

38 zukunft forschung 0210 Fotos: David Bullock (3)


RECHTSWISSENSCHAFT

„Die Rechtsordnung bleibt von Technisierung und Digitalisierung


nicht verschont. Sie muss sich im Einzelfall anpassen und ist da-
durch auch vor Herausforderungen gestellt.“ Veronika Tiefenthaler, Universitätsassistentin

ZUKUNFT: Wenn man eine so breit angelegte stein und hat sich bis heute in weiten Bereichen
Thematik behandelt, kommt man dabei zu ir- unverändert gehalten, was durchaus für ihre Qua-
gendeinem Ergebnis – oder war das gar nicht lität und ihre Fähigkeit spricht, auf gesellschaftli-
das Ziel? che Entwicklungen zu reagieren. Es ist also auf-
TIEFENTHALER: Sinn und Zweck dieser Tagung grund der zunehmenden Technisierung und Di- ZUR PERSON
war vor allem ein wissenschaftlicher Gedanken- gitalisierung keine Umkrempelung der gesamten
austausch, der zu Diskussionen anregen sollte. Rechtsordnung notwendig. Dass aber in manchen Nach Studienaufenthalten in
Aus diesem Grund war es auch nicht das vor- Bereichen Anpassungsbedarf besteht und Anpas- England (LSE, Cambridge)
rangige Ziel, auf ein bestimmtes abschließendes sungen schon erfolgt sind, haben die Referate absolvierte die gebürtige
Ergebnis zu kommen. Auch war die Tagung nicht und die Workshops der Assistententagung sehr Feldkircherin Veronika
auf ein enges Thema beschränkt, wie die Inhalte eindrücklich aufgezeigt. Als Beispiel sei auf die Tiefenthaler neben dem
der drei Panels zeigen: „Informelles Verwaltungs- jüngste E-Voting-Diskussion verwiesen: Hier steht Doktoratsstudium der Rechts-
handeln im Lichte zunehmender Medialisie- die mit der Internetnutzung einhergehende Trans- wissenschaften ebenfalls
rung“, „Veränderung versus Stetigkeit – aktuelle parenz in einem Spannungsverhältnis zum verfas- das Studium der Politikwis-
Entwicklungen aus verfassungsrechtlicher Sicht“ sungsrechtlich garantierten geheimen Wahlrecht. senschaften in Innsbruck.
und „Die (relative) Geschlossenheit des Rechts- Solche Gegensätze sind eine Herausforderung für Seit 2008 ist die 25-Jährige
quellensystems unter dem Druck europarechtli- Techniker und Rechtswissenschaftler. Assistentin am Institut für
cher Vorgaben“. ZUKUNFT: Kann man sagen, dass es bezugneh- Öffentliches Recht.
SCHMID: Es war nicht unser Ziel, dass wir eine mend auf Globalisierung und die europäische
These als zusammenfassendes Ergebnis formu- Entwicklung eine neue Dimension des Rechts-
lieren – und das hat in diesem Sinne auch nicht denkens geben soll?
stattgefunden. Die Tagung sollte jungen Wis- TIEFENTHALER: Die Idee des Rechtsstaats an sich
senschaftlern die Möglichkeit bieten, ihre For- steht nicht in Frage. Im Grunde funktioniert ja
schungsergebnisse zu präsentieren und dadurch auch die europäische Rechtsordnung ganz gleich
einen Beitrag zur wissenschaftlichen Aufarbei- wie eine nationale, zum Beispiel kann man das
tung aktueller Rechtsfragen zu leisten. europäische Primärrecht inhaltlich betrachtet
ZUKUNFT: Eine technische Entwicklung hat es durchaus als Verfassungsrecht der EU bezeich-
schon immer gegeben und der Rechtsstaat hat nen. Es kann aber festgestellt werden, dass die
sich dementsprechend immer angepasst. Die Ent- österreichische, sehr stark an formellen Gesichts-
wicklung ging in den letzten Jahren aber immer punkten orientierte Rechtslehre zunehmend von
schneller voran. Ist das nun eine besondere Her- der auf europäischer Ebene vorherrschenden ma-
ausforderung für den Rechtsstaat oder kann man teriellen Sichtweise auf das Recht abgelöst wird.
das so sehen, dass sich ein Rechtssystem bedingt ZUKUNFT: Technisierung, neue politische Ent-
durch seine Erfahrung sowieso anpasst? wicklungen am Beispiel der EU – der hyper-
TIEFENTHALER: Das kann man nicht so einfach moderne Rechtsstaat lässt sich also auf den her- ZUR PERSON
beantworten. Dinge wie E-Voting, Datenspei- kömmlichen Rechtsnormen aufbauen?
cherung, Datenschutz, diverse Technikklauseln, SCHMID: Aktuelle technische Entwicklungen las- Der 1978 in Innsbruck
E-Government, die Frage des Grundrechtsver- sen sich weitgehend mit der geltenden Rechtsord- geborene Jurist Sebastian
zichts sind alles Punkte, die unter anderem eine nung bewältigen. In einzelnen Bereichen gibt es Schmid promovierte 2005,
Konsequenz der technischen Entwicklung sind. wohl Handlungsbedarf für den Gesetzgeber ... nach einem Studienaufent-
Die Rechtsordnung bleibt von einer solchen Tech- TIEFENTHALER: Was die zwei Workshops der halt an der Erasmus-Uni-
nisierung und Digitalisierung nicht verschont. Sie Tagung verdeutlicht haben. Diese hatten „Da- versität Rotterdam, an der
muss sich im Einzelfall anpassen und ist dadurch tenschutz im Internet“ und „Rechtssetzung im Universität Innsbruck zum
auch vor Herausforderungen gestellt. elektronischen Umfeld“ zum Thema. Beides sind Dr. iur. Im gleichen Jahr
SCHMID: Die Stammfassung des österreichischen Beispiele dafür, wie der Gesetzgeber mit Tech- wurde er Wissenschaftlicher
Bundes-Verfassungsgesetzes geht auf das Jahr nisierung und Digitalisierung in der Praxis um- Mitarbeiter am Institut für
1920 zurück. Diese Verfassung war ein Meilen- geht. db Öffentliches Recht.

zukunft forschung 0210 39


GRÜNDUNGEN

EIN FASERVERBUND
FORMT DIE ZUKUNFT
Die Architektin Valentine Troi hat einen neuartigen Leichtbau-Werkstoff erfunden,
der mittlerweile patentrechtlich geschützt ist. Mit einem hochmotivierten Team an
ihrer Seite steht sie nun kurz vor der Unternehmensgründung.

