Merkels Kolonne rollt heran, die Blas-
kapelle schmettert, dann gehen die bei-
Parteifreunde Mappus, Merkel: Ihre Geschichte offenbart den Opportunismus der CDU
CDU
Der Getriebene
Stefan Mappus wollte der Gegenentwurf zu Angela Merkel sein:
konservativ, kantig, kompromisslos. In der
Atomkrise wirkt er wie der fleißigste Schüler der Kanzlerin.
A
lle seine Vorbilder haben hier ge-
sprochen, die Säulenheiligen der
Union, Helmut Kohl, auch Franz
Josef Strauß, mit dem er sich so gern ver-
gleichen ließ, als die Zeiten noch besser
waren. Schriesheim an der Bergstraße fei-
ert den Mathaisemarkt, im Festzelt fließt
schon am Nachmittag der Riesling, um
das Rauchverbot und anderen neumodi-
schen Schnickschnack schert sich hier nie-
mand. Wer Hunger hat, bestellt Schweins-
haxe.
Es gab eine Zeit, da war Schriesheim
der perfekte Ort für einen wie Stefan
Mappus. Hier muss sich ein Mann von
der CDU nicht verstellen, hier kann er
reden, wie ihm der Schnabel gewachsen
ist. Und doch spricht kein Klartextpoliti-
ker an diesem Montag. Als der baden-
württembergische Ministerpräsident ans
Pult tritt, klingt er nicht wie Franz Josef
Strauß, sondern nach Claudia Roth.
Mappus redet von dem schlimmen
Atomunfall in Japan und verspricht, alte
Atomkraftwerke schnell vom Netz zu
nehmen. Das vergangene Wochenende
habe alles verändert, sagt Mappus, dann
kommt ein Satz, den man bisher nur aus
dem Lexikon grüner Gefühlspolitik kann-
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MARC-STEFFEN UNGER
te: „Wir müssen die Ängste der Menschen
ernst nehmen.“
Der Mathaisemarkt ist der vorläufige
Höhepunkt der Wandlung des Stefan
Mappus, es ist die kurioseste Metamor-
phose, die ein Politiker in den vergange-
nen Jahren durchgemacht hat. Mappus
war einmal die Hoffnung all jener, die
von einer anderen CDU träumten; einer
Partei, die den Stürmen des Zeitgeistes
trotzt.
„Gute Politik besteht darin, dass man
bei seiner Meinung bleibt, auch wenn
man einen schweren Stand hat“, sagte er,
und mit solchen Sätzen machte er sich
zum Gegenmodell der weichen Merkel-
CDU. Kurz vor der Wahl in Baden-Würt-
temberg wirkt er wie der gelehrigste
Schüler der Kanzlerin.
Dass sich etwas verschoben hat, war
schon vor der Katastrophe von Fukushi-
ma klar. Ende Februar schwebt Merkels
Hubschrauber über Gammertingen, die
CDU im Südwesten hat zum Wahlkampf
auf die Schwäbische Alb geladen. Rund
2000 Menschen erwarten die Kanzlerin,
am Eingang der Halle tippelt Stefan Map-
pus von einem Bein auf das andere. Er
will den Gast aus Berlin begrüßen.
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den durch die Reihen des jubelnden
CDU-Volks. Auf der Bühne blickt die
Kanzlerin zufrieden über die vollen
Reihen, sie wendet sich kurz zu Mappus
und nickt ihm stumm zu. Es ist nur ein
kurzer Augenblick der Anerkennung,
aber er genügt, um Mappus vor Stolz
aufleuchten zu lassen. Der Ministerprä-
sident von Baden-Württemberg sieht aus
wie ein Schüler, dem die Frau Lehrerin
einen Fleißstempel ins Schreibheft ge-
drückt hat.
