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Dossier

Interview mit ökofeministin Carol J. Adams 5.46. Unterwegs mit Tierbefreier-


Innen 5.48. Was sind Critical Animal 5tudies? 5.50. Tipps zum Weiterlesen 5.51
Klar lieben wir sie, besonders die mit langer Mähne und flauschigem
Fell, so will es schließlich das Klischee. Und doch nehmen wir
manchmal in Kauf, dass sie für uns sterben. Dabei haben wir vielleicht
mehr mit Tieren gemein, als wir denken - und wir meinen jetzt
nicht genetisch. Ein Dossier über die komplizierte Beziehung von
·h
I r zum 1·eI r. .m"N;;F'ffia~=~'oo"
Jt1'lh'Z:!

Illustration
Elisabeth MOch

Deconstructing Animals j,

Auch wenn es manche Biologinnen nic~ wahrhaben '101 n - Tiere sind beim Abschied vo ,~ine} he xuell jrlN'-'"
zweigeschlechtliehen Gesellschaft schon so viel velter, ür die Illustrationen auf den näc ~h ' ~en hat sich U 1/ t
Liz Weidinger auf die Suche nach Beispielen begeben. u v
Dossier 46

"Fleisch ist Symbol für


männliche Privilegien"
Wer für die Gleichberechtigung von Mann und Frau ist, sollte
auch kein Fleisch essen, sagt die amerikanische Tierrechtsaktivistin
und Autorin Carol J. Adams. Wie hängt das bitte zusammen? --'n-ter-vi-ew
Chris Köver

