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DIRK MESSNER

Die Transformation von Staat und


Politik im Globalisierungsprozeß

Wenn Begriffe » Karriere machen« , so reflektiert dies oft ein-


schneidende Veränderungen in der Welt. » Globalisierung« ist
ein solcher Begriff, der neue Rahmenbedingungen für die
Zukunft von Staat und Politik signalisiert. Begriffe wie » inter-
national« und » internationale Beziehungen« wurden Ende des
18. Jahrhunderts mit dem Aufstieg der Nationalstaaten ge-
bräuchlich. Der Terminus » Globalisierung« taucht 1961 erst-
mals in einem englischsprachigen Lexikon auf; seit den 80er
Jahren wird » Globalisierung« zu einem Kernbegriff in der
sozialwissenschaftlichen Diskussion. Anthony Giddens (1997:
85) definiert Globalisierung als die » Intensivierung weltweiter
sozialer Beziehungen, durch die entfernte Orte in solcher Weise
miteinander verbunden werden, daß Ereignisse am einen Ort durch
Vorgänge geprägt werden, die sich an einem viele Kilometer entfern-
ten Ort abspielen, und umgekehrt« . Die trennende Bedeutung
von (nationalstaatlichen) Grenzen wird ausgehöhlt, die Bedeu-
tung politischer, ökonomischer und sozialer grenzüberschrei-
tender Aktivitäten für nationale Gesellschaften erhöht sich,
und räumliche Distanzen verlieren an Bedeutung, so daß
immer mehr Ereignisse weltweit gleichzeitig wahrgenommen
und mit immer kürzeren Verzögerungen an unterschiedlichen
Orten der Welt wirksam werden können. Motoren dieses
Prozesses sind:
• die Eigendynamik der Märkte;
• neue Technologien, die den Aufbau globaler Produktions-
netzwerke und die Funktionsfähigkeit der internationalen
Finanzmärkte gewährleisten; schließlich

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• die » Kommunikationsrevolution« , die einen Übergang von
der Industrie- zur Wissens- und Informationsgesellschaft
einleitet (vgl. den Beitrag von Eßer).
Die Ausdehnung und Verdichtung lokal-national-globaler
Beziehungsnetzwerke führt sicher nicht zu einer Weltgesell-
schaft im Sinne einer » Mega-Nationalgesellschaft« (Beck 1997:
31) mit einer Weltregierung an der Spitze. Die skizzierten
Entwicklungstrends setzen jedoch ganz sicher die etablierten
Institutionen, Regelwerke und eingespielten Mechanismen der
Politik in den nationalen Gesellschaften unter enormen An-
passungsdruck (vgl. den Beitrag von Altvater).
Franz-Xaver Kaufmann (1997: 12) warnt angesichts der
Globalisierung vor Prozessen sozialer Desintegration, wenn er
schreibt: » Der Nationalstaat war die historisch wohl letzte und
umfangreichste Form eines die Menschen in allen Lebensbezügen
umfassenden Gemeinwesens, in dem (...) das individuelle und das
kollektive Wohl plausibel in einem gemeinsamen Sinnzusammen-
hang vermittelt werden konnte. Im Zuge von Internationalisierung,
Globalisierung und Transnationalisierung werden diese Grenzen
unscharf, und eben deshalb der gesellschaftliche Zusammenhang
fragwürdig.« Auch Ralf Dahrendorf (1997: 15), der das Ende
des sozialdemokratischen Jahrhunderts vielfach beschworen
hatte, fürchtet nun eine » wilde und erbarmungslose Globalisie-
rung« , die nur noch den Gesetzen der Konkurrenz folgt, zu-
nehmend größere gesellschaftliche Gruppen überfordert und
daher zum Ausschluß » einer beträchtlichen Zahl von Menschen«
aus der Gesellschaft führen könnte. Das hieße aber, so Dah-
rendorf, » daß eine solche Gesellschaft nicht mehr überzeugend
verlangen kann, daß ihre Mitglieder sich an die Regeln von Recht
und Ordnung halten« – sich verschärfende innergesellschaftli-
che Konflikte und die Gefährdung des sozialen Zusammenhal-
tes wären die Folge. Schwingt hier vielleicht die Sehnsucht
eines Liberalen nach den sozialen Integrationsleistungen der
von ihm lange scharf kritisierten westlichen Wohlfahrtsstaaten
mit?

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Nimmt man diese Warnungen von zwei Intellektuellen
wahr, die keineswegs zu den notorischen Kassandra-Rufern
ihrer Zunft gehören, so müssen im Übergang zum 21. Jahr-
hundert dringend Strategien entwickelt werden, um die Glo-
balisierung institutionell einzubetten und politisch zu gestal-
ten. Verharren Institutionen und Politik in den etablierten
Strukturen und Formen der Arbeitsteilung, wird zunehmen-
des Politikversagen die Folge sein.

Der Nationalstaat als Fixpunkt des politischen


Koordinatensystems
Der Nationalstaat ist weiterhin Dreh- und Angelpunkt unseres
politischen Koordinatensystems. Ein Blick auf die Überschrif-
ten der » internationalen Seiten« jeder anspruchsvollen Tages-
zeitung bestätigt dies: Da werden die Beziehungen zwischen
den USA und Japan auf eine harte Probe gestellt, Rußland und
China beschließen eine strategische Allianz, die Handelsbezie-
hungen zwischen Deutschland und Brasilien sollen verbessert
werden. Ein zweiter Blick auf die ausgewählten Seiten unserer
Tageszeitungen vermittelt ein komplexeres Bild von der Welt-
politik am Ende des 20. Jahrhunderts. Die Europäische Union
(EU) verbietet den Export britischen Rindfleisches, der Inter-
nationale Währungsfonds (IWF) legt die Grundzüge der von
den Währungs- und Finanzturbulenzen in Asien betroffenen
Länder fest und schnürt dafür Kreditpakete zur Überwindung
der Wirtschaftskrisen, und die global agierende Nicht-Regie-
rungsorganisation (Non-Governmental Organization, NGO)
Greenpeace verhandelt mit dem multinationalen Unternehmen
British Petroleum über die Entsorgung von Ölplattformen.
Internationale Medienkonzerne wie CNN tragen entscheidend
dazu bei, welche Themen die Weltöffentlichkeit und damit die
Weltpolitik beschäftigen, und Ted Turner, der Besitzer von

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CNN, unterstützt die Arbeit der Vereinten Nationen (UN) mit
einer Spende von einer Milliarde US-$, während die US-
Regierung nicht willens ist, ihre Schulden bei den UN endlich
zu tilgen.
Aus diesem Panorama lassen sich zwei wichtige Trends he-
rauslesen, die einen tiefgreifenden Wandel der Weltpolitik
anzeigen, welche lange als Staatensystem organisiert war.
Erstens sind in der internationalen Politik die Nationalstaaten
längst nicht mehr unter sich. Sie müssen sich die globale Sze-
nerie mit immer mehr global players der dynamisch wachsen-
den globalen Wirtschaftswelt und einer entstehenden global
engagierten Gesellschaftswelt teilen: Multinationale Unter-
nehmen, inter- und supranationale Organisationen, Nicht-
Regierungsorganisationen und Einzelpersonen mischen sich
zunehmend in die globale Politik ein. Die monozentrische
Machtstruktur rivalisierender Nationalstaaten innerhalb des
internationalen Systems transformiert sich in eine polyzentri-
sche Machtverteilung (Rosenau 1990).
Zweitens werden die Trennungslinien zwischen Innen- und
Außenpolitik immer unschärfer. Über transnationale Bezie-
hungen mischen sich Akteure von außen in die » inneren An-
gelegenheiten« der Nationen ein; aufgrund ökonomischer
Verflechtungen lassen sich Krisen kaum mehr auf ein Land
beschränken; die Verdichtung von Kommunikation und Ver-
kehr vernetzt Ökonomien und Gesellschaften immer enger
miteinander; nationale Gesellschaften, Regionen, Kommunen
werden zunehmend durch die Auswirkungen von Entschei-
dungen betroffen, die an weit entfernten Orten getroffen wur-
den; ein Vielzahl von Umweltproblemen sind a priori globaler
Natur und daher nur durch gemeinsames Handeln über nati-
onale Grenzen hinweg lösbar. Der Nationalstaat zieht Gren-
zen, Globalisierungsprozesse und globale Phänomene zerset-
zen und durchlöchern sie. In der Welt- und Außenpolitik ging
es bisher vor allem um die Durchsetzung und Absicherung
nationaler Interessen, um Hegemonie, Friedenssicherung und
internationale Stabilität durch Abschreckung sowie um die