D
ie rasanten Softwareentwicklungen der letzten Jahre ha- geht vom Sportgerät über Gebäudebauteile bis hin zur Autokaros-
ben Architektur und Design Türen in ungeahnte neue serie. Nach zwei Jahren Entwicklungsarbeit zählen nicht mehr nur
Räume geöffnet. Bislang sind es aber häufig virtuelle Räu- Architekten und Designer zu ihren Kunden. Auch die Automobil-
me geblieben. Wer sich mit freigeometrischen Formen beschäftigte, industrie, der Flugzeug- und Bootsbau sowie die Raumfahrt zeigen
konnte sich bei ihrer (Ver-)Formung am Computer zwar austoben, sich interessiert. Derzeit sind Prototypen für Details an Autos der
bei der Umsetzung von Freiformstrukturen in die Landschaft stieß Zukunft in Planung. Von der Idee bis hin zur finanziellen Förde-
man jedoch bald an Grenzen. Die Herstellung von komplexen geo- rung und Unterstützung bei der Unternehmensgründung fanden
metrischen Strukturen ist äußerst kostspielig. Die Geometrie der Valentine Troi und ihr Team in den universitären Einrichtungen
architektonischen Konstruktionen von Zaha Hadid in Innsbruck ist p.s.b. (projekt.service.büro), transidee und CAST die perfekten
vielleicht das geläufigste heimische Beispiel dafür. Partner. Infos unter www.supertex.at. cast
Genau bei dieser Problematik setzt die materialtechnologische
Erfindung der Architektin Valentine Troi an. Sie und das Grün-
derteam von superTEX – alle Mitglieder lehren und forschen am FORSCHUNGS-
Institut für Experimentelle Architektur./Hochbau an der Uni Inns- UND FINANZIERUNGSPHASEN
bruck – haben einen revolutionären Werkstoff entwickelt. Mit dem
Faserverbundmaterial splineTEX® können in Zukunft komplex 2009 Großmaßstäblicher Prototyp in splineTEX®; Tiroler Wissen-
geometrisch geformte Strukturelemente in unterschiedlichsten schaftsfond/Nachwuchsförderung
Maßstäben mit erheblich reduziertem Kostenfaktor realisiert wer- 2010 Entwicklung industrielles Herstellungsverfahren für splineTEX®;
den. Der Mehrphasenwerkstoff kann nämlich in einem weichen Prototypenförderung PRIZE (BMWFJ)
Zustand einfach in die gewünschte Form gebracht werden, bevor 2011 Unternehmensgründung superTEX; AWS Pre Seed und CAST
er dann gehärtet wird. Der Anwendungsbereich von splineTEX® Gründungszentrum GmbH

40 zukunft forschung 0210 Foto: Valentine Troi


GRÜNDUNGEN

DIE FLEISSIGEN
EICHHÖRNCHEN
Das Web hat sich zu einem sozialen Medium entwickelt, das auch
die Welt der Kinder grundlegend verändert hat. Nasubia bietet
dem Nachwuchs eine sichere Webumgebung.

K
inder wachsen heute mit neuen Medien Nasubia erkunden, altersgemäße Spiele spielen,
auf und machen sehr früh erste Kontakte sich mit anderen Kindern unterhalten, Freunde
DIE TECHNIK
mit dem www.. Spielen und mit Freun- finden und kreativ sein kann. Nasubia verzich- Bei der Realisierung wird
den chatten zählen zu ihren Lieblingsbeschäfti- tet vollständig auf Werbung, da Kinder normale auf hochwertige Open-Sour-
gungen. Kinder bloggen, chatten und pflegen ih- Inhalte von Werbung nur schwer unterscheiden ce Lösungen aufgebaut, was
re Kontakte mit Hilfe von sozialen Netzwerken. können. Anstelle bietet Nasubia verschiedene einerseits erlaubt, die not-
Dennoch haben sie andere Anforderungen als Arten von Mitgliedschaften an, die zusätzliche wendigen Sicherheitsstan-
Erwachsene. Besonders die vermeintliche Anony- Funktionen in der Welt freischalten. Die Benutzer dards effizient einzuhalten
mität des Netzes birgt Gefahren für Kinder, die von Nasubia wollen kommunizieren und Infor- und andererseits flexibel ge-
den verantwortungsvollen Umgang mit sensib- mationen teilen. Da Letzteres naturgemäß Gefah- nug zu bleiben, um ein Pro-
len Daten noch nicht erlernt haben. Das Team der ren birgt, konzentriert sich das Nasubia-Team auf dukt zu schaffen, das dem
Rational Worlds GmbH, Thomas Haselwanter, die verschiedenen Aspekte der Kommunikation anspruchsvollen, kindlichen
Martin Tanler und Andreas Wechselberger, hat zwischen den Benutzern. Es werden innovative Spielcharakter genügt. Auf
sich deshalb zum Ziel gesetzt, dem Nachwuchs Strategien, Techniken und Algorithmen entwi- Seiten der Infrastruktur wird
eine altersgerechte und sichere Umgebung im In- ckelt, um die Interaktion zwischen Kindern sicher auf modernste cloud-basierte
ternet zu bieten. Diese Umgebung ist eine virtu- zu gestalten. Nasubia befindet sich derzeit in der Lösungen gesetzt, was dem
elle Welt namens Nasubia, die über das Internet Beta-Phase und wird seit Juli 2010 von CAST mit Unternehmen ermöglicht,
kostenlos betreten werden kann. Jedes Kind darf Beratung und finanziellen Mitteln umfassend sich auf die problemspezifi-
sich zuerst ein Eichhörnchen auswählen. Dieses betreut. Gleich einloggen und Spaßfaktor testen schen Kerntechnologien zu
stellt die Identität des Kindes dar, mit dem es unter: www.nasubia.com. cast konzentrieren.

