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Vil6m Flusser

Medienkultur
Herausgegeben von
Stefan Bollmann

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Fischer Täschenbuch Verlas
Inhalt

Vorwort des Herausgebers

Die kodtfizierte Welt

Die hodifizicrte Welt 2t


Glaubensvcrlust 29
Alphanumerische Gesellschaft +l
Hinweg vom Papier ÖI

Eine Reaolution der Bilder

IJilderstatus 6g
IJilder in den neuen Atledien 83
Iiilmerzeugung und Filmverbrauclr 89
Für eine Phänomenologie des Fernsehens r()3
QUBE und die Frage der Freiheit r24
D:rs Poli ti sclr e im Zeitalter der techni schen Bil der r34
:. Aufhgc:Juli r999

Vcrijf flntlicht inr I,'ischcr 'lhschenbuch \,crhg (irlbl l,


Iiranl<furt rm \{ain, Scptcnrtrcr r997
Auf dem.Weg zur telematischen
I nfnr m a t i o n sge se I ls c h aft
Lizcnzursglbc nit ficuncllichcr ( lcnchnrigung
tlcs llollmann Vcrlags, \,lrnnlrcim
@ Bollmann \,crlag(irnl>l I,,\{annhcirrr
ry931 t995
Verbündelung oder Vernetzung? t43
l,iir cl ic Zusrnrnrcnstcl lu rrg: Nomadische Überlegungen r5()
O^ Iiischcr'lhschcnbuch \brhg (imtrl I, Ii.arihfirt err l,hin 1997
;\lle llcchtc vorbehrlten: lJollrrrlnn Vcrhg (imbl l, Nlrnnhcirl Häuser bauen r6o
(lesrnrthcrstcllung: OhLrscn & llossc, Die F-abrik r64
Lecli
Printcd in (iermrn1, Der städtischc Raum und die neuen Technologien r72
rsnN j_-596-r3jg6-6
I)ic Stadt als Wellental in der Bilderflut r75
Die kodffizierte Weh