F
rau Adams. was hat Fleischessen mit der Benachtei- Die Vorstellung. dass Männer schon in der Steinzeit das
ligung von Frauen zu tun? Die zentrale Bedeutung Mammut erlegt haben und deswegen auch heute noch lie-
des Fleischessens in der Symbolik der westlichen ber Fleisch essen. ist doch stumpfer Biologismus. Natürlich.
___ Welt hängt direkt mit einer männlich geprägten Die feministische Anthropologie hat solche simplifizieren-
Gesellschaft zusammen. Eine patriarchale Weitsicht geht den Erklärungsmuster für den Unterschied zwischen den
davon aus, dass der Zweck die Mittel heiligt. Diese Geschlechtern ja längst infrage gestellt. Entscheidend ist
Ethik instrumentalisiert die Natur, ebenso wie aber nicht, ob das wirklich so war - sondern dass die
Tiere und nicht dominante Menschen, zum Mehrzahl der Menschen das heute noch glaubt.
Teil auf sehr gewaltsame Weise. Aber
die Gewalt wird unsichtbar, sie wird Was halten Sie von dem häufig vorgebrachten
von Individuen nur noch als Privileg Argument. Frauen seien deswegen eher Ve-
wahrgenommen, das ihnen Genuss getarierlnnen. weil sie ..von Natur aus" ein-
bereitet: das Privileg, Tiere zu es- fühlsamer sind? Ich glaube generell nicht
sen, Frauen auszunutzen oder sich an die Naturalisierung von geschlechtsty-
keine Gedanken darüber zu machen, pischen Eigenschaften oder Verhaltens-
wer das Hotelzimmer putzt. weisen. Ich denke, dass Vegetarismus für
Es geht aber noch um mehr: In der viele Frauen vielmehr eine Möglichkeit
westlichen Gesellschaft besteht von jeher ist, gegen patriarchale Denkmuster zu
eine enge Verbindung zwischen Fleisch- rebellieren. Eine implizite Kritik durch
essen und Männlichkeit - Fleisch ist Sym- das, was wir essen oder vielmehr nicht
bol für männliche Privilegien. In Zeiten essen. Wenn Frauen einfühlsamer
von Mangel haben meist die Männer in der sind, dann deshalb, weil wir eher dazu
Familie Fleisch bekommen, während Frauen erzogen werden. Und das Problem ist
und Kinder keines aßen. In Kriegszeiten war nicht, dass wir so erzogen werden -
das Fleisch vor allem für Soldaten reserviert. Und sondern dass die andere Hälfte der
jetzt nach 9/11 sehen wir in den USA eine massive Menschheit es nicht wird.
Rekuperation von Männlichkeit durch offensiven
Fleischkonsum: Grillrestaurants servieren jetzt Wenn Fleischkonsum die Un-
oft wieder ganze Schweine. gleichheit der Geschlechter ze-
Schon bekannt, aber weil's so mentiert. dann dürfen diejenigen.
Woher rührt diese symbolische Verknüp- schön ist: BeiSeepferdchen die dagegen ankämpfen wollen. also
fung? Historisch gesehen war das Fleischessen tragen die männlichenTiere den kein Fleisch essen? Nirgends in mei-
in der westlichen Welt ein Privileg der Mächtigen. Nachwuchsaus. nem Buch (Anrn. d. Red.: "The Sexual Po-
Und Macht wird vor allem mit Männern in Verbin- litics of Meat") steht, dass man kein Fleisch
dung gebracht. Außerdem ist da nach wie vor die Idee des essen darf, ich will niemandem meine Meinungen
jagenden Steinzeitmannes, dass es also der Mann war, der diktieren. Aber ich vertraue darauf, dass meine LeserInnen
das Fleisch mit seiner Kraft und seinem Mut "verdiente". ihre eigenen Schlüsse ziehen. Ich glaube, ein feministisches
Deswegen wird es auch heute noch sehr viel weniger akzep- Bewusstsein führt zu Vegetarismus. Nicht zwangsweise,
tiert, wenn ein Mann Vegetarier ist, als eine Frau. Bei einem aber ich sehe da auf jeden Fall eine logische Verbindung, die
Mann heißt es dann schnell: Der muss wohl schwul sein. sich aus dem ergibt, was ich gerade erklärt habe.
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Sie behaupten in dem Buch. dass die Objektifizierung von man ganze Schweine und gehäutete Kaninchen. Das wundert
Frauen und von Tieren einem ähnlichen Muster fol t: Bei- mich nicht. Wenn das tote Tier so sichtbar ist wie hier, hat
de würden in einer patriarchalen Gesellschaft sexualisiert. das fast immer etwas mit der Ausstellung von Männlichkeit
entmenschlicht und schlussendlich missbraucht. Frauen wur- und Dominanz zu tun.
den in einer männlichen dominierten Gesellschaft oft mit
Fleisch gleichgesetzt. Auch Noch mal zurück zu der Gleichberechtigungsfrage:
heute noch zieht die Heißt das. Sie stellen die Rechte von Tieren auf eine Ebe-
Werbung diesen Ver- ne mit den Rechten von Frauen? Nein.
gleich, wenn riesige Trotzdem sind Feminismus und
Burger in den USA Tierrechte unweigerlich mit-
etwa als "Doppel- einander verbunden. Wir
D-Körbchen" an- können nicht sagen: Wir
gepriesen werden. kämpfen nur gegen die
Umgekehrt werden Unterdrückung von
Tiere oder Fleisch in Frauen, denn unse-
der Werbung immer stär- re Kultur hat diese
ker sexualisiert, etwa wenn Unterdrückung in
sich gebratene Hühnchen in einem größeren Sys-
Werbung für Ketchup in porno- tem verankert. So-
grafischen Posen räkeln. Der Feminis- lange wir nicht gegen
mus hat mittlerweile etabliert, dass offe- die grundsätzliche
ner Sexismus nicht mehr akzeptabel ist: Idee angehen, dass
Man darf bei Tisch und am Arbeitsplatz Tiere keine Rechte
nicht mehr ungestraft über die Brüste besitzen, dass sie un-
und Hintern von Frauen sprechen, es terdrückt und ausge-
gibt Gesetze dagegen. Aber der Se- beutet werden können,
xismus und die Misogynie sind nicht werden auch Menschen
verschwunden, sie haben sich nur ~ "'''_ __ L _-_' __,'__
m' immer unterdrückt wer-
verlagert - auf die Art und Weise, wie Die weibliche Trüffelhyäne hat einen Penis - zumindest den können, indem man
wir über Fleisch sprechen. Fleischwer- äußerlich. sie mit Tieren gleichsetzt.
bung ist so etwas wie das Auffangnetz für
Sexismus geworden. Sie haben auch ein "Handbuch
für das überleben unter Fleischessern" verfasst und schrei-
Diese Form von Objektifizierung ist zweifellos schlimm. ben darüber. wie schwierig es ist. in einer Gesellschaft. die
Aber hinkt der Vergleich nicht etwas? Frauen wird hier sym- von der Richtigkeit des Fleischessens überzeugt ist. die ei-
bolische Gewalt angetan. Tieren dagegen ganz unmittel- gene Entscheidung dagegen zu verteidigen. Was empfehlen
bare. wenn sie getötet und gegessen werden. Natürlich kann sie Vegetarierinnen. die am Tisch angegangen werden? Auf
man das nicht gleichsetzen. Man kann auch direkte Gewalt keinen Fall auf die Diskussion einlassen. In einer Situation,
gegen Frauen nicht mit der systematischen Gewalt gegen in der Fleisch auf dem Tisch steht, kann man nur verlieren,
denn egal, was man sagt, die anderen werden sich nur dar-
Solange wir nicht gegen die Idee an- an erinnern, dass man ihnen das Abendessen vermiest hat.