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Herstellung von Machtgleichgewichten. In den nationalen
Gesellschaften stand die Ausgestaltung des Gemeinwesens
und die politische Problemlösung durch die souveränen und
demokratisch legitimierten Nationalstaaten im Mittelpunkt.
Diese Trennung in Innen und Außen führt in der » neuen Ära
des Globalismus« (Kaiser 1995: 498) zu einem stetigen Verlust
an politischer Steuerungsfähigkeit. Eine Krise der National-
staaten sowie der Politik könnte die im nationalen Rahmen
organisierten Demokratien bedrohen. Sie gründen sich auf
Übereinstimmung zwischen denen, die an Prozessen der
demokratischen Legitimation beteiligt sind, und denen, die
von den so legitimierten Entscheidungen betroffen sind
(Scharpf 1996: 13). Die politischen und institutionellen Mecha-
nismen zur Lösung globaler, grenzüberschreitender Probleme
sind unterentwickelt. Aufgrund der sich verdichtenden inter-
nationalen Interdependenzen und des zunehmenden Prob-
lemdrucks globaler Fragen müssen sich die Nationalstaaten
daher tiefgreifend verändern. Die Politik muß entlang der
Achse lokal-global reorganisiert werden, um zu verhindern,
daß die Gesellschaften immer stärker durch eigendynamische
Sach- und Systemlogiken beherrscht werden. Global Gover-
nance wird zu einer der großen Herausforderungen des
nächsten Jahrhunderts.

Die Zukunft des Nationalstaates und der


Politik – vier Sichtweisen
Über die Zukunft des Nationalstaates und der Politik sowie
tragfähige Strategien zur politischen Gestaltung der Globali-
sierungsprozesse herrscht in der sozialwissenschaftlichen
Diskussion keineswegs Einigkeit. Vier Sichtweisen lassen sich
unterscheiden:
1. Abschied vom Nationalstaat: Mit der Globalisierung se-
hen einige Beobachter den » Abschied vom Nationalstaat«

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eingeläutet – so zum Beispiel Edgar Grande (1997), der mal ein
Fragezeichen anfügt, dann wieder darauf verzichtet. Innerhalb
der Gruppe derer, die von einem weitgehenden Bedeutungs-
verlust des Nationalstaates ausgehen, lassen sich wiederum
drei divergierende Deutungsmuster unterscheiden:
• Edgar Grande (1996, 1997) ist zuversichtlich, daß die politi-
schen Handlungsspielräume, die im Globalisierungskontext
auf nationaler Ebene verloren gehen, auf europäischer Ebe-
ne zurückgewonnen werden können, wenn der Prozeß der
europäischen Integration zielstrebig vorangetrieben wird.
• Ähnlich optimistisch argumentiert Jessica T. Mathews
(1997), die jedoch ganz andere Hoffnungsträger ausmacht,
die das Vakuum, das der Nationalstaat hinterläßt, ausfüllen
sollen: Vor allem nicht-staatliche Akteure und die globale
Zivilgesellschaft werden (wohl etwas voreilig) zu den
handlungsmächtigen global players der Zukunft hochstili-
siert.
• Jean-Marie Guéhenno (1995) stimmt zwar ebenfalls in den
Abgesang auf den Nationalstaat ein, sieht jedoch mit dessen
Niedergang auch den » Tod der Politik« und das » Ende der
Demokratie« gekommen, die er beide nur im nationalstaat-
lichen Rahmen für organisierbar hält.
2. Der Nationalstaat bleibt aufgrund des Mangels an tragfähi-
gen Alternativen und der Schwäche supranationaler Struktu-
ren zentraler Ort der Politik bei generellem Verlust politischer
Steuerungsfähigkeit. Wolfgang Streeck (1997, vgl. auch seinen
Beitrag für den vorliegenden Band) konstatiert einen spürbaren
Substanzverlust nationalstaatlicher Politik, insbesondere infol-
ge der ökonomischen Globalisierung, kann jedoch keine ernst-
haften Ansätze ausmachen, durch staatsähnliche Strukturen
auf internationaler Ebene verlorengegangene Handlungsspiel-
räume wiederzugewinnen. Er sieht daher keine Alternative
zur Verteidigung des nationalen Monopols auf öffentliche
Gewalt mit dem Ziel der Zivilisierung des globalen Kapitalis-
mus. Der demokratische Nationalstaat könnte, so Streeck
(1997: 325), » das einzige [sein], das wir haben, und gleichzeitig viel

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weniger als notwendig wäre, um eine globale Ökonomie sozial, und
vielleicht auch wirtschaftlich, lebensfähig zu machen« .
3. Internationale Organisationen, Multilateralismus und ei-
ne kooperative Außenpolitik als Antwort auf die Globalisie-
rung: Von Theoretikern auf dem Feld der Außenpolitik, die
die veränderte Dynamik der Weltpolitik und die globalen
Verflechtungszusammenhänge als politische Herausforderung
wahrnehmen, wird die wachsende Bedeutung des Multilate-
ralismus konstatiert und eine stärker kooperativ ausgerichtete
Außenpolitik eingefordert. Oft wird funktionalistisch von
grenzüberschreitenden Interdependenzbeziehungen auf quasi
automatisch » nachwachsende« internationale Regulierungen
geschlossen (Corbey 1995). Die Nationalstaaten, die ihre zwi-
schenstaatlichen Beziehungen intensivieren, multilaterale Re-
gime auf- und ausbauen und so » die Bündelung von Teilen der
Souveränität (und ihr Interdependenzmanagement) klug weiterent-
wickeln« (Kaiser 1995: 509), bleiben in dieser Perspektive die
zentralen politischen Akteure; die oben beschriebenen » neuen
Akteure« der Weltpolitik kommen kaum vor. In diesen Kon-
zepten werden darüber hinaus zwei Problemkontexte unter-
belichtet: Erstens werden die Rückwirkungen der Globalisie-
rungsprozesse auf die nationalstaatlich organisierte Politik
unterschätzt; Anpassungs- und Veränderungsbedarf wird
primär jenseits des Nationalstaates ausgemacht. Durch » mehr
Multilateralismus« soll die Funktions- und Leistungsfähigkeit
des Nationalstaates und der Politik wiederhergestellt werden.
Ausgeblendet werden die tiefgreifenden Veränderungen der
Institutionen der Nationalstaaten, weil die bisherige Innen-
und Außenpolitik auf eine neue Art und Weise miteinander
verknüpft werden müssen, die im Rahmen der bestehenden
institutionellen Strukturen (zum Beispiel der nach » innen«
oder » außen« orientierten Ministerien) kaum möglich ist.
Traditionelle Innen- und Außenpolitik müssen sich letztlich in
ein neu entstehendes Global Governance-System transformie-
ren, in dem von der lokalen bis zur globalen Ebene politische
Steuerungsversuche und Beiträge zur Lösung inter- und