Vergleichen wir unsere Lage mit jener, wie sie noch vor dem
Zweiten Weltkrieg bestand, dann beeindruckt uns die relative
Farblosigkeit des Vorkriegs. Architektur und Maschinerie,
Bücher und Werkzeuge, Kleider und Lebensrnittel, all dies ist
vergleichsweise grau gewesen. {Ührigens ist einer der Gräncle
fär den Eindruck rücld<ehrender Besucher aus sozialistischen
Ländern, in der Vergangenheit gewesen zu sein, die Farb-
losigkeit jener Länder: Llnsere Farbenexplosion hat dort
nicht stattgefunden.) Unsere Un.rgebung ist von Farben er-
füllt, welche Täg und Nacht, in der Offentlichkeit uncl im Pri-
vaten, kreischend und flüsternd, unsere Aufinerksarnkeit
erheischen. Llnsere Strürnpfe und Pyl'amas, Konserven und
Flaschen, Auslagen und Plakate, Bücher und Landkarten,
Getränke und Ice-creams, Filnre und Fernsehen, alles ist in
Technicolor Dabei kann es sich offensichdich nicht nur utn ein
ästhetisches Phänomen, um einen neuen ..Kunststiln han-
deln. Diese Farbenexplosion bedetttet erwas. Das rote Anpel-
licht bedeutet ..stop!", und das schreiende Grün der Erbsen
bedeutet ..kaufir-richl". Wir werden von bedeutungsvollen
Farben berieselt, man programmiert uns rnit Farben. Sie sind
ein Aspekt der kodifizierten Welt, in der wir zu leben haben.
Farben sind die Art, wie uns Oberflächen erscheinen.
W-enn also ein wichtiger Teil der uns programmierenden Bot-
schaften gegenwärtig in Farben ankormnt, dann bedeutet das,
daß Oberflächen wichtige täger von Botschaften geworden
sind. Wände, Schinne, Oberflächen aus Papier, Plastik, Alu-
miniurn, Glas, Webstoff usw. sind wichtige..Medienn gewor-
den. Die Vorkriegssituation war relativ grau, weil damals
Oberflächen fiir die Komrnunikation eine kleinere Rolle
spielten. Darnals waren Linien vorherrschend: Buchstaben
und Zahlen, die zu Reihen geordnet waren. Die Bedeutuns
dern. Der vor-moderne Mensch lebte in einer llilclcrwclt,
solcher Synbole ist von Farbe weitgehend unabhängig, eii
welche die ..Welt,t bedeutete. Wir leben in einer l3ilclcrwclt,
rotes und ein schwarzes ..Atr bedeutet denselben Laut, und
welche Theorien bezüglich der ..Welt' zu bedeuten versucht.
der vorliegende Text hätte, gelb gedruckt, keine andere Das ist eine revolutionär neue Lase.
Bedeurung. Daher deutet die gegenwärtip;e Farbenexplosion
Um dies zu erfassen, wird clie vorliegende Betrachtung einer.r
auf ein Ansteigen der Wichtigker't zweidimensionaler Codes.
Exkurs über den Begriff des Codes versuchen: Ein Code ist
Oder umgekehrt: Eindimensionale Codes wie das Nphabet
ein Sysrem aus Spnbolen. Sein Zweckisr, Kommunikation
neigen gegenwärtig dazu, an Wichtigkeit zu ver.lieren.
zwischen Menschen zu ermöglichen. Da Spnbole phäno_
Die Tätsache, daß die Menschheit von Oberflächen (Bildern)
mene sind, welche andere phänomene ersetzen (..bedeu-
programmiert wird, kann jedoch nicht als eine revolutionäre
ten>i), ist die Kommunikation ein Ersarz: Sie ersetzt das
Neuigkeit angesehen werden. Im Gegenteil: Es scheint sich
Erlebnis des von ihr..Gemeintenrr. Menschen müssen sich
um eine Rückkehr zu einem Urzustand zu handeln. \trr der
miteinander durch Codes verständigen, weil sie den unmittel_
Erfindung der Schrift waren Bilder entscheidende Kommu_
baren Kontakt rnit der Bedeururrg a". Sla.nbole verloren
nikationsmittel. Da die meisten Codes ephemer sind, so zum
haben. Der Mensch ist ein ..verfremdetes>> Tier, muß Svm_
Beispiel die gesprochene Sprache, die Gesten, der Gesang,
bole schaffen und sie in Codes orclnen, will er den AbÄnd
sind wir vor allem auf Bilder angewiesen, um die Bedeutuns
zwischen sich und der ..Welt' zu überbrück"r, lr.rrr..h.rr.
zrt entziffern, welche Menschen seit Lascaux bis zu den
Er muß zu ..vermittelntr versuchen, er muß versuchen, der
mesopotamischen Ziegeln ihren Taten und Leiden saben.
..Weltn eine Bedeutung zu geben.
Und selbst nach der Erfindung der Schrift spielten Oberflä_
Wo immer man Codes entdeckt, kann man auf menschliche
chencodes wie Fresken und Mosaiken, Täperen und Kirchen-
Gegenwart schliefien. Die aus Steinen und Bärenknochen
fenster eine wichtige Rolle. Ersr nach der Erfindune des gebauten Kreise, welche die Skelette afrikanischer Men-
Buchdrucks begann das Nphabet tatsächlich vorzrrhe.rschen.
schenaffen umgeben, die vor zwei Millionen Jahren ausstar_
Daher erscheint uns das Mittelalter - inklusive der Renais-
ben, erlauben, diese Menschenaffen als M"rrr.ir.r, .r.rrrr.h"rr.
sance - sc-r bunt im Vergleich zur Neuzeit. In diesem Sinn
Denn diese Kreise sind Codes, die Knochen und Steine sind
kann unsere Lage als Rückkelrr ins Mittelalter secleutet wer-
Symbole, und der Menschenaff-e war ein Mensch, clenn er
dcn, sozusagen als ein kl0ur ouont ld l(trft.
war..verfremdetn (wahnsinnig) genug, der Welt eine Bedeu_
Es ist aber keine glückliche Idee, unsere Lase als Rückkehr
tung geben zu müssen. Obwohl wir den Schlüssel zu diesen
zum Analphabetismus begreifen zu wollen.-Die Bilder, die
Codes verloren haben - wir wissen nicht, was diese Kreise
uns programmieren, sind nämlich nichtvon jenerArt, welche
bedeuten -, wissen wir, daß es sich um Codes handelt: Wir
vor der Erfindung des Buchdrucks die Lase beherrschte.
erkennen die sinngebende Absicht, das ..Künstliche' in
Fernsehprogramme sind anders als gotische krchenfenster,
lnnen.
und die Oberfläche einer Suppenkonserve anders als die
Oberfläche eines Renaissancegemäldes. Der Unterschied ist, Jüngere Codes, wie zum Beispiel Höhlenmalereien, erlauben
etwas besser, entschlüsselt zu werden weil wir nämlich selbst
kurz gesagt, dieser: Vor-rnoderne Bilder sind produkte des -
ähnliche Codes benützen. Zum Beispiel wissen wir, daß die
Handwerks (..Kunstwerket'), nach-moderne sind produkte
Malereien in Lascaux und Altamira Jagdszenen bedeuten.
der Technik. Hinter den uns programmierenden Bildern
Symbole, welche aus zweidimensionalen Cocles bestehen, wie
kann man eine wissenschaftliche Theorie konstatieren, aber
das in Lascau-x der Fall ist, bedeuten nämlich die ..Weltrr, in_
dasselbe gilt nicht notwendip;er-weise von vor-modernen Bil_
dem sie die vierdimensionalen Raum-Zeit-Sachlasen zt Sze_
nen reduzieren. Indern sie sie <.inraginierenn. <<Imagination,, verschlägt, wenn wir das Ereignis selbst rrrrch tlcrr st.t.lrs
heißt, genau genommen: die Fähigkeit, die Welt der Sach- tausend Jahren, die seither verflossen, bedenken. Mrrn li;rrrr
lagen aufSzenen zu reduzieren, und urngekehrt: die Szenen dieses Ereignis, wie es auf den..keilförrnigen>> mcsolx)r:rIni-
als Ersatz fiir Sachlagen zu entschlüsseln, ..Landkarten>> zu schen Ziegeln zu sehen ist" wie folgt illustrieren:

*ft*E
machen und sie zu lesen - inklusive..Landkarten>> erwänsch-
ter Sachlagen, zum Beispiel zukiinftigerJagd (Lascaux) oder
zu erzeugender Gadgets (ltlueprints).
Der szenische Charakter der zweidimensionalen Codes hat
eine spezifische Lebensweise der von ihnen prograrnmierren
f(
Gesellschaften zur l'olge. Man kann sie die ..magische Da- Die Erfindung der Schrift besteht nämlich nicl.rt so sehr in der
seinsformtr nennen. trin Bild ist eine OLrerfläche, deren Erfindung neuer S1'n'rbole, sondern im Aufrollen des Bildes in
Bedeutung auf einen Blick erfaßt wird: Fls <<synchronisiert'> Linien (rrZellenr). Wir sagen, daß mit diesem Ereignis die
die Sachlage, die es als Szene bedeutet. Aber nach dem erfas- Vorgeschichte beendet ist und die Geschichte im wahrcn
senden Blickrnuß das Auge irn Bild analysierend wandern, um Sinn anfängt. Aber wir sind uns nicht irnmer dessen bewußt,
seine Bedeutung tatsächlich zu empfangen, es muil die..Syn- daß damit jener Schritt hinaus aus dem Bild und hinein in ein
chronizität diachronisierentt. Zurn gähnendes Nichts gemeintist, von dem aus es möglich ist, das
Beispiel: Auf den ersten Blick ist