Fotos: Nasubia zukunft forschung 0210 41


GRÜNDUNGEN

EIN GRUNDSTEIN ZUR


KOMMENTAR

STILLSTAND ALS
ERFOLG VERKAUFEN SELBSTSTÄNDIGKEIT
S
tillstand und Rückschritt scheinen
die wichtigsten Maxime in unse- Businessplanwettbewerb Adventure X – von der
rer derzeitigen Politik zu sein. Das
wichtigste Ziel ist die Erhaltung aktuel-
Forschung zum tragfähigen Businesskonzept.
ler Systeme ohne den eigentlichen Nut-
zen oder Mehrwert zu hinterfragen. Die
Befürchtungen über die österreichische
Bildungs-, Forschungs- und Techno-
logiepolitik, die ich im Jänner 2010 an
dieser Stelle geäußert habe, sind leider
voll eingetroffen. Die Politik verkauft
uns dieser Tage, dass die 80 Millionen
Euro zusätzliche Budgetmittel für un-
sere Universitäten ein Meilenstein in
den Budgetverhandlungen waren. Das
ist schlicht ein Skandal. Einerseits geht
es natürlich ums Geld und dabei ist die Adventure X-Sieger 2010 mit Harald Gohm, Patrizia Zoller-Frischauf und Jürgen Bodenseer.
Verdoppelung der Belastungen unserer

D
Universitäten in den letzten Jahren in ie Tiroler Zukunftsstiftung und Geschäfte mit neuen Technologien sind
keiner Relation zu den zugesagten Mit- CAST veranstalten auch 2011 in der Regel komplex. Deshalb profitieren
teln. Das viel schlimmere Problem liegt wieder den Tiroler Businessplan- gerade WissenschaftlerInnen besonders
aber in dem selbstherrlichen Glauben wettbewerb Adventure X. Gründungs- vom Adventure X-Angebot, innovative
der Politik, die Strukturfragen in die- interessierte aus dem Kreise der Tiroler Geschäftsideen unter laufender Beratung
sen Bereichen selbst beantworten zu ForscherInnen sind aufgerufen und einge- zu einem tragfähigen Geschäftskonzept zu
können oder sie dem Spielball partei- laden, ihre Geschäftsidee im Rahmen des entwickeln. Weiters besteht während der
politischer Interessen zu opfern. So Wettbewerbs in einem Businessplan aus- Laufzeit des Bewerbs (Jänner bis Juni 2011)
müssen die Rektoren nahezu um einen zuarbeiten, die Option Selbstständigkeit die Möglichkeit, Kontakte zu Förderge-
Termin bei den Entscheidungsträgern für sich zu prüfen und den Grundstein für bern und Investoren zu knüpfen, Kapital
betteln, um bei Strukturfragen angehört ein eigenes Unternehmen zu legen. Fach- zu aquirieren sowie Netzwerke auf- bzw.
zu werden, geschweige denn, dass sie kundige Unterstützung steht in Form von auszubauen. Alle Leistungen stehen den
ein Mitbestimmungsrecht in der Gestal- Coachingabenden und Seminarwochen- TeilnehmerInnen kostenlos zur Verfü-
tung bekommen. In der Bildungspolitik enden zur Verfügung. Experten aus den gung, die Einreichungen werden vertrau-
werden die zwei zuständigen Ministe- unterschiedlichsten Fachbereichen (Mar- lich behandelt. Die besten Businesspläne
rinnen regelmäßig von ihren Parteikol- keting & Vertrieb, Finanzierung, Steuern & werden mit Sachpreisen und Preisgeldern
legen öffentlich bloßgestellt und kön- Recht, etc.) unterstützen kostenlos bei der ausgezeichnet. Die Kick-Off-Veranstaltung
nen der Bedeutung ihrer Themen kein Ausarbeitung des Businessplans und ver- findet am 20. Jänner 2011 statt. Infos unter
politisch adäquates Gehör verschaffen. mitteln spezifisches Gründungswissen. www.adventurex.info. cast
In der Technologiepolitik gibt es nach
wie vor keine gemeinsame Strategie
der drei Fachministerien, obwohl diese
NEUE FÖRDERINITIATIVE UNTERSTÜTZT ERFINDERGEIST
für August versprochen war und somit
als Folge auch keine Chance für neue Mit dem Tiroler Patententwicklungspool
Impulse in diesem Bereich (nun schon greifen Land Tirol und Wirtschaftskammer
das dritte Jahr!). In Abwandlung einer den Tiroler Erfindern finanziell unter die
bekannten Volksweisheit kann man sa- Arme, wenn es darum geht, ihre Erfindung
gen: Erstklassige Politiker machen erst- über ein Patent bzw. Gebrauchsmuster zu
klassige Politik, zweitklassige Politiker schützen und wirtschaftlich zu verwerten.
machen drittklassige Politik. Schade, Gefördert werden alle kommerziellen
dass wir so wenig erstklassige Politiker Phasen, die bei einer Erfindung relevant
haben. mac sind. Infos unter: www.wko.at/tirol

42 zukunft forschung 0210 Fotos: Andreas Friedle (2), dreamstime.com (1)


TRANSIDEE

STARK VERNETZT
Europäischer Dachverband ASTP beruft Geschäftsführerin
Sara Matt-Leubner ins Präsidium.

S
eit nunmehr einem Jahr firmiert das Trans- Kooperationsprojekte zwischen Wirtschaftsunter-
ferzentrum der Universität Innsbruck unter nehmen und Wissenschaft nicht zu kurz. Exempla-
dem neuen Namen transidee und kann auf risch hervorgehoben seien hier Kooperationen der
ein erfolgreiches Jahr zurückblicken. Ein besonde- Metallwerke Deutsch und des Bauunternehmen
rer Höhepunkt im Jahr 2010 war die Berufung der Lang mit der Universität Innsbruck.
Geschäftsführerin Sara Matt-Leubner in das Präsi- Zusammenfassend ist transidee in folgenden
dium der Dachorganisation Europäischer Techno- Bereichen aktiv:
logietransferexperten ASTP. In dieser neuen Funk- • Projektentwicklung: Entwicklung und Beglei-
tion als Vizepräsidentin der ASTP hat sich Sara tung von Kooperationsprojekten von der Idee
Matt-Leubner zum Ziel gesetzt, einen der nächsten bis zur Umsetzung
Kongresse des Dachverbands in Innsbruck auszu- • Förderberatung für Wirtschaftspartner und Ko-
richten und so einen Beitrag zum internationalen operationsprojekte: Fördermöglichkeiten werden
Standing Tirols als Wissenschafts- und Innovati- dargestellt, Coaching bei der Antragsstellung,
onsstandort zu leisten. Weiters wird durch diese Partnerakquise
Berufung der Zugang zu einem internationalen • Projektmanagement: Verwaltung von Projekten
Pool von möglichen Partnern für Innovationspro- bzw. Unterstützung beim Controlling, Bericht-
jekte gestärkt. und Verwaltungswesen
• Patentverwertung: Akquise von Verwertungs-
PROJEKTMANAGEMENT partnern und Lizenznehmern, Unterstützung
Wie schon im vergangenen Jahr bei der Namens- beim Erstellen eines „Proof of Concept“ und/
änderung angestrebt, erfolgte neben der Fokussie- oder beim Prototypenbau
rung auf die Projektentwicklung und Verwertung
auch die Festigung der Dienstleistungen im Bereich
Projektmanagement. Derzeit werden neun Projek- INFO
te von transidee hinsichtlich der Verwaltung, des
Controllings und/oder der Berichterstattung be- ASTP (Association of European Science & Technology Transfer Professionals) ist die
treut. Zudem bietet transidee auch vermehrt Hil- Dachorganisation der Europäischen Technologietransferexperten. Sie wurde 2000
festellung bei der Planung und Abwicklung von gegründet und zählt inzwischen über 660 Mitglieder aus 41 Ländern. Die Mission der
Veranstaltungen, wie z.B. bei der im Herbst 2010 ASTP ist die Professionalisierung, Bewerbung und Stärkung von Wissens- und Tech-
abgehaltenen Polartagung in Obergurgl. Weiters nologietransfers zwischen den wissenschaftlichen Einrichtungen und der Industrie in
freut sich transidee über die äußerst gute Zusam- Europa. Die ASTP arbeitet als praxisbezogenes Netzwerk und bietet ihren Mitgliedern
menarbeit in Projekten mit dem Land Tirol oder neben jährlichen Konferenzen, Fachtagungen und Schulungen auch Wege zur Zertifi-
dem Agrarmarketing Tirol. Natürlich kamen auch zierung als Tech-Transferprofi durch den Weltverband ATTP. Info unter www.astp.net