gehen, dass Tiere keine Rechte besitzen, Ich finde hier die Strategie "kaputte Platte" hilfreich: Statt zu
diskutieren, aritwortet man auf jeden Einwand das Gleiche,
wird es immer Unterdrückung geben. zum Beispiel: "Ich fühle mich damit eben besser."

Und was. wenn man eigentlich auch andere davon über-


zeugen möchte. kein Fleisch zu essen? Ein Buch zu schenken
Tiere in der Fleischindustrie gleichsetzen. Aber es besteht funktioniert meist besser als die direkte Diskussion. Dann
ein gemeinsamer Nenner, den ich den "fehlenden Referen- hat die andere Person nicht das Gefühl, klein beizugeben,
ten" nenne. So wie hinter dem Wort "Fleisch" das tote Tier sondern kann selbst zu dem Schluss gelangen, wenn sie das
verschwindet, verschwindet die reale Erfahrung von Frau- möchte. Aber die beste Methode ist wohl, einfach immer
en, wenn wir Begriffe von weiblicher Sexualität und Unter- wieder und unkommentiert leckere vegane Festmahle zu ko-
drückung auf andere Bereiche anwenden. Unsere Sprache chen und andere dazu einzuladen. Damit demonstriert man
trägt zu diesem Verschwinden bei. Sprache ist immer poli- ganz praktisch, dass Veganismus und Vegetarismus mehr
tisch. Deswegen sollten wir auch nicht von ,,vergewaltigung" mit Genuss denn mit Verzicht zu tun hat.
sprechen, wenn wir die Ausbeutung der Tiere umschreiben
wollen. Ebenso wenig vom "Holocaust". Es gibt Begriffe, die
so eng mit der Gewalterfahrung einer bestimmten Gruppe Carol J. Adams beschäftigt sich seit den
verbunden sind, dass wir sie nicht für andere verwenden 1980er-Jahren mit der Überschneidung von
können. Sexismus und Fleischkonsum. Ihr Buch "The
Sexual Politics of Meat: A Feminist-Vegetarian
In Deutschland gibt es seit einiger Zeit ein neues Koch- Critical Theory" (1989) gilt als Standardwerk
ma azin für Männer: "Beef". Darin verschwindet das Tier zum Thema und wurde gerade erst.wieder neu
ganz und gar nicht. im Gegenteil: Auf jeder dritten Seite sieht aufgelegt. Sie lebt in Dallas. / www.caroljadams.com
Dossier 48

GenossinTier
Unter dem Label "Antispezieslsmus" setzen sich immer mehr
Frauen für die Rechte von Tieren ein. Dochwas verbirgt sich hinter
dem Begriff? Auf veganer Safari mit Tierbefreierinnen ...
~ ----~
Text
Liz Weidinger