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transnationaler Probleme koordiniert und gebündelt werden.
Zweitens neigen die » Multilateralisten« zu einem impliziten
Steuerungsoptimismus. Zumindest werden Steuerungs- und
Koordinationsprobleme, die zum Beispiel Streeck mit guten
Argumenten betont und mit denen er seine grundsätzliche
Skepsis gegenüber der Leistungsfähigkeit supranationaler
Institutionen begründet, selten thematisiert.
4. Transformation der Politik in der Global Governance-
Architektur: Global Governance umfaßt mehr als die Summe
der Aktivitäten der Nationalstaaten, ergänzt um einen sich
verdichtenden Multilateralismus (Commission on Global
Governance 1995; Messner/Nuscheler 1996). Die Nationalstaa-
ten bleiben die zentralen politischen Akteure – entgegen dem
vielstimmigen Chor derjenigen, die bereits den » Abschied
vom Nationalstaat« kommen sehen. Sie müssen sich jedoch
transformieren. Der Nationalstaat büßt seine Rolle als
» allmächtiger und allzuständiger Problemlöser« tendenziell
ein. Der demokratisch legitimierte Rechtsstaat bleibt jedoch
die entscheidende Instanz, die das Gemeinwohlinteresse
wahrzunehmen hat. Wer sonst sollte darüber wachen, daß
gesellschaftliche Gestaltungsaufgaben wahrgenommen und
soziale Lasten sowie ökonomische Kosten gesellschaftlicher
Veränderung möglichst gerecht verteilt werden, eine tragfähi-
ge öffentliche Infrastruktur gewährleistet bleibt und die Macht
organisierter Partikular-interessen begrenzt wird? Aber die
Rolle des Nationalstaates verändert sich drastisch: Die Früh-
erkennung von Problemen, die Erarbeitung von Lösungsalter-
nativen sowie die Implementierung von Politiken müssen in
vielen Problemfeldern » nach oben« (also auf die internationale
Ebene, an multilaterale und supranationale Organisationen)
delegiert werden. Regionale Integrationsprojekte werden
weltweit an Bedeutung gewinnen und Aufgaben übernehmen,
die bisher den Nationalstaaten oder den Vereinten Nationen
zugeschrieben wurden. Die Global Governance-Architekur
muß auf leistungsfähigen » regionalen Kernen« aufbauen. Die
Europäische Union ist hier – trotz aller Probleme und Hemm-

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nisse – auf dem Weg der Überwindung nationaler Engstirnig-
keiten und der Verdichtung kooperativer Politik das fortge-
schrittenste Laboratorium für » regional governance« in der
Global Governance-Archi-tektur. Das Ordnungsprinzip der
nationalen Souveränität wird Schritt für Schritt durch ein
System wechselseitiger Abhängigkeiten und Verwundbarkei-
ten abgelöst.
Zugleich gewinnen die lokalen und regionalen Ebenen in-
nerhalb des Nationalstaates an Bedeutung, und nicht-
staatliche Akteure übernehmen Funktionen, die bisher dem
Staat zugeschrieben wurden. In vielen Politikbereichen muß
der Staat mit gesellschaftlichen Gruppen (wie Sozialverbän-
den, Kammern, Gewerkschaften, Wissenschaft) gemeinsame
Problemlösungsstrategien entwickeln, weil das Wissen um
Wirkungszusammenhänge sowie Implementations- und Kon-
trollkapazitäten breit gestreut ist. Konturen einer Netzwerkge-
sellschaft entstehen, in der der Nationalstaat Scharnier- und
Integrationsfunktionen nach innen und außen wahrnimmt und
in der auch nicht-staatliche Institutionen und Privatunterneh-
men Verantwortung für die Entwicklung des Gemeinwesens
übernehmen müssen, wenn Konflikte und Krisen entschärft
und gelöst werden sollen (Messner 1995).

Die Transformation der Politik gestalten


In der Global Governance-Architektur müssen angesichts
grenzüberschreitender und globaler Probleme auf unter-
schiedlichen Handlungsebenen entlang der Lokal-Global-
Achse Lösungsstrategien entwickelt und – soweit möglich –
aufeinander bezogen werden (vgl. Schaubild 1). Die Bündelung
von Problemlösungsansätzen über die Handlungsebenen
hinweg verlangt ein hohes Maß an internationaler Monitoring-
Kompetenz und an Koordinationsfähigkeit sowie grenzüber-
schreitende Kommunikation und Lernbereitschaft. Den Natio-

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Schaubild 1: Handlungsebenen und Akteure in der Global
Governance-Architektur

UN-Organisationen Internationale Regime

Regionale Integrati-
onsprojekte
(EU, NAFTA, etc. )

Nationalstaaten

Lokale Politik

Private Global Players Nationale und globale


− Multinationale Konzerne Zivilgesellschaft
− Medien − NGOs
− Internationale Banken − Interessenvertretungen
− Wissenschaft

nalstaaten wird in diesem Kontext insbesondere die Rolle des


» Interdependenzmanagers« zukommen. Die politischen Insti-
tutionen sind üblicherweise auf die Bearbeitung geographisch
eingegrenzter Probleme ausgerichtet: Lokale Institutionen sind
vor allem für die Lösung lokaler, nationale Institutionen für
die Regulierung nationaler Probleme zuständig usw. Diese
Strukturen versagen oder stellen Hemmnisse dar, wenn Prob-
leme zum Beispiel weltweit verursacht werden
(Wäldervernich-tung), es daher internationaler Konventionen
und Regeln bedarf (internationale Waldkonvention) und
zugleich lokale Maßnahmen notwendig sind (zum Beispiel
Wiederaufforstung). Zur Überwachung und Sanktionierung
derartiger Regelungen sind lokale, nationale und internatio-
nale Monitoring-Systeme, rechtsverbindliche Konventionen
und eine internationale Gerichtsbarkeit vonnöten. Nur so
lassen sich globale und lokale Krisen überwinden.
In der Global Governance-Architektur müssen zunehmend
mehr Probleme, die quer zu den räumlich strukturierten poli-

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tischen Institutionenlandschaften entstehen und wirken, auf
diversen Handlungsebenen bearbeitet werden. So auch in der
Klimapolitik: Es existieren Klimaschutzmaßnahmen, die inter-
national abgestimmt werden müssen (zum Beispiel völker-
rechtliche Vereinbarungen über Emmissionsminderungsziele);
es gibt andere Klimaschutzmaßnahmen, die besser internatio-
nal abgestimmt werden sollten, wo dies aber nicht zwingend
notwendig ist (zum Beispiel Energiesteuern); und es verblei-
ben auch weiterhin vielfältige Spielräume für Maßnahmen, die
keiner internationalen Abstimmung bedürfen (zum Beispiel
Wärmedämmung für Gebäude, Abwärmenutzung im indus-
triellen Bereich, Tempolimits).
Ein interessantes Beispiel für neue Formen globaler Politik
sind die internationalen Verhandlungen zum Verbot von
Personenminen. Der Verhandlungsprozeß wurde wesentlich
durch nordamerikanische Nicht-Regierungsorganisationen
angestoßen, denen es gelang, eine internationale Kampagne zu
entfachen und die Weltöffentlichkeit für dieses Thema zu
interessieren. Das Ende 1997 im Rahmen der Regierungsver-
handlungen beschlossene Dokument, das ein Verbot der Mi-
nen festschreibt, wurde zunächst von wichtigen Regierungen
(zum Beispiel der USA und Rußlands) nicht unterschrieben.
Die Vergabe des Friedensnobelpreises von 1997 an die Initia-
torin der privaten Kampagnen zur Ächtung der Personenmi-
nen erhöhte die Legitimation der NGOs und ihren politischen
Einfluß. Bill Clinton und Boris Jelzin sahen sich zu der Erklä-
rung genötigt, ihre Beschlüsse noch einmal zu überdenken.
Damit ist noch nicht der Erfolg dieses Prozesses gesichert,
aber eine neue Qualität von Politik in der Weltgesellschaft
zeichnet sich ab.
Politik wird in immer stärker horizontal und vertikal ver-
netzten Strukturen stattfinden: Netzwerkstrukturen in und
zwischen Gesellschaften gewinnen an Bedeutung, hierarchi-
sche Steuerung durch eine Politikinstanz wird zur Ausnahme;
das Konzept nationalstaatlicher Souveränität wird perforiert
durch Systeme geteilter Souveränitäten; das internationale