zukunft forschung 0210 43


KURZMELDUNGEN

NEUE WASSERRESERVOIR
GESICHTER
GLETSCHER
I nsgesamt 21 Professorinnen
und Professoren wurden im
vergangenen Studienjahr an die
Gletscher tragen zur Wasserversorgung von Siedlungsgebieten bei.
Universität Innsbruck berufen. Allerdings gibt es dabei bedeutende regionale Unterschiede.
Dazu kommen neun Berufun-

I
gen von Universitätsdozentin- n einer Studie zeigen die
nen und -dozenten, die in die Gletscher- und Klimafor-
Professorenschaft aufgenommen scher um Prof. Georg Kaser
werden konnten. „Wir haben und Dr. Ben Marzeion, dass Glet-
die Zahl der Berufungen deut- scher regional sehr unterschied-
lich steigern können und dabei lich zur Wasserversorgung von
in der Qualität nicht nachgege- Siedlungsgebieten beitragen.
ben“, betont Rektor Karlheinz Sie haben dazu erhoben, wie
Töchterle. Dies sei in Zeiten von viel Niederschlag auf einzelnen
Sparprogrammen und begrenz- Gletschern niedergeht und zu
ten Mitteln nicht immer einfach. welchem Zeitpunkt dieses Was-
Die Uni Innsbruck geht aber ser wieder abgegeben und damit
bei den Neuberufungen einen in Siedlungsgebieten verfügbar
sehr offensiven Weg und ist ös- wird. „Es macht einen großen einer bestimmten Region vom bieten. „Hier wurden in den
terreichweit auch bei den soge- Unterschied, ob die Gletscher Gletscherwasser ist. Dabei zeigt letzten Jahren immer wieder
nannten Qualifizierungsverein- das Wasser in der Trockenzeit sich, dass vor allem hochgele- Zahlen genannt, die einer ge-
barungen führend, die jungen wieder abgeben oder, wie in den gene Gebiete stark vom Glet- naueren Prüfung nicht stand-
Wissenschaftlerinnen und Wis- Monsungegenden Asiens, in ei- scherwasser abhängig sind, die halten“, sagt Kaser. „Wenn
senschaftlern den Aufstieg in die ner Periode, in der ohnehin viel Bevölkerungsdichte dort aber etwa behauptet wird, dass das
Professorenschaft ermöglichen. Niederschlag fällt“, erklärt Mar- meist relativ gering ist. „Kri- Abschmelzen der Gletscher die
Über 100 solche Stellen wurden zeion. „Es gibt aber auch Gebie- tisch ist die Situation vor allem Wasserversorgung von zwei
bereits eingerichtet. te, wie um den Aralsee, in denen in mittleren Höhen, wo bereits Milliarden Menschen gefährdet,
die Niederschläge im Winter in viele Menschen leben und das ist das stark übertrieben.“ Die
den Gebirgen fallen. Dort ist die Gletscherwasser immer noch Forscher wollen auf die erheb-
sommerliche Gletscherschmelze einen hohen Anteil zum ver- lichen regionalen Unterschiede
lebenswichtig für die Bewohner fügbaren Wasser beiträgt“, so aufmerksam machen. „Denn
der angrenzenden Regionen.“ die Klimaforscher. für kleinere Gemeinschaften
Die Forscher haben einen Anstoß für die Studie war die in Gebirgen kann die erwarte-
Index berechnet, aus dem sie Diskussion um den Einfluss des te Klimaentwicklung durchaus
ablesen können, wie hoch die Klimawandels auf die Wasser- eine existenzielle Bedrohung
Abhängigkeit der Menschen versorgung von Siedlungsge- darstellen.“

ASTROPHYSIK INTERNATIONAL
Der erste Jahrgang von Studierenden des neuen, internationalen Master-Studienganges für Astrophy-
sik ist in Innsbruck angekommen. Nach strengen Qualitätskriterien wurden aus einer großen Anzahl
von Bewerbern 20 Kandidatinnen und Kandidaten ausgewählt – herausragende Studierende aus
Europa, Asien, Nord- und Südamerika sowie Afrika. Das Erasmus Mundus Programm wird von der
Europäischen Kommission finanziert. Der Masterstudiengang Astrophysik ist der erste von Öster-
reich koordinierte Erasmus Mundus Studiengang. Weitere Partner sind die Universitäten Padua,
Rom, Göttingen und Belgrad. So haben die Studenten nach ihrem ersten Semester in Innsbruck die
Auswahl, die folgenden Semester an einer oder mehreren der Partneruniversitäten zu verbringen.
Zusätzlich stehen ein Praktikum am Observatorium in Asiago und eine Sommerschule in Belgrad
auf dem Programm. „Die Teilnehmer sind hochmotiviert und so begeistert, dass es eine Freude sein
wird, sie zu unterrichten“, freut sich Prof. Sabine Schindler, die Koordinatorin des Programms.