N
eben einer hippen Werbeagentur am Rand des Rennechsen der Art Cnemidophorus uniparens
Hamburger Karoviertels schützt eine Mauer leben in einer Welt ohne Männer - sie pflanzen
die Bewohnerinnen vor toten Tieren. Zwei Stra- sich einfach eingeschlechtlich fort und haben
ßen vor der Mauer heile Cappuccino- trotzdem Sex.
Wohlfühl-Welt, Bio-Brot und Vintage-Klamotten,
hinter der Mauer ein riesiger Fleischgroß-
markt. Auf dessen Internetseite steht: "Über eine ständige Reflexion des
200 ansässige Betriebe mit mehr als 3.000 (Konsum-)Verhaltens ist daraus
Mitarbeitern bieten mehrere tausend nur die logische Schlussfolgerung:
verschiedene Produkte und Dienst- Welche Cremes werden nicht an Tie-
leistungen an." Die reichen über die ren getestet und enthalten keine tierischen
Herstellung von Fertigmenüs bis Inhaltsstoffe? Wie bringe ich Leute dazu, mir
zur Vermarktung unzähliger Rinder- nicht ständig zu erklären, wie ungesund ich lebe?
steaks, dem Handel mit Fleischverar- Den AktivistInnen geht es nicht um die perfekti-
beitungsmaschinen oder Fellen, Kno- onierte vegane Lebensweise. Nicht die aus Versehen
chen und Innereien. zertretene Ameise ist das Problem, sondern die Massen
Auf der schützenden Mauer zwischen Fleisch- an gezüchteten und danach gegessenen Tieren. Es geht
markt und Anwohnerinnen steht in krakelig grüner Spraydo- um Aufklärung, politische Arbeit und Kampagnenarbeit.
senschrift: Go Vegan. Wie viele Leute wohl schon vor mir an Dabei sind viele der Tierbefreierinnen nicht in starren Ver-
. dieser Wand und dem Schriftzug vorbeigelaufen sind, ohne einen organisiert, sondern in losen Gruppen, die sich nur für
über den Zusammenhang nachzudenken? Die Verarbeitung gemeinsame Aktionen zusammenfinden. Deswegen lässt
von Unmengen an Fleisch direkt neben meiner Haustür hat- sich schwer sagen, wie viele aktive Gruppen es in Deutsch-
te ich bis zu den Recherchen für diesen Artikel ganz nach un- land insgesamt gibt. Auf antispe.org sind zum Beispiel 18
ten gelegt, unter viele Schichten billiger Entschuldigungen regionale Gruppen verlinkt und auch der deutschlandweit
- erst jetzt ergibt der Aufruf zum Veganismus auf genau die- schon seit 1985bestehende Verein "Die Tierbefreier e.V" hat-
ser Wand Sinn. Denn der Fleischgroßmarkt ist ein perfektes neun Ortsgruppen.
Beispiel für die "Institutionalisierung der Tierausbeutung" . Zu einer gemeinsamen Aktion trafen sich die Aktivis-
Dagegen kämpfen Tierbefreierinnen, die nicht mit Tier- tInnen, als der mittelgroße Zirkus "Las Vegas" sein Zelt
schützerinnen verwechselt werden wollen. Dafür gibt es am Hamburger Dammtor in der Herbstsonne aufbaut. An
eine einfache und häufig genannte Begründung: ,;Nir wollen diesem Samstagnachmittag stehen zusätzlich zu gutbürger-
keine größeren Käfige, lichen Ausflugsgrup-
wir wollen keine Käfi- Nicht die zertretene Ameise ist das pen und Großeltern
ge", sagt Marcel, Tier-
befreiungsaktivist aus
Problem, sondern die nur zum Zweck mit Enkelkindern rund
zwanzig TierbefreierIn-
Hamburg. Und auch
die grundsätzlich mit
des Konsumsgezüchteten Tiere. nen vor dem Zirkus - in
schwarzen Stoffhosen
dem Tierbefreiungs- und mit grünen Plaka-
gedanken verbundene ten, Transparenten und
Herrschafts- und Gesellschaftskritik unterscheidet beide Informationsflyern. Marcel erklärt: "Diese Demo richtet
Bewegungen. Tierbefreierinnen sind konsequent gegen die sich nicht gegen diesen speziellen Zirkus, sondern gegen
Ausbeutung und Unterdrückung von Tieren. Sie demonstrie- Zirkus allgemein: gegen die Inszenierung von Tieren zum
ren auch gegen Zoo und Zirkus, Tierversuche oder Pelz. Sie Amüsement; gegen das Zwingen von Tieren, Kunststücke
sind aber auch dagegen, dass Tiere nur leben, um uns Milch vorzuführen, um damit Geld zu verdienen." Die Tierbefreier-
zu geben. Eine vegane Lebensgestaltung und damit auch Innen wollen auf ihre Anliegen aufmerksam machen, ab
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und zu hört man laute Parolen. Dann kurz Ärger mit einer Nicht nur in der Tierbefreiungsbewegung hat sich der Begriff