v
Bild als eineZelle aufzurollen.
klar, daß diese Szene eine Sachlage Die Zerle, die in der Illustration rechts neben dem Bild steht,
x vom Typ ..Spaziergang;>> bedeutet.
Abcr erst nrch Diaclrronisierurrg
reißt die Dinge aus der Szene, um sie neu zu ordnen, närnlich
sie zu zählen, zu kalkulieren. Sie rollt die Szene aufund ver-
^
der Slnchronizität erkennt man, daß die Sonne, zwei Men- wandelt sie in eine Erzählung. Sie ..erklärt>' die Szene, indem
schen und ein Hund in diesem Spaziergang gerneint sind. sie jedes einzelne Spnbol klar und deutlich (clnra et distincta
perceptil) aufzählt. Daher meint dje Zelle (der ..Text,r) nicht
Für Menschen, die durch Bilder programrniert sind, flie{Jt die unrnittelbar die Sachlage, sondern sie rneint die Szene des Bil-
Zeitin der Welt, wie die Augen im Bild wandem: sie diachro- des, welche ihrerseits die ..konkrete Sachlage' meint. Jbxte
nisiert, sie ordnet die Sachen zu Lagen. F,s ist die Zeit det sind eine Entwicklung von Bildern, und ihre Syrnbole bedeu-
Wiederkehr von Täg und Nacht und Täg, von Saar und Ernte ten nicht unmittelbar Konkreres, sondern Bilder. Sie sind
und Saat, von Geburt und 'lod und Wiedergeburt, und die ..Begriffen, welche ..Ideen, bedeuten. Zum Beispiel bedeutet
Magie ist jene "Iächnik, welche fär so eine Zeiterfahrung an- .. ){ ,, im oberen Text nicht unmittelbar das konkrete Erlebnis
gebracht ist. Sie ordnet die l)inge, wie sie innerhalb des ..Sonnerr, sondern << I{ >> im Bild, welches seinerseits ..Sonne>
Kreislaufs der Zeit sich verhalten sollen. LInd die solcherart -Iexte
bedeutet. sind um einen Schritt weiter vom konkreten
kodifizierte Welt, die Welt der Bildea die <<imaginäre Wek", Erlebnis entfernt als Bilder, und ..konzipieren,, ist ein Sym-
hat die Daseinsfbrm unserer Ahnen während ungezählter ptom einer weiteren Verfremdung als ..imaginierenrr.
Jahrtausende programmiert und gefornrt: Für sie war die \ÄÄll man einen Text entschlüsseln (..lesenrr), zum Beispiel
..Welt' eine Menge von Szenen, welche rnagisches Verhalten den Text in der Illustrarion oben rechts, dann muß das Auge
fordern. der Zelle endang gleiten. Ersr am Ende der Zeile hat man die
Und dann karn es zu einenr Llrnbruch, zu einer Unrwälzung Botschaft empfangen und muß versuchen, sie zusammenzu-
von so gewaltigen Folgen, daß es uns noch immer den Atem fassen, zu syndretisieren. Lineare Codes fordern eine Svn-