44 zukunft forschung 0210 Fotos: NASA/JPL-Caltech/Laboratorio de Astrofísica Espacial y Física Fundamental (1), Uni Innsbruck (1), Miriam Schmidt/pixelio.de (1)
PREISE & AUSZEICHNUNGEN

RAINER GRAEFE
AUSGEZEICHNET
Wissenschaftspreis der Stiftung Südtiroler Sparkasse für das
Lebenswerk eines Vordenkers der Baugeschichte.

D
er Name Rainer Graefe ist untrennbar Forschungstätigkeit über Jahrzehnte hinweg weist
mit der Rettung und denkmalgerechten eine außerordentliche thematische Vielfalt auf. Rai-
Sanierung des ehemaligen Sudhauses ner Graefe hat mit seiner Arbeit dem Fach Bauge-
des Innsbrucker Adambräus und der Gründung schichte von den Rändern her zu einer bedeuten-
des Archivs für Baukunst im Jahr 2005 verbunden. den Vertiefung verholfen“, so Prof. Jan Piper über
Weit über die Grenzen hinaus ist er für seine For- das wegweisende Werk seines Fachkollegen.
schungsarbeiten zu Antoni Gaudís unvollendeter
ZUR PERSON
Kirche in der ehemaligen Industriesiedlung Colò- FORSCHUNGSPREISE Rainer Graefe, geboren
nia Güell bei Barcelona bekannt. Mit dieser setzte Die Verleihung der mit 10.000 Euro dotierten Aus- 1941 in Berlin, studierte
sich Graefe bereits während seiner wissenschaftli- zeichnung fand im Oktober zum zweiten Mal statt. Theaterwissenschaft, Phi-
chen Tätigkeit bei Frei Otto auseinander. Zudem Prof. Rainer Graefe zeigte sich tief bewegt von der losophie und Germanistik.
hat er sich mit seinen Forschungen zum Werk des Auszeichnung und bedankte sich bei der Univer- Er wurde Mitarbeiter des
russischen Ingenieurs Vladimir G. Suchov und mit sität Innsbruck sowie seinen Mitarbeitern und renommierten deutschen
seiner Initiative zur Erhaltung von Suchov-Bauten Partnern für die vielfältige Unterstützung. Weitere Architekten Frei Otto und
in Russland verdient gemacht. Dafür wurden ihm Forschungspreise der Stiftung Südtiroler Sparkas- beschäftigte sich intensiv mit
2003 in Moskau die „Suchov-Goldmedaille“ sowie se im Wert von jeweils 2500 Euro gingen an Prof. allen Facetten des Konstru-
2008 das Ehrendoktorat der Universität für Bauwe- Ruben Sommaruga vom Institut für Ökologie, Prof. ierens. 1991 wurde Graefe
sen in Nizhnij Novogorod verliehen. 2009 wurde Christian Huck vom Institut für Analytische Che- als Professor für Bauge-
Rainer Graefe zum korrespondierenden Mitglied mie und Radiochemie, Prof. Christoph Spötl vom schichte und Denkmalpflege
der Real Académia Catalana de Belles Arts de Sant Institut für Geologie und Paläontologie und Doz. an die Universität Innsbruck
Jordi, Barcelona, ernannt. „Seine unermüdliche Georg Moser vom Institut für Informatik. berufen.

Foto: Andreas Friedle zukunft forschung 0210 45


PREISE & AUSZEICHNUNGEN

NACHWUCHSPREIS
Daniela Rützler wurde
im Oktober mit dem
Heinz Sauermann-Preis
zur experimentellen
Wirtschaftsforschung
ausgezeichnet. Die 1983
geborene Finanzwissen-
schaftlerin untersuchte in
ihrer Doktorarbeit unter
Zuhilfenahme ökonomi-

DURCHSTARTER
scher Experimente, wie
sich ökonomisches Entscheidungsverhalten mit
dem Lebensalter entwickelt. Der Nachwuchspreis
wird von der Gesellschaft für experimentelle
Wirtschaftsforschung vergeben. Barbara Kraus und Florian Schreck zählen zu den
diesjährigen START-Preisträgern.
INTERVENTIONEN

B
arbara Kraus vom Institut für Theoretische Physik der Uni Innsbruck be-
In London wurden Innsbrucker Architekturstuden- schäftigt sich mit dem noch jungen Forschungsgebiet der Quanteninforma-
ten beim International Architecture Student Festival tionstheorie, das die klassische Informationstheorie mit der Quantenphysik
(IASF) ausgezeichnet. Studierende verschiedener vereinen will. Zum Beispiel ermöglicht die Quantenphysik eine sichere Übertra-
internationaler Universitäten entwickelten und rea- gung von Information. Weiters scheint ein Quantencomputer bestimmte Probleme
lisierten eine Serie von temporären Interventionen viel schneller lösen zu können als ein klassischer Computer. Quantensimulatoren
für den urbanen Raum Londons. Betreut von Birgit können verwendet werden, um komplexe Systeme zu simulieren. Barbara Kraus
Brauner und Christian Schmutz entwickelten 14 will neue theoretische Methoden für die Beschreibung und Untersuchung von Viel-
Studierende drei Projekte, die dann mit Unterstüt- teilchenquantensystemen entwickeln, um mögliche Anwendungen der Quantenin-
zung von Thomas Hillebrand innerhalb von einer formationstheorie zu finden, die Brauchbarkeit der Quantenzustände für bestimm-
Woche in London umgesetzt wurden. Das Thema te Anwendungen zu analysieren und neue, experimentell realisierbare Methoden
des Wettbewerbs war: „Reduce, Reuse, Recycle“. zur Erzeugung und Manipulation von Quantensystemen vorzuschlagen.
Florian Schreck beschäftigt sich in der Forschungsgruppe von Wittgenstein-
Preisträger Rudolf Grimm mit ultrakalten Quantengasen. Mit seinem Team
LOS ANGELES gelang es ihm im Vorjahr, das weltweit erste Bose-Einstein-Kondensat aus
Strontium zu erzeugen. Strontium verfügt über eine reichhaltige innere Struk-
Ivan Niedermair, tur. Dies ermöglicht es Experimentalphysikern, mehr Einfluss auf die Atome
Architekturstudent an der zu nehmen als bei einfachen Elementen und damit interessantere Quantenob-
Uni Innsbruck, wurde jekte zu erzeugen und zu untersuchen. „Wir möchten das Beste aus den sich
von einer international neu eröffnenden Möglichkeiten machen“, sagt Florian Schreck. Dazu zählen die
besetzten Jury für eines Realisierung von Quantencomputern und Quantensimulatoren.
der begehrten Schind- Der START-Preis ist die höchste Auszeichnung für Nachwuchswissenschaftler
ler-Stipendien ausge- in Österreich.
wählt. Im Rahmen des
Artists and Architects in
Residence-Programms
arbeitet er sechs Monate
lang in Los Angeles an seinem experimentellen
Architekturprojekt. Während seines Aufenthalts
in den USA widmet sich Niedermair der Frage,
wie sich die Städte angesichts der gegenwärtigen
Klima- und Ressourcensituation verändern werden
und müssen. Die Schindler-Stipendien werden
vom Bundesministerium für Unterricht, Kunst und
Kultur gemeinsam mit dem MAK – Museum für
angewandte und zeitgenössische Kunst vergeben.