Mutter, die sich bedroht fühlt und zurückschreit. Mehr pas- Anti-Speziesismus etabliert. Er bezeichnet die Kritik an der
siert nicht. Diskriminierung und Ausbeutung von Individuen aufgrund
Susann Witt-Stahl, Journalistin und langjährige Aktivis- einer Spezies und wird damit ähnlich wie die Begriffe Rassis-
tin der Tierrechts-Aktion-Nord (TAN) sagt über die Bewe- mus oder Sexismus verwendet. Diese analoge Verwendung
gung: "Sie ist sehr heterogen, aber auch nicht heterogener wird jedoch auch kritisch gesehen, weil es die Dringlichkeit
als .andere soziale Bewegungen." Der Tierbefreiungsgedan- der Probleme gleichsetzt. Nichtsdestotrotz lenkt der Anti-
ke, den Witt-Stahl vertritt, hat eine historisch-materialisti- Speziesismus die Aufmerksamkeit auf den sozial konstruier-
sche Basis: Die Kapitalismuskritik von Kar! Marx und Fried-
rich Engels sowie die Zivilisationskritik der Frankfurter Die Sympathie der Tierbefreier-
Schule. Spätestens hier wird deutlich, dass der Teil der Tier-
rechtsbewegung, für den Witt-Stahl sich einsetzt, eine poli-
Innen zu PETAhält sich
tisch linke Bewegung ist: "Die Bewegung ist eine widerstän-
dige Antwort auf die Gewaltverbrechen des Kapitalismus.
stark in Grenzen - zu groß, zu
Sie ist in der westlichen Welt geboren und am stärksten ver- kapitalistisch, zu populär. .
breitet, weil hier der Kapitalismus am höchsten
entwickelt ist. Somit ist hier die Verdingli-
chung und Ausbeutung von leidensfä-
higen Individuen - und dazu gehören ten Dualismus zwischen Mensch
nicht nur Menschen, sondern auch und Tier, genau wie zwischen
Tiere - am weitesten fortgeschrit- Mann und Frau oder Kultur
ten", antwortet Witt-Stahl auf die und Natur, und regt an, dar-
Frage, ob die Tierbefreiungs- über nachzudenken, ob und
bewegung primär "westlich" warum es diese festgezoge-
geprägt sei. Auch das Blog ;~e- ne Grenze zwischen Mensch
gans of Colour", problematisiert und Tier gibt und welche
diese westliche - und somit Verhaltensweisen des Men-
weiße Dominanz - in der Tier- schen sie rechtfertigt. Zwi-
rechtsbewegung und macht schen wem ist der Unter-
schon in seinem Claim darauf schied größer: Mensch und
aufmerksam, dass diese alle Schimpanse? Schimpanse
Formen von Unterdrückung und Schnecke? Spannend
mit einbeziehen muss: "Be- daran ist, dass sich die Be-
cause we don't have the lu- gründung mit neuen wissen-
xury of being single-issue." schaftlichen Erkenntnissen
Ein Kritikpunkt, den man verändert hat: Wurde zu-
aus der Feminismusbewe- nächst die Verwendung von
gung gut kennt. Werkzeug als der entschei-
Zur Geschlechterverteilung dM&&JJklliUlL
PM Q g. WLJEZ ,
M
dende Unterschied gesehen,
in der Tierrechtsbewegung Nicht nur unter KönigSpinguinen gibt es viele gleich- wurde die Andersartigkeit
schätzt Witt-Stahl: "Meiner Er- geschlechtliche Paare. Im Zoo von San Francisco soll später beispielsweise mit der
fahrung nach ist der Anteil aktiver ein schwules Pärchen sogar ein Ei adoptiert haben. menschlichen Sprache erklärt.
Frauen im Vergleich zu allgemei- Die große Angst, ohne eine
nen linken Aktivismusgruppen über- klare Grenze zwischen Mensch
durchschnittlich." Wer nun glaubt, die höhere und Tier könnte der Mensch abgewertet
Frauenquote lasse sich damit erklären, dass das weibliche werden, zeigt, wie schwierig es ist, sich von dieser Grenze
Geschlecht nunmal auf niedliche Katzenbabys stehe, sollte zu lösen. Vergleiche, wie die Kampagne "Der Holocaust auf
zweimal nachdenken. Denn die Aktionen von Gruppen wie ihrem Teller" der Tierrechtsorganisation PETA sie zieht,
der Animal Liberation Front sind alles andere als sanftmü- lehnen die meisten TierrechtsaktivistInnen strikt ab. Auch
tig. Nachts Legehennen zu befreien und Dokumentations- Witt-Stahl ist in der Tierbefreiungsszene als scharfe Kriti-
videos zu drehen, erfordert schon ein hohes Maß an Willen kerin solcher Instrumentalisierung des Holocausts bekannt.
zu zivilem Ungehorsam. Trotzdem hat diese Kampagne der Bewegung sicher einiges
an Skepsis eingebracht. Die Sympathie der TierbefreierIn-
"Die Bewegungist eine radikal wider- nen mit PETA hält sich aber grundsätzlich stark in Grenzen