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System der Staatenwelt wird überlagert durch eine Mehrebe-
nen-Struktur der Global Governance-Architektur, in der eine
Vielzahl privater und öffentlicher Akteure agiert. Die Trans-
formation der Politik in diese Richtung ist längst im Gange;
die Herausforderung besteht darin, in diesem Prozeß durch
gezielte Beiträge zur Herausbildung eines leistungsfähigen
Global-Governance-Systems die Handlungsspielräume von
Politik erneut zu erweitern (Messner/Nuscheler 1997).

Herausforderungen für Global Governance

Gerade weil die Steuerungsressourcen zur Lösung drängender


Probleme (wie der Klimaproblematik, der Beschäftigungskri-
sen, des Bevölkerungswachstums) in den Gesellschaften und
zwischen ihnen breit auf unterschiedliche Akteursgruppen
gestreut sind, werden Kooperationsbereitschaft, Kompromiß-
fähigkeit und die Suche nach » fairen Lösungen« grundlegend
für die Funktionsfähigkeit von Politik in der » Ära des Globa-
lismus« : Während Shareholder-Ideologien fröhliche Urstände
feiern, » neoliberale Vordenker« den ungehinderten (sprich:
nicht politisch regulierten) Wettbewerb zwischen den Natio-
nen als Fortschrittsmotor bejubeln und im realen Globalisie-
rungsprozeß – wovor Dahrendorf zurecht warnt – Kulturen
der Kooperation und des Konsenses leicht zerrieben werden
können, liegt es auf der Hand, daß ein weiterer Verlust politi-
scher Steuerungsfähigkeit nur durch ein Mehr an transnatio-
naler Kooperation kompensiert werden kann. Dabei sind
Partizipation, Kooperation und sozialer Ausgleich in diesem
Argumentationszusammenhang nicht in allererster Linie
Werte an sich, sondern vor allem Mittel effektiver und effi-
zienter Problemlösung in einer immer interdependenteren
Welt.
Global Governance wird vor drei schwierigen Herausfor-
derungen stehen:

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Schaubild 2: Problemdimensionen von Global Governance

Herausforderungen
− effektive Problembearbeitung
− Demokratie/Legitimation
− soziale Integration in Gesellschaften und Lern-
partnerschaften zwischen Gesellschaften

Mehrebenenpolitik in der Global Komplexe Akteurskonstellationen


Governance-Architektur
− Macht
− Demokratieprobleme − Vetopositionen
− Verhandlungsprobleme − multiple Interessenkonstellationen
− Koordinationsprobleme
− Kohärenzprobleme

Kernprobleme der Netzwerksteuerung in der


Global Governance-Architektur
− Trend zur Einigung auf den „kleinsten gemeinsamen
Nenner“
− Vetopositionen
− Funktionale und kognitive Blockaden
− Problem: Verteilungs-Kriterien zu bestimmten
− „endlosen“Verhandlungen
− Externalisierungen von Kosten zu Lasten Dritter/
schwacher Akteure

Erstens müssen in unterschiedlichen Politikfeldern entlang


der Achse lokal-global angemessene und tragfähige institutio-
nelle Strukturen und Problemlösungsmechanismen entwickelt
werden, um die Effektivität von Politik in der Global Gover-
nance-Architektur zu gewährleisten. Hier sind institutionelle
und prozedurale Innovationen notwendig.
Zweitens stellt sich die Frage nach der Transformation der
Demokratie im Globalisierungsprozeß. Ein schwieriges Di-
lemma zeichnet sich ab: Die Legitimation der Demokratie ist
bedroht, wenn der demokratische Nationalstaat angesichts der
zunehmenden Zahl grenzüberschreitender Probleme an
Handlungsfähigkeit verliert. Die Delegation von Souveränität
an anonyme, undurchschaubare inter- oder supranationale

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Organisationen kann aber ebenfalls Legitimationsdefizite nach
sich ziehen. Es ist aussichtslos, Grundprinzipien westlicher
Demokratiemodelle, die im nationalstaatlichen Kontext funk-
tionieren und verankert sind, auf die komplexe Global Gover-
nance-Architektur zu übertragen (Scharpf 1996). Lothar Brock
hat in seinem Beitrag für diesen Band wichtige Ansatzpunkte
für Mechanismen demokratischer Legitimation der Politik im
globalen Kontext entwickelt.
Drittens stellt sich die Frage, wie in einer interdependenten
Welt soziale Integration möglich ist, also gesellschaftliche
Bindekräfte mobilisiert und stabilisiert werden können. Prin-
zipiell werden Gesellschaften durch drei Integrationsweisen,
die sich komplementär ergänzen, zusammengehalten
(Kaufmann 1997). Die Reproduktion der Integrationsmodi ist
unter den Bedingungen der Globalisierung keineswegs gesi-
chert, und sie müßten im Gefüge der Global Governance-
Architektur erst verankert werden. Gesellschaften werden
erstens durch gemeinsam geteilte, substantielle und prozedu-
rale Normen und Werte zusammengehalten. Mögliche Äqui-
valente wären im globalen Kontext die Menschenrechte sowie
Maßstäbe für die Findung globaler Problemlösungen, die von
allen Beteiligten als fair und gerecht angesehen werden. Die
schwierigen Diskussionen um die Reduktionsfahrpläne für
klimagefährdende Stoffe im Rahmen der Klimaverhandlungen
in Berlin (1996) und Kyoto (1997) haben unterstrichen, wie
wichtig gerade der letztgenannte Punkt ist. Demokratische
Gesellschaften werden zweitens durch ihre Rechtsordnungen
integriert, die Gleichheitsgrundsätzen folgen, Teilhaberechte
festschreiben und wechselseitige Erwartungen stabilisieren.
Die Stärkung globaler Rechtsstaatlichkeit und die Weiterent-
wicklung des Völkerrechts ist dementsprechend ein Imperativ,
um in der Global Governance-Architektur die Herrschaft des
Rechts gegen die im internationalen System noch vorherr-
schende Dominanz der Mächtigen durchzusetzen. Plurale
Gesellschaften werden drittens durch dichte Kommunikati-
onsnetze, vielfältige intermediäre Strukturen und Gemein-

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schaftsbildung auf der Grundlage wechselseitiger moralischer
Anerkennung der Mitmenschen als Gleiche, trotz ihrer Ver-
schiedenheit, integriert. Im globalen Maßstab muß die » Kultur
der Belehrung« , die zum Beispiel noch oft die internationale
Entwicklungszusammenarbeit kennzeichnet, durch eine
» Kultur des gemeinsamen Lernens« abgelöst werden. Interna-
tionale Dialoge und Mechanismen globaler Solidarität müssen
ausgebaut werden. Dabei wird mit dem Begriff des Dialogs
das Verschiedene und mit dem Begriff der Solidarität das
Gemeinsame im Verhältnis zwischen den Menschen, Gesell-
schaften und Kulturen thematisiert (Kaufmann 1997: 12).