25
c lrronisation ihrer Diachro nizität. Sie fordern fortschreiten- kann man sagen: Der Sieg der'Iexte über die llilcler - tlcr
cles Empfangen. Urd das hat eine neue Zeiterfahrung ztr Wissenschaft über die Magie * ist ein Ereignis der jüngstcn
Folge, nämlich die einer lin earenZeit, eines Stroms des unwi- Vergangenheit und weit e:ntfernt, als abgeschlossen angcsc-
derruflichen Fortschritts, der dramatischen {Jnwiederhol- hen werden zu können.
barkeit, des Entwurfs: kurz der Geschichte. Mit der Erfin- Falls der erste Paragraph dieser Gedanken recht hat, ist näm-
dung der Schrift beginnt die Geschichte, nichtweil die Schrift lich irn Gegenteil eine Verflüchtigung des historischen Be-
Prozesse festhält, sondern weil sie Szenen in Prozesse ver- wußtseins festzustellen. In dem Maße, in dem Oberflächen-
wandelt: Sie erzeugt das historische Bevr-ufitsein. codes überwiepien, in dem Ililder alphabetischeTexte ersetzen,
Dieses Bewußtsein hat nicht etwa soforr über das magische hört die Zeiterfahrung auf, die mit den Kategorien der Ge-
gesiegt, es hat es mühsam und langsam übemrnden. Die Dia- schichte, also als irrcvcrsibel, fortschreitend und dramatisch
lektik zwischen Oberfläche und Linie, zwischen Bild und Be- erfaßt wird. Die kodifizierte Welt, in der wir leben, bedeutet
griff hat als Kampf begonnen, und ersr spät haben die Texte nicht mehr Prozesse, ein W'erden, sie erzählt keine Geschich-
die Bilder aufgesogen. Die griechische Philosophie und die ten, und leben in ihr bedeutet nicht handeln. Daß sie das nicht
jüdische Prophetie sind Kampfansagen der Texte gegen Bil- mehr bedeutet, nennt man die..IGise der Werter'. Denn wir
der: Plato zum Beispiel verachtet die Bildermacherei, und die sind ja noch inrmer weitgehend von Texten programmicrt,
Propheten eifern gegen die Idolatrie. Erst im LaufderJahr- also für Geschichte, für \Ä/issenschaft, für politisches Pro-
hunderte begannen Texte (Homer und die Bibel) die Gesell- gramm, fiir..Kunst". Wir..lesen" die Welt, zum Beispiel lo-
schaft zu programmieren, und das historische Bewu{Jtsein gisch und mathernatisch. Aber die neue Generation, welche
blieb, im Lauf der Antike und des Mittelalters, Kennzeichen von Techno-Bildern programmiert wird, teilt nicht unsere
einer kleinen Elite von Literaten. Die Masse wurde weiter ..Werte>>. Und wir wissen noch nicht, fiir welche Bedeutung
von Bildern programmiert, obwohl diese Bilder von Texten die Jbchno-Bildeq die uns umgeben, programmieren.
zunehmend infiziert mrden; sie verharrte sozusagen im ma- Diese unsere Ignoranz betreff-s der neuen Codes ist nicht
gischen Bewußtsein, blieb ..heidnisch". überraschend. Es hatJahrhunderte nach der Erfindung der
Die Erfindung des Buchdrucks verbilligte die Manuskripte Schrift erfordert, bevor die Schreiber lernten, daß Schreiben
und erlaubte einem aufsteigenden Bürgertum, zum histori- erzählen bedeutet. Zrerst haben sie wohl nur aufgezählt und
schen Bewußtsein der Elite vorzudringen. IJnd die Industrie- Szenen beschrieben. Es wird ebensolange dauern, bevor wir
revolution, welche die ..heidnischett Dorfbevölkerung aus ih- die \Ärtualitäten von Jbchno-Codes erlernen: bevor wir ler-
rem magischen Dasein riß, um sie als Masse um Maschinen zu nen, was Fotografieren, Filmen, Videomachen oder analoges
ballen, programmierte diese Masse dank Volksschule und Prograrnmieren bedeutet. Vorläufig erzählen wir noch TV-
Presse mit linearen Codes. In den sogenannten <<entwickel- Geschichten. Aber diese Geschichten haben doch schon ein
ten>> Ländern wurde die geschichtliche Bewußtseinsebene im posthistorisches Klirna. Es wird lange dauern, bevor wir auch
Lauf des r9. Jahrhunderts allgemeingriltig, für den Rest der ein posthistorisches Bewußtsein erkämpf'en; aber es ist doch
Menschheit dagegen wird sie das erst im Moment, weil dies erkennbar, daß wir dabei sind, einen entscheidenden Schrin
der Zeitpunkt ist, zu dem das Alphabet als universaler Code zuräck von Texten oder äber sie hinaus zu leisten. Einen
tatsächlich zu funktionieren beginnt. Betrachtet man als Schritt, der an das Wagnis der mesopotarnischen Keil-
höchsten Ausdruck des historischen Bewußtseins etwa das schreiber erinnert.
wissenschaftliche Denken * weil es die logische und prozes- Die Schrift ist ein Schritt hinweg von den Bildern, denn sic
suale Struktur linearer Texte zur Methode erhebt -, dann erlaubt, Bilder in 13egriffe aufzulösen. Mit diesern Schritt g-ing