ständige Antwort auf die unfassbaren - zu groß, zu kapitalistisch, zu populär.


Auch wenn ich jetzt nicht sofort zur Veganerin werde,
Gewaltverbrechen des Kapitalismus." denke ich doch viel häufiger darüber nach, wie und wo die
Gesellschaft "Tiere" einordnet und verwendet. Dazu ein ab-
surdes Beispiel zum Schluss: Argentinische Wissenschaftle-
rInnen bekommen Forschungsgelder dafür, Rindern Schläu-
Zwischen einem Einsatz für Feminismus und einem für Tier- che in den Verdauungstrakt zu stecken und deren Gase zu
rechte gibt es noch viele weitere Überschneidungspunkte untersuchen. Schließlich ist die Klimaerwärmung ein drin-
und auch viele TierbefreierInnen sind aktive FeministInnen, gendes Thema und weniger Rindfleisch zu produzieren wirk-
wie auch Witt-Stahl. lich keine Option. 0
Das Tier, so queerP
Im noch neuen Feld der Animal Studies fordern Stimmen aus den ver-
schiedensten Disziplinen, der Frage nach dem Tier die Ernsthaftigkeit zu
schenken, die sie verdient. Das wird spannend.
\ ~
Text
Fahim Amir

nGroßbritannien nennt man sie "Granarchists", eine They called her

I Wortschöpfung aus "Anarcho" und "Granny" (dt.