Die Geschichte von Mappus und Mer-
kel offenbart den Opportunismus der
CDU, sie zeigt aber auch die Zwänge von
Volksparteien in der Stimmungsdemokra-
tie. In Mappus steckte einmal die Vorstel-
lung, dass eine andere, scharfkantige
Politik möglich ist; dass die Welt noch
klar aufgeteilt ist zwischen Rechten und
Linken, man kann auch sagen: zwischen
den Guten und den Bösen.
Allein seine Gestalt machte ihn zur Al-
ternative: Das breite Kreuz, der massige
Schädel mit den Augen eines Spitzbuben,
er strahlte eine bullige Bürgerlichkeit aus,
die den heimatlosen Konservativen in der
CDU sofort sympathisch war. Dazu ka-
men seine Sätze. Der frühe Mappus spiel-
te gern mit dem Ressentiment, den Chris-
topher Street Day nannte er mal ein „kar-
nevaleskes Zurschaustellen von sexuellen
Neigungen“. Es waren Worte aus dem
provinziellen Bauch der Union.
Als Mappus noch Fraktionschef im
Stuttgarter Landtag war, lud er zu Aben-
den, über denen ein Hauch von Ver-
schwörung lag. Es gab schweren Rotwein
und schweres Essen, und je mehr sich die
Gläser leerten, desto heftiger wurde Map-
pus’ Lamento über Merkel. Er stichelte
gegen ihre ewigen Kompromisse, er
machte sich lustig über Merkels Jungs im
Adenauerhaus, die ihm zu servil erschie-
nen, irgendwie unmännlich.
Es waren Jammerrunden, nur blieb
unklar, was er anders machen würde. In
Merkels Familienpolitik sah er einen An-
schlag auf die Hausfrauenehe, aber als er
mit ein paar Mitstreitern ein konservati-
ves Manifest verfasste, standen darin Sät-
ze, die die Kanzlerin auch unterschreiben
konnte: „Wer sein Kind zu Hause selbst
betreut, soll sich dafür auch in Zukunft
nicht rechtfertigen müssen.“
Merkel ignorierte Mappus, solange er
ein Nobody aus Pforzheim war. Als er
im Februar 2010 zum Ministerpräsidenten
aufstieg, stellte sie sich schnell an seine
Seite. Man kann nicht sagen, dass sie
Mappus plötzlich sonderlich sympathisch
fand. Aber mit einem Mal war er einer
der wichtigsten Männer in der CDU, und
Merkel wollte sich nicht den Vorwurf ein-
handeln, sie setze den Wahlsieg in Ba-
den-Württemberg für eine Privatfehde
aufs Spiel.

In gewisser Weise kam ihr Mappus so-
gar gelegen. In der CDU wird schon lange
genölt, sie habe kein Herz für die Stamm-
wähler, und die Landtagswahl in Baden-
Württemberg war für sie ein schöner An-
lass, sich einen konservativen Mantel um-
zulegen.
Erst unterstützte sie Mappus’ Kampf
für Stuttgart 21 und erklärte die Wahl zur
„Volksabstimmung“ über den neuen
Bahnhof. Später dann, im Streit um die
Verlängerung der Atomlaufzeiten, sprang
sie dem Atomfreund Mappus bei und
nicht ihrem Umweltminister Norbert Rött-
gen, der die alten Meiler am liebsten so-
fort dichtgemacht hätte. Mappus durfte
es sich sogar erlauben, den Rücktritt des
Berliner Ministers zu fordern.
Aber je näher Merkel ranrückte, umso
schneller warf Mappus die eigenen Über-
zeugungen über Bord. Vom Stuttgarter
Staatsministerium aus gesehen war die
Welt mit einem Mal ziemlich unübersicht-
lich. Der Ministerpräsident Mappus ver-
tritt eifrig die Meinung, dass Baden-Würt-
temberg dringend neue Kita-Plätze
braucht, schließlich ist er auf die Stimmen
der jungen Frauen angewiesen.