46 zukunft forschung 0210 Fotos: IQOQI (3), Uni Innsbruck (5)


PREISE & AUSZEICHNUNGEN

ZWEI ERC-GRANTS NOBELPREISTRÄGER


Ende Oktober war der

FÜR DIE PHYSIK


Physik-Nobelpreisträger
von 2001, Wolfgang
Ketterle, zu Gast in Tirol.
In einem öffentlichen
Der Europäische Forschungsrat (ERC) unterstützt Vortrag an der Universität
Innsbruck berichtete er
Francesca Ferlaino und Gregor Weihs vom Institut über neue Formen von
für Experimentalphysik mit über 2,3 Millionen Euro. ultrakalter Materie. „Tiefe
Temperaturen öffnen ein
Fenster in die Quanten-

M
it dem ERC Starting Grant nigungen in den Nanostrukturen die welt, in der Teilchen sich wie Wellen verhalten
werden erfolgreiche jun- Quanteneffekte zerstören. Das von und ‚im Gleichschritt marschieren’ können“, sagte
ge Forscherinnen und den internationalen Gutachtern über- der am Massachusetts Institute of Technology
Forscher mit hoch dotierten Projekt- aus gut bewertete Forschungsvor- (MIT) in Cambridge (USA) tätige Physiker. Im Jahr
budgets gefördert. Das Institut für haben könnte in einigen Jahren eine 1925 sagte Albert Einstein eine solche neue Form
Experimentalphysik der Universität neue Technologie hervorbringen, die der Materie voraus. Wolfgang Ketterle gehörte
Innsbruck kann in diesem Jahr gleich konkrete Anwendungen der Quan- 1995 zu den Ersten, denen die Erzeugung eines
zwei Preisträger vorweisen: Francesca teninformationsverarbeitung im Alltag Bose-Einstein-Kondensats gelang.
Ferlaino und Gregor Weihs. noch näher rücken lassen.
Die gebürtige Italienerin Francesca
Ferlaino wird mit den Forschungsgel- PHYSIK-PREIS
dern ein neues, exotisches Element für
Experimente mit quantenentarteten Die Nachwuchswissenschaftlerin Francesca Ferlai-
Gasen und stark korrelierten Syste- no erhielt im September in Salzburg im Rahmen
men nutzen: Erbium, ein sehr seltenes der 60. Jahrestagung der Österreichischen Physi-
und bisher wenig beachtetes Metall. kalischen Gesellschaft den Fritz-Kohlrausch-Preis.
Es ist ein vielversprechender Kandidat Für Ferlaino war es nach dem START-Preis im
für die in enger Kooperation mit der Vorjahr und einem ERC-Starting Grant in diesem
Forschungsgruppe um Rudolf Grimm Jahr die dritte bedeutende Auszeichnung in kur-
durchgeführten Experimente, weil es zer Zeit. Sie erhielt den Preis für ihre erfolgreichen
vergleichsweise schwer ist und einen Forschungen zur Efimov-Physik und zur Vierkör-
stark magnetischen Charakter besitzt. perphysik mit dem von Rudolf Grimm geleiteten
Quantengase haben außergewöhnliche Efimov-Team an der Universität Innsbruck.
Eigenschaften und bieten ideale Mög-
lichkeiten, um grundlegende Fragen
der Physik im Detail zu studieren. PALÄOKLIMA
QUANTENPHYSIK AUF CHIPS Ronny Boch vom Institut
Gregor Weihs beschäftigt sich mit der für Geologie und Pa-
Konstruktion von Quellen für einzelne läontologie erhielt als
Photonen und verschränkte Photonen- erster Österreicher den
paare. Diese bilden eine wesentliche Paul Woldstedt-Preis. Die
technologische Grundlage für zu- Auszeichnung wird für
künftige Quantenkommunikation und hervorragende wissen-
Quantencomputer. Mit den Mitteln schaftliche Nachwuchs-
des Europäischen Forschungsrats will arbeiten auf dem Sektor
Weihs die Erzeugung von verschränk- der Quartärforschung
ten Photonen in Halbleiternanostruk- vergeben. Der 1978
turen auf eine neue Stufe heben: „Wir geborene Geologe wurde für seine Arbeiten zu
wollen Quellen bauen, die effizient ar- Klimaschwankungen seit dem Ende der letzten
beiten und gut zu kontrollieren sind.“ Eiszeit ausgezeichnet, die er anhand von detail-
Es gilt dabei Wege zu finden, wie ver- lierten Analysen von Tropfsteinen aus einer Höhle
hindert werden kann, dass Verunrei- in der Steiermark rekonstruierte.

zukunft forschung 0210 47


ZWISCHENSTOPP IN INNSBRUCK

VERGESSENE
TECHNOLOGIEN
Nils Anfinset ist Ethnoarchäologe an der Universität Bergen in Norwegen und forscht
gemeinsam mit Innsbrucker Wissenschaftlern über frühe Kupfergewinnungsverfahren.