"Omi"). Diese älteren Frauen, die so gar nicht dem
Klischee vom Konservatismus alter Leute entspre-
chen wollen, bilden bei militanten Tierrechtskundgebungen
oft das vorderste Spalier. Kundgebungstaktisch anscheinend
. Wenig überraschend, dass der Feminismus diesen Patriar-
chen genauso albern schien wie Tierrechte. Als mit Mary
Wollstonecrafts ,;Verteidigung der Rechte der Frau" 1792
eine der ersten feministischen Streitschriften erschien, ließ
die antifeministische Antwort nicht lange auf sich warten.
nicht ganz unbeabsichtigt, bringen die militanten Damen die Thomas Taylors ,;Verteidigung der Rechte des Viehs", eine
berittene Polizei doch mitunter sogar in eine, für diesen Be- Schrift zur Lächerlichmachung des Feminismus, wurde
rufsstand wohl seltene, Verlegenheit: die Schlaghemmung. noch im selben Jahr aufgelegt. Vertreterinnen der Animal
Studies haben mittlerweile noch einiges mehr an
Animal Studies Material zusammengetragen, das ihrer These
In Theorie und Forschung kommen neu- Glaubwürdigkeit verleiht, dass Sexismus
erdings ganz andere OrdnungshüterIn- und Speziesismus tragende Mauern ein
nen ins Grübeln: Im sich gerade for- und derselben herrschaftlichen
mierenden Feld der Animal Studies Architektur seien, die sich
fordern kritische Stimmen aus Phi- gegenseitig stützen.
losophie und Soziologie, Kunst- und
Kulturwissenschaften, der Frage Beasts of Burden
nach dem Tier die Ernsthaftigkeit Eine systemati-
zu schenken, die ihrer Bedeutung sche Forschung
in Geschichte und Gesellschaft ent- dazu steht al-
spricht. Was kann damit gemeint lerdings erst in
sein? Die Schwierigkeiten ihren Anfängen.
beginnen schon bei der Was auch für das
Bezeichnung: "Tiere, Verhältnis von
was für ein Wort!", Animalität zu an-
stöhnte schon der deren Herrschafts-
französische Philo- ideologien gilt: Dazu
soph Jacques Derrida. wären Vorstellungen
$22!!li vom unberechenbaren
1001 Tiere Zackenbarsche treffen sich, um große Fischorgien "Pöbel" mit "tierähnlichen
Tatsächlich verweist die zu feiern. Laichgruppe nennt man das. Instinkten" zu zählen, dem deshalb
biologische Grenzziehung auf nicht die gesellschaftliche Macht übertra-
ein Regime, in dem sich Geschlecht, Artgenossenschaft und gen werden dürfe - ein Argument, das vonseiten des anti-
Macht die Hand reichen. Carl von Linne, auf den die zoologi- demokratischen Adels gerne vorgeschoben wurde. Nicht
sche Systematik, wie wir sie kennen, zurückgeht, wusste die annähernd genügend erforscht ist auch die Animalisierung
ersten neun Ausgaben seiner "Systema Naturae" lang nicht, von Menschen im Zuge von Kolonialismus und Nationalso-
welchen Spezies-Zusatz er der Gattung Homo zuweisen soll- zialismus, um nur die augenfälligsten Beispiele zu nennen.
te. Ein Merkmal sollte die Menschen von allen Tieren unter- Dass Letzterer propagandistisch äußerst erfolgreich gegen
scheiden, das war ihm ganz wichtig - er wusste nur nicht, jüdisches Schächten agitierte und nach seiner Machtergrei-
welches. Bei der zehnten Auflage war er so weit: Linne hatte fung das bis dahin schärfste Antitierversuchsgesetz weltweit
sich für die traditionell als "männlich" erachtete Rationalität verabschiedete, ist die tragische Antwort auf das historische
als Unterscheidungsmerkmal entschieden, seitdem heißen Versäumnis der Linken, zur Frage nach dem Tier fortschritt-
wir als Spezies offiziell homo sapiens (lat. "weiser, einsichts- liche Antworten zu formulieren. Ausnahmen blieben leider
voller Mensch"). Wie aber die nun isolierte Spezies Mensch größtenteils Ausnahmen.
an die restliche Natur wieder anschließen? Na klar: die weib-
liche Brust, ergo Mammalia, kurz: Säugetiere. Jenschlich- Nahrungsketten sprengen
keit als Männlichkeit, Weiblichkeit als Tierhaftigkei so lau- Wer aber glaubt, dass es den Animal Studies primär um das
tete die zoologische Weisheit der ersten Stunde. Verständnis von Ausgrenzungslogiken und ihrer Geschich-
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te geht, irrt. Animal Studies strotzen geradezu vor queeren All my sorrows seem so
Kreaturen, die eine progressive Verkomplizierung der Ver- Haraway, die mit ihrem Cyborg-Manifest Anfang der 90er-
hältnisse befördern sollen. Die US-amerikanische Kultur- Jahre kulturtheoretische Popgeschichte schrieb, widmete
wissenschaftlerin Donna Haraway gilt als eine Vordenkerin ihr aktuelles Werk dem Mensch-Tier-Verhältnis. "Mit dem
dieser akademischen Strömung, deren Interesse explizit Tier lässt sich gut denken", bemerkte der Anthropologe
Figuren wie beispielsweise der "Mixotricha paradoxa" gilt. Claude Levi-Strauss einst. Haraway geht darüber hinaus,
Dabei handelt es sich um einen Mikroorganismus, der im wenn sie fragt, wie sich mit Tieren handeln lässt. Sogenann-
Darm einer südaustralischen Termitenart lebt. Bei dem te Companion Species wie Hunde sind ihr zufolge nicht Pro-
Wesen mit dem eigentümlichen Namen (dt. "merkwürdiges totypen der Unterwerfung von Natur durch Kultur (Mann
Wuschelhaar") besteht Unklarheit darüber, ob es sich um ein macht Wolf zu Hund), sondern Akteure einer nicht-unschul-
Tier handelt oder um mehrere. Vielleicht sogar um mehrere digen Geschichte, Kosubjekte statt bloß Objekte der Gesell-
Millionen zugleich. Der deutsche Theatermacher Rene Pol- schaft. Bellen, das bei Wölfen nicht vorkommt, kann so als
lesch, der sich in seinen Arbeiten gerne auf Haraways Texte tierischer Versuch gesehen werden, Teil der menschlichen
bezieht, erklärt seine Motivation etwa so: Wenn Fragen von Kommunikation zu sein. Solche nachhaltigen Irritationen
Selbst und dem Anderen für bestimmte Tiere keinen Sinn dominanter Ideen und Fragen nach anderen Formen von
haben, warum sollten sie dann für Menschen von an Ver- Handlungsfähigkeit gehören zu den radikalsten Versprechen
zweiflung grenzender Wichtigkeit sein? der Animal Studies. Es wird spannend. 0