Strukturdeterminanten von Global Governance


Sollte sich eine » wilde und erbarmungslose Globalisierung«
durchsetzen, vor der Dahrendorf warnt, drohen die Hand-
lungsspielräume für eine gestaltende Gesellschaftspolitik
immer enger zu werden. Außerdem besteht die Gefahr sich
wechselseitig verstärkender Abwärtsspiralen: weltweite Steu-
ersenkungswettläufe und daraus resultierende Fiskalkrisen
der Staaten, Deregulierungswettläufe, Lohn-, Sozial- und
Umweltdumping. Global Governance ist ein analytischer
Rahmen, um die Transformation der Politik im Globalisie-
rungsprozeß zu rekonstruieren, vor allem aber auch ein nor-
matives Konzept, um auf Kooperation und Interessenaus-
gleich basierende Strategien gegen die » Entmachtung der
Politik« zu entwickeln. Es gibt gute Gründe dafür, daß aus der
Vermehrung und Bewußtwerdung globaler Risiken auch
gemeinsame Interessen und Initiativen zu ihrer Bewältigung
erwachsen. Folgende Einsichten können die Kooperationsbe-
reitschaft in der Weltgesellschaft befördern:
• Zunehmende und sich verdichtende räumliche, zeitliche
und kausale Interdependenzen in der Weltgesellschaft füh-

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ren zu wechselseitigen Abhängigkeiten zwischen Ländern,
Regionen und Akteursgruppen.
• Einseitig auf Wettbewerb und die Durchsetzung von Ei-
geninteressen orientierte Strategien in Politik und Wirt-
schaft weisen eine begrenzte Reichweite auf und bergen er-
hebliche Risiken, da sich Erfolg bzw. Mißerfolg kaum vor-
hersehen lassen.
• Es besteht generell eine hohe Unsicherheit, die für alle
beteiligten Akteure aus der Eigendynamik ungesteuerter
Systeme – wie den internationalen Finanzmärkten, der Lo-
gik des globalen Standortwettbwerbs oder der technologi-
schen Entwicklung – resultiert.
Um handlungsleitend sein zu können, muß ein normativ
orientiertes Global Governance-Konzept um die Einflußfakto-
ren (und auch Fallstricke) wissen, die die Dynamik globaler
Politik bestimmen und » politische Möglichkeitsräume« eröff-
nen oder auch verengen. In Schaubild 3 werden sechs sich
wechselseitig beeinflussende Determinanten skizziert, die es
erlauben, die Komplexität der Global Governance-Problematik
zu strukturieren.

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Schaubild 3: Strukturdeterminanten von Global Governance

Problemtypen
− globale öffentliche Güter
− grenzüberschreitende Probleme
− globale (Krisen-) Phänomene
− globale Interdependenzprobleme
− Systemwettbewerb
− Komplexität der Global-Governance-
Typologie » globaler Probleme« Architektur

Leitbilder Management globaler


Im Rahmen der Globalisierungsdiskussion
− kooperatives Global Governance-
Projekt wird oft sehr all-
Interdependenzen
− „pooled interdependence“
gemein von einer Zunahme » globaler Probleme«
− nationalstaatliche Interessenpolitik
− regionale Blockbildung gesprochen
− sequentielle Interdependenz
− reziproke Interdependenz
und eine Verlagerung nationalstaatlicher Handlungskompe-
tenzen auf übergeordnete Handlungsebenen eingefordert.
Übersehen wird dabei, daß divergierende Macht
Problemtypen un-
Handlungsorientierunge
terschieden
n der Akteure werden können, die sehr unterschiedliche − Machtvakuum/ polyzentrisches Anfor-
internationales System
derungen an die Politik in der Global Governance-Architektur
− Tausch- und Aushandlungs-
orientierung (Pareto-Optimum) − asymmetrische Machtstrukturen
− Veto-Macht
stellen.
− gemeinsameSpezifische
− Konfrontationsorientierung
Problemlösungs- Problemtypen erfordern spezifische
− Stärke privater/ Lö-
wirtschaftlicher Macht

sungsstrategien:
orientierung (Kaldor-Optimum)
Jeweils unterschiedliche Akteure sind invol-
Interessenkonstellationen
− komplementäre Interessen
viert, Aktivitäten auf unterschiedlichen
− konvergierende Interessenkonstellationen Handlungsebenen
− konfliktive Interessenkonstellationen
entlang der Lokal-Global-Achse − Indifferenz erforderlich, problemspezifi-

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sche institutionelle Arrangements und Innovationen notwen-
dig. Generell lassen sich sechs Problemtypen unterscheiden:
1. » Global goods and bads« – » globale öffentliche Güter« : Ange-
sprochen sind hier zum einen Probleme mit weltweiter Di-
mension (zum Beispiel Klimaveränderungen, Ozonloch, vo-
ranschreitende Wüstenbildung, Bedrohung der Biodiversität,
Weltfrieden), bei denen es um den Schutz globaler Güter geht.
Die Probleme können durch einige Akteure ausgelöst oder
verschärft werden (zum Beispiel CO2-Ausstoß der Industrie-
länder), übersetzen sich jedoch in weltumspannende Gefähr-
dungen. Zum anderen verlangt die Globalisierung der Öko-
nomie, insbesondere der Kapitalmärkte, danach, weltumspan-
nende Regeln zur Stabilisierung der Weltwirtschaft zu
entwickeln. Zur institutionellen Einbettung der » global goods
and bads« bedarf es einerseits internationaler Regime und
verbindlicher Konventionen (wie zum Beispiel des erfolgrei-
chen Montrealer Protokolls zum Schutz der Erdatmosphäre),
um weltweit verbindliche Regeln (wie Reduktionsfahrpläne
für Fluorchlorkohlenwasserstoffe/FCKWs) und Strategien
festzulegen. Andererseits sind in der Regel vielfältige Aktivi-
täten auf allen Ebenen der Global Governance-Architektur
notwendig, um die internationalen Vereinbarungen umzuset-
zen (zum Beispiel Programme zur Steigerung der Energieeffi-
zienz, um die Klimaproblematik zu entschärfen) und zu ü-
berwachen. » Global commons-Probleme« tangieren die Welt-
gemeinschaft als Ganzes, verlangen ein hohes Maß an
internationaler Kooperation und machen in vielen Bereichen
weltweite Ordnungspolitik notwendig. Fortschritte sind, wie
zum Beispiel die Klimaverhandlungen in Berlin und Kyoto
gezeigt haben, aufgrund der oft komplexen Interessenkons-
tellationen und der hohen Zahl der Beteiligten schwierig und
langwierig – aber, wenn der Problemdruck von zentralen
Akteuren wahrgenommen wird, auch möglich, wie die Ver-
einbarungen zum Schutz der Atmosphäre zeigen.
2. Grenzüberschreitende Probleme: Phänome wie Migration
(zum Beispiel Arbeitsmigration im Rahmen der EU), die Ver-