z6 )a
tlcr ..Gl2ubs an Bilder", das heiiJt die Magie verloren, uncl
cine Bewußtseinsebene wurcle erreicht, welche viel später zu
Wissenschaftund Technik fiihrte. Die Techno-Codes sind ein
weiterer Schritt weg von den'Ibxten, clenn sic erlauben, sich
von Begriflen Bilder zu machen. Eir-re Fotoqrafie ist nicht das
Ilild eines Sachverhaltes, wie es tlas n.lclirioirclle Bilcl ist, son-
dern sie ist das Bjlcl einer Reihe von BegrifTen, welche der
Fotograf in bezus auf eine Szene har, die einen Sachverhalt
bedeutet. Nicht nur kanr.r die l(arnera nicht ohne'läxte (zurn
Beispiel chemische Formeln) existieren, sondern der Foto-
graf muß zuerst inaginieren, dann begreifen, um zlrletzt
..techno-irnap;inierentt zu krinnen. Mit cliesern Schritt zr-rrück
aus den Texten ins Techno-Bild ist ein neuer Grad von Ver_
frerndung erreicht worden: Der ..Glaube än 'Iexte>> an Er-
-
k1ärungen, an 1'heorien, an Ideologien geht verloren, weil
die Texte, wie einst die Bilder, als ..Vennittlunpien>> erkannt
werden.
I)as ist es,
w.as wir mit <<Krise der Werte>, meinen: dalJ wir aus
der linearen Welt der F)rklärungen hinausschreiten in clie
techno-imaginäre Wek der ..Modelle". Nicht da{J sich clie
Techno-Bilder bewegen, claß sie ..audiovisuell' sind, daß sie
im Kathodenlicht strahlen usw., ist das revolutionär Neue an
ihnen, sondem cla{J sie..Modelle' sind, das hei{lt Begriff-e be-
deuten. Daß ein TV-Prograrnm nicht eine Szenc eines Sach-
verhalts ist, sondern ein ..Modell,,, närnlich eirr Bild eines
Begriffs einer Szene. Das ist eine .<Krise>>, weil närnlich rnit
clern Uberschreiten der Texte alte Progranune wie zurn Bei-
spiel Politik, Philosophie, Wisscnschrft aulJer I(rafi gesetzr
werden, ohne von neuen Programmen ersetzt zu werden.
Es eibt keine Parallelen in der Vergangenheit, die uns erlaub_
ten, den Gebrauch der Techno-Codes zu lernen, so wie sie
sich z.urn Beispiel als Farbexplosion rnanif-estieren. Aber wir
rniissen ihn le rnen, sonst sind wir verurteilt, in einer bedeu-
t Lr os p;ewordenen, teclrno-imaginär koc{ifi zierten'Welt
n gsl

cirr sinrrloses I)asein zu fristen. Der Niedergang und Fall des


Alplrrrlrcts bedeuret das Ende der Geschichte irn ensen Sinn
rlt's \Ä/ortcs. Die vorliegende Iletrachnrng will die Frage sre [-
lt'rr rr:rt'h rlcrn Anfäng clcs Neuen. (rgZg)

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