Und unter den Demonstranten gegen
Stuttgart 21 waren nicht nur langhaarige
Berufsdemonstranten, sondern auch bra-
ve Bürger, die keine Presslufthämmer in
ihrem beschaulichen Leben wünschen.
Mappus nahm das Wort „moderieren“ in
seinen aktiven Wortschatz auf. Es ist ein
Wort, das Merkel sehr gern benutzt.
Er kann sich immer noch in Rage reden,
aber seit ein paar Monaten hat er einen
Mann dabei, der dann sorgenvoll mit dem
Kopf wackelt. Es ist Dirk Metz, sein Me-
dienberater. Wenn Mappus ein Interview
gibt, feilt Metz so lange daran herum, bis
die Formulierungen glatt sind wie Kiesel-
steine. Angela Merkel hat auch so jeman-
den: Beate Baumann, ihre Büroleiterin.
Deutschland
BERND WEISSBROD / DPA
Proteste gegen Stuttgart 21*
Angst vor dem Wähler
Sein Amt hat Mappus aus allen Gewiss-
heiten katapultiert. Früher waren die Din-
ge geordnet: Atomkraft war gut fürs Kli-
ma, das Kind gehört zur Mutter, Stuttgart
braucht einen neuen Bahnhof. Jetzt zer-
ren alle an ihm, und Mappus weiß nicht
mehr, wo ihm der Kopf steht. Es geht
jetzt nicht mehr um Prinzipien, er will
die Wahl gewinnen.
„Habt ihr noch Kaffee da?“, ruft Map-
pus, sein Wahlkampfbus rollt Richtung
Stuttgart, es ist schon spät, er sieht müde
* Am Rosenmontag in der baden-württembergischen
Landeshauptstadt.
aus, abgekämpft. Es geht um Merkel,
aber von Verschwörung ist jetzt nichts
mehr zu spüren. Seine Sicht auf die
Kanzlerin habe sich sehr geändert, sagt
Mappus. Er habe einen Höllenrespekt
vor ihrer Leistung. „Ich bewundere diese
Frau.“
Als in Japan der GAU drohte, rief Map-
pus bei ihr im Kanzleramt an. Er bat um
schnelle Entscheidungen, er war nervös,
manche sagen sogar panisch. Als Merkel
vorschlug, alte Kernkraftwerke erst ein-
mal vom Netz zu nehmen, war Mappus
sofort einverstanden. Er bot an, Neckar-
westheim 1 abzuschalten, und als sich am
Dienstag die Ministerpräsidenten mit Mer-
kel in Berlin trafen, legte er auch noch
den Meiler Philippsburg 1 drauf. „Das
kriegen wir auch noch hin“, sagte er.
Es gibt jetzt kein Halten mehr. Merkel
hat schon alle Rollen durch, sie war
Marktliberale, Konservative, jetzt ist sie
die Frau, die Deutschland schneller von
der Kernenergie befreien will als manche
Grüne. Sie hat sich wieder einen neuen
Mantel umgelegt, und es ist offen, ob sich
die Bürger an ihn gewöhnen werden.
Für Mappus sieht die Lage noch düste-
rer aus. Als Fukushima nur eine friedliche
Stadt im Nordosten Japans war, erzählte
er einmal, was ihn als jungen Mann ge-
prägt hat. Helmut Kohl habe ihm impo-
niert, sagte Mappus, sein Engagement für
neue Atomwaffen der Nato, obwohl im
Bonner Hofgarten Hunderttausende
Demonstranten standen.
Es ist eine Geschichte aus dem alten
Leben des Stefan Mappus. Jetzt ist er der
Mann, der von den Protesten getrieben
wird. Umfragen interessieren ihn im Mo-
ment sehr. Sie lassen nichts Gutes ahnen.
Am vergangenen Freitag gingen die neu-
esten Zahlen in der Stuttgarter Staats-
kanzlei ein. Der Trend zeigte nur in eine
Richtung: nach unten. R��É P������