31
schmutzung der Nordsee oder der saure Regen übersteigen
die Reichweite nationaler Politik, auch wenn sie keine welt-
weite Dimensionen annehmen. Sie verlangen ein steigendes
Maß an Kooperation und den Willen zur gemeinsamen Prob-
lemlösung zwischen Nationalstaaten und beteiligten Akteurs-
gruppen. Viele der grenzüberschreitenden Probleme können
im Kontext regionaler Integrationsprojekte bearbeitet werden.
3. Globale Phänomene: Unregierbarkeit von Mega-Städten,
Krisen hierarchischer Großorganisationen und staatlicher
Verwaltungen oder Prozesse zunehmender gesellschaftlicher
Fragmentierung sind Probleme, die weltweit auftreten, ohne
notwendigerweise durch grenzüberschreitende Interdepen-
denzbeziehungen hervorgerufen zu sein. Dieser Typus von
Weltproblem kann und muß weiterhin im Rahmen national-
staatlicher Politik bearbeitet werden. Es eröffnet sich jedoch
ein weites Feld für » Lernpartnerschaften« entlang der » Lokal-
Global-Achse« : Erfahrungen anderer Länder und Regionen
können systematisch ausgewertet werden, bi- und multilate-
rale Pilotprojekte zur Lösung ähnlich gelagerter Probleme
wären denkbar; São Paulo, Jakarta, Paris und New York haben
in vielen Bereichen untereinander sicherlich mehr Gemein-
samkeiten und Ansatzpunkte für gemeinsame Lernprozesse
als mit den Klein- und Mittelstädten ihrer Länder (lokal-lokale
Zusammenarbeit in der Weltgesellschaft). Zukünftig werden
sich die Länder besonders dynamisch entwickeln, die erfolg-
reich von den Erfahrungen anderer lernen. Staaten und nicht-
staatliche Organisationen haben hier Nachholbedarf gegen-
über weltweit agierenden Unternehmen, die Innovationsakti-
vitäten und Lernpartnerschaften längst über nationale Gren-
zen hinweg aufbauen (vgl. den Beitrag von Meyer-Krahmer).
4. Globale Interdependenzprobleme: Wirtschaftskrisen verur-
sachen Verelendungprozesse, die Migrationsströme auslösen
können; Umweltkrisen können zu Kriegsursachen werden;
Welthandelsströme erhöhen den Wohlstand der Nationen,
können aber über steigende Transportbewegungen die Um-
weltsysteme überfordern usw. Die Sicherung von Politikkohä-

32
renz und das Management von Interdependenzen zwischen
Politikfeldern und Problembereichen ist schon im nationalen
Rahmen schwierig und unterentwickelt (Messner 1995). Im
internationalen Rahmen besteht hier noch größerer Hand-
lungsbedarf. Die handlungsmächtigen internationalen Organi-
sationen (zum Beispiel die Welthandelsorganisation (WTO)
und der Internationale Währungsfonds (IWF)) sind klassische
single issue-Organisationen, die sich auf Einzelfragen konzent-
rieren und die komplexen Folgewirkungen ihres Handelns
kaum berücksichtigen. In den Dokumenten der Weltkonferen-
zen der 90er Jahre sind viele dieser Interdependenzprobleme
herausgearbeitet worden (Messner/Nuscheler 1996). Von der
lokalen bis zur globalen Ebene mangelt es jedoch an Instituti-
onen, die an den Schnittstellen zwischen wichtigen Problem-
bereichen arbeiten, Wechselwirkungen beobachten, Koordina-
tionsfunktionen wahrnehmen und Problemlösungsansätze
bün-deln (vgl. zur Umweltpolitik den Beitrag von Simonis).
5. Systemwettbewerb der Nationalstaaten in der Weltwirtschaft:
Die Globalisierung der Ökonomie und weltweite Liberalisie-
rungsschübe haben den Systemwettbewerb zwischen den
Nationalstaaten verschärft. Nicht nur ökonomische Institutio-
nen, sondern auch Sozial- und Umweltregulierungssysteme
stehen in der Weltwirtschaft miteinander im Wettbewerb.
Wird dieser Wettbewerb nicht institutionell eingebettet, dro-
hen Deregulierungs- und Unterbietungswettläufe, die die
Weltwirtschaft destabilisieren und soziale sowie umweltpoliti-
sche Errungenschaften aushebeln (Altvater/Mahnkopf 1996;
Scharpf 1997). Wirtschaftspolitische Antworten müssen auf
nationaler, regionaler und multilateraler Ebene entwickelt
werden (Messner 1997). In vielen Bereichen bleiben nationale
(vor allem produktbezogene) Regulierungen weiterhin mög-
lich, in einigen Fällen sind sogar aufgrund der Globalisierung
Angleichungen von Regulierungen » nach oben« zu beobachten
(zum Beispiel steigende Umweltstandards in exportorientier-
ten Entwicklungsländern). Im Rahmen der EU sind eine enge-
re wirtschaftspolitische Koordination (zum Beispiel der Mak-

33
ropolitiken) sowie Harmonisierungen notwendig: so zum
Beispiel der Steuerpolitiken und der Genehmigungsverfahren;
denkbar wäre auch eine europäische Konvention, die Unter-
grenzen für den Gesamtsozialaufwand im Verhältnis zum
Bruttosozialprodukt pro Kopf festlegt (Scharpf 1997). Auf
internationaler Ebene bedarf es weltwirtschaftlicher Ord-
nungsrahmen, um die Welthandelsordnung weiterzuentwi-
ckeln sowie eine tragfähige Weltfinanz- und eine internatio-
nale Wettbewerbsordnung aufzubauen. Erfolgreiche Politiken
auf den unterschiedlichen Ebenen der Global Governance-
Archi-tektur zur Eingrenzung des Systemwettbewerbs sind
angesichts der weltweiten Konkurrenz um Investitionen
schwierig.
6. Komplexität der Global Governance-Architektur: Wenn es
gelingt, die Transformation der Politik in Richtung einer aus-
differenzierten und vielfältig vernetzten Global Governance-
Architektur weiterzuentwickeln und so der » Entmachtung der
Politik« entgegenzuwirken, wird die Global Governance-
Architektur angesichts ihrer Komplexität selbst zum globalen
Problem. Grenzen und Fallstricke politischer Steuerung sind
im nationalen Kontext gut erforscht, im globalen Maßstab
werden sich qualitativ neue und zusätzliche Problemkonstella-
tionen herausbilden.

Typen globaler Interdependenz

Sich entlang der Lokal-Global-Achse verdichtende Interde-


pendenzbeziehungen sprengen die Reichweite nationalstaatli-
cher Politik. Globale Probleme müssen in der Regel in netz-
werkförmigen Verhandlungssystemen gelöst werden, weil
hierarchische Instanzen nicht in der Lage sind, grenzüber-
schreitende Herausforderungen autonom zu bewältigen. In
inter- oder auch supranationalen Netzwerken wird die schiere
Zahl der beteiligten Akteure zu einem Steuerungs- und Koor-
dinationsproblem: Verhandlungen können sehr lange dauern,

34
Verhandlungsblockaden und Vetopositionen mächtiger Ak-
teure sind denkbar.
Das für Global Governance zentrale » Problem der großen
Zahl« (Messner 1995: 216ff.) stellt sich jedoch nicht immer in
gleicher Weise. Schon Thompson (1967) hat Ende der 60er
Jahre auf drei unterschiedliche Typen von Interdependenz
hingewiesen, die für die Diskussion über globale Interdepen-
denzen fruchtbar gemacht werden können.
In Fällen von » pooled interdependence« geht es um die Ver-
ständigung über gemeinsame Standards (coordination by stan-
dardization), um Handlungsblockaden zu überwinden. Als
Beispiele können technische Normierungsverfahren, Qualitäts-
und Umweltstandards gelten, um Unterbietungswettläufe
zwischen Unternehmen oder auch Gesellschaften durch die
Einigung auf gemeinsame Standards zu verhindern und
Transaktionskosten zu senken. In diesem Bereich hat sich in
der Weltgesellschaft in den vergangenen zwei Dekaden viel
bewegt: Internationale Banken konnten sich auf Mindesteinla-
gen verständigen, in der EU wurden viele technische Normen
in unterschiedlichsten Wirtschaftssektoren angeglichen, Flug-
gesellschaften einigten sich auf international verbindliche
Sicherheitsstandards usw. Die Vielzahl der global verbindli-
chen technischen Standards ist in einem Werk zusammenge-
faßt, das seit Ende der 70er Jahre bis heute von 3.400 auf
20.000 Seiten angewachsen ist (vgl. Zürn 1997: 39). Im Verlauf
der Lösung dieser Interdependenzprobleme kann es durchaus
harte Konflikte über die Wahl zwischen konkurrierenden
Standards geben. Sind jedoch erst einmal verbindliche Regeln
und Normen definiert und akzeptiert, können die Akteure auf
dieser Grundlage autonom agieren. Interdependenzprobleme
dieser Art sind also relativ leicht lösbar, weil sie durch das
Aufstellen gemeinsamer Regeln überwunden werden können.
Entsprechend sind internationale Initiativen in Feldern, in
denen dieser Typus von Interdependenz vorherrscht, weit
vorangeschritten.