A
uf Einladung des Instituts für „Durch Bündelung unterschiedlicher Kom-
Archäologien besuchte Dr. Nils petenzen und Erfahrungen der an dem
Anfinset im Jänner dieses Jahres Feldversuch beteiligten Wissenschaftle-
erstmals die Universität Innsbruck. Hier rinnen und Wissenschaftler konnten wir
war der am FWF-Spezialforschungsbereich erste herausragende Ergebnisse erzielen“,
HiMAT beteiligte Montanarchäologe Dr. zeigt sich Dr. Goldenberg zufrieden. „Wir
Gert Goldenberg auf den Ethnoarchäolo- wollen diese spannende, interdisziplinäre
gen und seine Arbeit zu den technologi- und internationale Zusammenarbeit auf
schen und sozialen Aspekten traditioneller jeden Fall fortsetzen.“
Kupfergewinnung in Nepal aufmerksam
geworden. NEPAL-VERFAHREN
„Nach einem beeindruckenden Gast- Der stets freundliche und gut gelaunte Wis-
vortrag des norwegischen Wissenschaft- senschaftler aus Norwegen, Vater von vier
lers über althergebrachte Verfahren zur Kindern, kommentierte seinen Besuch in
Kupfergewinnung in abgelegenen Berg- Innsbruck mit den Worten: „Ich hatte das
regionen Nepals haben wir eine Koopera- Privileg, an Ausgrabungen in einer prä-
tion vereinbart, in deren Mittelpunkt die historischen Kupfermine sowie an einem
Rekonstruktion prähistorischer Techni- Feldexperiment teilzunehmen. Das war in
ken bei der Verhüttung von Kupfererzen mehrerlei Hinsicht von Bedeutung: Zum
steht“, erzählt Dr. Goldenberg. „Wir er- einen konnte ich mich mit den Studieren-
hoffen uns von der gemeinsamen Aus- den und den Mitarbeitern des HiMAT-Spe-
wertung archäologischer und archäome- zialforschungsbereichs vernetzen. Dies ist
tallurgischer Befunde aus den Ostalpen eine wertvolle Grundlage für weitere ge-
und ethnologischer Erkenntnisse und meinsame Projekte und auch Freundschaf-
Erfahrungen aus Nepal neue, aufschluss- ten. Zum anderen waren die Kupfermine
reiche Ergebnisse.“ und ihr Umfeld hoch interessant, weil die-
Bei einem zweiten Besuch in Innsbruck se Mine denjenigen sehr ähnlich ist, die ich
im Spätsommer nahm Nils Anfinset an in Nepal untersucht habe. Das verhilft uns
Ausgrabungen in einer prähistorischen zu einem besseren Verständnis der prähis-
Kupfergrube bei Radfeld im Unterinntal torischen Bergbautechnologie. Weiters war
teil. Hier konnte er mit dem Innsbrucker
ZUR PERSON das Experiment sehr wichtig, um zu zei-
Archäologenteam praktische Erfahrungen Dr. Nils Anfinset ist wissenschaftlicher Mitar- gen, dass das ‚Nepal-Verfahren’ wirklich
bei der bergmännischen Arbeit unter Tage beiter im Department of Archaeology, His- reproduzierbar ist. Hierdurch werden sich
sowie einen Einblick in prähistorische Ab- tory, Religious and Cultural Studies an der in Zukunft auch einige archäologische Be-
baumethoden gewinnen. Universität Bergen, Norwegen. Er lehrt und funde im Zusammenhang mit dem frühen
Im Anschluss an die Grabung in Tirol lehrte an den Universitäten Bergen, Oslo Kupfererzbergbau und der Kupferverhüt-
führten die Forscher zusammen mit dem und Birzeit, Palästina. Seine Forschungs- tung in den Alpen besser erklären lassen.
Denkmalamt in Trient ein einwöchiges schwerpunkte liegen in den Bereichen Außerdem zeigt es, wie schwierig Techno-
Feldexperiment in Fiavè durch. Dabei politische Archäologie, kulturelles Erbe, logietransfer sein kann, denn Wissen allein
wurde unter Anleitung des norwegischen Neolithikum und Bronzezeit, mit Projekten in genügt nicht, um Kupfer aus seinen Erzen
Ethnoarchäologen die Kupfergewinnung Norwegen, Nepal, Tansania und im Mittle- zu schmelzen“, so der norwegische Archä-
nach dem „Nepal-Verfahren“ nachgestellt. ren Osten (Syrien und West Bank). ologe. cf

48 zukunft forschung 0210 Foto: Universität Innsbruck


SPRUNGBRETT INNSBRUCK

HALBLEITERPHYSIK
Die Physikerin Claire Gmachl forscht an der Princeton University an neuen Lasern,
die in hochsensiblen Messgeräten eingesetzt werden können.

S
ie wurde vom amerikanischen Magazin „Popular Science“ un- zentrum MIRTHE entwickelt sie hochpräzise Spurengassensoren,
ter die zehn brillantesten Wissenschaftler des Jahres 2004 ge- die so einfach zu handhaben und so günstig wie Smartphones sind.
wählt, erhielt 2005 von der MacArthur Foundation den hoch Rückblickend meint die Physikerin zu ihrer Zeit in Innsbruck: „Mit
dotierten „Genius Grant“ und leitet seit 2006 ein amerikanisches For- meiner Ausbildung in Innsbruck habe ich den Grundstein für meine
schungszentrum mit weit über 100 Wissenschaftlerinnen und Wis- weitere Karriere gelegt. Innsbruck hatte und hat weltweit anerkannte
senschaftlern. Ihren Ausgang nahm diese beeindruckende Karriere Forscher und Professoren, die den Studenten auch als Vorbilder und
in Innsbruck. Hier begann Claire Gmachl 1985 mit dem Studium der Berater zur Verfügung stehen. Die Grundausbildung war mehr als
Mathematik und der Physik, Fächern, die sie schon immer fasziniert solide und das Arbeits- und Studienklima kollegial – ideal um zu
hatten. In Erinnerung sind ihr von damals einige hervorragende Pro- arbeiten.“ Auch privat hatte sie hier viele gute Freunde. „Von ihnen
fessoren, wie ihr Diplomarbeitsbetreuer Prof. Erich Gornik, von de- habe ich gelernt, um vier Uhr früh aufzustehen, um irgendeinen Berg
nen sie viel gelernt hat, sagt Gmachl: „Die Einführungsvorlesungen zu erklimmen, nur eben so, weil der Berg da war.“ Daneben hatte sie
in Physik waren in ihrer Klarheit bemerkenswert und hatten ein sehr auch einen Freundeskreis um die Unipfarre.
hohes Niveau. Diese Vorlesungen haben mich bestärkt, eine Karriere Was Claire Gmachl an der Princeton University vermisst, sind die
in der Physik und den Naturwissenschaften zu suchen. Später im Berge: „Nahe und hohe Berge, mit Schnee darauf, um gerade mal
Studium waren die Fortgeschrittenenpraktika sehr wertvoll. Die ha- schnell ein paar Stunden Ski fahren zu gehen.“ cf
ben mir geholfen, mich für die Halbleiterphysik zu entscheiden.“