Materialsammlung
Sachbücher: - Rolf Lappert: Auf den Inseln des letzten Lichts.
- Carol J. Adams: Living Among Meat Eaters. The Hanser 2010.
Vegetarian's Survival Handbook. Continuum 2003. - Isabella Rossellini: Green Porno. Schirmer/Mosel Verlag,
- Jacques Derrida: Das Tier, das ich also bin. 2009. Die Kurzfilme dazu: www.sundancechannel.com/
Passagen 2010. greenporno
- Smilla Ebeling und Sigrid Schmitz (Hg): Geschlechter-
forschung und Naturwissenschaften. Einführung in ein Vegetarisches und veganes Kochen
komplexes Wechselspiel. VS Verlag 2006. - Sandra Forster: Das Vegane Kochbuch. Blumenbar 2009.
- Donna Haraway: When Species Meet. University of - Uschi Herzer, Joachim Hiller: Das Ox-Kochbuch. Vegeta-
Minnesota Press 2007. rische und vegane Rezepte nicht nur für Punks. Band 4.
- Mieke Roseher: Ein Königreich für Tiere. Die Geschichte Ventil Verlag. 2009
der britischen Tierrechtsbewegung. Tectum Verlag 2009. - The Post Punk Kitchen. Die vegetarische und vegane
- Frank Thieme, Renate Brucker, Melanie Bujok, Birgit Punkrock-Kochshow mit Isa & Terry. www.theppk.com
Mütherich, Martin Seeliger (Hg): Die Mensch-Tier-
Beziehung: Eine sozialwissenschaftliche Einführung. Websites
VS Verlag Januar 201l. - www.criticalanimalstudies.org
- Leo Tolstoi, Clara Wichmann, Elisee Reclus und Magnus - www.tierrechteportal.de
Schwantje: Das Schlachten beenden!: Zur Kritik - www.vegansofcolor.wordpress.com
der Gewalt an Tieren. Anarchistische, feministische,
pazifistische und links sozialistische Traditionen.
Graswurzelrevolution 2010.
- Susann Witt-Stahl (Hg): Colin Goldner, Marcus
Hawel, Marco Maurizi und Günther Rogausch.
Das steinerne Herz der Unendlichkeit erweichen.
Beiträge zu einer kritischen Theorie für die
Befreiung der Tiere. Alibri 2007.

Belletristik:
- Karen Duve: Anständig essen. Wie ich ver-
suchte, ein besserer Mensch zu werden. Ein
Selbstversuch. Galiani Januar 2011.
- Dietmar Dath. Die Abschaffung der Arten. Blaukopf-Junker ve ten darauf, sich an ein genetisch
Suhrkamp 2008. vorbestimmtes Geschlecht zu halten - sie wechseln es im Lauf
- Jonathan Safran Foer: Tiere essen. KiWi 2010. ihres Lebens gerne mal.

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