35
Im zweiten Fall geht es um » sequentielle Interdependenz« ,
zum Beispiel wenn im Rahmen der Klimaverhandlungen
Prioritäten hinsichtlich der klimagefährdendsten Stoffe defi-
niert und für Ländergruppen unterschiedliche Fahrpläne zur
Reduzierung von Emissionen zeitlich aufeinander abgestimmt
werden müssen. Eine » coordination by plan« (Koordination
durch Aufstellung von Plänen und zeitlichen Abfolgen) kann
dazu beitragen, diesen Typus von Interdependenz zu bearbei-
ten. Auch in diesem Fall sind langwierige Interessenkonflikte
wahrscheinlich, die beteiligten Akteure können jedoch auf der
Grundlage der abgestimmten zeitlichen Sequenzen autonom
agieren und Maßnahmenpakete entwickeln, um die eingegan-
genen Verpflichtungen umzusetzen.
Am kompliziertesten sind Fälle » reziproker Interdependenz« .
Hier sind die Entscheidungsmöglichkeiten der beteiligten
Akteure vom jeweiligen Verhalten der anderen abhängig,
denn die Ergebnisse der Handlungen der einen werden zu den
Voraussetzungen der Handlungsoptionen der anderen. Dieses
Interdependenzmuster stellt hohe Koordinations- und Koope-
rationsanforderungen an die beteiligten Akteure, weil es hier
nicht ausreicht, sich einmal auf gemeinsame Regeln zu einigen
oder Handlungssequenzen zu verabreden: Kontinuierliche
Abstimmungsprozesse sind notwendig. Thompson spricht
von der Notwendigkeit zur » coordination by mutual adjustment«
(Koordination durch eng aufeinander abgestimmte und inei-
nandergreifende Strategien). Vieles spricht dafür, daß Wirt-
schaftspolitik in der zunehmend globalen Ökonomie in vielen
Bereichen auf diesem schwierigen Muster reziproker Interde-
pendenz basieren wird: Nur mit einer Vielzahl von Akteuren
abgestimmte und verzahnte Strategien auf unterschiedlichen
Ebenen der Global Governance-Architektur können zu einer
institutionellen Einbettung der Weltwirtschaft beitragen.
Gerade in solchen Konstellationen komplexer wechselseitiger
Abhängigkeit verfügen Einzelakteure über beträchtliche Veto-
und Blockademacht – politische Fortschritte sind also mühse-
lig.

36
Macht in der Global Goverance-Architektur

Die Chancen, existierende Bausteine zu einer funktionsfähigen


Global Governance-Architektur zu erweitern, bleiben abhän-
gig von den Machtstrukturen innerhalb der Weltgesellschaft,
auch wenn die sich verdichtenden Interdependenzstrukturen
eine Streuung von Macht und Verhandlungspotentialen mit
sich bringen (so können zum Beispiel ohne die Entwicklungs-
länder die zentralen Umweltprobleme nicht gelöst werden).
Vier Konstellationen lassen sich unterscheiden:
1. Die Überwindung der Bipolarität und die Schwächung
der hegemonialen Macht der USA im Verlauf der vergange-
nen Dekaden haben ein internationales Machtvakuum entste-
hen lassen. Die USA können heute Ordnungsfunktionen, die
sie zwischen 1945 und Anfang der 70er Jahre wahrgenommen
haben, kaum mehr erbringen. Die neue polyzentrische, post-
hegemoniale Struktur erschwert Verhandlungsprozesse und
befördert bi- statt multilaterale Lösungen, die internationale
Dauerkonflikte zur Folge haben können.
2. Asymmetrische Machtstrukturen in der globalen Politik
führen dazu, daß schwächere Akteure tendenziell für sie sub-
optimale Lösungen akzeptieren müssen, während starke Ak-
teure in der Lage sind, ihre Interessen umfassender durchzu-
setzen. Dies wirft einerseits Gerechtigkeitsprobleme auf; ande-
rerseits wird die Kooperationsbereitschaft schwächerer Ak-
teure und deren Bereitschaft zur Teilhabe am Global
Governance-Projekt untergraben – und damit die Chance auf
kooperative Lösungen für weltumspannende Probleme ver-
spielt.
3. Die Klimaverhandlungen in Kyoto vom Dezember 1997
haben gezeigt, daß mächtige Akteure die Lösung globaler
Probleme verlangsamen und auch blockieren können – sie
verfügen de facto über Veto-Macht. Nur eine zunehmende
Verregelung, Verrechtlichung und Demokratisierung der

37
internationalen Beziehungen und globaler Politik kann diese
vordemokratischen Zustände überwinden helfen. Das oben
skizzierte Beispiel der Verhandlungen über ein Verbot von
Personenminen zeigt allerdings auch, daß zivilgesellschaftli-
cher Druck auf mächtige Akteure erfolgreich sein kann.
4. Bedeutsam ist, daß sich im Prozeß der ökonomischen
Globalisierung die Machtpotentiale von den politischen Ak-
teuren zu privaten Unternehmen verlagert haben. Ohne deren
Beteiligung an und Einbindung in die Global Governance-
Architektur ist kooperationsbasierte globale Politik kein aus-
sichtsreiches Projekt.

Interessenkonstellationen in der globalen Politik

Global Governance hat gute Chancen, wenn die handlungsre-


levanten Akteure primär komplementäre oder gar konvergie-
rende Interessen verfolgen. Die Entschärfung der Verschul-
dungskrise der Entwicklungsländer in den 80er Jahren, die
einen Kollaps des internationalen Finanzsystems verhinderte
(aber die Probleme der verschuldeten Länder oft kaum redu-
zierte), die Herausbildung der Welthandelsordnung oder auch
das rasche Krisenmanagement zur Stabilisierung der seit Ende
1997 in unruhiges Fahrwasser geratenen asiatischen Ökono-
mien sind hierfür Beispiele. Wenn globale Probleme durch
primär konfliktive Interessenstrukturen bestimmt sind, wer-
den umfassende Lösungen unwahrscheinlicher, in jedem Fall
schwieriger und langwieriger. Die Schwierigkeiten, die Folgen
internationaler Migrationsströme durch internationale Koope-
ration und fairen Lastenausgleich zu bewältigen, sind ein
Beispiel; die Widerstände gegen die Tobin-Steuer zur Stabili-
sierung der internationalen Finanzmärkte (nicht zuletzt von
seiten internationaler Banken) oder Lobby-Bollwerke gegen
die Einführung von Energiesteuern in der EU stellen weiteres
Anschauungsmaterial dar. Politische Fortschritte sind hier
nicht unmöglich, demokratische Gesellschaften zeichnen sich