SENSIBLE SENSOREN
ZUR PERSON
Heute entwickelt Claire Gmachl sogenannte Quantenkaskaden-Laser, Claire Gmachl wurde in Salzburg geboren und studierte an
das sind Halbleiterlaser für Wellenlängen im mittleren und fernen der Uni Innsbruck Mathematik und Physik. Ihr Doktoratsstudium
Infrarot. „In diesen Lasern werden zwei Materialien so geschichtet, absolvierte sie an der TU Wien, wo sie 1995 sub auspiciis
dass jede Schicht nur einige atomare Lagen dick ist. Etwa 500 bis 1000 Praesidentis promovierte. Sie ging dann in die USA und forschte
Schichten werden für einen Laser benötigt“, erklärt Gmachl. Einge- an den Bell Laboratories. 2003 wurde sie an die Princeton Uni-
setzt werden solche Laser zum Beispiel in Geräten für extrem sensible versity berufen, wo sie 2007 zur Professorin ernannt wurde. Seit
Messungen von Spurengasen. An dem von ihr geleiteten Forschungs- 2006 ist sie auch Direktorin des MIRTHE Forschungszentrums.

Foto: Princeton University zukunft forschung 0210 49


ZAHLEN & FAKTEN

OUTPUTS, IMPACTS
Standards für eine grenzüber-
TIROLER AM PULS DER ZEIT
Bereits bekannte, strategische

SCHÄTZE
schreitende, digitale Karte und überregional wichtige
und Datenbank, die auf die Rohstoffvorkommen und auch
abbauwürdigen, strategischen sogenannte Sonderrohstoffe
Rohstoffvorkommen Tirols wie Hartgesteine oder bei
angewendet werden, sollen in
Ein Interreg IV Projekt erfasst Tiroler Baumaßnahmen anfallende
einem Interreg IV Projekt erar- Natursteinrohstoffe. mineralische Rohstoffe werden
beitet werden. Neu ist dabei in Tirol erfasst. Um Untersuchun-
die Angabe der erhobenen gen von einzelnen Rohstoffen
Materialeigenschaften, Einsatz- vornehmen zu können, müssen
möglichkeiten und Vorkommen, diese gewonnen, die nach
die besonders berücksichtigt eingehenden Laboranalysen
und hervorgehoben wird. entstandenen Daten ausgewertet
Eine räumliche Zuordnung der und interpretiert werden. Aus
strategischen Rohstoffqualitäten diesen Daten soll schließlich
und ein daraus resultierendes eine Datenbank mit einer
Entwicklungskonzept zur Raum- zugeordneten Karte und einem
ordnung sind längerfristige material- und nutzungsrelevanten
Ziele des Projektes. Gemein- Kriterienkatalog entstehen. Die

F
den, Fachverbände, Landes- ür die Produktion von Beton, Asphalt, Schutz- am Interreg IV Projekt beteilig-
verwaltungen und Wirtschafts- und Wohnbau oder Brücken sind Natursteine das ten Partner arbeiten dabei eng
initiativen profitieren von den Ausgangsprodukt. Der Bedarf daran wird immer zusammen. So ist gewährleistet,
erhobenen Daten. „Gerade die größer, allein zwölf Tonnen Stein werden in Tirol pro Ein- dass die bis jetzt getrennten
durch den Bau des Brennerba- wohner und Jahr benötigt. Ein nachhaltiger Umgang ist
sistunnels entstehenden Natur- daher nötig, um die knapper werdenden Ressourcen zu
steinressourcen sollen nicht in schonen. Ein im Sommer gestartetes Interreg IV Projekt
irgendwelchen Halden liegen. will nun die Natursteinressourcen Tirols materialwissen-
Es ist sinnvoll und notwendig, schaftlich klassifizieren und kartografisch erfassen. Wis-
diese unsere Produkte zu sen und Know-how aus allen Landesteilen werden dazu
verwenden – im Sinne der hei- gebündelt – das Amt für Geologie und Baustoffprüfung
mischen Industrie und unserer der Autonomen Provinz Bozen agiert als Lead Partner, der
Umwelt“, mahnt Ludwig Nös- Arbeitsbereich Materialtechnologie an der Uni Innsbruck
sing, Direktor des Ladesamts für liefert das fachwissenschaftliche Know-how. Weiters betei-
ligt sind das Amt für Industrie und Grube der Autonomen
Provinz Bozen, die Abteilungen für Raumordnung und
Statistik sowie Allgemeine Bauangelegenheiten-Landes-
geologie im Amt der Tiroler Landesregierung, das Institut mineralischen Rohstofferhebun-
für Wirtschaftsförderung der Handelskammer Bozen, die gen einen überregionalen und
WK Tirol und die Brenner Basistunnel BBT SE. methodisch allgemein gültigen
Charakter haben. Dabei werden
RESSOURCEN SCHONEND NÜTZEN bereits bestehende Erfahrungen
Südtirols Landesrat Florian Mussner weiß um die Bedeu- im Bereich der Raumordnung und
tung des Projekts: „Es ist wichtig, dass wir das gemeinsa- Rohstoffsicherung ausgetauscht.
me Wissen über regionale Gesteinsrohstoffe sammeln, um Mit dieser Basis wird es in
dann wirtschaftlich, unter Beachtung des Umweltschutzes Zukunft möglich sein, Rohstoffre-
und der sozialen Verträglichkeit, handeln zu können. Ge- sourcen gezielter zu sichern und
Geologie und Baustoffprüfung naue Daten, Zahlen und Fakten helfen uns dabei, die Roh- in Hinblick auf Ökologie und
der Autonomen Provinz Bozen. stoffe schätzen zu lernen und ihren Gebrauch und Bezug Transport effizienter zu nutzen.
Allein in Nord- und Osttirol zu regeln.“ Mussner weiß auch, dass die Rohstoffquellen Das grenzüberschreitende Vorha-
gehen zurzeit täglich ca. 20 ha nicht unerschöpflich sind: „Wir müssen mehr über die Be- ben kommt somit den Bestrebun-
an potenziell baustoffführenden deutung mineralischer Rohstoffe wissen und sparsam mit gen der Europäischen Union
Flächen durch Verkehrsbauten, ihnen umgehen. Wichtig ist auch, dass wir uns Formen nach, die Rohstofferhebung und
Baulanderschließung und Indus- von Recycling überlegen.“ Das Interreg IV Projekt ist mit deren nachhaltige Sicherung in
trieansiedlung verloren. rund 700.000 Euro dotiert und läuft bis 2013. ds Europa zu vertiefen.

50 zukunft forschung 0210 Fotos: Andreas Friedle (1), BBT SE (1), fotowerk nusser aichner (1)

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