38
gerade durch ihre Fähigkeit aus, permanente Konfliktregulie-
rung friedlich zu bewerkstelligen. In nationalstaatlichen De-
mokratien stehen jedoch Mechanismen zur Findung von
Mehrheitsentscheidungen und letztlich entscheidungsfähige
Regierungen (in deren » Schatten« Netzwerksteuerung statt-
findet) zur Verfügung, während supranationale Lösungen in
der Global Governance-Architektur auf Verhandlungsprozes-
se angewiesen sind, die komplexeren Regeln gehorchen.
Aber nicht nur konfliktive Interessen können effektive glo-
bale Politik behindern; auch Gleichgültigkeit handlungsmäch-
tiger Akteure gegenüber wichtigen globalen Problemen blo-
ckiert Global Governance (» tote Winkel« der Interessenhori-
zonte): Die Armut Afrikas ist für die starken global players
vielleicht ein moralisches Problem, über diverse Vermittlungs-
zusammenhänge könnte es sich aber auch in ein für sie rele-
vantes Problem verwandeln (Armut in Afrika oder Osteuropa
– Bürgerkriege – Migration nach Westeuropa). Zunächst je-
doch bedroht das » globale Problem« der Armut vor allem die
davon betroffenen Armen und deren Gesellschaften. Die
Indifferenz der Industrieländer gegenüber den globalen Ar-
mutsproblemen ist in jedem Falle so groß, daß die Mittel für
Entwicklungszusammenarbeit seit Jahren sinken. Ganz an-
ders, wenn die unmittelbaren Eigeninteressen der mächtigen
Akteure betroffen sind: Zur Stabilisierung des südkoreani-
schen Finanzsystems werden Ende 1997 unter der Ägide des
IWF und in Kooperation mit den G 7-Ländern binnen kurzer
Frist an die 50 Mrd. US-$ mobilisiert, um den Zusammen-
bruch eines wichtigen Wirtschaftspartners, Dominoeffekte in
Asien und eine Beeinträchtigung des internationalen Kapital-
marktes zu verhindern.

Handlungsorientierungen der Akteure in der Global


Governance-Architektur

39
Entscheidungsfindungsprozesse in netzwerkförmigen Ver-
handlungssystemen der Global Governance-Architektur wer-
den nicht nur durch Macht- und Interessenkonstellationen,
sondern auch die jeweiligen Handlungsorientierungen der
Akteure beeinflußt (Messner 1995: 260ff.). Generell können
drei Handlungsorientierungen und Stile der Entscheidungs-
findung voneinander unterschieden werden (Scharpf 1991):
• Die Tausch- und Aushandlungsorientierung beschreibt die
typische egoistische Perspektive, die in der Public Choice-
Theorie den Individuen und in der (neo-)realistischen
Schule internationaler Beziehungen staatlichen Akteuren
zugeschrieben wird. Die Akteure werden hier ausschließ-
lich durch ihr individuelles Interessenkalkül geleitet.
• Die Konfrontationsorientierung impliziert, daß der eigene
Nutzen gemessen wird am gegenüber anderen erzielten
Vorteil. Es geht also nicht nur um Nutzenmaximierung, wie
im Fall der Tausch- und Aushandlungsorientierung, son-
dern darum, andere Beteiligte zu » besiegen« .
• Die Problemlösungsorientierung der Akteure ist auf die Suche
nach dem zu erwartenden gemeinsamen Nutzen ausgerich-
tet.
Die Auswirkungen dieser Handlungsorientierungen auf Ver-
handlungsprozesse, die jeweils unterschiedliche Formen von
miteinander vernetzten, interdependenten Problemen lösen
sollen, können spieltheoretisch rekonstruiert werden (Messner
1995: 151ff.). Im Kern ergeben sich folgende Ergebnisse: Je
komplexer und verwobener die Probleme sind, desto wahr-
scheinlicher ist es, daß eine individualistische Tausch- und
Aushandlungsorientierung der Akteure in » endlosen« Ver-
handlungsblockaden mündet. » Endloser« Streit ist wahr-
scheinlich, weil alle Seiten zwar an einer Problemlösung inte-
ressiert sind, sich jedoch wegen der Beharrung der Akteure
auf ihren egoistischen Interessen nicht einigen können (vgl. die
Verhandlungen zur Entwicklung einer internationalen Wald-
konvention oder einer Biodiversitätskonvention). Eine Kon-
frontationsorientierung vereitelt oft bereits gemeinsame Ver-

40
handlungen (vgl. zum Beispiel die jahrlange Blockade des
Friedensprozesses zwischen Israel und den Palästinensern),
kann zur Konfliktverschärfung beitragen und verhindert in
jedem Fall die Aussicht auf kooperative und effektive Prob-
lemlösung in der Global Governance-Architektur. Ein auf
gemeinsame Problemlösung orientierter Entscheidungsfindungs-
stil kann demgegenüber dazu beitragen, Verhandlungsblocka-
den zu begrenzen und die kollektive Wohlfahrt zu steigern.
Nur wenn kooperationswillige und -fähige Akteure darauf
ausgerichtet sind, nicht unbedingt ihre, sondern eine für alle
Seiten annehmbare oder gar in bezug auf das globale Problem
möglichst optimale Lösung durchzusetzen, eröffnet sich ein
Weg aus der Konfrontation und endlosen Verhandlungsblo-
ckaden. Eine Vielzahl der oben skizzierten Probleme (zum
Beispiel die Indifferenz mächtiger Akteure gegenüber wichti-
gen Weltproblemen; die Politikblockade durch einseitige
Machtpolitik; Probleme, die durch reziproke Interdependenz
charakterisiert sind) läßt sich nur überwinden, wenn sich die
Akteure auf gemeinsame Problemlösung hin orientieren. Die
der (neo-)realistischen Schule der Außenpolitik zugrundelie-
gende Ausrichtung an engen nationalen Interessen blockiert
die Herausbildung einer leistungsfähigen Global Governance-
Architektur.

Die Bedeutung von Leitbildern

Politische Veränderungen basieren nicht nur auf Macht, Inte-


ressenkonstellationen und objektiven Problemlagen. Auch
Leitbilder, die im politischen Prozeß an Faszination gewinnen
und handlungsleitend wirken können, beeinflussen die Dy-

41
namik globaler Politik. Die Ostpolitik Willy Brandts, die Ver-
söhnungspolitik Nelson Mandelas, die politische Integration
Europas nach zwei verheerenden Weltkriegen waren zunächst
auch realitätsfern erscheinende Projekte.
Ein aktuelles Beispiel für die Kraft von Ideen und Leitbil-
dern ist, daß es im Verlauf der letzten Jahre einer unermüdli-
chen internationalen Expertengemeinschaft gelungen ist, die
Bedeutung von CO2-Reduktionen für die Lösung wichtiger
Umweltprobleme » in den Köpfen der Menschen« zu veran-
kern. Tatsächlich sind in diesem Bereich positive Entwicklun-
gen in Bewegung gekommen (vgl. den Einstieg in CO2-
Reduktionsprozesse infolge der Klimakonferenz in Kyoto). In
anderen Bereichen ist es (noch) nicht gelungen, die weltweite
Dominanz von Deregulierungskonzepten zu durchbrechen,
obwohl es keineswegs sicher ist, daß die Verteilungseffekte
und Anpassungzwänge der in Gang gesetzten Klimavereinba-
rungen (auch für die mächtigen Industrieländer) geringer
ausfallen, als sie es zum Beispiel bei Einführung der Tobin-
Steuer auf spekulative Kapitalbewegungen wären (Zürn 1997:
47). Der Erfolg von Global Governance hängt also auch davon
ab, ob es Politik und Wissenschaft gelingt, dessen essentielle
Bedeutung für eine friedliche Weiterentwicklung innerhalb
der Weltgesellschaft und zur Abwehr der » Entmachtung der
Politik« herauszuarbeiten.

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